Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich .
Ich möchte vor Eintritt in die Tagesordnung dem Kol-
legen Charles Huber nachträglich zu seinem 60 . Ge-
burtstag gratulieren und ihm im Namen des ganzen Hau-
ses alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr mit auf
den Weg geben .
Für den verstorbenen Kollegen Peter Hintze ist der
Kollege Dr. Mathias Edwin Höschel als Mitglied des
Bundestages nachgerückt . Ich möchte ihn herzlich be-
grüßen .
Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit!
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages-
ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:
Herausforderungen für die internationale
Politik nach den Terroranschlägen in Kairo,
Istanbul und weiteren Orten vom vergange-
nen Wochenende
ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph
Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Ökologischen Hochwasserschutz länder-
übergreifend sicherstellen und sozial ver-
ankern
– zu dem Antrag der Abgeordneten Peter
Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Steffi Lemke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ökologischen Hochwasserschutz voran-
bringen
Drucksachen 18/3277, 18/2879, 18/3481
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Christian Kühn , Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Feinstaubemissionen aus Baumaschinen redu-
zieren
Drucksachen 18/3554, 18/4399
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-
Uhl, Lisa Paus, Dr . Julia Verlinden, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Atomkosten verursachergerecht anlasten –
Kernbrennstoffsteuer beibehalten und anhe-
ben
Drucksachen 18/10034, 18/10545
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 394 zu Petitionen
Drucksache 18/10644
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620816
(C)
(D)
Sammelübersicht 395 zu Petitionen
Drucksache 18/10645
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 396 zu Petitionen
Drucksache 18/10646
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 397 zu Petitionen
Drucksache 18/10647
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 398 zu Petitionen
Drucksache 18/10648
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 399 zu Petitionen
Drucksache 18/10649
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Haltung der Bundesregierung zur deutschen
Beteiligung am US-Drohnenkrieg über die
Relaisstation Ramstein
ZP 4 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen
an digitalen Grundaufzeichnungen
Drucksachen 18/9535, 18/9957, 18/10102
Nr. 18
Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-
nanzausschusses
Drucksache 18/10667
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas
Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Betrug mit manipulierten Registrierkassen
gesetzlich verhindern – Zeitgleich Ab-
schreibungsregeln für geringwertige Wirt-
schaftsgüter verbessern
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas
Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Umsatzsteuerbetrug bekämpfen
Drucksachen 18/7879, 18/1968, 18/10667
ZP 5 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung
des Anspruchs der Urheber und ausüben-
den Künstler auf angemessene Vergütung
Drucksache 18/8625
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz
Drucksache 18/10637
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz
– zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea
Rößner, Renate Künast, Dr . Konstantin von
Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Urheberinnen und Urheber stärken – Ur-
hebervertragsrecht reformieren
– zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Künast, Kai Gehring, Dr . Konstantin von
Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Ur-
heberrecht bildungs- und wissenschafts-
freundlich gestalten
Drucksachen 18/7518, 18/8245, 18/10637
ZP 6 Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verbesserung des Schutzes gegen
Nachstellungen
Drucksache 18/9946
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
Drucksache 18/10654
ZP 7 Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung der Bestimmungen zur
Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung
und zur Eigenversorgung
Drucksachen 18/10209, 18/10352, 18/10444
Nr. 1.10
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie
Drucksache 18/10668
ZP 8 Unterrichtung durch das Deutsche Institut für
Menschenrechte
Bericht über die Entwicklung der Menschen-
rechtssituation in Deutschland
Drucksache 18/10615
Präsident Dr. Norbert Lammert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20817
(C)
(D)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 9 Unterrichtung durch das Deutsche Institut für
Menschenrechte
Jahresbericht 2015
Drucksache 18/10616
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 10 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Haltung der Bundesregierung zum CDU-Par-
teitagsbeschluss zur Wiedereinführung des
Optionszwangs
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden .
Der Tagesordnungspunkt 15 – da geht es um den
Sportbericht der Bundesregierung – soll abgesetzt und
stattdessen der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor
Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen auf
der Drucksache 18/9535 in Verbindung mit den Anträgen
auf den Drucksachen 18/7879 und 18/1968 abschließend
beraten werden – mit einer Debattenzeit von 25 Minuten .
Des Weiteren sollen die jeweils ohne Debatte vorgese-
henen Tagesordnungspunkte 33 g – hier geht es um den
Antrag „50 Jahre UN-Menschenrechtspakte“ –, 34 a – ein
Gesetzentwurf zum Abbau verzichtbarer Anordnungen
der Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes – und
34 b – hier geht es um den Entwurf eines Energiestatis-
tikgesetzes – heute abgesetzt werden .
Schließlich kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste
dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs, mit de-
nen Sie offenkundig rundum glücklich sind . Jedenfalls
regt sich kein erkennbarer Widerstand . Dann haben wir
das so vereinbart und behandeln die Tagesordnung wie
gerade verändert .
Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 3 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuordnung der Verantwor-
tung in der kerntechnischen Entsorgung
Drucksache 18/10469
– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuordnung der Verantwor-
tung in der kerntechnischen Entsorgung
Drucksachen 18/10353, 18/10482
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
Drucksache 18/10671
Drucksache 18/10672
Über den gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen werden wir später namentlich abstimmen .
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .
Für die Debatte ist eine Aussprachezeit von 60 Minu-
ten vorgesehen. – Auch das findet offensichtlich Einver-
ständnis .
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
zunächst dem Kollegen Michael Fuchs für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-
be Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Am Montag dieser Woche haben wir in einem Presse-
gespräch gemeinsam die Grundzüge dieses Gesetzes
vorgestellt, und zwar Georg Nüßlein, Oliver Krischer,
Hubertus Heil und ich . Hinter uns hingen die Logos von
Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und natürlich auch der
CDU/CSU . Das war für mich – ich muss das zugeben –
in gewisser Weise schon ein ungewohntes Gefühl .
Denn was eine solche Zusammenarbeit zwischen den
Fraktionen angeht, muss ich eingestehen: Ich kann mich
überhaupt nicht daran erinnern, dass wir das schon ein-
mal gemacht haben . Aber es hat geklappt, und es war
auch sinnvoll; denn besondere Herausforderungen ver-
langen auch besondere Maßnahmen, und diese beson-
deren Maßnahmen haben wir getroffen. Ich finde, dass
wir das sogar insgesamt ziemlich gut gemacht haben;
denn die Kernpunkte dieses Gesetzespaketes sind schon
schwierig genug gewesen . Wir haben gemeinsam ausge-
handelt:
Erstens . Die Betreiber der Kernkraftwerke bleiben
für die Stilllegung und den sicheren Rückbau zur grünen
Wiese in der Verantwortung . Sie müssen das bezahlen .
Sie haben dafür Rückstellungen in einer Größenordnung
Präsident Dr. Norbert Lammert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620818
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(D)
von 17,8 Milliarden Euro gebildet, und sie sind anschlie-
ßend auch in der Verantwortung, die Reste, den Abfall,
zu verpacken: sowohl den schwach- und mittelradioak-
tiven als auch den hochradioaktiven Abfall . Die berühm-
ten Castoren und Polluxe werden doch wieder zum Ein-
satz kommen .
Zweitens . Für die Zwischen- und Endlagerung über-
tragen die Energieversorger die Finanzmittel auf ei-
nen Fonds des Bundesfinanzministers. Hierfür sind
17,389 Milliarden Euro zurückgestellt worden, in den Bi-
lanzen nachweisbar . Die Kommissionsarbeit hat gezeigt,
dass diese Rückstellungen relativ konservativ gerechnet
sind . Sie sind eher hoch angesetzt und dementsprechend
ausreichend . Daraufhin haben wir in der Kommission
aber beschlossen, dass zusätzlich ein Risikozuschlag in
einer Größenordnung von 35 Prozent kommt, sodass die
Unternehmen insgesamt einen Betrag von rund 23,5 Mil-
liarden Euro an den Bundesfinanzminister überweisen
werden, und zwar in relativ kurzer Zeit . Wir gehen davon
aus, dass die Notifizierung des Gesetzes schnell geht und
dass wir etwa April in der Lage sein werden, das Gesetz
fertig zu haben . In dem Moment werden die Unterneh-
men diesen Betrag überweisen .
Die Gutachter der Bundesregierung, die das neutral
beobachtet haben, haben uns bestätigt, dass diese Zah-
lung auch in der Höhe gerechtfertigt ist und vor allen
Dingen ausreichend ist für die längerfristige Sicherstel-
lung der Lagerung . Im Gegenzug werden die Betreiber
von einer weiteren Nachschusspflicht freigestellt.
Ich halte diesen Ansatz für richtig . Das Verursacher-
prinzip, wie es bisher zum Beispiel im Atomgesetz in
§ 9a Absatz 1 festgelegt ist, wird strikt umgesetzt . Es ist
zukunftsfest durch diesen Risikozuschlag, den wir einge-
rechnet haben . Die langfristig erforderlichen Mittel für
Zwischen- und Endlagerung liegen zukünftig nicht mehr
bei den Unternehmen, sondern beim Staat . Wenn die
Unternehmen beispielsweise veräußert würden, bestün-
de die Gefahr, dass nicht mehr über diese Mittel verfügt
werden könnte .
Umgekehrt gewinnen die Energieversorger Planungs-
sicherheit . So können sie ihre fortbestehenden Rück-
bauverpflichtungen erfüllen; denn sie müssen ja noch
zusätzlich die Kernkraftwerke abbauen . Das letzte Kern-
kraftwerk wird 2022 vom Netz gehen . Wir gehen davon
aus, dass bis 2026, vielleicht auch bis 2028, die meisten
Kernkraftwerke abgebaut sein werden .
Am wichtigsten ist für mich die dritte zentrale Wei-
chenstellung des Gesetzes: Die operative finanzielle Ver-
antwortung für die Zwischen- und Endlagerung ist dann
beim Bund .
Meine Damen und Herren, diese guten Ergebnisse, die
wir in den Verhandlungen erzielt haben, sind nicht vom
Himmel gefallen . Das war auch alles andere als einfach .
Ein paar Erfolgsfaktoren möchte ich hervorheben . Da
ist zunächst diese Kommission, die die Gesetzgebungs-
arbeiten vorbereitet hat. Ich finde, dass unser Chef des
Bundeskanzleramtes, Peter Altmaier, bei der Zusammen-
setzung dieser Kommission einen guten Job gemacht hat,
auch wenn ich im ersten Moment geschluckt habe, als ich
gehört habe, wer alles mit dabei ist .
Ich möchte den drei Vorsitzenden Jürgen Trittin, Ole
von Beust und Matthias Platzeck danken, die die Kom-
mission vernünftig geleitet haben . Ihre Arbeit hat dazu
geführt, dass wir diese Ergebnisse heute haben .
– Den Applaus ist das wirklich wert, Herr Trittin . –
Gleichzeitig möchte ich mich bei den Mitarbeitern be-
danken, die wirklich sehr viel arbeiten mussten, auch
in den letzten Wochen . Das ist nicht selbstverständlich .
Hier sind sehr viele Überstunden geleistet worden – in
meinem Büro von Herrn Dr . Pohl oder in deinem Büro,
Hubertus Heil, von Herrn Langenbruch; viele haben da-
ran mitgearbeitet . Auch das Ministerium unter Federfüh-
rung von Herrn Herdan hat uns dabei geholfen, dass wir
die Ergebnisse heute haben .
Entscheidend war: Wir haben die Kommissionsarbeit
im parlamentarischen Verfahren nicht für die Wiederho-
lung der Schlachten der Vergangenheit genutzt, sondern
im Gegenteil konstruktiv miteinander zusammengearbei-
tet und die Sache wirklich sachlich richtig umgesetzt .
Meine Damen und Herren, diese sachlich-konstrukti-
ve, verantwortungsvolle Haltung muss auch die weiteren
Umsetzungsschritte prägen . Mit dem Gesetzgebungsver-
fahren ist zwar ein wichtiger Schritt getan, aber weitere
Schritte müssen folgen:
Erstens haben wir die Erwartung, dass die Bundesre-
gierung den öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Ener-
gieversorgern, den wir vereinbart haben, so schnell wie
möglich auch abschließt . Das muss zügig geschehen .
Zweitens setzen wir darauf, dass die Unternehmen
und die Bundesregierung eine gütliche Verständigung
bei den noch offenen Rechtsstreitigkeiten finden werden.
Auch das ist positiv: Es gab 31 Verfahren; bis auf zwei
sind alle diese Verfahren jetzt rechtssicher beendet, und
die Unternehmen haben uns schriftlich bestätigt, dass sie
die Klagen zurückziehen werden .
Drittens . Der wichtigste Punkt ist: „Verantwortungs-
voll, zügig und sachorientiert“ muss auch das Motto bei
der Realisierung der Zwischen- und Endlagerung sein .
Durch das heute vorliegende Gesetz hat es der Staat
in Zukunft allein in der Hand, mit den Geldern für die
Zwischen- und Endlager effizient zu wirtschaften. Hier
gibt es jetzt auch keine Ausreden mehr . Der BMF ist ge-
fordert, und es ist meiner Meinung nach nötig, dass wir
diese Verfahren auch so schnell wie möglich umsetzen;
denn je schneller wir eine Lösung für ein Endlager fin-
den, desto sicherer ist, dass die Gelder, die jetzt in den
Fonds kommen, auch ausreichen .
Wenn wir aber glauben, wir könnten in jedem Bundes-
land einmal so eine kleine Probebohrung machen, einen
Bohrlochtourismus erzeugend, dann würde es natürlich
Dr. Michael Fuchs
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20819
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schwierig werden . Das darf nicht geschehen . Die Politik
muss hier auch den Mut zur Entscheidung haben .
Ich erwarte, dass sich die zukünftigen Bundestage sehr
intensiv mit dem Thema beschäftigen und dafür sorgen
werden, dass schnell eine Endlagermöglichkeit gefunden
wird .
Ich will das einmal an dem Beispiel Finnland deutlich
machen: Dort hat man zwei Jahre gebraucht, um einen
Standort zu finden, und vor einigen Wochen hat man mit
der Realisierung dieses Standortes begonnen . 2023 soll
alles fertig sein . Ein solch zügiges Verfahren bei uns wür-
de dazu führen, dass der Bundesfinanzminister am Ende
des Tages Geld aus diesem Fonds übrig behalten würde .
Die ewige Diskussion um Schacht Konrad muss end-
lich beendet werden; denn die schwach- und mittelradio-
aktiven Abfälle, die ja nicht nur aus den Kernkraftwer-
ken, sondern auch aus medizinischen Anlagen kommen,
müssen so schnell wie möglich dorthin verbracht wer-
den . Deswegen erwarte ich auch, dass sich zukünftige
Regierungen daran messen lassen müssen, dass sie das
schnell hinbekommen . Anders darf es nicht gehen .
Ich weiß, dass das ein komplexes Verfahren ist . Die-
ses komplexe Verfahren, das wir jetzt angehen, kann aber
auch ein Muster für uns sein, auf das wir uns bei allen in
Zukunft anstehenden technologisch schwierigen Grund-
satzfragen einigen; denn ob es uns gefällt oder nicht:
Jeder technische Fortschritt – von der Digitalisierung
bis zur Biotechnologie, vom autonomen Fahren bis zu
den Fragen einer modernen Landwirtschaft, die mit der
wachsenden Weltbevölkerung Schritt halten muss – geht
auch immer mit Risiken einher .
Alle diese Herausforderungen verlangen die Balance
aus Sicherheit und technologischen Chancen . Alle die-
se Themen verbieten ein Spiel mit Ängsten, das wir in
diesem Hause und vor allen Dingen auch bei den NGOs
schon häufiger erleben durften. Das darf nicht der Fall
sein . Mit dem Kernenergiepaket, das wir heute verab-
schieden, haben wir gezeigt, dass das geht, und wir soll-
ten uns solch schwierige Debatten auch in Zukunft auf
diese Art vornehmen .
Ich möchte mich noch einmal bei allen bedanken,
freue mich, dass wir das heute verabschieden können,
und wünsche allen Kolleginnen und Kollegen eine fried-
liche Weihnachtszeit .
Hubertus Zdebel ist der nächste Redner für die Frak-
tion Die Linke .
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wenn Atomkonzerne nichts mehr verdienen können oder
wenn hohe Kosten drohen, muss der Staat ran . Nach die-
sem ewig gleichen Prinzip wollen nun im großen Schul-
terschluss CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen
die Verstaatlichung der gesamten Atommüllentsorgung
besiegeln und dabei den Steuerzahlern die wesentlichen
Risiken aufbürden . Das macht die Linke nicht mit .
CDU/CSU und SPD sowie – unter Trittin als Um-
weltminister – die Grünen hatten Jahrzehnte Zeit, die
Probleme bei der Organisation und Finanzierung der
Atommülllagerung zu regeln . Das haben sie – freundlich
formuliert – verpennt, als die Milliardengewinne für die
Atomkonzerne noch sprudelten .
Lassen Sie mich kurz aus einer Studie im Auftrag der
Grünen aus dem Jahre 2010 zitieren – nachzulesen auf
der Homepage von Bärbel Höhn –:
Insgesamt machten die drei Konzerne E .ON, RWE
und EnBW im Jahr 2009 einen Gewinn von mehr
als 23 Milliarden Euro, seit 2002 von über 100 Mil-
liarden Seit dem Jahr 2002 haben sich die Gewinne
vervierfacht . Und für 2010 deutet sich ein weiteres
Rekordjahr an . . .
Das zeigt deutlich: Die Konzerne haben Milliardenge-
winne gemacht . Jetzt sagen Sie, man müsse sofort han-
deln; wenn man jetzt nichts tue, sei das Geld weg .
Hätten Sie mal eher gehandelt!
Sicherlich – das räumen wir ein, und das sehen wir
auch; wir sind ja keine Surrealos –
stecken die Konzerne in einer schweren Strukturkrise .
Aber sie sind weiterhin potent genug, um den Umbau
in Richtung erneuerbare Energien zu schultern . Auf den
Weg haben sie sich jetzt auch gemacht . Gucken Sie sich
die Fernsehwerbung von Eon und RWE an! Da ist nicht
mehr von Atom und Kohle, sondern nur noch von erneu-
erbaren Energien die Rede .
Sie werden ihre Marktmacht darauf verwenden, das aus-
zunutzen . Deswegen bestehen wir Linken darauf, dass
die Verursacher dauerhaft in der weiteren atomaren Haf-
Dr. Michael Fuchs
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620820
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tung bleiben und für den atomaren Dreck geradestehen
müssen .
Stattdessen sollen die Konzerne nach dem Willen ei-
ner supergroßen Koalition aus CDU/CSU, SPD und Grü-
nen für einen Schnäppchenpreis von 23 Milliarden Euro
von sämtlicher Verantwortung für die finanziellen Risi-
ken des Atommüllerbes befreit werden .
Das ist skandalös!
In Wirklichkeit zahlen die Konzerne diese 23 Mil-
liarden Euro nämlich gar nicht, sondern eigentlich nur
17 Milliarden Euro . Denn der vermeintlich so hart ab-
gerungene Risikoaufschlag von 6 Milliarden Euro, der
der Öffentlichkeit als Erfolg verkauft wird, wird bei den
Konzernen durch den von Ihnen gewollten Wegfall der
Brennelementesteuer zum Jahresende eingespart . Damit
gleicht sich das de facto wieder aus . Das sind Taschen-
spielertricks, die mit uns Linken nicht zu machen sind .
Der Gesetzentwurf der drei Fraktionen sieht ferner
eine Aufhebung des Verursacherprinzips durch die Fest-
legung eines für den Steuerzahler höchst riskanten Fest-
preises für die Entsorgungskosten vor . Die dem zugrun-
deliegenden Kostenschätzungen sind auf Sand gebaut .
Nach allen Erfahrungen werden die Kosten der Entsor-
gung deutlich steigen . Ob die prognostizierte langfristi-
ge 4-prozentige Verzinsung der in den Fonds einzuzah-
lenden 23 Milliarden Euro tatsächlich eintritt, weiß zum
jetzigen Zeitpunkt niemand. Eine Nachschusspflicht der
AKW-Betreiber ist im Gesetzentwurf nicht vorgesehen:
einmal zahlen, und der Atommüll ist aus den Bilanzen
der Konzerne verschwunden .
Zusätzlich will sich die Super-GroKo jetzt auch noch
auf eine Ermächtigung der Bundesregierung zum Ab-
schluss eines zusätzlichen öffentlich-rechtlichen Ver-
trags mit den Konzernen einlassen, mit dem sich diese
sozusagen für die Ewigkeit vor künftigen Neuregelungen
schützen wollen . Erschreckend, dass sich die Grünen da-
rauf einlassen .
Jürgen Trittin sagt: Die Chancen, dass dieses Modell
funktioniert, stehen fifty-fifty. – Mit anderen Worten: Sie
wollen uns zu einem Flug einladen, der mit einer Wahr-
scheinlichkeit von 50 Prozent in einer Bruchlandung en-
den wird,
einer Bruchlandung, deren Folgen die Bürger dieses
Landes ausbaden müssen . Diese Einladung zum Harakiri
lehnen wir ab .
Stattdessen fordern wir schon seit Jahren die längst
überfällige Neuordnung der bisherigen Praxis der Ent-
sorgungsrückstellungen . Sie setzen weiter quasi auf diese
betriebswirtschaftliche Rückstellungspolitik . Wir wollen
sie durch eine Rücklagenpolitik ersetzen . Nur Rücklagen
schaffen in den Unternehmen eine hinreichende liquide
Finanzierungsmasse . Das ist jahrzehntelang versäumt
worden, und deswegen haben wir jetzt den Salat .
Ferner fordern wir die schnellstmögliche gesetzliche
Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds, in den
die verantwortlichen Unternehmen sofort 24 Milliarden
Euro einzuzahlen haben . Ebenso braucht es ein wirk-
sames Nachhaftungsgesetz, aber vor allen Dingen eine
weitere Nachschusspflicht für die Atomkonzerne, wenn
die eingezahlten Beträge nicht ausreichen .
Sie können heute in namentlicher Abstimmung deut-
lich machen, was Sie von diesem Gesetzentwurf der Su-
per-GroKo halten .
Im Übrigen möchte ich Ihnen sagen: Der Umgang mit
der Linken in diesem ganzen Verfahren war skandalös
und schäbig .
Sie haben uns von Anfang an aus der KFK herausgehal-
ten . Das sagt sehr viel über Ihr Demokratieverständnis
aus .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Hubertus
Heil das Wort .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Kaum eine gesellschaftliche Debatte hat unser Land
so sehr gespalten wie die Auseinandersetzung über die
Atomkraft – über 45 Jahre, beginnend mit den Protes-
ten in Wyhl am Kaiserstuhl 1973/74 bis in die frühen
2000er-Jahre . Am Ende dieser Debatte, in der übrigens
jede demokratische Partei in diesem Haus eine eigene
Geschichte hat, haben wir einen Konsens darüber, dass
die weitere Nutzung der Atomkraft nicht verantwortbar
ist . Einige Parteien sind früher darauf gekommen: am
ehesten die Grünen mit ihrer Gründung 1980, die SPD
mit ihrem Parteitagsbeschluss 1986 – übrigens beides
nach furchtbaren Unfällen in Harrisburg und Tscherno-
byl –, CDU, CSU und FDP nach 2011 und, ich glaube,
die Linke 1989/90 .
Hubertus Zdebel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20821
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist gut,
dass wir inzwischen diesen Ausstiegskonsens miteinan-
der erzielt haben – „viel zu spät“, werden viele sagen –,
aber es ist auch richtig, dass wir uns verantwortlich ver-
halten und jetzt einen – auch finanziellen – Entsorgungs-
konsens zustande bringen . Das ist ein wichtiger Tag . Ich
danke auch den Kolleginnen und Kollegen von Bünd-
nis 90/Die Grünen, CDU/CSU und auch meiner Fraktion,
dass das miteinander gelungen ist .
An diesem Tag möchte ich an die frühen Mahner er-
innern, zum Beispiel an Erhard Eppler, der letzte Woche
seinen 90 . Geburtstag gefeiert hat . Er hat schon in den
frühen 70er-Jahren auf die Risiken von Atomkraft hin-
gewiesen .
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass techni-
scher und wissenschaftlicher Fortschritt immer mit Risi-
ken verbunden ist .
Aber es ist richtig, dass wir als Staat in der Bewertung zu
der Überzeugung gekommen sind, dass es unkalkulier-
bare Risiken gibt . Ein zentrales Argument neben der Fra-
ge der Sicherheit von Atomkraftwerken ist die Tatsache,
dass wir bisher nirgendwo auf der Welt eine Lösung für
den Umgang mit den atomaren Altlasten dieses Zeitalters
gefunden haben . Deshalb ist es richtig und wichtig, dass
wir uns in unserer Generation auf diesen Weg machen .
Das vorliegende Gesetz, das wir heute in zweiter und
dritter Lesung im Deutschen Bundestag und morgen hof-
fentlich auch im Bundesrat verabschieden werden, sorgt
für Klarheit, was die Finanzierung dieses Abwickelns
der Altlasten des atomaren Zeitalters betrifft . Es geht um
eine klare Arbeits- und Kostenverteilung im Umgang mit
dem Erbe des Atomzeitalters . Im Kern geht es um zwei
Bereiche:
Erstens geht es um die Neuordnung der Verantwort-
lichkeiten für atomare Abfälle . Die Betreiber der Kern-
kraftwerke, meine Damen und Herren, bleiben auch in
Zukunft für die Abwicklung und Finanzierung der Still-
legung, des Rückbaus und der Verpackung von atomaren
Abfällen voll verantwortlich . Übrigens gibt es dafür auch
eine Nachhaftung . Es gilt der Grundsatz, dass Eltern für
ihre Kinder haften und umgekehrt . Das heißt, bei Zah-
lungsunfähigkeit der Kernkraftwerksbetreiber müssen
deren Mutterunternehmen die Kosten für Rückbau und
Entsorgung tragen .
Zweitens – das ist richtig – übernimmt der Bund die
Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung . Aller-
dings werden dafür die Energieversorgungsunternehmen,
die in der Vergangenheit von der Nutzung der Atomkraft
profitiert haben, haften müssen. Sie müssen 17,3 Milli-
arden Euro plus einen Risikoaufschlag von 6,1 Milliar-
den Euro zur Verfügung stellen . Das sind insgesamt rund
23 Milliarden Euro .
Ich will deutlich sagen, was der Hintergrund dieser
Operation ist: Wir wollen, dass der Staat – wir sind ge-
genüber den Steuerzahlern in der Verantwortung – diese
Mittel sichert, und zwar für alle Zeit, meine Damen und
Herren . Angesichts der Lage von Energieversorgungsun-
ternehmen, die zu lange auf Atomkraft und zu wenig auf
erneuerbare Energien gesetzt und selbst Fehler gemacht
haben, die allerdings auch von veränderten politischen
Rahmenbedingungen im Rahmen der Energiewende be-
troffen sind, ist nicht für alle Zeit gesichert, dass dieses
Geld wirklich da ist . Deshalb ist es richtig, dass wir es in
einen staatlichen Fonds einzahlen . Damit haben wir das
Geld ein für alle Mal sicher . Das nenne ich verantwort-
liche Politik .
Diese gesellschaftliche Debatte muss als gesellschaft-
licher Großkonflikt beendet werden, weil wir alle Kräfte
dieses Landes brauchen, um den Weg der Energiewende
fortzusetzen und diese Wende erfolgreich zu gestalten .
Wenn man gesellschaftlichen Konsens und Frieden ha-
ben will, gehört dazu auch, dass wir Rechtsfrieden schaf-
fen . Rechtsfrieden ist im Zuge dieses Verfahrens schon
in vielerlei Hinsicht erreicht worden . Wir begrüßen, dass
die Energieversorgungsunternehmen beabsichtigen, die
moratoriums- und entsorgungsbezogenen Klagen zu-
rückzunehmen . Aber auch der Deutsche Bundestag setzt
mit der Entschließung, die SPD, CDU/CSU und Bünd-
nis 90/Die Grünen heute mit dem Gesetzentwurf auf den
Weg bringen, ein klares Signal . Wir erwarten, dass im
Zuge der Verhandlungen über den öffentlich-rechtlichen
Vertrag auch die letzten beiden Klagen zurückgezogen
werden. Es ist Zeit, diesen Konflikt zu beenden.
Meine Damen und Herren, ich sage das ganz deutlich: Es
ist Zeit, diesen Konflikt zu beenden. Das betrifft diejeni-
gen, die Atomkraftgegner waren und sind, und auch die
früheren Befürworter der Atomkraft . Es gibt kein Nach-
treten. Auch die Verlierer dieses Konflikts sollten diesen
Konflikt rechtlich beenden.
Ich habe das vorhin gesagt: Dieser Gesetzentwurf ist
gelungen, weil viele daran gearbeitet haben . Eine Rei-
he von Leuten wurde bereits gelobt, zum Beispiel in der
ersten Lesung die Kommissionsvorsitzenden sowie viele
Kollegen und Mitarbeiter . Ich möchte zum Schluss den
beiden Ministerien, dem federführenden Bundeswirt-
schaftsministerium, aber auch dem Bundesumweltminis-
terium, ganz herzlich für die Arbeit danken, neben der
Ministerin und dem Minister sowie den Staatssekretä-
ren namentlich Herrn Abteilungsleiter Herdan aus dem
Bundeswirtschaftsministerium – er sitzt auf der Regie-
rungsbank – und Herrn Cloosters aus dem Bundesum-
weltministerium . Das war kompetente Beratung . Das
war gute Unterstützung der Kommission, aber auch der
Parlamentarier . So muss das sein, wenn wir gute Gesetze
machen wollen . Das ist ein ausgezeichnetes Gesetz . Wir
übernehmen Verantwortung in unserer Generation für die
Abwicklung der atomaren Lasten . Deshalb ist es ein rich-
tiger Schritt, dass wir das heute beschließen .
Hubertus Heil
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620822
(C)
(D)
Herzlichen Dank .
Sylvia Kotting-Uhl ist nun die nächste Rednerin für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben .
Ein Gesetz, das zu spät kommt, erfüllt seinen Zweck
nur noch zum Teil . Privatisierte Gewinne, sozialisierte
Kosten – das ist der rote Faden in der Geschichte der
Atomkraft . Heute stehen wir als Gesetzgeber vor dem
Dilemma, ein Gesetz machen zu müssen, das diesen ro-
ten Faden weiterzuspinnen scheint . Ich kann jeden ver-
stehen, den das erst einmal empört . Auch mich empört
es, den Energiekonzernen finanzielle Risiken abzuneh-
men . Aber so richtig Empörung oft ist, sie ist nicht die
vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers . Unsere erste und
vornehmste Aufgabe ist, Schaden von der Bevölkerung
abzuwenden .
Deshalb der Atomausstieg, deshalb Planungen zu einer
sorgfältigen Endlagersuche . Das ist etwas ganz anderes
als Bohrlochtourismus, Herr Fuchs .
Bei der Sicherung des Verursacherprinzips kann es in
dieser Situation des Zuspätkommens nur noch um Scha-
densbegrenzung gehen, darum, die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler davor zu bewahren, vollständig für die
Hinterlassenschaften der Atomkraftnutzung zahlen zu
müssen .
Genau das hatten die Energiekonzerne im Sinn, als sie
anfingen, ihre Unternehmen aufzuspalten. Es war gut,
dass der Wirtschaftsminister beschlossen hat, dem einen
Riegel vorzuschieben . Es war gut, dass er eine heterogen
zusammengesetzte Finanzierungskommission beauftragt
hat, zu retten, was zu retten ist . Schlecht war, eine der
Fraktionen im Bundestag nicht einzubinden und damit
auf die Chance eines vom gesamten Parlament getrage-
nen Gesetzes zu verzichten .
Die Empfehlungen der KFK folgen dem Leitsatz
„Retten, was zu retten ist“ . Der Gesetzentwurf danach
hatte allerdings Mängel . Ich will hier ausdrücklich mei-
nen Kollegen Jürgen Trittin und Oliver Krischer danken,
die in Verhandlungen dafür gesorgt haben, dass sich die
Empfehlungen der KFK tatsächlich ohne Abstriche im
Gesetz wiederfinden.
„Fifty-fifty“ bezog sich übrigens, Hubertus Zdebel,
auf die Chance, dass die Konzerne überhaupt noch exis-
tieren, wenn eine Nachhaftung greifen würde . Deshalb
der Risikoaufschlag stattdessen .
Meine Kollegen haben auch dafür gesorgt, dass das
Kuratorium des einzurichtenden öffentlichen Fonds nicht
nur aus Ministerialen besteht, sondern in gleicher Anzahl
aus Abgeordneten . Es wäre vollkommen absurd gewesen,
einen Fonds, der – wenn er nicht mehr in der Lage ist, die
gestellten Aufgaben zu finanzieren – durch Steuergelder
ersetzt werden muss, jeglicher Kontrolle des Parlaments
zu entziehen . Die Parlamentarierinnen und Parlamentari-
er werden auch darauf achten, dass die Gelder des Fonds
nachhaltig angelegt werden und nicht in Fallen von Car-
bon Bubble und Ähnlichem landen .
Die große Hürde für die Akzeptanz dieses Gesetzes
waren und sind die Klagen der Atomkonzerne gegen den
Staat . Es sah anfangs nicht so aus, dass ein Rückzug von
Klagen jenseits der entsorgungsrelevanten, der von der
KFK ausdrücklich empfohlen wurde, in den Verhand-
lungen eine Rolle spielen sollte . Ich bin sehr froh, dass
ausgehend von Forderungen aus meiner Fraktion diese
Thematik eine solche Dynamik entwickelt hat . Der Staat
hätte sich lächerlich gemacht, den Konzernen das Kos-
tensteigerungsrisiko bei Zwischen- und Endlagerung
abzunehmen und sich gleichzeitig mit 30 Klagen vor Ge-
richt zerren zu lassen .
Konsens braucht Rechtsfrieden . Diese Formel hat sich
im Laufe der Debatte im Parlament durchgesetzt, und das
war gut so . Je breiter die Mehrheit für eine solche Formel
ist, umso größer die Chance, dass sie diejenigen erreicht,
denen sie gilt . Sie hat diejenigen erreicht . Die Konzerne
geben ihre Atomklagen bis auf zwei auf . Das ist ein guter
Erfolg, und das zeigt, dass die Konzerne anfangen, zu
begreifen, woher der Wind weht und dass ihre maßlosen
Ansprüche auf Widerstand in Politik und Gesellschaft
stoßen .
Andererseits wissen alle, die rechnen können, dass der
quantitativ umfangreiche Rückzug dieser Klagen quali-
tativ bescheiden ist . Die beiden Klagen mit relevantem
Finanzvolumen bleiben bestehen: die Klagen gegen die
Brennelementesteuer und die Klage von Vattenfall in
Washington . Sollten diese beiden Klagen erfolgreich
sein, hätte sich der Staat immer noch lächerlich gemacht .
Im Worst Case würden sich die Konzerne mit diesen
beiden Klagen die Hälfte ihrer Einzahlungen in den Ent-
sorgungsfonds wieder zurückholen . Der Auftrag an die
Hubertus Heil
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20823
(C)
(D)
Bundesregierung ist von daher ganz eindeutig: Sorgen
Sie dafür, dass diese beiden Klagen vom Tisch kommen .
Sie haben viel Rückenwind, nicht nur die Unterstüt-
zung des Parlaments: Ich denke, hier ist auch die Linke
dabei . Sie haben breite Unterstützung in der Bevölke-
rung, der solches Gebaren der Energiekonzerne schon
lange auf die Nerven geht, und Sie haben die Unter-
stützung des Bundesverfassungsgerichts . Selten war ein
Urteil dieser höchsten Instanz eine solche Klatsche für
die klageführenden Akteure . Das Bundesverfassungsge-
richt hat am 6 . Dezember seine weitgehende Ablehnung
der Klage der EVU gegen den Atomausstieg 2011 damit
begründet, dass es dem Gesetzgeber jederzeit zusteht,
eine Hochrisikotechnologie neu zu bewerten und ent-
sprechend gesetzlich zu handeln . Damit dürfte auch die
Verfassungsklage gegen die Brennelementesteuer keine
guten Karten haben,
wobei ich an dieser Stelle betonen will, dass meine Frak-
tion nicht nur die Erhebung der Brennelementesteuer für
rechtens hält, sondern auch deren Fortsetzung, solange
ein AKW läuft . Sie haben heute im Laufe des Tages noch
die Möglichkeit, dem zuzustimmen .
Die zweite finanzrelevante Klage von Vattenfall ist die
vor dem internationalen Schiedsgericht . Unsere Haltung
zu solchen Schiedsgerichten, Stichwort TTIP, kennen
Sie . Die Vattenfall-Klage zeigt, wie recht wir da haben .
Dass ein Gericht, das nur dazu da ist, Investitionen
von Unternehmen zu schützen, sich die Rechtsauffas-
sung unseres obersten Gerichts zu eigen macht, darf man
bezweifeln . Politisch hat Vattenfall nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts aber keinerlei Legitimation
mehr zu weiterer Klage . Das Bundesverfassungsgericht
hat Vattenfall den gleichen Rechtsschutz gewährt wie
den deutschen Unternehmen . Das wird auch der schwe-
dische Staat zur Kenntnis nehmen .
Der unionsgeführte Teil der Bundesregierung ist es
übrigens nicht nur dem versprochenen Rechtsfrieden
schuldig, für die Rücknahme dieser Klage zu sorgen,
sondern auch sich selbst; denn besonders lächerlich wür-
den sich bei erfolgreicher Klage in Washington die Uni-
on und die Kanzlerin machen, deren Hin und Her beim
Atomausstieg 2010/2011 solche Klagen überhaupt erst
ermöglicht hat .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
Sie wissen und bauen darauf, dass Kritik und Widerstand
gegen das heutige Gesetz bei uns Grünen abgeladen
werden . Das war nicht der letzte Grund für die Regie-
rung, Jürgen Trittin an verantwortungsvoller Stelle in
die Kommission einzubinden . Ich bin Jürgen Trittin aus-
gesprochen dankbar, dass er in diesem Wissen das An-
gebot angenommen hat . Das Ergebnis würde ansonsten
schlechter aussehen . Ich bin ihm aber auch dankbar, weil
er mit Übernahme einer der Vorsitzenden-Positionen der
KFK gezeigt hat, was grüne Leitlinie ist: Ja, wir sind die
Anti-AKW-Partei, von Anfang an und immer noch . Aber
unsere Leitlinie war nie Widerstand; unsere Leitlinie war
immer Verantwortung .
Aus Verantwortung waren und sind wir gegen Atom-
kraft . Aus Verantwortung suchen wir jetzt am absehba-
ren Ende der Nutzung der Atomkraft nach Lösungen für
die langfristigen Probleme, die uns nach Abschalten der
Atomkraftwerke bleiben . Aus Verantwortung werden
wir uns in den Wind stellen gegen den erwartbaren Wi-
derstand gegen dieses Gesetz . Denn vielleicht besser als
andere wissen wir: In Atomthemen gibt es nur selten die
Superlösung, sondern meist nur das Bestmögliche in ei-
ner schlechten Gemengelage . Das leistet dieser Gesetz-
entwurf, und deshalb stimmt meine Fraktion ihm zu .
Für die Bundesregierung hat nun der Wirtschaftsmi-
nister Sigmar Gabriel das Wort .
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In spä-
testens sechs Jahren wird das letzte Kernkraftwerk in
Deutschland vom Netz gehen . Damit geht das wirtschaft-
lich und gesellschaftlich umstrittenste Kapitel der deut-
schen Energieversorgung zu Ende .
Begonnen hat die Kernkraft mit großen Hoffnungen .
Noch in den 1950er-Jahren gingen viele davon aus, dass
Atomstrom so billig sein würde, dass man die Zähler für
den Strom abschaffen könne . Das Versprechen war ver-
lockend; die Energiefrage schien gelöst .
Wir alle wissen: Es ist völlig anders gekommen . Heu-
te ist der Bau von Atomkraftwerken die teuerste Form,
mit der man die Stromproduktion organisieren kann . Ich
persönlich habe den Vertretern der Kernenergie in den
letzten Jahren immer gesagt, dass man gar nicht aus Um-
weltgründen dagegen sein müsse; schon ökonomischer
Verstand reiche aus, nicht in Kernenergie zu investieren .
Wir sehen, dass die Briten ihre neuen Kernkraftwerke,
weil sie sich nicht um Erneuerbare und andere Fragen
gekümmert haben, nur mittels öffentlicher Subventionen
finanzieren können. Das hochgerühmte finnische Kern-
kraftwerk – eigentlich das einzige, das wirklich neu ge-
Sylvia Kotting-Uhl
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620824
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baut wird – ist mit einer Zeitverzögerung von zehn Jah-
ren unterwegs .
Was die Baukostenschätzungen angeht, traut sich keiner
mehr so richtig, sie öffentlich bekannt zu geben .
Das heißt, auch das Argument, es gebe in der Welt
eine Renaissance der Kernenergie, war immer falsch . Es
gab immer mehr Kraftwerke, die abgeschaltet werden,
als solche, die neu gebaut werden, und zwar nicht, weil
die Atomkraftgegner überall in der Welt in der Mehrheit
waren, sondern weil Kernenergie schlicht die unwirt-
schaftlichste Form ist, Strom zu erzeugen .
Klar ist: Keine Technologie hat unser Land so gespal-
ten wie die Kernenergie . In Wackersdorf und Gorleben,
an Bahngleisen und unter Polizeihubschraubern wurde
auch die demokratische Kultur dieses Landes sehr auf
die Probe gestellt . Gegen die Atomkraft formierte sich
die längste und intensivste Protestkampagne in der bun-
desdeutschen Geschichte .
Der Aufkleber mit der lachenden roten Sonne auf
gelbem Grund wurde zum Symbol für Generationen .
„Atomkraft? Nein danke“ hieß die Botschaft . Wenn wir
heute diesen Gesetzentwurf beraten, dann kann man ne-
ben allen Debatten, die man darüber führen kann, viel-
leicht auch einmal sagen, dass dieses Symbol zum Weg-
weiser für eine erfolgreiche Energiepolitik geworden ist .
Aus dem Kampf gegen die Kernenergie ist in Deutsch-
land die Energiewende entstanden . Sie war am Anfang ja
nicht mit dem Thema Klimawandel verbunden, sondern
sie war die Alternative zum Ausstieg aus der Atomener-
gie . Heute wird Strom aus Sonne und Wind gemacht .
Ohne ein unkalkulierbares Unfallrisiko und vor allen
Dingen ohne Abfälle, die über Jahrtausende strahlen .
Ich selber wohne in einer Region, in der es ein un-
gewolltes und ein von uns gewolltes Atomendlager
gibt . Wir haben es genehmigt . Ich selbst habe als jun-
ger Mensch anfänglich gegen dieses Endlager Schacht
Konrad demonstriert . Später, als Umweltminister, musste
ich es aufgrund der vorliegenden Argumente dann geneh-
migen .
Ich habe mich immer geweigert, mit den Vertretern
der Atomenergie zu diskutieren, solange sie nicht be-
reit waren, in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft selbst
für ein Endlager zu sorgen, und ich fand an der Debatte
immer komisch, dass die größten Befürworter der Atom-
energie immer die größten Gegner waren, wenn es darum
ging, dass man bei ihnen zu Hause mal im Ton oder im
Granit untersucht, ob es dort nicht alternative Endlager
geben könnte .
Sie können mir also glauben: Ich weiß ein bisschen,
wovon ich rede . Es ist nur dem langen Atem der Pro-
testbewegung zu verdanken, dass wir wenigstens die un-
begrenzte weitere Produktion von Atommüll in Deutsch-
land beenden . Ich hoffe übrigens, dass dieses Land den
Mut hat – egal wie viele Standorte wir untersuchen –, am
Ende den Atommüll, den jedenfalls meine Generation
nicht produzieren wollte, in diesem Land verantwortlich
zu entsorgen, und nicht irgendwann auf die Idee kommt,
ihn zu unkontrollierten Standards in andere Teile der
Welt zu exportieren . Das darf nicht das Ergebnis sein .
In der Tat: Auch das Bundesverfassungsgericht hat in
der letzten Woche den Schutz von Leben und Gesundheit
als legitimen Grund für den Ausstieg eingestuft und da-
mit all jenen zu einem „Ritterschlag“ verholfen, wie die
Süddeutsche Zeitung es formuliert hat, die sich für ein
Leben ohne Atomkraft über Jahrzehnte eingesetzt haben .
2011, nach Fukushima, ist daraus dann tatsächlich ein
übergreifender politischer und gesellschaftlicher Kon-
sens geworden . Aber wie genau die immanenten und
sehr großen Folgekosten der Kernenergie getragen wer-
den, darüber wurde weiter hart verhandelt; denn Atom-
kraftwerke sind teuer im Bau, billig im Betrieb, teuer im
Abriss und noch teurer, wenn der Atommüll endgelagert
werden soll – eine Jahrhundertaufgabe . Ich bin froh, dass
es gelungen ist, eine Verständigung darüber zu erzielen,
wie wir die nukleare Entsorgung in Zukunft finanzieren.
Das ist der eigentliche Schlussakt des Atomausstiegs . Ei-
nen Konsens für ein Endlager werden wir aber erst noch
herbeiführen müssen .
Wir beraten heute keinen Regierungsentwurf . Es wa-
ren die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/
Die Grünen, die ihn gemeinsam eingebracht haben . Das
zeigt auch, dass es doch einen ganz großen Konsens gibt,
mit diesem umstrittenen Kapitel bundesdeutscher Ener-
giegeschichte endlich Schluss zu machen bzw . es zu be-
enden .
Die wichtigsten Regelungen hat eine eigens dafür ein-
gesetzte überparteiliche Kommission erarbeitet und ein-
stimmig beschlossen . Auch ich möchte mich stellvertre-
tend bei den Vorsitzenden Jürgen Trittin, Ole von Beust
und Matthias Platzeck dafür bedanken . Lieber Jürgen
Trittin, wenn man aktiver Politiker ist, geht man mit dem
Vorsitz in solchen Kommissionen auch politische Risi-
ken ein. Ich finde, dich zeichnet aus, dass du dieses Risi-
ko aus Verantwortungsgefühl eingegangen bist, weil du
als einer der Gegner der Atomenergie am Ende auch da-
für sorgen willst, dass verantwortliche Ergebnisse beim
Ausstieg zustande kommen . Herzlichen Dank!
Die Kommission hat die Grundlage für den Rechts-
frieden gelegt, den wir für den langen Weg aus der
Atomwirtschaft benötigen . Dass die Grünen sagen: „Die
Bundesregierung soll mal schnell dafür sorgen, dass
die Konzerne ihre letzten zwei Klagen zurückziehen“,
Bundesminister Sigmar Gabriel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20825
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ist nachvollziehbar . Aber bei detaillierter Kenntnis des
Rechtsstaates weiß man, dass das nur schwer von uns
herbeizuführen ist . Trotzdem ist die Aufforderung natür-
lich richtig, weil auch das, was es jetzt noch an Klagen
gibt, in der Sache eigentlich nicht in Ordnung ist .
Das ist übrigens auch eine wesentliche Voraussetzung
für das Zeitalter der erneuerbaren Energien . Die Kom-
mission hat aus meiner Sicht einen überzeugenden Vor-
schlag gemacht . Das Gesetz sieht vor, dass die Unterneh-
men auch künftig finanziell und organisatorisch für den
Rückbau der Kraftwerke und die Konditionierung der ra-
dioaktiven Abfälle verantwortlich sind . Die Rückstellun-
gen hierfür werden jedoch wesentlich transparenter sein
als bisher . Die Bundesregierung wird dem Bundestag
jährlich dazu berichten . Die langfristige Konzernhaftung
haben wir in unserem Gesetzentwurf unter das Motto
„Eltern haften für ihre Kinder“ gestellt, weil wir gemerkt
haben, dass der Versuch von Ausgründungen dazu führen
sollte, sich der langfristigen Haftung zu entziehen . Das
bedeutet: Die Haftung besteht jetzt unabhängig von den
konkreten konzerninternen Strukturen und deren Verän-
derungen .
Auf der anderen Seite wird zum 1 . Juli 2017 ein
staatlicher Fonds seine Arbeit aufnehmen, um die Zwi-
schen- und Endlagerung zu finanzieren. Die Betreiber
der Kernkraftwerke überweisen zu diesem Datum rund
17 Milliarden Euro an den Fonds . Sie können zudem ge-
gen die Zahlung eines Risikoaufschlags von rund 6 Mil-
liarden Euro die Haftung für Zins- und Kostenrisiken
endgültig loswerden . Das wird öffentlich debattiert . Ich
habe noch keinen richtigen Alternativvorschlag in der
Öffentlichkeit gesehen, der besser ist als der, den die
Kommission erarbeitet hat, und „wishful thinking“ bringt
uns weder bei der Energiewende noch beim Ausstieg
weiter. Deswegen finde ich: Solange nichts Besseres auf
dem Tisch ist, ist das, was die Kommission erarbeitet hat,
ein kluger Vorschlag .
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzesvorha-
ben haben wir die Chance, nach dem Konsens über den
Ausstieg nun einen Konsens über die Finanzierung der
Folgelasten der Kernenergie zu beschließen und dann –
das ist nicht einfach – auch einen Konsens für die Endla-
gerung herbeizuführen . Noch einmal: Einfach weiterma-
chen und darauf setzen, dass irgendwann irgendwer uns
Angebote macht, in den Weiten seines eigenen Landes zu
völlig anderen Sicherheitsbedingungen deutschen Atom-
müll endzulagern, darf für dieses Land nicht die Alterna-
tive sein .
Nachdem wir diesen Weg geschafft haben, gibt es
Grund zu Optimismus, auch den letzten Weg noch zu
schaffen . Am Ende liegt es daran, dass viele Menschen
in diesem Land, zum Teil über Generationen hinweg, den
Mut nicht aufgegeben haben, für einen Ausstieg aus die-
ser gefährlichen Technologie zu kämpfen. Wir sind, finde
ich, durch sie sehr weit gekommen .
Vielen Dank .
Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter
für die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Atomkonzerne werden mit einem goldenen Handschlag
aus der Verantwortung entlassen, zwar nicht für Rückbau
und Stilllegung – dafür müssen sie aufkommen, aber das
ist kalkulierbar –, aber für den viel größeren Posten, den
es zu bezahlen gilt: die Zwischen- und Endlagerung des
Atommülls . Die Kosten hierfür können nicht seriös be-
ziffert werden . Sie fallen erst in den kommenden 20, 30,
40 Jahren an .
Wenn Herr Gabriel sagt, das umstrittene Kapitel
„Atomkraft“ geht zu Ende, dann muss ich sagen: noch
lange, lange nicht . Die Kosten werden steigen . Das kann
man sich heute vielleicht noch gar nicht vorstellen . Jetzt
sind 23 Milliarden Euro dafür vorgesehen . Allein wenn
man beispielsweise davon ausgeht, dass es sich so ver-
hält wie beim Berliner Flughafen – eine Verfünffachung
der Kosten –, dann wären wir bei 115 Milliarden Euro .
Davon lägen dann 92 Milliarden Euro bei uns, bei den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern .
Herr Fuchs will jetzt sparen . Er wünscht sich, dass es
mit der Endlagersuche schnell geht; „Bohrlochtouris-
mus“ war hier ein Stichwort . Ich sage: Das ist verantwor-
tungslos; denn wir brauchen die sicherste Lösung .
Ich befasse mich hier im Bundestag seit 20 Jahren
mit dieser Thematik . Ich kann nur sagen: Da geht nichts
schnell . Wir müssen verantwortungsvoll handeln, es
müssen viele Gespräche geführt werden . Es muss die si-
cherste Lösung für viele, viele Jahre gefunden werden .
Es ärgert mich, dass jetzt so getan wird, als habe man
den Konzernen einiges abverlangt . Wer in diesem Saal
über 40 Jahre alt ist, muss es eigentlich besser wissen:
Die Atomkonzerne haben mit der Atomkraft Milliar-
den und Abermilliarden verdient . Seit dem Jahr 2000
sind allein von Eon und RWE Dividenden in Höhe von
50 Milliarden Euro an Aktionäre ausgeschüttet worden .
Glauben Sie doch nicht, dass die Menschen es nicht mit-
bekommen, dass dort so viele Profite gemacht wurden.
Die Antiatominitiativen weisen seit über 20 Jahren auf
das Problem der Rückstellungen hin . Auch Rot-Grün hat
dieses Problem seinerzeit nicht geregelt . Hier hätten wir
mitgestimmt, und wir hätten damals die Mehrheit gehabt .
Und jetzt hört man vonseiten der Union: Die Konzerne
darf man nicht über Gebühr belasten, weil sie aufgrund
Bundesminister Sigmar Gabriel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620826
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der Energiewende schon so schlecht dastehen . – Ich muss
sagen, jetzt kommen mir die Tränen . Man erlässt ihnen
dann noch die Brennelementesteuer – 6 Milliarden Euro
sind ja auch nur Peanuts . Wenn es dann ums Geld der
Steuerzahler und vor allem der künftigen Generationen,
unserer Kinder und Enkel, geht, dann sind Sie auf einmal
großzügig . Ich kann nur sagen: Die Linke lehnt diesen
New Green Deal ab .
Georg Nüßlein hat nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es
stimmt natürlich schon: Gemeinsam mit dem noch aus-
stehenden Endlagersuchgesetz ist das heute der Schluss-
punkt einer lange währenden, heftigen, strittigen Debatte,
die wir hier im Bundestag, aber auch außerhalb politisch
geführt haben . Ich meine, das passt gut in die Vorweih-
nachtszeit .
Ich will auch unterstreichen, dass meiner festen Über-
zeugung nach eine Kommission noch nie so erfolgreich
war und so viel Sinn gemacht hat wie diese Kommis-
sion . Das muss man in aller Klarheit sagen, auch wenn
ich dem Kollegen Fuchs insofern recht gebe, als auch ich
ursprünglich mit Blick auf die Besetzung meine Beden-
ken hatte . Aber ich habe gehofft, dass es uns hilft, dass
die Einigung am Schluss tatsächlich gesellschaftlich fun-
diert und der Konsens breit genug ist . Nach dem, was die
Kollegin Bulling-Schröter gerade hier von sich gegeben
hat, bin ich mir nicht mehr so sicher . Dass die Linke an
der Stelle ausschert, ist klar; das war uns von vornherein
klar . Deshalb haben wir sie auch nicht mittun lassen; das
muss man in der Klarheit auch mal sagen . Wir von der
Union machen nichts mit ganz rechts, und wir machen
auch nichts mit ganz links, und zwar aus gutem Grund .
Das muss man an dieser Stelle mal deutlich machen .
Wenn ich mir anhöre, was hier in der Debatte von der
linken Seite bisher an Unqualifiziertem und Populisti-
schem gekommen ist, dann will ich schon sagen, dass
das ziemlich verantwortungslos ist . Den Vergleich mit
dem Flughafen, Frau Bulling-Schröter, würde ich mir an-
gesichts der eigenen Verantwortung der Linken an dieser
Stelle noch mal gut überlegen .
Nun gab es etliche Kollegen, die hier die Chronolo-
gie der Kernkraftgegnerschaft vorgebracht haben, von
Gewinnern und Verlierern gesprochen haben . Ich will
an dem Siegestaumel gar nicht rühren, weil ich glaube,
dass er uns zum Teil zu diesem Konsens verholfen hat,
so wie es auch der Kollege Trittin ganz maßgeblich getan
hat, den ich aber an dieser Stelle nicht noch mal loben
möchte, weil ich glaube, dass ihm das Lob von unserer
Seite in den eigenen Reihen schadet . Aber er hat es klasse
gemacht; das muss man schon ganz deutlich sagen .
Diesen Konsens, meine Damen und Herren, sollten
wir in Zukunft natürlich auch bei der Endlagerfrage su-
chen, deren Lösung – da hat der Bundeswirtschaftsminis-
ter vollständig recht – schwer genug wird, aber auch bei
der Frage der Energiewende . Wir von der Union haben ja
nicht aus Lobbyismuserwägungen so lange an der Kern-
energie festgehalten, sondern deshalb, weil uns klar war,
dass diese Energiewende mehr kostet als eine Kugel Eis .
Die Kosten der Energiewende werden uns noch manchen
Schweißtropfen auf die Stirn treiben . Wir werden uns
noch an mancher Stelle überlegen müssen, wie wir da-
mit umgehen, insbesondere dann, wenn wir sehen, wie
schwer sich unsere Industrie, unser Gewerbe mittlerweile
tut und wie sehr die EU geneigt ist, uns politisch ständig
in den Arm zu fallen .
Nichtsdestotrotz: Wir haben an dieser Stelle das Ver-
ursacherprinzip, Frau Kotting-Uhl, klar gewahrt . Ich
habe eigentlich gedacht, dass wenigstens das jetzt nach
dem Kompromiss nicht mehr umstritten ist . Bei der De-
batte um die Kernenergie wurde immer so getan, als ob
das, was im Atomrecht klar geregelt ist, dass nämlich die
Endlagerung zulasten der Verursacher geht, gar nicht zu-
treffen würde . Heute stellen wir fest: Erstens ist es so,
und zweitens schaffen wir die Regeln dafür, dass die
Endlagerung in Zukunft ökonomisch gesichert und frei
von privatwirtschaftlichen Risiken ist . Ich hätte erwartet,
dass Sie das an der Stelle formulieren . 23,3 Milliarden
Euro sind kein Schnäppchen . Denn 23,3 Milliarden Euro
zahlen zu müssen, das ist kein Weihnachtsgeschenk,
auch nicht für die Konzerne, die angesichts der wegge-
brochenen Geschäftsmodelle mittlerweile schwer gebeu-
telt sind . Das muss man ganz klar sagen .
Und Herr Zdebel: Das Geld ist nicht weg – das stimmt
so nicht –, sondern es wird gezahlt . Sie haben gesagt,
die Forderung der Linken sei es, statt auf Rückstellungen
auf Rücklagen zu setzen . Na ja, bilanziell ist das schon
ein gewisser Unterschied: Das eine ist Fremdkapital, das
andere ist Eigenkapital .
Nur: Angelegt, Herr Zdebel, wird das Geld trotzdem auf
der Aktivseite .
Das heißt, es wird damit nicht abgesichert, und es ändert
sich also nichts . Ich bitte Sie, ein bisschen nachzuden-
ken, wenn Sie über solche bilanziellen Zusammenhänge
reden .
Eva Bulling-Schröter
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20827
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Das Einzige, was sich ändern würde, wäre die steuerliche
Konsequenz, aber sonst ändert sich gar nichts .
Sicher sind die Gelder nicht, ob das jetzt Eigenkapital
oder Fremdkapital ist .
Wenn ein Unternehmen pleitegeht, ist das Eigenkapital
genauso weg wie das Fremdkapital, das am Schluss nicht
mehr bedient wird . Das mag im Sozialismus anders sein,
aber in unserer Wirtschaft ist das so .
An dieser Stelle hat der Staat einen Auftrag, nämlich
das Geld, das wir bekommen, ordentlich anzulegen, ger-
ne auch nachhaltig . Wir müssen es jedenfalls so anlegen,
dass gute Renditen erwirtschaftet werden . Außerdem ha-
ben wir den Auftrag, politische Kosten zu vermeiden –
das ist das einzige Risiko, das wir den Konzernen an die-
ser Stelle abnehmen –, die zu produzieren wir bei jeder
Gelegenheit geneigt sind, insbesondere auch im Endla-
gersuchprozess . Darüber sollten wir bei den anstehenden
Entscheidungen genau nachdenken .
Das heißt erstens: Der Schacht Konrad muss schnellst-
möglich in Betrieb gehen, und der Rückbau der Kern-
kraftwerke muss zügig vorangebracht werden . Das heißt
zweitens: Wir müssen vermeiden, dass die Standortzwi-
schenlager Endlager werden, jedenfalls gefühlt Endlager
werden . Denn eines ist klar: Mit dem Abschalten der
Kernkraftwerke wird sich die Haltung der Bevölkerung
noch einmal deutlich ändern . Bisher haben die Menschen
am Standort die Zwischenlagerung hingenommen, aber
sie werden sie in der Sekunde, in der es dort keine Ar-
beitsplätze mehr gibt und nichts mehr betrieben wird,
nicht mehr so akzeptieren . Deshalb müssen wir den Men-
schen ganz klar sagen: Der Staat wird dafür sorgen, dass
die Zwischenlager nicht zum Endlager deklariert werden .
Das heißt aber auch: Wir müssen zügig weitere Schrit-
te bei der Suche nach einem Endlager machen, und zwar
unter dem Gesichtspunkt der bestmöglichen Sicherheit .
Und bevor jetzt Frau Kotting-Uhl wieder eine Zwischen-
frage stellt, sage ich Ihnen ganz klar: Ich halte von der
Einbeziehung von Kristallin als Wirtsgestein gar nichts –
und das hat gar nichts mit meiner Herkunft zu tun; Sie
können mir höchstens vorhalten, dass ich als Bayer ein
bisschen besser weiß, wie die Geologie dort aussieht –;
denn Kristallin ist zerklüftet, und das ist ein geologisches
Faktum, an dem wir nicht rütteln können .
Ich halte die Bewertung der geologischen Barriere,
der die Hauptlast bei der Isolation der Abfälle zukommt,
für wichtig, und deshalb halte ich das Konzept des ein-
schlusswirksamen Gebirgsbereichs für planbarer, ver-
ständlicher und nachvollziehbarer . Daran sollte man sich
orientieren . Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich, sich
mit einem ebenfalls von Kollegen Trittin eingerichteten
„Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte“,
kurz AK End, auseinanderzusetzen . Im Jahr 2002 hat die-
ser AK End das genauso unter dem Aspekt der Sicherheit
definiert. Sie behaupten, ich würde manchmal Ideologie
und Geologie verwechseln, aber das würde dann ja für
den AK End, den Sie selber eingerichtet haben, auch gel-
ten . Das glaube ich nun nicht, meine Damen und Herren .
Denken wir also darüber nach, wie wir den Menschen
vermitteln können, dass wir ein sicheres Endlager su-
chen . Wir tun das, ohne politische Kosten zu produzie-
ren, die am Schluss tatsächlich der Steuerzahler zu tragen
hätte . Wir tun das mit Blick darauf, dass auch die Zeit
eine Rolle spielt . Deswegen wollen wir den Prozess in
absehbarer Zeit einer Lösung zuführen .
In diesem Sinne bedanke ich mich sehr herzlich für
die Aufmerksamkeit und wünsche eine schöne Weih-
nachtszeit .
Ich erteile das Wort der Kollegin Ute Vogt für die
SPD-Fraktion .
Vielen Dank . – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Herr Kollege Nüßlein, jetzt, da in diesem
Raum so viel Einigkeit beim Thema „Abwicklung der
Atomenergie“ herrscht, dachte ich gerade: Ich hätte mir
gewünscht, Sie wären in der Endlagerkommission ge-
wesen . Vielleicht hätte das für Sie die gleiche heilende
Wirkung gehabt, wie die Mitgliedschaft in der KFK für
Herrn Fuchs und für Sie hatte .
Wenn wir unsere Arbeit vernünftig zu Ende führen
wollen, wenn wir nicht nur heute diesen Gesetzentwurf
verabschieden wollen, sondern auch die Suche nach ei-
nem möglichst sicheren Endlager erfolgreich zu Ende
führen wollen, dann dürfen sich einzelne Bundesländer
bei dieser Suche nicht von vornherein herausziehen . Herr
Nüßlein, das haben Sie mit Ihren Ausführungen zum
Thema Kristallin gerade versucht .
Wir haben klare Kriterien . Alle 16 Bundesländer ha-
ben gesagt: Es wird ohne eine Vorfestlegung gesucht,
und es wird in drei verschiedenen Gesteinsarten gesucht .
Da machen Sie jetzt bitte keine Ausnahme . Lassen Sie
das doch einmal so stehen, und lassen Sie die Harmonie
wirken . Arbeiten wir gemeinsam daran, dass, nachdem
die finanzielle Lastenverteilung jetzt geklärt ist, am Ende
Dr. Georg Nüßlein
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620828
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auch die Verteilung der Gefahrenlasten geklärt wird, und
zwar in der Einigkeit, die heute herrscht .
Wir werden diese Endlagersuche nicht durchhalten, wenn
Einzelne schon jetzt beginnen, sich abzusetzen .
Jetzt will ich etwas Versöhnliches sagen: Herr Kollege
Fuchs, am meisten habe ich mich heute über Ihre Rede
gefreut, auch wenn Sie mir damit ein bisschen Arbeit
machen . Ich muss nämlich meine Reden zu Hause um-
schreiben . Bisher waren Zitate aus Ihren Reden immer
ein Beleg dafür, dass die Union es mit dem Atomausstieg
gar nicht so ernst meint . Mit Ihrer heutigen Rede haben
Sie aber, wie ich finde, ein klares Bekenntnis dafür abge-
geben, dass das Atomzeitalter endgültig durch ist . Dafür
herzlichen Dank!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleiben noch
ein paar Baustellen . Die Endlagersuche habe ich schon
genannt . Die Bundesregierung muss nun an dem öffent-
lich-rechtlichen Vertrag arbeiten . Auch unsere Fraktion
erwartet, dass die Klage von Vattenfall vor dem Schieds-
gericht zurückgenommen wird, und wir erwarten, dass
die Klage gegen die Kernbrennstoffsteuer zurückgenom-
men wird .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfrak-
tion, wo wir jetzt alles so schön geregelt haben, auch in
Bezug auf die Abwicklung der Finanzierungslasten, wäre
es doch wichtig, die Kernbrennstoffsteuer zu entfristen,
auch mit Blick auf eine harmonische und anständige Las-
tenverteilung . Wir wollten das schon im Koalitionsver-
trag festlegen .
Damals hat das noch nicht geklappt . Vielleicht haben Sie
heute ein Einsehen und sagen: Okay . Dann hätten wir ei-
nen Haken daran gemacht . Dann wäre die Einigkeit in
diesem Hause vollkommen .
In diesem Sinne sage ich: Ich freue mich über den
heute vorliegenden Gesetzentwurf . Wir sind mit der Ar-
beit aber noch lange nicht am Ende .
Danke schön .
Letzter Redner ist der Kollege Steffen Kanitz von der
CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Legis-
laturperiode kann in die Geschichtsbücher eingehen als
eine Periode, in der wir, nachdem wir 2011 den Ausstieg
beschlossen haben, auch den finanziellen und organisato-
rischen Rahmen für den Ausstieg besprochen haben . Es
ist gut, dass die KFK nach sehr kurzer Zeit zu einem Ab-
schluss gekommen ist. Wir haben in der KFK den finan-
ziellen Rahmen für den Ausstieg gesetzt und gleichzeitig
in der Endlagerkommission mit Blick auf den organisato-
rischen Rahmen ein sehr gutes Ergebnis gefunden .
Lieber Kollege Zdebel, ich kann Ihnen Folgendes
sagen: Sie waren als Vertreter der Linken Mitglied der
Endlagerkommission . Am Ende des Tages haben Sie sich
dem Kommissionsbericht widersetzt . Sie haben dagegen
gesprochen, trotz aller Angebote, die wir, die Vertreter
von Grünen, CDU, SPD, Wissenschaft und Zivilgesell-
schaft, Ihnen gemacht haben . Das zeigt doch, dass Sie am
Ende nicht an einem Konsens interessiert sind, sondern
dagegen sind . Demokratie heißt aber, auch Abstriche zu
machen und die eigene Meinung nicht als absolut anzu-
sehen .
Es geht darum, mit anderen demokratischen Parteien ei-
nen Konsens zu finden. Insofern war es richtig, dass Sie
in der KFK nicht dabei waren . Wir haben im Rahmen der
KFK einen guten Beschluss gefasst .
Das Bundesverfassungsgericht hat am 6 . Dezember
ein Urteil gefasst, das genau zur rechten Zeit kommt . Es
bestätigt uns in dem Ansinnen, dass der Ausstieg verfas-
sungskonform war, aber es sagt uns als Gesetzgeber eben
auch, dass wir solche Entscheidungen nicht im rechts-
freien Raum treffen können . Investitionen brauchen Pla-
nungssicherheit . Deswegen kann dieses Urteil für uns
auch Leitlinie für die Bewertung zukünftiger Technolo-
gien zur Erzeugung von Energie sein . Es wird uns auch in
der Hinsicht Leitlinie sein, dass wir bei unseren Entschei-
dungen berücksichtigen müssen, welche wirtschaftlichen
Auswirkungen sie auf Unternehmen haben .
Über das Verursacherprinzip ist schon viel gesprochen
worden und wurde auch im Vorfeld der heutigen Debat-
te viel diskutiert . Verursacherprinzip bedeutet, dass die
Energieversorgungsunternehmen für die durch sie verur-
sachten Kosten finanziell einstehen. Das sind die Kosten
für den Rückbau, für die Stilllegung, für die Verpackung
der Abfälle, für die Zwischen- und auch die Endlage-
rung . Diese sind ja durch die Rückstellungen gedeckt .
So haben das auch externe Wirtschaftsprüfer und die
KFK-Kommission beschieden .
Zusätzlich vereinbaren wir einen Risikopuffer von
6 Milliarden Euro, für den die Konzerne aufkommen
müssen . Wer sich die Bilanzen anschaut, wer sich Bi-
lanzpressekonferenzen der Versorger anschaut, der weiß,
dass 6 Milliarden Euro eine ganze Menge Geld sind . Das
Ute Vogt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20829
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bringt einzelne Unternehmen an die Grenze der Leis-
tungsfähigkeit .
Das Verursacherprinzip gilt aber eben auch nicht
schrankenlos . Das ist wichtig . Die Energieversorgungs-
unternehmen können nicht für jede willkürliche Hand-
lung der Politik zur Rechenschaft gezogen werden . Des-
wegen sieht das Atomgesetz eine klare Beschränkung auf
den notwendigen Aufwand vor . Ich kann nur an alle ap-
pellieren – ich gehe davon aus, dass wir uns gleich dafür
beglückwünschen können –, dass wir diesen KFK-Be-
schluss bzw . den Gesetzentwurf heute verabschieden .
Denn wollen wir ernsthaft die Debatte führen, ob ein
sicheres Endlager oder ein bestmögliches Endlager zum
notwendigen Aufwand gehört? Diese Debatte wollen wir
doch nicht ernsthaft führen . Wir sind mit dem KFK-Ge-
setz um eine gerichtliche Auseinandersetzung um die
Frage, was eigentlich notwendiger Aufwand ist und was
die Konzerne am Ende von diesen Sonderschleifen, die
wir drehen – sie sind gesellschaftspolitisch vernünftig
und notwendig; das ist gar nicht der Punkt –, mitfinanzie-
ren müssen, herumgekommen . Insofern ist es ein guter
Beschluss .
Über die Haftung der Kommunen wurde in den ver-
gangenen Tagen noch einmal heiß diskutiert . RWE und
EnBW haben kommunale Anteilseigner . Die Frage war,
inwiefern sie enthaftet werden oder nicht . Ich glaube,
man muss da eines sagen: Ohne das Gesetz ist es so, dass
die Konzerne und auch die Energieversorgungsunterneh-
men bis zu dem Zeitpunkt haften, zu dem wir ein End-
lager haben, also gebaut haben, befüllt haben, versiegelt
haben . Das dauert mindestens bis zum Jahr 2100; davon
können wir jedenfalls ausgehen . Nach dem jetzt vorlie-
genden Gesetzentwurf enthaften wir die Konzerne und
damit auch die Anteilseigner für den Bereich der Zwi-
schen- und Endlagerung ab dem Zeitpunkt, zu dem sie
den gesamten Anteil zuzüglich des Risikozuschlages in
den Fonds eingezahlt haben . Wir können im Moment da-
von ausgehen, dass das bis spätestens Juli 2017 der Fall
ist . Es ist also eine gute Lösung für die Kommunen . Auch
hier zeigen wir, dass wir ein Herz für die kommunale Sei-
te haben .
Ich möchte eine Spezialproblematik ansprechen, über
die wir uns in Zukunft noch einmal verständigen müssen .
Das ist das Thema Deponie und sofortiger Rückbau . Wir
vereinbaren mit dem KFK-Gesetz, dass wir gemeinsam
die Verpflichtung haben, die Kernkraftwerke sofort zu-
rückzubauen . In der Vergangenheit gab es auch die Mög-
lichkeit, Kernkraftwerke für eine gewisse Zeit einzumot-
ten, die Radioaktivität abklingen zu lassen und dann nach
einem Zeitraum von beispielsweise 25 Jahren erst in den
Rückbau einzusteigen . Wir wissen allerdings nicht, ob
wir in 25 Jahren noch über das notwendige Fachpersonal
verfügen, um diese anspruchsvolle Aufgabe zu bewerk-
stelligen . Insofern ist es richtig, dass wir uns für den so-
fortigen Rückbau als einzige Option aussprechen .
Das heißt aber auch, dass wir Entsorgungswege für
die konventionellen Abfälle offenhalten müssen . 95 Pro-
zent der Abfälle von Kernkraftwerken sind konventio-
nelle Abfälle, die dann im Straßenbau verwendet werden
oder, wenn es sich um ganz leicht kontaminierte Abfäl-
le handelt, auf Deponien gebracht werden . Was heißt
„ganz leicht kontaminiert“? Wir haben in Deutschland
im Strahlenschutz einen 10-Mikrosievert-Grenzwert
vereinbart, der nicht überschritten werden darf . Einmal
zur Einordnung: Wenn Sie nach San Francisco fliegen,
dann bekommen Sie eine Strahlung von etwa 110 Mikro-
sievert . Wenn Sie eine normale Röntgenaufnahme Ihres
Brustkorbs machen lassen, dann liegen Sie bei 200 Mi-
krosievert . Es handelt sich also nicht ansatzweise um ge-
fährliche Abfälle .
Ich bitte alle darum, unsere Lokalpolitiker, die Bürger-
meister, bei der Aufklärung vor Ort sehr zu unterstützen
und nicht Gefahren herbeizureden, die nicht existieren .
Wir müssen da Transparenz schaffen, damit uns die Men-
schen auch vertrauen . Dazu gibt es vor Ort viele gute Ini-
tiativen, beispielsweise Messwerte online einzustellen,
sodass alles nachvollzogen werden kann .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
ich will noch ganz kurz zu Ihrem Entschließungsantrag
Stellung nehmen, den Sie zu dem Gesetzentwurf ein-
bringen . Diesen Antrag können wir selbstverständlich
nur ablehnen . Sie gaukeln in Ihrem Antrag den Bürgern
mehr Sicherheit dadurch vor, dass Sie den Energiever-
sorgungsunternehmen vermeintlich 23,5 Milliarden Euro
nehmen – übrigens, folgende Anmerkung sei mir schon
erlaubt: so ganz schlecht können wir ja nicht verhandelt
haben, wenn Sie diese 23,5 Milliarden Euro schon ein-
mal einstreichen wollen –,
zusätzlich aber die Unternehmen unbegrenzt haften las-
sen wollen . Das ist ja in etwa so, als würden Sie einen
Bauern enteignen und ihn dann dafür verantwortlich ma-
chen, dass in 50 Jahren die Ernte nicht so gut ausfällt,
wie Sie sich das vorher vorgestellt haben . Das kann doch
nicht Ihr Ernst sein; das können wir nicht mitmachen .
Deswegen müssen wir das ablehnen .
Wir bringen mit dem KFK-Gesetz endlich Handlungs-
und Finanzierungsverantwortung zusammen; dies haben
Kollege Fuchs und Kollege Nüßlein ja auch ausgeführt .
Davon erhoffen wir uns erhebliche Beschleunigungspo-
tenziale .
Sie suggerieren mit Ihrem Antrag mehr Sicherheit . Sie
schaffen aber mehr Unsicherheit: für die Beschäftigten,
weil diese nicht wissen, wie lange sie eigentlich gemäß
Ihrem Antrag noch zuständig sind; für die Eigentümer,
weil sie nicht wissen, wann sie enthaftet werden und ab
wann sie die notwendigen Gelder auch für andere alter-
native Technologien zur Verfügung stellen können . Sie
schaffen aber mit Sicherheit eines, nämlich dass wir in
Deutschland kein Endlager finden. Das wollen wir nicht;
wir wollen ein Endlager in Deutschland .
Ich sage zum Abschluss, was wir meines Erachtens
nicht machen dürfen . Sie schreiben in Ihrem Antrag von
Bad Banks der Energieversorgungsunternehmen . Liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie diffamie-
Steffen Kanitz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620830
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ren damit diese technologisch hoch anspruchsvolle Auf-
gabe, Rückbau zu betreiben . Wir müssen doch den Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern der Konzerne und ihrer
Tochtergesellschaften, die für Rückbau zuständig sind,
dankbar sein, dass sie sich dieser Aufgabe annehmen .
Wir sollten sie nicht beschimpfen . Wir brauchen ganz im
Gegenteil eine groß angelegte Werbekampagne, adres-
siert an junge Leute, sich dieser Aufgabe zu verschreiben .
Wir sind im Bereich Rückbau Technologieführer . Ich
war vor kurzem auf einer Konferenz in Wien, wo wir über
dieses Thema gesprochen und diskutiert haben . Dort hat
sich bestätigt: Deutschland ist Technologieführer in die-
sem Bereich . Und mein Wunsch ist es, dass wir das auch
bleiben und unsere Kompetenz, unser Know-how, auch
unseren internationalen Partnern zur Verfügung stellen,
um den Rückbau auch dort verantwortungsvoll und si-
cher zu gestalten .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Ich bitte
um Zustimmung zu unserem wirklich guten Gesetz .
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung
der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung .
Hierzu liegen zahlreiche Erklärungen zur Abstim-
mung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir
wie immer dem Protokoll beifügen werden .1)
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10671, den Gesetzentwurf der genannten
Fraktionen in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge-
setzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken
sowie einer Gegenstimme aus den Reihen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen in zweiter Beratung angenom-
men .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Hierzu hat die Fraktion Die
Linke namentliche Abstimmung verlangt . Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen und mir zu signalisieren, ob sie je-
weils ordnungsgemäß besetzt sind . – Ich eröffne die Ab-
stimmung .
Ist noch ein Mitglied des Hauses im Saal anwesend,
das seine Stimme oder, besser gesagt, seine Stimmkar-
te nicht abgegeben hat? – Nun können wir diesen Ab-
stimmungsvorgang, glaube ich, abschließen . Ich bitte die
1) Anlagen 2 bis 5
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen, und teile Ihnen das Ergebnis später mit .2)
Ich bitte Sie, jetzt Platz zu nehmen, damit wir noch
eine Reihe ergänzender Abstimmungen durchführen
können .
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses auf der Drucksache 18/10671
fort .
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese
Beschlussempfehlung mit breiter Mehrheit angenom-
men .3)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/10673 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Die Antragsteller stimmen ihrem Antrag zu . Wer
stimmt dagegen? – Das ist offensichtlich der Rest . Damit
ist der Antrag abgelehnt .
Wir kommen noch einmal zurück zu der Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie auf Drucksache 18/10671 . Hier wird unter Buch-
stabe b der Beschlussempfehlung empfohlen, den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen
Entsorgung für erledigt zu erklären . Das sind die alten
Drucksachen 18/10353 und 18/10482 . Hat jemand gegen
diese Beschlussempfehlung Einwände oder möchte sich
der Stimme enthalten? – Nein, dann ist das einvernehm-
lich so beschlossen .
Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abge-
schlossen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Müller , Sabine Zimmermann
, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion DIE LINKE
Kinder und Familien von Armut befreien –
Aktionsplan gegen Kinderarmut
Drucksache 18/10628
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Dazu sehe ich
keinen Widerspruch . Also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Lin-
ke .
2) Ergebnis Seite 20832 C
3) Anlage 6
Steffen Kanitz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20831
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Weihnachten steht vor der Tür . Wir freuen uns auf
Weihnachten, auf die Tage im Kreise unserer Kinder und
Enkelkinder . Wir erfreuen uns an ihren glänzenden Au-
gen, wenn sie die Geschenke auspacken .
Für mehr als 2 Millionen Kinder gilt das nicht . Sie
leben in Armut und spüren besonders an Weihnachten,
was Armut bedeutet . Geschenke, so es sie überhaupt gibt,
fallen bescheiden aus . Für die Einladung der Großeltern
reicht das Geld nicht, und zu oft wird sogar auf den Weih-
nachtsbaum verzichtet . Im Regelsatz sind solche Kosten
nicht vorgesehen .
Wie fühlen sich wohl Eltern, die Jahr für Jahr erklären,
dass es nur ein ganz kleines Geschenk geben wird, weil
sie kein Geld haben? Glück haben da die Kinder, die von
den Tafeln einen Schokoladenweihnachtsmann bekom-
men . Aber auch da reicht es längst nicht mehr für alle
Kinder; denn sie sind auch bei den Tafeln Mangelware .
Kinderarmut ist und bleibt der größte Skandal in diesem
eigentlich so reichen Land, und das nicht nur zur Weih-
nachtszeit, sondern im ganzen Jahr .
Die Tafeln leisten Großes . Sie unterstützen regelmä-
ßig über 1,5 Millionen Menschen, darunter 500 000 Kin-
der und Jugendliche . An dieser Stelle möchte ich allen
freiwilligen Helferinnen und Helfern Dank sagen, die die
Menschen mit Trost und dem Allernötigsten versorgen .
Eigentlich wäre es die Aufgabe der Politik, diese Zu-
stände zu beenden, und zwar so schnell wie möglich .
Wie kann es sein, dass Sie zuschauen, wie in einem der
reichsten Länder Hunderttausende Menschen von Le-
bensmittelspenden abhängig sind? Ich bin empört darü-
ber, dass Sie uns Jahr für Jahr an dieser Stelle das Gleiche
sagen und nichts ändern . Im Gegenteil: Die Armut nimmt
weiter zu in unserem Land .
Ursache, meine Damen und Herren, ist Ihre Verarmungs-
politik der letzten Jahre, die auch immer mehr Kinder in
diesen Armutsstrudel reißt . Das ist der eigentliche Skan-
dal .
Und kommen Sie nicht wieder damit, dass wir nur
über Einzelfälle reden . Jedes siebte Kind lebt in Deutsch-
land von Hartz IV . Spätestens seit Hartz IV weiß doch
jeder in diesem Land, dass die Spaltung zwischen Arm
und Reich zunimmt .
Und was mich daran besonders entsetzt, ist, dass die So-
zialdemokraten alles wissen, aber nichts verändern . Ma-
chen Sie endlich Ihren Fehler von damals rückgängig .
Ich bin viel unterwegs bei den Tafeln . Wenn ich sehe,
wie die Mütter mit ihren Kindern in der Schlange stehen,
dann kommen mir vor Wut die Tränen . Die Leute fragen
mich: Wie soll die Zukunft meiner Kinder aussehen? Wa-
rum muss ich hier stehen, obwohl ich zwei Jobs habe? –
Trotz der zwei Jobs reicht es oftmals nicht .
Darauf gibt es nur eine Antwort: Alle Kinder brauchen
eine faire Zukunftsperspektive .
Die Menschen müssen von ihrer Arbeit leben und ihre
Familien ernähren können . Dafür müssen aber die Rah-
menbedingungen stimmen .
Erstens . Die Bundesregierung muss dringend ein
Konzept gegen Kinder- und Jugendarmut vorlegen .
Zweitens . Die sozialen Leistungen müssen Armut ver-
hindern und Teilhabe ermöglichen .
Drittens . Die Regelsätze für Kinder müssen erhöht
werden .
Viertens . Eine Kindergrundsicherung muss eingeführt
werden .
Die prekäre Beschäftigung wie Leiharbeit, Teilzeit
und Minijobs muss zurückgedrängt werden, und der
Mindestlohn muss rauf auf 12 Euro;
denn die Armut der Kinder beruht immer auf der Armut
der Eltern . Dem Befristungsirrsinn muss endlich Einhalt
geboten werden .
Gerade für junge Familien ist diese Ungewissheit zer-
mürbend . Sachgrundlose Befristungen müssen abge-
schafft werden .
Das sind die Lösungen, die greifen würden und die wir
auch brauchen .
Sehr geehrte Damen und Herren, Kinderarmut muss
endlich der Vergangenheit angehören .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620832
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(D)
Leider ist das aber nicht der Fall . Wenn die Kanzlerin
hier an diesem Pult sagt: „Den Menschen in Deutschland
ging es noch nie so gut“,
dann ist das angesichts der 2 Millionen Kinder in Armut
zynisch .
Die Armut ist da . Sie kann sich nicht verstecken; Sie kön-
nen sie auch nicht wegdiskutieren .
Sie schauen aber einfach nur weg; Sie wollen sie nicht
sehen . Wer so redet wie die Kanzlerin, der ist unfähig, die
Lage dieser Kinder zu verbessern .
Soziale Gerechtigkeit wird nur mit einer starken Lin-
ken erreicht . Wir brauchen einen starken Sozialstaat, auf
den sich die Menschen in Notsituationen verlassen kön-
nen, der sie nicht zu Bettlern und Bittstellern degradiert
und der ihnen vor allen Dingen nicht die Würde nimmt .
Sozial geht anders! Dafür steht die Linke .
Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten .
Bevor ich Marcus Weinberg als nächstem Redner das
Wort erteile, will ich das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Neuordnung
der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung
bekannt geben: abgegebene Stimmen 581 . Mit Ja haben
gestimmt 516, mit Nein haben gestimmt 58 . 7 Kollegin-
nen und Kollegen haben sich der Stimme enthalten . Da-
mit ist der Gesetzentwurf angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 580;
davon
ja: 516
nein: 58
enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Sabine Zimmermann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20833
(C)
(D)
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt
Patrick Schnieder
Nadine Schön
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620834
(C)
(D)
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn
Christian Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Lothar Riebsamen
Waldemar Westermayer
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20835
(C)
(D)
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Brigitte Pothmer
Enthalten
SPD
Marco Bülow
Gabriele Groneberg
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Sven-Christian Kindler
Peter Meiwald
Hans-Christian Ströbele
Dr . Julia Verlinden
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten aufgeführt .
Nun hat Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort .
Vielen Dank . – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Werte Frau Zimmermann, ja, es gibt Kin-
derarmut in Deutschland, und das wird hier auch keiner
verschweigen, relativieren, in irgendeiner Art und Weise
kleinreden oder verhehlen . Die Bekämpfung der Kinder-
armut ist eine unserer ersten Aufgaben hier im Parlament .
Wenn wir sie ernsthaft bekämpfen wollen – das ist
mein erster wichtiger Punkt –, dann müssen wir diese
Ernsthaftigkeit auch unterstreichen . Mit dem, was Sie in
Ihren Anträgen fordern, tun Sie aber nichts anderes, als
Wolken hin- und herzuschieben . Es sind keine konkreten
Aussagen, sondern Sie fordern einfach nur Geld, ohne
auf die Finanzierung einzugehen, und das werden wir in
dieser Weise natürlich nicht mitmachen .
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem The-
ma hat die Große Koalition in den letzten Jahren bei sehr
vielen Schritten bewiesen .
Es geht dabei natürlich darum, zu überlegen, wie wir die
Kinderarmut tatsächlich bekämpfen können; damit bin
ich beim zweiten wichtigen Punkt . Die Kinderarmut ist
kein familienpolitisches, kein sozialpolitisches und kein
finanzpolitisches, sondern ein gesellschaftspolitisches
Problem . Deswegen muss man auf allen Ebenen und ge-
meinsam mit allen Ressorts Strategien für die Bekämp-
fung der Kinderarmut entwickeln .
Bei meinem dritten Punkt ist das Einvernehmen, glau-
be ich, bald vorbei: Das beste Mittel gegen arme Kinder
sind starke Eltern,
und das beste Konzept gegen Kinderarmut ist eine stabile
Erwerbstätigkeit der Eltern . Durch Erwerbstätigkeit si-
chern sich die Eltern ein eigenes Einkommen . Sie schaf-
fen damit nicht nur materielle Sicherheit, sondern sie er-
langen dadurch auch ein Selbstwertgefühl .
Wir haben hier lange und häufig über die berühmte
Frage diskutiert, ob der Bund neue Ranzen für Kinder
aus armen Familien finanzieren soll. Aber Kinder wollen,
dass die Eltern in der Lage sind, diesen Ranzen zu kau-
fen, weil es das Selbstwertgefühl der Kinder stärkt, dass
ihre Eltern dazu in der Lage sind .
Deswegen kommt für uns eine gute Wirtschaftspo-
litik in diesem Land zuallererst . Ein Blick auf die Zah-
len zeigt: Wir haben die Arbeitslosenquote von nahezu
12 Prozent in 2005 auf inzwischen 6 Prozent halbiert .
Das ist das Ergebnis guter Wirtschaftspolitik . Sie ist gut
für die Familien und für die Kinder .
Die Kinder können nicht für sich selber sorgen . Das ist
eine andere Ideologie .
– Keine Zwischenfrage, Sie haben gerade geredet . Das
tut mir leid, Frau Zimmermann . – Es gibt bei uns einen
anderen Überbau als bei Ihnen . Wir sagen ganz deutlich:
Als Erstes müssen die Eltern und damit die Familie ge-
stärkt werden . Dann erst kann und muss der Staat selbst-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620836
(C)
(D)
verständlich unterstützend eingreifen . Aber der Staat ist
kein Ersatz für Eltern . Ich glaube, diese Mitverantwor-
tung der Eltern muss der Alleinverantwortung des Staa-
tes – das ist Ihr Ansatz – entgegengestellt werden . Das ist
der Unterschied zwischen uns .
Eine gut funktionierende Wirtschaft und eine erfolg-
reiche Wirtschaftspolitik sind zum einen die Vorausset-
zung dafür, dass wir Arbeit für Eltern schaffen, und zum
anderen die Voraussetzung dafür, dass der Staat Steue-
reinnahmen generiert . Wir haben vor wenigen Wochen
über unseren Familienhaushalt diskutiert . Ich sage Ihnen
eines – das nervt Sie, aber ich führe es trotzdem an –:
Grundvoraussetzung für alles ist, dass wir keine neuen
Schulden machen .
Damit erhalten wir uns die Spielräume und die Gestal-
tungsräume, um als Staat dort eingreifen zu können, wo
Kinder Unterstützung brauchen, weil es die Eltern nicht
mehr schaffen, in einer schwierigen Situation Verantwor-
tung zu übernehmen .
Das heißt, wir schaffen Spielraum für Investitionen
in Familie . Der Familienetat in der Größenordnung von
9,5 Milliarden Euro hat sich im Vergleich zu 2005 ver-
doppelt, während die Arbeitslosenquote halbiert wurde .
Das ist ein Zeichen einer stabilen und guten Politik . Ich
glaube, dass die Große Koalition in den letzten drei Jah-
ren daran im Wesentlichen mitgewirkt hat; denn es ist na-
türlich unseren Arbeitnehmern, dem Mittelstand und den
Unternehmen zu verdanken, dass die Wirtschaftsdaten
gut und stabil sind . Aber auch die politischen Rahmenbe-
dingungen wurden richtig gesetzt .
Nun gucken wir uns einmal Ihren Antrag an .
Herr Weinberg, lassen Sie auch Zwischenfragen zu?
Von den Linken nicht, da Frau Zimmermann gerade
geredet hat; tut mir leid .
Okay .
Der erste Punkt ist die Kindergrundsicherung, die in
Ihrem Antrag gefordert wird . Diese halten wir für nicht
zielführend, für nicht sinnvoll, und wir lehnen sie ab .
Warum? Weil wir die Familie als Ganzes sehen . Die Le-
benslage eines Kindes ist untrennbar mit der Lebenslage
und der Einkommenssituation der Eltern verbunden . Nur
wenn die finanzielle Situation der ganzen Familie stabil
ist, ist auch die finanzielle Situation eines Kindes stabil.
Das heißt, eine finanzielle Leistung nur für das Kind,
wenn es den Eltern gleichzeitig finanziell schlecht geht,
ist schlichtweg der falsche Weg .
Wer meint, dass sich mit der Einführung einer Kinder-
grundsicherung in dieser Form die Entwicklungschancen
von Kindern vom sozialen Status ihrer Eltern abkoppeln
lassen, der irrt .
Wir als Große Koalition haben einiges gemacht . Man
muss aber vernünftig sein und genau überlegen: Was kann
man finanzieren? Was kann man wie machen? Ein sicher-
lich wichtiger Baustein, mit dem Kinder vor Armut in der
Familie geschützt werden sollen, ist der Kinderzuschlag,
eine unserer erfolgreichsten Maßnahmen . Zum 1 . Juli
2016 wurde dieser Zuschlag um 20 Euro auf 160 Euro
monatlich erhöht . Über 80 Prozent der Menschen spre-
chen von einer verbesserten Einkommenssituation .
Sie haben in Ihrem Antrag das Thema Alleinerziehen-
de richtig formuliert, das findet dort großen Widerhall.
Aber auch dazu will ich – ich kann mich kurz fassen
und nur etwas auflisten – einiges sagen. Viele Maßnah-
men der Großen Koalition, gerade in den letzten Jahre,
kommen den Alleinerziehenden zugute: der Ausbau der
Kindertagesbetreuung, ein Rechtsanspruch auf einen
Krippenplatz, die Erhöhung des Entlastungsbeitrags für
Alleinerziehende um 600 Euro . All das sind gute Bau-
steine gewesen, um die Situation der Alleinerziehenden
zu verbessern .
Ich greife einen anderen Punkt auf . Sie fordern in Ih-
rem Antrag den Aufbau einer sozialen Infrastruktur . Da-
mit tun Sie so, als wenn es sie nicht gäbe . Wir stellen
Ihrer Forderung nach einem Aufbau einer sozialen Infra-
struktur den Ausbau der Betreuungsangebote entgegen .
Ich frage einmal: Wer hat in den letzten Jahren für den
Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz gesorgt? Wer hat
dafür gesorgt, dass wir als Bund, obwohl diese Aufgabe
gar nicht in unserer Verantwortung liegt, den Ländern
6 Milliarden Euro für den Ausbau der Kitaplätze zur
Verfügung stellen? Wer stellt den Ländern mittlerweile
jährlich 945 Millionen Euro zur Finanzierung der Be-
triebskosten der Kindertagesstätten bereit? All das hat
der Bund gemacht, das haben wir in der Großen Koaliti-
on gemacht .
Das heißt, wir haben deutlich Schwerpunkte gesetzt,
auch mit einzelnen Programmen . Ich erinnere an das Pro-
gramm „Sprach-Kitas“ . Denn gerade die Frage der sozi-
alen Herkunft, der Sozialstruktur und auch der Herkunft
im Sinne von Migration ist ein wichtiges Thema . Inso-
weit haben wir mit Programmen wie den Sprach-Kitas
oder dem „Haus der kleinen Forscher“ genau an diesen
Stellen angesetzt, und das war richtig so .
Ja, Bildung ist ein Schwerpunkt . Auch hier muss man
deutlich konstatieren: Die Große Koalition hat den Haus-
halt für Bildung und Forschung insbesondere im Bereich
Marcus Weinberg
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20837
(C)
(D)
Bildung noch einmal deutlich erhöht . Über 17,5 Milliar-
den Euro werden im nächsten Jahr investiert .
Kommen wir zu Ihren Forderungen . Ich sprach vorhin
vom Wolken-Hin-und-Herschieben . Man muss ernsthaft
sein und auch die Finanzierung ernsthaft klären . Sie wol-
len das Kindergeld von jetzt 190 auf 328 Euro im Mo-
nat erhöhen . Wir wissen: 1 Euro mehr kostet ungefähr
180 Millionen Euro . Hochgerechnet sind das zwischen
20 Milliarden und 25 Milliarden Euro jährlich .
Sie haben eine Gegenfinanzierung vorgeschlagen, die
allerdings relativ bescheiden ist . Dazu schreiben Sie in
Ihrem Antrag nur, dass die Freibeträge zur Gegenfinan-
zierung herangezogen werden sollen . Das kann man aber
so nicht rechnen .
Wir alle in diesem Haus beschweren uns über Popu-
lismus und darüber, dass wir in der Politik nicht mehr
ernst genommen werden . Nein, wir werden nicht mehr
ernst genommen, wenn wir Vorschläge machen, die nicht
umzusetzen sind .
Es gibt zwei Möglichkeiten . Sie werden, falls Sie re-
gieren – der Wähler möge uns davor beschützen –, ent-
weder Ihre eigenen Forderungen wieder abräumen müs-
sen, oder Sie werden dieses Land in den Bankrott stürzen .
Ernsthaft über Kinderarmut zu diskutieren, ist das eine .
Aber Vorschläge zu machen, die zu finanzieren sind und
die auch längerfristig und nachhaltig wirken, ist das an-
dere, und da liegen Sie mit Ihrem Antrag komplett falsch .
Wir als Union werden weiter über die Schnittstellen-
problematik diskutieren . Dabei geht es um die Frage, wie
wir die Leistungen effizienter und zielgenauer steuern
können . Wir werden in den nächsten Jahren über ver-
schiedene Themen sprechen müssen . Ein Stichwort ist
die Arbeitszeit. Denn ich finde, dass man sich damit be-
fassen muss, wie man das Recht der Eltern mit einem ge-
ringen Einkommen, die von Armut betroffen sind, mehr
Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, umsetzen kann .
Alle diese Themen werden wir als Große Koalition
in den nächsten Monaten und als Union in den nächsten
Jahren weiter auf die Agenda setzen . Trotzdem gilt der
Grundsatz: Wir müssen die Eltern in die Lage versetzen,
dass sie sich um ihre Kinder kümmern können . Der Staat
unterstützt gerne, aber der Staat kann das nicht ersetzen .
Ich glaube auch mit Blick auf die Zahlen, dass es in den
letzten Jahren etwas besser geworden ist . Trotzdem bleibt
es ein großer Auftrag für uns in der Politik, das Thema
Kinderarmut auf die Agenda zu setzen . Wir werden das
vehement tun, auch in den nächsten Monaten .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Hein
das Wort .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Ich würde Herrn
Weinberg gerne eine Frage stellen . Denn auch unsere
Rednerin hat darauf hingewiesen, dass die Kinderarmut
eine Folge von Elternarmut ist . Sie haben in eine ähn-
liche Richtung argumentiert, und ich gebe zu, ich ver-
stehe nicht, warum Sie allein die Tatsache, dass mehr
Menschen in Arbeit gekommen sind – auch in sozialver-
sicherungspflichtige Beschäftigung – als Erfolg werten
und dabei völlig ausblenden, dass die Bedingungen, un-
ter denen sie in sozialversicherungspflichtiger Beschäf-
tigung sind, so lausig sind, dass sie ihren Kindern kein
ordentliches Weihnachten gönnen und ihnen keine oder
nicht die Wünsche erfüllen können, die sie wie andere
Altersgenossen haben, mit denen sie gemeinsam spielen .
Sie werden dadurch zurückgesetzt, und das entmutigt .
Wenn wir schon darüber reden, dass Eltern gestärkt
werden müssen, dann müssen sie auch in ihrem Einkom-
men gestärkt werden, und dazu gehört eine ordentliche
Lohnpolitik .
Danke schön .
Kurze Erwiderung, Herr Kollege Weinberg .
Kurze Erwiderung . – Gerne noch einmal: Wir hatten
2005 in diesem Land eine Situation, in der wir auch auf
dem Arbeitsmarkt Veränderungen vornehmen mussten,
damit die Menschen endlich wieder in Arbeit kommen .
Erstens . Das haben wir geschafft . Zweitens darf ich da-
ran erinnern, dass die Große Koalition lange diskutiert
und einen Mindestlohn eingeführt hat .
Jetzt fordern Sie, dass der Mindestlohn auf 12 Euro
erhöht wird . Demnächst werden es wahrscheinlich 15, 17
und 22 Euro werden .
Wenn wir tatsächlich die wirtschaftliche Stabilität in die-
sem Land erhalten wollen, dann sollten wir endlich mit
solchen utopischen Forderungen, die die Wirtschaft blo-
ckieren und den Mittelstand gefährden, aufhören .
Ein weiterer Punkt: Ja, wir als Staat müssen tatsäch-
lich die Einkommenssituation der Eltern weiter im Blick
behalten und dort, wo Kinder in Armut leben, Unterstüt-
zung leisten . Das ist unsere Aufgabe . Aber noch einmal:
Die Reihung muss eine andere sein . Wenn Sie die Prio-
ritäten nur auf das Ausschütten von Geld und finanziel-
le Leistungen setzen, dann ist das eine falsche Prioritä-
tensetzung .
Kinderarmut ist ein Thema, das Kultur, Bildung, So-
zialpolitik und Familienpolitik betrifft . Genau diese Mi-
schung muss bei der Bekämpfung der Kinderarmut Gel-
tung haben .
Vielen Dank .
Marcus Weinberg
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620838
(C)
(D)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-
be Kollegen! In zwei aufeinanderfolgenden Sitzungswo-
chen diskutieren wir über die Frage, wie wir Kinderarmut
bekämpfen, wie wir gegen Kinderarmut gut vorgehen
können: in der letzten Woche auf Initiative meiner Frakti-
on, in dieser Woche auf Initiative der Linken . Das ist sehr
angemessen; denn Kinderarmut ist ein großes Problem
in unserer Gesellschaft . Die Bekämpfung von Kinderar-
mut ist leider eine Leerstelle dieser Bundesregierung . Ich
finde, dass sich das dringend ändern muss. Wir müssen
Kinderarmut endlich konsequent beseitigen und Fami-
lien endlich gerecht unterstützen . Das hat nichts, lieber
Herr Weinberg, mit der Alleinverantwortung des Staats
zu tun . Das ist ein ideologischer Vorwurf; das ist wirklich
Unsinn . Wir müssen diese Herausforderung jetzt konkret
angehen . Ihre Rede hat sehr gut gezeigt, dass Sie sich vor
den konkreten Problemen wegducken .
Unser Land ist ein Land mit zwei Gesichtern . Die
Kanzlerin wurde eben zitiert; das will ich auch tun . Sie
hat gesagt: „Deutschland geht es so gut wie nie zuvor .“
Im Durchschnitt mag das auch stimmen . Aber auf einen
erheblichen Teil der Menschen trifft das nicht zu . Rund
ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland
sind arm; diese Zahl wurde schon genannt . Was bedeutet
das in einem reichen Land wie unserem? Das bedeutet
für viele: ohne Frühstück in die Schule, keine Musik-
schule, kein Kino, von Urlaub ganz zu schweigen .
Im Kern bedeutet das also, nicht teilhaben zu können
an unserer Gesellschaft, an einem ganz normalen Leben .
Man gehört nicht dazu . Das dürfen wir doch nicht akzep-
tieren . Die betroffenen Kinder wissen Bescheid . World
Vision hat für seinen Kinderreport Sechs- bis Elfjähri-
ge befragt, die zum von Armut betroffenen Fünftel der
Gesellschaft gehören . Sechs- und Siebenjährige in un-
serer Gesellschaft sagen über sich selber, dass sie nicht
dazugehören und dass sie keine Chance für ihre Zukunft
haben . Kinder haben ein sehr genaues Gespür dafür . Wir
dürfen doch nicht akzeptieren – darin müssen wir uns
alle einig sein –, dass Kinder in unserer Gesellschaft kei-
ne Chance auf Teilhabe haben .
Wir fragen uns derzeit besonders intensiv, was unsere
Gesellschaft zusammenhält und was wir für den Zusam-
menhalt der Gesellschaft tun können . Wir fragen uns,
was aktuell diese tiefen Gräben in unser Zusammenle-
ben reißt . Es gibt natürlich keine einfache Antwort . Aber
die Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen, die
keine Chance haben, dazuzugehören, ist vielleicht ein
Teil der Antwort . Auch deshalb dürfen wir Kinderarmut
auf keinen Fall akzeptieren .
Wenn es darum geht, Armut entgegenzuwirken, sind
Investitionen in Chancengleichheit, das heißt in Kitas
und Schulen, und eine gute materielle Absicherung von
Kindern und Familien zwei Seiten einer Medaille; das
darf man auf keinen Fall gegeneinanderstellen . Mir ist es
sehr wichtig, zu betonen: Wir brauchen gute Kitas, wir
brauchen gute Schulen, und wir brauchen eine gute ma-
terielle Absicherung der Familien .
Wir Grüne setzen uns schon lange für ein Kitaquali-
tätsgesetz ein . Wir setzen uns für mehr Ganztagsschulen
ein . Das ist zwar wichtig, aber nur eine Seite der Medail-
le . Was die materielle Absicherung angeht: Es ist doch
ein Skandal, dass das Existenzminimum vieler Kinder
und Jugendlicher in Deutschland weiterhin nicht gedeckt
ist . Kinder werden noch immer wie kleine Erwachsene
mit entsprechend abgeleiteten Ansprüchen behandelt .
Wir finden, dass das ein Ende haben muss.
Es gibt weitere Ungerechtigkeiten in unserer Famili-
enförderung sozusagen am anderen Ende der Skala . Es
kann doch nicht sein, dass Familien mit einem besonders
hohen Einkommen durch Kinderfreibeträge mehr von
der staatlichen Unterstützung profitieren als Familien mit
kleinen oder normalen Einkommen . Das ist total unge-
recht . Deshalb wollen wir eine Kindergrundsicherung,
die sicherstellt, dass Kinderarmut wirksam bekämpft
wird und das Matthäus-Prinzip unserer Familienförde-
rung nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“ tat-
sächlich beendet .
Abschließend will ich noch ein paar Worte zum Unter-
haltsvorschuss sagen; denn er steht in einem sehr engen
Zusammenhang mit dem Thema Kinderarmut .
Ich will ganz klar sagen: Wir teilen das Anliegen der
Bundesregierung voll und ganz, den Unterhaltsvorschuss
auszuweiten . Das ist überfällig und bringt eine wichtige
und richtige Entlastung für Alleinerziehende . Aber ich
will auch sagen: Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass
ein vom Kabinett beschlossener Gesetzentwurf nicht ins
Plenum eingebracht werden konnte, weil die Bundes-
länder Sturm laufen . Das tun sie tatsächlich durchaus zu
Recht . Wie kann ein Kabinett einen Gesetzentwurf be-
schließen, wenn die Finanzierung der Leistung überhaupt
nicht geklärt ist? Ich finde das unseriös und auch unver-
antwortlich .
Jetzt erleben wir ein Schwarzer-Peter-Spiel zwischen
Bund und Ländern . Das ist eine Politik auf dem Rücken
der Alleinerziehenden. Ich finde, das ist wirklich bitter.
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20839
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(D)
Wir als Grüne wollen, dass das beendet wird . Wir brau-
chen eine Lösung für die Finanzierungsfrage . Die kann
nicht darin bestehen, den Vorrang von Unterhaltsvor-
schuss und SGB-II-Leistungen einfach umzudrehen .
Wir als grüne Bundestagsfraktion haben in den Haus-
haltsberatungen deutlich gemacht, dass man die Mehr-
kosten gut im Bundeshaushalt darstellen kann . Unsere
Aufforderung an die Bundesregierung ist, dem zu ent-
sprechen und das nachzuvollziehen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege
Fritz Felgentreu .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den
beiden umfangreichen Anträgen der Linken und der Grü-
nen zum Thema Kinderarmut, die jetzt im Bundestag dis-
kutiert werden, sind wir schon erkennbar im Wahlkampf
angekommen .
Unter anderen Umständen verzichtet auch die Oppo-
sition nicht auf den Anspruch, dass das ganze Haus ihre
Anträge beschließen könnte . Aber bei Ihnen, liebe Frau
Kollegin Zimmermann, soll der Bundestag jetzt einen
Satz wie den folgenden beschließen – ich zitiere –:
Die laufende Wahlperiode ist … eine verlorene Zeit
für den Kampf gegen Kinderarmut …
Das ist nicht nur sachlich völlig verfehlt – dazu komme
ich gleich –, es zeigt eben auch, dass dieser Antrag vor
allen Dingen Ihrer Kampagnenfähigkeit dienen soll, aber
nicht der politischen Gestaltung .
Wissen Sie, ich kann als Mitglied einer Koalitions-
fraktion sogar ganz gut damit leben, dass Sie so etwas in
einer Debatte vortragen – ein bisschen Juckpulver gehört
schon dazu –, aber Sie können doch selbst nicht ernsthaft
davon ausgehen, dass die SPD-Fraktion einer solchen
Formulierung auch noch ihre Zustimmung gibt . Nein,
meine Damen und Herren, der Linken geht es hier nicht
um Lösungen, sondern es geht darum, die Unterschiede
zu betonen . Das ist auch legitim . Im Wahlkampf geht das
gar nicht anders . Aber es muss hier im Deutschen Bun-
destag dann auch genau so diskutiert werden .
Lassen Sie uns zunächst das Grundproblem betrach-
ten . Schon das Wort „Kinderarmut“ beinhaltet einen Vor-
wurf . Wer Kinderarmut zulasse, so der unausgesproche-
ne Hintergedanke, der versündige sich, der werde dem
moralischen Anspruch an Politik nicht gerecht .
Ich finde: Schon hier ist Aufklärung notwendig. Wenn
ich das Wort „Kinderarmut“ höre, dann steht vor meinem
geistigen Auge – gerade jetzt in der Weihnachtszeit – so
etwas wie Andersens Mädchen mit den Schwefelhölzern,
das Mädchen aus Die Sterntaler oder die Kinder aus
Zilles Mein Milljöh . Aber über diese Art von Kinderar-
mut sprechen wir hier nicht . Es ist ein großer Fortschritt,
dass es diese Art von Kinderarmut in Deutschland nicht
mehr gibt .
Kinderarmut im Sinne des Linken-Antrags ist zu-
nächst einmal auch eine statistische Größe . Arm sind im
Sinne einer relativen Definition von Armut Menschen –
also auch Kinder –, denen monatlich weniger als die
Hälfte des Durchschnitts zur Verfügung steht . Mit so we-
nig Geld auskommen zu müssen, ist zwar nicht existenz-
bedrohend, aber es ist sehr schwer – gar keine Frage . Es
ist auch überhaupt gar keine Frage, dass es Aufgabe der
Politik ist, Kindern und Jugendlichen zur Seite zu stehen,
damit sie die Armutszone wieder verlassen können . Aber
so zu tun, als wären diese Kinder dem Staat und dieser
Regierung gleichgültig, ist reine Stimmungsmache . Das
geht an der Realität vorbei .
Auch die Antwort der Linken geht an der Realität vor-
bei; denn Ihnen fällt zuallererst eine deutliche Erhöhung
des Kindergeldes ein . Dabei wissen Sie genauso gut wie
ich, Frau Kollegin Zimmermann und auch Frau Kollegin
Dörner, dass das Kindergeld allenfalls einen kleinen Bei-
trag zur Armutsbekämpfung leisten kann und dass es von
allen staatlichen Instrumenten, um Kinder und Familien
zu fördern, eines der am wenigsten wirksamen ist .
Eine jahrzehntelange Politik, das Kindergeld auszu-
bauen, mündet seit Jahren unverändert in der doppelten
Kinderarmut: Wir sind ein Land, das arm an Kindern ist
und in dem zugleich ein großer Anteil der Kinder, die
da sind, unterhalb der Armutsgrenze lebt . Nein, meine
Damen und Herren, dieses Denken setzt von vornherein
auf das falsche Instrument . Das Kindergeld ist wirklich
eine gute Sache . Es hilft vielen Familien, besser über die
Runden zu kommen, aber es ist nicht geeignet, um ge-
sellschaftliche Fehlentwicklungen zu korrigieren .
Das einzige nachhaltige, das mit Abstand beste Mittel
gegen die Armut von Kindern ist die Arbeit ihrer Eltern,
also das Mittel, das Sie in Ihrem Antrag überhaupt nicht
erwähnen .
Es hat auch etwas mit Haltung zu tun, dass wir diesen
Punkt immer wieder betonen . Wir Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten wollen, dass die Menschen Arbeit
Katja Dörner
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620840
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(D)
haben, und zwar gute Arbeit, Arbeit, von deren Ertrag
sie ihre Familien ernähren und ihre Kinder großziehen
können .
– Stellen Sie doch eine Zwischenfrage; dann können wir
das in Ruhe diskutieren .
Deshalb hat unsere Regierung auch bei der Bekämp-
fung von Kinderarmut immer auf Instrumente gesetzt,
die es Eltern leichter machen, durch Arbeit für ihre Fami-
lie zu sorgen . Wir haben das Elterngeld Plus eingeführt,
das Teilzeitarbeit unterstützt . Wir haben den Kinderzu-
schlag erhöht, damit Familien nicht in Abhängigkeit vom
Jobcenter geraten . Wir haben die steuerliche Entlastung
Alleinerziehender um 50 Prozent erhöht . Wir werden den
Unterhaltsvorschuss ausweiten, der viele Familien mit
niedrigen Einkommen vor demselben Schicksal bewahrt .
Damit auch die Kinder armer Leute bessere Chancen auf
Bildung und Aufstieg durch Arbeit haben, setzen wir seit
dem ersten Tag dieser Koalition ganz konsequent auf den
Ausbau von Betreuung und Bildung .
Wir haben milliardenschwere Investitionsprogramme
für die Kinderbetreuung aufgelegt . Erst gestern haben
wir ein weiteres Programm für 100 000 Kinder beschlos-
sen, und dank diesem Kabinettsbeschluss werden auch
die drei- bis sechsjährigen Kinder einbezogen . Wir haben
2 Milliarden Euro, die für das Betreuungsgeld vorgese-
hen waren, an die Länder umgeleitet, damit sie ihre Be-
treuungsangebote ausbauen können . Allein im Jahr 2017
wird der Bund eine Rekordsumme von 2,5 Milliarden
Euro für frühe Bildung ausgeben . Mit der verabredeten
Grundgesetzänderung werden wir diesen Weg konse-
quent fortsetzen .
Denn in Zukunft wird auch der Bund zum Ausbau von
Schule und Bildung beitragen können .
Meine Damen und Herren, nur dieser Ansatz kann
letztlich die Forderung umsetzen, dass uns jedes Kind
gleich viel wert sein soll . Wir sind überzeugt davon – da
unterscheiden wir uns im Ansatz von den Kollegen der
Union –, dass wir Kinder und Familien in Deutschland
am besten und am gerechtesten durch erstklassige Kitas
und Schulen fördern, und zwar durch solche, die jedem
Kind offenstehen, ganz unabhängig vom Geldbeutel ih-
rer Eltern . Darauf kommt es an; in diese Richtung wollen
wir gehen .
Als Abgeordneter aus Berlin-Neukölln füge ich hinzu:
Um den Kindern Chancen zu eröffnen, deren Elternhäu-
ser es allein nicht schaffen, müssen wir gerade in den här-
testen Kiezen, da, wo die meisten armen Kinder leben,
damit anfangen . Das ist dann gelebte Solidarität mit den
Kindern armer Leute
und eine nachhaltige Politik, damit sich Armut eben nicht
von Generation zu Generation vererbt, wie wir es teilwei-
se erlebt haben .
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
Eckhard Pols ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Gesellschaftliche Teilhabe, soziale Absicherung,
Gesundheit und Bildung, das sind alles Rechte eines
jeden Kindes, die sich unter anderem aus der UN-Kin-
derrechtskonvention ergeben . Vertragsstaaten und damit
auch unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, sind
verpflichtet, die entsprechenden Rahmenbedingungen
zur Verwirklichung dieser Rechte zu schaffen . Die sozia-
le Absicherung in der Bundesrepublik Deutschland ist –
das möchte ich meinen Ausführungen voranstellen – auf
einem sehr hohen Niveau, und im weltweiten Vergleich
stehen wir gerade dank unserer unionsgeführten Bundes-
regierung gut da .
Natürlich gibt es auch bei uns noch Armutsgefähr-
dung . Wir müssen alles tun, um diese zu bekämpfen .
Dies schließt auch die Möglichkeit der gesellschaftlichen
Teilhabe explizit ein und beschränkt sich nicht, wie oft
suggeriert, auf das zum Überleben Notwendige . Klar ist:
Armutsgefährdung und Kinderarmut haben ihre Ursache
zumeist in der Familienarmut . Kinder sind langfristig
armutsgefährdet, wenn sie in einem von Armut gefähr-
deten Haushalt leben . Ursache hierfür ist logischerweise
das Einkommen der Eltern . Eines der besten Programme
gegen Kinderarmut ist die von der Bundesregierung ge-
tragene Wirtschaftspolitik, die Menschen in Arbeit bringt
und Familienteilhabe in allen Bereichen ermöglicht . So-
zialleistungstransfers schützen sowohl von Armut betrof-
fene Familien als auch armutsgefährdete Familien .
Die Instrumente des Sozialstaats werden ständig wei-
terentwickelt und aktuellen Gegebenheiten angepasst .
Was den speziellen Schutz von Kindern angeht, betrifft
dies Kinderregelsätze und das Bildungs- und Teilhabe-
paket . Im Blick behalten müssen wir immer die Verein-
barkeit von Familie und Beruf und besonders auch die
Kinder von Alleinerziehenden . Oft erhalten Alleiner-
ziehende den ihnen zustehenden Unterhalt nicht, da der
unterhaltspflichtige Elternteil seinen Unterhaltsverpflich-
tungen nicht oder nicht ausreichend nachkommt . Um
dies zu kompensieren, gibt es den Unterhaltsvorschuss;
wir haben das schon gehört . Er bietet durch eine vorüber-
gehende Überbrückung eine unmittelbare Unterstützung
Dr. Fritz Felgentreu
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20841
(C)
(D)
für Alleinerziehende und ihre Kinder . Um dieses Instru-
ment noch wirksamer werden zu lassen, steht für mich
fest: Die Altersgrenze von zwölf Jahren muss abgeschafft
werden, ebenso die maximale Bezugsdauer von 72 Mo-
naten, die nicht sachgerecht ist . Klar ist aber auch: Die
Rückholquote bei den säumigen Zahlern muss dringend
erhöht werden . Insbesondere
in den Bundesländern, in denen Grüne und Linke in Re-
gierungsverantwortung stehen, sehen wir hier noch einen
eindeutigen Nachholbedarf .
Die Ausgangsbedingungen von Armut wie fehlende
Teilhabemöglichkeiten und Bildungschancen führen in
einen Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist . Kin-
der, die in Armut oder Armutsgefährdung aufwachsen,
bleiben aufgrund ihrer geringen Teilhabe- und Bildungs-
chancen in ihrem späteren Leben oft selbst arm . Für Kin-
der ist die Armut oder Armutsgefährdung ihrer Eltern
somit in doppelter Weise ein nicht tragbares Hemmnis .
Armut hat – das ist nicht neu – negative Auswirkungen
auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und
wirkt sich damit negativ auf die Lebensqualität und auch
auf die Lebenserwartungen aus . Ich möchte aber eines
klarstellen: Das von Ihnen suggerierte Wachsen der Ar-
mut findet so nicht statt.
Bezüglich der Armut in Deutschland ist aber auch
klar: Die Zahl der Erwerbstätigen, die Arbeitslosengeld
II beziehen, liegt heute etwa genauso hoch wie noch vor
einem Jahr . Schauen wir zehn Jahre zurück – das hat der
Kollege Weinberg auch schon gemacht –, so stellen wir
fest, dass mehr Menschen Hartz IV erhielten als heute,
nämlich 5,4 Millionen . Das widerspricht der vielfach ver-
breiteten Wahrnehmung, dass ein Teil der Bevölkerung
abgehängt wird . Auch spricht es eindeutig gegen eine
Ausweitung der sogenannten sozialen Kluft zwischen
Arm und Reich . Auf der einen Seite stehen gleich einem
Mantra wiederholte Äußerungen in den Talkshows, auf
der anderen Seite haben wir verlässliche Zahlen des Sta-
tistischen Bundesamtes, nach denen die Gefahr, in Armut
und soziale Ausgrenzung zu geraten, nicht zunimmt – im
Gegenteil .
Beachten wir doch bitte eine ganz simple Tatsache:
Ein steigendes Normaleinkommen steigert zwangsläufig
die Armutsgrenze . Es ist zu bedenken, dass dem vielfach
angeführten Armutsbegriff der Statistiker der Vergleich
mit dem Normaleinkommen zugrunde liegt . Gemessen
werden also nicht die notwendige Entbehrung oder gar
das Elend, sondern die Distanz zum Median, dem mittle-
ren Einkommen der Bevölkerung . Steigt dieses mittlere
Einkommen, so zieht auch die Grenze für das statistische
Armutsrisiko nach . Dieses statistische Armutsrisiko ging
in den vergangenen Jahren mal nach oben und mal nach
unten . Ein klarer Trend lässt sich jedoch nicht erkennen .
So ist dieses statistische Armutsrisiko 2015 zum Beispiel
ebenso hoch oder so niedrig wie 2008 . In Deutschland
galt seit 2015 jeder als materiell armutsgefährdet, der als
Single über weniger als 1033 Euro im Monat verfügte,
was zum Beispiel für das Gros der Studierenden zutraf .
Noch 2014 setzte die Armutsgefährdung erst bei weniger
als 987 Euro ein .
Nehmen wir als Beispiel eine Familie mit zwei Kin-
dern unter 14 Jahren: Diese war 2015 per definitionem
dann von Armut bedroht, wenn sie weniger als 2170 Euro
monatlich zur Verfügung hatte . Wie wir bereits festge-
stellt haben, dürfte sich in diesem Jahr die Grenze der
Armutsgefährdung wegen der deutlich gestiegenen Ein-
kommen weiter erhöht haben . Arm im traditionellen Sin-
ne waren 2015 nach Angaben des Statistischen Bundes-
amtes 4,4 Prozent der Bevölkerung . Damit sprechen wir
über einen deutlich geringeren Wert als 2014, als es noch
über 5 Prozent der Einwohner waren .
Armut im traditionellen Sinn bemisst sich an der ma-
teriellen Entbehrung . Dies kann bedeuten, dass man die
Wohnung nicht ausreichend heizen kann, Reparaturen
von Alltagsgegenständen nicht möglich sind oder dass
das Einkommen nicht ausreicht, um jährlich eine Woche
in Urlaub zu fahren . In Deutschland ist vor allem die Si-
tuation von Kindern und Jugendlichen besser als im eu-
ropäischen Schnitt .
Das hat eine aktuelle Auswertung der europäischen Sta-
tistikbehörde Eurostat ergeben . Diese gute Momentauf-
nahme ist für die Bundesregierung natürlich kein Grund,
sich auszuruhen . Jedes armutsgefährdete Kind ist eines
zu viel, und wir dürfen kein Kind zurücklassen .
Ich möchte auf eine Passage Ihres Antrages eingehen,
der übrigens in dieser Fassung etwas spät kam . Wenn Sie
das, was dort steht, wirklich meinen und umsetzen wol-
len, dann kann ich nur sagen: Frohe Weihnachten! Sie
zeigen beispielhaft unter den Punkten 5 a) und 5 i) Ihres
Antrages, dass Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen der Linksfraktion, jeglicher wirtschaftlicher Sach-
verstand fehlt . Diese Forderungen behindern und gefähr-
den massiv den Mittelstand und somit Hunderttausende
inhabergeführte Familienbetriebe im Handwerk und im
Handel .
Mit Ihren Forderungen erreichen Sie nicht mehr
Beschäftigung und somit auch nicht mehr Wohlstand,
sondern Sie sorgen für das Gegenteil: Die Gründerquo-
te – der Wille, eine Firma zu gründen – geht zurück . Ein
Nebeneffekt Ihrer Forderungen wäre, dass sich Unter-
nehmer überlegen, überhaupt noch junge Frauen einzu-
stellen . Das machen wir als Union nicht mit . Deswegen
lehnen wir diesen Antrag ab .
Frau Dörner, noch ein Wort zu Ihrem Beispiel mit dem
Schulbrot. Ich finde die Argumentation völlig daneben.
Eckhard Pols
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620842
(C)
(D)
Jeder Vater, jede Mutter kann morgens seinem Kind ein
Schulbrot schmieren . Das hat mit Geld oder materiellen
Dingen nichts zu tun .
Es müssen die Eltern eben aufstehen und das Brot
schmieren . Das mache ich auch, wenn ich zu Hause bin .
Dann schmiere ich meinen Kindern das Schulbrot und
schneide den Apfel durch . Das können andere Eltern
auch machen . Dieses Beispiel hier anzuführen, Frau
Dörner, finde ich völlig daneben.
Vielen Dank .
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Müller für
die Fraktion Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen! Herr
Felgentreu, liebe Kollegen Weinberg und Pols, ich schät-
ze Sie sehr, aber das, was Sie hier abgeliefert haben, ist
an Zynismus nicht mehr zu überbieten . Wir diskutieren
fast jede Woche über Kinderarmut . Wir können das bis zu
den Bundestagswahlen auch so weiterführen . Vielleicht
ändert sich dann etwas . Sie stellen sich hier aber immer
wieder hin, um zu sagen: Seit 2005 ist die Arbeitslosig-
keit halbiert worden,
es sind immer mehr Menschen in Beschäftigung .
Warum ist Kinderarmut in dieser Zeit nicht zurück-
gegangen, sondern angestiegen? Warum ist Kinderarmut
in Familien so verfestigt, dass sie sich vererbt? Wenn in
Regionen Ostdeutschlands und in vielen Regionen West-
deutschlands jeder Dritte für unter 10 Euro in der Stunde
arbeitet, wenn es Regionen, ganze Kreise in Deutschland
gibt, wo jeder Zweite zum Mindestlohn arbeitet: Dann
wissen Sie ganz genau, dass der Abbau der Arbeitslosig-
keit nicht reicht, um die materielle Armut in den Familien
zu reduzieren .
Das reicht nicht, sondern Sie müssen die Familien finan-
ziell stärken, weil sie von ihrem Arbeitseinkommen nicht
leben können, weil niedrige Löhne gezahlt werden . Ich
will Ihnen deutlich sagen: Wenn der Mindestlohn von
8,50 Euro jetzt großzügigerweise um 0,34 Cent steigt,
dann können Sie Ihre Argumentation nicht mehr halten
und sagen: Die Leute brauchen nur irgendeine Arbeit,
dann geht die Kinderarmut schon zurück . – Sie geht eben
nicht zurück, egal was seit 2005 passiert ist . Sie haben
nichts konkret getan, um Kinderarmut zu reduzieren .
Wenn Sie etwas getan hätten, dann müssten Sie aufgrund
der Bilanz, dass sie heute genauso hoch ist wie 2005, zu
der Erkenntnis kommen, dass Sie vollständig versagt ha-
ben . Das wäre die Konsequenz .
Die Bundesregierung hat bei der Bekämpfung von
Kinderarmut aber nicht versagt . Die Wahrheit ist: Es hat
Sie nicht interessiert . Deswegen haben Sie keine ernst-
haften Maßnahmen unternommen, um sie zu reduzieren,
weil es keinen Willen gegeben hat, Kinderarmut ernsthaft
zu bekämpfen . Im Koalitionsvertrag wird sie mit keinem
Satz erwähnt . An keiner einzigen Stelle steht: Wir wol-
len Kinderarmut bekämpfen . Dafür haben wir folgende
Vorschläge: eins, zwei, drei . – Diese Vorschläge haben
Sie nicht . Diese Vorschläge haben die Grünen und die
Linken auf den Tisch gelegt .
Wir haben in unserem Antrag im Wesentlichen drei Säu-
len formuliert, wie wir Kinderarmut reduzieren wollen .
Erstens . Wir wollen mehr Geld in die Familien geben .
Wir wissen, dass die Arbeit, die die Familien jetzt ha-
ben – wir fordern auch höhere Mindestlöhne als Sie –,
ihnen kein ausreichendes Einkommen verschafft . Wir
wissen aber auch, dass eine Familie, die ein gutes durch-
schnittliches Einkommen hat, wenn das erste, zweite
oder dritte Kind geboren wird, aufgrund der Kosten, die
dann entstehen und die in dieser Gesellschaft so hoch
sind, armutsgefährdet ist . Es ist ein völliger Unterschied,
ob Sie ein Paar ohne Kinder haben, das vom Ehegatten-
splitting besonders profitiert, dem es wirtschaftlich gut
geht, das nicht armutsgefährdet ist, oder ein Paar, das das
dritte Kind bekommen hat . Dieses Paar ist dann armuts-
gefährdet, weil Sie zu wenig Geld in die Familien geben
und weil Kosten durch Kinder häufig sehr hoch sind. Das
heißt, das Kindergeld soll auf 328 Euro steigen – das ist
keine Mondzahl –,
statt 192 Euro für das erste und zweite Kind, die es ab
2017 gibt, was Sie beschlossen haben . 328 Euro entspre-
chen der steuerlichen Entlastung, die Spitzenverdiener
aus dem Kinderfreibetrag erhalten . Ihnen ist nicht jedes
Kind gleich viel wert . Denn es gibt Familien wie meine
Familie, mit einem guten Einkommen und zwei Kindern,
die vom Kinderfreibetrag in Höhe von 328 Euro pro Kind
profitieren, und es gibt Durchschnittsverdienerfamilien –
da reden wir noch nicht einmal von armen Familien –, die
192 Euro pro Kind bekommen . Diese Kinder sind Ihnen
nicht gleich viel wert . Sie belasten insbesondere geringe
und durchschnittliche Einkommen und entlasten Spitzen-
verdiener . Diese Ungerechtigkeit gehört beseitigt .
Eckhard Pols
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20843
(C)
(D)
Zum Unterhaltsvorschuss ist viel gesagt worden . Alle
hier im Haus wollen inzwischen den Unterhaltsvorschuss
ausweiten . Wir wissen, dass wir damit viele Menschen
aus dem Hartz-IV-System herausbekommen können,
dass sie dann Leistungen bekommen können, die deut-
lich unbürokratischer vergeben werden und deren Bezug
nicht mit Sanktionen belegt werden kann . Aber dann tun
Sie es endlich auch, und beenden Sie das Schwarzer-Pe-
ter-Spiel mit den Ländern!
Wenn die Bundesregierung einen Vorschlag machen
würde und sagen würde: „Wir übernehmen die Kosten
der Ausweitung des Unterhaltsvorschusses“, dann würde
es im Bundesrat kein Bundesland geben, das mit Nein
stimmt . Das wissen Sie . Was Sie beim Unterhaltsvor-
schuss fabriziert haben, ist, kurz vor Weihnachten auf
dem Rücken der Familien Politik zu machen, und das ist
inakzeptabel .
Zweitens . Wir wollen Leistungen bündeln und Fami-
lienstellen einrichten . Da werden Sie jetzt wieder sagen:
Das sind bürokratische Monstren . – Ich sage Ihnen: Es ist
eine bürokratische Überforderung für Familien, dass sie
erst zum Arbeitsamt gehen und Kindergeld beantragen
müssen, dass sie dann zum Jobcenter gehen müssen, um
die Aufstockungsleistungen zu beantragen, dass sie dann
zum nächsten Amt, danach zur Kommune gehen müssen,
um Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zu
beantragen . Nein, das wollen wir in einem Antrag, an ei-
ner Stelle bündeln, um es niedrigschwellig zu gestalten
und es den Familien zu erleichtern, diese Leistungen in
Anspruch zu nehmen . Denn wir wissen, dass es heute
viele Menschen gibt, die Leistungen nicht in Anspruch
nehmen und auch deswegen arm sind . Diese Hürden
wollen wir über die Einrichtung von Familienstellen in
den Kommunen abbauen, bei denen die Menschen ihren
Anspruch auf Leistungen unbürokratisch verwirklichen
können .
Drittens . Wir wollen den Ausbau der Kinder- und
Jugendhilfe, und wir wollen auch den Ausbau von Teil-
habeleistungen und infrastrukturellen Leistungen . Ob
Bibliotheken, Schwimmbäder, Sporteinrichtungen, Mu-
sikschulen oder Freizeit- und Kultureinrichtungen – alle
Kinder sollten die Möglichkeit haben, diese Einrichtun-
gen zu besuchen und zu nutzen . Deswegen wollen wir
den Zugang gebührenfrei, niedrigschwellig und barrie-
refrei gestalten, damit es zu keiner Diskriminierung der
Kinder, die arme Eltern haben, in armen Familien leben
und sich den Bibliotheksbesuch oder den Kinobesuch
möglicherweise nicht leisten können, gegenüber den
Kindern kommt, die in Familien mit gutem Einkommen
leben . Wir wollen diese Kinder gleichstellen, damit die
Armut für sie wenigstens nicht mehr spürbar ist .
Also: Es reicht nicht, Kinderarmut zu beklagen, so wie
Sie das in jeder Rede hier tun . Lassen Sie uns Kinderar-
mut endlich reduzieren! Damit können wir heute unmit-
telbar anfangen . Diesen Schritt sollten wir endlich tun,
damit wir den Zynismus Ihrer Reden in Zukunft nicht
mehr ertragen müssen .
Vielen Dank .
Die Kollegin Gülistan Yüksel spricht jetzt für die SPD .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sitzen alle hier, um Politik für die Gegen-
wart und Zukunft Deutschlands zu machen . Wir verfol-
gen dabei unterschiedliche Schwerpunkte und Ansichts-
weisen . Wir diskutieren und streiten demokratisch, und
das ist gut so . Es gibt allerdings auch Themen, bei denen
wir deutlich größere Einigkeit zeigen, und auch das ist
gut so – so etwa beim gemeinsamen Anliegen, Kinder
und Familien aus Armut zu befreien . Wir haben hier ei-
nen sehr umfassenden Antrag mit vielen guten Wünschen
vorliegen . Ich erkenne an, dass Sie auch mit dieser par-
lamentarischen Initiative eine richtige Debatte zur rich-
tigen Zeit anstoßen . Kein Kind, keine Familie sollte in
Deutschland arm sein .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielen Kindern geht
es gut . Sie können Zeit im Kreise ihrer Familie verbrin-
gen, können ein breites Freizeitangebot genießen, leben
gesund . Es gibt aber auch viele Kinder in Deutschland,
denen es weniger gut geht, die in Armut leben und sich
eben nicht so entwickeln können, wie es jedes Kind ver-
dient . Und das, meine Damen und Herren, dürfen wir
nicht zulassen . Kinderarmut darf es in Deutschland nicht
geben, und sie darf sich auf gar keinen Fall verfestigen .
Wir dürfen kein einziges Kind zurücklassen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder, die in Ar-
mut leben, haben weniger Chancen in der Kita, der
Schule und beim Berufseinstieg . Kinderarmut ist nicht
nur eine Beeinträchtigung in der aktuellen Lebenslage,
sondern beeinträchtigt auch das Entwicklungspotenzial
für das ganze Leben . Deshalb müssen wir einerseits für
beste Bildungsangebote von Anfang an sorgen, und an-
dererseits müssen wir sicherstellen, dass die Eltern stark
sind . Zentral dafür sind existenzsichernde Jobs, eine gute
Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie passende Fa-
milienbildungsangebote .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Parlament
haben viele wichtige Grundsteine dafür gelegt . Wir ha-
ben in die Qualität und in den Ausbau der Kinderbe-
treuung investiert . Dabei möchte ich insbesondere Pro-
gramme wie „KitaPlus“ und „Sprach-Kitas“ erwähnen .
Kinder sollen dadurch bereits im frühen Alter beste Start-
Norbert Müller
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620844
(C)
(D)
bedingungen erhalten. Wir unterstützen auch finanziell:
Ich möchte beispielhaft das Elterngeld, das Kindergeld
und den Kindergeldzuschlag nennen, Geld, das direkt bei
Familien und Kindern ankommt . Wichtig ist auch die Re-
form des Unterhaltsvorschusses, weil gerade Kinder in
Alleinerziehenden-Haushalten oft von Armut betroffen
sind .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Kin-
derarmut sprechen, dann müssen wir auch auf die Aus-
bildungskosten eingehen . Für den sozialen Aufstieg von
Familien und Kindern ist das ein sehr wichtiger Pfeiler .
Wir haben daher mit der BAföG-Reform spürbare Leis-
tungsverbesserungen geschaffen, und das für noch mehr
Schülerinnen und Schüler, Studierende und Auszubil-
dende. Umso mehr finde ich es sehr schade und einen
sozialen Rückschritt, wenn, wie aktuell in NRW, über
die Wiedereinführung der Studiengebühren gesprochen
wird; aber das nur am Rande .
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, in unseren Kindern steckt nicht weniger
als die Zukunft. Sie werden Pfleger, Facharbeiter, Er-
zieher, Lehrer oder Wissenschaftlerin, Künstlerin oder
Ärztin . Ja, sie werden auch Politikerinnen und Politiker
der Zukunft sein . Kurzum: Sie werden die Gesellschaft
gestalten . In ihnen steckt das noch unentdeckte Poten-
zial unserer Gesellschaft, und wir müssen noch einiges
gegen Armut tun, damit sich das Potenzial eines jeden
Menschen entfalten kann .
Der Antrag der Linken geht in die richtige Richtung .
Schon in der letzten Sitzungswoche haben wir auf Antrag
der Grünen über Armut gesprochen; auch dieser Antrag
geht in die richtige Richtung . So wäre es sinnvoll, einen
gemeinsamen Aktionsplan von Bund, Ländern und Kom-
munen gegen Armut aufzulegen .
Auch eine kinder- und familienfreundliche Arbeitswelt
würde Armut entgegenwirken .
Angesichts so mancher guter Ansätze, die wir heute
von verschiedenen Rednern gehört haben, freue ich mich
auf die weiteren Beratungen und lade Sie alle herzlich
ein, uns auf dem Weg zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe
und Chancengleichheit zu begleiten; denn Entscheidun-
gen, die wir heute treffen, werden schon in wenigen Jah-
ren Wirkung entfalten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns dafür
sorgen, dass unsere Kinder in Vielfalt aufwachsen kön-
nen . Lassen Sie uns das kommende Jahr gemeinsam zum
Jahr für das Wohl von Familien und insbesondere von
Kindern machen . Jetzt wünsche ich Ihnen allen schöne
Festtage und einen guten Start in ein friedliches Jahr
2017 .
Herzlichen Dank .
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Yüksel hat gerade gesagt: Wir dürfen kein Kind in
Deutschland zurücklassen . – Das ist sehr richtig, aber wir
lassen Kinder in Deutschland zurück, und das nicht nur
in Einzelfällen, sondern in ganz vielen Fällen . Man muss
es so deutlich sagen: Das ist ein Skandal . Wir müssen die
Verringerung der Kinderarmut in Deutschland endlich
als oberste Priorität unserer Arbeit benennen .
Werfen wir einen Blick auf die Zahlen . Fast 2 Milli-
onen Kinder beziehen Hartz-IV-Leistungen, und diese
Zahl ist weitgehend konstant, trotz guter ökonomischer
Situation . Bei der aktuellen Regelsatzberechnung hat die
Bundesregierung übrigens die Ausgaben für Weihnachts-
baum und Adventsschmuck herausgenommen . Auch
durch so etwas lassen wir Kinder zurück .
2,5 Millionen Kinder in Deutschland leben unter der
Armutsgrenze, wobei hier der gesamte Haushalt, also
auch das Einkommen der Eltern, berücksichtigt werden
muss . Die Aussagekraft dieser Zahl ist eben infrage ge-
stellt worden, und sie ist als rein statistische Größe be-
zeichnet worden . Ich würde im Gegensatz dazu sogar
noch weitergehen: Wenn man sich die Armutsgrenze ge-
nau betrachtet, sieht man, dass Kinderarmut unterschätzt
wird . Für einen alleinstehenden Erwachsenen liegt die
Armutsgrenze – das ist eben schon gesagt worden – bei
1 033 Euro, für ein Kind bei 310 Euro . Das sächliche
Existenzminimum liegt in Deutschland ab dem 1 . Janu-
ar 2017 bei 393 Euro . Armut von Kindern wird, wenn
die EU-Definition von Armut herangezogen wird, unter-
schätzt . Wahrscheinlich – auch das muss man deutlich
sagen – sind sogar mehr als die 2,5 Millionen Kinder
von Armut betroffen . Kinderarmut ist in Deutschland ein
Skandal, und so muss man das benennen .
Heute geht es vor allen Dingen um den Antrag der Lin-
ken . Wenn man den Antrag der Linken mit dem Antrag
der Grünen, über den wir in der letzten Sitzungswoche
debattiert haben, vergleicht, kann man die unterschiedli-
chen Ansätze von Linken und Grünen sehr gut erkennen .
Die Linken nehmen das jetzige System der Familienför-
derung, nehmen einfach eine Schippe mit ganz viel Geld
und schütten noch mehr Geld rein . Wir gucken uns das
System genau an . In Deutschland wird ja viel Geld für
Familienleistungen ausgegeben .
Wir gucken, wie man das Geld effektiver, sinnvoller, ef-
fizienter einsetzen kann, um Kinderarmut zu beseitigen.
Gülistan Yüksel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20845
(C)
(D)
Dabei muss man in erster Linie das Ehegattensplitting in
den Blick nehmen . Das taucht in dem Antrag der Linken
interessanterweise überhaupt nicht auf . Wir geben viel
Geld für das Ehegattensplitting aus . Damit werden ei-
nerseits Familien gefördert, andererseits aber auch viele
Paare, die keine Kinder haben . Umgekehrt werden Fa-
milien, die eine Förderung nötig hätten, nicht gefördert,
weil die Eltern nicht verheiratet sind oder weil es sich um
Alleinerziehende handelt . Deswegen sagen wir als Grü-
ne: Wir müssen umsteuern, von der Förderung der Ehe
hin zur Förderung der Kinder .
Deswegen fordern wir eine einheitliche, eine einkom-
mensunabhängige Leistung, die endlich Schluss macht
mit der Ungerechtigkeit – das hat meine Kollegin Katja
Dörner auch schon angesprochen –, dass wir als Bundes-
tagsabgeordnete mehr herausbekommen als ein Normal-
verdiener . Wir brauchen eine einheitliche Leistung, die
mindestens so hoch ist wie die Steuerersparnis, die uns
gewährt wird . Am besten wäre es, wenn sie so hoch wie
der höchste Regelsatz für Kinder wäre . Das wäre eine
Basis .
Das verknüpfen wir, wie gesagt, mit der Reform des
Ehegattensplittings . Wir wollen, dass neu verheiratete
Paare diese Kindergrundsicherung erhalten und die Part-
ner individuell besteuert werden, das Ehegattensplitting
also nicht mehr zur Anwendung kommt . Paare, die be-
reits verheiratet sind und das Ehegattensplitting nutzen,
sollten in das neue System wechseln können . Uns ist
wichtig, dass mit dieser Reform Familien nicht schlech-
tergestellt werden, sondern möglichst alle Familien bes-
sergestellt werden .
Der zweite Punkt im Antrag der Linken, der mich er-
staunt hat, betrifft die Reform des Kinderzuschlags . Der
Kinderzuschlag ist ein unglaublich bürokratisches Mons-
trum . Er sorgt für sehr viel Bürokratie, und das Geld
kommt nicht bei den Kindern an . Doch was sagen die
Linken dazu? Die Linken wollen ihn massiv ausweiten .
Der Kinderzuschlag soll bis zu 300 Euro betragen . Da-
durch würde der bürokratische Aufwand noch sehr viel
größer . Das würde massenhaft Geld kosten, aber das
Geld würde nicht unbedingt bei den Kindern, die es am
nötigsten brauchen, ankommen . Das ist nicht der Weg,
den wir Grüne gehen wollen . Der Kinderzuschlag gehört
grundlegend reformiert . Eigentlich gehört er in der Form,
in der er jetzt besteht, abgeschafft .
– Er ist von den Grünen mit eingeführt worden; das ist
richtig . Die Grundidee ist ja eigentlich nicht schlecht;
aber so, wie er gemacht worden ist – das muss man im
Nachhinein sagen –, funktioniert er nicht .
Deswegen schlagen wir einen einkommensabhängigen
Zuschlag für alle Kinder vor, damit das sächliche Exis-
tenzminimum für alle unbürokratisch garantiert wird .
Wir wollen nicht den bürokratischen Kinderzuschlag,
sondern entweder einen einkommensabhängigen Zu-
schlag zum Kindergeld oder – in dem neuen System –
einen einkommensabhängigen Zuschlag zur Kinder-
grundsicherung . So können wir gewährleisten, dass die
Leistungen dort ankommen, wo sie gebraucht werden .
So kann endlich das Existenzminimum aller Kinder in
Deutschland garantiert werden .
Wenn der politische Wille dafür da wäre, könnten wir
Kinderarmut drastisch reduzieren, vielleicht sogar be-
seitigen . Das muss doch Aufgabe für uns alle sein . Ich
fordere insbesondere die SPD und die Union auf, endlich
etwas dafür zu tun . Vorschläge von den Linken und von
uns liegen vor . Die Vorschläge der Linken sehen wir als
teilweise problematisch an; aber von Ihnen kommt über-
haupt nichts .
Die Bekämpfung der Kinderarmut sollte oberste Pri-
orität haben .
Wir können das, und wir sollten das endlich tun . Keine
Ausreden mehr!
Die Kollegin Dr . Silke Launert spricht jetzt für die
CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Viele von Ih-
nen sind Eltern und sind wahrscheinlich wie ich seit eini-
ger Zeit damit beschäftigt, den Weihnachtswunschzettel
ihrer Kinder abzuarbeiten . Das machen wir gerne; denn
wir wollen unseren Kindern nächste Woche an Heilig-
abend mit kleinen und größeren Geschenken eine Freude
machen . Sie sollen strahlen, wenn sie den Puppenwagen,
den Kaufladen oder vielleicht ein paar neue Skier auspa-
cken .
Doch was ist, wenn das Geld dafür nicht reicht, wenn
nicht genug da ist, um ein etwas größeres Geschenk zu
kaufen? Natürlich hat mancher nicht so viel Geld zur
Verfügung, aber ein kleines Geschenk ist immer möglich .
Diese Sozialsicherung haben wir . Es ist schon schwer –
ich stelle mir dieses Gefühl als Mutter vor –, wenn man
die Wünsche der Kinder nicht erfüllen kann und man
weiß, dass die Freunde der Kinder sie erfüllt bekommen .
Tatsächlich gibt es diese Fälle . Daher muss man sich die-
se auch anschauen . Das ist völlig richtig . Dabei ist die
Frage nach dem Weihnachtsgeschenk sicherlich nicht das
größte Problem .
Jahr für Jahr kommen neue Statistiken heraus, die be-
legen, wie viele Kinder in Deutschland arm sind oder von
Armut bedroht sind, wobei über die Details diskutiert
und gestritten werden kann . Mal sind es ein paar Prozent
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620846
(C)
(D)
mehr, mal ein paar Prozent weniger . Auch regional gese-
hen gibt es große Unterschiede . In Bayern gibt es übri-
gens bundesweit gesehen am wenigsten Kinder, die ar-
mutsgefährdet sind oder in Armut leben . In Bremerhaven
gibt es die meisten . Zuletzt hat die Bertelsmann-Stiftung
neue Zahlen geliefert . Demnach sind deutschlandweit
fast 2 Millionen Kinder auf Hartz-IV-Leistungen ange-
wiesen . Das größte Armutsrisiko – wir haben es heute
schon mehrfach gehört – haben den Daten zufolge Kin-
der von Alleinerziehenden und Kinder aus Familien mit
mehr als zwei Kindern . Das hat allerdings nichts mit der
Familie als solcher zu tun, sondern mit dem ökonomi-
schen Hintergrund dieser Familien .
Die Folgen von Kinderarmut wurden heute schon
mehrfach angesprochen: Sie sind bitter und ziehen sich
durch das ganze Leben . Kinder aus armen Verhältnis-
sen haben in der Regel schlechtere Bildungschancen,
was sich auf ihr späteres Erwerbsleben auswirkt . Man
kann also sagen, dass Armut sozusagen vererbt wird .
Auswirkungen hat die Armut auch auf die Gesundheit .
Man glaubt nicht, was der Zustand der Zähne, das Ernäh-
rungsverhalten, mögliche Schlafstörungen oder auch die
Körperhaltung von Kindern über ihr Leben alles preisge-
ben können . Schließlich ist es auch so, dass Kinder aus
armen Familien häufiger an psychischen Krankheiten
leiden. Auch der Sport kommt bei ihnen häufig zu kurz.
Nachweislich sitzen Kinder aus sozial schwachen Fami-
lien häufiger vor dem Computer oder Fernseher.
Ich möchte trotzdem etwas anmerken . Mehrfach wur-
de hier gesagt, dass Kinder kein Frühstück bekommen
oder kein warmes Essen . Tatsache ist, dass das Geld für
das Frühstück, für Brot und Butter, in den Sätzen enthal-
ten ist .
Ich selbst bin nicht in finanziell starken Verhältnissen
groß geworden, aber meine Mutter hat immer dafür ge-
sorgt, dass wir all das, was wirklich wichtig ist – dazu
gehört auch Zeit mit den Kindern –, hatten . Es hat uns an
nichts gefehlt .
– Auch einen Käse von Aldi kann man sich noch leisten;
glauben Sie mir . Man braucht ihn auch nicht jeden Tag
auf dem Frühstücksbrot .
Fakt ist: Wie gesund Kinder in Deutschland leben,
hängt auch von den finanziellen Verhältnissen der Eltern
ab .
Deshalb ist das Anliegen richtig . Wir müssen es aufgrei-
fen und etwas tun .
Ich weiß, dass wir gerade in der aktuellen Situation be-
sonders Flüchtlingskinder vor Augen haben – sie brau-
chen natürlich unsere Hilfe –, aber wir dürfen darüber
nicht diejenigen Kinder vergessen, deren soziale Situa-
tion nicht gleich so offensichtlich ist . Armut ist oft un-
sichtbar . Wer will schon offen zeigen, dass er mittellos
ist? Lieber wird am Ende des Monats vielleicht das Geld
für das Frühstück im Hort vergessen, oder ein Ausflug
wird nicht mitgemacht, weil man zufällig keine Zeit hat .
Niemand will zugeben, dass er sich das, was für viele
selbstverständlich ist, nicht leisten kann .
Wir alle tragen gemeinsam die Verantwortung für un-
sere Kinder; denn sie sind unsere Zukunft . Insofern stim-
me ich mit Ihnen überein . Wir alle müssen investieren
und schauen, wie wir es schaffen, Chancengleichheit –
und nicht materielle Gleichheit – zu schaffen .
In der laufenden Wahlperiode haben wir einiges ge-
tan – das wurde schon dargelegt –: Der Familienetat für
2017 wurde auf 9,2 Milliarden Euro aufgestockt, so viel
wie noch nie zuvor . Es gab eine Erhöhung des Kinder-
zuschlages . Wir haben bei Alleinerziehenden den Ent-
lastungsbetrag um 600 Euro erhöht, und jetzt gehen wir
den Unterhaltsvorschuss an . Ich freue mich sehr, dass wir
hier einig sind, und ich bedauere es ebenso wie Sie, dass
Frau Schwesig dies leider durchgeboxt hat, ohne vorher
die Finanzierung sicherzustellen und die Länder und die
Kommunen mit ins Boot zu holen .
Jetzt werden wir es sicherlich noch hinbekommen . Ge-
ben Sie uns halt noch die paar Monate Zeit .
Das ist doch ein Kampf um nichts .
Damit werden wir jetzt ungefähr 100 000 Kindern zu-
sätzlich helfen, und es wird auch Kinder aus der Armut
bringen .
Wichtig ist die gute Infrastruktur; auch das wurde
schon angesprochen . Aber jetzt lassen Sie mich trotzdem
etwas zu diesem Antrag sagen: Die Intention ist richtig,
die Mittel sind falsch . Die Grünen haben es erkannt . Der
Fehler besteht darin, einfach ganz viel Geld reinzukip-
pen und reinzukippen . Letztlich ist es, wenn man sich
das Ganze durchliest, eine Zusammenfassung aller For-
derungen der Linken, also: nicht nur Verdoppelung des
Kindergeldes und Erhöhung des Kinderzuschlags, son-
dern auch kostenfreie Kinderbetreuung, kostenfreie Hob-
bys, Zugang zu allem, ein Rundum-sorglos-Paket bei der
Beantragung aller sozialen Leistungen, Sicherstellen,
dass auch ja niemand irgendeine Leistung des Staates
verschenkt, Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro,
gebührenfreier Zugang zum öffentlichen Nahverkehr,
sanktionsfreies Hartz-IV-System,
Dr. Silke Launert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20847
(C)
(D)
Erhöhung der Hartz-IV-Beträge, Anspruch auf Ausbil-
dung, Verpflichtung aller Unternehmen, Leute auszubil-
den,
Erhöhung des BAföG; Punkt, Punkt, Punkt . Es handelt
sich hier um ein Wunschpaket der Linken nach dem Mot-
to „Wünsch dir was“ . Sie haben natürlich keine Angaben
dazu gemacht, was es kostet, keine Angaben zur Gegenfi-
nanzierung . Ich weiß es nicht: Sind es 100 Milliarden, die
Sie hier wollen, wenn man alles durchrechnet? Sie haben
ja keine einzige Zahl genannt . Vorhin haben wir bei ei-
nem Kollegen allein beim Kindergeld die Hochrechnung
von 20 Milliarden Euro gehört . Entweder gilt „Wünsch
dir was“, oder das Motto ist: Wir drucken einfach mal,
wir lassen einfach mal die Gelddruckpresse loslaufen .
Diesen Wunschzettel wird das Christkind zu Weihnach-
ten nicht erfüllen .
Vielen Dank .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Bahr für die
SPD .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! Es gibt einen Artikel zum Thema
frühe Hilfen; er ist mit „Die drei K’s“ überschrieben . Es
geht jetzt ganz bestimmt nicht um Kinder, Küche, Kir-
che; vielmehr heißt der ganze Titel „Die drei K’s: Kin-
derarmut – Kinderschutz – Kommunen“ . Wenn es um
Kinderarmut geht, bleiben zwangsläufig Diskussionen zu
Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von monetären Leis-
tungen nicht aus . Geld ist wichtig, um die Existenz zu
sichern, keine Frage . Aber was ich für mindestens ebenso
wichtig halte, ist die soziale Infrastruktur; denn sie ist die
zentrale Grundlage . Sie kann Chancen und damit auch
Wege aus der Armut eröffnen . Sie kann Chancen aber
auch verwehren, nämlich dann, wenn sie fehlt oder zu
wenig zielgerichtet ist .
Die maßgebliche Infrastruktur, wenn Kinder, Jugend-
liche und ihre Familien im Fokus stehen, ist für mich die
Kinder- und Jugendhilfe, auch wenn die Kinder- und Ju-
gendhilfe in Ihrem Antrag vielleicht nicht ganz so präsent
ist wie Ihre Vorschläge zu konkreten Geldleistungen oder
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen .
Mir ist es in dieser Debatte aber wichtig, auch noch
einmal ganz genau auf die Kinder und Jugendlichen
selbst zu schauen, für die Sie hier einen sehr umfangrei-
chen Aktionsplan zur Armutsbekämpfung vorschlagen .
Bei der Kinder- und Jugendhilfe scheinen Sie vor allem
in Sonderprogrammen absolute Allheilmittel zu sehen .
Das klingt für mich aber zu sehr nach der berühmt-be-
rüchtigten Gießkanne .
Wir alle wissen, dass Armut in der Kindheit ein großes
Entwicklungsrisiko darstellt . Armut kann sich verfesti-
gen und damit den Lebenslauf nachhaltig prägen . Armut
kann sich damit auch vererben . Umso wichtiger ist es,
präventive Ansätze in der Kinder- und Jugendhilfe weiter
auszubauen – da gebe ich Ihnen recht –, aber eben ziel-
gerichtet . Das wiederum geht nun einmal nur im engen
Schulterschluss mit den Kommunen; denn die Kommu-
nen sind es, die die Kinder- und Jugendhilfe verantwor-
ten . Diese wichtige, weil zentrale, Rolle der Kommunen
kommt mir in Ihrem Antrag zu kurz .
Deshalb noch einmal zurück zu „Kinderarmut – Kin-
derschutz – Kommunen“: Armut hat viele Gesichter, ent-
täuschte, traurige, zornige, weinende; denn zur materiel-
len Armut gesellen sich in vielen Fällen Bildungsferne,
ein Mangel an Teilhabemöglichkeiten, beispielsweise
in Sportvereinen oder im Musikunterricht, und leider
oft auch gesundheitliche Probleme . Dass das alles vom
Geldbeutel der Eltern abhängt, ist ungerecht; ich glaube,
darin sind wir uns alle einig . Genau hier müssen wir han-
deln; das ist keine Frage .
Armut existiert aber nicht im luftleeren Raum, son-
dern innerhalb von Wohnquartieren und Stadtvierteln –
mal deutlicher, mal weniger offensichtlich . Deshalb
brauchen wir auch ressortübergreifende Ansätze . Ein gu-
tes Beispiel ist das Bundesprogramm „JUGEND STÄR-
KEN im Quartier“, das die SPD-Ministerinnen Manuela
Schwesig und Barbara Hendricks in dieser Legislaturpe-
riode gemeinsam neu auf den Weg gebracht haben .
In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, füh-
ren Sie zu Recht diejenigen an, die von den Angeboten
der Kinder- und Jugendhilfe nicht erreicht werden . Ge-
nau hier setzt „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ an: in
der direkten Wohn- und Lebenswelt der Kinder und ihrer
Familien . Dass wir das überaus erfolgreiche Städtebau-
programm „Soziale Stadt“ mit niedrigschwelligen sozial-
pädagogischen und gezielten Förderangeboten für junge
Menschen hiermit zusammengeführt haben, halte ich für
ganz zentral und wegweisend . In diesem Modellprojekt
sind die Kommunen nicht nur mit im Boot, sondern sie,
die Experten vor Ort, bestimmen auch, welche Angebote
am besten zu den Gegebenheiten der jungen Menschen
dort passen .
Es gibt auch andere Beispiele . In meiner Heimatstadt
Augsburg gibt es den Verein „Kinderchancen“ . Hier
richtet sich die Förderung zunächst, im ersten Schritt,
ganz gezielt an den Bedürfnissen der Kinder aus . Natür-
lich gibt es auch Unterstützung für die Eltern, beispiels-
weise wenn es um komplizierte Anträge geht; aber im
Mittelpunkt steht das Kind . So ermöglichen wir Sport-
oder Musikunterricht, organisieren Nachhilfe oder auch
Sprachförderung, und das alles so unbürokratisch wie
möglich und mit der Unterstützung eines breiten Netz-
werks vor Ort . Dazu gehören Ämter, Kitas, Schulen, Eh-
renamtliche, Sozialpartner usw .
Dr. Silke Launert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620848
(C)
(D)
Unser Ansatz ist die Hilfe zur Selbsthilfe; denn das
Ziel dieses Projekts besteht nicht nur darin, große und
kleine Steine, die die gesellschaftliche Teilhabe behin-
dern, aus dem Weg zu räumen – das kann zum Beispiel
das erste Paar Sportschuhe sein –, sondern uns geht es
auch darum, Kinder und Familien eine bestimmte Zeit zu
begleiten, um sie im Hinblick auf ihre individuellen Fä-
higkeiten zu stärken, damit dieses Wissen um die eigenen
Stärken zum Fundament eines selbstbestimmten Lebens-
wegs wird . Auch das ist Armutsprävention .
Natürlich sind hier auch SGB-VIII-Leistungen wie die
aufsuchenden Angebote Früher Hilfen, Erziehungsbe-
ratung, Familienberatung und Jugendsozialarbeit ganz
wichtige, wesentliche Elemente .
Alle, die in der Kinder- und Jugendhilfe engagiert
sind, wissen: Jeder Euro zählt . Umso wichtiger ist es,
dass wir zielgerichtete Hilfsangebote schaffen und sie
weiterentwickeln . Das funktioniert nicht starr mit Wei-
sungen von oben nach unten, sondern nur gemeinsam mit
den Kommunen und den Akteuren vor Ort .
Ich danke Ihnen .
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Martin
Patzelt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste in un-
serem Haus! Über die Relativität des Armutsbegriffes
möchte ich mich nicht mehr äußern; das haben meine
Vorredner zur Genüge getan .
– Das ist Ihre Meinung . – Ich möchte auch nicht über
die Armut an sich reden . Ich will aber bei all dem, was
ich Ihnen jetzt sagen werde, betonen: Natürlich bin ich
davon überzeugt, dass ein Minimum an materieller Aus-
stattung nötig ist, um ein menschenwürdiges Leben zu
führen – genau darüber entscheidet in Deutschland aber
nicht nur der Bundestag, sondern auch das oberste Ge-
richt –, und dieses Geld reicht nicht .
Wenn Eltern im Rahmen ihrer persönlichen Möglich-
keiten, der Angebote, die ihnen gemacht werden, und vor
allen Dingen der Kompetenz, die sie haben, zusätzliche
Hilfsangebote suchen und nutzen – ein Beispiel ist die
Tafel –, dann geschieht das, weil sie die Grundleistun-
gen, die sie bekommen, um leben zu können und das
Frühstücksbrot für ihre Kinder finanzieren zu können,
optimieren . Und wenn sie in Secondhandläden einkau-
fen – auch einmal ein Paar teure Skier und Markenkla-
motten –, dann tun sie das, weil sie ihr – zugegebenerma-
ßen niedriges – Einkommen optimieren wollen . Daraus
zu schließen, dass sie in lebensbedrohlicher Not sind, ist
einfach falsch, sondern ihnen gelingt es, zu optimieren .
Wissen Sie, wenn ich am Wochenende mal einkaufen
gehe und an der Kasse im Supermarkt stehe und sehe,
was mir bekannte Menschen – ich war einmal Bürger-
meister der Stadt; man kennt sich – in ihren Einkaufskör-
ben haben, dann überkommt mich bitter, dass sie das we-
nige Geld, das sie haben, für Artikel ausgeben, die nicht
nachhaltig sind, die bald kaputt sind und ihren Kindern
nicht lange Freude machen werden .
Was will ich damit sagen? Ich will sagen, dass wir
nicht nur eine Armut an materieller Ausstattung unserer
Familien haben .
Die haben wir; das ist unbestritten . Ich will nicht miss-
verstanden werden . Meine Vorredner haben bereits da-
rauf hingewiesen, was die Regierungskoalition und auch
die CDU/CSU in den vergangenen Jahren, auch in den
Jahren vor dieser Koalition, an wirklich entscheidenden
und nachhaltigen finanziellen Förderungen auf den Weg
gebracht haben . Finanzielle Förderung scheint immer
das Einzige zu sein, was wir anzubieten haben, wenn es
um Nöte in der Gesellschaft geht . Lassen Sie mich auf
eine Armut hinweisen, die Kinder auch haben . Das ist
die Armut an Selbstbewusstsein . Von Ihnen wird dann
immer gleich gesagt: Ja, wenn sie mehr hätten, ein neues
Handy oder eine bessere Schultasche und bessere Klei-
dung, dann wäre ihr Selbstbewusstsein sofort aufgewer-
tet . Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das ist
doch eine Spirale .
In dem Moment, in dem sie das Neueste haben, haben
die anderen schon wieder etwas Neueres . Das ist eine
Spirale, die in die Irre führt, weil unsere Kinder diesem
Trend – diesem Trend, dem wir alle mehr oder weniger
folgen – immer nachlaufen werden .
Es geht um das Glück von Kindern . Es geht nicht
darum, immer mehr zu haben . Die Armutsgrenze wird
sich doch ständig verändern . Warum haben wir wieder
mehr Armut nach der Statistik? Weil das allgemeine
Einkommen gestiegen ist . Immer wenn das allgemeine
Einkommen steigt, wird natürlich sofort die Zahl der Ar-
men größer, weil wir nicht schnell genug nachkommen,
die entsprechenden Anpassungen der unterschiedlichen
Leistungen im Parlament vorzunehmen .
Dieser Zusammenhang ist von meinen Vorrednern deut-
lich gemacht worden .
Ich möchte den Kindern, für die ich auch als Mitglied
des Familienausschusses Verantwortung habe – es sind
die Kinder unseres Landes –, helfen, dass sie einen siche-
ren Selbststand haben, einen Selbststand, der nicht nur
davon abhängt, welche materielle Ausstattung sie haben .
Ulrike Bahr
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20849
(C)
(D)
Sie sollen Wissen erwerben können, sich kulturell enga-
gieren können, konfliktfähig sein. Ich habe in den letz-
ten Tagen in der Presse wieder gelesen, was auf unseren
Schulhöfen los ist, dass immer mehr Sozialarbeiter und
Psychologen eingestellt werden müssen, weil die Kinder
in einer Weise miteinander umgehen, dass die Lehrer es
nicht mehr schaffen, die Konflikte zu regeln.
Es geht um die Kompetenzen der Kinder, ihre Aus-
stattung mit Empathie, die Erfahrungen, die sie in ihrem
Leben machen, und ihre Lebensräume . Wie machen wir
denn Urlaub? Wir packen sie in die Kiste und fahren
Hunderte von Kilometern mit ihnen an einen Urlaubsort,
statt den Nahraum um unseren Wohnort, unser Land zu
erkunden . Ich kenne viele Kinder, die nicht einmal ihre
nähere Heimat kennen . Wir glauben, wir müssen ihnen
immer mehr und mehr geben, statt die Welt, in der sie
leben, mit den Mitteln, die wir haben, auszugestalten .
Ich sage das aus eigener Erfahrung . Ich habe mit Kol-
legen im Vorgriff auf diese Debatte gesprochen . Ein Kol-
lege sagte mir gestern: Ich war zwar arm; aber ich konnte
mich wenigstens ausschlafen . – Ich komme jeden Tag mit
der U-Bahn und sehe, wie die Mütter die Kinderwagen in
die U- und S-Bahnen zwängen . Sie haben kaum Platz,
auch wegen der vielen Fahrräder, und es ist kalt und nass .
Dann denke ich: Ein reiches Land; aber die Kinder kön-
nen nicht einmal ausschlafen . – Und wenn sich Frauen
in dieser sensiblen Phase des Lebens entscheiden, die
Infrastrukturangebote noch nicht wahrzunehmen und zu
Hause zu bleiben, und die Fraktion von CDU/CSU sagt,
diesen Frauen ein Betreuungsgeld zu zahlen, damit wir
ihnen eine Anerkennung für diese gesellschaftliche Leis-
tung geben, dann wird das ideologisch verfemt, dann ist
das eine Herdprämie .
– Ich sage das nicht aus parteipolitischen Gründen . Ich
sage das, weil ich ernste Sorge habe, wenn wir weiter so
mit unseren Kindern umgehen, wenn wir sie in einer sen-
siblen Phase hemmungslos der öffentlichen Erziehung
ausliefern, wenn wir sie nicht mehr ausstatten mit der
Nähe von Eltern, die ihnen Märchen vorlesen, die noch
nicht kaputt sind vom Karrierekampf und vom Kampf
um noch mehr Geld, das sie verdienen können für ihre
persönliche Entwicklung .
Das alles ist wichtig und richtig; verstehen Sie mich
nicht falsch . Aber wer sich für Kinder entscheidet, der
muss wissen, dass diese Kinder die Eltern brauchen, dass
sie Zeit mit ihnen brauchen, Empathie, Zuwendung und
Zuhören .
Ich habe mich einmal damit beschäftigt, welche Jugend-
lichen eigentlich in rechten und linken extremistischen
Gruppen landen . Zum großen Teil sind das heimatlose
junge Menschen, die eine Ersatzfamilie suchen und in
dieser strengen und für uns alle fast unerträglichen wert-
bildenden Gruppe dann ein Stück weit ein Ersatzzuhause
finden. Warum ist das so? Weil sie dieses Zuhause in ih-
rer Kindheit nicht erleben konnten, weil wir außenorien-
tiert sind und sagen: Wir müssen mehr Knete machen!
Wir müssen Karriere machen! – Wer sich für Kinder ent-
scheidet, der sollte einberechnen, dass das für bestimmte
Zeiten ein Stückchen Karriere kosten kann .
Wir haben in unserem Parlament, in der Regierung
und in der Wirtschaft viele Kinderreiche . Die Manage-
rin der Berliner Verkehrsbetriebe hat, glaube ich, sieben
Kinder .
Kollege Patzelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Sabine Zimmermann?
Nein, danke . Ich möchte in meinen Gedanken jetzt
nicht unterbrochen werden . – Es gibt genug Beispiele
von Frauen, die sogar überdurchschnittlich viele Kinder
hatten, bei ihren Kindern geblieben sind und sie mit ho-
her Kompetenz ins Leben geführt haben .
Denken Sie doch selber daran: Wir Älteren kommen
nicht alle aus vermögenden Haushalten . Ich komme
aus einer armen Familie und verschiedene Kolleginnen
und Kollegen auch, wie sie mir gesagt haben – Marcus
Weinberg gerade eben . Wenn es wirklich so wäre, dass
alles am Geld liegt, dann wären wir nicht hier gelandet .
Viele aus armen Verhältnissen wären dann nicht in der
Wissenschaft, der Kultur oder der Kunst gelandet . Ich
möchte nur eines anmahnen, nämlich dass wir miteinan-
der den Blick weiten und sagen: Es liegt nicht alles am
Geld .
Wir werden mit Geld nicht alles erreichen, was wir brau-
chen, damit diese Gesellschaft Zukunft und Bestand hat .
Ich bin ganz nah bei einigen Vorschlägen, die Sie in
Ihrer Vorlage gemacht haben, vor allen Dingen auch
bei den strukturellen Vorschlägen der Grünen . Ja, wir
brauchen eine gute Infrastruktur . Ich weiß, ich bin ein
bisschen weg vom Fenster; aber ich würde sogar eine
Schuluniform fordern . In meinem Wahlkreis gibt es ein
Spitzengymnasium . Dort haben sich die Eltern für eine
Schuluniform entschieden . Warum? Weil sie die Stigma-
tisierung der Kinder untereinander, die auf dem Schulhof
„Assi, Assi!“ schreien, vermeiden wollten . Wenn wir in
diese Strukturen investieren, für Lehrbuchfreiheit sorgen
und bestimmte Ausstattungsgrade für die Schulen for-
dern wollen, weil wir hier in einer Gemeinschaft lernen
und leben, dann haben wir ein weites Feld der Gestaltung
vor uns . Darauf freue ich mich .
Danke .
Zum Abschluss dieser Debatte spricht der Kollege
Sönke Rix für die SPD .
Martin Patzelt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620850
(C)
(D)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Zunächst einmal: Ich habe
gerade das Wort „Karrierekampf“ gehört . Natürlich gibt
es in manchen Familien auch Väter oder Mütter, denen
die Karriere das Wichtigste ist; aber bei den Allermeis-
ten ist dieser sogenannte Karrierekampf der Kampf ums
Überleben, sage ich einmal etwas überspitzt .
Das ist der Kampf, um die finanzielle Versorgung der
Familie zu sichern . Um heutzutage die Familie vernünf-
tig ausstatten zu können, muss man teilweise mehreren
Jobs nachgehen und müssen Vater und Mutter arbeiten .
Es geht hier also nicht in erster Linie um einen Karri-
erekampf, sondern darum, dass die Menschen arbeiten
müssen . Daneben geht es auch darum, dass sie arbeiten
wollen . Wir können nicht wollen, dass jemand, der seiner
Arbeit nachgehen möchte, während er Familie hat, seine
Familie vernachlässigen muss . Das ist auf keinen Fall so .
Familie und Beruf müssen miteinander vereinbar sein,
und das sollte Ziel unserer Politik sein .
Ich bringe morgens meinen Sohn zur Grundschule .
Dort gibt es neuerdings ein Müsli-Buffet, damit sich die
Kinder, die von zu Hause kein Frühstücksbrot mitbekom-
men oder mitbekommen können, morgens erst einmal
mit einem Müsli versorgen können . Ich danke in erster
Linie denjenigen, die dieses Problem erkannt haben und
sich vor Ort darum kümmern .
Ihnen gilt unser Dank . Leider ist es notwendig, dass es so
etwas gibt . Es ist wichtig, die Zivilgesellschaft zu stär-
ken, um auch präventiv gegen die Kinderarmut vorzu-
gehen .
Es wurden in der Debatte schon mehrere Gründe für
Kinderarmut genannt; wir streiten darüber, ab wann Kin-
derarmut vorliegt und was das Wichtigste zur Bekämp-
fung von Kinderarmut ist . Ich glaube aber, wir sollten das
nicht gegeneinander ausspielen: Die Situation der Eltern,
die berufstätig sind, ist von Bedeutung . Arbeit ist mit der
wichtigste Faktor, wenn es darum geht, dass die Familien
Geld haben und für ihren Unterhalt sorgen können . Des-
halb ist es auch wichtig, dass Arbeit gut bezahlt wird . Es
waren wir in der Großen Koalition, die den Mindestlohn
eingeführt haben,
und es waren wir diejenigen, die die Tarifbindung ge-
stärkt haben . Das dient besseren Löhnen, besserer Be-
zahlung .
Auch die Regulierung von prekären Arbeitsverhältnissen
haben wir uns auf die Fahne geschrieben . Nicht umsonst
haben wir bei Werkverträgen und Zeitarbeit eine stärkere
Regulierung beschlossen . Auch das dient dazu, Familien
finanziell besser abzusichern, damit gute Arbeit auch gut
bezahlt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Wir haben noch einiges auf der Tagesordnung, was
dazu beiträgt, Familien finanziell besserzustellen. Dabei
geht es um die Situation von Frauen in Arbeit . Wir haben
noch zwei Gesetzentwürfe – das sage ich in Richtung des
Koalitionspartners – in der Schwebe . Zum einen geht es
um die Pflegeberufe. Wir wollen die Pflegeberufe auf-
werten . In diesen Berufen sind überwiegend Frauen tätig,
die schlecht bezahlt werden . Sie erhalten keine vernünf-
tige Anerkennung . Deshalb brauchen wir hier dringend
eine Reform . Der erste Schritt wäre, die Generalistik in
der Pflege einzuführen. Ich bitte Sie darum, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, dass wir diesen ersten Schritt ge-
hen .
Zum anderen geht es um die Frage der Lohngerechtig-
keit . Frauen sollen generell besser bezahlt werden, und
diese Vorgabe soll gesetzlich festgeschrieben werden .
Das Lohngerechtigkeitsgesetz wird noch im Kabinett be-
raten; wir hoffen, dass es bald ins Parlament eingebracht
wird . Es dient dazu, dass Frauen bei gleicher Arbeit das
Gleiche verdienen wie ihre Kollegen . Wo Ungerechtig-
keit herrscht, müssen wir dagegen angehen können; aber
dazu muss die Ungerechtigkeit bekannt sein . Deshalb
brauchen wir mehr Transparenz, und deshalb brauchen
wir das Lohngerechtigkeitsgesetz .
Vorhin wurde der Satz geprägt: Armut wird vererbt .
Ich weiß nicht genau, wer das gesagt hat; ich habe das
so mitgenommen . Man muss aber auch einmal deutlich
sagen: Auch Reichtum wird vererbt .
Wir haben es bei der Vorstellung des Armuts- und Reich-
tumsbericht mitbekommen: Die großen Vermögen sind
nicht so sehr durch Arbeit entstanden, sondern mehr
durch Erbschaften oder durch Maximierung von Kapital-
gewinnen . Deshalb halten wir es als Sozialdemokraten
durchaus für richtig, auch in der Steuerpolitik mehr Ge-
rechtigkeit walten zu lassen . Ich bin ganz dicht bei Ihnen,
wenn Sie sagen: Das Ehegattensplitting ist nicht das, was
wir uns unter Familienförderung vorstellen . Wir wollen
weniger die Förderung der Ehe, sondern mehr die Förde-
rung der Familie . – Das wollen wir auch steuerpolitisch
festhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Zum Unterhaltsvorschuss . Die Debatte darüber haben
wir letzte Sitzungswoche schon geführt; wir werden sie
wahrscheinlich noch häufiger führen. Ich will aber etwas
zur Ausgangslage sagen: Es waren die Ministerpräsi-
denten aller Länder – auch die Ministerpräsidenten von
Thüringen und Baden-Württemberg, schwarz-grüne Re-
gierungen, rot-grüne Regierungen, Große Koalitionen –,
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20851
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(D)
die 16 : 0 beschlossen haben, dass zum 1 . Januar 2017
die Regelungen zum Unterhaltsvorschuss ausgeweitet
werden sollen . Die Ministerpräsidenten haben diesen
Beschluss gefasst – nicht Frau Schwesig hat diesen Vor-
schlag übereilt eingebracht –, die Ministerpräsidenten
haben dieses Versprechen gegeben .
Wir sind diejenigen, die jetzt daran mitwirken sollen,
dass das Versprechen auch eingehalten wird .
Ein Wort noch in Richtung Hessen . Der Äußerung von
Volker Bouffier, mit der Ausweitung könne man bis 2020
warten, kann ich nur entgegenhalten: Es geht nicht an,
innerhalb von ein paar Monaten das eigene Versprechen
zu brechen .
Damit ist niemandem geholfen, weder den Alleinerzie-
henden noch der Glaubwürdigkeit von Politik . Dieser
Unterhaltsvorschuss muss so schnell wie möglich kom-
men . Deshalb bitte ich alle hier im Raum, mit unseren
Ministerpräsidenten, egal welcher Farbe, zu reden und zu
sagen: Wenn ihr ein Versprechen gebt, dann seht auch zu,
dass ihr euch auf die Finanzierung einigt .
Herzlichen Dank .
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10628 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Widerspruch sehe ich keinen . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 5 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesre-
gierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der von den Ver-
einten Nationen geführten Friedensmission
in Südsudan auf Grundlage der
Resolution 1996 des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011
und Folgeresolutionen, zuletzt 2304
vom 12. August 2016
Drucksachen 18/10188, 18/10547
Drucksache 18/10548
Über die Beschlussempfehlung werden wir, wie üb-
lich bei Einsätzen der Bundeswehr, später namentlich
abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
sehe ich keinen . Dann ist auch dieses so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Christoph Strässer für die SPD das
Wort .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Gestern hat in Genf zum 26 . Mal
ein Sonderausschuss des Menschenrechtsrates der Ver-
einten Nationen zur Situation im Südsudan getagt . Zum
26 . Mal! Der aus meiner Sicht wichtigste unter den
Rednerinnen und Rednern ist der Sonderbeauftragte der
Vereinten Nationen für die Verhinderung von Genozid,
Herr Adama Dieng . Er hat die Weltgemeinschaft ein-
dringlichst aufgefordert, nicht wegzusehen, sondern da-
bei mitzumachen, den Menschen zu helfen, und sagte in
diesem Zusammenhang: Es bereitet sich etwas vor, was
wir sehen, was wir wissen: ein Genozid anhand ethni-
scher Leitlinien . – Worüber wir heute diskutieren, ist aus
meiner Sicht ein kleiner Beitrag, um das zu verhindern,
um hinzusehen und Lösungen zu präsentieren; aber es ist
selbstverständlich nicht der einzige .
Für diejenigen, die es noch nicht wissen, möchte ich
die Dimensionen des Mandates UNMISS noch einmal
ganz kurz darstellen, weil sich dann vielleicht das eine
oder andere, was wir gleich hören werden, relativiert .
Das UNMISS-Mandat existiert seit 2011 und soll zur
Stabilisierung im Südsudan, dem jüngsten Staat Afrikas,
beitragen . Es umfasst mittlerweile eine Obergrenze von
17 000 Soldatinnen und Soldaten . Es ist in diesem Jahr
erweitert worden, weil man erkannt hat, dass das Mandat
den Schutz von Zivilisten, zu dem es erteilt worden war,
nicht ausreichend gewährleistet hat . Im Rahmen dieses
Mandates mit einer Obergrenze – ich wiederhole – von
insgesamt 17 000 Soldatinnen und Soldaten diskutieren
wir heute über den Einsatz der Bundeswehr . Die Ober-
grenze für den Einsatz deutscher Soldatinnen und Solda-
ten ist auf 50 festgelegt – 50 von 17 000 Soldatinnen und
Soldaten in diesem Mandat . Den vorliegenden Zahlen
zufolge sind gegenwärtig 16 deutsche Soldatinnen und
Soldaten im Südsudan und machen dort eine gute und
wichtige Arbeit, für die ich mich an dieser Stelle aus-
drücklich bedanke .
Die zentrale Aufgabe besteht im Schutz von Zivilis-
ten . Die Zahlen, die uns derzeit vorliegen, sind alarmie-
rend . UNMISS hat sechs sogenannte Schutzzonen einge-
richtet, in denen circa 200 000 Zivilisten untergebracht
sind . Der Schutz der Zivilbevölkerung in diesem Bereich
ist durch niemand anderen gewährleistet als durch die
Präsenz von UNMISS .
Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung von einem Be-
such in einem der Flüchtlingslager in der Hauptstadt Juba
berichten . Im Jahr 2015 begannen Zivilisten sich auch in
Sönke Rix
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620852
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der Hauptstadt nicht mehr sicher zu fühlen und sind zum
ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen in
Einrichtungen der dort stationierten Kräfte geflohen. Wir
haben mit ihnen wie auch mit Vertretern der Zivilorga-
nisationen, die dort gearbeitet haben, sprechen können
und sie gefragt, warum sie das machen und wann sie die
Einrichtungen wieder verlassen . Die Antwort war völlig
klar: Wir gehen aus dieser Schutzeinrichtung nicht mehr
raus, weil sonst die Gefahr besteht, dass wir in dem be-
waffneten Konflikt getötet werden. – Meine Damen und
Herren, wer den Leuten diesen Schutz versagt, den sie
brauchen, der vergeht sich ein Stück weit an den Grund-
sätzen der Humanität, die wir als internationale Gemein-
schaft auch in diesem Bereich zu verantworten haben .
Die uns vorliegenden Zahlen sind abenteuerlich; sie
sind unerträglich . In diesem jungen Land sind 1,8 Mil-
lionen Menschen intern vertrieben . 1,2 Millionen waren
allein in diesem Jahr auf der Flucht und bilden zurzeit –
auch das sollten wir in der Öffentlichkeit darstellen –
die größte Migrations- und Fluchtbewegung weltweit .
3 500 Menschen verlassen pro Tag das Land . Wir wer-
den heute auch über den Einsatz in Darfur, dem zweiten
Krisenherd in der Region, diskutieren . In diese seit 2003
krisenbehaftete Region fliehen jeden Tag Menschen aus
dem Südsudan . Das sollte uns zu denken geben, was die
Situation der Menschen dort angeht .
Die humanitäre Situation ist desaströs . Viele Bereiche
in dem sich ausweitenden Bürgerkrieg sind nicht mehr
durch humanitäre Hilfe zu erreichen . Das heißt, die Men-
schen sind in Gefahr, eine Hungersnot zu erleiden und
nicht mehr versorgt werden zu können . In dieser Situati-
on reden wir über UNMISS .
Wir haben in diesem Jahr auch ganz schlimme Bot-
schaften erfahren . Im Juli dieses Jahres wurde UNMISS
beschuldigt – darüber gab es auch eine Diskussion in
den Vereinten Nationen –, seiner Aufgabe nicht nachzu-
kommen . Dazu hat es eine Untersuchungskommission
gegeben . Die Vorwürfe wurden leider Gottes bestätigt .
Zum ersten Mal in der Geschichte von UNMISS hat es
daraufhin Konsequenzen gegeben . Diese Konsequenzen
belasten zum Teil die UNO . Der Leiter der Einrichtung,
die kritisiert wurde, weil sie keinen Schutz gewährleistet
hat, wurde entlassen; er war ein kenianischer Soldat . Die
Folge war zunächst einmal, dass Kenia aufgrund dieser
Entscheidung seine Bereitschaft, an UNMISS mitzuwir-
ken, aufgekündigt hat . Das alles sind Dinge, die wir zur
Kenntnis nehmen . Darüber muss auch im Kontext gere-
det werden .
Was ist aber die Konsequenz angesichts der geübten
Kritik? Ich habe darauf eigentlich nur eine Antwort .
Fast alle internationalen Beobachter sagen genauso wie
diejenigen, die im Land arbeiten, dass UNMISS allei-
ne zwar die Probleme im Südsudan nicht lösen kann,
dass aber ohne UNMISS die Probleme deutlich größer
wären . Ich möchte auf eine Veröffentlichung der Fried-
rich-Ebert-Stiftung aus diesem Monat – damit ist eini-
ger Unsinn getrieben worden; einer der betreffenden
Kollegen kann nicht mehr in Juba arbeiten und befin-
det sich mittlerweile in Kampala in Uganda – verwei-
sen. Ich zitiere nur die Überschrift – das ist die offizielle
Auffassung –: UNMISS alleine reicht nicht, doch ohne
UNMISS geht es nicht . – Wenn wir diese Auffassung
ernst nehmen, dann müssen wir darüber diskutieren, ob
das, was UNMISS im Augenblick macht, ausreicht oder
ob wir UNMISS durch eine größere Bereitschaft, zu hel-
fen, stärken sollten .
Wir sollten auch politische Lösungen in Angriff neh-
men: Gibt es einen regionalen Friedensprozess? Reicht
es, wenn die beiden alten Herren, Herr Salva Kiir und
Herr Riek Machar, miteinander etwas verabreden, an das
sich noch nicht mal ihre Gefolgsleute halten? Reicht es,
dass die EU ein Waffenembargo ausgesprochen hat, oder
müssen wir angesichts der in diesem Land ohnehin viel
zu hohen Anzahl an Waffen nicht endlich ein Waffenem-
bargo auf UNO-Ebene beschließen? – Das sind die Fra-
gen, die wir beantworten müssen . Für die SPD-Fraktion
ist völlig klar: Es braucht ein deutliches Signal, dass wir
UNMISS stärken wollen . Wir wollen, dass UNMISS ih-
ren Aufgaben gerecht wird . Deshalb bitten wir Sie, der
Fortsetzung dieses Mandats zuzustimmen .
Aufgrund der letzten Diskussion über Kinderarmut
möchte ich noch ein persönliches Wort sagen . Am Ende
dieser Sitzungswoche werden wir uns ein fröhliches und
friedliches Weihnachtsfest wünschen; das ist für uns
selbstverständlich . Ich würde mich sehr freuen, wenn es
uns gelänge, den Kindern im Südsudan und anderswo
nicht nur ein friedliches Weihnachtsfest, sondern irgend-
wann einmal auch ein Leben in Frieden und Freiheit zu
bescheren .
Danke schön .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz,
Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im
Jahr 2011 spaltete sich der ölreiche Süden vom Norden
des Sudans ab . Alle Parteien – CDU, CSU, FDP, SPD
und Grüne – begrüßten dies damals . Abgeordnete der
Union nannten das hier im Bundestag einen großen Er-
folg . Die Linke war die einzige Partei, die damals vor den
Konsequenzen gewarnt hatte . Ein unabhängiger Staat, an
deren Spitze eine korrupte Elite steht, die noch dazu in
sich verfeindet ist, würde der Bevölkerung nicht die er-
hoffte Verbesserung ihrer Lage bringen . Diese Vorhersa-
ge hat sich dramatisch bestätigt .
Seit nunmehr drei Jahren tobt zwischen dem Präsi-
denten Salva Kiir und seinem ehemaligen Stellvertreter
Riek Machar ein blutiger Bürgerkrieg mit Zehntausenden
Toten . Millionen Menschen sind auf der Flucht . Nach
Angaben des Welternährungsprogramms ist mehr als ein
Drittel der Bevölkerung des Südsudans vom Hunger be-
droht . Dabei gab es bereits bei der Staatsgründung vor
Christoph Strässer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20853
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(D)
fünf Jahren eine internationale Militärpräsenz einschließ-
lich der Bundeswehr . Es zeigt sich heute, dass diese
Truppenpräsenz nichts, aber auch gar nichts zu Frieden
und Entwicklung im Südsudan beigetragen hat .
Das Elend der Bevölkerung des Südsudan steht im
krassen Kontrast zum potenziellen Reichtum des Lan-
des . Der Südsudan hat die drittgrößten Ölreserven in
Afrika . Genau deshalb war der Westen damals für die
Abspaltung des Südens . Im Kern ging es immer darum,
den wachsenden Einfluss Chinas einzudämmen und eine
dem Westen genehme Regierung zu errichten . Wozu das
führt, kritisiert nicht nur die Linke . Es tut mir leid, Herr
Strässer, ich kann es Ihnen an dieser Stelle nicht erspa-
ren . Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung schrieb im
August dieses Jahres:
Es war der Westen, vor allem die USA, aber auch
Deutschland, ohne die es den Südsudan als eigenen
Staat gar nicht geben würde . … Über Kriegsverbre-
chen der Eliten im Süden wurde deswegen großzü-
gig hinweggesehen, und so endete die Staatsgrün-
dung in einem völligen Desaster .
Ja, der Westen und die Bundesregierungen der letzten
Jahre tragen eine Mitschuld an der Entwicklung im Süd-
sudan . Darüber täuschen Sie heute hier hinweg .
Das Versprechen, mit deutschen und anderen in-
ternationalen Soldaten die notleidende Bevölkerung
im Südsudan zu schützen, haben Sie nicht eingelöst .
UNMISS steht auch nach der geplanten Aufstockung um
4 000 Soldaten vor einem Dilemma . Entweder bleiben
die UN-Soldaten angesichts von Gewalttaten passiv, oder
sie lassen sich auf einen Krieg mit der südsudanesischen
Armee oder den Milizen ein . Nichts von beidem trägt
zum Frieden im Südsudan bei .
Frau Kollegin Buchholz, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Strässer?
Ich bin gleich fertig . Er kann zum Ende dann gerne
seine Frage stellen .
Dann gibt es nur noch die Möglichkeit der Kurzinter-
vention .
Helfen würde, wenn die Kriegsfürsten Kiir und
Machar endlich am Kauf von Waffen gehindert würden,
helfen würde, wenn die Bundesregierung auf die Nach-
barländer des Südsudan wie Uganda einwirken würde,
ihre militärische Intervention zu stoppen, und helfen
würde auch, wenn Sie sich auf die Unterstützung ziviler
Notmaßnahmen konzentrieren würden . Das genau pas-
siert nicht . Die Linke stimmt der Verlängerung des Bun-
deswehreinsatzes im Südsudan nicht zu .
Herr Kollege Strässer, Sie haben jetzt die Möglichkeit
zu einer Kurzintervention von Ihrem Platz aus .
Schönen Dank .
– Ich mache zum ersten Mal eine Kurzintervention, zum
ersten Mal nach 14 Jahren . – Ich bin schon ein bisschen
irritiert über Ihre Äußerungen, weil Sie zum großen Teil
darauf rekurrieren, dass die Gründung des Staates Süd-
sudan ein Fehler und von außen beeinflusst war. Ich darf
einfach einmal daran erinnern, dass die Auseinanderset-
zungen im früheren Gesamtstaat Sudan im Jahre 1956
begonnen haben und dass es bis zum Jahre 2005, also bis
zum Abschluss des umfassenden Friedensabkommens,
bis auf elf Jahre Bürgerkrieg gegeben hat .
Viele Bemühungen sind nicht vom Westen ausge-
gangen, sondern von innersudanesischen Gruppen . Man
ging davon aus, dass es nach dem Abschluss des Frie-
densvertrages zu einer Lösung kommt . Den Bürgerinnen
und Bürgern des Südsudan ist die Frage gestellt worden,
was sie wollen . Wenn man sich hierhinstellt und sagt, die
Gründung des Südsudan sei eine Geburt des imperialis-
tischen Westens, dann ist das ein Schlag ins Gesicht von
99 Prozent der Südsudanesinnen und Südsudanesen, die
diese Unabhängigkeit ganz eindeutig gewollt haben .
Frau Kollegin Buchholz, Sie haben die Möglichkeit,
darauf zu erwidern .
Vielen Dank . – Wir Linke haben immer die Hoffnung
der Menschen im Südsudan auf eine bessere und fried-
lichere Entwicklung unterstützt . Aber das Dilemma ist
doch, dass durch die Art der Staatsgründung, die massiv
vom Westen unterstützt wurde – das sagt auch die Fried-
rich-Ebert-Stiftung –, genau diese Hoffnungen nicht er-
füllt wurden . Jetzt gibt es eine korrupte Regierung unter
Salva Kiir, die sich einen blutigen Bürgerkrieg mit dem
ehemaligen Stellvertreter Riek Machar liefert . Es hat
sich gezeigt, dass diese Staatsgründung, weil sie nämlich
nicht an den Interessen und Hoffnungen der Menschen
Christine Buchholz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620854
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ausgerichtet war, in ein totales Desaster geführt hat . Das
ist die Realität . Das müssen auch Sie heute konstatieren .
Deswegen hat die Bundesregierung damals eine Mitver-
antwortung an der jetzigen Entwicklung im Südsudan .
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Elisabeth
Motschmann .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
die Lage im Südsudan ist nach wie vor dramatisch – Kol-
lege Strässer hat es beschrieben –, man kann auch sagen:
katastrophal . Die Gewaltausbrüche haben nicht abge-
nommen, eher noch zugenommen . Aufgrund dieser Tat-
sache müssen wir überlegen: Wie gehen wir mit diesem
Staat weiter um? Gehen wir den Weg zum Frieden mit
diesem Staat, oder lassen wir es sein? Die Linke kommt
zu dem Entschluss: Wir lassen es sein . – Das halte ich
für komplett falsch, Frau Buchholz, weil Sie damit die
Menschen alleinlassen . Sie lassen die Kinder, die Mütter,
die Alten, die Kranken, sie alle allein .
Sie sagen: Das ist mir doch egal . Lasst 4,8 Millionen
Menschen hungern . Lasst zu, dass sie vertrieben werden .
Lasst zu, dass 1 Million Menschen in Nachbarstaaten
fliehen. – Immerhin suchen über 200 000 Menschen in
den Einrichtungen von UNMISS Schutz – 200 000 Men-
schen –, und Sie sagen: Das ist mir egal .
– Nein . Ich höre sehr genau zu, Frau Buchholz . Darauf
können Sie sich verlassen .
Die Vereinten Nationen warnen vor einem bevorste-
henden Völkermord . Im Global Peace Index liegt dieser
Staat tatsächlich nur knapp vor Syrien . Dennoch sagen
Sie: Wir sollten da herausgehen . – Dies können wir nicht
teilen . Wenn Sie sagen: „Wir wollen humanitäre Hilfe“,
dann frage ich: Das ist zwar richtig und wichtig, aber wie
wollen Sie humanitär helfen, wenn es nicht mindestens
Zonen gibt, die gesichert sind und in denen humanitä-
re Helfer überhaupt arbeiten können? Sie können doch
keine humanitären Helfer dahin schicken, wenn Sie sie
dramatisch gefährden .
Richtig ist, dass Fehler gemacht wurden – auch darauf
ist hingewiesen worden – und dass aus den Fehlern dieser
Mission auch Konsequenzen gezogen werden müssen,
um die Situation zu verbessern . Die Vorwürfe, die man
den Vereinten Nationen gemacht hat, wiegen natürlich
schwer . Sie haben die Zivilisten eben nicht hinreichend
geschützt; an diesem Punkt bin ich bei Ihnen . Nur, was
ist die Konsequenz daraus? Dass man versucht, Fehler zu
vermeiden, Fehler zu korrigieren, dass man sie transpa-
rent, eindeutig und ehrlich offenlegt . Das ist geschehen,
und das wird auch weiterhin geschehen .
Man hat von Führungsschwäche gesprochen . Man hat
gesagt, dass Teile der Einsätze chaotisch und wirkungs-
los gewesen sind . Man hat Konsequenzen gezogen . Man
hat Abläufe und Befehlsketten korrigiert . Man hat Ver-
antwortlichkeiten geändert und die Mission besser orga-
nisiert . All das trägt dazu bei, dass die Arbeit dieser Mis-
sion wichtig ist und wichtig bleibt . Selbst wenn daran im
Augenblick nur 15 oder 16 Bundeswehrsoldaten beteiligt
sind: Sie leisten einen wichtigen Staatsdienst zur Steue-
rung der Mission . Auch ich möchte mich ausdrücklich
bei denjenigen Soldatinnen und Soldaten bedanken, die
in dieser nachweislich schwierigen Situation im Einsatz
sind .
Vielleicht noch ein Letztes . Wir reden im Augenblick
sehr viel über Verlässlichkeit von Außen- und Sicher-
heitspolitik, weil wir natürlich die Sorge haben, dass sie
künftig bedroht sein könnte . Gerade deshalb sage ich
auch an dieser Stelle: Wir sollten verlässlich sein . Wir
sollten bei den Menschen bleiben . Wir sollten ihnen hel-
fen, und wir sollten uns nicht selber vorwerfen, dass wir
am Ende noch daran schuld sind, dass diese Staatsgrün-
dung zustande gekommen ist und dass es den Menschen
da jetzt so schlecht geht . Das ist wirklich abwegig, Frau
Buchholz, und es ist falsch . Deshalb bitte ich am Ende:
Lassen Sie uns dieses Mandat fortsetzen und den Solda-
tinnen und Soldaten jede Unterstützung geben, die nötig
ist, in der Hoffnung, dass es diesem Volk irgendwann
besser geht .
Vielen Dank .
Nächste Redner ist der Kollege Dr . Frithjof Schmidt
für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Um es vorweg zu sagen: Meine Fraktion hat
dieser notwendigen UN-Mission im Südsudan immer zu-
gestimmt, und das werden wir auch diesmal tun .
Christine Buchholz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20855
(C)
(D)
Aber wir alle haben großen Grund zur Sorge . Es ist nicht
gelungen, die Lage dort zu stabilisieren . Im Gegenteil:
Sie spitzt sich gerade dramatisch zu . Die Berichte über
den Terror gegen die Zivilbevölkerung, über Morde und
Massenvergewaltigungen, die uns derzeit erreichen, ma-
chen fassungslos. Beide Konfliktparteien, sowohl das
Lager von Präsident Kiir als auch das Lager des früheren
Vizepräsidenten Machar, haben sich schwere Kriegsver-
brechen zuschulden kommen lassen . Insbesondere diese
beiden Anführer gehören vor ein internationales Strafge-
richt .
Erst vor kurzem warnte der Sonderberater des UN-Ge-
neralsekretärs für die Verhütung von Völkermord Adama
Dieng: Die Machthaber instrumentalisieren ethnische
Unterschiede für ihre politische Hetze gegeneinander .
Der Südsudan droht in Gewalt zu versinken . Es gibt das
Potenzial für einen Genozid . – Diese Warnung ist sehr
ernst zu nehmen . Es muss vor allem verhindert werden,
dass in dieser aufgeheizten Lage noch mehr Waffen in
das Land gelangen . Das sagen uns auch alle Organisa-
tionen, die dort tätig sind . Die Bundesregierung sollte
sich sehr energisch dafür einsetzen, dass der UN-Sicher-
heitsrat endlich ein Waffenembargo für den Südsudan be-
schließt und sich um die Durchsetzung kümmert .
Das gehört ins Zentrum der internationalen Politik für die
Region .
Die katastrophale humanitäre Notsituation besteht
fort . Die Hilfsorganisationen vor Ort brauchen dafür
ausreichende und langfristig zugesagte Mittel . Die inter-
nationale Gemeinschaft darf hier nicht wieder versagen .
Es ist wie jedes Jahr: Zum Jahresende ist nur knapp die
Hälfte der Mittel, die gebraucht werden und zugesagt wa-
ren, eingegangen . Es ist schrecklich, dass wir das jedes
Jahr wieder diskutieren müssen . Es ist wieder so . Des-
halb begrüßen wir es sehr, dass Deutschland die humani-
tären Mittel für den Südsudan noch einmal kräftig erhöht
hat . Dafür haben Sie unsere volle Unterstützung . Das ist
notwendig und richtig .
Genauso notwendig ist auch die weitere Unterstüt-
zung der Blauhelme von UNMISS . Wir wissen: In die-
sem riesigen Gebiet würden auch 20 000 Blauhelme die
Menschen nicht umfassend vor dem Gräuel des Bürger-
kriegs schützen können . Trotzdem – da möchte ich an
den Kollegen Strässer anknüpfen – müssen wir dringend
über eine qualitative Aufstockung und Verbesserung die-
ser UN-Mission reden . Sie reicht so, wie sie ist, einfach
nicht aus .
Kollegin Buchholz, auch wenn Sie meinen, in der Ver-
gangenheit seien Fehler gemacht worden, was ich, so wie
Sie es sagen, überhaupt nicht teile: Was wollen Sie denn
jetzt machen?
Ihre Antwort ist doch offensichtlich: nicht aufstocken,
nicht verstärkt dort reingehen, sondern rausgehen . – Was
soll denn dann passieren? Was ist das für eine Haltung?
Unabhängig davon, wie Sie zur Entstehung dieses Kon-
fliktes stehen, müssen Sie doch jetzt eine Antwort geben.
Das haben Sie in Ihrer Rede überhaupt nicht getan .
Das finde ich wirklich nicht in Ordnung.
Wir wissen, dass diese Mission erhebliche inter-
ne Probleme hat . Erst kürzlich hat ein UN-Bericht den
UNMISS-Soldaten schweres Versagen beim Schutz von
Zivilisten vorgeworfen . Aber gut ist: Die UN hat darauf
unmittelbar reagiert und den verantwortlichen keniani-
schen Kommandeur abberufen . Trotz solcher schwerer
Fehler gilt: Für Hunderttausende bietet UNMISS die ein-
zige Zuflucht und Rettung. Eine Schwächung oder gar
ein Abzug von UNMISS wäre für all diese Menschen
eine Katastrophe – bei allen Unzulänglichkeiten der Mis-
sion . Deshalb wird meine Fraktion auch diesmal diesem
Mandat zustimmen .
Danke für die Aufmerksamkeit .
Zum Abschluss dieser Aussprache spricht der Kollege
Dr . Reinhard Brandl für die CDU/CSU .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen in diesem Haus und in diesen Tagen oft
über Flüchtlinge aus Afrika . Wir denken dabei an dieje-
nigen, die in Italien oder in Libyen ankommen . Im Süd-
sudan sind im Moment 1,8 Millionen Menschen inner-
halb des Landes auf der Flucht . 1,3 Millionen Menschen
haben in den letzten Jahren das Land verlassen, allein
400 000 seit Juli .
Meine Damen und Herren, von denen kommt kaum
einer in Libyen oder Italien an, weil ihnen schlichtweg
das Geld dafür fehlt. Die Menschen fliehen in die Nach-
barländer. Sie fliehen nach Äthiopien, nach Uganda
oder in den Sudan und verschärfen dort die humanitär
prekäre Situation weiter . Wir lesen über diese Menschen
wenig, weil es im Südsudan kaum internationale Presse
gibt . Das Land ist in vielen Bereichen gar nicht oder nur
Dr. Frithjof Schmidt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620856
(C)
(D)
schwer zugänglich . Trotzdem – das zeigt die Debatte hier
im Bundestag – vergessen wir in Deutschland vonseiten
des Bundestages und der Bundesregierung dieses Land
nicht . Ja, Deutschland war daran beteiligt, dass es 2011
eine friedliche Loslösung vom Sudan gab, dass dieser
seit den 50er-Jahren anhaltende Konflikt zwischen Afri-
kanern und Arabern zu einem friedlichen Ende geführt
hat .
Meine Damen und Herren, ich war ein Jahr später, im
Jahr 2012, dort . In allen Gesprächen, die ich dort geführt
habe, spürte man den Stolz der Menschen auf ihr neu-
es Land, darauf, was sie mit dem Referendum erreicht
haben . Man spürte auch eine Aufbruchstimmung, dieses
Land mitzugestalten . Es war ein Riesenschritt vorwärts,
aber seit 2013 gibt es fast nur noch Rückschritte . Es ist
der Regierung trotz der großen internationalen Hilfe nicht
gelungen, einen Mechanismus zu finden, wie sie friedlich
und fair Macht und Ressourcen in dem Land verteilt . So
hat der Konflikt zwischen dem Präsidenten Salva Kiir
und dem Vizepräsidenten Riek Machar in einem neuen
Bürgerkrieg zwischen Dinka und Nuer geendet . Dieser
Konflikt ist Fluchtursache Nummer eins.
Meine Vorredner haben die Gewalt, insbesondere die
Gewalt gegen Frauen, die in diesem Bürgerkrieg ange-
wendet wird, zum Teil schon beschrieben . Ich will ei-
nen humanitären Aspekt hinzufügen . Allein durch die
Konflikthandlungen sind ungefähr 50 Prozent der Ern-
te ausgefallen . Die Landwirte können ihre Felder nicht
mehr bestellen. Es findet kaum noch nationaler Handel
statt, weil die Menschen Angst haben, dass Nahrungs-
mitteltransporte überfallen werden . Ein Drittel der Men-
schen des Südsudans leidet an Hunger . Das sind ungefähr
3,7 Millionen Menschen .
Meine Damen und Herren, das ist eine Aufgabe für die
internationale Gemeinschaft . Diese internationale Ge-
meinschaft hat diese Aufgabe auch angenommen . Es gibt
für den Südsudan ein UN-Mandat . Das gibt es für viele
andere Konfliktregionen – es ist über Syrien gesprochen
worden – nicht . Der Rahmen ist vorhanden . Das Problem
ist nur, dass die UN, insbesondere die UN-Missionen
im Südsudan, diesen Rahmen nicht ausfüllt und bei der
Auftragserfüllung in den letzten Monaten katastrophal
versagt hat . Der Schutz der Zivilbevölkerung, der an
erster Stelle steht, wurde nicht erfüllt . Zum Teil haben
Angehörige der UN-Mission zugesehen, wie vor ihren
Augen Frauen vergewaltigt worden sind . Damit haben
sie natürlich Vertrauen verspielt: vor Ort und auch in der
Weltbevölkerung .
Es gibt zwei Dinge, die zu tun sind .
Erstens: UNMISS effizienter aufstellen, sodass sie ih-
ren Auftrag erfüllen kann, Schutz der Zivilbevölkerung,
Stopp der Gewalt und Zugang zu humanitärer Hilfe er-
möglichen .
Zweitens . Es muss die Regierung unter Salva Kiir da-
von überzeugt werden, dass sie nur mit einem Ende der
Gewalt und einem Unterbrechen der Gewaltspirale dafür
sorgen kann, dass ihr Land wieder auf den Pfad der Sta-
bilisierung kommt .
Deutschland beteiligt sich daran im Rahmen von
UNMISS, mit den Soldatinnen und Soldaten, den Poli-
zisten und zivilen Helfern . Es ist ein wichtiger Auftrag;
denn diese Soldatinnen und Soldaten, diese Polizisten,
diese Menschen sind auch Auge und Ohr vor Ort: Sie
berichten uns aus einem Land, in dem es kaum interna-
tionale Presse gibt, aus dem es kaum ein Flüchtling zu
uns schafft, und sorgen auch dafür, dass wir ein eigenes
Lagebild bekommen, anhand dessen wir unsere Hilfe ab-
stimmen können .
Meine Damen und Herren, wir haben das Land von
Anfang an mit entsprechenden Mandaten unterstützt . Wir
sollten ihm auch in einer schwierigen Phase die Treue
halten . Ich bitte Sie herzlich um Ihre Zustimmung .
Herzlichen Dank .
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten
Friedensmission in Südsudan, UNMISS . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 18/10547, den Antrag der Bundesregierung auf
Drucksache 18/10188 anzunehmen .
Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung
namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . –
Auf der Seite der Regierungsbank fehlt noch die Oppo-
sition, was irgendwie logisch klingt, aber trotzdem jetzt
korrigiert werden muss . – Auf der Bundesratsseite fehlt
auch noch jemand . – Damit sind jetzt alle Plätze an den
Abstimmungsurnen besetzt . Ich eröffne die Abstimmung
über die Beschlussempfehlung .
Gibt es noch Mitglieder des Hauses, die ihre Stimme
abgeben möchten, dies aber noch nicht getan haben? –
Ich darf darauf verweisen, dass es hier vorne Abstim-
mungsurnen gibt, wo man noch nicht anstehen muss .
Wer jetzt seine Stimme noch nicht abgegeben hat, der
möge das anzeigen . – Ich sehe niemanden, der das an-
zeigt, und schließe damit die Abstimmung . Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben .1)
Wir werden nach dem nächsten Tagesordnungspunkt
in circa 25 Minuten erneut eine namentliche Abstim-
mung durchführen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
1) Ergebnis Seite 20858 D
Dr. Reinhard Brandl
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20857
(C)
(D)
zu dem Antrag der Bundesre-
gierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hy-
brid-Operation in Darfur auf
Grundlage der Resolution 1769 des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 31. Juli 2007 und folgender Resoluti-
onen, zuletzt 2296 vom 29. Juni 2016
Drucksachen 18/10189, 18/10549
Drucksache 18/10550
Über diese Beschlussempfehlung – das habe ich schon
angekündigt – werden wir später namentlich abstimmen .
Ich bitte, zum Zweck der Beratungen die Plätze einzu-
nehmen und die Gespräche auf die hinteren Bereiche zu
konzentrieren .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
erhebt sich keiner . Dann ist das somit beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Jürgen Coße für die SPD .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
ist meine erste Rede als Abgeordneter des Deutschen
Bundestages .
Es ist für mich ein Privileg und eine Herausforderung zu-
gleich, eine Herausforderung vor allem deswegen, weil
ich vor vier Monaten noch nicht über eine deutsche Be-
teiligung an Friedensmissionen zu entscheiden hatte .
Hier geht es um eine gemeinsame Friedensmission
von Vereinten Nationen und Afrikanischer Union, kurz
UNAMID . Und egal was wir gleich hören werden: Nie-
mand meiner Kolleginnen und Kollegen macht sich die
Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten oder
Polizisten im Ausland leicht .
Aber was ist unsere Herausforderung hier im Vergleich
zum Überlebenskampf, den viele Menschen weltweit
täglich führen? So auch die Menschen im Westen des
Sudan. Die 300 000 Todesopfer des Konflikts in Darfur
haben diesen Kampf bereits verloren . Die 2,6 Millionen
Binnenvertriebenen führen diesen Kampf immer noch .
Wie sich dieser Überlebenskampf anfühlt, beschreibt
ein Binnenvertriebener in Darfur so:
Niemand auf der Welt kümmert es, ob wir überle-
ben, außer Gott und manchmal UNAMID .
Das Zitat beschreibt zum einen, wie weit der Konflikt
dem Radar der Weltöffentlichkeit entrückt ist, und zum
anderen zeigt es, dass die Blauhelme Zivilisten schützen,
aber leider nicht immer und überall; denn diese Friedens-
mission hat mit besonders schwierigen Bedingungen zu
kämpfen . Sie ist eine gemeinsame Aufgabe für die Afri-
kanische Union und die Vereinten Nationen . Das heißt,
sie muss drei stark gegensätzliche Interessenlagen unter
einem Dach vereinen: die des UNO-Sicherheitsrates, die
der Afrikanischen Union und die der sudanesischen Re-
gierung .
Die sudanesische Regierung hat die Friedensmission
nur widerwillig auf chinesischen Druck hin akzeptiert
und tut weiterhin alles, um sie aus dem Land zu drängen .
Dafür ist die Verweigerung von Visa nur das harmloseste
Mittel; denn die regierungstreuen Milizen greifen nicht
nur Zivilisten, sondern auch Blauhelme an . Unter diesen
Bedingungen müssen die knapp 17 000 Soldaten und Po-
lizisten ein Gebiet von der Größe Frankreichs beschüt-
zen . Zum Vergleich: Im winzigen Kosovo waren es bis
zu 40 000 gut ausgebildete Soldaten . Dazu kommt, dass
das Gelände in Darfur bergig ist und kaum ausgebaute
Straßen vorhanden sind .
Unter diesen äußerst schwierigen Voraussetzungen hat
die Friedensmission UNAMID Beachtliches geleistet .
Zentral gelegene Lager für Binnenvertriebene können
die Blauhelme sehr wohl schützen . Gerade die 2 400 ru-
andischen Soldaten in der Mission haben oft ihr eigenes
Leben riskiert, um Zivilisten gegen Angriffe zu verteidi-
gen . Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, UNAMID ret-
tet Menschenleben in Darfur! Wir haben großen Respekt
vor der schwierigen Aufgabe dieser Männer und Frauen
in Uniform . Die neun deutschen Soldaten, eine Frau und
acht Männer, und die vier Landespolizisten leisten unter
schwierigen Bedingungen sehr gute Arbeit . Dafür herz-
lichen Dank!
Lassen Sie uns aber den Blick etwas weiter fassen: Es
brodelt überall am Großen Horn von Afrika: In Somalia
und im Südsudan – wir haben es eben gehört – herrschen
bewaffnete Konflikte. Es gibt den Konflikt zwischen
Äthiopien und Eritrea . Und der Krieg im Jemen ist nur
30 Kilometer von Dschibuti und Eritrea entfernt .
Die Golfmonarchien haben die strategische Bedeu-
tung des Horns von Afrika erkannt . Ja, sie nutzen Eritrea
als Militärbasis in ihrem Kampf gegen die Huthi-Rebel-
len im Jemen .
Wir sollten Eritrea aber nicht Saudi-Arabien und Co .
überlassen . Was dabei herauskommen kann, kann man an
Somalia beispielhaft sehen. Der große Einfluss der sau-
disch geprägten wahhabitischen Prediger in Somalia hat
erst den Boden für al-Schabab bereitet . Auch China ist in
der Region wirtschaftlich stark aktiv, und Menschenrech-
te spielen dabei sicherlich keine Rolle .
Vizepräsident Johannes Singhammer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620858
(C)
(D)
Die angespannte Situation am Horn von Afrika könnte
sich weiter verschärfen; denn mittlerweile werden durch
den Klimawandel noch häufigere und längere Dürrepe-
rioden erwartet . Welchen Sprengstoff das birgt, zeigt
die gegenwärtige Situation in Äthiopien . Die Unruhen
in Äthiopien mögen hauptsächlich ethnisch motiviert
sein – und sie sind absolut zu verurteilen –, aber extre-
me Wasserknappheit und Ernteausfälle verstärken diesen
Konflikt. Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss
uns klar sein: Die Industrieländer sind vorrangig für den
Klimawandel verantwortlich . Deswegen tragen wir auch
eine große Verantwortung, die Folgen dieses Wandels zu
lindern .
Auch beim Kampf gegen den Klimawandel selbst
dürfen wir nicht zurückstecken, gerade auch deswegen
nicht, weil Donald Trump nicht nur die internationalen
Beziehungen, sondern auch das Klima unnötig anheizen
wird .
Da Wassermangel Konflikte verschärft, ist der Kampf ge-
gen den Klimawandel gelebte Krisenprävention . Ja, auch
die bewaffneten Auseinandersetzungen in Darfur began-
nen als Konflikt zwischen Viehzüchtern und Bauern um
knapper werdende Wasserressourcen .
Die Bundesregierung trägt der großen Bedeutung von
Krisenprävention generell Rechnung . So hat Frank-Walter
Steinmeier im Auswärtigen Amt die Abteilung S für Kri-
senprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge ein-
gerichtet . Sein unermüdliches Engagement an vielen Kri-
senherden der Welt verdient unsere volle Unterstützung .
Dieses Engagement soll durch die Leitlinien der Bundes-
regierung für Krisenmanagement, Konfliktbewältigung
und Friedensförderung weiter verstärkt werden . Ja, am
besten ist es, wenn Konflikte gar nicht erst entstehen.
Aktive Krisenprävention ist angesagt . Sie ist jede Mühe
unsererseits wert .
Wenn es aber, wie in Darfur, nicht gelingt, den Kon-
flikt im Vorfeld zu entschärfen, dürfen wir doch nicht nur
zuschauen; denn wir sind nicht nur für das verantwort-
lich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun .
Nichts tun würde bedeuten, dass wir der sudanesischen
Regierung und den anderen Konfliktparteien freie Hand
lassen beim Plündern, Vertreiben und Töten von Zivilis-
ten . Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, brau-
chen wir dort diese Friedensmission . Deswegen müssen
wir uns daran beteiligen .
Meine Fraktion stimmt dem Antrag der Bundesregie-
rung zu, weil wir nicht zuschauen, sondern mithelfen
wollen .
Herzlichen Dank .
Herr Kollege Coße, das war Ihre erste Rede hier im
Deutschen Bundestag . Im Namen der Kolleginnen und
Kollegen gratuliere ich Ihnen dazu .
Zwischenzeitlich liegt das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu
dem Antrag „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Natio-
nen geführten Friedensmission in Südsudan “
vor: abgegebene Stimmen 590 . Mit Ja haben gestimmt
530, mit Nein haben gestimmt 59, Enthaltung 1 . Die Be-
schlussempfehlung ist damit angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 590;
davon
ja: 530
nein: 59
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Jürgen Coße
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20859
(C)
(D)
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt
Patrick Schnieder
Nadine Schön
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg
Dr . Anja Weisgerber
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620860
(C)
(D)
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20861
(C)
(D)
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn
Christian Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
SPD
Christian Petry
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
Enthalten
SPD
Dr . Ute Finckh-Krämer
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten aufgeführt .
Wir fahren jetzt fort in der Aussprache zum Tagesord-
nungspunkt 6 . Ich erteile das Wort der Kollegin Christine
Buchholz für die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 2003
herrscht Krieg in Darfur im Westen Sudans . Präsident
Umar al-Baschir versucht mit allen Mitteln, Kontrolle
über die Provinz zu erlangen und Widerstand zu unter-
drücken . Laut UN sind dort 2,5 Millionen Menschen auf
der Flucht .
Im letzten Jahr sind noch einmal 200 000 Menschen
dazugekommen, die vor den Angriffen der sudanesischen
Armee aus den in Darfur gelegenen Marra-Bergen flohen.
Die Armee hat dabei laut Amnesty International Giftgas
eingesetzt . Über 200 Menschen starben . Amnesty beruft
sich auf Telefonate mit 56 Überlebenden und dokumen-
tiert 32 Fälle, in denen die sudanesische Armee drei ver-
schiedene chemische Waffen eingesetzt haben soll .
Die Bundesregierung sagt, diese Vorwürfe von
Amnesty seien nicht plausibel. Ich finde es schon auffäl-
lig, dass die Bundesregierung dazu, auch auf Nachfragen
im Verteidigungsausschuss, nichts sagen kann oder will .
Mein Eindruck ist: Hinter diesem Schweigen steckt eine
Verschiebung der Prioritäten Ihrer Sudan-Politik .
Unter deutscher Führung hat die EU im März dieses
Jahres ein 40 Millionen Euro teures Programm beschlos-
sen, in dessen Rahmen unter anderem sudanesische
Grenztruppen ausgebildet werden sollen, um Flüchtlinge
auf dem Weg nach Europa aufzuhalten . Wir erinnern uns:
Als vor Jahren der Einsatz der Bundeswehr in Darfur ge-
rechtfertigt wurde, da brandmarkte die Bundesregierung
den sudanesischen Präsidenten Baschir noch als einen
Kriegsverbrecher – zu Recht . Doch wenn es um Flücht-
lingsabwehr geht, strebt die Bundesregierung plötzlich
eine Zusammenarbeit mit ihm an . Das, meine Damen
und Herren, ist ein Skandal .
Auch heute, so scheint es mir, geht es tatsächlich wie-
der um etwas anderes als um das, was Sie proklamieren .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620862
(C)
(D)
Der Einsatz in Darfur ist nur ein weiterer Baustein auf
dem Weg, die Bundeswehr zu einer Armee im internatio-
nalen Dauereinsatz zu machen . Es geht darum, deutschen
Wirtschaftsinteressen auf der internationalen Bühne Gel-
tung zu verschaffen . Und das lehnen wir ab .
Die sudanesische Bevölkerung braucht keine deut-
schen Soldaten, sie braucht auch kein UNAMID, um für
ihre Rechte zu kämpfen . Im November hat ein großes
Bündnis von Oppositionellen einen beeindruckenden
Dreitagestreik organisiert, um gegen massive Preisstei-
gerungen bei Benzin und Grundnahrungsmitteln zu pro-
testieren . Weite Teile der Hauptstadt Khartoum wurden
lahmgelegt . Die Opposition schlägt gleichzeitig die Brü-
cke zu den Menschen, die vom Regime in Darfur unter-
drückt werden . Der Aktivist und Filmemacher Ahmed
Mahmoud sagte dazu:
Die Regierung findet genug Geld, um den Krieg
gegen das Volk der Nuba zu finanzieren, gegen das
Volk in Darfur . Sie bombardieren sie fast jeden Tag .
Wo kommt das Geld her? Wo kommen die absurd
hohen Gehälter der Abgeordneten im Parlament, wo
kommt das Geld für die Armee und für den Geheim-
dienst her? Diese Ressourcen werden im Grunde
Tag für Tag dem Volk gestohlen .
Mahmoud kündigte an: Der Protest wird weitergehen .
Das ist die Hoffnung für die Menschen im Sudan –
nicht die UN-Militärmission, die seit neun Jahren andau-
ert, keinen Frieden gebracht hat und pro Jahr fast 1 Mil-
liarde Euro verschlingt, und auch nicht die Stabsoffiziere
der Bundeswehr, die die Bundesregierung nach Darfur
entsendet .
Vielen Dank, meine Damen und Herren .
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Volker
Mosblech .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Konflikt in der
Region Darfur bleibt auch nach jahrelangen Friedensbe-
mühungen eine humanitäre Tragödie und ein Brennpunkt
auf dem afrikanischen Kontinent . Entführungen, Morde,
Vergewaltigungen und Hungersnöte sind Alltag für viele
Menschen in der westlichen Region des Sudan .
Der innerstaatliche und innerethnische Konflikt hat
unermessliches Leid über die Völker gebracht und wird
auch zukünftig die prekäre Lage von Millionen von
Menschen verschärfen . Die Rede ist von 2,6 Millionen
Binnenvertriebenen, von über 5,8 Millionen Menschen,
die allein in Darfur auf humanitäre Hilfe angewiesen
sind, und von 2 Millionen Kindern unter fünf Jahren, die
akut unterernährt sind . Ein Ende ist in diesem tragischen
Konflikt leider nicht in Sicht. Einzelne Konfliktparteien
stellen sich quer, Feuerpausen werden nicht mitgetragen,
und Friedensgespräche werden boykottiert .
Man könnte angesichts dieser Tragik die Hoffnung in
das Land und die dortigen Entwicklungen verlieren . Für
uns ist das leicht gesagt; doch die Menschen vor Ort ha-
ben keine andere Wahl als Hoffnung: Hoffnung auf eine
bessere Zukunft, Hoffnung auf ein Leben in Frieden,
Hoffnung, dass das Leid ein Ende hat . Wie können wir
zusammen mit unseren internationalen Partnern diesem
Wunsch Rechnung tragen?
Für außenstehende Betrachter sind die Entwicklungen
im Sudan schwer verständlich, da sich hier ein hoch-
komplexes Spannungsfeld zwischen Ethnien, Milizen
und politischen Akteuren auftut . Speziell in Darfur wird
Politik zu oft mit der Waffe in der Hand gemacht, und
zu oft ist letztendlich die unschuldige Bevölkerung das
leidtragende Opfer in dem Ganzen .
Die Gewalt richtet sich aber auch gegen die inter-
nationalen Hilfskräfte, wie die Entführungen von Ent-
wicklungshelfern und die Angriffe gegen Personal der
Vereinten Nationen immer wieder zeigen . Ein internati-
onal begleiteter Friedensprozess kann angesichts dieser
explosiven Gemengelange nur erfolgreich sein, wenn er
robust abgesichert und militärisch unterstützt wird . Hier
nehmen die Soldatinnen und Soldaten von UNAMID
eine unverzichtbare Rolle zur Verbesserung der Sicher-
heitslage und somit zur Begleitung des Friedensprozes-
ses in Darfur wahr .
UNAMID ist nicht Teil des Konfliktes, sondern Teil
seiner Lösung . Die hybride Truppe der UN und der AU
hat einen ordnenden Charakter und bringt eine gewisse
Stabilität in das vorherrschende Chaos . Sie ist nötig, um
den Menschen Hoffnung zu geben . Sie ist nötig, um den
Schutz der Bevölkerung und den Schutz der internati-
onalen Helfer zu gewährleisten, damit mittel- bis lang-
fristig eine Basis für fruchtbare Friedensverhandlungen
geschaffen werden kann .
Jedem in diesem Haus ist bewusst, dass militärische
Mittel allein diesen Konflikt nicht lösen können. Diesem
Faktor begegnen wir daher mit einem stärker vernetzten
Ansatz aus militärischen, polizeilichen und zivilen Kom-
ponenten . Deutschland beteiligt sich neben dem Beitrag
für UNAMID aktiv in Mediation und Rechtsstaatsbera-
tung sowie finanziell im Jahr 2016 mit insgesamt 27 Mil-
lionen Euro für humanitäre Hilfe und Entwicklungszu-
sammenarbeit .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit unserem
anhaltenden Engagement im Sudan senden wir ein deut-
liches Zeichen der Hilfsbereitschaft und Verlässlichkeit
deutscher Außenpolitik . Wer Frieden für Darfur möchte,
muss auch bereit sein, die Konsequenzen, die mit dieser
Forderung einhergehen, zu tragen . Ideologische Graben-
kämpfe auf dem Rücken unserer Soldatinnen und Sol-
daten helfen niemandem, insbesondere nicht denjenigen,
Christine Buchholz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20863
(C)
(D)
deren Leben vom Schutz durch die UNAMID-Soldaten
abhängt .
Die CDU/CSU-Fraktion trägt diese Verantwor-
tung und spricht sich für eine Verlängerung des
UNAMID-Mandates aus . Es ist wichtig, dass wir hier
im Deutschen Bundestag ein Signal der Geschlossenheit
senden und mit einer breiten Mehrheit die Bundeswehr
beauftragten, auch weiterhin Bestandteil von UNAMID
zu bleiben . Mit der Verabschiedung des heutigen Man-
dats können 50 Soldatinnen und Soldaten für Führungs-
und Verbindungsaufgaben sowie Beratungs- und Unter-
stützungsaufgaben eingesetzt werden .
Als einziger europäischer Staat werden wir uns auch
weiterhin verlässlich an der hybriden Mission der AU
und der UN beteiligen und den Friedensprozess von Dar-
fur begleiten . Deutschland unterstützt die Mission mit
derzeit acht Soldatinnen und Soldaten sowie drei Polizis-
ten . Ihnen und all denjenigen, die im Auslandseinsatz für
Deutschland waren und sind, möchte ich heute meinen
allerherzlichsten Dank übermitteln .
Sie können sich sicher sein, dass der überwiegende
Teil dieses Hohen Hauses Ihren Einsatz für unser Land
schätzt und stolz auf Sie ist .
Allen Männern und Frauen der Bundeswehr im In-
und Ausland wünsche ich ein frohes, besinnliches Weih-
nachtsfest und ein gutes neues Jahr wie auch Ihnen, mei-
nen lieben Kolleginnen und Kollegen, den Damen und
Herren auf den Emporen und natürlich auch allen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern dieses Hauses .
Herzlichen Dank .
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr . Frithjof Schmidt,
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit über 13 Jahren steht der Krieg in Darfur
auch für Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung und eth-
nische Säuberungen . Einer der Hauptverantwortlichen
für den Krieg und für diese Verbrechen ist der sudanesi-
sche Präsident al-Baschir . Es ist ein politischer Skandal,
dass er sich bis heute dem internationalen Haftbefehl ge-
gen ihn entziehen konnte . Die Wirkung dieser Straffrei-
heit ist verheerend .
Jetzt hat der schmutzige Krieg in Darfur einen weite-
ren Tiefpunkt erreicht . Die Berichte von Amnesty Inter-
national über einen Giftgaseinsatz in Darfur sind scho-
ckierend . Die Bundesregierung bezieht dazu nur sehr
einsilbig Stellung . Das hat in meiner Fraktion große Ver-
wunderung ausgelöst . Wenn Sie Zweifel an den Amnes-
ty-Berichten haben, dann hätten Sie sich doch zumindest
für eine Aufklärung der Ereignisse einsetzen können .
Notwendig wäre eine umfassende Untersuchung durch
die Organisation für das Verbot chemischer Waffen . Die
Bundesregierung tut aber bisher gar nichts, um eine sol-
che Untersuchung anzustoßen . Das ist nicht in Ordnung,
liebe Kolleginnen und Kollegen .
Der Friedensprozess für Darfur hat bisher kaum Fort-
schritte gemacht . Aber jetzt gibt es kleine Ansätze für
eine positive Entwicklung: Im Oktober dieses Jahres
haben die sudanesische Regierung und zwei Rebellen-
gruppen einen Waffenstillstand geschlossen . Es gibt eine
unterzeichnete Roadmap für neue Friedensverhandlun-
gen . – Das ist ein Hoffnungsschimmer für die Region .
Die Bundesregierung sollte diesen Prozess intensiv be-
gleiten und energisch unterstützen . Es muss auch inter-
national diplomatischer Druck für den Fortgang des Frie-
densprozesses aufgebaut werden .
Doch anstatt das jetzt wirkungsvoll zu tun, plant die
Bundesregierung seit kurzem eine sogenannte Koopera-
tion mit der sudanesischen Regierung in Flüchtlingsfra-
gen . Khartoum soll Geld und Sicherheitstechnik erhalten,
um Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa aufzuhalten .
Was ist das für ein politisches Signal in dieser Situation?
Diese Kooperation wäre doch fast wie eine Einladung an
al-Baschir, mit seiner menschenverachtenden Politik ein-
fach weiterzumachen . Er bleibt ja nicht nur ungestraft;
er wird durch diese Politik als Partner wieder hoffähig
gemacht . Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen . Stoppen Sie diese unseligen Pläne!
Trotz vieler Rückschläge hat UNAMID in den ver-
gangenen Jahren eine sehr wichtige Arbeit geleistet . Die
Mission hat die Versorgung vieler Menschen mit dem
Nötigsten sichergestellt, Hunderttausenden Schutz ge-
boten und wenigstens teilweise Stabilität in der Region
hergestellt . Eine Schwächung oder gar Beendigung der
Mission hätte katastrophale Folgen für die Menschen vor
Ort . Das wäre übrigens auch ein politischer Sieg der ver-
brecherischen Politik der Machthaber in Khartoum . Das
darf auf gar keinen Fall passieren .
Für uns Grüne bleibt UNAMID ein zentraler Faktor
der Nothilfe für die Menschen in Darfur und auch zur
Stabilisierung der gesamten Region . Deshalb werden wir
diesem Mandat auch diesmal zustimmen .
Volker Mosblech
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620864
(C)
(D)
Danke für die Aufmerksamkeit .
Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege
Dr . Bernd Fabritius für die CDU/CSU das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Der Konflikt in der Region Darfur geht in sein
14 . Jahr . Zwischenzeitlichen Beruhigungsphasen folgte
immer wieder ein Aufflammen der Kämpfe. Zuletzt kam
es im Frühjahr 2016 erneut zu intensiven Kampfhand-
lungen mit allen negativen Begleiterscheinungen . Ohne
die UNAMID-Mission bliebe allerdings die Bevölkerung
ohne Schutz vor Gewalt, Verfolgung und Verbrechen .
Dass wir heute den deutschen Beitrag zu dieser Mission
verlängern, halte ich deshalb für unsere Pflicht.
Die anhaltend schlechte Lage der Menschenrech-
te und die katastrophale humanitäre Lage, die heute zu
Recht bereits betont wurde, unter der Millionen Men-
schen, insbesondere Kinder und Frauen, leiden, machen
die UNAMID-Mission umso wichtiger . Dass man da-
bei, Herr Kollege Dr . Schmidt, gezwungenermaßen und
punktuell auch mit einer Regierung interagieren muss,
die diese Lage mitverantwortet und die zu Recht scharf
kritisiert wird, ist doch kein Grund, die Mission an sich
infrage zu stellen .
– Es ist richtig, er hat das nicht gesagt . Ich verlagere nur
die Betonung . Wir besprechen das nachher, Frau Kolle-
gin .
UNAMID steht jedenfalls – und dem wird nicht wi-
dersprochen werden können – aufseiten der Zivilbevöl-
kerung . Sie richtet Schutzzonen ein und sichert diese .
UNAMID erleichtert die Leistung humanitärer Hilfe,
die ebenfalls der Zivilbevölkerung zugutekommt . Wir
mögen in diesem Haus unterschiedliche Auffassungen
zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Allgemeinen
haben . Der humanitäre und protektive Charakter der
UNAMID-Mission, über die wir heute sprechen, sollte
allerdings, liebe Frau Kollegin Buchholz, diese Differen-
zen ausräumen . Die blauen Helme der UNAMID-Sol-
daten bedeuten für die sudanesische Zivilbevölkerung
Schutz und Unterstützung . Deswegen sollte der Deutsche
Bundestag sich heute geschlossen hinter diesen Einsatz
stellen .
Aktuell zeichnen sich wieder hoffnungsvolle Signale
für einen Frieden im Sudan und in der Region Darfur ab .
Im März hat die Afrikanische Union mit der sudanesi-
schen Regierung eine Roadmap verhandelt, welche zu
einem Ende der Kampfhandlungen, zur Schaffung von
Zugängen für humanitäre Hilfe und zu einer erneuten
Annäherung der Konfliktparteien führen soll. Im Au-
gust wurde die Roadmap auch von Teilen der Opposi-
tionsgruppen unterzeichnet . Es wäre natürlich naiv, zu
glauben, dass damit nun ein Frieden in greifbare Nähe
gerückt wäre . Ein wenig Optimismus darf und muss aber
gerade auch im Interesse der sudanesischen Bevölkerung
erlaubt sein .
Die humanitäre Hilfe und der Schutz, der durch
UNAMID ermöglicht wird, verschaffen Erleichterung
und geben Hoffnung . Wenn wir nicht optimistisch auf die
kleinen Fortschritte blicken würden, die auch durch die
UNAMID-Mission zustande kommen, dann würden wir
den persönlichen Einsatz unserer Soldatinnen und Solda-
ten, der Polizisten und zivilen Experten vor Ort kleinre-
den . Und das wäre nicht angemessen .
Erst Anfang November wurden erneut Waffenstill-
stände durch die Regierung sowie zwei Oppositionspar-
teien verkündet . Es sind die Phasen der relativen Ruhe,
in denen die UNAMID-Mission ihrem Auftrag zu – ich
zitiere – „Vermittlungsbemühungen in Konflikten zwi-
schen Bevölkerungsgruppen, einschließlich Maßnah-
men zur Bekämpfung ihrer tieferen Ursachen“, verstärkt
nachkommen kann . Solche Maßnahmen, meine Damen
und Herren, sind es, die zu einem dauerhaften Frieden
führen können . Wir begrüßen deshalb die Bemühungen
eines nationalen Dialoges der sudanesischen Regie-
rung, auch wenn dieser durch das Fernbleiben relevanter
Volksgruppen und Oppositionskräfte bisher nur geringe
Wirkung entfaltet .
Meine Damen und Herren, es ist ein grauenhafter
Konflikt, über den wir heute sprechen: 300 000 Tote und
Millionen Binnenvertriebene . Ich stimme zu, dieser Kon-
flikt ist nur politisch zu lösen. Für dieses Ziel wird auch
die UNAMID-Mission als Teil eines umfassenden Bei-
trags der Bundesrepublik Deutschland zur Beendigung
des Konflikts gebraucht. Der Beitrag umfasst neben der
Beteiligung an UNAMID die Hilfe der Max-Planck-Stif-
tung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit
durch Verfassungsberatung und Demokratieförderung
sowie die Unterstützung des Auswärtigen Amtes bei der
regionalen Rüstungskontrolle zur besseren Überwachung
der Waffenbestände .
Wir tun – zusammenfassend – viel Gutes, und dafür
bitte ich um Ihre Unterstützung . Den Soldatinnen und
Soldaten, die weltweit die heute geschilderten Ziele
verfolgen, danke ich ganz herzlich . Ich wünsche ihnen
und ihren Familien frohe Weihnachten, genau wie Ihnen,
meine Damen und Herren Kollegen im Bundestag .
Danke .
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
Dr. Frithjof Schmidt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20865
(C)
(D)
dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur, UNAMID . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10549, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 18/10189 anzunehmen . Wir stimmen
über die Beschlussempfehlung namentlich ab . Ich bitte
jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen, und nutze die Zeit für den
Hinweis, dass gültige Abstimmungskarten nicht nur bei
der Abstimmungsurne an der Regierungsbank, sondern
auch bei allen anderen hier im Saal befindlichen Abstim-
mungsurnen abgegeben werden können . Sind jetzt alle
Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt? – Das ist der
Fall . Dann eröffne ich die Abstimmung .
Gibt es noch jemanden hier im Saal, der seine Stimm-
karte noch nicht abgegeben hat? – Das ist erkennbar nicht
der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben .1)
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 f
auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr . Gesine Lötzsch, Caren Lay, Herbert Behrens,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Geset-
zes zur Änderung der Abgabenordnung
Drucksache 18/9125
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung der Bundes-Tierärzteordnung
Drucksache 18/10606
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung der Aufbewahrung von Notari-
atsunterlagen und zur Einrichtung des Elek-
tronischen Urkundenarchivs bei der Bundes-
notarkammer
Drucksache 18/10607
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Brennstofflieferungen für belgische Atom-
kraftwerke stoppen
1) Ergebnis Seite 20869 A
Drucksache 18/9676
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Kommunen stärken – Kommunalisierung und
Rekommunalisierung unterstützen
Drucksache 18/10282
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
f) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Regionale Wirtschaftspolitik – Ein integrier-
tes Fördersystem für strukturschwache Regi-
onen in ganz Deutschland schaffen
Drucksache 18/10636
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Dazu übergebe ich an meine Kollegin Edelgard
Bulmahn .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den genannten
Tagesordnungspunkten handelt es sich um Überweisun-
gen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir
kommen zunächst zu zwei Überweisungen, bei denen die
Federführung strittig ist .
Tagesordnungspunkt 33 a . Interfraktionell wird Über-
weisung des Gesetzentwurfs der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/9125 zur Änderung der Abgabenordnung
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen . Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD
wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die
Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Haus-
haltsausschuss .
Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung
beim Haushaltsausschuss . Wer stimmt für diesen Über-
weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist
dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Ko-
alition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Linken abgelehnt worden .
Vizepräsident Johannes Singhammer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620866
(C)
(D)
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag von
CDU/CSU und SPD abstimmen, also Federführung
beim Finanzausschuss . Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich
jemand? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
angenommen worden .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 33 e . Auch
hier ist die Federführung strittig . Der Antrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/10282 mit dem Titel
„Kommunen stärken – Kommunalisierung und Rekom-
munalisierung unterstützen“ soll an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden . Die
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Fe-
derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie,
die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim In-
nenausschuss .
Ich lasse auch hier zunächst über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen . Wer stimmt
für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dage-
gen? – Damit ist auch dieser Überweisungsvorschlag mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position abgelehnt worden .
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abstimmen, Fe-
derführung im Ausschuss für Wirtschaft und Energie .
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht
der Fall . Dann ist dieser Überweisungsvorschlag mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on angenommen worden .
Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen .
Das sind die Tagesordnungspunkte 33 b bis 33 d sowie
der Tagesordnungspunkt 33 f . Interfraktionell wird vor-
geschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie da-
mit einverstanden? – Gibt es jemanden, der dagegen-
stimmt? – Dann ist das so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 c bis 34 m so-
wie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 i auf . Es handelt sich um
die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkt 34 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann
, Katja Kipping, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion DIE LINKE
Abschaffung der Zwangsverrentung von
SGB-II-Leistungsberechtigten
Drucksachen 18/589, 18/5434
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/5434, den Antrag der Frakti-
on Die Linke auf Drucksache 18/589 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist diese Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 34 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
zu den Entwürfen der Kommission für zwei
Rechtsakte zur Festlegung wissenschaftlicher
Kriterien für die Bestimmung endokrinschä-
digender Eigenschaften im Zusammenhang
mit Pflanzenschutzmitteln und Biozidproduk-
(C)
(D)
(C)
(D)
(C)
(D)
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620870
(C)
(D)
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt
Patrick Schnieder
Nadine Schön
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20871
(C)
(D)
Florian Post
Achim Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn
Christian Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
SPD
Christian Petry
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
Enthalten
SPD
Dr . Ute Finckh-Krämer
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten aufgeführt .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620872
(C)
(D)
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zur deutschen
Beteiligung am US-Drohnenkrieg über die
Relaisstation Ramstein
Für die Diskussion liegt mir die Rednerliste schon
vor . Damit kann ich die Aussprache eröffnen . Als erster
Redner hat Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke das
Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re-
den heute über die Beteiligung Deutschlands am völker-
rechtswidrigen US-Drohnenkrieg über Ramstein als Re-
laisstation . Vor zwei Wochen hat hier in der Fragestunde
die Bundesregierung zum ersten Mal nach vielen Jahren
eingeräumt, dass Ramstein eine solche Relaisstation ist .
Jahrelang haben Sie die Öffentlichkeit und dieses Parla-
ment getäuscht . Das lassen wir nicht durchgehen .
Von Kontrollstationen in den USA wird die Kommu-
nikation über ein Glasfaserkabel nach Ramstein geleitet
und von dort via Satellit in die Einsatzgebiete . Bereits
im April 2010 wurde das Verteidigungsministerium von
der US-Regierung über den Bau einer hierfür notwen-
digen – Zitat – „Drohnen-SATCOM-Relais-Einrichtung“
in Ramstein unterrichtet . Seitdem haben zahlreiche Jour-
nalisten, Abgeordnete – Herr Ströbele, Herr Movassat,
Herr Alexander Neu, Gregor Gysi und auch meine We-
nigkeit – immer wieder nachgefragt . Anwälte, Men-
schenrechtsaktivisten, ehemalige Drohnenpiloten, sogar
ein Untersuchungsausschuss des Bundestages haben das
Thema aufgegriffen und die Rolle Ramsteins als unver-
zichtbare Relaisstation bestätigt .
Dreieinhalb Jahre lang antwortete die Bundesregie-
rung, ihr lägen dazu keine Erkenntnisse vor . Über Jahre
wurde diese Formel wiederholt oder einfach die Frage-
stellung verdreht .
Im April 2014 sagte schließlich der ehemalige
US-Drohnenpilot Brandon Bryant hier im Untersu-
chungsausschuss aus und berichtete von seinen über
1 000 Einsätzen, die über Ramstein gingen . Erst danach
schickte die Bundesregierung einen Fragenkatalog an
die US-Botschaft . Mit dessen Beantwortung werde in
wenigen Wochen gerechnet, erklärte mir damals Staats-
sekretärin Professor Maria Böhmer . Damit begann das
Kasperletheater . Es wurde immer wieder gefragt, und es
wurde immer wieder gesagt: Ja, wir haben die US-Seite
nachdrücklich, eindringlich usw . darauf hingewiesen . –
Aber es kam bis zur letzten Sitzungswoche keine Ant-
wort .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-
rung höhlt die parlamentarische Kontrolle aus . Wir wur-
den mit halbseidenen Antworten verhöhnt . Dieser Um-
gang mit dem Fragerecht der Abgeordneten ist völlig
inakzeptabel .
Es sind auch derartige Vorgänge, die das Vertrauen in die
Demokratie untergraben . Das darf nicht sein .
Mit der Duldung des Drohnenkriegs über Ramstein
bricht die Bundesregierung nicht nur das Grundgesetz,
sondern auch Völkerrecht und die universellen Men-
schenrechte . Ich meine damit nicht nur die gezielten Hin-
richtungen ohne Gerichtsverfahren . Mit ihrer gesamten
militärischen Drohnenpolitik der letzten zehn Jahre hat
die US-Regierung die Kriegsführung nicht nur räumlich,
sondern auch völkerrechtlich entgrenzt . Der Einsatz der
US-Kampfdrohnen erfolge als militärische Gewalt und
sei damit auf Basis von Recht und Gesetz, schreibt das
Auswärtige Amt; alles andere seien Einzelfälle, für die
wir zuerst Belege bringen sollten .
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen,
die gezielten Hinrichtungen sind keine Einzelfälle . Wir
können davon fast täglich in den Medien lesen . Es ist
die Bundesregierung, die uns beweisen muss, dass die
Tötungen ohne Gerichtsverfahren über eine Relaisstation
in Ramstein keine Beteiligung an einer völkerrechtlichen
Straftat darstellen .
Die Bundesregierung darf die Militäroperationen von
deutschem Territorium aus nicht erlauben, erst recht
nicht, wenn diese im Verdacht stehen, mit tausendfachen
illegalen Hinrichtungen völkerrechtswidrig zu sein . Das
NATO-Truppenstatut ist kein Freibrief für das US-Mili-
tär . Auch die Bundesregierung hat nach dem Abkommen
Rechte und Pflichten, etwa zur Überprüfung der rechtmä-
ßigen Nutzung der überlassenen Standorte . Kein Gesetz,
keine Konvention der Welt gestattet die Führung von To-
deslisten und die Hinrichtung ohne vorheriges Gerichts-
verfahren .
Das Stationierungsabkommen mit den USA und der
NATO für die Air Base Ramstein muss deshalb gekün-
digt werden .
Statt jetzt selbst in den Drohnenkrieg einzusteigen,
wie es die Bundesregierung mit der eigenen Anschaffung
von Kampfdrohnen des Typs Heron TP plant, wären in-
ternationale Initiativen zur Ächtung oder wenigstens zur
Einhegung des wuchernden Einsatzes von Kampfdroh-
nen notwendig . Ich war letzte Woche bei der UNO in
New York . Ich habe mich da erkundigt, wie der Stand der
Debatte ist . Es gibt sehr wohl Initiativen, leider ohne Ak-
tivitäten von deutscher Seite . Das ist sehr traurig . Setzen
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20873
(C)
(D)
Sie sich endlich für eine Drohnenkonvention ein! Ver-
zichten Sie auf die deutschen Kampfdrohnenpläne, und
schließen Sie Ramstein für den US-Drohnenkrieg!
Vielen Dank .
Als nächster Redner hat Dr . Wadephul für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben auf der Tagesordnung sicherlich eine
der schwierigsten politischen und militärischen Fragen,
was ethische Aspekte angeht . Zu meinem Vorredner
möchte ich nur sagen: Dieses Thema eignet sich nicht
zu der Simplifizierung, die Sie gerade hier angewandt
haben .
– Ich meine, Antiamerikanismus geht bei Ihnen immer .
Aber das wird mit uns nicht zu machen sein, meine sehr
verehrten Damen und Herren .
Antiamerikanismus ist noch keine Politik . Schauen Sie
sich die Thematik doch bitte einmal in aller Ruhe an .
Wir haben ja festgestellt, dass Sie hier die Forderung
erhoben haben, dass man alle vertraglichen Übereinkünf-
te, was Ramstein betrifft, kündigen sollte .
Möglicherweise schlagen Sie uns als Nächstes – auch das
gehört zu Ihrer Agenda – vor, dass wir aus der NATO
austreten
und das Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Ameri-
ka beenden . Ich stelle hier nur in den Raum: Wer meint,
so verantwortliche Außen- und Sicherheitspolitik in der
nächsten Legislaturperiode gestalten zu können, wird
garantiert die Sicherheit und die Freiheit Deutschlands
gefährden,
und davor können wir nur warnen, meine sehr verehrten
Damen und Herren .
Das Thema ist komplex, und es ist schwierig .
– Entschuldigung, ich muss ja erst einmal auf das ant-
worten, Herr Kollege Trittin, was seitens der Linksfrakti-
on hier bisher holzschnittartig vorgetragen wurde .
Ich finde, wir müssen erstens zwischen dem techni-
schen Fluggerät Drohne und zweitens seinem konkreten
Einsatz unterscheiden . Sie haben hier gerade eben im
Übrigen Aufklärungsdrohnen und Kampfdrohnen, die
also zur Bekämpfung geeignet sind, in einem Atemzug
genannt .
– Sie haben eben ein konkretes Gerät genannt .
Dazu sage ich Ihnen: Die Aufklärungsdrohnen, die bei-
spielsweise unsere Soldatinnen und Soldaten einsetzen,
schützen Menschenleben und sorgen dafür, dass unse-
re Soldatinnen und Soldaten einen sichereren Einsatz
durchführen können . Deswegen ist das zunächst einmal
ein richtiger, guter und militärisch zu rechtfertigender
Einsatz von Drohnen .
Die klassische völkerrechtliche Unterscheidung, die
uns natürlich leitet und die das humanitäre Völkerrecht,
das Anfang der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts ko-
difiziert wurde, geprägt hat, nämlich die Unterscheidung
zwischen Kombattanten und Zivilisten, bei der man sich
dann darauf verlassen kann, dass in dieser Auseinander-
setzung die Kombattanten auch wirklich Uniform tragen
und als solche erkennbar sind, gilt eben leider in den
asymmetrischen Auseinandersetzungen, die wir mit al-
Qaida, mit ISIS und anderen Extremisten in dieser Welt
zu führen haben, nicht mehr .
Das muss man zur Kenntnis nehmen, und darauf müssen
wir uns in Zukunft auch einstellen .
Selbstverständlich ist es völkerrechtlich, kriegsvöl-
kerrechtlich zulässig, in militärischen Auseinanderset-
zungen dieser Art auch Kampfdrohnen einzusetzen .
Andrej Hunko
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620874
(C)
(D)
– Das mag umstritten sein . Das haben wir auch hier im
Deutschen Bundestag schon für die deutsche Bundes-
wehr miteinander diskutiert . Darüber muss man sich po-
litisch auseinandersetzen .
Jeder, der den Einsatz von Drohnen verneint, verlangt
ja nur, dass ein Pilot im Flugzeug sitzt und sich einer ent-
sprechenden Lebensgefahr aussetzt .
Wir halten unter diesen Aspekten den Einsatz von
Kampfdrohnen prinzipiell für zulässig,
und ich warne davor, von vornherein den Einsatz dieser
militärischen Mittel hier zu verteufeln Wenn wir diese
Auseinandersetzung gewinnen wollen und wenn wir da-
bei möglichst wenige Leben von Soldatinnen und Solda-
ten gefährden wollen, dann muss man
sich diese technischen Möglichkeiten offenhalten .
Nun kommen wir sicherlich – das will ich Ihnen ohne
Weiteres zugestehen – zu den schwierigen Punkten des
Drohneneinsatzes, der von den Vereinigten Staaten von
Amerika, übrigens unter Präsident Obama,
offenkundig in einem Umfang vermehrt worden ist, wie
wir das nicht erwartet haben . Das steht in einem bemer-
kenswerten Gegensatz dazu, dass nahezu die gesamte
Weltöffentlichkeit bedauert, dass dieser Präsident nun
nicht weiter im Amt ist und nicht von einer Parteifreun-
din sozusagen beerbt wird . Er hat auch hier in Deutsch-
land noch einmal diesen Einsatz von Kampfdrohnen ge-
rechtfertigt, und es ging kein Aufschrei der Empörung
durch Deutschland . Nein, dieser Präsident hat eine große
Unterstützung dafür erhalten .
Die Bundesregierung hat – das möchte ich abschlie-
ßend sagen, Frau Präsidentin – ganz klar festgehalten:
Es gibt keine aktive deutsche Beteiligung an derartigen
gezielten Tötungen, etwa in Form von Racheakten, ohne
dass es ein entsprechendes Gerichtsverfahren gegeben
hat . – Auch wir sind natürlich dieser Auffassung und
würden uns militärisch nie an so etwas beteiligen .
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir
müssen bündnisfähig bleiben, und wir brauchen die Zu-
sammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika
im Rahmen der NATO selbstverständlich auch weiterhin .
Das sollten wir durch diese Fragen nicht erschüttern las-
sen .
Vielen Dank .
Als nächster Redner spricht Hans-Christian Ströbele
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Wadephul, über Ramstein haben Sie nun
keinen Satz verloren, nicht einmal ein Wort .
Ramstein und AFRICOM, das ist aber heute das Thema .
Es geht hier heute bei dem Tagesordnungspunkt „Hal-
tung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung am
US-Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein“ nicht
nur darum, dass gezielte Hinrichtungen ohne jedes Ge-
richtsurteil mit unseren Werten, wie sie im Grundgesetz
verankert sind, mit der Unantastbarkeit der Würde des
Menschen, mit dem Recht auf Leben und mit dem Ver-
bot der Todesstrafe nicht zu vereinbaren sind . Das passt
überhaupt nicht zusammen .
Sie können zwar sagen: Im Kampf gegen den inter-
nationalen Terrorismus sind auch besondere Maßnahmen
erforderlich . – Die grundsätzliche Frage ist jedoch: Geht
das auch so weit, dass wir – so wie das jetzt praktiziert
worden ist – solche gezielten Tötungen zulassen, ihnen
zustimmen oder sie über unser Gebiet abwickeln las-
sen, wenn sie in Gebieten stattfinden, wo überhaupt kein
Krieg herrscht, wenn sie sich gegen Personen richten, die
zu Hause sitzen, die irgendwo auf dem Feld arbeiten, die
in einem Jeep oder in einem Lastwagen – nicht in einem
Militärfahrzeug – durch die Gegend fahren? Gilt das
dann auch? Das kann nicht sein, wenn unsere Werte, die
wir verteidigen wollen, gerade auch in diesem Krieg, in
dieser Auseinandersetzung, gewahrt werden sollen .
Es geht heute speziell in dieser Aktuellen Stunde da-
rum: Was hat die Bundesrepublik Deutschland mit die-
sen Drohneneinsätzen zu tun, die wahrscheinlich von
US-Präsident Obama oder von der US-Administration
befohlen worden sind? Was hat die Bundesregierung da-
mit zu tun? Was haben also wir damit zu tun? Ich kann
Ihnen nur sagen: Wenn es stimmt, dass die Drohnen
über Ramstein an ihr Ziel gelenkt werden und dann auf
den Auslöser für die Rakete gedrückt wird, dann ist die
Dr. Johann Wadephul
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20875
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Bundesrepublik Deutschland mitverantwortlich und mit-
schuldig . Das müssen wir zur Kenntnis nehmen .
Deshalb hat die Bundesregierung all die Jahre auf sol-
che Fragen immer geantwortet: Wir wissen nicht, was sie
da machen . Wir gehen davon aus, dass sie sich an Gesetz
und Recht halten, auch in Deutschland . Das steht in den
Vereinbarungen . Das steht in den Verträgen . – Haben sie
das wirklich gemacht? Hat sich die Bundesregierung bei
den Amerikanern kundig gemacht? Hat sie das gemacht,
was wir gemacht haben? Wir sind nach Ramstein gefah-
ren und haben den kommandierenden General gefragt:
Was machen Sie eigentlich? Was läuft über Ramstein mit
den Drohnen? – Er hat uns genau dasselbe wie Obama
gesagt: Wir lassen keine Drohnen in Deutschland star-
ten . Wir befehligen sie auch nicht in Ramstein . – Nun
hat niemand behauptet, dass sie Drohnen in Deutschland
starten . Das würde überhaupt keinen Sinn machen . Denn
sie könnten gar nicht so weit fliegen, um in Afrika ein-
gesetzt zu werden . Etwas anderes ist auch nie behauptet
worden . Es ist die Frage: Wird die Relaisstation in Ram-
stein genutzt?
Jetzt haben wir hier eine völlig neue Situation, weil
wir vom Außenministerium gehört haben: All das, was
bisher vermutet wurde, was in der Zeit und im Spiegel
stand, bestätigt, dass Relaisstationen die Befehle an die
Einsatzorte der Drohnen weitertragen, und das läuft über
Ramstein .
Der Zeuge Brandon Bryant hat im Untersuchungsaus-
schuss ausgesagt – er war fünf Jahre lang Drohnenpilot
und an unzähligen Tötungen beteiligt –: Vor jedem Ein-
satz haben wir in Ramstein angerufen . Wir hatten an un-
serem Telefon eine Wahlwiederholungstaste, auf die wir
gedrückt haben, um eine Verbindung mit Ramstein zu
bekommen . Erst wenn Ramstein „okay“ gesagt hat, dann
haben wir losgelegt und dann gingen die Befehle aus der
Wüste in den USA über Glasfaser nach Europa und von
dort über die Relaisstation zu den Satelliten . – Das hat er
ausgesagt .
Er hat etwas Weiteres ausgesagt: Die Bundesregierung
war davon unterrichtet . – Das ist ihm immer wieder von
seinen Offizieren, seinen Vorgesetzten versichert worden.
Der Bundesregierung sind die Papiere darüber ausgehän-
digt worden . Sie wusste das alles . Die Bundesregierung
hat uns hier im Bundestag die Unwahrheit gesagt . Sie hat
nicht zu dem gestanden, was sie wusste . Das können wir
nicht hinnehmen . Wir müssen unsere Rechte einklagen .
Wir müssen die Rechte der Öffentlichkeit in Deutschland
einklagen .
Wir verlangen Wahrheit und Klarheit . Nur dann kann
die Bundesregierung wieder glaubwürdig werden .
Deshalb habe ich Strafanzeige gegen die Verantwortli-
chen in Deutschland und in den USA erstattet aufgrund
der klaren Aussage, dass Deutschland bei den Drohnen-
angriffen dabei ist . Ich sage – und kann es nur unterstüt-
zen –: Das darf nicht länger geduldet werden .
Sie können nicht noch drei Jahre verhandeln, sondern
es muss beendet werden . Nach den Auskünften, die die
USA Deutschland gegeben haben, muss jetzt Schluss
sein . Man muss den USA sagen: Diese ganze Tätigkeit
muss sofort eingestellt werden . Die Relaisstationen dort
müssen geschlossen werden .
Herr Kollege .
Es dürfen keine Tötungsbefehle über Deutschland,
über Ramstein gegeben werden .
Thomas Hitschler hat als nächster Redner das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nicht nur Weihnachten steht vor der Tür, son-
dern auch Silvester rückt immer näher – und damit zahl-
reiche Wiederholungen des Klassikers Dinner for One .
Ähnlich wie der Butler James in diesem zeitlosen Sketch
frage ich mich angesichts dieser Aktuellen Stunde: „The
same procedure as last year?“ Wir alle kennen das Stück,
und wir alle wissen, dass es eigentlich nichts wirklich
Neues gibt . Aber wenn der Linkspartei für die Aktuel-
le Stunde nichts Aktuelleres einfällt, schauen wir es uns
eben noch einmal an .
Das immer gleiche Stück der Linkspartei handelt von
den bösen Amerikanern und von der deutschen Betei-
ligung an Völkerrechtsverletzungen . Im Gegensatz zu
Dinner for One, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben
wir es hier aber mit einem sehr ernsten Stoff zu tun .
Es geht um nicht weniger als Leben und Tod . Daher halte
ich es für geboten, diese Debatte zu versachlichen .
Das offizielle Thema dieser Aktuellen Stunde ist die
Haltung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung
Hans-Christian Ströbele
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620876
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am Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein . Aber
seien wir ehrlich: Tatsächlich wollen Sie doch alte Forde-
rungen und Vorwürfe wieder aufwärmen . Ihre Forderung
lautet, den Stützpunkt Ramstein unverzüglich zu schlie-
ßen .
Dazu haben Sie einen Antrag gestellt, den wir im Januar,
soweit ich das richtig im Kopf habe, noch einmal bespre-
chen werden .
Ihr zusätzlicher Vorwurf lautet, die Bundesregierung be-
teilige sich an völkerrechtswidrigen, extralegalen Tötun-
gen .
Beides, liebe Kolleginnen und Kollegen, halte ich für
falsch . Ich sage Ihnen auch gerne, wieso ich das für
falsch halte:
Erstens . Angesichts der aktuellen Entwicklungen in
der Welt will ich erst einmal eines unterstreichen: Eine
gute Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten bleibt
für die Bundesrepublik sicherheitspolitisch von extrem
hoher Bedeutung .
Die Westbindung und die Mitgliedschaft in der NATO
sind seit Jahrzehnten Grundpfeiler der Sicherheit und des
Friedens in Deutschland . Dies in der aktuellen Weltla-
ge aufzukündigen, wäre politisch eine absolute Geister-
fahrt – unverantwortlich und mit uns auch nicht zu ma-
chen .
Teil dieser Zusammenarbeit sind auch die US-amerika-
nischen Stützpunkte auf deutschem Boden wie der in
Ramstein .
Zweitens . Als Pfälzer muss ich Ihnen eines deutlich
sagen: Ramstein zu schließen, so wie Sie es fordern,
wäre ein herber Schlag für die ganze Region .
Die Militärgemeinde Kaiserslautern erzeugt eine jährli-
che Gesamtwertschöpfung für die regionale Wirtschaft
von über 2 Milliarden US-Dollar .
Die US-Streitkräfte sind einer der größten Arbeitgeber
in Rheinland-Pfalz . Gute Zusammenarbeit und regiona-
le wirtschaftliche Interessen bedeuten aber nicht – jetzt
kommt der Punkt, ab dem Sie mir zuhören sollten –, dass
wir völlig unkritisch miteinander umgehen müssen oder
dass wir alles gutheißen müssen, was die andere Seite tut .
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich lehne extralegale ge-
zielte Tötungen absolut ab .
Das ist auch die Position der Bundesregierung; so steht
es schwarz auf weiß im Koalitionsvertrag . Dort ist auch
festgehalten, dass sich Deutschland für eine völkerrecht-
liche Ächtung vollautomatisierter Waffensysteme ein-
setzt .
Ich gehe noch einen Schritt weiter: Extralegale Tötun-
gen außerhalb bewaffneter Konflikte sollten weltweit ge-
ächtet werden – mein Kollege Karl-Heinz Brunner wird
dazu gleich noch etwas sagen –, aber so weit sind wir
leider noch nicht .
Die völkerrechtliche Bewertung des Drohnenkriegs ge-
staltet sich wesentlich schwieriger, als es die Vorwürfe
der Linkspartei suggerieren . Drohnenangriffe weichen
das Völkerrecht auf . Das wird mit allem Recht kriti-
siert . Aber per se völkerrechtswidrig sind sie eben nicht .
Deutschland hat den USA in völkerrechtlichen Verträgen
wie dem NATO-Truppenstatut die Nutzung der Air Base
in Ramstein eingeräumt . Die USA sind dort weder Besat-
zer noch gibt es ein Sonderrecht . Der Stützpunkt bleibt
auf deutschem Boden, und dort gilt deutsches Recht .
Um die zugesicherte Nutzung der Air Base zu verwei-
gern, müsste man hieb- und stichfest nachweisen
– deshalb warten wir das Gerichtsurteil ab –, dass sich die
USA dort nicht an deutsches Recht halten, Herr Ströbele .
Die Vereinigten Staaten haben der Bundesregierung je-
doch wiederholt zugesichert, dass sie deutsches Recht
beachten .
Die Bundesregierung kommt ihrem grundgesetzlichen
Auftrag nach, wenn sie die USA darauf hinweist, dass die
Air Base Ramstein nur in rechtskonformer Weise genutzt
werden darf – so lautet das Urteil des Verwaltungsge-
richts Köln, das aktuelle Geltung hat, Kolleginnen und
Kollegen . Von Ramstein aus werden keine Drohnen ge-
startet und gesteuert
– ich bin sehr dankbar, Herr Ströbele, dass Sie das vorhin
gesagt haben –; das hat auch die amerikanische Regie-
rung immer wieder betont . Die USA nutzen den Stütz-
Thomas Hitschler
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20877
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punkt Ramstein nach den derzeitigen Kenntnissen im
Rahmen des deutschen Rechts . Die von der Linkspartei
konstruierte deutsche Beteiligung am US-Drohnenkrieg
besteht also im Grunde darin, eine rechtskonforme Nut-
zung der Air Base Ramstein nicht zu verweigern .
Das ist am Ende ein rechtlich dünner Vorwurf mit sehr
wenig Neuigkeitswert, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Um es mit den Worten der 90-jährigen Miss Sophie zu
sagen: The same procedure as every year .
Vielen Dank .
Michael Vietz hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Mir geht es heute nicht
darum, ob sich Deutschland direkt oder indirekt über den
Standort Ramstein an militärischen Einsätzen beteiligt .
Es geht mir auch nicht um den Einsatz von Drohnen im
Allgemeinen oder im Speziellen . Vielmehr geht es mir
darum, wie wir mit unserem langjährigen Bündnispartner
USA umgehen .
Deutschland ist keine Insel . Wir können uns nicht von
der Welt abkoppeln . Wir stehen Schulter an Schulter mit
unseren Verbündeten und Partnern für unsere gemeinsa-
men Werte, was wir mit den heutigen Mandatsbeschlüs-
sen erneut unterstrichen haben . Sicherlich: Es gilt dabei,
die notwendige Balance zu halten .
Bei Erhalt und Verteidigung unserer Werte verlieren
wir unsere Grundsätze nicht aus den Augen . Die Einhal-
tung des Völkerrechts sowie der in unserem Land gelten-
den Gesetze sind selbstverständlich .
– Genau . – Fakt ist: Die amerikanische Militärpräsenz in
Deutschland ist ein Zeichen der Bündnissolidarität inner-
halb der NATO . Sie liegt auch in unserem sicherheitspo-
litischen Interesse .
Ramstein ist der größte Militärflugplatz außerhalb
Amerikas . Hier laufen entscheidende Funktionen zusam-
men . Dazu gehört unter anderem die NATO-Kommando-
behörde zur Führung von Luftstreitkräften . Aber auch
humanitäre Einsätze, zum Beispiel die Bekämpfung der
Ebolakrise, wurden und werden hier koordiniert .
Die Rolle von Ramstein beim Einsatz von Drohnen
wird vonseiten der Bundesregierung in einem beharrli-
chen Dialog mit Washington diskutiert; beharrlich heißt
übrigens: nicht schreien, kreischen und Ähnliches . Wir
wissen, dass Drohnen in Ramstein weder starten noch
landen oder gesteuert werden .
Daran hat sich bis jetzt auch nichts geändert . Und auch
die Nutzung als Relaisstation für Steuerungsdaten fällt
meines Erachtens nicht in diesen Bereich; Sie haben sel-
ber in Ihren Beiträgen unterstrichen, dass das nicht wirk-
lich eine neue Erkenntnis, eine neue Datenlage ist . Dies
ist in meinen Augen auch nicht als Beteiligung unseres
Landes an Einsätzen, egal welcher Art, zu werten .
Die Herleitung, dass wir Verantwortung und Kontrolle
über die über Ramstein weitergeleiteten Daten überneh-
men müssen, weil wir das Gelände zur Verfügung stellen,
halte ich schlichtweg für abwegig . Wichtig ist der regel-
mäßige, konstruktive Dialog . Gegenseitiges Vertrauen ist
unabdingbar .
Würde dieses Misstrauen, das wir gegenüber einem un-
serer Verbündeten hier regelmäßig äußern, nur zur Hälfte
gegenüber anderen Akteuren der Weltpolitik geäußert,
wäre der eine oder andere hier in diesem Haus glaub-
würdiger .
Dieses Vertrauen erreichen wir sicher nicht, wenn wir
Reflexen von Misstrauen und Kontrollfantasien nachge-
hen .
– Im Kindergarten habe ich gelernt: Wer am meisten und
am lautesten schreit, hat am Ende nicht immer recht .
Zu unterstellen, dass in Ramstein umfangreich gegen
geltendes Recht verstoßen wird, führt nicht weiter . Es gilt
das humanitäre Völkerrecht, das – wir haben es schon
gehört – den Einsatz von Drohnen nicht verbietet, son-
dern beschränkt . Dabei ist eine pauschale Betrachtung
ausgeschlossen . Es wird grundsätzlich jeder einzelne Fall
geprüft .
Uns allen ist klar, dass die sicherheitspolitische Lage
täglich neue Herausforderungen für uns bereithält . Die
Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ge-
hört mittlerweile zu unserem Alltag; diese wird übrigens
durch die Relaisstation Ramstein auch nicht größer . Al-
lein aufgrund unserer Werte und Grundsätze stehen wir
Thomas Hitschler
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620878
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seit vielen Jahren im Fadenkreuz von Daesh, al-Qaida
und anderen .
Der Dialog über Ziele und Mittel militärischer Aktivi-
täten ist ebenso wichtig wie der Dialog über Einhaltung
von Recht und Gesetz . Beides macht die Bundesregie-
rung mit unseren Partnern, auch wenn die Antworten
manchmal auf sich warten lassen, auch wenn manchmal
nachgehakt werden muss .
Die technische Möglichkeit allein – ich weiß, Sie zi-
tieren gerne Lenin –, Ramstein als Relaisstation zu nut-
zen, hat keinerlei Auswirkungen auf uns . Unsere Partner
wissen um unsere Vorbehalte und berücksichtigen diese .
Manchmal lohnt es sich, einfach weiter in Vertrauen zu
investieren, solange man keine wirklich belastbaren Be-
weise für das Gegenteil hat .
Als nächster Redner hat Alexander Ulrich von der
Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist wirklich sehr interessant, wie insbesondere die
Vertreter der Großen Koalition in diesem Hohen Hause
damit umgehen, dass wir jetzt seit 14 Tagen wissen, dass
in Ramstein das Grundgesetz gebrochen wird .
Es ist wirklich unwürdig, Herr Wadephul und Herr
Hitschler, dass Sie uns, wenn wir dieses Thema hier an-
sprechen – man muss es in einer Aktuellen Stunde an-
sprechen –, Antiamerikanismus vorwerfen . Es gibt kein
anderes Land auf der Erde, das den Drohnenkrieg von
deutschem Boden aus organisiert . Deshalb können wir in
diesem Fall nur die Amerikaner ansprechen .
Das ist auch nichts Neues, Herr Hitschler – genauso we-
nig, wie Dinner for One zu Silvester etwas Neues ist –;
denn wir wissen seit zwei Wochen von Herrn Roth, der
das hier in einer Regierungsbefragung zugestanden hat,
dass die Relaisstation eine wichtige Rolle spielt . Seitdem
müssen wir diesem Thema nachgehen, weil die Bundes-
regierung uns offensichtlich entweder jahrelang belogen
hat oder nur auf das vertraut hat, was die amerikanische
Regierung gesagt hat. Jetzt wissen wir es offiziell, und
deswegen können wir nicht mehr schweigen .
Herr Wadephul und Herr Hitschler, lassen Sie uns das
mal einordnen . Worum geht es hier?
Es geht um den Kampf gegen den Terror . Wir als Linke
sagen es nicht zum ersten Mal – das sage ich hier ganz
deutlich –: Man kann Terrorismus nicht mit Terror be-
kämpfen .
Doch was passiert? Dem Drohnenkrieg, der auch von
Ramstein aus gesteuert wird, sind mittlerweile schon
über 5 000 Zivilisten zum Opfer gefallen . Nicht nur das,
was in Paris oder New York passiert ist, ist Terrorismus .
Es ist auch Terrorismus, wenn unschuldige Menschen im
Jemen umgebracht werden . Auch das ist Terrorismus .
Weil Sie sagten, es sei alles in Ordnung, zitiere ich aus
einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des
Deutschen Bundestages:
Unstreitig ist dagegen, dass Deutschland völker-
deutschem Territorium aus durchgeführt werden,
nicht dulden darf .
Die völkerrechtswidrige „Exekution“ eines Terror-
verdächtigen durch Kampfdrohnen außerhalb eines
bewaffneten Konflikts kann daher, wenn die Bun-
desregierung davon weiß und nicht dagegen protes-
tiert, eine Beteiligung an einem völkerrechtlichen
Delikt darstellen .
Das heißt: Wir wissen jetzt durch Staatsminister Roth,
was von Ramstein aus passiert . Wer dagegen nichts tut,
beteiligt sich daran, verübt Beihilfe zum Mord . – Das
muss so deutlich ausgesprochen werden .
Deshalb muss man es deutlich sagen: Auch wenn es
sich um einen US-Militärstützpunkt handelt und Sie viel-
leicht glauben, dass wir aufgrund unserer Bündnistreue
die Augen verschließen müssen vor dem, was die Ame-
rikaner tun, können wir nicht einfach zur Tagesordnung
übergehen . Herr Hitschler, ich würde mich freuen, wenn
Sie und Ihre Partei sich an Willy Brandt erinnern würden,
der mal gesagt hat: „Vom deutschen Boden darf nie wie-
der Krieg ausgehen .“ Ramstein liegt auf deutschem Bo-
Michael Vietz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20879
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den . Bei Ihrer Rede müsste sich Willy Brandt eigentlich
im Grabe umdrehen .
Ich glaube, seit den NSA-Aktionen, aber spätestens
jetzt können wir nicht einfach mehr auf das vertrauen,
was uns Obama oder andere Mitglieder der US-Regie-
rung jeden Tag sagen, nämlich dass man sich an deut-
sches Recht halte . Spätestens jetzt muss man doch klar
sagen: Offensichtlich machen die Amerikaner auf deut-
schem Boden und unter den Augen der deutschen Bürger
so lange weiter, wie man sie lässt . Nicht nur aufgrund des
Abhörskandals, sondern auch aufgrund der Situation in
Ramstein wissen wir, dass es nicht ausreicht, wenn uns
die US-Regierung sagt, sie halte sich an unser Grundge-
setz . Wahrscheinlich wissen sie gar nicht, was im Grund-
gesetz drinsteht .
Diese Aussage kann der Bundesregierung doch nicht
ausreichen, um die Augen zu verschließen .
Es ist an der Zeit, deutlich zu machen, dass wir diesen
Drohneneinsatz über die Relaisstation in Ramstein ableh-
nen . Das bedeutet auch, dass die Bundesregierung alles
tun muss, um zu überprüfen, was in Ramstein passiert .
Wenn es überprüft ist und festgestellt wurde, was dort
passiert, müssen die Aktionen, die von der Relaisstation
ausgehen, auch gestoppt werden . Das ist das Mindeste,
was man von der Bundesregierung erwarten kann, wenn
sie sich ans Grundgesetz halten will .
Ich komme zum Schluss . Es wird nicht das letzte Mal
sein, dass wir hier im Bundestag darüber reden .
Noch einmal: Das, was Herr Staatsminister Roth ge-
sagt hat, war nicht irgendwann an Silvester bei Dinner
for One, sondern das war vor 14 Tagen . Wir haben seit
14 Tagen eine ganz neue Sachlage . Deshalb wird uns das
Thema auch ins neue Jahr begleiten . Wir als Linke wer-
den die Aktivitäten des Aktionsbündnisses „Stopp Ram-
stein“ unterstützen,
das auch im nächsten Jahr wieder mit Tausenden in der
Westpfalz – ich komme von dort; ich wohne etwa 5 Kilo-
meter von Ramstein entfernt – protestieren wird .
Wir wollen, dass sich Deutschland nicht am Drohnen-
krieg beteiligt . Wir wollen, dass sich Deutschland nicht
am Krieg gegen den Terror beteiligt, wo unschuldige
Menschen ums Leben kommen, wo gemordet wird . Wir
wollen, dass die Relaisstation in Ramstein tatsächlich
geschlossen wird . Deshalb unterstützen wir das Aktions-
bündnis „Stopp Ramstein“ . Ich hoffe, dass nicht nur die
Grünen, sondern auch andere irgendwann wieder einmal
sagen: So geht es nicht, was da passiert .
Vielen Dank .
Doris Barnett hat als nächste Rednerin für die
SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich hoffe, wir sind uns zumindest darin einig, dass wir
seit 70 Jahren ein robustes transatlantisches Verhältnis
zwischen Deutschland und den USA haben . Und das ist
gut so .
Das hat uns geholfen, 70 Jahre in Frieden zu leben, und es
hat uns auch auf dem Weg zur Wiedervereinigung gehol-
fen . Hätten wir dieses Verhältnis nicht, hätten wir – das
hätten Sie gern gemacht – die Amerikaner rausgeschmis-
sen, weiß ich nicht, ob wir heute hier stehen würden .
Natürlich hat dieses transatlantische Verhältnis auch
Höhen und Tiefen erlebt . Natürlich gab es Präsidenten
mit ganz unterschiedlichen Ansätzen, wie der Friede in
der Welt verwirklicht werden kann . Natürlich lässt sich
darüber streiten . Wir werden wahrscheinlich auch mit
dem neuen Präsidenten darüber streiten, was der richtige
Weg sein wird . Darüber kann man reden . Es gibt ja auch
verschiedene Auffassungen .
Ich möchte daran erinnern, dass wir 2002 mit Kanzler
Schröder jemanden hatten, der sich gewehrt hat, der ge-
sagt hat: Den Weg, den Amerika vorgibt, gehen wir nicht
mit .
Wir sind nicht mit in den Irak gezogen . Das zeigt, wie
robust unser Verhältnis zu Amerika ist . Denn dieses Ver-
hältnis hat eben auch diese unterschiedliche Meinung
ausgehalten . Eine emanzipierte Partnerschaft muss so et-
was auch aushalten . Ich bin froh, dass wir nie ernsthafte
Verwerfungen haben .
Die Welt von heute ist in der Tat viel komplizierter
geworden . Das Schlimme ist: Wir wissen heute gar nicht
mehr, wer morgen Freund oder Feind ist . Oder wollen
Sie behaupten, dass Sie das wissen?
Aber wir wissen, dass Amerika unser Freund ist und
unser Verbündeter bleibt . Nichts zu tun, was Sie prak-
tisch vorschlagen, ist für mich keine Option . Gerade jetzt
brauchen wir wieder stabile transatlantische Beziehun-
gen und auch ein stabiles Bündnis . Denken Sie doch ein-
mal daran, was in den letzten Tagen in Syrien geschehen
Alexander Ulrich
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620880
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ist . Wurden dort nicht auch viele zivile unschuldige Men-
schen umgebracht?
Mir ist wichtig, dass wir zusammenarbeiten . Wir müs-
sen auch einander vertrauen . Denn wenn wir anfangen,
dem anderen gegenüber misstrauisch zu werden, dann
fliegt uns das Bündnis um die Ohren.
Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist kein eindi-
mensionales . Es ist nicht auf die militärische Zusam-
menarbeit beschränkt . Diese ist nur eine Facette unserer
wirklich robusten Zusammenarbeit auf ganz, ganz vielen
Gebieten . Aber die militärische Zusammenarbeit ist nicht
unwichtig . Darauf, dass die Amerikaner für uns die Kas-
tanien aus dem Feuer holen – das sage ich Ihnen auch
einmal –, haben wir uns jahrzehntelang ausgeruht .
Jetzt sind wir am Ende der Couch-Potato-Ära ange-
langt .
Das heißt, dass wir selbst wieder viel mehr Verantwor-
tung übernehmen müssen in einem sicherheitspolitisch
verantwortlichen Europa, das sich anscheinend erst bil-
det . Noch sind alle zögerlich und warten nur darauf –
ich darf an die Zeit des Balkankriegs erinnern; es war
schändlich, was sich Europa da geleistet hat –,
dass die Amerikaner eingreifen . Ich kann es nur noch
einmal sagen: Wir sind froh, dass wir solch ein Bündnis
haben .
Aber wir müssen feststellen, dass wir uns aufgrund
unserer Verantwortung auch neue Wege überlegen müs-
sen . Wir in Deutschland haben einen eigenen Weg für
Konfliktlösungen eingeschlagen. Er ist zwar langwierig
und zäh und erleidet auch hin und wieder Rückschläge;
aber am Ende der vielen kleinen Schritte zeigt sich doch
Erfolg . Wir gehen mit unserem Außenminister den Weg
des Gesprächs, des Dialogs, der Diplomatie und auch –
das ist neu – den Weg der parlamentarischen Diplomatie .
Das ist eine neue, große Herausforderung, gerade an uns
Abgeordnete selbst .
Helfen wir, die Feuer auszutreten, bevor es zum Brand
kommt! Verstärken wir den Dialog mit unseren Kolle-
ginnen und Kollegen in der Welt! Nehmen wir Partei für
unsere Kollegen dort, wo sie bedroht werden!
Werden wir laut, wo Menschenleben auf dem Spiel ste-
hen, und zwar nicht nur, wenn unser Partner angeblich an
allem schuld ist! Es gibt auch andere Schuldige .
Mit unserem Partner USA können wir reden, wir
können mit ihm diskutieren, und wir können streiten;
denn wir vertreten immerhin dieselben Werte auf der
Welt, auch wenn wir bei den Zielrichtungen verschiede-
ne Wege gehen und darüber auch weiterhin reden und
im Gespräch bleiben müssen . Wir haben dafür Sorge zu
tragen, dass wir jetzt noch bessere Möglichkeiten be-
kommen, als Abgeordnete mit unseren Kolleginnen und
Kollegen in den USA zu reden . Wir haben das Deutsche
Haus in New York, und auf der anderen Seite des ameri-
kanischen Kontinents in Kalifornien haben wir die Villa
Aurora und jetzt auch noch das Thomas-Mann-Haus . All
diese Einrichtungen können und sollten wir für diesen
notwendigen Dialog nutzen .
Lassen Sie uns nicht wegen einer Relaisstation streiten,
sondern nehmen wir den Dialog auf!
Vielen Dank .
Jürgen Trittin hat als nächster Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kol-
legen von der Großen Koalition scheinen die Waffeng-
attung verwechselt zu haben . Wir reden hier darüber,
ob in völkerrechtswidriger oder fragwürdiger Art und
Weise auf deutschem Boden der Einsatz von Drohnen er-
möglicht wird . Das ist das Thema, nicht aber die Frage:
Wie werfe ich im Interesse von Rheinland-Pfalz und mit
Blick auf die Standortbedingungen und die Gemeinden
dort möglichst viele Nebelgranaten?
Die zweite Nebelgranate, die Sie geworfen haben, ist
die Frage der deutsch-amerikanischen Freundschaft . Frau
Barnett, ich bin zutiefst überzeugt, dass wir mit den USA
gemeinsame Interessen, gemeinsame Werte tragen, üb-
rigens auch in schwierigen Zeiten . Aber gerade da muss
man sagen: Es ist falsch verstandene Freundschaft, wenn
diese Zusammenarbeit und diese Freundschaft nicht auf
dem Boden des Rechts und des Völkerrechts stattfinden.
Dann ist es nicht Freundschaft, sondern falsch .
Sie haben das Beispiel selbst genannt . Ich lasse mir
doch nicht nachsagen, ich sei ein Antiamerikaner gewe-
sen, als eine Bundesregierung, der ich angehört habe,
Folgendes gesagt hat: Das, was die US-Regierung im
Irak macht, ist völkerrechtswidrig . Da machen wir nicht
nur nicht mit, sondern da sorgen wir dafür, dass es eine
Mehrheit im Sicherheitsrat dagegen gibt . – Das war keine
Doris Barnett
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20881
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(D)
Absage an unsere transatlantische Beziehung . Also las-
sen Sie diese Diskussion bitte im Schrank .
Wir reden hier über die Frage: Wie ist es ermöglicht
worden, von deutschem Boden aus in völkerrechtswid-
riger Art und Weise Drohnen einzusetzen? Ich dachte,
da hätten wir einen Konsens . Ich habe die Äußerungen
aus dem Auswärtigen Amt und die Papiere dazu gesehen .
Sie mögen mir politisch nicht passen; aber die offizielle
Auffassung ist: Der Einsatz von Kampfdrohnen ist nicht
in jedem Fall völkerrechtswidrig . Er ist gebunden an die
Voraussetzung, dass es sich um einen bewaffneten Kon-
flikt handelt. – Wenn wir uns die veröffentlichten Daten
der Amerikaner anschauen, dann stellen wir fest: Die
Drohnen werden außerhalb von bewaffneten Konflikten
eingesetzt . Sie werden also auch nach der Rechtsauffas-
sung, die Sie dargelegt haben, in völkerrechtswidriger
Art und Weise eingesetzt .
Das muss doch jetzt eine Handlung zur Folge haben .
Wir können doch nicht mit angucken, wie das, worauf
wir alle uns immer berufen haben, nämlich dass im
Kampf gegen den Terrorismus sich nicht das Recht des
Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts am Ende durch-
setzen wird, von einem unserer Bündnispartner in dieser
Art und Weise mit Füßen getreten wird,
und dies umso mehr, als es mehr als Evidenzen gibt, dass
die Führung dieses Krieges ohne die Logistik über Ram-
stein nicht möglich ist; sie wird dafür genutzt . Wenn sie
dafür genutzt wird, dann müssen Sie als Ausfluss Ihrer
eigenen Rechtsauffassung alles dafür tun, dass das nicht
mehr geschieht, weil Sie sich sonst an dieser Sache mit-
schuldig machen . Das ist der Kern des Problems .
Ich will, damit das nicht zu einer rein juristischen De-
batte wird, noch eine Sache hinzufügen . Herr Vietz, Sie
haben gesagt, die terroristische Bedrohung werde nicht
größer . Doch! Schauen Sie sich an, wie viele Menschen,
wie viele Unbeteiligte gestorben sind – da kann man die
Zahlen der USA oder die Zahlen von NGOs nehmen; das
ist egal –, und schauen Sie sich an, was in Pakistan, in So-
malia und mitten in Afrika – in Ländern, denen niemand
den Krieg erklärt hat – passiert . Diese Drohnenangriffe,
bei denen so viele Zivilisten getötet werden, entwickeln
sich für terroristische Wortführer und Hetzer zur Rekru-
tierungserzählung . Diese Angriffe führen dazu, dass sich
in diesen asymmetrischen Konflikten mehr Menschen
auf die Seite des Terrors stellen .
Deswegen meine dringende Aufforderung an Sie: Tun
Sie alles, damit das beendet wird! Das ist nicht nur im
Sinne des Völkerrechts – wir dürfen keine völkerrechts-
widrigen Operationen von unserem Grund aus erlau-
ben –,
sondern auch in unserem Sicherheitsinteresse . Denn was
dadurch passiert, ist, dass der Terror auf der Welt mehr
Zulauf bekommt . Deswegen: Beenden Sie das!
Anita Schäfer hat als nächste Rednerin für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Als Abgeordnete für Ramstein bin ich
mit der Art vertraut, mit der die Linke die diskutierte
Funktion des Stützpunktes bei amerikanischen Droh-
neneinsätzen immer mal wieder öffentlichkeitswirksam
in Szene zu setzen versucht . So haben die Kollegen Sahra
Wagenknecht und Alexander Ulrich im letzten Sommer
vor den Toren der Basis demonstriert,
nachdem sie angeblich keine Antwort auf ein Schreiben
bekommen hatten, wonach sie sich auf dem Gelände über
die Rolle Ramsteins bei Drohneneinsätzen informieren
wollten . Zu dieser Zeit war allerdings bereits ein Besuch
des Verteidigungsausschusses geplant, der wenig später,
im Oktober dieses Jahres, stattfand; aber das war viel-
leicht nicht schlagzeilenträchtig genug . Herr Dr . Neu,
auch Sie waren ja mit dem Verteidigungsausschuss in
Ramstein zugegen und wurden aufgeklärt .
Die Anziehungskraft Ramsteins für Proteste ist über-
haupt bemerkenswert . Dagegen hat es zum Beispiel lan-
ge gedauert, bis es erst kürzlich die erste vergleichsweise
bescheidene Demonstration gegen den Syrien-Krieg vor
der russischen Botschaft gegeben hat .
Ich habe den Verdacht: Bestünde die Vermutung, dass die
Bombardierung Aleppos über Deutschland unterstützt
würde, wäre das Schweigen ohrenbetäubend .
Vor diesem Hintergrund muss man auch den Titel
dieser Aktuellen Stunde betrachten: Haltung der Bun-
desregierung zur deutschen Beteiligung am völkerrechts-
widrigen US-Drohnenkrieg über die Relaisstation Ram-
Jürgen Trittin
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620882
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(D)
stein . Dazu möchte ich feststellen: Es gibt erstens keinen
völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg und zweitens keine
deutsche Beteiligung daran .
Wenn Sie schon von einem Krieg, also einem bewaff-
neten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts,
ausgehen, ist der Einsatz von Drohnen darin nicht völker-
rechtswidrig . Auch ein unbemanntes Waffensystem ist
nur ein Waffensystem wie andere auch . Natürlich kann
es – genau wie andere Waffensysteme – auf völkerrechts-
widrige Weise eingesetzt werden .
Aber die Amerikaner selbst haben im Sommer dieses
Jahres die Regeln veröffentlicht, nach denen sie Ziele
für Drohnenangriffe auswählen und diese angreifen, ein-
schließlich der Berücksichtigung rechtlicher Grundlagen .
– Sonst würde ich es nicht sagen .
Man kann immer überprüfen, ob ein einzelner An-
griff den Regeln des Völkerrechts entsprochen hat, ein-
schließlich der Frage, ob er tatsächlich im Rahmen ei-
nes bewaffneten Konflikts stattgefunden hat. Aber noch
einmal: Der Einsatz von Drohnen an sich ist eben nicht
völkerrechtswidrig .
Auch die Weiterleitung von Daten über Ramstein stellt
keine deutsche Beteiligung dar . Nur weil Daten durch
Deutschland fließen, ist Deutschland nicht an der Opera-
tion beteiligt, für die sie verwendet werden, noch berührt
das unbedingt deutsches Recht . Andernfalls müssten wir
uns in unserer vernetzten Welt mit allen Vorgängen be-
fassen, bei denen das Internet eine Rolle spielt und Daten
über deutsche Knotenpunkte fließen.
– Das wäre was . – Sie wissen natürlich auch, dass zwei
verschiedene Gerichte einschließlich des Bundesverwal-
tungsgerichts in diesem Jahr verneint haben, dass die
Bundesregierung zur Überwachung der Völkerrechts-
konformität von Drohneneinsätzen verpflichtet ist, die
möglicherweise über Ramstein gesteuert werden . Beide
haben sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts bezogen, wonach der Regierung bei der
Erfüllung ihrer Pflicht zum Schutz des Lebens auf dem
Gebiet der Außen- und Verteidigungspolitik ein weiter
Entscheidungsspielraum zusteht .
Allerdings hat diese Koalition im Koalitionsvertrag
klargestellt, dass wir extralegale, völkerrechtswidrige
Tötungen mit bewaffneten Drohnen kategorisch ableh-
nen,
wobei sich das zunächst auf jetzige und künftige deut-
sche Politik bezieht, aber natürlich eine grundsätzliche
Haltung ist .
Aber unsere amerikanischen Partner sind dem Völker-
recht ebenso verpflichtet wie wir,
und sie haben wiederholt versichert, bei der Nutzung ih-
rer Einrichtungen in Ramstein deutsches und internatio-
nales Recht zu achten,
wie es ja unter engen Verbündeten auch selbstverständ-
lich ist . Uns verbinden schließlich Jahrzehnte vertrauens-
voller Zusammenarbeit für die gemeinsame Sicherheit,
und ich denke, das können Sie nicht abstreiten .
Natürlich wird die Linke weiter von Völkerrechtswid-
rigkeit und deutscher Beteiligung reden . Nur: Richtiger
wird es nicht .
Danke .
Als nächster Redner spricht Dr . Brunner für die
SPD-Fraktion .
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Wenn wir heute in der Aktuellen Stun-
de des Bundestags über das amerikanische Drohnen-
programm sprechen, dann sollten wir dies beim Namen
nennen und nicht Ramstein als Medium nutzen für Dinge
wie den Austritt aus der NATO, den Austritt aus Bündnis-
sen und die Aufkündigung der deutsch-amerikanischen
Freundschaft . Wir sollten das nicht „Ramstein“ nennen .
Um was geht es denn heute? Was haben wir heute
diskutiert? Was bewegt uns heute? Es bewegen uns die
extralegalen gezielten Tötungen von Menschen, Tö-
tungen außerhalb von Regionen bewaffneter Konflikte,
Tötungen außerhalb von Rechtsstaatlichkeit, außerhalb
Anita Schäfer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20883
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(D)
des Kriegsvölkerrechts . Dabei geht es um Unrecht, um
Unrecht in der Form, dass der Verdacht, sich in terroris-
tischen Organisationen zu engagieren, als ausreichend
angesehen wird, und vor allem um Unrecht, bei dem
häufig – ja, sogar sehr oft – Zivilisten betroffen sind. Das
ist Unrecht . Das muss unter Freunden, auch den ameri-
kanischen, ganz klar und deutlich gesagt werden . Das ist
normal .
Deshalb hat die Bundesregierung dieses Thema – und
hier sind wir wieder bei Ramstein – wiederholt und be-
harrlich und nicht nur, weil im Koalitionsvertrag steht:
Extralegale Tötungen sind ausgeschlossen, gegenüber
den US-amerikanischen Behörden auch angesprochen .
Ende August, verehrte Kolleginnen und Kollegen auch
von den Linken, wurden die neuen Informationen seitens
der Amerikaner übermittelt . Sie wurden unmittelbar auch
an die Obleute weitergegeben, sodass diese informiert
und umfassend in Kenntnis gesetzt sind .
Es ist nicht meine Aufgabe als Abgeordneter, aber
bei ordnungsgemäßer Information weiß man dies: Die
deutsche Regierung fordert weiterhin die Einhaltung
deutschen Rechts, unseres Grundgesetzes, in Ramstein
ein . Die Vereinigten Staaten haben, zumindest bis zum
heutigen Zeitpunkt, erklärt, dass sie deutsches Recht in
Deutschland auch anwenden, und das ist für uns Grund-
lage .
Damit wären wir beim Thema Ramstein . Ich möchte
aber sagen: Das größte Problem der Logik des US-Droh-
nenprogramms und der sogenannten Targeted Killings ist
nicht der Ort – Ramstein –, von wo sie gesteuert werden,
sondern das ist die Tatsache, dass sich das Relais überall
auf dieser Welt befinden kann.
Ist es heute nicht Ramstein, so ist es übermorgen Tim-
buktu oder irgendein anderer Ort dieser Welt .
Meine Kolleginnen und Kollegen, legen Sie sich
nicht auf Ramstein fest . Das Problem ist die räumliche
und zeitliche Entgrenzung von Kriegen, der permanente
Selbstverteidigungsfall im Kampf gegen den Terroris-
mus und das Schaffen gefährlicher Präzedenzfälle der
Kriegsführung für künftige Generationen .
Deshalb haben wir als SPD-Mitglieder des Unteraus-
schusses Abrüstung bereits im vergangenen Sommer ein
Positionspapier erarbeitet, das fordert, dass die Praxis der
extralegalen Tötungen nicht nur beseitigt, sondern durch
das deutsche Parlament, den obersten Souverän, auch ge-
ächtet wird, damit das Thema in die internationale De-
batte eingespeist wird . Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union, ich habe die Bitte, dass Sie sich unserem
Papier möglichst schnell anschließen, damit wir in die
entsprechenden Diskussionen auf internationaler Ebene,
in der Europäischen Union und in den Vereinten Nati-
onen, eintreten können, um extralegale Tötungen auch
weltweit zu ächten .
Es geht nicht primär um Ramstein und um die Fra-
ge, die wir hier im Hause diskutieren, sondern es geht
letztendlich um Recht, Anstand und Menschenwürde;
denn werden Drohnen, gleich welcher Art, gesteuert und
außerhalb von Kriegsgebieten eingesetzt, bedeutet dies
nicht nur traumatisierte Opfer und dauernd in Angst le-
bende Menschen, sondern auch einen ständigen Bruch
unseres Völkerrechts .
Ich glaube, dass Drohnen niemals Kriege befrieden
und dass sie auch niemals zur Selbstverteidigung im Sin-
ne von Artikel 51 der UN-Charta genutzt werden können
und dürfen . Das wäre nämlich falsch . Damit würden wir
nur der Logik der Terroristen folgen .
Deshalb werbe ich dafür, dass wir in diesem Hohen
Hause als hoher Souverän extralegale Tötungen noch in
dieser Legislaturperiode gemeinsam ächten und dies in
den internationalen Prozess einspeisen, womit wir sie an
der Wurzel bekämpfen und wir nicht an den Symptomen
herumdoktern würden .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Florian Hahn hat als nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Schon der Titel Ihrer Aktuellen Stunde – ursprüng-
lich lautete er sogar „Beteiligung am völkerrechts-
widrigen US-Drohnenkrieg“ – zeigt, worauf es Ihnen
ankommt, nämlich auf das Kochen einer großen, trüben
Drohnensuppe, in der alles mit allem vermischt wird –
Hauptsache, am Ende riecht es übel und die USA sind an
allem schuld . In Ihrer schlichten Weltsicht gilt: Drohne
plus USA ist gleich böse .
Es geht Ihnen eigentlich nicht um Ramstein oder
Drohnen, sondern um Antiamerikanismus pur, und es
geht Ihnen nicht um das Recht – weder um das deutsche
noch um das Völkerrecht .
Dr. Karl-Heinz Brunner
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620884
(C)
(D)
Genau dieser Ansatz ist aber fatal . Das Völkerrecht ist ei-
nes der Fundamente der freiheitlichen Weltordnung, ein
Maßstab, auf den sich alle geeinigt haben .
Es ist Ausdruck der kondensierten Erfahrungen aus Jahr-
hunderten von Krieg und Elend . Mit dem pauschalisier-
ten, instrumentalisierten, ja, schlampigen Gebrauch ent-
werten Sie diese fundamentalen Normen .
Wir müssen präzisieren und den Einzelfall genau be-
trachten . Daher darf eben nicht alles, was mit Drohnen zu
tun hat, in einen Topf geworfen werden . Auf Differenzie-
rung dürfen wir nicht verzichten . Was steht also in Rede?
Eine angebliche deutsche Beteiligung am US-Drohnen-
krieg .
Die Bundesregierung und die Vorredner der Koalition
haben darauf hingewiesen: Die USA haben wiederholt
bestätigt, dass Drohneneinsätze der von Ihnen beschrie-
benen Art von Ramstein weder gestartet noch gesteuert
werden .
Allerdings nutzen die USA bei den Drohneneinsätzen
von anderen Einsatzorten aus unter anderem auch die
Relaisstation in Ramstein zum Datentransfer und gege-
benenfalls für bestimmte Planungs-, Überwachungs- und
Auswertungsaufgaben . Zu Einzelfragen solcher Einsätze
ist die Bundesregierung mit der US-Regierung im inten-
siven Gespräch .
Die USA haben zugesichert, dass die Aktivitäten der
US-Militärbasis in Deutschland in Übereinstimmung mit
geltendem Recht erfolgen . Bis zur näheren Klärung ver-
trauen wir auf diese Zusicherung .
Gespräche und Vertrauen sind der einzig richtige Weg,
wie man mit dem engsten Verbündeten umgeht, der uns
70 Jahre lang geholfen hat, unsere Freiheit zu bewahren .
Die Tatsache, dass die USA die amerikanische Mi-
litärinfrastruktur in Deutschland zum Datentransfer
für Drohnenoperationen nutzen, ist allein ohnehin kein
Grund für Kritik . Einsätze unbewaffneter oder bewaffne-
ter Drohnen sind eben nicht per se rechtswidrig . Bei Ein-
sätzen in bewaffneten Konflikten müssen wir vielmehr
sauber unterscheiden . Wie jede Waffe, zum Beispiel ein
Schweizer Taschenmesser, kann auch eine bewaffnete
Drohne rechtswidrig eingesetzt werden: bei Angriffen
auf unzulässige Ziele, unter Vernachlässigung des Schut-
zes der Zivilbevölkerung oder zur ungerechtfertigten Tö-
tung außerhalb bewaffneter Konflikte.
Sie kann aber auch rechtmäßig angewendet werden:
im Kriegsgebiet gegen militärische Gegner, ohne unnö-
tiges Leiden zu verursachen oder Zivilisten zu treffen .
Auch eine Drohne kann differenzierend nur gegen Kom-
battanten eingesetzt werden .
Sie kann das Exzessverbot wesentlich besser beachten
als andere Waffensysteme . Drohnen haben zudem die
Möglichkeit, stundenlang über dem Einsatzgebiet zu flie-
gen und mit Kameras die Umstände vor Ort genau zu be-
obachten . Erst wenn klar ist, dass sich nur Militärisches
im Zielgebiet befindet, kann der Einsatzbefehl gegeben
werden. Das macht Drohnen gegenüber Kampfflugzeu-
gen oder Artillerie deutlich überlegen . Durch präzisere
Luftschläge sinkt das Risiko für die Zivilbevölkerung .
Auch die gezielte Tötung bestimmter Personen kann
in bewaffneten Konflikten rechtmäßig sein. Es bleibt
also die entscheidende Frage zu klären, welche Art von
Einsätzen in Rede steht . Drohneneinsätze pauschal zu
verurteilen, ist absurd . Sie sollten noch einmal die Ent-
wicklung der amerikanischen Drohneneinsätze genau
betrachten .
Ihr Bild entspricht schon lange nicht mehr der Realität .
Die Zahl der Drohnenangriffe ist in den letzten Jahren
stark zurückgegangen, ebenso wie die Zahl ziviler Opfer .
Das zeigen die vorliegenden Daten, und das bestätigen
auch NGOs .
Die USA haben sich unter Präsident Obama entschie-
den, den Einsatz von Drohnen zunehmend strikteren, am
Völkerrecht ausgerichteten Regeln zu unterwerfen und
transparenter zu machen . Die neuen Grundsätze der USA
für den Drohneneinsatz sind allgemein zugänglich . Sie
sollten sie noch einmal intensiv lesen .
Wenn es also um die Bereitstellung militärischer In-
frastruktur in Deutschland geht, so sollten wir den USA
klarmachen: Wir sind dazu bereit, wenn es um völker-
rechtskonforme Einsätze geht . Ich sehe die Bundesregie-
rung hier auf einem guten Weg .
Abschließend möchte ich Ihnen noch sagen: Die Vor-
stellung, man könne dem Terror nur mit einem Stuhlkreis
und ohne Gewalt begegnen, ist aus meiner Sicht reichlich
naiv und gefährlich .
Roderich Kiesewetter hat jetzt als Redner für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Florian Hahn
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20885
(C)
(D)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende die-
ser doch sehr ernsthaft geführten Debatte liegen mir drei
Dinge am Herzen, die es zur weiteren Einordnung des
Themas anzusprechen gilt . – Es ist erstaunlich, dass Sie
jetzt verstummen, Sie haben ja recht laut begonnen auf
der linken Seite .
– Das freut mich, das ist auch notwendig .
Es ist nichts Neues, worüber wir heute sprechen .
Die Antworten der Bundesregierung, die sie in der Fra-
gestunde vor 14 Tagen gegeben hat, sind auch für das
Parlament nichts Neues .
Erster Aspekt . Im August hat die Bundesregierung In-
formationen der Vereinigten Staaten von Amerika erhal-
ten und die Obleute des Auswärtigen Ausschusses unmit-
telbar im September informiert . – Völlig richtig, zeitnah
und angemessen . Nur: Wieso kam es dazu?
Das ist dem jahrelangen Engagement der Bundesregie-
rung über mehrere Legislaturperioden hinweg zu verdan-
ken, die auf die Amerikaner eingewirkt hat, Informatio-
nen über diese Thematik weiterzugeben .
Ein zweiter Aspekt ist für mich ganz entscheidend .
Genau am 1 . Juli dieses Jahres hat der US-Präsident eine
Weisung erlassen, in der er deutlich macht, wie im Droh-
nenkrieg künftig vorzugehen ist . Zugleich hat er einen
Bericht angefordert, der nun jedes Jahr im Frühjahr die
Öffentlichkeit, aber auch den amerikanischen Senat und
den Kongress über die zivilen Opfer des Drohnenkrieges
bzw . über die entstandenen Kollateralschäden informie-
ren soll .
Die US-Regierung hat diesen Bericht gemeinsam mit
Nichtregierungsorganisationen entwickelt .
Ich denke, auch das ist der internationalen Diplomatie
und dem Wirken der Bundesregierung in einem gewissen
Maße zu verdanken . Das sollten wir honorieren .
Ein dritter Aspekt . Unsere Bundeskanzlerin hat am
9 . November dieses Jahres unmittelbar nach den Wahlen
dem neuen, designierten US-Präsidenten nicht nur gra-
tuliert, sondern sehr klar die Wertebasis angesprochen,
auf der die US- und deutsche Partnerschaft beruht . Diese
Partnerschaft ist nicht nur für Deutschland, sondern ge-
wiss auch für die USA unverzichtbar . Sie gründet auf den
Menschenrechten und auf gegenseitiger Wertschätzung .
Wesentlich ist hierbei, dass die Bundeskanzlerin ge-
nau darauf verwiesen hat, und wir werden auch als Koali-
tion die neue US-Regierung an dem messen, was die alte
Administration entschieden hat . Deshalb bin ich sehr zu-
versichtlich, dass die USA – weil sie in ihrer Politik des
Ausgleichs auch weltweite Unterstützung benötigen – in
Zukunft sehr große Aufmerksamkeit für dieses sensible
Thema aufbringen werden .
Lassen Sie mich deshalb abschließend darauf verwei-
sen, dass die USA im Jahr 2007 die Einsatzregeln des
Drohnenkrieges aufgrund der Ereignisse in Afghanistan
erheblich verschärft haben .
Sie von der Opposition sollten sich lieber darüber infor-
mieren, statt ständig Ihr Schema zu wiederholen . Das
wird dadurch nicht besser, lieber Herr Ströbele .
Da wir heute über unsere Alliierten in Deutschland
sprechen, möchte ich an dieser Stelle auch sehr klar den
US-amerikanischen Soldaten und ihren Angehörigen in
Deutschland Danke sagen, dass sie fern der Heimat einen
guten und notwendigen Dienst für die Sicherheit leisten,
der nicht immer einfach ist, auch nicht in Ramstein .
Herzlichen Dank .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Ak-
tuelle Stunde .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent-
wurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des
Conterganstiftungsgesetzes
Drucksache 18/10378
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Drucksache 18/10670
Zu diesem Gesetzentwurf liegen ein Änderungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie zwei Ent-
schließungsanträge der Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620886
(C)
(D)
Ich eröffne die Debatte . Als erste Rednerin hat die Par-
lamentarische Staatssekretärin Frau Marks das Wort . –
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, sich zügig zu
setzen .
C
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Contergan
steht für einen der schlimmsten Medizinskandale in der
Bundesrepublik . Durch dieses thalidomidhaltige Schlaf-
mittel, nicht geprüft auf seine Auswirkungen auf Föten,
sind Kinder mit unterschiedlich schweren Missbildun-
gen, vor allem an den Gliedmaßen, geboren worden . Das
Leben mit diesen Schädigungen und auch die Bewälti-
gung des Alltags sind und bleiben alles andere als leicht .
Der Staat hat Verantwortung gezeigt, die Contergan-
stiftung eingerichtet und die ursprünglich von der Firma
Grünenthal eingebrachten Mittel mehrfach aufgestockt,
vor allem in den letzten Jahren durch Beschlüsse des
Parlaments . Die Conterganstiftung gewährt Kapitalent-
schädigungen, seit 2013 deutlich verbesserte Conter-
ganrenten und, ebenfalls seit 2013, neue Leistungen für
die spezifischen Bedarfe. Das war auch dringend nötig.
Denn bei Contergangeschädigten machen sich jetzt, nach
über 50 Jahren, die körperlichen Überlastungen und Ver-
schleißerscheinungen deutlich bemerkbar .
Viele Contergangeschädigte haben beispielsweise
Mund und Gebiss für Tätigkeiten nutzen müssen, für die
wir Arme und Hände gebrauchen . Die Folge sind Schä-
digungen im Schulter- und Nackenbereich, aber auch
starke Schmerzen und Abnutzung der Zähne. Häufig sind
spezielle Therapien sowie eine kieferorthopädische Be-
handlung des Gebisses notwendig .
Hier sollten die Leistungen für spezifische Bedarfe
helfen . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die dies-
jährige Evaluation des Gesetzes hat aufgezeigt, dass die
Leistungen nicht so bei den Betroffenen ankommen wie
gewünscht und auch wie nötig . Das Antragsverfahren ist
zu kompliziert, und viele Bedarfe sind nicht optimal ab-
gedeckt . Bis Ende 2015 wurden erst 5 Millionen Euro
abgerufen .
Es geht darum, dass die Geschädigten die Hilfen er-
halten, die für sie vorgesehen sind und die sie auch brau-
chen . Daher freue ich mich, dass die Empfehlungen des
Evaluationsberichtes umgesetzt werden . Ab dem 1 . Janu-
ar 2017 wird es zu einer Pauschalierung der Leistungen
für spezifische Bedarfe kommen. Die Pauschalierung
folgt auch dem Wunsch der Betroffenen . Die jährlichen
Pauschalen richten sich nach dem Grad der Beeinträchti-
gung . Damit sorgen wir für eine gerechte Verteilung der
Mittel und für eine weitgehende Gleichbehandlung aller
Betroffenen . Der Sockelbetrag kommt allen zugute, den
geringer Geschädigten in besonderer Weise . Die Pau-
schalen sind so gestaltet, dass die Betroffenen sie eigen-
verantwortlich verwenden können . Es wird keine Einzel-
fallprüfung mehr geben . Das spart Bürokratie . Aber was
viel wichtiger ist: Wir entlasten die Betroffenen, und die
Hilfen für spezifische Bedarfe kommen umfänglich bei
ihnen an .
Während der Beratungen über diesen Gesetzentwurf
war auch die Struktur der Stiftung ein Thema . Für eine
Veränderung wollen wir uns die Zeit nehmen, die für ein
solches Vorhaben notwendig ist . Als Grundlage dafür
wollen wir in Abstimmung mit dem Stiftungsvorstand
und dem Stiftungsrat ein Gutachten in Auftrag geben,
das die Stiftungsstruktur analysiert . Ich möchte mich an
dieser Stelle herzlich bei den Koalitionsfraktionen für
den guten Gesetzentwurf und die notwendige Weiterent-
wicklung der Hilfen für Contergangeschädigte bedanken .
Mein besonderer Dank geht an den Stiftungsvorstand für
seine engagierte und ehrenamtliche Arbeit im Sinne der
Betroffenen . Ebenfalls bedanke ich mich beim Stiftungs-
rat . Es ist auch dem Wirken der Stiftung zu verdanken,
dass die spezifischen Bedarfe nun zu einer wirklichen
Hilfe, die bei den Betroffenen ankommt, weiterentwi-
ckelt wurden . Dafür herzlichen Dank .
Als nächste Rednerin hat Katrin Werner für die Frak-
tion Die Linke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wir beraten heute ab-
schließend über den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Conterganstiftungsgesetzes . Ich möchte
mit einem Zitat beginnen:
Der Conterganskandal ist einer der größten Ge-
sundheitsskandale in Deutschland und hatte Aus-
wirkungen auch auf viele andere Länder in der
Europäischen Union . Ich will hier vor allem an die
zahlreichen Opfer erinnern, die jetzt meist in den
50er-Jahren sind .
Ein Stück weiter heißt es:
Viele von ihnen wurden nach mühevollem und
jahrelangem Kampf entschädigt . Andere haben bis
heute nur wenig Unterstützung erfahren, und gerade
diese Opfer dürfen wir nicht vergessen .
Es steht außer Frage, dass mein Heimatland
Deutschland bei der Aufarbeitung des Skandals eine
nicht ganz rühmliche Rolle gespielt hat und daher
auch eine Verantwortung mitträgt .
Dieses Zitat stammt aus der Rede, die Ihre Kollegin
Susanne Melior, meine Damen und Herren von der SPD,
gestern Abend im Europäischen Parlament gehalten
hat . Hier ist Europa wieder ein Stück weiter als wir in
Deutschland .
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20887
(C)
(D)
Natürlich haben wir große Fortschritte erreicht, zum
Beispiel mit der von den Betroffenen geforderten Pau-
schalisierung . Aber dabei wurden andere Fragen verges-
sen, zum Beispiel die Fragen nach den Hinterbliebenen
und der Höhe der Pauschalisierung . Die nun festgelegten
Beträge reichen zum Teil nicht für einen auskömmlichen
Ausgleich aus . Wenn man sich etwas nicht leisten kann,
braucht man eine Kapitalisierung . Angesichts des Alters
der Betroffenen, die früher Kinder waren und heute an
die 50 oder älter sind, stellt sich die Frage, ob sie über-
haupt noch Kredite aufnehmen können . All diese Fragen
sind nicht beantwortet .
Angesichts der Tatsache, dass die Betroffenen am
Anfang des Skandals jahrelang kämpfen mussten, ist die
Einsetzung einer Historikerkommission notwendig, die
diesen Skandal richtig aufarbeitet .
Ich vermute, dass viele von Ihnen, die sich mit diesem
Thema befassen, im September den Film Der geheime
Deal – Die dunkle Geschichte des Contergan-Skandals
auf WDR gesehen haben . Wer den Film gesehen hat,
weiß, dass noch viele Fragen offen sind . Diese sollten
schleunigst beantwortet werden . Bevor man aber eine
Historikerkommission einsetzt – natürlich unter Betei-
ligung der Betroffenen –, sollte nicht die Aufarbeitung
durch eine Landesregierung, sondern eine Entschuldi-
gung dieses Hauses an erster Stelle stehen .
Ja, der Änderungsantrag hat viel vorangebracht, und
auch die Tatsache, dass die Strukturfrage getrennt be-
handelt wird, hat viel geändert . Wir werden uns trotz-
dem enthalten, weil ich glaube, dass wir an den Anfang
zurückgehen müssen, um zu verstehen, woher diese
geballte Ladung an Frust kommt . Erst dann kann man
verstehen, warum die Arbeitsweise und die Struktur das
Problem sind. Ich finde, die Strukturfrage ist nicht ganz
herausgelöst worden .
Wir haben zwei Entschließungsanträge eingebracht .
In einem dieser Anträge gehen wir auf die Struktur ein
und fordern, dass Mediatoren eingesetzt werden, um den
Prozess voranzubringen . Man muss sich schon mit der
Frage auseinandersetzen, wem die Stiftung gehört . Die
Betroffenen haben das Gefühl, dass das ihre Stiftung ist .
Wenn man auf die Geschichte zurückblickt, dann sieht
man, dass sich Eltern heute teilweise Vorwürfe machen,
dass sie diesen Deal eingegangen sind . Insofern muss
man Verständnis für den Wunsch haben, dass diese Stif-
tung den Betroffenen gehören soll . Wir als Vertreter von
Parteien sind gewohnt, dass einem dann etwas gehört,
wenn man die Mehrheit hat. Wir müssen Wege finden,
wie man die Betroffenen mitnehmen und ihnen diese
Mehrheit verschaffen kann .
Um noch einmal auf das Europäische Parlament zu-
rückzukommen: Die Frage hat auch eine internationale
Komponente, sie ist auch europäisch . Daher fordern wir
in unserem Antrag die Erstellung einer wissenschaftli-
chen Studie . Darin soll untersucht werden, wie man in
anderen europäischen Ländern mit den Opfern tatsäch-
lich umgeht . Immer wieder hören wir von einem jahre-
langen Kampf der Menschen, die jahrelang nicht wahr-
genommen werden. Sie befinden sich teilweise in einem
verbitterten Modus, den man aber auch verstehen muss .
Wir haben jetzt einen Schritt nach vorne gemacht,
dennoch enthalten wir uns, weil uns einige Aspekte feh-
len . Aber mein Appell ist, den weiteren Schritt nicht mit
einer Zweijahresstudie noch weiter in die Länge zu zie-
hen, sondern schnell eine solche Kommission einzurich-
ten und schnell Gespräche des Bundesgesundheitsmi-
nisteriums anzuberaumen . Im Europäischen Parlament
wurde gestern gesagt, dass man einen runden Tisch mit
dem Gesundheitsminister anstrebt . Da kann Deutschland
eine Vorreiterrolle einnehmen und dieses Gespräch vo-
rantreiben . Damit kann Deutschland ein Stück Aufarbei-
tung leisten .
Danke .
Maik Beermann hat für die CDU/CSU-Fraktion jetzt
das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Werner,
das waren sehr versöhnliche Worte . Ich glaube, dass das
ein sehr besonderes Thema ist, ein Thema, das mit vie-
len Emotionen verbunden ist, bei dem es sich definitiv
nicht lohnt, dass Regierungsfraktionen und Opposition
sich darüber streiten . Wir sollten vielmehr versuchen, das
Bestmögliche auf den Weg zu bringen . Dazu habe ich die
Hoffnung .
In meinem Skript steht, dass ich mich freuen würde,
wenn auch die Opposition zustimmt . Sie haben schon ge-
sagt, dass es um die Struktur geht . Wenn wir noch das
eine oder andere auf den Weg bringen, dann bekommen
wir es vielleicht doch hin, dass wir gemeinsam einen Be-
schluss erwirken .
– Das finde ich auch gut, definitiv.
Mit dem Wort „Contergan“ – Frau Staatssekretärin
Marks hat es gesagt – verbindet jeder Einzelne von uns
den größten Arzneimittelskandal in Deutschland, dessen
Folgen bis heute das Leben der Betroffenen stark prä-
gen und auch weiter prägen werden . Es handelt sich um
die Kinder der Frauen, die in der Schwangerschaft ein
vermeintlich unbedenkliches Medikament einnahmen
und nach der Entbindung das schreckliche Ausmaß der
Auswirkungen dieses Präparates auf ihre Kinder erleben
mussten .
Katrin Werner
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620888
(C)
(D)
Diese Kinder von damals sind heute längst selbststän-
dige erwachsene Menschen, und für ihre Selbstständig-
keit kämpfen die Betroffenen jeden einzelnen Tag . Es
ist für mich persönlich unvorstellbar, mit welch einer
schweren Last die Betroffenen, sowohl mit der physi-
schen Belastung und den täglichen Hürden als auch mit
den tief sitzenden psychischen und emotionalen Eindrü-
cken, umgehen . Unvorstellbar ist auch, wie das Leben
jedes Einzelnen und auch das der Angehörigen durch die
Einnahme eines Medikaments, zum Teil auch nur durch
eine einzige Tablette, so stark beeinflusst wurde und vor
allen Dingen bis zum Lebensende beeinflusst wird.
Geschädigte erzählen mir von Problemen im Alltag .
Dinge, die für uns alle selbstverständlich sind, stellen
für sie täglich eine große Herausforderung dar . Vielen ist
nicht bewusst, dass sich die Schädigungen eben nicht nur
auf die äußerlichen Bereiche beschränken lassen; nein,
auch Schädigungen der inneren Organe, Gehörlosigkeit,
aber auch Zeugungs- und Empfängnisunfähigkeit haben
einen immensen Einfluss auf die Lebensgestaltung und
die Lebensqualität .
Die Betroffenen mussten für das, was sie bis heute
erreicht haben, lange kämpfen . Vor diesem Hintergrund
war es uns auch wichtig, das vorliegende Gesetz, das
wesentliche Erleichterungen für die Betroffenen ab 2017
bringt, noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen, also
zu beschließen . Das sind wir den Betroffenen schuldig .
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch genau un-
sere Aufgabe .
Vor 45 Jahren, genau: am 12 . Dezember 1971, wurde
erstmals mit dem Gesetz über die Errichtung einer Stif-
tung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ versucht, den
Conterganskandal aufzuarbeiten . 37 Jahre später, im Jahr
2008, wurde das Errichtungsgesetz erstmals geändert .
Dies wurde damals allerdings reinweg auf die Rentener-
höhung beschränkt .
Durch ein Zweites Gesetz zur Änderung des Con-
terganstiftungsgesetzes wurde einhergehend mit einer
Reduktion der Stiftung auf ausschließlich conterganop-
ferspezifische Leistungsempfänger eine Verkleinerung
vorgenommen . Die 2013 erfolgte dritte Änderung des
Conterganstiftungsgesetzes wird von den Betroffenen
selbst als Paradigmenwechsel im Umgang mit den Con-
terganbetroffenen beschrieben . Ab dem 1 . Januar 2013
wurden zusätzlich 120 Millionen Euro zur Verfügung
gestellt . Die Conterganrente wurde im Höchstsatz von
1 555 Euro auf 6 912 Euro angehoben . Das ist eine Ver-
sechsfachung . Zusätzlich wurden Leistungen zur De-
ckung spezifischer Bedarfe – Frau Staatssekretärin ist
darauf eingegangen – in Höhe von 30 Millionen Euro
jährlich bereitgestellt .
Für diesen Meilenstein und diesen Einsatz möchte ich
mich persönlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen
ganz herzlich bedanken, die in der letzten Wahlperiode
daran gearbeitet haben . Ein herzliches Dankeschön! Das
war, glaube ich, ein wichtiger und guter Schritt in Rich-
tung der Betroffenen .
Mit den geplanten Neuregelungen möchten wir weite-
re Verbesserungen für die rund 2 700 betroffenen Men-
schen in unserem Land erreichen . Wir setzen damit zügig
die Ergebnisse der Evaluation um, die insbesondere die
Effizienz des Verfahrens zur Gewährung von Leistungen
für spezifische Bedarfe berücksichtigt. Ab 2017 sind die
Betroffenen nicht mehr auf die Bewilligung ihrer Anträ-
ge, der ein bürokratisches und umständliches Antragsver-
fahren vorgeschaltet war, angewiesen . In den drei Jahren
wurden von den jährlich 30 Millionen Euro, die zur Ver-
fügung gestellt wurden, pro Jahr zum Teil nicht einmal
2,5 Millionen Euro abgerufen . Das zeigt eben auch, in-
wieweit dieser Änderungsbedarf vorhanden ist .
Künftig werden die vorgesehenen Mittel für die Leis-
tung, für spezifische Bedarfe unkompliziert und pauschal
den Betroffenen zur Verfügung gestellt . Jeder vom Ge-
setz erfasste Contergangeschädigte erhält im Jahr einen
Sockelbetrag in Höhe von 4 800 Euro, unabhängig da-
von, wie stark seine Schädigungen nach Schadenspunk-
ten eingestuft sind . Die darüber hinaus vorgesehenen
Mittel werden nach Schadenspunkten pauschal ausge-
schüttet . So beträgt die Restpauschalierung pro Jahr zwi-
schen 876 Euro bei niedrigbepunkteten Betroffenen und
9 900 Euro bei den höchstbepunkteten .
Mit der vorgesehenen Pauschalierung wird eine an-
nähernd gerechte Verteilung zwischen den Contergan-
geschädigten mit geringeren und mit höheren Scha-
denspunkten ermöglicht . Wir wollen mit diesem Gesetz
den Betroffenen Unabhängigkeit und die Möglichkeit
zurückgeben, selbst zu entscheiden, welche Leistungen
sie brauchen und was ihnen in ihrer ganz individuellen
Situation am meisten hilft und guttut . Dass wir mit die-
sen Regelungen den richtigen Weg gehen, hat auch die
öffentliche Anhörung Ende November gezeigt .
Gleichzeitig wollen wir erreichen, dass durch die Pau-
schalierung freiwerdende Kapazitäten zielgenau da ein-
gesetzt werden, wo Bedarf besteht . Die Geschäftsstelle
der Conterganstiftung soll Betroffenen zukünftig zielge-
nau bei der Beratung und Durchsetzung von Ansprüchen
gegen andere Kostenträger beraten und unterstützen .
Aber auch der Aufbau medizinischer Kompetenzzentren
steht auf der Agenda . Die entsprechenden Anforderungs-
profile für diese Kompetenzzentren sind hierbei von der
Stiftung unter enger Beteiligung und Begleitung der Be-
troffenen zu entwickeln . Es ist auch mir persönlich wich-
tig, das so zu sagen .
Neben diesen wichtigen Punkten haben wir uns auch
der Haftungsfragen angenommen . Die Organmitglieder
sind ehrenamtlich tätig; da sind geregelte Verhältnisse
noch immer besonders wichtig . Mit dem von der Ko-
alition eingebrachten Änderungsantrag setzen wir die
Empfehlungen der Sachverständigen aus der öffentlichen
Anhörung um; denn in dieser haben sich alle Sachver-
ständigen klar dafür ausgesprochen, die Struktur der An-
fang der 70er-Jahre gegründeten Stiftung umfassend zu
evaluieren .
Hier war es der ausdrückliche Wunsch, keine Schnell-
schüsse zu wagen, sondern sich mit Sorgfalt und Ob-
jektivität der Thematik zu widmen . Dieses auch für die
Union wichtige Anliegen, liebe Kolleginnen und Kolle-
Maik Beermann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20889
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gen, setzen wir mit dem Vierten Gesetz zur Änderung
des Conterganstiftungsgesetzes umfassend um . Inner-
halb von zwei Jahren wird die Bundesregierung einen
Bericht über die Auswirkungen dieses Gesetzes und eine
gegebenenfalls notwendige Weiterentwicklung vorlegen .
Der Bericht soll auch eine Evaluation der Struktur der
Stiftung enthalten . Wir haben uns allerdings darauf ver-
ständigt, dass dieser besondere Teil der Evaluation, Frau
Schulte, möglichst noch bis zum Ende der laufenden Le-
gislaturperiode vorliegen soll .
Unser aller Ziel muss sein, den Graben zwischen Mi-
nisterium, Stiftung und den Betroffenen zuzuschütten
und gleichzeitig Brücken zu bauen . Mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf gehen wir einen weiteren Schritt in
genau diese Richtung, um den Geschädigten weiterhin
ein selbstbestimmtes sowie verbessertes Leben zu er-
möglichen . Ich gehe sehr davon aus, dass dieses Gesetz
für die Betroffenen unser aller Zustimmung hier im Ho-
hen Haus findet. Wir haben es eben schon gehört: Mit ei-
ner Enthaltung ist das, denke ich, schon einmal gar nicht
so verkehrt .
Ich sage: Wir machen uns auf den Weg . Entscheidend
ist, glaube ich, dass wir bei dieser sensiblen Thematik als
Parlament dicht beieinanderbleiben und uns vernünftig
abstimmen .
Meine Damen und Herren, ein solcher Medikamen-
tenskandal darf sich natürlich nicht wiederholen . Weil
wir als Parlament hier eine wichtige staatliche Verant-
wortung übernommen haben, ist es auch unsere Aufga-
be, genau hinzuschauen und Unterstützung anzubieten .
Wenn wir uns einig sind, dass sich so etwas nicht wieder-
holen darf, dann möchte ich und muss ich in diesem Zu-
sammenhang auch das Stichwort „Duogynon“ erwähnen .
Lassen Sie uns auch hier etwas genauer hinschauen und
den Betroffenen die vielleicht notwendige Unterstützung
bei der Aufklärung anbieten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss . Ich bin persönlich dankbar, weil auch ich etwas
sehr Wichtiges von den contergangeschädigten Frauen
und Männern in den letzten zweieinhalb Jahren erfahren
durfte . Lassen Sie mich bitte kurz Thomas Edison zitie-
ren:
Unsere größte Schwäche ist das Aufgeben . Der si-
cherste Weg zum Erfolg besteht darin, immer wie-
der einen neuen Versuch zu wagen .
Sie – ich spreche jetzt persönlich die Conterganbetrof-
fenen an – sind wahre Kämpfer . Vor Ihrem Mut und der
unerschöpflichen Kraft, die Sie immer wieder aufbrin-
gen, habe ich den allerhöchsten Respekt .
Ich bitte um Zustimmung zu diesem Vierten Gesetz
zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes und be-
danke mich für die Aufmerksamkeit .
Corinna Rüffer hat als nächste Rednerin das Wort für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich kann an Sie, Herr Beermann, ganz gut
anschließen und sagen: Wir haben eine historische Ver-
antwortung den Contergangeschädigten gegenüber . Aus
dieser Verantwortung sollte insofern Gemeinsamkeit er-
wachsen, als wir uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg
dieser Opfergruppe zuwenden und für sie die bestmög-
lichen Lösungen finden; da stimmen wir vollkommen
überein . Aber ich sage an dieser Stelle auch: Das ist lei-
der mit diesem Gesetzentwurf – Sie merken: ich schlage
einen ruhigen Ton an – nicht gelungen .
Das Schlafmittel Contergan – das wissen wir – hat
enormen Schaden verursacht . Über 50 Jahre waren die
Opfer dieses Medikaments chronisch unterversorgt –
medizinisch und sozial . Die Firma Grünenthal hat sich
enorm billig aus der Verantwortung herausgekauft . Die
Familien haben auf Schadensersatzansprüche verzichtet,
und die Bundesrepublik Deutschland hat Verantwortung
übernommen . Diese Verantwortung besteht bis heute . Ich
habe es schon gesagt: Über 50 Jahre waren die Menschen
unterversorgt . Erst im Jahr 2013 hat sich wirklich etwas
verbessert, was die sogenannten Conterganrenten anbe-
langt; das haben einige Vorredner schon gesagt . Auch der
Versuch, mit den spezifischen Bedarfen darüber hinaus
etwas zu tun, war wohlgemeint .
Dieses Parlament hat das mit einer gemeinsamen
Kraftanstrengung auf den Weg gebracht . Ich bin allen
Kollegen, genau wie Sie, Herr Beermann, unendlich
dankbar dafür, dass es funktioniert hat; denn es bedeutet
unendliche Erleichterungen für die Lebenssituation der
Betroffenen . Das sehen auch alle so . Ich glaube, der Ar-
beit dieses Parlaments gebührt in dieser Hinsicht ganz
viel Wertschätzung .
Wir haben gesehen – das kann passieren –, dass das,
was sich das Parlament gedacht hat, nicht in aller Konse-
quenz gut funktioniert. Die spezifischen Bedarfe mit den
Einzelfallanträgen haben zu Problemen, zu Unmut unter
den Betroffenen und auch – das muss man sagen – zu
einem großen Vertrauensverlust geführt . Ich bin der Mei-
nung, dass für diesen Vertrauensverlust auch der Vorstand
eine gewisse Verantwortung trägt . Er hat das Gesetz sehr
streng ausgelegt . Im Zweifelsfall sind zu viele Fälle vor
Gericht gelandet . Das hat bei vielen Contergangeschä-
digten zu dem Eindruck geführt, dass diese Stiftung nicht
mehr auf ihrer Seite, sondern leider auf der anderen Seite
steht . Das müssen wir unbedingt korrigieren . Das darf
auf keinen Fall stehenbleiben .
Maik Beermann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620890
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Zu einem ähnlichen Ergebnis ist die Evaluation und
sind die Expertisen, die dazu vorgelegt worden sind,
gekommen . Das Ergebnis war, dass das bisherige An-
tragsverfahren unzureichend, sehr kompliziert und in-
transparent sei . Deswegen war der Vorschlag, zu einer
Pauschalierung zu kommen . Ich glaube, in diesem Haus
besteht hohe Übereinstimmung, dass das der richtige
Weg ist .
Obwohl im Detail unterschiedliche Haltungen be-
stehen, hätte die Möglichkeit bestanden, mit einer brei-
ten Mehrheit zu einem gemeinsamen Gesetzentwurf zu
kommen . Das war auch unter uns Berichterstattern und
Berichterstatterinnen nicht das Problem . Wir haben an
einigen Stellen hin und her diskutiert . Die Union hat
sich schwergetan, die Pauschalierung zu akzeptieren . Im
Endeffekt lag darin nicht das Problem . Aber andere As-
pekte wurden unter uns nicht angesprochen, nichts ins
Feld geführt . Es haben dazu auch keine Termine mehr
stattgefunden . Das ist wirklich sehr schade . Leider haben
Sie als Regierungsfraktionen nie angesprochen, dass Sie
über die spezifischen Bedarfe hinaus beabsichtigen, die
Stiftungsstruktur im Grundsatz zu verändern .
Dann kam leider der Gesetzentwurf . Der ist sehr viel
weiter gegangen, als es angedeutet worden ist . Darin ist
die Stärkung des Stiftungsvorstandes zulasten des Stif-
tungsrates vorgesehen . Darin war auch ein noch stärkerer
Einfluss des Ministeriums gegenüber der Stiftung vorge-
sehen . Es wurde in der Evaluation ganz deutlich gesagt,
dass die Stellung des Familienministeriums gegenüber
der Conterganstiftung ohnehin schon so stark sei, dass
deren Unabhängigkeit bedroht sei . Das ist sehr deutlich .
Der Gesetzentwurf geht hier in die völlig andere Rich-
tung . Ich muss sagen, dieser Vorschlag hat uns von den
Socken gehauen . Das hat vor allen Dingen auch unter
den Betroffenen zu großer Verärgerung geführt, ohne
dass es notwendig gewesen wäre .
Die Anhörung bestätigt noch einmal unsere Haltung .
Alle Sachverständigen haben davor gewarnt, die Stif-
tungsstruktur zu verändern, ohne sie vorher zu evaluie-
ren . Deswegen – das will ich an dieser Stelle sagen – bin
ich der Unionsfraktion und der SPD sehr dankbar, dass
sie jetzt viel von dem zurücknehmen, was das Ministe-
rium ursprünglich vorgesehen hat . Ich bitte Sie in Bezug
auf die Beschlussfähigkeit – es sind Vorschläge enthal-
ten, die wir so nicht mittragen können, deswegen haben
wir einen Änderungsantrag eingebracht –: Bitte beschlie-
ßen Sie das Gesetz heute nicht . Es wäre gut, wenn wir
wieder zu einer Gemeinsamkeit zurückkehren könnten .
Die Stiftung muss im Geist der historischen Verantwor-
tung wirken . 1976 hat das Bundesverfassungsgericht in
ebendieser Weise geurteilt . Ich glaube, dass wir dazu
in der Lage sind – Zeitplan und Verfahren, in dem wir
uns jetzt befinden, lassen es nicht zu –, zukünftig alles,
was die Contergangeschädigten angeht, mit einer hohen
Übereinstimmung zu tun . Dazu gibt es alle Möglichkei-
ten . Heute gelingt uns das offensichtlich nicht ganz . Aber
es darf nicht so weitergehen . Wir sollten sehen, dass wir
die Gemeinsamkeiten, die in diesem Hohen Haus beste-
hen, wieder in den Vordergrund rücken .
Herzlichen Dank .
Ursula Schulte hat als nächste Rednerin für die
SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Verab-
schiedung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Conter-
ganstiftungsgesetzes hat der Bundestag im Jahr 2013 die
Lebensbedingungen der Menschen mit einer Contergan-
schädigung erheblich verbessert . Auch das Vierte Gesetz
zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes, das heute
zur Abstimmung steht, wird positive Auswirkungen auf
das Leben der circa 2 700 Contergangeschädigten und
deren Familien haben; davon bin ich fest überzeugt .
Wir bringen diese Änderung auf den Weg, weil wir
als Staat hier in ganz besonderer Weise Verantwortung
tragen; meine Vorredner haben das schon betont . Ich will
diese Verantwortung des Staates kurz begründen und da-
für einen Blick in die Vergangenheit werfen: Ende der
50er-, Anfang der 60er-Jahre wurde ein Medikament
mit dem Namen Contergan als rezeptfreies Schlaf- und
Beruhigungsmittel verkauft . Frauen, die das Mittel wäh-
rend der Schwangerschaft einnahmen, haben Kinder mit
schweren Fehlbildungen geboren . Viele dieser Kinder
sind unmittelbar nach der Geburt oder wenig später ge-
storben . Diejenigen, die überlebt haben, sind heute er-
wachsen und haben oft einen sehr langen Leidensweg
hinter sich . Zum damaligen Zeitpunkt gab es in Deutsch-
land kein nationales Medikamentenrecht; ein bundesein-
heitliches Verfahren zur Medikamentenkontrolle wurde
erst 1976 eingeführt . Hier liegt unsere staatliche Verant-
wortung begründet .
Der Hauptverantwortliche – jedenfalls ist er das für
mich –, die Firma Grünenthal, zahlte als Entschädigung
im Rahmen eines Vergleiches 100 Millionen D-Mark in
die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ ein . Im
Gegenzug wurden weitere Ansprüche gegen den Herstel-
ler in gesetzliche Leistungsansprüche umgewandelt . Der
Staat übernahm damit die weitere Verantwortung für die
geschädigten Kinder . Heutzutage – auch das muss einmal
gesagt werden – könnte sich eine Firma, die ein Medika-
ment mit dermaßen verheerenden Folgen rezeptfrei ver-
kauft hat, nicht mehr so einfach und so günstig aus der
Affäre und aus ihrer Verantwortung ziehen .
Aus den Kindern sind inzwischen, wie schon er-
wähnt, erwachsene Menschen geworden, die trotz ihrer
Behinderung versuchen, ihr Leben, so gut es eben geht,
zu meistern . Dafür verdienen sie unseren Respekt . Mich
haben die Betroffenen und viele andere behinderte Men-
schen demütig gemacht, und sie haben mich auch dank-
bar gemacht . Aber sie haben mir auch gezeigt, dass mit
einem eisernen Willen auch als behinderter Mensch ein
Corinna Rüffer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20891
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teilweise erfülltes Leben möglich ist . Dafür möchte ich
mich herzlichen bedanken .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundestag
musste das Conterganstiftungsgesetz in der Vergangen-
heit bereits mehrfach korrigieren und damit an die Le-
benswirklichkeit der Betroffenen anpassen . Zuletzt ist
das, wie schon erwähnt, im Jahr 2013 geschehen . Das
Parlament hat damals die Renten für Contergangeschä-
digte in der Spitze versechsfacht . Bei Schwerstgeschä-
digten beträgt sie jetzt etwa 7 000 Euro, vorher beka-
men diese Menschen 1 100 Euro . Das ist eine mehr als
deutliche Verbesserung . Hinzu kommt, dass weder das
Einkommen noch das Vermögen der Betroffenen für So-
zialleistungen, wie zum Beispiel persönliche Assistenz,
herangezogen werden kann . Auch das ist eine Besonder-
heit im Conterganstiftungsgesetz .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Berichterstatter
und auch viele andere von Ihnen wissen: Contergange-
schädigte Menschen haben eine Vielzahl an Bedarfen .
Diese sind, bedingt durch ihre Schädigungen, sehr un-
terschiedlich . Um ihren Alltag dennoch meistern zu
können, benötigen sie viele Hilfsmittel . Vieles von dem,
was Contergangeschädigten und auch anderen behin-
derten Menschen das Leben erleichtert, fällt nicht unter
den eng gefassten Begriff der medizinischen Heil- und
Hilfsmittel . Daher haben sich Krankenkassen und an-
dere Kostenträger schon immer sehr schwer getan, die
Kosten zu übernehmen . Oft geschah das erst nach langen
Rechtsstreitigkeiten . Deswegen hat der Bundestag 2013
zusätzliche Mittel für spezifische Bedarfe zur Verfügung
gestellt .
Ziel der Einführung war es, wie damals betont wurde,
bürokratiearm Hilfe zu leisten . Die Praxis hat aber leider
gezeigt: Dieses Ziel wurde verfehlt; das bisherige An-
tragsverfahren ist viel zu kompliziert – meine Vorredner,
auch Frau Rüffer, haben es dargestellt –, die Bewilligung
der Mittel ist schwierig und führt immer wieder zu Kla-
gen durch die Betroffenen . Viele Betroffene haben sich
daher gar nicht erst auf den Weg gemacht, diese Hilfe zu
beantragen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute die-
se Gesetzesänderung beschließen – ich hoffe mal, dass
die Oppositionsfraktionen da noch ihr Herz in die Hand
nehmen –, beweisen wir, dass Politik lernfähig ist . Die
Bereitstellung der Mittel für spezifische Bedarfe in 2013
war absolut richtig . Heute sorgen wir nur dafür, dass
diese Mittel die Betroffenen auch endlich und wirklich
erreichen . Wir schaffen das Antragsverfahren ab und
sichern allen Beziehern von Conterganrenten einen So-
ckelbetrag von 4 800 Euro zu . Zusätzlich erhalten die
Betroffenen, gestaffelt nach dem Grad ihrer Schädigung,
bis zu 9 900 Euro im Jahr . Wir handeln so, weil wir fest
daran glauben, dass die Betroffenen selbst am besten
wissen, welche Hilfsmittel ihnen das Leben erleichtern .
Mit dem Wegfall des Antragsverfahrens versetzen wir sie
damit auch in eine selbstbestimmtere Position .
Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass wir endlich
die Haftungsregeln für den Stiftungsvorstand anpassen .
Das war ein vielgeäußerter Wunsch aus dem Vorstand
heraus . Außerdem haben die contergangeschädigten Mit-
glieder des Stiftungsrates und des Stiftungsvorstandes
jetzt Anspruch auf die Erstattung notwendiger Assistenz-
kosten; auch das ist eine absolut richtige Veränderung im
Gesetz . Wir stellen ferner sicher, dass die Conterganren-
ten – auch das war ein Anliegen der Betroffenen – und
das Vermögen der Betroffenen auch nach dem neuen
BTHG anrechnungsfrei bleiben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, anders als die Vor-
redner von der Opposition bin ich der Meinung, dass eine
Veränderung der Stiftungsstruktur zwingend notwendig
ist, nicht zuletzt auch aufgrund der Veränderungen, die
die Pauschalierung der Mittel mit sich bringen wird . Die
Stiftung wird dadurch erheblich entlastet und kann sich
so verstärkt um die Beratung und Unterstützung der Be-
troffenen kümmern .
Die notwendigen Strukturänderungen werden wir heu-
te allerdings noch nicht beschließen . Wir haben gemein-
sam aus der Anhörung die Lehre gezogen, dass wir das
jetzt noch nicht tun sollten . Wir bringen die Erstellung ei-
nes Evaluationsberichts auf den Weg, der möglichst noch
vor Ende der Legislaturperiode vorliegen soll . Dann wer-
den wir überlegen, was wir an der Stiftungsstruktur än-
dern . Damit erübrigen sich auch die entsprechenden Teile
in Ihren Anträgen, die sich mit diesem Thema befassen .
Die SPD-Fraktion und insbesondere ich als Bericht-
erstatterin sind uns sicher, dass der Bericht die Notwen-
digkeit der Strukturveränderungen bestätigen wird; denn
die Stiftung muss grundsätzlich handlungsfähig sein, und
das ist sie heute, wenn man genau und ehrlich hinschaut,
nicht immer . Der Stiftungsvorstand muss seine Aufgaben
erfüllen können – das haben Sie nicht immer im Blick,
Frau Rüffer –, der Stiftungsrat muss mitbestimmen und
kontrollieren, und die Ministerien müssen ihrer Auf-
sichtspflicht nachkommen können.
Diese vielfältigen Aufgaben sollten – das ist jedenfalls
meine Wunschvorstellung, und ich will alles tun, damit
das auch gelingt – im guten Miteinander erledigt werden .
Das klingt für mich im Moment noch nach der Quadra-
tur des Kreises . Da ich aber von der Notwendigkeit der
Veränderungen überzeugt bin, setze ich darauf, dass alle
Beteiligten – und ich betone: alle – aufeinander zugehen
und so ihren guten Willen zeigen . Nur so können sie den
Stiftungsauftrag erfüllen und den Betroffenen wirklich
helfen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn der vor-
liegende Entwurf nicht alle meine Erwartungen erfüllt,
können wir, denke ich, dennoch zufrieden sein . Alle Be-
troffenen bekommen unbürokratisch Geld aus dem Topf
für spezifische Bedarfe. Sie bekommen damit mehr Au-
tonomie für die Gestaltung ihres Lebens . Das ist auch das
Ziel, das wir gerade mit dem BTHG beschlossen haben:
raus aus der Fürsorge, raus aus dem „Wir wissen schon,
was gut für euch ist“, hin zu einem selbstbestimmten Le-
ben . Das ist für uns als Politiker und für die Betroffe-
Ursula Schulte
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620892
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nen ein schöner Erfolg am Ende des Jahres 2016 . Dafür
möchte ich mich bei allen Beteiligten herzlich bedanken .
Ihnen allen wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest
und ein gutes neues Jahr .
Paul Lehrieder hat als letzter Redner in dieser Aus-
sprache für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin Bulmahn! Sehr geehrte
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Liebe Betroffene! Ich weiß aus zugesandten Mails, dass
sehr viele an den Fernsehgeräten diese Debatte verfol-
gen, um zu erfahren: Wie geht man mit meinem Schick-
sal um?
Die Verbesserung der Lebenssituation von contergan-
geschädigten Menschen liegt uns allen – ich denke, hier
spreche ich fraktionsübergreifend für alle Kolleginnen
und Kollegen in diesem Hohen Hause – besonders am
Herzen .
– Also, wenn die Linke klatscht, mache ich Pause .
– Ja, es ist immer richtig, bei meiner Rede zu klatschen,
Herr Kollege .
Das tägliche Leben der immer älter werdenden rund
2 700 Betroffenen ist durch die thalidomidbedingten Be-
hinderungen und deren Folge- und Spätschäden geprägt .
Die früheren sogenannten Contergankinder sind mittler-
weile alle etwa in meinem Alter, also Mitte/Ende 50 .
Ich muss zugeben, ich war wirklich beeindruckt,
als mir vor zweieinhalb Wochen ein Betroffener und
Sachverständiger im Anschluss an die durchgeführte
Anhörung auf seinem Tablet Folgendes zeigte: Er frag-
te mich nach meinem exakten Geburtsdatum – ich bin
1959 geboren, genau in der Mitte der Conterganproble-
matik; 1957 bis 1961 gab es die meisten Conterganfälle
in Deutschland –, und dann schaute er auf sein Tablet
und sagte: Jawohl, lieber Ausschussvorsitzender, an dei-
nem Geburtstag ist in Deutschland auch ein contergan-
geschädigtes Kind auf die Welt gekommen . – Ich habe
ihn gefragt, ob er mir die Daten zu Verfügung stellen
kann, aber das konnte er aus Datenschutzgründen leider
nicht . Aber ich weiß, es lebt in Deutschland jemand, der
auf den Tag genauso alt ist wie ich und der wegen dieses
Conterganmedikaments mit Schäden geboren wurde . Ich
glaube, alle, die in meiner Alterskohorte sind, die meine
Konsemester sind, müssen Gott danken, wenn sie dieses
Schicksal nicht erlitten haben, wenn sie durch dieses Me-
dikament nicht geschädigt worden sind .
Ich bin sehr dankbar dafür – ich spreche ganz bewusst
in Richtung Regierungsbank –, dass bei diesem wichti-
gen Thema neben unserer Familienministerin auch der
Justizminister dieser Debatte lauscht . Das zeigt, wel-
che Bedeutung diesem Gesetz in der Gesellschaft zu-
kommt . – Für Ihre Anwesenheit möchte ich mich an die-
ser Stelle ausdrücklich bedanken .
Liebe Frau Schwesig, ich wünschte mir, dass manch an-
deres Gesetzgebungsvorhaben, das wir derzeit gemein-
sam in Arbeit haben, in ähnlich zügiger und konstrukti-
ver Zusammenarbeit abgeschlossen würde, wie das bei
diesem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des
Conterganstiftungsgesetzes der Fall war .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Be-
troffene sind darauf angewiesen, bestimmte Körperteile
vermehrt einzusetzen, um ihren Alltag zu meistern . Aus
diesem Grund häufen sich im Alter die Gebrechen . Die
jahrzehntelangen Überlastungen durch Fehlstellungen
des Körpers und Ausgleichsbewegungen wirken sich
auf die Gesundheit aus . Der körperliche Verschleiß ver-
schiedener besonders beanspruchter Gelenke verstärkt
sich, wie bereits ausgeführt, mit zunehmendem Alter .
Aufgrund des mit steigendem Alter der Betroffenen zu-
nehmenden körperlichen Verschleißes ist eine zukunfts-
orientierte, angemessene Weiterentwicklung der Unter-
stützungsleistungen erforderlich . Diesem Erfordernis
sind wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nachge-
kommen .
Wir haben es uns mit der Erarbeitung eines Entwurfs
eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Conterganstif-
tungsgesetzes nicht leicht gemacht . Im Zuge der Vorlage
des Ersten Berichts über die Auswirkungen des Con-
terganstiftungsgesetzes vom 1 . Juni 2016 haben wir die
Wirkung der Leistungsverbesserungen, die durch das
dritte Änderungsgesetz eingeführt worden sind, bewer-
tet und geprüft, wo Nachbesserungsbedarf besteht . Im
Jahr 2009 wurden die Conterganrenten verdoppelt – die
Vorredner haben bereits darauf hingewiesen –, und im
Jahr 2013 wurden sie deutlich, bis zu einem Höchstbe-
trag von 7 175 Euro, erhöht . Gleichzeitig wurden die
Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe eingeführt,
die unabhängig vom Schädigungsgrad auf entsprechen-
den Antrag gewährt werden . Dafür wurde ein Topf mit
insgesamt 30 Millionen Euro jährlich eingerichtet . Wir
mussten allerdings feststellen – auch hierauf haben mei-
ne Vorredner bereits hingewiesen –, dass von den in
Aussicht gestellten 30 Millionen Euro nur circa 2,5 Mil-
lionen Euro pro Jahr abgerufen wurden . Jetzt kann man
fragen: Woran liegt das? Liegt das daran, dass die Hilfe
nicht notwendig war? Das glaube ich nicht . Ich glaube,
das liegt daran, dass wir die Leistungsbewilligungen re-
lativ restriktiv gehandhabt haben . Dieser Erfahrung fol-
gend führen wir jetzt eine Pauschalierung ein . Wir sagen:
Jeder soll zu seinem Recht kommen, egal ob er in den
Ursula Schulte
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20893
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letzten Jahren einen Antrag zu den spezifischen Bedarfen
gestellt hat oder nicht . Jeder soll, insbesondere im fortge-
schrittenen Alter, eine Erleichterung erhalten .
Aus Gesprächen mit Betroffenen weiß ich, dass vie-
le vor einer Antragstellung zurückschreckten, nicht nur,
weil sie vielleicht selber den Bedarf noch nicht einsehen
wollten, sondern auch, weil sie vor dem langwierigen,
aufwendigen, komplizierten Genehmigungsverfahren
zurückgeschreckt sind . Sie sagten sich: Wenn ich abge-
lehnt werde, muss ich zum Sozialgericht gehen; doch
diese Kraft habe ich nicht, das will ich mir nicht antun . –
Möglicherweise ist der eine oder andere Antrag, der be-
gründet gewesen wäre, aus diesen Gründen nicht gestellt
worden .
Deshalb halte ich es für richtig, dass wir jetzt das
komplizierte Antragsverfahren abschaffen und mit der
Pauschalierung dafür sorgen, dass die Lebenssituation
von möglichst vielen der 2 700 Contergangeschädigten
im Alter verbessert wird . Dazu gehört vieles, zum Bei-
spiel eine Küchenmaschine, ein Autoumbau, elektrische
Jalousienheber . Ich erinnere an die berühmte Boxspring-
bettentscheidung . Es geht um Dinge, die jedem das Le-
ben erleichtern, die für Menschen mit diesen Handicaps
aber eine deutliche Verbesserung der Lebenssituation be-
deuten, insbesondere bei zunehmendem Verschleiß des
Skeletts, der körperlichen Gliedmaßen .
Viele Betroffene haben – ich habe bereits darauf
hingewiesen –, zum Teil aus Scheu, zum Teil aufgrund
des bürokratischen Aufwands, zum Teil aber auch aus
Scham, keinen Antrag gestellt . Sie scheuten den kompli-
zierten Weg und die bürokratischen Hürden .
Konkret sieht der vorliegende Gesetzentwurf nunmehr
vor – ich will das noch einmal wiederholen, auch wenn
der eine oder andere Kollege schon darauf hingewiesen
hat –, dass die Leistungen für spezifische Bedarfe nicht
länger als individuell bedarfsdeckende Leistungen ge-
währt werden, sondern künftig ohne gesonderten Antrag
pauschal . Somit ergibt sich für alle Betroffenen ein jähr-
licher Sockelbetrag in Höhe von 4 800 Euro . Hierdurch
erreichen wir eine gerechtere, schnellere, unkomplizier-
tere Verteilung . Die Contergangeschädigten sind nicht
mehr Antragsteller, sind nicht mehr Bittsteller, sondern
sie haben Rechte; sie haben den Anspruch darauf, dieses
Geld so einzusetzen, wie sie es selbstbestimmt für richtig
halten . Ich glaube, das ist eine deutliche Verbesserung .
Liebe Kollegin Werner, lieber Kollege Birkwald, ich
würde mir wünschen, dass Sie nach meinen Ausführun-
gen in sich gehen und noch einmal überlegen, ob Sie
nicht von Ihrer machtvollen Enthaltung abrücken und
doch zustimmen können . Von einer lauten Enthaltung
hier im Hause wird die Situation der Contergangeschä-
digten nicht verbessert . Also geben Sie Ihrem Herzen ei-
nen Ruck . Sie können das draußen bei den Geschädigten
viel besser verkaufen, wenn Sie sagen: Jawohl, Lehrieder
hat uns überzeugt . Wir haben dafürgestimmt .
Wie schon gesagt, die Contergangeschädigten hätten es
verdient .
In diesem Sinne bedanke ich mich für das konstruk-
tive, wahrlich parteiübergreifende Mitwirken an diesem
Gesetzentwurf . Wir haben noch nicht alles erreicht; da-
rauf wurde hingewiesen . Wir haben die Evaluationszeit
von drei Jahren auf zwei Jahre verkürzt, weil wir mög-
lichst schnell sehen wollen, wie dieses Gesetz wirkt und
was wir in den nächsten Jahren brauchen . Ich glaube,
ähnlich wie in den vergangenen vier, fünf, zehn Jahren
werden wir weiterhin in diesem Hohen Haus über das
Thema Contergan diskutieren . Wir werden weiter hin-
schauen . Wir werden auch die anstehende Strukturre-
form – wie geht es mit der Stiftung, mit dem Stiftungs-
vorstand weiter? – im Blick behalten .
– Ja, da könnt ihr dann wieder zustimmen . Heute müsst
ihr erst einmal dieser Verbesserung zustimmen .
Ich bedanke mich und wünsche Ihnen noch einen
schönen Tag . Danke schön .
Vielen herzlichen Dank, lieber Paul Lehrieder . – Ich
sage Ihnen erst einmal einen schönen guten Tag . – Ich
schließe die Debatte .
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungs-
gesetzes . Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10670, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10378 in der
Ausschussfassung anzunehmen .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10674 vor, über
den wir logischerweise zuerst abstimmen . Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt haben Bündnis 90, die Linke . Dagegen hat
die Große Koalition, also CDU/CSU und SPD, gestimmt .
Also: Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die
Linke . Dagegengestimmt haben die CDU/CSU und die
SPD . Der Änderungsantrag ist abgelehnt .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Paul Lehrieder
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620894
(C)
(D)
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Enthalten
haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen
und die Linke . Damit ist der Gesetzentwurf angenom-
men .
Wir kommen jetzt zu Abstimmungen über zwei Ent-
schließungsanträge der Fraktion Die Linke .
Entschließungsantrag auf Drucksache 18/10675 . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan-
trag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke . Dagegen-
gestimmt haben CDU/CSU und SPD . Enthalten haben
sich Bündnis 90/Die Grünen .
Entschließungsantrag auf Drucksache 18/10676 . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan-
trag ist abgelehnt . Zugestimmt haben die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen . Dagegengestimmt haben CDU/
CSU und die SPD .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele, Tabea Rößner, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Lehren aus den Ermittlungen hinsichtlich
Landesverrats – Pressefreiheit und Journalis-
tinnen und Journalisten besser schützen
Drucksache 18/10036
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Katja Keul, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Lehren aus den Ermittlungen hinsichtlich
Landesverrats – Stellung des Generalbundes-
anwaltes rechtsstaatlich reformieren
Drucksache 18/10037
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Innenausschuss
Ausschuss Digitale Agenda
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
Korte, Halina Wawzyniak, Karin Binder, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Journalistinnen und Journalisten sowie Hin-
weisgeberinnen und Hinweisgeber vor Straf-
verfolgung schützen und Unabhängigkeit der
Justiz sicherstellen
Drucksache 18/5839
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Dazu gibt es
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Hans-Christian Ströbele für Bündnis 90/Die Grünen .
Ja, jetzt geht es los . – Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Einige werden sich noch erinnern:
Es ist jetzt fast zwei Jahre her, da wurde in Deutschland
ein Abgrund von Landesverrat geortet . Das Bundesamt
für Verfassungsschutz und sein Präsident mussten Straf-
anzeige erstatten, weil in dem Netzwerk netzpolitik .org
ein Verfassungsschutzpapier veröffentlicht worden ist –
das war im Februar 2015 – und dann ein paar Wochen
später ein zweites Papier von netzpolitik .org veröffent-
licht worden ist . Da konnte die Pressefreiheit nicht so
wichtig sein, sodass man da zuschlagen musste .
Also, er hat Strafanzeige bei der hiesigen Staatsan-
waltschaft erstattet . Die Geschichte wurde dann sehr,
sehr ernst genommen und ist daraufhin eine Stufe oder
zwei Stufen höher gelangt und zur Bundesanwaltschaft
gegeben worden, weil doch hier möglicherweise Landes-
verrat begangen worden ist . Geschädigte: die Bundesre-
publik Deutschland .
Dann gab es eine Diskussion, bei der hin und her
überlegt worden ist: Wie soll man mit der Presse umge-
hen? Muss man die Pressefreiheit nicht mehr sichern?
Ich wollte Herrn Maas, der im Augenblick leider nicht
zuhören kann, obwohl es interessant ist, daran erinnern,
dass er Ende Juli 2015 angekündigt hat, dass er die Vor-
schriften, die die Pressefreiheit und die Arbeit von Jour-
nalisten und insbesondere den Landesverratsparagrafen
betreffen, sich doch noch einmal näher angucken wollte,
um zu sehen, ob man da nicht etwas machen muss .
Darauf warten wir nun heute noch; jedenfalls haben
wir aus dem Justizministerium nichts gehört,
was das denn sein könnte . Daher haben wir uns selber an
die Arbeit gemacht . Wir haben nicht die Kapazitäten der
großen Fraktionen und auch nicht die des Bundesjustiz-
ministeriums . Also haben wir in mühsamer Kleinarbeit
versucht, einige gesetzliche Änderungen vorzuschlagen .
Vizepräsidentin Claudia Roth
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20895
(C)
(D)
Sie will ich Ihnen jetzt kurz vortragen .
Als Allererstes habe ich mich erinnert, dass sich ei-
ner von zwei Leuten, die wegen Landesverrats verurteilt
worden sind – einer zu sieben Jahren, einer zu acht Jah-
ren, also doch schon zu erheblichen Strafen –, an mich
gewandt und gesagt hat, er sieht überhaupt nicht ein, dass
das ein Staatsgeheimnis gewesen ist; das hat er gar nicht
gewusst, usw .
Ich will auf diese Fälle gar nicht näher eingehen .
Daraufhin habe ich mir den Paragrafen auch noch ein-
mal angeguckt . Es steht nämlich im Strafgesetzbuch, in
§ 93, ausdrücklich, was nun ein Staatsgeheimnis ist . Dort
steht, alle Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die
nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind – wie
groß er sein kann, 100 000 oder 10 Personen, weiß man
nicht – und vor einer fremden Macht geheim gehalten
werden müssen, sind ein Staatsgeheimnis, und wenn man
ein Staatsgeheimnis weitergibt, dann macht man sich un-
ter bestimmten Voraussetzungen strafbar bzw . erheblich
strafbar .
Daraufhin haben wir gesagt: Nein, das kann so nicht
gehen, das müssen wir jetzt ändern . Wir wollen, dass die-
ser § 93 so umformuliert wird, dass für jeden klar erkenn-
bar ist, was ein Staatsgeheimnis ist, entweder dadurch,
dass man immer einen Stempel darauf hat, oder dadurch,
dass es ein Gesetz gibt, nach dem bestimmt wird: Dies
ist ein Staatsgeheimnis, und das ist ein Staatsgeheimnis .
Wir wollen weiter sagen – jetzt geht es um die Journa-
listen oder auch um die Whistleblower –: Wenn jemand
nun ein solches Staatsgeheimnis kennt und überlegt, soll
er es nun veröffentlichen oder nicht, soll er es weiterge-
ben oder nicht, dann soll das in folgenden Fällen nicht
strafbar sein: Wenn diese Informationen etwa Grund-
rechtsverletzungen beinhalten oder durch sie schwere
Verbrechen aufgedeckt werden können, dann soll das
eben nicht gelten . Denn dann überwiegt das öffentliche
Interesse an der Bekanntgabe nach außen im Sinne al-
ler Bürgerinnen und Bürger, dass diese Weitergabe unter
Strafe gestellt wird . So haben wir es in unserem Geset-
zesvorschlag, den wir an die Bundesregierung weiterge-
ben, vorgesehen .
Wir haben uns auch gefragt: Wie ist es eigentlich bei
Journalisten, die gar nicht mal Staatsgeheimnisse veröf-
fentlichen, sondern Informationen bekommen, etwa ge-
leakt aus irgendwelchen Behörden, vielleicht auch aus
Geheimdiensten? Sollen sie sich strafbar machen, nur
weil sie solche Informationen entgegennehmen? Sollen
sie die Entgegennahme vielleicht sogar ablehnen müssen,
weil sie sich sonst strafbar machen? Wenn sie die ent-
sprechenden Informationen gar veröffentlichen, sollen
sie dann zusätzlich bestraft werden? Wir haben gesagt:
Das kann nicht sein . Wenn ein öffentliches Interesse da-
ran besteht, dass man so etwas veröffentlicht, dann dür-
fen sich diese Journalisten doch nicht strafbar machen,
sondern dann müssen sie geschützt werden . Daher haben
wir auch einen Gesetzesvorschlag erarbeitet, wie man die
aktuelle Regelung ändern kann . So geht es weiter .
Wir wollen ferner, dass man als Journalist auch in Zu-
kunft aus öffentlichen Gerichtsverhandlungen, ohne dass
man sich der Gefahr aussetzt, sich strafbar zu machen,
berichten kann . Wir wollen auch – das wundert sicher
keinen, vor allem, weil ich hier rede –, dass Whistle-
blower geschützt werden . Wenn also Leute sagen: „Auf-
grund eines höheren gesellschaftlichen Interesses ergibt
sich bei einer Abwägung, dass die Bekanntgabe bzw .
Veröffentlichung einer Information wichtiger als die Ge-
heimhaltung ist“, dann sollten sie das, ohne sich strafbar
zu machen, tun dürfen, wenn sie den Abwägungsprozess
verantwortungsvoll gestalten .
All das bringt uns dazu, hier einen entsprechenden Ge-
setzesvorschlag vorzulegen . Auf die Einzelheiten kann
ich jetzt nicht näher eingehen; denn ich habe nicht so viel
Redezeit . Unser Vorschlag lautet: Tun wir etwas für die
Pressefreiheit! Sie ist eines unserer höchsten Güter . Wir
wissen, dass die Pressefreiheit und die Arbeit der Journa-
listen als vierte Gewalt im Staate unverzichtbar sind . Wir
alle leben davon, und die Demokratie lebt davon . Lassen
Sie uns für deren Schutz so viel tun wie irgend möglich!
Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele . – Nächster
Redner: Dr . Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Frakti-
on .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Ströbele, ich glaube, wir alle erinnern
uns gut an den Fall von netzpolitik .org, an die Veröf-
fentlichungen von Geheim eingestuften Dokumenten .
Das waren ja nicht irgendwelche Dokumente; das wa-
ren ja eingestufte Dokumente – diese können nach der
Geheimschutzordnung verschiedene Stufen haben –, die
auch gekennzeichnet sind . Solche Dokumente liegen ja
nicht als handgeschriebene Papiere auf einer Parkbank .
Vielmehr war offensichtlich und klar, dass die Dokumen-
te, die netzpolitik .org veröffentlich hat, eingestuft sind .
Das war also ein Vorfall, den man als derjenige, der diese
Dokumente hat, einstuft und klassifiziert, nicht einfach
hinnehmen kann . Deswegen ist es auch zu einer Prüfung
durch die Staatsanwaltschaft, damals durch den General-
bundesanwalt, gekommen . Ich halte diesen Vorgang für
richtig .
Wenn Dokumente, die eingestuft sind, den Raum der
Einstufung des Dienstherrn, der sie eingestuft hat, ver-
lassen, muss man auch dafür Sorge tragen, dass nachge-
prüft wird: Wer hat die Dokumente, die eingestuft sind,
nach draußen gegeben? Denn es ist nicht sinnvoll, dass
Dokumente, die in amtlicher Verwahrung sind und einen
Einstufungsgrad haben, nach draußen gelangen . Hier zu
ermitteln, halte ich also für richtig .
Der Generalbundesanwalt – wir haben in dieser Zeit ja
öfter Statements von ihm gehört – hat in alle Richtungen
ermittelt, zum Beispiel auch, was die Möglichkeit eines
Hans-Christian Ströbele
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620896
(C)
(D)
Innentäters betrifft . Es ist ja nicht zwingend, dass der Tä-
ter jemand aus dem parlamentarischen Raum gewesen
sein muss; es kann ja auch ein Innentäter gewesen sein .
Dass der Blick in alle Richtungen geht, halte ich, wie ge-
sagt, für völlig richtig .
Der einzige Ansatz, den man damals hatte, waren die
Journalisten, die die Informationen auf ihrer Plattform
netzpolitik .org veröffentlicht haben; das ist ja logisch .
Aber dass der Generalbundesanwalt eine Überprüfung
anstellt, wenn amtliche Dokumente, die einen Geheim-
haltungsgrad haben, in die Öffentlichkeit gelangen, ist
richtig . Sonst würden wir ja – so sehe das zumindest
ich – die Integrität des Staates überhaupt nicht mehr ernst
nehmen, wenn alles, was eingestuft ist, einfach nach
draußen gelangen kann . Deswegen war das ein richtiges
Vorgehen .
Lieber Kollege Ströbele, in folgendem Punkt sind wir
uns einig: Die Pressefreiheit in Artikel 5 des Grundgeset-
zes ist eines unserer höchsten Schutzgüter . Sie ist nicht
nur ein Abwehrrecht, sondern auch ein Recht, das der
Staat verbürgen soll, für das er sich also einsetzen muss .
Wir haben in Deutschland eine dezidierte Rechtspre-
chung und Rechtspraxis, wie das Verhältnis zwischen der
Pressefreiheit, wie sie in Artikel 5 Absatz 1 Satz 2, erste
Alternative, normiert ist, und den Schutzrechten Drit-
ter abgewogen und austariert werden kann . Denn kein
Grundrecht – das wäre wirklich ein fataler Fehler – kann
absolut gesehen werden . Man darf nicht sagen – das gilt
für jedes Grundrecht –: Die Pressefreiheit geht allem an-
deren vor . – Man muss immer einen Abwägungsprozess
betreiben und ermöglichen, und es gibt Rechte Dritter,
privater Dritter, und es gibt auch Rechte des Staates an
seiner Integrität, was bedeutet, Veröffentlichungen zu-
rückzuhalten, sodass Dokumente, wenn sie eingestuft
sind, nicht nach draußen dringen .
Sie haben gerade kurz einen Punkt Ihres Vorschlags
zitiert . Ich habe ihn mir mitgenommen, damit sicher-
gestellt ist, dass wir wirklich vom gleichen Sachverhalt
reden . Sie haben gesagt: Dokumente sollen in Zukunft
nur noch als Geheim und Streng Geheim eingestuft wer-
den . So steht es in Ihrem Vorschlag . Das würde natürlich
zu einer Inflation der Geheim-Einstufungen führen. Sie
wissen es aus einer Vielzahl von Ausschüssen, aus dem
Parlamentarischen Kontrollgremium und aus Untersu-
chungsausschüssen: Dann, wenn es nur noch zwei Ein-
stufungen nach der Geheimschutzordnung geben würde,
würden diese auch in den Fällen genutzt, wenn Doku-
mente vielleicht als VS-NfD oder als VS-Vertraulich ein-
gestuft werden könnten . Wir haben dann also nicht mehr
das Spektrum, die Vielzahl der Dokumente entsprechend
ihrem Inhalt einzustufen . Ich halte diesen Vorschlag für
fatal . Das würde zum Beispiel bedeuten, dass in Untersu-
chungsausschüssen fast alles als Geheim eingestuft wür-
de . Das wollen sicherlich auch Sie nicht .
Staatsgeheimnisse, von denen Sie ja immer reden,
können auch jetzt schon von Journalisten veröffentlicht
werden . Es ist ja nicht so – diesen Eindruck erwecken
Sie –, dass Journalisten nicht die Möglichkeit hätten, an
sensible Dokumente heranzukommen und diese dann,
wenn sie wesentliche Sachverhalte, wie sie eben geschil-
dert worden sind, beinhalten, zu veröffentlichen . Wir
haben jetzt schon die Abwägung zwischen dem Veröf-
fentlichungsinteresse auf der einen Seite – bei gravieren-
den Sachverhalten dürfen Journalisten veröffentlichen;
sie müssen auch gar nicht ihre Quellen preisgeben – und
auf der anderen Seite dem Geheimhaltungsinteresse des
Staates bei entsprechend relevanten Sachverhalten .
Einfach gesagt: Wenn kein hohes Veröffentlichungs-
interesse vorliegt, wenn es das reine Abstellen auf eine
mögliche Publikation ist, um viele Leser zu bekommen,
wenn es ein reißerisches Interesse ist, dann wird dem
Interesse des Staates an Geheimhaltung der Vorrang ge-
geben . Andererseits: Wenn die Veröffentlichungsgründe
wesentlich sind, dann dürfen Journalisten veröffentli-
chen .
Ich habe mich damals etwas geärgert, dass der Gene-
ralbundesanwalt bei seiner Prüfung ausgebremst worden
ist . Ich glaube, er wäre zu dem Ergebnis gekommen, dass
diese Veröffentlichung von netzpolitik .org keinen Straf-
tatbestand erfüllt hätte . Dazu ist es ja nicht mehr gekom-
men, weil es eine dementsprechende Weisung gegeben
hat .
Von daher werden wir schließlich auch nicht wissen, wie
sich dieser Sachverhalt beim Generalbundesanwalt wei-
ter entwickelt hätte .
Sie möchten durch Ihren Gesetzentwurf weiterhin
Journalisten die Veröffentlichung ermöglichen und es
nicht mehr als strafbare Handlung behandelt sehen, wenn
durch Nachstellen oder Druck Erkenntnisse erlangt wer-
den, wenn also fast ein Stalking stattfindet. Dazu muss
ich ehrlich sagen: Das geht zu weit . Ich habe mit einigen
Journalisten im Vorfeld der heutigen Debatte gespro-
chen . Seriöser Journalismus arbeitet investigativ, das ist
richtig . Er setzt auch nach, er recherchiert in die Brei-
te, aber nicht mittels Stalking, Nötigung oder schlichter
Bloßstellung von Menschen . So arbeiten seriöse Journa-
listen nicht . Diese Tatbestände herauszunehmen und ein
solches Vorgehen dann für legal zu erachten, das halte ich
schon für ein schräges Verhältnis .
Das scheint mir ein bisschen ein Schaufensterantrag zu
sein . Richtig ist das nicht .
Dr. Patrick Sensburg
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20897
(C)
(D)
Als nächsten Punkt sollte man, glaube ich, erwähnen,
dass es möglich ist, an vielen Stellen mit Verschwiegen-
heit zu arbeiten, mit Dokumenten zu arbeiten, die einge-
stuft sind . Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig,
zu sehen, dass der Staat ein Interesse an der Wahrung
seiner Integrität hat und dass es auch ein Interesse der
Bürgerinnen und Bürger gibt, dass Dokumente, die beim
Staat liegen, verwahrt bleiben und nicht nach draußen
dringen . Das muss ein Abwägungsprozess sein .
Dieser Abwägungsprozess fehlt in Ihrem Antrag völ-
lig . Sie schauen ausschließlich auf die Informationsge-
winnung, auf die Journalisten, die dann, im Grunde ohne
diesen Abwägungsprozess, jedwede Dokumente nach
draußen geben könnten, wären sie nicht eingestuft . Wenn
sie als Geheim oder als Streng Geheim eingestuft sind,
dann wäre dies im Grunde auch möglich, weil der Ab-
wägungsprozess fehlt . Das wäre ein völliges Nach-drau-
ßen-Geben von eingestuften Dokumenten, und das kann
eigentlich und im Grunde auch nicht das Ziel von Bünd-
nis 90/Die Grünen und den Linken sein . Denn im End-
effekt heißt das, dass alles, was der Staat in Verwahrung
und auch geschützt in Verwahrung hat, in die Öffentlich-
keit gegeben werden kann .
– Ja, doch, darum geht es schon, wenn man Ihre Anschul-
digungen hört . – Aufklärung heißt zum Beispiel, dass wir
im parlamentarischen Raum prüfen können, aber eben
nicht, dass das alles nicht mehr unter Strafe gestellt wird
und jedes Dokument veröffentlicht werden kann .
Das kann nicht Ziel eines klugen Antrages sein .
– Sie können ja gleich Ihren Antrag einmal näher erklä-
ren .
Wenn man beide Anträge liest – Ihren von den Linken
und den von Bündnis 90/Die Grünen; ich habe ja beide
mit nach vorne genommen –, dann muss man sagen, dass
der Antrag der Fraktion der Linkspartei eigentlich zum
Rundumschlag gegen die Sicherheitsbehörden ausholt .
Mehr ist es doch eigentlich gar nicht .
Sie wollen im Grunde den Sicherheitsbehörden die
Chance nehmen, Dokumente einzustufen – und das vor
dem Hintergrund des Terrorismus, den wir zurzeit bei
uns erleben . Ich habe den Antrag vor mir liegen, habe ihn
gelesen und habe ihn sogar dezidiert bearbeitet . An fast
jeden Absatz habe ich ein Fragezeichen geschrieben . Das
sollte Ihnen zu denken geben .
Zu den Grünen muss ich ganz ehrlich sagen: Sie ha-
ben nicht verstanden, was wir in den letzten Jahren zum
Schutz der journalistischen Tätigkeit gemacht haben . Ge-
rade in der letzten Legislaturperiode hat die Union – üb-
rigens mit der FDP – die Rechte von Journalistinnen und
Journalisten an vielen Stellen in der Strafprozessordnung
intensiv gestärkt . Ich glaube, wir beide haben damals so-
gar zum Thema Geheimnisträger/Berufsgeheimnisträger
geredet . Wir haben viel gemacht .
Aber das, was Sie jetzt machen, dehnt die Rechte aus
und führt dazu, dass die Abwägung, die beim Eingriff in
die Grundrechte immer getroffen werden muss, aufge-
geben wird . Es erfolgt eine einseitige Ausdehnung hin
zur Veröffentlichung und Durchstecherei von Dokumen-
ten, und der Schutz staatlicher Interessen und der Schutz
Dritter werden nicht mehr beachtet . Das ist ein Ungleich-
gewicht, dem man so nicht zustimmen kann .
Ich muss ganz ehrlich sagen: Ihre Gesetzesinitiativen
sind aus meiner Sicht aus rechtsstaatlichen Gründen kri-
tisch zu bewerten . Ich kann nur empfehlen, dem so nicht
zuzustimmen und noch einmal darüber nachzudenken,
wie wir beim Thema Weisung klüger weiteragieren kön-
nen; Sie hatten es angesprochen .
Man kann sicher darüber nachdenken, ob Weisungen
bei Staatsanwaltschaften schriftlich zu erfolgen haben .
Alles andere ist abzulehnen . Sie empfehlen zum Beispiel,
die Parlamente in einem laufenden Strafverfahren zu un-
terrichten . Ich wage zu bezweifeln, dass Sie als Strafver-
teidiger das gewollt hätten, und das würde bei den Straf-
verfahren im Grunde zu einem Chaos führen .
Deswegen sind die Anträge von Bündnis 90/Die Grü-
nen und von der Linken leider nicht ausgegoren, und sie
sollten hier heute abgelehnt werden .
Danke schön .
Vielen Dank, Patrick Sensburg . – Der nächste Redner:
Harald Petzold für die Linke .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! Es
vergeht kaum eine Woche, in der wir nicht aus Ländern
wie der Türkei erfahren, dass Journalistinnen und Jour-
nalisten ihren Job verlieren oder gar verhaftet werden,
weil sie Dinge öffentlich gemacht, angeprangert oder be-
Dr. Patrick Sensburg
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620898
(C)
(D)
richtet haben, die den Herrschenden in ihrem Land nicht
gefallen .
Laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ bricht
die Türkei im Moment alle Rekorde, was die Inhaftie-
rung von Journalistinnen und Journalisten anbelangt . Sie
hat berichtet, dass mit Stand 13 . Dezember dieses Jahres
mindestens 348 Medienleute in türkischen Gefängnissen
sitzen, weil sie entweder des Landesverrats, der Zusam-
menarbeit mit terroristischen Organisationen, deren Un-
terstützung oder anderer Vergehen bezichtigt werden,
die dem autoritären Präsidenten Erdogan nicht gefallen .
Ich kann nur fragen: Alle 348 Journalistinnen und
Journalisten sollen Terroristen, Unterstützer von Terro-
risten oder Sympathisantinnen und Sympathisanten von
Terroristen sein? Das kann nicht einmal der Präsident
Erdogan wirklich glauben .
Wir reagieren darauf damit, dass wir sehr besorgt sind .
Mehr passiert nicht!
Nun reden wir heute natürlich über Deutschland
– ich weiß –, und ich will natürlich auf gar keinen Fall
unser Land mit der Türkei vergleichen . Gott bewahre!
Aber ich finde es schon einen Skandal, dass auch bei
uns Journalistinnen und Journalisten Strafandrohungen
bekommen oder Gefahr laufen, wegen Landesverrats an-
gezeigt zu werden,
wenn sie über Dinge berichten, die der Bundesregierung
oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht passen;
denn damit wird die Pressefreiheit eingeschränkt und der
Demokratie geschadet .
Der Kollege Ströbele hat uns an den Fall erinnert, der
sowohl für den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen als
auch für unseren Antrag Ausgangspunkt gewesen ist .
Sie hatten alle Gelegenheit der Welt, hier tätig zu wer-
den . Seit zwei Jahren kündigen Sie an, dass vonseiten
der Großen Koalition Initiativen kommen . Aber nichts ist
gekommen .
Lieber Kollege Sensburg, Sie wissen doch selbst: Na-
türlich geht es nicht um die Frage, ob Geheimnisse oder
geheime Dokumente veröffentlicht worden sind . Die
beiden Blogger, Herr Markus Beckedahl und Herr André
Meister, haben die Öffentlichkeit darüber informiert,
welche Pläne das Bundesamt für Verfassungsschutz zum
Ausbau der Internetüberwachung verfolgt .
Sie haben auch über Geld informiert, das wir als Haus-
haltsgesetzgeber dem Bundesamt für Verfassungsschutz
zur Verfügung stellen,
Steuergelder, mit denen genau diese Maßnahmen umge-
setzt werden sollen. Ich finde schon, dass die Öffentlich-
keit ein Recht darauf hat, zu erfahren, was das Bundes-
amt für Verfassungsschutz vorhat,
um alle Lebensbereiche der Bürgerinnen und Bürger
dieses Landes auszuspähen, und dass dafür Steuergelder
verwendet werden . Es ist meines Erachtens völlig legi-
tim, dass dafür keine Strafmaßnahmen angeordnet wer-
den dürfen .
Es ist Ihnen ebenso bekannt, Herr Kollege Sensburg,
dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nach Krite-
rien, die nicht transparent sind, die in der Öffentlichkeit
nicht nachvollziehbar sind und über die wir nicht ent-
scheiden können, selbst bestimmen kann: Was ist ver-
traulich? Was ist geheim? Was ist streng geheim? Das
kann diese Behörde selbst festlegen, und alles, was die-
sen Stempel trägt, ist der Öffentlichkeit entzogen .
Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung
des Kollegen Sensburg?
Selbstverständlich erlaube ich eine Zwischenfrage,
Frau Präsidentin .
Herr Sensburg .
Herr Kollege, Sie hatten mich eben kritisiert und ge-
sagt, dass ich Ihren Antrag nicht richtig gelesen hätte,
als ich gesagt habe: Nach Ihrem Antrag wollen Sie, dass
die Veröffentlichung von als Geheim eingestuften Doku-
menten nicht mehr strafbar ist . Ich lese jetzt aus Ihrem
Antrag vor . Unter II formulieren Sie:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
1 . Personen von der Strafverfolgung lediglich we-
gen der Veröffentlichung von als Geheim eingestuf-
ten Dokumenten befreit, . . .
Harald Petzold
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20899
(C)
(D)
Ich interpretiere das so, dass Sie möchten, dass die Veröf-
fentlichung von Dokumenten, die als Geheim eingestuft
sind, nicht mehr als Straftatbestand angesehen werden
soll .
Ist das so? Dann hätte ich Ihren Antrag richtig ver-
standen, und dann bleibe ich auch bei meiner Kritik . Das
trifft den Sachverhalt, den Sie gerade geschildert haben,
weil diese Dokumente eingestuft waren . Der Deutsche
Bundestag beschließt dies, weil er Methoden und Techni-
ken, die in den Dokumenten erwähnt werden, nicht preis-
geben will . Wenn man im Vorfeld sagt, wie man verdeckt
ermitteln möchte, braucht man es ja gar nicht mehr zu
machen .
Herr Kollege, Ich hatte vorhin nicht umsonst dazwi-
schengerufen . Sie verdrehen die Dinge immer so – das
ist Ihre Taktik –, dass am Ende genau das Gegenteil von
dem herauskommt, was eigentlich beabsichtigt war .
Ich habe Ihnen gerade ganz deutlich gesagt: Das Bun-
desamt für Verfassungsschutz kann selber festlegen: Was
ist vertraulich? Was ist geheim? Was ist streng geheim?
Alles, was diesen Stempel bekommen hat, ist der Öffent-
lichkeit entzogen. Ich finde, dass die Öffentlichkeit ein
Recht darauf hat, zu erfahren, was das Bundesamt für
Verfassungsschutz mit den Steuergeldern macht, die es
von uns zugewiesen bekommt und die von den Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahlern gezahlt worden sind .
– Das ist nicht fadenscheinig . –
Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, was
das Bundesamt für Verfassungsschutz mit diesen Geldern
vorhat, dass es die Internetüberwachung auf die ganze
Gesellschaft ausdehnen will, um so all unsere Lebensbe-
reiche für den Geheimdienst transparent zu machen . Ich
finde, es darf nicht bestraft werden, wenn solche Dinge
der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden . Da haben
Sie mich völlig richtig verstanden: Ich will, dass sowohl
Journalistinnen als auch Journalisten – das steht in unse-
rem Antrag – nicht strafrechtlich belangt werden, wenn
sie der Öffentlichkeit solche Dinge bekannt machen .
Auch Menschen, die solche Informationen an Journalis-
tinnen und Journalisten weitergeben, sollen nicht bestraft
werden .
Wenn wir über Whistleblower reden, reden wir natür-
lich nicht in erster Linie über Edward Snowden. Ich fin-
de aber, Edward Snowden ist kein Landesverräter, son-
dern ein mutiger Mensch; das sage ich auch über andere
Whistleblower .
Eigentlich hätte Edward Snowden den Friedensnobel-
preis verdient und nicht das Exil .
Es muss möglich sein, dass die Öffentlichkeit über solche
Dinge informiert wird und diejenigen, die darüber infor-
miert haben, nicht Gefahr laufen, am Ende in ihrer Frei-
heit eingeschränkt oder ihrer Freiheit beraubt zu werden .
Ein weiterer Punkt, um den es uns in unserem Antrag
geht, ist die Unabhängigkeit der Justiz . Ich erinnere an das
Trauerspiel, das uns da vorgeführt wurde: Erst verlangt
ein Behördenleiter, Ermittlungen wegen Landesverrats
aufzunehmen . Dann werden diese Ermittlungen aufge-
nommen . Plötzlich merkt die Regierung, dass ihr dieses
Pflaster zu heiß wird. Also fängt sie an, zurückzurudern.
Der eine behauptet, er habe eine entsprechende Weisung
bekommen; der andere erklärt, nie eine Weisung erteilt
zu haben . Dann muss der Generalbundesanwalt sein Amt
aufgeben, und am Schluss stellt er sich noch als Opfer
dar . Da muss man doch das Vertrauen in den Rechtsstaat
verlieren . – Solche Zustände können wir nicht dulden .
Deswegen sagen wir: Die Staatsanwaltschaften müssen
unabhängig arbeiten können – ohne Beeinflussung durch
Landesjustizministerien oder durch das Bundesjustizmi-
nisterium –, und der Generalbundesanwalt darf kein po-
litischer Beamter sein .
Das sind Forderungen, in denen wir mit Bündnis 90/
Die Grünen übereinstimmen . Deswegen werden wir Ih-
ren Anträgen ebenso zustimmen, wie wir unserem Antrag
zustimmen .
Ich finde es bedauernswert, dass es immer wieder die
Oppositionsfraktionen sind, die zu solchen Themen An-
träge stellen bzw . stellen müssen, weil Sie nichts unter-
nehmen .
Vielleicht sollten Sie von der Großen Koalition sich ein-
mal fragen, ob Ihnen Pressefreiheit tatsächlich so we-
nig wert ist, dass Sie sich im Parlament so wenig dafür
engagieren . Ich kann Sie nur auffordern, unseren guten
Anträgen – sowohl von Bündnis 90/Die Grünen als auch
unserem Antrag – zuzustimmen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Harald Petzold . – Nächster Redner:
Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion .
Dr. Patrick Sensburg
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620900
(C)
(D)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribü-
nen! Die Pressefreiheit ist eines der wichtigsten Güter
unserer Verfassung und eine entscheidende Grundlage
für unsere Demokratie . Zur Pressefreiheit gehört, dass
keine staatliche Stelle auch nur im Ansatz in irgendei-
ner Form Einfluss auf journalistische Tätigkeit nimmt.
Deshalb darf nicht einmal der Anschein entstehen, eine
Behörde würde Druck auf Journalisten ausüben .
Wir in der SPD-Fraktion haben die Art der Strafan-
zeige des Bundesamtes für Verfassungsschutz für einen
Fehler gehalten . Deren Zielrichtung war formal gegen
Unbekannt; tatsächlich wurden in der Anzeige Journalis-
ten namentlich genannt, und der Verdacht war damit ge-
gen sie gerichtet . Dabei war es offensichtlich, dass keine
Strafbarkeit wegen Landesverrats vorliegt; denn es war
ohne größere juristische Prüfung erkennbar, dass schon
der für die Verwirklichung des Landesverrattatbestands
erforderliche Vorsatz, nämlich die Gefahr eines schweren
Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik,
fehlte . Ich halte fest, dass diese Anzeige in dieser Form
nie hätte gestellt werden sollen und dass das Bundesin-
nenministerium dieser Strafanzeige niemals hätte zustim-
men dürfen . Das hätte von dort gestoppt werden müssen .
Im ersten Antrag der Grünen wird behauptet, dass
Journalisten immer wieder Ermittlungen von Strafver-
folgungsbehörden ausgesetzt seien . Das kann ich für
Deutschland jedenfalls in dem Ausmaß, wie Sie es in Ih-
rem Antrag darstellen, nicht feststellen . Und es wird eine
präzisere Definition gefordert, was ein Staatsgeheimnis
ist . Publizistische Veröffentlichungen von Staatsgeheim-
nissen erfüllen schon heute in der Regel nicht den Straf-
tatbestand des Landesverrates, weil es an der Absicht
fehlt, Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde
Macht zu begünstigen . Das war früher anders . Nach der
Spiegel-Affäre haben wir die entsprechende Vorschrift
geändert . Damals hätte der einfache Dolus eventualis
ausgereicht; seit 1966 bedarf es der Absicht . Wir haben
also schon damals Ihrem Anliegen entsprochen .
Ich finde, Ihr Vorschlag ist viel zu unbestimmt. Nach
Ihrem Vorschlag soll ein Staatsgeheimnis nicht vorlie-
gen, wenn das öffentliche Interesse am Bekanntwerden
der Information „das öffentliche Interesse an deren Ge-
heimhaltung erheblich überwiegt“ . Was ist „erheblich“?
So ungenau sollten wir keine Strafnormen formulieren,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen .
Ich finde, die Qualifizierung einer Information als
Staatsgeheimnis sollte davon abhängen, ob tatsäch-
lich eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland besteht . Sie schlagen vor, dass Vorausset-
zung für die Strafbarkeit sein soll, dass die Information
als Geheim eingestuft ist . Das könnte dazu führen, dass
eine Information die äußere Sicherheit der BRD gefähr-
det, aber aus irgendwelchen Gründen nicht eingestuft ist .
Dieses formale Kriterium halte ich deshalb für schwierig .
Herr Fechner, Entschuldigung . Erlauben Sie eine Fra-
ge oder Bemerkung?
Ja klar . Natürlich .
Dann, lieber Christian Ströbele, bitte .
Sie hätten weiterlesen müssen . Der Satz war noch
nicht zu Ende . Sie haben zitiert bis „erheblich über-
wiegt“ . Dann geht es weiter:
. . . wenn sie oder ihre Inhalte
1 . gegen die freiheitliche demokratische Grundord-
nung verstoßen,
2 . auf Grundrechtsverletzungen oder die Begehung
schwerer Straftaten … schließen lassen,
3 . gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbe-
schränkungen verstoßen .
Nur dann fordern wir das .
Das haben Sie einfach weggelassen . Sie behaupten,
dass nach unserer Definition immer dann keine Staatsge-
heimnisse vorliegen, wenn das öffentliche Interesse am
Bekanntwerden das öffentliche Interesse an Geheimhal-
tung erheblich überwiegt . Wir haben die Gründe genau
aufgelistet, wann keine Staatsgeheimnisse vorliegen . Da-
gegen können Sie doch nichts haben .
Aus meiner Sicht ist es nach wie vor zu unbestimmt .
Es wird auch durch die Nachsätze, die Sie vorgetragen
haben – ich habe das auch in Ihrem Antrag gelesen –,
nicht besser . Sie eröffnen eine Diskussion über die Er-
heblichkeitsschwelle dieser wichtigen Norm . Das alles
halte ich für zu unbestimmt . Deswegen bin ich von Ihrem
Vorschlag nicht überzeugt .
Langer Rede kurzer Sinn: Die Lehre aus der Affäre
netzpolitik .org muss sein, dass Sicherheitsbehörden kei-
ne offensichtlich haltlosen Strafanzeigen gegen Journa-
listen stellen . Wo das geplant ist, müssen die Ministerien
einschreiten und solche Anzeigen stoppen . Es darf we-
gen der überragenden Bedeutung der Pressefreiheit in
Deutschland nicht einmal der Anschein erweckt werden,
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20901
(C)
(D)
dass in Deutschland Sicherheitsbehörden durch Strafan-
zeigen Druck auf Journalisten ausüben .
Im zweiten Antrag fordern Sie, liebe Kollegen von
den Grünen, im Einzelfall das externe Weisungsrecht des
Justizministers zu beschränken . Ich halte fest: Sie wol-
len es nicht abschaffen, wie es der Deutsche Richterbund
fordert, sondern Sie wollen es beschränken, und zwar auf
„evident rechtsfehlerhafte Entscheidungen“ . Auch das
ist aus meiner Sicht viel zu unbestimmt . Wie und nach
welchen Kriterien wollen Sie das bitte bestimmen? Das
Weisungsrecht ist aus meiner Sicht sinnvoll und sollte
nicht abgeschafft werden . Der bekannte Rechtsanwalt
Gerhard Strate hat es in einem Beitrag für die Zeitschrift
für Rechtspolitik 2014, wie ich finde, sehr prägnant zu-
sammengefasst . Er verweist zu Recht darauf, dass das
Grundgesetz keine Unabhängigkeit der Justiz, sondern
„nur“ die Unabhängigkeit der Richter kennt . Den Staats-
anwalt zum Teil der dritten Gewalt zu erklären, wäre – so
Strate – der Abschied von dem fein austarierten System
unserer rechtsstaatlichen Justiz . Das externe Weisungs-
recht, von dem sowieso nie Gebrauch gemacht wird –
Herr Maas hat es nicht getan, Kollege Sensburg –, sollte
zumindest in der Theorie bestehen . Das ist wichtig, weil
ansonsten keinerlei parlamentarische Kontrolle der Er-
mittlungsarbeit möglich ist . Dass das erforderlich ist, hat
der Fall Mollath sehr deutlich gezeigt . Letztlich gibt es
Argumente für die Abschaffung des Weisungsrechts, und
es gibt Argumente für die Beibehaltung . Aber nach mei-
ner Meinung gibt es keine Argumente für Ihren Mittel-
weg . Ich halte es für zu schwammig und unbestimmt, zu
sagen, nur bei evident bedeutsamen Fehlleistungen solle
das Weisungsrecht bestehen . Da ist Rechtsunsicherheit
vorprogrammiert .
Zum Antrag der Linken . Er enthält die berechtigte For-
derung, Hinweisgeber besser zu schützen . Ja, das stimmt .
Die SPD hatte in der letzten Legislaturperiode genau zu
diesem Zweck einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht .
Auch wir wollen Hinweisgeber besser schützen . Etwa
die Lebensmittelskandale in den letzten Jahren wären
niemals aufgeklärt worden, wenn es nicht mutige Arbeit-
nehmer gegeben hätte, die sich gegen ihre Vorgesetzten
gestellt und viele persönliche Nachteile in Kauf genom-
men hätten . Weil sie den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern dadurch einen großen Dienst erwiesen und dafür
gesorgt haben, dass lebensgefährliche Geschäftsprakti-
ken aufgedeckt und verhindert werden konnten, müssen
wir den Schutz solcher Hinweisgeber auf jeden Fall ver-
bessern . Da teilen wir Ihr Ziel .
Die Anträge enthalten viele richtige Ansätze, etwa den
besseren Schutz der Whistleblower oder die Idee, das
Weisungsrecht nur schriftlich zuzulassen . Aber weil sehr
viel unklar ist und weil insbesondere bei den Anträgen
der Grünen die zentralen Punkte zu unbestimmt sind,
habe ich erhebliche Bedenken gegen Ihre Anträge .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Johannes Fechner . – Nächster Redner:
Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-
nen und Kollegen! In der Tat haben die Ermittlungen
gegen netzpolitik .org zu einer heftigen und breiten De-
batte geführt . Es wurde gefragt, ob wir den Schutz der
Journalisten in unserem Land verbessern müssen und
ob wir nicht generell eine Reform der Tatbestände der
§§ 93 ff . StGB – Geheimnisverrat und Landesverrat –
brauchen . Aber der Reihe nach .
Bei uns sind Journalistinnen und Journalisten zunächst
einmal grundrechtlich geschützt durch Artikel 5 des
Grundgesetzes. Dieses Grundrecht findet eine Schranke
in den Straftatbeständen der §§ 93 ff . StGB . Interessant
dabei ist: Das Schutzgut ist die äußere Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland. Ich finde es ein Stück weit
bedenklich, dass wir heute eine rechtspolitische Debatte
über die Frage führen, ob wir diese Tatbestände reformie-
ren, und niemand von Ihnen, weder Sie, Kollege Petzold,
noch Sie, Kollege Ströbele, sich einmal die Mühe ge-
macht hat, dieses Rechtsgut in Inhalt und Ausmaß zu
beleuchten .
Zwei Dinge hat netzpolitik .org damals online gestellt –
ich glaube, auch da sollten wir einmal etwas konkreter
werden; Sie, Herr Petzold, haben das sehr oberflächlich
in den Raum gestellt –: zum einen Teile des Wirtschafts-
plans des BfV, zum anderen Teile des Konzepts „Erwei-
terte Fachunterstützung Internet“ . Ich empfehle Ihnen, zu
der Bewertung des Inhalts die Ausführungen von Profes-
sor Dr . Jan-Hendrik Dietrich, Hochschule des Bundes, zu
lesen . Das ist just der Gutachter, den der damalige Ge-
neralbundesanwalt als externen Gutachter beauftragt hat-
te . Dieses Gutachten ist sehr viel differenzierter als das
interne Gutachten, das das Bundesamt für Verfassungs-
schutz damals in Auftrag gegeben hat . Professor Dietrich
kommt – so einfach scheint es nicht zu sein, Kollege
Fechner – zunächst einmal zu der Einschätzung, dass die
Information über das EFI-Konzept ein Staatsgeheimnis
gewesen ist, da das Konzept Rückschlüsse auf das Leis-
tungspotenzial des Bundesamtes für Verfassungsschutz
im Cyberbereich zulässt . Das EFI-Konzept legt offen,
welche organisatorischen und technischen Defizite im
Bundesamt für Verfassungsschutz im Bereich Cyberbe-
kämpfung vorherrschen, und beschreibt die Methoden,
wie in diesem Haus Informationen gewonnen werden .
Jetzt sagen Sie, die Öffentlichkeit müsse informiert
werden . Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Da haben
sich mir die Nackenhaare aufgestellt . Kollege Petzold,
wir leben im Zeitalter der Cyberkriminalität, im Zeitalter
der Hackerattacken .
Dr. Johannes Fechner
https://netzpolitik.org
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620902
(C)
(D)
Und für Sie ist es in Ordnung, dass ein Konzept offen-
gelegt wird, das Rückschlüsse auf die Cyberkompetenz
des Bundesamts für Verfassungsschutz zulässt . Auf
Deutsch gesagt: Dieses Konzept zeigt, wo die Bundesre-
publik Deutschland auf dem Cyberweg verwundbar ist,
und das im Zeitalter der Hackerattacken . Und für Sie ist
die Veröffentlichung vollkommen in Ordnung .
Ich finde es erschreckend, dass Sie tatsächlich gesetz-
lichen Handlungsbedarf anmahnen, sich aber mit dem
Inhalt des Gutachtens offensichtlich kaum beschäftigt
haben,
zumal – auch das muss man sagen – das Schutzgut der
äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland,
der Schutz der Bundesrepublik Deutschland und seiner
Behörden und Einrichtungen vor Hackerangriffen, alles
andere als ein niedrigschwelliges Rechtsgut ist .
Ich sage Ihnen: Bei der Lektüre Ihrer Anträge nimmt
man wahr, dass Sie an dieser Stelle Ihre Ideologie offen-
sichtlich ganz nach oben stellen . Sie wollen möglichst
viel Beinfreiheit für Journalisten und nehmen dafür im
Notfall eine Gefährdung der Bundesrepublik Deutsch-
land in Kauf .
Genau deshalb werden wir diese Anträge ablehnen . Wir
leben im Zeitalter der Digitalisierung, in einem Zeital-
ter, in dem sich in jeder Lebenslage akut und spontan In-
formationen in die Welt hinaussenden lassen . Wenn die
Information einmal in der Welt ist, sekundenschnell, ist
sie ganz schwer rückholbar . Wir wollen in diesem Zeit-
alter keinen leichtfertigen Umgang mit Staatsgeheimnis-
sen . Wir wollen eben nicht, dass der äußere Schutz der
Bundesrepublik Deutschland zur Disposition Einzelner
gestellt wird .
Herr Hoffmann, erlauben Sie eine Bemerkung oder
Frage von Christian Ströbele?
Aber mit großem Vergnügen, Frau Präsidentin .
Danke schön .
Herr Kollege, darf ich Sie so verstehen, dass Sie im
Ergebnis der Meinung sind, man hätte die beiden Jour-
nalisten doch anklagen und möglicherweise verurteilen
sollen?
So verstehe ich Sie jetzt . Sie haben offenbar noch nicht
verstanden, dass das eine die Person oder die Stelle ist,
die eine Information aus dem Bundesamt für Verfas-
sungsschutz nach draußen gegeben hat – darüber reden
wir hier gar nicht –, das andere die Journalisten sind, die
diese Information bekommen und veröffentlichen . Wir
sind der Meinung, dass ein Journalist, wenn er so etwas
in die Hand bekommt, gerade in einer Zeit, in der wir
über die Internetüberwachung diskutieren – ich rede jetzt
nicht von dem möglichen Verfassungsschützer oder wer
auch immer das war –, sagen können muss: Das interes-
siert die Öffentlichkeit jetzt aber sehr . Also veröffentliche
ich das .
Danke für die Frage . – Das ist doch genau der Punkt:
In dem Moment, wo man das in die Hände eines Jour-
nalisten gibt, legt man das erhebliche Rechtsgut „äußere
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ in die Hän-
de eines Einzelnen und stellt es zu seiner Disposition . Ich
habe eigentlich gedacht – deswegen war ich eingangs
Ihrer Frage etwas irritiert –, dass Sie als Strafverteidiger
sehr wohl die Frage, ob Anklage erhoben wird, ob ermit-
telt wird, und die Frage, ob jemand verurteilt wird, aus-
einanderhalten können . Ich glaube, dass es voll und ganz
gerechtfertigt gewesen ist, in diesem Fall Ermittlungen
einzuleiten .
Es scheint ja nicht so eindeutig gewesen zu sein, wie der
Kollege Fechner vorhin geschildert hat . Immerhin hat
das Bundesjustizministerium ein Gutachten in Auftrag
gegeben . Jeder Straftäter in Deutschland muss sich nach
den Ermittlungen unter Umständen einem Strafprozess
stellen, in dem es dann um die Frage geht, ob Vorsatz
oder Absicht, wie es das Gesetz erfordert, vorgelegen hat .
Daher verstehe ich nicht, warum wir uns diese Zeit nicht
hätten nehmen sollen .
Generell erlebe ich diese Debatte – da will ich ehrlich
sein – als sehr ideologisch . Ich gehe sogar noch einen
Schritt weiter . Ich persönlich behaupte, dass Sie von den
Grünen und auch Sie von den Linken diese Ermittlungen
nicht zum Anlass für Reformüberlegungen genommen
hätten, wenn es zum Beispiel Ermittlungen gegen ein
Alexander Hoffmann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20903
(C)
(D)
sehr konservatives Medienblatt, wie zum Beispiel den
Tagesspiegel, gegeben hätte .
Ich bin aber – auch das will ich ganz ehrlich sagen –
mit der Aufarbeitung dieser Thematik im Bundesjustiz-
ministerium – insofern bin ich dankbar, dass Sie da sind,
Herr Minister – nicht wirklich zufrieden . Wir täten uns in
der Debatte durchaus leichter, wenn auch Sie mehr zur
Aufklärung der damaligen Chronologie beitragen wür-
den . Sie sagen: Es hat keine Weisung gegeben . Ich habe
nie das Wort „Weisung“ verwandt . – Ich habe im Rechts-
ausschuss gefragt, ob Sie ausschließen können, dass das,
was Sie gesagt haben, als Weisung hätte verstanden wer-
den können . Dazu gab es keine Auskunft . Sie haben auch
die Existenz des Aktenvermerks nicht wirklich erklären
können, und sie ließen das externe Gutachten stoppen . –
Das sind die Erkenntnisse, die ich eingangs skizziert
habe . Auf die Frage, warum sie es an diesem Montag, am
Tag der Weisung, haben stoppen lassen, sagen sie: Es war
einfach keine Zeit mehr zu verlieren . – Es ärgert mich
als Parlamentarier, wenn ich über das Fernsehmagazin
Kontraste die Information bekomme, dass der Gutachter
selbst sagt, dass das Gutachten an diesem Tag so gut wie
fertig gewesen ist . Mit der Beantwortung dieser Fragen
täten wir uns in der Debatte leichter .
Ich will am Ende meiner Rede noch ein paar Sätze
zum Schutz von Hinweisgebern verlieren; auch das ist
immer wieder ein Thema in den Debatten gewesen . Ich
bin schon dafür, dass wir das Ganze weitaus differen-
zierter sehen, als es der Kollege Petzold vorhin getan hat
oder als Sie es immer tun, Kollege Ströbele . Mir ist schon
wichtig, dass wir gesellschaftspolitisch den Akzent da-
rauf setzen, dass Hinweisgeber nicht in eine Ecke mit
Denunzianten gestellt werden dürfen . Ich glaube schon,
dass wir uns trotz Edward Snowden die Zeit nehmen
sollten, einmal zu überlegen: Wo besteht denn überhaupt
Regelungsbedarf? Wie viele Regelungslücken haben
wir? – Sie wissen, dass in der juristischen Debatte die
Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte im Mittelpunkt stand . Damals ging
es um den berühmt gewordenen Fall der Pflegerin, die
Missstände in einem Pflegeheim veröffentlicht hatte. Die
wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Entscheidung sind:
Erstens . Es geht um Grundrechtsschutz . Es ist eine
Abwägungsentscheidung zu treffen zwischen der Mei-
nungsfreiheit und dem Informationsinteresse der Allge-
meinheit auf der einen Seite und dem Vertraulichkeitsin-
teresse des Unternehmens auf der anderen Seite .
Zweitens . Diese Abwägung muss im Einzelfall von
einem Gericht vorgenommen werden, auch wenn wir
einzelgesetzlich etwas verändern . Auch rechtliche Kon-
sequenzen – wie eine Abfindung, die es in diesem Fall
gab – müssen im Einzelfall geprüft werden; das ist heute
schon so .
Ich bin der Meinung, dass wir schauen müssen, wie
die Strukturen in diesem Bereich, zumindest im Hinblick
auf das Arbeitsrecht, sind und ob es Änderungsbedarf
gibt . Ein solcher Bedarf ist jedenfalls nicht in dem Um-
fang, wie Sie heute hier glauben machen wollen, vorhan-
den . Deswegen lehnen wir Ihre Anträge ab .
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Alexander Hoffmann . – Der letzte Red-
ner in der Debatte: Dr . Matthias Bartke für die SPD-Frak-
tion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Netzpolitik .org-Affäre aus dem letzten Sommer hat uns
die Spiegel-Affäre von 1962 wieder ins Gedächtnis ge-
rufen . Beide Affären stehen für die hohe Bedeutung, die
die Pressefreiheit in unserem Land hat . Die Spiegel-Af-
färe hat die Pressefreiheit in der Gesellschaft wirklich
verankert . Die Gesellschaft hat damals begriffen, was
Pressefreiheit tatsächlich bedeutet . Seither begleitet der
kritische Geist der Presse die Entwicklungen in unserem
Land und korrigiert sie, wo sie in die falsche Richtung
laufen . Die Pressefreiheit ist damit Garant unserer De-
mokratie und scheint heute wichtiger denn je, nicht nur
in Deutschland .
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Spie-
gel-Urteil von 1966 in aller Deutlichkeit festgestellt:
Die Presse … beschafft die Informationen, nimmt
selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientieren-
de Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung .
Im selben Urteil hat das Bundesverfassungsgericht auch
deutlich gemacht, dass „die Aufdeckung wesentlicher
Schwächen … trotz der zunächst damit verbundenen …
Nachteile für das Wohl der Bundesrepublik auf lange
Sicht wichtiger … als die Geheimhaltung“ sein kann .
Meine Damen und Herren, das ist der Hintergrund,
vor dem die Netzpolitik .org-Affäre gesehen werden
muss . Es war daher absolut richtig, dass das Justizmi-
nisterium schon zu einem frühen Zeitpunkt der Affäre
besonders sorgsame Arbeit angemahnt hat . Selbst der
damalige Generalbundesanwalt Range hatte mit Blick
auf die Pressefreiheit Anweisung gegeben, „mögliche
Exekutivmaßnahmen“, wie er es nannte, gegen die Jour-
nalisten zu stoppen . Damit wird schon sehr deutlich, dass
der Staat zu keinem Zeitpunkt kritische Berichte unter-
drücken wollte oder gar unterdrückt hat .
Wenn es um Ermittlungen gegen Journalisten geht,
steht dieser Verdacht natürlich immer schnell im Raum,
und man darf solche Bedenken auch nicht leichtfertig
vom Tisch wischen . Das ist im Fall von netzpolitik .org
aber ganz sicher nicht geschehen . Nach dem Bekannt-
werden der Ermittlungen explodierte die Berichterstat-
tung zu diesem Thema geradezu . Medien und Pressever-
bände waren empört und haben sich mit den Bloggern
von netzpolitik .org solidarisiert . Ich muss gestehen:
Einen eingeschüchterten Eindruck hat das auf mich da-
mals nicht gerade gemacht. Ich finde, das spricht für das
Alexander Hoffmann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620904
(C)
(D)
Selbstbewusstsein der Presse in unserem Land, und ich
sage: Richtig so!
Liebe Oppositionsfraktionen, in Ihren Anträgen neh-
men Sie nicht nur auf die Pressefreiheit, sondern auch
auf das Weisungsrecht des Justizministers Bezug und
wollen es einschränken . Ja, der Justizminister hat ein
externes Weisungsrecht gegenüber dem Generalbundes-
anwalt . Im vorliegenden Fall hat er davon aber gar kei-
nen Gebrauch gemacht . Es ist ja nun auch nicht so, dass
er deswegen schalten und walten kann, wie er will . Die
Dienstaufsicht ist an Recht und Gesetz gebunden . Wo das
Gesetz keinen Ermessensspielraum zulässt, kommt das
Weisungsrecht überhaupt nicht infrage . Justizminister
Heiko Maas musste Generalbundesanwalt Range trotz-
dem in den einstweiligen Ruhestand versetzen . Nachdem
dieser ihm in einer Pressekonferenz vorgeworfen hatte,
in die Unabhängigkeit der Justiz einzugreifen, war das
unvermeidlich; denn einmal abgesehen davon, dass der
Generalbundesanwalt eben gerade nicht unabhängig ist,
erschüttert ein solch öffentlich erhobener Vorwurf das
Vertrauensverhältnis ohnegleichen . Völlig klar, dass das
deutliche Konsequenzen erforderte!
Meine Damen und Herren, ich will in diesem Zu-
sammenhang meinen persönlichen Eindruck schildern .
Im Rechtsausschuss hatten wir Herrn Range im August
vergangenen Jahres ja bekanntlich geladen . Ich muss
wirklich sagen: Einen solch schwachen Auftritt habe ich
zuvor selten erlebt .
Die Süddeutsche Zeitung beschrieb Range als „rebel
with out a cause“. Ich finde, das trifft es ziemlich gut.
Sie merken schon: Aus meiner Sicht zeichnet sich
nicht der Änderungsbedarf ab, den Sie aus der Affäre ge-
folgert haben . Das liegt vielleicht auch daran, dass der
letzte vergleichbare Fall über ein halbes Jahrhundert zu-
rückliegt. Ich finde: Dringender Handlungsbedarf sieht
wirklich anders aus .
Ich danke Ihnen .
Vielen Dank, Matthias Bartke . – Damit schließe ich
die spannende Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/10036, 18/10037 und 18/5839 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . – Sie sind damit einverstanden . Dann sind die
Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte am NATO-geführten Ein-
satz Resolute Support für die Ausbildung, Be-
ratung und Unterstützung der afghanischen
nationalen Verteidigungs- und Sicherheits-
kräfte in Afghanistan
Drucksachen 18/10347, 18/10638
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/10657
Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Red-
ner Niels Annen für die SPD-Fraktion das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Am 5 . Dezember 2001, also fast auf
den Tag genau vor 15 Jahren, ging auf dem Bonner Pe-
tersberg die erste Afghanistan-Konferenz zu Ende . Eini-
ge werden sich an die Debatten noch erinnern . Es gab so
etwas wie eine Aufbruchstimmung . Man darf auch nicht
vergessen: Die afghanische Bevölkerung hatte damals
schon auf 20 Jahre Krieg zurückgeblickt . Aber wenn wir
heute über Resolute Support diskutieren und beschließen
werden, dann gehört es zu unserer Verantwortung, dass
wir eine ehrliche Bilanz ziehen .
Die Erwartungen, die damals im Land herrschten, der
Enthusiasmus, haben sich nicht realisieren lassen . Das ist
ein Teil der Ernüchterung, die wir zur Kenntnis nehmen
müssen . Leider prägen immer noch Gewalt und Angst
vor Unsicherheit den Alltag der Menschen in Afgha-
nistan . Auch das Thema Korruption beschäftigt unsere
Kolleginnen und Kollegen im afghanischen Parlament .
Es gibt in Teilen des Landes ein Gefühl von Hoffnungs-
losigkeit . Das drückt sich in der Tatsache aus, dass Men-
schen Afghanistan verlassen . Ich komme aus Hamburg
und vertrete einen Wahlkreis mit einer der wahrschein-
lich größten afghanischen Gemeinden in Deutschland
und in ganz Europa .
Trotzdem ist es richtig – das ist auch ein Teil der De-
batte, die wir führen müssen –, dass es seit 2001 wichtige
Fortschritte in Afghanistan gegeben hat . Es gibt zumin-
dest in den großen Städten freie Medien . Es gibt Debat-
ten . Es gibt politische Demonstrationen . Das ist für uns
nichts Besonderes, aber für die afghanische Kultur ist das
bemerkenswert .
Dr. Matthias Bartke
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20905
(C)
(D)
Sie prägen damit auch das afghanische Gemeinschaftsge-
fühl, den Zusammenhalt dieser zerrissenen Gesellschaft .
Dies ist ein Teil der Realität . Deswegen möchte ich das
auch ansprechen .
Ich will hier keinen Katalog herunterbeten, aber er-
wähnen muss man das schon, wenn wir über Afghanistan
diskutieren . Es gibt auch Erfolge im Kampf gegen An-
alphabetismus, gegen Armut, gegen fehlende medizini-
sche Versorgung . Vor allem in den großen Städten – auf
dem Lande bleiben große Defizite – gibt es Zugang zu
Bildung in einer Art und Weise, wie es das in der afgha-
nischen Geschichte niemals gegeben hat .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach den
Rückschlägen, über die wir miteinander diskutiert haben,
darf ich daran erinnern, dass wir über ein Bundestags-
mandat zu entscheiden haben, dessen Charakter darin
liegt, die afghanischen Sicherheitskräfte – Armee und
Polizei – zu unterstützen, zu trainieren, zu beraten . Ich
will auch daran erinnern, dass wir hier Menschenleben
zu beklagen haben, auch von deutschen Soldatinnen und
Soldaten, im Kampf gegen die Feinde der Demokratie
in Afghanistan, die Taliban und andere Aufständische .
Trotzdem glaube ich, dass es richtig ist, dass die Bundes-
regierung die afghanische Regierung, die afghanischen
Akteure, die sich für eine Versöhnung einsetzen, unter-
stützt . Das ist der richtige Weg für Afghanistan . Nach so
vielen Jahren Krieg wissen wir doch, meine sehr verehr-
ten Kolleginnen und Kollegen, dass es am Ende nur eine
politische Lösung geben kann .
Deswegen finde ich es erfreulich, auch wenn es nur
einen kleinen Teil der Aufständischen betrifft, dass wir
trotz der Schwierigkeiten, mit denen unsere Kolleginnen
und Kollegen in Kabul konfrontiert sind, mit dem jüngst
abgeschlossenen Abkommen mit Herrn Hekmatjar se-
hen, dass es eine realistische Möglichkeit gibt, Gewalt-
akteure in den politischen Prozess zu integrieren . Ich bin
mir sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Taliban
werden das, was dort vereinbart worden ist, sehr genau
beobachten . Umso wichtiger ist es natürlich, dass jetzt
die Versprechen, die vonseiten der afghanischen Regie-
rung gemacht worden sind, eingehalten werden .
Ich will hier an diesem Podium auch sagen: Präsident
Ghani und CEO Abdullah, die beiden beherrschenden
politischen Figuren des Landes, haben, nicht weil unsere
Hilfen konditioniert sind – sie sind es übrigens aus gu-
tem Grund –, sondern aus eigener Initiative, ihrer Bevöl-
kerung große Versprechen gemacht . Ein Land, das sich
im Kriegszustand befindet, kann nicht alles eins zu eins
umsetzen . Aber vieles ist nicht umgesetzt worden, weil
die beiden sich nicht verständigen konnten, weil die Um-
felder dieser beiden wichtigen Politiker nicht zusammen-
gearbeitet, nicht kooperiert haben . Das hat zur aktuellen
Instabilität und Unsicherheit beigetragen . Wir erwarten
von Präsident Ghani und von Herrn Abdullah, dass die
Versprechen, die sie ihren eigenen Menschen gegeben
haben, eingehalten werden, meine sehr verehrten Damen
und Herren .
Dann muss sich auch jeder in Afghanistan darauf verlas-
sen können, dass wir mithelfen – mit Resolute Support,
um die Sicherheitskräfte auf ihre schwierige Aufgabe in
diesem Umfeld weiter so professionell wie möglich vor-
zubereiten, aber eben auch mit den Zusagen, die wir in
Brüssel gemacht haben .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will zum
Schluss, weil das ja nun die Debatte ist, die wir hier alle
miteinander führen, doch noch ein Wort zur aufgeregten
Diskussion über die Abschiebungen sagen . Eines ist doch
in der Tat richtig: Afghanistan ist kein sicheres Land .
Man kann zur Sicherheit in Afghanistan keine pauschale
Aussage treffen . Ich kenne übrigens auch kein Gerichts-
urteil, das zu einem solchen Ergebnis kommt .
Ich glaube, trotzdem ist es richtig, dass es, wenn der
Rechtsweg ausgeschöpft ist, grundsätzlich die Möglich-
keit gibt, Menschen, die keine Bleibeperspektive haben,
zurückzuschicken . Ich sage „grundsätzlich“,
weil ich das mit einem Appell verbinden möchte: Ich er-
warte, dass die Gerichte, aber auch das BAMF weiter-
hin sehr sorgfältig jeden Einzelfall prüfen . Ich warne vor
dem Populismus, den ich aus Bayern höre, wo es heißt,
man könne jetzt Tausende von Menschen nach Afghanis-
tan abschieben . Das hätte mit der Realität und übrigens
auch mit der Rechtslage nichts zu tun .
Gerade Menschen, die hier unsere Sprache sprechen, die
gut integriert sind, sollen weiter bei uns eine Perspektive
haben . Also lassen Sie uns keine populistische, sondern
eine an der Sache orientierte Debatte führen .
Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit und bitte
um Zustimmung .
Niels Annen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620906
(C)
(D)
Vielen Dank, Niels Annen . – Nächster Redner:
Wolfgang Gehrcke für die Linke .
Danke sehr, Frau Präsidentin . – Wir reden hier über
15 Jahre deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan . Die
Kriege in Afghanistan sind sehr viel älter; das ist über-
haupt keine Frage . Wir haben unendlich viele Debatten
hier im Bundestag geführt – das ist richtig und wichtig –,
aber ich muss ehrlich sagen: So viel Dreistigkeit wie
diesmal habe ich bisher bei keiner Debatte erlebt . Das
macht mich wirklich fassungslos .
Das müssen Sie den Menschen doch mal erklären: Sie
beantragen die Verlängerung des Mandates mit der Be-
gründung, dass die Sicherheit in Afghanistan nicht gege-
ben ist; deshalb müsse man das Mandat der Bundeswehr
verlängern . Ich halte das alles für falsch, aber das ist Ihre
Begründung . Gleichzeitig schieben Sie Flüchtlinge, die
hier Schutz gesucht haben – gestern waren es 34, die ab-
geschoben worden sind –, mit der Begründung nach Af-
ghanistan zurück, dass es ein sicheres Herkunftsland ist .
Das begreift keiner mehr .
Mit solch einer Begründung können Sie doch gar nicht
abschieben .
Das Triumphgeheule aus Bayern, von denjenigen, für
die 34 Abschiebungen nicht auslangen, sondern es eini-
ge Tausend sein sollen, ist doch nicht zu überhören . Die
Glückwunschschreiben der AfD müssen sich doch bei
Ihnen stapeln, wenn Sie so vorgehen . Es ist unfassbar
und völlig inakzeptabel, was Sie hier machen .
Ich habe mich über jeden gefreut, der gestern am Frank-
furter Flughafen gegen die Abschiebung demonstriert
hat . Ich möchte, dass die Menschen in diesem Lande für
Frieden in Afghanistan, aber auch dafür, dass die afgha-
nischen Flüchtlinge hier zu Hause sein können, auf die
Straße gehen und sich einsetzen . Das ist eine vernünftige
Politik, zumindest aus Sicht meiner Fraktion .
Gleichzeitig bitte ich Sie, mal über die Afghanis-
tan-Entscheidungen nachzudenken, die hier unter jeg-
licher Couleur, jeglichen Regierungsfarben, getroffen
worden sind: Rot-Grün zu Beginn, dann Schwarz-Gelb
und Schwarz-Rot . Alle hier vertretenen Fraktionen außer
dem gallischen Dorf der Linken
waren daran beteiligt . Und die Argumente sind immer
schlechter geworden . Das war der Mühlstein, der die
deutsche Außenpolitik immer weiter runtergerissen hat .
Denken Sie an das Argument, die deutsche Sicherheit
solle am Hindukusch verteidigt werden . Die deutsche
Sicherheit ist nicht am Hindukusch verteidigt worden .
Die Gefahren sind immer größer geworden . Ich denke an
den Tötungsbefehl des Oberst Klein in Kunduz; es war
ein deutscher Oberst, der einen solchen Befehl gegeben
hat . Ich denke auch, Herr Außenminister, an die ganze
Debatte über Murat Kurnaz . All das ist Teil der Ausei-
nandersetzung über die deutsche Kriegsbeteiligung in
Afghanistan. Ich finde, gerade Sie als sozialdemokrati-
sche Partei sollten sich von dieser Katastrophe lösen und
einen anderen politischen Weg einschlagen . Das wäre
vernünftig . Ansonsten geht es in der Außenpolitik immer
weiter bergab . Aus diesem Dilemma kommen Sie nicht
raus . Sie müssen sich so oder so entscheiden .
Ich fordere Sie auf, darüber nachzudenken, ob sich
die Mehrheit dieses Parlaments nicht bei der damaligen
Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in
Deutschland, Frau Käßmann, entschuldigen muss . Der
klassische Satz von Frau Käßmann: „Nichts ist gut in Af-
ghanistan“ ist stimmig und trägt .
– Dass er Ihnen nicht passt, ist mir schon klar . Sonst strei-
ten Sie doch immer für die Kirche, Herr Kauder,
aber wenn es mal kritisch wird, dann ist alles vorbei . Das
war damals eine richtige Grundbeurteilung .
Nichts ist gut in Afghanistan .
220 000 Menschen sind in dem Krieg umgekommen . Ist
das gut? Was ist in Afghanistan nicht alles zerstört wor-
den! Die NATO hat sich so positioniert, dass immer mehr
Menschen zu den Terroristen übergelaufen sind . Heute
betreiben Sie eine Politik, durch die am Ende nicht die
Taliban, sondern der „Islamische Staat“ noch stärker
wird . Wer mit Drohnen in Afghanistan tötet, treibt die
Menschen in die Scheuer des „Islamischen Staates“ . Das
ist das Ergebnis Ihrer Politik . Da können Sie doch nicht
sagen, dass alles gut ist in Afghanistan oder besser ge-
worden ist .
Das alles bleibt unterm Strich stehen . Deswegen kann
man Ihrem Antrag nicht zustimmen . Wir werden den An-
trag ablehnen; das ist sowieso nicht das Problem . Aber
immer mehr Menschen in unserem Lande sagen: Mit ei-
ner solchen Politik wollen wir nichts zu tun haben, und
das zu Recht .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20907
(C)
(D)
Vielen Dank, Wolfgang Gehrcke . – Nächster Redner:
Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege
Gehrcke sprach eben von Dreistigkeit mit Blick auf den
vorliegenden Antrag . Dreist, Herr Kollege Gehrcke, ist,
wie Sie hier Aussagen aus dem Zusammenhang reißen
und Geschichte klittern,
wie Sie hier eine Theologin vorführen, die Ihre Aussagen
längst revidiert hat .
Wir alle wissen: Die Lage in Afghanistan ist viel-
schichtig, aber ohne das internationale Engagement wäre
Afghanistan längst zerfallen . Ich glaube, darüber sind wir
uns einig .
– Herr Ströbele, es geht hier nicht um Krieg . – Der Kol-
lege Annen hat eben sehr klar daran erinnert, was wir im
Jahr 2011 zum zweiten Mal auf einer Petersberg-Konfe-
renz in Deutschland angesprochen, vorbereitet und in die
Planung gesetzt haben, nämlich bis 2024 aus Afghanistan
ein ganz normales Entwicklungsland zu machen . Merket
wohl: Ein ganz normales Entwicklungsland! Afghanistan
ist auf den letzten Plätzen was Sicherheit, was Korrupti-
onsbekämpfung angeht .
Afghanistan macht schleichende Fortschritte, aber das
hat Afghanistan bisher nicht aus eigener Kraft geschafft .
Dazu braucht es internationale Unterstützung .
Das wirklich Dreiste an der Argumentation der Linken
ist die ausschließliche Fokussierung aufs Militärische .
Drei Punkte sind hier wichtig, die wir in der Debatte der
Opposition, zumindest der Linken, entgegenhalten kön-
nen .
Erstens . Es geht schlichtweg darum, dass wir in der
afghanischen Bevölkerung das Vertrauen in die eigenen
Strukturen stärken . Das bedeutet, nach militärischen Ein-
sätzen sofort mit humanitärer Hilfe, mit Wiederaufbau
und mit einer wärmenden Hand des Staates präsent zu
sein . Da geht es um Energieversorgung, um Gesundheit
und um Wasser . Das leistet die Resolute Support Missi-
on, indem sie die afghanischen Strukturen befähigt, be-
gleitet und berät .
Zweitens . Wir müssen die Eigenverantwortung Af-
ghanistans stärken . Wenn wir über Afghanistan sprechen,
müssen wir uns bewusst sein, um was für ein Land es sich
handelt – dessen ist sich die Linke leider nicht bewusst –:
80 Prozent Sunniten, 19 Prozent Schiiten, rund 50 ver-
schiedene Volksgruppen und ebenso viele Sprachen . Das
zusammenzuhalten, ist eine Herkulesaufgabe . – Ich kom-
me an einem anderen Punkt darauf zurück .
Ein Blick in das Land macht deutlich – Kollege Annen
hat das angesprochen –: Zwei Drittel der Bevölkerung
leben in Ruhe und in Frieden und erleben eine positi-
ve wirtschaftliche Entwicklung . Knapp 30 Prozent der
Bevölkerung – rund 9 Millionen Einwohner – leben in
umkämpften Gebieten, aber 20 Millionen nicht . Bei Ab-
schiebungen – ich glaube, da sind wir uns alle einig –
muss man sehr sorgfältig auf die Region und auf die Eth-
nie achten . Pauschale Abschiebungen – da sind wir uns
sicherlich alle einig – sind nicht möglich – man muss die
jeweilige Region Afghanistans betrachten –; aber in zwei
Dritteln des Landes herrschen Frieden und Sicherheit .
Das unterstreiche ich .
Drittens . Ein Abzug, den Teile der Opposition fordern,
würde ja nicht bedeuten, dass es mit Afghanistan auf ein-
mal aufwärtsginge . Ein Abzug hätte ganz klare Konse-
quenzen . Afghanistan würde, wie in der Vergangenheit,
zum Spielball regionaler Mächte werden . Indien, Iran,
Pakistan, China, Russland und auch die Türkei haben
Interessen . Was alle eint, ist die Sorge vor Terrorismus
und vor Drogenschmuggel sowie die Hoffnung auf mehr
Energieversorgungssicherheit . Hier sehe ich eine Aufga-
be für Deutschland . Diese haben wir in der Vergangen-
heit sehr intensiv wahrgenommen, und wir nehmen sie
auch aktuell wahr . Über diese drei Bereiche – Bekämp-
fung des Terrors und der Aufständischen, Bekämpfung
des Drogenanbaus und Unterbreitung von Alternativan-
geboten sowie Schaffung von Energieversorgungssicher-
heit – müssen wir mit den Regionalmächten reden . Das
geht nur durch Präsenz vor Ort, durch Glaubwürdigkeit
und Anwesenheit .
Ein Letztes . Sie brauchen strategische Geduld . Wenn
wir über das weitere Vorgehen sprechen, müssen wir uns
den Beschluss von 2011 in Erinnerung rufen, nach dem
Afghanistan bis 2024 auf das Niveau eines normalen
Entwicklungslands geführt werden soll . Das bedarf eines
ganzheitlichen Vorgehens . Das bedarf auch der Korrupti-
onsbekämpfung, worauf die Amerikaner in der Resolute
Support Mission ungeheuer großen Wert legen . Sie set-
zen diesen Anspruch drastisch durch und lösen Personal
in den afghanischen Strukturen, das sich nicht an die Vor-
gaben hält, ab .
Was wir brauchen, ist strategische Geduld . Uns sollte
bei der Bemessung unseres Kräfteansatzes bewusst sein,
wie stark wir das aktuelle Mandat ausnutzen . 940 der
980 Dienstposten sind besetzt . Es gibt Mandate, bei de-
nen gerade einmal die Hälfte des angesetzten Personals
im Einsatz ist, bei denen es atmende Obergrenzen gibt .
Es wäre auch mit Blick auf die Belastung unserer Solda-
tinnen und Soldaten vor Ort hilfreich, lieber Herr Außen-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620908
(C)
(D)
minister, über atmende Obergrenzen nachzudenken und
die Truppe mit dem auszustatten, was sie benötigt .
Trotz aller Fokussierung auf das Militärische: Stellen
wir doch heraus, was in Afghanistan an ziviler Entwick-
lungszusammenarbeit geleistet wurde! Die Bundesrepu-
blik Deutschland hat sich über das Mandat, das bei der
Afghanistan-Konferenz 2011 auf dem Petersberg be-
schlossen wurde, hinaus verpflichtet, bis 2022 1,7 Mil-
liarden Euro zu investieren . Andere Staaten machen es
genauso . Es geht auch darum, darzustellen, was zivil ge-
leistet wird . Ich denke, dass es eines Parlamentes würdig
ist, darüber ausschussübergreifend zu sprechen und unse-
rer Öffentlichkeit klarzumachen, dass es nicht nur um ei-
nen Militäreinsatz geht, sondern auch um eine sinnvolle
Begleitung des Wiederaufbaus .
In diesem Sinne darf ich, da ich sehr viel Lebenszeit
mit Afghanistan verbracht habe, von dieser Stelle aus
eine herzliche Ermunterung nach Afghanistan senden
und unseren Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen
Aufbauhelfern alles erdenklich Gute wünschen .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Roderich Kiesewetter . – Nächster Red-
ner: Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es
gibt Fortschritte in Afghanistan . Das erkennt man, wenn
man sich die letzten 15 Jahre anschaut; das ist sicher so .
Kollege Annen hat einige dieser Fortschritte genannt .
Wir stehen in Afghanistan aber zurzeit vor einer riesigen
Herausforderung . Es gibt an der Spitze des Staates Si-
gnale für einen Zerfall . Die Politik des Landes steckt in
einer immensen Krise . Sie macht damit ganz, ganz viel
kaputt .
Ich war 2014 nach den Wahlen in Afghanistan . Ich
habe dort viel Euphorie gesehen und eine unglaublich
gute Stimmung erlebt . Ich sah Menschen mit leuchtenden
Augen, die mir total stolz ihren getinteten Finger gezeigt
haben, der zeigte, dass sie wählen gegangen waren . Dann
haben zwei Menschen den Wahlsieg für sich proklamiert .
Wir, der Westen, haben sie dann bedrängt, miteinander zu
arbeiten . Sie schaffen das bis heute nicht . Das sieht die
Gesellschaft . Es führt in einem Land wie Afghanistan zu
einer unglaublich schlechten Stimmung, wenn nach über
zwei Jahren kein Verteidigungsminister ernannt worden
ist . Das ist eine Art von Tribalisierung der Politik und
der Regierung an und für sich, die das Land maßgeblich
kaputtmacht .
Die Sicherheitslage ist höchst fragil . Ich war 2015
das nächste Mal dort . Da war die Stimmung schon gar
nicht mehr so gut, weil die fünftgrößte Stadt des Lan-
des, Kunduz, gefallen war . Innerhalb von 24 Stunden
hatten die Taliban Kunduz erobert . Die Frage, die sich
viele Freunde, die ich in Kabul habe, gestellt haben, war:
Ist das auch in Kabul in einer solchen Geschwindigkeit
möglich? Faktisch nicht, aber das zeigt, wie dramatisch
sich die Stimmung verändert hatte .
Die Taliban sind stark, die Friedensgespräche gibt es
nicht mehr, und ISIS fasst in immer mehr Gebieten Fuß,
zum Beispiel in der Provinz Nangarhar . Jeden Tag kann
man in den afghanischen Zeitungen lesen, dass es dort
bei Gefechten soundso viele tote Taliban und soundso
viele Tote von ISIS gegeben hat . Was nicht in der Zeitung
steht, ist, dass es diese Toten bei Gefechten zwischen die-
sen beiden Gruppen untereinander gab . Denn die afgha-
nische Armee kann gar nicht mehr vor Ort arbeiten . Das
zeigt, wie hoch dramatisch die Lage ist .
Die Vorwürfe an die afghanische Armee müssen
sich dabei in Grenzen halten . Ein paar Zahlen: 2015
6 637 Tote von der Armee, 12 471 Verletzte; Januar bis
August 2016 über 5 500 tote und fast 10 000 verletzte
Soldaten . Keine Armee der Welt würde so viele Verluste
auf Dauer überleben, ohne zu desintegrieren . Genau das
passiert derzeit in Afghanistan . Deswegen kommt auch
der Arbeitsmarkt nicht in Schwung . Deswegen funktio-
niert die Wirtschaft nicht gut . Das drückt auf die Stim-
mung .
2015 habe ich dort junge Menschen getroffen . Sie wa-
ren hoch agil, hoch aktiv und wirklich gut ausgebildet .
Sie gehörten genau der Generation an, die Afghanistan
aufbauen kann und auch muss . Wir haben eine sehr lange
Diskussion geführt . Dann kam es zur Frage der Migra-
tion . Eine junge, starke, mutige Frau sagte: Ich bleibe .
Das ist mein Land, und ich baue es auf . – Die anderen
sechs, die am Tisch saßen, haben sie ausgelacht . Das war
eine tragische Sekunde für mich, aber erst recht für die-
se Frau . Dies macht aber auch klar, wie die Stimmung
in diesem Land ist . Deshalb ist es umso wichtiger, dass
wir die richtigen Signale setzen, dass wir den Afghanin-
nen und Afghanen klarmachen, dass wir ihnen beistehen,
dass wir wissen, dass sie einen weiten Weg vor sich ha-
ben, und dass wir solidarisch sind . Es geht um Signale .
Es geht darum, dass wir den Afghanen die richtigen Si-
gnale senden .
Ich komme zu den Signalen der Bundesregierung .
Erstens . Massiver Tabubruch im Oktober 2016: Der
Außenminister verknüpft – das war bisher in dieser Re-
publik zu Recht völlig verpönt – die Entwicklungszu-
sammenarbeit unmittelbar mit der Annahme eines Rück-
nahmeabkommens . Das heißt, erst wenn Abschiebungen
funktionieren, sind wir bereit, euch Geld zu geben . – Es
gab einen guten Grund, warum genau dieselben Mitglie-
der der Bundesregierung, als zum Beispiel das Thema
bei Marokko auf die Tagesordnung kam, gesagt haben,
dass diese Verknüpfung unzulässig ist. Wir finden, dieser
Tabubruch ist das falscheste Signal, das man nach Afgha-
nistan senden kann .
Zweitens . Gestern: 34 Flüchtlinge in einem Flugzeug
von Frankfurt nach Kabul . Es gibt Rückführungen . Ist
Afghanistan nun sicher? Wir haben gerade von allen ge-
hört, dass dem nicht so ist . Gibt es sichere Zonen?
Roderich Kiesewetter
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20909
(C)
(D)
Wir fragen die ganze Zeit, wo die sicheren Zonen sind .
Dann wird uns Masar-i-Scharif genannt . Es gibt einen
guten Grund, warum unser Generalkonsulat nun ge-
schlossen ist und auch nicht mehr öffnen wird . Das liegt
daran, dass die Sicherheitslage hoch dramatisch ist und
auch die afghanischen Sicherheitskräfte nicht imstande
sind, unser Generalkonsulat zu schützen . Wie kommen
Sie auf die Idee, dass sie dann imstande sind, die Zivilbe-
völkerung zu schützen?
Es gibt ja auch freiwillige Rückführungen . Da ist es
so, dass man organisieren kann, dass es ein Netzwerk
gibt, dass es NGOs gibt, dass sich um die Leute geküm-
mert wird . Aber was hier passiert, sind Sammelabschie-
bungen, Sammelrückführungen mit Zielgrößen bzw . mit
Fantasiegrößen; es werden Größen genannt, wie viele
Menschen man zurückführen muss . Ich weiß nicht, was
sich der Herr Innenminister dabei denkt . Wenn er unser
Asylrecht kennen würde, würde er wissen, dass es dort
um Einzelfallprüfung geht und nicht um Maßgaben, wie
viele Abschiebungen man hinbekommen soll .
Deshalb kann ich nur appellieren: Setzen Sie die rich-
tigen Signale . Sagen Sie den Afghaninnen und Afghanen,
dass wir ihnen beistehen . Investieren Sie; ja, das müssen
wir politisch machen .
Die Frage, ob man das auch mit der Bundeswehr
dort macht, ist bei uns heiß umstritten . Ich werde dem
zustimmen, weil ich nicht das Signal senden will, dass
wir die Afghaninnen und Afghanen alleine lassen wol-
len . Ich verstehe ausgesprochen gut, warum es bei mir in
der Fraktion so viele Leute gibt, die zwar nicht gegen die
Solidarität mit den Menschen in Afghanistan sind, aber
gegen die Art und Weise, wie die Bundesregierung Af-
ghanistan-Politik betreibt, und die dieses Mandat daher
ablehnen werden .
Wir sind uns vielleicht nicht immer einig in der Frage,
welchen Beitrag wir für Afghanistan leisten wollen . Aber
wir sind uns hundertprozentig einig, dass wir den Afgha-
ninnen und Afghanen weiterhin beistehen sollten . Dafür
müssen wir die richtigen Signale setzen . Das macht die
Bundesregierung nicht .
Vielen Dank, Omid Nouripour . – Nächster Redner:
Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will denjenigen danken, die dazu beitragen, dass wir
hier im Parlament eine sehr differenzierte Diskussion
über Afghanistan führen . Wenn wir uns die Situation im
Land scharf anschauen, dann haben wir weder das Recht,
zu sagen: „Alles ist schlecht in Afghanistan“, noch kön-
nen wir hier zufrieden feststellen, dass alles in Afgha-
nistan gut ist . Wir können meines Erachtens gemeinsam
festhalten, dass vieles nicht einfacher geworden ist in Af-
ghanistan und dass der Weg unseres Engagements dort
weitergehen muss .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen an vie-
len Stellen, wie fragil die sicherheitspolitische Situation
ist; das ist gerade aufgezählt worden . Wir haben in den
letzten 15 Jahren Fortschritte erlebt, aber leider auch
Rückschläge verkraften müssen . Der Kollege Annen hat
aufgezählt, dass wir viele Bereiche haben, in denen es
tatsächlich besser geworden ist . Wenn ich mir die poli-
tische Debatte anschaue, das, was Parlamentarier dort
wahrnehmen können, wenn ich mir das Mediensystem
anschaue, wenn ich den Bildungsbereich, die Universi-
täten oder Frauenrechte sehe, dann müssen wir meines
Erachtens festhalten: Vieles ist besser geworden,
und es ist auch ein Ergebnis unserer Politik, was wir in
den letzten 15 Jahren dort in Afghanistan gemeinsam vo-
ranbringen konnten . Das muss man in einer solchen Situ-
ation auch einmal sagen .
Das Land hat sich verändert . Ich weiß nicht, wie es
Ihnen geht: Wenn ich mit Soldatinnen und Soldaten im
Gespräch bin, die aus dem Afghanistan-Einsatz zurück-
kommen, dann höre ich dort auch differenzierte Wahrneh-
mungen . Es gibt diejenigen, die sagen: Ja, mein Einsatz
dort hat etwas gebracht . Es gibt aber auch diejenigen, die
Fragezeichen setzen. Ich finde, diese Meinungen muss es
geben dürfen, und wir müssen uns sehr intensiv mit den
Soldatinnen und Soldaten austauschen und auch ernst
nehmen, was sie uns von dort berichten .
Erinnern will ich aber daran, dass wir einen Grund
hatten, weswegen wir vor 15 Jahren hier im Bundestag –
einige waren schon dabei – beschlossen haben, dass wir
Militär nach Afghanistan schicken . Ich will auch daran
erinnern, dass wir vor 15 Jahren Verantwortung für die-
ses Land übernommen haben . Es wäre töricht, diese Ver-
antwortung jetzt abrupt abzubrechen, weil es viele dort in
dem Land sind, die sich auf uns verlassen können wollen,
und sie dürfen wir nicht im Stich lassen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen . Deswegen werden wir das Mandat
heute hier verlängern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
es mag emotional befriedigen, wenn man „Raus aus Af-
ghanistan!“ ruft . Ich glaube aber, unserer Verantwortung,
die wir als Deutschland haben, werden wir mit einem sol-
chen Ruf bei weitem nicht gerecht .
Wir hatten das ISAF-Mandat; am 1 . Januar 2015 ist es
ausgelaufen . Die Afghanen haben selbst die Verantwor-
tung für die Sicherheit im Land übernommen, und wir
sind jetzt in einem Mandat, das von vielen NATO-Staaten
Omid Nouripour
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620910
(C)
(D)
getragen wird und in dessen Rahmen Deutschland einen
Teil der Verantwortung in Afghanistan übernimmt . Wir
tun das auf Bitte der afghanischen Regierung; das will
ich hier auch noch einmal in aller Deutlichkeit sagen .
Herr Klingbeil, erlauben Sie eine Frage oder Bemer-
kung von Christian Ströbele?
Ja, sehr gern .
Herr Ströbele, bitte .
Ich danke für die Zulassung meiner Äußerung . – Sie
haben zutreffend darauf hingewiesen, dass vor 15 Jahren
der Deutsche Bundestag diesen Einsatz beschlossen hat,
gegen meine Auffassung .
Dies ist heute die letzte Möglichkeit für mich, im
Deutschen Bundestag gegen den Afghanistan-Einsatz
zu stimmen . Ich will Ihnen das einmal vorhalten, weil
mich vieles hier gerade wieder geärgert hat, wie bei jeder
Diskussion über Afghanistan . Es wird einfach nicht die
Wahrheit zur Kenntnis genommen, auch heute nicht – da-
mals nicht und heute nicht .
Die Wahrheit heute ist, dass selbst das Außenministe-
rium davon spricht, in Afghanistan sei die Bedrohungsla-
ge insgesamt – nicht in irgendeiner Ecke – erheblich . So
ist die Situation .
Der Kollege Annen sagt: Wir haben dort doch eine
gute Regierung, wenn auch mit manchen Mängeln be-
haftet . – Wir haben dort doch überhaupt keine Regierung,
weil die beiden Kampfhähne den Kampf, den sie schon
im Wahlkampf ausgetragen haben, fortsetzen . Der Dritte
im Bunde, der Vizepräsident Dostum, ist damit beschäf-
tigt, irgendeinen Rivalen entführen zu lassen, und duldet
Vergewaltigungen durch Soldaten seiner Miliz .
In Afghanistan, im Norden Afghanistans ist nichts si-
cher .
Wie kann man das noch deutlicher machen als daran, dass
in dem Ort, von dem wir immer gesagt haben, dass man
dorthin zurückkehren könne – der Kollege Nachtwei hat
mir gesagt, dorthin könne man die Leute bringen –, im
Augenblick nicht einmal ein deutsches Konsulat seiner
Arbeit nachgehen kann und sich vielmehr auf Militärge-
lände zurückziehen muss, weil die Lage dort so unsicher
ist? Sie können doch nicht immer nur sagen: Wir machen
so weiter .
Jetzt ist, wie ich höre, von 2024 die Rede . Geht das
jetzt bis 2024 so weiter? Damals hat man versucht, mir
den Einsatz zu verkaufen, indem gesagt wurde: Er dauert
höchstens ein Jahr . – 2001war das .
Jetzt sind wir im 15 . Jahr . Das kann doch nicht wahr sein!
Ich werfe der Koalition und auch dem Außenminister
vor, dass sie in Afghanistan nichts tun; mir jedenfalls ist
nichts bekannt . Der Außenminister ist unterwegs, wenn
es um die Ukraine geht . Er ist in Syrien unterwegs . Er
bemüht sich; das erkenne ich auch an . Aber warum tun
Sie nichts in Afghanistan? Es gibt keine Verhandlungen
mit den Taliban . Warum verhandeln Sie denn nicht? Jetzt
wird gesagt, dass es eine Einigung mit Hekmatjar gibt .
Aber die gab es vor fünf Jahren schon einmal . Das bringt
überhaupt nichts .
Christian Ströbele, bitte .
Lassen Sie mich noch einen Satz sagen, Frau Präsi-
dentin .
Ja .
Sie müssen hingehen und dort unabhängig von den
Amerikanern versuchen, Gespräche in Gang zu bringen
und zu einer Verhandlungslösung zu kommen . Sie kön-
nen das Mandat aber nicht einfach immer nur verlängern .
Bitte, Christian Ströbele!
Die Amerikaner haben mit einem Drohnenabschuss
den vorletzten Taliban-Führer umgebracht . Meinen Sie,
da verhandeln die Taliban mit denen? Sie sind aufgeru-
fen, das zu tun . Dafür setze ich mich ein . Ich sage: Das
ist Ihre Aufgabe .
Jetzt hat Herr Klingbeil genügend Möglichkeiten, zu
antworten .
Lieber Kollege Ströbele, wenn Sie eine Zwischenfra-
ge stellen, richtet sie sich eigentlich an mich .
Lars Klingbeil
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20911
(C)
(D)
Aber ich habe jetzt wahrgenommen: Das war eher eine
Äußerung, die an den Außenminister gerichtet war .
Nein, er kann auch eine Bemerkung machen; das ist
geschäftsordnungsmäßig richtig . – Jetzt haben Sie, Herr
Klingbeil, die Möglichkeit, Stellung zu nehmen .
Zweiter Aspekt . Ich glaube, wir alle haben zur Kennt-
nis genommen, dass Sie Ihre parlamentarische Arbeit mit
der Bundestagswahl beenden . Ich darf Ihnen sagen: Ich
bedaure das .
Ich habe Sie als kritische Stimme immer geschätzt .
Sie haben gerade gesagt, nach 15 Jahren hätten Sie
jetzt die letzte Chance, mal wieder gegen das Afghanis-
tan-Mandat zu stimmen . Ich sage Ihnen: Sie haben heute
auch die Chance,
zum ersten Mal für ein gutes Afghanistan-Mandat zu
stimmen. Denn ich finde, dass das, was die Bundesregie-
rung hier vorgelegt hat, dem Land sehr wohl hilft .
Wenn Sie sagen, der Kollege Annen habe von Afgha-
nistan das Bild gezeichnet, dass alles gut sei, und das
Außenministerium und der Außenminister würden von
Afghanistan das Bild zeichnen, dass alles gut sei, dann
frage ich mich: Wo waren Sie bei den Debatten in den
letzten Jahren, lieber Kollege Ströbele? Wir haben immer
darauf hingewiesen, dass es in Afghanistan Schwierig-
keiten gibt .
Sie schlagen vor: Ziehen wir die deutschen Solda-
tinnen und Soldaten ab, beenden wir unsere Unterstüt-
zungsleistungen, und beenden wir die Beratung der af-
ghanischen Sicherheitskräfte . – Ich sage Ihnen: Das wäre
nicht verantwortungsvoll, lieber Kollege Ströbele . Des-
wegen ist meine Meinung: Wir können diesem Mandat
heute mit Überzeugung zustimmen .
– Es gibt noch eine Frage?
Sind Sie damit einverstanden?
Ja, ich bin damit einverstanden .
Die Präsidentin hat Augen im Kopf . Danke schön,
Herr Mützenich, für diesen Hinweis . – Herr Klingbeil ist
einverstanden . Dann Frau Beck, wobei wir hier jetzt kei-
ne interne grüne Debatte aufmachen sollten .
Wäre aber auch mal ganz spannend .
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich werde,
wie mein Kollege Christian Ströbele, heute zum letzten
Mal zu einem Mandat für Afghanistan meine Stimme ab-
geben . Anders als Christian Ströbele werde ich, wie in
den ganzen Jahren zuvor, für dieses Mandat stimmen,
weil ich es für richtig halte .
Auch ich möchte noch einmal den Blick auf das zu-
rückwenden, was vor 15 Jahren gewesen ist . Vor 15 Jah-
ren gab es ein Land, in dem kein Mädchen mehr zur
Schule gehen konnte, in dem Unterricht für Mädchen,
wenn überhaupt, in Kellern stattfand, in dem die durch-
schnittliche Geburtenzahl von Frauen bei acht Kindern
lag und in dem in der Regel die Frauen bei einer der spä-
teren Geburten ihr Leben verloren haben .
Es gab nämlich kein ärztliches Gesundheitswesen mehr .
Das Gesundheitswesen, das von Russland, damals noch
der Sowjetunion, nach Afghanistan gebracht worden war,
war nämlich eines, das durch Frauen betrieben worden
war . Und da Frauen das Haus nicht mehr verlassen durf-
ten, gab es auch kein Gesundheitswesen . Es gab auch
keine Studenten mehr . Die hätten ein neues Gesundheits-
wesen, ein neues Schulwesen, ein neues Universitätswe-
sen aufbauen können .
All das beschreibt den Zustand vor 15 Jahren . So wur-
de das Land vorgefunden, und es gab viele, viele Men-
schen und – Christian Ströbele, ich stimme dir zu – viel
zu hoch gesteckte Erwartungen . Aber: Ist die Tatsache,
dass wir keine Erfahrung mit Fundamentalismus und
damit, wie schwer er einzugrenzen und zu besiegen ist,
hatten, ein Grund dafür, nach 15 Jahren zu sagen: „Es ist
Lars Klingbeil
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620912
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uns zu schwer, wir ziehen uns jetzt deswegen zurück und
überlassen die Menschen wieder denen,
die sich dieses Land unter Androhung von Gewalt, un-
ter Zurückdrängung der Frauen, unter Missachtung aller
Menschenrechte wieder zu eigen machen wollen“? Ich
halte das nicht für eine ethisch vertretbare Konsequenz .
Da wir diese Debatte schon manches Mal im Deutschen
Bundestag hatten, sage ich das als eine Frau, die sehr
wohl in dem Bewusstsein Politik gemacht hat, dass der
deutsche Faschismus uns eine Verpflichtung auferlegt
hat, nämlich da zu sein, wenn Menschen gequält und er-
niedrigt werden .
Dürfte ich Sie jetzt auch bitten, zum Ende zu kommen!
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Und der fundamentale Pazifismus ist nicht die einzige
Antwort darauf, wie das zu geschehen hat, sondern die
Antwort kann auch lauten, dass wir Menschen schützen
müssen . Eben das versuchen wir in Afghanistan .
Bitte stehen bleiben, weil der Kollege Klingbeil jetzt
die Möglichkeit hat, zu antworten . – Herr Klingbeil, bit-
te .
Liebe Kollegin Beck, ich kann auf Sie ganz kurz ant-
worten . Ich habe auch noch eine Redezeit von 1 Minute
und 30 Sekunden .
Nein, nein, das wird um die Antwort verlängert .
Vielen Dank . – Hätte ich gesessen, hätte ich auch ge-
klatscht . Vielen Dank für Ihre Anmerkungen und auch
für die Unterstützung des Weges, den wir in Afghanistan
gehen wollen .
Ich will, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal
festhalten: Das Mandat auf militärische Auseinanderset-
zung zu reduzieren, ist falsch . Wenn wir in das Mandat
hineingucken, dann sehen wir – ich will das hier explizit
erwähnen und dem Außenminister Steinmeier danken –,
wie viel außenpolitisches Engagement auch in unserem
Afghanistan-Engagement steckt . Es sind 510 Millionen
Euro, die wir jährlich in Afghanistan investieren . Das ist
das Land, für das wir sozusagen das meiste ausgeben:
250 Millionen Euro für Entwicklungshilfe, 70 Millionen
Euro jährlich für die Ausbildung der Polizei, 110 Milli-
onen Euro für Stabilisierungsmaßnahmen . Also, wir se-
hen, es gibt ein Gesamtkonzept, das die deutsche Bun-
desregierung hier verfolgt .
Es geht darum, Stabilität und Sicherheit in Afghanis-
tan herzustellen, weil das der Nährboden ist, auf dem
dann Demokratie und friedliche Prozesse auch in diesem
Land, wie wir es uns, glaube ich, alle wünschen, weiter
gedeihen und wachsen können .
Zum Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich
noch einmal sagen: Ich finde es gut, wenn wir hier so
intensiv über Außen- und Sicherheitspolitik diskutie-
ren . Wir sollten das eigentlich viel öfter hier im Parla-
ment tun . Wir schicken auch mit diesem Mandat wieder
980 Soldatinnen und Soldaten – das ist die Obergrenze –
nach Afghanistan . Wir haben andere Auslandseinsätze,
bei denen wir nicht nur Soldatinnen und Soldaten, son-
dern auch zivilen Helfern, Entwicklungshelfern ganz viel
abverlangen .
Gerade jetzt, wo die Feiertage bevorstehen, wo Weih-
nachten bevorsteht, denken Sie einmal daran, was das für
Familien bedeutet, wenn man weiß: Der Mann oder die
Frau, der Vater oder die Mutter sind in Afghanistan, und
man ist in diesen Tagen nicht zusammen . – Deswegen
finde ich es wichtig – das möchte ich nicht nur für meine
Fraktion tun, sondern, ich glaube, ich kann das für das
ganze Haus tun –, all denen zu danken, die Verantwor-
tung übernehmen, wenn wir hier Mandate beschließen .
All diesen möchte ich besinnliche und hoffentlich ruhige
Feiertage sowie eine gesunde Rückkehr nach Deutsch-
land wünschen .
Herzlichen Dank fürs Zuhören .
Vielen Dank, Lars Klingbeil . – Zu einer Kurzinterven-
tion hat Christine Buchholz das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Zu den beiden Zwi-
schenbemerkungen eben, die am Rande auch die Zerris-
senheit in der grünen Außenpolitik offenbart haben,
aber auch zu den Aussagen von Herrn Klingbeil möchte
ich ganz deutlich sagen: Das Drama für die Menschen in
Afghanistan, insbesondere für die Frauen in Afghanistan,
die unter den Taliban gelitten haben, ist, dass die Situ-
ation dort 15 Jahre nach Beginn dieses Krieges für die
Marieluise Beck
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20913
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große Mehrheit nicht besser geworden ist – vielleicht für
einen Teil, aber nicht für die große Mehrheit .
Das ist auch das, was der Kollege Ströbele hier so ein-
deutig gesagt hat und worauf auch Sie keine Antwort hat-
ten, Herr Klingbeil .
Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen:
Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele, für deine Arbeit
hier im Bundestag, für deine Arbeit draußen und dafür,
dass du einen Beitrag geleistet hast, dieser Meinung, die
mehrheitlich in der Gesellschaft herrscht, hier eine Stim-
me zu geben .
Vielen Dank, dass du praktisch und in Solidarität mit den
Menschen gearbeitet hast, die in Afghanistan gegen den
Krieg und für ihre Rechte kämpfen . Vielen Dank, Hans-
Christian Ströbele .
Das ist ein wichtiges Zeichen, das wir senden müs-
sen, weil die Art und Weise, wie die Bundesregierung mit
der Situation in Afghanistan umgeht, wie sie die Situa-
tion schönredet, um jetzt Flüchtlinge nach Afghanistan
abschieben zu können, eine absolute Schande ist . Von
daher wünsche ich mir für den nächsten Bundestag mehr
Ströbeles hier . Das würde diesem Bundestag sehr gut tun .
Der Kollege Klingbeil ist heute als Beantworter ge-
fragt . Sie haben jetzt natürlich das Wort, um zu antwor-
ten .
Frau Präsidentin! Ich glaube, der Redebeitrag hat ein
Stück weit für sich selbst gesprochen . Ich warne davor,
dass wir hier so massiv Parteipolitik machen, wie wir das
gerade erlebt haben .
Ich warne auch davor, dass wir so einfache Antworten
auf eine so schwierige außen- und sicherheitspolitische
Herausforderung geben .
Ich will einmal sagen: Ich bin dankbar dafür, dass wir
hier eine sehr differenzierte Diskussion geführt haben .
Davon wünsche ich mir wirklich mehr hier in diesem
Parlament .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Lars Klingbeil . – Der nächste Redner in
dieser turbulenten Debatte: Thorsten Frei für die CDU/
CSU-Fraktion .
Ich bitte die anwesenden Kollegen, weiter so ruhig
zuzuhören, wie es bisher auch möglich war . – Thorsten
Frei, Sie haben das Wort . Bitte .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
40 Jahre nach Ausbruch von Krieg und Bürgerkrieg in
Afghanistan und ziemlich genau 15 Jahre, nachdem wir
uns das erste Mal im Land engagiert haben, diskutieren
wir heute über Afghanistan . Es ist ja in der Debatte schon
deutlich geworden, dass in Afghanistan Licht und Schat-
ten eng beieinander liegen .
Wenn wir in einer solchen Debatte über die Verlänge-
rung des RSM-Mandates diskutieren, dann, glaube ich,
ist es richtig, auch klar zu benennen, wo die Errungen-
schaften und wo die Probleme dieses Einsatzes liegen .
Ich könnte das wahrscheinlich nicht besser tun, als es die
Frau Kollegin Beck in ihrer Kurzintervention gemacht
hat . Natürlich hat sich die Gesundheitsversorgung mas-
siv verbessert . Natürlich wurden auch die Infrastruktur
und die Bildungsinfrastruktur im Land massiv verbes-
sert . Die Erfolge sind unbestreitbar .
Es ist aber auch richtig, dass wir im Bereich der Si-
cherheit mit Licht und Schatten zu kämpfen haben . Na-
türlich wissen wir, dass Aufständische Kunduz 2015
überrannt und eingenommen haben . Natürlich wissen
wir, dass Aufständische ein Attentat auf unser General-
konsulat in Masar-i-Scharif verübt haben . Natürlich ken-
nen wir die Tatsache, dass auf eine schiitische Moschee
in Kabul vor wenigen Wochen ein Attentat mit 32 Toten
und 85 Verletzten verübt wurde . All das wissen wir .
Wir haben aber beispielsweise auch den SIGAR-Be-
richt, der in diesem Sommer veröffentlicht wurde . Von
daher wissen wir ganz genau, wenn wir über die Frage
diskutieren, inwieweit Afghanistan sicher ist oder nicht,
wie es sich tatsächlich verhält . In diesem Bericht steht
klipp und klar, dass 62 Prozent der Flächen sicher sind
und zwei Drittel der Menschen in Sicherheit leben .
Christine Buchholz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620914
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(D)
Die Unterschiede zwischen den Provinzen sind natür-
lich groß . Von den etwa 407 Distrikten in Afghanistan
sind 268 sicher .
36 sind in den Händen der Aufständischen, und 104 sind
in Gefahr .
Das ist eine Erkenntnis aus dem SIGAR-Bericht des
US-Senates . Wenn Sie dem Bericht nicht glauben, dann
verhilft vielleicht ein Interview des Chefs von IOM,
William Lacy Swing, das er heute Morgen in den deut-
schen Medien gegeben hat, dazu . Er hat beispielsweise
darauf hingewiesen, dass weite Teile Afghanistans hinrei-
chend sicher sind, sodass es durchaus möglich ist, nicht
nur Afghanen dorthin zurückzuführen, sondern dass wir
tatsächlich sagen können: Die Transition, die Übergabe
der Sicherheitsverantwortung auf die Afghanen, war und
ist schwierig und langwierig, aber sie ist durchaus schon
ein Stück weit gelungen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, tatsächlich
verhält es sich doch so: Seit dem Ende von ISAF sind
von 140 000 internationalen Soldaten in Afghanistan
noch 13 000 da . Das bringt eine gewaltige Herausfor-
derung für die afghanischen Sicherheitskräfte mit sich .
Ich glaube, diese Zahl ist heute schon genannt worden:
Im vergangenen Jahr sind 7 000 afghanische Soldaten
und Polizisten gefallen, 14 000 wurden verletzt . Dass
das natürlich eine Zerreißprobe für die Sicherheitskräf-
te in Afghanistan darstellt, ist völlig offensichtlich; das
ist doch ganz klar . Genau deshalb brauchen wir neben
dem bilateralen Einsatz der Amerikaner eben auch un-
ser RSM-Mandat, auf dessen Grundlage wir die afgha-
nischen Sicherheitsbehörden trainieren, unterstützen und
ihnen assistieren können . Darum geht es . Das diskutieren
wir heute im Deutschen Bundestag, meine sehr verehrten
Damen und Herren .
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eines sagen .
Es ist heute Morgen in einer anderen Debatte über eine
Mandatsverlängerung aus dem linken Teil des Hauses
geradezu abschätzig gesagt worden: Sie wollen dort ja
deutsche Interessen durchsetzen .
Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich emp-
finde das nicht als schändlich. Wir sind Vertreter des
deutschen Volkes und vertreten deshalb auch deutsche
Interessen .
In Afghanistan tun wir etwas für die afghanischen In-
teressen . Das ist absolut richtig . Wir dürfen nicht verges-
sen, dass auf der Brüsseler Konferenz erreicht werden
konnte, dass der Tokio-Prozess fortgesetzt wird: 75 Staa-
ten, 26 internationale Organisationen haben gemeinsam
beschlossen, bis 2020 zusätzlich 15,2 Milliarden Euro an
ziviler Hilfe für Afghanistan bereitzustellen . Übrigens ist
Deutschland der zweitgrößte Geber .
Wir geben bis 2020 jedes Jahr 430 Millionen Euro für
zivile Aufbauhilfe, 80 Millionen Euro jedes Jahr zur Un-
terstützung der Armee, 70 Millionen Euro jedes Jahr zur
Unterstützung der afghanischen Polizei . Das tun wir für
die afghanische Bevölkerung, um Zukunftsperspektiven
zu schaffen . Das ist richtig und vernünftig .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir vertre-
ten dabei auch deutsche Interessen . Wir tun etwas, um
Fluchtursachen zu bekämpfen .
Wir schützen darüber hinaus – lassen Sie mich auch das
an dieser Stelle sagen – unsere Interessen auch dadurch,
dass wir durch mehr Sicherheit letztlich auch Zukunfts-
perspektiven, wirtschaftliche Perspektiven eröffnen und
damit beispielsweise verhindern, dass Afghanistan wei-
terhin Rückzugsort für den internationalen Terrorismus
ist und bleibt .
Man muss sich mit Blick auf internationale Krimina-
lität auch vor Augen führen, dass Afghanistan der welt-
größte Produzent und Exporteur von Cannabis, von Opi-
aten, von Heroin ist . Allein die Taliban haben im Jahr
2009 mit Drogengeschäften 155 Millionen Euro ver-
dient . Heute sind es 500 Millionen Euro . Genau an die-
sem Punkt müssen wir ansetzen . Damit dienen wir auch
unseren Interessen und vertreten sie dort unmittelbar vor
Ort .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb
müssen wir diesen Einsatz fortsetzen . Es ist wichtig, dass
wir unsere Mission weiter vorantreiben . Ich will an die-
ser Stelle sagen: Oberstes Gebot für uns als Deutscher
Bundestag muss sein, das Mandat so auszustatten, wie es
zum Schutz der deutschen Soldaten notwendig ist . Wir
müssen es so ausstatten, wie es nötig ist, um den Auftrag,
den wir der Bundeswehr erteilen, tatsächlich umsetzen
zu können . Dabei ist es wichtig, dass wir uns nicht an
irgendwelchen Stichtagen orientieren, sondern den Auf-
trag so erledigen, wie es notwendig ist . Ich wünsche mir
zuletzt, dass das auch in Zukunft die Maxime der ameri-
kanischen Politik bleibt .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Kollege Thorsten Frei . – Die letzte Red-
nerin in der Debatte, der Sie bitte Aufmerksamkeit schen-
Thorsten Frei
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20915
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ken mögen – Aufmerksamkeit geht so, dass man einfach
aufhört, miteinander zu reden, und stattdessen zuhört –,
ist Julia Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lohnt sich das deutsche Engagement in Af-
ghanistan?
Ich möchte Ihnen die Antwort der 59-jährigen Ärztin und
Vorsitzenden der afghanischen Menschenrechtskommis-
sion Sima Samar geben . Für sie ist die Frage klar zu beja-
hen . Nach dem Sturz des Taliban-Regimes habe ihr Land
mit der Hilfe Deutschlands und der internationalen Ge-
meinschaft beachtliche Fortschritte gemacht . Natürlich
könne sich Afghanistan nach Jahren und Jahrzehnten des
permanenten Kriegszustandes nicht über Nacht wandeln .
Deshalb brauche ihr Land auch weiter internationale Hil-
fe .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist – das
belegen auch die Wort von Sima Samar – noch lange
nicht alles gut in Afghanistan . Aber es hat sich in den
vergangenen eineinhalb Jahrzehnten vieles zum Guten
hin verändert . Ich möchte Ihnen einige Beispiele nennen .
In Afghanistan, einem der ärmsten Länder der Welt,
hat sich das Pro-Kopf-Einkommen seit 2002 mehr als
verdreifacht .
Auch haben mehr Menschen Zugang zu Strom und
sauberem Trinkwasser . Viele neue Straßen und Brücken
wurden gebaut .
Deutliche Fortschritte gibt es auch bei der Bildung:
Besuchten 2001 nur 1 Million Kinder – ausschließlich
Jungen damals – eine Schule, lernen heute 9 Millionen
Kinder Lesen und Schreiben, darunter auch 3,6 Millio-
nen Mädchen .
Endlich können auch Frauen wieder Universitäten besu-
chen . Das ist sehr wohl eine deutliche Verbesserung .
Auch haben viel mehr Menschen Zugang zur Gesund-
heitsversorgung . Dadurch konnte sowohl die Säuglings-
als auch die Müttersterblichkeit deutlich verringert wer-
den .
Deutschland engagiert sich mit vielen Projekten an
diesen Fortschritten . Dafür stellen das Ministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie
das Auswärtige Amt jedes Jahr 430 Millionen Euro zur
Verfügung . Deutschland ist der zweitgrößte bilaterale
Geldgeber . Dieses Geld ist auch an politische Fortschritte
und Reformen der Regierung gebunden .
Eines ist ja auch klar: Allein militärisch lässt sich der
Konflikt in Afghanistan nicht lösen. Dauerhafter Friede
ist nur auf politischem Weg und durch einen innerafgha-
nischen Friedensprozess möglich . Hierfür setzen wir uns
ein, unter anderem über die Internationale Kontaktgrup-
pe für Afghanistan, der Deutschland vorsitzt .
Die Fortschritte für die Menschen werden natür-
lich durch die Sicherheitslage erschwert . Der Kollege
Thorsten Frei hat die Sicherheitslage hier sehr deutlich
beschrieben . Afghanistan kann nur Fortschritte machen,
wenn das Land auch sicherer und stabiler wird . Genau
aus diesem Grund werden unsere bis zu 980 deutschen
Soldatinnen und Soldaten weiterhin vor Ort gebraucht .
Resolute Support ist kein Kampfeinsatz . Unsere Män-
ner und Frauen in Uniform bilden dort aus, beraten und
unterstützen die afghanischen Sicherheitskräfte . Mittler-
weile gibt es 320 000 afghanische Sicherheitskräfte, die
aktiver und erfolgreicher operieren . Im ganzen Jahr ist es
den Taliban nicht gelungen, auch nur eine der Provinz-
hauptstädte einzunehmen .
Aber die Sicherheitskräfte beklagen auch hohe Verlus-
te . Allein von Januar bis August 2016 sind über 5 500 An-
gehörige der afghanischen Streitkräfte bei Kämpfen ums
Leben gekommen, und fast 10 000 wurden verletzt . Hier-
auf gehen wir bei der Mandatsanpassung ein: Wir werden
unsere afghanischen Partner durch Aufklärung unterstüt-
zen, damit sie ihre Aufgaben sicherer erfüllen können .
Auch werden wir bei Bedarf Verwundetentransporte
übernehmen .
Ich möchte an dieser Stelle allen Angehörigen der
Bundeswehr, die in Afghanistan unter teils sehr schwie-
rigen Bedingungen ihren wichtigen Dienst leisten, ganz
herzlich für ihren Einsatz danken .
Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind seit 15 Jah-
ren in Afghanistan . Das ist eine lange Zeit, in der eine
neue Generation herangewachsen ist . Aber – und das
sagt auch die Menschenrechtlerin Sima Samar – die Ar-
beit der internationalen Gemeinschaft am Hindukusch ist
noch nicht erledigt . Diese junge Generation braucht so
lange unsere Unterstützung, bis sie selbst die Verantwor-
tung für Frieden und Sicherheit in ihrem Land komplett
wahrnehmen kann . Der Einsatz Resolute Support leistet
hierzu einen wichtigen Beitrag . Von daher bitte ich Sie
um Ihre Zustimmung .
Vielen Dank, Julia Obermeier . – Damit schließe ich
die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag
der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung
Vizepräsidentin Claudia Roth
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620916
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bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten
Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung
und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidi-
gungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan .
Uns liegen mehrere Erklärungen zur Abstimmung
nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10638 , den Antrag der
Bundesregierung auf Drucksache 18/10347 anzunehmen .
Wie Sie offensichtlich schon wissen, weil Sie sich schon
auf den Weg gemacht haben, stimmen wir namentlich ab .
Dafür braucht es aber die berühmten Urnen und neben
den Urnen die Schriftführer und Schriftführerinnen .
– Erst einmal die Schriftführer, Herr Kauder .
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der
Fall . Dann eröffne ich die namentliche Abstimmung über
die Beschlussempfehlung .
Sind Kollegen und Kolleginnen im Haus, die noch nicht
abgestimmt haben? – Dann nutzen Sie doch bitte auch die
Urnen hier vorne bei mir; da ist es sowieso netter .
Ich frage jetzt noch einmal: Gibt es einen Kollegen
oder eine Kollegin, der oder die die Stimme noch nicht
abgegeben hat? – Ich höre nichts, und wir sehen auch
nichts . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Wie gewohnt wird Ihnen das Ergebnis der
namentlichen Abstimmung später bekannt gegeben .2)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-
ordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine
Zimmermann , weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Gute Arbeit in der Pflege – Personalbemes-
sung in der Altenpflege einführen
Drucksache 18/9122
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Gesundheit
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine
Zimmermann , weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Gute Arbeit – Gute Versorgung: Mehr Perso-
nal in Gesundheit und Pflege
Drucksachen 18/7568, 18/10664
1) Anlagen 7 bis 10
2) Ergebnis Seite 20917 D
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die noch Ge-
spräche zu führen haben, dies außerhalb des Plenarsaals
zu tun .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Pia
Zimmermann, Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Personalmangel, Überbe-
lastung, nicht eingehaltene Dienstpläne, schlechte Ar-
beitsbedingungen, miese Bezahlung – das sind fünf der
Hauptkritikpunkte von Beschäftigten in der Alten- und
in der Krankenpflege. Ich muss Ihnen leider hier sagen,
dass das das Ergebnis Ihrer Politik ist, meine Damen und
Herren von der Großen Koalition .
Bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss wurde
angeführt, dass seit 1993 das Leistungsspektrum in den
Krankenhäusern erheblich erweitert wurde, das Fachper-
sonal aber nicht entsprechend aufgestockt wurde . Profes-
sor Simon hat berechnet, dass 100 000 Pflegekräfte mehr
vonnöten wären, um allein diesen Anstieg des Leistungs-
spektrums bewältigen zu können . Auch Frau Dr . Wieteck
hat Ihnen dies in der Anhörung bestätigt . Sie wies darauf
hin, dass Deutschland dann zumindest ins europäische
Mittel aufschließen würde .
Auch in der Altenpflege muss sofort gehandelt werden;
denn auch hier gefährdet der politisch in Kauf genomme-
ne Personalmangel die Gesundheit der Pflegekräfte und
produziert lebensgefährliche Situationen . Es häufen sich
Berichte, dass immer öfter Pflegefachleistungen von Hilfs-
oder Betreuungskräften erbracht werden müssen . Sie alle
wissen, dass ein neues Pflegeverständnis auch zu einem
höheren Pflegeaufwand führt. Die Umsetzung der von Ih-
nen beschlossenen Pflegegesetze wird nur dann zu besse-
rer Pflegequalität führen, wenn Sie auch das nötige Fach-
personal zur Verfügung stellen . Das ist unsere Forderung .
In der Altenpflege fehlen laut Verdi schon jetzt min-
destens 40 000 Fachkräfte . 45 000 Betreuungskräfte, wie
beschlossen, ändern daran nichts; denn Betreuung ist
eine neue Leistung, und sie darf und kann nicht Pflege-
fachleistungen ersetzen .
Alle Mitglieder des Gesundheitsausschusses erhielten
25 Stellungnahmen von Beschäftigten aus Krankenhäu-
sern der ganzen Republik, und diesen Expertinnen und Ex-
perten möchte ich heute hier Raum im Parlament geben .
Beschäftigte aus einem Klinikum schrieben – ich zitiere –:
Egal auf welche Station Sie schauen: Es sind zu we-
nige Menschen da, um die Arbeit zu leisten . Zwei
Pflegekräfte auf einem 50-Meter-Flur, zuständig für
Vizepräsidentin Claudia Roth
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20917
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42 Patienten, viele davon mit erhöhtem Pflegebedarf.
Schon die grundlegende Versorgung stellt eine kaum
zu leistende Herausforderung dar . . . . Flüssigkeiten
anreichen erfolgt zwischendurch . Infusionen – zum
Teil Antibiosen – werden irgendwann angehängt .
Beschäftigte aus einem weiteren Klinikum schrieben:
Das Pflegestellenförderprogramm
– der Bundesregierung –
hat sich für uns als nutzlos erwiesen . Die in Aussicht
gestellte Personalbemessung in der Altenpflege für
2020, ohne konkrete Angaben zu den Personal-
schlüsseln, ist eine Geringschätzung der Pflegen-
den!
Eine Mitarbeitervertretung schätzt ein:
Pflegekräfte werden zwischen Selbstausbeutung
und Fremdausbeutung zerrieben .
Als Fremdausbeutung definiert sie „Anspruch der Dienst-
geber, eine allzeit bereite Verfügungsmasse mit Arbeit auf
Abruf einsetzen zu wollen, um Kosten zu sparen . Dies
gefährdet nicht nur die eigene Gesundheit, sondern wirkt
sich sichtbar auf die Versorgung von Patienten aus .“
Meine Damen und Herren, es ist mittlerweile unüber-
sehbar, dass Sie bei der Personalbemessung Ihre Blocka-
dehaltung dringend zum Wohl der Beschäftigten in der
Pflege, insbesondere im Krankenhaus, und vor allen Din-
gen der Patienten aufgeben müssen .
Wir wissen es doch alle: Es besteht gar kein Erkennt-
nisproblem . Wir haben es eher mit einer Handlungsver-
weigerung zu tun . Das Bundesgesundheitsministerium
sagt selbst: Bis 2030 wird sich die Zahl der Menschen
mit Pflegebedarf auf 3,3 Millionen erhöhen, und dann
muss man natürlich auch mehr Pflegekräfte haben; das
ist doch ganz logisch .
– Ich sage dir die Zahlen, Mechthild, natürlich . – Dann
werden etwa 500 000 Pflegekräfte fehlen. Dass Sie mit
diesem Wissen Ihres eigenen Ministeriums nicht sofort
handeln, das halte ich für einen politischen Skandal .
Konkrete und wirksame Vorschläge von uns liegen auf
dem Tisch:
Erstens . In den Krankenhäusern werden als Sofort-
maßnahme 100 000 neue Vollzeitstellen geschaffen . Die-
se müssen vollständig und bedarfsgerecht außerhalb der
Fallpauschalen finanziert werden.
Zweitens. Auch in der Altenpflege muss sofort gehan-
delt werden. Lösen Sie den Pflegevorsorgefonds auf, und
wandeln Sie ihn um in einen Personalfonds . Das bringt
jährlich mehr als 1 Milliarde Euro und sehr viele Voll-
zeitplanstellen in der Fachpflege.
Drittens . Höhere Vergütung, selbstbestimmte fachli-
che Mitsprache und eine wirksame soziale Absicherung
machen Pflege attraktiv.
Viertens. Die Pflegevollversicherung sichert nicht nur
eine gute, bedarfsdeckende Versorgung; sie verhindert
vor allem, dass Menschen mit Pflegebedarf höhere Per-
sonalkosten durch weiter steigende Eigenanteile decken
müssen .
Letztens. Eine solidarische Gesundheits- und Pflege-
versicherung, die alle Einkommen einbezieht, erweitert
dafür die Finanzierungsgrundlage und macht sie vor al-
len Dingen gerecht .
Lehnen Sie diesen Antrag heute aus ideologischen
Gründen ab, stimmen Sie gegen die Forderungen und
Interessen der Pflegebeschäftigten und damit gegen eine
hochwertige und sichere Versorgung der Patientinnen
und Patienten und Menschen mit Pflegebedarf. Politisch
und moralisch wäre das unterlassene Hilfeleistung .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Ich darf Ihnen zwischendurch das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittel-
te Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung
„Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Sup-
port . . . in Afghanistan“ bekannt geben: abgegebene Stim-
men 577 . Mit Ja haben gestimmt 467, mit Nein haben
gestimmt 101, Enthaltungen 9 . Damit ist die Beschluss-
empfehlung angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 577;
davon
ja: 467
nein: 101
enthalten: 9
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger
Pia Zimmermann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620918
(C)
(D)
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt
Patrick Schnieder
Nadine Schön
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20919
(C)
(D)
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir
Aydan Özoğuz
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck
Dr . Franziska Brantner
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620920
(C)
(D)
Dr . Thomas Gambke
Anja Hajduk
Dieter Janecek
Tom Koenigs
Nicole Maisch
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Manuel Sarrazin
Kordula Schulz-Asche
Markus Tressel
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
SPD
Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr . Ute Finckh-Krämer
Michael Groß
Gabriele Hiller-Ohm
Ralf Kapschack
Cansel Kiziltepe
Daniela Kolbe
Hilde Mattheis
Markus Paschke
Christian Petry
Dr . Wilhelm Priesmeier
Kerstin Tack
Rüdiger Veit
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck
Katja Dörner
Katharina Dröge
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn
Christian Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Lisa Paus
Claudia Roth
Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Dr . Julia Verlinden
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Oliver Krischer
Dr . Konstantin von Notz
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten aufgeführt .
Nächster Redner ist der Kollege Erwin Rüddel für die
CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Meine Fraktion lehnt die Anträge ab . Dies ist für
uns zwingend,
weil wesentliche Tatsachen in den Anträgen keine Be-
rücksichtigung gefunden haben . Geben Sie mir deshalb
die Möglichkeit, hier einige Dinge richtig- bzw . klarzu-
stellen .
Bereits beim Pflegestärkungsgesetz I – das war noch
vor der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbe-
griffes – haben wir für die stationäre Pflege zusätzliche
Betreuungs- und Aktivierungsangebote auf den Weg
gebracht . Wir haben einen neuen Schlüssel eingeführt .
45 000 zusätzliche Betreuungskräfte in stationären Ein-
richtungen, ich denke, das ist eine beeindruckende Zahl .
Das sind mehr Kolleginnen und Kollegen in der Pflege,
mehr Hände für gute Pflege.
In den Vergütungsverhandlungen zwischen Pflege-
kassen und Pflegediensten haben wir verankert, dass die
Kassen bei tarifgebundenen Einrichtungen die Tarife
nicht als unwirtschaftlich einstufen dürfen . Damit stel-
len wir sicher, dass Tariferhöhungen wirklich bei den
Beschäftigten ankommen . Vor 14 Tagen haben wir die
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20921
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(D)
Regelung im PSG III auch auf nichttarifgebundene Ein-
richtungen ausgeweitet . Das bedeutet mehr Geld für die
Pflege.
Ferner haben wir bereits seit Ende 2014 mit dem
PSG II flächendeckend eine vereinfachte Pflegedoku-
mentation im ambulanten und im stationären Bereich
eingeführt und dabei klargestellt – das ist ganz wichtig –,
dass die gewonnene zeitliche Entlastung der Pflegekräfte
nicht durch Personalkürzungen wieder rückgängig ge-
macht werden darf . Das heißt also: mehr Zeit für Zuwen-
dung, mehr Geld, mehr Kollegen .
Bereits nach geltendem Recht können in den Landes-
rahmenverträgen Verfahren zur Ermittlung des Personal-
bedarfs oder zur Bemessung der Pflegezeit vereinbart
werden . Bislang werden in den Ländern allerdings nur
Pflegerichtwerte vereinbart. Im Zusammenhang mit der
Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes sind
diese Rahmenverträge entsprechend anzupassen und auf
die Pflegegrade hin neu auszurichten. Dies betrifft auch
die Vorgaben zur Personalausstattung in zugelassenen
Pflegeeinrichtungen.
Die Bundesregierung ergreift eine Vielzahl von Maß-
nahmen, um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu be-
geistern:
Dazu gehört die Gestaltung guter Rahmenbedingun-
gen der pflegerischen Versorgung. Wir haben bei allen
unseren Gesetzen im Gesundheitsbereich darauf geach-
tet, dass Aspekte berücksichtigt wurden, um die Rah-
menbedingungen für gute Pflege zu verbessern.
Wir haben die Umsetzung der Ausbildungs- und Qua-
lifizierungsoffensive in der Altenpflege auf den Weg ge-
bracht, und wir haben im Moment einen wahren Run auf
die Altenpflegeausbildung. Das ist ein gutes Signal.
Die Entwicklung und Erprobung eines fachlich-wis-
senschaftlich fundierten Verfahrens zur Personalbemes-
sung in der Pflege ist auf den Weg gebracht und wird
umgesetzt .
Wir haben den Mindestlohn und die permanente An-
passung des Mindestlohns in der Altenpflege eingeführt.
Die Aufwertung des Pflegeberufes haben wir dadurch
erreicht, dass mittlerweile wissenschaftlich fundiert nicht
mehr die Strukturqualität im Vordergrund steht, sondern
die Ergebnisqualität . Hier werden Fachlichkeit und Kom-
petenz für die Pflege wertgeschätzt.
Wir haben die Förderung der Vermittlung bzw . Zu-
wanderung von Pflegekräften aus dem Ausland intensi-
viert .
In der Altenpflege haben wir die Welt verändert, nicht
nur für die Pflegebedürftigen, sondern ganz besonders
auch für die Menschen, die in der Altenpflege arbeiten.
Aber wir haben auch im Krankenhausbereich wesent-
liche Dinge verbessert. Ich erinnere hier an das Pflege-
stellen-Förderprogramm, den Pflegezuschlag oder die
Expertenkommission, die prüft, ob in den DRGs ent-
sprechende Beträge für gute Pflege eingeplant sind. Wir
haben das Hygiene-Förderprogramm auf den Weg ge-
bracht. Also: Pflege steht bei uns im Mittelpunkt.
Das alles zeigt deutlich, dass die Koalition die perso-
nellen Probleme im Pflegebereich nicht nur ernst nimmt,
sondern auch alle Hebel in Bewegung setzt, um im Kran-
kenhaus und in der Altenpflege mehr qualifizierte Fach-
kräfte für den Pflegeberuf zu gewinnen.
Wir alle hier im Haus wissen, dass die Gewinnung zu-
sätzlicher Kräfte für die Pflege keine Aufgabe nur in
dieser Legislaturperiode ist, sondern es wird eine stetige
Aufgabe in allen zukünftigen Legislaturperioden sein .
Darauf konzentrieren wir unsere Arbeit für eine gute
Pflege in unserem Land.
Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten,
dass es für heutige und künftige Pflegekräfte attraktiv ist,
ihrem Beruf möglichst bis zur Rente treu zu bleiben . Das
ist unser Ziel, und dafür arbeiten wir in dieser Koalition
intensiv und gut zusammen .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Maria Klein-Schmeink hat jetzt das
Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Uns liegen zwei Anträge der Linken vor . Ich muss
gestehen: Nicht alles, was in diesen beiden Anträgen
steht, begeistert uns, aber es ist ganz klar: Mit dem The-
ma, das dort angesprochen wird, ist das richtige Thema
angesprochen worden . Wir können um jede Diskussion
froh sein, die wir genau darum führen; denn dass wir Ver-
änderungen an der Pflegefront brauchen, ist völlig klar.
Herr Rüddel, auch wenn Sie vonseiten der Koalition
Ihre Erfolge hervorheben und hier ausbreiten, muss man
sagen: Sie haben zwar einiges in der Krankenhausfinan-
zierung getan,
Sie haben auch einiges in der Pflege getan, aber im Kern
haben Sie diese große Problemsäule, die mit den Arbeits-
bedingungen in der Pflege verbunden ist, nicht in Angriff
genommen, die Situation nicht wirklich verbessert . Das
Erwin Rüddel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620922
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(D)
lässt uns alle nicht ruhen . Deshalb ist es so wichtig, dass
wir darüber erneut diskutieren .
Wenn Sie die Statistiken sehen, dann finden Sie immer
wieder bestätigt: Alle Pflegekräfte – sowohl im Kranken-
haus als auch in der Altenpflege – klagen darüber, dass
es zu wenig Personal gibt, dass die Arbeitsverdichtung
zu hoch ist, dass sie einen immensen Druck verspüren,
und sie klagen über eine zu geringe Bezahlung. Das fin-
den Sie durchgängig . Das muss uns alarmieren, weil wir
wissen, dass wir einen enormen Fachkräftebedarf vor uns
haben . Das sind nicht die richtigen Vorzeichen für die
Pflege, und deshalb muss hier etwas passieren.
Jetzt sagen Sie: Ja, wir haben im Krankenhausbereich
ein Pflegestellenprogramm aufgelegt. – Ja, ein kleines
Pflegestellenprogramm:
6 000 Pflegekräfte, 2,5 pro Krankenhaus. Das löst das
Problem in den Krankenhäusern nicht wirklich . Das wis-
sen Sie auch .
Es gibt eine Lücke von mindestens 50 000 Pflegekräften
in den Krankenhäusern .
Sie haben dann ein Gutachten auf den Weg gebracht,
wonach eine Personalbemessung im Krankenhausbe-
reich entwickelt werden soll . Wann soll das vorliegen?
Ende 2017 . Das heißt, bestenfalls am Ende der nächsten
Wahlperiode beschließen wir ein Personalbemessungs-
instrument und die dazugehörigen Finanzierungen im
Krankenhausbereich .
So lange darf diese Diskussion nicht weitergehen . Hier
muss ein kurzfristiges Programm kommen . Hier muss
etwas passieren .
Das Gleiche gilt für den Pflegebereich. Dort ist es
noch viel schlimmer. Mit den neuen Pflegegraden, die
richtig sind,
mit dem neuen Pflegebegriff, haben mindestens
200 000 Menschen ab 1 . Januar 2017 neue Ansprüche .
Wo sind die Maßnahmen dafür, dass wir tatsächlich das
Personal haben, um genau diesen neuen Ansprüchen ge-
recht werden zu können? Da sehen wir gar nichts .
Wir sehen nicht, dass Sie tatsächlich dafür sorgen,
dass es echte Anhaltszahlen im ambulanten Bereich und
in der stationären Pflege gibt, sodass man sagen kann:
Wir haben eine zufriedenstellende Betreuungs- und Pfle-
gesituation . – Davon sind wir noch immer weit, weit
entfernt . Da hilft auch der Verweis auf Ihr Assistenzpro-
gramm nichts, weil es da um einen ganz anderen Aus-
schnitt der Pflege geht. Das wird letztendlich dazu füh-
ren, dass die Situation im Personalbereich in der Pflege
so prekär bleibt wie bisher .
Das können wir uns nicht erlauben; da müssen wir etwas
tun . Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir immer wie-
der mit Initiativen darauf hinweisen .
Ich wünsche mir von Ihnen, quasi als Weihnachtsge-
schenk, aber von mir aus auch gerne als Wahlkampfge-
schenk – das wäre nämlich mal ein gutes –, ein Pflege-
stärkungsprogramm Nummer vier, in dem ganz konkrete
Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssituation in
diesem Bereich enthalten sind . So könnten wir eine gute
Situation schaffen .
Ich rufe Sie dazu auf, diese Debatte zum Anlass zu neh-
men, so etwas zu machen, von mir aus auch gern als
Wahlkampfgeschenk .
Vielen Dank . – Jetzt hat Marina Kermer für die
SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte
Gäste! Die Überschrift des heute abschließend zu bera-
tenden Antrags lautet ja „Gute Arbeit – Gute Versorgung:
Mehr Personal in Gesundheit und Pflege“. Das ist eine
gute Überschrift; denn gute Arbeit und gute Versorgung
sind auch unsere Ziele, die unser Handeln in dieser Le-
gislatur bestimmt haben – und das mit gutem Erfolg .
Wir alle stehen in der Gesundheitspolitik vor der gro-
ßen Aufgabe, die Grundlagen für gute und bedarfsge-
rechte Pflege für die Zukunft zu sichern. Sehen wir uns
das Heute an, so wissen wir, dass es Krankenhäuser mit
Not in der Pflege gibt, aber auch Häuser, in denen das
Maria Klein-Schmeink
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20923
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nicht so ist . Sehen wir in die Zukunft, so erkennen wir,
dass wir vor der Aufgabe stehen, unser Gesundheitssys-
tem transparent und effizient zu gestalten. Die Rahmen-
bedingungen werden sich ändern, und an diesen müssen
wir unsere Pflegeabläufe und -inhalte und bedarfsgerech-
te Pflegekapazitäten ausrichten.
Ihr Antrag vermittelt den Eindruck, dass er sich mit
einer offenen Wunde befasst und auch Heilung erzielen
will; aber die Medikation konzentriert sich nur auf ein
Mehr an Personal, über das wir zukünftig aus bekannten
Gründen nicht in großem Maße verfügen werden . Des-
halb haben wir bereits im Jahr 2015 das Krankenhaus-
strukturgesetz verabschiedet und damit dem gesamten
Krankenhauswesen Handlungsräume eröffnet, die fle-
xibel und bedarfsorientiert genutzt werden können; die
Mittel wurden nicht mit der Gießkanne verteilt . Dafür
haben wir als Regierungskoalition hart gestritten und er-
folgreich gekämpft .
Meine Damen und Herren, die Grundpfeiler sind ge-
setzt . Krankenhäuser können sich bedarfsgerecht und
damit zukunftsfest aufstellen. Die Länder können flexi-
bel auf die Anforderungen des demografischen Wandels
reagieren . Die Mittel in Höhe von 660 Millionen Euro
stehen mit dem Pflegestellen-Förderprogramm bereit.
Daher appelliere ich an all jene Krankenkassen und
Krankenhäuser, die noch in den Budgetverhandlungen
stehen: Schließen Sie diese schnellstmöglich ab; denn
Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen schnelle
Entlastung .
Wir haben eine Expertenkommission eingesetzt . Sie
soll langfristig und solide die Finanzierungsbasis für die
Kosten der Pflege besser abbilden.
Krankenhäuser können verlässlich und langfristig
mehr Personal einstellen. Dazu haben wir den Pflege-
zuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich auf
Dauer eingeführt .
Aber die Verteilung der Mittel erfolgt eben nicht mit der
Gießkanne, sondern ist an Bedingungen geknüpft, um
ausreichend Pflegekapazitäten vorhalten zu können.
Angesichts der vielen Maßnahmen, die ineinander-
greifen und bedarfsorientiert genutzt werden können
und sollen, ist Ihre Forderung, 100 000 Pflegekräfte
zusätzlich allein für die Versorgung in Krankenhäusern
einzustellen, zwar nachvollziehbar, aber aus unserer
Sicht nicht zielführend . Warum nicht? Wir haben Ver-
änderungsprozesse eingeleitet, und Prozesse brauchen
ihre Zeit . Die Ergebnisse bleiben also zunächst einmal
abzuwarten . Und es ist nicht nur die Personaldecke, die
zu kurz ist; es ist auch das Aufgabenspektrum, das sich
verändert hat und sich auch weiter verändern wird . Aus
diesen Gründen, sehr geehrte Damen und Herren, reicht
es nicht aus, allein mehr Personal und damit mehr Geld
für die Krankenhäuser bereitzustellen .
Wir müssen unser gesamtes Gesundheitssystem und das
Zusammenwirken darin im Blick haben . Denn wir wol-
len unser Ziel, das Wohl der Patientinnen und Patienten,
nicht aus den Augen verlieren .
In der Regel, Frau Zimmermann, wird in unseren
Krankenhäusern gute medizinische Versorgung geleis-
tet, aber eben nicht in allen gleichermaßen . Das heißt im
Klartext: Es werden Operationen durchgeführt, die medi-
zinisch nicht notwendig sind .
Diese Eingriffe binden Personal und Geldmittel, die an
anderer Stelle dringend benötigt werden . Deshalb wurde
eine grundsätzliche Neuausrichtung der Krankenhaus-
versorgung hin auf Qualität und Transparenz beschlos-
sen . Patientinnen und Patienten müssen wissen, was mit
ihnen passiert und warum . Mehr Qualität in der stationä-
ren Versorgung ist unsere Langzeittherapie .
Das ganze Gesundheitssystem im Blick zu haben,
heißt, zu verstehen, wie die Versorgungsbereiche inein-
andergreifen . Deshalb dürfen wir bei aller Sorge um die
Krankenhäuser die Pflegeheime nicht vergessen. Der
überwiegende Teil der Pflegeleistungen wird in den Pfle-
geheimen erbracht. Im Jahr 2013 gab es 800 000 Pflege-
heimplätze – doppelt so viele Plätze wie belegte Betten in
Krankenhäusern . Deshalb haben wir am 1 . Dezember das
PSG III verabschiedet und damit eines der umfangreichs-
ten Maßnahmenpakete zur Verbesserung der Pflege.
Wir haben die Rechte der zu Pflegenden verbessert, wir
haben die Situation der Angehörigen gestärkt, und wir
haben für bessere Bezahlung der Pflegekräfte in den Pfle-
geheimen gesorgt. Wir brauchen unsere Pflegekräfte.
Wir können es uns nicht leisten, all Ihre Forderungen
umzusetzen, weil wir schlichtweg nicht ausreichend Pfle-
gekräfte haben
und weil wir nicht wollen, dass die verschiedenen Pflege-
bereiche zueinander in Konkurrenz treten . Auf der Stre-
cke bleiben dabei am Ende vor allem die Patientinnen
und Patienten .
Wir brauchen für die Zukunft mehr Menschen, die in
der Pflege arbeiten. Deshalb kann ich Sie nur einladen,
an der Pflegeausbildung zu arbeiten und an der Einfüh-
rung der generalistischen Pflegeausbildung mitzuwirken.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha-
ben in dieser Wahlperiode viel erreicht . In diesem Sinne
wünsche ich uns allen: Frohe Weihnachten! Ich bedanke
mich an dieser Stelle sehr herzlich bei all jenen, die über
Marina Kermer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620924
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die Weihnachtsfeiertage andere Menschen umsorgen und
pflegen.
Vielen Dank .
Danke schön . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt Lothar Riebsamen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der Tat ist es ohne Zweifel notwendig, im-
mer wieder über das Thema Pflege zu reden. Das zei-
gen schon die nackten Zahlen: 20 Millionen Menschen
werden jedes Jahr in den Krankenhäusern versorgt und
gepflegt – rechnerisch ein Viertel der gesamten Bevöl-
kerung –; dazu kommen 2,7 Millionen Menschen, die in
der stationären Altenpflege und der ambulanten Alten-
pflege versorgt werden. Deswegen ist es vor Weihnach-
ten richtig, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und
den Pflegekräften in unseren Krankenhäusern, in unseren
Pflegeheimen und in den Sozialstationen ein herzliches
Dankeschön zu sagen .
Sie leisten großartige Arbeit, sie leisten qualitativ hoch-
wertige Arbeit . Dies belegen aktuelle Patientenbefragun-
gen, und dies belegen auch immer wieder Studien .
Ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn die Lin-
ke als Oppositionspartei Forderungen stellt wie die Ab-
schaffung der Beitragsbemessungsgrenze; denn dann
kann man schnell 100 000 Pflegekräfte einstellen. Das
können Sie aber auch nur fordern, weil Sie nicht in der
Situation sind, das tatsächlich umsetzen zu müssen, und
Sie werden auch nie in die Situation kommen .
– Ich glaube nicht, dass Sie in die Situation kommen . –
Aber ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie in Ih-
rem Antrag schreiben, dass in deutschen Krankenhäusern
eine strukturell gefährliche Pflege gemacht wird. Das
weise ich entschieden zurück .
Das diffamiert die Pflege in unseren Krankenhäusern und
auch in unseren Pflegeheimen. Ich sage Ihnen eines: Auf
diese Weise gewinnen Sie nicht eine Pflegekraft dazu.
Nicht ein junger Mensch wird sich dazu entschließen, Al-
tenpfleger oder Krankenpfleger zu werden, wenn Sie die
Pflege in Deutschland auf diese Weise darstellen.
Nun ist es ja durchaus nicht falsch, darauf hinzuwei-
sen, dass wir vor Einführung der DRGs in den 90er-Jah-
ren die meisten Pflegekräfte in Deutschland hatten.
Damals hatten wir 350 000 Vollzeitpflegekräfte in den
Krankenhäusern . Diese Zahl sank auf unter 300 000 . Das
hat den Krankenhäusern nicht gutgetan .
Herr Kollege Riebsamen, die Kollegin Zimmermann
würde Ihnen gerne eine Frage stellen . Lassen Sie das zu?
Ja, bitte schön .
Bitte schön .
Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen . – Ich will
auf die Ausbildung zu sprechen kommen, weil Sie einen
Zusammenhang zwischen der Ausbildung und den struk-
turellen Problemen vor Ort hergestellt haben . Natürlich
haben wir in den Häusern strukturelle Probleme . Sie
müssen einmal mit den Kolleginnen reden und sie fra-
gen, wie es ihnen geht und wie sie ihre Arbeit verrichten
können . Sie müssen wissen, dass Menschen, die in der
Pflege arbeiten – dazu gibt es unterschiedliche Studien –,
durchschnittlich nach sieben, acht oder neun Jahren ihren
Beruf wieder verlassen, weil sie die Arbeit physisch und
psychisch nicht aushalten .
Es gibt viele Anzeigen, dass Pflege nicht verrichtet
werden konnte und dass Notfälle im Bereich der Pflege
auftraten . Soll ich den Kolleginnen und Kollegen oder
den Menschen, die eine Ausbildung in der Pflege begin-
nen, vormachen, dass alles wunderbar ist, dass alles ganz
prima ist, dass es selbstverständlich verlässliche Dienst-
pläne gibt usw .? Soll ich den jungen Menschen vorma-
chen, dass man den Beruf, den man erlernt hat, auch
tatsächlich ausüben kann? Das macht doch keinen Sinn .
Sie müssen an einer anderen Stelle ansetzen . Sie müs-
sen den Beruf attraktiv machen . Die Menschen müssen
wissen, dass sie verlässliche Dienstpläne haben, dass sie
ihre Arbeit verrichten können und dass sie mit den Men-
schen menschenwürdig umgehen können . Ich glaube
nicht, dass wir Fachkräfte gewinnen können, indem wir
den Schülerinnen und Schülern die Probleme vorenthal-
ten .
Ich will Ihnen noch eine Sache sagen . Zu mir kommen
oft Besuchergruppen aus Altenpflegeschulen. Ich frage
mich immer wieder – das spreche ich natürlich auch an –,
warum die Gruppen so klein sind . Ich höre jedes Mal,
dass die meisten, wenn sie in die Praxis kommen, ihren
Berufswunsch aufgeben und die Ausbildung verlassen .
Ich frage Sie: Warum machen die das? Haben Sie sich
darüber einmal Gedanken gemacht?
Frau Zimmermann, ich sage Ihnen: Bleiben Sie ein-
fach nur bei der Wahrheit . Stellen Sie nicht in den Raum,
dass strukturell bedingt – so haben Sie das geschrieben;
Sie sprechen nicht von Einzelfällen – eine gefährliche
Marina Kermer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20925
(C)
(D)
Pflege in den Krankenhäusern und den Pflegeheimen ge-
leistet wird . Das ist schlicht und ergreifend nicht wahr .
Das wäre ein Straftatbestand . Wenn Sie entsprechen-
de Erkenntnisse haben, dann müssen Sie das beim Ge-
sundheitsamt anzeigen . Das, was Sie sagen, ist einfach
nicht richtig . Das kommt in Einzelfällen durchaus vor,
aber eben nicht strukturell bedingt . Sie stützen sich bei
Ihrer Aussage auf einen Enthüllungsjournalisten, dessen
Enthüllungen vom Landgericht Hamburg kassiert wur-
den . Das muss man an der Stelle auch sagen . Da ist Ihnen
wohl nichts Besseres eingefallen . Es gibt wirklich gute
Gründe, um über die Situation in der Pflege zu reden; das
habe ich eingangs gesagt . So seltsame Gründe wie die,
die Sie hier in die Welt setzen, braucht man dafür nicht .
Ich habe mich vorhin noch vornehm ausgedrückt . Das
muss ich schon sagen . Es war der adventlichen Gnade ge-
schuldet, dass ich mich zurückhaltend ausgedrückt habe .
Zu jeder anderen Jahreszeit würde ich es so formulieren:
Das ist eine Frechheit gegenüber denen, die diese tolle
Arbeit in den Pflegeheimen und Krankenhäusern leisten.
Ich habe gesagt, dass die Krankenhäuser im Zusam-
menhang mit der Einführung der DRGs zu viele Pflege-
stellen abgebaut haben. Die Zahl der Pflegekräfte sank
von 350 000 auf unter 300 000 . Die Krankenhäuser ha-
ben das Problem selbst erkannt . Sie haben erkannt, dass
man bei schlechter Pflege keine hohen Qualitätsstandards
einhalten kann. Sie haben die Zahl der Pflegekräfte von
sich aus erhöht .
Aber auch seitens der Politik haben wir Maßnahmen
ergriffen . Das Wichtigste, was zu Regierungszeiten der
Großen Koalition und davor gemacht wurde, ist schon
erwähnt worden. Das Pflegestellen-Förderprogramm von
2009 und das Pflegestellen-Förderprogramm in dieser
Legislaturperiode haben dazu geführt, dass wir heute in
etwa gleich viele Stellen haben wie vor Einführung der
DRGs . Das war eine große Leistung .
Ich möchte noch eines ergänzen, was bisher noch nicht
gesagt wurde: Wenn sich nun die Länder dazu durchrin-
gen könnten, die Investitionskosten zu finanzieren, und
wenn sie nicht Geld aus den Krankenhäusern abziehen
würden, indem sie deren Erlöse einkassieren, wenn die
Länder also ihren Verpflichtungen nachkommen wür-
den, dann hätten die Krankenhäuser noch mehr Geld, um
den berechtigten Forderungen nach mehr Pflegepersonal
nachzukommen .
Ich möchte zum Schluss darauf hinweisen, dass es na-
türlich wichtig ist, über Geld und über Stellenschlüssel
zu reden . Das ist überhaupt keine Frage . Aber wir sollten
uns auch die Frage stellen, was wir tun können, um sta-
tionäre Pflege möglichst zu verhindern. Die Menschen
möchten ihren letzten Lebensabschnitt sowieso lieber
zu Hause verbringen und zu Hause sterben . Es ist auch
preisgünstiger, zu Hause zu sein, als ein teures Pflege-
heim zu bezahlen . Aber darauf will ich jetzt gar nicht hi-
naus . Mir geht es um etwas anderes . Mir geht es darum,
dass wir, wenn wir den ambulanten Bereich stärken und
wenn mehr Leute zu Hause gepflegt werden können, we-
niger Pflegekräfte in den Pflegeheimen brauchen; damit
meine ich nicht, dass der Stellenschlüssel geändert wer-
den soll .
Die finanziellen Rahmenbedingungen haben wir mit
dem Pflegestärkungsgesetz I geschaffen. Aber wenn wir
die Rahmenbedingungen verbessern wollen, dann geht
es nicht nur um das Geld, sondern auch darum, dass wir
die Kurzzeitpflegeplätze – wir haben das Budget für den
Einzelnen von 1 600 auf 3 200 Euro im Jahr verdop-
pelt – dann vor Ort vorhalten . Das gilt auch für die Ta-
gespflegeplätze. Beides stützt die ambulante Versorgung,
Tagespflege und Kurzzeitpflege. In der Tagespflege ha-
ben wir ein Budget von um die 20 000 Euro pro Jahr für
jeden Einzelnen eingeführt. Allein die Tagespflegeplätze
stehen in der benötigten Breite nicht zur Verfügung .
Deswegen werden wir uns Gedanken machen müs-
sen, wie wir das in Zukunft erreichen . Die Kostenträger
sind gefordert, dieses Geld jetzt vor Ort auszugeben, den
Heimträgern Angebote zu machen und Anreize zu schaf-
fen, Kurzzeitpflegeplätze und auch Tagespflegeplätze
auszuweisen, um so den ambulanten Bereich zu stärken .
Das wird im nächsten Jahr, im Jahr 2017, und in den
kommenden Jahren unsere Aufgabe sein . Dazu wünsche
ich uns viel Erfolg .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Mechthild Rawert .
Ja, es ist richtig: Wir stehen vor großen gesell-
schaftspolitischen Herausforderungen . Eine davon ist
der Personalnotstand in der Pflege. Wir brauchen viele
Maßnahmen, um dieses Problem tatsächlich – in An-
führungszeichen – in den Griff zu bekommen . Ein we-
sentlicher Baustein ist auf jeden Fall die Reform der
Pflegeberufe. Dazu gehören die generalistische und die
akademische Ausbildung; dazu gleich mehr .
Vor allen Dingen haben wir eines getan: Wir haben
mit den drei Pflegestärkungsgesetzen viel Wesentliches
auf den Weg gebracht,
Lothar Riebsamen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620926
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damit Pflege gut geleistet wird, und zwar im Sinne der
Betroffenen, der Angehörigen und der hauptberuflich Be-
schäftigten .
Daran kann niemand zweifeln . Das tun wir auch nicht .
Denn wir alle wissen, dass wir erfolgreiche und wichtige
Schritte gemacht haben . Ich will sie jetzt gar nicht alle
aufführen .
Für die Alten- und Krankenpflege haben wir bereits
Etliches dezidiert geleistet. Wir haben 2009 das Pfle-
gestellen-Förderprogramm – es wurde schon genannt –
eingeführt, welches allerdings noch darunter litt, dass es
nicht zielgenau gewesen ist und vielen in der Medizin
diente, was damals nicht die Intention war. Beim Pfle-
gezuschlag von 500 Millionen Euro waren wir cleverer .
Da haben wir unser Ziel politisch sehr viel genauer fest-
gelegt .
Wir haben die Ausbildungs- und Qualifizierungs-
offensive Altenpflege eingeführt. Wir haben das dritte
Ausbildungsjahr finanziert. Wir haben die Förderung
der Umschülerinnen und Umschüler für die Pflegeberu-
fe durch die Arbeitsagenturen mit auf den Weg gebracht .
Wir haben dafür gesorgt, dass für erfahrene Kräfte die
Altenpflegeausbildung auf zwei Jahre verkürzt wird. Das
alles sind Schritte, um dieses Berufsfeld attraktiv zu ma-
chen und vor allen Dingen auch Bildung in dieses Be-
rufsfeld zu bringen .
Gesagt, getan, gerecht – so lautet unser sozialdemokra-
tisches Motto, und mit den verschiedensten Pflegerefor-
men haben wir weitere Schritte getan .
Wir haben mit dem Pflegestärkungsgesetz II bereits
ein Gremium beauftragt, in dreieinhalb Jahren – übrigens
ein relativ kurzer Zeitraum, der sich „dummerweise“
noch bis 2020 erstreckt – ein wissenschaftlich fundiertes,
also ein evaluiertes Verfahren für die Personalbemessung
in Pflegeeinrichtungen zu entwickeln. Dies soll auch den
neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff berücksichtigen, der
allerdings erst am 1 . Januar 2017 in Kraft tritt . Dass es
wissenschaftlich fundiert sein soll, steht nun in beiden
Anträgen der Linken . Es hieße, sich dieser Wissenschaft-
lichkeit zu berauben, wenn man jetzt wegen der benötig-
ten Zeit regelrecht schimpfen würde . Da muss ich ganz
ehrlich sagen: Das wäre doch wirklich ein Schuss ins
eigene Knie .
Des Weiteren werden bundeseinheitliche Standards
für die Personalbemessung gefordert . Gut so! Bundes-
weit alleine reicht aber nicht; denn wir brauchen auch
den Bezug auf die unterschiedlichsten regionalen Beson-
derheiten. Das ist wichtig; denn Pflege allein à la Gieß-
kanne hilft uns auch nicht weiter .
Über vieles wurde bereits im Kontext des Sechsten
Pflegeberichts gesprochen; ich will darauf nicht mehr
eingehen . Eines ist aber auch klar: Mehr Personal auf-
grund PSG I ist in den Einrichtungen vorhanden . Die An-
zahl der Betreuungskräfte hat sich deutlich erhöht . Auch
sie sind im Kontext des Pflegesettings extrem wichtig.
Herr Rüddel hat es erwähnt, Herr Riebsamen ebenso:
Gefordert sind auch die Bundesländer . Mittlerweile gibt
es – positiverweise, muss man sagen – für 2017 ja schon
einzelne Personalschlüssel, die von den Vereinbarungs-
partnern ausgehandelt worden sind . Davon wünsche ich
mir mehr . Niemand hier sagt: Ihr Bundesländer, wir le-
gen euch hier einen Stein in den Weg . – Jedes Bundes-
land ist hier gefordert .
– Auch Thüringen, Rheinland-Pfalz, Berlin, und, und,
und . Jeder kehre vor seiner eigenen Tür .
Des Weiteren haben wir über die Tarife gesprochen .
Mit der Stärkung der Tarifbezahlung ist wirklich ganz
Wesentliches erreicht worden .
Zum Schluss möchte ich aber auf die Pflegeberufere-
form eingehen; denn eines ist doch klar: Qualifiziertes
Personal gibt es nur durch eine gute, qualifizierte Ausbil-
dung . Deswegen brauchen wir die generalistische Aus-
bildung,
deswegen brauchen wir die akademischen Berufe . Wir
müssen auch die zukünftige Konkurrenz zwischen den
verschiedenen Branchen berücksichtigen . Nur zu jam-
mern, hilft auch nicht . Das ist nicht attraktiv für junge
Leute .
Die Pflegesettings der Zukunft müssen mehr Kompe-
tenzen aufweisen . Wir alle reden über Multimorbidität,
wir reden über Alter und das Älterwerden . Und wir alle
wollen doch eine gute Versorgung haben . Also lasst uns
auch wirklich für eine gute Versorgung eintreten! – Ich
gucke einmal ganz scharf in eine bestimmte Richtung,
Frau Kollegin Rawert .
Ja . – Das wäre das Weihnachtsgeschenk, das wir Par-
lamentarierinnen und Parlamentarier den Pflegekräften
überreichen können: also pro Generalistik, pro akademi-
sche Ausbildung . In diesem Sinne ein frohes und gutes
neues Jahr!
Mechthild Rawert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20927
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Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist jetzt der Kollege Erich Irlstorfer für die
CDU/CSU-Fraktion .
Es freut mich, dass Sie das so sehen . – Sehr verehrte
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
beiden Anträgen der Linken zur Personalsituation in der
Altenpflege bzw. in der Pflege und im Gesundheitswe-
sen allgemein wird ein Bild der Situation in deutschen
Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gezeichnet,
das reine Untergangsstimmung vermitteln soll . Ich kann
nur sagen: Dieses Bild trifft nicht zu .
Es wird hier im Bundestag der Eindruck erweckt, als
ob die Bundesregierung in den letzten drei Jahren keiner-
lei Veränderungen im Bereich der Pflege vorgenommen
hätte . Sie wissen genauso gut wie wir, dass das nicht ein-
mal im Ansatz der Realität entspricht .
Als Alternative erzeugt die Linke ein Traumbild mit
kostenfreier Gesundheitsversorgung in Deutschland und
einer Lösung der demografischen Herausforderungen im
Handumdrehen . Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren, die Lösungsansätze der Linken lassen sich nur wie
eine Rückkehr zur Planwirtschaft und zu einem Versor-
gungssystem à la Staatsmedizin lesen, von dem wir uns
vor 27 Jahren erfreulicherweise trennen durften .
Demnach sollen als kurzfristige Maßnahmen zur Ver-
besserung der Personalbesetzung in den Krankenhäusern
mindestens 100 000 Vollzeitstellen im Pflegebereich ge-
schaffen werden . Aus Ihrem Antrag geht jedoch nicht
hervor, auf welcher Grundlage diese Zahl basiert .
Sie verfahren hier wie beim Zaubern; das ist der Punkt .
Aber das ist keine seriöse Politik .
Ohne ordentliche Grundlage ist es aber hochgradig un-
wissenschaftlich und auch unseriös, solche Zahlen in den
Raum zu stellen . In meinen Augen ist es zumindest am
Rande der Unanständigkeit, wie Sie hier agieren; das
möchte ich Ihnen klar sagen .
Darüber hinaus, meine sehr geehrten Damen und Her-
ren, sollen hier ein wirtschaftlicher Wettbewerb und die
Möglichkeit, Gewinne zu erzielen, beendet werden . Ich
kann Ihnen nur sagen: Ohne Gewinne gibt es keine Ver-
fügungsmasse für Investitionen . Mehr Wettbewerb führt
zu mehr Qualität, auch in der Pflege. Sozialismus führt
nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Gesund-
heitsversorgung zu einer Katastrophe . Das möchte ich
untermauern .
Ihre Vorstellungen führten damals zu maroden Kran-
kenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in denen es am Nö-
tigsten fehlte . So wäre es auch heute . Wir möchten nicht,
dass, wie es einmal war, Einmalhandschuhe mehrmals
verwendet werden müssen und Ähnliches . Um es mit
Franz Josef Strauß zu sagen:
Man soll aus der Geschichte nicht lernen, um beim
nächsten Mal schlauer, sondern um für immer wei-
ser zu sein .
Das ist mein Rat für Ihre zukünftige Arbeit .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sehe na-
türlich auch die Bundesländer in der Pflicht, die notwen-
digen Mittel zur Finanzierung – Lothar Riebsamen hat
darauf hingewiesen – bereitzustellen . Auch hier können
die nicht CSU-regierten Bundesländer, wenn sie wollen,
noch viel von Bayern lernen .
Bayern liegt bei den Investitionen auch heuer wieder an
der Spitze in Deutschland . Nehmen Sie das einmal zur
Kenntnis .
In Ihrer Vorstellungswelt soll die Privatisierung von
Einrichtungen – wir hören das ja laufend – in Zukunft un-
tersagt werden . Statt der bestehenden Vielfalt von privat-
gewerblichen, frei-gemeinnützigen und öffentlichen Trä-
gern wollen Sie Monokulturen . Das, meine sehr geehrten
Damen und Herren, ist ein Irrweg . Wir konnten die An-
zahl der Pflegeeinrichtungen in den letzten Jahren – auch
das gehört zur Wahrheit – um über 40 Prozent steigern,
den Großteil davon dank immenser privater Investitio-
nen . An dieser Stelle danke ich für diese unternehmeri-
schen Leistungen .
Ich möchte darüber hinaus noch ganz kurz auf einen
weiteren Punkt eingehen – ich glaube, er gehört hier-
her –: Sie sprechen ja immer davon, dass Sie eine Pfle-
gevollversicherung einführen wollen und dass Sie vom
bestehenden System weg wollen . Außerdem hören wir in
regelmäßigen Abständen – nicht nur von Ihnen – immer
wieder etwas zum Thema Bürgerversicherung als der
einzig wahren Lösung aller Probleme in der deutschen
Gesundheitsversorgung . Das Positivste, das ich im Zu-
sammenhang mit der Bürgerversicherung gehört habe,
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620928
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ist, dass mir gestern ein Treffen mit der Kollegin Hilde
Mattheis im Jahr 2017 versprochen wurde, bei dem sie
mir all diese Dinge erklären und sie entsprechend formu-
lieren wird . Ich kann nur sagen: Die Linke ist nicht ein-
mal in der Lage, das zu formulieren . Sie bringen nichts
Fachliches, sondern reine Propaganda . Das möchte ich
hier einmal festhalten .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gäbe
noch viel zu sagen . Frau Rawert hat mich ja geradezu
herausgefordert, etwas zum Thema Pflegeberufegesetz
zu sagen . Ich hebe mir das aber für 2017 auf, verehrte
Kollegin . Heute kann ich nur sagen: Die strukturellen
Veränderungen, die wir beschlossen haben, werden sich
in den kommenden Jahren positiv auf die Gesundheits-
versorgung in Deutschland auswirken . Der Antrag der
Linken geht an diesen Tatsachen wieder einmal vorbei
und ist daher abzulehnen .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .
Die Fraktionen haben vereinbart, dass die Vorlage auf
Drucksache 18/9122 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse überwiesen wird . Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 10 b . Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Gute Arbeit – Gute Versorgung: Mehr Personal in Ge-
sundheit und Pflege“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10664, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7568
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarz-
arbeit und illegalen Beschäftigung
Drucksache 18/9958
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses
Drucksache 18/10655
Über den Gesetzentwurf werden wir später nament-
lich abstimmen . Ich weise darauf hin, dass zur Annahme
des Gesetzentwurfs nach Artikel 87 Absatz 3 des Grund-
gesetzes die absolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen –
erforderlich ist .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Auch hier höre
ich keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . – Ich
darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Uwe Feiler, CDU/CSU-Fraktion . Bitte schön .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute schlie-
ßen wir das Gesetzgebungsverfahren zur Verbesserung
der Bekämpfung der Schwarzarbeit ab . Die Regierungs-
koalition setzt damit ihr entschlossenes Vorgehen gegen
Unternehmen fort, die meinen, sich durch die Beschäf-
tigung von Schwarzarbeitern einen Vorteil verschaffen
zu können, aber auch gegen Arbeitnehmer, die entweder
aus freien Stücken oder aus einer Notlage heraus nicht
erkennen, dass sie mit ihrem Handeln nicht nur den So-
zialstaat, sondern vor allen Dingen sich selbst schädigen .
In den vergangenen Monaten war ich mit mehreren
Gesetzen befasst, die bezwecken, Steuerehrlichkeit zu
fördern und entschieden denjenigen nachzugehen, die
meinen, sich ihren Pflichten bei der Entrichtung von
Steuern oder Sozialabgaben entziehen zu können . Meine
Damen und Herren, von daher steht auch dieses Gesetz
in einer Reihe mit einem Bündel von Maßnahmen, mit
denen wir sicherstellen, dass der Ehrliche nicht der Dum-
me ist, sondern dass Steuer- und Abgabengerechtigkeit in
diesem Land Ansprüche sind, die wir gemeinsam mit den
Länderbehörden durchsetzen wollen .
Heute Abend darf ich noch zur Unterbindung von
Kassenmanipulationen sprechen . Ich möchte aber auch
an unser Gesetzespaket zum automatisierten internatio-
nalen Informationsaustausch in Steuersachen und an die
BEPS-Initiative erinnern . Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, all diese Maßnahmen leisten einen Beitrag dazu,
dass der Staat wichtige Aufgaben wahrnehmen und vor
allem finanzieren kann.
In der Anhörung zum Gesetzentwurf haben wir zahl-
reiche Aspekte mit den Sachverständigen diskutiert . Da-
bei wurde übereinstimmend festgestellt, dass die Frag-
mentierung der Informationen mit das größte Hindernis
darstellt, Schwarzarbeit noch wirksamer auf die Schliche
zu kommen . Genau da setzen wir in diesem Gesetz an .
Die veraltete und dezentral organisierte EDV soll durch
eine integrierte einheitliche Datenbank in einem mo-
dernen IT-Verfahren ersetzt werden und den beteiligten
Behörden aktuelle und vor allem umfassende Daten zur
Verfügung stellen .
Ein Blick in § 2 des Schwarzarbeitsbekämpfungs-
gesetzes macht deutlich, dass es sich um eine äußerst
komplexe Thematik handelt, bei deren Lösung der Zoll
aufseiten des Bundes mit vielen Akteuren zusammen-
Erich Irlstorfer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20929
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arbeiten muss . An dieser Stelle möchte ich mich einmal
ausdrücklich für die gute Arbeit bedanken, die die Kolle-
ginnen und Kollegen des Zolls leisten . Herr Dr . Meister,
ich bitte Sie, dieses Lob und diesen Dank entsprechend
weiterzugeben .
Die Zusammenarbeit mit anderen Behörden fängt bei
den Landesfinanzverwaltungen an, setzt sich über die
Rentenversicherungsträger, die Bundesagentur für Ar-
beit, die Arbeitsschutzbehörden, die Ausländerbehörden,
die Handwerks- und Gewerbebehörden, die Einzugsstel-
len der Krankenkassen, die Berufsgenossenschaften, die
Unfallkassen, die Asylbehörden und die Landespolizeien
fort und endet beim Bundesamt für Güterverkehr .
All diese Behörden können Hinweise auf unerlaubte
Beschäftigungsformen gewinnen und sollten sich meiner
Meinung nach auch darüber austauschen dürfen . Hier
kann ein Informationsaustausch, mit dem wir auch in an-
deren Bereichen gute Erfahrungen gemacht haben, nur
von Vorteil sein .
Das schließt aber beispielsweise auch mit ein, dass die
oftmals kommunalen Behörden, die sich um die hand-
werks- und gewerberechtlichen Bestimmungen küm-
mern, auch Prüfungsrechte eingeräumt bekommen, um
ihren Anteil beitragen zu können .
Mit diesem Gesetzentwurf schaffen wir die Vorausset-
zungen dafür, dass die Länder entsprechend tätig werden .
Künftig können Betriebe, die gegen dieses Gesetz ver-
stoßen, nicht nur von öffentlichen Bauaufträgen, sondern
auch von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen ausge-
schlossen werden .
Seitens der Grünen wird vorgeschlagen, die Land-
wirtschaft in den Kreis derjenigen Branchen gemäß § 2a
Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz aufzunehmen, die als
besonders gefährdet gelten . Diesem Ansinnen vermögen
wir nicht zu folgen, weil wir die ohnehin schon gebeu-
telte Landwirtschaft nicht noch mit weiteren Regularien
überfrachten wollen .
Davon abgesehen, dass landwirtschaftliche Betriebe zu
Recht genauso wie alle anderen Betriebe Kontrollen
durch den Zoll unterworfen sind, hat uns das Finanzmi-
nisterium nachvollziehbar dargestellt, dass es sich hier
keineswegs um eine besonders risikobehaftete Branche
handelt . Auch habe es keinerlei Probleme bei Kontrollen
deswegen gegeben, weil die Beschäftigten ihre Ausweise
nicht mitgeführt haben .
Ohne eine ausreichende Personalausstattung helfen
die besten Gesetze nichts .
Erfreulich ist, dass wir die Stellen bei der Zollverwaltung
aufgestockt haben und die Ausbildungskapazitäten ent-
sprechend erhöht wurden .
Bei der Anhörung wurde mehrfach angesprochen, dass
insbesondere die Kommunen im Bereich Personal mehr
Unterstützung durch die Länder benötigen . Wichtig ist
aber auch, dass Behörden, die Verstöße feststellen, diese
auch ahnden können . Im Bereich der Sozialversicherung
kann der Zoll deshalb zukünftig auch Meldeverstößen
nachgehen – und sie bis zum Ermittlungsverfahren be-
gleiten –, die er bislang an die Einzugsstelle gemäß § 112
Absatz 1 Nummer 4 des Vierten Buches Sozialgesetz-
buch abgeben musste . Er musste dann darauf vertrauen,
dass man sich dort der Sache annimmt .
Auch der Forderung, Konzessionen ausdrücklich in
den Katalog von Vergabeausschüssen mit aufzunehmen,
muss ich leider eine Absage erteilen .
Hier wurde bewusst eine gleichlautende Formulierung
des Vergabemodernisierungsgesetzes gewählt . Sollte es
hier missbräuchliche Gestaltungen geben, ist es uns un-
benommen, entsprechend nachzusteuern .
Auf ein zeitgemäßes Level bringen wir auch den Zu-
griff der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf die Fahr-
zeug- und Halterdaten . Während bislang jede Frage
manuell bearbeitet werden musste und Faxe quer durch
die Republik verschickt wurden, sorgt der automatische
Informationsaustausch künftig für schnelle und vor allem
weniger personalintensive Auskünfte .
Zum Ende meiner Rede darf ich noch kurz auf die
Umdrucke eingehen, die an die von mir angesprochenen
Themen anschließen . Demnach nehmen wir die Landes-
behörden, die sich mit der für Schwarzarbeit anfälligen
Branche der Personenbeförderung beschäftigen, in den
Katalog der Kooperationsbehörden auf, die nicht nur den
Zoll informieren, sondern von diesem auch informiert
werden .
Mit der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes tra-
gen wir dem Umstand Rechnung, dass die Informationen
über Kraftfahrzeuge und deren Halter, die nunmehr aus-
schließlich beim Bund liegen, auch den Landesfinanzbe-
hörden zur Verfügung gestellt werden können . Weiterhin
wird die Kraftfahrzeugsteuer ans EU-Recht angepasst .
All diese Regelungen sind sinnvoll und sollten deshalb
unsere Unterstützung erfahren .
Bei den Kolleginnen und Kollegen des Finanzaus-
schusses und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Uwe Feiler
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620930
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BMF bedanke ich mich für die guten Beratungen . Ich bit-
te Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die Linke spricht jetzt Jutta
Krellmann .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir reden über den Entwurf eines Gesetzes
zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und il-
legalen Beschäftigung . Einige darin enthaltene Vorschlä-
ge sind sinnvoll und notwendig, wie die Untersuchungs-,
Ausweis- und Auskunftsrechte der Landesbehörden .
Aber Überwachung ist das eine, Ursachenbekämpfung
ist das andere . Den Missbrauch von Minijobs und den
Verfall geleisteter Arbeitszeit haben Sie nicht im Blick .
Sie bleiben die Bundesregierung der verpassten Chancen .
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Als Gewerk-
schaftssekretärin und Abgeordnete der Linken bin ich für
die Bekämpfung von Schwarzarbeit .
Ich will aber auch die unsicheren und illegalen Beschäf-
tigungsverhältnisse bekämpfen .
Machen Sie die Augen auf! Ich rede von unangemeldeten
sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten und Schein-
selbstständigkeit . Ich rede weiter von illegaler Arbeitneh-
merüberlassung, von Ausbeutung der Arbeitskraft bis hin
zum Menschenhandel .
Hierzu drei Beispiele .
Erstens: Missbrauch von Minijobs . In der Land-
wirtschaft, in der Forstwirtschaft und in anderen Bran-
chen wird jemand auf der Grundlage eines Minijobs
für 450 Euro eingestellt . Er arbeitet aber fünf Tage die
Woche, und zwar acht Stunden pro Tag . Real wird also
Vollzeit oder noch mehr gearbeitet . Alles über 450 Euro
hinaus wird schwarz abgerechnet . Dazu haben Sie keine
Vorschläge .
Zweitens: Überstunden . Im letzten Jahr leisteten Be-
schäftigte mehr als 1 800 Millionen Überstunden außer-
halb ihrer normalen Arbeitszeit . 816 Millionen Stunden
werden bezahlt, und 997 Millionen Stunden sind unbe-
zahlte Stunden . Arbeitgeber bekamen also knapp 1 Milli-
arde Überstunden geschenkt .
Das sind 500 000 Vollzeitarbeitsstellen .
Nicht erfasste und nicht bezahlte Arbeitszeit wird so zur
Schwarzarbeit . Das darf überhaupt nicht sein, das darf
nicht passieren .
Drittens: private Haushalte . Der DGB geht von 3 Mil-
lionen schwarzarbeitenden Haushaltshilfen aus . In der
häuslichen Pflege arbeiten schätzungsweise mehr als
100 000 Menschen – angeblich als Selbstständige, oft-
mals komplett schwarz .
Oftmals handelt es sich um Scheinselbstständigkeit, zum
Teil mit ausländischer Gewerbeanmeldung .
Alle Beispiele haben eins gemeinsam: Es geht um
Abrechnungs- und Sozialversicherungsbetrug an Be-
schäftigten, Sozialkassen und Steuerkassen – mit weitrei-
chenden materiellen und gesellschaftlichen Folgen wie
verminderte Steuereinnahmen, verminderte Sozialversi-
cherungsabgaben und weniger Geld für die Menschen .
In diesem Land verpuffen Milliarden Euro, weil einige
Arbeitgeber mit krimineller Energie systematisch Belege
fälschen, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um
ihren Lohn zu prellen . Politik muss die Arbeitgeber, die
sich richtig und anständig verhalten, vor den Arbeitge-
bern schützen, die sich über illegale Beschäftigung einen
Wettbewerbsvorteil verschaffen, und zwar auf Kosten
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer .
Damit bin ich auch schon beim Thema Zoll und der Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit . Wir übergeben diesen Be-
hörden immer mehr Aufgaben . Das setzt aber eine besse-
re Personalausstattung voraus . Dabei reicht es nicht, nur
die Planstellen aufzustocken; diese müssen auch attraktiv
und sicher sein . Denn wenn die Stellen nur befristet sind,
muss sich niemand wundern, wenn sich keiner darauf be-
wirbt . Die Bundesregierung braucht an der Stelle Fach-
kräfte . Diese kosten Geld, und das ist auch gut so .
Das gilt im Grunde für jeden Arbeitgeber: Wer gutes
Personal will, muss entsprechend für gute Arbeit sorgen .
Gute Arbeit muss immer unbefristet, tariflich bezahlt und
mitbestimmt sein . Das gilt auch für den Zoll und die Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit .
Wir wollen, dass Minijobs der vollen Sozialversiche-
rungspflicht unterliegen, und zwar ab der ersten Stunde.
Jede Arbeit muss zeitlich erfasst und entsprechend be-
zahlt werden, damit Arbeit insgesamt nicht entwertet
wird . Dafür steht die Linke .
Uwe Feiler
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20931
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Vielen Dank . Ich wünsche Ihnen ein wunderschönes
Osterfest .
– Natürlich Weihnachtsfest .
Wir wollen jetzt daraus nicht auf die Zukunftsfähig-
keit schließen . – Als Nächste hat Ingrid Arndt-Brauer,
SPD-Fraktion, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Das mit dem Osterfest war typisch; denn genauso sind
Sie in Ihrer Rede manchmal völlig vom Thema abge-
kommen .
Wir haben uns heute Abend nicht versammelt, um die
Minijobs neu zu erfinden oder neu zu regeln. Man kann
sich immer alles noch besser und schöner vorstellen . Wir
finden aber, dass wir gute Aufzeichnungspflichten für die
Minijobs gefunden haben . Sie sind auf bestimmte Berei-
che begrenzt . Das heißt, nicht jeder kann einen Minijob
anbieten .
Ich weise noch einmal darauf hin, dass der Zoll natür-
lich vernünftige Arbeitsbedingungen für seine Mitarbei-
ter gewährleistet . Die Beschäftigungsverhältnisse sind
normalerweise auch nicht befristet, sondern unbefristet,
und mitbestimmt . Die meisten Beschäftigten beim Zoll
sind verbeamtet . Deswegen möchte ich hier keinen fal-
schen Eindruck aufkommen lassen .
Der Zoll hat vielfältige Aufgaben . Ich bin Berichter-
statterin für Zoll und Finanzverwaltung . Es stimmt – da-
mit haben Sie recht –: Wir haben dem Zoll in der Ver-
gangenheit vielfältige neue Aufgaben übertragen . Er ist
zuständig für die Wareneinfuhr- und -ausfuhrkontrolle
und treibt Steuern ein . Er ist für die Kontrolle von Pla-
giaten zuständig . Auch um Wirtschaftskriminalität und
Artenschutz muss sich der Zoll kümmern, und er ist für
die Kontrolle der Schwarzarbeit zuständig .
Mehr als 6 700 Zöllnerinnen und Zöllner sorgen bei
der Finanzkontrolle Schwarzarbeit dafür, dass wir ver-
nünftig gegen illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit
vorgehen können . Ich denke, dieser Aufgabe kommt der
Zoll gut nach .
Wir haben die Planstellen aufgestockt . Es dauert na-
türlich eine Weile, bis die Leute ausgebildet sind . Das
ist verständlich . Aber ich bin der Meinung, dass der Zoll
ein sehr attraktives Arbeitsumfeld bietet . Deswegen bin
ich zuversichtlich, dass wir da auch weiterhin erfolgreich
arbeiten können .
Jetzt komme ich zu unserem Gesetzentwurf . Mein
Vorredner, Herr Feiler, hat das meiste schon angespro-
chen: Es geht wirklich darum, die Arbeit der Finanz-
kontrolle Schwarzarbeit zu erleichtern und effektiver zu
machen . Ich denke, mit dem Gesetzentwurf haben wir
eine ganze Menge auf den Weg gebracht . Wir werden
die Rahmenbedingungen in der Form bekämpfen, dass
die illegale Beschäftigung eingedämmt wird, und zwar
durch ein gewisses Entdeckungsrisiko . Wenn ein Ent-
deckungsrisiko besteht, dann kann man bestimmte Be-
schäftigungsverhältnisse nicht mehr in der Form anbie-
ten, weil dann eine herbe Strafe droht . Ich denke, dafür
sind die Zollkon trollen, die immer wieder unangekündigt
stattfinden, ein gutes Mittel, um das vernünftig zu regeln.
Die Hilfe bei der EDV wurde schon angesprochen .
Auch da ist es wichtig, dass wir das zeitgemäß reformie-
ren und dass wir dem Zoll die Möglichkeit geben, mit
Landesbehörden vernünftig zusammenzuarbeiten . Wir
weiten auch die Kompetenzen des Zolls aus . Deswegen
brauchen wir heute eine breite Mehrheit für diesen Ge-
setzentwurf . Es ist wichtig und gut, dass wir das machen .
Es gibt Bereiche, die besonders anfällig und auch ein
bisschen schwieriger in der Überwachung sind .
Dort brauchen wir mehr Leute und manchmal vielleicht
auch eine andere Aufstellung des Zolls .
Es wird weiterhin nötig sein, dass Zollbeamte in be-
stimmten Kontrollbereichen bewaffnet auftreten . Das ist
leider so, auch wenn wir das nicht schön finden. Wenn
sich die Beamten morgens entsprechend anziehen, dann
kommt es vielleicht auch einmal vor, dass sie in einer
Gaststätte bewaffnet kontrollieren, nicht weil Gaststät-
ten so gefährlich sind, sondern weil eine Waffe zu ihrer
Dienstuniform gehört . Darüber müssen wir uns nicht auf-
regen . Dies ist angemessen, damit die Beamten den Tag
über vernünftig kontrollieren können, ohne einer Selbst-
gefährdung ausgesetzt zu sein .
Es wurde schon angemerkt, dass der Bundesrat zahl-
reiche Verbesserungsvorschläge gemacht hat. Ich finde
es sehr gut, dass alle übernommen wurden . Das zeigt:
Es gibt einen breiten Konsens darüber, dass der Zoll die
richtige Behörde ist, um hier durchgreifend zu arbeiten,
und dass alle Seiten bestrebt sind, den Zoll dabei zu un-
terstützen .
Man kann natürlich alles verbessern und noch mehr
verschärfte Kontrollen fordern . Wir haben länger darü-
ber diskutiert . Die Grünen sehen die Landwirtschaft als
problematischen Bereich .
Alle anderen sehen das nicht so problematisch .
Jutta Krellmann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620932
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Wenn sich aber herausstellen sollte, dass im landwirt-
schaftlichen Bereich verstärkt Missbrauch betrieben
wird, werden wir bereit sein, entsprechende Änderungen
vorzunehmen . Im Moment ist das nicht notwendig . Ak-
tuell wird regelmäßig kontrolliert . Da die Kontrolleure
relativ ortsnah arbeiten, gibt es kaum Möglichkeiten, sich
der Kontrolle zu entziehen .
Deswegen glauben wir, dass wir im Moment noch gut
aufgestellt sind . Wenn sich hier aber etwas verändern
sollte, können wir jederzeit darauf reagieren .
Es ist wichtig, dass es ein generelles Entdeckungsri-
siko für alle Bereiche gibt, wo Missbrauch stattfinden
kann . Wir brauchen also einen gut aufgestellten Zoll .
Wir müssen natürlich noch alle Planstellen besetzen, für
die wir Mittel eingestellt haben . Das wird noch ein biss-
chen dauern . Aber die entsprechende Zeit müssen wir
aufbringen . Wir haben jedenfalls alle Weichen gestellt,
damit der Zoll vernünftig arbeiten kann . Deswegen bin
ich zuversichtlich – die Beratungen haben gezeigt, dass
so gut wie alle dieser Meinung sind –, dass wir auf dem
richtigen Weg sind . Ich freue mich über die Zustimmung
der Opposition und die weitere Zusammenarbeit . Wenn
uns eine Verbesserung einfällt, sind wir immer bereit, sie
umzusetzen . Im Moment sind wir auf einem guten Weg .
Der Gesetzentwurf ist in diesem Haus auf breiter Basis
zustimmungsfähig . Ich danke für die guten Beratungen,
auch mit der Opposition . Ich wünsche vor allem dem
Zoll viel Erfolg bei seiner Arbeit .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Beate Müller-Gemmeke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Schwarzarbeit und illegale Beschäf-
tigung sind weit verbreitet und verursachen immense
volkswirtschaftliche Schäden . So entgehen dem Staat
Steuereinnahmen und den Sozialversicherungen Bei-
träge . Es geht hier um viele Milliarden . Vor allem sind
die Beschäftigten davon betroffen . Sie arbeiten hart und
bekommen dennoch zu wenig Lohn . Die Schattenwirt-
schaft verzerrt zudem den Wettbewerb zulasten der an-
ständigen und verantwortungsvollen Betriebe . Das alles
geht gar nicht . Deshalb müssen Schwarzarbeit und ille-
gale Beschäftigung konsequent bekämpft werden .
Notwendig sind effektive Kontrollen . Ich selbst war
einmal einen Tag mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit
unterwegs . Ich war beeindruckt von der guten und sehr
engagierten Arbeit . Dennoch müssen die Rahmenbedin-
gungen verbessert werden . Deshalb begrüßen wir Grüne
den vorliegenden Gesetzentwurf . Wir hatten dazu eine
wirklich interessante Anhörung mit guten Sachverstän-
digen aus der Praxis . Auch sie unterstützen das Gesetz .
Aber es gab auch dringende Appelle, den Gesetzentwurf
an manchen Stellen nachzubessern . Die konkreten Vor-
schläge wurden aber ignoriert . Ich wünsche mir, dass die
Koalitionsfraktionen solche Anhörungen etwas ernster
nehmen .
Wir werden dem Gesetzentwurf zwar zustimmen .
Aber auch wir sehen an vielen Stellen noch Handlungs-
bedarf . Deswegen haben wir drei Änderungsanträge in
den Ausschüssen gestellt . Diese wurden leider abgelehnt .
Ich möchte sie kurz ansprechen:
Erstens . In der Landwirtschaft arbeiten viele Saisonar-
beitskräfte auch aus dem Ausland . Wir sehen die Situati-
on anders als Sie . In der Praxis sind die Mindestlohnkon-
trollen der FKS relativ schwierig . Deshalb wollen wir die
Landwirtschaft im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz
als sensible Branche mit aufnehmen . Das würde die Kon-
trollen erleichtern und die FKS tatsächlich stärken .
Zweitens . Durch § 21 Schwarzarbeitsbekämpfungs-
gesetz können schwarze Schafe von der Ausschreibung
öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden . Hier wer-
den jetzt neben den Bauaufträgen auch die Liefer- und
Dienstleistungsaufträge aufgenommen . Das ist gut so .
Aber auch Konzessionen müssten hier benannt werden;
denn wir meinen: Alle Aufträge müssen gleich behandelt
werden .
Drittens . Ganz paradox wird es, wenn es um die
Straftaten geht, die zu diesem Ausschluss bei öffentli-
chen Ausschreibungen führen . Im Gesetz steht hier nur
Sozialkassenbetrug . Bei illegaler Beschäftigung geht es
aber vor allem um Betrug und Urkundenfälschung, und
die ganz schlimmen Formen sind Menschenhandel und
Ausbeutung der Arbeitskraft . Diese Straftatbestände ste-
hen eben nicht im Gesetz . Deshalb haben wir beantragt,
dass diese Straftaten explizit in das Gesetz aufgenommen
werden; denn öffentliche Aufträge dürfen nur an verant-
wortungsvolle Betriebe gehen . Deshalb brauchen wir
unserer Meinung nach ganz eindeutige und rechtssichere
Formulierungen .
In der Anhörung wurde ein weiterer Aspekt immer
wieder zu Recht kritisiert – das wurde jetzt schon ange-
sprochen –: Effektive Kontrollen brauchen natürlich gute
Rahmenbedingungen . Notwendig ist aber vor allem aus-
reichendes Personal . Die FKS hat aber insgesamt zu we-
Ingrid Arndt-Brauer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20933
(C)
(D)
nig Personal . Zudem sind viele Planstellen nicht besetzt,
und die versprochenen 1 600 neuen Stellen für die Min-
destlohnkontrolle sind auch noch nicht angekommen .
Die Aufgaben der FKS nehmen immer mehr zu, und
sie sind vor allem extrem anspruchsvoll . Seit Jahren wird
hier der Personalmangel nur verwaltet . Das Personal
reicht gerade einmal für Schwerpunktprüfungen . Das ist
zu wenig . Die Kontrollen müssen auch präventiv wirken .
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit braucht mehr Perso-
nal . Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis .
Die Anhörung hat auch gezeigt, dass sich Schwarz-
arbeit und illegale Beschäftigung immer wieder verän-
dern . Am Bau gibt es mittlerweile 200 000 Minijobs . Das
ist absurd . Das wurde schon angesprochen . Hier wird
ein legales Arbeitsverhältnis vorgetäuscht . Tatsächlich
wird aber in Vollzeit gearbeitet, und die Differenz wird
schwarz und bar ausgezahlt . Es gibt mittlerweile auch
sehr erfolgreiche Internetportale, bei denen vermeintlich
Selbstständige an Privathaushalte vermittelt werden . Die
Honorare sind häufig so niedrig, dass niemand davon le-
ben kann . Der Gesetzgeber muss auf diese Entwicklung
reagieren und neue Kontrollmöglichkeiten entwickeln .
Das Gesetz heute ist also nur ein erster Schritt, weitere
müssen unbedingt folgen . Machen Sie sich bitte auf den
Weg .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Dr . h . c . Hans Michelbach .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt und keine Baga-
telle, sondern Wirtschaftskriminalität . Schwarzarbeit und
Schattenwirtschaft gehören schon immer zu den größ-
ten wirtschaftlichen Problemen unserer Volkswirtschaft .
Steuer- und Sozialversicherungsbetrug schadet unserer
Gemeinschaft .
Zudem führt Schwarzarbeit zu Wettbewerbsverzerrun-
gen auf Kosten der rechtschaffenden Betriebe und der
Arbeitsplätze .
Betriebe können gegen die illegal handelnde Konkur-
renz, die oft ein günstigeres Angebot abgibt, nicht beste-
hen, weil die Preise der rechtschaffenden Unternehmen
natürlich höher sind . Auf diese Weise werden legale
Arbeitsplätze vernichtet und wird mehr Arbeitslosigkeit
geschaffen .
Insgesamt kostet die Schwarzarbeit den Wirtschafts-
standort Deutschland jedes Jahr einen hohen dreistelli-
gen Milliardenbetrag . Man hat 2014 einen Schaden von
etwa 800 Milliarden Euro festgestellt . Heute geht man
von einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 11 Pro-
zent im Bereich der Schattenwirtschaft aus . Man sieht,
welche Dimension hier zu bekämpfen ist . Der Gemein-
schaft entgehen einerseits wichtige Einnahmen wie Bei-
träge und Steuern; andererseits steigen die Ausgaben für
Unterstützungsleistungen, weil man nicht in die Sozial-
versicherung einbezahlt hat .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Entwicklung
ist kein hinnehmbarer Zustand . Das ist nicht gerecht . Das
ist unsozial, und das ist gegen das Gemeinwohl .
Das werden wir mit der heutigen Verabschiedung dieses
Gesetzes verstärkt bekämpfen . Das ist eine Tatsache . Wir
bekämpfen die illegale Beschäftigung mit aller Entschie-
denheit .
Was erzählen Sie von den Linken denn da? Mehr als
die Verschärfung von Kontrollen kann man nicht tun,
und das tun wir . Wir sind natürlich gegen Ihre pauschalen
Verdächtigungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern .
Aber wenn Sie Weihnachten und Ostern nicht auseinan-
derhalten können, dann wundert mich natürlich nichts
mehr .
Das vorliegende Gesetz leistet einen wesentlichen
Beitrag zur Bekämpfung von Schwarzarbeit . Was wir im
Koalitionsvertrag bereits angekündigt haben, setzen wir
nun lösungsorientiert, praxisnah und mit Ausgewogen-
heit und Augenmaß um; denn das gehört dazu . Wir wol-
len nicht die große Keule schwingen, sondern wir wollen
die Schwarzarbeit ganz gezielt bekämpfen .
Daher ist es richtig, dem Zoll und den Landesbehör-
den mehr Rechte zu geben . Konkret: Die IT-Verfahren
können mit einer einheitlichen Datenbank und einem
zentralen Informationssystem verbessert werden . Wir
können eine Finanzkontrolle beim Zoll mit einem au-
tomatisierten Zugriff auf das Zentrale Fahrzeugregister
des Kraftfahrt-Bundesamtes vorweisen . Das sind eine
enorme Vereinfachung und ein großer Fortschritt . Denn
bisher musste jede Anfrage manuell bearbeitet werden .
Das hat in der Praxis zu Zeitverzögerungen und Fehlern
geführt .
Beate Müller-Gemmeke
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620934
(C)
(D)
Wir haben mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit
künftig für die Ahndung von Meldeverstößen nach dem
Sozialgesetzbuch IV verstärkt die Möglichkeit, Ermitt-
lungsverfahren durchzuführen . Mit dem neuen Gesetz
kann die Zollverwaltung mehr Meldeverstöße ahnden,
und es kann darüber hinaus Vergehen verfolgen, die bis-
her von den Einzugsstellen der Sozialversicherungen be-
arbeitet wurden .
All dies ist natürlich in Verbindung mit den Prüfungs-
befugnissen, die wir den zuständigen Landesbehör-
den einräumen, ein großer Schritt zur Bekämpfung der
Schwarzarbeit . Die Mitarbeiter werden auch in Zukunft
das Recht haben, Grundstücke zu betreten und die dort
tätigen Personen zu ihrer Arbeit zu befragen . Gerade in-
dem wir den Landesbehörden mehr Rechte einräumen,
lässt sich die handwerkliche und gewerberechtliche
Schwarzarbeit besser bekämpfen, weil Handwerk und
Gewerbe vor Ort natürlich zusammengehören . Deswe-
gen ist es gut, wenn die Landesbehörden hier eine recht-
liche Stärkung erfahren .
Zukünftig können Firmen nicht mehr nur von der Ver-
gabe öffentlicher Bauaufträge ausgeschlossen werden,
sondern auch von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen .
Diese maßvolle Erweiterung ist notwendig; denn die Pra-
xis zeigt, dass Schwarzarbeit zwar häufig im Baugewer-
be stattfindet, dass inzwischen aber auch in der Dienst-
leistungsbranche illegale Beschäftigung immer häufiger
vorkommt .
Ich möchte zum Abschluss meiner Rede noch einen
anderen Aspekt zum Ausdruck bringen . Schwarzarbeit
ist vor allem auf Kostenunterschiede zwischen legaler
und illegaler Arbeit zurückzuführen . Auch das gehört zur
Wahrheit . Je höher die Arbeits- und vor allem Lohnzu-
satzkosten sind, desto mehr Anreiz besteht für Schwarz-
arbeit .
Auch das gehört zur Wahrheit, meine Damen und Herren .
Es macht natürlich keinen Sinn, wie das hier vorge-
tragen wurde, die Belastungen immer öfter und schneller
zu erhöhen . Vielmehr muss hier gemessen an den Lohn-
stückkosten eine Effizienz entstehen, eine Wettbewerbs-
fähigkeit auch im internationalen Rahmen . Insofern
gehört es dazu, dass wir insbesondere die Lohnzusatz-
kosten stabil halten, um keinen Anreiz für Schwarzarbeit
zu erzeugen . Das muss man bei diesem Thema natürlich
unbedingt dazusagen und darf es nicht außen vor lassen .
Lassen Sie mich abschließend festhalten: Wir be-
schließen heute ein ausgewogenes und effizienzstei-
gerndes Gesetz, das die Schwarzarbeit zwar nicht völlig
verhindern, zumindest aber weiter einschränken wird .
Zudem bin ich außerordentlich froh, dass wir im gro-
ßen Einvernehmen im Finanzausschuss mit unserem
Koalitionspartner und den Ländern dieses Gesetz auf
den Weg gebracht haben . Ich hoffe, dass wir in diesem
Sinne auch im Jahr 2017 noch das eine oder andere Ge-
setz voranbringen können . Ich denke an das sogenannte
Panama-Gesetz, das die Steuervermeidung internationa-
ler Konzerne verhindern soll oder an das Gesetz gegen
Kassenmanipulationen . Auch das ist ein Bereich, wo wir
Flagge zeigen, dass wir einen starken Rechtsstaat wollen,
der letzten Endes Illegalität und Missbrauch bekämpft .
Das ist das Ziel, das wir haben und das von der Bevölke-
rung auch akzeptiert wird .
Im Zusammenhang mit diesem Gesetz möchte ich
insbesondere unserem Berichterstatter Uwe Feiler ganz
herzlich danksagen, der hervorragende Verhandlungen
mit den Berichterstattern aller Fraktionen geführt hat .
In diesem Sinne: Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Dr . Jens
Zimmermann, SPD-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um die
Debatte noch einmal zusammenzufassen: Mit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf wollen wir den zuständigen Be-
hörden beim Zoll und den zuständigen Landesbehörden
bessere Mittel an die Hand geben, um Schwarzarbeit und
illegale Beschäftigung zu bekämpfen . Wir alle wissen:
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung stellen ein
Problem dar – und kein kleines . Wenn wir uns einmal
Schätzungen anschauen, um welchen Betrag es sich al-
lein in diesem Jahr handelt, dann reden wir über 300 Mil-
liarden Euro . Das sind keine der berühmten Peanuts, von
denen früher immer mal wieder gesprochen wurde .
Ich will auch ganz klar sagen: Uns geht es dabei vor
allem um die großen Fische . Es geht nicht um die kleine
nachbarschaftliche Hilfe . Wir müssen vor allem an den
Bereich heran, wo wir mit Fug und Recht von organisier-
ter Kriminalität reden können . Wir kämpfen deswegen
aber auch insgesamt auf dem Arbeitsmarkt für faire Re-
geln und für faire Löhne . Dazu haben wir in dieser Legis-
laturperiode in der Koalition ja schon einiges gemacht;
da kann ich dem Kollegen Michelbach nur recht geben .
Schwarzarbeit ist unsozial und unfair; denn sie richtet
in mehrfacher Hinsicht Schaden an . Sie ist unsozial und
unfair, weil durch die Steuerhinterziehung unsere Soli-
dargemeinschaft geschädigt wird und damit alle Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahler sowie Beitragszahlerinnen
und Beitragszahler verhöhnt werden .
Es darf einfach nicht sein, dass am Ende des Tages der
Ehrliche der Dumme ist . Dagegen müssen wir etwas tun,
Dr. h. c. Hans Michelbach
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20935
(C)
(D)
und das tun wir mit diesem Gesetz . Aber Schwarzarbeit
ist auch aus einem anderen Grund unsozial und unfair;
denn sie führt natürlich auch zu Druck auf die ehrlichen
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die diese Abgaben
zahlen und die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter or-
dentlich anmelden . Diese werden von denen unter Wett-
bewerbsdruck gesetzt, die sich daran nicht halten . Auch
das kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
leisten wir in diese Richtung einen ganz entscheidenden
Beitrag; denn die zuständigen Behörden bekommen da-
mit die notwendigen Instrumente an die Hand . Thema
„IT-Ausstattung – E-Government“ ist eine ganz lange
Geschichte . Wir haben in vielen Behörden, in vielen Tei-
len unseres Staates die große Herausforderung, mit der
digitalen Entwicklung Schritt zu halten . Das machen wir
mit diesem Gesetzentwurf auf der einen Seite . Auf der
anderen Seite sorgen wir dafür, dass der Zoll im Bereich
der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zukünftig den Zugriff
auf das zentrale Fahrzeugregister bekommt . Das mag im
ersten Augenblick keine riesige Veränderung sein, aber
es ist ein wichtiges Instrument für die Kollegen und
Kolleginnen beim Zoll, sonst ist die Arbeit frustrierend,
wenn man Ermittlungsansätze hat, sie aber wegen man-
gelnder Fähigkeiten nicht zu Ende führen kann .
Ich glaube, es ist in der Debatte klar geworden: Wir
haben hier einen guten Gesetzentwurf vorliegen . Die
Länder haben darauf positiv reagiert . Von den Sachver-
ständigen gab es sehr positive Rückmeldungen . Deswe-
gen werden wir als SPD-Fraktion dem Gesetzentwurf
natürlich auch zustimmen .
Lassen Sie mich abschließend all den Kolleginnen
und Kollegen beim Zoll und den Finanzbehörden für ihre
Arbeit danken . Sie sind diejenigen, die Tag für Tag unter-
wegs sind, um dafür zu sorgen, dass die Ehrlichen nicht
die Dummen sind, meine Damen und Herren .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
sind damit am Ende der Aussprache angekommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stär-
kung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen
Beschäftigung. Der Finanzausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10655,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/9958 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Nach Artikel 87 Absatz 3 des
Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die
absolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen – erforder-
lich . Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf nament-
lich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind die Plätze
an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Dann eröffne ich
die Abstimmung .
Gibt es noch jemanden, der im Saal anwesend und
abstimmungsberechtigt ist, aber – warum auch immer –
seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Wenn ja, ist
ihm nicht zu helfen . Wir schließen jetzt die Abstimmung .
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen .1)
Ich rufe dann unseren Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus,
Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Zu möglichen Gefährdungen des gleichbe-
rechtigten Einflusses aller Staatsbürgerinnen
und Staatsbürger auf die politische Willens-
bildung und zu weiteren Punkten des Gemein-
nützigkeits- und Vereinsrechts
Drucksachen 18/8331, 18/9573
Dazu wollen wir nach einer Vereinbarung 25 Minuten
debattieren. – Das findet offenkundig allgemeine Zustim-
mung . Dann verfahren wir so .
Ich gebe zu überlegen – ich habe das aber schon ein-
mal vergeblich versucht –, ob man das bei den durchweg
vier- und fünfminütigen Beiträgen nicht auch genauso
gut vom Platz wie vom Rednerpult aus machen könnte .
Aber auf gut Deutsch: It’s up to you .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst der Kollegin Lisa Paus für die Fraktion der Grü-
nen .
Der Weg war jetzt auch nicht so weit . – Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und
Bürger! Die Grünen hätten heute gern über die Antwor-
ten der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur
möglichen Gefährdung des gleichberechtigten Einflusses
aller Bürgerinnen und Bürger auf die politische Willens-
1) Ergebnis Seite 20937 C
Dr. Jens Zimmermann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620936
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bildung gesprochen; aber leider hat die Bundesregierung
unsere Fragen gar nicht oder nichtssagend beantwortet .
Von daher gibt es eigentlich gar nicht viel zu bereden .
Das passt allerdings vollkommen zur heutigen Mit-
teilung der Süddeutschen Zeitung, dass die Bundesregie-
rung im kommenden Armuts- und Reichtumsbericht kla-
re Aussagen darüber, ob Menschen mit mehr Geld einen
stärkeren Einfluss auf politische Entscheidungen haben
als Einkommensschwache, schlichtweg gestrichen hat,
obwohl genau dies das Ergebnis der von der Bundesre-
gierung selbst in Auftrag gegebenen Studie gewesen ist .
In der Antwort auf unsere Große Anfrage erklärte die
Bundesregierung entsprechend lapidar zu einer ganzen
Reihe von Fragen, wie zum Beispiel zum steuerlich ge-
förderten Einfluss von Berufs- und Unternehmensver-
bänden, dass ihr dazu leider keine Erkenntnisse vorlie-
gen . Diese Verweigerung der Diskussion über zentrale
Problemlagen unserer pluralistischen Demokratie ist ein-
fach – um nichts Schlimmeres zu sagen – eine Frechheit .
Der konkrete Anlass unserer umfassenden Großen
Anfrage war allerdings ein anderer, aber nicht weniger
brisant, nämlich die Frage, ob sich der Gemeinnützig-
keitsstatus einer Organisation mit politischen Aktivitäten
verträgt oder nicht .
Meine Damen und Herren, liebe Bürgerinnen und
Bürger, als die globalisierungskritische Organisation
Attac in diesem Sommer wieder einmal ihre Sommer-
akademie ausrichten wollte, da hatte sie ein Problem . Es
gab viele Stiftungen, die Attac unterstützen wollten, aber
sie durften es nicht; denn die Satzungen der Stiftungen
und die Gesetzeslage besagen, dass sie nur gemeinnüt-
zige Organisationen unterstützen dürfen . Attac war aber
2014 die steuerliche Gemeinnützigkeit vom Finanzamt
Frankfurt abgesprochen worden,
weil – so argumentierte das Finanzamt – Attac zu stark
politisch tätig sei
und damit nicht gemeinnützig sein könne . Diese Ent-
scheidung ist nun zweieinhalb Jahre später vom Finanz-
gericht Kassel zurückgenommen worden,
und zwar mit Pauken und Trompeten . Das Gericht hat
Attac in allen Punkten bestätigt .
Die Richter betonten, dass politische Aktivitäten gemein-
nützigen Zwecken nicht entgegenstehen . Im Gegenteil:
Gemeinnützige Zwecke wie Bildung oder Förderung
des demokratischen Gemeinwesens seien ohne Einfluss
auf politische Willensbildung kaum zu verfolgen, so die
Richter; eine wichtige Klarstellung, die wir ausdrücklich
begrüßen .
Ist also nun wieder alles okay? Ist Attac ein Einzelfall,
wie die Bundesregierung meint, der politisch aufgebau-
scht wurde? Sind die Regeln okay? Sollten wir schlicht-
weg auf den Rechtstaat vertrauen? Mitnichten, liebe Bür-
gerinnen und Bürger . Es gibt aus unserer Sicht deutlichen
Änderungsbedarf .
Bei der Vorbereitung unserer Großen Anfrage hatten
wir Grünen zu einem Fachgespräch eingeladen . Der Ein-
ladung sind allein 60 Vertreterinnen und Vertreter von
gemeinnützigen Körperschaften gefolgt . Sie bestätigten
ihre ständige Furcht, dass man ihnen die Gemeinnützig-
keit entziehen könnte, wenn sie zum Beispiel eine De-
monstration oder eine Kampagne zu viel wagen oder
weil sich ihr konkreter Zweck nicht in dem langen, aber
veralteten Zweckkatalog der Abgabenordnung wieder-
findet – darunter waren so bekannte Organisationen wie
Amnesty International, Brot für die Welt, Greenpeace
oder die Deutsche Liga für Menschenrechte –; denn ein
universeller Zweck wie der Einsatz für Menschenrechte
ist eben gerade nicht in der Abgabenordnung aufgeführt .
Auch der BUND in Hamburg hat inzwischen seine Ge-
meinnützigkeit entzogen bekommen, genauso wie die
Frauenorganisation Dona Carmen .
Viele andere Fälle werden gar nicht erst publik . Wenn
sich zum Beispiel ein niedersächsischer Verein, der einen
örtlichen Christopher Street Day veranstalten möchte,
sieben Jahre lang beim Finanzamt um die Anerkennung
der Gemeinnützigkeit bemüht, dann ist das öffentlich
kein großes Thema, aber trotzdem nicht in Ordnung,
meine Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
Einen Prozess über zweieinhalb Jahre, wie Attac ihn
durchlaufen musste, überleben schlichtweg die wenigs-
ten Organisationen; denn eine solche Aberkennung hat
drastische Konsequenzen . Steuernachzahlungen werden
fällig, Spendenbescheinigungen müssen widerrufen wer-
den, und nicht nur die Kooperation mit bisherigen ge-
meinnützigen Partnerorganisationen fällt weg, sondern
auch die Antragsberechtigung für öffentliche Gelder
hängt am Gemeinnützigkeitsstatus .
Frau Kollegin .
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident .
Es gibt gute Gründe für die Sonderregelungen im Ge-
meinnützigkeitsrecht, aber es gibt keinen guten Grund,
der wachsenden Rechtsunsicherheit und der stark unter-
schiedlichen Beurteilungspraxis der Finanzämter einfach
Lisa Paus
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20937
(C)
(D)
weiter zuzusehen . Die Gemeinnützigkeit muss moder-
nisiert und konkretisiert werden . Es hätte der Bundes-
regierung mehr als gut angestanden, zumindest durch
Lieferungen von offiziellen Daten eine breite lösungsori-
entierte Debatte zu ermöglichen . Wir fordern dies wei-
ter ein . Wir werden Sie weiter antreiben . Wir lassen die
Organisationen nicht im Stich . Darauf können sie sich
verlassen .
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, gebe ich das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Ge-
setzentwurf zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarz-
arbeit und der illegalen Beschäftigung bekannt: abgege-
bene Stimmen 563 . Mit Ja haben gestimmt 509, mit Nein
hat niemand gestimmt, enthalten haben sich 54 Kolle-
ginnen und Kollegen . Damit hat der Gesetzentwurf die
erforderliche Mehrheit erreicht .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 563;
davon
ja: 509
nein: 0
enthalten: 54
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Lisa Paus
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620938
(C)
(D)
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Stefan Müller
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt
Patrick Schnieder
Nadine Schön
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20939
(C)
(D)
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck
Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Dr . Julia Verlinden
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten aufgeführt .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620940
(C)
(D)
Nächster Redner ist der Kollege Christian von Stetten
für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Als ich der Tagesordnung des
Deutschen Bundestages entnommen habe, dass wir uns
heute kurz vor Weihnachten in einer Plenardebatte mit
dem Gemeinnützigkeitsrecht und mit dem Vereinsrecht
beschäftigen, habe ich mich sehr gefreut . Denn gerade in
der Weihnachtszeit und kurz vor Jahresende sehen wir,
zu welchen Leistungen unsere ehrenamtlich engagierten
Bürgerinnen und Bürger, die Vereine und die gemeinnüt-
zigen Organisationen imstande sind und wie sie unser
Leben dadurch bereichern . Ob im Sportverein, im Mu-
sikverein, in der Nachbarschaftshilfe, im Naturschutz, in
kirchlichen Organisationen oder jetzt gerade auch in der
Flüchtlingshilfe, ohne die Bürgerinnen und Bürger, wel-
che sich unentgeltlich und ehrenamtlich diesen Aufgaben
widmen, könnte der Staat nicht existieren . Deswegen
können wir gar nicht oft genug Parlamentsdebatten zu
diesem Thema abhalten und besonders diesem Personen-
kreis Anerkennung zollen .
Als ich dann allerdings, Frau Paus, Ihre Große An-
frage gelesen habe, war schnell klar – das konnte jeder
feststellen –, welche Zielrichtung sie hat, also was Sie ei-
gentlich durch das öffentliche Stellen von Fragen an die
Bundesregierung erreichen wollten . Ihnen ging es nicht
um die Aufwertung dieser ehrenamtlich engagierten Bür-
gerinnen und Bürger,
Ihnen ging es weniger um das Gemeinwohl in diesem
Bereich, sondern es ging Ihnen – Sie haben das gerade
noch einmal ausgeführt – um den Gemeinnützigkeitsan-
spruch der Organisation Attac .
Das Finanzamt Frankfurt am Main hatte im Jahr 2014
Attac den Gemeinnützigkeitsstatus entzogen . Darauf hat
der Deutsche Bundestag keinen Einfluss. Das macht das
zuständige Finanzamt . Die Behörden entscheiden und
setzen die Beschlüsse um . Sie haben es gesagt: Wie in
jedem Rechtsstaat hat auch eine Organisation – in diesem
Fall Attac – die Möglichkeit, dies gerichtlich überprüfen
zu lassen . Attac hat dies getan . Das Finanzgericht Kassel
hat in seinem Urteil vom 10 . November 2016 die Aber-
kennungsbescheide des Finanzamtes aufgehoben . Damit
könnte man sagen: Dem Ansinnen von Bündnis 90/Die
Grünen wurde zumindest in dieser juristischen Instanz
entsprochen, und wir hätten uns die heutige Debatte ei-
gentlich sparen können .
Ich glaube, bei Ihrem Vortrag ist auch deutlich gewor-
den, dass wir in den nächsten Monaten darüber diskutie-
ren sollten – darüber würde ich sehr viel lieber mit Ihnen
reden –, wie wir die Vereine und die ehrenamtlich enga-
gierten Bürger in unseren Wahlkreisen in Zukunft noch
stärker unterstützen können . Sie wissen, wir haben in der
letzten Wahlperiode im Jahr 2013 die Unterstützung der
ehrenamtlich Tätigen und der Vereine massiv ausgebaut .
Herr Staatssekretär Dr . Meister, wir konnten die Übungs-
leiterpauschale von 2 100 auf 2 400 Euro erhöhen . Au-
ßerdem wurde der Ehrenamtsfreibetrag für Vorstands-
mitglieder, Schiedsrichter, Platzwarte und besonders
engagierte Ehrenamtliche im Verein von 500 Euro auf
jährlich 720 Euro angepasst .
Wir haben den Vereinen mehr Rechtssicherheit ge-
geben, indem wir das, was früher durch Ministererlasse
geregelt worden ist, ins Gesetzblatt aufgenommen haben .
Wir haben die Abgabenordnung geändert . Vor allem ha-
ben wir für die Sportvereine die Umsatzsteuergrenze von
35 000 auf 45 000 Euro erhöht . Das alles sind Punkte, die
unsere Vereine voranbringen .
Wenn Sie von Bündnis 90/Die Grünen in der nächs-
ten Legislaturperiode Ihre Ideologie beiseitelassen, dann
könnte ich mir gut vorstellen, dass wir in der nächsten
Legislaturperiode im Jahr 2018 gemeinsam die steuer-
lichen Rahmenbedingungen für Millionen ehrenamtlich
engagierte Bürgerinnen und Bürger in unserem Land er-
neut verbessern . Das wäre wichtig und eine zusätzliche
Investition in unsere Gesellschaft .
Die Kollegin Paus möchte eine Zwischenfrage stellen,
auf die der Redner offenkundig schon die ganze Zeit war-
tet . Bitte schön .
Herr von Stetten, wie Sie meiner Rede und auch der
Großen Anfrage entnehmen konnten, ging es uns nicht
allein um eine Organisation, sondern es ging uns tatsäch-
lich um das ganze breite Feld der Organisationen . Uns
geht es darum, dass es oftmals schwierig ist, zwischen
gesellschaftlichem Engagement und politischem En-
gagement zu unterscheiden .
Deswegen wollte ich Sie, wenn Sie da gar keinen
Handlungsbedarf sehen, fragen: Wie schätzen Sie das
ein, was sich im letzten Jahr zugetragen hat? Sehr, sehr
viele Organisationen, Sportvereine und NGOs hatten
sich bei der Unterstützung von Flüchtlingen engagiert
und standen plötzlich vor dem Problem, dass sie von den
Finanzämtern die Meldung bekamen, dass sie, wenn sie
sich so um Flüchtlinge kümmern, ihren Gemeinnützig-
keitsstatus verlieren könnten . Fanden Sie es falsch, dass
damals von den Länderministern kurzfristig in einer Aus-
nahmeregelung reagiert worden ist, oder fanden Sie das
richtig? Inwieweit sehen Sie da nicht doch Handlungs-
bedarf bezogen auf den allgemeinen Katalog, um solche
Aktivitäten zu ermöglichen und nicht durch Rechtsunsi-
cherheit zu erschweren?
Präsident Dr. Norbert Lammert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20941
(C)
(D)
Wenn Sie da Handlungsbedarf erkannt haben, dann ist
es wohl die Aufgabe Ihrer Fraktion, einen Gesetzentwurf
zu formulieren – nicht nur eine Anfrage zu stellen –, der
im Bundestag im Finanzausschuss diskutiert wird . Da
werden wir über die Punkte, die Sie vorschlagen, disku-
tieren und hier darüber abstimmen . Wenn Sie da Nach-
holbedarf sehen, dann kann ich Sie nur auffordern: For-
mulieren Sie die Gesetzentwürfe und stellen Sie nicht nur
Anfragen an die Bundesregierung .
Auf jeden Fall ist Weihnachten . Ich glaube, wenn wir
uns darauf konzentrieren, dass wir uns um die Vereine
und um die ehrenamtlich Engagierten kümmern, dann
merken Sie auch, wer sich in funktionierenden Vereinen
aufhält . Ich glaube, das liegt auch Ihnen am Herzen .
Wenn Sie in den funktionierenden Vereinen unterwegs
sind, dann spüren Sie die Wärme und sehen, dass diese
Vereine mittlerweile nicht nur Turnorganisationen oder
Sangesorganisationen sind . Vor allem für viele Kinder
bietet die familiäre Atmosphäre schon fast eine Art Hei-
matersatz; für sie sind die Vereine eine Art Familiener-
satz geworden .
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt und ho-
noriert vor allem die Integrationsleistungen, die in diesen
Vereinen erbracht werden, gerade auch im Hinblick auf
ausländische Jugendliche . Was hier als wesentlicher Bei-
trag der Vereine von Ihnen gerade noch einmal dargetan
worden ist, kann von staatlicher Seite überhaupt nicht
erbracht werden .
Von daher wünsche ich, da meine Redezeit schon
vorbei ist, Herr Präsident, uns allen eine schöne Weih-
nachtszeit . Ich wünsche aus konkretem Anlass besonders
all denjenigen, die sich ehrenamtlich in unserem Land
engagieren, eine besinnliche Weihnachtszeit .
Ich meine das Folgende wirklich ernst: Wir sollten
gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode noch
einmal die Änderungswünsche auflisten, die bei uns für
die nächsten Jahre hinsichtlich der Vereine bestehen . Da-
mit können wir viel für die Vereine und für die Stiftungen
tun . Wenn die Grünen ihren Beitrag dazu leisten, dann
ist es immerhin mehr als beim letzten Ehrenamtsgesetz .
Herzlichen Dank .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke für die
Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat,
das Thema „Abgabenordnung und Gemeinnützigkeit“
klingt erst einmal ziemlich sperrig . Aber dahinter verber-
gen sich in der Tat wichtige Fragen: Welche Tätigkeiten
schätzen wir als gemeinnützig ein? Welchen Stellenwert
misst unsere Gesellschaft politischem Engagement bei?
Die Abgabenordnung regelt, welche Zwecke steuer-
lich begünstigt werden . Dazu zählen viele verdienstvolle
Tätigkeiten wie Tierschutz, Altenhilfe, Rettung aus Le-
bensgefahr und vieles andere mehr . Aber Tätigkeiten, die
nicht so sehr kreativ und dafür mehr politisch sind, gelten
als nicht gemeinnützig . Die Förderung des Friedens, der
Schutz der Menschenrechte, die Förderung des informa-
tionellen Selbstbestimmungsrechts sind heute zweifellos
von extrem hoher Bedeutung . Aber die Abgabenordnung
erkennt sie nicht als steuerbegünstigt an .
Die Bundesregierung empfiehlt in ihrer Antwort auf
die Große Anfrage, solche Aktivitäten – ich zitiere – un-
ter anderen Zwecken zu subsumieren, mit anderen Wor-
ten, einfach ein bisschen zu tricksen . Aber das ist ein ris-
kantes Spiel, wie Kollegin Paus hier schon gesagt hat,
weil die Finanzämter die Gemeinnützigkeit bis zu zehn
Jahre rückwirkend aberkennen können .
So ging es etwa der Informationsstelle Militarisierung
in Tübingen . Sie veröffentlicht kritische Analysen zu den
Einsätzen der Bundeswehr und anderes . Auch der Mün-
chener Dokumentationsstelle a .i .d .a ., die unbequeme In-
formationen zum Rechtsextremismus verbreitet, wurde
die Gemeinnützigkeit aberkannt . Beide konnten sich vor
Gericht erfolgreich wehren . Auch hier wurde deutlich,
wie das Steuerrecht zum Mittel der politischen Diszipli-
nierung werden kann .
Auch da sage ich ganz klar, sagt die Linke ganz klar:
Nicht mit uns! Engagement gegen den Krieg und gegen
Faschismus ist gemeinnützig und muss es auch bleiben .
Noch ein Beispiel: Die Abgabenordnung begünstigt
die Soldaten- und die Reservistenbetreuung . Wir sagen:
Es ist auch gemeinnützig, wenn man die Arbeit dieser
Soldaten, sprich: das Kriegsführen, infrage stellt und sich
für den Frieden einsetzt .
Steuerlich begünstigt ist die Hilfe für Flüchtlinge –
völlig zu Recht . Falsch und ungerecht ist es aber, das
politische Engagement gegen Abschottung und gegen
die Festung Europa nicht ebenso als gemeinnützig anzu-
erkennen . Die Bundesregierung betont in ihrer Antwort
ausdrücklich, dass Gemeinnützigkeit für Aktivitäten gilt,
bei denen die Einwirkung auf die staatliche Willensbil-
dung weit in den Hintergrund tritt . Das zeugt von einem
vordemokratischen Verständnis von Politik bzw . politi-
scher Willensbildung . Wenn die Bundesregierung den
Schutz von Ehe und Familie begünstigt, nicht aber die
Förderung des Schutzes gleichgeschlechtlicher Partner-
schaften, dann agiert sie selbst ausgesprochen politisch,
um ein konservatives Familienbild zu bewahren . Das
geht gar nicht, meine Damen und Herren .
Die Demokratie lebt von zivilgesellschaftlichen Or-
ganisationen, die dafür sorgen, dass Politik nicht nur in
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620942
(C)
(D)
Parteien und Parlamenten stattfindet, sondern dass auch
die Bürgerinnen und Bürger aktiv eingebunden werden .
Der politische Einsatz für demokratische Ziele trägt im
besten Sinne des Wortes zur Schaffung mündiger Bürge-
rinnen und Bürger bei . Deshalb fordern wir die Bundes-
regierung dringend auf, die Regeln für die Anerkennung
von Gemeinnützigkeit zu überarbeiten und hier entspre-
chend zu handeln .
Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen allen ein schönes
Weihnachtsfest .
Frank Junge ist der nächste Redner für die SPD-Frak-
tion .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vo-
rausschicken, dass wohl nichts die Werte unserer Gesell-
schaft besser verkörpert als das gemeinnützige und eh-
renamtliche bürgerschaftliche Engagement der Millionen
Menschen in unserem Land . Dafür muss man an dieser
Stelle zunächst einmal Danke sagen .
Dieses Engagement stellt die Partizipation der Bür-
gerinnen und Bürger in allen Bereichen der Gesellschaft
sicher . Das stärkt die Demokratie . Das erwirtschaftet
einen messbaren, milliardenschweren Nutzen für die
Allgemeinheit . Ich halte es deshalb für richtig, gut und
wichtig, dass wir heute über das übergeordnete Thema
Gemeinnützigkeitsrecht sprechen . Ich will es in zwei
Punkten etwas näher beleuchten .
Erstens . Bei dem jüngsten Fall Attac, der sich auch
in einem Gerichtsurteil niedergeschlagen hat, geht es da-
rum, dass es bei der Aberkennung der Gemeinnützigkeit
einen Interpretationsspielraum des Finanzamtes Frank-
furt gab, der im folgenden Verfahren vom Finanzgericht
in Kassel einkassiert wurde . Insofern wurde dort Recht
gesprochen, und zwar zugunsten von Attac . Das ist so in
Ordnung . Mit dem Urteil bin ich sehr zufrieden, weil es
nach meinem Dafürhalten zeigt, dass sich Attac korrekt
verhalten hat .
Wir wollen, dass sich gemeinnützige Organisationen
politisch engagieren . Anders könnten sie ihre Satzungs-
zwecke nicht wirksam verfolgen . Klar ist aber auch, dass
das politische Handeln gemeinnütziger Organisationen
kein Selbstzweck sein kann . Es muss als Mittel zum Er-
reichen eines anerkannten gemeinnützigen Zwecks erfol-
gen . Allgemeines politisches Handeln ist hingegen kein
anerkannter gemeinnütziger Zweck .
Es ist Aufgabe der Parteien, die dem Parteiengesetz un-
terliegen . Eine klare Abgrenzung zwischen der zweck-
bestimmten politischen Partizipation, die gemeinnützig
sein kann, und dem legitimierten Wirkungskreis von Par-
teien halte ich daher für zwingend notwendig und richtig .
Darum ist das Urteil zu Attac in meinen Augen auch eine
Bestätigung, dass unsere Regelungen im Gemeinnützig-
keitsrecht gut und geeignet sind, die politische Partizipa-
tion der Bürgerinnen und Bürger prinzipiell zu fördern .
Zweitens . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sich
Menschen schon freiwillig und selbstlos in gemeinnützig
tätige Organisationen einbringen und unserer Demokra-
tie und der Gesellschaft so einen unschätzbaren Nutzen
erweisen, dann muss es unsere Aufgabe als Parlamentari-
er sein, die Rahmenbedingungen dafür so unkompliziert
wie nur eben möglich zu gestalten . Unter diesem Ge-
sichtspunkt halte ich den vorhandenen Zweckkatalog der
Abgabenordnung in der Tat für schon lange nicht mehr
zeitgemäß . Ihn müssen wir uns vornehmen .
Zum einen müssen wir weitere und klug abgewoge-
ne Zweckbestimmungen aufnehmen . Denn es kann zum
Beispiel nicht sein – da komme ich auf Ihr Beispiel zu-
rück, Frau Jelpke –, dass sich Einrichtungen, die sich für
die Rechte von Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuellen
einsetzen, andere in der Abgabenordnung gelistete Zwe-
cke zu eigen machen müssen, weil sie für sich selbst
nichts finden. Zum anderen müssen wir vorhandene
Zweckbestimmungen einfach klarer und präziser formu-
lieren, damit der Interpretationsspielraum für Finanzäm-
ter eingeschränkt wird und es über diesen Weg zu mehr
Rechtssicherheit kommt .
Dieser Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll-
ten wir uns fraktionsübergreifend in Kürze annehmen;
denn ich bin der festen Überzeugung, dass eine unter die-
sen Gesichtspunkten angepasste Abgabenordnung noch
viel mehr Bürgerinnen und Bürger motiviert, sich für das
Allgemeinwohl zu engagieren .
Vielen Dank .
Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der
Kollege Frank Steffel .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die
34 Fragen von Bündnis 90/Die Grünen gelesen und am
Ulla Jelpke
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20943
(C)
(D)
Anfang gar nicht verstanden, worum es Ihnen eigentlich
geht . Der wesentliche Teil der Fragen beschäftigt sich
mit ziemlich pauschalen Verdächtigungen dahin gehend,
dass es irgendeine Einflussnahme von Unternehmen oder
von Bürgerinnen und Bürgern gibt, indem sie vermeint-
lich gemeinnützigen Organisationen Geld zur Verfügung
stellen und damit offenkundig parteipolitisch miss-
bräuchlich Ziele verfolgen .
Das haben Sie hier jetzt nicht zum Mittelpunkt ge-
macht, aber zumindest erschließt sich nun für mich, wo-
rum es Ihnen im Wesentlichen geht . Sie wollen, dass alle
politischen Vorfeldorganisationen, egal welches Ziel sie
verfolgen, in Deutschland relativ pauschal die Gemein-
nützigkeit zugesprochen bekommen .
Ich glaube, das kann nicht unser gemeinsames Ziel
sein . Es ist so, dass sehr viele NGOs und sehr viele Or-
ganisationen im vorpolitischen und im gesellschaftlichen
Raum in der Tat gemeinnütziges Engagement zeigen und
sich auch für das Wohl des Gemeinwesens einsetzen,
aber das kann nicht pauschal für jede Organisation gel-
ten . Insofern bin ich dem Kollegen von den Sozialdemo-
kraten sehr dankbar . Auch wir sind der Auffassung, dass
wir uns die Abgabenordnung anschauen müssen, dass
wir schauen müssen, ob da alles noch zeitgemäß ist . Das
ist übrigens ein permanenter Prozess, da die Gesellschaft
sich ja auch sehr dynamisch entwickelt .
Aber ich will genauso klar sagen, liebe Frau Paus:
Es ist nicht jede NGO, die sich politisch engagiert, nur
weil sie eine Vorfeldorganisation der Grünen ist, gleich
gemeinnützig . Hier muss von den Finanzämtern sehr
genau hingeguckt werden . Wenn die Finanzämter eine
Entscheidung treffen – und ich freue mich darüber, dass
das in Deutschland offenkundig funktioniert –, dann ist
es in einem Rechtsstaat normal, dass ein Gericht diese
Entscheidung überprüft und in vielen, vielen Fällen dem
Finanzamt sagt: Nein, ihr seid über das Ziel hinausge-
schossen . – Das ist im Fall Attac und in vielen anderen
Fällen so geschehen . Insofern können wir positiv fest-
stellen: Unser Rechtsstaat funktioniert .
Wir haben viele Themen, um die wir uns kümmern
müssen . Ich glaube, dass gerade in der Weihnachtszeit –
mein Kollege von Stetten hat darauf hingewiesen – bür-
gerschaftliches Engagement und gemeinnütziges En-
gagement von Bürgerinnen und Bürgern, aber natürlich
auch von Organisationen und Unternehmen erwünscht
sind . Ich sehe hier überhaupt keinen gesellschaftlichen
Dissens darüber, dass auch Unternehmen sich bekennen
und dass auch Unternehmen sich engagieren .
Sie haben in einem Großteil Ihrer Fragen ja eine sehr
kritische Position eingenommen . Ich bin der Bundesre-
gierung dankbar, dass sie deutlich gemacht hat, dass Ge-
sicht-Zeigen und Sich-Bekennen in einem Gemeinwesen
dazu gehören und dass es für die Parteien gut ist, wenn
wir wissen, dass Bürgerinnen und Bürger, aber auch Un-
ternehmen sich in der Öffentlichkeit mit ihrer Meinung
klar und vernehmbar artikulieren .
Ich glaube, es ist zu dem Thema im Plenarsaal heute
alles gesagt . Ich bin in der Tat der Auffassung, wir soll-
ten uns im Finanzausschuss mit dem Thema noch ein-
mal beschäftigen . Wir sollten noch einmal schauen, wo
hier nachzujustieren ist, aber ich mache einen Vorschlag:
Sie ersparen uns in Zukunft Anfragen mit 34 Fragen und
diversen Unterpunkten, ich erspare Ihnen meine letzten
zwei Minuten Redezeit . Wir haben dann gemeinsam heu-
te etwas früher Feierabend und hoffentlich eine schöne
Weihnachtszeit .
Herzlichen Dank .
Letzte Rednerin ist die Kollegin Svenja Stadler für die
SPD .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Ich spreche heute zu Ihnen als
engagementpolitische Sprecherin meiner Fraktion .
– Wow, ja, bei der SPD schon;
denn wir schätzen das Ehrenamt wert .
In meinem Wahlkreis gibt es unter anderem zwei so-
ziale Kaufhäuser in zwei verschiedenen Orten . Beide ha-
ben denselben Träger, und beide haben dasselbe Profil
und dasselbe Ziel, nämlich sie wollen bedürftigen Men-
schen die Möglichkeit geben, für wenig Geld etwas mehr
als nur das Allernotwendigste zu kaufen .
Doch eines unterscheidet die beiden Häuser: Für sie
sind unterschiedliche Finanzämter zuständig . So kommt
es, dass das eine alle drei Jahre um die Zuerkennung der
Gemeinnützigkeit fürchten muss . Bisher ist alles gut ge-
gangen, doch wenn ich einmal über meinen Wahlkreis hi-
nausschaue, dann sehe ich, dass das nicht überall der Fall
ist . Deshalb müssen wir die Regeln für Gemeinnützigkeit
in unserem Land dringend verbessern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bürgerschaftliches
Engagement ist ein Grundpfeiler für eine moderne und
demokratische Gesellschaft . Diejenigen, die sich frei-
willig, unentgeltlich und uneigennützig für andere Men-
schen einsetzen, stärken unsere Demokratie besonders .
Unsere demokratische Gesellschaft braucht sie, um die
nötige Widerstandsfähigkeit zu entwickeln – gegen Aus-
grenzung, Egoismus und Menschenfeindlichkeit, und ich
Dr. Frank Steffel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620944
(C)
(D)
werde nicht müde, das in diesem Hause immer wieder
zu betonen .
Doch wir müssen mehr tun, als das nur zu betonen
und zu wiederholen . Wir müssen den engagierten Bürge-
rinnen und Bürgern die Rahmenbedingungen bieten, die
sie brauchen . Dazu gehört an allererster Stelle Planungs-
sicherheit . Um das zu erreichen, müssen wir beispiels-
weise dafür sorgen, dass die Zuständigkeit der einzelnen
Finanzämter nicht mehr zu einem Flickenteppich unter-
schiedlicher Auslegungen von Gemeinnützigkeit führt;
denn eine Situation wie die der beschriebenen Sozial-
kaufhäuser in meinem Wahlkreis ist Gift für bürger-
schaftliches Engagement . Sie führt zu Unsicherheit unter
den Engagierten und zu Unverständnis gegenüber der
Ungleichbehandlung . Im schlimmsten Fall führen Frust-
ration und das Ohnmachtsgefühl zum Ende des Engage-
ments . Wollen wir das?
Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen,
können nicht ohne die aktive Beteiligung von zivilge-
sellschaftlichen Organisationen bewältigt werden . Das
Gemeinnützigkeits- und Vereinsrecht muss Beteiligung
ermöglichen und fördern und darf ihr keine Steine in den
Weg legen .
Deshalb unterstützen wir als SPD-Bundestagsfraktion
eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts,
eine Modernisierung, die den gesellschaftlichen Wan-
del der letzten Jahre und Jahrzehnte auch im Steuerrecht
widerspiegelt; eine Modernisierung, die anerkennt, dass
Zivilgesellschaft heute mehr ist als das „Ehrenamt“ von
früher; eine Modernisierung, die zur Entbürokratisierung
beiträgt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer anpackt, will
auch mitbestimmen . Engagement ist mehr als nur die
karitative Wohlfahrtspflege. Es ist längst Ausdruck eines
aktiven Mitgestaltungsanspruchs der Zivilgesellschaft,
einer Zivilgesellschaft, die aktiv zur politischen Willens-
bildung beiträgt, unsere Demokratie bereichert, gestaltet
und stärkt .
Das bürgerschaftliche Engagement befindet sich im
Wandel . Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die Regeln,
denen es unterliegt, mit diesem Wandel Schritt halten
können . Reden wir nicht nur, packen wir es endlich an!
Vielen Dank .
Frau Kollegin, ich hoffe, dass ich durch die Zugabe
der Redezeit die Störung wiedergutgemacht habe, für die
ich mich entschuldigen möchte .
Zu beschließen haben wir jetzt nichts, sodass wir mit
den im Protokoll festgehaltenen Reden diesen Tagesord-
nungspunkt für heute beenden .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung eines Nachtrags zum Bun-
deshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016
Drucksache 18/10500
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Auch das
scheint unstreitig . Dann verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Jens Spahn .
J
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Ausbau und die Verstetigung öffentlicher Infrastruktur-
investitionen sind der Bundesregierung ein großes An-
liegen, wie wir schon in den vergangenen Haushalten
gezeigt haben . Das ist ein Schwerpunkt unserer Haus-
haltspolitik, und das drückt auch dieser Nachtragshaus-
halt für 2016 aus, den wir heute in erster Lesung beraten .
Wir haben im Jahr 2016 bereits 31,5 Milliarden Euro
für Investitionen in die Straße, die Schiene, den Breit-
bandausbau und viele andere Dinge vorgesehen . Es gibt
sogar so viel zusätzliches Geld, dass wir feststellen müs-
sen, dass nicht das fehlende Geld der Engpass ist, wenn
es darum geht, Bundesinfrastrukturprojekte voranzubrin-
gen, sondern dass die Planungsprozesse den eigentlichen
Engpass darstellen . An dieser Stelle – das ist aber eine
andere Debatte – müssen wir darüber reden, wie wir die
Planung für Infrastrukturinvestitionen in Deutschland
gestalten können .
Zu diesen 31,5 Milliarden Euro, die schon für 2016
geplant waren, werden jetzt noch einmal 3,5 Milliar-
den Euro zusätzlich mit diesem Nachtragshaushalt für
Investitionen bereitgestellt . Das ist eine Steigerung von
deutlich mehr als 10 Prozent und ist damit noch einmal
ein deutliches Zeichen dafür, dass diese Koalition einen
Schwerpunkt auf öffentliche Infrastrukturinvestitionen
legt .
Das Neue, das wir hier möglich machen wollen – dazu
brauchen wir noch die Begleitgesetze; wir schaffen hier-
mit die haushaltsrechtliche Grundlage, aber es braucht
noch grundgesetzliche und andere gesetzliche Änderun-
gen –, betrifft Investitionen in die kommunale Bildungs-
infrastruktur . Mit diesen 3,5 Milliarden Euro stellen wir
als Bund zusätzlich zu den bereits vorhandenen 3,5 Mil-
liarden Euro im kommunalen Investitionsförderungs-
fonds also insgesamt 7 Milliarden Euro für Investitionen
in den Kommunen zur Verfügung . Auch das ist einmal
mehr ein deutliches Zeichen – im Übrigen zusätzlich zu
Svenja Stadler
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20945
(C)
(D)
vielen Maßnahmen, die wir in den letzten Monaten be-
schlossen haben – dafür, wie stark sich der Bund bei der
Unterstützung der Kommunen, der Städte und Gemein-
den engagiert .
Das, wofür wir hier die haushaltsrechtliche Grund-
lage schaffen und die 3,5 Milliarden Euro bereitstellen,
nämlich für stärkere Investitionen in die kommunale
Bildungsinfrastruktur, ist Bestandteil des Bund-Län-
der-Kompromisses, der die Finanzbeziehungen zwi-
schen dem Bund und den Ländern betrifft . Natürlich
kann man – das werden wir in den nächsten Monaten so
miteinander tun, wie wir es in den letzten Monaten schon
gemacht haben – trefflich darüber streiten, wie dieses
Zusammenspiel von Bund und Ländern im Föderalismus
geordnet sein soll, bei wem welche Kompetenzen liegen
und welche Entscheidungen bei Kompetenzverschiebun-
gen tatsächlich welche langfristigen Folgen haben wer-
den . Das ist sicherlich ein Punkt, bei dem es zur Frage
der Bildungsfinanzierung etwas zu debattieren gibt.
An einer Stelle aber gibt es, glaube ich, keine Debatte:
Der Bedarf ist objektiv da, was Investitionen in Schulen
und in die Bildungsinfrastruktur vor Ort angeht .
Ich jedenfalls kenne viele Eltern, hier in Berlin und an-
deren Städten, die sich schon die Frage stellen, warum
manchmal mit viel medialer Aufmerksamkeit über ge-
schlechterneutrale Toiletten diskutiert wird, während sie
erleben müssen, dass ihren eigenen Kindern nur ziemlich
desolate Schultoiletten zur Verfügung stehen . Die Folge
ist, dass sich die Kinder mitunter gar nicht trauen, auf
diese Toiletten zu gehen, und sie gar nicht mehr benutzen
mögen . Der Zustand der Toiletten oder der Schulbauten
insgesamt ist mitunter unhaltbar . Deswegen ist es gut,
dass wir mit dem, was wir hier vorhaben, einen Schwer-
punkt setzen . Der Bedarf jedenfalls für mehr Investitio-
nen in Schulen und in die Bildungsinfrastruktur – jenseits
aller kompetenzrechtlichen Fragen – ist vorhanden .
Das bringt mich, liebe Kolleginnen und Kollegen,
abschließend zu der grundsätzlichen Bemerkung, dass
wir – auch das ist eigentlich etwas Besonderes, wenn Sie
sich anschauen, was in anderen Ländern in Europa und
der Welt los ist, was die haushaltsrechtliche Ausgangs-
lage angeht – im Jahr 2016 einen Spielraum haben, den
wir nutzen können, nicht zuletzt, weil wir für unsere
Schulden weniger Zinsen zahlen müssen . Wir können
uns, ohne uns neu zu verschulden, 3,5 Milliarden Euro
zusätzliche Investitionen leisten .
Wir zeigen also: Ein ausgeglichener Haushalt und zu-
gleich Wachstumsimpulse – das ist möglich . Das zeigen
wir auch mit diesem Nachtrag . Wir zeigen einmal mehr
einen ausgeglichenen Haushalt . Das heißt am Ende: Wir
lassen Spielraum für künftige Generationen . Ein ausge-
glichener Haushalt ist möglich, und gleichzeitig kann
man zusätzliche Investitionsimpulse, die im Übrigen ja
auch künftigen Generationen dienen, setzen . Wir zeigen,
nicht nur für Deutschland, sondern durchaus auch für an-
dere Länder, dass beides zusammen geht . Auch das ist ein
wichtiges Signal, das dieser Nachtragshaushalt sendet .
In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen,
freue ich mich auf spannende parlamentarische Beratun-
gen .
Dann wollen wir mal gucken, ob die Spannung gleich
in dieser Debatte ausbricht .
Der Erste, der das vorführen könnte, ist der Kollege
Claus für die Fraktion Die Linke .
Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bun-
destagspräsident! Angesichts der vorweihnachtlichen
Stimmung, die im Plenarsaal Einzug gehalten hat, möch-
te ich Ihnen ganz besonders herzlich für Ihre Rede und
überhaupt für Ihren Beitrag zum Gelingen des allfraktio-
nellen Adventssingens am heutigen Abend im Deutschen
Bundestag danken . Auch so etwas geht im Parlament .
Als dieser Nachtragshaushalt von Bundesminister
Schäuble zum ersten Mal angekündigt wurde, hat die
Linke das begrüßt und gesagt: Chapeau, Herr Schäuble!
Gut, dass Sie mit dem Überschuss zu Frau Wanka statt
wieder zu Frau von der Leyen gegangen sind .
Übersetzt heißt das: Besser mehr Geld für Bildung als
für das Militär .
Aber dann haben wir festgestellt, dass wir den Bun-
desfinanzminister wohl zu früh gelobt haben. Zu der
Erkenntnis kam Bundesminister Schäuble nämlich nicht
freiwillig, wie wir inzwischen wissen, sondern offenbar
auf Druck der Länderchefs . Die Begründung Ihres Ge-
setzentwurfes besagt: Hier wird die Voraussetzung dafür
geschaffen, dass die Bund-Länder-Vereinbarung vom
14 . Oktober 2016 umgesetzt werden kann . Gemeint ist
die Zukunft der Bund-Länder-Finanzbeziehungen .
Im Klartext heißt das: Ohne diese Investitionen wäre
dieser Finanzpakt mit den Ländern nicht möglich gewe-
sen . Deshalb sollte sich der Bund nicht als Weihnachts-
mann darstellen, der den Kommunen die Geschenke
überbringt . Richtiger wäre es an dieser Stelle, zu sagen:
Wenn wir wirklich vernünftige Investitionen in Bildung
und Infrastruktur wollen, dann müsste man mit dem Ko-
operationsverbot Schluss machen und ein zukunftsfähi-
ges Investitionsprogramm auflegen.
Parl. Staatssekretär Jens Spahn
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620946
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(D)
Allerdings ist zu begrüßen, dass mit diesem Geld
Investitionen in Schulinfrastruktur für finanzschwache
Kommunen getätigt werden können .
Ich habe das einmal zusammengerechnet: Für Ost-
deutschland sind das 675 Millionen Euro .
Einen solchen Schritt zu mehr Investitionstätigkeit be-
grüßen wir als Linke natürlich .
Woher kommt das Geld? Auch das findet sich im Ge-
setzentwurf: Der Bund zahlt weniger Zinsen für seine
Schulden als geplant . Das muss nicht immer so bleiben;
darauf weisen Forschungsinstitute inzwischen hin .
Deshalb wird die Linke nicht müde werden, zu for-
dern: Schaffen Sie endlich zukunftsfähige Politik für
mehr Einnahmen! Schaffen Sie Steuergerechtigkeit!
Dann haben wir auch die zukunftsfähige Möglichkeit, in
Bildung zu investieren .
Es kommt zuweilen vor, dass vor allzu viel schwar-
zer Null die Öffentlichkeit annimmt, der Bund habe nun
keine Schulden mehr . Es sind immer noch 20 Milliarden
Euro, die wir für Zinsen einstellen müssen, bzw . dafür,
um die Schulden zu tilgen . Auch das darf nicht vergessen
werden .
Abschließend will ich noch auf einen weiteren Punkt
hinweisen . In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
heißt es, die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin hät-
ten am 14 . Oktober einen Beschluss gefasst . Ich frage
Sie: Was ist denn das für ein Beschlussorgan, das da zu-
sammenkommt?
Gestern hat Bundesminister Schäuble in der Re-
gierungsbefragung gesagt: Natürlich sind noch Ände-
rungen möglich . – Das Parlament ist aber gewählt, um
gesellschaftliche Gestaltung in Gesetze zu gießen . Das
Parlament ist nicht gewählt, um nur die Ergebnisse von
Nachtverhandlungen von Regierungschefs abzunicken .
Das verlangen Sie aber von uns, und das nehmen wir so
nicht hin . Das sei Ihnen einmal gesagt .
17 Regierungschefs sind uns lieb und teuer . Das ist
klar . Dennoch haben sie nicht das Recht, den Parlamen-
ten vorzuschreiben, was sie zu entscheiden haben .
Selbstverständlich werden auch wir heute für die
Überweisung stimmen . In der abschließenden Lesung
werden wir uns auch für diese Investitionen aussprechen,
aber dann eine getrennte Abstimmung verlangen, weil
wir nicht mit der Zustimmung für die Schulinvestitionen
einem Haushalt, den wir insgesamt abgelehnt haben, auf
diese Weise nachträglich zustimmen wollen . Dafür ist
kein Platz .
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren .
Nächster Redner ist der Kollege Johannes Kahrs .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Kollege Claus hat eben erwähnt, dass er das,
was diese Große Koalition macht, unterstützt und in der
Sache gut findet.
Das hat man nicht allzu häufig. Wir sind nicht nur auf
dem richtigen Weg, sondern tun auch etwas sehr Ver-
nünftiges .
Wir haben durchgesetzt, dass 3,5 Milliarden Euro mehr
ausgegebenen werden – der Herr Staatssekretär hat das
erwähnt – für die Bildungsinfrastruktur in den Ländern .
Das ist eine echte Leistung, die sich sehen lassen kann .
Das bedeutet zwar noch kein Fallen des Kooperations-
verbotes – Weihnachten fällt nun einmal nicht auf Os-
tern –, aber es ist immerhin schon mal ein Aufbrechen . Es
ist ein erster Schritt in die richtige Richtung .
– Jetzt könnte der Koalitionspartner auch einmal klat-
schen . Also: Halten Sie sich ran!
Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, dass unser
Parteivorsitzender und Vizekanzler Sigmar Gabriel so-
wie unsere Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentin-
nen das in den Verhandlungen durchgesetzt haben .
Das ist ein wesentlicher Punkt guter sozialdemokrati-
scher Politik . Im Ergebnis soll mit diesem Nachtrags-
haushalt erst der Anfang gemacht werden . Wir wollen
Schulsanierungen in den Städten und Stadtteilen, wo es
am schwierigsten ist, wo am wenigsten Geld vorhanden
ist . Wenn das das Ziel ist, dann muss später auch das Er-
gebnis entsprechend sein . Ich habe mich sehr gefreut,
dass Staatssekretär Spahn das genauso sieht . Ich bin mir
sicher, dass wir das dank seiner Unterstützung und nach
den salbungsvollen Worten, die er uns hat angedeihen
lassen, umsetzen können . Für uns als SPD ist wichtig,
dass bis 2021 die Schulen in ganz Deutschland saniert
Roland Claus
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20947
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(D)
und modernisiert sind und dass es ein verlässliches Ganz-
tagsangebot gibt .
Wenn der Bund die Länder dabei unterstützen kann, dann
ist das richtig, wichtig und gut .
Gleichzeitig findet das Ganze – das hat der Kollege
Claus zu Recht angemerkt – in einem größeren Rahmen
statt . Die Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanz-
beziehungen haben begonnen . Wir werden uns noch
über Infrastrukturgesellschaften für Autobahnen und
vieles andere unterhalten . Aber eines muss an dieser
Stelle gesagt werden: Wenn die Länder etwas mit 16 : 0
beschließen und das mit dem Bund, also mit der Bun-
desregierung, vereinbaren, dann ist das schön, hat aber
erst einmal keinerlei Wert . Das ist ein Muster ohne Wert .
Da hat die Exekutive aus den Ländern mit der Exekuti-
ven auf Bundesebene eine Absprache getroffen; das ist
schön . Aber mit der Absprache kommen sie nur so weit,
wie wir im Deutschen Bundestag unsere Beschlussfas-
sung darauf abstellen . Es ist wichtig, sich daran zu erin-
nern, dass für uns alle immer noch das Struck’sche Ge-
setz gilt: Kein Gesetz verlässt den Deutschen Bundestag
so, wie es in den Deutschen Bundestag hineingekommen
ist. Das heißt, wenn im Februar die erste Lesung stattfin-
det, werden wir uns das in aller Ruhe und Gelassenheit
anschauen . Es wird viele Expertengespräche und Anhö-
rungen geben . Wir werden uns dann in den kommenden
Monaten in aller Ruhe und Gelassenheit sowie mit viel
Zeit und Sachverstand die einzelnen Themen vornehmen
und nach und nach abhandeln .
Wir Haushälter werden das in engem Schulterschluss
mit den jeweiligen Fachpolitikern machen, weil das für
uns alle ein wichtiges Thema ist und weil wir Weichen-
stellungen für die Zukunft vornehmen . Grundgesetzän-
derungen macht man nicht irgendwann und irgendwie .
Angesichts der geforderten Mehrheiten bekommt man
das nur hin, wenn man sich einig ist .
Es ist gut, dass die 3,5 Milliarden Euro, über die wir
reden, in dem in Rede stehenden Paket enthalten sind,
und das kann dann zusammen mit den Grundgesetzände-
rungen aufgerufen werden. Denn das Geld fließt ja nicht,
bevor nicht die entsprechenden Gesetzesänderungen ge-
kommen sind . Wir werden über das Gesamtpaket im Par-
lament diskutieren . Ich hoffe, dass wir alle die Zeit und
die Ruhe haben, darüber gründlich zu diskutieren; denn
wir werden später zur Verantwortung gezogen, wenn hier
etwas auf die Beine gestellt wird, was nicht vernünftig
und sinnvoll ist . Mir ist wichtig, dass die Große Koaliti-
on das gelassen, entspannt und mit viel inhaltlicher Vor-
bereitung angeht . Ich würde mich freuen, wenn sich die
Opposition konstruktiv beteiligen würde . Dann könnten
wir vielleicht auch vieles gemeinsam beschließen . Ich
freue mich schon darauf, mit dem Kollegen Eckhardt
Rehberg im engen Schulterschluss dieses zu beschließen .
Vielen Dank .
Bevor der Kollege Rehberg das nun ausdrücklich be-
stätigen kann, hat der Kollege Sven-Christian Kindler
die Gelegenheit, den Weihnachtsfrieden zu stören . Bitte
schön, Herr Kollege .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sie müssen nach meiner Rede bewerten, ob
das eingetreten ist .
Ich will mit etwas Positivem anfangen. Auch wir fin-
den es gut, dass jetzt 3,5 Milliarden Euro für marode
Schulen zur Verfügung gestellt werden . Wir unterstützen
auch den kommunalen Investitionsfonds und den Finanz-
schlüssel, den es für die Kommunen in dieser Hinsicht
gibt . Von daher begrüßen wir das .
– Bringen wir uns einmal positiv ein . Ich hoffe, die SPD
wird auch weiterhin bei meiner Rede klatschen . Man
muss trotzdem ein bisschen Wasser in den Wein gießen .
Es war nicht die Bundesregierung, die in den Haus-
haltsberatungen 3,5 Milliarden Euro für marode Schulen
vorgesehen hat . Wir haben das beantragt . In den Haus-
haltsberatungen hat die Bundesregierung noch abge-
lehnt, mehr für marode Schulen zur Verfügung zu stel-
len . Es waren nachher die Bundesländer mit ganz vielen
Regierungen, an denen die Grünen beteiligt sind, die in
den Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbezie-
hungen dafür gesorgt haben, dass dieses Geld jetzt flie-
ßen wird . Das begrüßen wir . Das möchte ich deutlich
feststellen .
Man muss auch noch einmal darstellen – auch das
wurde schon gesagt –, dass das KfW-Kommunalpanel
festgestellt hat, dass der Investitionsstau in den Kom-
munen in der Größenordnung von circa 34 Millionen
Euro liegt . Da sagen wir auch klar: 3,5 Milliarden Euro
können und dürfen nur der Anfang sein . Wir brauchen
deutlich mehr, um bröckelnde und marode Schulen in
Deutschland zu sanieren .
Die Frage ist: Warum hat die Bundesregierung das ei-
gentlich nicht viel früher gemacht? Das liegt auch daran,
dass gerade der Unionsteil der Bundesregierung, insbe-
sondere Herr Schäuble, lange geleugnet hat, dass es über-
haupt ein Investitionsdefizit in Deutschland gibt. Auf der
Grundlage einer mangelhaften Analyse kann man aber
auch keine gute Investitionsstrategie aufbauen .
Johannes Kahrs
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620948
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(D)
Wenn man sich den Haushalt anschaut, dann sieht
man, dass Investitionen gesteigert wurden . Wenn es aber
mehr Geld gab, war dies eher dem Prinzip Zufall zu ver-
danken . Wenn es niedrige Zinsen und hohe Steuereinnah-
men gab, wurden Investitionsprogramme aufgelegt . Aber
wenn man sich den Finanzplan anschaut, stellt man fest,
dass das nicht nachhaltig und dauerhaft ist . Die Investi-
tionsquote stürzt bis 2020 auf 8,8 Prozent ab . Wir sagen:
Wir müssen dauerhaft mehr in Deutschland investieren,
wir müssen eine dauerhafte und sinnvolle Investitions-
strategie für Deutschland entwickeln .
Investitionspolitik nach Kassenlage ist auch proble-
matisch für die Kommunen . Wir sehen, dass die Investi-
tionsprogramme sehr kurzfristig aufgelegt wurden, ohne
Plan, ohne Strategie. Gerade für finanzschwache Kom-
munen ist das ein Problem, weil die eben nicht die Pla-
nungen zum Beispiel für Schulsanierungen in der Schub-
lade haben . Um das einmal konkret zu machen: Eine
komplette Schulsanierung inklusive Planung braucht bis
zu fünf Jahre. Gerade finanzschwache Kommunen haben
häufig nicht die Ressourcen und haben nicht die Pläne
in der Schublade, um die Sanierung sofort umzusetzen .
Deswegen fordern wir Sie auf: Hören Sie auf mit dieser
Zickzackinvestitionspolitik . Wir brauchen eine dauerhaf-
te und verlässliche Investitionspolitik für unsere Kom-
munen in Deutschland .
Grundlegende Probleme werden mit dem Bund-Län-
der-Finanzkompromiss leider auch nicht angegangen .
Lösungen wurden von der Bundesregierung nicht in
die Verhandlungen eingebracht . Wenn wir uns struktur-
schwache Kommunen in Deutschland anschauen, dann
sehen wir, dass die Schere zwischen Arm und Reich aus-
einanderklafft .
– Ich sage gleich etwas dazu, Kollege Kahrs . Nicht so
aufregen!
Wenn man sich anschaut, dass die Schere zwischen
Arm und Reich in Deutschland weiter aufgeht, die Kom-
munen einen Investitionsstau von 136 Milliarden Euro
haben, und wenn wir sehen, dass es Kassenkredite von
50 Milliarden Euro gibt und die Soziallasten der Kom-
munen immer größer werden, dann sehen wir ein, dass
wir strukturelle Lösungen brauchen .
Wir haben vorgeschlagen, dass der Soli nicht abge-
schafft wird, wie die Unionsfraktion das plant, sondern
dass es eine Altschuldenhilfe für überschuldete Kommu-
nen gibt, man den Soli erhält, neu begründet und ausrich-
tet und damit finanzschwache Kommunen unterstützt.
Wir brauchen strukturelle und dauerhafte Lösungen,
um finanzschwache Kommunen zu unterstützen. Das ist
wichtig für die Kommunen und für unsere Demokratie in
Deutschland .
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wichtig ist, dass man
das Kooperationsverbot endlich fallen lässt . Es ist völlig
klar, dass wir mehr Bildungsinfrastruktur in Deutschland
brauchen .
Wir brauchen ein Kooperationsgebot, eine Abschaffung
des Kooperationsverbots in Deutschland .
– Ich sage Ihnen auch gerne etwas zu Baden-Württem-
berg und zu Herrn Kretschmann . Herr Kretschmann
sperrt sich nicht dagegen, dass es mehr Geld für die Kom-
munen in Deutschland gibt, um das einmal klarzustellen .
– Ich würde etwas ruhig sein, liebe Union und liebe
SPD. – Es gibt Konflikte in allen Parteien über das The-
ma Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern .
Ich will noch einmal daran erinnern, wer das Koopera-
tionsverbot in die Verfassung geschrieben hat .
Das waren nicht die Grünen . Kollege Kahrs, wer hat das
Kooperationsverbot in die Verfassung geschrieben? Das
waren die SPD-Bundestagsfraktion und die Unionsbun-
destagsfraktion . Ich würde lieber einmal ein bisschen
Demut zeigen . Für das Kooperationsverbot in Deutsch-
land ist die Große Koalition verantwortlich .
– Wir wollen das ändern; ihr habt es eingeführt . Ehrlich
gesagt, wünsche ich mir, dass die SPD mit uns an einem
Strang zieht und hier keine billige Parteipolemik austrägt .
Ich finde, in dieser Frage muss sie vom hohen Ross her-
unterkommen .
Durch die Große Koalition wurde mit dem Haushalt
nicht das Problem strukturschwacher Kommunen gelöst .
Es gibt keine gute Investitionsstrategie . Die Investitionen
stürzen bis 2020 ab . Ich würde dazu raten, an der Lösung
dieser Probleme zu arbeiten, liebe Große Koalition . Das
wäre besser, als hier polemische Reden zu halten, Kolle-
ge Kahrs .
Sven-Christian Kindler
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20949
(C)
(D)
Vielen Dank .
Herr Kindler, da Sie mich ohne Not ausdrücklich zu
einer Bewertung aufgefordert haben: Es fing weihnacht-
licher an, als es geendet hat,
was aber verfassungsrechtlich ausdrücklich zulässig ist .
Jetzt ist der Kollege Rehberg an der Reihe .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da-
mit, Kollege Claus, hier kein falscher Eindruck entsteht:
Bei der Abstimmung im Bundestag in einigen Wochen
wird es nicht heißen: „Das Gesetz ist in der Fassung der
MPK-Beschlüsse angenommen“, sondern: „Das Gesetz
ist in der Ausschussfassung angenommen .“
Vorweg wird es gründliche Beratungen geben müs-
sen – da stimme ich Johannes Kahrs voll zu –, weil sich
gerade bei diesem Thema viele Fragen stellen: Was sind
finanzschwache Kommunen? Wie ist die entsprechende
Legaldefinition? Schauen Sie sich einmal die Protokol-
lerklärung der drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und
Bremen zu diesem Thema an . Diese drei Länder haben
deutlich gemacht, dass Kassenkredite bei Stadtstaaten
nicht vorkommen . Oder schauen Sie sich einmal die
Proto kollerklärung des Landes Thüringen an, formuliert
in Abstimmung von Linken, SPD und Grünen . In dieser
Erklärung wird – aus meiner Sicht: zu Recht – hinter-
fragt, ob Kassenkredite Merkmal finanzschwacher Kom-
munen sind . Drei Viertel der Kassenkredite in Deutsch-
land lasten auf drei Ländern: Nordrhein-Westfalen hat
48 Prozent dieser Kredite, Hessen und Rheinland-Pfalz
zusammen 27 Prozent, macht insgesamt 75 Prozent . Was
die Kommunalaufsicht in den einzelnen Ländern, auch in
meinem Heimatland, angeht, handelt jeder Innenminister
nicht zwingend nach Parteibuch, sondern nach eigenem
Ego und Gustus; alle handeln also ein Stück weit anders .
Sind nicht vielleicht die Steuerkraft, die Zahl der Arbeits-
losen, die Höhe der Sozialausgaben, der Kosten der Un-
terkunft Merkmale finanzschwacher Kommunen?
Wir müssen auch in Ruhe betrachten: Wir verteilen
nur die 3,5 Milliarden Euro .
An wen dieses Geld in den Ländern geht, das entscheiden
die Länder. Die Länder definieren ganz unterschiedlich,
was bei ihnen als finanzschwach gilt. Schaut euch einmal
die Bewilligung des ersten 3,5-Milliarden-Euro-Paketes
an! Die darin enthaltenen Mittel sind nicht zwingend
immer nur an finanzschwache Kommunen gegangen. Es
gibt große Städte, die hohe Kosten der Unterkunft haben,
aber auch hohe Gewerbesteuereinnahmen .
Meine Sorge ist: Als das erste 3,5-Milliarden-Eu-
ro-Paket geschnürt wurde, wurde beschlossen, den Ver-
teilungsschlüssel einmalig anzuwenden . Jetzt aber wird
eine Brücke geschlagen: Artikel 104c Grundgesetz soll
geändert werden, einhergehend mit der Verabschiedung
eines Begleitgesetzes, sodass es zu einer Legaldefiniti-
on kommt, was finanzschwache Kommunen sind, was
weiter gehende Auswirkungen hat . Insofern müssen wir
uns unabhängig von Wahlterminen und Länderinteressen
sehr gründlich anschauen, was wir an dieser Stelle ma-
chen; denn das hat Langzeitwirkung .
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, Kollege
Kindler . Nötig sind Investitionen in Höhe von 136 Mil-
liarden Euro . Ein Kollege von Ihnen hat gestern gesagt,
es gebe bei Schulen einen Sanierungsstau in Höhe von
34 Milliarden Euro . Das Entlastungsvolumen der letz-
ten sieben Jahre bei Ländern und Kommunen betrug
95 Milliarden Euro . Das diente der Finanzierung von
Grundsicherung im Alter, BAföG usw . usf . Die Steuer-
mehreinnahmen der Länder sind in den letzten Jahren
höher als die des Bundes gewesen . Länder und Kommu-
nen gemeinsam haben von 2010 bis 2016 Steuermehrein-
nahmen von 95 Milliarden Euro gehabt . Ich glaube, wir
dürfen die Länder und Kommunen hier nicht ganz aus
der Pflicht lassen. Es ist nämlich die Frage zu stellen:
Was machen die mit ihren Steuermehreinnahmen? Al-
lein das Entlastungspaket, das wir vor einigen Wochen
beschlossen haben – Stichwort „Übernahme Asylkosten“
und 5-Milliarden-Euro-Paket –, bedeutet 17 Milliarden
Euro für die nächsten drei Jahre . Deswegen ist es schon
berechtigt, immer wieder kritisch zu hinterfragen: Was
passiert mit dem Geld, das der Bund an die Länder wei-
terreicht?
Ich will manchen Kolleginnen und Kollegen hier ein-
mal einen Zahn ziehen: Wer meint, dass die Umsatzsteuer
der Gemeinden eins zu eins an die Kommunen geht, der
irrt sich. Diese Umsatzsteuer fließt in die kommunalen
Finanzausgleichssysteme . Gucken Sie sich einmal die
Verbundquoten oder Gleichmäßigkeitsgrundsätze an: Da
gehen teilweise über 80 Prozent in den Landeshaushalt .
Das heißt, wer meint, 1 Euro der Umsatzsteuer der Ge-
meinden ginge komplett an die Gemeinden, liegt falsch;
da kommen höchstens 20 Cent an .
– Lieber Herr Rossmann, Herr Liebing sieht das über-
haupt nicht anders . Ich rate jedem in unserer Debatte: Wir
helfen finanzschwachen Kommunen; deswegen müssen
wir gründlich beraten . Denn das, was wir heute tun, wird
Langzeitwirkung haben . Wenn die Verteilsysteme einmal
festgelegt sind, wird man später nicht mehr sehr dezidiert
daran herangehen können .
Sven-Christian Kindler
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620950
(C)
(D)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen an ei-
ner Stelle aufpassen: Gucken Sie sich einmal an, was
die Länder bei dem ersten 3,5-Milliarden-Euro-Paket,
wodurch die energetische Sanierung von Kindertages-
stätten, Schulen und Berufsschulen ermöglicht wurde,
gemacht haben. Ich muss Ihnen sagen: Ein Abfluss von
gerade einmal 60 Prozent ist eine Katastrophe, und dieses
Programm läuft schon seit über einem Jahr . Und wenn
Sie sich einmal die Sektorenaufstellung angucken, sehen
Sie, dass das allerwenigste in kommunale Bildungsin-
frastruktur geflossen ist, obwohl es dahin hätte fließen
können .
Und zu dem Vorwurf, dass die Planungen lange dau-
ern: Ja, die Planungen dauern lange, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Aber wenn die Not seit Jahren so groß ist,
dann muss man doch die Frage stellen, warum man nicht
vorausschauend geplant hat, gerade mit Blick auf unsere
Schülerinnen und Schüler, unsere Kinder und Jugendli-
chen .
Diese Frage muss man hier schon deutlich stellen .
Ich stimme Johannes Kahrs vollkommen zu: Hier gilt
das Struck’sche Gesetz . Wir müssen den Gesetzentwurf
gründlich beraten . Das ist eines der entscheidenden Vor-
haben in dieser Legislaturperiode mit Langzeitwirkung
im föderalen Gefüge zwischen Bund, Ländern und Kom-
munen . – Lieber Kollege Kindler, der Bund ist in den
letzten Jahren weit über das hinausgegangen, für das er
nach dem Grundgesetz verantwortlich war .
Herzlichen Dank .
Das Wort hat nun der Kollege Ernst Dieter Rossmann
für die SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
w
Rede von: Unbekanntinfo_outline
die bildungspolitische Betrachtung .
10 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
sind in Schulen in Deutschland – 33 000 allgemeinbil-
dende Schulen, 8 000 berufsbildende Schulen –, und die
Investitionen in den Erhalt und die Pflege der baulichen
Substanz sind wesentlich von den Kommunen getragen
worden . Die Investitionen liegen bei 2,9 Milliarden Euro
jährlich, und zwar in allen Kommunen, auch den finanz-
schwachen. Der Bund ist jetzt bereit, die finanzschwa-
chen Kommunen mit einer Summe von 3,5 Milliarden
Euro über dreieinhalb Jahre zu unterstützen . Das bedeu-
tet, dass auf die 2,9 Milliarden Euro jährlich 1 Milliarde
Euro für Investitionen obendrauf kommt . Das ist für die
finanzschwachen Kommunen wirklich eine große Num-
mer .
Es wird gezielt dort angesetzt, wo die Bedarfe sind .
Kollege Rehberg, ja, wir haben mit dem Kommunalin-
vestitionsförderungsgesetz den ersten Einstieg gemacht;
aber das war an die energetische Sanierung gebunden .
Was wir jetzt machen, geht weiter . Das zeugt von ei-
ner guten Qualität, die über die Länder, über Minister
Gabriel, über die Bundesregierung mit in die Debatte
eingebracht worden ist . Die Schulen laden zu einer hohen
Identifikation mit der Kommune ein. Wir wollen eben
nicht, dass hier reiche Kommunen und da arme Kommu-
nen sind und dass man dies an der Unterschiedlichkeit
ihrer Schulen erkennen kann . Das ist nicht nur wichtig
für die 10 Millionen Kinder und Jugendlichen, die direkt
an den Schulen sind, sowie für die Eltern und Großeltern .
Es ist auch wichtig für die Kommunen, dass man an den
Schulen nicht mehr merkt, ob sie arm oder reich sind, ob
sie mit dem letzten Cent rechnen müssen, sondern dass
dort positiv gestaltet werden kann .
Noch einmal: Es ist wichtig, dass es die direkten Fi-
nanzierungen gibt, mutmaßlich bis zu einen Schlüssel
von 90 Prozent vom Bund und 10 Prozent von den Län-
dern oder Kommunen, was eine gute Unterfütterung ist .
Es ist eben etwas anderes, wenn das Geld direkt dorthin
fließt – auch ab einer Summe von 40 000 Euro. Ich bin
sicher: Es wird dann von den Kommunen aufgegriffen
werden . Es wird auch deshalb aufgegriffen werden, weil
zwingende bildungspolitische Argumente dafürsprechen .
Wir wissen aus lernpsychologischen Studien, dass bes-
sere Leistungsergebnisse erzielt werden, wenn die Schu-
len in Ordnung sind, wenn sie modern ausgestattet sind,
wenn sie eine Wertschätzung ausdrücken . Das überträgt
sich . Es gibt lernpsychologische Erkenntnisse, die besa-
gen: Da, wo die Lichtverhältnisse, die Lernverhältnisse
und die räumliche Gestaltung animierend sind, sind die
Leistungen noch einmal besser . Insofern ist es wichtig,
dass wir uns an den Kosten beteiligen .
Wir wissen aus PISA-Studien, dass es leider einen
verhängnisvollen Zusammenhang von Armut, Arbeits-
losigkeit und Strukturschwäche in den Kommunen gibt
mit den Rückwirkungen auf die Bildungsergebnisse . Von
daher spreche ich es noch einmal an: Es ist gut, dass sich
diese Große Koalition an dieser Stelle nicht nach den
Paragrafen, sondern nach den Bedarfen, nicht nach dem,
was war, sondern nach dem, was wir für die Zukunft ge-
winnen wollen, richtet . Das schließt eine gewisse Ver-
änderung in der Verfassung ein, auch wenn wir sagen:
Wir wollen das Kooperationsverbot nicht vollständig lo-
ckern, aber wir wissen einen ganz gezielten Zugang, wie
wir Gutes tun können für die Bildungsrepublik Deutsch-
land mit der Perspektive, dass es mehr Bildungsgerech-
tigkeit gibt .
Wir freuen uns, dass zumindest der Staatssekretär –
bei Herrn Rehberg klang das auch durch – heute gesagt
hat: Ja, da geht auch der Koalitionspartner CDU/CSU
mit . – Uns als Bildungspolitiker hat diese Debatte schon
etwas erschrocken gemacht . Wir erinnern uns an eine
frühere Debatte zum Thema BAföG, in der der Kolle-
ge Kaufmann ein Bombardement gegen diese Regelung
angestoßen hat, was wir gar nicht verstehen konnten . Es
Eckhardt Rehberg
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20951
(C)
(D)
wäre viel naheliegender gewesen, zu sagen: Donnerwet-
ter, unser Finanzminister macht 3,5 Milliarden Euro lo-
cker für die Bildung . – Beim Kollegen Kaufmann klang
das so, als ob es ein ganz großer Irrweg wäre . Heute, Herr
Rehberg, musste der Kollege Liebing die gleiche Num-
mer singen, und zwar pro Mehrwehrtsteuerverteilung, zu
der Sie gerade die Gegenargumente genannt hatten . Wir
begreifen es fast nur psychologisch, dass Sie irgendwie
nicht mitgehen können, weil Sie das Gefühl haben: Da
ist zu viel Sozialdemokratie drin .
Ja, in diesen 3,5 Milliarden Euro ist Sozialdemokratie
drin; aber das muss doch nicht dazu führen, dass Sie das
nur verschwiemelt darstellen .
Herr Spahn, es war schon gut, dass Sie sich voll dahin-
tergestellt haben . Sie haben damit Haltung pro Bildung,
pro Investition, pro kommunale Entwicklung bewie-
sen . Wir sagen auch: Mit der Änderung der Verfassung
sind wir noch nicht am Ende; denn Ihre Bildungsmi-
nisterin hat 5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, um
40 000 Schulen mit digitaler Infrastruktur auszustatten .
Donnerwetter, da werden wir die Verfassung noch einmal
ändern müssen .
Wir verstehen in dem Zusammenhang Bund-Län-
der-Kommunal-Zusammenarbeit nicht, weshalb Sie sich
hier so schwertun . Auf die Tatsache, dass wir es zusam-
men geschafft haben, 125 Millionen Euro für ein Hoch-
begabtenförderprogramm zwischen Bund und Ländern
auf den Weg zu bringen, singt auch der konservative Teil
dieses Parlaments Lobeshymnen . Das ist eine neue Form
der Bund-Länder-Zusammenarbeit . Singen Sie doch
auch eine Lobeshymne darauf, dass wir mehr soziale Ge-
rechtigkeit in der Bildungspolitik schaffen .
Die ganze Palette besingen wir positiv. Deshalb finden
wir: Schöne Weihnacht, tolle 3,5 Milliarden Euro! Da-
raus kann etwas werden .
Vielen Dank .
Alois Rainer ist für die CDU/CSU-Fraktion der letzte
Redner zu diesem Tagesordnungspunkt .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ein besonders schöner Abend heute: Wir bera-
ten in erster Lesung ein weiteres Geschenk . Ob das am
Ende der Tage, lieber Kollege Claus, der Weihnachts-
mann, der Nikolaus oder das Christkind für die Kom-
munen bringt, das sei dahingestellt . Für mich bringt der
Deutsche Bundestag eine weitere Voraussetzung in die
gesetzliche Beratung ein, damit die Kommunen wieder
einmal ein Stück entlastet werden .
Lassen Sie mich einiges dazu sagen . Ich wundere mich
immer mehr – es ist schön, dass ich mich in dieser Situ-
ation wundern kann –, dass der Bund, obwohl er nicht
zuständig ist, für diesen Bereich immer wieder Geld aus-
gibt . Dafür müssen wir – da spreche ich auch als Kommu-
nalpolitiker – immer ein Stück weit dankbar sein . Auch
wenn heute über marode Schulen, marode Schultoiletten
oder über anderes gesprochen worden ist, lässt sich fest-
stellen: Die Zuständigkeit ist klar und eindeutig geregelt:
Die Zuständigkeit für Schulen und für Schulinvestitionen
liegt bei den Ländern und Kommunen, nicht beim Bund .
Deswegen sehe ich die Entlastung als ein großes Ge-
schenk an . Wir haben mit 3,5 Milliarden Euro begonnen
und legen jetzt noch einmal 3,5 Milliarden Euro drauf .
Das wird verteilt . Als bayerischer Abgeordneter betone
ich: Bayern bekommt 8 Prozent, NRW circa 32 Prozent .
In Bayern sind die meisten Schulen aber auch saniert . Ich
habe in der Zeit als Bürgermeister meine Schule saniert .
Wir haben in unsere Zukunft investiert, nämlich in unse-
re Kinder .
Das müssten viele eben viel früher tun, statt zu jammern
und ständig mit dem Finger auf den Bund zu zeigen, lie-
ber Herr Kollege .
Wir haben einen funktionierenden Föderalismus in
unserem Staat . Es ist richtig und gut, dass man, wenn es
einem gut geht, ein Stück abgibt . Lassen Sie uns feststel-
len: Von den guten Steuereinnahmen, die wir in unserem
Land haben, profitiert der Bund, profitieren die Länder
und profitieren auch die Kommunen. Warum haben wir
diese guten Steuereinnahmen? Weil eine gute solide Fi-
nanzpolitik gemacht wird, eine gute solide Haushaltspo-
litik, eine gute solide Wirtschaftspolitik . Das haben wir
einer Großen Koalition zu verdanken, die dies hervorra-
gend macht .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die
Freunde und Kollegen der Linken dies ein Stück weit an-
ders sehen, dann wollen wir uns hier im weihnachtlichen
Frieden nicht aufregen . Ich freue mich auf alle Fälle, dass
der Kommunalinvestitionsförderungsfonds um 3,5 Milli-
arden Euro aufgestockt wird . Wir haben jetzt einige Wo-
chen Zeit, uns in Ruhe Gedanken zu machen, wie das
Geld gerecht verteilt wird . Oft müssen Nachtragshaus-
halte gemacht werden, weil eine Notsituation entstanden
ist . Hier ist es keine Notsituation; wir sind vielmehr in
einer Luxussituation . Wir haben einen Haushalt, bei dem
wir uns diese zusätzlichen 3,5 Milliarden Euro leisten
können, ohne neue Schulden zu machen und ohne Steu-
ererhöhungen anzugehen . Das ist unglaublich wichtig .
Ich werde nicht müde, ständig zu sagen: Wir schaffen das
ohne neue Schulden und ohne Steuererhöhungen, meine
sehr verehrten Damen und Herren .
In diesem Sinne freue ich mich, dass wir heute eine
Unterstützung der Kommunen angehen . Ich bin mir si-
cher, dass wir in den nächsten Tagen und Wochen ein
gutes Gesetz auf den Weg bringen werden . Ich wünsche
Ihnen frohe Weihnachten und alles Gute im neuen Jahr .
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620952
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Danke schön .
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfes auf der Drucksache 18/10500 an den Haushalts-
ausschuss vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Über-
weisung so beschlossen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 14:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit zu
dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert,
Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Längere Lebensdauer für technische Geräte
Drucksachen 18/9179, 18/10666
Die Aussprache soll 25 Minuten dauern . – Einwände
sind nicht erkennbar .
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Michael Thews für die SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Weihnachten lässt grüßen bei diesem Antrag
der Linken . Zum einen geht es um die Lebensdauer von
technischen Geräten und damit um die Lebensdauer von
vielen Weihnachtsgeschenken, die nächste Woche unter
dem Weihnachtsbaum liegen werden . Zum anderen wirkt
der Antrag ein bisschen wie ein Wunschzettel mit guten,
aber auch nicht so guten Wünschen .
Ich unterstütze durchaus die Forderungen in dem An-
trag, die zu einer verbesserten Information der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher, mehr Transparenz und damit
zu einer aufgeklärten Verbraucherentscheidung führen .
Ich halte aber die Ansätze, die eher zu einer Bevormun-
dung führen, für problematisch .
Zunächst die aus unserer Sicht vernünftigen Ansätze
aus dem Antrag der Linken: Insbesondere die Einführung
von Verbraucherinformationen zu Ersatzteilen und zur
Verfügbarkeit von Ersatzteilen halten wir für einen sehr
sinnvollen Schritt . Hier gibt es auch bereits Ankündigun-
gen auf EU-Ebene, dies im Rahmen eines Aktionsplans
für die Kreislaufwirtschaft zu prüfen . Fehlende Ersatz-
teile sind ein Problem gerade auch für die Betriebe, die
Reparaturen durchführen . Dabei gibt es einen momentan
sehr aktuellen Ansatz gegen unsere Wegwerfgesellschaft,
der sich bedauerlicherweise aber nicht im Antrag der
Linken findet: die Einführung eines reduzierten Mehr-
wertsteuersatzes für Reparaturleistungen – eine Idee, die
in Schweden jetzt umgesetzt werden soll .
Wahrscheinlich stand jeder von uns schon einmal
vor der Entscheidung, seine defekte Waschmaschine,
den DVD-Player oder andere Geräte reparieren zu las-
sen . Stattdessen aber hat man ein neues Gerät gekauft,
weil dies unwesentlich teurer oder vielleicht sogar preis-
werter war . Wenn wir dieses durchaus nachvollziehbare
Verbraucherverhalten ändern wollen, dann müssen wir
Reparaturdienstleistungen preiswerter machen . Das führt
zwar in diesem Fall zu verminderten Steuereinnahmen,
fördert aber gleichzeitig die Handwerks- und Reparatur-
betriebe vor Ort . Ich halte eine solche Maßnahme auch
in Deutschland für national umsetzbar und für sinnvoll .
Für nicht umsetzbar halte ich dagegen die Forderung
der Linken, „mit technischem Sachverstand nicht be-
gründbare Schwachstellen oder künstlich hervorgerufe-
ne – geplante – Funktionseinbußen“, also die geplante
Obsoleszenz, gesetzlich zu verbieten . Das klingt so ein
bisschen nach „Wünsch dir was“ .
Wie genau definiert sich denn überhaupt der technische
Sachverstand, wer hat ihn, und wer überprüft das Ganze?
Wann ist eine Schwachstelle überhaupt begründbar? Ist
der Einsatz von preiswertem Material zur Kosteneinspa-
rung schon eine nicht begründbare Schwachstelle? Wir
müssen uns vor Augen halten, dass das Umweltbundes-
amt in seiner Studie zur Obsoleszenz keine künstlich her-
vorgerufenen, geplanten Funktionseinbußen, also vom
Hersteller geplante Obsoleszenz, nachweisen konnte .
Ich halte es ebenso für problematisch, gesetzliche Re-
gelungen einzufordern, mit denen Mindestanforderungen
an die Produzenten für die Schaffung einer längstmögli-
chen Haltbarkeit von Produkten gestellt werden . Die Ver-
pflichtung zur Herstellung von langlebigen technischen
Produkten würde in vielen Fällen dazu führen, dass die
Produkte teurer werden . Diesen Effekt vermute ich auch
bei der Einführung einer verpflichtenden Mindestnut-
zungszeit . Die Anforderungen, die Verbraucherinnen und
Verbraucher an Geräte stellen, sind höchst unterschied-
lich: Für den einen muss es der Profi-Akkuschrauber für
200 Euro sein; dem anderen reicht vielleicht ein einfa-
cher für 40 Euro, weil er ihn eben auch nur zweimal im
Jahr benutzt . Letztendlich wollen Sie dem Verbraucher
die Option nehmen, sich bewusst für ein preiswertes Ge-
rät zu entscheiden .
Ärgerlich ist natürlich, wenn man ein teures, ver-
meintlich hochwertiges Produkt kauft und es gerade
mal die Garantiezeit überlebt . Für dieses Problem gibt
es aber eine verbraucherfreundliche Lösung: Wir soll-
ten eine Informationspflicht der Hersteller fordern, also
sie verpflichten, eine Angabe zur Lebensdauer ihrer
Geräte zu machen . Diese Informationen – davon bin
ich überzeugt – liegen dem Hersteller vor; sie prüfen ja
ihre Geräte . Eine solche Reglung ist durchaus national
durchsetzbar . Auch das gehört – unter dem Begriff der
Herstellergarantieaussagepflicht – zu den Kernempfeh-
lungen des Papiers „Strategien gegen Obsoleszenz“ des
Umweltbundesamtes . Der Hersteller darf dabei auch den
Zeitraum null angeben; aber der Käufer wird daraus sei-
ne Konsequenzen ziehen . Dieses Instrument wäre auch
Alois Rainer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20953
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insofern eine Verbesserung, als es – anders als das gelten-
de Gewährleistungsrecht – dem Verbraucher bei Nicht-
einhaltung der garantierten Lebensdauer einen direkten
Anspruch gegen den Hersteller gibt und nicht nur gegen
den Händler .
Auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher
geht dagegen die Forderung der Linken nach Einführung
einer Ressourcenverbrauchsabgabe für Primärrohstof-
fe . Sie soll vom Inverkehrbringer des Produktes gezahlt
werden, um die Inanspruchnahme neuer Ressourcen
deutlich zu verteuern . Wir wissen aber alle, wer sie am
Ende zahlt: die Verbraucherinnen und Verbraucher . Was
uns der Antrag außerdem nicht verrät: Wie soll sie be-
rechnet werden, und wer soll sie berechnen? Wie hoch
muss sie denn eigentlich sein, um eine Lenkungswirkung
zu entfalten? Muss man sich dann nicht auch an den Roh-
stoffpreisen orientieren? Was ist bei Preisschwankun-
gen? Hier gibt es viele Unwägbarkeiten, die aus meiner
Sicht eher zu Missbrauch und Wettbewerbsverzerrungen
führen können, die am Ende auf den Schultern von uns
allen lasten .
Einige der Forderungen des Antrags sind schon des-
halb an den falschen Adressaten gerichtet, weil sie nicht
oder nicht allein auf nationaler Ebene, sondern nur auf
europäischer Ebene geregelt werden können . Ein Ansatz-
punkt ist hier die EU-Ökodesign-Richtlinie . Deshalb ha-
ben wir in unserem Antrag zu ProgRess II darauf gedrun-
gen, dass bei der Anwendung der Ökodesign-Richtlinie
künftig auch der Ressourcenverbrauch stärker berück-
sichtigt wird . Auch der Anwendungsbereich der Ökode-
sign-Richtlinie lässt sich deutlich erweitern . Das wäre
aus meiner Sicht der richtige Weg .
Alles in allem ist der Antrag gut gemeint, aus den
vielfältigen bereits genannten Gründen aber nicht zu-
stimmungsfähig . Ich würde mich freuen, wenn es uns
gelingt, einen Antrag auf den Weg zu bringen, der darauf
abzielt, unsere Ressourcen zu schonen und gleichzeitig
die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher zu
stärken . Elemente wie eine bessere Reparierbarkeit oder
die Förderung einer modularen Bauweise von elektroni-
schen Geräten – dann tausche ich die Handykamera aus
und nicht gleich das ganze Handy – könnten hier enthal-
ten sein .
Nehmen wir die Ressourcenschonung wirklich ernst,
zählt hierzu unbedingt, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher über die Lebensdauer von Geräten aufge-
klärt werden . So entscheiden sie entsprechend ihrem ei-
genen Verbraucherverhalten bewusst und können gleich-
zeitig einen Beitrag zum Umweltschutz leisten .
Danke .
Ralph Lenkert hat nun für die Linke das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Mein Sohn bekommt zu Weihnachten ein
neues Headset; das Mikro des alten gab zwei Monate
nach Ablauf der Garantie auf . Waschmaschinen, Kaf-
feeautomaten, Tablets und Computer gehen zu oft kurz
nach Ablauf der Gewährleistungspflicht kaputt. Dann
sind wir Kunden auf die Kulanz der Händler angewiesen,
müssen teure Reparaturen ertragen oder kaufen entnervt
neu . Manchmal stellt der Softwarelieferant einfach den
Support ein und zwingt Kunden zum Neukauf, oder er
entwickelt neue Software so, dass sie auf zwei Jahre alter
Hardware nicht funktioniert . Verschleißteile wie Akkus
oder Autolampen können nicht oder nur teuer vom Fach-
mann gewechselt werden . Dann kommt auch noch die
Bundesregierung und verändert die Frequenzbereiche für
das frei empfangbare Fernsehen . Damit wird die bisheri-
ge Technik mit einem Schlag entwertet . Entweder kaufen
Sie sich einen neuen Receiver oder neue Geräte, oder
Ihr Bildschirm bleibt ab dem 29 . März 2017 schwarz .
Mit jedem Neukauf klingelt die Kasse bei Handel und
Industrie . Deshalb halten Produkte nur eine bestimmte
Zeit, werden technische Veränderungen gnadenlos in den
Markt gedrückt . Verlierer sind wir Kunden und die Um-
welt, und das muss sich ändern .
Geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, sechs Jahre lang
war ich Entwickler und Qualitätsmanager in der Auto-
mobilzulieferindustrie, weitere sieben Jahre plante ich
Fertigungsanlagen für Objektive für Beamer . Eines war
immer gleich: Die Kunden, die Händler fordern niedrigs-
te Preise . Ihnen ist es scheinbar egal, ob Löhne sinken
müssen oder Rohstoffpreise steigen . Der Zulieferer ist
so gezwungen, Kosten zu senken . Er setzt billigeres und
weniger Material ein, klebt Gehäuse fest, statt Deckel
und Dichtung zu verschrauben . Da wird getestet, wie viel
Lötzinn man einsparen kann, sodass die Lötstelle die Ga-
rantiezeit gerade noch übersteht . Dazu kommen geplan-
te Störstellen in Geräten, Obsoleszenz genannt . Manche
Störstelle ist sinnvoll, zum Beispiel eine Sollbruchstelle
bei Achsfedern, damit im Falle eines Federbruchs nicht
der Reifen aufgeschlitzt wird . Andere Störstellen haben
nur einen Zweck: Der Kunde soll endlich neu kaufen .
Uns allen ist es egal, ob der Ausfall kurz nach der Ga-
rantie durch einen eingebauten Fehler oder durch über-
triebene Kostenreduktion verursacht wird . Deswegen,
Herr Kollege Thews, ist es Zeitverschwendung, zu versu-
chen, Firmen bewusste Fehler nachzuweisen . Die Linke
fordert deshalb, eine längere Lebensdauer für technische
Geräte gesetzlich festzulegen . Wir drehen den Spieß um:
Statt auf das Wohlwollen der Hersteller und Händler, auf
freiwillige Garantien und auf Kulanz zu setzen, fordern
wir, dass jedes technische Gerät eine verbindliche, ein-
klagbare Mindestnutzungsdauer haben muss:
für Waschmaschinen und Kühlgeräte mindestens fünf
Jahre, für IT-Geräte, Mobiltelefone und Unterhaltungs-
elektronik mindestens drei Jahre . Kühlt der Kühlschrank
nach vier Jahren nicht mehr, dann wird er kostenfrei re-
Michael Thews
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620954
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pariert, oder es gibt das Geld zurück . Wir fordern, dass
insbesondere IT-Technik und Elektronikgeräte reparier-
bar und upgradebar sein müssen . Wir fordern, dass bei
der Produktion schon an späteres Recycling gedacht
wird .
All diese Forderungen helfen übrigens auch Qualitäts-
herstellern im Wettbewerb gegen Billiganbieter . Unsere
Vorschläge für die Zeit nach der Wahl, wenn wir die Re-
gierung übernehmen, enthalten auch einen Mehrwert-
steuersatz von 7 Prozent für personalintensive Dienst-
leistungen . Das heißt, Ihre Idee, dass Reparaturen einem
niedrigeren Mehrwertsteuersatz unterliegen sollten, hat-
ten wir schon vor Jahren .
Ersparen wir den Bürgerinnen und Bürgern unnötige
Ersatzkäufe . Schützen wir mit gesetzlich festgelegten
längeren Nutzungszeiten und geringen Rohstoffverbräu-
chen unsere Umwelt . Stimmen Sie diesem Antrag der
Linksfraktion zu . Das wäre doch ein echtes Weihnachts-
geschenk für alle Bürgerinnen und Bürger, für unsere Ju-
gendlichen, für unsere Kinder und für die Umwelt .
Frohe Weihnachten .
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Gebhart für
die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Wir debattieren heute Abend einen Antrag der Lin-
ken mit dem Titel „Längere Lebensdauer für technische
Geräte“ . Ich gebe gerne zu: Der Titel klingt zunächst ein-
mal gut . Aber wenn wir uns mit dem Inhalt dieses Antra-
ges beschäftigen, dann muss ich Ihnen sagen: Der Inhalt
lässt zu wünschen übrig . Unser Ziel ist doch – ich glaube,
insofern besteht über die Parteigrenzen hinweg zunächst
einmal durchaus Einigkeit –, die Stoffkreisläufe zu
schließen. Wir wollen die Ressourceneffizienz steigern.
Wir wollen, dass Abfälle möglichst vermieden werden .
Wenn Abfälle entstehen, dann sollen sie wiederverwertet
werden . Sie sollen zu neuen Rohstoffen werden . Darin
sind wir durchaus einer Meinung .
Dazu gehört auch, dass zum Beispiel technische Gerä-
te, und zwar immer dann, wenn es Sinn macht, eine lan-
ge Lebensdauer haben sollen . Das bedeutet auch, Geräte
müssen repariert werden können, wenn sie kaputt sind,
Ersatzteile müssen verfügbar sein, wenn sie gebraucht
werden . Gerade im Elektronikbereich sollte die Verfüg-
barkeit von Ersatzteilen verbessert werden . Das ist keine
Frage .
Genauso klar ist aber, dass dies im Rahmen der eu-
ropäischen Gesetzgebung geregelt werden muss . Auf
diese Ebene gehört dieses Thema . In dem Antrag wird
gefordert, fest verbaute Akkus und Batterien zu verbie-
ten . Ich erinnere: Wir hatten hier im letzten Jahr eine
Debatte über das Elektrogesetz . Wir haben über genau
diesen Punkt diskutiert . Es gibt ja im Elektrogesetz eine
entsprechende Sollvorschrift . Aber ein darüber hinausge-
hendes Verbot können wir national nicht regeln . Ein nati-
onaler Alleingang wäre binnenmarktrechtlich überhaupt
nicht möglich . Es wäre ein unzulässiges Handelshemm-
nis . Deswegen geht Ihre Forderung, meine Damen und
Herren der Linken, an dieser Stelle völlig ins Leere .
Wir müssen noch etwas bedenken . Es macht nicht
immer Sinn, jedes Gerät möglichst lange zu nutzen .
Stattdessen kann es durchaus sinnvoll sein, dass ein be-
stimmtes Gerät durch ein neues ersetzt wird, wenn zum
Beispiel durch das neue Gerät während der Lebensphase
Energie eingespart wird oder wenn das neue Gerät einen
zusätzlichen Nutzen für den Verbraucher bringt, wenn es
zusätzliche Funktionen hat . Also warum sollte dann ein
altes Gerät nicht durch ein neues ersetzt werden?
An dieser Stelle gibt es übrigens im Antrag der Linken
einen Widerspruch . Auf diesen möchte ich hinweisen .
Zunächst einmal wollen Sie die längst mögliche Haltbar-
keit von Geräten vorschreiben, und dann wollen Sie den
Kauf von neuen, energieeffizienten Geräten für bestimm-
te Personengruppen fördern . Konsequent ist dies nicht .
Die Linke setzt vor allem auf Staatswirtschaft . Sie for-
dern in Ihrem Antrag erneut Ihre Ressourcenverbrauchs-
abgabe für Primärrohstoffe, wie Sie es nennen .
Wie Sie diese Abgabe ausgestalten wollen, dazu schwei-
gen Sie komplett .
Meine Damen und Herren, diese Abgabe, die Sie ein-
führen wollen, wirft mehr Fragen auf, als Sie Antwor-
ten dazu geben können, was die Ausgestaltung und die
Umsetzung angeht . Wenn man die Sache zu Ende denkt,
so muss ich sagen, ist wirklich zu befürchten, dass eine
solche Abgabe vor allem eines befördern würde, nämlich
ein unheimliches Maß an Bürokratie .
Sie wollen eine Rekommunalisierung der Kreislauf-
wirtschaft; auch darüber haben wir oft debattiert .
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Eine Rekom-
munalisierung der Kreislaufwirtschaft hilft weder der
Umwelt noch nützt sie dem Verbraucher .
Vor allem schaffen Sie damit eben nicht die notwendige
Innovation in unserem Land, die wir in diesen Bereichen
dringend brauchen .
Die Linke fordert in ihrem Antrag, dass Haushalte mit
geringem Einkommen beim Kauf von Elektrogeräten
subventioniert werden sollen . Wie wollen Sie das um-
Ralph Lenkert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20955
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setzen? Auch dazu lese ich in Ihrem Antrag nichts . Ich
bin sehr für Sozialpolitik, aber nicht mit solch undurch-
dachten Mitteln, die nur zu neuen Ungerechtigkeiten und
Verzerrungen führen .
Deswegen, wenn man alles zusammennimmt: Es gibt
sehr gute Gründe, diesen heute vorliegenden Antrag
abzulehnen . Konzentrieren wir uns besser darauf, die
Kreislaufwirtschaft und die Ressourceneffizienz in unse-
rem Land sinnvoll voranzubringen .
Herzlichen Dank .
Für Bündnis 90/Die Grünen hat Peter Meiwald jetzt
das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als ich die Ausführungen eben zum Schluss
gehört habe, fiel mir folgende Interpretation ein: Konzen-
trieren wir uns lieber darauf, nichts zu machen . Das ist
ja die Konsequenz dessen, was Sie gerade gesagt haben,
weil bei der korrekten Problembeschreibung die Initiati-
ven vonseiten der Koalition einfach fehlen . Deswegen ist
sehr zu begrüßen, dass diesmal die Linken einen entspre-
chenden Antrag eingebracht haben .
Kürzlich habe ich das Repair Café im Berliner Brun-
nenviertel besucht . Dort treffen sich Menschen, die ih-
ren alten Staubsauger oder CD-Player eben nicht einfach
wegwerfen wollen, nur weil er nicht mehr funktioniert .
Im Repair Café bekommen Menschen Hilfe dabei, ihre
Geräte wieder flottzumachen. Das ist eine sehr sinnvolle
Initiative; es ist toll, dass es mittlerweile in Deutschland
so viele dieser Repair Cafés gibt . Es zeigt, dass da ein
großer Bedarf besteht .
Menschen wollen nicht mehr, dass ihre Geräte einfach ex
und hopp weggeschmissen werden, nur weil beim kleins-
ten Defekt etwas nicht mehr reparierbar ist .
Das heißt, wir haben da eine tolle Entwicklung, die wir
fördern müssen .
Leider machen es die Hersteller den Bastlern aber
häufig schwer, ebenso den Handwerksbetrieben, die es
noch gibt .
Man kann sich darüber streiten, ob sie es bewusst oder
fahrlässig tun . Auf jeden Fall tun sie es unnötigerweise .
Es ist einfach nicht nötig, dass Geräte reparaturunfreund-
lich konstruiert werden, verklebt werden, verschweißt
werden, vernietet werden, sodass man sie möglichst nicht
reparieren kann .
Selbst die Profibastler vom Reparaturportal iFixit waren
kürzlich offenbar nicht in der Lage, ein MacBook Pro
von Apple auseinanderzunehmen und wieder zusam-
menzusetzen . Es ist schon erschreckend, dass da so viele
Teile verklebt und nicht austauschbar sind . Das ist nicht
mehr zeitgemäß .
Wir reden über Ressourcenschonung, wir reden über
eine neue Gesellschaft und ökologisch-sozialen Umbau .
Dennoch werden wir in einen immer stärkeren Sog ei-
ner Gesellschaft gebracht, die immer mehr Ressourcen
verbraucht . Die Hersteller sollten stattdessen – das ist ei-
gentlich von allen gesagt worden – ihre Geräte so gestal-
ten, dass sie möglichst lange halten und reparaturfähig
sind .
Die Bundesregierung hat bereits im letzten Jahr, wie
gerade angesprochen wurde, zu Recht bei der Überar-
beitung des ElektroG unsere Gesetzesanträge und Ände-
rungsanträge und auch diejenigen der Linken abgelehnt,
die dafür sorgen sollten, dass Geräte reparierbar sein
müssen .
Sie hacken immer wieder darauf herum, dass das
nur auf europäischer Ebene zu regeln ist . Es steht aber
durchaus im Antrag der Linken, dass man die Ökode-
sign-Richtlinie anpacken muss . Es gibt also gar keinen
Grund, das als Ausschlusskriterium zu nehmen, um die-
sem Antrag nicht zuzustimmen .
Dass wir da großen Nachholbedarf haben, bestätigt
auch die Studie des Umweltbundesamtes vom letzten
Jahr, auch wenn dies immer wieder ebenso für die ande-
re Seite herangezogen wird, dass man nicht nachweisen
kann, dass das absichtlich kaputtgemacht wird .
Aber dass die Lebensdauer der Geräte immer kürzer wird,
ist unumstritten . Das bestätigen alle Experten, ebenso,
dass die Menschen damit unzufrieden sind . Also ist der
jetzt vorliegende Antrag der Linken auch ein Jahr nach
der Novelle des Elektrogesetzes aktuell und notwendig .
Dr. Thomas Gebhart
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620956
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Deswegen stimmen wir ihm auch zu .
Viele Forderungen haben wir zwar schon im Jah-
re 2013 in unserem Antrag zum geplanten Verschleiß
aufgestellt . Aber wir müssen den Trend zu einer immer
kürzeren Dauer der Nutzung von Elektrogeräten endlich
umkehren . Da passiert einfach nichts . Die Regierung kri-
tisiert Anträge, die andere Fraktionen einbringen; aber
selber tut sie nichts . Der Verweis auf das notwendige
Engagement in Europa ist ja richtig; aber er ist nicht hin-
reichend . Wir müssen viel mehr tun . Dazu gehören die
Aspekte der Reparierbarkeit sowie der Sicherstellung der
Verfügbarkeit von Ersatzteilen, Software-Updates und
ähnlichen Dingen .
Schweden – es ist gerade schon kurz angeklungen –
hat sich jetzt auf den Weg gemacht . Man hat angekün-
digt, die Mehrwertsteuer bei der Reparatur von Fahrrä-
dern, Schuhen und Kleidung um die Hälfte zu senken .
Wer einen Handwerker ins Haus kommen lässt, um sei-
ne Waschmaschine oder seinen Kühlschrank reparieren
zu lassen, zahlt für die Arbeitsstunden künftig weniger .
Das ist genau der richtige Weg . Wir leben in einer Ge-
sellschaft, in der wir den Ressourcenverbrauch immer
billiger und den Faktor Arbeit immer teurer machen . Das
müssen wir endlich umkehren .
Die schwedische Regierung tut etwas für die Ressour-
censchonung und für den Arbeitsmarkt. Ich finde, das ist
eine gute Idee . Darüber sollten wir nachdenken und nicht
einfach sagen: Das geht alles nicht .
Was uns im Antrag der Linken etwas zu kurz kommt,
ist die Verantwortung der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher . Dieses Thema ist in der Tat eine gute Möglichkeit,
auch über das Mindesthaltbarkeitsdatum zu reden und
die Verbraucher durch mehr Transparenz überhaupt in
die Lage zu versetzen, eine bewusste Entscheidung zu
treffen: Kaufe ich das Billigprodukt, oder kaufe ich ein
Produkt, das etwas länger hält? Das lässt sich heutzutage
am Preis nicht ablesen; denn es gibt auch teure Produkte,
die schnell kaputtgehen . Das ist ein Punkt, den man noch
ergänzen kann .
Umweltministerin Hendricks sieht das offensichtlich
genauso . Wenn man das Integrierte Umweltprogramm
liest, stellt man fest: All das findet sich darin wieder. Nur:
Leider muss man davon ausgehen, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Regierungskoalition, dass es ein weiteres
Ankündigungsprogramm bleibt, –
Herr Kollege .
– wenn man all die konkreten Schritte, die nötig sind,
um dieses Programm umzusetzen, in diesem Haus ab-
lehnt . Ich hoffe, dass wir auch dazu demnächst eine Ini-
tiative von Ihnen sehen werden .
Vielen Dank .
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Josef Göppel für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident Lammert! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Ich bin den Linken eigentlich dankbar, dass sie
dieses Thema mit ihrem Antrag auf die Tagesordnung
gebracht haben . Es ist ja auch das gute Recht der Oppo-
sition, auf Schwachpunkte hinzuweisen . Das Thema, um
das es heute geht, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein
Schwachpunkt .
Ein Beispiel: An der Stelle, an der ein Kabel aus ei-
nem Kopfhörer kommt, ist ein Stück von 0,5 Zentime-
tern nicht mit der Plastikwand umgeben . Dieses Stück
scheuert natürlich zuerst durch, und dann ist der ganze
Kopfhörer plötzlich nicht mehr brauchbar . Für mich als
einen konservativen Menschen ist die Langlebigkeit von
Produkten praktisch seit der Kinderzeit ein Gebot . Bei
uns auf dem Land ging man sparsam mit den Dingen um .
Das begann bei den geflickten Hosen und hat sich über
Geräte aller Art fortgesetzt .
Wir haben uns in den Wohlstandsjahrzehnten von die-
sen Dingen entfernt . Deswegen möchte ich Ihnen, Herr
Kollege Meiwald, sagen: Sie müssen nicht so traurig
sein . Auch die Konservativen sehen in der Langlebig-
keit von Produkten ein wichtiges Ziel, vor allem deshalb,
weil das Handwerk ja auch eine politische Klientel der
Konservativen ist .
Ich bin überhaupt der Meinung, dass die Leute, die
Repair Cafés betreiben, die Vorreiter der künftigen Wirt-
schaftsweise sind .
Die Ergebnisse, die das Umweltbundesamt in seiner Stu-
die „Einfluss der Nutzungsdauer von Produkten auf ihre
Umweltwirkung“ herausgefunden hat, sagen klar aus,
dass der Rohstoffaufwand, den man für ein neues Pro-
dukt braucht, die Energieeinsparung, die man mit dem
neuen Gerät erzielt, in vielen Fällen aufwiegt .
Es gibt ja auch die Liebhaber alter Autos, die sagen: Ich
fahre meine alte Kiste lieber 15 Jahre lang; letztlich bin
ich der bessere Umweltschützer .
Peter Meiwald
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20957
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Es ist wohl so, wie mein Kollege Dr . Gebhart aus-
führt: Man muss eine Abwägung treffen: Was ist tatsäch-
lich sinnvoll, und wo wird politisch eingegriffen werden
müssen? Und dazu möchte ich noch einmal kommen .
Auch wenn in dem Elektronikgesetz national nur eine
Sollvorschrift möglich ist: Verklebte Akkus, die man
nicht austauschen kann, sind nicht im Sinne der Kreis-
laufwirtschaft .
Das sind Produkte, die nicht in unsere moderne Wirt-
schaft passen . Die Reparaturfähigkeit muss ein Kennzei-
chen der neuen Wirtschaft werden .
Ein Zweites . Ich bin nach Rücksprache mit einigen,
die in dieser Branche tätig sind, auch der Meinung, dass
eine feste Aussage eines Herstellers, wie lange sein Pro-
dukt brauchbar sein wird, sehr viel bringen würde . Das
ist dann ein Mittel im Wettbewerb . Wer auf seinem Pro-
dukt eine gewisse garantierte Lebensdauer angibt, setzt
sich positiv ab von Mitbewerbern, die das nicht machen .
Deswegen passt das auch sehr wohl in unser System .
Ich denke, wenn wir auf dieser Basis an dem Antrag
weiterarbeiten und das Thema noch einmal aufgreifen,
dann werden wir das erreichen, was wir letztlich wollen,
nämlich dass Deutschland, führend in vielen Bereichen
der Wirtschaft auf der Welt, in den Augen der Menschen
auch in der Verlässlichkeit führend ist . Denn nichts ärgert
Leute mehr, als wenn aufgrund einer winzigen Kleinig-
keit an einem Produkt etwas weggeworfen werden muss,
was offensichtlich im Übrigen noch funktionieren würde .
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Längere Lebensdauer für technische Geräte“ . Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der
Drucksache 18/10666, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf der Drucksache 18/9179 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition angenommen .
Der Tagesordnungspunkt 15 ist abgesetzt worden .
Wir kommen jetzt zu den Zusatzpunkten 4 a und 4 b:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zum Schutz vor Manipulationen an digita-
len Grundaufzeichnungen
Drucksachen 18/9535, 18/9957, 18/10102
Nr. 18
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses
Drucksache 18/10667
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas
Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Betrug mit manipulierten Registrierkas-
sen gesetzlich verhindern – Zeitgleich Ab-
schreibungsregeln für geringwertige Wirt-
schaftsgüter verbessern
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas
Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Umsatzsteuerbetrug bekämpfen
Drucksachen 18/7879, 18/1968, 18/10667
Auch das soll in 25 Minuten behandelt werden . – Das
Einvernehmen stelle ich hiermit fest .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Uwe Feiler für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dass der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz
vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen
zunächst relativ abstrakt erscheint, kann ich in Anbe-
tracht dieses durchaus sperrigen Titels grundsätzlich
nachvollziehen . Doch der erste Eindruck täuscht . Jeder
von uns kommt mehrfach mit diesen Grundaufzeichnun-
gen in Berührung . Egal ob sich morgens beim Bäcker ein
Brötchen oder ein Kaffee gekauft wird oder ob abends
ein Bier in der Kneipe bestellt wird: Abgerechnet wird
meist mithilfe elektronischer Kassensysteme .
Nachdem mich dieses Thema seit über eineinhalb Jah-
ren intensiv beschäftigt, ertappe ich mich mittlerweile
selbst dabei, mir im Restaurant, am Kiosk oder im Su-
permarkt genau anzusehen, welches Kassensystem ver-
wendet wird und wie die Abläufe in diesem Geschäft
funktionieren .
Die große Mehrzahl der Unternehmer und Unterneh-
merinnen kommt ihren Verpflichtungen anstandslos nach
und rechnet gegenüber den Finanzbehörden auch ord-
nungsgemäß ab . Leider gibt es aber auch, wie überall im
Leben, schwarze Schafe, die meinen, den einen oder an-
deren Euro am Fiskus vorbei vereinnahmen zu können .
Dass es Betrugsfälle gibt, ist unumstritten und zeigt auch
den Handlungsbedarf auf . Die Kunst bei diesem Gesetz
war es, ein Verfahren zu entwickeln, das deutlich macht,
was für Anforderungen wir sowohl an die Hersteller von
elektronischen Kassensystemen als auch an die Unter-
Josef Göppel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620958
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nehmer stellen, die derartige Geräte zukünftig einsetzen .
Gleichzeitig sollten aber auch weiter Verkäufe in Hoflä-
den, bei Dorffesten oder in Vereinsgaststätten möglich
sein, ohne dass jeder Wurstverkäufer eine Registrierkas-
se mit sich herumtragen muss .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist uns meines
Erachtens ein guter Kompromiss gelungen, der Betrug
wirksam unterbindet, Unternehmen Investitionssicher-
heit bietet und Lösungen von großen Handelsketten bis
zu Kleinstunternehmen erlaubt . Mein Dank geht deshalb
nicht nur an den Koalitionspartner für die Einigungsbe-
reitschaft, sondern auch an das Bundesfinanzministeri-
um, das uns geduldig zahlreiche Nachfragen beantwor-
tet und mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat . Einige
Punkte möchte ich besonders hervorheben:
Erstens . Ab dem 1 . Januar 2020 besteht für all die-
jenigen, die über ein elektronisches Kassensystem ver-
fügen, die Verpflichtung, ein Kassensicherungssystem
zu verwenden, das Manipulationen ausschließt . Durch
die manipulationssichere Aufzeichnung jedes einzelnen
Geschäftsvorfalls kann die Finanzverwaltung künftig lü-
ckenlos nachvollziehen, welche Eingaben in die Kasse
erfolgten .
Für diejenigen, die erst in jüngerer Vergangenheit ein
Kassensystem angeschafft haben, sehen wir eine Über-
gangsfrist bis zum 1 . Januar 2023 vor . Damit schützen
wir getätigte Investitionen innerhalb des normalen Ab-
schreibungszeitraumes, setzen aber auch klare Fristen
für die notwendigen Umstellungen, auf die sich alle jetzt
sechs Jahre lang vorbereiten können .
Zweitens . Dafür ziehen wir gegenüber dem Regie-
rungsentwurf die Kassennachschau vom 1 . Januar 2020
auf den 1 . Januar 2018 vor . Die Finanzverwaltungen der
Länder haben somit die Möglichkeit, das Kassensystem
vor Ort in Augenschein zu nehmen, Testeinkäufe zu tä-
tigen und die ordnungsgemäße Aufzeichnung der Ge-
schäftsvorfälle zu kontrollieren .
Drittens. Wir führen eine Meldepflicht für die einge-
setzten elektronischen Aufzeichnungssysteme beim zu-
ständigen Betriebsstättenfinanzamt ein. Damit erschwe-
ren wir die Benutzung von Zweit- und Nebenkassen .
Viertens . Wir schaffen aber auch praktikable Lösun-
gen für besondere Fälle . Beim Verkauf von Waren an
eine Vielzahl nicht bekannter Personen gegen Barzah-
lung entfällt die Einzelaufzeichnungspflicht. Die offene
Ladenkasse bleibt also möglich . So muss beim Schützen-
fest auch in Zukunft nicht jedes ausgegebene Bier oder
jede Bratwurst in der offenen Ladenkasse verzeichnet
bzw . erfasst werden . Das Gleiche gilt für die Kasse des
Vertrauens auf Feldern . Hier würde eine Aufzeichnungs-
pflicht eine unbillige Härte darstellen und den Verkauf
von Waren unnötig erschweren, wenn nicht sogar gänz-
lich verhindern .
Fünftens. Eine Kassenanschaffungspflicht besteht
auch in Zukunft nicht . Jedoch ist der Unternehmer bei
der Benutzung von elektronischen Kassen künftig ver-
pflichtet, einen Beleg auszugeben. Die Finanzbehörden
können jedoch nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß
§ 148 der Abgabenordnung den Unternehmer von der
Belegausgabepflicht befreien, wenn das unzumutbar er-
scheint . Der Bäcker von der Ecke muss also auch in Zu-
kunft nicht für jedes 20-Cent-Brötchen zwingend einen
Beleg ausgeben .
Meine Damen und Herren, wir schließen heute ein
Gesetzesverfahren ab, bei dem Genauigkeit vor Schnel-
ligkeit stand .
Alle gesetzlichen Regelungen und technischen Lö-
sungen helfen jedoch nicht, wenn keine hinreichende
Kontrolle erfolgt . Die Länder sind jetzt aufgefordert,
die wirksamen Instrumente Meldepflicht und insbeson-
dere Kassennachschau zu nutzen, damit sich das Entde-
ckungsrisiko bei Steuerbetrug deutlich erhöht .
Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf
und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank .
Richard Pitterle ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Stellen
Sie sich vor, Sie gehen nach der Bundestagsdebatte in
eine Kneipe und trinken dort drei Bier . Es kann dann gut
sein, dass beim Finanzamt am Ende nur die Steuern für
ein oder zwei Biere ankommen .
Es ist ein offenes Geheimnis, dass insbesondere in
der Gastronomie bei der steuerlichen Abrechnung viel
Schindluder getrieben werden kann . Das geht ganz ein-
fach: Für elektronische Registrierkassen kann man die
Schummelsoftware, die die eingegebenen Umsätze nach
unten korrigiert, oft gleich mitbestellen, und wenn man
nur eine offene Ladenkasse hat und von Hand Buch führt,
dann ist dem Steuerbetrug ohnehin Tür und Tor geöffnet .
10 Milliarden Euro: Das ist die geschätzte Summe, um
die der Fiskus jedes Jahr durch Kassenmanipulationen
betrogen wird . Bereits 2003 hat der Bundesrechnungs-
hof darauf hingewiesen . Doch erst jetzt, 13 Jahre später,
kommt die Bundesregierung mit diesem schwachen Ge-
setzentwurf daher .
Das war und ist schlicht Arbeitsverweigerung . Das lässt
Ihnen die Linke so nicht durchgehen .
Jetzt zum Inhalt des Gesetzes, das eigentlich der Be-
kämpfung des Steuerbetrugs durch Kassenmanipulation
dienen soll . Als wir hier vor knapp drei Monaten zum
Uwe Feiler
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ersten Mal darüber debattiert haben, hieß es: „Ziel ver-
fehlt … klar und deutlich .“
Nun hat die Große Koalition in den letzten Wochen
noch ein wenig an dem Gesetz herumgedoktert, und wie-
der heißt es: „Die CDU hat alles darangesetzt, einzelne
Schlupflöcher offenzuhalten.“
Diesen beiden Einschätzungen stimme ich voll zu .
Leider stammen sie nicht von mir, sondern von den ge-
schätzten Kollegen der SPD, die sich leider nicht gegen
die Bremser aus der CDU/CSU durchsetzen konnten .
Meine Damen und Herren, die Große Koalition steht für
steuerpolitischen Stillstand . Das ist die traurige Wahrheit .
Aber genug zu Ihrer gescheiterten Ehe .
Insbesondere zwei Punkte machen das Gesetz
schwach .
Erstens. Sie führen zwar eine Belegausgabepflicht für
die Registrierkassenbesitzer ein, sodass für fast jeden
Umsatz zwingend ein Beleg ausgegeben werden muss .
Grundsätzlich sind Umsätze so schwieriger zu verschlei-
ern . Gleichzeitig führen Sie aber keine allgemeine Re-
gistrierkassenpflicht ein. Soll heißen: Wer weiter fröhlich
Steuern hinterziehen will, führt eben im wahrsten Sinne
des Wortes Buch und frisiert die Einnahmen per Bleistift .
Dem wäre durch eine Registrierkassenpflicht ein Riegel
vorgeschoben .
Für kleine Gewerbetreibende wie den Bratwurstver-
käufer oder für den gemeinnützigen Sportverein, für die
das einen enormen Aufwand bedeuten würde, könnte
man immer noch Ausnahmen machen, zum Beispiel in
Anlehnung an einen bestimmten maximalen Jahresum-
satz .
Zweitens . Ein Schwerpunkt des Gesetzes soll ei-
gentlich sein, Kassensysteme auch gegen nachträgliche
Manipulation fälschungssicher zu machen . Die Große
Koalition will sich hier noch nicht auf ein bestimmtes
System festlegen und bezeichnet ihren Ansatz als „tech-
nologieoffen“ .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, „technologiefern“
würde eher zutreffen .
Mit dem INSIKA-Projekt ist längst eine nutzbare
Technologie zur Verhinderung der Kassenmanipulation
vorhanden . INSIKA steht für „Integrierte Sicherheits-
lösung für messwertverarbeitende Kassensysteme“ . Es
wurde mit Steuermitteln entwickelt, ist seit mehreren
Jahren erprobt, lizenzfrei und quasi ab sofort verfügbar .
Dass Sie stattdessen bei der Entwicklung ganz von vorne
anfangen wollen, ist für die Linke nicht hinnehmbar .
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
Ihr Gesetz bleibt somit nur ein Tropfen auf den heißen
Stein . Die Linke fordert weit mehr im Kampf gegen
Steuerhinterziehung . Wir können Ihrem Gesetz daher
nicht zustimmen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Lothar Binding erhält nun das Wort für die SPD-Frak-
tion .
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richard Pitterle, es
stimmt: Große Lösungen kann man manchmal auch mit
kleinen Schritten erreichen . Das machen wir heute .
Die Hauptsache ist, dass man ankommt .
Ich wollte zunächst Andreas Schwarz danken, der uns
heute vor seiner Grippe bewahren will und deshalb zu
Hause geblieben ist . Er ist der Berichterstatter für diesen
Tagesordnungspunkt . Ich wollte ihm von hier aus alles
Gute wünschen . Gute Besserung! Wir hätten ihn heute
gebraucht, aber ich versuche, ihn zu ersetzen .
Er hat mit starkem Gegenwind sehr gut verhandelt; das
muss man sagen, denn die CDU hat sich wirklich nicht
leichtgetan, das Gesetz, selbst so, wie es jetzt ist, mitzu-
tragen .
Ich möchte aber auch Uwe Feiler danken . Als Finanz-
beamter hat er fair bis zum Ende verhandelt . Auch für ihn
war es nicht immer leicht; das kann sich jeder vorstellen .
Das fängt schon mit dem Titel an – das hat er erwähnt –:
„Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen
Grundaufzeichnungen“ . Man hätte auch einfach sagen
können: „Gesetz gegen Kassenbetrug“ . Oder noch bes-
ser: „Gesetz gegen Betrug beim Bezahlen“ oder „ . . . beim
Richard Pitterle
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Kassieren“ . Das hätte jeder sofort verstanden . Aber der
Name deutet schon an, dass man sich an dieses Thema
nicht so richtig herangewagt hat .
Das Ziel des Gesetzes ist der gleichmäßige Steuervoll-
zug . Das klingt sperrig, heißt aber, dass wir betrugsbe-
dingte Wettbewerbsnachteile vermeiden wollen .
Wir wollen einen fairen Markt . Deshalb ist dieses Gesetz,
so wie es jetzt ist, noch nicht ganz fertig, aber es ist auf
dem richtigen Weg . Wir haben Probleme in der Praxis .
Bei der steuerlichen Außenprüfung gibt es eine ganze
Reihe von Problemen . Wir haben nicht dokumentierte
Stornierungen . Wir haben nicht erkennbare Änderungen
durch Programme . Wir haben Manipulationssoftware,
also Phantomware oder Zapper . All dies stellt die gesam-
te Dokumentation im Grunde infrage . Und natürlich gibt
es die Möglichkeit, die Kasse ganz zu umgehen . Aber
dann ist es schon fast offensichtlich, was passiert .
Außerdem fehlen bisher noch gesetzliche Regelun-
gen . Es stimmt: Das hätten wir vielleicht früher machen
können . Aber man hat nicht immer alle Ideen gleich am
Anfang . Zum Beispiel ist die Unveränderbarkeit von
Informationen, die Integrität, nicht gegeben . Auch die
Herkunft der Daten, die Authentizität, ist nicht gesi-
chert . Auch das sind wichtige Voraussetzungen, die man
braucht, um sicher mit Daten umgehen zu können . Auch
die Vollständigkeit digitaler Aufzeichnungen ist nicht ge-
währleistet und auch gesetzlich nicht geregelt . Deshalb
muss man unbedingt etwas tun .
Schon bisher galt für Aufzeichnungen: Sie mussten
einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht geordnet und
auch unveränderbar sein . Es gab schon Regeln; und das
sind sehr gute Grundsätze . Angenommen, es gäbe kei-
nen Betrug, wäre alles in Ordnung . Leider werden diese
Grundsätze nicht von allen beherzigt . Keine Quittung,
keine Buchung, keine Dokumentation – all das sind
Beispiele dafür . Es kann natürlich, wie jeder weiß, vor-
kommen, dass man vergisst, dem Finanzamt Umsätze
zu melden . Das könnte im Prinzip jedem passieren . Und
gelegentlich bekommt man auch zu hören: „Bei uns nur
Cash!“ Dann schaue ich genauer hin und frage mich –
ich hoffe, da geht es mir so wie Ihnen –: Was läuft hier
eigentlich ab? – Ich bin ja kein Testkäufer, aber in diesem
Moment wäre ich gerne einer gewesen .
Mit diesem Gesetz – das ist der erste große Schritt –
wollen wir die Einzelaufzeichnungspflicht auch für elek-
tronische Aufzeichnungssysteme, also für Kassen, Taxa-
meter usw ., verankern . Dafür haben wir uns sehr massiv
eingesetzt . Die CDU/CSU hat sich anfangs ein bisschen
schwergetan . Aber wir wollen im Prinzip, dass alle elek-
tronischen Aufzeichnungssysteme und die digitalen Auf-
zeichnungen selbst durch zertifizierte technische Sicher-
heitseinrichtungen geschützt werden, sodass man davon
ausgehen kann: Das ist ein System, in dem man sich aus-
kennt und bei dem man weiß, was passiert .
Die Einzelaufzeichnungspflicht gilt zwar nach den
GoB, den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung,
schon jetzt . Seit den 60er-Jahren gibt es aber eine vom
BFH bestätigte Ausnahme . Das ist auch klug; denn es
gibt ja Leute, die mit ganz geringen Werten handeln: zum
Beispiel Zeitungskioske oder ein Erdbeerverkäufer, der
vielleicht mit einer Untertasse am Straßenrand Erdbeeren
verkauft . Für diese wollen wir die Einzelaufzeichnungs-
pflicht natürlich nicht. Interessant ist, dass diese Ausnah-
me bei elektronischen Kassen aber nicht gilt . Was wür-
den Sie also machen, wenn sie bei diesen nicht gilt? Ich
habe eine ganz einfache Antwort: Kasse weg, dann gilt
die Ausnahme .
Man merkt: Hier gibt es eine Lücke im System, über
die wir nachdenken müssen; denn wenn wir diese Art
von Lücken weiter dulden, dann erreichen wir mit unse-
rem Gesetz das gewünschte Ziel nicht . Deshalb wollen
wir bei allen elektronischen Kassen eine Belegausgabe-
pflicht, um das Entdeckungsrisiko bei Betrug zu erhöhen.
Was das angeht, habe ich nie verstanden, warum sich die
CDU/CSU so vehement dagegen gewehrt hat, und zwar
gegen den Rat aller Experten und auch gegen die Forde-
rungen des Bundesrates .
Die Pflicht zur Belegausgabe bei elektronischen Kas-
sen gilt – das ist ein schöner SPD-Erfolg –; aber bei un-
verhältnismäßiger Härte und bei offenen Kassen gilt die-
se Pflicht nicht. Das ist eine Verwässerung, die wir gerne
verhindert hätten . Vielleicht kann der Kollege Güntzler
nachher erklären, warum der Gesetzentwurf an dieser
Stelle so verwässert wurde . Ich sage: Dabei handelt es
sich um zwei Pyrrhussiege . – Jeder weiß ja: Pyrrhus sieg-
te in der Schlacht bei Asculum über die Römer, und dann
ging er nach Hause und sagte: „Noch so ein Sieg, und
wir sind verloren!“ Da muss man also aufpassen, dass die
CDU/CSU nicht noch weitere Siege davonträgt .
Sehr gut ist die Pflicht zur Kassenregistrierung. Es
gibt eine Meldepflicht beim Finanzamt, weil wir verhin-
dern wollen, dass man mit einer Zweitkasse an der ersten
Kasse vorbeiarbeiten kann . Das ist sehr gut . Allerdings
gibt es – das wurde schon gesagt – keine allgemeine Kas-
senpflicht. Damit hat man auch diese gute Idee teilweise
wieder konterkariert . Das ist schlecht .
Schlecht finden wir auch, dass INSIKA, das ein gu-
tes Verfahren ist, jetzt per Gesetz für einige Jahre aus-
geschlossen wird . Herr Pitterle hat schon etwas dazu ge-
sagt; deswegen gehe ich jetzt nicht im Detail darauf ein .
Zusammenfassend könnte man sagen: Stattdessen warten
wir per Gesetz darauf, dass Unternehmen eine kompli-
zierte Software entwickeln, die den ersten Tastendruck
registriert, um den Beleg mit einem Sicherheitsmerkmal
auszustatten . Leider haben wir das aber bisher nicht . Sie
haben vorhin gesagt, der Gesetzentwurf sehe ein entspre-
chendes Verfahren vor . Nein, laut Gesetzentwurf warten
wir darauf, dass Unternehmen ein Verfahren entwickeln,
das wir dann benutzen wollen . Das heißt im Prinzip, dass
wir bis zum Jahr 2020 nichts oder zu wenig haben . Das
ist nicht gut .
Was sehr gut ist, ist, dass die unangekündigte Kassen-
nachschau kommt . Der Prüfer kann die Kasse sozusa-
Lothar Binding
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20961
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gen spontan prüfen . Im Entwurf stand – da habe ich das
BMF nicht verstanden –: ab 2020 . Eigentlich könnten die
Prüfer doch schon in der nächsten Woche damit begin-
nen . Wir haben dann in kleinteiligen Verhandlungen das
auf 2018 verkürzt . Ich frage mich genauso wie Andreas
Schwarz: Warum gilt das nicht ab dem 1 . Januar 2017?
Im Grunde haben die Gauner ein Jahr gewonnen .
Da weder der Anwendungsbereich des Gesetzes de-
finiert wurde, noch die technischen Spezifikationen als
Grundlage für das Gesetz bekannt sind, gibt es einen
Beschluss der ganz besonderen Art . – Frau Präsidentin,
da ich sehe, dass ein Minuszeichen bei meiner Redezeit
steht, komme ich zu meinem letzten Satz: Normalerwei-
se kann die Verwaltung oder die Regierung eine Rechts-
verordnung erlassen . Wir haben nun einen ganz beson-
deren Beschluss vorliegen, der auf eine Idee von Ralph
Brinkhaus und Andreas Schwarz zurückgeht . Wir haben
gesagt: Die Ermächtigung der Verwaltung, eine Rechts-
verordnung zu erlassen, steht unter dem Zustimmungs-
vorbehalt des Bundestages . Das heißt, wenn das Gesetz
scharf geschaltet wird, wird der Bundestag noch einmal
gefragt . Aufgrund dieser wirklich guten Idee kann man,
wie wir denken, diesem Gesetzentwurf zustimmen und
dann auf die Ausgestaltung warten .
Weil Weihnachten kurz bevorsteht, mache ich eine
ganz besondere Abschlussbemerkung . Wir alle erleben in
diesem Parlament, dass wir nach jeder Rede ein Protokoll
bekommen. Ich finde, die Betreffenden machen eine ge-
niale Arbeit . Wenn ich sehe, wie unsere Reden hier pro-
tokolliert werden, kann ich nur sagen: Das ist einmalig
gut . Dafür will ich mich beim Protokolldienst bedanken .
Ich wünsche allen schöne Weihnachten .
Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Dr . Thomas Gambke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuschauer auf den Rängen und vielleicht noch spä-
ter in der Mediathek! Das zur Diskussion stehende The-
ma ist wirklich bedeutsam . Zu diesem Schluss kommt
man, wenn man den Experten und nicht der Union zu-
hört . Die Experten sagen nämlich, dass sich der Scha-
den durch Umsatzsteuerbetrug auf 10 Milliarden Euro
und mehr belaufen könnte . Ich hätte mir gewünscht, dass
heute der Kollege Brinkhaus hier geredet hätte, von dem
ich immer wieder gehört habe, dass er diese Zahl anzwei-
felt . Ich hätte gerne seine Begründung gehört .
Ich kann mir jedenfalls nicht erklären, warum die Uni-
on noch vor einem Jahr dieses Thema einfach negiert und
eine Pressemitteilung herausgegeben hat, in der sie die
von allen 16 Ländern einstimmig vorgetragene Forderung
nach Maßnahmen gegen manipulierte Kassen ablehnte?
Die Union hat gesagt: Für uns existiert dieses Thema
nicht; dagegen können wir nicht vorgehen . – Wenn Sie
das 2003 gesagt hätten, als die Digitalisierung noch kein
Thema war, dann hätten wir vielleicht Verständnis dafür
gehabt .
Nachdem man sich aber in den letzten zwei, drei
Jahren anschauen konnte, wie einfach Kassen manipu-
liert werden können, muss man zunächst einmal zu dem
Schluss kommen, dass solche Manipulationen sich nicht
nur auf die schon genannten Betriebe der Gastronomie
oder aus dem Taxigewerbe beschränken . Wenn man dann
noch weiß, dass fast die Hälfte derjenigen, die eine Kasse
erwerben wollten, sofort nach der entsprechenden Soft-
ware gefragt haben, dann muss man doch einsehen, dass
es offenbar ein tiefgreifendes Problem gibt und dass wir
gut daran tun, zu versuchen, dem endlich einen Riegel
vorzuschieben .
Wenn wir Grüne dem vorliegenden Gesetzentwurf in
der ausgehandelten Form zustimmen werden, dann tun
wir das mit ziemlichen Bauchschmerzen . Warum? Es ist
Gott sei Dank in den Verhandlungen gelungen – dafür bin
ich der Sozialdemokratie und vor allen Dingen den Län-
dern sehr dankbar –, endlich eine Belegausgabepflicht
durchzusetzen . Ich habe nie verstanden, liebe Kollegen
von der Union, warum Ihnen das so schwergefallen ist .
Das Gleiche gilt für das Registrierkassenverzeichnis;
dabei gibt es noch nicht einmal eine Registrierkassen-
pflicht. Das waren unsere Forderungen. Ich freue mich
sehr, dass wir sie durchsetzen konnten .
Was ich überhaupt nicht verstehe, ist, dass Sie stän-
dig auf das Kosten- und Umsetzungsargument verwiesen
haben . Jetzt haben wir aber die Situation – jeder, der bei
der Anhörung dabei war, weiß, dass das die Sachverstän-
digen, gerade auch die des Bundesamtes für Sicherheit in
der Informationstechnik bestätigt haben –, dass wir kein
zertifiziertes System haben. Die Sachverständigen konn-
ten auch nichts zu den Kosten und dazu sagen, wie lange
das dauern wird, bis ein zertifiziertes System vorliegen
wird; Kollege Binding hat darauf hingewiesen . Dabei
existiert ein solches System . Es hat den Beweis für sei-
ne Funktionstüchtigkeit in Hamburg angetreten . Es hat
dazu geführt, dass der Wettbewerb dort endlich wieder
fair vonstattenging .
– Aber es war fair und hat funktioniert, Herr Kollege . –
Es funktioniert in der gewünschten Art und Weise . Sie
haben das bestritten; aber die Experten haben uns das
bestätigt . Ich glaube da eben nicht so sehr dem Steuerju-
risten als vielmehr dem Experten, der vor Ort ist und sich
mit dem Thema auseinandersetzt .
Insofern, meine Damen und Herren, haben wir hier
ein Gesetz vorliegen, das absolut in die richtige Richtung
geht . Wir wollen fairen Wettbewerb . Wir wissen, dass
wir jetzt noch daran arbeiten müssen, bestimmte Dinge
zu regeln . Ich freue mich, dass darüber noch im Deut-
Lothar Binding
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620962
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schen Bundestag entschieden wird . Wir müssen uns jetzt
anschauen, ob bei der Durchführung wirklich etwas Ver-
nünftiges herauskommt . Es wäre sehr wichtig, dass das
passiert .
Ich sage noch einmal: Die Wettbewerbsverzerrung,
die wir im Bereich der Umsatzsteuer haben, ist nicht
hinnehmbar . Das betrifft eben nicht nur die Gastronomie
und nicht nur das Taxigewerbe, sondern der Umsatzsteu-
erbetrug mit manipulierten Kassen kann auch viel weiter
um sich gegriffen haben . Sie beklagen es immer; aber
wir müssen es dann auch einfach umsetzen: Der Steu-
erunehrliche muss endlich dazu gebracht werden, steu-
erehrlich zu werden . Dafür ist ein erster, wichtiger Schritt
getan worden . Ich hoffe, dass wir im weiteren Verlauf zu
einem Gesetz kommen, das dann auch wirklich umsetz-
bar ist und seinen Zweck erfüllt .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Fritz Güntzler,
CDU/CSU-Fraktion, die Gelegenheit, dazu Stellung zu
nehmen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Gambke hat die 10 Milliarden Euro an-
gesprochen, die den Haushalten jährlich verloren gehen
sollen . Ich möchte gern darauf Bezug nehmen . Wenn Sie
an der Anhörung teilgenommen haben,
dann wissen Sie, dass wir den Bundesrechnungshof ge-
fragt haben, wie er auf die 10 Milliarden Euro komme .
Es kam keine konkrete Antwort, sondern nur der Hin-
weis, man habe eine Stichprobe bei 40 oder 47 Unterneh-
men gemacht . Man glaubt also, auf dieser Grundlage die
Summe hochrechnen zu können . Von daher: Vorsicht an
der Bahnsteigkante!
Ich würde auch davor warnen, hier den Eindruck zu
erwecken, dass alle Unternehmer, die eine Kasse führen,
per se Steuerhinterzieher sind .
Es gibt die Fälle, aber man muss diese auch einordnen .
Von daher ist es klug, einen Kompromiss zu finden – wie
dieser aussieht, hat Uwe Feiler ja vorhin sehr deutlich
dargestellt –, damit man den Steuerehrlichen nicht noch
bestraft und mit zusätzlicher Bürokratie belastet . Man
muss vielmehr einen vernünftigen Ausgleich hinbekom-
men, sodass man das Ziel, über das wir uns alle einig
sind, erreicht, ohne die Belastung der ehrlichen Steuer-
pflichtigen zu stark zu erhöhen. Ich glaube, das bekom-
men wir hier gut hin .
Es ist richtig, dass wir Manipulationen verhindern
müssen . Die Dinge, die uns geschildert worden sind, sind
wirklich abenteuerlich . Schauen Sie sich die Manipulati-
onssoftware Phantomware an: Sie müssen Tetris spielen,
danach kommen Sie auf eine andere Ebene, und dann
werden Ihnen die Umsätze und Materialaufwendungen
auf Wunsch geschmeidig gemacht, sage ich einmal, also
angepasst . – Das kann nicht funktionieren . Da müssen
wir eine Lösung finden. Die haben wir jetzt auch gefun-
den .
Wir haben eine technologieoffene Lösung, was ich gut
finde. Wir haben eine herstellerunabhängige Lösung und
eine kostengünstigere Lösung als das INSIKA-Verfah-
ren . So jedenfalls heißt es in der Gesetzesbegründung der
Bundesregierung . Und wir suchen ein sichereres Verfah-
ren, in das sich nicht jeder reinhacken kann . All das war
mit INSIKA nicht gegeben . Daher glaube ich, dass wir
auf einem guten Weg sind .
Wir müssen auch beachten, welchen Umfang dieses
Gesetz annimmt, wen wir alles damit treffen . Wir haben
in Deutschland ungefähr 400 000 Einzelhandelsbetrie-
be und ungefähr 250 000 gastronomische Betriebe . Die
müssen wir im Blick haben . Ich habe das vorhin schon
einmal erwähnt . Von daher ist es richtig, keine generel-
le Registrierkassenpflicht einzuführen. Das klingt per se
ganz gut, aber wir treffen eben auch viele Kleine . Ich will
nicht nur die Sportvereine nennen . Der Deutsche Fuß-
ball-Bund war ja bei der Anhörung anwesend und sagte,
dass der Verkauf auf dem Sportplatz ein Problem sei . Bei
einem Volksfest oder einem Stiftungsfest, das ein Verein
veranstaltet, kommt man schnell über die Umsatzgrenzen
hinaus, die mal diskutiert worden sind . Dann gibt es das
Problem bei den einzelnen Vereinen .
Wir brauchen nur über die Grenze zu schauen . Die Ös-
terreicher haben das mit großem Bohei eingeführt . Aber
was finden wir jetzt vor? Mittlerweile hat das Schreiben
des österreichischen BMF 95 Seiten . Als wir angefangen
haben, zu diskutieren, waren es noch 67 Seiten . Weil die
Ausnahmen immer mehr werden, ist der Umfang an-
gewachsen . Die Ausnahmen betreffen den Umsatz im
Freien, Hüttenumsätze und ganz viele tolle Dinge . Diese
Ausnahmetatbestände würden wir auch hier in Deutsch-
land schaffen; denn der politische Druck auf uns alle
wäre sehr groß, weil wir Leute in den Vereinen treffen
würden, die wir gar nicht treffen wollen .
Stattdessen machen wir hier Politik mit Augenmaß und
sind froh, dass wir die Sozialdemokraten dazu bringen
Dr. Thomas Gambke
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20963
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konnten, diesen Weg mitzugehen und nicht wieder über-
bordende Bürokratie aufzubauen .
Deutlich muss aber auch sein, dass das Ganze kein
Allheilmittel ist . Der Kollege Binding hat ja darauf
hingewiesen: Ein großes Problem sind – das muss man
ehrlicherweise sagen – Einnahmen, die gar nicht erfasst
werden .
Egal, wie gut ein Kassensystem ist: Wenn eine Einnahme
kassemmäßig gar nicht erfasst wird, ist das ein Problem .
Von daher ist es richtig, dass wir jetzt die Kassennach-
schau einführen und damit der Finanzverwaltung ein
Handwerkszeug an die Hand geben . Sie kann von nun an
unangekündigt in Räumlichkeiten gehen und sich einzel-
ne Dinge anschauen .
Kritisiert wird, dass diese Regelung erst ab dem 1 . Ja-
nuar 2018 gelten soll . Dass das so ist, hat auch etwas mit
den Länderfinanzverwaltungen zu tun, die erst einmal
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen müssen .
Wenn man unbedingt handeln will, Herr Kollege Binding,
dann besteht auch jetzt schon die Möglichkeit, das Inst-
rument der Umsatzsteuernachschau anzuwenden . Dort,
wo Steuern hinterzogen werden, gibt es oft nämlich auch
ein Problem mit der Umsatzsteuer, sodass man auch auf
diese Weise das angehen könnte .
Natürlich wird es weiterhin die Möglichkeit geben,
eine offene Ladenkasse zu führen . Ich sage Ihnen aber:
Das werden die wenigsten tun, weil bei einem zertifizier-
ten System die gesetzliche Vermutung der Richtigkeit der
Kassenaufzeichnung greift . Die sogenannte Beweiskraft
der Buchführung ist in § 158 Abgabenordnung verankert .
Wenn ein Betriebsprüfer vor Ort ist, versucht er gern, die
Buchführung durcheinanderzubringen, indem er sagt:
„Sie ist sachlich nicht richtig“, weil er dann nach § 162
Abgabenordnung die Möglichkeit hat, zu schätzen . Das
ist das größte Problem . Insofern kann ich jedem Mandan-
ten nur empfehlen – das tue ich auch –, offene Ladenkas-
sen ab- und Registrierkassen anzuschaffen . Das ist ver-
nünftiger, weil man dann auch Sicherheit hinsichtlich der
Betriebsprüfung hat .
Übrigens sind die Registrierkassen nicht erfunden
worden, weil es den Fiskus gibt, sondern weil Unterneh-
mer sicher sein wollten, dass ihre Mitarbeiter keine eige-
nen Geschäfte machen .
Ich habe einmal nachgelesen: 1879 ist in einem Saloon in
Ohio zum ersten Mal eine Registrierkasse benutzt wor-
den .
– Der Barkeeper war nicht mehr lange beschäftigt . – Es
gibt also gute Gründe, die offene Ladenkasse abzuschaf-
fen .
Ich glaube, dass wir hier insgesamt eine sehr prakti-
kable Lösung vorliegen haben . Wir werden gemeinsam
Erfolg haben . Wir wollen den Steuerhinterziehern das
Handwerk legen . Das werden wir mit diesem Gesetz
schaffen, auch wenn Herr Binding noch nicht ganz über-
zeugt ist .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum
Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeich-
nungen .
Zu dieser Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31
unserer Geschäftsordnung vor .1)
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10667,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/9535 und 18/9957 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
wie zuvor angenommen .
Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschluss-
empfehlungen des Finanzausschusses auf Drucksa-
che 18/10667 fort .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7879 mit
dem Titel „Betrug mit manipulierten Registrierkassen
gesetzlich verhindern – Zeitgleich Abschreibungsregeln
für geringwertige Wirtschaftsgüter verbessern“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Opposition angenommen .
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/1968 mit dem Titel „Umsatzsteuerbetrug
1) Anlage 11
Fritz Güntzler
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620964
(C)
(D)
bekämpfen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenom-
men .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Dr . Gerhard Schick, Anja Hajduk,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprü-
chen sogenannter Geierfonds wirksam schüt-
zen
Drucksache 18/10639
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Für die Aussprache sind nach einer interfraktionellen
Vereinbarung 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre keinen
Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Peter
Meiwald, Bündnis 90/Die Grünen . – Bitte schön .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Geierfonds ist ein beinahe niedlich klin-
gender, aber auf der anderen Seite auch zutreffender
Name für ein Spekulationsmodell, das Staaten an den
Rand des Ruins oder manchmal darüber hinaus treibt .
Worum geht es? Staaten, vor allen Dingen Entwick-
lungsländer, geraten mitunter in drohende Zahlungsun-
fähigkeit, und das aus verschiedenen Gründen . Schlechte
Regierungsführung wird immer genannt, aber es kann
auch unverschuldet passieren, zum Beispiel durch Na-
turkatastrophen oder Krisen an den Rohstoffmärkten . In
solchen Krisensituationen haben Staaten nicht, wie es im
Privatrecht der Fall ist, die Möglichkeit, Insolvenz anzu-
melden; Firmen haben diese Möglichkeit, Staaten nicht .
Tritt nun eine Staatspleite ein, versuchen die Gläubi-
ger, an den Märkten ihre dann praktisch wertlosen Staats-
anleihen loszuwerden . Der Rausch der Geier beginnt . Zu
Ramschpreisen kaufen sie Forderungen auf, um sie spä-
ter zu vergolden . Es gibt dann Verhandlungen; aber an ei-
ner Verhandlungslösung oder einer gerechten Verteilung
der Verluste sind die Geier natürlich nicht interessiert .
Das müssen sie auch nicht sein; denn es existiert immer
noch kein weltweites Staateninsolvenzregime, das alle
Gläubiger an den Verhandlungstisch zwingt . Die Bun-
desregierung ist hieran leider mitschuldig . Deutschland
hat 2015 in den Vereinten Nationen gegen ein geordnetes
Staateninsolvenzrecht gestimmt .
Doch zurück zu den Geierfonds . Wie über Verdurs-
tenden in der Wüste kreisen auch über zahlungsunfähi-
gen Staaten die Geier . Doch im Gegensatz zu Geiern in
der Natur warten die Spekulanten ab, bis der Staat die
rettende Oase erreicht hat, bis große Gläubiger freiwillig
verzichtet haben – darunter Deutschland und damit auch
die Steuerzahler in diesem Land –, bis der Staat wieder
einigermaßen auf die Füße gekommen ist und die Da-
seinsvorsorge wieder einigermaßen funktioniert . Erst
dann schlagen die Geierfonds zu . Dann ziehen die Fonds
vor unsere Gerichte, die Gerichte in den Industriestaa-
ten – und das mit Erfolg . Sie zwingen die verschulde-
ten Staaten dazu, ihnen den Nennwert der Anleihen plus
Zinsen zu bezahlen, obwohl sie selber nur einen Bruch-
teil davon bezahlt haben, als sie die Anteile aufgekauft
haben . Renditen von über 1 000 Prozent sind auf diese
Weise schon erzielt worden .
Das bekannteste Beispiel dürfte der Geierfonds NML
Capital sein, der Profit aus der Staatspleite Argentiniens
geschlagen hat . Die übrigen Gläubiger stimmten einem
Schuldenschnitt zu und verzichteten auf mehr als die
Hälfte ihres Geldes . Nicht so NML Capital: Der Geier-
fonds verklagte Argentinien vor einem Gericht in den
USA auf volle Zahlung und bekam recht .
Wir als grüne Bundestagsfraktion fordern mit dem Ih-
nen heute vorliegenden Antrag, diesem Treiben endlich
Einhalt zu gebieten .
Investmentfonds handeln zwar im Moment durchaus
nach Recht und Gesetz; aber sie verletzen, zumindest
nach unserem Verständnis, Werte wie Anstand und Wür-
de . Jemanden, der schon am Boden liegt, tritt man nicht
auch noch . Jene, die helfen wollen, sollen dafür nicht be-
straft werden, so wie die Steuerzahler hier bei uns .
Belgien und Großbritannien haben bereits gehandelt .
Sie haben Antigeiergesetze erlassen . Es wird Zeit, dass
auch wir hier in Deutschland tätig werden . Das wäre
auch im Sinne der nachhaltigen Entwicklungsziele der
Vereinten Nationen, zu denen sich auch Deutschland be-
kannt hat .
Lassen wir die Geierfonds weiter zu, droht ein Do-
minoeffekt . Niemand wird sich mehr auf Verhandlungen
und auf Verzicht einlassen . Tragfähige Lösungen für
Schuldenkrisen werden immer schwieriger . Es kann und
darf nicht länger sein, dass die Steuerzahler zurückste-
cken, damit sich einige wenige die Taschen vollmachen,
ganz zu schweigen vom Leiden der Menschen in den
überschuldeten Staaten, wo dann die Daseinsvorsorge
zusammenbricht, wo Menschen leiden, die sich nicht
mehr wehren können . Das Leid der einfachen Leute, die
unter den Sparmaßnahmen leiden und die alles ausbaden
müssen, sollten wir dabei in erster Linie im Blick behal-
ten und nicht so sehr die Sicherung der Renditen .
Laut IWF sind immer mehr Staaten von Überschul-
dung bedroht . Die Schuldensituation weltweit wird jeden
Tag brenzliger . Wir müssen also als Gesetzgeber han-
deln, ehe die Hütte brennt . Lassen Sie uns die Wasserei-
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20965
(C)
(D)
mer bereitstellen – stimmen Sie unserem Antrag zu! Das
ist ein erster wichtiger Schritt .
Um das Schuldenproblem zu lösen, müsste sich die
Koalition endlich ein Herz fassen und international für
ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren eintreten . Die
G-20-Präsidentschaft ist da, glaube ich, jetzt ein ganz gu-
ter Anlass, um darüber noch einmal nachzudenken .
Ich wünsche allen schöne, friedvolle Weihnachten .
Gute Besserung all denen, die heute wie Uwe Kekeritz,
der eigentlich hier reden sollte, krank sind und nicht an
dieser Debatte teilnehmen können . Gute Besserung und
frohe Weihnachten!
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
der Kollege Johannes Selle das Wort .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Es kommt nicht oft
vor, dass sich die Staaten und die Menschen dieser Welt
einig sind, schon gar nicht, wenn es um etwas Grundsätz-
liches geht . Aber am 1 . September letzten Jahres gab es
eine solche Sternstunde der Menschheit . 193 Staaten der
UNO verabschiedeten den von der Generalversammlung
überwiesenen Resolutionsentwurf mit dem Titel „Trans-
formation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige
Entwicklung“ .
Die Umsetzung der Agenda 2030 muss jetzt Leitmo-
tiv unserer Politik sein und alle Politikfelder einbeziehen .
Eine ganz wesentliche Aufgabe wird darin bestehen, die
Finanzierung für diese Ziele zu beschaffen und die Fi-
nanzierungen so zu gestalten, dass sie geeignet sind, den
Weg zu Arbeitsplätzen, zu Infrastruktur, Bildung und Ge-
sundheit zu beschreiten . In unserer Anhörung zum Stand
der Umsetzung der Agenda 2030 am 30 . November 2016
mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Finanzierun-
gen gerade ihre Institutionen in den Ländern verlieren, in
denen sie am dringlichsten gebraucht werden, zum Bei-
spiel in Afrika . Wenn man Geldströme, Investitionen und
auch Staatsfinanzierungen nicht mehr organisieren kann,
dann werden wir die Ziele der Agenda 2030 verfehlen .
Deshalb muss man wohl abgewogen und sensibel vor-
gehen .
Wir werden aber diese Ziele auch verfehlen, wenn
sich Geschäftsmodelle ausbreiten, die eine auftretende
Schwäche eines Landes zur Gewinnmaximierung nut-
zen . Genau darauf wird in diesem Antrag aufmerksam
gemacht . Mit solchen Schwächen sind Zahlungsproble-
me gemeint, die dazu führen, dass finanzielle Verpflich-
tungen zu spät und nicht vollständig erfüllt werden kön-
nen . Wenn sich so etwas andeutet und gegen ein solches
Land spekuliert wird, indem die im Wert fallenden An-
leihen aufgekauft werden, um sie später im vollen Um-
fang durchzusetzen, wird es in der Tat problematisch .
Bedauerlicherweise müssen wir davon ausgehen, dass
diese Situation auftreten kann . Das kann durch Preisver-
fall, durch Naturkatastrophen, durch Konflikte ausgelöst
werden .
Die Beratungen der Gläubiger in solchen Fällen wer-
den schwerlich zu guten Ergebnissen führen, wenn ein
Teil der Gläubiger abwartet und seine vollen Ansprüche
geltend machen will . Die Collective Action Clauses, die
für solche Fälle eingeführt wurden, werden ihre Wirkung
verfehlen, wenn es den Geierfonds gelang, Mehrheitsan-
teile zu erlangen . Und diese Strategie ist bereits vorhan-
den . Die für alle Gläubiger geltenden Beschlüsse unter
dem Geltungsbereich der Collective Action Clauses müs-
sen nämlich mit Mehrheit gefällt werden .
Dass diese Geschäftsmodelle überhaupt funktionie-
ren, liegt an der fehlenden internationalen Regelung für
Staaten, die sich im Zustand der Insolvenz befinden. In-
solvenz, wie sie bei wirtschaftlichen Betrieben der Pri-
vatwirtschaft abgewickelt wird, lässt sich nicht auf Staa-
ten übertragen, und deshalb konnten Ansprüche bisher
durchgesetzt werden . Auch das spricht der Antrag an .
Da ein Volk, ein Territorium nicht verschwinden kann,
wird es darum gehen, eine zukünftige Entwicklung ei-
nes betroffenen Staates zu ermöglichen . Die Restruktu-
rierung durch Schuldenerlass, Umschuldung und weitere
Hilfen sollte den IWF bzw . die Weltbank einbeziehen .
Hier hat die internationale Gemeinschaft kompetente
Institutionen . Für mich bedeutet das jedenfalls, dass die
Proklamation eines kritischen Zustandes eines Landes
von diesen Institutionen kommen muss, um sie dem di-
rekten politischen Einfluss zu entziehen. Die Proklamati-
on muss dann verhindern, dass Gläubiger so agieren kön-
nen, als gäbe es die Notsituation nicht . So könnte in dem
ungeklärten Fall der Zahlungsunfähigkeit eines Staates
vorgegangen werden .
Einen politischen und solidarischen Ansatz haben
Geierfonds nicht in ihrer Satzung . Die Politik kennt die-
sen Ansatz, und sie weiß, dass nur über Perspektiven
für die Völker Frieden, Wohlstand und Bewahrung der
Schöpfung möglich sind . Das ist unsere Verantwortung .
Deshalb gibt es ja die Agenda 2030 . Regelungsbedarf ist
also vorhanden . Fonds, die investieren und an eine Zu-
kunft glauben – und die gibt es schon –, brauchen wir
allerdings . Zu umständliche und gläubigerfeindliche
Regelungen erhöhen die Kosten und können sinnvol-
les Engagement von Fonds verhindern . Regeln, die von
vornherein den Wert von Anleihen einschränken, werden
grundsätzlich negativ bewertet und werden schwerer zu
handeln sein .
Insofern haben wir sehr sorgfältig und ernsthaft die
plakativ wirkenden Forderungen des Antrages zu behan-
deln . Das gründlich zu machen, nehmen wir uns vor, und
wir sind uns bewusst, dass die Anleihen, über die wir hier
reden, bisher nicht nach deutschem Recht begeben wer-
den, sondern eher nach britischem . Und für ausländische
Emittenten gelten unsere Gesetze auch nicht . Wir wollen
ja nicht folgenlose Gesetzgebung betreiben .
Uns ist ebenfalls klar, dass von Deutschland kom-
mende Regelungen in besonderer Weise tragfähig sein
müssen; denn Deutschland hat sich verpflichtet, bei der
Peter Meiwald
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620966
(C)
(D)
Agenda 2030 eine Vorreiterrolle einzunehmen, und gilt
als wichtiger Akteur und Meinungsbildner . Generell hal-
te ich für uns fest: Wir wollen den Ländern bei dem Weg
aus der Schuldenfalle helfen .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Niema Movassat,
Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Insbe-
sondere werte Abgeordnete der Regierungsfraktionen,
ich habe heute einen fast unwiderstehlichen Investiti-
onstipp für Sie: Sie zahlen 1 000 Euro ein und bekommen
1 Million Euro zurück . Was müssen Sie tun? Sie geben
1 000 Euro einem Hedgefonds, der sich darauf speziali-
siert hat, Staatsschulden zu viel Geld zu machen . Diese
Hedgefonds, auch „Geierfonds“ genannt, pressen hoch-
verschuldeten Staaten Geld ab, das diese gar nicht haben .
Wie das funktioniert?
Erster Schritt: Der Geierfonds kauft von Gläubigern
ausstehende Staatsschulden, an deren Rückzahlung die
Gläubiger ohnehin nicht mehr glauben . Er kriegt diese
Staatsschulden, da sie ja als faktisch wertlos gelten, zu
einem Ramschpreis .
Zweiter Schritt: Der Geierfonds bezahlt teure An-
waltsbüros, die den verschuldeten Staat auf sofortige
Rückzahlung dieser Staatsschulden verklagen, plus jähr-
liche Zinszahlungen von bis zu 100 Prozent . Weigert sich
der Staat, diesen Forderungen nachzukommen, lässt der
Geierfonds Staatseigentum im Ausland – wie Schiffe
oder Flugzeuge – konfiszieren und treibt diesen Staat zu-
dem in die Zahlungsunfähigkeit .
Wenn dieser Geierfonds ein Land ausgewählt hat,
das dem enormen Druck nicht standhält oder – wie im
Fall Argentiniens – das Glück hat, dass eine linke Regie-
rung von einer rechten abgelöst wird, dann klingelt die
Kasse . Im Fall von Argentinien haben die Hedgefonds
Traumrenditen von bis zu 1 000 Prozent erzielt . Für ihre
1 000 Euro bekommen sie 1 Million Euro zurück . Es ist
eine schier unfassbare Gier, der endlich ein Riegel vorge-
schoben werden muss .
Um diese horrenden Forderungen bedienen zu können,
muss der betroffene Staat Sozialausgaben massiv kürzen .
Für die Menschen vor Ort bedeutet dies im Normalfall
Arbeitslosigkeit, Wegfall von Renten, Armut und Elend .
Damit sich einige wenige Anleger die Taschen fett füllen
können, wird gesellschaftliches Elend für Millionen pro-
duziert . Es ist eine Schande, dass diese Bundesregierung
diesem Recht des Stärkeren bisher keine wirksamen ge-
setzlichen Maßnahmen entgegensetzt .
Argentinien ist nicht das einzige Opfer der Geier-
fonds . Liberia, Peru, Sambia, Nicaragua oder der Kon-
go – es sind vor allem arme Staaten, auf die sich diese
Fonds stürzen, weil sie eine besonders leichte und hilf-
lose Beute darstellen . Deshalb unterstützen wir als Linke
alle Forderungen des Antrags der Grünen, um den Geier-
fonds endlich das Handwerk zu legen .
Zugleich muss die Bundesregierung aber mit dem
Schäuble’schen Mantra brechen, das auf die Rückzah-
lung sämtlicher Staatsschulden beharrt, koste es, was es
wolle . „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“ –
besser als mit dieser Bild-Schlagzeile kann man die
rücksichtslose Haltung von Finanzminister Schäuble ge-
genüber hochverschuldeten Staaten nicht auf den Punkt
bringen . Wo die Schulden herkommen – uninteressant .
Wie das Geld für die Schuldentilgung aufgebracht wird
und welches menschliche Elend dies verursacht – egal .
Dass selbst der IWF Schuldenschnitte für diese Länder
fordert – geschenkt . Diese deutsche Haltung gegenüber
Griechenland, Argentinien und anderen Staaten ist fatal
und muss endlich aufhören .
Um den Kreislauf von Schulden und Ausbeutung zu
brechen, hat meine Fraktion im letzten Jahr einen An-
trag eingebracht, der ein internationales Staateninsolven-
zverfahren fordert . Ebenso wie für Privatpersonen und
Unternehmen brauchen wir für hochverschuldete Staaten
ein klares Verfahren, wie sie ihre Schuldenlast auf ein
erträgliches Ausmaß reduzieren können .
Die Linke ist mit dieser Forderung nicht alleine: Die
G-77-Staaten haben diesen Vorschlag in die UN-Gene-
ralversammlung eingebracht . Die Bundesregierung war
eine von nur elf Regierungen, die diesen Antrag abge-
schmettert haben . Sie beharrt damit auf dem Recht des
Stärkeren . Dies ermöglicht auch, dass Geierfonds von
wehrlosen Staaten Renditen von 1 000 Prozent erpressen .
So darf es nicht weitergehen . Eine Politik, die Anstand
und wirtschaftspolitischen Weitblick hat, muss ein Staa-
teninsolvenzverfahren ermöglichen und Antigeiergesetze
auf den Weg bringen .
Danke schön .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Manfred Zöllmer .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, dass es aktuell sicherlich wichtigere Aspekte des
Themas Staatsinsolvenz als den Aspekt der sogenannten
Geierfonds und ihres Agierens in der Staatsschuldenkrise
von Argentinien gibt, den die Grünen jetzt in ihrem An-
trag aufgegriffen haben . Denn Argentinien hat sich mit
Johannes Selle
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20967
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(D)
diesen Fonds inzwischen geeinigt: Im März dieses Jahres
haben das Abgeordnetenhaus und der Senat Argentiniens
einer Vereinbarung zwischen der Regierung und den An-
leiheinvestoren mit großer Mehrheit zugestimmt . Argen-
tinien hat im Gegenzug 4,65 Milliarden US-Dollar an die
Gläubigerhedgefonds ausgezahlt und dem Land damit
den Weg zurück an den Kapitalmarkt geebnet . Dies ist
im Übrigen – das muss man einfach sagen – ein großer
Erfolg für den neuen Staatspräsidenten Macri, und es hat
die argentinische Wirtschaft entsprechend befördert . Das
Elendsbild, das Sie, Herr Movassat, hier gezeichnet ha-
ben, trifft die Realität in Argentinien nicht .
Schauen wir uns den Fall Argentinien aber mal ge-
nauer an. Hintergrund ist ein juristischer Konflikt Ar-
gentiniens mit einem New Yorker Hedgefonds . Infolge
der Insolvenz des Landes im Dezember 2001 führte die
Regierung in Buenos Aires in den Jahren 2005 und 2010
große Umschuldungsrunden durch . Herr Movassat, Ar-
gentinien war erst pleite und hat dann die Umschuldun-
gen vorgenommen . Ich glaube, das muss man einmal in
aller Deutlichkeit sagen . Dann haben Hedgefonds argen-
tinische Schuldtitel auf dem Sekundärmarkt zu günstigen
Konditionen aufgekauft und vor einem US-Gericht Ar-
gentinien verklagt, um zum vollen Wert entschädigt zu
werden – das ist in der Tat der Sachverhalt –, und ein
US-Gericht hat die Regierung in Buenos Aires dazu ver-
urteilt, insgesamt vier Hedgefonds den Nennwert auszu-
zahlen .
Jetzt kann man ja fragen: Warum läuft das Ganze vor
einem amerikanischen Gericht? Dazu muss man wissen,
dass die argentinische Regierung die entsprechenden
Bonds ganz bewusst unter amerikanischem Recht in Dol-
lar aufgenommen hat . Insofern war das amerikanische
Gericht zuständig .
Ich will aber auch deutlich machen, dass der Bundes-
gerichtshof deutschen Anlegern, die gegen diese Um-
schuldungsstrategie geklagt haben, gegenüber Argentini-
en recht gegeben hat . Der BGH hat Folgendes formuliert:
Kein völkerrechtlicher Grundsatz berechtige ein Land
dazu, die Zahlung fälliger Schulden wegen eines finanzi-
ellen Staatsnotstandes oder einer freiwilligen Umschul-
dung der Gläubigermehrheit zeitweise zu verweigern .
Auch aus der Weltfinanzmarktkrise und der Rettung
Griechenlands sei eine derartige völkerrechtliche Regel
nicht entstanden .
Man muss jetzt sehen: Der argentinische Staatspräsi-
dent Macri hat die politische Strategie Argentiniens geän-
dert . Die Staatspräsidentin Kirchner hatte sich geweigert,
zu verhandeln; Macri hat verhandelt . Die Verhandlungen
mit den Hedgefonds haben dazu geführt, dass nur 75 Pro-
zent der ursprünglich geforderten Summe von Argentini-
en gezahlt werden mussten . Ich denke, auch das gehört
zum Gesamtbild dazu, wenn man diesen Fall darstellt .
Es ist im Prinzip das geschehen, was Sie in Ihrem An-
trag fordern: den Rückzahlungsanspruch eines Fonds auf
dem Verhandlungswege zu finden. Herr Macri hat ver-
handelt, und Frau Kirchner hatte damals nicht verhan-
delt . Das Ergebnis der Verhandlungen war, dass Argenti-
nien wieder Zugang zum Kapitalmarkt gefunden hat .
Herr Movassat, auch das muss man in aller Deutlich-
keit sagen: Argentinien ist kein armes Land; Argentinien
ist ein reiches Land . – Aber das nur am Rande .
Jetzt fordern die Grünen in ihrem Antrag, der Deut-
sche Bundestag möge sich doch bitte an der Gesetzge-
bung von Belgien und Großbritannien orientieren und ei-
nen Gesetzentwurf vorlegen, der Staaten vor illegitimen
Rückzahlungsansprüchen wirksam schützt . Doch ein sol-
cher Gesetzentwurf geht vollständig ins Leere .
Gut gemeint bedeutet leider nicht gut gemacht . Ich will
das begründen, indem ich wörtlich zitiere, was in der Be-
gründung Ihres Antrages steht:
Die Bundesrepublik Deutschland ist – bislang –
kein bedeutender Finanzplatz,
auf dem die hier beschriebenen Geier-Fonds aktiv
sind, weder als Ort, an dem entsprechende Klagen
geführt werden, noch als Sitz von entsprechenden
Investmentgesellschaften .
Das steht wörtlich so in Ihrem Antrag . Diese Feststellung
ist richtig . Aber was wollen Sie dann mit einem deut-
schen Gesetz, das, wie Sie selbst beschreiben, völlig wir-
kungslos wäre? Das wäre reine Symbolpolitik .
Ein solches Antigeiergesetz wäre eine konzeptionelle
Belanglosigkeit .
Ein Großteil der Staatsanleihen und weiterer Wert-
papiere werden unter der Gerichtsbarkeit der großen
internationalen Finanzplätze USA und Großbritannien
begeben . Ein Verfahren, welches diese Akteure nicht mit-
einbezieht, wird absolut wirkungslos bleiben .
Dann haben Sie gefordert, man möge im Rahmen der
G 7, der G 20, des Pariser Clubs und der OECD für ent-
sprechende Regelungen werben . Das halte ich für eine
richtige Forderung . Das sollte in der Tat geschehen . Aber
eine Verständigung kann es nur geben, wenn es einen
fairen und transparenten Prozess unter Einbeziehung der
angesprochenen Institutionen und Gläubiger gibt . Ein na-
tionales Verbotsgesetz hilft überhaupt nicht .
Deshalb unterstützen wir die IWF-Empfehlungen zu
den sogenannten Collective Action Clauses . Diese Um-
schuldungsklauseln in Staatsanleihen müssen weiter-
entwickelt werden . Dieser Prozess muss vorangetrieben
werden . Nach der Staatsinsolvenz Argentiniens ist das
entsprechend geschehen .
Das Anliegen ist es, alle Gläubiger auf die Anerken-
nung einer Verhandlungslösung zu verpflichten, die mit
bestimmten, vorher vertraglich festgelegten Mehrheiten
Manfred Zöllmer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620968
(C)
(D)
gefunden wurde . Dann wissen die Geldgeber, worauf sie
sich einlassen . Das ist ein faires und transparentes Ver-
fahren . Das verhindert, dass die sogenannten Geierfonds
überhaupt aktiv werden können . Sie haben so kein Inte-
resse mehr, sich spekulativ mit Schuldtiteln zu versorgen,
und das Problem Geierfonds wäre auf diesem Wege ge-
löst . Staatliche Schuldenkrisen können dann kontrolliert
abgewickelt werden .
Die Bundesregierung bzw . wir als Parlament setzen
uns deshalb beim IWF dafür ein, die Arbeiten in diesem
Bereich intensiv fortzusetzen . Aber das braucht eine enge
Beteiligung von IWF und Pariser Club und auch eine
Einbeziehung der Gläubiger . Ohne ein solches Vorgehen
können wir keinen Fortschritt erreichen .
Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen, –
Aber bitte ganz kurz, Herr Kollege, ja?
– und das ist das Thema Schuldenprävention . Die-
ses Thema müssen wir im Auge behalten . Wir müssen
die Gesamtproblematik Staatsschuldenkrise sehen . Wir
brauchen vernünftige Regeln und Verfahren, die mit den
relevanten Beteiligten entwickelt werden müssen . Was
wir nicht brauchen, ist eine reine Symbolpolitik .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist Dr . Heribert Hirte, CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden auf Antrag der Grünen über Staatsinsolvenzen .
Zunächst einmal wurde der Eindruck erweckt, das sei ein
Spezifikum für Entwicklungsländer. Das ist der erste
Fehler in Ihrem Antrag . Das ist eine Erfahrung, die auch
viele Industrieländer gemacht haben . Deutschland hat
das mehrere Male durchgemacht . Wir erleben in Europa
diese Diskussion auch aktuell immer wieder . Deshalb ist
die Frage: Warum geht es nur um Entwicklungsländer?
Warum geht es nicht um die Frage: „Wie regeln wir ent-
sprechende Vorgänge in Europa?“? Als Beispiel nenne
ich Kalifornien und Puerto Rico . Selbst die Vereinigten
Staaten von Amerika
– Russland – und alle möglichen weiteren Länder waren
kurzzeitig vor der Zahlungsunfähigkeit . Das Problem ist
also – im wörtlichen und im übertragenen Sinne – viel
globaler .
Das bedeutet: Wir brauchen – da stimme ich Ihnen
vollständig zu – einen rechtlichen Rahmen zur Regelung
von Staatsinsolvenzen . Ich schaue zum Kollegen von den
Linken: Wenn Sie den Eindruck erwecken, dass ein sol-
ches Insolvenzverfahren damit einhergehen würde oder
müsste, dass Inseln gepfändet werden, ist das natürlich
neben der Sache . Darum geht es nicht . Wir brauchen ein
völlig eigenständiges Verfahren; letztlich wurde es in
vielen Bereichen auch schon privatautonom entwickelt .
Aber denken wir einmal zurück: Was wollen eigent-
lich Insolvenzverfahren? Im Wesentlichen geht es um
drei Punkte:
Zum einen geht es darum, den Schuldner zu entlasten,
damit er alte Schulden loswird . Das ist verständlich .
Der zweite Punkt ist, die Forderungen der Gläubi-
ger durchzusetzen, und zwar im gleichen Umfang unter
Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes . – Sie ni-
cken jetzt; auf den Punkt komme ich gleich zurück .
Schließlich geht es drittens darum – da besteht völlige
Zustimmung bzw . Übereinstimmung –, den Schuldner,
die Staaten wieder fit zu machen für den Kapitalmarkt,
damit sie Renten und Sozialausgaben künftig zahlen kön-
nen und auch wieder an den Kapitalmarkt gehen können .
Aber in Ihrem Antrag ist – das merkt man, wenn man
die Überschrift liest – im Wesentlichen nur von dem ers-
ten Punkt die Rede, nämlich davon, Schuldnerstaaten zu
entlasten . Aber es geht auch darum, Gläubigeransprüche
durchzusetzen . Das sollte man einmal deutlich sagen . In
den Szenarien, die Sie hier beschrieben haben, leiden
auch die Gläubiger . Es leiden die Gläubiger, die auf ihre
Ansprüche verzichtet haben .
Am Ende kommen einige, nämlich die bösen Geierfonds,
und setzen ihre Ansprüche durch . – Sie haben aber nicht
erwähnt, dass auch die Gläubiger die Betroffenen sind .
– Nein, er hat gesagt: Wir wollen die Staaten schützen . –
Wir wollen auch die Gläubiger schützen . Wir wollen die
Durchsetzung von Gläubigerinteressen unter Wahrung
des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes . Das ist ein
wesentlicher Unterschied . Deshalb ist der Antrag – das
kann ich an der Stelle schon sagen – nicht zur Lösung des
Problems geeignet .
Der Punkt ist dann – da stimme ich Ihnen im Ansatz
zu –: Wenn wir dieses Problem lösen wollen, stellt sich
die Frage, wo der Regelungsort ist . Ich glaube nicht, dass
die Vereinten Nationen der primäre Ort sind, an dem
Zahlungsansprüche behandelt werden können, also der
richtige Adressat sind . Die Vereinten Nationen sind nicht
das richtige Forum, darüber zu entscheiden . Kollege
Zöllmer hat auf die entsprechenden Vorschläge hinge-
wiesen . Weltbank und IWF sind die Foren, in denen über
diese Frage nachgedacht werden muss . Da wird auch da-
rüber nachgedacht .
Wenn wir – ich habe es gerade gesagt – in Europa
das gleiche Problem haben, dann müssen wir auch in
der Europäischen Union über diese Frage nachdenken .
Manfred Zöllmer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20969
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Meine Fraktion hat gerade im Zusammenhang mit dem
Bericht der fünf Präsidenten der Europäischen Union da-
rauf hingewiesen, dass auch wir fordern, ein geordnetes
Insolvenzverfahren für Staaten einzuführen . Daran arbei-
ten wir . Ich kann Sie darauf hinweisen: Auch die Euro-
päische Zentralbank denkt über diese Frage nach . Dem-
nächst wird ein Tagungsband veröffentlicht, der genau
die Punkte enthält, der sozusagen die Leitplanken nennt,
die wir im Zusammenhang mit dieser Frage aufstellen
müssen . Dieses Thema ist also in der Diskussion . Wir
sollten die Antworten abwarten . Dann sehen wir weiter,
welche Schlussfolgerungen wir daraus zu ziehen haben .
Unabhängig davon – ich will das, was Kollege
Zöllmer gesagt hat, noch einmal aufgreifen – gilt vieles
von dem, was Sie sozusagen als Problem geschildert ha-
ben, schon jetzt . Denn wir sehen, dass die sogenannten
Collective Action Clauses – sie haben die schöne Abkür-
zung CACs – nicht alle Fälle packen . Daher drängen wir
gerade auf der europäischen Ebene im Bereich des ESM
auf eine Reform .
Griechenland hat genau das gemacht . Wenn Sie sagen,
die Ansprüche seien vor staatlichen Gerichten durchsetz-
bar, muss ich Ihnen sagen: Vor deutschen Gerichten sind
die Ansprüche, die auf der Basis des geänderten griechi-
schen Rechts entstanden sind, gerade nicht durchsetzbar .
Insofern haben wir das Problem nicht . Soweit es noch
Anwendungslöcher gibt, was diese CACs angeht – Herr
Zöllmer hat es genau beschrieben –, sind wir bereit – ich
arbeite gerne daran mit –, an einer Lösung des Problems
auf der europäischen Ebene mitzuwirken .
Dann bleibt für Deutschland – wir haben es inzwi-
schen mehrfach gehört – kein Anwendungsbereich . Da-
mit geht Ihr Antrag ins Leere . Auf der internationalen
Ebene ist das Forum ein anderes . Daran arbeiten wir . Das
tun wir im Übrigen auch mit großer Überzeugung . Ihr
Antrag aber ist in diesem Punkte nicht zielführend . Des-
halb lehnen wir ihn ab .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .
Interfraktionell wurde vereinbart, die Vorlage auf
Drucksache 18/10639 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse zu überweisen . – Ich sehe, dass Sie
damit einverstanden sind . Dann ist die Überweisung so
beschlossen
Ich rufe die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs
der Urheber und ausübenden Künstler auf an-
gemessene Vergütung
Drucksache 18/8625
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
Drucksache 18/10637
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz
– zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea
Rößner, Renate Künast, Dr . Konstantin von
Notz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Urheberinnen und Urheber stärken –
Urhebervertragsrecht reformieren
– zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Künast, Kai Gehring, Dr . Konstantin von
Notz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Ur-
heberrecht bildungs- und wissenschafts-
freundlich gestalten
Drucksachen 18/7518, 18/8245, 18/10637
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre hierzu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . – Dann hat zur
Eröffnung der Aussprache der Kollege Christian Flisek,
SPD-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegin-
nen und Kollegen! Wenn für eine Debatte wie die zum
Urheberrecht insgesamt nur 25 Minuten anberaumt sind,
dann muss man eigentlich gleich zur Sache kommen . Ich
kann mir aber eine Vorbemerkung nicht ganz verkneifen .
Mich hat schon irritiert, dass es nur die SPD-Fraktion
war, die darauf insistiert hat, dass wir diese Debatte heute
führen . Alle anderen Fraktionen waren geneigt, ihre Re-
den zu Protokoll zu geben .
Ich denke, das wird dem Thema, das wir hier verhandeln,
nicht ganz gerecht .
Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kolle-
gen, wir verhandeln heute die Arbeitsbedingungen, die
Grundlagen für unzählige Künstler und Kreative in die-
sem Land . Ich glaube, das ist auch ein guter Tag für die
Kreativen .
Dr. Heribert Hirte
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620970
(C)
(D)
– Hören Sie einfach einmal zu; denn sonst bekommen
Sie von den vier Minuten, die ich rede, gar nichts mit .
– Gemach, gemach!
Nach Jahren folgenloser Ankündigungen – das muss
man hier auch einmal sagen – ist die Lethargie im Urhe-
bervertragsrecht überwunden . Wir haben im Koalitions-
vertrag vereinbart, dass wir die Urheber stärken wollen,
dass wir die Kreativen stärken wollen, und wir liefern
heute . Das ist auch gut so, meine Damen und Herren .
Eines muss man deutlich sagen: Die Verhandlungen
waren sehr intensiv; sie waren am Ende aber auch er-
folgreich . Für die SPD-Fraktion war eines von Anfang an
wichtig: Der rote Faden für uns war – Sie können sagen,
das war unser Kompass –: Wir wollten die einzelnen Kre-
ativen aus der Schusslinie nehmen, wir wollten sie in ih-
ren Rechten stärken . Wir wollten vor allen Dingen dafür
sorgen, dass sie mit gemeinsamen Vergütungsregelungen
branchenspezifisch Regelungen zum Urheberrecht tref-
fen können und dass sie, wenn es darum geht, Rechts-
verletzungen geltend zu machen, also Verstöße gegen
gemeinsame Vergütungsregelungen, aus der Schusslinie
genommen werden .
Das haben wir geschafft, das ist heute gelungen . Des-
wegen sage ich auch ganz ausdrücklich herzlichen Dank
an das Bundesministerium der Justiz und für Verbrau-
cherschutz, an den Bundesminister Heiko Maas, an den
Parlamentarischen Staatssekretär Christian Lange, und
ich darf Sie bitten, Herr Staatssekretär,
dass Sie diesen Dank auch an Ihr Referat weitergeben;
denn wir haben hier insgesamt wirklich über die gesam-
te Strecke hinweg sehr kooperativ und gut miteinander
verhandelt .
Meine Damen und Herren, der Auskunftsanspruch
war am Ende sozusagen der Casus knacksus .
Für uns als SPD-Fraktion war immer klar, dass jeder
Journalist – egal ob Textjournalist oder Fotojournalist –,
dass jeder Schauspieler einen Auskunftsanspruch haben
muss . Ich bin froh, dass das gelungen ist . Deswegen ist
dieser Auskunftsanspruch, den wir heute regeln, auch ein
Auskunftsanspruch, der seinen Namen wert ist . Der Aus-
kunftsanspruch ist ein Hilfsanspruch . Er dient dazu, die
Grundlagen zu ermitteln, die Informationen zu bekom-
men, die ein Kreativer braucht, damit er seine angemes-
sene Vergütung bemessen und beziffern kann .
Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe teilweise die De-
batte nicht mehr verstanden . Da ist von den Zeitungs-
verlagen, von den Zeitschriftenverlegern der Untergang
des Abendlandes an die Wand gemalt worden, nur weil
man genau diesen Menschen, denen man seine Produkte
verdankt, einen Auskunftsanspruch schuldet . Gleichzei-
tig waren es dieselben Verleger, die in Europa und auf
nationaler Ebene ein Leistungsschutzrecht für Pressever-
leger einforderten, die genau ein solches Auskunftsrecht
von Plattformen und allen möglichen Internetprovidern
einforderten .
Das kann doch wirklich nicht sein . Das war eigentlich,
so muss ich sagen, an Heuchelei am Ende nicht mehr zu
überbieten . Deswegen bin ich sehr froh, dass wir uns hier
auf die Grundlagen besonnen haben und dass wir die
Kreativen, die Urheber, in dieser Sache stärken .
Wir wollen gemeinsame Vergütungsregelungen stär-
ken – das haben wir geschafft –, weil wir glauben, dass
diejenigen, die sich in einer Branche gegenübersitzen, am
besten wissen, was in ihrer jeweiligen Branche Sache ist .
Das wird ein großer Schritt hin zu einem branchenspezi-
fisch ausdifferenzierten Urheberrecht sein. Ich glaube, da
sind wir uns mit der CDU/CSU auch völlig einig .
Das ist nicht des Teufels, sondern das sind kollektive Re-
gelungen, die greifen und vernünftig sind .
Deswegen war es richtig – ich komme zum Schluss –,
auch darauf zu achten, dass Verstöße gegen solche kol-
lektiven Vergütungsregelungen am Ende auch gemein-
sam im Wege einer Verbandsklage durchgesetzt werden
können .
Das ist ein ganz wichtiges Zeichen, um den einzelnen
Kreativen aus der Schusslinie zu nehmen .
Wie gesagt, meine Damen und Herren, vier Minuten
sind kurz, und sie sind vorbei . Man könnte zum Urheber-
vertragsrecht noch viel sagen . Aber noch einmal: Heu-
te ist ein wirklich guter Tag für die Kreativen in diesem
Land . Sie können sich auf uns verlassen, und sie haben
mit uns Rückenwind . Das ist ein ganz wichtiger Schritt .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat für die Fraktion Die Linke
Dr . Petra Sitte das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als das
Justizministerium voriges Jahr seine Pläne für ein neues
Urhebervertragsrecht veröffentlichte, waren einige rich-
Christian Flisek
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20971
(C)
(D)
tige Dinge geplant, um Urheberinnen und Urheber beim
Aushandeln guter Verträge zu stärken . Prima! Dann kam
die Union und kochte das Ganze im Sinne der Verlags-
lobby so weich, dass es – jetzt können Sie einmal sehen,
Herr Flisek, wie ich mich in Ihre Situation hineindenke –
der SPD zu viel wurde und sie bis zum letzten Drücker
in dieser Woche Kompromisse erstritten hat . Herausge-
kommen ist allerdings ein Gesetzesmenü, das sowohl
halb gar als auch versalzen ist .
Ich nenne Ihnen gleich drei Beispiele; weitere Kernpunk-
te eines guten Urhebervertragsrechts und einer Urheber-
vertragsrechtsreform können Sie in unserem Entschlie-
ßungsantrag finden.
Erstes Beispiel. Statt einer Auskunftspflicht der Ver-
werter über die Werknutzung wird es nun nur einen ein-
geschränkten Auskunftsanspruch der Urheberinnen und
Urheber geben .
Zweites Beispiel . Statt eines bedingungslosen Kün-
digungsrechts der Urheberinnen und Urheber fünf Jahre
nach Vertragsschluss räumt die Koalition nur ein Zweit-
verwertungsrecht für eigene Werke ein – das allerdings
erst nach zehn Jahren .
Drittes Beispiel . Es wird eben kein starkes Ver-
bandsklagerecht für die Interessenvertretung der Urhebe-
rinnen und Urheber geben . Sie bleiben also auch weiter
im Einzelkampf, insbesondere gegen die großen Verlags-
konzerne .
Doch damit nicht genug: Zeitgleich wird den Urhe-
berinnen und Urhebern empfohlen, einen Teil ihrer oft
spärlichen Einkünfte über die sogenannte Verlegerbetei-
ligung an den Ausschüttungen der Verwertungsgesell-
schaften wieder abzugeben .
Mir haben, genauso wie Ihnen, große und profitable Ver-
lagshäuser, aber eben auch gebührenfinanzierte Anstalten
des öffentlichen Rundfunks geschrieben, dass sie quasi
nur überleben können, wenn die Urheberinnen und Ur-
heber ihnen etwas von deren ureigenen Einnahmen abge-
ben . Ich muss schon sagen: Dies ist an Gier kaum noch
zu toppen .
Dieses Beispiel lässt erahnen, dass mit der vorgeschla-
genen Regelung wieder die Starken gestärkt werden . Sie
werden nämlich die Chance nutzen und die Verlegerbe-
teiligung zur Bedingung für Vertragsabschlüsse machen .
Dann wird aus Ihrer Gesetzesregelung „Die Urheberin-
nen und Urheber können etwas von ihren Einnahmen
abgeben“ im Alltag schnell: Sie müssen etwas abge-
ben . – Dann sind wieder die Kreativen diejenigen, die
das Nachsehen haben, weil es ein Abhängigkeitsverhält-
nis gibt .
Natürlich gibt es auch Verlage, die wertvollste, aber
eben nicht marktgängige Kulturprodukte anbieten, etwa
aufwendige Produktionen im Kunst- und Lyrikbereich .
Diese Hüter kultureller Vielfalt sind selbstverständlich
auf jeden Cent angewiesen . Allerdings: Die VG WORT
hat im aktuellen Ausschüttungsstreit gerade gegenüber
solchen Verlagen durchaus kulante Rückzahlungsmoda-
litäten angeboten . Perspektivisch wäre es aus der Sicht
der Linken sinnvoll, kleine und mittlere Literatur- und
Kunstverlage in die Kulturförderung mit aufzunehmen
und sie so gewissermaßen vom Marktdruck zu entlasten .
Dass das nun wiederum kein sozialistisches Traum-
schloss ist – ich höre schon so manchen von der Uni-
on –, sondern funktionierende Realität, kann man sich
zum Beispiel in Österreich ansehen . Die Koalition aber
verfehlt lieber das dringend zu erreichende Ziel, die Ver-
handlungsposition der Kreativen nachhaltig zu stärken,
weil die Union wieder einmal lieber auf der Seite der
Verwertungsindustrie steht .
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als Nächstes spricht die Kollegin
Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Zuschauer haben wir zwar nicht mehr viele, aber
seien auch Sie herzlich gegrüßt! Gute Regeln im Bereich
des Urheberrechts zu treffen, sind eine anspruchsvolle
Aufgabe . Daran kann man auch krachend scheitern . Das
hat 2002 noch die damalige rot-grüne Regierung erfah-
ren . Ich denke, wir legen heute ein gutes Gesetz vor, das
auch den Gesetzentwurf, den zunächst der Justizminister
vorgelegt hat, an entscheidenden Stellen wirklich sub-
stanziell verbessert .
Es ist ein Gesetz für ganz viele unterschiedliche Bran-
chen und für ganz unterschiedliche kreative Leistungen
von Autoren, Journalisten, Fotografen, Musikern, Schau-
spielern, Regisseuren und vielen anderen mehr, auch von
Übersetzern, von Stars bis hin zu denen, die die kleinen
Beiträge liefern, was noch nichts darüber aussagt, wer
die bessere Qualität liefert .
Es sind ganz unterschiedliche Strukturen mit ihren
jeweils spezifischen Verteilungskonflikten. Dabei geht
es zunächst um die Frage: Wie groß ist der Kuchen, der
verteilt werden kann? Da sitzen Kreative und Verwerter
oft in einem Boot . Das schweißt sie zusammen, und das
Dr. Petra Sitte
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620972
(C)
(D)
sollte man nicht vergessen, auch dann nicht, wenn sie an
anderer Stelle miteinander streiten .
Das ist für uns der Auftrag, gegen die weitverbreitete
Umsonstmentalität anzugehen und Urheberrechtsverlet-
zungen zu bekämpfen . Das ist auch etwas, was wir be-
achten müssen, wenn wir zum Beispiel über Haftung im
Zusammenhang mit dem WLAN-Bereich oder wenn wir
in Zukunft über die Regelung zur Wissenschaftsschranke
reden .
Wir müssen die Fragen beantworten: Was ist uns Kul-
tur in Deutschland wert? Was ist sie uns als Konsumen-
ten wert? Wie stark wird sie in den Bildungs- und Wis-
senschaftshaushalten der öffentlichen Hand beachtet?
Dann geht es auch um die Frage: Wer bekommt was
vom Kuchen? Hier haben wir den Befund, dass es Defi-
zite gegeben hat, zum Beispiel bei der Transparenz . Da
stellt sich die Frage, was mit einem bestimmten Werk
verdient werden kann, welche Erlöse erzielt worden sind
und welche Ansprüche daraus abzuleiten sind . Wir haben
Defizite bei der Durchsetzung, wir haben Missstände:
vom Blacklisting bis hin zu prekären Beschäftigungsver-
hältnissen zum Beispiel bei Journalisten .
Wir antworten darauf, indem wir neue Auskunftsrech-
te schaffen . Wir haben jetzt den jährlichen Auskunftsan-
spruch auch gegen diejenigen, die in der Verwertungs-
kette tatsächlich die Informationen haben . Wir schaffen
die neue Klagebefugnis für die Urheberverbände, die
an gemeinsamen Vergütungsregeln beteiligt waren, und
stellen damit sicher, dass diese auch eingehalten werden .
Wir setzen Anreize, dies in den branchenspezifischen ge-
meinsamen Vergütungsregeln jeweils zielgerichtet und
genau auch den Bedürfnisse der Branchen entsprechend
zu regeln . Ich denke, das sind wichtige Verbesserungen .
Ich möchte aber noch auf einen weiteren wichtigen
Punkt eingehen . Wir legen hier die Grundlage dafür, dass
Verlage auch weiterhin an den Erlösen aus den Verwer-
tungsgesellschaften beteiligt werden können . Das ist eine
seit Jahrzehnten gelebte und bewährte Praxis; denn zu-
sammen sind an dieser Stelle die Urheber und die Verla-
ge stärker. Unter dem Strich profitieren sie beide davon,
dass die Verwertungsgesellschaften die gemeinsamen
Rechte gegenüber Dritten durchsetzen, und zwar trotz
aller unterschiedlichen Interessen, die ansonsten beste-
hen . Wir leisten hier einen ganz wichtigen Beitrag für
das Überleben von Verlagen, vor allem der kleinen und
mittleren Verlage, auf den diese auch dringend warten .
Deshalb ist es gut, dass das Gesetz morgen schon schnell
in den Bundesrat geht und dort voraussichtlich auch ver-
abschiedet wird .
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal kurz
zu unterstreichen, welche Bedeutung die Verlage haben,
weil von Ihnen schon wieder kritisiert wurde, dass wir
diese Möglichkeit einräumen . Gäbe es die Verlage nicht,
dann hätten wir viele Werke nicht, vor allem nicht in die-
ser Qualität .
Wir hätten viele Autoren nicht, wenn die Verlage ihnen
nicht helfen würden, die Durststrecke von dem ersten
Werk bis zur Entdeckung und bis zum Erfolg zu über-
stehen .
Ich möchte noch etwas unterstreichen, wofür wir die
Verlage brauchen . Wir reden im Moment sehr viel über
die Informationsflut im digitalen Zeitalter, die über uns
hereinbricht, bei der man das Wichtige gar nicht mehr
vom Unwichtigen unterscheiden kann . Wir reden über
Fake News, bei denen die Verlässlichkeit und der Wahr-
heitsgehalt von Informationen nicht mehr überprüft wer-
den können . Auch hier haben die Verlage eine ganz wich-
tige Funktion; denn sie stehen mit ihren Namen dafür,
dass hier journalistische Qualitätsstandards eingehalten
werden .
Sie unterscheiden beim Angebot das Wichtige vom
Unwichtigen und stehen mit ihrem Namen auch für
einen zumindest relativen Wahrheitsgehalt ihrer
Nachrichten . Das ist ein wichtiger Dienst an der De-
mokratie und der Meinungsvielfalt .
Lasst uns deshalb die Verlage nicht unterschätzen . Sie
sind ganz wichtig und haben eine große Bedeutung . In
diesem Sinne: Es ist ein gutes Gesetz, das möglichst bald
in Kraft stehen sollte .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Bevor ich jetzt der Kollegin Renate
Künast, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort erteile, möch-
te ich es nicht versäumen, ihr zu ihrem heutigen Geburts-
tag zu gratulieren .
Bitte schön .
Danke . – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Sehr geehrter Kollege Flisek, ich weiß gar nicht, was Sie
meinten . Normalerweise sprechen die Geschäftsführer,
wenn es tief in den Abend geht, immer über die Frage,
ob das eine oder andere zu Protokoll geht, und dann ist es
eigentlich üblich, dass wir uns das hier nicht gegenseitig
vorwerfen . Ich war zu allem bereit . Ob Sie das nachher
schön finden, werden Sie sehen.
Elisabeth Winkelmeier-Becker
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20973
(C)
(D)
Wir alle haben angegeben, das Ziel dieses Gesetzent-
wurfs sei, die Urheberinnen und Urheber zu stärken .
Das war der Ursprung . Ich meine aber, dass das, was die
Koalition jetzt vorgelegt hat, nicht ausreichend ist, um
dem zustimmen zu können .
Ich gebe dabei durchaus zu: Sie haben das eine oder
andere, was immer verfolgt wurde, verbessert . Im Zu-
sammenhang mit dem geregelten Auskunftsanspruch
geht es aber um die Unterlassungsklage und nicht um die
Verbandsklage . Davon steht dort nichts . Eine eigenstän-
dige Verbandsklage ist hier nicht vorgesehen,
und die Regelungen zu den Schlichtungsverfahren halte
ich auch für unzureichend .
Wir kritisieren den Gesetzentwurf, weil wir meinen,
dass er nicht wirklich hält, was in den Anfängen seiner
Beratung einmal versprochen wurde .
Jenseits der Tatsache, dass wir hier ein geordnetes
demokratisches Verfahren durchführen, fände ich es als
Vorsitzende des Rechtsausschusses eigentlich auch schö-
ner, sagen zu können: Bei uns wird das alles zeitlich gut
beraten . – Zur Beratung zähle ich Ihre quälenden koaliti-
onsinternen Gespräche übrigens nicht, auch wenn Sie sie
Berichterstattergespräche nennen . Laut der Geschäfts-
ordnung dieses Hauses finden die Beratungen nämlich
im Plenum oder in den Ausschüssen statt und nicht in
Koalitionsausschüssen, und von Gängeleien ist an dieser
Stelle auch keine Rede .
Am Dienstagvormittag dieser Woche – nicht irgend-
einer Woche – bekamen wir dann die Vorlage . Die Frage
war dann nur noch: Erklären wir einen Fristverzicht, be-
raten das Mittwochfrüh, oder beraten wir es am Diens-
tagmittag, wo aber bereits eine andere Sondersitzung
stattfindet, in der über die Verlängerung des Afghanis-
tan-Einsatzes beraten werden soll? Diese Sondersitzung
kam übrigens auch überraschend; denn seit 15 Jahren
diskutieren wir immer in der letzten Sitzungswoche des
Jahres über diese Verlängerung . Ich würde einmal vor-
schlagen, dass wir das Verfahren in Zukunft verbessern .
Da Sie den Gesetzentwurf hier jetzt so loben, sage
ich Ihnen: Er enthält eine ganze Menge unbestimmter
Rechtsbegriffe, und ich finde, diese sind zu offen, als
dass man sagen kann, dass das eine wirkliche Stärkung
für die Urheberinnen und Urheber ist .
Sie haben von einer angemessenen Vergütung gespro-
chen . Was ist das? Man muss die Vergütung ja immer in
Relation zu einer Verlagsbeteiligung setzen . Was ist an-
gemessen? Für die Individuen bedeutet die Ausschüttung
eine Existenzsicherung; ansonsten müssten sie aufs Amt
gehen . Wenn wir die Existenzsicherung stärken wollen,
dann müssten wir eigentlich sozusagen eine Wasser-
scheide angeben und sagen, was eine angemessene Ver-
gütung sein kann .
Oder gucken wir uns die Schlichtungsverfahren an .
Der Ausstieg aus einem laufenden Schlichtungsverfahren
soll zu keiner rechtlichen Konsequenz führen. Ich finde,
das entspricht nicht einmal den Empfehlungen der En-
quete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“
aus der vorherigen Legislaturperiode . Wofür setzen wir
sie eigentlich ein, wenn wir den weisen Ratschlägen am
Ende an keiner Stelle folgen?
Ich habe es schon gesagt: Der eingefügte Unterlas-
sungsanspruch ist ja schon mal ganz schön, aber er stellt
kein echtes Verbandsklagerecht dar . Die Verlage können
sich den Vergütungsregeln entziehen .
Jetzt zu dem ganz neuen Punkt an der Stelle, nämlich
der Verlagsbeteiligung . Zu dieser Neuerung kam es auch
erst am Dienstagvormittag .
– Da war noch kein Geburtstag, genau . Deshalb habe ich
es ja auch sofort gelesen, Herr Hirte . Danke für den Zwi-
schenruf .
Wenn ich mir die Verlagsbeteiligung anschaue, dann
muss ich Ihnen sagen: Ich finde sie immer noch nicht
hinreichend geregelt . Als ich Frau Winkelmeier-Becker
im Ausschuss die Frage stellte, wie es jetzt eigentlich
mit der Stimmberechtigung aussieht und ob die Verlage
bei der Abstimmung darüber, wie gezahlt wird, das volle
Stimmrecht haben oder nicht, konnte sie mir diese Frage
nicht beantworten .
Was haben Sie sich bei dieser Regelung gedacht? Das
meine ich gar nicht negativ, sondern ich stelle die Frage
nur im Sinne einer guten Gesetzesberatung . Die Gremien
legen die Höhe des Verlegeranteils fest, oder? Das sage
ich auch unter dem Gesichtspunkt, dass Verlage Geld
brauchen, gerade kleine und mittelständische . Ich bin gar
nicht gegen die Verlagsbeteiligung . Aber ich sage Ihnen:
Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BGH und
deren Auflage, die Vergütung neu zu regeln, hätte man
sich das Ganze genauer überlegen müssen .
In dem Gesetzentwurf steht nun: Der Urheber kann
seine Rechte abtreten . – Aber die Urheber könnten das
auch heutzutage schon machen, niemand hindert sie nach
jetzigem Recht daran . Diese Kannvorschrift wird sich
meines Erachtens am Ende so auswirken, dass schon in
den Verträgen steht: Ich bin, wenn das Werk angemel-
det ist, zu einer Verlagsbeteiligung bereit . – Damit haben
wir, da wir das Wort „angemessen“ nicht definiert haben,
im Vergleich zu heute überhaupt nichts gewonnen, meine
Damen und Herren . Ich glaube, der Druck bleibt an vie-
len Stellen trotz des Anspruchs auf Auskunft bestehen .
Mein letzter Satz .
Renate Künast
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620974
(C)
(D)
Sie haben jetzt aber Ihren Geburtstagsbonus ganz
schön ausgereizt .
Oh ja . – Ein Wort zum Thema Wissenschaftsschranke .
Bisher haben wir keine Regelung zur Nutzung von wis-
senschaftlichen Beiträgen, die aus Steuergeldern finan-
ziert werden – wir hatten gerade beim Thema Rosenburg
so etwas –, für die man nachher noch einmal Geld bezah-
len muss, um sie in Buchform zu kaufen. Das empfinde
ich als ein echtes schwarzes Loch in Ihren Regelungs-
vorschlägen . So kann man dem Gesetzentwurf nicht zu-
stimmen .
Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Siggi Ehrmann,
SPD-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Schutz des geistigen
Eigentums ist ein hehrer Begriff . Wer sich mit der wirt-
schaftlichen und sozialen Situation der Künstlerinnen
und Künstler beschäftigt und nicht nur mit der der High
Performer, der sieht hervorragend ausgebildete, hoch-
begabte Menschen . Aber was bei ihnen manchmal zur
Hälfte des Monats in der Brottrommel ist, ist oft sehr
wenig . Zu einem wesentlichen Aspekt, die Situation der
Künstlerinnen und Künstler, der Kreativen zu stabilisie-
ren, gehört neben fairen und gerechten Honoraren auch
die Frage der angemessenen Vergütung der Urheberinnen
und Urheber .
Wir haben uns in dieser Legislaturperiode, gemessen
an der vorherigen Legislaturperiode, als Bestandteil des
Koalitionsvertrages nicht nur einiges vorgenommen –
das stand schon einmal in den Koalitionsvereinbarun-
gen –, sondern wir haben tatsächlich etwas auf den Weg
gebracht .
In der Tat, Frau Künast, stellt sich die Frage: Ist das
Glas halb voll oder halb leer? Ich bewerte das, was wir
gerade auch im Bereich des Auskunftsrechtes modifiziert
haben, als richtigen Fortschritt .
Das bringt die Dinge nach vorne . Es ist auch ein Fort-
schritt, dass wir die gemeinsamen Vergütungsregeln ge-
stärkt haben . Dass dieses Instrument ausbaufähig ist, ist
von Christian Flisek schon dargelegt worden. Ich finde,
das sind die absolut richtigen Ansätze .
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten inner-
halb der Koalition sehr intensiv gerungen . Das eine oder
andere hätten wir aus unserer Sicht sicherlich offensiver
gestalten können, wenn nicht auch – da gebe ich Ihnen
recht – die Frage nach dem Schlichtungsverfahren im
Raum gestanden hätte . Diese Regelung hätte man schär-
fer fassen können .
Diese Regelung hätte man konkreter ausgestalten müs-
sen, was insbesondere die Verbindlichkeit der Schlichter-
sprüche angeht . Das wird sich in einem weiteren Anlauf
in der nächsten Legislaturperiode sicherlich besser dar-
stellen lassen . Aber die Regelung ist auf jeden Fall in die
richtige Richtung gelenkt worden .
Ich komme zur Verlegerbeteiligung . Dieser Punkt ist
von der Vorrednerin aus der Union zu Recht angespro-
chen worden . Die Bedingungen im Buchmarkt zeigen ein
symbiotisches Verhältnis der Autoren zu den Verlagen .
Es hat sich dort über viele Jahrzehnte eine Praxis he-
rausgebildet, die nun durch die Rechtsprechung des Eu-
ropäischen Gerichtshofes, aber auch durch die nationale
Rechtsprechung in Zweifel gezogen wurde . Ich erinnere
nur an das Vogel-Urteil .
Ich denke, es ist mit dieser Novelle gelungen, die von
den Richtern festgestellte Lücke einigermaßen rechtssi-
cher zu schließen, um hier Klarheit zu schaffen. Ich fin-
de, das ist ein guter Weg, der beschritten wird . Es bleibt
noch einiges zu tun, damit das auch europarechtlich was-
serdicht ist . Da ist eindeutig noch Handlungsbedarf . Ich
freue mich, dass wir in dieser Novelle zum Urheberver-
tragsrecht auch diesen Aspekt haben regeln können .
Ich danke dem Haus für die gute Zusammenarbeit .
Ich danke den Koalitionskolleginnen und -kollegen für
die sehr gute Zusammenarbeit . Insbesondere möchte
ich auch den Rechtspolitikern – vornehmlich Johannes
Fechner und Christian Flisek – für die intensive Kon-
sultation fraktionsinterner Art danken, weil es auch ein
Herzstück von Kulturpolitik ist, dort ein gutes Instrument
zu haben .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat für die CDU/CSU-Fraktion
Dr . Silke Launert das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Kultur hat
ihren Wert, und wer kulturelle Werke schafft, hat auch
das Recht auf eine ordentliche Bezahlung . Das sollte
eigentlich selbstverständlich sein . Doch leider sieht die
Realität oft anders aus .
Nehmen wir zum Beispiel einen jungen Opernre-
gisseur . Nach vielen Jahren des Studiums und vielen
langen, oft unbezahlten Hospitanzen an Theatern ist er
freiberuflich tätig und verdient seinen Lebensunterhalt
mit einzelnen Produktionen an kleinen Häusern . Für
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20975
(C)
(D)
solch eine Produktion erhält er in der Regel eine Gage
um die 10 000 Euro . Damit sind abgegolten: die etwa
ein Jahr dauernde Vorbereitung auf die Produktion, die
verschiedenen Treffen mit dem Produktionsteam in den
sogenannten Konzeptionsgesprächen – also mit der In-
tendanz, dem Dramaturgen, dem Bühnenbildner usw . –
und die sechs Wochen Probezeit vor der Premiere, die
kein Wochenende kennt . Schließlich müssen davon nicht
selten auch noch die Reise- und Übernachtungskosten
gezahlt werden .
Wenn ein Regisseur wirklich hart arbeitet, dann
schafft er vielleicht drei solcher Produktionen im Jahr .
Beim Schauspiel können Sie davon ausgehen, dass sogar
noch weniger bezahlt wird als bei der Oper .
Dieses Beispiel ist typisch für die Kreativbranche .
Viele Künstler leben von der Hand in den Mund . Dabei
ist die Kultur- und Kreativwirtschaft mit einem jährli-
chen Umsatz von etwa 146 Milliarden Euro vergleichbar
mit den großen Wirtschaftszweigen wie beispielsweise
Automobilindustrie, Maschinenbau oder Chemie .
Der Gesetzgeber hat schon im Jahr 2002 reagiert und
für Kreative das Recht auf eine angemessene Vergütung
im Gesetz verankert . Doch die letzten Jahre haben ge-
zeigt, dass Kreative und Verwerter immer noch nicht auf
Augenhöhe miteinander verhandeln . Manchmal erinnert
es an den Kampf Davids gegen Goliath .
Die Digitalisierung und das Internet haben zudem
dazu geführt, dass die Verwertung urheberrechtlicher
Werke ein sehr viel größeres Ausmaß angenommen hat .
Auch das wird von den Vertragspartnern der Urheber
nicht immer ausreichend berücksichtigt, wenn es um die
Beteiligung der Urheber an dem Erlös ihres Werkes geht .
Mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, wer-
den wir Kreative nun noch mehr stärken: Künftig sollen
Urheber die Vergütung erhalten, die ihnen gebührt . Auch
das ist, wie gesagt, eigentlich eine Selbstverständlichkeit .
Deshalb konkretisieren wir nun – es wundert mich,
dass das heute noch niemand erwähnt hat –, dass Häu-
figkeit und Ausmaß der Werknutzung bei Vereinbarung
der Vergütung zu berücksichtigen sind . So muss es sich
für einen Drehbuchautor auszahlen, wenn sein Film nicht
nur einmalig ausgestrahlt wird, sondern später, beispiels-
weise in der Mediathek, immer wieder .
Der Union war es jedoch auch von Anfang an ein An-
liegen, die etablierten Geschäftsmodelle nicht zu unter-
laufen . Es geht nicht nur darum, die Kreativen zu stärken .
Das ist zwar ein Hauptanliegen, aber es geht auch darum,
einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der
Kreativen, der Urheber, und den Interessen der Verwerter
zu schaffen .
Nach der ersten Lesung bestand die Herausforderung
in den vergangenen Monaten nun vor allem darin, den
Einzelheiten der unterschiedlichen Branchen gerecht zu
werden . Dabei hat sich gezeigt: Das ist unmöglich . Wir
können als Gesetzgeber nicht alle Einzelheiten regeln .
Die Kreativbranche ist zu heterogen . Film, Musik, Thea-
ter, Design, Software: Diese Branchen spielen jeweils
nach ihren eigenen Regeln und Normen .
Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist deshalb –
darin waren wir uns zum Glück fraktionsübergreifend
einmal einig –, vorrangig auf gemeinsame Vergütungsre-
geln hinzuwirken, die zwischen gleichrangigen Partnern
ausgehandelt werden, zum Beispiel zwischen dem Ver-
band Deutscher Filmproduzenten und einem Filmverleih
oder zwischen dem Deutschen Journalisten-Verband und
dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger . Denn
wer, wenn nicht die Urheber selbst, weiß am besten, was
eine faire Beteiligung ist? Bislang sind aber leider noch
viel zu wenige Kreative in Verbänden und Vereinigungen
organisiert . Das ist ein riesiges Problem . Ich kann alle
Künstler, Kreativen und Urheber nur aufrufen: Organi-
sieren Sie sich! – Die Geschichte zeigt: Nur wenn man
sich verbündet, ist man stark .
Hinsichtlich des Auskunftsanspruchs war es uns von
der Union wichtig, dass er nicht bei jeder Kleinigkeit
erfüllt werden muss . Wir haben uns nicht gegen ihn ge-
wehrt. Wir akzeptieren ihn und finden ihn gut. Ein sol-
cher Anspruch stellt die Voraussetzung dafür dar, dass ein
Kreativer weiß, wie sehr sein Werk genutzt wurde . Aller-
dings macht es bei sogenannten nachrangigen Beiträgen
keinen Sinn, die Verwerter über Gebühr zu belasten . Nur
ein Beispiel: In einem Film ist ganz kurz ein Schauspie-
ler als Taxifahrer zu sehen . Dann stellt sich die Frage,
ob es wirklich sinnvoll ist, vielleicht bis zu 1 000 Aus-
kunftsansprüche für einen Film zu erfüllen . Wir haben
kein Interesse, permanent Bürokratie zu schaffen .
Frau Kollegin Launert, denken Sie an die Zeit!
Oh, wie ich sehe, steht dort ein Minus .
Wenn Sie genau schauen, dann stellen Sie fest, dass da
schon lange ein ganz dickes Minus ist . Kommen Sie bitte
zum letzten Satz .
Ich begrüße, dass wir auf die Rechtsprechung des
EuGH reagieren und dass wir die Beteiligung der Ver-
wertungsgesellschaften ermöglichen . Viele Autoren sind
froh, dass es Verlage gibt und dass sie sich mit vielen
Sachen nicht befassen müssen, sondern sich nur um die
Schaffung ihres Werkes kümmern können. Davon profi-
tieren dann auch wir .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra-
che .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Dr. Silke Launert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620976
(C)
(D)
verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber
und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung .
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/10637, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 18/8625 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen . – Das ist die Koalition . Wer ist
dagegen? – Das ist die Opposition . Enthaltungen gibt es
keine . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/10660 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Das ist die Linke . Wer stimmt dagegen? – Das ist
die Koalition . Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grü-
nen . Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt .
Zusatzpunkt 5 b . Wir setzen die Abstimmung zu der
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz auf Drucksache 18/10637 fort . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7518 mit
dem Titel „Urheberinnen und Urheber stärken – Urhe-
bervertragsrecht reformieren“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen .
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/8245 mit dem Titel „Jetzt Zugang zu Wissen
erleichtern – Urheberrecht bildungs- und wissenschafts-
freundlich gestalten“ . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Die Koalition . Wer stimmt dagegen? –
Die Opposition . Enthaltungen? – Keine . Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Dr . Alexander S . Neu, Andrej
Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Weichen für eine Europäische Union der
Abrüstung und des Friedens stellen
Drucksache 18/10629
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, dass Sie damit einverstanden sind .1)
Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vorla-
ge auf Drucksache 18/10629 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen .
Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verbesserung des Schutzes gegen
Nachstellungen
Drucksache 18/9946
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
Drucksache 18/10654
Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben . –
Sie sind einverstanden .2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/10654, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksa-
che 18/9946 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Die
Koalition . Wer stimmt dagegen? – Die Opposition . Wer
enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine . Damit ist der
Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis an-
genommen .
Ich rufe Zusatzpunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung der Bestimmungen zur
Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung
und zur Eigenversorgung
Drucksachen 18/10209, 18/10352, 18/10444
Nr. 1.10
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie
Drucksache 18/10668
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben . –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .3)
1) Anlage 12
2) Anlage 13
3) Anlage 14
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20977
(C)
(D)
Damit kommen wir zur Abstimmung . Zu dieser Ab-
stimmung liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10668,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/10209 und 18/10352 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Opposition angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die zustim-
men wollen, sich zu erheben . – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Keine . Damit ist der Gesetzentwurf mit
dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10677 .
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das sind
die Grünen und die Linken . Wer stimmt dagegen? – Das
sind die Koalitionsfraktionen . Wer enthält sich? – Nie-
mand . Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Sech-
zehnten Gesetzes zur Änderung des Soldaten-
gesetzes
Drucksache 18/10009
Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi-
gungsausschusses
Drucksache 18/10542
Die Reden werden zu Protokoll gegeben . – Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden .2)
Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Verteidi-
gungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10542, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/10009 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Die Linke . Wer enthält
sich? – Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .
1) Anlage 15
2) Anlage 16
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgeset-
zes
Drucksache 18/10456
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
Drucksache 18/10661
Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben . –
Ich sehe, Sie sind einverstanden .3)
Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10661,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/10456 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie
zuvor angenommen .
Tagesordnungspunkt 20:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirt-
schaftsgesetzes
Drucksache 18/10026
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit
Drucksache 18/10663
Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz, Bau und Reaktorsicherheit auch Änderungen des
Elektro- und Elektronikgerätegesetzes .
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .4)
Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10663, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/10026 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
3) Anlage 17
4) Anlage 18
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620978
(C)
(D)
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte jetzt alle, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer ist
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit
dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Tagesordnungspunkt 21:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit zu
der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Bewirtschaftung von
gewerblichen Siedlungsabfällen und von
bestimmten Bau- und Abbruchabfällen
Drucksachen 18/10345, 18/10444 Nr. 2.1,
18/10656
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind einverstanden .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10656, der Verordnung auf Drucksache 18/10345
zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Re-
gion stärken – Deutsches Know-how nutzen
Drucksache 18/10651
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Damit sind alle einverstanden .2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10651 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich sehe, damit
sind alle einverstanden . Dann ist die Überweisung so be-
schlossen .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 23:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Wissenschaftskooperation mit Partnern in
Subsahara-Afrika stärken
1) Anlage 19
2) Anlage 20
Drucksache 18/10632
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . –
Das stößt auf allgemeines Einverständnis .3)
Interfraktionell wurde vereinbart, die Vorlage auf
Drucksache 18/10632 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse zu überweisen . – Auch hier sehe
ich, dass alle damit einverstanden sind . Dann ist so be-
schlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der Handlungsfähigkeit der Selbst-
verwaltung der Spitzenorganisationen in der
gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur
Stärkung der über sie geführten Aufsicht
Drucksache 18/10605
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann ,
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Patientenvertretung in der Gesundheitsver-
sorgung stärken
Drucksache 18/10630
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Damit sind alle einverstanden .4)
Unter den Fraktionen ist vereinbart worden, die Vorla-
gen auf den Drucksachen 18/10605 und 18/10630 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über-
weisen . Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist
der Fall . Dann ist so beschlossen .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 25:
Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit
3) Anlage 21
4) Anlage 22
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20979
(C)
(D)
in Gerichtsverfahren und zur Verbesse-
rung der Kommunikationshilfen für Men-
schen mit Sprach- und Hörbehinderungen
Drucksache 18/10144
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . – Damit sind alle einverstanden .1)
Die Fraktionen haben vereinbart, den Gesetzentwurf
auf Drucksache 18/10144 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Gibt es von Ih-
rer Seite dazu andere Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht
der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Sicherung der Sozialkassenverfah-
1) Anlage 23
Drucksache 18/10631
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind einverstanden .2)
Auch hier haben sich die Fraktionen geeinigt, den Ge-
setzentwurf auf Drucksache 18/10631 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . –
Ich sehe keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag,
den 16 . Dezember 2016, 9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen noch
einen angenehmen Restabend .