Protokoll:
18209

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 209

  • date_rangeDatum: 15. Dezember 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:05 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/209 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 209. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2016 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Charles M. Huber . . . . . . . . . . . . . . . . 20815 A Begrüßung des neuen Abgeordneten Dr. Mathias Edwin Höschel . . . . . . . . . . . . . 20815 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20815 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 15, 33 g, 34 a und 34 b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20817 A Tagesordnungspunkt 3: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechni- schen Entsorgung Drucksache 18/10469 . . . . . . . . . . . . . . . . 20817 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Ver- antwortung in der kerntechnischen Ent- sorgung Drucksachen 18/10353, 18/10482, 18/10671 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20817 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10672 . . . . . . . . . . . . . . . . 20817 C Dr . Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 20817 C Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 20819 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 20820 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20822 A Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . 20823 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 20825 C Dr . Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 20826 A Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20827 C Steffen Kanitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 20828 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 20830 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20832 C Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sabine Zimmermann (Zwickau), Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kinder und Familien von Armut befreien – Aktionsplan gegen Kinderarmut Drucksache 18/10628 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20830 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20831 A Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . 20835 A Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 20837 B Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . 20837 C Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20838 A Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 20839 A Eckhard Pols (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 20840 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 20842 A Gülistan Yüksel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20843 C Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 20844 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016II Dr . Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 20845 D Ulrike Bahr (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20847 B Martin Patzelt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 20848 B Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20850 A Tagesordnungspunkt 5: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution 1996 (2011) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2304 (2016) vom 12. August 2016 Drucksachen 18/10188, 18/10547 . . . . . . . 20851 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10548 . . . . . . . . . . . . . . . . 20851 B Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 20851 C Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 20852 D Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 20853 C Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 20853 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 20854 A Dr . Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20854 D Dr . Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 20855 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 20856 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20858 D Tagesordnungspunkt 6: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Ope- ration in Darfur (UNAMID) auf Grund- lage der Resolution 1769 (2007) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolu- tionen, zuletzt 2296 (2016) vom 29. Juni 2016 Drucksachen 18/10189, 18/10549 . . . . . . . 20857 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10550 . . . . . . . . . . . . . . . . 20857 A Jürgen Coße (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20857 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 20861 B Volker Mosblech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 20862 B Dr . Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20863 B Dr . Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 20864 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 20864 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20869 A Tagesordnungspunkt 33: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr . Gesine Lötzsch, Caren Lay, Herbert Behrens, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- wurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung Drucksache 18/9125 . . . . . . . . . . . . . . . . . 20865 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Drit- ten Gesetzes zur Änderung der Bun- des-Tierärzteordnung Drucksache 18/10606 . . . . . . . . . . . . . . . . 20865 B c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Ein- richtung des Elektronischen Urkunden- archivs bei der Bundesnotarkammer Drucksache 18/10607 . . . . . . . . . . . . . . . . 20865 B d) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Brenn- stofflieferungen für belgische Atom- kraftwerke stoppen Drucksache 18/9676 . . . . . . . . . . . . . . . . . 20865 C e) Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunen stärken – Kommu- nalisierung und Rekommunalisierung unterstützen Drucksache 18/10282 . . . . . . . . . . . . . . . . 20865 C f) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Regionale Wirtschaftspolitik – Ein integriertes Fördersystem für struktur- schwache Regionen in ganz Deutschland schaffen Drucksache 18/10636 . . . . . . . . . . . . . . . . 20865 C Tagesordnungspunkt 34: c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 III dem Antrag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschaffung der Zwangsverrentung von SGB-II-Leistungsberechtigten Drucksachen 18/589, 18/5434 . . . . . . . . . . 20866 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen der Kom- mission für zwei Rechtsakte zur Festle- gung wissenschaftlicher Kriterien für die Bestimmung endokrinschädigender Eigenschaften im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmitteln und Biozidpro- dukten (C(2016) 3751, C(2016) 3752) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Arti- kel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Schutz vor Hormongiften verbes- sern – Die Kriterien für endokri- ne Disruptoren müssen dem Vor- sorgeprinzip entsprechen . . . . . . Drucksachen 18/10382, 18/10659 . . . . . . . 20866 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Sechste Ver- ordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/10346, 18/10444 Nr . 2 .2, 18/10662 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20866 D f) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz: Übersicht 9 – über die dem Deut- schen Bundestag zugeleiteten Streitsa- chen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/10652 . . . . . . . . . . . . . . . . 20866 D g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbrau- cherschutz zu den Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvE 3/16 und 2 BvR 1823/16 Drucksache 18/10653 . . . . . . . . . . . . . . . . 20867 A h)–m) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 388, 389, 390, 391, 392 und 393 zu Petitionen Drucksachen 18/10486, 18/10487, 18/10488, 18/10489, 18/10490, 18/10491 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20867 B Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ökologischen Hochwasser- schutz länderübergreifend sicher- stellen und sozial verankern – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Ökologischen Hochwasser- schutz voranbringen Drucksachen 18/3277, 18/2879, 18/3481 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20867 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem An- trag der Abgeordneten Peter Meiwald, Christian Kühn (Tübingen), Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Feinstaubemissionen aus Baumaschinen reduzieren Drucksachen 18/3554, 18/4399 . . . . . . . . . 20868 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Paus, Dr . Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Atomkosten verursachergerecht anlasten – Kernbrennstoffsteuer beibe- halten und anheben Drucksachen 18/10034, 18/10545 . . . . . . . 20868 B d)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 394, 395, 396, 397, 398 und 399 zu Pe- titionen Drucksachen 18/10644, 18/10645, 18/10646, 18/10647, 18/10648, 18/10649 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20868 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung am US-Drohnen- krieg über die Relaisstation Ramstein Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 20872 A Dr . Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . 20873 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20874 C Thomas Hitschler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20875 C Michael Vietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 20877 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016IV Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 20878 A Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20879 C Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20880 C Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . 20881 C Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 20882 D Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 20883 D Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 20885 A Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Ände- rung des Conterganstiftungsgesetzes Drucksachen 18/10378, 18/10670 . . . . . . . . . 20885 D Caren Marks, Parl . Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20886 A Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 20886 C Maik Beermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 20887 C Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20889 C Ursula Schulte (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20890 C Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 20892 A Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Tabea Rößner, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lehren aus den Ermittlungen hinsichtlich Lan- desverrats – Pressefreiheit und Journa- listinnen und Journalisten besser schüt- zen Drucksache 18/10036 . . . . . . . . . . . . . . . . 20894 B b) Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Katja Keul, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lehren aus den Ermittlungen hinsichtlich Lan- desverrats – Stellung des Generalbun- desanwaltes rechtsstaatlich reformieren Drucksache 18/10037 . . . . . . . . . . . . . . . . 20894 B c) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Halina Wawzyniak, Karin Binder, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Journalistinnen und Journalisten sowie Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber vor Strafverfolgung schützen und Unab- hängigkeit der Justiz sicherstellen Drucksache 18/5839 . . . . . . . . . . . . . . . . . 20894 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20894 C Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 20895 D Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 20897 D Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . 20898 D Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 20900 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20900 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 20901 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20902 C Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 20903 C Tagesordnungspunkt 9: – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräf- te am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen na- tionalen Verteidigungs- und Sicherheits- kräfte in Afghanistan Drucksachen 18/10347, 18/10638 (neu) . . . 20904 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10657 . . . . . . . . . . . . . . . . 20904 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20904 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 20906 A Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 20907 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20908 A Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20909 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20910 A Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20911 C Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 20912 D Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20913 B Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 20913 C Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 20915 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 20915 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20917 D Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit in der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 V Pflege – Personalbemessung in der Al- tenpflege einführen Drucksache 18/9122 . . . . . . . . . . . . . . . . . 20916 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit – Gute Versorgung: Mehr Personal in Gesund- heit und Pflege Drucksachen 18/7568, 18/10664 . . . . . . . . 20916 B Pia Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 20916 C Erwin Rüddel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 20920 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20921 D Marina Kermer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20922 D Lothar Riebsamen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 20924 A Pia Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . 20924 C Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20925 D Erich Irlstorfer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 20927 A Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung Drucksachen 18/9958, 18/10655 . . . . . . . . . . 20928 B Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20928 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 20930 A Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 20931 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20932 B Dr . h . c . Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 20933 B Dr . Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 20934 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 20935 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20937 C Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus, Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zu möglichen Gefährdungen des gleichberechtigten Ein- flusses aller Staatsbürgerinnen und Staats- bürger auf die politische Willensbildung und zu weiteren Punkten des Gemeinnüt- zigkeits- und Vereinsrechts Drucksachen 18/8331, 18/9573 . . . . . . . . . . . 20935 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 20935 D Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) . . . 20940 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20940 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 20941 B Frank Junge (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20942 A Dr . Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 20942 D Svenja Stadler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20943 C Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bun- deshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016 (Nachtragshaushaltsgesetz 2016) Drucksache 18/10500 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20944 C Jens Spahn, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . 20944 C Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 20945 C Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20946 C Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20947 C Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 20949 A Dr . Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 20950 B Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 20951 B Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abge- ordneten Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Längere Lebensdauer für technische Geräte Drucksachen 18/9179, 18/10666 . . . . . . . . . . 20952 A Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20952 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 20953 C Dr . Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 20954 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20955 A Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 20956 C Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor Mani- pulationen an digitalen Grundaufzeich- nungen Drucksachen 18/9535, 18/9957, 18/10102 Nr . 18, 18/10667 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20957 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016VI b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Betrug mit manipu- lierten Registrierkassen gesetzlich verhindern – Zeitgleich Abschrei- bungsregeln für geringwertige Wirt- schaftsgüter verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Umsatzsteuerbetrug bekämp- fen Drucksachen 18/7879, 18/1968, 18/10667 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20957 C Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20957 D Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 20958 C Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 20959 C Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20961 B Fritz Güntzler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 20962 A Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr . Gerhard Schick, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprüchen sogenannter Gei- erfonds wirksam schützen Drucksache 18/10639 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20964 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20964 B Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 20965 A Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 20966 A Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20966 D Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 20968 B Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten Durch- setzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung Drucksachen 18/8625, 18/10637 . . . . . . . . 20969 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Renate Künast, Dr . Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Urheberinnen und Urheber stärken – Urhebervertragsrecht re- formieren – zu dem Antrag der Abgeordne- ten Renate Künast, Kai Gehring, Dr . Konstantin von Notz, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urheber- recht bildungs- und wissenschafts- freundlich gestalten Drucksachen 18/7518, 18/8245, 18/10637 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20969 C Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20969 D Dr . Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 20970 D Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20971 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20972 D Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 20974 A Dr . Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 20974 D Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr . Alexander S . Neu, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Weichen für eine Europäische Union der Abrüstung und des Friedens stellen Drucksache 18/10629 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20976 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes ge- gen Nachstellungen Drucksachen 18/9946, 18/10654 . . . . . . . . . . 20976 C Zusatztagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmun- gen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wär- me-Kopplung und zur Eigenversorgung Drucksachen 18/10209, 18/10352, 18/10444 Nr . 1 .10, 18/10668 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20976 D Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes Drucksachen 18/10009, 18/10542 . . . . . . . . . 20977 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 VII Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundes- waldgesetzes Drucksachen 18/10456, 18/10661 . . . . . . . . . 20977 C Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kreis- laufwirtschaftsgesetzes Drucksachen 18/10026, 18/10663 . . . . . . . . . 20977 D Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über die Be- wirtschaftung von gewerblichen Siedlungs- abfällen und von bestimmten Bau- und Ab- bruchabfällen (Gewerbeabfallverordnung – GewAbfV) Drucksachen 18/10345, 18/10444 Nr . 2 .1, 18/10656 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20978 A Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know- how nutzen Drucksache 18/10651 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20978 B Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wissenschaftskooperation mit Part- nern in Subsahara-Afrika stärken Drucksache 18/10632 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20978 C Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Hand- lungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der ge- setzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstär- kungsgesetz) Drucksache 18/10605 . . . . . . . . . . . . . . . . 20978 D b) Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientenver- tretung in der Gesundheitsversorgung stärken Drucksache 18/10630 . . . . . . . . . . . . . . . . 20978 D Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlich- keit in Gerichtsverfahren – EMöGG) Drucksache 18/10144 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20979 A Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkas- senverfahren im Baugewerbe (Sozialkas- senverfahrensicherungsgesetz – SokaSiG) Drucksache 18/10631 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20979 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20979 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 20981 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Dr . Nina Scheer, Ulrike Bahr, Lothar Binding (Heidelberg), Bernhard Daldrup, Dr . Ute Finckh-Krämer, Bettina Hagedorn, Frank Junge, Gabriele Katzmarek, Hiltrud Lotze, Dr . Matthias Miersch, Klaus Mindrup, Bettina Müller, Christian Petry, Susann Rüthrich, Johann Saathoff, Dr . Hans-Joachim Schabedoth, Ewald Schurer, Norbert Spinrath und Dagmar Ziegler (alle SPD) zu der nament- lichen Abstimmung über den von den Fraktio- nen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20981 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Bärbel Höhn, Harald Ebner, Matthias Gastel, Oliver Krischer, Steffi Lemke und Tabea Rößner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜND- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016VIII NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verant- wortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20982 D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr . Julia Verlinden, Peter Meiwald und Sven- Christian Kindler (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Ent- sorgung (Tagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20983 C Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- chen Abstimmung über den von den Fraktio- nen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20984 C Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20984 D Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 20985 B Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20985 C Michael Donth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 20986 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 20986 B Ronja Kemmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 20987 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 20987 C Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20988 A Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20989 A Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) . . . . . . . 20989 A Anlage 6 Erklärung der Abgeordneten Dr . Petra Sitte (DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Entschließung unter Buchstabe c der Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Wirt- schaft und Energie zu dem von den Fraktio- nen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20989 B Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr . Frithjof Schmidt, Katja Dörner, Katja Keul und Claudia Roth (Augsburg) (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20989 C Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annalena Baerbock und Luise Amtsberg (bei- de BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Un- terstützung der afghanischen nationalen Ver- teidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20990 A Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kerstin Griese und Ute Vogt (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Aus- schusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Bera- tung und Unterstützung der afghanischen na- tionalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20991 B Anlage 10 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- chen Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstüt- zung der afghanischen nationalen Verteidi- gungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20991 C Dr . Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 20991 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20991 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 IX Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen (Zusatztagesordnungspunkt 4 a) . . . . . . . . . . . 20992 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr . Alexander S . Neu, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Weichen für eine Europäische Union der Abrüstung und des Friedens stellen (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 20993 D Robert Hochbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 20993 D Dr . Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 20994 C Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 20995 B Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 20996 A Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20996 D Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen (Zusatztagesordnungspunkt 6) . . . . . . . . . . . . 20997 C Kathrin Rösel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 20997 C Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 20998 B Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20999 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21000 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 21000 D Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversor- gung (Zusatztagesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . 21001 C Dr . Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 21001 C Florian Post (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21002 D Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21003 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 21004 A Dr . Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21004 D Anlage 15 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Barbara Lanzinger (CDU/CSU) zu der Ab- stimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromer- zeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung (Zusatztagesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . 21005 C Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Än- derung des Soldatengesetzes (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 21006 A Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21006 A Bernd Siebert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21006 C Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 21007 C Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21008 A Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21008 D Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgesetzes (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 21009 C Cajus Caesar (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21009 C Alois Gerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21010 D Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21011 D Dr . Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . . 21012 C Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21013 B Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 21014 B Dr . Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 21014 B Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21015 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21015 C Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21016 A Florian Pronold, Parl . Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21016 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016X Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über die Be- wirtschaftung von gewerblichen Siedlungsab- fällen und von bestimmten Bau- und Abbruch- abfällen (Gewerbeabfallverordnung – GewAbfV) (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 21017 C Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 21017 C Dr . Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 21019 B Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21019 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21021 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21021 C Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know- how nutzen (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 21022 B Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 21022 B Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21023 D Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21024 C Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21025 A Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21025 D Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wissenschaftskooperation mit Partnern in Subsahara-Afrika stärken (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . 21027 B Dr . Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21027 B Dr . Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . . 21028 A Dr . Daniela De Ridder (SPD) . . . . . . . . . . . . . 21028 D Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21030 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21030 C Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesse- rung der Handlungsfähigkeit der Selbstver- waltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Auf- sicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungs- gesetz) – des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Pati- entenvertretung in der Gesundheitsversor- gung stärken (Tagesordnungspunkt 24 a und b) . . . . . . . . . . 21031 C Reiner Meier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21031 C Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21032 B Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 21033 C Dr . Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21034 A Annette Widmann-Mauz, Parl . Staatssekretä- rin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21035 A Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderun- gen (Gesetz über die Erweiterung der Medien- öffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . 21036 B Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21036 B Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21038 A Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 21038 D Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 21039 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 21040 B Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21041 A Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensiche- rungsgesetz – SokaSiG) (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . 21041 D Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21042 A Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21043 B Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21043 D Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21044 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21045 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20815 209. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2016 Beginn: 9 .01 Uhr
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    2) Anlage 24 Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20981 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Brandt, Helmut CDU/CSU 15 .12 .2016 Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .12 .2016 Bülow, Marco SPD 15 .12 .2016 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .12 .2016 Ernstberger, Petra SPD 15 .12 .2016 Gunkel, Wolfgang SPD 15 .12 .2016 Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 15 .12 .2016 Heck, Dr . Stefan CDU/CSU 15 .12 .2016 Hübinger, Anette CDU/CSU 15 .12 .2016 Ilgen, Matthias SPD 15 .12 .2016 Kekeritz, Uwe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .12 .2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 15 .12 .2016 Leyen, Dr . Ursula von der CDU/CSU 15 .12 .2016 Merkel, Dr . Angela CDU/CSU 15 .12 .2016 Mortler, Marlene CDU/CSU 15 .12 .2016 Müller (Chemnitz), Detlef SPD 15 .12 .2016 Nahles, Andrea SPD 15 .12 .2016 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .12 .2016 Schäuble, Dr . Wolfgang CDU/CSU 15 .12 .2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 15 .12 .2016 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 15 .12 .2016 Schwarz, Andreas SPD 15 .12 .2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Stein, Peter CDU/CSU 15 .12 .2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 15 .12 .2016 Strebl, Matthäus CDU/CSU 15 .12 .2016 Uhl, Dr . Hans-Peter CDU/CSU 15 .12 .2016 Vries, Kees de CDU/CSU 15 .12 .2016 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .12 .2016 Weber, Gabi SPD 15 .12 .2016 Weinberg, Harald DIE LINKE 15 .12 .2016 Zeulner, Emmi * CDU/CSU 15 .12 .2016 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer, Ulrike Bahr, Lothar Binding (Heidelberg), Bernhard Daldrup, Dr. Ute Finckh-Krämer, Bettina Hagedorn, Frank Junge, Gabriele Katzmarek, Hiltrud Lotze, Dr. Matthias Miersch, Klaus Mindrup, Bettina Müller, Christian Petry, Susann Rüthrich, Johann Saathoff, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Ewald Schurer, Norbert Spinrath und Dagmar Ziegler (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verant- wortung in der kerntechnischen Entsorgung (Ta- gesordnungspunkt 3) Mit der heutigen Entscheidung geht unser Parla- ment den historischen Schritt einer Neuordnung der Verantwortung und damit auch Finanzierung der Ato- menergie-Folgelasten . Zwar liegt im Sinne des Ver- ursacherprinzips die Verantwortung zur Abwicklung der Atomenergienutzung richtigerweise grundsätzlich bei den Betreibern von Atomkraftwerken und den be- treffenden Energiekonzernen . Letztlich wird aber die Allgemeinheit zur Verantwortung gezogen, wenn die Betreiber etwa durch Konzernaufspaltungen oder In- solvenzen nicht mehr zur Haftung herangezogen wer- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620982 (A) (C) (B) (D) den können . Zugleich muss uns bewusst sein, dass über Jahrzehnte unterbliebene Vorsorge nachträglich kaum mehr erfüllbar ist . Während mit dem heute zu verabschiedenden Ge- setz die auch ökonomische Verantwortung von Still- legung, Rückbau und Verpackung beim Betreiber ver- bleibt, geht die Verantwortung für Zwischenlagerung und Endlagerung auf den Staat über, insofern die hier- für nun gesetzlich formulierten Voraussetzungen erfüllt werden . Die langfristig währende Verantwortung für die Zwischenlagerung und Endlagerung wird dabei über ei- nen öffentlich-rechtlichen Fonds getragen, der vonsei- ten der Betreiber mit einem Vermögen von insgesamt 23,556 Milliarden Euro auszustatten sein wird . Mit den Regelungen zur Nachhaftung verhindern wir die Enthaftung der Konzerne durch Betreiberinsolvenzen oder Konzernaufspaltungen . Die Verabschiedung eines Nachhaftungsgesetzes bereits im letzten Jahr war vonsei- ten unseres Koalitionspartners trotz erfolgten Kabinetts- beschlusses verhindert worden . Umso wichtiger ist es, dass eine Nachhaftungsregelung nun mitverabschiedet wird . Kritisch betrachten wir dabei, dass sich die Nach- haftung bei Konzernaufspaltung nur auf den Bereich der Zwischen- und Endlagerung, hingegen nicht auch auf die Phase der Stilllegung, des Rückbaus und der Verpackung bezieht . Eine umfassendere Nachhaftungsregelung konn- te leider nicht geeinigt werden . Mit den atomgesetzlichen Änderungen wird die Op- tion des sogenannten sicheren Einschlusses nahezu ab- geschafft . Die Ausschließlichkeit des Rückbaus hat die SPD seit langem gefordert . Erst in der vergangenen Woche hat das Bundesver- fassungsgericht den politisch in Abwägung mit Ge- sundheits- und Umweltschutzbedarfen entschiedenen Atomausstieg als im Wesentlichen verfassungskonform beschieden . Allein vor diesem Hintergrund erwarte ich von den Atomkonzernen die Rücknahme aller im Zusam- menhang mit Atomenergienutzung zusammenhängenden Klagen, auch solcher, die von den jüngsten Ankündigun- gen der Konzerne nicht erfasst sind . Es entspricht unse- rem parlamentarischen Selbstverständnis, dass im Fall eines Aufrechterhaltens von Klagen vonseiten der Kon- zerne und einer sich hierüber zulasten der Allgemeinheit verschlechternden Vermögenssituation eine Neuberech- nung der Kostenlasten vorzunehmen wäre . Es entspricht auch der mit einem Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Aus- schussdrucksache 18(9)1073 – erklärten Erwartungshal- tung gegenüber der Bundesregierung, die Rücknahme aller Klagen zu erreichen . Der Entschließungsantrag bringt zudem die Erwar- tungshaltung zum Ausdruck, dass die Geldanlage des einzurichtenden Fonds nachhaltig erfolgt, dass die Mittel nicht in Projekten oder Anlagen Verwendung finden, die dem übergeordneten Willen des Gesetzgebers zuwider- laufen, die Nutzung der Atomenergie zu beenden . Hier- für hatte sich die SPD-Fraktion eingesetzt . Wir bedauern, dass unser Koalitionspartner diesbezüglich keiner ge- setzlichen Regelung zustimmen wollte . Während des parlamentarischen Verfahrens ist es ge- lungen, die Beteiligung des Parlaments für den weiteren Prozess, etwa in der Zusammensetzung des Kuratoriums zur Begleitung des Fonds und dessen Einrichtung, zu ge- währleisten . In Bezug auf die Einsetzung von Kommissionen im Vorfeld parlamentarischer Beratungen hat sich die Kom- mission zur Überprüfung der Finanzierung des Kern- energieausstiegs (KFK) als ein hilfreiches Instrument erwiesen, einen Rechtsfrieden auch im Sinne anderer zivilgesellschaftlicher Akteure herzustellen . Zugleich dürfen außerparlamentarische Kommissionen nicht zur faktischen Eingrenzung parlamentarischer Gestaltung führen, wenn etwa bereits ein Regierungsentwurf von Bindungswirkung in Bezug auf die Einstimmigkeit ei- nes Kommissionsbeschlusses gekennzeichnet ist . Dies wird dem parlamentarischen Beratungsprozess, den hie- sigen öffentlichen Anhörungen, aber auch den einzelnen Abgeordneten nicht gerecht und gefährdet nicht zuletzt die Bedeutung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie . Nach unserer Überzeugung sollten Kom- missionen der hier eingesetzten Form nur in absoluten Ausnahmefällen eingesetzt werden, wenn der Fokus ein- zubeziehender Expertise dies über die Thematik und die Dauer sowie den Hergang einer öffentlichen Auseinan- dersetzung rechtfertigt . In einer Gesamtbetrachtung begrüßen wir, dass mit dem vorliegenden Gesetz ein Mehr an Rechtssicherheit für die Kostentragung im Zusammenhang der Abwick- lung der Atomenergienutzung geschaffen wird, und stim- men dem Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und Bünd- nis 90/Die Grünen zu . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Bärbel Höhn, Harald Ebner, Matthias Gastel, Oliver Krischer, Steffi Lemke und Tabea Rößner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesordnungs- punkt 3) Jahrzehntelang haben die vier großen Energiekonzer- ne in Deutschland mit der Produktion von Atomstrom Milliarden verdient und gleichzeitig Unmengen an radi- oaktivem Müll produziert, der nachfolgende Generatio- nen noch lange belasten wird . Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Empfehlungen der Kommission zur Finanzierung des AKW-Rückbaus und der Atommüllendlagerung (KFK) kommt zu spät, und er überträgt das Risiko der letztlich unabsehba- ren Kostensteigerungen im weiteren Umgang mit dem Atommüll an die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler . Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der KFK-Empfehlun- gen stellt aber auch sicher, dass die Atomkonzerne für Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20983 (A) (C) (B) (D) die Beseitigung des hochgefährlichen Atommülls zahlen . Für Stilllegung und Rückbau werden die Unternehmen bis 2040 rund 60 Milliarden Euro aufwenden müssen . Ihre Rückstellungen dafür werden sie künftig transparent mit liquiden Mitteln unterlegen müssen . Dies wird von Bundesregierung und Bundestag überprüft . Ihre Rück- stellungen von bisher gut 17 Milliarden für die Finan- zierung von Zwischen- und Endlagerung des Atommülls müssen die Konzerne an den Staat in bar übertragen . Hinzu kommt ein Risikoaufschlag von 35 Prozent, um künftige Risiken abzudecken; es wird also ein 24 Milli- arden Euro starker öffentlich-rechtlicher Fonds gebildet . Damit wird dem Risiko der Steuerzahlerinnen und Steu- erzahler, bei Insolvenz oder Unternehmensumbildung der Konzerne die gesamten anfallenden Atommüllkosten tragen zu müssen, begegnet . Im Zuge der Debatte um den Gesetzentwurf konn- ten die Atomkonzerne dazu bewegt werden, die meis- ten ihrer Klagen im Atomsektor zurückzuziehen . Die beiden Klagen mit dem tatsächlich relevanten Finanz- volumen bleiben allerdings bestehen, die Klage gegen die Brennelementesteuer und die Klage Vattenfalls vor dem Washingtoner Schiedsgericht ICSID . Sollten diese erfolgreich sein, könnten sich die Konzerne darüber bis zur Hälfte ihrer Einzahlungen in den Entsorgungsfonds wieder zurückholen . Mit dem Urteil der vergangenen Woche hat das Bun- desverfassungsgericht in höchstrichterlicher Instanz der Klage der EVU gegen den Atomausstiegsbeschluss von 2011 eine klare Absage erteilt . Das lässt vermuten, dass es sich auch bei der Klage gegen die Brennelemente- steuer nicht dem Rechtsverständnis der Atomkonzerne anschließt . Wir halten aber nicht nur die bisherige Er- hebung der Brennelementesteuer für rechtens, sondern auch ihre Fortführung, solange die AKWs laufen. Die fi- nanzielle Beteiligung der Atomkonzerne zum Beispiel an den Sanierungskosten der Asse wird über die Brennele- mentesteuer gewährleistet, und eine solche Beteiligung ist absolut sachgerecht . Die zweite finanzrelevante Klage ist die von Vattenfall vor dem Internationalen Schiedsgericht ICSID . Es ist un- wahrscheinlich, dass sich das Schiedsgericht in Washing- ton die Rechtsauffassung unseres Bundesverfassungsge- richts zu eigen macht, gelten doch vor Schiedsgerichten vor allem die Interessen und Investitionen von Unterneh- men als Leitlinien des Rechtsempfindens. Politisch hat Vattenfall keinerlei Begründung mehr, Klage vor diesem Internationalen Schiedsgericht zu führen, das für die Fäl- le installiert wurde, in denen nationale Gerichte einem Investor keine Gerechtigkeit widerfahren lassen . Das BVerfG hat Vattenfall mit seinem Urteil bereits Gerech- tigkeit widerfahren lassen . Der Auftrag an die Bundesregierung mit der Verab- schiedung des Gesetzes zur Neuordnung der Verantwor- tung in der kerntechnischen Entsorgung ist also klar: Sie muss dafür Sorge tragen, dass auch diese Klagen zu- rückgenommen werden . Das ist sie dem versprochenen Rechtsfrieden schuldig . Dabei kann sie auf unsere Unter- stützung zählen . Gerade als grüne Abgeordnete, die immer gegen die unverantwortliche Nutzung der Atomkraft gekämpft ha- ben, stehen wir auch für das Suchen nach verantwortli- chen Lösungen der Probleme, die uns nach Abschalten der Atomkraftwerke bleiben . Dieses Gesetz ist eine Not- operation, weil es zu spät kommt . Es rettet, was zu retten ist, und schützt damit die Steuerzahlerinnen und Steuer- zahler vor noch größeren Risiken . Deshalb stimmen wir ihm zu . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Peter Meiwald und Sven-Christian Kindler (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Ab- stimmung über den von den Fraktionen CDU/ CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsor- gung (Tagesordnungspunkt 3) Wir begrüßen ausdrücklich die Einrichtung eines öf- fentlich-rechtlichen Fonds für die Zwischen- und End- lagerung des Atommülls als Umsetzung des Ergebnisses der „Kommission zur Finanzierung des AKW-Rückbaus und der Atommüllendlagerung“ (KFK) . Mit dem vorlie- genden Gesetz werden die finanziellen Rückstellungen der Atomkonzerne für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls endlich in einen öffentlich-rechtlichen Fonds übertragen . Bei Zahlung eines Risikozuschlags von 35 Prozent bis spätestens 2022 entfällt die Nach- haftung für die Unternehmen . Durch den Fonds wird das Geld langfristig für die vorgesehenen Aufgaben gesichert und vom wirtschaftlichen Schicksal der Ener- gieversorgungsunternehmen (EVU) RWE, Eon, Vatten- fall und EnBW entkoppelt . Dieser Fonds wird zukünftig von einem Kuratorium mit demokratisch legitimierten Vertretern aus dem Bundestag kontrolliert . Das ist eine klare Verbesserung im Vergleich zum ersten Entwurf des Gesetzes . Für die Stilllegung und den Rückbau der Atomkraft- werke (AKW) und die Verpackung des Atommülls blei- ben die Betreiber der Atomkraftwerke weiterhin voll- ständig finanziell verantwortlich und haften auch dann, wenn die Kosten zukünftig hierfür steigen . Die Verursacher des Atommülls, die Energieversorger, saßen in der KFK mit am Tisch . Sie haben den Vorschlag zur Neuregelung der Finanzierung der Atomaltlasten mit verhandelt . Die EVU haben nun angekündigt, einen Teil der Klagen gegen den Staat zurückzuziehen, wenn das Gesetz verabschiedet wird . Dazu gehört beispielsweise auch die Klage gegen Zahlungsbescheide im Zusammen- hang mit dem Erkundungsbergwerk Gorleben . Dieser Klageverzicht ist wichtig, aber reicht nicht aus . Denn zwei zentrale Rechtsstreitigkeiten, die den fi- nanziellen Großteil der Klagen mit mehreren Milliarden Euro ausmachen, wollen die EVU aber weiterhin auf- rechterhalten: die Auseinandersetzung um die Brenn- elementesteuer und die Klage von Vattenfall vor dem Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620984 (A) (C) (B) (D) internationalen Schiedsgericht in Washington gegen den Atomausstieg – obwohl Vattenfall vom Bundesverfas- sungsgericht ausdrücklich Rechtsschutz gewährt wurde . Beides kann theoretisch zu Schadensersatzzahlungen führen, die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu tragen haben, neben bereits heute entstandenen hohen Gerichts- und Anwaltskosten . Es zeugt aber vor allem davon, dass die Atomunternehmen – auch nach langer gesellschaftlicher Auseinandersetzung um die Atom- kraft – den großen gesellschaftlichen und politischen Willen nach Ausstieg aus dieser Hochrisikotechnologie und der Lastentragung nach dem Verursacherprinzip nicht vollständig akzeptieren wollen . Zu einem komplet- ten Rechtsfrieden bezüglich der Abwicklung der Atom- kraft ist die Atomwirtschaft nicht bereit, sondern sie will sich ihre Kosten über eingeklagte Schadensersatzzahlun- gen teilweise wieder zurückholen . Das ist für uns nicht akzeptabel . Zumal die Betreiber der AKW weitere Milli- arden Euro sparen werden, wenn die Bundesregierung an ihrer Positionierung festhält und die Brennelementesteu- er zum Ende des Jahres einfach auslaufen lässt . Die Bun- destagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordert, die Steuer nicht nur weiter zu erheben, bis das letzte AKW vom Netz geht, sondern die Steuer ab sofort auch um cir- ca 50 Prozent anzuheben . Heute kann noch niemand sagen, ob die Geldsumme, die in den öffentlich-rechtlichen Fonds eingezahlt wird, plus die angenommenen Zinsgewinne ausreichen, um den Atommüll eine Million Jahre sicher zu lagern . Erhebliche Kostensteigerungen bei einem Großprojekt aufgrund der außergewöhnlichen Dimensionen und der mangelnden konkreten Erfahrungswerte sind nicht auszuschließen . Nicht nur die Kosten des Baus eines Atommüllendlagers kann heute niemand genau berechnen . Auch bereits die wissenschaftliche, ergebnisoffene Standortsuche wird große Summen kosten, zumal die Suche nach einem si- cheren Endlager in Deutschland noch gar nicht richtig begonnen hat . Und wir brauchen unbedingt eine solche sorgfältige Suche . Denn sonst wird es hinterher noch teurer: Was es bedeutet, wenn ein ungeeigneter Standort für Atommüll ausgewählt wird, sehen wir in Niedersach- sen in der Asse, wo der schwach- und mittelradioaktive Atommüll nach der Havarie nun aufwendig geborgen werden muss: Dann kostet das Aufräumen sehr viel mehr als der Bau eines Endlagers . Die Rückstellungen plus Risikozuschlag müssen jetzt gesichert werden, denn wir haben angesichts des Insol- venzrisikos der EVU keine Zeit, abzuwarten, bis zu er- wartende Kosten genauer ermittelt werden können . Wir fordern, dass auch die Konzerne ehrlich ihre Verantwor- tung in dieser zentralen gesellschaftlichen Auseinander- setzung übernehmen – und dazu gehört die unverzügli- che Herstellung vollständigen Rechtsfriedens in allen Klageverfahren bezüglich des Atomausstiegs . Wir erwarten, dass die Anlagerichtlinien des Fonds en- keltauglich umgesetzt werden . Eine „nachhaltige Anla- ge“ der Gelder bedeutet für uns insbesondere, dass nicht nur eine Geldanlage in Unternehmen der Atomenergie ausgeschlossen wird, sondern auch in fossile Energie- träger und fossile Infrastrukturen . Denn die internatio- nale Divestment-Bewegung lässt annehmen, dass solche Geldanlagen, beispielsweise in Kohle oder Erdöl, nicht nur politisch kontraproduktiv wirken würden, sondern auch ökonomisch deutlich schneller an Wert verlieren werden als der Bau eines Atommülllagers in Deutschland dauern könnte . Nach Abwägung dieser Punkte werden wir nicht ge- gen das Gesetz stimmen, weil es einen ganz wichtigen Schritt, nämlich die Sicherung der Rückstellungen mit Risikozuschlag in einen öffentlich-rechtlichen Fonds, vollzieht . Wir können aber auch nicht für das Gesetz stimmen, weil die Atomunternehmen, für welche die Bundesre- publik Deutschland für den Bereich der Zwischen- und Endlagerung des Atommülls die Haftung und damit auch die finanziellen Risiken übernimmt, nicht zu einem voll- ständigen Rechtsfrieden bereit sind und Milliardenkla- gen gegen den Staat aufrechterhalten . Deswegen enthalten wir uns bei der Abstimmung . Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesord- nungspunkt 3) Heike Baehrens (SPD): Mit der heutigen Entschei- dung wird die Neuordnung der Verantwortung und Fi- nanzierung der Atomenergie-Folgelasten geregelt . Während mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz die ökonomische Verantwortung von Stilllegung, Rück- bau und Verpackung beim Betreiber verbleibt, geht die Verantwortung für Zwischenlagerung und Endlagerung auf den Staat über, wenn die hierfür nun gesetzlich for- mulierten Voraussetzungen erfüllt werden . Die langfris- tig währende Verantwortung für die Zwischenlagerung und Endlagerung wird über einen öffentlich-rechtlichen Fonds getragen, der vonseiten der Betreiber mit einem Vermögen von insgesamt 23,556 Milliarden Euro auszu- statten ist . Mit den Regelungen zur Nachhaftung verhindern wir die Enthaftung der Konzerne durch Betreiberinsolvenzen oder Konzernaufspaltungen . Die Verabschiedung eines Nachhaftungsgesetzes bereits im letzten Jahr war vonsei- ten unseres Koalitionspartners trotz erfolgten Kabinetts- beschlusses verhindert worden . Umso wichtiger ist es, dass eine Nachhaftungsregelung nun mit verabschiedet wird . Kritisch betrachte ich dabei, dass sich die Nach- haftung bei Konzernaufspaltung nur auf den Bereich der Zwischen- und Endlagerung, hingegen nicht auch auf die Phase der Stilllegung, des Rückbaus und der Verpackung bezieht . Eine umfassendere Nachhaftungsregelung wird leider nicht von der CDU/CSU mitgetragen . Mit den atomgesetzlichen Änderungen wird die Op- tion des sogenannten sicheren Einschlusses nahezu ab- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20985 (A) (C) (B) (D) geschafft . Die Ausschließlichkeit des Rückbaus hat die SPD seit langem gefordert . Gerade hat das Bundesverfassungsgericht den politisch in Abwägung mit Gesundheits- und Umweltschutzbe- darfen entschiedenen Atomausstieg als im Wesentlichen verfassungskonform beschieden . Allein vor diesem Hin- tergrund erwarte ich von den Atomkonzernen die Rück- nahme aller im Zusammenhang mit Atomenergienutzung zusammenhängenden Klagen, auch solcher, die von den jüngsten Ankündigungen der Konzerne nicht erfasst sind . Es entspricht meinem parlamentarischen Selbstverständ- nis, dass im Fall eines Aufrechterhaltens von Klagen vonseiten der Konzerne und einer sich hierüber zulasten der Allgemeinheit verschlechternden Vermögenssituati- on eine Neuberechnung der Kostenlasten vorzunehmen ist . Es entspricht auch der mit einem Entschließungsan- trag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Ausschussdrucksache 18(9)1073 – erklärten Erwartungshaltung gegenüber der Bundesregierung, die Rücknahme aller Klagen zu erreichen . Der Entschließungsantrag bringt zudem die Erwar- tungshaltung zum Ausdruck, dass die Geldanlage des einzurichtenden Fonds nachhaltig erfolgt, dass die Mittel nicht in Projekten oder Anlagen Verwendung finden, die dem übergeordneten Willen des Gesetzgebers zuwider- laufen, die Nutzung der Atomenergie zu beenden . Hier- für hatte sich die SPD-Fraktion eingesetzt . Ich bedaure, dass unser Koalitionspartner diesbezüglich keiner ge- setzlichen Regelung zustimmen wollte . Während des parlamentarischen Verfahrens ist es ge- lungen, die Beteiligung des Parlaments für den weiteren Prozess, etwa in der Zusammensetzung des Kuratoriums zur Begleitung des Fonds und dessen Einrichtung, zu ge- währleisten . In Bezug auf die Einsetzung von Kommissionen im Vorfeld parlamentarischer Beratungen hat sich die Kom- mission zur Überprüfung der Finanzierung des Kern- energieausstiegs (KFK) als ein hilfreiches Instrument erwiesen, einen Rechtsfrieden auch im Sinne anderer zivilgesellschaftlicher Akteure herzustellen . Zugleich dürfen außerparlamentarische Kommissionen nicht zur faktischen Eingrenzung parlamentarischer Gestaltung führen . Darum sehe ich die Bezugnahme im Gesetzent- wurf der Bundesregierung auf die Einstimmigkeit eines Kommissionsbeschlusses als kritisch an . Dies wird dem parlamentarischen Beratungsprozess, den öffentlichen Anhörungen, aber auch der Unabhängigkeit von uns Ab- geordneten nicht gerecht und gefährdet nicht zuletzt die Bedeutung der parlamentarisch-repräsentativen Demo- kratie . In einer Gesamtbetrachtung begrüße ich, dass mit dem vorliegenden Gesetz ein Mehr an Rechtssicherheit für die Kostentragung im Zusammenhang der Abwicklung der Atomenergienutzung geschaffen wird, und stimme dem Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu . Thomas Bareiß (CDU/CSU): Ich begrüße aus- drücklich, dass mit dem KFK-Gesetz die operative und finanzielle Verantwortung für Zwischen- und Endlage- rung der kerntechnischen Anlagen zwischen Kernkraft- werksbetreibern und Bund neu geregelt wird . Wir setzen das Verursacherprinzip um, machen es zukunftsfest und schaffen Planungssicherheit . Auch das Ziel des Nach- haftungsgesetzes begrüße ich ausdrücklich . Energiever- sorger dürfen sich nicht durch Umstrukturierungen von der Haftung für die Kosten des Rückbaus, der Zwischen- und Endlagerung befreien . Allerdings erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die sich eventuell ergebende Haf- tungserweiterung im Falle der Energie Baden-Württem- berg AG auf die Anteilseigner, den Zweckverband Ober- schwäbische Elektrizitätswerke (OEW) und das Land Baden-Württemberg, ablehne . Ich halte diese Haftungs- erweiterung für nicht im Sinne des ursprünglichen Ge- setzesgedankens, da dadurch eine neue, bis dahin nicht vorhandene Haftung entsteht . Ich stimme deshalb mit Ja . Marco Bülow (SPD): Ich begrüße eine grundle- gende Neuregelung der Verantwortung der nuklearen Entsorgung . Der Übergang der Verantwortung einer so wichtigen, langfristigen Aufgabe von profitorientierten Privatunternehmen zu dem Gemeinwohl verpflichteten staatlichen Institutionen ist absolut nachvollziehbar . Die Sicherung der Rückstellungen der AKW-Betreiber für die Entsorgung des Atommülls ist eine Angelegenheit, die ich schon lange gefordert habe . Allerdings halte ich es im Grundsatz für falsch, das überhaupt noch nicht abzuschätzende finanzielle Risiko der Entsorgung komplett auf den Steuerzahler zu über- tragen und die eigentlichen Verursacher mit der einma- ligen Zahlung eines klar definierten Geldbetrags aus der Verantwortung zu entlassen – zumal der darin enthaltene Risikoaufschlag von 35,47 Prozent auf den Grundbetrag eines jeden AKW aus meiner Sicht zu gering ausfällt . Erfahrungen zeigen, dass die tatsächlichen Kosten bei Projekten im Bereich der Atomenergie vorherige Kos- tenabschätzungen eher um ein Vielfaches übertreffen als nur um ein Drittel . Zudem ergibt sich für die AKW-Betreiber im nächsten Jahr die Situation, dass die Kernbrennstoffsteuer nicht mehr gezahlt werden muss . Nach Schätzungen des Fo- rums ökologisch-soziale Marktwirtschaft (FÖS) würde eine Weiterführung der Steuer bis zum endgültigen Ab- schalten des letzten deutschen Atomkraftwerks 3,9 bis 5,8 Milliarden Euro Einnahmen sichern . Der Wegfall der Steuer dagegen bringt den Betreibern 2,9 bis 4,4 Milli- arden Euro zusätzliche Gewinne . Das bedeutet, dass ein Großteil des in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Risi- koaufschlags von insgesamt 6,167 Milliarden Euro durch den Wegfall der Kernbrennstoffsteuer gedeckt wird . Im Gegenzug hätte also wenigstens die Steuer verlängert werden müssen . Schließlich sind die Gründe, die zur Einführung der Steuer geführt haben, nach wie vor vor- handen . Aus meiner Sicht sind diese Entscheidungen im We- sentlichen dadurch motiviert, dass die betroffenen Unter- nehmen nicht in eine schwierigere ökonomische Situati- on gebracht werden sollen, durch die auch die Situation der Beschäftigten in Gefahr geriete . Dies ist zwar im Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620986 (A) (C) (B) (D) ersten Moment nachvollziehbar, macht den Staat aber erpressbar . Es ist wichtig, sich immer wieder vor Augen zu füh- ren, dass die Atomenergie insgesamt und somit auch ihre kommerzielle Nutzung über ein halbes Jahrhundert lang massiv staatlich gefördert wurde . Berechnungen gehen allein für den Zeitraum 1970 bis 2014 von über 200 Mil- liarden Euro aus . Durch die Vergünstigungen haben die AKW-Betreiber mit ihren abgeschriebenen Atomreak- toren circa 1 Million Euro am Tag verdient . Diese Zahl bestätigte Vattenfall 2009 der Süddeutschen Zeitung . Deutschlands größter AKW-Betreiber Eon machte 2009 noch einen Gewinn von 5,3 Milliarden Euro . Die Ener- giewende haben die großen Energieversorger aber trotz Wissens über den Atomausstiegsbeschluss 2000 und die Einführung des EEG verschlafen, sodass in den letzten Jahren die Gewinne eingebrochen sind, zum Teil sogar hohe Verluste gemacht wurden . Statt rechtzeitig in er- neuerbare Energien zu investieren, haben die EVUs die- se viel zu lange bekämpft . Mangelnde Voraussicht bei unternehmerischen Entscheidungen hat zu der ökonomi- schen Lage geführt, in der sich die Unternehmen heute befinden. Der Staat, der den Unternehmen sehr lange er- möglicht hat, mit Atomenergie hohe Gewinne zu gene- rieren, soll aber nun das alleinige Risiko für die Folgen der Atomstromproduktion tragen, weil der erfolgreiche Fortbestand der EVUs nicht mehr gesichert sei . Dies kann nicht sein . Das Prinzip „Gewinne werden privati- siert, Verluste aber sozialisiert“ lehne ich entschieden ab . Akzeptabel wäre der Kompromiss aus meiner Sicht nur gewesen, wenn die AKW-Betreiber zuvor einen Rückzug ihrer Klagen versichert hätten und die Kern- brennstoffsteuer verlängert worden wäre . So kann ich diesem Gesetzentwurf leider nicht zu- stimmen . Michael Donth (CDU/CSU): Ich begrüße ausdrück- lich, dass mit dem KFK-Gesetz die operative und fi- nanzielle Verantwortung zwischen Kernkraftwerksbe- treibern und Bund für Zwischen- und Endlagerung der kerntechnischen Anlagen neu geregelt wird . Wir setzen das Verursacherprinzip um, machen es zukunftsfest und schaffen Planungssicherheit . Auch das Ziel des Nach- haftungsgesetzes begrüße ich ausdrücklich . Energiever- sorger dürfen sich nicht durch Umstrukturierungen von der Haftung für die Kosten des Rückbaus, der Zwischen- und Endlagerung befreien . Allerdings erkläre ich hier- mit ausdrücklich, dass ich die sich eventuell ergebende Haftungserweiterung im Falle der Energie Baden-Würt- temberg AG auf die Anteilseigner Zweckverband Ober- schwäbische Elektrizitätswerke (OEW) und damit zahl- reiche Landkreise, Städte und Gemeinden sowie das Land Baden-Württemberg ablehne . Ich halte diese Haf- tungserweiterung für nicht im Sinne des ursprünglichen Gesetzesgedankens, da dadurch eine neue potenzielle, bis dahin nicht vorhandene Haftung entsteht . Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Mit der heutigen Ent- scheidung geht unser Parlament den historischen Schritt einer Neuordnung der Verantwortung und damit auch Finanzierung der Atomenergie-Folgelasten . Zwar liegt im Sinne des Verursacherprinzips die Verantwortung zur Abwicklung der Atomenergienutzung richtigerweise grundsätzlich bei den Betreibern von Atomkraftwerken und den betreffenden Energiekonzernen . Letztlich wird aber die Allgemeinheit zur Verantwortung gezogen, wenn die Betreiber etwa durch Konzernaufspaltungen oder Insolvenzen nicht mehr zur Haftung herangezogen werden können . Zugleich muss uns bewusst sein, dass über Jahrzehnte unterbliebene Vorsorge nachträglich kaum mehr erfüllbar ist . Während mit dem heute zu verabschiedenden Ge- setz die auch ökonomische Verantwortung von Still- legung, Rückbau und Verpackung beim Betreiber ver- bleibt, geht die Verantwortung für Zwischenlagerung und Endlagerung auf den Staat über, insofern die hier- für nun gesetzlich formulierten Voraussetzungen erfüllt werden . Die langfristig währende Verantwortung für die Zwischenlagerung und Endlagerung wird dabei über ei- nen öffentlich-rechtlichen Fonds getragen, der vonsei- ten der Betreiber mit einem Vermögen von insgesamt 23,556 Milliarden Euro auszustatten sein wird . Mit den Regelungen zur Nachhaftung verhindern wir die Enthaftung der Konzerne durch Betreiberinsolvenzen oder Konzernaufspaltungen . Die Verabschiedung eines Nachhaftungsgesetzes bereits im letzten Jahr war vonsei- ten unseres Koalitionspartners trotz erfolgten Kabinetts- beschlusses verhindert worden . Umso wichtiger ist es, dass eine Nachhaftungsregelung nun mit verabschiedet wird . Kritisch betrachte ich dabei, dass sich die Nach- haftung bei Konzernaufspaltung nur auf den Bereich der Zwischen- und Endlagerung, hingegen nicht auch auf die Phase der Stilllegung, des Rückbaus und der Verpackung bezieht . Eine umfassendere Nachhaftungsregelung konn- te leider mit dem Koalitionspartner nicht vereinbart wer- den . Mit den atomgesetzlichen Änderungen wird die Op- tion des sogenannten sicheren Einschlusses nahezu ab- geschafft . Die Ausschließlichkeit des Rückbaus hat die SPD seit langem gefordert . Erst in der vergangenen Woche hat das Bundesver- fassungsgericht den politisch in Abwägung mit Ge- sundheits- und Umweltschutzbedarfen entschiedenen Atomausstieg als im Wesentlichen verfassungskonform beschieden . Allein vor diesem Hintergrund erwarte ich von den Atomkonzernen die Rücknahme aller im Zusam- menhang mit Atomenergienutzung zusammenhängenden Klagen, auch solcher, die von den jüngsten Ankündigun- gen der Konzerne nicht erfasst sind . Es entspricht mei- nem parlamentarischen Selbstverständnis, dass im Fall eines Aufrechterhaltens von Klagen vonseiten der Kon- zerne und einer sich hierüber zulasten der Allgemeinheit verschlechternden Vermögenssituation eine Neuberech- nung der Kostenlasten vorzunehmen wäre . Es entspricht auch der mit einem Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Aus- schussdrucksache 18(9)1073 – erklärten Erwartungshal- tung gegenüber der Bundesregierung, die Rücknahme aller Klagen zu erreichen . Der Entschließungsantrag bringt zudem die Erwar- tungshaltung zum Ausdruck, dass die Geldanlage des Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20987 (A) (C) (B) (D) einzurichtenden Fonds nachhaltig erfolgt, dass die Mittel nicht in Projekten oder Anlagen Verwendung finden, die dem übergeordneten Willen des Gesetzgebers zuwider- laufen, die Nutzung der Atomenergie zu beenden . Hier- für hatte sich die SPD-Fraktion eingesetzt . Ich bedaure, dass unser Koalitionspartner diesbezüglich keiner ge- setzlichen Regelung zustimmen wollte . Während des parlamentarischen Verfahrens ist es ge- lungen, die Beteiligung des Parlaments für den weiteren Prozess, etwa in der Zusammensetzung des Kuratoriums zur Begleitung des Fonds und dessen Einrichtung, zu ge- währleisten . In Bezug auf die Einsetzung von Kommissionen im Vorfeld parlamentarischer Beratungen hat sich die Kom- mission zur Überprüfung der Finanzierung des Kern- energieausstiegs (KFK) als ein hilfreiches Instrument erwiesen, einen Rechtsfrieden auch im Sinne anderer zivilgesellschaftlicher Akteure herzustellen . Zugleich dürfen außerparlamentarische Kommissionen nicht zur faktischen Eingrenzung parlamentarischer Gestaltung führen, wenn etwa bereits ein Regierungsentwurf von Bindungswirkung in Bezug auf die Einstimmigkeit eines Kommissionsbeschlusses gekennzeichnet ist . Dies wird dem parlamentarischen Beratungsprozess, den hiesigen öffentlichen Anhörungen, aber auch den einzelnen Ab- geordneten nicht gerecht und gefährdet nicht zuletzt die Bedeutung der parlamentarisch-repräsentativen Demo- kratie . Nach meiner Überzeugung sollten Kommissionen der hier eingesetzten Form nur in absoluten Ausnahme- fällen eingesetzt werden, wenn der Fokus einzubeziehen- der Expertise dies über die Thematik und die Dauer so- wie den Hergang einer öffentlichen Auseinandersetzung rechtfertigt . In einer Gesamtbetrachtung begrüße ich, dass mit dem vorliegenden Gesetz ein Mehr an Rechtssicherheit für die Kostentragung im Zusammenhang der Abwicklung der Atomenergienutzung geschaffen wird, und stimme dem Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu . Ronja Kemmer (CDU/CSU): Ich begrüße aus- drücklich, dass mit dem KFK-Gesetz die operative und finanzielle Verantwortung für Zwischen- und Endlage- rung der kerntechnischen Anlagen zwischen Kernkraft- werksbetreibern und Bund neu geregelt wird . Wir setzen das Verursacherprinzip um, machen es zukunftsfest und schaffen Planungssicherheit . Auch das Ziel des Nach- haftungsgesetzes begrüße ich ausdrücklich . Energiever- sorger dürfen sich nicht durch Umstrukturierungen von der Haftung für die Kosten des Rückbaus, der Zwischen- und Endlagerung befreien . Allerdings erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die sich eventuell ergebende Haf- tungserweiterung im Falle der Energie Baden-Württem- berg AG auf die Anteilseigner, den Zweckverband Ober- schwäbische Elektrizitätswerke (OEW) und das Land Baden-Württemberg, ablehne . Ich halte diese Haftungs- erweiterung für nicht im Sinne des ursprünglichen Ge- setzesgedankens, da dadurch eine neue, bis dahin nicht vorhandene Haftung entsteht . Ich stimme dem Gesetzentwurf zu . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute habe ich dem „Gesetz zur Neuregelung der Verantwor- tung in der kerntechnischen Entsorgung“ im Bundestag zugestimmt . Dieses neue Gesetz stellt sicher, dass die Atomkonzer- ne für die Beseitigung des hochgefährlichen Atommülls auch wirklich zahlen . Warum war dazu ein Gesetz nötig? Jahrelang haben die Konzerne steuerliche Rückstel- lungen für die Entsorgung und Lagerung des Atommülls in Höhe von 17 Milliarden Euro getätigt, die aber bislang nur in den Bilanzen, also auf dem Papier, stehen . Die Veränderungen am Energiemarkt haben die Kon- zerne inzwischen – selbstverschuldet – so geschwächt, dass große Umstrukturierungen anstehen . Sollte es hier zu Auslagerungen oder gar Insolvenzen kommen, wären die rückgestellten Beträge erheblich ge- fährdet, und am Ende drohen die Kosten am Steuerzahler hängen zu bleiben . Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK) war sich einig, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Konzerne künftig noch in der Lage sind, die anfallenden Kosten tatsächlich zu tragen, bei bestenfalls 50 Prozent liegt . Ich bin der Meinung, dass man in so einer Situation handeln und das vorhandene Geld sichern muss . Das haben wir Grüne schon seit vielen Jahren gefordert . Tut man das nicht, läuft man Gefahr, das Verursacherprinzip dadurch auszuhebeln, dass beim Verursacher nichts mehr zu holen ist, weil er als juristische Person nicht mehr exis- tiert oder nicht mehr genug Substanz vorhanden ist . Ich halte deshalb den von der KFK vorgeschlagenen Weg für richtig, um die bisherigen Rückstellungen der Konzerne zu retten und unter öffentliche Kontrolle zu bringen . Für Stilllegung und Rückbau werden die Unterneh- men bis 2040 rund 60 Milliarden Euro aufwenden müs- sen . Ihre Rückstellungen dafür werden sie künftig trans- parent mit liquiden Mitteln unterlegen müssen . Dies wird von Bundesregierung und Bundestag überprüft . Ihre Rückstellungen von bisher gut 17 Milliarden für die Finanzierung von Zwischen- und Endlagerung des Atommülls müssen die Konzerne komplett an den Staat in bar übertragen . Dazu kommt ein zusätzlicher Risiko- aufschlag von 35 Prozent, um künftige Risiken abzude- cken . Es wird so ein fast 24 Milliarden starker öffent- lich-rechtlicher Fonds gebildet . Darüber hinaus wird eine neue gesetzliche Nach- haftung von herrschenden Unternehmen für von ihnen beherrschte Betreibergesellschaften eingeführt . Das bedeutet, dass hier der Mutterkonzern auch für die Ver- pflichtungen einer insolventen Tochterfirma haftet, was im deutschen Insolvenzrecht so sonst nicht vorgesehen ist . Das ist also ebenfalls wichtig, um das Risiko für den Steuerzahler möglichst gering zu halten . Diese Nachhaf- tung erfasst die Kosten von Stilllegung und Rückbau der Kernkraftwerke, die fachgerechte Verpackung der Ab- fälle und die Zahlungspflichten an den einzurichtenden Fonds . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620988 (A) (C) (B) (D) Dass die finanziellen Risiken im Hinblick auf die Entsorgung des Atommülls niemals vollständig und in Gänze aus dem Weg geräumt werden können, versteht sich bei diesem unabsehbaren Risiko von selbst . Umso wichtiger ist es, zu verhindern, dass sich die Verursacher am Ende aus dem Staub machen und die Allgemeinheit mit den Kosten allein lassen . So wie das Gesetz heute beschlossen wurde, ist es eine gute Grundlage, um die Finanzierung der Atommüllend- lagerung soweit wie möglich zu sichern . Im Zuge der Debatte um den Gesetzentwurf konnten die Atomkonzerne außerdem dazu bewegt werden, 20 der verbliebenen 22 Klagen im Atomsektor zurückzuzie- hen, darunter auch die Klage gegen verschiedene Lan- desregierungen bezüglich des im Jahr 2011 verhängten Moratoriums für sechs besonders anfällige AKW . Über zwei verbleibende Klagen, die nicht unmittelbar mit der Entsorgungsfinanzierung zusammenhängen, wird weiter zu verhandeln sein . Ulli Nissen (SPD): Mit der heutigen Entscheidung geht unser Parlament den historischen Schritt einer Neu- ordnung der Verantwortung und damit auch Finanzie- rung der Atomenergie-Folgelasten . Zwar liegt im Sinne des Verursacherprinzips die Verantwortung zur Abwick- lung der Atomenergienutzung richtigerweise grundsätz- lich bei den Betreibern von Atomkraftwerken und den betreffenden Energiekonzernen . Letztlich wird aber die Allgemeinheit zur Verantwortung gezogen, wenn die Betreiber etwa durch Konzernaufspaltungen oder Insol- venzen nicht mehr zur Haftung herangezogen werden können . Zugleich muss uns bewusst sein, dass über Jahr- zehnte unterbliebene Vorsorge nachträglich kaum mehr erfüllbar ist . Während mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz die ökonomische Verantwortung von Stilllegung, Rück- bau und Verpackung beim Betreiber verbleibt, geht die Verantwortung für Zwischenlagerung und Endlagerung auf den Staat über, insofern die hierfür nun gesetzlich for- mulierten Voraussetzungen erfüllt werden . Die langfris- tig währende Verantwortung für die Zwischenlagerung und Endlagerung wird dabei über einen öffentlich-recht- lichen Fonds getragen, der vonseiten der Betreiber mit einem Vermögen von insgesamt 23,556 Milliarden Euro auszustatten sein wird . Mit den Regelungen zur Nachhaftung verhindern wir die Enthaftung der Konzerne durch Betreiberinsolvenzen oder Konzernaufspaltungen . Die Verabschiedung eines Nachhaftungsgesetzes bereits im letzten Jahr war von- seiten der CDU/CSU trotz erfolgten Kabinettsbeschlus- ses verhindert worden . Umso wichtiger ist es, dass eine Nachhaftungsregelung nun mit verabschiedet wird . Kri- tisch betrachte ich dabei, dass sich die Nachhaftung bei Konzernaufspaltung nur auf den Bereich der Zwischen- und Endlagerung, hingegen nicht auch auf die Phase der Stilllegung, des Rückbaus und der Verpackung bezieht . Auf eine umfassendere Nachhaftungsregelung konnte sich leider nicht geeinigt werden . Mit den atomgesetzlichen Änderungen wird die Op- tion des sogenannten sicheren Einschlusses nahezu ab- geschafft . Die Ausschließlichkeit des Rückbaus hat die SPD seit langem gefordert . Erst in der vergangenen Woche hat das Bundesver- fassungsgericht entschieden, dass der Atomausstieg im Wesentlichen verfassungskonform war . Allein vor die- sem Hintergrund erwarte ich von den Atomkonzernen die Rücknahme aller im Zusammenhang mit Atomener- gienutzung zusammenhängenden Klagen, auch solcher, die von den jüngsten Ankündigungen der Konzerne nicht erfasst sind . Es entspricht meinem parlamentarischen Selbstverständnis, dass im Fall eines Aufrechterhaltens von Klagen vonseiten der Konzerne und einer sich hie- rüber zulasten der Allgemeinheit verschlechternden Vermögenssituation eine Neuberechnung der Kosten- lasten vorzunehmen wäre . Es entspricht auch der mit einem Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Ausschussdrucksa- che 18(9)1073 – erklärten Erwartungshaltung gegenüber der Bundesregierung, die Rücknahme aller Klagen zu erreichen . Der Entschließungsantrag bringt zudem die Erwar- tungshaltung zum Ausdruck, dass die Geldanlage des einzurichtenden Fonds nachhaltig erfolgt, dass die Mittel nicht in Projekten oder Anlagen Verwendung finden, die dem übergeordneten Willen des Gesetzgebers zuwider- laufen, die Nutzung der Atomenergie zu beenden . Hier- für hatte sich die SPD-Fraktion eingesetzt . Ich bedaure, dass unser Koalitionspartner diesbezüglich keiner ge- setzlichen Regelung zustimmen wollte . Während des parlamentarischen Verfahrens ist es ge- lungen, die Beteiligung des Parlaments für den weiteren Prozess, etwa in der Zusammensetzung des Kuratoriums zur Begleitung des Fonds und dessen Einrichtung, zu ge- währleisten . In Bezug auf die Einsetzung von Kommissionen im Vorfeld parlamentarischer Beratungen hat sich die Kom- mission zur Überprüfung der Finanzierung des Kern- energieausstiegs (KFK) als ein hilfreiches Instrument erwiesen, einen Rechtsfrieden auch im Sinne anderer zivilgesellschaftlicher Akteure herzustellen . Zugleich dürfen außerparlamentarische Kommissionen nicht zur Eingrenzung parlamentarischer Gestaltung führen, wenn etwa bereits ein Regierungsentwurf von Bin- dungswirkung in Bezug auf die Einstimmigkeit eines Kommissionsbeschlusses gekennzeichnet ist . Dies wird dem parlamentarischen Beratungsprozess, den hiesigen öffentlichen Anhörungen, aber auch den einzelnen Ab- geordneten nicht gerecht und gefährdet nicht zuletzt die Bedeutung der parlamentarisch-repräsentativen Demo- kratie . Nach meiner Überzeugung sollten Kommissionen der hier eingesetzten Form nur in absoluten Ausnahme- fällen eingesetzt werden, wenn der Fokus einzubeziehen- der Expertise dies über die Thematik und die Dauer so- wie den Hergang einer öffentlichen Auseinandersetzung rechtfertigt . In einer Gesamtbetrachtung begrüße ich, dass mit dem vorliegenden Gesetz ein Mehr an Rechtssicherheit für die Kostentragung im Zusammenhang der Abwicklung der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20989 (A) (C) (B) (D) Atomenergienutzung geschaffen wird, und stimme dem Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu . Josef Rief (CDU/CSU): Ich begrüße ausdrücklich, dass mit dem KFK-Gesetz die operative und finanziel- le Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung der kerntechnischen Anlagen zwischen Kernkraftwerksbe- treibern und Bund neu geregelt wird . Wir setzen das Ver- ursacherprinzip um, machen es zukunftsfest und schaffen Planungssicherheit . Auch das Ziel des Nachhaftungsge- setzes begrüße ich ausdrücklich . Energieversorger dürfen sich nicht durch Umstrukturierungen von der Haftung für die Kosten des Rückbaus, der Zwischen- und Endlage- rung befreien . Allerdings erkläre ich hiermit ausdrück- lich, dass ich die sich eventuell ergebende Haftungser- weiterung im Falle der Energie Baden-Württemberg AG auf die Anteilseigner Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) und das Land Baden-Würt- temberg ablehne . Ich halte diese Haftungserweiterung für nicht im Sinne des ursprünglichen Gesetzesgedan- kens, da dadurch eine neue, bis dahin nicht vorhandene Haftung entsteht . Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Ich stim- me dem Gesetzentwurf zu und begrüße ausdrücklich, dass mit dem KFK-Gesetz die operative und finanziel- le Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung der kerntechnischen Anlagen zwischen Kernkraftwerks- betreibern und Bund neu geregelt wird . Wir setzen das Verursacherprinzip um, machen es zukunftsfest und schaffen Planungssicherheit . Auch das Ziel des Nach- haftungsgesetzes begrüße ich ausdrücklich . Energie- versorger dürfen sich nicht durch Umstrukturierun- gen von der Haftung für die Kosten des Rückbaus, der Zwischen- und Endlagerung befreien . Allerdings erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die sich eventuell ergebende Haftungserweiterung im Falle der Energie Baden-Württemberg AG auf die Anteilseig- ner, den Zweckverband Oberschwäbische Elektrizi- tätswerke (OEW) und das Land Baden-Württemberg, ablehne . Ich halte diese Haftungserweiterung für nicht im Sinne des ursprünglichen Gesetzesgedankens, da dadurch eine neue, bis dahin nicht vorhandene Haf- tung entsteht . Anlage 6 Erklärung der Abgeordneten Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Entschließung un- ter Buchstabe c der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung (Tagesord- nungspunkt 3) Namens der Fraktion Die Linke erkläre ich: Unser Votum zu Buchstabe c der Beschlussempfehlung lautet Ablehnung . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Katja Dörner, Katja Keul und Claudia Roth (Augsburg) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der nament- lichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführ- ten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen na- tionalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Ta- gesordnungspunkt 9) Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundes- wehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen ha- ben . Der Einsatz von Militär kann immer nur äußerstes Mittel zur Gewalteindämmung und Friedenssicherung sein . Militär kann bestenfalls ein Zeitfenster für Krisen- bewältigung schaffen, nicht aber den Frieden selbst . In Afghanistan gab es jahrelang eine Dominanz mili- tärischer Zielsetzungen gegenüber zivilen Lösungsansät- zen und ein fehlendes entwicklungspolitisches Konzept . Schon seit langem war klar, dass die Strategie, vorrangig mit militärischen Mitteln eine Friedenslösung erzwingen zu wollen, gescheitert ist . Ein stabiler und dauerhafter Frieden kann nur über den Verhandlungsweg erreicht werden . Die Capture-or-Kill-Operationen und die geziel- ten Tötungen durch Drohnenangriffe der USA forderten immer wieder zivile Opfer und haben das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in die internationale Präsenz untergraben . Eine politische Lösung wurde dadurch in den letzten Jahren enorm erschwert . Die Bundesregierung behauptet, dass es sich bei der seit 2015 eingesetzten NATO-Mission Resolute Support nicht um einen Kampfeinsatz handele, sondern um eine Ausbildungs- und Trainingsmission für die afghanischen Sicherheitskräfte . Tatsächlich ist jedoch das Verhältnis zwischen Ausbildung und Training sowie einer mög- lichen Beteiligung an der Aufstandsbekämpfung nicht eindeutig geklärt . Eine Begleitung von afghanischen Truppen in Kampfeinsätze wird im vorgelegten Mandat der Bundesregierung nicht ausdrücklich ausgeschlos- sen . Darüber hinaus dürfen seit Juni 2016 US-Truppen wieder an Kampfeinsätzen zur offensiven Aufstandsbe- kämpfung teilnehmen . Dies hatte US-Präsident Obama erlaubt, nachdem er Ende 2014 zunächst alle offensiven US-Kampfeinsätze in Afghanistan für beendet erklärt hatte . Da US-Soldatinnen und -Soldaten nun zwischen Counter-Insurgency-Operationen und Ausbildung ein- fach hin- und herwechseln können, ist eine klare Ab- grenzung zwischen Kampfeinsatz und Ausbildung in der Praxis nur noch schwer möglich . Eine Verstrickung deut- scher Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in Operati- onen offensiver Aufstandsbekämpfung, die wir grund- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620990 (A) (C) (B) (D) sätzlich ablehnen, kann somit nicht mehr ausgeschlossen werden . Nachdem die NATO zweimal die gesetzten Abzugs- termine, mit denen auch für Akzeptanz in der Bevölke- rung geworben wurde, nicht eingehalten hat, wurde auf dem NATO-Gipfel in Warschau im Juni 2016 vereinbart, den Afghanistan-Einsatz zeitlich nicht mehr zu befristen . Dadurch droht ein langjähriger, nicht absehbarer Einsatz in Afghanistan mit Verwicklung in Kämpfe und ohne eine Exit-Strategie . Ein solches zeitlich unbegrenztes NATO-Mandat halten wir für falsch . Gleichzeitig müssen aber auch die positiven Entwick- lungen in Afghanistan mit viel Geduld und ausreichend finanziellen Mitteln gesichert werden. Afghanistan wird auch noch in den nächsten Jahrzehnten auf internationale Unterstützung angewiesen sein . Deshalb dürfen wir nicht nachlassen, unsere humanitären und entwicklungspoliti- schen Verpflichtungen gegenüber Afghanistan weiter zu erfüllen . Darüber hinaus ist eine Fortführung der politi- schen Verhandlungen zwischen der afghanischen Regie- rung und den Taliban notwendig . Ein stabiler und dau- erhafter Frieden in Afghanistan kann letztlich nur über den Verhandlungsweg erreicht werden . Die Strategie, Af- ghanistan militärisch zu befrieden, ist bisher gescheitert und auch für die Zukunft nicht sinnvoll, sondern falsch . Deshalb lehnen wir dieses Mandat ab . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annalena Baerbock und Luise Amtsberg (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Be- teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der af- ghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicher- heitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) Knapp zwei Jahre nach Abzug der ISAF-Kampftrup- pen gibt es in Afghanistan kein sicheres Umfeld für die Bevölkerung, geschweige die Regierung, ihre Bedienste- ten und internationale Helfer . Die Sicherheitslage in Af- ghanistan hat sich in den vergangenen Monaten weiter massiv verschlechtert . Die Taliban und andere aufstän- dische Gruppen verüben weiter ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung grausame Attentate und Attacken . Im Oktober 2016 gelang es den Taliban zum dritten Mal innerhalb der letzten zwei Jahre, strategische Punkte der Provinzhauptstadt Kunduz vorübergehend zu kon- trollieren . Am 10 . November 2016 forderten der schreck- liche Sprengstoffangriff auf das deutsche Generalkonsu- lat und die anschließenden Kämpfe mit den Angreifern in Masar-i-Scharif vier Todesopfer und 128 teilweise schwer Verletzte . Das Konsulatspersonal wird nun im Camp Marmal der Bundeswehr untergebracht . Das deut- sche Konsulat in Masar wird nach derzeitigem Stand nicht wiedereröffnet werden . Die Opferzahlen unter Zivilpersonen und afghani- schen Sicherheitskräften sind so hoch wie nie seit 2001 . Im ersten Halbjahr 2016 erreichte die Gesamtzahl der Zivilopfer im Kontext des bewaffneten Konflikts mit 5 166, davon 1 601 Tote und 3 565 Verletzte, einen neuen Höchstwert . Gerade die Anzahl von Kindern unter den Opfern steigt dramatisch an, nicht zuletzt auch durch komplexe und Suizidattacken – 62 Prozent davon in Ka- bul . Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, in- wieweit die Aufbau- und Entwicklungsunterstützung so weiterlaufen kann . Wir haben uns immer klar dazu be- kannt, dass Deutschland langfristig in Afghanistan enga- giert bleiben muss . Vor allem mit ziviler Hilfe und wirt- schaftlichem Engagement . Wenn diese ohnehin bereits massiv zurückgefahrene Hilfe weitergeführt werden soll und die afghanischen Sicherheitskräfte den Bürgerinnen und Bürgern – nach dem Abzug von ISAF, der rückbli- ckend vor allem an den eigenen Interessen und ohne jede Rücksicht auf die tatsächliche Lage, auf die Afgha- nen, ihre Bevölkerung und Sicherheitskräfte durchführt würde – überhaupt Schutz geben sollen, halten wir eine Beendigung der Ausbildungshilfe durch die Bundeswehr im Rahmen der Resolute Support Mission (RSM) in der jetzigen Situation für den falschen Weg . Die Bundeswehr kämpft nach den Vorgaben des jet- zigen Mandates nicht, sondern berät und unterstützt, wo es nötig ist . Wenn die afghanischen Sicherheitskräfte den Bürgerinnen und Bürgern wirksamen Schutz bieten sol- len, dann ist mehr notwendig als der Aufbau einer zah- lenmäßig großen Armee in kurzer Zeit . Für den Aufbau effektiver und legitimer Sicherheitskräfte braucht es ei- nen langen Atem und einen kurzen Draht zu ihnen . Dabei darf man sich keine Illusionen über die unmit- telbaren Auswirkungen der Mission auf die Sicherheits- lage machen . Der Hoffnung, Resolute Support könne einen kleinen und notwendigen Beitrag zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Aufbauhilfe leisten, stehen die grundsätzlichen Bedenken über die Wirkungsmög- lichkeit der Ausbildungsmission unter den herrschenden politischen Rahmenbedingungen gegenüber: Trotz lang- jähriger intensiver Ausbildungsbemühungen gibt es im- mer wieder Hinweise – und zwar nicht allzu wenige – auf Korruption, Desertion und Gewalt innerhalb der afghani- schen Sicherheitskräfte . Zudem kommt es nach wie vor zu gravierenden militärischen Fehlentscheidungen . Die politische Führung des Landes ist zerrissen und hat mit ihrer inneren Konsensunfähigkeit, die tribalisti- sche Züge hat, das Vertrauen großer Bevölkerungsteile verloren . Ohne die Rahmenbedingungen einer guten politischen Führung kann jedoch die Ausbildung von Sicherheitskräften genauso wenig Erfolg haben wie die Entwicklung des Landes . Auf dieses Problem haben der- zeit weder die VN noch die EU eine Antwort . Dies beein- trächtigt die Arbeit von Resolute Support . Während die Bundesregierung betont, im Rahmen von RSM nur Ausbildung zu betreiben, machen andere Staa- ten wie die USA diese Festlegung explizit nicht . Die USA gehen im Rahmen dieses Mandates, aber auch außerhalb dessen mit Drohnenangriffen und Capture-or-Kill-Ope- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20991 (A) (C) (B) (D) rationen weiter gegen die Taliban vor . Das deutsche En- gagement darf sich nicht von solchen Interpretationen leiten lassen . Nichtsdestotrotz kommen wir in der Abwägung zwi- schen diesen verheerenden Entwicklungen und dem Fakt, dass die Forderung nach dem Schutz der Zivilbevölke- rung, der Förderung des zivilen Aufbaus, der Unterstüt- zung der Zivilgesellschaft und der Frauenrechtsgruppen ohne Basissicherheit zum bloßen Lippenbekenntnis ver- kommt, zu dem Schluss, dass man die Mission nicht be- enden sollte . Allerdings können wir diesem Mandat der deutschen Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht ein- fach zustimmen . Denn die Bundesregierung formuliert im Rahmen ihres Mandates klar, wie schwierig und ge- fährlich die Lage in Afghanistan ist und dass man des- halb den Militäreinsatz verlängern müsse . Zeitgleich er- klärt dieselbe Bundesregierung jedoch, dass große Teile des Landes so sicher seien, dass just in diesem Moment Männer, Frauen und Kinder in genau dieses Land abge- schoben werden . Dieser Widerspruch könnte nicht grö- ßer sein . Eine halbe Million neuer Binnenvertriebener ist gerade von den Vereinten Nationen in Afghanistan regis- triert worden . Das zeigt die Dramatik der Lage . Einerseits zu Recht zu erklären, wie dramatisch die Lage vor Ort sei, andererseits aber Abschiebungen und Rückführungen zu verfolgen und das obendrein dann noch daran zu koppeln, dass in Zukunft Entwicklungszu- sammenarbeit nur gibt, wenn Afghanistan mehr Flücht- linge zurücknimmt, das passt für mich nicht zusammen . Das ist zynisch . Vor diesem Hintergrund enthalten wir uns bei diesem deutschen Mandat . Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kerstin Griese und Ute Vogt (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso- lute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Ver- teidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungs- punkt 9) Den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes unterstützen wir . Gleichzeitig kritisieren wir die derzeit stattfindenden Abschiebungen von Flüchtlingen nach Afghanistan. In Afghanistan fin- den in einigen Landesteilen weiterhin täglich Kämpfe statt . Der Deutsche Bundestag beschließt eine Fortset- zung des Einsatzes, mit dem Bundeswehr-Soldaten in das Land geschickt werden, um den Frieden zu sichern . Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen nach Afghanistan, da sich Reisende der „Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte“ bewusst sein müssten . Wir halten Abschiebungen nach Afghanistan in der aktu- ellen Situation für gefährlich und lehnen sie ab . Anlage 10 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf- te am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Tagesordnungspunkt 9) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Ich stimme mit Nein, weil der Bundeswehreinsatz in Afghanistan nicht zum Frieden beigetragen hat . Er hat den Terror nicht bekämpfen können . Das Scheitern der NATO-Politik schlägt sich vor allem in der militärischen Lage nieder, die von steigenden Opferzahlen, Anschlägen und Kämp- fen geprägt ist . Darum werde ich aus den genannten Gründen gegen diesen Einsatz stimmen . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundeswehr befindet sich seit über einem Jahrzehnt im Einsatz in Afghanistan . So, wie sich die Lage in Afgha- nistan mehrfach geändert hat, hat sich auch der Charakter dieses Einsatzes immer wieder gewandelt . Die Beendi- gung des ISAF-Einsatzes und des Kampfauftrages der Bundeswehr in Afghanistan war daher richtig und bleibt ein wichtiger Schritt, um die afghanischen Sicherheits- kräfte selbst in Verantwortung für ihr Land zu bringen . Mit dem Folgemandat und dem Einsatz Resolute Support nimmt die Bundeswehr die Rolle einer Ausbilderin und Unterstützerin der afghanischen Sicherheitskräfte ein . Gerade weil die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor fragil ist, erachte ich es als richtig und notwendig, dass eine solche Unterstützung auch weiterhin sicher- gestellt wird . Niemand weiß, wie sich die Situation im Land in den nächsten Jahren entwickeln wird und ob es gelingt, einen dauerhaften Frieden in Afghanistan – auch und gerade mit diplomatischen Mitteln – zu erreichen . Sollten die internationale Gemeinschaft und die Bundes- wehr die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte jetzt beenden, würden die Chancen für ziviles Engage- ment und eine langfristige friedvolle Entwicklung des Landes genommen werden . Es bedarf eines langfristigen Engagements der inter- nationalen Gemeinschaft, vor allem mit ziviler Hilfe und wirtschaftlichem Engagement, damit sich Afghanistan weiterentwickeln kann . Dies kann jedoch nur in einem sicheren Umfeld stattfinden. Die afghanischen Sicher- heitskräfte sind noch nicht in der Lage, alleine für Si- cherheit zu sorgen . Dies hat der Angriff auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif am 10 . November 2016 erneut gezeigt . Mit dieser Erkenntnis schwindet leider auch die Hoff- nung, dass wir uns rasch aus der Beraterrolle heraus- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620992 (A) (C) (B) (D) ziehen und den Militäreinsatz in Afghanistan vollends beenden können . Ich erachte es vor diesem Hintergrund als wichtig, Afghanistan durch Ausbildung weiter zu un- terstützen . Auch wenn wir die Militärintervention in Af- ghanistan in Gänze äußerst kritisch betrachten, wäre es in der heutigen konkreten Situation Afghanistans nicht dienlich, die Ausbildungsmission der Bundeswehr zu be- enden . Mit meiner Zustimmung will ich zum Ausdruck brin- gen, dass wir den Menschen in Afghanistan zur Seite stehen und verlässlich Unterstützung zukommen lassen wollen . Perspektivisch ist es mir ein wichtiges Anliegen, dass die afghanischen Kräfte in eigener Verantwortung für Sicherheit sorgen können, sodass die afghanische Be- völkerung in Frieden leben kann . Viele Menschen, die täglich aus dem Haus gehen in der Ungewissheit, ob sie am Abend ihre Familien wiedersehen, diese Menschen – insbesondere die junge Generation – wollen ihr Land aufbauen und haben die Hoffnung, dass Afghanistan eine bessere Zukunft haben kann . Dies ist auch eine Grundvo- raussetzung dafür, dass Menschen in Afghanistan bleiben können und nicht zur Flucht gezwungen werden . Ich stimme daher dem Antrag der Bundesregierung zu . Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an di- gitalen Grundaufzeichnungen (Zusatztagesord- nungspunkt 4 a) Entgegen allen Beteuerungen, Steuerbetrug in Deutschland bekämpfen zu wollen, wollten CDU und CSU zunächst kein Gesetz, jedenfalls kein Gesetz, das hilft, Kassenbetrug wirksam zu verhindern und zu ahn- den . Dabei geht es um zweistellige Milliardenbeträge pro Jahr, um Betrug gegenüber allen fair Steuern zah- lenden Bürgerinnen und Bürgern . Es waren die Finanz- minister der SPD-geführten Bundesländer, vornehmlich der Finanzminister aus NRW, Norbert Walter-Borjans, und Andreas Schwarz, SPD Bundestagskollege im Fi- nanzausschuss, die den Umsatzsteuerbetrug öffentlich gemacht und den Druck in Richtung Gesetzgebung stetig erhöht haben. Schließlich wurde im Bundesfinanzminis- terium (BMF) ein Referentenentwurf erarbeitet, ein Re- ferentenentwurf der besonderen Art: ein Gesetzentwurf mit leerem Anwendungsbereich, also ein Gesetzentwurf, der sicherstellt, dass der Betrug bis auf weiteres in al- tem Stil möglich ist . Obwohl es eine von der Physika- lisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) entwickelte Si- cherheitslösung (INSIKA) gibt, wurde im Gesetz – unter Ausschluss der existierenden Lösung – eine künftig noch von Unternehmen zu entwickelnde Softwarelösung vorgeschrieben – ohne zu wissen, bis wann die Indus- trie solche Lösungen entwickelt haben wird . Erst im Jahr 2020 besteht dann die Möglichkeit, die schon exis- tierende Technik einzusetzen, falls sich die Hoffnung auf eine künftige Lösung nicht erfüllt . Wie das Bundesministerium der Finanzen haben auch CDU/CSU die Einführung des INSIKA-Verfahrens blo- ckiert . Die Ablehnung des BMF konnte nicht fachlich be- gründet werden, sie scheint eher auf verwaltungsinternen Befindlichkeiten zu beruhen. So fehlt dem Gesetz nun ein definierter Anwendungsbereich. Das ist nicht zufrie- denstellend . Aus diesem Grund hat der Finanzausschuss, den Anregungen von Ralph Brinkhaus – stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfrak- tion – und Andreas Schwarz als SPD-Berichterstatter folgend, die Ermächtigung des BMF, eine Rechtsver- ordnung zu erlassen, unter den Zustimmungsvorbehalt des Bundestages gestellt und in Artikel 1 Nummer 3 den §146a wie folgt geändert: „(2) Das Bundesministerium der Finanzen wird er- mächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates und im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern und dem Bun- desministerium für Wirtschaft und Energie Folgendes zu bestimmen: 1 . die elektronischen Aufzeichnungssysteme, die über eine zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung verfügen müssen, und 2 . die Anforderungen an a . das Sicherheitsmodul, b . das Speichermedium, c . die einheitliche digitale Schnittstelle, d . die elektronische Aufbewahrung der Aufzeich- nungen, e . die Protokollierung von digitalen Grundauf- zeichnungen zur Sicherstellung der Integrität und Authentizität sowie der Vollständigkeit der elektronischen Aufzeichnung, f . den Beleg, e. die Zertifizierung der technischen Sicherheits- einrichtung Die Erfüllung der Anforderungen nach Satz 1 Num- mer 2 Buchstabe a bis c ist durch eine Zertifizierung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik nachzuweisen, die fortlaufend aufrechtzuerhalten ist .“ INSIKA ist die Abkürzung von „Integrierte Sicher- heitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme“ . Es handelt sich um ein System zum Schutz der digitalen Aufzeichnungen von Bargeschäften gegen Manipulatio- nen auf der Basis von kryptografischen Verfahren, ins- besondere in Registrierkassen und Taxametern . INSIKA wird bereits erfolgreich im Taxigewerbe in Hamburg ein- gesetzt, die Wettbewerbsverzerrungen durch schwarze Schafe unter den Hamburger Taxiunternehmen sind wei- testgehend aufgehoben . Durch die Manipulationen elektronischer Aufzeich- nungen in Kassensystemen erleidet der Staat jedes Jahr einen immensen finanziellen Schaden. Der Bundesrech- nungshof schätzt die jährlichen Steuerausfälle auf bis zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20993 (A) (C) (B) (D) 10 Milliarden Euro . Die Deutsche Steuergewerkschaft (DSTG) wie auch Länderfinanzministerien halten noch deutlich höhere Ausfälle für möglich . Bisher besteht kein gesetzlicher Rahmen, der die Korrektheit und Vollstän- digkeit dieser Kassendaten, genauer: der digitalen Grund- aufzeichnungen von steuerlich relevanten Geschäftsvor- fällen, sicherstellt . Daher ist es dringend notwendig, ein solches Gesetz zu schaffen . Aktuell existiert in Deutschland kein Registrierkas- senmodell, das nicht manipulierbar ist . Mithilfe von pas- sender Software ist es bisher möglich, eine vorgenom- mene Buchung in einem Kassensystem nachträglich zu verändern, sie zu löschen oder ihre Aufzeichnung von vornherein auszuschalten . So drückt beispielsweise der Besitzer einer Gaststätte am Abend eine Taste mit der Bezeichnung „Trainee“, und alle Umsätze eines Kellners sind auf immer vernichtet . Wenn in einem Betrieb gar keine Registrierkasse existiert, wird für den Betrug nicht einmal eine Soft- ware benötigt . Der Bundesrechnungshof gibt an, dass bei der Besteuerung von Bargeldgeschäften inzwischen ein strukturelles Vollzugsdefizit existiert. So kann zurzeit eine gleichmäßige Besteuerung bargeldintensiver Betrie- be nicht sichergestellt werden . Das schadet nicht nur dem Staat, allen Bürgerinnen und Bürgern, sondern vor allem auch den vielen einzel- nen steuerehrlichen Unternehmern, die dadurch unter massiven Wettbewerbsverzerrungen zu leiden haben . Gleichzeitig leiden steuerehrliche Unternehmen in bar- geldintensiven Branchen unter einem Generalverdacht, weil die Möglichkeiten der Finanzverwaltung, Betrug bei Bargeschäften aufzudecken, begrenzt sind und Prü- fungen deswegen lange dauern . Das führt zusätzlich zu einem hohen Bürokratieaufwand . Auch aus diesem Grund ist die Bundesregierung tätig geworden . Der vorliegende Gesetzentwurf ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung . Er lässt jedoch weiter- hin Steuerschlupflöcher zu, weil sich unser Koalitions- partner CDU/CSU in den Verhandlungen gegen deren Schließung verwehrt hat . Das ist sehr ärgerlich, ist aber auch ein Beleg dafür, wie ernst es CDU und CSU mit der Bekämpfung von Kassenbetrug ist . Um den Steuerbetrug durch Kassenmanipulation ef- fektiv bekämpfen zu können, wäre ein wirksames Ge- samtkonzept notwendig, das die Finanzverwaltung in die Lage versetzte, Kassennachschauen und Prüfungen ohne großen Aufwand durchführen zu können . Dabei müssen die Bürokratiekosten für Unternehmen und Steu- erverwaltung niedrig gehalten werden . Deshalb hat die SPD-Fraktion folgende zusätzlichen Anforderungen an den Gesetzentwurf gestellt: Die Einführung einer Belegausgabepflicht, damit das Finanzamt schnell und einfach prüfen kann, ob Umsätze korrekt erfasst sind . Die Verwendung des sogenannten INSIKA-Verfah- rens als technische Lösung, da es bereits vorhanden, er- probt, sicher und kostengünstig ist . Die Einführung einer zentralen Kassenregistrierung, um das Risiko der Manipulation durch Zweitkassen zu minimieren . Die Einführung einer Kassenpflicht, mit Ausnahmen unter anderem für Kleinunternehmer, Sportfeste und Wo- chenmärkte . Und warum stimmen wir unter diesen Bedingungen zu? Weil es eine Belegausgabepflicht für elektronische Kassen ab dem Jahr 2020 – wichtig für die Gauner: nicht ab 2019, nicht ab 2018 und nicht ab 2017 – geben wird . Damit wird künftig ein wichtiges Instrument geschaffen, um Druck auf Steuerbetrüger aufzubauen . Das Entde- ckungsrisiko für den Betrüger erhöht sich . Ebenso wird es künftig möglich sein, elektronische Kassensysteme eindeutig zuordnen und mithilfe von Kassennachschauen oder Prüfungen Zweitkassen zu entdecken . Den Finanz- ämtern wird es ab 2018 möglich sein, unangemeldet Kas- sen zu prüfen – und damit immerhin zwei Jahre früher, als es im Gesetzentwurf des BMF vorgesehen war . Selbst hier war es nicht möglich, die unangemeldete Kassen- nachschau ab 2017 einzuführen . Auch die Einführung einer Kassenpflicht war leider aufgrund des Widerstands von CDU/CSU noch nicht möglich. Das hinterlässt ein Steuerschlupfloch. Die Ar- gumentation unseres Koalitionspartners, damit alle Un- ternehmer in bargeldintensiven Branchen unter Gene- ralverdacht zu stellen, ist falsch. Eine Kassenpflicht ist vielmehr ein Beitrag zur Unterstützung des ehrlichen Un- ternehmers, der aufgrund von betrügenden Konkurrenten Wettbewerbsnachteile erfährt . Ich verdächtige nur den Betrüger – der Ehrliche ist frei von Verdacht . Mit dem geplanten Gesetz gehen wir einen ersten und wichtigen Schritt und damit gegen Steuerbetrug bei Kassensystemen vor . Deshalb stimme ich dem Gesetz- entwurf zu . Ich möchte aber sehr deutlich machen, dass dieses Gesetz weiterentwickelt werden muss, damit die Steuerschlupflöcher, die nun offen bleiben, ebenfalls ge- schlossen werden können . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Alexander S. Neu, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Weichen für eine Europäische Union der Abrüstung und des Friedens stellen (Tagesord- nungspunkt 18) Robert Hochbaum (CDU/CSU): Deutschland hat es sich zur Aufgabe gemacht, international für den Frieden und die Menschenrechte einzustehen und gemeinsam mit unseren europäischen Partnern Verantwortung zu übernehmen . Dieser Kurs ist nicht nur das Produkt von Koalitionsverhandlungen . Denn auch in unserem Land mussten bereits andere Nationen für den Schutz unse- rer freiheitlichen, demokratischen Werte einstehen . Die jüngere Geschichte zeigt uns, dass der Friede in Euro- pa untrennbar mit einer vernünftigen Sicherheitspolitik Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620994 (A) (C) (B) (D) verbunden ist . CDU und CSU werden die Sicherheit der deutschen Bevölkerung und jene unserer Partnerländer nicht auf Kosten einer bedingungslosen Friedenspolitik preisgeben . Unsere geltenden Rüstungskontrollverträge stehen natürlich nicht auf dem erträumten Fundament einer waf- fenfreien Welt, sondern basieren auf langjährigem zwi- schenstaatlichen Vertrauen . Mit Blick auf Russland muss ich sagen, dass dieses Vertrauen auf eine sehr harte Probe gestellt wird . Von rückwärtsgewandten Schuldzuweisungen profitiert je- doch keine Seite . Der stetige Dialog, das unermüdliche Ringen um den Konsens am Verhandlungstisch sind un- sere erklärten Ziele . Dem gehen wir seit geraumer Zeit in verschiedenen Gremien entschlossen nach, allen voran unsere Bundeskanzlerin und unser Außenminister . Als Unterausschussvorsitzender kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung berichten, dass man Bestrebungen zu umfangreicher Abrüstung und Rüstungskontrolle von russischer Seite derzeit abwartend gegenübersteht, auf keinen Fall jedoch ablehnend . Das lässt hoffen . Im Inte- resse des Friedens bleibt auch allen Parteien keine andere Wahl . Die bestehenden Rüstungskontrollverträge zu sichern, ist nur ein Teil unserer Aufgabe . Langfristig müssen wir im Rahmen der OSZE-Verhandlungen ein wirksames Derivat zum KSE-Vertrag finden, eines, das die souverä- nen Interessen aller OSZE-Mitglieder auf einen gemein- samen Nenner bringt . Bundesaußenminister Steinmeier hat mit seiner Rüstungskontrollinitiative einen wichtigen Schritt unternommen . Niemand am Verhandlungstisch hat die Absicht, die Situation weiter zu verschärfen . Ge- nau diesen erkennbaren Willen gilt es aufzugreifen . Er ist zugleich die Chance auf den Erfolg des Minsker Ab- kommens und die notwendige Erneuerung des Wiener Dokuments . Mit der OSZE haben wir das geeignete Fo- rum, um die Gespräche zu vertiefen und an Lösungen zu arbeiten . Die Verhandlungen werden uns allerdings einen langen Atem abverlangen . Meine Damen und Herren, eines gilt es hervorzuhe- ben: Es sind die internationalen Teams der OSZE, die in den Krisengebieten, insbesondere als Teil der Sonder- mission im Donbass, oft unter Lebensgefahr wichtige Arbeit für die Friedensbemühungen leisten . Ihnen gilt unser Dank, denn sie stützen damit, Tag für Tag, aktiv den Frieden in Europa . Unser Minister Frank-Walter Steinmeier hat natürlich recht, wenn er beim Ministerrat in Hamburg die zahlrei- chen neuen Gefahren nennt, auf die sich die OSZE-Län- der einstellen müssen . Cyberkrieg, hybride Kriegs- führung, politische und religiöse Radikalisierung – die globalen Bedrohungen entwickeln sich weiter . Wir müs- sen uns darauf einstellen . Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, jetzt vor- schnell überzogene Forderungen zu stellen nach einem Stopp der zwingend notwendigen Rüstungsmodernisie- rungen in Deutschland bzw . Europa, fördert in keiner Weise all unsere diplomatischen Bemühungen . Wir müs- sen beharrlich an realistischen Lösungen arbeiten . Frie- den und Sicherheitspolitik gehen dabei Hand in Hand . Gerade der gegenseitige, partnerschaftliche Schutz ist es doch, der zur Vertrauensbildung und Gemeinschaft in- nerhalb Europas ganz maßgeblich beiträgt . Deutschland wird auch weiterhin diesen Beitrag leis- ten . Die gemeinsame europäische Sicherheitspolitik ist es, die es vermag, der Friedenspolitik in Europa eine star- ke Stimme zu verleihen . Sie verhindert übrigens auch, dass einzelne Länder unserer Gemeinschaft zum militäri- schen Spielball der geostrategischen Interessen einer an- deren Nation werden . Wer wären wir denn, würden wir unsere kleineren und schwächeren Partner dem preisge- ben? – Insofern muss man sich auch für eine intensivere europäische Verteidigungskooperation aussprechen . Die Hand nach Russland bleibt jedoch immer ausge- streckt . Dabei wird eine wertegebundene Außen- und Si- cherheitspolitik unser Handeln in den kommenden Jah- ren weiterhin prägen . Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Die Unionsfrakti- on begrüßt, dass uns die Fraktion Die Linke Gelegenheit gibt, im Advent über den Frieden zu sprechen . In der Bibel, die ich in dieser Adventszeit besonders unbefan- gen zitieren darf, wird immer wieder die Hoffnung auf Frieden angesprochen, oft in Verbindung mit anderen ho- hen Begriffen: „Liebet Wahrheit und Frieden“ (Sachar- ja 8, 19), „Dein Name wird genannt werden Friede der Gerechtigkeit“ (Baruch 5, 4), „Lerne, wo es Glück und Frieden gibt“ (Baruch 3, 14) . Wir wissen – und Die Linke weiß dies aus ihrer Ge- schichte besonders gut –, dass Begriffe wie Frieden, Wahrheit, Gerechtigkeit und Glück im Leben der Men- schen und vor allem im Bereich der Politik immer be- sonders missbrauchsanfällig sind . Erinnern wir uns, dass die Deutsche Demokratische Republik ihre Mauer als „Friedenswall“ bezeichnete . In minder schweren Fällen wird der Sehnsuchtsbegriff Friede nicht zur Täuschung, sondern nur für Oberflächlichkeiten genutzt, wie im vor- liegenden Antrag . Wir alle wissen doch, dass nicht Waf- fen Krieg führen, sondern Menschen . Und wir wissen vor allem, um mit den Worten des Dalai Lamas zu sprechen: „Äußerer Frieden ist nur durch inneren Frieden möglich . Innerer Frieden ist der Schlüssel .“ Wenn ich mich aber auf die Argumentationsebene des Antrages einlasse, will ich Folgendes sagen: Erstens . Hätte sich die Fraktion Die Linke an ihr dia- lektisches Grundwissen erinnert, wäre ihr Folgendes klar gewesen: „Frieden schaffen ohne Waffen“ und „Frieden schaffen durch immer bessere Waffen“ – für beide Aus- sagen gibt es in der Geschichte gute Beispiele, für den zweiten Satz etwa das Ende der waffenstarrenden Kon- frontation zweier Staaten auf deutschem Boden, ja das Ende des Kalten Krieges insgesamt und auch kurz da- rauf die deutsche Wiedervereinigung . Letztlich war die Rüstungspolitik des amerikanischen Präsidenten Reagan dafür kausal . So erstaunlich ist das mit der Rüstung und dem Frieden . Aber wir wissen doch: „Einfache Dinge sind polar, höhere ambivalent und die höchsten paradox“ . Zweitens . Was uns auch nicht weiterführt, ist die selektive Wahrnehmung der Wirklichkeit, die diesen An- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20995 (A) (C) (B) (D) trag kennzeichnet . Während bei NATO und EU nur Sä- belrasseln und Kriegsgeheul gesehen wird, ist die Proble- matik Ukraine/Krim/Russland keiner Erwähnung wert . Auch das Sicherheitsbedürfnis vieler Staaten des ehema- ligen sowjetischen Einflussgebietes wie etwa Polen und des sowjetisch okkupierten Baltikums, ein Sicherheitsbe- dürfnis nach Jahren der Unterdrückung und Unfreiheit, kann von den Antragstellern offensichtlich nicht gesehen werden . Drittens . Wir wissen nicht, in welchem Umfang sich die Vereinigten Staaten von Amerika künftig für die Si- cherheit Europas finanziell engagieren werden. Ebenso wissen wir nicht, ob ein gewaltbereiter Islamismus ein Problem der inneren Sicherheit bleibt oder auch noch zu einem Problem der äußeren Sicherheit wird . In einer solchen Lage ist es geboten, dass die Europäer innerhalb und außerhalb der EU verteidigungspolitisch enger zu- sammenrücken und auch im Bereich der Bewaffnung ar- beitsteiliger zusammenarbeiten . Abschließend will ich bemerken: Wir haben den Ver- fassungsauftrag, die Sicherheit unserer Bürger zu ge- währleisten . Die anstehenden Gespräche und Entschei- dungen im Europäischen Rat am heutigen 15 . Dezember helfen uns bei der Erfüllung dieses Auftrages . Für den Versuch des Antrages, dieses gemeinsame Bemühen in die Nähe der Kriegstreiberei zu rücken, fehlt mir jedes Verständnis . Es fällt mir auch nicht ganz leicht, bei al- ledem den inneren Frieden zu bewahren . Gerne will ich es aber versuchen . Der Fraktion der Linken rufe ich den Satz Mahatma Ghandis zu: „Sei selbst, was du ersehnst .“ Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Unsere heutige De- batte befasst sich mit einer möglichen Friedensrolle der Europäischen Union . Ich halte dies für ein äußerst wich- tiges Thema und bin der Fraktion Die Linke daher dank- bar, dass sie den Punkt auf die Tagesordnung des Deut- schen Bundestages gesetzt hat . Ich kann verstehen, dass Sie das Thema nach den Beschlüssen von NATO und EU in der Tagesordnung diskutieren wollen . Umso mehr bedauere ich, dass wir nicht die Möglich- keit haben, über dieses wichtige Thema wirklich zu de- battieren, sondern nun unsere Reden zu Protokoll geben . Ich halte es für einen Vorteil der Europäischen Union, dass sie sich in der internationalen Politik vornehmlich zivil engagiert . Der Ausdruck „Zivilmacht Europa“ ist ja nicht zufällig entstanden . Mein Eindruck ist, dass sich eher eine Art Arbeitsteilung zwischen der Europäischen Union und der NATO entwickelt . Die NATO übernimmt militärische Einsätze, die EU sieht ihre Schwerpunkte in der zivilen Konfliktbearbeitung. Das Bild von der Euro- päischen Union, das die Kolleginnen und Kollegen von der Linken zeichnen, halte daher für überzogen, die Be- fürchtungen für alarmistisch . Die EU ist seit Jahren im zivilen Krisenmanagement aktiv . Sie verfügt über eine Reihe von Kapazitäten, die auch zum Einsatz kommen: Dazu gehören Polizei, Un- terstützung von Rechtsstaatlichkeit und Verwaltung und Monitoring . Sicher ist das alles ausbaufähig, aber das muss man dann auch konkret einfordern . Genau darüber hätten wir debattieren können . Beispiele für die zivile Arbeit der EU sind die Poli- zei- und Justizmission im Kosovo und die European Uni- on Border Assistance Mission to Moldova and Ukraine (EUBAM) . EUBAM ist auch ein Beispiel für die Ko- operation mit der OSZE . Manchmal gibt die Arbeit der EU sogar Anstöße für zivilgesellschaftliche Projekte und Initiativen . Es ist sicher kein Zufall, dass der ehemali- ge Hohe Repräsentant der EU in Bosnien-Herzegowina, Christian Schwarz-Schilling, nachdem er aus dem Amt ausgeschieden war, die Mediationsorganisation CSSP, Berlin Center for Integrative Mediation, gegründet hat . Das Instrument für Stabilität und Frieden der EU (ISF) wurde eingerichtet, um kurzfristiges Krisenmanagement mit langfristigen Maßnahmen der Friedensförderung besser miteinander verknüpfen zu können . Das ISF führt Projekte mit zivilgesellschaftlichen Partnern und interna- tionalen Organisationen in den Bereichen Vertrauensbil- dung, Mediation, Sicherheitssektorreform durch, um nur einige Beispiele zu nennen . Die EU gehört auch zu den Förderern des European Peacebuilding Liaison Office (EPLO), einem Netzwerk von zivilgesellschaftlichen friedenspolitischen Organisa- tionen . Dabei möchte ich aber betonen, dass EPLO und seine Mitglieder darauf achten, dass ihre Unabhängigkeit gewahrt bleibt . Die EU hat auch schon Projekte der Non- violent Peaceforce gefördert . Die EU hat 2011 mit dem Programm Europe’s New Training Initiative for Civilian Crisis Management (ENTRi) begonnen, das nach bisherigem Stand bis 2019 laufen soll . Das Zentrum für Internationale Friedensein- sätze – ZIF – leitet das Programm . Neben verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sich auch die Schweiz daran . ENTRi arbeitet mit elf Partner- institutionen und der OSZE zusammen . Das Ziel ist die Ausbildung von Zivilistinnen und Zivilisten, die bereits in Krisenmanagementmissionen tätig sind oder in solche entsandt werden sollen . An ENTRi kann man sehen, dass die EU ihre Kapazitäten weiterentwickelt . Dieser kurze Überblick zeigt, dass die EU in der zivi- len Konfliktbearbeitung sehr aktiv ist. Die Fokussierung auf die rein militärischen Aspekte in dem Antrag kann ich daher nicht nachvollziehen . Mein Plädoyer ist, dafür zu streiten, dass die zivilen Instrumente ausgebaut werden . Sie fordern eine Rüstungskontrollinitiative unter dem Dach der OSZE . Diese Initiative gibt es seit einigen Mo- naten, und Außenminister Steinmeier hat uns gestern im Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ über den aktuellen Stand informiert . Der Vorschlag von Frank-Walter Steinmeier, der Öf- fentlichkeit am 26 . August 2016 in der Frankfurter Allge- meinen Zeitung vorgestellt, beinhaltet folgende Punkte: Notwendig sind Vereinbarungen über regionale Ober- grenzen, Mindestabstände und Transparenzmaßnah- men – insbesondere in militärisch sensiblen Regionen, zum Beispiel im Baltikum –, die neuen militärischen Fä- higkeiten und Strategien Rechnung tragen – wir reden heute weniger von klassischen, schweren Armeen, son- dern mehr von kleineren, mobilen Einheiten, also sollten wir zum Beispiel Transportfähigkeit mitbeachten –, die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620996 (A) (C) (B) (D) neue Waffensysteme einbeziehen – zum Beispiel Droh- nen –, die echte Verifikation erlauben – rasch einsetzbar, flexibel und in Krisenzeiten unabhängig, zum Beispiel durch die OSZE –, die auch in Gebieten anwendbar sind, deren territorialer Status umstritten ist . Bereits im November hat sich eine Freundesgruppe dieser Initiative gebildet, der 14 Staaten angehören . Die Liste der 14 Staaten ist deswegen erfreulich, weil es sich um Staaten mit unterschiedlichen Interessen und Positio- nen handelt: Neben Deutschland gehören Belgien, Finn- land, Frankreich, Italien, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Rumänien, Schweden, die Schweiz, die Slo- wakei, Spanien und die Tschechische Republik dazu . Die OSZE will nach der Außenministerkonferenz in der ver- gangenen Woche in Hamburg hierzu einen strukturierten Dialog entwickeln . Bei einigen Punkten rennen Sie offene Türen ein . Wir setzen uns bereits dafür ein, dass die Europäische Union unsere Dialogpolitik, die sich an dem Konzept der Ent- spannungspolitik anlehnt, unterstützt . Aber sollen wir warten, bis wir alle EU-Mitglieder überzeugt haben? Man könnte sicher noch mehr tun, um die zivilen Fä- higkeiten der EU zu stärken . Nicht nur technische Fähig- keiten müssen verstärkt werden . Auch die Bereitschaft, ein strategisches Potenzial für Krisenprävention und Konfliktbearbeitung zu entwickeln, ist nicht ausreichend. Darüber ist in Ihrem Antrag leider sehr wenig zu lesen . Andrej Hunko (DIE LINKE): Die Welt scheint aus den Fugen geraten, und auch die Europäische Union be- findet sich in einer tiefgreifenden Krise. Die schwelende Euro-Krise wurde nicht gelöst, sondern durch die maß- geblich durch die Bundesregierung erzwungene Auste- ritätspolitik verschärft – mit verheerenden unsozialen Folgen vor allem im Süden Europas . In vielen Mitgliedstaaten der EU haben rechte Partei- en und Bewegungen Zulauf . In Großbritannien hat sich eine Mehrheit der Menschen dafür entschieden, der EU den Rücken zu kehren, und auch sonst wächst die Skep- sis gegenüber dem europäischen Integrationsprozess . Zuletzt hat der Sieg von Donald Trump bei den Präsi- dentschaftswahlen in den USA für Aufsehen gesorgt . Die Reaktion in der EU auf diese Entwicklungen könnte falscher nicht sein . Ein Weiter-so in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen soll nun ergänzt werden durch einen Militarisierungsschub in allen Mitgliedstaa- ten und auf EU-Ebene . Ich habe doch sehr den Eindruck, dass hier einige den Knall nicht gehört haben . Sie wol- len doch nicht ernsthaft Aufrüstung und Militarisierung als Kitt für die, wie es Kommissionspräsident Juncker genannt hat, „Polykrise“ der EU verwenden? Das wird nicht nur nicht funktionieren; es ist auch brandgefährlich . Seit dem Fall der Mauer war die Gefahr einer mili- tärischen Konfrontation mit Russland nicht so groß wie heute . Das ist zweifelsohne nicht die alleinige Verant- wortung der EU . Aber es war insbesondere der Erwei- terungsprozess von NATO und EU nach Osten, der die historische Chance der Neunzigerjahre zunichte gemacht hat, eine friedliche Neuordnung Europas nach dem Ende der Sowjetunion zu erreichen . Heute rüstet die NATO an den Grenzen zur Russischen Föderation auf, und auch Russland beteiligt sich an der Eskalationsspirale . Es scheint, als hätten einige aus den Verwüstungen des 20 . Jahrhunderts nichts gelernt . Nun soll im Rahmen der EU-Globalstrategie und der misslicherweise „Verteidigungsunion“ genannten Milita- risierungspläne die EU noch weiter für die Sicherheits-, Militär- und Rüstungspolitik eingespannt werden . Schon der Lissabon-Vertrag verpflichtet die Mitgliedstaaten be- kanntlich zur Aufrüstung . Doch was uns nun erwartet, stellt alles Dagewesene in den Schatten . Unter offenem Bruch von Artikel 41 des EU-Vertra- ges sollen nun sogar EU-Haushaltsmittel für die An- schaffung von Waffen und vor allem Drohnen verwendet werden . Ein Verteidigungsfonds soll weitere Milliarden für die Rüstungsindustrie mobilisieren, und der Aufbau einer EU-Armee soll den imperialen Anspruch der EU als „global Player“ untermauern . Durch das Zwei-Pro- zent-Ziel der NATO würden sich die Rüstungsausgaben in Deutschland nahezu verdoppeln . Ist das ernsthaft Ihre Antwort auf Trump, Brexit und Le Pen? Nicht nur werden diese Milliardensummen an allen Ecken und Enden für wesentlich sinnvollere Pro- jekte gebraucht – beispielsweise für ein so dringend nötiges sozial-ökologisches Investitionsprogramm zur Überwindung der Wirtschaftskrise in Europa . Sie spielen zugleich außenpolitisch mit dem Feuer . Wir brauchen eine grundlegend andere Antwort auf die Krisen unserer Zeit . Angesichts des Scherbenhaufens, den die Politik der Östlichen Partnerschaft in Osteuropa hinterlassen hat, ist eine neue Entspannungspolitik uner- lässlich . Die Frage von Krieg und Frieden ist nach Eu- ropa zurückgekehrt, und die falschen Weichenstellungen können fatale Folgen haben . Nutzen wir den Moment der Krise jedoch richtig, so können wir heute den Weg für eine friedliche und soziale Entwicklung ebnen . Wir brauchen ein Europa des Friedens und der Abrüs- tung, der Entspannung und der Kooperation . Die Alter- native dazu bekommen wir derzeit vorgeführt . Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir beraten heute einen durchaus wichtigen An- trag: „Weichen für eine Europäische Union der Abrüs- tung und des Friedens stellen“ . Wer wäre mit diesem Vorsatz nicht einverstanden? Mit ihrem Antrag greift Die Linke einige richtige Punkte auf und stellt auch manch berechtigte Forderung . Aber da gibt es auch vieles, wo wir nicht mitgehen können . In Brüssel werden heute und morgen erstmals auf Ebene der Staats- und Regierungschefs weitreichende Vorschläge für einen EU-Verteidigungsfonds diskutiert . Darüber zu reden, ist nicht grundsätzlich verkehrt; denn ein Weiter-so – will heißen: jeder macht sein Ding, und „Europa“ setzt anschließend, wenn es gut läuft, oben noch was drauf – kann auch nicht die Lösung sein . Wir brauchen angesichts ja nicht abnehmender Krisen, die uns alle betreffen, eine gemeinsame Antwort . Allerdings gilt es jetzt, nicht die falschen Weichen zu stellen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20997 (A) (C) (B) (D) Vor sechs Monaten hat die EU-Außenbeauftragte Mogherini ihren Vorschlag einer „global strategy“ der Union in der Außen- und Sicherheitspolitik vorgelegt . Verglichen mit der Verve, mit der jetzt einige Staaten – allen voran Deutschland und Frankreich – die Verteidi- gungs- und Rüstungsaspekte pushen, fand diese Strategie recht wenig Beachtung . Schade! Denn in diesem Papier wurden wichtige Punkte aufgegriffen . So ist es gut, dass die Strategie zum ersten Mal den Begriff des „Präven- tivfriedens“ einführt . Es ist gut, dass lokale Akteure, gerade auch Frauen, ausdrücklich als wichtige Akteure der Konfliktbeilegung genannt werden, dass die Notwen- digkeit eines ganzheitlichen, langfristigen Engagements für den Frieden betont wird . Leider sind diese positiven Elemente der Strategie offenbar der Linken nicht aufge- fallen . Was heute in Brüssel auf dem Verhandlungstisch liegt, müssen wir viel kritischer bewerten als einige Kapitel des Mogherini-Vorstoßes . Zwar ist es richtig, sich Gedanken über einen echten europäischen Rüstungsmarkt zu ma- chen; denn die Kommission räumt ja selbst ein, dass die EU als Ganzes locker zwischen 25 und 100 Milliarden einsparen könnte, wenn man klare Regeln und eine inten- sivere Zusammenarbeit hätte . Aber anstatt sich Gedan- ken über naheliegende und kostensparende Synergien zu machen, wollen die Befürworter des Verteidigungsfonds nun finanziell so richtig zulangen: 5 Milliarden Euro jährlich sollen die Mitgliedstaaten für die Beschaffung von Militärgerät bereitstellen – ohne dass klar ist, welche Fähigkeiten überhaupt benötigt werden . Und diese In- vestitionen sollen womöglich auch noch nicht als Schul- den im Sinne der Maastricht-Kriterien bewertet werden! 2020 sollen dann pro Jahr 500 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt für gemeinsame Rüstungsforschung ausge- geben werden . Wo bleibt da die schwarze Null, frage ich mich! Aber das ist nicht alles . Auch der Europäische Fonds für Strategische Investitionen, EFSI, soll zur Finanzie- rung von Rüstungsprojekten eingespannt werden . Un- fassbar! Und die Bundesregierung? Die zeigte sich in einer Antwort an meinen Kollegen Manuel Sarrazin, „aufgeschlossen“, den EFSI für „Projekte im Bereich des Sicherheits- und Verteidigungssektors“ zu öffnen . Noch so ein Tabubruch: Die Europäische Investitionsbank soll nach den Vorstellungen der Kommission Kredite für Rüs- tungsunternehmen ausgeben . Und dann gab es ja auch noch den Vorstoß vom vergangenen Sommer, EU-Gelder des Friedens- und Stabilitätsinstruments zur Anschaffung von Militärgütern einzusetzen – eine Zweckentfremdung von Mitteln in Milliardenhöhe, die zum Beispiel Ent- wicklungsprojekten in Afrika vorenthalten würden . Ja, mehr Gemeinsamkeit ist nötig und machbar . Was Rüstung betrifft, mangelt es uns nicht an Geld, wohl aber an Ideen, es vernünftig auszugeben . Wir brauchen kei- nen Transporthubschrauber, von dem es 27 verschiedene Versionen gibt . Es gäbe Hunderte sogar von den nationa- len Militärchefs schon identifizierte sogenannte Pooling- und Sharing-Projekte, die man nur umsetzen müsste . Lassen Sie mich kurz noch weiter auf den Antrag der Linken eingehen . Sie schreiben, „die Frage von Krieg und Frieden (sei) auf den europäischen Kontinent zu- rückgekehrt“ . Sie erwähnen die völkerrechtswidrige Annexion der Krim mit keinem Wort, plädieren aber für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland . Damit machen Sie es sich doch etwas zu einfach . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesse- rung des Schutzes gegen Nachstellungen (Zusatz- tagesordnungspunkt 6) Kathrin Rösel (CDU/CSU): Der Verehrer steht re- gelmäßig vor dem Fenster und spielt seiner Angebeteten ein Lied auf der Geige: In Filmen und Büchern wirkt das romantisch . Stellen wir uns die Situation im echten Leben vor, wirkt sie eher angsteinflößend, im Gegenteil: Stalker machen ihren Opfern oft das Leben zur Hölle . Nicht nur die Zahlen sprechen für sich: Mehr als 20 000 Anzeigen gehen jährlich bei den Polizeibehörden ein und nur ein, Bruchteil davon führt zu einer Anklage, in weniger als einem Prozent kommt es zur Verurteilung . Mit dem Nachstellungsgesetz 2007 hat der Deutsche Bundestag bereits ein Gesetz erlassen, das den Opfern verschiedenster Form der Nachstellung besseren Schutz bietet . Allerdings wurde damals die Messlatte sehr hoch gehängt: Erst wenn die Lebensgestaltung des Opfers „schwerwiegend beeinträchtigt“ war, konnte der Täter verurteilt werden . Klar, dass hier dringend Handlungs- bedarf bestand! Menschen, die gestalkt werden, erleben innere Unru- he, Ängste, viele entwickeln Schlafstörungen oder De- pressionen – je nach psychischer Stabilität des Opfers in unterschiedlicher Ausprägung . Die einen, die besonders taff damit umgehen (vielleicht auch nur nach außen), ziehen nicht gleich um oder wechseln den Arbeitsplatz . Andere wiederum können sich es finanziell schlichtweg nicht leisten oder die persönlichen oder familiären Le- bensumstände lassen es einfach nicht zu . Und überhaupt: Wieso muss bitteschön erst das Opfer seine Lebenssitua- tion ändern, bevor der Täter strafrechtlich verfolgt wird? Das hat doch zur Konsequenz, dass das Strafrecht in der heutigen Fassung bewirkt, was dem Täter nicht gelungen ist: nämlich den Willen des Opfers zu beugen . Für uns, für die Union, ein unhaltbarer Zustand! Wir können es nicht hinnehmen, wenn Recht und Ge- setz nicht den bestmöglichen Schutz für die Opfer bie- ten. Daher haben wir die Forderung nach Modifizierung des § 238 Strafgesetzbuch bereits im Koalitionsvertrag verankert . Stalking in jeder erdenklichen Form muss von einem Erfolgsdelikt zu einem Gefährdungsdelikt umge- wandelt werden . Und es bedurfte erst nachdrücklicher Forderungen der unionsgeführten Länder wie Bayern, Hessen und Sachsen, um das Haus von Justizminister Maas dazu zu bewegen, jetzt endlich den Gesetzentwurf vorzulegen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620998 (A) (C) (B) (D) Aber, was uns jetzt vorliegt, kann ich zu hundert Pro- zent unterschreiben . Nicht nur, dass künftig die Hand- lung des Täters objektiv dazu geeignet sein muss, um zur Anklage oder Verurteilung zu führen . Nein, wir gehen sogar darüber hinaus: Wir streichen nun auch den Nach- stellungsparagrafen aus den Privatklagedelikten heraus . Wir verhindern damit, dass Stalking als ein leichteres Vergehen gilt, und ersparen es den Opfern, nach einem manchmal über Monate und Jahre dauernden Martyrium selbst den Strafanspruch durchzusetzen . Auch hier wird deutlich: Die Union stärkt die Opfer und das ist nur ge- recht . Stalking ist äußerst diffizil. Neben den Formen wie Auflauern, Belästigen durch SMS oder Telefonterror gibt es noch unzählige Möglichkeiten, dem Opfer das Leben zur Hölle zu machen . Daher ist es unmöglich, sämtliche Formen von Nachstellung abschließend im Gesetzestext aufzuführen . Justizminister Maas beabsichtigte, die in § 238 aufgeführte Generalklausel abzuschaffen . Aber wer weiß denn, was sich Täter so alles ausdenken, um ihr Opfer zu quälen? Glücklicherweise konnte sich auch hier die Union durchsetzen, und diese Streichung wieder zurücknehmen . Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Oppo- sition, stehen auf dem Standpunkt, dass die Neufassung des Nachstellungsparagrafen zu weit geht . Dann verra- ten Sie mir einmal bitte, wie Sie es den zahlreichen Op- fern dieser Straftat erklären wollen, dass diese weiterhin kaum eine Möglichkeit haben, zu einem normalen Leben zurückzukehren, ohne, dass sie, also die Opfer, dem Tä- ter nachgeben. Mir jedenfalls fiele an Ihrer Stelle kein einziges Argument ein . Ich bitte um Zustimmung zu unserer Gesetzesvorlage . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir beschließen heu- te ein Gesetz, in das Stalkingopfer große Hoffnung set- zen . Leidtragende sind überwiegend Frauen . Zu 80 Pro- zent sind sie es, die ein anderer durch Telefonterror und Auflauern am Arbeitsplatz belästigt, die es mit der Angst zu tun bekommen, sich nicht mehr vor die Tür trauen und kaum mehr schlafen können, weil ihr Leben zu ei- nem Alptraum geworden ist . Übles Nachstellen kann so schwerwiegende Folgen wie Verbrennungen oder Kno- chenbrüche haben und im schlimmsten Fall zum Tod füh- ren . Es verstößt auf üble Weise gegen geltendes Recht . Das ändern wir . Stalking ist eine Straftat . Zu Recht wurde diese Lü- cke im Jahr 2007 im deutschen Strafrecht geschlossen . Vorher waren nur schwerwiegende Nachstellungen wie Hausfriedensbruch, Körperverletzung und sexuelle Nö- tigung strafbar . Allerdings fällt die Bilanz nach fast zehn Jahren nicht rosig aus: Anzeigen und Verurteilungen ste- hen in einem eklatanten Missverhältnis . In der Polizeili- chen Kriminalstatistik wurden zwischen 2008 und 2014 jährlich zwischen 205 und 561 Verurteilungen wegen Nachstellung erfasst . Diesen stehen bis zu 23 296 Straf- anzeigen wegen übler Nachstellung gegenüber . Hinzu kommt eine noch viel größere Dunkelziffer, weil Opfer aus Angst und Scham gar nicht erst Anzeige erstatten, oft auch mangels Aussicht auf Erfolg, dass der Täter auch tatsächlich zur Rechenschaft gezogen wird . Diese niedrige Quote ist auch dem Umstand geschuldet, dass bislang eine Verurteilung nicht vom Verhalten des Täters abhing, sondern das Opfer eine schwerwiegende Beein- trächtigung seiner Lebensweise etwa durch einen Umzug oder Arbeitsplatzwechsel vor Gericht nachweisen muss- te . Vom Opfer wird ein Verhalten verlangt, das ihm nicht länger zugemutet werden kann . Es soll gezwungen wer- den, sein Leben zu ändern, damit der Täter strafrechtlich verfolgt werden kann . Die aktuelle Gesetzeslage schützt Stalkingopfer un- zureichend . Deshalb brauchen wir Verbesserungen . Wir bauen den strafrechtlichen Schutz vor Stalking aus und senken die Hürden für eine Verurteilung . Wir wollen für einen besseren Schutz von Menschen sorgen, die unter üblen Nachstellungen von Expartnern oder Exge- liebten leiden . Das war auch Tenor einer öffentlichen Expertenanhörung im Bundestag . Es ist richtig, dass der Gesetzgeber nach fast zehn Jahren die Wirkung des Tatbestands der Nachstellung in § 238 Strafgesetzbuch überprüft hat . Die Reform des § 238 StGB ist notwen- dig . Lücken im Strafrecht müssen endlich geschlossen werden . Mit diesem Gesetz müssen Opfer nicht länger nachweisen, dass sie der Stalker durch sein Verhalten zu einem anderen Lebenswandel gezwungen hat . Das Opfer muss seine Telefonnummer nicht mehr wechseln oder in eine andere Stadt ziehen . Künftig ist der Straftatbestand des Stalkings erfüllt, wenn der Täter die Lebensgestal- tung des Opfers schwerwiegend beeinträchtigt . Diese Änderung im Strafrecht soll dafür sorgen, dass Täter leichter verurteilt werden . Aus einem Erfolgsdelikt wird ein Eignungsdelikt, weil bereits die Handlung, die ge- eignet ist, eine schwere Störung der Lebensverhältnisse herbeizuführen, die Strafbarkeit in sich trägt . Durch den Charakter des Eignungsdelikts können wir Opfer besser schützen . Außerdem haben wir zum Schutz der Opfer erreicht, dass die Generalklausel im Gesetz stehen bleibt . Bun- desjustizminister Heiko Maas wollte sie, für uns un- verständlich, ursprünglich rückgängig machen . Diese brauchen wir aber, damit künftig auch derjenige zu einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren verurteilt werden kann, der falsche Todes- oder Heiratsanzeigen aufgibt, soziale Medien manipuliert, indem er unter dem Namen des Op- fers auftritt, oder dem Opfer tote Tiere vor die Tür legt und Ekel erregt . Auch nachhaltige Lärmbeschallung und eine Überwachung des Familien- und Bekanntenkreises kann unter Strafe gestellt werden . All diese Handlungen können auch weiterhin als Stalking strafrechtlich ver- folgt werden . Das stärkt die Opfer noch einmal mehr . Der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war der Erhalt der Generalklausel besonders wichtig . Opferschutz hat für die Union Vorrang . Eine weitere gute Nachricht ist: Der Privatklageweg bei Nachstellungen hat ein Ende . Momentan werden Verfahren oft eingestellt, und Staatsanwälte verweisen auf Privatklagen . Jedoch darf unser Rechtsstaat keinem Opfer länger zumuten, selbst vor Gericht seine Rechte einfordern und auch noch das Risiko für die Kosten des Verfahrens tragen zu müssen . Die Situation wäre zu be- lastend: Auf dem Privatklageweg müsste das Opfer selbst Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20999 (A) (C) (B) (D) prozessieren und dem Täter vor Gericht möglicherweise begegnen . Der Privatklageweg schützt die Opfer nicht . Seine Streichung ist richtig . Stalking ist eine schwerwie- gende Straftat, deren Akten beim Staatsanwalt landen müssen . Einstellungen von Verfahren bei Nachstellungen sind Vergangenheit . Die Reformen, die wir heute verabschieden, helfen den Opfern, weil sie besser geschützt werden . Mit dem Gesetz können wir bewirken, dass mehr Täter verurteilt werden und die Opfer zu einem normalen Leben zurück- finden können, in dem nicht jeder Schritt von Angst be- gleitet wird . Diese Hoffnung von circa 20 000 Stalking- opfern pro Jahr allein in Deutschland dürfen wir nicht enttäuschen . Für uns ist klar: Nicht das Opfer muss sein Verhalten ändern, sondern der Täter muss für sein Ver- halten zur Rechenschaft gezogen werden . Dirk Wiese (SPD): Heute ist wieder einmal ein guter Tag für den Opferschutz . Ich sage bewusst „wieder ein- mal“, denn der vorliegende Gesetzentwurf reiht sich ein in verschiedene Vorhaben dieser Legislaturperiode aus dem Hause von Bundesminister Maas, die allesamt eint, Opfer von Straftaten besser zu schützen: sei es durch die Reform des Sexualstrafrechts, die Einführung der bun- desweiten psychosozialen Prozessbegleitung oder durch das Opferrechtsreformgesetz . Kurzum: Wir Sozialdemo- kraten bewegen etwas, wir nehmen die Sorgen und Nöte der Menschen ernst und treffen die notwendigen gesetz- geberischen Konsequenzen . So auch hier; denn der Straftatbestand des Stalkings war bis jetzt durch verschiedene Regelungslücken ein recht stumpfes Schwert der Justiz . Obgleich die Fälle für den objektiven Betrachter oft eindeutig waren, waren die Hürden für eine Verurteilung der Täter viel zu hoch . Ich habe diese bereits in der ersten Lesung ausführlich dar- gestellt . Deshalb jetzt in aller Kürze die drei Kernpunkte der Reform: Erstens entfiel bis heute eine Bestrafung, wenn das Opfer dem enormen Druck nicht nachgab, sich nicht be- irren ließ, indem es den Wohnort wechselte und wegzog oder den Beruf aufgab . Ich möchte zu dieser Konstella- tion auch heute an den Fall aus meinem Wahlkreis erin- nern, wo ein Geistlicher seit nunmehr 15 Jahren gestalkt wird und eine Bestrafung der Täterin mangels schwer- wiegender Beeinträchtigung bei dem Pfarrer bislang aus- schied . Um solche nicht hinnehmbaren Missstände künf- tig zu beseitigen, wird der Straftatbestand des Stalkings deshalb nun als Eignungsdelikt ausgestaltet . Zukünftig reicht es völlig aus, wenn sich das Verhalten des Stalkers eignet, eine schwerwiegende Beeinträchtigung wie Job- verlust, Umzug oder eine schwere Erkrankung bei sei- nem Opfer herbeizuführen . Zweitens wird der Straftatbestand der Nachstellung aus dem Katalog der Privatklagedelikte gestrichen . Denn dieser erwies sich oftmals als eine weitere Hürde auf dem Weg zu einer Strafbarkeit, weil den meisten Klägern das Kostenrisiko des Prozesses, dass sie bei einer Privatklage tragen müssen, schlicht zu hoch war . Als dritten Punkt haben wir die effektive Durchset- zung von Vergleichen in Gewaltschutzverfahren ver- bessert . Zukünftig wird auch der Verstoß gegen eine in einem gerichtlichen Vergleich übernommene Verpflich- tung strafbar sein . Damit schließen wir eine weitere Re- gelungslücke . Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen sie mich kurz auf die wichtigste Änderung eingehen, die wir im par- lamentarischen Verfahren nach der Anhörung getroffen haben . Der Gesetzentwurf sah in seiner ursprünglichen Fassung vor, die Generalklausel des Absatzes 1 zu strei- chen, mit der auch „eine andere vergleichbare Handlung“ des Täters, die im Tatbestand nicht ausdrücklich aufge- führt wird, strafbar ist . Begründet wurde dies mit verfas- sungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich des Bestimmt- heitsgebotes . Die Anhörung hat aber genau das Gegenteil gezeigt . Fünf von sieben Sachverständigen sprachen sich für eine Beibehaltung der Generalklausel aus . Ich habe es noch einmal nachgeschaut, weil Sie, Frau Kollegin Keul, gestern im Rechtsausschuss sagten, dass die Mehr- heit gegen eine Beibehaltung der Klausel sei . Das ist also falsch . Die Mehrheit war ganz klar für eine Beibehaltung der Generalklausel . Vielleicht liegt Ihr Irrtum in der Sa- che aber auch daran, dass Sie, Frau Kollegin Keul, in der Anhörung gar nicht zugegen waren . Wo wir gerade bei der Sitzung des Ausschusses sind . Der Kollege Wunderlich ist auch vehement für eine Abschaffung der Generalklausel eingetreten . Auch hier muss ich sagen, dass ich mich sehr wundere . Denn Ihre Sachverständige, Frau Köhler, hat in der Anhörung doch deutlich dargelegt, dass dadurch die Opfer von Stalking wesentlich schlechter geschützt wären, und ist deshalb für eine Beibehaltung der Klausel eingetreten . Überhaupt wundert mich die Einstellung der Op- position in dieser Sache . Denn würde man die Klausel streichen, wären Frauen, die am häufigsten Opfer von Stalking werden, deutlich schlechter geschützt . Denn Personen würden dann zukünftig straffrei handeln, wenn sie beispielsweise unrichtige Todes- oder Hei- ratsanzeigen aufgeben, Manipulationen in den sozialen Netzwerken vornehmen oder ekelerregende Sachen wie tote Tiere vor die Tür des Opfers legen . Eine solche Re- gelungslücke zu schaffen, wäre fatal, ja, sie würde den Sinn konterkarieren, dass wir mit der Reform des Stal- kingtatbestands alle Regelungslücken schließen wollen . Und deshalb haben wir uns auch dafür entschieden, die Generalklausel beizubehalten . Denn das war die einzig richtige Entscheidung, um Opfer von Stalking umfassend zu schützen . Es geht eben nicht, diese Regelungslücken über die Ausformulierung weiterer Nachstellungsvarianten zu schließen . Jeder kann sich sicher vorstellen, dass dies aufgrund der Kreativität, mit der die Täter oft zugange sind, schlichtweg unmöglich ist und es immer wieder Fäll gäbe, die deshalb straflos wären, obwohl ein jeder erkennt, dass es sich um Stalking handelt . Sie sehen, wir haben als Koalitionsfraktionen gute Ar- beit gemacht . Das Struck’sche Gesetz kam wieder ein- mal zu Anwendung . Wir liefern ein effektives Mittel, um Stalking-Opfer besser zu schützen und eine Verurteilung der Täter zu erleichtern . An die Opposition möchte ich appellieren: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf heute Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621000 (A) (C) (B) (D) hier zu . Dann können auch Sie sagen, dass Sie zu einem besseren Opferschutz beigetragen haben . Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Der Gesetzentwurf will den strafrechtlichen Schutz gegen Nachstellung ge- mäß § 238 StGB ausbauen . Der 2007 eingeführte Para- graf, wird danach dem Anspruch eines besseren Opfer- schutzes nur eingeschränkt gerecht . Als problematisch wird dabei in erster Linie angesehen, dass die Strafbarkeit von der Reaktion des Opfers abhängt . Sofern das Opfer mit besonnener Selbstbehauptung auftritt und nichts an seinen Lebensumständen ändert, entfällt auch eine Straf- barkeit des Täters gemäß § 238 StGB . Dies soll dadurch geändert werden dass das Delikt von einem Erfolgs- zu einem Eignungs- und Gefährdungsdelikt umgewandelt wird . Ein Erfolgseintritt ist damit nicht mehr nötig . Daneben soll die Einstufung als Privatklagedelikt ab- geschafft werden, damit das strafwürdige Verhalten auch immer zur Aburteilung gelangt . Nach § 4 Gewaltschutzgesetz – GewSchG – ist nur der Verstoß gegen eine gerichtliche Schutzanordnung nach § 1 GewSchG strafbewehrt, nicht aber der Verstoß gegen eine entsprechende Verpflichtung, die der Täter in einem Vergleich übernommen hat . Diese Strafbarkeitslücke soll geschlossen werden, und zwar durch die Einführung der gerichtlichen Bestätigung von in Gewaltschutzverfahren geschlossenen Vergleichen sowie durch die Erweiterung des § 4 GewSchG auf Verstöße gegen Verpflichtungen aus einem gerichtlich bestätigten Vergleich . Stalkingopfer müssen besser geschützt werden . In die- sem Punkt besteht Einigkeit . Jedoch ist der hier einge- schlagene Weg einer Verschärfung und Vorverlagerung der Strafbarkeit nicht der richtige . Problem dabei war offenbar, dass in so manchen Fällen von mutmaßlichem Stalking die Verfahren eingestellt worden sind, da der er- forderliche Erfolg, nämlich die Lebensgestaltung schwer beeinträchtigt zu haben, noch nicht eingetreten ist . Dies soll nun dadurch behoben werden, dass anstelle des eingetretenen Erfolges die Geeignetheit der Hand- lung unter Strafe gestellt werden soll . Die Strafbarkeit soll damit vorverlagert werden . Zu der Schwere des Eingriffs hat meine Kollegin Wawzyniak bereits in der ersten Lesung unter Bezugnah- me auf das entsprechende BGH-Urteil ausgeführt . Nach wie vor bleibt fraglich, wer die Geeignetheit der Handlung, welche zu der schweren Beeinträchtigung führen kann, feststellt . So wie nach geltender Rechtslage der Erfolg festgestellt werden muss, muss nun die Geeig- netheit festgestellt werden . Ob dies tatsächlich zu einem besseren Opferschutz führt, wurde auch in der Anhörung unterschiedlich gesehen . Ich persönlich vermag dies aus Sicht eines ehemaligen Staatsanwalts und Richters a . D . nicht zu bejahen . Um dennoch mehr Fälle zu erfassen, wäre es sinnvol- ler gewesen, das Wort „schwerwiegend“ in dem Tatbe- stand zu streichen . Doch dazu konnte sich die Koalition nicht hinreißen lassen . Warum einfach, wenn es auch kompliziert, schwieriger und wenig zielführend geht? Denn die Umwandlung des Straftatbestandes des Stal- king von einem Erfolgsdelikt zu einem Eignungs- und Gefährdungsdelikt, ist aus grundsätzlichen rechtsstaat- lichen Erwägungen heraus kritisch zu betrachten . Das geschützte Rechtsgut, den individuellen Lebensbereich in Form der Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu schützen, muss unter Beachtung des Ultima-Ratio-Prin- zips des Strafrechts eine tatsächliche Beeinträchtigung derselben mit sich bringen . Dagegen wäre die zunächst geplante Streichung der Generalklausel im derzeitigen Stalkingparagrafen § 238 StGB konsequent und richtig gewesen . Sie stand zu Recht im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot in der Kritik . Die Generalklausel des § 238 Absatz 1 Nummer 5 StGB ist nun doch durch den Änderungsantrag der Ko- alition wieder eingeführt worden . Die Streichung wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot wäre aber sinn- voll gewesen . Einzig die Änderungen des Gewaltschutzgesetzes sind sinnvoll, da über diese tatsächlich ein wirksamer Schutz der Betroffenen erzielt werden kann . Zu Streichung des Privatklagedelikts muss ich noch Folgendes anmerken . Es besteht kein Handlungsbedarf, da die Staatsanwaltschaft nach Nummer 86 Absatz 2 RiStBV – Richtlinien des Straf- und Bußgeldverfahrens – das Verfahren nicht einstellen darf, wenn dem Verletzten die Privatklage wegen seiner Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann . Diese Richtlinien sind zwar nicht Gesetz, aber gleichsam die Bibel des Staatsanwalts, wie es jeder Praktiker weiß . Von daher war ein Hand- lungsbedarf nicht gegeben, zumal ich davon ausgehen kann, dass die Staatsanwaltschaft als objektivste Behörde der Welt mit derartigen Einstellungen unter Verweisung auf den Privatklageweg sorgsam umgeht . Abschließend bleibt festzustellen, dass die Meinun- gen in der Anhörung zum Wandel vom Erfolgsdelikt zum Eignungs- und Gefährdungsdelikt wie auch die Erforder- lichkeit im Gewaltschutzgesetz unterschiedlich waren, jedoch die herrschende Meinung oftmals die Meinung der Herrschenden ist . Aus rechtsstaatlicher Sicht insbesondere wegen der nach wie vor vorhandenen Generalklausel und der damit einhergehenden Unbestimmtheit kann dem Gesetz alles in allem aus Sicht der Linken nicht zugestimmt werden . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Für Opfer von Nachstellungen ist es häufig schwierig, wirkungsvol- len gerichtlichen Schutz zu erlangen . Ziel dieser Geset- zesänderung soll es sein – wie der Name des Gesetzes es schon sagt –, die Verbesserung des Schutzes gegen Nach- stellungen zu bewirken und den derzeitigen Missstand zu beenden . Diesem Ziel wird der vorliegende Gesetzent- wurf aber nicht gerecht . Den positiven Punkt, die Änderungen in § 4 Gewalt- schutzgesetz, habe ich ja bereits in der ersten Lesung genannt . Endlich ist auch der Verstoß gegen einen ge- richtlich bestätigten Vergleich strafbewehrt . Das ist eine Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21001 (A) (C) (B) (D) wichtige Verbesserung, denn die meisten Gewaltschutz- verfahren werden in der Praxis durch Vergleich beendet . Bedauerlicherweise haben Sie den anderen positi- ven Punkt mit Ihrem Änderungsantrag aber auch schon wieder revidiert . Die Handlungsgeneralklausel in § 238 Absatz 1 Nummer 5 StGB, deren Streichung wir schon 2006 gefordert haben, wurde im Gesetzentwurf zunächst gestrichen, durch den Änderungsantrag aber wieder in den Gesetzestext eingefügt . Der ursprüngliche Gesetz- entwurf wird damit verschlimmbessert . Jetzt haben wir tatsächlich die Strafbarkeit bei einer „vergleichbaren Handlung“, die „geeignet ist“, die Lebensgestaltung des Opfers zu beeinträchtigen . Noch unbestimmter ging es wohl nicht . Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die bei der bisherigen Fassung schon bestanden haben wer- den durch die Wiedereinfügung der Handlungsgeneral- klausel nochmals erheblich ausgeweitet . Dabei war auch in der Anhörung der Bedarf nach einer Handlungsgeneralklausel ein umstrittener Punkt . Entge- gen der Begründung des Änderungsantrags war es nicht einhellige Meinung, dass sich durch eine Streichung des § 238 Absatz 1 Nummer 5 StGB Schutzlücken ergeben . Nach Ansicht der Sachverständigen mit Bezug zur Justiz wurde ein Bedürfnis nach einer solchen Generalklausel nicht gesehen . Vielmehr gaben die Praktiker an, dass die Generalklausel bislang in so gut wie keinem Fall zur An- wendung gekommen sei und die Nummern 1 bis 4 in der staatsanwaltlichen und justiziellen Praxis ausreichend seien . Die Beibehaltung der Nummer 5 ist weder zwin- gend noch nützlich . Im Strafrecht gilt eben nicht „Viel hilft viel“! Dabei war alleine schon der ursprüngliche Gesetz- entwurf, der die Eignung zu einer schwerwiegenden Le- bensbeeinträchtigung vorsah, bereits Grund genug, die- sen abzulehnen . Die Umgestaltung des Tatbestandes des § 238 StGB von einem Erfolgs- in ein abstraktes Gefähr- dungsdelikt halte ich für ungeeignet, den Stalkingopfern künftig effektiveren Rechtsschutz zu ermöglichen . Ich brauche es nicht im Detail zu wiederholen . Aber jegliche Objektivierung der Geeignetheit als Tatbestandsmerkmal ist schwierig . Deshalb wird die Geeignetheit einer Hand- lung voraussichtlich weiterhin anhand derselben Anfor- derungen gemessen wie bisher . Das Opfer muss eine nach außen hin wahrnehmbare Reaktion in irgendeiner Weise gezeigt haben . Im Ergebnis wird das Ziel, die Op- fer besser gegen Stalker zu schützen, verfehlt . Unsere alternativen Vorschläge zum Gesetzentwurf haben Sie leider auch nicht berücksichtigt . Dabei wäre gerade die Erfassung der psychischen Belastung als schwerwiegende Beeinträchtigung geeigneter gewesen, die Nachweisprobleme zu beseitigen . Der Vorschlag, den § 1 Gewaltschutzgesetz zu erwei- tern, um weitere Erscheinungsformen des Stalkings zu erfassen, wurde ebenfalls nicht in Betracht gezogen . Nun werden Sie argumentieren, dass Sie jeder noch so „kre- ativen“ Idee eines Stalkers durch die Generalklausel in Nummer 5 des StGB bereits begegnen . Dieses Ergebnis ließe sich aber viel besser durch eine Handlungsgeneral- klausel im Gewaltschutzgesetz realisieren . Der entschei- dende Vorteil wäre, dass wir nicht befürchten müssten, dass das Gesetz dem strafrechtlichen Bestimmtheits- grundsatz aus Artikel 103 Absatz 2 GG nicht genügt und damit verfassungswidrig ist . Opferschutz ist eben etwas anderes als symbolhafte Verschärfungen von Straftatbeständen, die am Ende nie- mandem – insbesondere den betroffenen Opfern – etwas bringen . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung (Zusatztagesordnungspunkt 7) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Der Leitgedanke der Energiewende muss sein: Mehr Markt, mehr Wett- bewerb, mehr Europa . Der Umbau der Energieversor- gung ist kein Sprint, sondern ein Marathon . Der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein wichtiger Bau- stein . Neben den erneuerbaren Energien gilt es jedoch, auch andere Handlungsfelder zu berücksichtigen . Die Energiewende muss technologieoffen ausgestaltet wer- den. Insbesondere die Steigerung der Energieeffizienz ist der Königsweg in der Energiepolitik . Sie schafft eine Win-win-Situation: Effizienzvorteile für die Verbraucher in Haushalten, Gewerbe und Industrie und gleichzei- tig Reduzierung des Energieverbrauchs und damit von CO2-Emissionen . Die beste Energie ist immer noch ein- gesparte Energie . Die Kraft-Wärme-Kopplung ist eine seit Jahrzehnten erfolgreiche Technologie zur Steigerung der Energieef- fizienz und ein zentraler Baustein für eine nachhaltige Energiepolitik . Durch die gekoppelte Erzeugung von Wärme und Strom werden erhebliche Mengen an Pri- märenergie und damit CO2 eingespart . Gegenüber unge- koppelten Systemen sind das derzeit 56 Millionen Ton- nen CO2 im Jahr . Fernwärme durch KWK kann allein in Großstädten wie Berlin, Hamburg, Köln und weiteren bis zu 20 Millionen Tonnen CO2 einsparen . Ein Block- heizkraftwerk mit Erdgas und KWK verursacht nur 120 Gramm CO2 pro Kilowattstunde . Ein herkömmli- ches Gaskraftwerk produziert dagegen das Dreifache an CO2 pro Kilowattstunde . Das Ausbaupotenzial für KWK wird auf zwischen 170 Terawattstunden pro Jahr und 240 Terawattstunden pro Jahr geschätzt . Davon liegt der Hauptteil mit rund 110 beziehungsweise 180 Terawattstunden im Bereich der Fernwärme und damit in der allgemeinen Versor- gung . Hinzu kommen 38 bis 59 Terawattstunden im In- dustriebereich . Die CDU/CSU bekennt sich zum Ausbau der KWK als einem zentralen Ziel der Energiewende . Mit der Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes von 2015 sollte die geltende Förderung der hocheffizienten und klimafreund- lichen KWK-Anlagen an die aktuellen Erfordernisse des Umbaus der Energieversorgung angepasst werden . Die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621002 (A) (C) (B) (D) CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat seinerzeit im Gesetz- gebungsprozess einige wichtige Änderungen des Gesetz- entwurfs des Bundeswirtschaftsministeriums durchge- setzt . Das Ausbauziel für KWK wurde von 108 Terawatt- stunden auf 120 Terawattstunden für das Jahr 2025 an- gehoben . Im Jahr 2017 soll entsprechend dem Grundsatz der Technologieoffenheit auch die Wirtschaftlichkeit der Kohle-KWK evaluiert werden . Zudem kann per Ver- ordnung eine Förderung von hocheffizienten und sonst unwirtschaftlich werdenden Kohle-KWKs eingeführt werden . Die Gesetzesnovelle des Jahres 2015 stand bisher unter dem Vorbehalt einer beihilferechtlichen Genehmi- gung durch die EU-Kommission . Im August 2016 hat die Bundesregierung unter Federführung des Bundeskanz- leramtes hierzu eine Einigung mit der Kommission er- reicht . Der heute zu beschließende Gesetzentwurf setzt diese Einigung um . Er schafft damit Planungssicherheit für viele private, gewerbliche und industrielle Anlagen- betreiber . Mit der Einführung einer Ausschreibung für KWK-Anlagen von 1 bis 50 Megawatt setzen wir auch bei der KWK-Förderung zukünftig auf mehr Wettbe- werb . Ebenso wie bei den erneuerbaren Energien gilt für KWK, dass in der Perspektive die Subventionierung auslaufen und die Technologie auf eigenen Füßen stehen sollte . Nur so können weiter steigende Energiepreise ver- mieden und die Akzeptanz für die Energiewende erhalten werden . Zusätzlich schließen die neuen Ausschreibungen auch innovative KWK-Systeme ein . Die Ausschreibungen für KWK-Anlagen von 1 bis 50 MW können zukünftig per Verordnung auch für In- dustrieprojekte geöffnet werden . Auch wurde die Vor- schrift aus dem Gesetzentwurf gestrichen, dass Anlagen, die an der Ausschreibung teilnehmen, eine technische Mindesterzeugung von null erreichen müssen . Das wäre für viele Industrieprojekte nicht erreichbar gewesen . Bei dem wichtigen Thema Bestandschutz für Eigen- stromerzeugungsanlagen haben wir ebenfalls Verbes- serungen erreicht . Eigenstrombestandsanlagen werden von der EEG-Umlage auch weiterhin dauerhaft entlas- tet . Bei bestehenden Anlagen wird dieses sogenannte Eigenstromprivileg zukünftig zudem „vererbbar“, bei- spielsweise für eine Biogasanlage auf einem Bauernhof . Im Falle von Umstrukturierungen und Rechtsnachfol- gen bis Ende 2016 kann das Eigenstromprivileg auf den Rechtsnachfolger übergehen . Bestandsschutz gilt auch für bestehende Eigenstrommodelle mit mehreren Kraft- werksschreiben . Im Speicherbereich wurde die geplante vierjährige Befristung der Umlagebefreiung ebenfalls gestrichen . Die CDU/CSU hat im Gesetzgebungsverfahren insbe- sondere darauf geachtet, dass keine neuen oder zumin- dest keine zu hohen Zusatzbelastungen für die Industrie entstehen . Denn die Energiewende wird nur dann zum Erfolg, wenn es gelingt, die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes zu sichern . Von zentraler Bedeutung ist insbesondere die Entlas- tung der energieintensiven Industrie von der KWK-Um- lage . Trotz intensiver Verhandlungen mit der EU-Kom- mission haben wir leider nicht alles erreicht, was wir wollten . Mit dem neuen Gesetz wird die Entlastungsregelung im KWKG an die besondere Ausgleichsregelung im EEG angepasst . Dies sichert die Wettbewerbsfähigkeit besonders der hoch energieintensiven Unternehmen . Wir als CDU/CSU haben uns darüber hinaus für eine Härtefallregelung im weitmöglichsten Umfang ausge- sprochen, und zwar für alle Unternehmen, die wegen der beihilferechtlichen Restriktionen die bisherigen Ent- lastungsregelungen des KWKG nicht mehr in Anspruch nehmen können . Nach intensiven Diskussionen mit dem Bundeswirtschaftsministerium und der Kommission wurde klar, dass hierfür beihilferechtlich kein Spielraum besteht . Daher wird es leider für viele Unternehmen zukünftig zu Mehrbelastungen kommen . Die Kommis- sion hat diese Mehrbelastungen überwiegend als nicht so weitgehend eingestuft, dass sie eine unbillige Härte darstellen . Ich halte das für unbefriedigend . Schon heute ist die Wettbewerbssituation der energieintensiven Industrie in Deutschland äußerst schwierig . Dies zeigt sich schon daran, dass in diesem Sektor nur 70 bis 80 Prozent der Abschreibungen noch reinvestiert werden . Die Strom- preise für große Industrieunternehmen in Deutschland liegen bei rund 15 ct/kWh, davon sind im Durchschnitt fast 50 Prozent Steuern und Abgaben . Der Großteil der Abgaben ist auf die EEG-Umlage zurückzuführen . Die energieintensive Industrie bildet jedoch die Basis der industriellen Wertschöpfungskette und gibt Hundert- tausenden Menschen in unserem Land Lohn und Brot . Die CDU/CSU kämpft um den Erhalt dieser Arbeitsplät- ze – leider oft allein auf weiter Flur . Im Ergebnis gilt es nun, die Auswirkungen der neuen Regelung auf die Industrie genau evaluieren . Gegebe- nenfalls werden wir in ein bis zwei Jahren einen neuen Anlauf bei der Kommission nehmen, um weitergehende Entlastungen für die Industrie zu erreichen . Es gilt, Deutschland als Industriestandort zu erhalten, denn dies ist die Garantie für Wohlstand und sozialen Frieden in unserem Land auch in den kommenden Jahr- zehnten . Florian Post (SPD): Wie schon im letzten Jahr ha- ben die Verhandlungen um das KWKG und Eigenver- sorgung erst kurz vor der jetzt anstehenden Abstimmung über das Gesetz ihren Abschluss gefunden . Das war nicht geplant, um Ihnen, geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die Arbeit zu erschweren, sondern der Tatsache geschuldet, dass wir den EU-Bescheid erst im November erhielten und noch bis zum Schluss eine gute Lösung ausgehandelt haben . Meiner Meinung nach haben wir mit dem vorliegenden Artikelgesetz eine gute Grundlage geschaffen, um der KWK weiterhin eine si- chere Perspektive im deutschen Stromerzeugungsmix zu geben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21003 (A) (C) (B) (D) Ich bin froh, dass es gelungen ist, den doch recht am- bitionierten Zeitplan einzuhalten, um das Gesetz noch in diesem Jahr zu verabschieden . Durch das heute im Bun- destag zu beschließende Gesetz schaffen wir zudem die Voraussetzungen, dass das KWKG von der EU-Kommis- sion beihilferechtlich genehmigt wird und somit im neu- en Jahr umfassend in Kraft treten kann . In Übereinstimmung mit den Zielen der EU Kom- mission werden künftig KWK-Anlagen zwischen 1 und 50 Megawatt gefördert, wenn sie erfolgreich an einer Ausschreibung teilnehmen . Damit wird die Förderhöhe auch für KWK-Anlagen – wie im EEG – über Ausschrei- bungen ermittelt . Dies ermöglicht eine bessere Mengen- steuerung, bedeutet Planbarkeit für alle Marktakteure und erhöht die Kosteneffizienz in der Förderung. Mit dem KWK-Gesetz hat die SPD sichergestellt, dass bei der KWK-Förderung der Fokus weiterhin auf der öffentlichen Versorgung liegt . Damit schaffen wir die gesetzliche Grundlage, weiter intensiv am Ausbau der KWK und am Klimaschutz in den Städten und Gemein- den zu arbeiten . Die KWK-Förderung kann zudem für Anlagen geöff- net werden, die ihren Strom in ein geschlossenes Ver- teilernetz einspeisen . Voraussetzung dafür ist aber, dass der in solchen Netzen verbrauchte Strom im Hinblick auf Umlagen, Entgelte und Abgaben genauso gestellt ist wie Strom im Netz der allgemeinen Versorgung . Mit diesem Kriterium stellen wir sicher, dass Anlagen in ei- nem geschlossenen Netz andere Anlagen, also vor allem KWK-Anlagen von Stadtwerken, nicht aus dem Markt drängen können . Gleichzeitig haben wir im KWKG auch für Strom- speicher eine gute Lösung gefunden, indem wir die Bestimmung zur Begrenzung der KWKG-Umlage bei Stromspeichern dahin gehend angepasst haben, dass die KWK Umlage entsprechend dem§ 61 k EEG 2017 erho- ben wird . Damit wird eine Doppelbelastung von Strom- speichern – wie etwa Pumpspeicherkraftwerken – bei der Erhebung der KWKG-Umlage ausgeschlossen . Mit diesen Regelungen fördern wir die dringend not- wendigen Flexibilisierungs- und Speichermöglichkeiten . Mit dem Gesetz sind wir insgesamt auf einem guten Weg, die Sektorkoppelung und Aufnahmefähigkeit für erneuerbare Energien auszubauen, und sorgen zudem da- für, dass das Ausbauziel von 110 TWh Strom aus KWK Anlagen bis 2020 erreicht werden kann . Johann Saathoff (SPD): Vor gut einem Jahr, am 3 . Dezember, haben wir hier das KWKG 2015 beschlos- sen . Richtig abschließen können wir dieses Gesetzesvor- haben eigentlich aber erst heute . Warum ist das so? Lange haben wir alle auf die Notifizierung des KWKG gewartet . Sehr spät, am 24 . Oktober dieses Jahres, hat die Europäische Kommission das Gesetz endlich notifiziert; leider aber unter Auflagen. Und diesen Auflagen kom- men wir nun mit der erneuten KWK-Änderung nach . Bei den Privilegierungen bei der KWK-Umlage hat das BMWi hart mit der Kommission gerungen und sich letztlich darauf geeinigt, dass künftig ein Begrenzungs- bescheid bei der Besonderen Ausgleichsregelung nach dem EEG auch für die Privilegierung bei der KWK-Um- lage maßgebend ist . Das ist ein gutes Ergebnis, denn an- fangs sah es danach aus, dass Unternehmen in Zukunft die volle Umlage zahlen müssen, was ganz sicher einige Härten zur Folge gehabt hätte, was, denke ich, niemand von uns gewollt hat – zumindest nicht mit Blick auf die damit verbundenen Arbeitsplätze . Dieses Gesetzespaket trägt aber nicht nur den notwen- digen Änderungen beim KWKG Rechnung . Gleichzeitig setzen wir auch ein für den Industriestandort Deutsch- land extrem wichtiges Anliegen aus dem Koalitionsver- trag um . Ich meine die Regelung zur Eigenstromerzeu- gung, über der ja bislang immer das Damoklesschwert der Befristung bis Ende nächsten Jahres schwebte . Im Koalitionsvertrag steht, dass alle neuen Eigenstromer- zeuger mit einer Mindestumlage zur Finanzierung des EEG-Kontos beitragen sollen und dass für bestehende Eigenerzeugung Vertrauensschutz gewährleistet werden soll . Und genauso steht es nun auch in dem Gesetz, das wir heute hier beschließen . Bestehende Eigenversor- gungsmodelle zahlen weiterhin null Prozent EEG-Um- lage . Das gilt solange, bis das Kraftwerk modernisiert wird, wobei es bei der Modernisierung nur um den Ge- nerator geht . Danach müssen auch sie einen Beitrag in Höhe von 20 Prozent zum EEG-Konto leisten . Neue Ei- genstromerzeugungsmodelle zahlen nunmehr 40 Prozent EEG-Umlage . Damit gelingt uns ein guter Kompromiss, um auch die Industrie angemessen an der Finanzierung des EEG zu beteiligen und gleichzeitig den Wirtschafts- standort Deutschland nicht zu schwächen und Carbon Leakage zu vermeiden . Darüber hinaus haben wir im EEG einige Punkte, die wir bereits vor der Sommerpause beschlossen haben, etwas nachgeschärft, zum Beispiel bei den Bürgerener- giegenossenschaften . Als wir die Sonderregeln für die Bürgerenergie beschlossen haben, habe ich mir nicht vorstellen können, welches Missbrauchspotenzial diese Regelungen in sich tragen könnten . Viel haben wir in den vergangenen zwei Monaten über Strohmann-Gesell- schaften gesprochen . Und da wir natürlich keinerlei Inte- resse daran haben, dass diese gut gemeinten Regelungen unterlaufen werden, haben wir nun bestimmte Hürden eingezogen, die dieses Unterlaufen unmöglich machen sollen . Diese Hürden machen den Missbrauch der be- vorzugten Regelungen für die Bürgerenergie unmöglich, behindern aber nicht die echte Bürgerenergie . Gleichzeitig haben wir bei der Offshorewindkraft da- für gesorgt, dass wir in den nächsten Jahrzehnten viel Geld sparen können . Genehmigungen für Offshorewind- kraftanlagen werden künftig für 25 Jahre erteilt . Dadurch wird es zu günstigeren Ergebnissen in den Ausschreibun- gen kommen, was das EEG-Konto entlasten wird . In den vergangenen Wochen haben wir in Dänemark und den Niederlanden erstaunlich günstige Gebotszuschläge für Offshorewindparks gesehen . Die Bedingungen lassen sich nicht ganz mit den Bedingungen in Deutschland ver- gleichen . Aber ich gehe trotzdem davon aus, dass wir in der ersten Ausschreibungsrunde für Offshorewindparks im kommenden Jahr Ergebnisse sehen werden, die wir Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621004 (A) (C) (B) (D) alle der Branche kaum zugetraut haben . Auf jeden Fall sollten wir in naher Zukunft unsere Beschlüsse zu den Ausbaumengen bei der Offshorewindkraft noch mal überdenken, denn hier liegt nach wie vor großes Potenzi- al – sowohl gesamtdeutsch industriepolitisch als auch als günstige, fast grundlastfähige erneuerbare Energiequelle . Insgesamt war es ein von großer Zeitnot geprägtes Verfahren, weil wir ja unbedingt noch in dieser Woche beschließen müssen . Ich möchte mich deshalb ganz besonders bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem BMWi bedanken, die quasi Tag und Nacht durchgearbei- tet haben . In Ostfriesland würde man sagen: „wi hebben heel moi tausamen arbeid“ . Und nun wünsche ich Ihnen ein besinnliches Weih- nachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Damit die EU-Kommission bei den deutschen Industrieprivilegi- en zwei Augen zudrückt, verlangt sie, die KWK künf- tig über Ausschreibungen zu fördern . Das ist kompletter Unsinn, es gibt sachlich keinen Zusammenhang . Dies ist ein klassischer Deal, der nicht sachgemäß ist und der die ohnehin schon komplizierte Materie noch komplizierter macht . Wir halten es für verantwortungslos, nun auch die Förderhöhe der KWK über Ausschreibungen zu ermit- teln, nach dem Motto: billig gewinnt . Bei Photovoltaik und Windkraft haben wir das Instrument Ausschreibun- gen abgelehnt, weil es Bürgerenergie trotz Nachteils- ausgleich Steine in den Weg legt und voraussichtlich zu Marktkonzentration einiger weniger Projektierer führen wird . Bei der Kraft-Wärme-Kopplung haben wir für unse- re Ablehnung der Ausschreibungen, wie sie nun für An- lagen zwischen 1 und 50 Megawatt eingeführt werden, etwas andere Gründe: KWK-Anlagen sind sehr unter- schiedlich, und die Wirtschaftlichkeit einer Anlage ist abhängig von verschiedenen Größen, nicht nur auf der Stromseite, sondern auch bei der Wärmeproduktion . In dieser uneinheitlichen Welt sind Ausschreibungen wirk- lich widersinnig und schädlich für den weiteren Ausbau . Viele KWK-Anlagen produzieren auch Strom für den eigenen Verbrauch, sei es im Gebäudekomplex oder in einer Industrieanlage . Das sollen sie aber nicht mehr dürfen, wenn sie an Ausschreibungen teilnehmen . Ge- fördert werden dann nur noch Anlagen, die vollständig ins öffentliche Netz einspeisen. Auch das finden wir nicht sachgerecht . Es gibt zudem keinerlei Erfahrungen mit KWK-Ausschreibungen – weder hierzulande noch im Ausland, es existieren etliche offene Fragen . Aber wie genau die Bundesregierung dies nun gestal- ten will, denkt sie sich ja selbst erst aus . Hier gibt das Parlament ihr heute wieder einen Freifahrtschein über eine Verordnungsermächtigung . Wir bezweifeln, dass sich in dem Bereich von Anlagen zwischen 1 und 50 Me- gawatt eine faire Ausschreibungspraxis bewerkstelligen lässt . Betroffen sind hier vor allem Stadtwerke und In- dustrieanlagen, die effizienter werden sollen – deren Pla- nung wird aber unsicherer und verteuert . Wer vorhat, in die hocheffiziente KWK zu investieren, wird künftig ins kalte Wasser geworfen . Da überlegt man es sich zweimal, und dies, obwohl die Ausbauzahlen ohnehin hinter den Erwartungen zurückbleiben . Aufgrund der Umstellung des Fördersystems wird es vermutlich auch zu einem Fadenriss bei den Investitionen kommen . So warnten jedenfalls die Experten in der Anhörung . Es droht eine Investitionslücke von zwei Jahren . Mit dem Gesetzentwurf werden ferner Industrieprivi- legien im EEG und im KWK-G verlängert . Bravo, kann ich da nur sagen . Jedes Jahr werden der Industrie beim Eigenverbrauch Umlagen in Höhe von etwa 2 Milliar- den Euro erlassen . Dass dies bei Bestandsanlagen auch weiterhin so sein wird und diese Kosten letztlich auf die Stromrechnung der privaten Haushalte draufgeschlagen werden – das beschließen Sie heute . Das kann man auch nicht mit „Bestandsschutz“ begründen, denn der Gewinn aus dem Eigenstromprivileg wächst automatisch mit je- dem Anstieg der Preise für den Fremdstrombezug aus dem Netz . Hier wird unkontrolliert Geld verschenkt . Einige meinen, ohne diese Privilegien würden etliche KWK-Anlagen unwirtschaftlich . Wir halten dem entge- gen: Dann sollte man besser auskömmliche KWK-Zu- schläge zahlen, anstatt über das Eigenstromprivileg zweite Kassen aufzumachen, deren Füllung und Berech- tigung von niemanden mehr kontrolliert werden kann . Noch ein Wort zu den EEG-Regelungen aus dem Sommer, die heute bei der Bürgerenergie geheilt werden sollen . Wir als Linke hatten ja die Missbrauchsmöglich- keiten bei der Bürgerenergie thematisiert . Ich erkenne an, dass die Koalition nun eine Formulierung ins Gesetz aufnimmt, die versucht, Projekten, die nur unter dem Deckmantel Bürgerenergie auftreten und dann nach kur- zer Zeit verkauft werden sollen, einen Strich durch die Rechnung zu machen . Ich bin nicht sicher, ob das Erfolg hat, aber zunächst erscheint es mir stimmig . Nur damit hier keine Missverständnisse aufkommen, muss ich allerdings nochmal klarstellen: Das eigentliche Problem ist nicht der Nachteilsausgleich im EEG bei der Bürgerenergie . Das eigentliche Problem liegt in der Ein- führung von Ausschreibungen, die systematisch große finanzstarke Investoren bevorteilen, mittelfristig zu einer Marktkonzentration von wenigen Investoren führen und gegen den Charakter einer dezentralen Energiewende wirken . Dieses Problem wird grundsätzlich nicht geheilt, und ich kann nur hoffen, dass die Bürgerenergie sich nicht entmutigen lässt . Die Linke setzt sich weiterhin für eine dezentrale Energiewende in Bürgerhand ein . Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nun wissen wir ganz offiziell, dass die Bundesregierung ihre selbst gesteckten Klimaziele bis 2020 nicht errei- chen wird . Das sagt der Klimaschutzbericht 2016, den das Kabinett gestern beschlossen hat . Doch statt den Bericht als Ansporn zu nehmen und jetzt in allen Berei- chen nachzulegen, legt die Große Koalition die Hände in den Schoß . Oder noch schlimmer: Sie bremst die Kli- maschutzanstrengungen noch weiter aus . So wie bei der Kraft-Wärme-Kopplung, über die wir heute abstimmen . Mit dem jetzt vorgelegten Gesetz schafft die Regie- rung durch höchst bürokratische Ausschreibungsverfah- ren neue Hindernisse für die KWK, statt sie zu stärken . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21005 (A) (C) (B) (D) Wenn Sie jetzt sagen: „Das stimmt doch gar nicht“, darf ich Ihnen ein Zitat aus der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Zukunft der KWK vorle- sen: „Grundsätzlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich insbesondere in den ersten Ausschreibungsrun- den der administrative Aufwand oder die Risikotragung leicht erhöhen .“ Zitat Ende . Nach der zweijährigen Hängepartie, die Sie der KWK-Branche bereits bis heute zugemutet haben, kommen nun also weitere Verzögerungen, Hürden und Hindernisse dazu . So werden Sie Ihr Ausbauziel für die effiziente Kraft-Wärme-Kopplung und den Klimaschutz- beitrag durch KWK ganz sicher nicht erreichen . Davon gehen auch die Sachverständigen aus, die in unserer An- hörung im Wirtschaftsausschuss dazu Stellung genom- men haben . Und es wäre ja noch nicht zu spät gewesen, wenigs- tens einige Verbesserungsvorschläge aufzugreifen, wie sie beispielsweise in der Anhörung thematisiert wurden oder die die Bundesländer gemacht haben . Ich nenne Ih- nen einige Beispiele: Erstens . Angesichts der neuen Hindernisse für die Errichtung von KWK-Anlagen und der ohnehin schon erfolgten Stilllegung vieler Anlagen hätten Sie wenigs- tens die Ausschreibungsmengen erhöhen müssen . Damit bestünde die Chance, die negative Entwicklung bei der KWK ein wenig zu kompensieren . Aber davon sehe ich in Ihrem Änderungsantrag nichts! Zweitens . Für die Energiewende im Wärmebereich brauchen wir auch die kleine und mittlere KWK in der dezentralen Versorgung . Daher hätten Sie unbedingt die KWK zur Versorgung von Mietshäusern stärken müssen . Doch von einer Ausdehnung der Verordnungsermächti- gung im EEG zur Förderung von Mieterstrommodellen auf KWK sehe ich ebenfalls nichts! Drittens . Besonders wichtig sind im Sinne des Klima- schutzes der schnellere Umstieg von Kohle auf erneu- erbare Energien oder die Nutzung von Abwärme auch in der Kraft-Wärme-Kopplung. Denn auch diese effizi- ente Technik soll perspektivisch vollständig klimaneu- tral betrieben werden . Doch auch hier haben Sie keine Verbesserungen geschaffen . So bleiben beispielsweise in den Ausschreibungen für innovative KWK-Anlagen ORC-Prozesse oder die Nutzung von Abwärme weiter- hin außen vor . Viertens . Und noch ein letzter Punkt, den ich für zen- tral halte: Nachdem seit Oktober endlich die Anträge bearbeitet werden, die seit Januar vorlagen, müssen alle Investoren für KWK-Anlagen in einer Größe von 1 bis 50 MW nun noch bis Herbst nächsten Jahres warten; denn vorher wird Ihre Verordnung für die neuen Aus- schreibungen nicht in Kraft treten . Planungssicherheit ist was anderes! Die Branche befürchtet eine große Investi- tionslücke . Ich habe schon bei der Einbringung des Gesetzent- wurfs davor gewarnt, dass die vorgesehenen Änderun- gen am Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz den Ausbau der KWK weiter erschweren werden und dass die Bundes- regierung ihre Klimaziele so nicht erreichen wird . Statt diese Warnung ernst zu nehmen, ignorieren Sie weiterhin die großen Probleme beim Ausbau der KWK und legen den Klimaschutz ad acta . Das ist der falsche Weg in der Energie- und Klimapolitik! Anlage 15 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Barbara Lanzinger (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversor- gung (Zusatztagesordnungspunkt 7) Aus den hier aufgeführten Gründen stimme ich heute gegen das oben genannte Gesetz . Das liegt nicht daran, dass ich mich gegen Kraft-Wär- me-Kopplung (KWK) ausspreche . Ganz im Gegenteil: KWK ist eine allseits anerkannte, hoch effiziente und klimafreundliche Technologie . KWK ist ein wichtiger Baustein der Energiewende und von herausragender Be- deutung für die Erreichung unserer Klimaziele . Aus diesem Grund haben wir bereits Ende 2015 das KWK-Gesetz im Bundestag und Bundesrat verabschie- det, mit dem Ziel, diese Technologie zu befördern . Da- mals signalisierte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), dass das im Deutschen Bundestag ausverhandelte Gesetz vonseiten der Europäischen Kom- mission zwar noch beihilferechtlich genehmigt werden müsse, jedoch keine beihilferechtlichen Bedenken her- vorrufe . Zu Beginn 2016 wurde uns mitgeteilt, dass es doch massive Bedenken gebe – und zwar gegen zentrale Punkte des Gesetzes . Nach Aussage des BMWi musste daher in 2016 in- tensiv zwischen BMWi und Europäischer Kommission nachverhandelt werden . Das Ergebnis, das uns im Rah- men eines Kabinettentwurfs am 19 . Oktober 2016 vor- gelegt wurde, entspricht in vielen Punkten nicht mehr den politischen Abstimmungsergebnissen des Deutschen Bundestages von Dezember 2015 . In den vergangenen Wochen mussten erneut intensive parlamentarische Beratungen zu dem eingangs genann- ten Änderungsgesetz stattfinden, um die vom BMWi an- geführten beihilferechtlichen Bedenken umzusetzen . Bei den parlamentarischen Verhandlungen hat das BMWi enormen zeitlichen Druck aufgebaut, obwohl das BMWi selber lange gebraucht hat, um ein bereits abgeschlos- senes Gesetz neu mit der Europäischen Kommission zu verhandeln . Mit diesem Prozedere bin ich als Abgeordnete des Deutschen Bundestages nicht einverstanden . Verhand- lungen dieser regulatorischen und technischen Kom- plexität brauchen Zeit, um vom Parlament tiefgehend geprüft werden zu können . Das gilt vor allem im Sinne der KWK und dementsprechend der KWK-Anlagenbe- treiber, die nachhaltig Rechtssicherheit für Investitionen und den Anlagebetrieb benötigen . Nur so kann auch der wiederholte Eindruck widerlegt werden, dass das BMWi Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621006 (A) (C) (B) (D) versuche, unter scheinbarem Bezug zum Beihilferecht der Europäischen Kommission, eigene politische An- sichten in der Energiepolitik durchzusetzen . Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes (Tagesordnungs- punkt 17) Julia Obermeier (CDU/CSU): Wir alle haben die Pariser Terrornacht vom 13 . November 2015 in Erinne- rung . 130 Menschen starben und 350 wurden zum Teil schwer verletzt . Diese schrecklichen Anschläge – verübt mit Sprengsätzen, Sturmgewehren und Handgranaten – trafen uns im Herzen Europas und offenbarten eine neue Dimension des Terrors . Auch Deutschland steht im Fadenkreuz des Terroris- mus: Dies zeigen die Anschläge von Ansbach, Würzburg, Essen und Hannover . Der islamistische Terrorismus be- droht unsere freie Gesellschaft . In islamistischen Kreisen gilt die professionelle mi- litärische Schieß- und Gefechtsausbildung der Bundes- wehr als besonders attraktiv, nicht nur für die Vorbe- reitung terroristischer Anschläge, sondern auch für den menschenverachtenden Dschihad in den von der IS-Ter- rormiliz kontrollierten Gebieten . Dass die Bundeswehr für gewaltbereite Extremisten attraktiv ist, belegen Zahlen des Militärischen Abschirm- dienstes, MAD: 30 ehemalige Soldaten sind nach Syrien oder in den Irak ausgereist . Es liegt nahe, dass sie sich dem IS angeschlossen haben und sich an barbarischen Gräueltaten beteiligen . Zudem wurden 20 Islamisten in der Bundeswehr vom MAD enttarnt, und aktuell werden mindestens 60 weite- re Verdachtsfälle verfolgt . Dies zeigt uns deutlich: Wir müssen die Gefahr des Missbrauchs der militärischen Bundeswehrausbildung eindämmen . Die bisherigen Maßnahmen reichen ange- sichts der Bedrohungslage nicht aus . Bislang müssen Bewerberinnen und Bewerber, die sich für den Soldatenberuf entschieden haben, ein poli- zeiliches Führungszeugnis vorlegen . Zudem werden sie über das Grundgesetz belehrt und müssen sich schriftlich zu Verfassungstreue und zur freiheitlichen demokrati- schen Grundordnung bekennen . Es wurde bisher nicht umfassend geprüft, ob ein Be- werber an anderer Stelle bereits als Extremist oder Ge- walttäter bekannt ist . Der vorliegende Gesetzentwurf soll dies nun ändern . Hat ein Bewerber das Auswahlverfahren erfolgreich durchlaufen, wird er einer einfachen Sicherheitsüberprü- fung unterzogen . Dieses bewährte Verfahren wird bereits bei anderen sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten innerhalb der Bun- deswehr angewendet – sowie auch im Luftverkehr oder hier im Bundestag . Hierzu werden insbesondere Infor- mationen der Polizei- und Sicherheitsbehörden sowie des Bundeszentralregisters eingeholt und geprüft . Bevor also jemand in der militärischen Grundausbil- dung lernen kann, wie man Kriegswaffen, zum Beispiel Sturmgewehre und Pistolen, gebraucht, schaut nun der MAD genau hin . Das ist wichtig und notwendig . Zukünftig müssen etwa 20 000 Sicherheitsüberprü- fungen zusätzlich durchgeführt werden . Um diese Arbeit stemmen zu können, brauchen der MAD und die ande- ren betroffenen Behörden mehr Personal . Das wird uns 8,2 Millionen Euro kosten . Doch das Geld ist eine klu- ge Investition . Potenzielle Terroristen und gewaltbereite Extremisten, egal welcher Prägung, haben keinen Platz in der Bundeswehr . Sie dürfen die Bundeswehr nicht als Ausbildungseinrichtung für ihre üblen Zwecke missbrau- chen . Bisher hat es in Deutschland noch keinen Anschlag gegeben, bei dem ein Terrorist den Umgang mit seiner Waffe in unseren Streitkräften erlernt und erprobt hat . Dies soll auch zukünftig so bleiben . Durch die Gesetzes- änderung tun wir unser Möglichstes, dies zu verhindern . Daher bitte ich Sie um Ihre Zustimmung . Bernd Siebert (CDU/CSU): Der Deutsche Bun- destag hat in seiner 199 . Sitzung am Donnerstag, dem 10 . November 2016, in erster Lesung über einen Ge- setzentwurf zur Änderung des Soldatengesetzes beraten . Dieser wurde in der Folge zur weiteren Beratung in den Verteidigungsausschuss überwiesen . Am 30 . November hat schließlich der Verteidigungs- ausschuss über die wichtige Thematik beraten und mit den Stimmen der Koalition aus CDU/CSU und SPD dem vorliegenden Gesetzentwurf zugestimmt . Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten, die Frak- tion Die Linke hat mit Nein gestimmt . Angesichts der im Verteidigungsausschuss geführ- ten Debatte möchte ich auch hier im Deutschen Bun- destag den Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere dem Militärischen Abschirmdienst, für ihren wertvollen und wichtigen Einsatz danken . Ohne die Arbeit des Militäri- schen Abschirmdienstes wäre manch radikalisierter Isla- mist noch unentdeckt und möglicherweise in der Lage, innerhalb unserer Streitkräfte oder an anderer Stelle Schlimmstes anzurichten . Es ist immer wieder in Erinne- rung zu rufen: 24 Islamisten wurden in der Bundeswehr enttarnt . 60 weitere Verdachtsfälle werden verfolgt . Wir hören, dass der Militärische Abschirmdienst der- zeit eine dreistellige Zahl extremistischer Verdachtsfälle überprüft . Darunter leider Rechts- und Linksextremisten sowie die genannten islamischen Extremisten . Von der Dunkelziffer ganz zu schweigen . Aus diesem Grund ist es folglich unerlässlich, eine gesetzliche Regelung her- beizuführen, die es erlaubt, Extremisten, Terroristen und weitere Kriminelle frühzeitig zu erkennen – idealerweise Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21007 (A) (C) (B) (D) natürlich, bevor sie in unsere Streitkräfte aufgenommen werden . Klar ist, dass angesichts der veränderten Sicherheits- lage auch das Sicherheitsbedürfnis der Bundeswehr und ihrer Angehörigen ein völliges anderes ist . Dem muss selbstverständlich Rechnung getragen werden . Somit beschreitet der vorliegende Gesetzentwurf den richtigen Weg . Danken möchte ich auch dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, der zu Recht darauf hingewie- sen hat, dass Extremisten und Islamisten die Bundeswehr nicht zur Ausbildung für den Dschihad missbrauchen dürfen . Diese reale Gefahr muss man ernst nehmen . Aus diesem Grund möchte ich mich mit aller Ent- schiedenheit den Vorwürfen gegen die Bundesregierung verwehren, hier werde nur billiger Aktionismus betrie- ben . Im Gegenteil: Der Zeitpunkt zur Verabschiedung der Gesetzesänderung ist hochaktuell . Insofern spreche ich der Bundesregierung und hier insbesondere Bundes- verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für die Initiative zur Änderung des Soldatengesetzes mein aus- drückliches Lob aus . Zugleich ist dies auch keine Maßnahme zur Darstel- lung der Existenzberechtigung des Militärischen Ab- schirmdienstes . Die Notwendigkeit des Dienstes ergibt sich ohne jeden Zweifel aus den eben geschilderten Ent- tarnungserfolgen . Wer das in Zweifel zieht, legt Hand an die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten der Bundes- wehr und damit an die Bündnis-, Verteidigungs- und Ein- satzfähigkeit Deutschlands . Lassen Sie mich in Erinnerung rufen, worum es ei- gentlich geht: Die Gesetzesänderung sieht vor, dass sich Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zukünf- tig vor dem Eintritt in die Streitkräfte einer einfachen Sicherheitsüberprüfung unterziehen sollen, und zwar Berufs- und Zeitsoldaten ebenso wie auch freiwillig Wehrdienstleistende . Bisher ist dies in der Regel nur bei Verwendungen in sicherheitsrelevanten Bereichen der Fall . Darüber hinaus wird von angehenden Soldaten le- diglich ein Führungszeugnis oder eine Auskunft aus dem Bundeszentralregister eingeholt sowie ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung eingefor- dert . Staatssekretär Markus Grübel hat in erster Lesung korrekterweise darauf hingewiesen, dass alle Soldatin- nen und Soldaten im Rahmen der Grundausbildung in der Handhabung und dem Gebrauch von Kriegswaffen ausgebildet werden . Solch eine qualitativ hochwertige Ausbildung sei daher auch bei Menschen begehrt, die besser niemals lernen dürften, wie man ein Sturmgewehr bediene . Er wies sinnbildlich darauf hin, dass diese Men- schen ihre feindseligen Absichten eben nicht offen er- kennbar auf der Stirn tragen . Diese Menschen wird man nur leider kaum identifizieren können, wenn man ihnen ein Führungszeugnis sowie das Bekenntnis zur freiheit- lich demokratischen Grundordnung einfordert . Das wäre nicht mehr den heutigen Bedrohungsszena- rien entsprechend, und ich möchte mir darüber hinaus kein Anschlagsszenario vorstellen, in dessen Nachberei- tung sich herausstellt, dass der oder die Attentäter ihre Schusswaffenausbildung bei einer Einheit der Bundes- wehr erhalten haben . Somit kann es aus meiner Sicht nur einen Weg ge- ben, nämlich die nun vorgeschlagenen Maßnahmen so bald wie möglich umzusetzen . Ich bin der festen Über- zeugung, dass Extremisten, Terroristen und Kriminelle keinen Platz in der Bundeswehr haben dürfen . Deren frühzeitige Erkennung ist daher unumgänglich . Der vor- liegende Gesetzentwurf trägt dazu bei, die Bundeswehr und damit auch die Bundesrepublik Deutschland sicherer zu machen . Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Dass das vorliegende Änderungsgesetz ausschließlich in Form von zu Proto- koll gegebenen Reden im Plenum des Deutschen Bun- destages „beraten“ wird, ist ein unsinniger Vorgang . Ent- weder es besteht Beratungsbedarf; dann müssen wir auch den Raum für den parlamentarischen Schlagabtausch schaffen . Oder es besteht keiner; dann brauchen wir auch keine Besinnungsaufsätze zum Inhalt der Gesetze in den Parlamentsprotokollen zu beerdigen, sondern sollten es mit der Abstimmung bewenden lassen . Da es aber nun einmal so beschlossen ist, gehe ich kurz auf die Argumente der Grünen und der Linken ein, die dem Protokoll der ersten Lesung zu entnehmen sind . Inhalt des Gesetzes ist die Ausweitung der Befugnisse des MAD . Wir schaffen eine Rechtsgrundlage dafür, dass der MAD schon vor der Einstellung eine Sicherheits- überprüfung der Bewerberinnen und Bewerber bei der Bundeswehr durchführen kann . Ziel ist es, zu verhin- dern, dass Extremisten eine militärische Ausbildung für ihre möglicherweise terroristischen Absichten erhalten . Notwendig erscheint die Gesetzesänderung, nachdem der MAD in einem Zeitraum von zehn Jahren insgesamt 24 dschihadistische Extremisten unter den aktiven Sol- daten enttarnt hat . Für die Linken kritisiert Inge Höger pauschal, dass Soldatinnen und Soldaten überhaupt eine militärische Ausbildung erhalten, die auch andere als dschihadis- tische Extremisten und Söldner für ihre verwerflichen Ziele nutzen könnten und nachweislich bereits genutzt hätten . Da die SPD-Fraktion die Existenz leistungsfähi- ger Streitkräfte für notwendig hält, um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten, können wir diese Kritik nur als im Ansatz verfehlt zurückweisen . Für Bündnis 90/Die Grünen zieht Agnieszka Brugger nicht das Schutzziel der Gesetzgebung an sich in Zwei- fel, sondern beanstandet die damit verbundene Stärkung des MAD, einer Behörde, die die Grünen für überflüssig halten, weil ihre Aufgaben auch von anderen Einrichtun- gen wahrgenommen werden könnten . Die SPD-Fraktion betrachtet es angesichts der zu lösenden Aufgabe – Ex- tremismusprävention in den Streitkräften – als nicht zielführend, bei dieser Gelegenheit eine grundsätzliche Strukturdebatte zu führen, zumal auch die Grünen nicht infrage stellen, dass die Aufgaben des MAD, unabhängig von der damit beauftragten Behörde, bestehen bleiben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621008 (A) (C) (B) (D) Das Gesetz trägt dazu bei, eine objektiv bestehende Sicherheitslücke zu schließen . Die SPD-Fraktion stimmt daher zu . Dr. André Hahn (DIE LINKE): Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land haben zu Recht einen Anspruch darauf, dass der Staat sie bestmöglich vor Angriffen auf ihre körperliche Unversehrtheit und ihr Leben schützt . Dazu gehört auch, dass Personen, die in sicherheitsre- levanten Bereichen arbeiten, vor der Einstellung und gegebenenfalls auch während der Ausübung ihrer Tätig- keit auf ihre Zuverlässigkeit angemessen und auch re- gelmäßig überprüft werden . Das gilt beispielsweise für das Personal von Atomkraftwerken oder an Flughäfen . Zu diesen sicherheitsrelevanten Bereichen gehören aber auch Beschäftigte bei der Polizei, beim Zoll, bei den Ge- heimdiensten – solange es sie noch gibt – und andere Per- sonen, die an Waffen ausgebildet werden und regelmäßig Zugang zu Waffen haben, also letztlich auch Bewerberin- nen und Bewerber bei der Bundeswehr . Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es nun auch aus- schließlich um die Sicherheitsüberprüfung von künftigen Soldatinnen und Soldaten . Dagegen lässt sich grundsätz- lich kaum etwas einwenden . Gleichwohl werden wir als Linke diesem Gesetz nicht zustimmen können, und zwar im Wesentlichen aus zwei Gründen . Ein Grund liegt in der wirklich mehr als einseitigen Begründung mit möglichen islamistischen Bedrohungen . In den vergangenen zehn Jahren wurden nach Berichten des Tagesspiegels insgesamt 24 Soldaten als Islamisten eingestuft . Aktuell werden wohl weitere circa 60 Ver- dachtsfälle durch den Militärischen Abschirmdienst überprüft . Dem gegenüber stehen allein die aktuell über 250 Verdachtsfälle, in denen sich Rechtsextremisten in die Truppe eingeschlichen haben sollen . Hier liegt das wirkliche Problem innerhalb der Bundeswehr, über das aber offenbar nicht so gern gesprochen wird . Gleichwohl wird im Gesetzentwurf der Bundesregie- rung zuallererst auf die Gefahren durch islamistischen Terror hingewiesen, bevor eher beiläufig auf die unrühm- liche Rolle der Bundeswehr und insbesondere des MAD im Zusammenhang mit dem rechtsterroristischen NSU eingegangen wird . Nur am Rande sei bemerkt, dass der MAD damals einige Rechtsterroristen sehr wohl kannte, immerhin sollte Uwe Mundlos sogar als V-Mann ange- heuert werden . Doch nicht die Neonazis, nicht die mögliche Unter- wanderung der Bundeswehr durch Rechtsextremisten, sondern erst die islamistisch motivierten Attentate in Pa- ris, Kopenhagen und Brüssel ließen bei der Bundesregie- rung die Idee keimen, man sollte vielleicht doch vorher mal genauer nachsehen, wen man da an Kriegswaffen ausbilden will . Mit dem vorliegenden Gesetz soll nun der lange beste- hende Wertungswiderspruch aufgelöst werden, wonach für Tätigkeiten in allen möglichen sicherheitsempfindli- chen Bereichen wie eben im Atombereich oder an Flug- häfen eine Sicherheitsüberprüfung notwendig ist, nicht aber für die Ausbildung an Kriegswaffen . Dass dies nun korrigiert werden soll, ist deshalb nachvollziehbar und begrüßenswert, wenngleich die Gesetzesbegründung, wie eben schon erwähnt, an der Realität vorbeigeht . Es gibt aber noch einen zweiten und für uns noch wichtigeren Grund, weshalb wir als Linke dem Gesetz- entwurf nicht zustimmen können, nämlich die Frage, wer denn diese Sicherheitsüberprüfungen künftig durchfüh- ren soll . Aus unserer Sicht sind weder der Militärische Ab- schirmdienst noch eventuell das Bundesamt für Verfas- sungsschutz dafür geeignet . Es ist ja bekannt, dass wir als Linke den Geheimdiensten aus guten Gründen und nach jahrelangen Erfahrungen mit Pannen und Skandalen sehr skeptisch gegenüberstehen und deren Agieren parlamen- tarisch sehr kritisch begleiten . Für uns ist es daher auch nicht akzeptabel, dass die beabsichtigten Sicherheitsüberprüfungen wieder durch einen Nachrichtendienst erfolgen sollen . Wir wollen die Geheimdienste perspektivisch überwinden und ihnen nicht noch immer neue Aufgaben übertragen . Wir meinen, es ist allerhöchste Zeit, das System der Sicherheitsüberprüfungen endlich mal grundlegend zu überdenken . Anstatt diese Aufgabe dem Verfassungs- schutz oder wie im vorliegenden Gesetzentwurf dem MAD zu übertragen, sollte geprüft werden, welche even- tuell bereits existierenden oder neu zu schaffenden In- stitutionen oder Behörden ohne nachrichtendienstlichen Hintergrund diese Aufgabe übernehmen und vielleicht sogar auch besser erfüllen könnten . Dass selbst eine bestandene Sicherheitsüberprüfung der Stufe 3, immerhin die höchste, die man im öffent- lichen Dienst erlangen kann, noch lange keine Garantie ist, zeigte nicht zuletzt der erst kürzlich aufgedeckte Fall eines Islamisten im Bundesamt für Verfassungsschutz . Und schließlich will ich auch noch mal darauf verwei- sen, was meine Kollegin Höger hier in der ersten Lesung zu Recht erwähnte: Eine der größten Radikalisierungsge- fahren für Soldatinnen und Soldaten ist der Kriegseinsatz selbst, weil es dabei oder danach allzu oft zu schweren Traumata kommt . Auch deshalb sollten wir deutsche Sol- datinnen und Soldaten nicht länger in immer neue und immer größere Kriege in die Krisenregionen dieser Welt schicken . Schlussendlich komme ich zu dem Ergebnis, dass es zwar sinnvoll erscheint, zu prüfen, wer zukünftig an Waf- fen ausgebildet wird . Keinesfalls sinnvoll ist es jedoch, diese Aufgabe einem Geheimdienst zu übertragen und hierfür dort über 40 neue Stellen zu schaffen . Problematisch ist zudem, dass die Koalition im Aus- schuss noch völlig sachfremde Punkte in das Gesetz auf- genommen und einfach mal so nebenbei eine Erhöhung der Reservistenbezüge für militärische Übungstage be- schlossen hat, die wir als Linke nicht mittragen können . Aus den genannten Gründen wird meine Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen . Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich glaube, ich trete niemandem hier zu nahe, wenn ich sage: Wir alle sind sehr beunruhigt . Anfang November wur- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21009 (A) (C) (B) (D) de bekannt, dass Menschen mit einer islamistischen Ge- sinnung in jüngster Zeit verstärkt versucht haben, in die Bundeswehr einzutreten . Ihr Ziel war dabei ganz offen- sichtlich, sich durch eine Ausbildung an der Waffe auf einen Kampfeinsatz im Nahen Osten vorzubereiten . Die Vorstellung, dass dieser Plan aufgehen könnte, ist natür- lich völlig unerträglich . Niemand, egal welcher extremis- tischen Gesinnung er oder sie auch sein mag, darf in der Bundeswehr an der Waffe ausgebildet werden! Die Frage ist nur, wie wir diesem Schreckensszenario vorbeugen können . Mit welchen Instrumenten können wir verhindern, dass Islamisten, Antisemiten, Links- oder Rechtsextreme in die Bundeswehr gelangen? Die Bundesregierung setzt mit der Änderung des Soldatenge- setzes auf eine Ausweitung der Überprüfung durch den Militärischen Abschirmdienst . Doch ich bin überzeugt: Das ist ganz definitiv der falsche Weg! Denn wenn wir uns einmal anschauen, was der MAD in den letzten Jahren und Jahrzehnten tatsächlich zustan- de gebracht hat, kann das Ergebnis nur lauten: nicht viel bis gar nichts . Der MAD wusste bereits in den 90er-Jahren von der rechten Gesinnung des späteren NSU-Protagonisten Uwe Mundlos . Ja, der Geheimdienst wollte Mundlos sogar als Informanten aus der rechten Szene anwerben . Welche Konsequenzen diese Erkenntnisse des MAD hatten, wis- sen wir alle: keine . Mundlos konnte im Verein mit den anderen Mitgliedern des NSU jahrelang völlig unbehel- ligt morden . Skandalös ist in diesem Zusammenhang auch die Art und Weise, in der der MAD mit den parlamentarischen Kontrollgremien zusammengearbeitet hat . So bedurfte es erst einer ganz gezielten Anfrage aus dem NSU-Untersu- chungsausschuss, bevor man sich beim MAD bequemte, überhaupt einmal im Archiv nach einer Akte Mundlos zu forschen! Eine derartige Geringschätzung der parlamen- tarischen Gremien darf ein demokratischer Rechtsstaat einfach nicht hinnehmen . Dass der MAD keinen guten Job macht – zu diesem Ergebnis kommt schließlich auch ein Bericht, den der Bundesrechnungshof 2014 veröffentlicht hat: Demnach spioniert der MAD ohne gesetzliche Grundlage auch in solchen Bereichen herum, die eigentlich dem BND zu- gewiesen sind . Das ist nicht nur gesetzeswidrig, sondern durch die entstehenden Doppelstrukturen auch unnötig teuer . Aus all dem kann es doch nur eine vernünftige Schluss- folgerung geben: Wir müssen unser gesamtes Geheim- dienstwesen auf den Prüfstand stellen und es neu orga- nisieren . Wir brauchen andere Strukturen – und für mich steht dabei fest: Der MAD kann dabei getrost in anderen Organisationsbereichen aufgehen . Wir brauchen keinen spezifisch militärischen Dienst. Was wir brauchen, sind professionell arbeitende, demokratisch kontrollierte und kosteneffiziente Strukturen. Solche Strukturen werden auch in der Lage sein, die Bundeswehr frei von Extre- misten aller Couleur zu halten . Leider hat die Bundesregierung die Chance zu einer solchen grundlegenden Reform der Geheimdienste Ende Oktober wieder einmal ungenutzt verstreichen lassen . Die Änderung des Soldatengesetzes, die die Bundes- regierung hier heute vorschlägt, fügt dem überteuerten Wirrwarr der Spionagedienste nur einen weiteren Knoten hinzu . Und deshalb wird meine Fraktion diesem Gesetz nicht zustimmen . Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Än- derung des Bundeswaldgesetzes (Tagesordnungs- punkt 19) Cajus Caesar (CDU/CSU): Wald, das ist für uns die Luft zum Atmen, also eine wichtige Lebensgrundlage . Der Wald filtert Luft und Wasser. Er produziert Sauer- stoff, schützt uns vor Lärm und gibt uns Platz für unsere Erholungsfunktion . Wald, das bedeutet Artenvielfalt, und dies vor allem im nachhaltig bewirtschafteten Wald und nicht im still- gelegten Wald . Wald bedeutet aber auch insbesondere Arbeitsplätze für den ländlichen Raum . In der Forst- und Holzindus- trie, mit einem Umsatz von über 180 Milliarden Euro, arbeiten nämlich mehr Beschäftigte als etwa in der Auto- mobilindustrie . Die rund 2 Millionen Waldbesitzer sowie die gesamte Wertschöpfungskette Wald und Holz halten unseren ländlichen Raum im Wesentlichen lebenswert und auch wirtschaftlich attraktiv . Deshalb wollen wir als Union alles dafür tun, um Wirtschaftskraft, Umwelt und Erholungsfunktion zu er- halten . Dies ist unser Anliegen . Dies ist ein wichtiges An- liegen der Union . Deshalb setzen wir uns mit aller Kraft dafür ein . Mit dem heute vorgelegten Entwurf zur Änderung des Bundeswaldgesetzes soll dem Rechnung getragen wer- den . So hat das Kartellamt festgelegt, die Vermarktung des Holzes, die derzeit auch vom Staatswald und von den Landesbetrieben mit dem Privatwald erfolgt, aus wettbe- werbsrechtlichen Gründen zu öffnen . Dies ist aus mei- ner Sicht richtig . Dies darf aber nicht dazu führen, dass Kleinprivatwaldbesitzer im Stich gelassen werden . Der Waldbesitzer muss das Recht erhalten, Wahlfreiheit zu haben – bei fairen und vergleichbaren Angeboten . Die jetzige Änderung des Bundeswaldgesetzes wird über Freistellung im § 2 des Gesetzes gegen Wettbe- werbsbeschränkungen erreichen, dass im vorgelagerten Bereich waldbauliche Maßnahmen vom Kartellrecht freigestellt werden . Dies sind Maßnahmen bei der Pla- nung und Ausführung, insbesondere waldbauliche Maß- nahmen, und dies soll auch für die Vorbereitung der Ernte gelten, etwa durch das Auszeichnen von zu entnehmen- den Bäumen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621010 (A) (C) (B) (D) Waldbauliche Maßnahmen dienen der Pflege und der Gesunderhaltung des Waldes und sind deshalb, auch vor dem Hintergrund der Anforderungen unserer Gesell- schaft an einen gesunden, nachhaltig bewirtschafteten Wald, wichtig und sinnvoll . Da wir es in Deutschland in weiten Bereichen mit ei- nem ausgesprochen Kleinstprivatwaldbesitz zu tun ha- ben, sollen die Klein- und Kleinstwaldbesitzer nicht im Stich gelassen werden, sondern durch die Änderung des Bundeswaldgesetzes Beratung und Anleitung für diese Maßnahmen durch ausgebildetes Forstpersonal erhal- ten – und dies zu Preisen, die nicht einer Enteignung gleichkommen . Uns, der Union, ist es wichtig, diesen Kleinprivatwald nicht im Stich zu lassen und gleichfalls für eine ordnungs- gemäße, nachhaltige und gleichzeitig naturnahe Bewirt- schaftung zu sorgen . Wir wollen den engen Kontakt mit den Waldbesitzern pflegen. Wir wollen auch den Schutz des Eigentums, und wir wollen den umweltfreundlich er- zeugten Rohstoff weiterhin durch Nutzen schützen . Nun finden wir sehr unterschiedliche Strukturen in den deutschen Wäldern vor . Wir haben es zu tun mit pro- fessionell organisierten Forstbetriebsgemeinschaften im Privatwald, die durch eigenes ausgebildetes Forstperso- nal die Bewirtschaftung vornehmen oder Dienstleister in Anspruch nehmen . Wir haben es aber auch zu tun mit Kleinstwaldbesitz, der auf die Hilfe von außen angewie- sen ist . Ansonsten wird der Wald eben nicht mehr ord- nungsgemäß gepflegt und bewirtschaftet. Ich denke, es ist auch unser gemeinsames Anliegen, dass wir nicht zu mehr Stilllegungen von Waldflächen kommen. Dies wür- de der Bedeutung der umweltfreundlichen und nachhal- tig erzeugten Ressource Holz nicht gerecht . Es würde auf Dauer das Eigentum infrage gestellt . Der Deutsche Forstwirtschaftsrat (DFWR) unter Präsident Georg Schirmbeck hat die unterschiedlichen Waldbesitzerarten an einen Tisch geholt . Diese haben uns empfohlen, die jetzt vorgeschlagene Änderung des Bundeswaldgesetzes vorzunehmen . Wir als Union beziehen also die Waldbesitzer mit ein . Dies ist uns wichtig . Nicht Gesetze im stillen Kämmer- lein beraten, sondern mit den Betreffenden auf den Weg bringen . Das ist unsere Politik . Das ist die richtige Vor- gehensweise . Auf meine Frage zur Vereinbarkeit der Gesetzesän- derung mit europäischem Recht haben sich sowohl das Forstministerium als auch das Wirtschaftsministerium, insbesondere auch das Justizministerium, dahin gehend eingelassen und geantwortet: „Die Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträge wurde geprüft und ist gegeben .“ Wir als Union wollen durch unser Handeln der großen Bedeutung des Waldes auch für den Klimaschutz gerecht werden . So entlasten 126 Millionen Tonnen CO2, die durch den deutschen Wald gebunden werden, und seine nachhaltige Bewirtschaftung sowie die Verwendung von Holzprodukten die Atmosphäre . Die Bindungswirkung, die Substitutionswirkung des Waldes ist auch vor dem Hintergrund des Klimaschutzes von immenser Bedeu- tung . Wir haben es mit einem Rohstoff zu tun, der umwelt- freundlich erzeugt wird und von dem uns durch einen nachhaltigen Holzzuwachs von je 11,2 Kubikmeter pro Hektar 120 Millionen Kubikmeter jährlich wieder natür- lich zuwachsen . Dieses Umwelt- und Wirtschaftspoten- zial zu verschenken, wäre töricht . Deshalb haben wir als Union enorme Anstrengun- gen unternommen . Wir haben die nationale nachhaltige Waldwirtschaft durch die Förderung von bedeutsamen Projekten und die Bereitstellung entsprechender finanzi- eller und personeller Ressourcen in dieser Wahlperiode enorm gestärkt . Wir als Union wollen nachhaltig bewirtschafteten Wald, der gesund ist, der stabil ist, der artenreich ist und der produktiv ist . Wir als Union danken den Waldbesit- zern, den Forstleuten und den Verbänden sowie der Holz- industrie dafür, dass sie durch eine umweltfreundliche Vorgehensweise auf über einem Drittel unserer Landes- fläche so viel Umweltschutz und Artenreichtum ermög- lichen . Wir als Union wollen die Rahmenbedingungen für die Waldbesitzer richtig setzen und den Wald durch Nutzen schützen . Bereits frühzeitig hat die Union das Gespräch mit dem Waldbesitz, den Forst- und Holzverbänden wie auch mit den Vertretern aus der Wirtschaft gesucht, um gemein- sam Lösungen zu finden. Abschließend möchte ich mich noch bei allen Mit- wirkenden für das Zustandekommen dieser Gesetzes- änderung bedanken . Besonders hervorheben möchte ich hier unseren forstpolitischen Sprecher Alois Gerig, den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesminis- terium für Ernährung und Landwirtschaft Peter Bleser, meinen Förster- und Abgeordnetenkollegen Josef Göppel und Franz-Josef Holzenkamp, Vorsitzenden der CDU/ CSU-Arbeitsgruppe „Ernährung und Landwirtschaft“ . Ein weiterer Dank gilt den Mitarbeitern der Ministe- rien, vornehmlich im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, welches sich stets kompetent, neu- tral, aber mit großem Einsatz für das Bundeswald- und Bundesjagdgesetz engagiert hat . Alois Gerig (CDU/CSU): Lange und kontrovers wurde über die Änderung des Bundeswaldgesetzes dis- kutiert – endlich liegt uns heute ein Gesetzentwurf zur finalen Abstimmung vor. Die Gesetzesänderung dient ei- nem wichtigen Ziel: Wir wollen ein breites Angebot an Forstdienstleistungen in Deutschland erhalten . Grund für das Gesetzgebungsverfahren ist, dass das Bundeskartellamt die gemeinsame Holzvermarktung aus dem Landes-, Kommunal- und Privatwald kritisch unter die Lupe nimmt . Das Bundeskartellamt sieht durch die Bündelung des Holzangebots den Markt beeinträchtigt und ist entschlossen, die Praxis der gemeinsamen Holz- vermarktung nicht länger zu dulden . Das Kartellverfah- ren gegen das Land Baden-Württemberg gibt Anlass zur Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21011 (A) (C) (B) (D) Sorge, dass die Landesforstverwaltungen forstwirtschaft- liche Dienstleistungen nicht mehr oder nur eingeschränkt anbieten dürfen . Aus Sicht des Bundeskartellamtes gehören zur Holz- vermarktung nicht nur der Holzverkauf, sondern auch weitere Forstdienstleistungen – beispielsweise Wald- bau, Holzauszeichnung und die Betreuung der Holzern- te . Untersagt das Bundeskartellamt den Forstbehörden der Länder die Holzvermarktung, entfallen auch diese Dienstleistungsangebote . Leidtragende wären kommu- nale und private Waldbesitzer, die durch Beratungs- und Betreuungsleistungen der Forstämter Zugang zum Holz- markt erhalten . Das Bundeskartellamt setzt sich gemäß seinem ge- setzlichen Auftrag für einen funktionierenden Wettbe- werb ein – das verdient grundsätzlich Respekt und An- erkennung . Parlament und Regierung steht es gleichwohl frei, die Auswirkungen von Kartellamtsentscheidungen zu prüfen und zu überlegen, ob gesetzliche Neuregelun- gen angebracht sind . Weniger Dienstleistungsangebote für Waldbesitzer sind meines Erachtens nicht akzeptabel . Die Bundesre- gierung schlägt in ihrem Gesetzentwurf eine vernünfti- ge Lösung vor: Planung und Ausführung waldbaulicher Maßnahmen sowie Markierung, Ernte, Bereitstellung und Registrierung von Rohholz werden vom Kartellrecht ausgenommen . Die Länder erhalten so die Möglichkeit, dass ihre Forstämter auch in Zukunft wichtige Forst- dienstleistungen anbieten dürfen – ohne mit dem Kartell- recht zu kollidieren . Die Neuregelung kommt besonders Kleinwaldbesit- zern zugute: Die Forstämter sollen auch in Zukunft durch ihre fachkundigen Beratungs- und Betreuungsangebote dafür sorgen, dass auch der Kleinprivatwald gemäß dem Grundsatz „Schützen durch Nützen“ bewirtschaftet und gepflegt wird. Viele Kleinwaldbesitzer sind weder mit der Waldbewirtschaftung noch mit der genauen Lage ih- rer Parzelle im Wald vertraut – deshalb ist es so wichtig, dass sich ein Förster vor Ort kümmert . Bürgernahe Forstdienstleistungen tragen dem Um- stand Rechnung, dass in vielen Regionen Deutschlands Waldeigentum breit gestreut ist – das sollte auch so blei- ben und durch den Erhalt bewährter Dienstleistungsange- bote der Forstämter flankiert werden. Ein enger Kontakt zwischen Forstamt und Waldbesitzern bietet zudem am ehesten Gewähr dafür, dass in Bundesländern mit klein- strukturierten Waldbesitzverhältnissen der Wald flächen- deckend bewirtschaftet und die vorhandenen Holzvorräte nutzbar gemacht werden . Holzmobilisierung ist wichtig, damit die Holzwirtschaft – eine bedeutende Branche im ländlichen Raum – mit ihrem nachwachsenden und kli- mafreundlichen Rohstoff aus heimischen Wäldern ver- sorgt wird . Natürlich dient der Wald nicht allein der Holzproduk- tion . Die vielfältigen Wälder in Deutschland haben eine überragende ökologische Bedeutung und sind auch für Erholungssuchende unverzichtbar . Forstdienstleistungen stellen sicher, dass der Wald auch seine ökologischen und sozialen Funktionen erfüllen kann . Da Forstdienstleis- tungen nicht nur wirtschaftlichen Zwecken dienen, halte ich es für gerechtfertigt, diese Dienstleistungen vom Kar- tellrecht freizustellen . Der Gemeinwohlnutzen unserer Wälder rechtfertigt es darüber hinaus, dass die Länder ihr Angebot an Forst- dienstleistungen aufrechterhalten . Der bei den Forstäm- tern gebündelte Sachverstand ist ganz sicher hilfreich, künftige Herausforderungen der Waldbewirtschaftung zu meistern – Beispiele hierfür sind der Klimawandel und der Artenschutz . Zum Abschluss möchte ich betonen: Wir in der CDU/ CSU sind nach wie vor der Auffassung, dass der Staat nicht für alles zuständig ist und alles besser kann . Das gilt auch für die Forstwirtschaft . Private Anbieter von Forstdienstleistungen gewährleisten ebenso eine natur- nahe und nachhaltige Waldbewirtschaftung wie staat- liche . Dies belegen die Bundesländer eindrucksvoll, in denen die Forstverwaltungen keine Dienstleistungen an- bieten und sich auf ihre hoheitlichen Aufgaben konzen- trieren. Die Verpflichtung staatlicher Forstdienstleister, ihre Leistungen zu marktkonformen Preisen zu erbrin- gen, wird mit diesem Gesetz nicht berührt . Mit dieser Bundeswaldgesetzänderung wird mitnich- ten eine staatliche Waldbewirtschaftung eingeführt . Die Inanspruchnahme staatlicher Forstdienstleistungen ist und bleibt fakultativ . Die Wahlfreiheit der Waldbesitzer, Forstarbeiten selbst vorzunehmen, sich in Forstbetriebs- gemeinschaften zusammenzuschließen oder private An- bieter zu beauftragen, wird durch die Gesetzesänderung in keiner Weise beeinträchtigt . Die marktwirtschaftliche Ausrichtung der Gesetzesän- derung wird auch an einer weiteren Tatsache deutlich: In- dem wir Forstdienstleistungen, die der Holzvermarktung vorgelagert sind, vom Kartellrecht ausnehmen, bekräfti- gen wir, dass die eigentliche Holzvermarktung voll und ganz dem Kartellrecht unterliegt . Marktbeherrschende Stellungen der Landesforstverwaltungen beim Holzver- kauf müssen der Vergangenheit angehören! Ich bin überzeugt, dass wir mit der Bundeswaldgeset- zänderung Erfolg haben werden: Der Wettbewerb bei der Holzvermarktung wird gestärkt und ein breites Angebot an Forstdienstleistungen für alle Waldbesitzer gesichert . Deshalb bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf zuzustimmen . Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft hat gestern einstimmig für die Änderung des Bundeswald- gesetzes votiert . Auch im Bundesrat zeichnet sich ab, dass der Gesetzentwurf große Zustimmung findet. Petra Crone (SPD): Die Fraktion der SPD stimmt dem Gesetzentwurf trotz vorhandener Bedenken zu . So weit das Ergebnis, heute gleich zu Beginn . Die forstlichen Akteure und auch die Kolleginnen und Kollegen Forstpolitiker in den Ländern und im Bund kennen meine Position . Schon im März 2015, vor knapp zwei Jahren, habe ich an gleicher Stelle gesagt, dass sich unsere Fraktion nicht gegen eine Änderung des Bundes- waldgesetzes stellt . Voraussetzung: ein fachlich gutes und EU-rechtskonformes Gesetz . Das jahrelange Hin und Her, mit denen das BMEL versuchte, diesem ja doch Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621012 (A) (C) (B) (D) recht selbstverständlichen Anspruch gerecht zu werden, zeigt: So einfach war und ist es nicht! Ich habe – und das wird sicherlich nicht überraschen – weiterhin erhebliche Zweifel, ob diese Voraussetzungen mit der Novelle erfüllt sind . Die Änderung im BWaldG kann zwar die Anwendung des nationalen Wettbe- werbsrechts ausschließen . Dies gilt jedoch nicht für das EU-Kartellrecht . Wir hätten es daher für legitimer und besser befunden, wenn das vor dem OLG Düsseldorf an- hängige Beschwerdeverfahren von Baden-Württemberg gegen den Beschluss des Bundeskartellamts abgewartet worden wäre . Das Urteil wird Ende Januar 2017 erwartet . Unstrittig ist ja, dass der Holzverkauf eine wirtschaft- liche Tätigkeit ist . Das Gericht wird klären, ob die vorge- lagerten Tätigkeiten, die Dienstleistungen im Wald, ho- heitlichen oder wirtschaftlichen Charakter besitzen . Das ist eine offene Frage in der Rechtsprechung, und sie ist richtungsweisend für alle Bundesländer . Das hätten wir abwarten können, ja müssen . So bleibt ein Gschmäckle! Und ein Wagnis ist es obendrein! Gleichwohl benötigen einige wenige Bundesländer offensichtlich unsere gesetz- geberische Hilfe, um kartellrechtskonforme Forststruktu- ren aufstellen zu können . Diesen Wünschen konnten wir uns als SPD-Fraktion nicht verschließen . Zwei Fakten möchte ich betonen, die ich enorm wich- tig finde, um die Debatte zu verstehen: Erstens. Die Erhaltung und Pflege des Waldes hat im Interesse von heutigen und kommenden Generationen eine eigene Bedeutung – unabhängig von der Holzver- marktung . Und wir haben gute und sehr gute Landes- waldgesetze, die Pflichten beim Handeln mit Wald defi- nieren und diese überwachen . Zweitens . Die Holzvermarktung passiert wiederum nicht im Kielwasser von Erhaltung und Pflege, quasi so nebenbei, als Teil der Daseinsvorsorge im Wald . Diese Sichtweise ist doch mit dem besten Willen nicht zu hal- ten: Welchen Baum pflanze ich, welchen entnehme ich? Das sind doch nicht allein ökologisch-soziale Entschei- dungen! Schauen Sie sich doch bloß die enorme und be- eindruckende Leistungsfähigkeit der Holzwirtschaft in Deutschland an . Wer Holz verkauft, ist also Marktteilnehmer, so auch der Staat, und er kann keine Sonderrechte für sich in An- spruch nehmen . Im Koalitionsvertrag von Grün-Schwarz in Baden-Württemberg steht: „Wir schützen die Freiheit aller, die als Anbieter oder Nachfrager am Markt teilneh- men, und sorgen für faire Wettbewerbsbedingungen .“ Fairer Wettbewerb von Beginn an, das bedeutet dreier- lei: keine Verzerrung des Marktes durch staatliche, nicht kostendeckende Angebote, Marktzugang für private An- bieter ermöglichen, und eine direkte Förderung durch den Staat ist besser als eine indirekte . Und ich sehe, dass ebensolche Lösungen vor der Haustür liegen . Es braucht sicherlich Zeit, wettbewerbsrechtliche Strukturen im Forst herzustellen . Diese Zeit geben wir den betroffenen Bundesländern nun . Ich verbinde damit aber auch meinen herzlichen Ap- pell, dass die Länder ihre vielfältigen Gestaltungsmög- lichkeiten auf der Länderebene nutzen und verstanden wird, dass eine Neuaufstellung der Forststruktur durch- aus selbstbewusst angegangen werden kann . Keiner muss sich hier hinter rechtlich nicht tragfä- higen Strukturen verstecken, eben weil in den Forst- verwaltungen der Länder Forstwirte und Waldarbei- ter beschäftigt sind, die genau die guten Standards der Waldbewirtschaftung realisieren, Menschen, die vernetzt und ausgleichend denken. Die finden wir aber genauso in den forstwirtschaftlichen Zusammenschlüssen, ihren Vermarktungsorganisationen und im Privatwald . Und zu- dem: Junge Leute in den grünen Berufen brauchen auch jenseits staatlicher Strukturen Berufschancen . Ein Mono- pol auf Bequemlichkeit gibt es nicht! Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): In den Zen- tren deutscher Großstädte vergisst wohl der eine oder die andere, dass die Holzproduktion weder im Labor noch in Fabriken stattfindet, sondern immer noch im Wald, und der ist gleichzeitig Erholungs- und Lebensraum für Mensch und Tier sowie für den Klimaschutz mit- verantwortlich . Deshalb ist Holzproduktion eben keine Schraubenproduktion, wie der Bund Deutscher Forstleu- te vollkommen richtig sagt . Das sehen auch breite Teile der Gesellschaft so . Gerade aus Sicht einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung macht die Auffassung des Bun- deskartellamtes wenig Sinn, das Wettbewerbsrecht nicht nur auf die Vermarktung von Holz anzuwenden, sondern auch auf die waldbaulichen und pflegerischen Maß- nahmen auszuweiten . Damit würde Besitzerinnen und Besitzern von Klein- und Kleinstwäldern gleichzeitig die Möglichkeit genommen, Betreuungsaufgaben auch staatlichen Forstämtern zu übertragen, weil dies dann als Wettbewerbsvorteil gegenüber den privaten Forstdienst- leitern ausgelegt werden könnte . Der Sicht der Wettbewerbskontrolleure steht ein breites Bündnis gegenüber, dem die Sicherung des Ge- meinwohls bei der Waldnutzung wichtig ist und das den gesellschaftlichen Konsens für eine nachhaltige Forst- wirtschaft und den Erhalt einer breiten Eigentumsstreu- ung verteidigt . Viele Waldbesitzerinnen und -besitzer, Forstleute und deren Interessensvertretungen sowie alle Bundestagsfraktionen sind dabei . Und auch wenn die SPD-Fraktion sich weniger enthusiastisch einreiht, eint uns doch die Überzeugung, dass wir als Gesellschaft eine besondere Verantwortung für den Wald haben, die die staatlichen Forstbehörden umsetzen . Und weil die Holzproduktion im Ökosystem Wald stattfindet, ist sie von natürlichen Prozessen und Wachs- tumszyklen abhängig . Wettbewerbshüter sind aus Sicht der Linken deshalb frühestens dann gefragt, wenn das Holz den Wald verlassen hat . Und so wichtig die Kartell- behörde auch für uns im Grundsatz ist: In ihrer jetzigen Verfassung kann sie leider viele Erwartungen gar nicht erfüllen, weil wichtige gesellschaftliche Anforderungen wie Daseinsvorsorge oder Gemeinwohlorientierung bis- lang nicht zu ihren Prüfkriterien gehören . Wenn wir also das Kartellrecht stärken wollen – was die Linke seit Jah- ren fordert –, geht es um mehr als Kapazitätsaus- und Personalaufbau, sondern um eine Erweiterung der Kri- terien, anhand derer „Wettbewerb“ geregelt wird . Hier müssen noch dicke Bretter gebohrt werden, bis reale Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21013 (A) (C) (B) (D) Marktübermacht und unfaire Marktpraktiken wirklich wirksam verhindert werden können . Doch zurück zum Wald . Was nach den jahrelangen Diskussionen kaum mehr jemand für möglich gehalten hat, wird zumindest beim Bundeswaldgesetz doch noch wahr: Pünktlich zum Schmücken der Weihnachtsbäume kommt doch noch die lange angekündigte Bescherung . In der Novelle zum Bundeswaldgesetz wird nun unmiss- verständlich der gesetzgeberische Wille klargestellt, dass die Landesforstbetriebe auch weiterhin als Dienstleister für die Planung und Ausführung waldbaulicher Maßnah- men bis hin zur Bereitstellung des Rohholzes einschließ- lich seiner Registrierung vom Gesetz gegen Wettbe- werbsbeschränkungen freigestellt werden . Falls es daran jemals ernsthaften Zweifel gegeben haben sollte, werden sie heute mit den Stimmen aller Fraktionen beantwortet . Ich denke, damit muss man nicht auf ein Urteil vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf warten . Das sind wir übri- gens auch den Forstleuten schuldig, denn damit nehmen wir das Damoklesschwert weg, das nun einige Jahre über ihnen schwebte . Als Linke verweise ich aber auch auf ein besonders wichtiges Argument: Wir wollen, dass niemand seinen oder ihren Klein- oder Kleinstprivatwald verkaufen muss, weil eine forstliche Betreuung nicht verfüg- oder nicht bezahlbar ist . Und wir wollen eine Wahlfreiheit zwischen öffentlicher Betreuung und privaten Dienstleis- tern, die ja beide dazu beitragen, dass Holzreserven im Klein- und Kleinstprivatwald mobilisiert werden, was ja wichtig ist . Aber es geht nicht, die Kosten für hoheitliche Aufga- ben der öffentlichen Hand zu übertragen und die Einnah- men aus Betreuungsaufgaben ausschließlich zu privati- sieren . Deshalb stimmt die Linke dem Gesetzentwurf zu . Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach zweieinhalb Jahren Hängepartie schafft es die Bundes- regierung jetzt doch noch, ein Bäumchen auf den Ga- bentisch zu legen . Das Kartellamt hat dagegen den Wald vor lauter Bäumen oder „Holzwachstumselementen“ gar nicht mehr gesehen . Hoffen wir, dass die heutige längst überfällige recht- liche Klarstellung den Blick aufs Wesentliche und das große Ganze schärft: den Wald als Ökosystem und Wirt- schaftsraum . Denn unsere Wälder sind keine Holzlager oder Plantagen, die nur der Produktion von Holz dienen, wie es offensichtlich das Bundeskartellamt sieht . Der Wald hat viele weitere Funktionen für das Ge- meinwohl – vom Artenerhalt über Luftreinhaltung bis hin zur Naherholung . Wir müssen unsere Wälder wider- standsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels ma- chen . Die Markierung und Auszeichnung der Bäume ist zentraler Bestandteil des ökologischen Waldumbaus und damit Kernaufgabe der Forstämter . Die Auffassung, die Baumauszeichnung sei Teil der Holzvermarktung, geht an der Praxis der nachhaltigen Waldbewirtschaftung völ- lig vorbei . Das Bundeskartellamt hat einen Scheuklap- penblick eingenommen, der allein auf die maximale Holz ausbeute zielt und unvereinbar mit einer nachhal- tigen und gemeinwohlorientierten Waldbewirtschaftung ist . Dieser realitätsfremde Ansatz und zugleich die starr- köpfige Haltung der Wettbewerbsbehörde haben jeden Kompromiss mit dem Land Baden-Württemberg unmög- lich gemacht und zu einem unnötigen Gerichtsverfahren geführt . Die heutige Änderung des Bundeswaldgesetzes ist überfällig und wurde von vielen Akteuren der Holzwirt- schaft aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nord- rhein-Westfalen, Hessen und anderen Bundesländern lange angemahnt und erwartet: Die Mitarbeiter der Forst- verwaltungen, waldbesitzende Kommunen, Menschen mit Kleinprivatbesitz, Umweltverbände, sie alle erwar- ten Planungssicherheit und dass bewährte Strukturen und Dienstleistungsangebote nicht ohne Not zerschlagen werden . Auch die Sägeindustrie hat ihre Mäkelei bereut und sich am Ende auf die Vorteile dieses Systems beson- nen, weil es eine effektive Holzmobilisierung auch aus dem Privat- und Kommunalwald sicherstellt . Nun hat die Zeit der Ungewissheit hoffentlich ein Ende . Wir alle mussten sehr lange auf die Lösung dieses Pro- blems warten . Bereits vor zwei Jahren lagen ein Gesetz- entwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums und ein Antrag meiner Fraktion zur Änderung des Bundeswald- gesetzes vor . Bei der Beratung unseres Antrages im Ple- num im März 2015 wurde seitens der Union so getan, als sei das Problem schon so gut wie gelöst, da man längst an der Gesetzesänderung arbeite und über konkrete For- mulierungsvorschläge dafür verfüge . Alle Informationen unseres Antrages seien bereits bekannt und „umfassend diskutiert“ worden . Unser Antrag sei daher „absolut überflüssig“, so Kollege Alois Rainer. Kollegin Kordula Kovac behauptete sogar, unser An- trag käme zu spät und man bräuchte keine „Nachhilfe von der Opposition“ . Jedes noch so schwache Argument war der Union damals recht, um trotz völliger inhaltli- cher Übereinstimmung in der Sache unseren Antrag ab- zulehnen . Die Verschleppung des Problems über zwei Jahre durch die Bundesregierung zeigt jedoch, wie ge- rechtfertigt unser Antrag war . Warum die Ressorteinigung so lange gedauert hat, ist weder für mich noch für die vielen Betroffenen nachvoll- ziehbar . Gerade bei der SPD-Kollegin Crone erstaunt mich doch, wie stark sie in dieser Frage immer wieder kartellrechtliche Bedenken betont hat, während SPD-Vi- zekanzler Gabriel sich bei seiner Ministererlaubnis für die Fusion von Edeka mit Kaiser’s Tengelmann ohne Skrupel über die Position der Kartellrechtsbehörden hin- weggesetzt hat und dies mit Arbeitsplatzsicherung be- gründet hat . Jeder Tag der letzten zwei Jahre, an dem nichts pas- siert ist, war ein verlorener Tag für die Wälder Deutsch- lands . Jetzt immerhin erfolgt die überfällige, notwen- dige und auch plausible rechtliche Klarstellung, dass die Entscheidung über die Struktur unserer Wälder, die Baumartzusammensetzung, Naturnähe und ökologische Funktion nicht der Holzvermarktung zugerechnet wer- den kann und sich daher kartellrechtlichen Erwägungen künftig entzieht . Leider gilt für die heute beschlossene Form der Geset- zesänderung noch nicht einmal der Spruch „Was lange Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621014 (A) (C) (B) (D) währt, wird endlich gut!“, denn es sind zwei Schwach- stellen in das Gesetz eingebaut . Erstens ist regelmäßige Überprüfung vorgeschrieben, welche die Berechtigung des Gesetzes alle paar Jahre neu in Zweifel zieht . Zwei- tens wird das Gesetz in Zukunft abhängig von der Gnade des Bundeswirtschaftsministeriums sein . Das heißt: Die heutige Änderung steht regelmäßig wieder auf der Kip- pe . Für eine Branche, die für ihre Ziele, Maßnahmen und Entscheidungen in Generationen statt Dreijahreszyklen denkt, sind das keine beruhigenden Aussichten . Echte Planungssicherheit sieht anders aus . Daher sollten wir die Überprüfung alle drei Jahre wieder aus dem Gesetz streichen . Unser Wald steht vor großen Herausforderungen: Die Klimakrise bringt mehr Trockenheit und neue Schädlin- ge . Stickstoffemissionen überdüngen nach wie vor den Waldboden . Der gestiegene Holzbedarf und zukünftig steigende Anforderungen für die stoffliche und energeti- sche Holznutzung bergen die Gefahr einer Übernutzung des Waldes – umso mehr, als Kriterien für eine gute fach- liche Praxis im Waldgesetz immer noch fehlen . Zugleich gibt es nur wenige Waldflächen mit sehr al- ten Bäumen und Totholzstämmen, auf die viele stark be- drohte heimische Tierarten zum Überleben angewiesen sind . Oft zu hohe Rotwildbestände verursachen starken Wildverbiss an Jungbäumen und gefährden den notwen- digen Waldumbau . Es warten also noch viele Baustellen auf eine Lösung . Daher sollten wir uns mittelfristig nicht mit der heutigen Miniänderung des Waldgesetzes zufriedengeben . Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (Tages- ordnungspunkt 20) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Wir beraten heu- te abschließend das Zweite Gesetz zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes . Zum wesentlichen Inhalt: Bei der Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes geht es um die Streichung der sogenannten Heizwertklausel aus dem Gesetz . Was hat es mit dieser Klausel auf sich? Sie besagt, dass die Verbrennung eines Abfalles gleich- wertig mit seiner stofflichen Verwertung ist, wenn er ei- nen relativ hohen Heizwert hat, in dem Fall von mindes- tens 11 000 Kilojoule pro Kilo Abfall . Diese Klausel war bereits zu Beginn ihrer Einführung in das Kreislaufwirt- schaftsgesetz im Juli 2012 als Übergangslösung gedacht . Bis Ende 2016 sollte es eine Überprüfung geben . Hinter- grund dafür ist die im Gesetz formulierte EU-rechtlich vorgegebene Abfallhierarchie aus fünf Stufen . Darin ist geregelt, wie mit Abfällen grundsätzlich umgegangen werden soll, also von oben nach unten: Vermeidung, Wiederverwendung, Recycling usw . Zum Umsetzungskonzept der fünfstufigen Abfallhie- rarchie gehörte damals als Auffangregelung die Heizwert- klausel . Nach der Prüfung von Bundesumweltministe- rium und Umweltbundesamt ist klar: Der Heizwert ist nicht länger erforderlich für die effiziente Umsetzung der Abfallhierarchie . Um diese ordnungsgemäß umzusetzen, wird nun die Heizwertklausel aus dem Kreislaufwirt- schaftsgesetz gestrichen . Abschließend zu diesem Punkt möchte ich sagen: Mit der Streichung der Heizwertklausel setzen wir eine EU-Vorgabe um . Mit dem geänderten Kreislaufwirt- schaftsgesetz wird die fünfstufige Abfallhierarchie in Gang gesetzt und kann ihre Wirkung entfalten . Sie ist ein wesentlicher Baustein für einen gestärkten Kreislaufwirt- schaftsgedanken und für mehr Effizienz beim Ressour- cenverbrauch . Zum anderen beraten wir heute eine Änderung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes . Wir wollen, dass möglichst viele Elektrogeräte, die nicht mehr gebraucht werden, getrennt gesammelt, wieder zurückgenommen und möglichst recycelt werden . Damit wollen wir errei- chen, dass möglichst viele Rohstoffe zurückgewonnen werden und Stoffkreisläufe geschlossen werden . Das Elektrogesetz regelt bestimmte Rücknahme- pflichten von alten Elektrogeräten für Händler. Seit Juli gilt: Es gibt eine Rücknahmepflicht von Händlern mit einer Verkaufsfläche von mehr als 400 Quadratmetern. Kauft jemand ein neues Gerät, kann er im Gegenzug sein altes artgleiches Gerät im Geschäft zurückgeben . Kleine Altgeräte mit weniger als 25 Zentimetern Kantenlänge müssen auch dann zurückgenommen werden, wenn kein neues Gerät gekauft wird, und zwar unabhängig davon, ob das entsprechende Gerät bei diesem Händler gekauft wurde . Ihren alten Toaster oder ihr altes Telefon, von dem Sie vielleicht gar nicht mehr wissen, wann und wo Sie es gekauft haben, können Sie also bei Saturn, Karstadt und anderen größeren Geschäften abgeben . Die Rücknahme- pflicht gilt auch für Versandhändler wie Amazon und Co. und auch Händler, die zusätzlich zum Ladengeschäft ei- nen Onlineversand betreiben wie Cyberport usw . Wir wollen heute bei diesem Gesetz nachjustieren, und zwar vor allem mit Blick auf den Vollzug des Ge- setzes . Wir wollen zum einen Klarheit . Im Sinne der Gerechtigkeit wird ein Ordnungswidrigkeitentatbestand aufgenommen . Ein Bußgeld soll all diejenigen Händ- ler schützen, die sich rechtstreu verhalten . Wir wollen vorbeugen, dass einige Marktteilnehmer benachteiligt werden, weil andere sich einen unrechtmäßigen Wettbe- werbsvorteil verschaffen . Es geht um faire Bedingungen im Wettbewerb . Zum anderen geht es darum, die Rücknahmepflicht zu konkretisieren . Künftig ist die Rücknahme in den Fällen, in denen kein neues Gerät gekauft wird, auf fünf Altge- räte pro Geräteart beschränkt . Dies soll die Umsetzung erleichtern und Rechtssicherheit schaffen . Am Ende soll das Elektrogesetz seine Wirkung voll entfalten können mit dem Ziel, mehr Elektroaltgeräte dem Recycling zuzuführen, ganz im Sinne einer gestärk- ten Kreislaufwirtschaft . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21015 (A) (C) (B) (D) Michael Thews (SPD): Zentrales Anliegen unserer Abfallpolitik ist es, Abfälle zu vermeiden, wiederzuver- wenden oder optimal zu verwerten, um unsere natürli- chen Ressourcen zu schonen. Dabei ist die fünfstufige Abfallhierarchie, das Kernelement der europäischen Abfallrahmenrichtlinie, einzuhalten, die der stofflichen grundsätzlichen Vorrang vor der energetischen Verwer- tung gibt . Nach bisherigem deutschem Recht galt je- doch für bestimmte Abfälle eine Gleichrangigkeit von stofflicher und energetischer Verwertung, und zwar bei einem Heizwert des Abfalls von 11 000 Kilojoule pro Kilogramm . Diese sogenannte Heizwertklausel wird nun durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Kreis- laufwirtschaftsgesetzes, das wir hier abschließend be- raten, gestrichen . Diese Klausel war von Anfang an ein deutscher Sonderweg, und sie war immer nur als Über- gangslösung gedacht . Es war also absehbar, dass eine Änderung des Gesetzes notwendig wird, zumal auch die Europäische Kommission in der Heizwertklausel eine nicht hinreichende Umsetzung der Abfallhierarchie kri- tisiert hat . Durch den Wegfall der Heizwertklausel wird die Kreislaufwirtschaft noch konsequenter auf das Recy- cling ausgerichtet . Die SPD hat sich immer für diesen Vorrang der stoffli- chen Verwertung ausgesprochen . Denn wir wissen, dass die Ressourcen auf unserer Erde begrenzt sind und ge- schützt werden müssen . Da jedoch auch die energetische Verwertung ihre Daseinsberechtigung hat, haben wir uns in Deutschland auch auf die technische Verbesserung moderner Anlagen mit einer leistungsfähigen Rauchgas- reinigung und Wärmenutzung konzentriert . Ich sage das deshalb, weil es immer noch viele Länder in Europa gibt, die weder energetisch noch stofflich verwerten, sondern einen großen Teil ihrer Abfälle deponieren . Das ist in je- dem Fall der schlechtere Weg . Auch wenn die Umsetzung des Gesetzes einen Um- stellungsaufwand verursacht, halte ich sie für unum- gänglich für die Umwelt, den Ressourcenschutz und die Konkurrenzfähigkeit unserer Recyclingwirtschaft . Neue Anforderungen an die Abfallwirtschaft führen nämlich auch zu technologischem Fortschritt, und das ist wichtig; denn wir wollen Technologieführer in der Kreislaufwirt- schaft bleiben . Wir nutzen die Änderung des Kreislaufwirtschaftsge- setzes außerdem für eine Nachschärfung des Elektroalt- gerätegesetzes, das wir 2015 novelliert haben . Seit dem Sommer dieses Jahres ist der Handel in bestimmten Fäl- len verpflichtet, Elektroaltgeräte von Verbraucherinnen und Verbrauchern zurückzunehmen . Damit haben wir die Rückgabe für die Verbraucherinnen und Verbraucher erleichtert und erhoffen uns zugleich, dass so auch die Rückgabequoten steigen . Denn wir haben in den nächs- ten Jahren hier ambitionierte Recyclingquoten zu erfül- len . Leider hat sich in den letzten Monaten gezeigt, dass einige Unternehmen ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind . Um schwarzen Schafen, die sich dieser verbrau- cherfreundlichen und bürgernahen Lösung entziehen und sich dadurch womöglich noch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, beikommen zu können, haben die Koaliti- onsfraktionen einen entsprechenden Bußgeldtatbestand in das Gesetz aufgenommen . Die Streichung der Heizwertklausel und die Aufnah- me eines Bußgeldtatbestandes sind vielleicht nur kleine Bausteine im großen Themenbereich Abfallpolitik . Aber sie sind bedeutsam, um die unnötige Inanspruchnahme von Rohstoffen zu verringern und die Kreislaufwirtschaft immer effizienter zu machen. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Durch die sogenannte Heizwertklausel des Kreislaufwirtschaftsgesetzes konn- ten über Jahre hinweg hunderttausende Tonnen von Wert- stoffen verbrannt werden, die man viel besser stofflich recycelt hätte . Alles, was wir verbrennen, ist unwiderruf- lich als Stoff verloren und muss neu gefördert und herge- stellt werden . Lange war es zwar nicht möglich, Kunst- stoffe sinnvoll stofflich zu verwerten, aber die Technik hat da wesentliche Verbesserungen gemacht . Im Interes- se der Ressourceneffizienz stimmen wir deshalb diesem Gesetzentwurf zu, für den es – wieder einmal – erst eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU bedurfte . Was die Bundesregierung leider weiterhin mit diesem Gesetzentwurf nicht bearbeitet, ist die Frage der Mit- verbrennung . Anders als bei Müllverbrennungsanlagen und trotz der Verlautbarungen der Anlagenbetreiber über größte Sicherheit bei hohen Verbrennungstemperaturen, langer Verweildauer der Abfälle in der Verbrennung und Ausfiltern von Schwermetallen und toxischen Gasen gibt es dafür keine Überwachung . Bei der Mitverbrennung werden die Temperaturen nicht verpflichtend überwacht, und ebenso fehlt es an Schadstoffüberwachungen . Das hätte man im Zuge der Gesetzesänderung gleich mit re- geln können . Dass das nicht gemacht wurde, ist schade . Da hier mit dem Gesetzentwurf aber zumindest keine Verschlechterung eintreten wird, stimmen wir trotzdem zu . Mit dem Änderungsantrag der Koalition soll nunmehr festgelegt werden, was eine haushaltsübliche Menge ist . Eine „haushaltsübliche Menge“ bei der Rücknahme von Elektrogeräten bis 25 Zentimetern in Einzelhandelsge- schäften ist demnach also konkret fünf Stück . Auch diese Klarstellung begrüßen wir wie die Einstufung einer nicht ordentlich durchgeführten Rücknahme als Ordnungswid- rigkeitstatbestand . Es gibt jedoch sicherlich eine Vielzahl elektrischer Geräte, die deutlich größer als 25 Zentimeter sind; viele Tablets haben beispielsweise längere Aus- maße als diese 25 Zentimeter, weshalb uns diese Rege- lung auch heute noch ein wenig willkürlich daherkommt . Gänzlich unbeantwortet bleibt dabei auch die Frage, ob die Längenangabe nun mit eingerolltem oder mit ausge- rolltem Kabel erfolgt . Die Linke hätte es als sinnvoller erachtet, hier Produktgruppen zu definieren. Im Übrigen könnte man sich derartige Konkretisierungen, auch die der haushaltsüblichen Mengen, sparen, wenn man ein vernünftiges Pfandsystem für Elektrogeräte etablieren würde, wie es Die Linke seit Jahren vorschlägt . Das wür- de dann in der Praxis nicht dazu führen, dass sich die elektrischen Altgeräte in den Haushalten stapeln, auch weil eines davon vielleicht 25,5 Zentimeter groß ist und zum Wertstoffhof anstatt ins Geschäft gebracht werden Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621016 (A) (C) (B) (D) muss, sondern dass die Geräte zeitnah dem Ressourcen- kreislauf zurückgeführt werden können . Sie sehen, dass das Elektrogerätegesetz weiter eine Baustelle ist, und wenn man dann schon einmal dabei ist, könnte man das Verbot von festverbauten Akkus gleich wieder in das ElektroG schreiben, wie es dort einmal drinstand, bevor es von der Koalition herausnovelliert wurde . Damit würden Bundesregierung und Koalition einen Schritt gegen vorzeitigen Geräteverschleiß gehen, und es fallen weniger Geräte an, die mit einem Maßband beim Händler auf Rücknahmepflicht geprüft werden müssen . Die Baustelle ElektroG bietet viel Potenzial für weitere, direkte Gesetzesinitiativen anstatt – wie jetzt – in Form eines Änderungsantrages kurz vor der Ausschuss- sitzung als Anhängsel an ein völlig anderes Gesetz . Die Linke unterstützt Sie dabei gern . Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die mit dem vorgelegten Gesetzentwurf angestrebten Än- derungen hinsichtlich der Heizwertklausel begrüße ich ausdrücklich . Angesichts des Trauerspiels um das Ver- packungsgesetz müssen wir ja froh sein, dass überhaupt noch Regierungshandeln im Bereich Abfallpolitik statt- findet. Denn bei der Umsetzung des Kreislaufwirtschaftsge- setzes in einem Wertstoffgesetz ist diese Bundesregie- rung krachend gescheitert . Nun soll es ein verballhorntes Verpackungsgesetz geben, das aber auch immer noch nicht vorliegt . Doch die Kritik an den Entwürfen kommt aus allen Ecken . Sogar das Bundeskartellamt teilt zum Beispiel unsere Position hinsichtlich der Zentralen Stel- le . So hat sich Kartellamtspräsident Andreas Mundt deut- lich gegen eine privatrechtliche Organisation und für ein staatliches Kontrollorgan ausgesprochen . Dies sollte der Bundesregierung zu denken geben . Man kann die Bundesregierung nur auffordern, endlich ihre eigenen Gesetze ernst zu nehmen, die Abfallhierar- chie zu befolgen und in den Entwurf für ein Verpackungs- gesetz auch die Mehrwegquote wieder aufzunehmen, die sie selbst ohne Not gestrichen hat . Ich fordere Sie auf, diesen Bärendienst für die Umwelt und die Kapitulation vor der Einweglobby rückgängig zu machen . Entwickeln Sie das Einwegpfand zu einer ökologischen Lenkungs- abgabe auf Einwegverpackungen weiter . Weiten Sie die Pfandpflicht auf die Getränkesegmente Fruchtsäfte, Fruchtnektare, Gemüsesäfte und Gemüsenektare aus . Le- gen Sie gesetzlich eine klare Unterscheidung von „Ein- weg“ und „Mehrweg“ auf der Getränkeverpackung fest . Handeln Sie im Sinne der Umwelt und der Verbraucher . Trotz der vorweihnachtlichen Stimmung in dieser Jahres- zeit: Verteilen sie keine Geschenke an die Einweglobby . Doch zurück zum Kreislaufwirtschaftsgesetz . Ich kann nur sagen, dass der vorliegende Entwurf mehr als überfällig ist, gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen bereits bei der Einführung des Kreislaufwirtschaftsge- setzes 2012 auf die nicht europarechtskonforme Kon- struktion bezüglich der sogenannten Heizwertklausel hingewiesen hat . Denn die damals im Kreislaufwirt- schaftsgesetz festgelegte Gleichrangigkeit von energe- tischer Verwertung und stofflichem Recycling steht der fünfstufigen Abfallhierarchie der Abfallrahmenrichtlinie der EU entgegen . Abfallvermeidung, Wiederverwendung und stoffliches Recycling sind der energetischen Verwer- tung mit gutem Grund vorgelagert . Dies sollte sich auch im Kreislaufwirtschaftsgesetz deutlich widerspiegeln . Ich begrüße daher die jetzt erfolgende rechtliche Klar- stellung . Auch der Änderungsantrag zum ElektroG, die Rück- nahme von alten Elektrogeräten nicht an den Kauf eines neuen Gerätes zu knüpfen, dient der rechtlichen Klarstel- lung . Leider legt der Wortlaut „auf Verlangen des Endnut- zers“ nahe, dass es für den Handel keine Verantwortung gibt, offensiv auf das Rücknahmeangebot hinzuweisen . Allerdings würden leicht sichtbare Informationen im Markt und auf der Website es den Kunden erleichtern, den Service der Rücknahme anzunehmen . Den Handel zu einem proaktiveren Verhalten anzuregen, wäre wün- schenswert gewesen . Dass manche Marktteilnehmer die im ElektroG fest- gelegte Rücknahme von Elektronikaltgeräten verweigern oder diese nur bei Kauf von Neuware zurücknehmen, ist nicht hinnehmbar und widerspricht der Kreislaufwirt- schaft und dem Konzept der Nachhaltigkeit . Auch macht die Art und Weise, wie bestimmte Markt- teilnehmer agieren, leider ein erhebliches Ordnungsgeld notwendig . Wir hätten uns gewünscht, dass dies nicht notwendig gewesen wäre . Dennoch stimmen wir dem Gesetzentwurf zu . Florian Pronold, Parl . Staatssekretär bei der Bun- desministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit: Der Ihnen vorliegende Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes betrifft die Aufhebung der Heizwertregelung und damit das Verhältnis zwischen der stofflichen und der energe- tischen Verwertung von Abfällen . Zwar enthält das Än- derungsgesetz nur eine einzige Regelung, deren Wirkung ist jedoch weitreichend . Mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz von 2012 und der Einführung der fünfstufigen Abfallhierarchie ist uns der Einstieg in eine stärker auf den Ressourcenschutz zuge- schnittene Kreislaufwirtschaft gelungen . Die bis dahin geltende Drei-Stufen-Hierarchie „Vermeiden, Verwerten und Beseitigen“ wurde auf der Stufe der Verwertung wei- ter ausdifferenziert. Die stoffliche Verwertung, insbeson- dere das Recycling, hat nun grundsätzlich Vorrang vor der bis dahin gleichrangigen energetischen Verwertung . Gerade hierdurch konnte die neue Abfallhierarchie wich- tige und nachhaltige Impulse für die Kreislaufwirtschaft setzen . Allerdings war eine solch weitreichende Umstellung der Abfallwirtschaft nicht ohne Übergangsregelungen zu erreichen . Dabei waren auch neue bürokratische Belastungen der Abfallerzeuger und Behörden zu be- achten . Hierfür bot die Heizwertregelung eine praktika- ble Übergangslösung . Sie legt für den Fall, dass keine verordnungsrechtliche Regelung existiert, fest, dass die energetische Verwertung als gleichrangig zur stofflichen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21017 (A) (C) (B) (D) Verwertung anzusehen ist, wenn der Heizwert des ein- zelnen Abfalls besonders hoch ist, nämlich mindestens 11 000 Kilojoule pro Kilogramm beträgt . Die Bundesregierung hatte bis Ende dieses Jahres zu untersuchen, ob diese Übergangsregelung ökologisch und ökonomisch noch erforderlich ist . Wie Sie dem Ge- setzentwurf entnehmen können, ist die Bundesregierung auf der Grundlage eines breit angelegten Forschungs- vorhabens zu dem Ergebnis gekommen, dass die Auf- hebung der Heizwertreglung sachgerecht ist . Nach dem Forschungsvorhaben hat die Aufhebung der Heizwertre- gelung für 13 der 19 untersuchten Abfallströme keine Auswirkungen . Bei den übrigen sechs Abfallströmen, namentlich den Gewerbeabfällen, dem Sperrmüll, dem Klärschlamm, den Altreifen, den nicht mineralischen Bau- und Abbruchabfällen und den gefährlichen Abfäl- len aus der chemischen Industrie, werden Auswirkungen erwartet, die im Gesetzentwurf detailliert beschrieben sind . Bei den genannten Stoffströmen ist allerdings zu be- rücksichtigen, dass bereits im Rechtssetzungsverfahren befindliche Spezialverordnungen, wie die heute eben- falls zu beratende Gewerbeabfallverordnung oder die im nächsten Jahr zu verabschiedende Klärschlammverord- nung, die Vorgaben der Abfallhierarchie so konkretisie- ren, dass die Heizwertregelung ohnehin verdrängt würde . Zum anderen wird der Wegfall der Heizwertregelung in vielen Fällen, etwa bei Altreifen oder Sperrmüll, auch zur intendierten, stärkeren Lenkung der Abfälle in Richtung Recycling führen . Besonders betroffen von der Aufhebung der Heizwert- regelung ist allerdings die chemische Industrie mit ihren sehr heterogen gefährlichen Abfällen . Aufgrund der ho- hen Schadstoffrisiken gibt es bei Anwendung der Abfall- hierarchie jedoch wichtige ökologische Gründe, die die energetische Verwertung dieser Abfälle mit Blick auf den Schutz von Mensch und Umwelt weiterhin rechtfertigen . Die Umsetzung der Abfallhierarchie stellt alle Betrof- fenen vor große Herausforderungen . Wir werden daher gemeinsam mit den Ländern für die Anwendung der Ab- fallhierarchie, insbesondere für den Bereich der gefährli- chen Abfälle, Vollzugshinweise entwickeln . Die Arbeiten hierzu sind im Bundesumweltministerium bereits ange- laufen und werden rechtzeitig zum Inkrafttreten des Ge- setzes Mitte nächsten Jahres abgeschlossen sein . Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zu dem im Rahmen der Ausschussberatungen eingebrachten Änderungsantrag sagen . Dieser betrifft das Elektro- und Elektronikgerätegesetz und wird von der Bundesregie- rung unterstützt . Ziel des Änderungsantrages ist es, einen Bußgeldtatbestand gegen sich bei der Rücknahme von Elektroaltgeräten rechtswidrig verhaltende Vertreiber einzuführen . Damit sollen die Schaffung eines dichten Sammelnetzes vorangebracht und die sich rechtskonform verhaltenden Vertreiber geschützt werden . Die vorgelegte Novelle und auch der Änderungsan- trag zum ElektroG werden die ressourcenschutzorien- tierte Kreislaufwirtschaft weiter voranbringen . Ich bitte daher um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf der Bun- desregierung in der vom Umweltausschuss geänderten Fassung . Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über die Bewirt- schaftung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Gewerbeabfallverordnung – GewAbfV) (Tages- ordnungspunkt 21) Artur Auernhammer (CDU/CSU): „Müll bleibt Müll, auch wenn man ihm immer wieder eine Abfuhr er- teilt . Es bleibt ein menschliches Problem“, erklärte schon der Anthropologe Aurelius de Montblanc . Man muss nicht Landwirt sein, um zu wissen, dass die Müllproduk- tion eine menschliche Erfindung ist. In Flora und Fauna gibt es diese Form des unbrauchbaren, unverwertbaren und zweckfreien Abfalls nicht . Dort herrscht ein perfekt geschlossener Kreislauf . Diesen Kreislauf haben wir in Deutschland – in beispielhafter Weise – für unseren an- fallenden Abfall versucht zu adaptieren . Abfalltrennung, Sortenreinheit, Recycling, Wiederverwertung, all das sind Begriffe, die das uns bekannte Abfallsystem prägen und über unseren reinen Sprachgebrauch in neue Verhal- tensweisen mündeten . Wie selbstverständlich wachsen heute unsere Kin- der auf und achten auf eine wertstoffgerechte Trennung des Abfalls . Doch das war – wir können uns alle daran erinnern – nicht immer der Fall . Recycling war einmal unpopulär . Heute ist es unspektakuläre Routine unseres Alltags . Viele Menschen aller Generationen in unserem Land leben den bekannten Grundsatz „Vermeidung vor Verwertung vor Beseitigung“, wobei immer der umwelt- verträglicheren Möglichkeit der Vorzug gegeben wird . Unser deutsches Abfallrecht normierte bislang einen relativen Gleichrang der stofflichen und energetischen Verwertung; dies ist nunmehr weggefallen . Inzwischen haben wir alle erkannt, dass Müll eben auch nicht nur eine energetische Komponente aufweist und die ökono- mische Bedeutung durch den zu erzielenden Heizwert bemessen wird . Abfälle sind längst von unbrauchbaren Stoffen oder Gegenständen, derer sich ihr Besitzer ent- ledigt, entledigen will oder entledigen muss – Abfall-Le- gal-Definition nach § 3 Kreislaufwirtschaftsgesetz –, zu einem „Wert-Stoff“ aufgewertet worden . Die Zukunft wird zeigen, dass zum Beispiel die erfolgreichen bayeri- schen Wertstoffhöfe und die vielerorts gelungenen kom- munal organisierten Abfallentsorgungssysteme die Roh- stoffquellen unseres Landes im 21 . Jahrhundert werden . Ich begrüße daher die gesellschaftlichen Zielvereinba- rungen im Umgang mit dem Abfall, die jüngst durch die neuere EU-Richtlinie 2008/98/EG modernisiert wurden, in dem sie den bekannten Dreiklang „Vermeidung vor Verwertung vor Beseitigung“ erweitert und präzisiert . https://de.wikipedia.org/wiki/Richtlinie_(EU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621018 (A) (C) (B) (D) An erster Stelle der nunmehr fünfstufigen Abfallhierar- chie bleibt die Abfallvermeidung als rohstoffschonendste Form bestehen, gefolgt von der Vorbereitung zur Wieder- verwendung, dem Recycling und der sonstigen Verwer- tung, die in stofflicher und energetischer Form erfolgen kann . An letzter Stelle steht weiterhin die – in unserem Land im geringen Maße erforderliche, aber mitunter teil- weise unabweisliche – Abfallbeseitigung . Ein deutscher Durchschnittsbürger verursachte im Jahre 2014 618 Kilogramm Müll . Angesichts dieser im- mensen Masse ist es erfreulich, dass wir das Augenmerk auf Müllvermeidung lenken . Müllvermeidung ist die Kö- nigsdisziplin . Dazu gehört auch, dass wir uns neben der angemessenen Verpackungsart und Verpackungsgröße mit wichtigen Fragen der Haltbarkeit und Langlebigkeit von Gebrauchsgütern befassen . Ich will Ihnen das ganz einfach vorrechnen: Wenn ein Toaster nicht bereits nach fünf Jahren defekt geht, sondern erst nach 20 Jahren sei- ne Funktion einstellt, „entziehen“ wir dem Abfallkreis- lauf – in positiver Weise – Müll, weil es ihn nicht gibt, weil er nicht entsteht . Es gibt technische Grenzen der Haltbarkeit, und es gibt Gründe, die für eine Begrenzung der Funktionsdauer sprechen . Dafür kann man Verständnis aufbringen . Res- sourcenschonend ist es aber gerade nicht, wenn Geräte mit einer Software ausgestattet werden, welche die Le- bensdauer von – zumeist elektronischen – Geräten nach einer bestimmten Dauer automatisch und unbegründet ablaufen lassen . Das klassische Beispiel kennen Sie viel- leicht sogar aus eigenem Erleben – ein Drucker . Viele Drucker haben ein verstecktes Zählwerk eingebaut, das dem Gerät nach Druck einer bestimmten Anzahl von Blättern signalisiert, dauerhaft abzuschalten . Der Kunde erkennt dies am Display oftmals durch eine nicht über- windbare Error-Anzeige . Sie erkennen, dass dieser Weg der umfassenderen Müllvermeidung nicht ohne Industrie wird erfolgen kön- nen . Und es ist zu vermuten, dass wir auf lange Sicht ein- sehen, dass an dieser Stelle eine freiwillige Verpflichtung nicht ausreichen wird . Denn solange die Verpackungs- größen in keinem angemessenen Verhältnis zum befüll- ten Inhalt der Verpackung stehen und ausschließlich dem Marketinggedanken und der Umsatzzahlenoptimierung unterliegen, statt dem Umweltschutz durch Abfallver- meidung den Vorzug zu gegeben, entzieht sich ein großes Potenzial zur Müllvermeidung dem Einflussbereich der Verbraucherinnen und Verbraucher . Hier müssen Indus- trie und Handel mitarbeiten . Ein Beitrag, den die Verbraucher jedoch leisten kön- nen, ist die Reduzierung von Lebensmittelabfällen, in- dem zum einen bewusster eingekauft wird, zum anderen das Mindesthaltbarkeitsdatum als ein solches und nicht als Verfallsdatum verstanden wird . Auf Initiative der da- maligen Bundesministerin Ilse Aigner ist die Kampagne „Zu gut für die Tonne“ gestartet, die genau für diesen Aspekt wirbt . Es ist auch nötig; denn über 12 Prozent der von uns täglich, wöchentlich gekauften Lebensmittel lan- den immer noch im Müll . Hier kann Vermeidung Abhilfe leisten . Das oberste Ziel ist die Müllvermeidung . Doch der Müll, der nicht vermieden wurde, bedarf einer Trennung und Sortierung . Mit 47 Prozent weist Deutschland die höchste Recyclingquote aller EU-Mit- gliedstaaten auf; der EU-Durchschnitt liegt vergleichs- weise bei 28 Prozent . In Anerkennung dieses Erfolges gebührt vor allem den kommunalen Abfallwirtschaftsbe- trieben unser Dank . Sie sind es, die zuverlässig die Vo- raussetzungen für hochwertiges Recycling schaffen und unsere wertvollen Rohstoffe bergen . Die Lebenswirklichkeit der eben angerissenen Er- folgsgeschichte des Entsorgungswegs des Abfalls lässt uns aber wissen, dass im Bereich der Beseitigung nicht privater Siedlungsabfälle und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen nicht alle Entsorgungswege als ord- nungsgemäß eingestuft werden können; einige sind ge- meinwohlunverträglich und schadhaft . Ursächlich sind nicht die Entsorger, sondern die Abfallerzeuger . Das Problem ist, dass eine nicht bekannte Anzahl stofflich oder energetisch verwertbarer Abfälle und zu beseiti- gender Abfälle – Deponierung – in unzulässiger Weise entweder nicht getrennt oder nicht vollständig getrennt gelagert werden und im Ergebnis diese „gemischten Ab- fälle“ als „zur Verwertung“ deklarierte Abfälle dem Ent- sorgungskreislauf – energetische Verwertung oder Sor- tieranlage – zugeführt werden . Da landet Bauschutt mit Eisenträgern und Kunststoffpanelen in einem Container, wenngleich die Abfallerfassung getrennt erfolgte . Diese Vermischung der verwertbaren Materialien mit Störstof- fen schließt von vornherein eine hochwertige Verwertung aus . Die Sortieranlage kann dann nur in einem sehr ge- ringen Prozentsatz die Stoffe verwerten, und muss den größeren – ursprünglich zu beseitigenden Abfall – einer Deponie zuführen . Dies beeinträchtigt öffentlich-rechtli- che Entsorgungsträger . Diese sogenannte Scheinverwertung will die uns heu- te vorliegende Verordnung der Bundesregierung unter- binden . Ziel ist eine schadlose und umweltverträgliche Verwertung der gewerblichen Siedlungsabfälle und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen . Die Verordnung konkretisiert die Anforderungen für die Getrennthaltung von Abfällen, deren Vorbehandlung und die erforderliche Kontrolle . Gerade Letzteres ist eine gleichsam erforder- liche wie zu begrüßende Nachbesserung dieser Verord- nung. Wer gegen Umsetzungsdefizite vorgehen will – das gilt im Umweltbereich genauso wie in jeder anderen Branche –, ohne eine erhöhte Kontrolldichte festzulegen, kann sich nicht eines Erfolges sicher sein . Aber genau das ist unser Ziel . Das Kontrollnetz sieht neben einem zu führenden Be- triebstagebuch die behördliche Fremdkontrolle vor . Da- bei werden die Betriebsaufzeichnungen geprüft . Halb- jährlich erfolgt zudem die Kontrolle der Einhaltung der rechtlich normierten Verfahrensschritte, die unter ande- rem eine getrennte Störstofferfassung vorsieht . Im ersten Schritt werden auch regelmäßige Eigenkontrollen gefor- dert, deren Ergebnisse dokumentiert und behördlich kon- trolliert werden . Die Abfallerzeuger und Abfallbesitzer müssen künftig auch durch Maßnahmen für eine höhere Sortenreinheit im getrennten Erfassen sorgen . Dies ist zu begrüßen, da es die Recyclingquote steigert und die Ver- wertbarkeit erhöht . https://de.wikipedia.org/wiki/Abfallvermeidung https://de.wikipedia.org/wiki/Wiederverwendung https://de.wikipedia.org/wiki/Wiederverwendung https://de.wikipedia.org/wiki/Recycling https://de.wikipedia.org/wiki/Verwertung https://de.wikipedia.org/wiki/Verwertung https://de.wikipedia.org/wiki/Abfallbeseitigung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21019 (A) (C) (B) (D) Die Verordnung wird insgesamt der steigenden Be- deutung von metallischen und mineralischen Abfällen und Abfällen aus Glas gerecht . Die Einbringung in die energetische Verwertung von gemischten gewerblichen Siedlungsabfällen, die diese Stoffe enthalten, ist för- derhin unzulässig . Zukünftig werden auch im Bau- und Abbruchgewerbe getrennt anfallende Abfälle getrennt gesammelt und gelagert . Besonders die Fraktionen Glas, Kunststoffe, Beton und Metalle sollen hierbei erfasst werden . Genau mit diesen Maßnahmen schützen wir un- sere „heimischen Rohstoffe“ und werden einen immer spürbarer werdenden Beitrag für die Rohstoffverfügbar- keit in unserem Land leisten . Ein wichtiger Punkt für mich setzt jedoch weit vor der erforderlichen Kontrollinstanz an . Denn Kontrollen wer- den erst ab dem Punkt notwendig, an dem Müll entsteht und dem Recyclingverfahren zugeführt werden muss . Der erste und bedeutendste Punkt bleibt auch bei nicht privaten (Sieglungs-)Abfällen die Müllvermeidung . So wichtig überprüfbare und gut durchdachte Mechanismen für die getrennte Erfassung von Materialen an den Ab- fall-Anfallstellen sind: Die Reduzierung des anfallenden gewerblichen Siedlungsmülls und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen muss oberstes Ziel sein . Es sind die Abfallerzeuger, die ich in der Plicht sehe, alle Maßnah- men, die ihnen zur Verfügung stehen, zu ergreifen, zur aktiven Abfallvermeidung beizutragen . Denn besser als gut getrennter und recycelter Abfall ist kein Abfall – das fordert uns Verbraucher wie die Industrie gleichermaßen . Diese Verordnung ist ein weiterer guter Schritt in der Erfolgsgeschichte der deutschen Abfallwirtschaft . Diese dient dem Abfall, der Kreislaufwirtschaft der Rohstoffe, uns Bürgern und der Umwelt . Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Wir beraten heu- te eine Novelle zur Gewerbeabfallverordnung . Worum geht es? Wie der Name bereits andeutet, geht es um alle Abfälle, die im Gewerbe anfallen und entsorgt werden müssen . Wir reden von großen Abfallmengen . Insofern ist es bemerkenswert, dass in den letzten Monaten in der Debatte die Gewerbeabfallverordnung eine vergleichs- weise geringe Rolle gespielt hat, obwohl es sich um große Abfallströme handelt . Hingegen gab es intensivste Debatten über ein Wertstoff- bzw . Verpackungsgesetz, obwohl die Abfallmengen, um die es dabei ging, wesent- lich geringer sind . Wir reden allein über 6 Millionen Tonnen gemischte gewerbliche Siedlungsabfälle, die jedes Jahr anfallen, und wir reden beispielsweise über 51 Millionen Tonnen Bauschutt . Die Herausforderung ist: Von diesen erhebli- chen Mengen könnten deutlich mehr stofflich wiederver- wertet, also recycelt werden . Beim gemischten Gewer- beabfall geht heute der größte Teil mehr oder weniger direkt in die Verbrennung . Anteilsmäßig sind das nach aktuelleren Untersuchungen rund 90 Prozent . Nur rund 7 Prozent wurden „stofflich verwertet“, also recycelt. Auch bei den Bau- und Abbruchabfällen, also den Bau- stellenabfällen, bestehen Potenziale . Wir wollen, dass möglichst viele Abfälle stofflich verwertet werden . Unser Ziel ist es, die Stoffkreisläufe zu schließen und die Kreislaufwirtschaft weiter voran- zubringen . Die Wertstoffe, die in den großen Mengen des Gewerbeabfalls liegen, müssen herausgetrennt und recycelt werden . Um diese Ziele zu erreichen, werden für das Gewerbe Regelungen zur Abfalltrennung geschaffen . Für die gemischten Abfälle gibt es eine Vorbehandlungs- pflicht. Dazu kommen anspruchsvollere Quoten bei der Vorbehandlung für Sortierung und Recycling . Bei den gewerblichen Siedlungsabfällen sieht das in der Praxis so aus, dass jeder Gewerbetreibende grundsätzlich ver- pflichtet ist, seinen Abfall zu trennen und einer Aufbe- reitung bzw . dem Recycling zuzuführen . Die Abfall- trennung betrifft zusätzlich zu Papier und Pappe, Glas, Kunststoffe und Metall im Wesentlichen nun auch Holz, Textilien sowie Bioabfälle . Klar ist, dass nicht jedes Unternehmen in der Lage ist, in so viele Fraktionen zu trennen . Darum begrüße ich sehr, dass gerade für Kleinunternehmen Ausnahmen ge- schaffen wurden . Wem es technisch nicht möglich oder wem es wirtschaftlich nicht zumutbar ist, seinen Abfall wie dargestellt zu trennen, der ist von der Trennpflicht befreit . Ähnliches gilt für den Architekten oder den Rechtsanwalt . Hier gilt eine entsprechende Kleinmen- genregelung, die ihn vom Trennen seiner Abfälle befreit . Gleichwohl: Auch der Kleinunternehmer und jeder, der nicht trennen muss, muss seinen Abfall grundsätzlich ei- ner Vorbehandlungsanlage zuführen . Ich begrüße zudem die Regelung, wonach einem Unternehmen mit einer Trennung von 90 Prozent seines Abfalls die Vorbehand- lungspflicht für die restlichen 10 Prozent erlassen wird. Mit der vorgelegten Novelle zur Gewerbeabfallver- ordnung machen wir einen wesentlichen Schritt in Rich- tung Nachhaltigkeit . Weniger Abfälle als bisher werden verbrannt, mehr Abfälle als bisher werden recycelt . Mehr Wertstoffe als bisher werden den Abfällen entnommen, mehr Ressourcen werden geschont . Stoffkreisläufe wer- den geschlossen . Unser Ziel war es, eine Gewerbeabfall- verordnung auf den Weg zu bringen, die aus Umwelt- schutzgesichtspunkten genauso wie aus ökonomischen Gesichtspunkten Sinn macht . Uns war es besonders wichtig, möglichst unbürokratische und praxisnahe Lö- sungen zu finden. Ich denke, dass uns dies gelungen ist. Michael Thews (SPD): Für die meisten Akteure der Kreislaufwirtschaft, auch für uns Berichterstatter, lag das Hauptaugenmerk in dieser Legislaturperiode auf der Ein- führung eines Wertstoffgesetzes . Um dieses Gesetz wur- de ausgesprochen kontrovers diskutiert, insbesondere um die Frage der Organisationsverantwortung . Letztlich ist es an der Unvereinbarkeit der Positionen gescheitert . Laut Gutachten für das Planspiel zur Einführung einer Wertstofftonne sollten durch eine gemeinsame Wertstoff- sammlung in den privaten Haushalten 570 000 Tonnen Abfall pro Jahr mehr gesammelt werden . Schaut man sich dagegen die weitaus größeren Sammelmengen aus gemischten gewerblichen Siedlungs- sowie Bau- und Abbruchabfällen an, wundert man sich etwas, dass dieser Abfallstrom und die dazugehörige Gewerbeabfallverord- nung bisher vergleichsweise leise in der Öffentlichkeit behandelt worden ist . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621020 (A) (C) (B) (D) In Deutschland fallen jährlich rund 6 Millionen Ton- nen gemischte Gewerbeabfälle an, und zwar in einem breiten Spektrum an Betrieben; denn die kleine Kneipe in der Altstadt ist von der Verordnung genauso betroffen wie der Industriebetrieb mit einer eigenen Stabsstelle für Abfall und 1 000 Mitarbeitern . Die Verordnung wird cir- ca 3,6 Millionen Betriebe in Deutschland betreffen, da- von 3,5 Millionen Klein- und Kleinstbetriebe . Die Erfolge der bisherigen Trennungs- und Recy- clingpraxis sind trotz jetzt schon geltendem Getrennthal- tungsgebot allerdings eher mau . Es wurden nur 45 Pro- zent der gemischten gewerblichen Siedlungsabfälle in Sortieranlagen aufbereitet; 50 Prozent gingen direkt in die Verbrennung . Andere Studien kommen in ihren Be- rechnungen sogar dazu, dass insgesamt 90 Prozent des gemischten gewerblichen Siedlungsabfalles entweder direkt oder nach Sortierung verbrannt bzw . energetisch verwertet werden . Letztendlich wurden nur rund 7 Pro- zent der insgesamt anfallenden gemischten Gewerbeab- fälle stofflich verwertet. Dieses brachliegende Potenzial müssen wir dringend nutzen! Angesichts endlicher natürlicher Rohstoffe können wir es uns als Gesellschaft nicht leisten, auf diese gro- ßen Mengen an Sekundärrohstoffen zu verzichten . Durch das Recycling von Abfällen lassen sich im Vergleich zur Gewinnung von primären Rohstoffen große Mengen an Energie, CO2 und Rohstoffen einsparen – besonders be- deutsam ist hier das Recycling von Metallen wie etwa Stahl oder Kupfer . Dazu kommt, dass die Gewinnung von Primärrohstoffen oft mit schwerwiegenden ökolo- gischen und manchmal auch sozialen Folgen verbunden ist . Darüber hinaus müssen wir uns als rohstoffarmes Land unabhängiger von Rohstoffimporten machen. Die Stärkung und der Ausbau der Kreislaufwirtschaft, um die Wirtschafts- und Produktionsweisen in Deutschland schrittweise von Primärrohstoffen unabhängiger zu ma- chen, finden sich auch als eine von vier Leitideen im Deutschen Ressourceneffizienzprogramm „ProgRess II“ wieder . Auch dürfen wir die Kreislaufwirtschaft als Job- motor nicht unterschätzen . Neue Arbeitsplätze entstehen in den Unternehmen der Kreislaufwirtschaft selbst, aber auch im deutschen Maschinenbau . Deutschland ist Vorreiter bei der Abfalltrennung und beim Recycling . Dies zeigt sich jährlich auf der welt- weit größten Messe für Kreislaufwirtschaft und Entsor- gung, der IFAT, in München . Deutschland ist aber auch Technologieführer bei den Verfahren für Trennung und Recycling. Wenn wir mehr stoffliches Recycling wollen, müssen wir auch sicherstellen, dass in entsprechende moderne Anlagentechnik investiert wird . Weltweit tun das inzwischen viele Länder; sie steigen aktiver in diese Bereiche ein, schauen nach Deutschland und orientieren sich an uns . Schon allein deswegen müssen wir hier vo- rangehen und dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen . Ich bin überzeugt, dass die in dieser Novelle vorgegebene Recyclingquote für Betreiber von Vorbe- handlungsanlagen von mindestens 30 Masseprozent bei den Gemischen, die in einer Vorbehandlungsanlage an- kommen, realistisch ist und gleichzeitig für einen Inves- titionsschub sorgen wird . Diese Quote wird spätestens Ende 2020 evaluiert und gegebenenfalls an den bis dahin weiterentwickelten Stand der Technik angepasst . Es geht bei der Gewerbeabfallverordnung nicht nur um die zu geringe Nutzung des Potenzials dieses gro- ßen Stoffstroms. Ausgehend von der fünfstufigen Ab- fallhierarchie der europäischen Abfallrahmenrichtlinie sind Änderungen des untergesetzlichen Regelwerks in Deutschland notwendig . Nach bisherigem Recht sollte vor allem die Ablagerung gemischter gewerblicher Sied- lungsabfälle sowie gemischter Bau- und Abbruchabfälle auf „Billigdeponien“ beendet und „Scheinverwertung“ verhindert werden . Die noch geltende Gewerbeabfall- verordnung aus dem Jahr 2002 ging noch von einem grundsätzlichen Gleichrang zwischen stofflicher und energetischer Verwertung aus . Ein großer Teil der ge- mischten Gewerbeabfälle und auch bestimmter Bau- und Abbruchabfälle ging, wie erwähnt, direkt – ohne Vorbe- handlung – in die energetische Verwertung . Vollzugs- probleme und ein hoher Kontrollaufwand bremsten die Verordnung bisher aus . Deshalb setzt die Novelle auch an der Vollziehbarkeit an . Sie sieht für die Gewerbebe- triebe vor, dass diese die Einhaltung ihrer Pflichten oder die Gründe für Ausnahmeregelungen dokumentieren und auf Verlangen der Behörde auch nachweisen müssen . Sie setzt aber gleichzeitig auf einen Anreiz für die Gewer- bebetriebe . Erfüllt ein Abfallerzeuger in einem Jahr eine Getrenntsammelquote von mindestens 90 Prozent, dann ist er im darauffolgenden Jahr von der Pflicht zur Vorbe- handlung seiner Gemische befreit . Eine aus meiner Sicht sehr sinnvolle Neuerung! Ich begrüße die neue Gewerbeabfallverordnung aus- drücklich . Scheinbar geht es vielen so; denn Kritik gab und gibt es zwar bei einzelnen Punkten, grundsätzliche Ablehnung jedoch nicht . Unsere Hauptforderungen nach Umsetzung der fünfstufigen Abfallhierarchie und der Beibehaltung der kommunalen Restmülltonne wurden erfüllt . Durch anspruchsvollere Vorgaben zur Sortierung und höhere Recyclingquoten können künftig deutlich mehr Abfälle dem Recycling zugeführt werden . Dass die Novelle zur Gewerbeabfallverordnung so breite Zustimmung findet, liegt sicherlich auch daran, dass das Bundesministerium für Umwelt und Bau bereits vor Kabinettsbefassung mit allen Beteiligten intensiv dis- kutiert und viele der Vorschläge und Änderungswünsche übernommen hat . So wurden zum Beispiel auf Anregung der Entsorgungswirtschaft die Mindestanforderungen an die Vorbehandlungsanlagen gesenkt . Des Weiteren wur- den Anregungen der Bauwirtschaft zur Getrennthaltung von Bauabfällen und der Bundesländer zur Präzisierung von Definitionen wie „technische Unmöglichkeit“ und „wirtschaftliche Unzumutbarkeit“, berücksichtigt . Sicherlich werden wir zukünftig prüfen müssen, ob wir noch mehr erreichen können . Ich bin aber davon überzeugt, dass die Novelle das Recycling im gewerbli- chen Bereich stärkt, somit die Kreislaufwirtschaft fördert und die Belange von Gewerbe und Industrie mit den Be- langen des Umwelt- und Ressourcenschutzes zu einem sachgerechten Ausgleich bringt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21021 (A) (C) (B) (D) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Fast 6 Millionen Ton- nen sogenannte gemischt anfallende – sprich: unsortier- te – Gewerbeabfälle werden jedes Jahr einfach verbrannt, obwohl in ihnen jede Menge recycelbare Wertstoffe ste- cken . Alles, was nicht recycelt wird, muss über den Pri- märrohstoffmarkt energie- und ressourcenaufwendig neu geschaffen werden . Zusätzlich zu den 6 Millionen Tonnen Gewerbeab- fällen kommen jährlich etwa 200 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle . Ein Viertel davon, also rund 50 Millionen Tonnen, ist Bauschutt . Würde man diesen vernünftig recyceln, könnte er fast komplett für neue Bauten verwendet werden . Müll zu sortieren, ist die Grundlage für Recycling . Wir freuen uns, dass die Bundesregierung das nun auch erkannt hat und nach 13 Jahren endlich die Gewerbeab- fallverordnung überarbeitet . Leider tut sie das nur halb- herzig . Müllsortierung beginnt beim Müllerzeuger, dem nunmehr zwar vorgeschrieben werden soll, dass er Müll zu trennen hat . Leider verpasst es die Bundesregierung, konkrete Quoten festzulegen . Beim normalen Haushalts- müll gibt es diese Quoten . Warum macht die Bundesre- gierung beim Gewerbemüll wieder nur halbe Sachen? Des Weiteren gibt es deutlich zu viele Ausnahmen von der Sortierpflicht. Die Erklärungen zu genutzten Ausnah- men sind nicht einmal verpflichtend vorzulegen, sondern nur auf Nachfrage der Behörde . Wir alle kennen die De- fizite im Vollzug des Umweltrechts, wegen des Personal- mangels . Die vielgepriesene schwarze Haushaltsnull hat über die Jahre dafür gesorgt, dass Vollzugsbehörden im Umweltrecht oft zu wenig Personal haben, um den Ge- setzesvollzug gewährleisten zu können . Die Linke for- dert deshalb, dass zu jeder Änderung im Umweltrecht ein Konzept vorgelegt wird, wie dies in der Praxis auch um- gesetzt und kontrolliert wird . Sonst ist Missbrauch Tür und Tor geöffnet . Wir fordern: Wenn ein Unternehmen Abfallfraktionen nicht getrennt sammeln kann, sind die Unterlagen der Behörde unaufgefordert vorzulegen . Die Verordnung war eine Chance, das aktuelle Pro- blem bei HBCD-haltigen Dämmstoffen bundeseinheit- lich zu lösen . Seitdem die mit dem Brandhemmer Hexabromcy- clododecan (HBCD) versehenen Dämmstoffplatten als Sondermüll deklariert wurden, stapeln sie sich in Zwi- schenlagern bei den Abfallentsorgern oder bei den Ab- bruchfirmen. Es gibt nur sehr wenige Verbrennungs- anlagen, in denen die Platten als reine Abfallfraktion verbrannt werden können . Die Sortierung ist aufwendig und der Transport teuer . Anstatt die Platten sortenrein von den gemischten Bauabfällen zu trennen und dann einen quasi nicht existierenden Entsorgungspfad zu wählen, sollten sie gemischten Bauabfällen einfach wie bisher beigemischt werden . Denn als Beimischung ist die Ver- brennung unproblematisch . So würde einerseits das ent- haltene HBCD unschädlich gemacht und außerdem we- niger Zusatzverbrennung nötig werden . Das thüringische Umweltministerium beispielsweise hat das erkannt und deswegen vorgeschlagen, alles beim Alten zu lassen . Die Bundesregierung hätte hier schleunigst Rechtssicherheit schaffen können . Mit einem Ausnahmetatbestand in der Gewerbeabfallverordnung wäre das möglich gewesen . Diese Chance hat die Bundesregierung in ihrem Entwurf leider verpasst . Die Linke regt an, den vorliegenden Verordnungsent- wurf weiter zu qualifizieren. Er geht zwar grundsätzlich in die richtige Richtung, bleibt aber hinter seinen Mög- lichkeiten zurück . Das ist schade, denn bei aller guten In- tention zur Einhaltung der europäischen Abfallhierarchie erwarten wir wesentlich mehr Konsequenz und vor allem mehr Kompetenz für die Vollzugsbehörden, ansonsten wird sich in puncto Ressourcenschutz in der Praxis nicht viel verändern . Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die bestehende Gewerbeabfallverordnung ist mittlerweile hoffnungslos veraltet und berücksichtigt kaum ökologi- sche Ziele . Mit der Einführung der Abfallrahmenrichtlinie und der Umsetzung im Kreislaufwirtschaftsgesetz 2012 entspricht die gültige Gewerbeabfallverordnung auch nur noch sehr bedingt der übergeordneten Rechtslage und der darin enthaltenen Abfallhierarchie . Die bisherige Gewer- beabfallverordnung lässt minderwertige Verwertung, also Verbrennung und Verfüllung, zu . So war es den Betrieben – anders als den Bürgerinnen und Bürgern in Privathaushalten – noch erlaubt, nicht getrennt zu sammeln, obwohl das die Voraussetzung für jegliche hochwertige werkstoffliche Verwertung ist. Die Rechtslage führt dazu, dass von den jährlich anfallenden gemischten Gewerbeabfällen mehr als 90 Prozent ver- brannt und nur knapp 7 Prozent werkstofflich recycelt werden . Mit der Verbrennung von Altpapier, Kunststof- fen und anderen werthaltigen Abfällen als Ersatzbrenn- stoff gehen wertvolle Ressourcen verloren, die an anderer Stelle aufwendig erzeugt werden müssen . Diese Situati- on widerspricht grundlegend dem Gedanken der Nach- haltigkeit und dem Konzept des Ressourcenschutzes . Laut einer Studie des Umweltbundesamtes fallen in Deutschland im Gewerbesektor pro Jahr 3,45 Millionen Tonnen gemischte gewerbliche Siedlungsabfälle und rund 2,39 Millionen Tonnen Verpackungsgemische an . Wir sprechen also über rund 6 Millionen Tonnen Gewer- beabfälle . Angesichts dieser Menge an Gewerbeabfällen ist es höchste Zeit, dass die Gewerbeabfallverordnung novelliert und den ökologischen Herausforderungen an- gepasst wird . Was bei den Bürgerinnen und Bürgern hinsichtlich Getrennthaltung und Sortierung seit Jahren üblich ist, kann doch für das Gewerbe nicht unmöglich sein . Es besteht kein logischer Grund, warum Gewerbebetriebe Bioabfälle, Plastik, Glas, Papier und Pappe, um nur ei- nige wenige Abfallfraktionen zu nennen, nicht getrennt sammeln könnten . Die Kreislaufwirtschaft ist daher auch im Bereich der Gewerbeabfälle weiterzuentwickeln und muss dazu das zusätzliche Recyclingpotenzial von 2,4 Millionen Tonnen pro Jahr aus den Gewerbeabfallsammlungen für werkstoffliches Recycling erschließen. Unserer Auffassung nach geht der Entwurf für die neue Gewerbeabfallverordnung zwar in die richtige Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621022 (A) (C) (B) (D) Richtung, allerdings fehlen in der Verordnung Aussagen, die der Vorbereitung zur Wiederverwendung und dem werkstofflichen Recycling einen deutlichen Vorrang ge- genüber der energetischen Verwertung einräumen . Zu- mindest die Ausnahmen bezüglich der Sortierquote hät- ten abgebaut und die Unterschreitung der Sortierquote auf bis zu 10 Prozent auf bis zu zwei Monaten des Kalen- derjahres beschränkt werden müssen . Auch eigenständi- ge und deutlich ambitioniertere Recyclingquoten für die verschiedenen Abfallfraktionen wären wünschenswert gewesen . Am besten wäre schon heute festzulegen, dass spätes- tens ab 2025 dynamische und selbstlernende Recycling- quoten gelten . Dann würde sich die Höhe der zu erfül- lenden Recyclingquoten für die Folgejahre automatisch an den besten Recyclingergebnissen der Vorjahre orien- tieren – Top-Runner-Mechanismus . Ohne politische In- tervention würden sich die Quoten selbstständig an den technischen Fortschritt in der Recyclingbranche anpas- sen und so noch zusätzlich als ein Förderprogramm für weitere Innovationen in der Recyclingbranche wirken . Zu all diesen konkreten Verbesserungsvorschlägen haben wir Grüne einen Entschließungsantrag in den Um- weltausschuss eingebracht, um aus einer notwendigen eine gute, angemessene Gewerbeabfallverordnung zu machen . Diesen Anspruch müssen wir als Parlamentarier an uns selber schon haben . Deswegen werden wir uns heute hier zu dem vorliegenden Entwurf enthalten . Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know- how nutzen (Tagesordnungspunkt 22) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Die hohen Flüchtlings- zahlen in Europa, unter anderem ausgelöst durch den syrischen Bürgerkrieg und den Migrationsdruck in vie- len afrikanischen Staaten, erfordern von der deutschen Entwicklungspolitik große Anstrengungen und gezieltes Handeln . Auch im Jahr 2017 wird das Bundesministe- rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung (BMZ) einen starken Fokus auf unseren Nachbar- kontinent Afrika legen . Bundesentwicklungsminister Dr . Gerd Müller sprach in diesem Zusammenhang bereits von einem „Marshallplan für Afrika“ . Der heute in erster Lesung vorliegende Antrag „Tri- laterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken“ hat – wie man erkennen kann – mit Asien einen anderen regionalen Schwerpunkt . Dies ist kein Widerspruch zur aktuellen Strategie der Bundesregierung, sondern wie im Matthäus-Evangelium, Kapitel 23, Vers 23, ganzheitlich gedacht: „Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen .“ Die ASEAN-Region mit ihren zehn Mitgliedstaaten Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myan- mar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam ist ein sehr heterogenes Gebilde mit großen Entwicklungsunter- schieden . Über 600 Millionen Menschen leben in diesen Ländern, die mehrheitlich Partnerländer der bilateralen deutschen Entwicklungszusammenarbeit sind . Damit Deutschland auch in den kommenden Jahren als entwicklungspolitischer Akteur in der ASEAN-Regi- on präsent sein kann – denn, wie eingangs von mir aus- geführt, wird der Fokus deutscher Entwicklungspolitik stärker auf dem Nahen Osten und auf Afrika liegen müs- sen –, ist es notwendig, dass wir unser Engagement in der ASEAN-Region auf ein breiteres Fundament stellen . Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu verfolgen, ist der Aus- bau von Dreieckskooperationen . Lassen Sie mich dieses Entwicklungsmodell kurz einordnen: Trilaterale Kooperationen werden in der internationa- len Entwicklungszusammenarbeit als ein Bindeglied zwi- schen Entwicklungsländern, Schwellenländern und ent- wickelten Ländern genutzt . Sie eignen sich insbesondere für die projektbezogene Zusammenarbeit mehrerer Ak- teure . Die Evaluierung von Dreieckskooperationen zeigt aber auch, dass trilaterale Kooperationen in Abstimmung einen hohen Verwaltungsaufwand verursachen können . Dies sollte vor Nutzung des Instruments in die Erwägung Eingang finden. Bei der Situation in Südostasien, die der Antrag in erster Linie anspricht, liegen jedoch günstige Voraussetzungen für trilaterale Kooperation vor . Deutschland hat aktuell mit Thailand, Malaysia und Indonesien trilaterale Kooperationen vereinbart, die je- weils einen weiteren regionalen Partner einbeziehen . Diese Maßnahmen fördern nicht nur lokale Entwicklun- gen, sondern tragen auch zum Harmonisierungs- und In- tegrationsprozess innerhalb der ASEAN-Region bei . Und die Grundlagen für den Ausbau dieses Entwick- lungsmodells sind vorhanden; denn viele ASEAN-Staa- ten verfügen über entwicklungspolitische Institutionen, die sich im Wesentlichen auf die ärmeren Nachbarn aus- richten . Doch obwohl Dreieckskooperationen für alle Partner Vorteile hätten, wird dieses Instrument in der Praxis bis- her nur wenig eingesetzt . Mit dem vorliegenden Antrag wollen die Entwicklungspolitiker der Koalition darauf hinwirken, dass die richtigen entwicklungspolitischen Weichenstellungen vorgenommen werden . Von den positiven Effekten trilateraler Kooperationen konnte ich mich auf meinen Besuchen entwicklungspo- litischer Projekte in der ASEAN-Region mehrfach selbst überzeugen . Ich habe nach Gesprächen mit lokalen Pro- jektverantwortlichen den Eindruck mitgenommen, dass Schwellenländer sehr am Know-how über die Förderung von Grenzregionen interessiert sind . Das Beispiel Thailand zeigt: Mit Thailands wirtschaft- licher und gesellschaftlicher Entwicklung der vergange- nen Jahrzehnte wandelte es sich zu einem Schwellenland und damit auch die Zusammenarbeit mit Deutschland . Aus der bilateralen Zusammenarbeit entwickelten sich seit 2009 trilaterale Kooperationen, in denen Thailand und Deutschland in dritten Ländern Südostasiens ge- meinsam Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit umsetzen . Dazu gehören Initiativen im Grenzgebiet zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21023 (A) (C) (B) (D) Laos oder Kambodscha, die positive Auswirkungen auf den Lebensstandard der Menschen vor Ort haben . Wünschenswert wäre es, wenn diese Erfolge zukünf- tig auch auf Regionen in der ASEAN-Region ausstrahlen könnten, die bisher noch nicht in trilateralen Projekten berücksichtigt sind . So sehe ich beispielsweise ähnliche Entwicklungsherausforderungen in der Grenzregion zwi- schen Thailand und Myanmar . Diese Region war lange Zeit stark vom Drogenanbau betroffen . Durch einen in- tensiven Strukturwandel konnte die Region in jüngerer Vergangenheit zu einem Teeanbaugebiet entwickelt und einige nachhaltige Ansätze im Bereich Tourismus etab- liert werden . Aber: Die Reduzierung des Drogenanbaus in den letzten Jahren konnte nicht verhindern, dass sich die Region in jüngerer Vergangenheit zu einem großen Handelsplatz für synthetische Drogen entwickelt hat, die von dort in ganz Südostasien verbreitet werden . Dies hat auch Auswirkungen auf die Drogenmärkte in Europa und Nordamerika . Neue trilaterale Projekte in dieser Region könnten aus meiner Sicht ein Beitrag Deutschlands sein, lokale und bilateral erzielte Verbesserungen aufzugreifen und mithilfe eines breiteren Bündnisses fortzuführen . Der Blick auf die Zahlen verdeutlicht es: Trilatera- le Kooperationen im Gebiet der ASEAN-Staaten sind durchaus ausbaufähig . Das vereinbarte Gesamtauftrags- volumen dieser Projekte zwischen Deutschland und Thailand beträgt 8,3 Millionen Euro und läuft bis De- zember 2017 . Thailand ist damit der wichtigste Partner bei dieser Art Umsetzungsvorhaben . Zum Vergleich: Mit Malaysia ist ein Gesamtvolumen von rund 3 Milli- onen Euro vereinbart, mit Indonesien ein Volumen von 700 000 Euro . Lassen Sie mich deshalb nochmals eine Lanze für die- ses Modell der Entwicklungszusammenarbeit brechen: Dreieckskooperationen sind in vielen Sektoren realisier- bar und stellen das deutsche Entwicklungsengagement auf ein breiteres Fundament . Der vorliegende Antrag soll dieses Ansinnen unterstützen und Deutschland in einer der dynamischsten Wirtschaftsregionen der Welt am Ball halten . Deshalb sollen folgende Aspekte im Fokus des politischen Handelns stehen: – Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von trilateralen Kooperation in der ASEAN-Region sollen geprüft und die Effizienz zukünftiger Maßnahmen gesteigert wer- den . – Bestehende Dreieckskooperationen sollen fortgesetzt werden, wenn dadurch Synergieeffekte zu erzielen sind . – Dreieckskooperationen sollen verstärkt als Instrument genutzt werden, um international anerkannte Stan- dards in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit einzuhalten . – Neue Felder für trilaterale Kooperation sollen gefun- den werden, die insbesondere im Hinblick auf die Um- setzung der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG) sinnvoll sind . – Die Privatwirtschaft soll bei zukünftigen Dreiecks- kooperationen verstärkt miteinbezogen werden . – Es sollen gezielt nachhaltige Projekte initiiert werden, die in Sektoren liegen, die bisher noch nicht im Be- reich der Dreieckskooperationen vertreten sind . Und: – Das gewonnene Fachwissen aus Dreieckskooperation soll für Dritte nutzbar und zugänglich sein . Das heißt: Evaluierung durch das DEval soll ein höherer Stellen- wert zukommen . Mit dem heute vorliegenden Antrag greift die Koaliti- on das 2015 vorgestellte Asien-Papier des BMZ auf und geht den darin vorgezeichneten Weg konsequent weiter . In dem Positionspapier mit dem Titel „Asiens Dynamik nutzen“ heißt es: Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Asien wird in den kommenden Jahren mit den Part- nerländern, in multilateralen Organisationen wie der Weltbank, der asiatischen Entwicklungsbank (ADB), der Europäischen Union … in der Zusam- menarbeit mit regionalen Zusammenschlüssen wie der … ASEAN … die folgenden Chancen und He- rausforderungen adressieren: den verstärkten Dialog mit den globalen Entwicklungs- partnern, die soziale und ökologische Gestaltung der asi- atischen Marktwirtschaften, den Schutz von Klima und Biodiversität sowie die Bekämpfung von Konflikt- und Fluchtursachen . Deshalb lassen Sie uns durch die Nutzung deutschen Know-hows bei der Umsetzung trilateraler Partnerschaf- ten die Vorhaben unserer Entwicklungszusammenarbeit in der ASEAN-Region zu einem Erfolg machen . Tobias Zech (CDU/CSU): Über die Länder der ASEAN-Region – Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thai- land und Vietnam – hören wir nicht jeden Tag in den Me- dien . Obwohl die Mitgliedstaaten seit der Gründung der ASEAN-Wirtschaftsgemeinschaft im Dezember 2015 starke wirtschaftliche und politische Partner der EU – und damit auch Deutschlands – sind . Zwar befindet sich die Region nicht in unserer direk- ten Nachbarschaft, trotzdem dürfen wir sie nicht ver- nachlässigen und ihre Rolle unterschätzen . Wir kümmern uns um die Auseinandersetzungen im Nahen Osten – das ist gut so –, aber gleichzeitig müssen wir in der Lage sein, andere Weltregionen nicht aus den Augen zu verlieren . Wir müssen alle größeren Krisen un- ter Beobachtung halten . Die Bemühungen der Bundesre- gierung in den letzten Jahren zeigen den politischen Wil- len zu einem verantwortungsvollen Krisenmanagement . Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist auf der ganzen Welt mittlerweile ein Begriff, eine Marke, gewor- den . Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, was deutsches Engagement bewirken kann . Das Instrument, das wir in unserem Antrag fordern, ist in der Entwicklungszusammenarbeit bereits seit den 1980er-Jahren bekannt . Die trilaterale Kooperation ist eine erfolgreiche und nachhaltige Methode, um Hilfe zur Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621024 (A) (C) (B) (D) Selbsthilfe zu fördern, in Bereichen wie der beruflichen Bildung, dem Klimaschutz, der ländlichen Entwicklung, der Corporate Social Responsibility – generell zur Unter- stützung der auf Hilfe angewiesenen Länder . Deutschland unterstützt zusammen mit einem wirt- schaftlich stärkeren Land in der Region einen Staat, der wirtschaftlich schwächer ist . Diese Zusammenarbeit beschleunigt zeitgleich die wirtschaftliche Entwicklung und die Integration in der Region . Die wirtschaftliche und politische Stabilität nutzt nicht nur den fortgeschrittenen Ländern der ASEAN-Region, sondern auch Europa . Es gibt bereits gute Beispiele der Kooperation die- ser Art: Deutschland und Malaysia führen seit 2011 mit Kambodscha und Timor-Leste gemeinsame Maßnahmen durch . Aber auch die indonesisch-deutsche trilaterale Zu- sammenarbeit mit Myanmar zeigte gute Ergebnisse . Die derzeitige Unsicherheit bezüglich des Transpa- zifischen Handelsabkommens (TPP) seitens der Verei- nigten Staaten schafft ein Vakuum, von dem vor allem China profitiert. Das Land nutzt die aktuelle Situation, sein Einfluss wird immer größer. Für fast alle Länder der ASEAN-Region ist China der wichtigste Handelspartner . Eine andere Partnerschaft, das Regional Compre- hensive Economic Partnership (RCEP), rückt so in den Vordergrund . Auch im Hinblick auf den Streit um Inseln im Südchinesischen Meer droht eine Eskalation mit Rüs- tungswettlauf und Veränderung des Status quo . Infolge dieser Ereignisse fürchtet die Mehrheit der asiatischen Länder ein zunehmendes strategisches Ungleichgewicht in der Region . Die Europäische Union muss sich ihrer Rolle bewusst sein . Sie muss sich mit den zur Verfügung stehenden Mit- teln dafür einsetzen, in der Region weiterhin präsent zu bleiben . Die Stabilität muss sichergestellt werden – wir können die Länder nicht in Unsicherheit lassen . Wir müs- sen sie unterstützen, damit sie sich selbst helfen können . Deutschland geht mit den Dreieckskooperationen mit einem guten Beispiel voran . Wir übernehmen mehr Ver- antwortung in der Welt . Aber wir müssen auch die ande- ren Mitgliedstaaten der EU einbeziehen . Die Europäische Union braucht eine gemeinsame Vi- sion, wir müssen uns neu aufstellen . Auf neue Herausfor- derungen müssen wir neue Antworten geben . Unsere gemeinsame Außenpolitik muss unter den Mitgliedsländern der EU abgestimmt werden . Wir dür- fen nicht so lange warten, bis in dem Vakuum, das die Vereinigten Staaten mit ihrer Außenpolitik in der Region hinterlassen, kein Platz mehr für Europa, für Deutschland bleibt . Wenn wir uns jetzt zurückziehen und die schwä- cheren Länder der Region nicht unterstützen, werden wir später nicht mehr die Möglichkeit haben, dies nachzu- holen . Die Entwicklung der Region muss vorangetrieben werden . Die strategische Partnerschaft mit den Ländern muss gewährleistet werden . Um nachhaltige Ergebnisse zu erreichen, lehrt diese Konstellation die Länder, eigene Verantwortung zu über- nehmen und ihr Schicksaal selber in die Hand zu nehmen . Deutschland leistet eine hervorragende Arbeit; die muss zukünftig unterstützt werden . Stefan Rebmann (SPD): Im vergangenen Jahr wur- de die Wirtschaftsgemeinschaft ASEAN Economic Com- munity (AEC) gegründet . Rund 630 Millionen Menschen leben in den Mitgliedstaaten der Association of South- East Asian Nations (ASEAN) . Mit rund 2,3 Billionen US-Dollar an erwirtschaftetem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Jahr reichen die ASEAN-Mitgliedstaaten fast an die Wirtschaftsleistung Großbritanniens, der sechst- größten Volkswirtschaft der Welt, heran . Prognosen ge- hen davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum der ASEAN bis 2030 auf 10 Billionen US-Dollar vergrößert . Aber nicht nur das beeindruckende Wirtschaftswachs- tum macht die ASEAN zu einer wichtigen Partnerin im asiatischen Raum . Als Staatenbündnis hat sie sich den Menschenrechten sowie den Grundsätzen von Demo- kratie und Rechtsstaatlichkeit verschrieben (ASEAN Charta 2007) . Auch wenn sich die Integrationsprozesse sehr unterscheiden, wird die ASEAN oft mit der Europä- ischen Union verglichen . Unter ihrem Dach haben sich Staaten unterschiedli- cher Kulturen, Religionen und Sprachen, unterschiedli- cher Regierungsformen und unterschiedlicher Entwick- lungen zusammengeschlossen . Während beispielsweise Singapur im Index der menschlichen Entwicklung (HDI) auf Platz 11 liegt, liegt Kambodscha auf Platz 143 von 188 . Oder einfacher gesagt: Während Singapur boomt, leben beispielsweise in Laos immer noch 23,3 Prozent der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze . Die ASEAN-Mitgliedstaaten haben ein großes Interesse, dieses Development Gap zu schließen, und sind daher an deutschen Erfahrungen in der Entwicklungszusammen- arbeit interessiert . Vermehrte trilaterale Kooperationen im südostasiatischen Raum können ein Mittel sein, Ent- wicklung zu fördern und die Unterschiede zwischen den Staaten zu verringern . Eine trilaterale Partnerschaft besteht aus einem tradi- tionellen Geberland, einem Schwellenland als weiterem Geberland und einem Entwicklungsland als Nehmerland . Aus dieser Konstellation ergibt sich eine besondere Form des Wissenstransfers, und zwar für alle Beteiligten . Die trilaterale Partnerschaft bricht somit die traditionellen Geber-Nehmer-Strukturen auf und ermöglicht ein ge- meinschaftliches Arbeiten auf Augenhöhe . Das Instru- ment wird in der deutschen Entwicklungszusammenar- beit bereits seit circa 30 Jahren eingesetzt und hat sich bewährt . Deshalb ist es wünschenswert, dass bestehen- de Dreieckskooperationen mit ASEAN-Mitgliedstaaten weiter ausgebaut werden und, wo noch nicht vorhanden, neue Kooperationen aufgebaut werden . Eine besondere Herausforderung, die unter anderem aufgrund der großen wirtschaftlichen Unterschiede zwi- schen den ASEAN-Mitgliedstaaten besteht, sind men- schenunwürdige Arbeitsbedingungen und Menschen- rechtsverletzungen . So werden immer wieder Fälle von Zwangsarbeit auf thailändischen Fischfangkuttern be- kannt . Daher ist bei Maßnahmen der trilateralen Partner- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21025 (A) (C) (B) (D) schaft darauf zu achten, dass Menschenrechts-, Sozial- und Umweltstandards eingehalten und gefördert werden . Durch den Ausbau der trilateralen Partnerschaften im südostasiatischen Raum werden Strukturen im Sinne des UN-Nachhaltigkeitsziels 17 – „global partnerships for sustainable development“ – geschaffen, die eine Ent- wicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe fördern und die Nord-Süd- und Süd-Süd-Bindung stärken . Dieser Antrag ist ein erster Schritt dazu . Niema Movassat (DIE LINKE): In der deutschen Entwicklungszusammenarbeit finden trilaterale Partner- schaften bis heute zu wenig Beachtung . Dabei birgt die gezielte Zusammenarbeit zwischen einem etablierten Ge- berland, einem Schwellen- und einem Entwicklungsland großes Potenzial . Länder wie Indien oder China kämpfen bis heute trotz großer Entwicklungsschritte vor allem in ländlichen Regionen immer noch mit mangelnder Basis- infrastruktur . Oft fehlt es großen Teilen der Bevölkerung an Zugang zu Strom, fließendem Wasser und Verkehrs- wegen, aber auch zu Schulen und Krankenhäusern . Wo es im globalen Sünden am Gemeinwohl der ei- genen Bevölkerung interessierte Regierungen gibt, sammelt man die besten Erfahrungen in konkreter Ent- wicklungspolitik . In den Industriestaaten ausgebildete Top-Experten mögen hochqualifizierte Studienabschlüs- se vorweisen – haben aber in der Geschichte der Entwick- lungszusammenarbeit in zahllosen Projekten bewiesen, dass ihre Konzepte den harten Praxistest im Alltag vieler Entwicklungsländer nicht bestehen . Mit Entwicklungs- und Schwellenländern gemeinsam geplante, finanzierte und implementierte Kooperationsprojekte hingegen ha- ben den Vorteil, sich meist bereits in der Realität bewährt zu haben . Deshalb sind sie unter Umständen nicht nur wirkungsvoller als herkömmliche Entwicklungspartner- schaften, sondern tragen auch in besonderem Maße zu mehr „Augenhöhe“ in der Entwicklungspolitik bei, weil sie die eigenen Erfahrungen der Länder des Südens be- sonders berücksichtigen . Es ist deshalb richtig, dass der vorliegende Antrag der Regierungskoalition eine Evaluierung der bisheri- gen Dreieckskooperationen mit deutscher Beteiligung fordert . Es ist ebenso richtig, zu fordern, neue trilate- rale Partnerschaften in strategisch wichtigen Bereichen aufzunehmen, wenn sich dadurch entwicklungspoliti- sche Synergieeffekte erzielen lassen . Insgesamt wirkt der Antrag jedoch seltsam unausgegoren und beliebig zusammengestückelt . Der Abschnitt über Drogenanbau im Grenzgebiet zwischen Thailand, Laos und Myanmar etwa fügt sich nicht in den restlichen Text ein und lässt den Leser ratlos zurück, auch weil sich dieser Aspekt im Forderungsteil nirgends wiederfindet. Die ASEAN-Gruppe besteht heute aus Thailand, In- donesien, Malaysia, den Philippinen, Singapur, Brunei, Vietnam, Myanmar, Laos sowie Kambodscha und um- fasst rund 600 Millionen Einwohner . Ohne Zweifel sind die Unterschiede bei den Lebensbedingungen zwischen etwa Malaysia und Myanmar gewaltig, und das prädesti- niert die Region für trilaterale Partnerschaften . Dennoch stellt sich sehr die Frage, warum der vorliegende Antrag in weiten Teilen ausschließlich auf die ASEAN-Staaten fokussiert . Trilaterale Entwicklungszusammenarbeit kann auch in anderen Weltregionen sinnvoll sein . Besonders großes Potenzial hätte zum Beispiel ein trilaterales Abkommen im Gesundheitsbereich zwischen der Bundesrepublik, Kuba und den von Ebola heimge- suchten Ländern Afrikas . Die Notwendigkeit des Auf- baus kostenloser Basisgesundheitssysteme ist nach ein- helliger Expertenmeinung eine der Hauptlehren aus der Krise . Kein anderes Land weltweit hat größere Erfah- rungen darin, mit sehr bescheidenen finanziellen Mitteln so große gesundheitspolitische Erfolge zu erreichen, wie Kuba . 2015 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Kuba zum ersten Land der Welt, in dem es keine Übertragungen von HI- und Syphilisviren von Müttern auf Kinder mehr gibt . „Der Stopp der Übertragung ei- nes Virus ist einer der größten Schritte im Gesundheits- bereich“, erklärte WHO-Chefin Margaret Chan damals. Die Kindersterblichkeitsrate ist in Kuba niedriger, die Lebenserwartung höher als in den USA – obwohl in den Vereinigten Staaten pro Kopf im Durchschnitt rund 46-mal so hohe Gesundheitskosten entstehen wie auf der Karibikinsel . Kubanische Ärzte helfen bereits heute in aller Welt und sind besonders in Entwicklungsländern sehr erfolgreich . Angesichts der großen gesundheits- politischen Ziele der SDG-Agenda und der veränder- ten politischen Gesamtlage sollte die Bundesregierung dringend auf Kuba zugehen und die Möglichkeiten einer Dreieckskooperation mit Ländern ohne funktionierendes Basisgesundheitssystem eruieren . Kein anderes Land der Welt hat größere Erfahrung als Kuba darin, mit geringen finanziellen Mitteln für möglichst viele Menschen das Grundrecht auf Gesundheit zu realisieren . Es wird Zeit, dieses Potenzial auch anderen Ländern zur Verfügung zu stellen – Deutschland könnte hier eine internationa- le Vorreiterrolle einnehmen, was vorbildliche trilaterale Partnerschaften angeht . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wenn ich heute als Vorsitzender der ASEAN-Par- lamentariergruppe in die Debatte eingreifen darf, freut mich das besonders . Denn ich sehe es als meine vor- nehmste Aufgabe an, die traditionell guten Beziehungen zwischen Deutschland und den ASEAN-Staaten weiter zu fördern . Der vorliegende Entschließungsantrag „Tri- laterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen“ dient diesem Ziel. Er fin- det deshalb die volle Unterstützung meiner Fraktion und auch durch mich persönlich . Der Antrag fordert die Bundesregierung auf, insbe- sondere durch trilaterale Partnerschaften das Entwick- lungsgefälle zwischen den weniger und den höher entwi- ckelten ASEAN-Mitgliedstaaten zu verringern . Sie soll dabei auf die guten und vertrauensvollen Beziehungen zu den einzelnen Partnerstaaten aufbauen . Dieses geschieht vor dem Hintergrund sehr enger und vertrauensvoller Beziehungen der Bundesregierung und vor allem der Deutschen Gesellschaft für Internationa- le Zusammenarbeit (GIZ) GmbH zu den Ländern der ASEAN-Region . Aber auch zu anderen Ländern der Re- gion und dortigen Institutionen wie zum Beispiel der Asi- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621026 (A) (C) (B) (D) an Development Bank (ADB) und der Asian Investment Infrastructure Bank (AIIB) bestehen gute Beziehungen . Erst gestern hatten wir einen der Direktoren der AIIB im Finanzausschuss . Er berichtete uns vom Fortschritt bzw . von dem Aufbau dieser noch sehr jungen Entwicklungs- bank . Mit Genugtuung haben wir zur Kenntnis genom- men, dass der Aufbau dieser Bank zu einer unabhängigen und souverän agierenden Förderbank planmäßig voran- schreitet und die chinesische Staatsführung die Unabhän- gigkeit dieser Bank respektiert . Damit ist die Vorausset- zung geschaffen, um mit einem weiteren unabhängigen und an westlichen Standards ausgerichteten Akteur die wichtige Finanzierung von Projekten in der Region zu stützen . Der Antrag fordert, Partnerschaften zwischen den ASEAN-Staaten zu initiieren und zu fördern . Zweifellos eine wichtige Aufgabe . Die Umsetzung muss dabei in die Initiativen und Maßnahmen der ASEAN Economic Com- munity (AEC) eingebettet werden, einer Initiative, die zwar mit viel Elan gestartet war, um einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen, aber in der Umsetzung doch noch sehr zögerlich voranschreitet . Eine Zusammenar- beit unter den ASEAN-Staaten kann nur dann erfolgen, wenn sehr pragmatisch gemeinsame Interessen herausge- arbeitet werden können . Das Ziel muss sein, sektorbezo- gen eine intensivere strategische und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen einzelnen ASEAN-Staaten und Deutschland, aber auch mit Drittländern aus der Re- gion wie Japan, Australien oder auch Taiwan – es würde den Rahmen dieser Debatte sprengen, auf die Stellung Taiwans zwischen den beiden Großmächten USA und China einzugehen – zu organisieren . Es ist kritisch ange- merkt worden, dass Zusammenarbeit im Sinne von „joint programming“ nicht unbedingt die Stärke bisheriger von Deutschland getragener Projekte sei – umso mehr ist der vorliegende Antrag zu unterstützen . In der partnerschaftlichen Zusammenarbeit macht es Sinn, sich zu konzentrieren, Schwerpunkte zu setzen . Ich will hier drei Themen ansprechen, die besondere Auf- merksamkeit verdienen: Erstens . Bezüglich Rechtsstaatlichkeit muss und soll sich Deutschland eindeutig verhalten: Menschenrechts- verletzungen und fehlende Rechtsstaatlichkeit müssen klar benannt werden . Ob bei Menschenrechtsverletzun- gen gegenüber den Rohingha in Myanmar, der fehlenden Rechtsstaatlichkeit der Militärregierung in Thailand, der autoritären Führung durch Hun Sen in Kambodscha, der Korruption bis hin in die Regierungsspitze in Malaysia, der fehlenden Rechtstaatlichkeit des unsäglichen „war against drugs“ des Präsidenten Duterte in den Philippi- nen oder der nicht geregelten Anwendung der Scharia in der Region Aceh in Indonesien – diese Vorgänge müssen in den Gesprächen und in der Öffentlichkeit offen ange- sprochen werden . Dabei muss dies nicht mit der Drohung der Sanktionen verbunden werden, vielmehr muss den Regierenden in den einzelnen Staaten vermittelt werden, dass nur eine stabile, demokratische und von der Person unabhängige rechtsstaatliche Ordnung eine mittel- und langfristige Stabilität versprechen, die eine notwendige Basis für die Zusammenarbeit und am Ende auch für In- vestoren die entscheidende Voraussetzung für eine positi- ve Investitionsentscheidung ist . Die Bundesregierung ist aufgefordert, geeignete Projektangebote zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Bekämpfung von Korrupti- on weiter zu entwickeln . Diese Angebote müssen sowohl Justiz, Behörden und Verwaltung, aber auch die Zivilge- sellschaft einbinden . Zweitens . Mit der Förderung von Bildung rennen wir mit Sicherheit offene Türen in allen Staaten der ASEAN-Region ein . Hier wird es nach meiner Einschät- zung auf drei Schwerpunkte ankommen: erstens die För- derung einer breiten schulischen Bildung in den am we- nigsten entwickelten Ländern . Das bedeutet schlicht eine Verbesserung der Einkommenssituation der Lehrer – und dazu bedarf es aber stabiler Einnahmen des Staates, also eine umfassende Aufgabe . Zweitens: die Förderung von beruflicher Bildung und da ganz besonders die Übertra- gung des entscheidenden Elementes der deutschen du- alen Ausbildung – daher ja der Name –: der parallelen Ausbildung in Schule und Unternehmen/Verwaltung . Drittens: der Studentenaustausch in der Region, das heißt nicht Förderung der akademischen Ausbildung in den westlichen Hochschulen, sondern Austausch unter- einander – also: indonesischer Student in Bangkok oder vietnamesischer Student in Manila usw . Das europäische ERASMUS-Programm liefert hier ein respektables Vor- bildprojekt . Drittens . Zentrales Entwicklungsthema ist eine ver- lässliche und klimaschonende Energieversorgung . Dabei ist entscheidend, die Nutzung fossiler Energieträger zu begrenzen . Der Öl- und Kohlereichtum der Region hat dazu geführt, dass fossile Energieträger nicht nur heu- te, sondern auch in den Planungen für die Zukunft eine bedeutende Rolle spielen . Weit mehr als 50 Prozent der Primärenergie stammt aus diesen Energieträgern, gera- de bei der Kohle mit einem erschreckenden Wachstum . Vor dem Hintergrund der Prognosen, dass die Erderwär- mung gerade in den ASEAN-Ländern verheerende Aus- wirkungen haben wird – ich erinnere an die schlimmen Folgen des El Niño in Indonesien im letzten Jahr –, ist dies ein fataler Irrweg . In Südostasien wird möglicher- weise das erste Mal ein „Kippmomentum“ eintreten, wie die Klimaforscher das nennen, mit nicht vorhersehbaren Auswirkungen: Für Indonesien wird ein vollkommen verändertes, trockenes Klima vorhergesagt – so wie es 2015 geschehen ist und zu dramatischen Ernteeinbußen geführt hat . Auch wenn man argumentieren kann, dass die Menschen in der Region sich darauf einstellen wer- den (müssen), so wird dies aber mit sehr hohen Kosten verbunden sein . Umso mehr muss es darauf ankommen, die in Paris beschlossenen Maßnahmen zur Reduktion von fossilen Energieträgern gerade auch in der Region der ASEAN-Staaten umzusetzen . Vor dem Hintergrund der weitgehend ungenutzten erneuerbaren Energiequel- len in der Region, sei es Windenergie, Sonnenenergie, Biomasse oder geothermische Energie, sollte ein umfas- sendes Programm „Renewable Energy for ASEAN“ auf- gelegt werden . Dies muss sowohl die Finanzierungsfrage als auch Anlagenbau, Fachausbildung und Infrastruktur umfassen . In vielen und regelmäßigen Gesprächen mit Vertretern aus der Region der ASEAN-Staaten ist deut- lich geworden, dass bei den erneuerbaren Energien hohe Erwartungen an Deutschland gestellt werden . Auch wenn Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21027 (A) (C) (B) (D) wir Grüne die schleppende und unambitionierte Umset- zung der Energiewende in Deutschland aus guten Grün- den kritisieren – wir haben immer noch einen hohen Ver- trauensvorschuss gerade auch der ASEAN-Staaten . Eine deutsche Unterstützung wird deshalb geradezu erwartet . Erfreulicherweise nehmen einzelne Akteure wie die AIIB die von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages vorgetragene Forderung nach Nichtförderung fossiler und nuklearer Energieträger ernst . Dies ist aber nicht bei allen Akteuren der Fall – wie ich als Vorsitzender der ASEAN-Parlamentariergruppe bei Gesprächen in Indo- nesien noch in diesem Oktober erfahren konnte . Hier ist ein Umdenken erforderlich . Eine veränderte Strategie mit einem dezentralen Ausbau der Energieversorgung auf der Basis erneuerbarer Energien würde im Übrigen Chancen für den deutschen Mittelstand eröffnen . Dieser ist aber in der Energiebranche in der Region noch nicht wirklich vertreten . Damit ließe sich noch deutlich stärker „deutsches Know-how nutzen“, wie es der Antrag der Koalition fordert . Hier noch stärker zu fördern, wird eine wichtige Aufgabe auch der deutschen Entwicklungszu- sammenarbeit sein . Ich würde mich freuen, wenn es der Bundesregierung gelingt, mit einer konzertierten Aktion bei den „erneuer- bare Energien für ASEAN“ in der Zusammenarbeit der Staaten und mit den entsprechenden Institutionen we- sentliche Entwicklungsimpulse in den ASEAN-Staaten zu setzten . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird entsprechende Maßnahmen weiterhin mit voller Kraft und Überzeugung unterstützen . Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wissenschaftskooperation mit Partnern in Subsahara-Afrika stärken (Tages- ordnungspunkt 23) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Wenn heute im allgemeinen Sprachgebrauch von Europa die Rede ist, hat dies unter anderem damit zu tun, dass wir trotz al- ler Unterschiede und obwohl wir teilweise nicht in allen Belangen mit einer Stimme sprechen, in wirtschaftli- chen, politischen, rechtlichen und zunehmend auch ge- sellschaftlich-sozialen Bereichen die Einheit in Vielfalt leben . Die sprichwörtliche Vielfalt und die nationalen Eigenheiten sind dabei ein konstitutives Kontinuum un- seres Erfolges . Kommt die Rede hingegen auf Afrika, entsteht ge- danklich jedoch leider oft ein monolithischer Block, in dem nationale, regionale und auch kulturelle Besonder- heiten unterzugehen drohen . Dass wir im heute debattier- ten Antrag dagegen von „Partnern in Subsahara-Afrika“ sprechen, zeigt, dass wir uns beim Ausbau der Wissen- schaftskooperationen dieser Unterschiede durchaus be- wusst sind und individuelle Ansätze je nach den im je- weiligen Land vorzufindenden Bedingungen anwenden. Allein die Vielzahl der Ressorts, Akteure und Mittler- organisationen, die in die Umsetzung von Afrika-zent- rierten Strategien eingebunden sind, zeugt von unserem multidimensionalen und Multi-Ebenen-Ansatz . Hier gilt es, zukünftig die Aktivitäten von BMBF, BMZ, AA und BMEL sowie weiterer Ministerien auf der einen und die Programme und Projekte der Mittlerorganisationen wie dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, der Deutschen For- schungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft noch stärker aufeinander und auf die Voraussetzungen vor Ort abzustimmen . Mit besonderem Nachdruck möchte ich einen Passus betonen, der für unsere gesamte auswärtige Bildungspo- litik gelten sollte: „Es geht dabei nicht um einen Nord- Süd-Transfer von wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern darum, einen guten Rahmen für das gemeinsame Erar- beiten von Lösungen zu finden.“ Erfolgreiche Koopera- tionen, ob sie nun in der Wissenschaft, in der Wirtschaft oder auf gesellschafts- und entwicklungspolitischer Ebene stattfinden, müssen sich immer an der Realität orientieren . Diese von Deutschland und von Europa aus an Annahmen entlang zu entwerfen, ist ein Ansatz, den wir vor dem Ziel einer guten partnerschaftlichen Koope- ration nicht mehr leisten können, aber auch nicht mehr leisten wollen . Die Beispiele der erfolgreichen Fachzentren Afrika, die Kooperationen zwischen deutschen und Hochschulen unter anderem in Südafrika, Ghana, Namibia, Tansania und Kongo fördern, zeigen, dass Bereiche wie Mikro- finanzen, Ressourcenmanagement, Bildungsforschung und weitere aus den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort anders gedacht werden müssen, ohne dabei überkomme- nen europäischen Entwicklungspfaden zu folgen . Von besonderer Bedeutung auch für die Nachhaltig- keit der entstandenen Kooperationen ist zudem der Trans- fer wissenschaftlicher Ergebnisse in die Praxis, also der Aufbau funktionierender Cluster aus Hochschulen, Wirt- schaft und gesellschaftlichen Akteuren . Auf Grundlage der Ergebnisse der afrikazentrierten Bildungsforschung kann beispielsweise mit wesentlich höherer Wahrschein- lichkeit entlang der Bedarfe der Bevölkerung und der Wirtschaft vor Ort an selbsttragenden Systemen guter beruflicher Bildung gebaut werden, als dies nur auf Basis europäischer Forschungsergebnisse möglich wäre . Ich begrüße es ausdrücklich, dass bereits 2013 eine Absichtserklärung zwischen BMBF und dem südafri- kanischen Ministerium für Hochschulwesen und Aus- bildung (DHET) zur Kooperation in der Berufsbildung unterzeichnet wurde, deren Ziel es unter anderem ist, die Ausbildung dort praxisnäher zu gestalten und in den kommenden Jahren mit dem South African Institute for Vocational and Continuing Education and Training (SAIVCET) ein Berufsbildungsinstitut aufzubauen . In diesem Rahmen ist es unumgänglich, mit allen na- tionalen und regionalen Partnern südlich der Sahara die Voraussetzungen für allgemeine, berufliche und hoch- schulische Bildung zu verbessern, um der wachsenden jungen Bevölkerungsschicht die Möglichkeit zu eröff- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621028 (A) (C) (B) (D) nen, die oft beschworenen Potenziale des Kontinents der Chancen auch wahrzunehmen . Letztlich können auch wir in Europa, in unserer ge- meinsamen Vielfalt aus den wissenschaftlichen Erkennt- nissen in und aus Afrika lernen – angefangen bei einer sinnvollen und nachhaltigen Ressourcennutzung bis hin zum gesellschaftlichen und politischen Umgang mit Transformationsprozessen . Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Es wird oft gesagt, dass wir als Europäer und Deutsche ein sehr einseitiges Bild von Afrika pflegen. Erst einmal täuscht natürlich dieser Begriff „Afrika“, der eine solche Viel- zahl an Sprachen, Religionen und Kulturen dieses großen Kontinents in eins fasst, über die vielfältige Wirklichkeit hinweg . Und dann überwiegen doch in unserer Wahr- nehmung die Krisenmeldungen, die uns von dort errei- chen . Oft zitiert wird Henning Mankell: „Wenn wir uns am Bild der Massenmedien orientieren, lernen wir heute alles darüber, wie Afrikaner sterben, aber nichts darüber, wie sie leben .“ Das stimmt . Ich meine, wir sollten uns die Mühe machen, auch aus einer anderen Perspektive auf diesen Kontinent zu blicken . Ich will einige Versuche dazu machen, ein anderes Bild von Afrika zu zeigen . Erstens . Als Bildungspolitikerin sehe ich es natürlich so: Das größte Potenzial, das Afrika zu bieten hat, ist seine junge Generation . Schon heute ist die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung jünger als 18 Jahre, und bis zum Jahr 2050 wird sich die Bevölkerung verdoppeln auf dann über 2 Milliarden Menschen . Sie alle brauchen eine gute Bildung als Voraussetzung, um dieses Potenzi- al auch zu entfalten . Das Hochschul- und Wissenschafts- system spielt dabei eine entscheidende Rolle: für Leh- rerbildung und damit für qualitätsvolle Schulbildung, für Hochschullehrernachwuchs und damit relevante Studien- angebote, die arbeitsmarktorientiert ausbilden und For- schungsleistungen ermöglichen, die neue Lösungen für die wirtschaftliche, aber auch die gesellschaftliche Ent- wicklung bringen . Außerdem bieten Hochschulen auch wissensbasierte Beratung für Politik und Verwaltung an . Zweitens . Als Forschungspolitikerin bin ich beein- druckt von Innovationen, die in Afrika erdacht wurden: zum Beispiel die Erfindung aus Kenia, „m-Pesa“, was auf Suaheli „mobiles Geld“ bedeutet . Per SMS können afrikanische Mobilfunkkunden – und ein Handy besit- zen die allermeisten Menschen dort – Geld überweisen, auch wenn sie kein Bankkonto besitzen . Das war die Ursprungsidee . Über die letzten Jahre wurde dies immer praktischer: Man kann im Supermarkt per Handy be- zahlen, seine Stromrechnung begleichen, sogar günstige Kleinkredite bei Banken anfragen . Oder eine Idee, die zurzeit in Ruanda erprobt wird: Um Medikamente und Blutkonserven trotz mangelnder Infrastrukturen dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden, verschickt man sie hier mit Drohnen . Da finden technologische Sprünge statt, in denen Zwi- schentechnologien, wie wir sie nutzen, einfach ausgelas- sen werden . Darüber sollten wir auch einmal reden, wenn wir von Afrika sprechen! Es zeigt ein anderes Bild von Afrika! Ich bin überzeugt, dass wir die Herausforderungen der Zukunft nur gemeinsam als Partner lösen können: aus dem globalen Norden und Süden, mit den jeweiligen He- rangehensweisen und Ideen . Spitzenforschung lebt vom Austausch der Ideen, von verschiedenen Blickwinkeln . Wissenschaft bietet sich hervorragend dazu an, gemein- same Lösungen zu finden für die großen globalen He- rausforderungen . Ob es um Folgen des Klimawandels oder die Behandlung global bedrohlicher Krankheiten geht – wir benötigen gemeinsam erarbeiteten Erkenntnis- gewinn . So hilft Wissenschaft, etwas zu tun, das von der Politik oft gefordert wird: nämlich, die Globalisierung aktiv und positiv zu gestalten . Darum fördert die Bun- desregierung internationale Kooperationen in Forschung und Wissenschaft . In unserem Antrag heute nehmen wir Subsahara-Af- rika in den Blick, eine Region, die uns nicht unbedingt einfällt, wenn wir an Spitzenforschung oder erstklassige Hochschulausbildung denken . Gemeint sind alle afrika- nischen Staaten außer den fünf arabisch geprägten Län- dern am Mittelmeer . Und es stimmt schon: Die Hoch- schulen dort, die Bildungs- und Wissenschaftssysteme sind an vielen Stellen dringend ausbaubedürftig . Ein Beispiel, wo wir bereits unterstützen: Mit 1 000 Stipen- dien fördern wir die qualitätsvolle Ausbildung von Hoch- schullehrern . Künftig wollen wir die Lehrqualität auch steigern, indem wir afrikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in aller Welt arbeiten, als soge- nannte „flying faculties“ für kurzzeitige Lehraufträge an Hochschulen in ihren Heimatländern gewinnen . Es gibt aber auch jetzt schon eine Reihe von erfolg- reichen Kooperationen deutscher Institutionen mit Part- nern aus Subsahara, auch in der Forschung . Zum Beispiel die Klimakompetenzzentren in West- und dem südlichen Afrika . Dort wird erforscht, wie die Landnutzung den Folgen des Klimawandels so angepasst werden kann, dass es trotz zunehmender Dürren noch Ernten geben kann und Artenvielfalt möglichst erhalten wird . Das Besondere ist, dass die Erkenntnisse der Wissenschaft gleich an die ansässigen Bauern und lokalen Verwaltun- gen so weitergegeben werden, dass sie sie nutzen kön- nen . Da entsteht Expertise bei afrikanischen Forschern, die von der lokalen Gesellschaft gleich angewandt wird . Und zum Schluss ein kühner Blick in die Zukunft: Stellen Sie sich vor, der nächste Einstein käme zum Bei- spiel aus dem Senegal . Es gibt schon eine Initiative, die mathematische Forschung in Subsahara-Afrika stärken will . Wir fördern den Aufbau neuer Lehrstühle, und viel- leicht studiert oder forscht der nächste Einstein bereits dort . Wir halten dieses Ziel für durchaus realistisch . Das eröffnet doch ein ganz anderes Bild von Afrika! Dr. Daniela De Ridder (SPD): Mit dem heute vorlie- genden Antrag zur Stärkung der Wissenschaftskoopera- tionen in Subsahara-Afrika bringen wir eine außen- und bildungspolitische Initiative voran und leisten einen ele- mentaren Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen . Wie unser Außenminister Dr . Frank-Walter Steinmeier stets betont, ist die Welt auf immer deutlichere und spür- bare Weise aus den Fugen geraten . Wer Krisen bewäl- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21029 (A) (C) (B) (D) tigen, Konflikte lösen und Frieden herstellen oder bei- behalten will, muss auf einen Soft-Power-Ansatz bauen . Internationale Solidarität und Zusammenarbeit, die durch militärische Bedrohungen, ökonomische Zwänge verhin- dert werden, lassen sich – so hat es der Politikwissen- schaftler Joseph Nye immer wieder betont – eben doch nur durch kulturelle und bildungspolitische Zusammen- arbeit herstellen oder erhalten . Dann bedarf es politischer Werte und einer intelligenten auswärtigen Politik, wie sie das Auswärtige Amt, AA, – allen Horrorszenarien zum Trotz – aktuell mit Bravour betreibt . Da steht es der Großen Koalition gut zu Gesicht, sich im Interesse der Friedenssicherung in den unterschiedli- chen Politikfeldern stärker zu vernetzen . Wissenschafts-, Bildungs- und Hochschulpolitik müssen in Anbetracht der weltweiten Verantwortung immer auch Wirtschafts-, Entwicklungs- und Außenpolitik in den Blick nehmen . Unser ressortübergreifender Antrag wird genau dieses Anliegen stärken . Mit diesem weit über die Bildungspo- litik hinausreichenden Bestreben wollen wir gerade die armen Länder stärken und ihnen durch Bildungs-, For- schungs- und Hochschulpolitik neue Chancen eröffnen . Das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für Bil- dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, BMBF, und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung, BMZ, sowie die weiteren Ressorts stehen zu ihrer Verantwortung . Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass wir für eine verantwortungs- volle Außen- und Entwicklungspolitik mehr tun müssen, als ausschließlich auf Sicherheitskooperationen zu set- zen . Daher haben wir uns in der Großen Koalition ver- tiefend der Frage gewidmet, was wir für eine effektive Stabilisierung von Ländern und Regionen in Afrika tun können . Dieser Antrag macht unsere zukunftsweisenden Ant- worten deutlich: Eine nachhaltige und zugleich globale Strategie für die Schaffung von Versorgungssicherheit, ein funktionierendes Sozialsystem, eine starke Wirt- schaft und demokratische Strukturen müssen auf Bildung fußen . Reiche Länder wie Deutschland müssen ein Fun- dament schaffen und damit die Hilfe zur Selbsthilfe in den Ländern des Südens stärken . Daher setzen wir neben dem Austausch von Nachwuchskräften in Bildung, Wis- senschaft und Wirtschaft vor allem auf den institutionel- len Aufbau von internationalen Bildungsstrukturen . Der Deutsche Akademische Austauschdienst, DAAD, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, AvH, sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, sind wichtige Mittler- und Partnerorganisationen für eine grenzüber- schreitende Bildungs- und Wissenschaftspolitik . Sie un- terstützen bereits seit längerem den Austausch von Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Stärkung von Forschung und Entwicklungsvorhaben sowie den Aufbau von Strukturen . Ihr Beitrag ist besonders wert- voll . Lassen Sie mich betonen, dass wir eine starke und ressortübergreifende Strategie für die Stärkung des Aus- tausches der zukünftigen Generationen durch den Auf- bau von transnationalen Bildungskooperationen auf den Weg gebracht haben . Dies wollen wir nun maßgeblich erweitern . Die Vereinten Nationen verfolgen mit der Umsetzung der Sustainable Development Goals, SDGs, einen ganz- heitlichen Ansatz für eine stabile und friedenspolitisch höchst wertvolle Zukunft auf unserem Planeten . Bildung nimmt dabei die zentrale Rolle ein, da nur sie zur Au- tonomie und Prosperität und damit zum Empowerment befähigen und es konsolidieren kann . Daher müssen zwei Aspekte besonders berücksichtigt werden: Erstens gilt es, die Abwanderung qualifizierten Perso- nals aus den Staaten der Subsahara zu vermeiden . Ein „Braindrain“ muss unbedingt vermieden werden . Daher gilt es, auf die richtigen Anreize für einen Verbleib von qualifizierten Fachkräften sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zum Aufbau lokaler Strukturen zu setzen . Fachkräfte müssen in den Ländern Subsaharas qualifiziert und mit Arbeitsplätzen in ihren Heimatlän- dern versorgt werden . Zweitens müssen sich transnationale Bildungskoope- rationen an den konkreten Bedarfen der heimischen Ge- sellschaften orientieren . Im hochschulischen Bereich ist es daher existenziell, dass das Augenmerk auf das Modell der angewandten Forschung und Lehre gelegt werden muss, wie es etwa unsere Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften auch in Kooperation mit den Ländern Afrikas anbieten können . Wenn es uns gelingt, neben den Institutionen und den Chancen zum Austausch die nötigen Rahmenbedin- gungen für eine nachhaltige Entwicklung zu etablieren, können wir eine stabile, friedliche und sozial gerechte Zukunft auch international verwirklichen . Für die Grund- lage einer auf Bildung und Wissenschaft aufbauenden Entwicklungspartnerschaft wollen wir daher ganz kon- krete Anliegen umsetzen . So heißt die primäre Devise: Erstens bestehende Stipendienprogramme weiterfüh- ren und ausbauen . Wir fördern bereits mit 1 000 zusätz- lichen Stipendien für angehende Hochschullehrerinnen und -lehrer die hochschulischen Bildungsstrukturen und schaffen mit den Programmen von DAAD und AvH die Chancen zum personellen Austausch . Mit unserem An- trag leiten wir den Ausbau und die Erweiterung der Pro- gramme ein . Zweitens wollen wir institutionelle Förderung nicht nur über die hervorragende Arbeit der Grünen Innova- tions- sowie Fachzentren in Afrika weiter voranbringen, sondern darüber hinaus eine Hochschule für angewand- te Wissenschaften in Kenia nach dem Beispiel der Ger- man-Jordanian-University etablieren . In diesem Sinne gilt es, akademische Bildung entlang der Bedarfe der Gesellschaft im Subsahara-Raum zu kreieren . Drittens bekennen wir uns zur Stärkung und Ent- wicklung von Partner- und Forschungsnetzwerken in Subsahara-Afrika und setzen auf einen transnationa- len Ansatz . Hierbei gilt es, verstärkt die Mittlerorgani- sationen wie DFG, Max-Planck-Gesellschaft, MPG, Helmholtz-Gemeinschaft, HGF, Leibniz-Gemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, FhG, sowie DAAD und AvH Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621030 (A) (C) (B) (D) mit einzubeziehen und eine kohärente ressortübergrei- fende Politik abzustimmen . Mit dem vorliegenden Antrag nehmen wir unsere Verantwortung wahr, eine Entwicklungspartnerschaft auf Augenhöhe weiterzuentwickeln und zu stärken . Wir kommen damit unserer globalen Verantwortung nach, einen nachhaltigen Beitrag für die Bekämpfung von Fluchtursachen zu leisten, auch wenn der vor uns liegen- de Weg noch sehr steinig sein mag . Ich bin guten Mutes, dass wir auch in Zeiten schwe- lender Krisen und unmenschlicher Kriege unserer Ver- antwortung gerecht werden können . Daher möchte ich mich bei allen beteiligten Kolleginnen und Kollegen und insbesondere bei der Kollegin Dr . Claudia Lücking- Michel sowie bei meinem Kollegen Dr . Karamba Diaby herzlich für die geleistete Arbeit bedanken und wünsche Ihnen eine friedvolle Weihnachtszeit, damit wir im kom- menden Jahr unsere wichtigen Aufgaben mit Bravour meistern können . Nicole Gohlke (DIE LINKE): Die Koalition hat hier einen ausführlichen Antrag zur Wissenschaftskooperati- on mit Partnern in Subsahara-Afrika vorgelegt, der lei- der einer ernsthaften Beschäftigung mit den Problemen dieser ärmsten Region der Welt überhaupt nicht gerecht wird: Im dritten Satz Ihres Antrages schreiben Sie: „Leis- tungsfähige Hochschulsysteme sind wesentliche Grund- lage für die Generierung von Wissen und Innovation .“ Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, mit solchen Feststellungen zeigen Sie entweder Ignoranz gegenüber den grundlegenden Problemen in Südsaha- ra-Afrika oder völlige Unkenntnis . Die Realität ist, dass in Afrika südlich der Sahara die Zahl der Kinder ohne Grundschulzugang teilweise wie- der stark ansteigt . Die Alphabetisierungsrate in der De- mokratischen Republik Kongo liegt beispielsweise bei gerade einmal zwei Drittel und ist über die letzten Jahr- zehnte rückläufig. Infolge des Krieges ging der Anteil der kongolesischen Kinder, die eine Schule besuchen, von rund 70 Prozent auf nunmehr etwa 40 Prozent zurück . Die meisten Schulen erhalten keine staatliche Unterstüt- zung, sondern die Eltern müssen die Lehrer und Lehre- rinnen direkt bezahlen, was viele nicht können . Auf eine schriftliche Frage des Kollegen Movassat musste die Bundesregierung 2014 erklären, dass nur 2,25 Prozent der Gelder für die bilaterale Entwicklungs- zusammenarbeit in Grundbildung gehen . Das ist viel zu wenig . Auch die 7 Millionen Euro jährlich an die Globale Bildungspartnerschaft GPE sind viel zu wenig . Die Lin- ke forderte für den Haushalt 2017 einen Aufwuchs auf mindestens 40 Millionen Euro . Selbstverständlich unterstützt die Linke internationale Wissenschafts- und Forschungskooperation, insbesonde- re auch zu Fragen des Klimawandels und seinen Folgen in den verschiedenen Regionen . Aber die Bundesregie- rung hat wirklich kein Recht dazu, sich als Förderin von Bildung und Entwicklung in den ärmsten Ländern der Welt darzustellen . Mit Elite-Stipendienprogrammen, Ex- zellenzzentren und Leuchtturmprojekten leisten Sie eben keinen Beitrag dafür, das Bildungsniveau für die breite Mehrheit zu heben oder die Massenarbeitslosigkeit und die furchtbare Armut in der Region zu bekämpfen . Und natürlich ist auch an dieser Stelle die Verantwor- tung Deutschlands für die Kriege und Konflikte in der Region zu betonen: Als drittgrößter Waffenexporteur der Welt tragen Sie einen großen Teil der Verantwortung da- für, wenn die von deutschen Unternehmen produzierten Waffen im südlichen Afrika eingesetzt werden . Südaf- rika, einer der größten Abnehmer deutscher Waffen, ist nach Beendigung der Apartheid zum Dreh- und Angel- punkt des Waffenhandels avanciert . Wie gesagt, die Linke unterstützt selbstverständlich internationale Wissenschafts- und Forschungszusam- menarbeit . Aber den Problemen in Subsahara-Afrika werden Sie mit diesem Vorgehen in keinster Weise ge- recht . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es keimt Hoffnung auf dem afrikanischen Kontinent . In vielen Ländern wächst die Wirtschaft – allerdings aus- gehend von einem niedrigen Niveau . Deshalb hat Afrika noch einen langen Weg vor sich, um zu anderen Regio- nen der Welt aufzuschließen . Die Risiken sind nach wie vor groß: Einzelnen Ländern und Regionen mangelt es an politischer Stabilität und Good Governance, rechts- staatlichen und demokratischen Strukturen sowie der tatsächlichen Sicherung von Grund- und Freiheitsrechten aller Menschen . Konflikte sind eine der Hauptbedrohungen für das Wirtschaftswachstum Afrikas . Afrika hat viele kluge Köpfe und Talente, immenses kulturelles und kreatives Potenzial. Zugleich fehlen aber qualifizierte Fachkräf- te, mit denen der wirtschaftliche Erfolg verstetigt und gesteigert werden kann . Deutschland muss aus meiner Sicht alles dafür tun, dass aus Hoffnung eine robuste Ent- wicklung zum Wohle aller Menschen auf dem afrikani- schen Kontinent wird . Deutschland muss ein verlässlicher Partner afrikani- scher Länder sein . Diese Absicht sehe ich auch bei der Bundesregierung und auch in dem Antrag „Wissen- schaftskooperation mit Partnern in Subsahara-Afrika stärken“ der Fraktionen von Union und SPD, den wir hier heute in erster Lesung diskutieren . Der Antrag ist stark in der gebündelten Leistungsschau bestehender Koope- rationen . Er fällt deutlich ab, wenn es um Ideen für die künftige Entwicklung nachhaltiger wissenschaftlicher Zusammenarbeit geht . Es hätte gutgetan, den Antrag mit der Expertise aller Bundestagsfraktionen zu erarbeiten . Diese Chance haben Union und SPD verpasst . Wissenschaft, Forschung und Innovation können wichtige Beiträge zur nachhaltigen, gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Entwicklung leisten . Aber es muss auch die Basis stimmen – also die Grund- bildung . Erfreulich ist, dass es neben Wirtschaftswachstum auch teilweise entwicklungspolitische Fortschritte im Sinne der Millennium Development Goals gibt . Acht von zehn Kindern aus Ländern Subsahara-Afrikas besuchten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21031 (A) (C) (B) (D) 2015 eine Grundschule . 2000 waren es nur 60 Prozent . Das zeigt, dass das Entwicklungsziel 100 Prozent noch nicht erreicht ist und weitere Anstrengungen notwendig sind . Zugleich sagt die Beschulungsquote wenig aus über die Bildungsqualität . Das Bekenntnis zu Alphabetisie- rung, Bildung und Qualifizierung als Grundlage gesell- schaftlichen Erfolgs und wissenschaftlichen Fortschritts fehlt dem Antrag der Koalition leider . Durch den vermehrten Schulbesuch wächst die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Ländern südlich der Sahara, die die Schule abschließen, exponentiell . Die Wirtschaft der Länder hat wachsenden Bedarf an Fach- kräften . Beides zieht neue Anforderungen und Heraus- forderungen für die afrikanische Hochschullandschaft und des Ausbildungssystems nach sich . Dafür sind aber nur wenige Staaten der Region gerüstet, zumal die Hoch- schulen in vielen Subsahara-Staaten geprägt sind von jahrzehntelanger Unterfinanzierung, maroder Infrastruk- tur, fehlendem wissenschaftlichen Nachwuchs oder auch der Zerstörung durch kriegerische Auseinandersetzun- gen . Allein schon, um die grundsätzlichen Voraussetzun- gen für Studieren, Lehren und Forschen zu schaffen, ist deutsche Unterstützung gefragt . Deutsche Investitionen in leistungsfähigere Hoch- schulen vor Ort sind sinnvoll, sofern politische Stabilität gegeben ist und ein Land nicht in bürgerkriegsähnliche Zustände abzusinken droht. Wissen schafft Konfliktprä- vention, Frieden, Freiheit und Sicherheit . Es fällt auf, dass sich das deutsche Engagement für engere Wissenschaftskooperation auf dem afrikanischen Kontinent auf einzelne Länder fokussiert, und – umge- kehrt – um einzelne andere einen Bogen macht . Sich „blinden Flecken“ zuzuwenden, halte ich für wichtig, um gleichwertige Lebensverhältnisse anzupeilen und herzu- stellen . Die Chancen, die sich aus Hochschulbildung und For- schung ergeben, werden von afrikanischer Seite wieder stärker hervorgehoben . Auch von deutscher Seite ist das Interesse an Kooperation traditionell hoch und weiter ge- wachsen . Schon jetzt bestehen laut Hochschulrektoren- konferenz über 400 offizielle Partnerschaften zwischen deutschen und afrikanischen Hochschulen . Über diese Partnerschaften sollte es gelingen, mehr Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Ländern Subsahara-Afrikas für einen zeitweisen Aufenthalt in Deutschland zu gewinnen – im Sinne einer Brain Cir- culation bzw . zirkulären Migration statt Braindrain und Abwerbung . Natürlich müssen die deutschen Hochschulen besser auf die afrikanischen Studierenden vorbereitet sein, da- mit studieren und echter Austausch gelingt . Wichtig ist mir aber auch, dass wir mehr Deutsche ermuntern, in Afrika zu forschen, zu lehren oder zu studieren . Konkre- te Ziele oder zukunftsgerechte Meilensteine vermisse ich dazu im Antrag der Regierungsfraktionen . Das Interesse an Wissenschaftskooperation ist groß, sowohl in Deutschland als auch in den Ländern südlich der Sahara . Darauf gilt es aufzubauen . Hinzu kommt, dass Deutschland ein angesehener Partner ist, weil es sich bemüht, so zu kooperieren, dass für alle Seiten Win-win-Situationen entstehen . Wissenschaftsfreiheit, kreatives neugiergetriebenes Forschen, herausragende Lehre sowie wissenschaftliche Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen sind von beidseiti- gem elementaren Interesse . Diese günstige Konstellation sollten wir gemeinsam nutzen . Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstver- waltungsstärkungsgesetz) – des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientenvertre- tung in der Gesundheitsversorgung stärken (Tagesordnungspunkt 24 a und b) Reiner Meier (CDU/CSU): Schon im 19 . Jahrhundert hat die katholische Soziallehre den Grundsatz der Sub- sidiarität formuliert . Kerngedanke ist, dass die jeweils sachnähere Ebene alle Entscheidungen treffen sollte, die nicht unbedingt von einer höheren Ebene getroffen wer- den müssen . Das ist eine gute Maxime für die Aufteilung von Kompetenzen im Staatsaufbau und sorgt für praxis- nahe Entscheidungen . Nach diesem Prinzip der Subsidiarität funktioniert auch die Selbstverwaltung in Deutschland, die sich bei den Kommunen, an den Hochschulen und auch im Ge- sundheitswesen seit vielen Jahren bewährt hat . Klar ist, dass die Strukturen der Selbstverwaltung mit ihren wachsenden Aufgaben und ihrer Verantwortung gegenüber ihren Mitgliedern Schritt halten müssen . Dies gilt umso mehr, als ihr im Gesundheitswesen die Verwal- tung von Beitragsmitteln in erheblichem Umfang anver- traut ist . Wir haben das Gesetz deshalb das „Selbstverwal- tungsstärkungsgesetz“ getauft; denn das zeigt ganz ein- deutig die Richtung: Es geht primär darum, die Strukturen innerhalb der Selbstverwaltung im Sinne einer Good Governance zu optimieren und weiterzuentwickeln . Dazu stärken wir die Transparenz im Verwaltungshandeln und bauen die Informations- und Kontrollrechte der Vertreterversamm- lungen gegenüber den Vorständen deutlich aus . Etwaige Fehlentwicklungen können so frühzeitig erkannt, abgestellt und künftig vermieden werden . Im äußersten Falle erhalten die Vertreterversammlungen beziehungsweise die Verwaltungsräte das ausdrückliche Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621032 (A) (C) (B) (D) Recht, den Vorstand mithilfe eines konstruktiven Miss- trauensvotums abzuberufen . All dies sind wohlgemerkt interne Vorgänge der je- weiligen Selbstverwaltungskörperschaft . Das zeigt: Wir betonen mit diesem Gesetz das Prinzip der Eigenverant- wortung und der Selbstkontrolle . Ergänzend zur Selbstkontrolle werden wir aber auch die Befugnisse des Bundesministeriums für Gesundheit im Rahmen der Rechtsaufsicht weiterentwickeln . Hier haben wir uns aus guten Gründen gegen eine Fachauf- sicht ausgesprochen . Bei einer Fachaufsicht könnte letzt- lich in jede Einzelentscheidung hineinregiert werden . Das halte ich für unvereinbar mit dem Grundgedanken der Selbstverwaltung . Die Rechtsaufsicht bleibt deshalb der richtige Maßstab . Dabei muss jedoch eines ganz unmissverständlich klar sein: Verstöße gegen geltendes Recht werden auch im Rahmen der Rechtsaufsicht ge- ahndet . Die Selbstverwaltung ist Teil der mittelbaren Staatsverwaltung und damit gemäß Artikel 1 Absatz 3 des Grundgesetzes ausdrücklich an Recht und Gesetz gebunden! Ich will nicht verhehlen, dass ich vor diesem Hinter- grund manche Verhaltensweisen der vergangenen Jahre – sowohl aufseiten der Kostenträger wie auch aufseiten der Leistungserbringer – mit größtem Befremden zur Kennt- nis genommen habe . Wenn wir heute die parlamentarischen Beratungen des Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes beginnen, dann tun wir das in dem Bewusstsein, dass die Selbstverwaltung als Institution ganz gewiss schon bessere Tage erlebt hat . Wir sollten uns aber auch den Wert eines Systems vor Augen halten, das über die Jahre immer wieder dazu bei- getragen hat, Sachverstand und Eigenverantwortung in der Krankenversicherung zu stärken, ein System, das die oft abstrakten Vorgaben des Gesetzgebers in eine voll- ziehbare Form konkretisiert und dabei insgesamt eine breite Akzeptanz der gefundenen Regelungen gewähr- leistet . In diesem Sinne glaube ich, dass der Gesetzentwurf eine gute Grundlage bietet, um die Selbstverwaltung für die nächsten Jahre fit zu machen, und ich freue mich auf gute Beratungen im Ausschuss . Hilde Mattheis (SPD): Wie beraten hier heute Abend in erster Lesung einen Gesetzentwurf der Bundesregie- rung, der sich mit nichts weniger als einem zentralen Gestaltungsmerkmal der gesetzlichen Krankenversi- cherungen befasst . Deshalb möchte ich zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen machen, was uns Sozial- demokraten im Zusammenhang mit Selbstverwaltung bewegt . Selbstverwaltung hat in all ihren Ausprägungen maßgeblich zur Erfolgsgeschichte solidarischer Versi- cherungssysteme beigetragen . Dafür ist die gesetzliche Krankenversicherung nur ein Beispiel unter vielen . Be- reits mit der kaiserlichen Botschaft von 1881 wurde sie als tragendes Prinzip verankert und ausgenommen die Zeit des Nationalsozialismus war sie stets eine gestalte- rische Kraft, ohne die die Bundesrepublik heute völlig anderes aussähe . Und es ist auch nicht übertrieben, zu sagen, dass man uns für diese Institution international beneidet . Zwei Dinge sind für uns im Zusammenhang mit Selbstverwaltung entscheidend: Mitbestimmung und staatsferne Organisation in eige- ner Sache . Nun muss ich Ihnen unsere Leidenschaft und Überzeugung zur Frage der Mitbestimmung sicher nicht mehr erläutern . Deshalb will ich kurz darauf eingehen, welche Bedeutung der eigenverantwortlichen Organi- sation zukommt . Denn eigenverantwortliches Handeln von Akteuren im Rahmen der Selbstverwaltung bietet viele Vorteile . Auf der einen Seite werden sachdienliche Entscheidungen getroffen, die ohne das Wissen und die Kompetenz in der Sache nie zustande kämen . Gleichzei- tig binden diese eigenverantwortlichen Entscheidungen zu Detailfragen wiederum die Entscheidungsträger und machen sie zu einer aktiven gesellschaftlichen Kraft . Der Gewinn für uns alle in der Gesellschaft ist daher nicht zu unterschätzen . Und ein weiterer Punkt ist bedeutend . Denn für uns als Politik tragen diese Entscheidungen erheblich zur Entlastung staatlichen Handelns bei . Gute politische Ar- beit – und das betone ich ausdrücklich – wäre aus unserer Sicht ohne diesen Entlastungseffekt bei weitem nicht so effektiv möglich . Ich hebe das deshalb hervor, weil beide Aspekte für die hier zu führende Diskussion um die betroffenen Spit- zenorganisationen der gesetzlichen Krankenversiche- rung von zentraler Bedeutung sind . Und ich rede dabei nicht nur von historisch gewachsenen Charakteristika einer Institution . Vielmehr verknüpfen sich für uns Sozi- aldemokraten hiermit schon angedeutete normative wie funktionale Ansprüche, an denen sich jeder ordnungspo- litische Eingriff in Formen der Selbstverwaltung messen lassen muss . Demnach sind zwei Fragen von Bedeutung . Erstens: Welche Auswirkungen hat das hier vorliegende Gesetz auf die Formen der Mitbestimmung? Und zweitens: Ist in den betroffenen Organisationen auch zukünftig die staatsferne Organisation und mit ihr die Handlungsfähig- keit – natürlich unter staatlicher Aufsicht – sichergestellt? Würden wir uns diese Fragen nicht stellen, so würden wir schlicht der Bedeutung der Selbstverwaltung für die GKV nicht gerecht . Und hier ist es zunächst einmal egal, ob es sich um Organisationen mit sozialpartnerschaft- licher Struktur oder um Organisation mit berufsständi- scher Ausrichtung handelt . So viel zur grundsätzlichen Einordnung . Ich weise an dieser Stelle noch einmal darauf hin, dass es sich bei dem hier vorliegenden Gesetzentwurf explizit um einen Entwurf der Bundesregierung handelt . Trotz des ambitionierten Zeitplans wurde das Gesetz nicht pa- rallel durch die Fraktionen eingebracht, um das Gesetz- gebungsverfahren zu beschleunigen . Dies ist zwar durch- aus nichts Außergewöhnliches, nur ist es mir an dieser Stelle wichtig, dies zu betonen . Denn gerade beim hier Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21033 (A) (C) (B) (D) vorliegenden Gesetz sollten wir uns auch die Zeit neh- men und in Ruhe abwägen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, wa- rum wir uns heute hiermit befassen . Ich will es uns allen aber gern noch einmal kurz in Erinnerung rufen . Die Vorgänge in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung lassen mich persönlich – vielleicht spreche ich ja sogar für uns alle – nur mit dem Kopf schütteln . Lassen Sie mich eines klarstellen: Die Vorwür- fe müssen restlos aufgeklärt werden . Ich kann für die Fraktion der SPD sagen, dass wir den Aufarbeitungsprozess sehr genau beobachten, und wir werden dies auch weiterhin tun . Eines ist jetzt schon klar, einige wenige in der KBV haben dem Ansehen der Kas- senärzte enorm geschadet . Wer Mitgliedsbeiträge für eine Organisation zahlt, muss sich darauf verlassen können, dass die Mittel auch sachgerecht und regelkonform verwendet werden . Da kommt es auf die Vertrauenswürdigkeit des Hauptamtes genauso an wie darauf, dass die Aufsicht gegebenenfalls auftretende Unregelmäßigkeiten erkennt und sofort un- terbindet . Daher erwarte ich insbesondere vom im Frühjahr neu zu wählenden Vorstand der KBV nichts weniger als einen Wandel der Kultur . Denn – und das ist entscheidend – nicht nur die Kassenärzte leiden unter Ansehensverlust, sondern die Selbstverwaltung insgesamt . Das kann und werden wir Sozialdemokaten nicht akzeptieren . Nun dürfte meine Auffassung zur Sache kein Geheim- nis sein . Ich will es noch einmal so formulieren: „Du kannst nicht alle schlagen, wenn du einen treffen willst .“ Das ist für mich schlicht einen Frage guter und letztlich auch glaubwürdiger politischer Arbeit . Und das ist neben dem generellen Wert von Selbstver- waltung auch der Grund, dass explizit wir als SPD-Bun- destagfraktion bereits beim Zustandekommen des Ge- setzentwurfs der Bundesregierung für Korrekturen des politischen Vorhabens – insbesondere in Sachen der Auf- sicht – gesorgt haben . Nur ein paar Stichworte: Genehmigung des Haushalts, raus . Vorgaben der Aufsicht zu unbestimmten Rechtsbegrif- fen ohne Klagemöglichkeit ist raus . Eingriffe in Richtlinien des G-BA, auch raus . Unterm Strich bleibt es bei der Rechtsaufsicht des BMG über die Spitzenorganisationen der GKV . Einer Fachaufsicht erkläre ich hier erneut eine klare Absage . Ich muss allerdings an dieser Stelle auch einen Dank an die Union richten, ohne die das in einer Koalition bekanntlich nicht möglich gewesen wäre . Ich will nur sagen: Die Koalition hat in diesem Fall schon vor dem Beginn des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens gut zusammengearbeitet . Dank dafür! Nun wird es für uns als SPD im parlamentarischen Verfahren darauf ankommen, dass die Detailregelun- gen im Gesetz mit den Prinzipien und der Bedeutung der Selbstverwaltung vereinbar sind . Nur eine wirkliche Stärkung der Selbstverwaltung mit Blick auf Mitbestim- mung und Handlungsfähigkeit wird auch die Unterstüt- zung bei den Akteuren finden, die wir brauchen, um die Institution insgesamt zukunftsfähig zu machen . Denn wir brauchen uns keinen Illusionen hinzugeben . Ein solches Gesetz hat mit seinen Details auch immer eine gewisse Strahlkraft in andere Bereiche und die Zu- kunft . Das gilt besonders für die Selbstverwaltung . Klar ist, wir Sozialdemokraten halten an der Selbst- verwaltung fest und wollen und werden sie stärken . Eine Einschränkung oder gar eine Abwicklung ist mit uns nicht zu machen . Dafür ist sie zu essenziell für das Funk- tionieren unseres Gemeinwesens . Harald Weinberg (DIE LINKE): Wie so oft in der jüngeren Vergangenheit will die Bundesregierung et- was stärken . Neben dem sogenannten Arzneimittel-Ver- sorgungsstärkungsgesetz, dem Pflegestärkungsgesetz, dem Versorgungsstärkungsgesetz kommt nun also das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz . Bei dem Thema bleibt festzuhalten: Die Menschen in Deutschland haben nicht das beste Bild von der Selbst- verwaltung im Gesundheitssystem . Schaut man ein we- nig hinter die Kulissen, muss man auch sagen: In der Selbstverwaltung liegt einiges im Argen: Krankenkassen verweigern unberechtigt Leistungen, Ärztinnen und Ärzte klagen darüber, dass wegen des Budgets Leistungen nicht verordnet werden können, ein aus Beitragsgeldern sehr gut bezahltes Spitzenpersonal der Kassenärztlichen Bundesvereinigung betreibt zwei- felhafte Geschäfte, die Aufsicht schaut dem viel zu lange zu, der Zahnarzt empfiehlt eine Leistung als notwendig, will aber privat abrechnen, Krankenkassen machen mit Ärzten gemeinsame Tricksereien bei Diagnosen, um möglichst viel Geld aus dem Gesundheitsfonds zu erhal- ten; die Liste lässt sich fortsetzen . Die wenigsten können das komplexe System auch nur teilweise durchschauen, die meisten müssen jedoch mit den Ergebnissen leben . Und am wenigsten haben die einen Nutzen, um die es eigentlich gehen sollte, die Patienten . Es ist die eigentliche Aufgabe der Selbstverwaltung, das Gemeinwohl zu stärken und die Versorgung der Pa- tientinnen und Patienten zu verbessern . Das ist eine gute Idee, die dem Wettbewerb geopfert wird . Seit Jahren wird das Gesundheitssystem immer weiter kommerzialisiert . Krankenkassen, Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken werden einem immer stärkeren Wettbewerb ausgesetzt . Wer wie die Bundesregierung die Marktorientierung will, der darf sich dann nicht wundern, wenn jede und je- der nur ihren/seinen Nutzern sieht und eine gemeinsame Kooperation zum Nutzen aller weiter auf dem Rückzug ist . Das Eigeninteresse wird durchgesetzt, ein Ausgleich findet kaum noch statt. Mal wieder versucht die Bun- desregierung, die Konsequenzen ihrer eigenen Politik schönzureden, indem dann Gesetzesnamen wie eben das Selbstverwaltungsstärkungsgesetz kreiert werden . Die Marktorientierung zerfrisst die Kultur des Helfens, die medizinische Ethik und ersetzt sie durch Monetik . Das ist etwas, das wir nicht zulassen dürfen und unter dem Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621034 (A) (C) (B) (D) viele Beschäftigte, denen die Ethik noch nicht abhanden- gekommen ist, leiden . Da sich die negativen Auswirkungen des Wettbewerbs auf die Kultur im Gesundheitssystem kurz- oder mittel- fristig nicht ändern lassen, brauchen wir Veränderungen in der Selbstverwaltung . Patientenvertreterinnen und -vertreter müssen an entscheidender Stelle mitbestimmen können . Sie sollen Sitze und Stimmrecht in den Verwal- tungsräten der Kassen erhalten und auch im Gemeinsa- men Bundesausschuss das Zünglein an der Waage sein, wenn sich Kassen, Ärzte- und Zahnärzteschaft sowie Krankenhäuser nicht einigen können . Dem Grunde nach ist es richtig, die operative Steu- erung und Ausgestaltung des Versorgungssystems einer Selbstverwaltung zu überantworten . Diese muss dann aber auch im Sinne der Patienten allgemeinwohlorien- tiert funktionieren . Dazu bedarf es einer juristischen und einer fachlichen Aufsicht, die auch greift . In diesem Sin- ne befürworten wir eine bundeseinheitliche Aufsicht der Kassen . Die Selbstverwaltung muss wieder zurück zu ih- rem eigentlichen Ziel, der Stärkung des Gemeinwohls . Selbstverwaltung muss den Patientinnen und Patienten nutzen und darf nicht zweifelhaften betriebswirtschaft- lichen Benchmarks oder gar persönlichen Reichtumszie- len dienen . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen ist eigent- lich ein bewährtes Prinzip, weil es sicherstellt, dass fach- liches Wissen und praktische Erfahrung derjenigen, die im Gesundheitswesen tätig sind, unmittelbar in die Re- gulierung dieses Bereiches einfließen. Umso wichtiger ist es allerdings, dass dies transparent und an der Sache orientiert geschieht . Alles andere gefährdet die Legitima- tion der Selbstverwaltung . Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzent- wurf zur Reform der Selbstverwaltung ist direkte Folge der Skandale um die Kassenärztliche Bundesvereini- gung, die uns in den letzten Jahren erschüttert haben . Jahrelang hatte deren früherer Vorstand an den gesetz- lichen und internen Vorgaben vorbei Gelder in eine defi- zitäre Immobiliengesellschaft investiert, sich selbst und anderen hohe Versorgungsbezüge gewährt und Rückla- gen in isländischen Schrottpapieren versenkt . Und das Bundesministerium für Gesundheit als Aufsichtsbehörde hat tatenlos zugesehen . Vermutlich läge auch dieser Ge- setzentwurf heute nicht vor, wenn wir Sie nicht mit unse- ren Nachfragen zum Handeln gezwungen hätten . Eines muss man Ihnen allerdings zugestehen: Im Hin- blick auf diese Vorgänge ist Ihr Vorschlag konsequent und größtenteils sinnvoll . Interne Kontrollmechanismen innerhalb der Spitzenverbände wie auch die aufsichts- rechtlichen Befugnisse des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) gegenüber diesen Körperschaften werden verschärft oder präzisiert . Den Vorschlag, den Vorstand der KBV zukünftig mit drei Mitgliedern zu be- setzen, begrüßen wir ausdrücklich – verbunden mit der Hoffnung, dass die im März 2017 anstehende Neuwahl des Vorstandes zu einem Neuanfang und Kulturwandel in dieser Institution führt . Auch Ihre Entscheidung, den noch im Referentenent- wurf geplanten massiven Eingriff in die Kompetenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses wieder zu strei- chen, ist gut . Die ursprünglich vom Ministerium vorgese- hene Möglichkeit, in die Richtlinienkompetenz des GBA einzugreifen, hätte die Rechtsaufsicht nicht verbessert, sondern eine Politisierung von fachlichen Entscheidun- gen über GKV-Leistungen zur Folge gehabt, die keiner von uns will . Der Gesetzentwurf zeigt also einige richtige Ansätze . In anderen Bereichen allerdings bleibt er merkwürdig lückenhaft und deutlich hinter dem zurück, was unsere Fraktion bereits vor Monaten an Reformvorschlägen vor- gelegt hat . Beispielsweise sollen in Ihrem Entwurf Be- teiligungen an Gesellschaften des Privatrechts zukünftig lediglich vom Lenkungsgremium der Körperschaft selbst abgenickt werden, nicht jedoch von der Aufsichtsbehör- de . Die noch im Referentenentwurf geplante ministeri- elle Aufsicht über diese Gesellschaften findet sich im Kabinettsentwurf ebenfalls nicht mehr . Das ist nach den Erfahrungen mit der Übernahme einer faktisch insolven- ten Immobiliengesellschaft durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung nicht nachvollziehbar . Gleichzeitig wollen Sie die Geschäfts- und Rech- nungsprüfung der Körperschaften durch das Ministeri- um zugunsten einer selbst beauftragten Betriebsprüfung durch private Anbieter ersetzen . Auch wenn das Ministe- rium diese Prüfung in den letzten Jahren häufig einfach unterlassen hat und so einen Teil Mitverantwortung an den Entwicklungen bei der KBV trägt, sollten Sie jetzt zumindest sicherstellen, dass der Prüfbericht anschlie- ßend dem Ministerium vorgelegt werden muss . Aber auch hier: Fehlanzeige . Und es gibt weitere Lücken: Es soll keine Vorabkon- trolle der Haushaltspläne durch das BMG geben, so wie dies ursprünglich einmal selbst vom Ministerium ange- dacht war . Es soll keine Genehmigung für Geldanlagen oder Darlehen geben, obwohl die Kassenärztliche Bun- desvereinigung gerade durch solche Finanzgeschäfte er- hebliche Beträge vernichtet hat, die ursprünglich mal für die ärztliche Versorgung im Land gedacht waren . Es feh- len jegliche Regelungen zur Präzisierung der persönli- chen Haftung von Funktionären bei Pflichtverletzungen, obwohl gerade darüber momentan heftig vor Gericht gestritten wird . Die Offenlegung von Nebentätigkeiten der Vorstände bleibt auch zukünftig auf ein Minimum beschränkt, was eine echte Transparenz von Interessens- konflikten unmöglich macht. Außerdem gibt es weiterhin keine aufsichtsrechtliche Möglichkeit, diese Nebentätig- keiten im Bedarfsfall zu untersagen . Auch unsere Forde- rung nach einem besseren Schutz von Whistleblowern, beispielsweise durch eine Ombudsperson, wurde nicht aufgegriffen . Warum diese Zurückhaltung? Vielleicht weil man hofft, dass es sich bei den Vorgängen um die KBV um einmalige Ausfälle der Vergangenheit handelte? Sollte die Bundesregierung dies je geglaubt haben, wurden wir alle vor kurzem durch die Presseberichte über die Be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21035 (A) (C) (B) (D) auftragung einer Politikberatungsagentur eines Besse- ren belehrt . Das Bundesministerium für Gesundheit als Aufsichtsbehörde sieht sich auf Anfrage allerdings noch nicht mal in der Lage, eine rechtliche Bewertung dieser Vorgänge abzugeben . Dies zeigt auch: Das beste Selbst- verwaltungsstärkungsgesetz wird wenig bringen, wenn nicht auch im Ministerium selbst ein Kulturwandel statt- findet. Eine Stärkung der Aufsichtsrechte auf dem Papier ändert nichts, solange nicht die Bereitschaft besteht, die- se Rechte im Ernstfall auch wahrzunehmen . Dies müssen Sie zukünftig beweisen . Annette Widmann-Mauz, Parl . Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Ich beginne mit einer guten Nachricht: Die Selbstverwaltungsgremien in unserem Gesundheitswesen ziehen wieder an einem Strang . Geeint rufen sie dazu auf, den vorliegenden Ge- setzentwurf zurückzunehmen . Dies wird unser Haus, das Bundesministerium für Ge- sundheit, BMG, jedoch nicht tun . Herr Bundesminister Hermann Gröhe wird an diesem Gesetzentwurf festhal- ten, gerade weil er – wie auch ich – ein Befürworter der Selbstverwaltung ist und weil wir auch künftig eine star- ke und unabhängige Selbstverwaltung für unser Gesund- heitswesen erhalten möchten . Schließlich ist die hohe Qualität der medizinischen Versorgung in unserem Gesundheitssystem untrennbar mit dem Engagement der Selbstverwaltung verbunden . Sie hat eine herausragende Rolle bei der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung . Und gerade deshalb werden wir an dem Prinzip der Selbstverwaltung auch nicht rütteln . Es ist ein modernes und zukunftswei- sendes Prinzip . Die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen hat ins- gesamt eine Vielzahl von verantwortungsvollen Aufga- ben zu erfüllen, um eine gute Gesundheitsversorgung für die Patientinnen und Patienten sicherzustellen . Auf diese Organisationsform, die sich von vielen rein staatlichen oder privaten Organisationsformen in anderen Staaten abhebt, sind wir in Deutschland zu Recht stolz . Sie hat sich bewährt . Die Vorfälle bei der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung, KBV, die uns über Monate beschäftigt haben, haben aber auch gezeigt, dass es klarer Rahmenbedin- gungen für die Selbstverwaltung bedarf . Hier brauchen wir sowohl mehr Transparenz als auch strengere interne Kontrollmechanismen . Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir dafür sorgen, dass die Spitzenorganisationen der Selbstverwaltung sich künftig stärker ihrer Eigenverantwortung bewusst wer- den und zugleich vor Selbstblockaden geschützt sind . Bei allem inhaltlichen und mitunter auch persönlichen Streit darf in diesen Organisationen nicht vergessen wer- den, dass sie letztlich dem Zweck dienen sollen, die gute gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung zu sichern . Deshalb umfasst der Gesetzentwurf beispielsweise schlüssige Vorgaben für die staatliche Rechtsaufsicht, klare Vorgaben für die Haushalts- und Vermögensver- waltung sowie eine Stärkung der internen Transparenz- pflichten und Kontrollmechanismen. Auch die Sorgen, die Rechtsaufsicht könnte überdehnt werden, haben wir sehr ernst genommen . Daher bleibt unsere Rechtsaufsicht eine Rechtsaufsicht und wird nicht zur Fachaufsicht werden . Weiter bleiben auch die Gestaltungsspielräume der Partner in der Selbstverwaltung erhalten . Denn nur so können wir weiterhin auf praxisnahe und eigenverant- wortliche Entscheidungen bauen . Aber das setzt auch voraus, dass Körperschaften, die der Aufsicht unterliegen, intern transparente Strukturen haben und die hohen Standards einer Verwaltungsorga- nisation erfüllen . Aus diesem Grund brauchen wir klare Befugnisse der Rechtsaufsicht, um Rechtsverletzungen eindeutig und konsequent entgegentreten zu können . Diese Grundsätze gelten für alle Körperschaften glei- chermaßen – für die ärztliche Selbstverwaltung wie auch die Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversi- cherung . Ziel ist es daher, ein für alle diese Spitzenver- bände weitestgehend einheitliches Recht zu schaffen . Einzelne dieser Regelungen werden auch auf den Ge- meinsamen Bundesausschuss, G-BA, übertragen . Den Besonderheiten des G-BA aufgrund seiner Aufgabenstel- lung im Rahmen der Normsetzung und seiner von den anderen Selbstverwaltungskörperschaften abweichenden Organisationsstruktur wurde dabei Rechnung getragen . Der Gesetzentwurf sieht zur Stärkung der Kontroll- rechte der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane und zur Herstellung von mehr Transparenz im Verwaltungs- handeln der Institutionen folgende Maßnahmen vor . Dazu gehören die Stärkung der Einsichts- und Prüfrechte der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, Vorgaben zu Informations-, Berichts- und Dokumentationspflich- ten über die Beratungen in Ausschüssen der Selbstver- waltungsorgane, die Präzisierung der Berichtspflichten des Vorstands sowie Regelungen zur Abwahlmöglichkeit der oder des Vorsitzenden der Selbstverwaltungsorgane . Bei der KBV bedarf es zudem struktureller Verände- rungen bei den Regelungen zum Vorstand: Es wird verpflichtend ein Vorstand mit drei Mitglie- dern geregelt, dessen Vorstandsvorsitzende bzw . -vorsit- zender mit einer qualifizierten Mehrheit gewählt werden muss . Nur für den Fall, dass ein letzter nach der Satzung vorgesehener Wahlgang erforderlich wird, soll die ein- fache Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreichend sein . Ein Mitglied des Vorstands darf weder dem haus- ärztlichen noch dem fachärztlichen Versorgungsbereich angehören . Mit diesen Vorgaben wird die notwendige versorgungsbereichsübergreifende Interessenvertretung im Vorstand sichergestellt sowie die Akzeptanz der oder des Vorsitzenden gestärkt . Wichtig ist dabei: Die Vorstände werden für die Dau- er von sechs Jahren gewählt . Im März 2017 stehen die Neuwahlen bei der KBV an . Mit den vorgesehenen struk- turellen Änderungen sollen die in der KBV bestehenden Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621036 (A) (C) (B) (D) Konflikte zwischen den Versorgungsbereichen und die damit einhergehenden Blockaden aufgehoben werden . Mit dem Gesetz wird insgesamt die staatliche Aufsicht als externe Kontrolle gestärkt . Die gesetzlichen Vorgaben zum Verwaltungshandeln werden klarer gefasst, damit ein rechtssicherer und eindeutiger Anknüpfungspunkt für das aufsichtsrechtliche Handeln besteht . Dies betrifft einheitliche und präzisere Vorgaben zu Rücklagen und Betriebsmitteln sowie die Pflicht zur Ausschüttung von Vermögen bzw . der Senkung der Umlage, soweit vor- handenes Vermögen nicht zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist, die Erweiterung der Prüfungs- und Mitteilungspflichten in Bezug auf Beteiligungen an und die Gründung von Einrichtungen, die Etablierung einer regelmäßigen externen Prüfung der Geschäfts-, Rechnungs- und Betriebsführung anstelle der bisherigen Prüfung durch das Bundesministerium für Gesundheit bzw. das Bundesversicherungsamt und die Verpflichtung zur Einrichtung interner Kontrollmechanismen, insbe- sondere einer Innenrevision, die festgestellte Verstöße auch an die Aufsichtsbehörde zu berichten hat . Der Gesetzentwurf wird insgesamt dazu beitragen, die Selbstverwaltung in vielen wichtigen Punkten zu stärken . Eine so gestärkte Selbstverwaltung wird auch zukünftig ihren Teil dazu beitragen, im gewohnten Maße eine hohe Qualität der medizinischen Versorgung sicherzustellen . Und dieser Zirkelschluss lässt sich nur auf eine Art und Weise zusammenfassen: Er ist das richtige Ergebnis . Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffent- lichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) (Tages- ordnungspunkt 25) Detlef Seif (CDU/CSU): Über den Gesetzentwurf zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsver- fahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen, den wir heute in erster Lesung beraten, war schon vor dem Beginn des parlamentarischen Verfahrens in den Medien zu lesen . Von „Gerichts-TVs“, „Recht im Zirkus“ oder sogar der „Revolution im Gerichtssaal“ war in diesem Zusammenhang die Rede . Schon der damalige Referent- enentwurf des Bundesjustizministeriums löste eine Welle des Protests aus, nicht nur bei Juristen und Journalisten, sondern auch und vor allem bei den Präsidentinnen und Präsidenten der obersten Bundesgerichte, die von den geplanten Neuregelungen in besonderem Maße betroffen sind . Mit dem Gesetzentwurf sollen zunächst die Leistun- gen hör- und sprachbehinderter Menschen im Hinblick auf die Beteiligung von Gebärdensprachdolmetschern und anderen geeigneten Kommunikationshilfen in ge- richtlichen Verfahren erweitert werden . Hör- und sprach- behinderte Menschen können nach geltendem Recht Gebärdensprachdolmetscher zwar im gesamten Strafver- fahren, in allen anderen Verfahren aber nur im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Anspruch nehmen . Die Beiordnung einer Sprach- oder Übersetzungshilfe soll zukünftig im gesamten gerichtlichen Verfahren mög- lich sein . Die Änderung bewirkt, dass die Kosten für die Kommunikationshilfe in Zukunft nicht mehr nur für die mündliche Verhandlung erstattet werden, sondern alle Übersetzungsleistungen zu erstatten sind, die im Zusam- menhang mit dem gerichtlichen Verfahren stehen . Einzel- heiten, wie etwa der Umfang des Anspruchs, sollen durch Rechtsverordnung geregelt werden . Der Regelungsvor- schlag dürfte fraktionsübergreifend Zustimmung finden, da er den barrierefreien Zugang zu Gerichtsverfahren weiter verbessert . Im Gegensatz dazu sorgte aber die Absicht des Justiz- ministeriums, das seit 1964 geltende strikte gesetzliche Verbot von Bild- und Tonübertragungen in Gerichtsver- fahren zu lockern, schon im Vorfeld für Unmut . Das Jus- tizministerium begründet diesen Schritt damit, dass das generelle Übertragungsverbot angesichts der bisherigen technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ins- besondere in der Medienlandschaft infrage zu stellen sei . Aktuell sind Ton- und Fernsehrundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffent- lichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts unzulässig . Das Verbot gilt während der gesamten Dauer der Hauptverhandlung einschließlich Entscheidungsver- kündung und steht nicht zur Disposition der Beteiligten . Es dient dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeits- rechts aller Prozessbeteiligten und der Sicherung der Wahrheitsfindung im Prozess. Konkret geht es um den Schutz des Rechts am eigenen Bild und gesprochenen Wort, das es dem Einzelnen überlässt, selbst und eigen- ständig über die Darstellung der eigenen Person anderen gegenüber und über die Aufnahme und das Abspielen der eigenen Stimme mittels eines Tonträgers zu bestimmen . Es geht daneben aber auch um das Recht auf ein faires Verfahren und um den Schutz einer geordneten Rechts- pflege. Nach den Plänen des Bundesjustizministers, die auf die Forderungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur „zeit- gemäßen Neufassung des § 169 Gerichtsverfassungsge- setz“ zurückgehen, soll zunächst die Tonübertragung der mündlichen Verhandlung sowie der Urteilsverkündung in einen Arbeitsraum für Medienvertreter gestattet werden . Medienvertreter sollen so die Möglichkeit erhalten, die mündliche Verhandlung im Sitzungssaal akustisch mit- zuverfolgen . Es handelt sich um eine Ermessensentschei- dung des zuständigen Gerichts, das die Tonübertragung zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs teilweise auch untersagen kann . Der Regelungsvorschlag ist nachvollziehbar und grundsätz- lich sinnvoll, weil – wie das Beispiel des NSU-Prozesses seit dem Jahr 2013 zeigt – es durchaus Gerichtsverfahren gibt, an denen Pressevertreter und Öffentlichkeit ein ge- steigertes Informationsinteresse haben, das Platzangebot Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21037 (A) (C) (B) (D) im Gerichtssaal im Vergleich zur Nachfrage aber nur auf einige wenige Zuschauer beschränkt ist . Unabhängig von grundsätzlichen Erwägungen erge- ben sich für mich aus einer Tonübertragung in einen Ne- benraum ganz praktische Probleme . Dem Vorsitzenden Richter obliegen die sitzungspolizeilichen Befugnisse, d . h . er muss Sorge dafür tragen, dass in der Sitzung die notwendige Ordnung herrscht . Diese Aufgabe hätte der Vorsitzende Richter nach einer Reform nicht nur in Be- zug auf die Saalöffentlichkeit im Gerichtssaal, sondern auch in Bezug auf die Öffentlichkeit im Nebenraum . Ist es aber einem einzelnen Menschen zumutbar, neben dem laufenden Verfahren, in dem auch zum Teil recht umfang- reiche Beweisaufnahmen durchzuführen und zu erfassen sind, und der Sitzungspolizei im Gerichtssaal auch noch die Geschehnisse im Medienarbeitsraum zu überblicken? Diese Frage lasse ich hier einmal im Raum stehen . Die Bereitstellung eines Medienarbeitsraumes wird notwendigerweise zu einer zusätzlichen Arbeitsbelas- tung der Gerichte führen, dessen sollten wir uns bereits jetzt bewusst sein . So muss ein Raum gefunden wer- den, der technisch entsprechend auszustatten ist, und es muss auch weiteres Personal bereitgestellt werden, das die zusätzlich anfallenden Aufgaben erledigt . Es muss insbesondere durch gründliche Personenkontrollen ge- währleistet sein, dass unbefugten Dritten der Zutritt zum Medienarbeitsraum untersagt wird, um zu verhindern, dass etwa Zeugen, die im Verfahren noch nicht ausge- sagt haben, sich vorab über das Geschehen informieren . Es muss darüber hinaus auch sitzungspolizeilich ge- währleistet sein, dass die Zuhörer im Nebenraum keine unbefugten Tonaufnahmen von der Hauptverhandlung fertigen . Der Gesetzentwurf schweigt leider zu diesen praktischen Punkten . Es ist aber notwendig, dass wir uns jetzt im parlamentarischen Verfahren auch über diese As- pekte Gedanken machen . Man könnte überlegen, neben den bereits bestehenden sitzungspolizeilichen Befugnis- sen des Vorsitzenden Richters eventuell einen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand zu schaffen, der den unerlaubten Zutritt zum Medienarbeitsraum und auch et- waige unbefugte Mitschnitte von der Hauptverhandlung im Arbeitsraum unter Strafe stellt . Darüber hinaus soll nach dem Gesetzentwurf in Zu- kunft die Aufnahme und Übertragung der Entscheidungs- verkündung der obersten Bundesgerichte zum Zwecke öffentlicher Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhaltes in Form von Ton- und Fernsehrundfunkaufnah- men sowie Ton- und Filmaufnahmen ermöglicht werden . Stehen dem wichtige Gründe entgegen, wie etwa die Wahrung schutzwürdiger Interessen der Verfahrensbetei- ligten oder Dritter, kann die Aufnahme oder Übertragung teilweise untersagt oder von Auflagen abhängig gemacht werden . Eine ähnliche Regelung existiert bereits für das Bundesverfassungsgericht . Das Bundesverfassungsge- richtsgesetz regelt seit 1998, dass entsprechende Aufnah- men in der mündlichen Verhandlung bis zur Feststellung der Anwesenheit der Beteiligten durch das Bundesver- fassungsgericht und bei der öffentlichen Verkündung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu- lässig sind . Insoweit stehe ich dem Regelungsvorschlag des Ministeriums durchaus offen gegenüber, wenngleich eine entsprechende Regelung für die obersten Bundes- gerichte nach meiner Einschätzung nicht zwingend not- wendig erscheint, jedenfalls nicht, wenn man sich einmal die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an- sieht, das das generelle Übertragungsverbot in Gerichts- verfahren aus gewichtigen Gründen nach wie vor für verfassungsgemäß hält . Bei einer Öffnung des Übertra- gungsverbots auch im Bereich der obersten Bundesge- richte muss sichergestellt sein, dass bei der Aufnahme allein das Gericht bei der Verkündung der Entscheidung sichtbar ist und dass die Medienöffentlichkeit dann be- schränkt wird, wenn das oberste Bundesgericht Bezug nimmt auf Feststellungen der Vorinstanzen, für die das Übertragungsverbot nach wie vor gilt . Schließlich soll es nach dem Gesetzentwurf künftig möglich sein, Ton- und Filmaufnahmen von der Ver- handlung einschließlich der Entscheidungsverkündung zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken bei Ver- fahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeu- tung für die Bundesrepublik Deutschland anzufertigen . Die Archivaufnahmen dürfen nicht zur Akte genommen werden, sie dürfen darüber hinaus auch nicht herausge- geben oder zu Verfahrenszwecken genutzt werden . Die Aufnahmen müssen nach Verfahrensabschluss dem zu- ständigen Bundes- oder Landesarchiv zur Übernahme angeboten werden . Dieses entscheidet, ob den Aufnah- men ein bleibender Wert zukommt oder sie vom Gericht zu löschen sind . Ich spreche mich bereits jetzt entschie- den gegen diesen Vorschlag aus . Er muss in jedem Fall im Gesetzentwurf gestrichen werden . Allein die Tatsa- che, dass die gesamte Verhandlung aufgezeichnet und damit für die Nachwelt festgehalten wird, würde dazu führen, dass künftig vor allem die Parteien, die Zeugen und auch die Sachverständigen ihr Verhalten oder ihre Aussagen wegen dieser Umstände ändern oder zumin- dest überdenken . Auch das Verhalten der Richter kann sich bei laufender Kamera verändern . Im Übrigen darf es nicht sein, dass politisch motivierte Kriminelle sich vor der Kamera inszenieren und die Gelegenheit nutzen, um ihre schrägen Botschaften zu verbreiten . Derartige Archiv aufnahmen würden Tat und Täter aufwerten . Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auch darauf, dass das Missbrauchspotential für Archivauf- nahmen sehr hoch ist, weil diese angesichts ihres Spei- chermediums abhandenkommen und verbreitet werden könnten . Entsprechende gesetzliche Vorgaben könnten dieses hohe Risiko allenfalls minimieren, nicht jedoch ausschließen . Unabhängig von diesen grundsätzlichen Erwägun- gen ist auch völlig unklar, nach welchen Kriterien das Gericht die herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung des jeweiligen Verfahrens beurteilen soll . Regelbeispie- le sind im Gesetzentwurf nicht enthalten, und auch im Begründungsteil des Entwurfes fehlen jegliche Anhalts- punkte für die Entscheidung, die im Ermessen des Ge- richts steht . Zur Sicherung eines fairen Verfahrens und zur unge- störten Wahrheits- und Rechtsfindung sollten den Betei- ligten, insbesondere den Richtern, alle über die Prozess- situation hinausgehenden Belastungen und Ablenkungen erspart bleiben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621038 (A) (C) (B) (D) Unsere Maßgabe im nun beginnenden parlamentari- schen Verfahren muss es sein, praktikable gesetzliche Vorgaben für die Gerichte zu schaffen, die einerseits die schutzwürdigen Interessen der Verfahrensbeteiligten und Dritter wahren und einen ordnungsgemäßen Verfah- rensablauf sicherstellen, andererseits den zusätzlichen technischen, organisatorischen und personellen Aufwand bei den Gerichten möglichst gering halten, damit diese sich weiterhin auf ihre Kernaufgabe, Recht zu sprechen, konzentrieren können . An diesem Maßstab sollte jeder der Regelungsvorschläge des Bundesjustizministeriums gemessen werden . Erlauben Sie mir abschließend noch die Bemerkung, dass sich nicht die Gerichte an die veränderten Medien- gewohnheiten der Gesellschaft anpassen müssen, son- dern vielmehr die Medien auf die prozessualen Beson- derheiten im Gerichtsverfahren Rücksicht zu nehmen haben . Im Mittelpunkt steht auch zukünftig nicht das technisch Machbare, sondern die professionelle Arbeit der Gerichte . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir diskutieren heute den von der Bundesregierung eingebrachten Ge- setzentwurf zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung von Kommuni- kationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehin- derungen . In Zeiten von enormen technischen und gesellschaft- lichen Veränderungen und in der Verbreitung von Nach- richten in den Medien müssen wir hinterfragen, ob das bisherige strikte gesetzliche Verbot von Bild- und Ton- übertragungen insgesamt noch zeitgemäß ist . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine moderate Lockerung vom Verbot von Ton- und Fern- sehrundfunkaufnahmen aus Gerichtsverhandlungen vor . Es ist darauf hinzuweisen, dass es im Grundsatz bei der Unzulässigkeit verbleibt . § 169 Satz 2 GVG wird ge- rade nicht gestrichen . Nach dem Zweck des Gesetzes werden einmalige und punktuelle Ausnahmeregelungen geschaffen . Es ist keinesfalls Ziel, Gerichtsverfahren zu kommerzialisieren . Einer unbegrenzten audio-visuellen Medienöffentlichkeit wird eine klare Absage erteilt . Im Mittelpunkt des Gesetzentwurfs steht das Span- nungsverhältnis zwischen dem Zugang von Medienver- tretern zu Gerichtsverhandlungen und den Persönlich- keitsrechten der Verfahrensbeteiligten . Der Angeklagte darf in keinem Fall zum Schauobjekt degradiert werden . Die Personenwürde des Angeklagten ist stets zu achten . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beinhaltet nun die Möglichkeit der Übertragung der mündlichen Verhandlung und der Urteilsverkündung in einen Ar- beitsraum für Medienvertreter (§ 169 Absatz 1 Satz 3-5 GVG-E) . Geplant sind hier ausschließlich Tonübertra- gungen . Ferner beinhaltet ist die Möglichkeit der au- dio-visuellen Dokumentation von Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung (§ 169 Absatz 2 GVG-E) . Die Aufnahmen werden nicht Be- standteil der Gerichtsakte . Nach Abschluss des Verfah- rens sollen sie dem Bundes-/Landesarchiv zur Über- nahme angeboten werden . Beinhaltet ist außerdem die Übertragung von Verkündungen von Entscheidungen der Obersten Gerichtshöfe des Bundes in den Medien (§ 169 Absatz 3 GVG-E bzw . ArbGG) . Ein weiteres wichtiges Kernelement des Gesetzent- wurfes liegt in der Verbesserung für Menschen mit Hör- und Sprachbehinderungen zum barrierefreien Zugang im Gerichtsverfahren . Eine Kostenübernahme für die Ver- dolmetschung des gesamten gerichtlichen Verfahrens ist bisher nur für die Hauptverhandlung gegeben und bedarf einer Erweiterung . Hier setzen wir an . Die bestehende Regelungslücke hinsichtlich des Tragens dieser Kosten für das gerichtliche Verfahren außerhalb der mündlichen Verhandlung soll geschlossen werden . Dies hat Auswir- kungen darauf, wer die Kosten für eine Inanspruchnah- me außerhalb der mündlichen Verhandlung zu tragen hat . Für die Betroffenen treten Entlastungen in Höhe von 97 500 Euro ein, da die Kosten der Übersetzungsleistun- gen nunmehr von den Gerichten und nicht mehr von den betroffenen Personen selbst zu tragen sind . Dies ist ein gutes und richtiges Signal . Natürlich muss stets die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit und den Persönlich- keitsrechten der Verfahrensbeteiligten gewahrt werden . Der Gesetzentwurf plant moderate Lockerungen der be- stehenden Gesetzgebung, die das gerichtliche Verfahren nicht schwerwiegend beeinflussen und gleichzeitig einen gesetzlichen Rahmen für eine angemessene Medienöf- fentlichkeit schaffen . Dr. Matthias Bartke (SPD): Die Szenen aus Ge- richtsserien haben das Bild vieler Fernsehzuschauer von Gerichtsverhandlungen geprägt . Die Realität kann nur wenig dagegensetzen; denn Aufnahmen realer Gerichts- verhandlungen gibt es im Fernsehen keine zu sehen . Grund dafür ist das Verbot aus dem Jahr 1964 . Die- ses Verbot erklärt Ton-, Fernseh- und Rundfunkaufnah- men von Verhandlungen und Urteilsverkündungen zum Zweck der Veröffentlichung für unzulässig . Damit ist alles, was wir zu sehen bekommen: Angeklagte, Anwäl- te und Richter, die den Gerichtssaal betreten, sich setzen und wieder aufstehen . Die wirkliche Welt der Gerichts- verhandlungen bleibt damit für die meisten Fernsehzu- schauer verborgen . Das Verbot der Tonaufnahmen hat aber noch eine ganz andere Dimension . Es verhindert nämlich, dass die Gerichtsverhandlung in einen anderen Raum übertragen werden kann . Das hatte beim NSU-Prozessbeginn für riesige Probleme gesorgt . Zunächst sollte für die Vergabe der Plätze die Reihen- folge der Anmeldung entscheidend sein . Dabei kamen aber die türkischen Medien zu kurz . Das Bundesverfas- sungsgericht ordnete daher an, dass mindestens drei Plät- ze für ausländische Medien reserviert werden müssten . Der Senat entschied sich dann für eine komplette Neu- vergabe per Los . Nach der Auslosung der Presseplätze kam es zu einem neuen Sturm der Entrüstung . Während große Medien wie die FAZ, Die Zeit oder Die Welt kein Losglück hatten, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21039 (A) (C) (B) (D) sollten kleine Regionalsender wie Radio LOTTE Weimar über den Prozess berichten . Die Gerichte entscheiden im Namen des Volkes . Was sie an Recht sprechen, wirkt sich auf unser aller Zusam- menleben aus . Es gibt daher ein berechtigtes Interesse daran, dass über einen Prozess entsprechend seiner Be- deutung berichtet werden kann . Wir wollen das Verbot von Ton- und Fernsehaufnahmen in Gerichten daher lo- ckern . In den vergangenen Monaten ist dieses Ansinnen be- reits verschiedentlich auf Kritik gestoßen . Wir nehmen diese Einwände sehr ernst . Durch die Lockerung des Ver- bots dürfen weder Persönlichkeitsrechte verletzt noch die Wahrheitsfindung im Strafverfahren gefährdet werden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist daher ein sehr bedachter und abwägender Gesetzentwurf . Er baut die Brücke zwischen dem Informationsbedürfnis der Allge- meinheit und den Rahmenbedingungen für ein faires Ver- fahren und eine funktionstüchtige Rechtspflege. Entscheidungsverkündungen oberster Gerichtshöfe des Bundes sollen zukünftig grundsätzlich von Medien übertragen werden können . Für Fälle wie das NSU-Ver- fahren soll die Einrichtung von Arbeitsräumen für Me- dienvertreterinnen und -vertreter mit Tonübertragung ermöglicht werden . Darüber hinaus sehen wir für Ge- richtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung eine audio-visuelle Dokumentation vor . Die Voraussetzungen für alle drei Möglichkeiten sind aber eng gesetzt . Zwischen Verhandlungen und Entschei- dungsverkündungen, zwischen Ton- und Videoaufnah- men wird wohlweislich unterschieden . Übertragungen und Aufzeichnungen liegen stets im Ermessen des Ge- richts . Von TV-Schlachten, Showbühnen und Satirebeiträgen sind wir damit weit entfernt . Zu Recht . Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Der uns vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass das seit 1964 bestehende Verbot von Ton-, Fernseh- und Rundfunkauf- nahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung moderat gelockert werden soll . Damit trägt der uns vorliegende Gesetzentwurf den gesell- schaftlichen und technischen Entwicklungen in Bezug auf moderne Kommunikationsmittel in der Gesellschaft Rechnung, der sich die Justiz nicht verschließen sollte . Nun steht zu befürchten, dass die von Justizminister Heiko Maas geplante Änderung des § 169 GVG dazu führt, dass der Gerichtssaal zur Showbühne verwandelt und die Unabhängigkeit der Justiz durch einen erhöh- ten medialen Druck gefährdet wird . Für meine Fraktion bleibt es ein Grundprinzip, dass Gerichtsverfahren IN der Öffentlichkeit, aber nicht FÜR die Öffentlichkeit stattfin- den . Die geplanten Änderungen des § 169 GVG tragen dem nach Auffassung meiner Fraktion Rechnung . Sie sind moderat und verfolgen lediglich das Ziel, die Ge- richtsverfahren IN der Öffentlichkeit besser wahrnehm- bar zu machen . Einer medialen Massenverwertung wird durch die geplanten Änderungen des § 169 GVG nicht Tür und Tor geöffnet . Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen – EMöGG – beinhal- tet im Wesentlichen Folgendes: Erstens Medienübertragung: Entscheidungsverkün- dungen oberster Bundesgerichte sollen grundsätzlich von Medien übertragen werden können . Zweitens gerichtsinterne Übertragung: Die Einrich- tung von Arbeitsräumen für Medienvertreterinnen und -vertreter mit Tonübertragung soll für Verfahren mit ei- nem erheblichen Medieninteresse gesetzlich geregelt werden . Drittens Verfahren von herausragender zeitgeschicht- licher Bedeutung: Eine audio-visuelle Dokumentation von Gerichtsverfahren, die eine herausragende zeitge- schichtliche Bedeutung besitzen, soll bei näherer Be- stimmung der Voraussetzungen und der Festlegung von Regelungen für eine begrenzte Verwendung ermöglicht werden . Gegen eine ausschließliche Übertragung von Urtei- len oberster Bundesgerichte durch die Medien ist aus Sicht meiner Fraktion Die Linke nichts einzuwenden . So werden auch Entscheidungen des Bundesverfassungsge- richts bereits jetzt von den Medien übertragen, ohne dass dies die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts bislang gefährdet hätte oder das Bundesverfassungsge- richt zu einer Showbühne verkommen wäre . Eine Über- tragung von Entscheidungen oberster Bundesgerichte ist auch deshalb gerechtfertigt, weil derartige Entscheidun- gen nur einen Bruchteil aller Gerichtsentscheidungen ausmachen, sie jedoch meist eine hohe gesellschaftliche Bedeutung haben und dadurch auf ein öffentliches Inte- resse stoßen . Die Übertragung von Entscheidungsver- kündungen oberster Bundesgerichte von den Medien stellt auch keinen erheblichen Eingriff in die Funktions- fähigkeit der Rechtspflege dar. Denn die eigentliche Ge- richtsverhandlung findet nach wie vor unter Ausschluss von Bild- und Tonaufnahmen statt . Ebenso sind nach wie vor keine Bild- und Tonaufzeichnungen für Gerichtsver- fahren unterhalb der Bundesgerichte vorgesehen . Sollte es die Bundesregierung zukünftig anstreben, eine Me- dienübertragung auf andere Gerichte oder das Gerichts- verfahren vor der Urteilsverkündung auszudehnen, wird sich meine Fraktion klar dagegen aussprechen . Auch gegen eine gerichtsinterne Übertragung von Ge- richtsverhandlungen bei erheblichem Medieninteresse, das heißt eine Einrichtung von Arbeitsräumen für Me- dienvertreterinnen und -vertreter in demselben Gerichts- gebäude, ist aus Sicht meiner Fraktion Die Linke nichts einzuwenden . Der NSU-Prozess in München hat ein- drucksvoll aufgezeigt, dass das Medieninteresse durch- aus – und berechtigterweise – beträchtlich sein kann . Um zu vermeiden, dass Teile der interessierten Öffentlichkeit ausgeschlossen werden – zum Beispiel bei Losverfahren, wie sie beim Landgericht München im NSU-Prozess praktiziert wurden –, ist die gerichtsinterne Übertragung von Gerichtsverhandlungen bei erheblichem Medienin- teresse ein legitimer Weg . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621040 (A) (C) (B) (D) Der Ermöglichung von audiovisuellen Dokumenta- tionen von Gerichtsverfahren, die eine herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung besitzen, kann aus Sicht meiner Fraktion Die Linke nur dann zugestimmt werden, wenn dies in engen Grenzen erfolgt . Denn eine audio- visuelle Aufzeichnung des gesamten Prozessverlaufes kann durchaus Auswirkungen auf das prozessuale Ver- halten von Verfahrensbeteiligten haben . Daher ist es unabdingbar, genau zu definieren, wann eine „herausra- gende geschichtliche Bedeutung“ zu bejahen ist und von wem sowie wofür genau die Aufzeichnungen verwendet werden dürfen . Meine Fraktion begrüßt, dass mit den geplanten Än- derungen und Ergänzungen ein wichtiger Schritt zur Um- setzung von Artikel 13 Absatz 1 UN-Behindertenrechts- konvention unternommen wird, was insbesondere durch die geplante Übernahme der Übersetzungskosten für das gesamte Verfahren – und nicht nur, wie bisher, für die Hauptverhandlung – zum Ausdruck kommt . Nichtsdesto- trotz sind die geplanten Regelungen im Hinblick auf hör- und sprachbehinderte Personen nicht weitreichend genug und hinsichtlich anderer Behinderungsarten lückenhaft . Das beabsichtigte Gesetz muss dazu genutzt werden, über die Kommunikationshilfen hinaus grundsätzlich Barrierefreiheit im Rahmen eines Gerichtsverfahrens stärker zu verankern . Nur so kann gewährleistet werden, dass Menschen mit Behinderungen einen gleichberech- tigten und wirksamen Zugang zur Justiz haben werden . Nach Auffassung meiner Fraktion kann trotz der ge- planten Änderungen des § 169 Absatz 2 GVG jeder Bür- ger darauf vertrauen, dass seine Angelegenheit in einer von störenden äußeren Einflüssen unbeeinträchtigten mündlichen Verhandlung sorgfältig und unvoreingenom- men erörtert wird . Sofern es Bestrebungen geben soll- te, § 169 GVG noch weiter zu lockern, wird sich meine Fraktion allerdings dagegen aussprechen . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Ge- setzentwurf, den wir hier heute diskutieren, zielt darauf, Gerichtsverfahren transparent zu machen und moderne Kommunikationsformen einzuführen . Diesen Ansatz un- terstützen wir grundsätzlich . Zukünftig sollen Medien einen besseren Zugang zu den für ihre Berichterstattung notwendigen Informatio- nen bekommen, Urteile oberster Bundesgerichte sollen in Bild und Ton medial verkündet und historisch wichti- ge Prozesse dokumentiert werden – als Zeitzeugnis und um den Verlauf solcher Prozesse später aus erster Hand nachvollziehen zu können . Außerdem sollen die Kom- munikationshilfen für hör- und sprachbehinderte Perso- nen verbessert werden . Der Ansatz, den dieser Gesetzentwurf verfolgt, ist grundsätzlich richtig und sinnvoll . Justiz soll schließlich nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die Men- schen sollen die Möglichkeit haben, sich über die Verfah- ren und die Arbeit der Justiz zu informieren . Wenn Medienvertreter zukünftig einen gleichberech- tigten Zugang zu Prozessinformationen haben, dann kann das dazu dienen, dass die Berichterstattung über Gerichtsverfahren künftig noch vielfältiger und objekti- ver wird . Es kann auch dazu führen, dass die Öffentlich- keit mehr Interesse an oder Verständnis für die Arbeit der Justiz und für die Rechtsprechung entwickelt . Das ist erst einmal positiv zu werten . Eines muss in diesem Zusammenhang natürlich klar sein: Die Grenze von Transparenz und Medienöffentlich- keit muss immer dort gezogen werden, wo eine Beein- trächtigung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und der Rechte der Beteiligten droht! Das gilt insbesondere für Strafverfahren, in denen es um sensible Sachverhalte und den Schutz der Privatsphäre von Angeklagten oder Opferzeugen geht . Hier sollte niemand vorgeführt oder gar in seinen Verfahrensrechten beeinträchtigt werden . Niemand sollte sich unter Druck gesetzt fühlen . Ich halte es insofern für sinnvoll, dass die Entschei- dung über die Dokumentation des Verfahrens grundsätz- lich beim Gericht liegt . Denn das Gericht hat die Verfah- renshoheit und ist vertraut mit dem jeweiligen konkreten Fall . Da sich auch während des laufenden Verfahrens immer neue Umstände und Schutzinteressen ergeben können, ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass dem Ge- richt zukünftig auch die Möglichkeit eingeräumt werden soll, Aufnahmen oder Tonübertragungen teilweise zu untersagen . So kann zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens sichergestellt werden, dass die Rechte der Verfahrensbe- teiligten und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens gewahrt werden . Ein paar kleine Kritikpunkte gibt es dann aber doch noch: Bei Film- und Fernsehaufnahmen zu Dokumentati- onszwecken wäre es zur Wahrung der schutzwürdigen Belange der Verfahrensbeteiligten wünschenswert, wenn das Gericht die Verteidigung bzw . Angeklagte und Zeu- gen in seine Entscheidung einbeziehen würde . Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Beschlüsse des Gerichts nach § 169 GVG über die Zulassung von Ton- und Filmaufnahmen bzw . von Tonübertragungen unanfechtbar sein sollen . Den Prozessparteien sollte es jedenfalls in irgendeiner Form möglich sein, auf die Ent- scheidung des Gerichts über die Medienöffnung des Ver- fahrens mit Einfluss zu nehmen. Und selbst, wenn ich in den im Gesetzentwurf vor- gesehenen Maßnahmen nicht per se eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und die Beteiligten- rechte sehe, stellt sich hier die Frage: Wie sinnvoll und praktikabel sind diese Vorschläge eigentlich? Ich sehe zum Beispiel nicht den konkreten Mehrwert davon, Entscheidungen von obersten Bundesgerichten in den Medien zu übertragen . Diese Gerichte leisten näm- lich schon jetzt eine gute Pressearbeit . Entscheidungen werden zeitnah für eine mediale Verwertung aufgearbei- tet, entsprechende Presseerklärungen werden unmittelbar ins Netz gestellt und von den Medien aufgegriffen . Es wird also kein Mehr an Information geben . Es handelt sich bei dieser Art der Verkündung über Funk und Fern- sehen lediglich um eine öffentlichkeitswirksamere Dar- stellungsform . Auch wenn es durchaus sinnvoll ist, bedeutende Ver- fahren für die Öffentlichkeit zu dokumentieren, so fehlt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21041 (A) (C) (B) (D) es noch an einer Klarstellung, was unter einer „herausra- genden zeitgeschichtlichen Bedeutung“ genau zu verste- hen ist und wann Gerichtsverfahren diese Voraussetzung erfüllen . Insgesamt stehen wir aus den eingangs genannten Gründen den Neuerungen jedoch offen gegenüber und warten mit Interesse das weitere Verfahren ab . Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Heute be- fassen wir uns in erster Lesung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommuni- kationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehin- derungen – oder auch kurz EMöGG . Der Gesetzentwurf besteht aus zwei Teilen . Der erste befasst sich mit der Medienöffentlichkeit in Gerichtsver- fahren . Dieser Teil wurde in einer gemeinsamen Arbeitsgrup- pe meines Hauses und der Länder umfassend vorbereitet . Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder haben dann das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Bundesministerium für Ar- beit und Soziales gebeten, auf der Grundlage der Ergeb- nisse der Arbeitsgruppe einen Gesetzentwurf vorzulegen . Das Verbot von Ton- und Bild- sowie Rundfunk- und Fernsehaufnahmen aus der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor den Gerichten gilt seit 1964 . Es wurde damals eingeführt, weil man der Ansicht war, dass bei- spielsweise noch nicht verurteilte Angeklagte durch an- wesende Filmkameras in einer oft unerträglichen Weise in das Scheinwerferlicht einer weiten Öffentlichkeit ge- zerrt würden . Seither hat sich viel geändert . Damals konnte man we- der die gerichtsinterne Übertragung in Echtzeit noch die zahlreichen Kommunikationswege im Bereich der mo- dernen Medien, wie sie sich seither entwickelt haben, im Blick haben . Das gewandelte Medienverständnis und der Umgang mit modernen Kommunikationsformen lassen ein generelles Verbot nicht mehr zeitgemäß erscheinen . Auch von der Justiz wird eine moderne Kommunikati- on erwartet . Durch die Gesetzesänderung erhält sie die- se Möglichkeit . Dort, wo der Verfahrensablauf und die Rechte der Beteiligten nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, sollen moderne Medien stärker einbezogen wer- den können als bisher . So sieht der Entwurf vor, die Übertragung der Verkün- dung von Entscheidungen der Obersten Gerichtshöfe des Bundes in besonderen Fällen den Medien zu ermöglichen . Das Gericht soll die Übertragung zulassen können . Dabei muss es noch darüber entscheiden, in welcher Form und unter welchen Auflagen diese Übertragung stattzufinden hat . Die Zulassung ist nicht als Regelfall ausgestaltet, sondern in das Ermessen des Gerichts gestellt . Gerade zu dieser Regelung – das möchte ich hier nicht verbergen – habe ich im Laufe der Arbeiten an dem Gesetzentwurf viele Argumente gehört, weshalb diese Erweiterung nicht vorgenommen werden sollte . Sie vermögen mich allerdings nicht zu überzeugen . Per- sönlichkeitsrechte und die Wahrheitsfindung stehen bei der vorgeschlagenen Regelung ganz deutlich im Vorder- grund . Ein wie auch immer geartetes „Court TV“ wird nicht erlaubt und auch nicht für die Zukunft angestrebt . Bereits heute können die Pressevertreter an den Urteils- verkündungen der Gerichte teilnehmen und wörtlich mit- schreiben . Das gebietet der Grundsatz der Öffentlichkeit . Die Urteilsverkündungen der Obersten Bundesgerichte künftig von den Medien übertragen zu lassen, stellt nur eine kleine Erweiterung dar, die aber für die Wahrneh- mung der Justiz in der heutigen Medienlandschaft große Bedeutung hat . Ferner sieht der Entwurf vor, die audiovisuelle Do- kumentation von Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen . Das Gericht kann künftig entscheiden, dass – bei Vorliegen dieser Voraussetzun- gen – die gesamte Gerichtsverhandlung in Ton und Bild aufgezeichnet werden soll . Diese Aufzeichnung darf al- lerdings nicht für Verfahrenszwecke verwendet werden, wie im Gesetz noch einmal ausdrücklich klargestellt wird . Die Aufnahmen sind vielmehr nach Abschluss des Verfahrens dem zuständigen Bundes- oder Landesarchiv anzubieten, um für wissenschaftliche Zwecke zur Verfü- gung zu stehen . Lehnt das Archiv die Annahme ab, sind die Aufnahmen zu löschen . Persönlichkeitsrechte der Be- troffenen hat das Gericht selbstverständlich zu wahren . Wir alle kennen historische Aufzeichnungen aus be- deutenden Verfahren aus der Zeit von vor dem Jahr 1964 . So wurde die mündliche Verhandlung im Frankfurter Auschwitz-Prozess Anfang der 60er-Jahre auf Tonträger aufgezeichnet . Für uns sind diese Aufzeichnungen heute gerade wegen der vielen Zeugenaussagen von unschätz- barem Wert . Nur für solche zeithistorisch herausragen- den Verfahren sollen Aufzeichnungen nach dem Entwurf wieder möglich werden . Schließlich soll künftig die Übertragung der mündli- chen Verhandlung und der Urteilsverkündung in einen Arbeitsraum für Medienvertreter durch das Gericht ange- ordnet werden können . Anlass für diese Regelung waren die Probleme bei der Sitzplatzvergabe für Pressevertreter am Anfang des Strafverfahrens gegen Mitglieder des so- genannten NSU . In einem zweiten Teil enthält der Gesetzentwurf Ver- besserungen für Menschen mit Hör- und Sprachbehin- derungen . Vorgesehen sind Erweiterungen hinsichtlich der Beteiligung von Gebärdendolmetschern und anderer Kommunikationshilfen für hör- und sprachbehinderte Personen . Sie sollen künftig die Kosten für die Verdol- metschung am gesamten gerichtlichen Verfahren nicht selbst tragen müssen . Das ist eine Verbesserung, die längst überfällig ist . Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621042 (A) (C) (B) (D) Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsge- setz – SokaSiG) (Tagesordnungspunkt 26) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Wir beraten heute den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Bau- gewerbe (SOKASiG) . Dieser Entwurf aus der Mitte des Parlaments beschäftigt uns, nachdem das Bundesarbeits- gericht am 21 . September 2016 in zwei Urteilen über die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Bauhauptgewerbe der Jahre 2008, 2010 und 2014 be- schlossen hat . Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar: Mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen, wie des sogenannten 50-Prozent-Quorums, und der persönli- chen Befassung der zuständigen Ministerin bzw . des zuständigen Ministers sind die vorher genannten Allge- meinverbindlicherklärungen unwirksam . Der Antrag auf Unwirksamkeit ist von Arbeitgebern gestellt worden, die nicht Mitglied einer Arbeitgebervereinigung sind, je- doch aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärungen zu Beitragszahlungen an die Sozialkasse des Baugewerbes, die SOKA-BAU, verpflichtet sind bzw. waren. Unter- stützung fanden diese Klagen auch von Betrieben, die sowohl bauliche als auch nichtbauliche Dienstleistungen erbringen . Hier besteht stets die Streitfrage, ob sie unter die hier in Rede stehende AVE fallen . Beklagt wurde die Sozialkasse der Bauwirtschaft, die sogenannte SOKA-BAU, eine gemeinsame Einrichtung der drei Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft, der Deutschen Bauindustrie, des Deutschen Baugewerbes und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt . Diese blickt auf eine lange Tradition zurück, da sie schon 1949 als Urlaubskasse gegründet wurde . Im Jahr 1957 wurde sie um eine Zusatzversorgungskasse erweitert, später noch um die überbetriebliche Ausbildungskas- se . Ziel und Aufgaben der SOKA-BAU sind seit ihren Anfängen, Nachteile für die Beschäftigten der Bauwirt- schaft in den Bereichen Urlaub, Berufsausbildung und Altersversorgung auszugleichen . Nun ergibt sich nach den Beschlüssen des Bundesar- beitsgerichts eine für die SOKA-BAU unerwartete Situ- ation mit der Sorge um den weiteren Bestand der Sozi- alkassenverfahren des Baugewerbes und eine eventuell drohende Insolvenz . Dazu kommt auch die Unklarheit darüber, wie die Rechtsfolgen der gerichtlichen Feststel- lung einer Unwirksamkeit von Allgemeinverbindlicher- klärungen geregelt sind . Ohne Allgemeinverbindlicher- klärungen können gemeinsame Einrichtungen wie die SOKA-BAU nicht existieren. Die finanzielle Stabilität könnte aufgrund der ausstehenden Sozialkassenbeiträge sowie Rückforderungen ins Wanken geraten und die fi- nanzielle Tragfähigkeit der SOKA-BAU in Zukunft nicht mehr sicher sein . Unter den Betrieben des Baunebengewerbes wird die- se neue Situation etwas anders betrachtet . Dies ist in den Zuschriften, die mich und unsere Fraktion in den letzten Tagen erreichen, klar zu begreifen . Denn viele Betrof- fene, wie zum Beispiel Elektrohandwerk, Tischler und Schreiner, die nur bedingt mit baulichen Dienstleistun- gen zu tun haben, sahen sich in der Vergangenheit und sehen sich auch aktuell immer stärker im umfassenden Anspruch der SOKA-BAU aufgenommen . Sie möch- ten nicht in den stark ausgeweiteten Geltungsbereich der Sozialkasse einbezogen werden und verlangen eine deutlichere Abgrenzung der fachlichen und tariflichen Zuständigkeiten zwischen dem Baunebengewerbe und dem -hauptgewerbe . Die baugewerblichen Handwerke müssen, auch wenn sie tarifungebunden sind, wegen der Allgemeinverbindlichkeit in die Sozialkasse einzahlen . Die baunebengewerblichen Gewerke und ein Großteil der Mischbetriebe sehen dafür aber kein Bedürfnis und fordern schon lange, dass die SOKA-BAU sich auf deren Zuständigkeiten im Bauhauptgewerbe beschränkt . Wenn aber der Tarifvertrag nicht mehr für allgemeinverbindlich erklärt werden darf, müssen tarifungebundene Arbeitge- ber sowie Baunebengewerbe und Mischbetriebe keine Beiträge mehr einzahlen . Wir als Koalitionsfraktion erkennen die besondere Leistung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe an mit den spezifischen Lösungen, die den Beschäftigten der Baubranche mit der Gewährleistung einer Altersver- sorgung, dem Anspruch auf einen vollen Jahresurlaub und die Finanzierung der überbetrieblichen Ausbildung zugutekommen . Daher verstehen wir die Befürchtungen der SOKA-BAU, mit unzählbaren Rückforderungszah- lungen in Milliardenhöhe sowie mit dem Ausfall der laufenden Einzahlungen konfrontiert zu werden . Dass die SOKA-BAU jetzt nach den Beschlüssen des Bundes- arbeitsgerichtes Sorge vor Überschuldung hat und nach einer Klärung der Rechtsfolgen ruft, können wir nach- vollziehen . Zur Beseitigung dieser Rechtsunsicherheit, aber auch aufgrund des Wegfalls der Rechtsgrundlage durch die Unwirksamkeitserklärung der AVEs, wird nun eine Kor- rektur durch den Gesetzgeber gefordert . Wir müssen uns die Frage stellen, ob eine gesetzli- che Regelung hier angebracht ist, und dies mit äußerster Vorsicht angehen . Als Gesetzgeber müssen wir zunächst sorgfältig prüfen, ob die Sachlage und ihre Rechtsfolgen tatsächlich nach einer verbindlich durch ein Gesetz ange- ordneten Lösung rufen . Erforderlich erscheint mir daher, das Augenmerk auf die weiteren Betroffenen zu lenken, nämlich die Betriebe des baunahen Gewerbes und die Mischbetriebe . Für die tarifgebundenen Betriebe des Baugewerbes ändert sich nichts . Für die OT-Betriebe im Baugewerbe ändert sich jetzt zwar etwas, aber hier könnte man es noch am ehes- ten vertreten, dass sie dem Tarifvertrag zur SOKA-BAU zuzurechnen sind . Bei den baunahen Gewerken und bei den Mischbetrieben ist das jedoch eine äußerst kritische Frage . Die Loslösung von der SOKA-BAU war ja gerade das Ziel baunaher Gewerke und der Mischbetriebe, die sie mit den gerichtlichen Verfahren verfolgt haben . Hier nun als Gesetzgeber hinzugehen und diese gerichtlichen Entscheidungen, die aufgrund der bisherigen Rechtslage ergangen sind, nun rückwirkend für die Vergangenheit wieder aufzuheben und die Situation der Vergangenheit nachträglich als rechtens zu bewerten, erscheint mir äu- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21043 (A) (C) (B) (D) ßerst fraglich . Dies muss einer intensiven verfassungs- rechtlichen Prüfung unterzogen werden . Es ist für mich nachvollziehbar, dass alle durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts positiv betroffenen Un- ternehmen, Branchen und Bereiche eine nüchterne Wahr- nehmung der tariflichen Zuständigkeitsbereiche verlan- gen . Dies ist in meinen Augen auch ihr gutes Recht . In diesem Zusammenhang muss auch die vom BAG angesprochene „große Einschränkungsklausel“ in die Überlegungen einbezogen werden . Die im Moment befürchtete finanzielle Schieflage der SOKA-BAU bis hin zur befürchteten Insolvenz ist bisher noch nicht nachvollziehbar belegt . Daher muss auch dies auf den Prüfstand gestellt werden, da dies auch gerade als Grund eines gesetzgeberischen Handelns angeführt wird . Hier spielen gewiss auch die möglichen Rückforde- rungen eine große Rolle . Natürlich müssen wir diese im Rahmen des gesetzgeberischen Handelns berücksichti- gen, da wir grundsätzlich ein Interesse an dem Fortbe- stand der SOKA-BAU haben . Allerdings muss man dann redlicherweise auch die Frage stellen und beantworten, was mit möglichen Nach- zahlungen geschehen soll, die die SOKA-BAU aufgrund eines vom Gesetzgeber erlassenen Rettungsgesetzes ein- fordern könnte, die aber nach dem Urteil des Bundesar- beitsgerichtes nun nicht zu zahlen wären . Auch hier stel- len sich verfassungsrechtliche Fragen . Mit dieser Aufzählung von Fragen sollen nur einige aufgeworfen werden, obwohl noch weitere aufgeworfen werden müssen . Diese sind im Rahmen des weiteren Ge- setzgebungsverfahrens zu stellen und zu beantworten . Diese müssen zuerst vollumfänglich beantwortet wer- den, bevor das Verfahren beendet werden kann . Vor Beendigung des Verfahrens muss in meinen Au- gen auch geklärt sein, welche Betriebe zur SOKA-BAU zahlen müssen und welche nicht . Bevor dies nicht ge- klärt ist, ist eine Beendigung des Verfahrens schwierig . Schließlich wurde die Nichtzahlung durch das BAG bestätigt . Bevor diese Entscheidung quasi aufgehoben wird, müssen alle Beteiligten diese Frage geklärt und be- antwortet haben . Tobias Zech (CDU/CSU): Von den Leistungen der SOKA-BAU profitieren laut eigenen Auskünften mehr als 145 000 Betriebe, über 330 Millionen Euro gehen jedes Jahr an rund 370 000 Rentner, und für mehr als 35 000 Auszubildende werden Leistungen in Höhe von 300 Millionen Euro aufgebracht . Nicht zuletzt ist die zur SOKA-BAU gehörende ZVK-BAU AG (Zusatzversor- gungskasse des Baugewerbes AG) die größte Pensions- kasse Deutschlands . Die Zahlen sprechen für sich: Die Sicherung der Sozi- alkassenverfahren im Baugewerbe ist ein Thematik von nicht zu unterschätzender Bedeutung . Die SOKA-BAU ermöglicht Flexibilität und Si- cherheit in einer Branche, die ständig vor vielfältigen Herausforderungen steht . Von der Abhängigkeit von Witterungsbedingungen, einer großen Häufigkeit von Ar- beitgeberwechseln bis hin zu kleingewerblichen Unter- nehmsstrukturen . Die SOKA-BAU sorgt also dafür, dass trotz dieser schwierigen Verhältnisse für die Arbeitneh- mer keine Nachteile bei Rente, Urlaub und Ausbildung entstehen und gewährleistet darüber hinaus die Einhal- tung des branchenweiten Mindestlohns von Unterneh- men aus dem In- und Ausland . Diese wichtigen Leistungen verdanken wir in erster Linie der im Baugewerbe bestehenden Tarifpartner- schaft – wie sie natürlich in vielen anderen Branchen durch Tarifpartnerschaften ebenso ermöglicht wird . Die- ses System ist eine der Stützen unserer deutschen Wirt- schaftskraft . Es gilt, sie zu schützen . Und ich sage ganz deutlich: Für mich bedeutet der Schutz der Tarifpartnerschaft auch immer so wenig staat- licher Eingriff wie möglich . Wir haben ja auch nicht grundlos die Tarifautonomie in unserem Grundgesetz verankert . Trotzdem ist es unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass eine, wie in diesem Fall seit 1949 funktionierende sozial- partnerschaftliche Stütze, die Vorteile sowohl für Arbeit- nehmer als auch für Arbeitgeber bietet, nicht ins Wanken gerät – vorausgesetzt, sie erfüllt die geltenden Regeln, und in diesem Einzelfall habe ich, ehrlich gesagt, noch viele offene Fragen . Ganz zu schweigen von der offenen Frage der juristischen Auswirkungen der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen . Die Sicherung der Sozialkassenverfahren im Bauge- werbe ist ein komplexes Unterfangen . Schließlich geht es hier nicht nur um die SOKA-BAU, sondern vielmehr um eine Handvoll verschiedener Akteure beziehungsweise Faktoren, die offenbar zum Teil sehr verschiedene Inte- ressen und auch Einschätzungen der Situation vertreten bzw . nahelegen: Da wäre zum einen das Bundesarbeitsgericht, das im September einige Allgemeinverbindlicherklärungen un- ter anderem aufgrund der fehlenden Ministererklärung sowie in Teilen wegen der 50-Prozent-Quote für unwirk- sam erklärt hat – der Grund weshalb wir heute überhaupt über die SOKA-BAU sprechen . Des Weiteren ist da natürlich noch die SOKA-BAU, deren Zahlungsfähigkeit hier zur Debatte steht und die den vorliegenden Gesetzentwurf unterstützt . Der Gesetzentwurf, der die Allgemeinverbindlichkeit rückwirkend vorschreibt, ist ebenfalls ausgiebige Dis- kussionen wert . Und es gibt verschiedene Stimmen, die die Allge- meinverbindlicherklärung anzweifeln und/oder denen die fachlichen und tariflichen Zuständigkeitsbereiche nicht ausreichend definiert sind. Wie man sieht, ist bei diesem Gesetzesvorhaben also ein besonders kritischer Blick geboten . Bei diesem kriti- schen Blick bitte ich um Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen . Ich bin gespannt auf die Ergebnisse der kommenden Debatten . Bernd Rützel (SPD): Die zusätzlichen Sozialkassen in der Bauwirtschaft leisten einen wichtigen Beitrag zur Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201621044 (A) (C) (B) (D) Absicherung der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe . Die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragspar- teien schaffen einen Ausgleich für die strukturbeding- ten Nachteile der Bauarbeitnehmer . Sie haben eine lan- ge Tradition . Seit Jahrzehnten erbringen sie verlässlich Leistungen . Hiervon profitieren nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Auszubildende sowie Rentnerinnen und Rentner, sondern letztlich das gesamte Bauhauptgewer- be . Bauarbeitnehmer erhalten oft eine gesetzliche Rente, die nur knapp über der Grundsicherung liegt . Eine be- triebliche Altersversorgung gibt es – auch infolge häufi- ger Arbeitgeberwechsel – selten . Über die SOKA-BAU erhalten Bauarbeitnehmer Rentenbeihilfe . Das Ausbildungskassenverfahren garantiert eine qua- litativ hochwertige, überbetriebliche Berufsausbildung . Im Baugewerbe gibt es große saisonale Schwankungen und häufige Arbeitgeberwechsel. Daher gibt es häufig Probleme für Bauarbeitnehmer, ihren Urlaub zu nehmen . Im Urlaubskassenverfahren werden die Urlaubsansprü- che der Bauarbeitnehmer gesichert . Die SOKA-BAU organisiert für die Agentur für Ar- beit den Beitragseinzug im Rahmen der Winterbauför- derung . Die staatliche Winterbauförderung stellt sicher, dass Bauarbeitnehmer in der Schlechtwetterzeit nicht von Beschäftigungsverlusten bedroht werden . Von den Leistungen der Sozialkassen des Bauhaupt- gewerbes profitieren derzeit etwa 700 000 Bau-Arbeit- nehmer, 35 000 Auszubildende sowie 370 000 Rentner . Diese Menschen und ihre Ansprüche müssen wir schüt- zen . Auch das Bundesarbeitsgericht bestreitet nicht das öffentliche Interesse an den Sozialkassen des Bauhaupt- gewerbes . Daher ist es gut und wichtig, dass wir jetzt schnell handeln . Die besondere sozialpolitische Bedeutung der Sozialkassen haben wir hier im Haus zuletzt im Rahmen der AVE-Reform im Jahr 2014 ausdrücklich anerkannt . Wir können deshalb nicht zulassen, dass diesem wichti- gen Instrument durch die Entscheidungen des Bundesar- beitsgerichts nachträglich der Boden entzogen wird . Vor diesem Hintergrund steht außer Frage, dass wir zeitnah handeln müssen . Wir wollen im Verbund mit dem Bausozialpartnern und der SOKA-BAU eine gesetzliche Lösung, mit der die Verbindlichkeit der Sozialkassenverfahren für alle Arbeitgeber im Bauhauptgewerbe sichergestellt wird . In dem Gesetz sollen die bislang für allgemeinverbindlich erklärten Sozialkassentarifverträge für alle Arbeitgeber verbindlich angeordnet werden . Wir klären damit beste- hende Unklarheiten . Nur mit einem Gesetz kann rechts- sicher und belastbar den Bedenken des Bundesarbeitsge- richts entgegengetreten werden . Nur mit unserem Gesetz können wir garantieren, dass die Leistungen der SOKA-BAU von allen Arbeitgebern gemeinsam getragen werden . Dem entspricht, dass auch alle Arbeitnehmer – unabhängig von der Tarifbindung ih- rer Arbeitgeber – Anteil an den Leistungen haben sollen . Das Gesetz gilt für alle gleichermaßen: für im Ausland ansässige Arbeitgeber und ihre nach Deutschland ent- sandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genauso wie für im Inland ansässige Arbeitgeber und deren Be- schäftigte . So sorgt die SOKA-BAU zudem für einen fai- ren Wettbewerb in der Branche . Damit sie branchenspe- zifische Nachteile weiterhin ausgleichen kann, müssen wir jetzt tätig werden . Jutta Krellmann (DIE LINKE): Den ersten großen politischen Konflikt, den ich Mitte der Siebzigerjahre als Jugend- und Auszubildendenvertreterin in meinem Betrieb erlebt habe, war die aufkommende Jugendar- beitslosigkeit . Damals war unsere Forderung: Wer nicht ausbildet, muss zahlen! Wenn Betriebe selbst nicht für Nachwuchs sorgen, müssen sie zumindest die Betriebe mitfinanzieren, die es tun. Diese Ausbildungsumlage ist bis heute leider nur in wenigen Branchen zu finden. Eine davon ist die Bauwirtschaft, und verwaltet wird die Umlage durch die Sozialkassen der Bauwirtschaft, die SOKA-BAU . Einst vor 68 Jahren als Urlaubs- und Lohn- ausgleichskasse der Bauwirtschaft gegründet, übernimmt sie heute weitere wichtige Aufgaben, wie die Sicherung von Arbeitszeitkonten, tariflichen Zusatzrenten oder eben die Ausbildungsumlage . Damit die SOKA-BAU diese Aufgaben erfüllen kann und alle Beschäftigten in der Branche von der sozialen Absicherung profitieren können, sind über die Allge- meinverbindlichkeitserklärung von geltenden Tarifver- träge der Bauwirtschaft und Baunebenbranchen alle Be- teiligten mit einbezogen – ob sie einen Tarifvertrag haben oder nicht, ob sie Arbeitgeber sind oder Arbeitnehmer . Dass da einige Arbeitgeber rumjammern, ist nicht ver- wunderlich . Dass sie sich mit ihrer Klage vor dem Bun- desarbeitsgericht gegenüber diesem System aber entso- lidarisiert haben, hat mich persönlich sehr empört . Die unabsehbaren Folgen des Urteils hat die SOKA-BAU in die Insolvenzberatung getrieben, und daher findet der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verhinde- rung einer Pleite unsere volle Zustimmung . Der radikale Schritt, den Frau Nahles mit diesem Gesetzentwurf zur Rettung der SOKA-BAU geht, wäre aber gar nicht nötig gewesen . Und ich erkläre Ihnen auch, warum . Es wäre jetzt nicht nötig, das Regierungshandeln seit 2006 nachträglich zu legitimieren, wenn die Bundesre- gierungen der vergangenen zwei Jahrzehnte die Tarifbin- dung nicht derart massiv geschwächt hätten – ich nenne hier nur einmal die kalte Aussperrung oder die Duldung der OT-Mitgliedschaften von Arbeitgebern als zwei von vielen Angriffen auf die Tarifbindung . Das Wirken von Franz Müntefering über Franz Josef Jung bis hin zu Ursula von der Leyen im Bundesarbeitsministerium lässt sich auch an der Statistik ablesen: Laut WSI waren 1998 über die Hälfte der Betriebe nicht tarifgebunden, sieb- zehn Jahre später waren es schon über 70 Prozent . Diese massive Tarifflucht wäre ohne das staatliche Eingreifen in die Tarifautonomie nie möglich gewesen . Und ohne diese aktive Parteinahme zugunsten von Arbeitgebern, das gehört auch zur Wahrheit, wäre die Situation bei den Sozialkassen der Bauwirtschaft heute sicher eine andere . Frau Nahles, Sie müssen hier den Mist aufräumen, den Ihre Vorgänger hinterlassen haben, und diesmal haben Sie auch unsere volle Unterstützung, weil es uns um die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 21045 (A) (C) (B) (D) Beschäftigten geht . Auch Ihr Anliegen, die Tarifbindung staatlich wieder zu stärken, trifft auf meine Zustimmung . Ich kann Ihnen aber nur davon abraten, Tarifbindung mit- tels tariflicher Öffnungsklauseln oder „Experimentier- klauseln“, wie jetzt beim Arbeitszeitgesetz, in erster Linie nur wieder attraktiv für Arbeitgeber zu machen . Damit tun Sie weder Ihren Gewerkschaftsfreunden noch dem Handlungsspielraum Ihres eigenen Ministeriums einen Gefallen . Denn damit hintertreiben Sie die Kernfunktion von Tarifbindung und der ihr zugrundliegenden Tarifver- träge und hinterlassen Ihrem Nachfolger wiederum einen Misthaufen, den er oder sie dann künftig beseitigten darf . Die Situation der SOKA-BAU sollte uns allen eine Lehre sein, so schnell wie möglich mit dem konsequenten Wiederaufbau der Tarifbindung im Sinne der Beschäftig- ten zu beginnen . Ein sofortiges Verbot von OT-Mitglied- schaften wäre da ein guter Anfang . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Sozialkasse im Baugewerbe existiert seit über 60 Jahren . Sie vereint die Urlaubs- und Lohnausgleichs- kasse der Bauwirtschaft sowie die Zusatzversorgungs- kasse des Baugewerbes . Sie hat große Verdienste um bessere Arbeitsbedingungen in dieser Branche . Das ist auch dringend nötig, denn diese Branche ist, wie kaum eine andere, von wechselnden Beschäftigungen und sai- sonalen Schwankungen geprägt . Die Basis dieser Sozialkasse ist ein Tarifvertrag der Sozialpartner in der Baubranche . Dieser Tarifvertrag gilt für alle in der Branche, also auch für nichttarifgebundene Betriebe, und das ist im Fall einer solchen gemeinsamen Einrichtung eine absolute Notwendigkeit . Entsprechend war die Allgemeinverbindlichkeit der entsprechenden Tarifverträge in den letzten Jahrzehnten eine Selbstver- ständlichkeit . Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Allgemeinverbindlichkeit dieses Tarifvertrags durch das Bundesarbeitsministerium seit 2006 unwirksam ist . Die Gründe sind vor allem formaler Natur . Zum einen fehlt die Unterschrift von den damaligen Arbeitsministern Olaf Scholz und Ursula von der Leyen . Zum anderen war das damals gesetzlich notwendige 50-Prozent-Quorum der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben aus Sicht des Gerichts verfehlt . Ich halte das Urteil für bedauerlich und kann auch kaum nachvollziehen, dass eine bewährte und allgemein anerkannte Institution wie die SOKA-BAU auf dieser Grundlage in Existenznot gebracht wird . Immerhin erhal- ten mehr als 145 000 Betriebe für ihre gezahlten Beiträge Leistungen und Service von der SOKA-BAU . Mehr als 370 000 Rentnerinnen und Rentner erhalten Leistungen . Mehr als 825 000 Anwärtern werden jährlich Beiträge für die Altersversorgung gutgeschrieben . Und mehr als 35 000 Auszubildende profitieren von den Ausbildungs- betrieben und überbetrieblichen Ausbildungszentren . Zumindest hätte ich erwartet, dass das Gericht bei einer solchen Entscheidung in Erwägung zieht, dass die über- wiegende Zahl der Unternehmen und Beschäftigten seit Jahren auf den Bestand der Kasse vertraut haben . Zwei- fellos hat sich aber auch das Bundesarbeitsministerium nicht mit Ruhm bekleckert, denn es hat zugelassen, dass diese Allgemeinverbindlichkeit so angreifbar ist . Nun ist der Schaden da, und wir brauchen eine gute Lösung . Allerdings muss die Lösung juristisch sauber sein und den Unternehmen und Beschäftigten endlich Rechtssicherheit bringen . Ob der Gesetzentwurf der Bundesregierung – insbe- sondere die Auswirkung auf die Jahre ab 2006 – diesen Ansprüchen genügt, werden wir genau prüfen . Notwen- dig sind aus unserer Sicht eine absolute Transparenz des Verfahrens und ein offener Umgang mit den Argumen- ten, die dafür und dagegen sprechen . Wenn es gangbare Alternativen gibt, gehören sie auf den Tisch . Seien Sie versichert, wir werden den Prozess kon- struktiv begleiten . Denn für uns Grüne ist klar: Die SOKA-BAU ist wichtig, und ihre Existenz muss unbe- dingt gesichert werden . Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 209. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung TOP 4 Schutz von Kindern und Familien vor Armut TOP 5 Bundeswehreinsatz in Südsudan (UNMISS) TOP 6 Bundeswehreinsatz in Darfur (UNAMID) TOP 33 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 34, ZP 2 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 3 Aktuelle Stunde zur Beteiligung am US-Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein TOP 7 Änderung des Conterganstiftungsgesetzes TOP 8 Schutz der Pressefreiheit TOP 9 Bundeswehreinsatz in Afghanistan TOP 10 Personalbemessung in der Altenpflege TOP 11 Bekämpfung der Schwarzarbeit TOP 12 Einflussmöglichkeiten auf politische Willensbildung TOP 13 Nachtragshaushaltsgesetz 2016 TOP 14 Lebensdauer technischer Geräte ZP 4 Manipulation an digitalen Grundaufzeichnungen TOP 16 Schutz zahlungsunfähiger Staaten vor Spekulanten ZP 5 Vergütungsanspruch von Urhebern und Künstlern TOP 18 Frieden und Abrüstung in Europa ZP 6 Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen ZP 7 Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung TOP 17 Änderung des Soldatengesetzes TOP 19 Änderung des Bundeswaldgesetzes TOP 20 Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes TOP 21 Gewerbeabfallverordnung TOP 22 Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region TOP 23 Wissenschaftskooperation in Subsahara-Afrika TOP 24 GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz TOP 25 Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren TOP 26 Fortbestand der Sozialkassen im Bauhauptgewerbe Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18 Anlage 19 Anlage 20 Anlage 21 Anlage 22 Anlage 23 Anlage 24
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820900000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich .

Ich möchte vor Eintritt in die Tagesordnung dem Kol-
legen Charles Huber nachträglich zu seinem 60 . Ge-
burtstag gratulieren und ihm im Namen des ganzen Hau-
ses alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr mit auf
den Weg geben .


(Beifall)


Für den verstorbenen Kollegen Peter Hintze ist der
Kollege Dr. Mathias Edwin Höschel als Mitglied des
Bundestages nachgerückt . Ich möchte ihn herzlich be-
grüßen .


(Beifall)


Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit!

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages-
ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:

Herausforderungen für die internationale
Politik nach den Terroranschlägen in Kairo,
Istanbul und weiteren Orten vom vergange-
nen Wochenende


(siehe 208 . Sitzung)


ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache


(Ergänzung zu TOP 34)


a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph
Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Ökologischen Hochwasserschutz länder-
übergreifend sicherstellen und sozial ver-
ankern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Peter
Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Steffi Lemke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ökologischen Hochwasserschutz voran-
bringen

Drucksachen 18/3277, 18/2879, 18/3481

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Christian Kühn (Tübingen), Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Feinstaubemissionen aus Baumaschinen redu-
zieren

Drucksachen 18/3554, 18/4399

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-
Uhl, Lisa Paus, Dr . Julia Verlinden, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Atomkosten verursachergerecht anlasten –
Kernbrennstoffsteuer beibehalten und anhe-
ben

Drucksachen 18/10034, 18/10545

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 394 zu Petitionen

Drucksache 18/10644

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620816


(A) (C)



(B) (D)


Sammelübersicht 395 zu Petitionen

Drucksache 18/10645

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 396 zu Petitionen

Drucksache 18/10646

g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 397 zu Petitionen

Drucksache 18/10647

h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 398 zu Petitionen

Drucksache 18/10648

i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 399 zu Petitionen

Drucksache 18/10649

ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Haltung der Bundesregierung zur deutschen
Beteiligung am US-Drohnenkrieg über die
Relaisstation Ramstein

ZP 4 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen
an digitalen Grundaufzeichnungen

Drucksachen 18/9535, 18/9957, 18/10102
Nr. 18

Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-
nanzausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/10667

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des

(7 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas
Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Betrug mit manipulierten Registrierkassen
gesetzlich verhindern – Zeitgleich Ab-
schreibungsregeln für geringwertige Wirt-
schaftsgüter verbessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas
Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Umsatzsteuerbetrug bekämpfen

Drucksachen 18/7879, 18/1968, 18/10667

ZP 5 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung
des Anspruchs der Urheber und ausüben-
den Künstler auf angemessene Vergütung

Drucksache 18/8625

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/10637

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz (6 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea
Rößner, Renate Künast, Dr . Konstantin von
Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Urheberinnen und Urheber stärken – Ur-
hebervertragsrecht reformieren

– zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Künast, Kai Gehring, Dr . Konstantin von
Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Ur-
heberrecht bildungs- und wissenschafts-
freundlich gestalten

Drucksachen 18/7518, 18/8245, 18/10637

ZP 6 Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verbesserung des Schutzes gegen
Nachstellungen

Drucksache 18/9946

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/10654

ZP 7 Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung der Bestimmungen zur
Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung
und zur Eigenversorgung

Drucksachen 18/10209, 18/10352, 18/10444
Nr. 1.10

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/10668

ZP 8 Unterrichtung durch das Deutsche Institut für
Menschenrechte

Bericht über die Entwicklung der Menschen-
rechtssituation in Deutschland


(Berichtszeitraum Januar 2015 bis Juli 2016)


Drucksache 18/10615

Präsident Dr. Norbert Lammert

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20817


(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 9 Unterrichtung durch das Deutsche Institut für
Menschenrechte

Jahresbericht 2015

Drucksache 18/10616
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 10 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Haltung der Bundesregierung zum CDU-Par-
teitagsbeschluss zur Wiedereinführung des
Optionszwangs

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden .

Der Tagesordnungspunkt 15 – da geht es um den
Sportbericht der Bundesregierung – soll abgesetzt und
stattdessen der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor
Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen auf
der Drucksache 18/9535 in Verbindung mit den Anträgen
auf den Drucksachen 18/7879 und 18/1968 abschließend
beraten werden – mit einer Debattenzeit von 25 Minuten .

Des Weiteren sollen die jeweils ohne Debatte vorgese-
henen Tagesordnungspunkte 33 g – hier geht es um den
Antrag „50 Jahre UN-Menschenrechtspakte“ –, 34 a – ein
Gesetzentwurf zum Abbau verzichtbarer Anordnungen
der Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes – und
34 b – hier geht es um den Entwurf eines Energiestatis-
tikgesetzes – heute abgesetzt werden .

Schließlich kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste
dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs, mit de-
nen Sie offenkundig rundum glücklich sind . Jedenfalls
regt sich kein erkennbarer Widerstand . Dann haben wir
das so vereinbart und behandeln die Tagesordnung wie
gerade verändert .

Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 3 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuordnung der Verantwor-
tung in der kerntechnischen Entsorgung

Drucksache 18/10469

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines

Gesetzes zur Neuordnung der Verantwor-
tung in der kerntechnischen Entsorgung

Drucksachen 18/10353, 18/10482

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(9 . Ausschuss)


Drucksache 18/10671


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/10672

Über den gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen werden wir später namentlich abstimmen .

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .

Für die Debatte ist eine Aussprachezeit von 60 Minu-
ten vorgesehen. – Auch das findet offensichtlich Einver-
ständnis .

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
zunächst dem Kollegen Michael Fuchs für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1820900100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-

be Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Am Montag dieser Woche haben wir in einem Presse-
gespräch gemeinsam die Grundzüge dieses Gesetzes
vorgestellt, und zwar Georg Nüßlein, Oliver Krischer,
Hubertus Heil und ich . Hinter uns hingen die Logos von
Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und natürlich auch der
CDU/CSU . Das war für mich – ich muss das zugeben –
in gewisser Weise schon ein ungewohntes Gefühl .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es ging! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es überlebt! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es hat nicht wehgetan, oder?)


Denn was eine solche Zusammenarbeit zwischen den
Fraktionen angeht, muss ich eingestehen: Ich kann mich
überhaupt nicht daran erinnern, dass wir das schon ein-
mal gemacht haben . Aber es hat geklappt, und es war
auch sinnvoll; denn besondere Herausforderungen ver-
langen auch besondere Maßnahmen, und diese beson-
deren Maßnahmen haben wir getroffen. Ich finde, dass
wir das sogar insgesamt ziemlich gut gemacht haben;
denn die Kernpunkte dieses Gesetzespaketes sind schon
schwierig genug gewesen . Wir haben gemeinsam ausge-
handelt:

Erstens . Die Betreiber der Kernkraftwerke bleiben
für die Stilllegung und den sicheren Rückbau zur grünen
Wiese in der Verantwortung . Sie müssen das bezahlen .
Sie haben dafür Rückstellungen in einer Größenordnung

Präsident Dr. Norbert Lammert

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620818


(A) (C)



(B) (D)


von 17,8 Milliarden Euro gebildet, und sie sind anschlie-
ßend auch in der Verantwortung, die Reste, den Abfall,
zu verpacken: sowohl den schwach- und mittelradioak-
tiven als auch den hochradioaktiven Abfall . Die berühm-
ten Castoren und Polluxe werden doch wieder zum Ein-
satz kommen .

Zweitens . Für die Zwischen- und Endlagerung über-
tragen die Energieversorger die Finanzmittel auf ei-
nen Fonds des Bundesfinanzministers. Hierfür sind
17,389 Milliarden Euro zurückgestellt worden, in den Bi-
lanzen nachweisbar . Die Kommissionsarbeit hat gezeigt,
dass diese Rückstellungen relativ konservativ gerechnet
sind . Sie sind eher hoch angesetzt und dementsprechend
ausreichend . Daraufhin haben wir in der Kommission
aber beschlossen, dass zusätzlich ein Risikozuschlag in
einer Größenordnung von 35 Prozent kommt, sodass die
Unternehmen insgesamt einen Betrag von rund 23,5 Mil-
liarden Euro an den Bundesfinanzminister überweisen
werden, und zwar in relativ kurzer Zeit . Wir gehen davon
aus, dass die Notifizierung des Gesetzes schnell geht und
dass wir etwa April in der Lage sein werden, das Gesetz
fertig zu haben . In dem Moment werden die Unterneh-
men diesen Betrag überweisen .

Die Gutachter der Bundesregierung, die das neutral
beobachtet haben, haben uns bestätigt, dass diese Zah-
lung auch in der Höhe gerechtfertigt ist und vor allen
Dingen ausreichend ist für die längerfristige Sicherstel-
lung der Lagerung . Im Gegenzug werden die Betreiber
von einer weiteren Nachschusspflicht freigestellt.

Ich halte diesen Ansatz für richtig . Das Verursacher-
prinzip, wie es bisher zum Beispiel im Atomgesetz in
§ 9a Absatz 1 festgelegt ist, wird strikt umgesetzt . Es ist
zukunftsfest durch diesen Risikozuschlag, den wir einge-
rechnet haben . Die langfristig erforderlichen Mittel für
Zwischen- und Endlagerung liegen zukünftig nicht mehr
bei den Unternehmen, sondern beim Staat . Wenn die
Unternehmen beispielsweise veräußert würden, bestün-
de die Gefahr, dass nicht mehr über diese Mittel verfügt
werden könnte .

Umgekehrt gewinnen die Energieversorger Planungs-
sicherheit . So können sie ihre fortbestehenden Rück-
bauverpflichtungen erfüllen; denn sie müssen ja noch
zusätzlich die Kernkraftwerke abbauen . Das letzte Kern-
kraftwerk wird 2022 vom Netz gehen . Wir gehen davon
aus, dass bis 2026, vielleicht auch bis 2028, die meisten
Kernkraftwerke abgebaut sein werden .

Am wichtigsten ist für mich die dritte zentrale Wei-
chenstellung des Gesetzes: Die operative finanzielle Ver-
antwortung für die Zwischen- und Endlagerung ist dann
beim Bund .

Meine Damen und Herren, diese guten Ergebnisse, die
wir in den Verhandlungen erzielt haben, sind nicht vom
Himmel gefallen . Das war auch alles andere als einfach .
Ein paar Erfolgsfaktoren möchte ich hervorheben . Da
ist zunächst diese Kommission, die die Gesetzgebungs-
arbeiten vorbereitet hat. Ich finde, dass unser Chef des
Bundeskanzleramtes, Peter Altmaier, bei der Zusammen-
setzung dieser Kommission einen guten Job gemacht hat,

auch wenn ich im ersten Moment geschluckt habe, als ich
gehört habe, wer alles mit dabei ist .


(Ute Vogt [SPD]: Wir auch!)


Ich möchte den drei Vorsitzenden Jürgen Trittin, Ole
von Beust und Matthias Platzeck danken, die die Kom-
mission vernünftig geleitet haben . Ihre Arbeit hat dazu
geführt, dass wir diese Ergebnisse heute haben .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Den Applaus ist das wirklich wert, Herr Trittin . –
Gleichzeitig möchte ich mich bei den Mitarbeitern be-
danken, die wirklich sehr viel arbeiten mussten, auch
in den letzten Wochen . Das ist nicht selbstverständlich .
Hier sind sehr viele Überstunden geleistet worden – in
meinem Büro von Herrn Dr . Pohl oder in deinem Büro,
Hubertus Heil, von Herrn Langenbruch; viele haben da-
ran mitgearbeitet . Auch das Ministerium unter Federfüh-
rung von Herrn Herdan hat uns dabei geholfen, dass wir
die Ergebnisse heute haben .

Entscheidend war: Wir haben die Kommissionsarbeit
im parlamentarischen Verfahren nicht für die Wiederho-
lung der Schlachten der Vergangenheit genutzt, sondern
im Gegenteil konstruktiv miteinander zusammengearbei-
tet und die Sache wirklich sachlich richtig umgesetzt .

Meine Damen und Herren, diese sachlich-konstrukti-
ve, verantwortungsvolle Haltung muss auch die weiteren
Umsetzungsschritte prägen . Mit dem Gesetzgebungsver-
fahren ist zwar ein wichtiger Schritt getan, aber weitere
Schritte müssen folgen:

Erstens haben wir die Erwartung, dass die Bundesre-
gierung den öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Ener-
gieversorgern, den wir vereinbart haben, so schnell wie
möglich auch abschließt . Das muss zügig geschehen .

Zweitens setzen wir darauf, dass die Unternehmen
und die Bundesregierung eine gütliche Verständigung
bei den noch offenen Rechtsstreitigkeiten finden werden.

Auch das ist positiv: Es gab 31 Verfahren; bis auf zwei
sind alle diese Verfahren jetzt rechtssicher beendet, und
die Unternehmen haben uns schriftlich bestätigt, dass sie
die Klagen zurückziehen werden .

Drittens . Der wichtigste Punkt ist: „Verantwortungs-
voll, zügig und sachorientiert“ muss auch das Motto bei
der Realisierung der Zwischen- und Endlagerung sein .

Durch das heute vorliegende Gesetz hat es der Staat
in Zukunft allein in der Hand, mit den Geldern für die
Zwischen- und Endlager effizient zu wirtschaften. Hier
gibt es jetzt auch keine Ausreden mehr . Der BMF ist ge-
fordert, und es ist meiner Meinung nach nötig, dass wir
diese Verfahren auch so schnell wie möglich umsetzen;
denn je schneller wir eine Lösung für ein Endlager fin-
den, desto sicherer ist, dass die Gelder, die jetzt in den
Fonds kommen, auch ausreichen .

Wenn wir aber glauben, wir könnten in jedem Bundes-
land einmal so eine kleine Probebohrung machen, einen
Bohrlochtourismus erzeugend, dann würde es natürlich

Dr. Michael Fuchs

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20819


(A) (C)



(B) (D)


schwierig werden . Das darf nicht geschehen . Die Politik
muss hier auch den Mut zur Entscheidung haben .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber am Ende!)


Ich erwarte, dass sich die zukünftigen Bundestage sehr
intensiv mit dem Thema beschäftigen und dafür sorgen
werden, dass schnell eine Endlagermöglichkeit gefunden
wird .

Ich will das einmal an dem Beispiel Finnland deutlich
machen: Dort hat man zwei Jahre gebraucht, um einen
Standort zu finden, und vor einigen Wochen hat man mit
der Realisierung dieses Standortes begonnen . 2023 soll
alles fertig sein . Ein solch zügiges Verfahren bei uns wür-
de dazu führen, dass der Bundesfinanzminister am Ende
des Tages Geld aus diesem Fonds übrig behalten würde .

Die ewige Diskussion um Schacht Konrad muss end-
lich beendet werden; denn die schwach- und mittelradio-
aktiven Abfälle, die ja nicht nur aus den Kernkraftwer-
ken, sondern auch aus medizinischen Anlagen kommen,
müssen so schnell wie möglich dorthin verbracht wer-
den . Deswegen erwarte ich auch, dass sich zukünftige
Regierungen daran messen lassen müssen, dass sie das
schnell hinbekommen . Anders darf es nicht gehen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich weiß, dass das ein komplexes Verfahren ist . Die-
ses komplexe Verfahren, das wir jetzt angehen, kann aber
auch ein Muster für uns sein, auf das wir uns bei allen in
Zukunft anstehenden technologisch schwierigen Grund-
satzfragen einigen; denn ob es uns gefällt oder nicht:
Jeder technische Fortschritt – von der Digitalisierung
bis zur Biotechnologie, vom autonomen Fahren bis zu
den Fragen einer modernen Landwirtschaft, die mit der
wachsenden Weltbevölkerung Schritt halten muss – geht
auch immer mit Risiken einher .

Alle diese Herausforderungen verlangen die Balance
aus Sicherheit und technologischen Chancen . Alle die-
se Themen verbieten ein Spiel mit Ängsten, das wir in
diesem Hause und vor allen Dingen auch bei den NGOs
schon häufiger erleben durften. Das darf nicht der Fall
sein . Mit dem Kernenergiepaket, das wir heute verab-
schieden, haben wir gezeigt, dass das geht, und wir soll-
ten uns solch schwierige Debatten auch in Zukunft auf
diese Art vornehmen .

Ich möchte mich noch einmal bei allen bedanken,
freue mich, dass wir das heute verabschieden können,
und wünsche allen Kolleginnen und Kollegen eine fried-
liche Weihnachtszeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Thomas Oppermann [SPD]: Wenn man seine Rede so beendet, kann man immer auf Beifall hoffen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820900200

Hubertus Zdebel ist der nächste Redner für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820900300

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wenn Atomkonzerne nichts mehr verdienen können oder
wenn hohe Kosten drohen, muss der Staat ran . Nach die-
sem ewig gleichen Prinzip wollen nun im großen Schul-
terschluss CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen
die Verstaatlichung der gesamten Atommüllentsorgung
besiegeln und dabei den Steuerzahlern die wesentlichen
Risiken aufbürden . Das macht die Linke nicht mit .


(Beifall bei der LINKEN – Ute Vogt [SPD]: Wie? Ihr wollt keine Verstaatlichung? – Gustav Herzog [SPD]: Revolutionär! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Linke will die Atomrisiken lieber privat haben!)


CDU/CSU und SPD sowie – unter Trittin als Um-
weltminister – die Grünen hatten Jahrzehnte Zeit, die
Probleme bei der Organisation und Finanzierung der
Atommülllagerung zu regeln . Das haben sie – freundlich
formuliert – verpennt, als die Milliardengewinne für die
Atomkonzerne noch sprudelten .

Lassen Sie mich kurz aus einer Studie im Auftrag der
Grünen aus dem Jahre 2010 zitieren – nachzulesen auf
der Homepage von Bärbel Höhn –:

Insgesamt machten die drei Konzerne E .ON, RWE
und EnBW im Jahr 2009 einen Gewinn von mehr
als 23 Milliarden Euro, seit 2002 von über 100 Mil-
liarden Seit dem Jahr 2002 haben sich die Gewinne
vervierfacht . Und für 2010 deutet sich ein weiteres
Rekordjahr an . . .

Das zeigt deutlich: Die Konzerne haben Milliardenge-
winne gemacht . Jetzt sagen Sie, man müsse sofort han-
deln; wenn man jetzt nichts tue, sei das Geld weg .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Geld ist schon weg!)


Hätten Sie mal eher gehandelt!


(Beifall bei der LINKEN)


Sicherlich – das räumen wir ein, und das sehen wir
auch; wir sind ja keine Surrealos –


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber Irrealos!)


stecken die Konzerne in einer schweren Strukturkrise .
Aber sie sind weiterhin potent genug, um den Umbau
in Richtung erneuerbare Energien zu schultern . Auf den
Weg haben sie sich jetzt auch gemacht . Gucken Sie sich
die Fernsehwerbung von Eon und RWE an! Da ist nicht
mehr von Atom und Kohle, sondern nur noch von erneu-
erbaren Energien die Rede .


(Christine Lambrecht [SPD]: Das ist doch gut so! Das ist das, was wir wollen! – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn haben?)


Sie werden ihre Marktmacht darauf verwenden, das aus-
zunutzen . Deswegen bestehen wir Linken darauf, dass
die Verursacher dauerhaft in der weiteren atomaren Haf-

Dr. Michael Fuchs

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620820


(A) (C)



(B) (D)


tung bleiben und für den atomaren Dreck geradestehen
müssen .


(Beifall bei der LINKEN)


Stattdessen sollen die Konzerne nach dem Willen ei-
ner supergroßen Koalition aus CDU/CSU, SPD und Grü-
nen für einen Schnäppchenpreis von 23 Milliarden Euro
von sämtlicher Verantwortung für die finanziellen Risi-
ken des Atommüllerbes befreit werden .


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Unerträglich!)


Das ist skandalös!


(Beifall bei der LINKEN)


In Wirklichkeit zahlen die Konzerne diese 23 Mil-
liarden Euro nämlich gar nicht, sondern eigentlich nur
17 Milliarden Euro . Denn der vermeintlich so hart ab-
gerungene Risikoaufschlag von 6 Milliarden Euro, der
der Öffentlichkeit als Erfolg verkauft wird, wird bei den
Konzernen durch den von Ihnen gewollten Wegfall der
Brennelementesteuer zum Jahresende eingespart . Damit
gleicht sich das de facto wieder aus . Das sind Taschen-
spielertricks, die mit uns Linken nicht zu machen sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Gesetzentwurf der drei Fraktionen sieht ferner
eine Aufhebung des Verursacherprinzips durch die Fest-
legung eines für den Steuerzahler höchst riskanten Fest-
preises für die Entsorgungskosten vor . Die dem zugrun-
deliegenden Kostenschätzungen sind auf Sand gebaut .
Nach allen Erfahrungen werden die Kosten der Entsor-
gung deutlich steigen . Ob die prognostizierte langfristi-
ge 4-prozentige Verzinsung der in den Fonds einzuzah-
lenden 23 Milliarden Euro tatsächlich eintritt, weiß zum
jetzigen Zeitpunkt niemand. Eine Nachschusspflicht der
AKW-Betreiber ist im Gesetzentwurf nicht vorgesehen:
einmal zahlen, und der Atommüll ist aus den Bilanzen
der Konzerne verschwunden .


(Ulrich Freese [SPD]: Das stimmt ja nicht!)


Zusätzlich will sich die Super-GroKo jetzt auch noch
auf eine Ermächtigung der Bundesregierung zum Ab-
schluss eines zusätzlichen öffentlich-rechtlichen Ver-
trags mit den Konzernen einlassen, mit dem sich diese
sozusagen für die Ewigkeit vor künftigen Neuregelungen
schützen wollen . Erschreckend, dass sich die Grünen da-
rauf einlassen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Jürgen Trittin sagt: Die Chancen, dass dieses Modell
funktioniert, stehen fifty-fifty. – Mit anderen Worten: Sie
wollen uns zu einem Flug einladen, der mit einer Wahr-
scheinlichkeit von 50 Prozent in einer Bruchlandung en-
den wird,


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hat er nicht gesagt! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein anderes Modell!)


einer Bruchlandung, deren Folgen die Bürger dieses
Landes ausbaden müssen . Diese Einladung zum Harakiri
lehnen wir ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Stattdessen fordern wir schon seit Jahren die längst
überfällige Neuordnung der bisherigen Praxis der Ent-
sorgungsrückstellungen . Sie setzen weiter quasi auf diese
betriebswirtschaftliche Rückstellungspolitik . Wir wollen
sie durch eine Rücklagenpolitik ersetzen . Nur Rücklagen
schaffen in den Unternehmen eine hinreichende liquide
Finanzierungsmasse . Das ist jahrzehntelang versäumt
worden, und deswegen haben wir jetzt den Salat .

Ferner fordern wir die schnellstmögliche gesetzliche
Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds, in den
die verantwortlichen Unternehmen sofort 24 Milliarden
Euro einzuzahlen haben . Ebenso braucht es ein wirk-
sames Nachhaftungsgesetz, aber vor allen Dingen eine
weitere Nachschusspflicht für die Atomkonzerne, wenn
die eingezahlten Beträge nicht ausreichen .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie können heute in namentlicher Abstimmung deut-
lich machen, was Sie von diesem Gesetzentwurf der Su-
per-GroKo halten .

Im Übrigen möchte ich Ihnen sagen: Der Umgang mit
der Linken in diesem ganzen Verfahren war skandalös
und schäbig .


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: War sachgerecht!)


Sie haben uns von Anfang an aus der KFK herausgehal-
ten . Das sagt sehr viel über Ihr Demokratieverständnis
aus .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820900400

Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Hubertus

Heil das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1820900500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Kaum eine gesellschaftliche Debatte hat unser Land
so sehr gespalten wie die Auseinandersetzung über die
Atomkraft – über 45 Jahre, beginnend mit den Protes-
ten in Wyhl am Kaiserstuhl 1973/74 bis in die frühen
2000er-Jahre . Am Ende dieser Debatte, in der übrigens
jede demokratische Partei in diesem Haus eine eigene
Geschichte hat, haben wir einen Konsens darüber, dass
die weitere Nutzung der Atomkraft nicht verantwortbar
ist . Einige Parteien sind früher darauf gekommen: am
ehesten die Grünen mit ihrer Gründung 1980, die SPD
mit ihrem Parteitagsbeschluss 1986 – übrigens beides
nach furchtbaren Unfällen in Harrisburg und Tscherno-
byl –, CDU, CSU und FDP nach 2011 und, ich glaube,
die Linke 1989/90 .

Hubertus Zdebel

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20821


(A) (C)



(B) (D)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist gut,
dass wir inzwischen diesen Ausstiegskonsens miteinan-
der erzielt haben – „viel zu spät“, werden viele sagen –,
aber es ist auch richtig, dass wir uns verantwortlich ver-
halten und jetzt einen – auch finanziellen – Entsorgungs-
konsens zustande bringen . Das ist ein wichtiger Tag . Ich
danke auch den Kolleginnen und Kollegen von Bünd-
nis 90/Die Grünen, CDU/CSU und auch meiner Fraktion,
dass das miteinander gelungen ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An diesem Tag möchte ich an die frühen Mahner er-
innern, zum Beispiel an Erhard Eppler, der letzte Woche
seinen 90 . Geburtstag gefeiert hat . Er hat schon in den
frühen 70er-Jahren auf die Risiken von Atomkraft hin-
gewiesen .

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass techni-
scher und wissenschaftlicher Fortschritt immer mit Risi-
ken verbunden ist .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


Aber es ist richtig, dass wir als Staat in der Bewertung zu
der Überzeugung gekommen sind, dass es unkalkulier-
bare Risiken gibt . Ein zentrales Argument neben der Fra-
ge der Sicherheit von Atomkraftwerken ist die Tatsache,
dass wir bisher nirgendwo auf der Welt eine Lösung für
den Umgang mit den atomaren Altlasten dieses Zeitalters
gefunden haben . Deshalb ist es richtig und wichtig, dass
wir uns in unserer Generation auf diesen Weg machen .

Das vorliegende Gesetz, das wir heute in zweiter und
dritter Lesung im Deutschen Bundestag und morgen hof-
fentlich auch im Bundesrat verabschieden werden, sorgt
für Klarheit, was die Finanzierung dieses Abwickelns
der Altlasten des atomaren Zeitalters betrifft . Es geht um
eine klare Arbeits- und Kostenverteilung im Umgang mit
dem Erbe des Atomzeitalters . Im Kern geht es um zwei
Bereiche:

Erstens geht es um die Neuordnung der Verantwort-
lichkeiten für atomare Abfälle . Die Betreiber der Kern-
kraftwerke, meine Damen und Herren, bleiben auch in
Zukunft für die Abwicklung und Finanzierung der Still-
legung, des Rückbaus und der Verpackung von atomaren
Abfällen voll verantwortlich . Übrigens gibt es dafür auch
eine Nachhaftung . Es gilt der Grundsatz, dass Eltern für
ihre Kinder haften und umgekehrt . Das heißt, bei Zah-
lungsunfähigkeit der Kernkraftwerksbetreiber müssen
deren Mutterunternehmen die Kosten für Rückbau und
Entsorgung tragen .

Zweitens – das ist richtig – übernimmt der Bund die
Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung . Aller-
dings werden dafür die Energieversorgungsunternehmen,
die in der Vergangenheit von der Nutzung der Atomkraft
profitiert haben, haften müssen. Sie müssen 17,3 Milli-
arden Euro plus einen Risikoaufschlag von 6,1 Milliar-
den Euro zur Verfügung stellen . Das sind insgesamt rund
23 Milliarden Euro .

Ich will deutlich sagen, was der Hintergrund dieser
Operation ist: Wir wollen, dass der Staat – wir sind ge-

genüber den Steuerzahlern in der Verantwortung – diese
Mittel sichert, und zwar für alle Zeit, meine Damen und
Herren . Angesichts der Lage von Energieversorgungsun-
ternehmen, die zu lange auf Atomkraft und zu wenig auf
erneuerbare Energien gesetzt und selbst Fehler gemacht
haben, die allerdings auch von veränderten politischen
Rahmenbedingungen im Rahmen der Energiewende be-
troffen sind, ist nicht für alle Zeit gesichert, dass dieses
Geld wirklich da ist . Deshalb ist es richtig, dass wir es in
einen staatlichen Fonds einzahlen . Damit haben wir das
Geld ein für alle Mal sicher . Das nenne ich verantwort-
liche Politik .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese gesellschaftliche Debatte muss als gesellschaft-
licher Großkonflikt beendet werden, weil wir alle Kräfte
dieses Landes brauchen, um den Weg der Energiewende
fortzusetzen und diese Wende erfolgreich zu gestalten .
Wenn man gesellschaftlichen Konsens und Frieden ha-
ben will, gehört dazu auch, dass wir Rechtsfrieden schaf-
fen . Rechtsfrieden ist im Zuge dieses Verfahrens schon
in vielerlei Hinsicht erreicht worden . Wir begrüßen, dass
die Energieversorgungsunternehmen beabsichtigen, die
moratoriums- und entsorgungsbezogenen Klagen zu-
rückzunehmen . Aber auch der Deutsche Bundestag setzt
mit der Entschließung, die SPD, CDU/CSU und Bünd-
nis 90/Die Grünen heute mit dem Gesetzentwurf auf den
Weg bringen, ein klares Signal . Wir erwarten, dass im
Zuge der Verhandlungen über den öffentlich-rechtlichen
Vertrag auch die letzten beiden Klagen zurückgezogen
werden. Es ist Zeit, diesen Konflikt zu beenden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich sage das ganz deutlich: Es
ist Zeit, diesen Konflikt zu beenden. Das betrifft diejeni-
gen, die Atomkraftgegner waren und sind, und auch die
früheren Befürworter der Atomkraft . Es gibt kein Nach-
treten. Auch die Verlierer dieses Konflikts sollten diesen
Konflikt rechtlich beenden.

Ich habe das vorhin gesagt: Dieser Gesetzentwurf ist
gelungen, weil viele daran gearbeitet haben . Eine Rei-
he von Leuten wurde bereits gelobt, zum Beispiel in der
ersten Lesung die Kommissionsvorsitzenden sowie viele
Kollegen und Mitarbeiter . Ich möchte zum Schluss den
beiden Ministerien, dem federführenden Bundeswirt-
schaftsministerium, aber auch dem Bundesumweltminis-
terium, ganz herzlich für die Arbeit danken, neben der
Ministerin und dem Minister sowie den Staatssekretä-
ren namentlich Herrn Abteilungsleiter Herdan aus dem
Bundeswirtschaftsministerium – er sitzt auf der Regie-
rungsbank – und Herrn Cloosters aus dem Bundesum-
weltministerium . Das war kompetente Beratung . Das
war gute Unterstützung der Kommission, aber auch der
Parlamentarier . So muss das sein, wenn wir gute Gesetze
machen wollen . Das ist ein ausgezeichnetes Gesetz . Wir
übernehmen Verantwortung in unserer Generation für die
Abwicklung der atomaren Lasten . Deshalb ist es ein rich-
tiger Schritt, dass wir das heute beschließen .

Hubertus Heil (Peine)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620822


(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820900600

Sylvia Kotting-Uhl ist nun die nächste Rednerin für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820900700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben .
Ein Gesetz, das zu spät kommt, erfüllt seinen Zweck
nur noch zum Teil . Privatisierte Gewinne, sozialisierte
Kosten – das ist der rote Faden in der Geschichte der
Atomkraft . Heute stehen wir als Gesetzgeber vor dem
Dilemma, ein Gesetz machen zu müssen, das diesen ro-
ten Faden weiterzuspinnen scheint . Ich kann jeden ver-
stehen, den das erst einmal empört . Auch mich empört
es, den Energiekonzernen finanzielle Risiken abzuneh-
men . Aber so richtig Empörung oft ist, sie ist nicht die
vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers . Unsere erste und
vornehmste Aufgabe ist, Schaden von der Bevölkerung
abzuwenden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deshalb der Atomausstieg, deshalb Planungen zu einer
sorgfältigen Endlagersuche . Das ist etwas ganz anderes
als Bohrlochtourismus, Herr Fuchs .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Bei der Sicherung des Verursacherprinzips kann es in
dieser Situation des Zuspätkommens nur noch um Scha-
densbegrenzung gehen, darum, die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler davor zu bewahren, vollständig für die
Hinterlassenschaften der Atomkraftnutzung zahlen zu
müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Genau das hatten die Energiekonzerne im Sinn, als sie
anfingen, ihre Unternehmen aufzuspalten. Es war gut,
dass der Wirtschaftsminister beschlossen hat, dem einen
Riegel vorzuschieben . Es war gut, dass er eine heterogen
zusammengesetzte Finanzierungskommission beauftragt
hat, zu retten, was zu retten ist . Schlecht war, eine der
Fraktionen im Bundestag nicht einzubinden und damit
auf die Chance eines vom gesamten Parlament getrage-
nen Gesetzes zu verzichten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Rot-Rot-Grün wird sowieso nichts!)


Die Empfehlungen der KFK folgen dem Leitsatz
„Retten, was zu retten ist“ . Der Gesetzentwurf danach
hatte allerdings Mängel . Ich will hier ausdrücklich mei-
nen Kollegen Jürgen Trittin und Oliver Krischer danken,
die in Verhandlungen dafür gesorgt haben, dass sich die

Empfehlungen der KFK tatsächlich ohne Abstriche im
Gesetz wiederfinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


„Fifty-fifty“ bezog sich übrigens, Hubertus Zdebel,
auf die Chance, dass die Konzerne überhaupt noch exis-
tieren, wenn eine Nachhaftung greifen würde . Deshalb
der Risikoaufschlag stattdessen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Kollegen haben auch dafür gesorgt, dass das
Kuratorium des einzurichtenden öffentlichen Fonds nicht
nur aus Ministerialen besteht, sondern in gleicher Anzahl
aus Abgeordneten . Es wäre vollkommen absurd gewesen,
einen Fonds, der – wenn er nicht mehr in der Lage ist, die
gestellten Aufgaben zu finanzieren – durch Steuergelder
ersetzt werden muss, jeglicher Kontrolle des Parlaments
zu entziehen . Die Parlamentarierinnen und Parlamentari-
er werden auch darauf achten, dass die Gelder des Fonds
nachhaltig angelegt werden und nicht in Fallen von Car-
bon Bubble und Ähnlichem landen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die große Hürde für die Akzeptanz dieses Gesetzes
waren und sind die Klagen der Atomkonzerne gegen den
Staat . Es sah anfangs nicht so aus, dass ein Rückzug von
Klagen jenseits der entsorgungsrelevanten, der von der
KFK ausdrücklich empfohlen wurde, in den Verhand-
lungen eine Rolle spielen sollte . Ich bin sehr froh, dass
ausgehend von Forderungen aus meiner Fraktion diese
Thematik eine solche Dynamik entwickelt hat . Der Staat
hätte sich lächerlich gemacht, den Konzernen das Kos-
tensteigerungsrisiko bei Zwischen- und Endlagerung
abzunehmen und sich gleichzeitig mit 30 Klagen vor Ge-
richt zerren zu lassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Konsens braucht Rechtsfrieden . Diese Formel hat sich
im Laufe der Debatte im Parlament durchgesetzt, und das
war gut so . Je breiter die Mehrheit für eine solche Formel
ist, umso größer die Chance, dass sie diejenigen erreicht,
denen sie gilt . Sie hat diejenigen erreicht . Die Konzerne
geben ihre Atomklagen bis auf zwei auf . Das ist ein guter
Erfolg, und das zeigt, dass die Konzerne anfangen, zu
begreifen, woher der Wind weht und dass ihre maßlosen
Ansprüche auf Widerstand in Politik und Gesellschaft
stoßen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Andererseits wissen alle, die rechnen können, dass der
quantitativ umfangreiche Rückzug dieser Klagen quali-
tativ bescheiden ist . Die beiden Klagen mit relevantem
Finanzvolumen bleiben bestehen: die Klagen gegen die
Brennelementesteuer und die Klage von Vattenfall in
Washington . Sollten diese beiden Klagen erfolgreich
sein, hätte sich der Staat immer noch lächerlich gemacht .
Im Worst Case würden sich die Konzerne mit diesen
beiden Klagen die Hälfte ihrer Einzahlungen in den Ent-
sorgungsfonds wieder zurückholen . Der Auftrag an die

Hubertus Heil (Peine)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20823


(A) (C)



(B) (D)


Bundesregierung ist von daher ganz eindeutig: Sorgen
Sie dafür, dass diese beiden Klagen vom Tisch kommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben viel Rückenwind, nicht nur die Unterstüt-
zung des Parlaments: Ich denke, hier ist auch die Linke
dabei . Sie haben breite Unterstützung in der Bevölke-
rung, der solches Gebaren der Energiekonzerne schon
lange auf die Nerven geht, und Sie haben die Unter-
stützung des Bundesverfassungsgerichts . Selten war ein
Urteil dieser höchsten Instanz eine solche Klatsche für
die klageführenden Akteure . Das Bundesverfassungsge-
richt hat am 6 . Dezember seine weitgehende Ablehnung
der Klage der EVU gegen den Atomausstieg 2011 damit
begründet, dass es dem Gesetzgeber jederzeit zusteht,
eine Hochrisikotechnologie neu zu bewerten und ent-
sprechend gesetzlich zu handeln . Damit dürfte auch die
Verfassungsklage gegen die Brennelementesteuer keine
guten Karten haben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Hubertus Zdebel [DIE LINKE])


wobei ich an dieser Stelle betonen will, dass meine Frak-
tion nicht nur die Erhebung der Brennelementesteuer für
rechtens hält, sondern auch deren Fortsetzung, solange
ein AKW läuft . Sie haben heute im Laufe des Tages noch
die Möglichkeit, dem zuzustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die zweite finanzrelevante Klage von Vattenfall ist die
vor dem internationalen Schiedsgericht . Unsere Haltung
zu solchen Schiedsgerichten, Stichwort TTIP, kennen
Sie . Die Vattenfall-Klage zeigt, wie recht wir da haben .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass ein Gericht, das nur dazu da ist, Investitionen
von Unternehmen zu schützen, sich die Rechtsauffas-
sung unseres obersten Gerichts zu eigen macht, darf man
bezweifeln . Politisch hat Vattenfall nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts aber keinerlei Legitimation
mehr zu weiterer Klage . Das Bundesverfassungsgericht
hat Vattenfall den gleichen Rechtsschutz gewährt wie
den deutschen Unternehmen . Das wird auch der schwe-
dische Staat zur Kenntnis nehmen .

Der unionsgeführte Teil der Bundesregierung ist es
übrigens nicht nur dem versprochenen Rechtsfrieden
schuldig, für die Rücknahme dieser Klage zu sorgen,
sondern auch sich selbst; denn besonders lächerlich wür-
den sich bei erfolgreicher Klage in Washington die Uni-
on und die Kanzlerin machen, deren Hin und Her beim
Atomausstieg 2010/2011 solche Klagen überhaupt erst
ermöglicht hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
Sie wissen und bauen darauf, dass Kritik und Widerstand
gegen das heutige Gesetz bei uns Grünen abgeladen

werden . Das war nicht der letzte Grund für die Regie-
rung, Jürgen Trittin an verantwortungsvoller Stelle in
die Kommission einzubinden . Ich bin Jürgen Trittin aus-
gesprochen dankbar, dass er in diesem Wissen das An-
gebot angenommen hat . Das Ergebnis würde ansonsten
schlechter aussehen . Ich bin ihm aber auch dankbar, weil
er mit Übernahme einer der Vorsitzenden-Positionen der
KFK gezeigt hat, was grüne Leitlinie ist: Ja, wir sind die
Anti-AKW-Partei, von Anfang an und immer noch . Aber
unsere Leitlinie war nie Widerstand; unsere Leitlinie war
immer Verantwortung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aus Verantwortung waren und sind wir gegen Atom-
kraft . Aus Verantwortung suchen wir jetzt am absehba-
ren Ende der Nutzung der Atomkraft nach Lösungen für
die langfristigen Probleme, die uns nach Abschalten der
Atomkraftwerke bleiben . Aus Verantwortung werden
wir uns in den Wind stellen gegen den erwartbaren Wi-
derstand gegen dieses Gesetz . Denn vielleicht besser als
andere wissen wir: In Atomthemen gibt es nur selten die
Superlösung, sondern meist nur das Bestmögliche in ei-
ner schlechten Gemengelage . Das leistet dieser Gesetz-
entwurf, und deshalb stimmt meine Fraktion ihm zu .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820900800

Für die Bundesregierung hat nun der Wirtschaftsmi-

nister Sigmar Gabriel das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In spä-
testens sechs Jahren wird das letzte Kernkraftwerk in
Deutschland vom Netz gehen . Damit geht das wirtschaft-
lich und gesellschaftlich umstrittenste Kapitel der deut-
schen Energieversorgung zu Ende .

Begonnen hat die Kernkraft mit großen Hoffnungen .
Noch in den 1950er-Jahren gingen viele davon aus, dass
Atomstrom so billig sein würde, dass man die Zähler für
den Strom abschaffen könne . Das Versprechen war ver-
lockend; die Energiefrage schien gelöst .

Wir alle wissen: Es ist völlig anders gekommen . Heu-
te ist der Bau von Atomkraftwerken die teuerste Form,
mit der man die Stromproduktion organisieren kann . Ich
persönlich habe den Vertretern der Kernenergie in den
letzten Jahren immer gesagt, dass man gar nicht aus Um-
weltgründen dagegen sein müsse; schon ökonomischer
Verstand reiche aus, nicht in Kernenergie zu investieren .
Wir sehen, dass die Briten ihre neuen Kernkraftwerke,
weil sie sich nicht um Erneuerbare und andere Fragen
gekümmert haben, nur mittels öffentlicher Subventionen
finanzieren können. Das hochgerühmte finnische Kern-
kraftwerk – eigentlich das einzige, das wirklich neu ge-

Sylvia Kotting-Uhl

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620824


(A) (C)



(B) (D)


baut wird – ist mit einer Zeitverzögerung von zehn Jah-
ren unterwegs .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das haben sie mit dem Flughafen in Berlin gemeinsam! – Gegenruf des Abg . Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der ist nur nicht so gefährlich!)


Was die Baukostenschätzungen angeht, traut sich keiner
mehr so richtig, sie öffentlich bekannt zu geben .

Das heißt, auch das Argument, es gebe in der Welt
eine Renaissance der Kernenergie, war immer falsch . Es
gab immer mehr Kraftwerke, die abgeschaltet werden,
als solche, die neu gebaut werden, und zwar nicht, weil
die Atomkraftgegner überall in der Welt in der Mehrheit
waren, sondern weil Kernenergie schlicht die unwirt-
schaftlichste Form ist, Strom zu erzeugen .

Klar ist: Keine Technologie hat unser Land so gespal-
ten wie die Kernenergie . In Wackersdorf und Gorleben,
an Bahngleisen und unter Polizeihubschraubern wurde
auch die demokratische Kultur dieses Landes sehr auf
die Probe gestellt . Gegen die Atomkraft formierte sich
die längste und intensivste Protestkampagne in der bun-
desdeutschen Geschichte .

Der Aufkleber mit der lachenden roten Sonne auf
gelbem Grund wurde zum Symbol für Generationen .
„Atomkraft? Nein danke“ hieß die Botschaft . Wenn wir
heute diesen Gesetzentwurf beraten, dann kann man ne-
ben allen Debatten, die man darüber führen kann, viel-
leicht auch einmal sagen, dass dieses Symbol zum Weg-
weiser für eine erfolgreiche Energiepolitik geworden ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus dem Kampf gegen die Kernenergie ist in Deutsch-
land die Energiewende entstanden . Sie war am Anfang ja
nicht mit dem Thema Klimawandel verbunden, sondern
sie war die Alternative zum Ausstieg aus der Atomener-
gie . Heute wird Strom aus Sonne und Wind gemacht .
Ohne ein unkalkulierbares Unfallrisiko und vor allen
Dingen ohne Abfälle, die über Jahrtausende strahlen .

Ich selber wohne in einer Region, in der es ein un-
gewolltes und ein von uns gewolltes Atomendlager
gibt . Wir haben es genehmigt . Ich selbst habe als jun-
ger Mensch anfänglich gegen dieses Endlager Schacht
Konrad demonstriert . Später, als Umweltminister, musste
ich es aufgrund der vorliegenden Argumente dann geneh-
migen .

Ich habe mich immer geweigert, mit den Vertretern
der Atomenergie zu diskutieren, solange sie nicht be-
reit waren, in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft selbst
für ein Endlager zu sorgen, und ich fand an der Debatte
immer komisch, dass die größten Befürworter der Atom-
energie immer die größten Gegner waren, wenn es darum
ging, dass man bei ihnen zu Hause mal im Ton oder im
Granit untersucht, ob es dort nicht alternative Endlager
geben könnte .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie können mir also glauben: Ich weiß ein bisschen,
wovon ich rede . Es ist nur dem langen Atem der Pro-
testbewegung zu verdanken, dass wir wenigstens die un-
begrenzte weitere Produktion von Atommüll in Deutsch-
land beenden . Ich hoffe übrigens, dass dieses Land den
Mut hat – egal wie viele Standorte wir untersuchen –, am
Ende den Atommüll, den jedenfalls meine Generation
nicht produzieren wollte, in diesem Land verantwortlich
zu entsorgen, und nicht irgendwann auf die Idee kommt,
ihn zu unkontrollierten Standards in andere Teile der
Welt zu exportieren . Das darf nicht das Ergebnis sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Tat: Auch das Bundesverfassungsgericht hat in
der letzten Woche den Schutz von Leben und Gesundheit
als legitimen Grund für den Ausstieg eingestuft und da-
mit all jenen zu einem „Ritterschlag“ verholfen, wie die
Süddeutsche Zeitung es formuliert hat, die sich für ein
Leben ohne Atomkraft über Jahrzehnte eingesetzt haben .

2011, nach Fukushima, ist daraus dann tatsächlich ein
übergreifender politischer und gesellschaftlicher Kon-
sens geworden . Aber wie genau die immanenten und
sehr großen Folgekosten der Kernenergie getragen wer-
den, darüber wurde weiter hart verhandelt; denn Atom-
kraftwerke sind teuer im Bau, billig im Betrieb, teuer im
Abriss und noch teurer, wenn der Atommüll endgelagert
werden soll – eine Jahrhundertaufgabe . Ich bin froh, dass
es gelungen ist, eine Verständigung darüber zu erzielen,
wie wir die nukleare Entsorgung in Zukunft finanzieren.
Das ist der eigentliche Schlussakt des Atomausstiegs . Ei-
nen Konsens für ein Endlager werden wir aber erst noch
herbeiführen müssen .

Wir beraten heute keinen Regierungsentwurf . Es wa-
ren die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/
Die Grünen, die ihn gemeinsam eingebracht haben . Das
zeigt auch, dass es doch einen ganz großen Konsens gibt,
mit diesem umstrittenen Kapitel bundesdeutscher Ener-
giegeschichte endlich Schluss zu machen bzw . es zu be-
enden .

Die wichtigsten Regelungen hat eine eigens dafür ein-
gesetzte überparteiliche Kommission erarbeitet und ein-
stimmig beschlossen . Auch ich möchte mich stellvertre-
tend bei den Vorsitzenden Jürgen Trittin, Ole von Beust
und Matthias Platzeck dafür bedanken . Lieber Jürgen
Trittin, wenn man aktiver Politiker ist, geht man mit dem
Vorsitz in solchen Kommissionen auch politische Risi-
ken ein. Ich finde, dich zeichnet aus, dass du dieses Risi-
ko aus Verantwortungsgefühl eingegangen bist, weil du
als einer der Gegner der Atomenergie am Ende auch da-
für sorgen willst, dass verantwortliche Ergebnisse beim
Ausstieg zustande kommen . Herzlichen Dank!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Kommission hat die Grundlage für den Rechts-
frieden gelegt, den wir für den langen Weg aus der
Atomwirtschaft benötigen . Dass die Grünen sagen: „Die
Bundesregierung soll mal schnell dafür sorgen, dass
die Konzerne ihre letzten zwei Klagen zurückziehen“,

Bundesminister Sigmar Gabriel

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20825


(A) (C)



(B) (D)


ist nachvollziehbar . Aber bei detaillierter Kenntnis des
Rechtsstaates weiß man, dass das nur schwer von uns
herbeizuführen ist . Trotzdem ist die Aufforderung natür-
lich richtig, weil auch das, was es jetzt noch an Klagen
gibt, in der Sache eigentlich nicht in Ordnung ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist übrigens auch eine wesentliche Voraussetzung
für das Zeitalter der erneuerbaren Energien . Die Kom-
mission hat aus meiner Sicht einen überzeugenden Vor-
schlag gemacht . Das Gesetz sieht vor, dass die Unterneh-
men auch künftig finanziell und organisatorisch für den
Rückbau der Kraftwerke und die Konditionierung der ra-
dioaktiven Abfälle verantwortlich sind . Die Rückstellun-
gen hierfür werden jedoch wesentlich transparenter sein
als bisher . Die Bundesregierung wird dem Bundestag
jährlich dazu berichten . Die langfristige Konzernhaftung
haben wir in unserem Gesetzentwurf unter das Motto
„Eltern haften für ihre Kinder“ gestellt, weil wir gemerkt
haben, dass der Versuch von Ausgründungen dazu führen
sollte, sich der langfristigen Haftung zu entziehen . Das
bedeutet: Die Haftung besteht jetzt unabhängig von den
konkreten konzerninternen Strukturen und deren Verän-
derungen .

Auf der anderen Seite wird zum 1 . Juli 2017 ein
staatlicher Fonds seine Arbeit aufnehmen, um die Zwi-
schen- und Endlagerung zu finanzieren. Die Betreiber
der Kernkraftwerke überweisen zu diesem Datum rund
17 Milliarden Euro an den Fonds . Sie können zudem ge-
gen die Zahlung eines Risikoaufschlags von rund 6 Mil-
liarden Euro die Haftung für Zins- und Kostenrisiken
endgültig loswerden . Das wird öffentlich debattiert . Ich
habe noch keinen richtigen Alternativvorschlag in der
Öffentlichkeit gesehen, der besser ist als der, den die
Kommission erarbeitet hat, und „wishful thinking“ bringt
uns weder bei der Energiewende noch beim Ausstieg
weiter. Deswegen finde ich: Solange nichts Besseres auf
dem Tisch ist, ist das, was die Kommission erarbeitet hat,
ein kluger Vorschlag .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzesvorha-
ben haben wir die Chance, nach dem Konsens über den
Ausstieg nun einen Konsens über die Finanzierung der
Folgelasten der Kernenergie zu beschließen und dann –
das ist nicht einfach – auch einen Konsens für die Endla-
gerung herbeizuführen . Noch einmal: Einfach weiterma-
chen und darauf setzen, dass irgendwann irgendwer uns
Angebote macht, in den Weiten seines eigenen Landes zu
völlig anderen Sicherheitsbedingungen deutschen Atom-
müll endzulagern, darf für dieses Land nicht die Alterna-
tive sein .

Nachdem wir diesen Weg geschafft haben, gibt es
Grund zu Optimismus, auch den letzten Weg noch zu
schaffen . Am Ende liegt es daran, dass viele Menschen
in diesem Land, zum Teil über Generationen hinweg, den
Mut nicht aufgegeben haben, für einen Ausstieg aus die-
ser gefährlichen Technologie zu kämpfen. Wir sind, finde
ich, durch sie sehr weit gekommen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820900900

Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter

für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820901000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Atomkonzerne werden mit einem goldenen Handschlag
aus der Verantwortung entlassen, zwar nicht für Rückbau
und Stilllegung – dafür müssen sie aufkommen, aber das
ist kalkulierbar –, aber für den viel größeren Posten, den
es zu bezahlen gilt: die Zwischen- und Endlagerung des
Atommülls . Die Kosten hierfür können nicht seriös be-
ziffert werden . Sie fallen erst in den kommenden 20, 30,
40 Jahren an .

Wenn Herr Gabriel sagt, das umstrittene Kapitel
„Atomkraft“ geht zu Ende, dann muss ich sagen: noch
lange, lange nicht . Die Kosten werden steigen . Das kann
man sich heute vielleicht noch gar nicht vorstellen . Jetzt
sind 23 Milliarden Euro dafür vorgesehen . Allein wenn
man beispielsweise davon ausgeht, dass es sich so ver-
hält wie beim Berliner Flughafen – eine Verfünffachung
der Kosten –, dann wären wir bei 115 Milliarden Euro .
Davon lägen dann 92 Milliarden Euro bei uns, bei den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern .

Herr Fuchs will jetzt sparen . Er wünscht sich, dass es
mit der Endlagersuche schnell geht; „Bohrlochtouris-
mus“ war hier ein Stichwort . Ich sage: Das ist verantwor-
tungslos; denn wir brauchen die sicherste Lösung .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich befasse mich hier im Bundestag seit 20 Jahren
mit dieser Thematik . Ich kann nur sagen: Da geht nichts
schnell . Wir müssen verantwortungsvoll handeln, es
müssen viele Gespräche geführt werden . Es muss die si-
cherste Lösung für viele, viele Jahre gefunden werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Es ärgert mich, dass jetzt so getan wird, als habe man
den Konzernen einiges abverlangt . Wer in diesem Saal
über 40 Jahre alt ist, muss es eigentlich besser wissen:
Die Atomkonzerne haben mit der Atomkraft Milliar-
den und Abermilliarden verdient . Seit dem Jahr 2000
sind allein von Eon und RWE Dividenden in Höhe von
50 Milliarden Euro an Aktionäre ausgeschüttet worden .
Glauben Sie doch nicht, dass die Menschen es nicht mit-
bekommen, dass dort so viele Profite gemacht wurden.
Die Antiatominitiativen weisen seit über 20 Jahren auf
das Problem der Rückstellungen hin . Auch Rot-Grün hat
dieses Problem seinerzeit nicht geregelt . Hier hätten wir
mitgestimmt, und wir hätten damals die Mehrheit gehabt .


(Beifall bei der LINKEN)


Und jetzt hört man vonseiten der Union: Die Konzerne
darf man nicht über Gebühr belasten, weil sie aufgrund

Bundesminister Sigmar Gabriel

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620826


(A) (C)



(B) (D)


der Energiewende schon so schlecht dastehen . – Ich muss
sagen, jetzt kommen mir die Tränen . Man erlässt ihnen
dann noch die Brennelementesteuer – 6 Milliarden Euro
sind ja auch nur Peanuts . Wenn es dann ums Geld der
Steuerzahler und vor allem der künftigen Generationen,
unserer Kinder und Enkel, geht, dann sind Sie auf einmal
großzügig . Ich kann nur sagen: Die Linke lehnt diesen
New Green Deal ab .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820901100

Georg Nüßlein hat nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1820901200

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es

stimmt natürlich schon: Gemeinsam mit dem noch aus-
stehenden Endlagersuchgesetz ist das heute der Schluss-
punkt einer lange währenden, heftigen, strittigen Debatte,
die wir hier im Bundestag, aber auch außerhalb politisch
geführt haben . Ich meine, das passt gut in die Vorweih-
nachtszeit .

Ich will auch unterstreichen, dass meiner festen Über-
zeugung nach eine Kommission noch nie so erfolgreich
war und so viel Sinn gemacht hat wie diese Kommis-
sion . Das muss man in aller Klarheit sagen, auch wenn
ich dem Kollegen Fuchs insofern recht gebe, als auch ich
ursprünglich mit Blick auf die Besetzung meine Beden-
ken hatte . Aber ich habe gehofft, dass es uns hilft, dass
die Einigung am Schluss tatsächlich gesellschaftlich fun-
diert und der Konsens breit genug ist . Nach dem, was die
Kollegin Bulling-Schröter gerade hier von sich gegeben
hat, bin ich mir nicht mehr so sicher . Dass die Linke an
der Stelle ausschert, ist klar; das war uns von vornherein
klar . Deshalb haben wir sie auch nicht mittun lassen; das
muss man in der Klarheit auch mal sagen . Wir von der
Union machen nichts mit ganz rechts, und wir machen
auch nichts mit ganz links, und zwar aus gutem Grund .
Das muss man an dieser Stelle mal deutlich machen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie sind doch selber ganz rechts!)


Wenn ich mir anhöre, was hier in der Debatte von der
linken Seite bisher an Unqualifiziertem und Populisti-
schem gekommen ist, dann will ich schon sagen, dass
das ziemlich verantwortungslos ist . Den Vergleich mit
dem Flughafen, Frau Bulling-Schröter, würde ich mir an-
gesichts der eigenen Verantwortung der Linken an dieser
Stelle noch mal gut überlegen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Nun gab es etliche Kollegen, die hier die Chronolo-
gie der Kernkraftgegnerschaft vorgebracht haben, von
Gewinnern und Verlierern gesprochen haben . Ich will
an dem Siegestaumel gar nicht rühren, weil ich glaube,
dass er uns zum Teil zu diesem Konsens verholfen hat,
so wie es auch der Kollege Trittin ganz maßgeblich getan

hat, den ich aber an dieser Stelle nicht noch mal loben
möchte, weil ich glaube, dass ihm das Lob von unserer
Seite in den eigenen Reihen schadet . Aber er hat es klasse
gemacht; das muss man schon ganz deutlich sagen .

Diesen Konsens, meine Damen und Herren, sollten
wir in Zukunft natürlich auch bei der Endlagerfrage su-
chen, deren Lösung – da hat der Bundeswirtschaftsminis-
ter vollständig recht – schwer genug wird, aber auch bei
der Frage der Energiewende . Wir von der Union haben ja
nicht aus Lobbyismuserwägungen so lange an der Kern-
energie festgehalten, sondern deshalb, weil uns klar war,
dass diese Energiewende mehr kostet als eine Kugel Eis .
Die Kosten der Energiewende werden uns noch manchen
Schweißtropfen auf die Stirn treiben . Wir werden uns
noch an mancher Stelle überlegen müssen, wie wir da-
mit umgehen, insbesondere dann, wenn wir sehen, wie
schwer sich unsere Industrie, unser Gewerbe mittlerweile
tut und wie sehr die EU geneigt ist, uns politisch ständig
in den Arm zu fallen .

Nichtsdestotrotz: Wir haben an dieser Stelle das Ver-
ursacherprinzip, Frau Kotting-Uhl, klar gewahrt . Ich
habe eigentlich gedacht, dass wenigstens das jetzt nach
dem Kompromiss nicht mehr umstritten ist . Bei der De-
batte um die Kernenergie wurde immer so getan, als ob
das, was im Atomrecht klar geregelt ist, dass nämlich die
Endlagerung zulasten der Verursacher geht, gar nicht zu-
treffen würde . Heute stellen wir fest: Erstens ist es so,
und zweitens schaffen wir die Regeln dafür, dass die
Endlagerung in Zukunft ökonomisch gesichert und frei
von privatwirtschaftlichen Risiken ist . Ich hätte erwartet,
dass Sie das an der Stelle formulieren . 23,3 Milliarden
Euro sind kein Schnäppchen . Denn 23,3 Milliarden Euro
zahlen zu müssen, das ist kein Weihnachtsgeschenk,
auch nicht für die Konzerne, die angesichts der wegge-
brochenen Geschäftsmodelle mittlerweile schwer gebeu-
telt sind . Das muss man ganz klar sagen .

Und Herr Zdebel: Das Geld ist nicht weg – das stimmt
so nicht –, sondern es wird gezahlt . Sie haben gesagt,
die Forderung der Linken sei es, statt auf Rückstellungen
auf Rücklagen zu setzen . Na ja, bilanziell ist das schon
ein gewisser Unterschied: Das eine ist Fremdkapital, das
andere ist Eigenkapital .


(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Schulden sind das!)


Nur: Angelegt, Herr Zdebel, wird das Geld trotzdem auf
der Aktivseite .


(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Erst mal auf der Passivseite! Das wissen Sie doch ganz genau!)


Das heißt, es wird damit nicht abgesichert, und es ändert
sich also nichts . Ich bitte Sie, ein bisschen nachzuden-
ken, wenn Sie über solche bilanziellen Zusammenhänge
reden .


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das hat ihm aber jemand von den Attac-Leuten aufgeschrieben!)


Eva Bulling-Schröter

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20827


(A) (C)



(B) (D)


Das Einzige, was sich ändern würde, wäre die steuerliche
Konsequenz, aber sonst ändert sich gar nichts .


(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Doch!)


Sicher sind die Gelder nicht, ob das jetzt Eigenkapital
oder Fremdkapital ist .


(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Zweckgebunden eingestellt wäre es gesichert gewesen!)


Wenn ein Unternehmen pleitegeht, ist das Eigenkapital
genauso weg wie das Fremdkapital, das am Schluss nicht
mehr bedient wird . Das mag im Sozialismus anders sein,
aber in unserer Wirtschaft ist das so .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Das ist doch billig!)


An dieser Stelle hat der Staat einen Auftrag, nämlich
das Geld, das wir bekommen, ordentlich anzulegen, ger-
ne auch nachhaltig . Wir müssen es jedenfalls so anlegen,
dass gute Renditen erwirtschaftet werden . Außerdem ha-
ben wir den Auftrag, politische Kosten zu vermeiden –
das ist das einzige Risiko, das wir den Konzernen an die-
ser Stelle abnehmen –, die zu produzieren wir bei jeder
Gelegenheit geneigt sind, insbesondere auch im Endla-
gersuchprozess . Darüber sollten wir bei den anstehenden
Entscheidungen genau nachdenken .

Das heißt erstens: Der Schacht Konrad muss schnellst-
möglich in Betrieb gehen, und der Rückbau der Kern-
kraftwerke muss zügig vorangebracht werden . Das heißt
zweitens: Wir müssen vermeiden, dass die Standortzwi-
schenlager Endlager werden, jedenfalls gefühlt Endlager
werden . Denn eines ist klar: Mit dem Abschalten der
Kernkraftwerke wird sich die Haltung der Bevölkerung
noch einmal deutlich ändern . Bisher haben die Menschen
am Standort die Zwischenlagerung hingenommen, aber
sie werden sie in der Sekunde, in der es dort keine Ar-
beitsplätze mehr gibt und nichts mehr betrieben wird,
nicht mehr so akzeptieren . Deshalb müssen wir den Men-
schen ganz klar sagen: Der Staat wird dafür sorgen, dass
die Zwischenlager nicht zum Endlager deklariert werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heißt aber auch: Wir müssen zügig weitere Schrit-
te bei der Suche nach einem Endlager machen, und zwar
unter dem Gesichtspunkt der bestmöglichen Sicherheit .
Und bevor jetzt Frau Kotting-Uhl wieder eine Zwischen-
frage stellt, sage ich Ihnen ganz klar: Ich halte von der
Einbeziehung von Kristallin als Wirtsgestein gar nichts –
und das hat gar nichts mit meiner Herkunft zu tun; Sie
können mir höchstens vorhalten, dass ich als Bayer ein
bisschen besser weiß, wie die Geologie dort aussieht –;
denn Kristallin ist zerklüftet, und das ist ein geologisches
Faktum, an dem wir nicht rütteln können .

Ich halte die Bewertung der geologischen Barriere,
der die Hauptlast bei der Isolation der Abfälle zukommt,
für wichtig, und deshalb halte ich das Konzept des ein-
schlusswirksamen Gebirgsbereichs für planbarer, ver-
ständlicher und nachvollziehbarer . Daran sollte man sich
orientieren . Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich, sich
mit einem ebenfalls von Kollegen Trittin eingerichteten

„Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte“,
kurz AK End, auseinanderzusetzen . Im Jahr 2002 hat die-
ser AK End das genauso unter dem Aspekt der Sicherheit
definiert. Sie behaupten, ich würde manchmal Ideologie
und Geologie verwechseln, aber das würde dann ja für
den AK End, den Sie selber eingerichtet haben, auch gel-
ten . Das glaube ich nun nicht, meine Damen und Herren .

Denken wir also darüber nach, wie wir den Menschen
vermitteln können, dass wir ein sicheres Endlager su-
chen . Wir tun das, ohne politische Kosten zu produzie-
ren, die am Schluss tatsächlich der Steuerzahler zu tragen
hätte . Wir tun das mit Blick darauf, dass auch die Zeit
eine Rolle spielt . Deswegen wollen wir den Prozess in
absehbarer Zeit einer Lösung zuführen .

In diesem Sinne bedanke ich mich sehr herzlich für
die Aufmerksamkeit und wünsche eine schöne Weih-
nachtszeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820901300

Ich erteile das Wort der Kollegin Ute Vogt für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1820901400

Vielen Dank . – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Herr Kollege Nüßlein, jetzt, da in diesem
Raum so viel Einigkeit beim Thema „Abwicklung der
Atomenergie“ herrscht, dachte ich gerade: Ich hätte mir
gewünscht, Sie wären in der Endlagerkommission ge-
wesen . Vielleicht hätte das für Sie die gleiche heilende
Wirkung gehabt, wie die Mitgliedschaft in der KFK für
Herrn Fuchs und für Sie hatte .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Für die Endlagerkommission!)


Wenn wir unsere Arbeit vernünftig zu Ende führen
wollen, wenn wir nicht nur heute diesen Gesetzentwurf
verabschieden wollen, sondern auch die Suche nach ei-
nem möglichst sicheren Endlager erfolgreich zu Ende
führen wollen, dann dürfen sich einzelne Bundesländer
bei dieser Suche nicht von vornherein herausziehen . Herr
Nüßlein, das haben Sie mit Ihren Ausführungen zum
Thema Kristallin gerade versucht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch des Abg . Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU])


Wir haben klare Kriterien . Alle 16 Bundesländer ha-
ben gesagt: Es wird ohne eine Vorfestlegung gesucht,
und es wird in drei verschiedenen Gesteinsarten gesucht .
Da machen Sie jetzt bitte keine Ausnahme . Lassen Sie
das doch einmal so stehen, und lassen Sie die Harmonie
wirken . Arbeiten wir gemeinsam daran, dass, nachdem
die finanzielle Lastenverteilung jetzt geklärt ist, am Ende

Dr. Georg Nüßlein

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620828


(A) (C)



(B) (D)


auch die Verteilung der Gefahrenlasten geklärt wird, und
zwar in der Einigkeit, die heute herrscht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden diese Endlagersuche nicht durchhalten, wenn
Einzelne schon jetzt beginnen, sich abzusetzen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt will ich etwas Versöhnliches sagen: Herr Kollege
Fuchs, am meisten habe ich mich heute über Ihre Rede
gefreut, auch wenn Sie mir damit ein bisschen Arbeit
machen . Ich muss nämlich meine Reden zu Hause um-
schreiben . Bisher waren Zitate aus Ihren Reden immer
ein Beleg dafür, dass die Union es mit dem Atomausstieg
gar nicht so ernst meint . Mit Ihrer heutigen Rede haben
Sie aber, wie ich finde, ein klares Bekenntnis dafür abge-
geben, dass das Atomzeitalter endgültig durch ist . Dafür
herzlichen Dank!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie schaden dem Kollegen Fuchs! – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Besser zuhören!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleiben noch
ein paar Baustellen . Die Endlagersuche habe ich schon
genannt . Die Bundesregierung muss nun an dem öffent-
lich-rechtlichen Vertrag arbeiten . Auch unsere Fraktion
erwartet, dass die Klage von Vattenfall vor dem Schieds-
gericht zurückgenommen wird, und wir erwarten, dass
die Klage gegen die Kernbrennstoffsteuer zurückgenom-
men wird .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfrak-
tion, wo wir jetzt alles so schön geregelt haben, auch in
Bezug auf die Abwicklung der Finanzierungslasten, wäre
es doch wichtig, die Kernbrennstoffsteuer zu entfristen,
auch mit Blick auf eine harmonische und anständige Las-
tenverteilung . Wir wollten das schon im Koalitionsver-
trag festlegen .


(Beifall der Abg . Dr . Nina Scheer [SPD])


Damals hat das noch nicht geklappt . Vielleicht haben Sie
heute ein Einsehen und sagen: Okay . Dann hätten wir ei-
nen Haken daran gemacht . Dann wäre die Einigkeit in
diesem Hause vollkommen .

In diesem Sinne sage ich: Ich freue mich über den
heute vorliegenden Gesetzentwurf . Wir sind mit der Ar-
beit aber noch lange nicht am Ende .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820901500

Letzter Redner ist der Kollege Steffen Kanitz von der

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Steffen Kanitz (CDU):
Rede ID: ID1820901600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Legis-
laturperiode kann in die Geschichtsbücher eingehen als
eine Periode, in der wir, nachdem wir 2011 den Ausstieg
beschlossen haben, auch den finanziellen und organisato-
rischen Rahmen für den Ausstieg besprochen haben . Es
ist gut, dass die KFK nach sehr kurzer Zeit zu einem Ab-
schluss gekommen ist. Wir haben in der KFK den finan-
ziellen Rahmen für den Ausstieg gesetzt und gleichzeitig
in der Endlagerkommission mit Blick auf den organisato-
rischen Rahmen ein sehr gutes Ergebnis gefunden .

Lieber Kollege Zdebel, ich kann Ihnen Folgendes
sagen: Sie waren als Vertreter der Linken Mitglied der
Endlagerkommission . Am Ende des Tages haben Sie sich
dem Kommissionsbericht widersetzt . Sie haben dagegen
gesprochen, trotz aller Angebote, die wir, die Vertreter
von Grünen, CDU, SPD, Wissenschaft und Zivilgesell-
schaft, Ihnen gemacht haben . Das zeigt doch, dass Sie am
Ende nicht an einem Konsens interessiert sind, sondern
dagegen sind . Demokratie heißt aber, auch Abstriche zu
machen und die eigene Meinung nicht als absolut anzu-
sehen .


(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Sie wissen ganz genau, warum wir ein Sondervotum gemacht haben!)


Es geht darum, mit anderen demokratischen Parteien ei-
nen Konsens zu finden. Insofern war es richtig, dass Sie
in der KFK nicht dabei waren . Wir haben im Rahmen der
KFK einen guten Beschluss gefasst .


(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Gorleben! Asse!)


Das Bundesverfassungsgericht hat am 6 . Dezember
ein Urteil gefasst, das genau zur rechten Zeit kommt . Es
bestätigt uns in dem Ansinnen, dass der Ausstieg verfas-
sungskonform war, aber es sagt uns als Gesetzgeber eben
auch, dass wir solche Entscheidungen nicht im rechts-
freien Raum treffen können . Investitionen brauchen Pla-
nungssicherheit . Deswegen kann dieses Urteil für uns
auch Leitlinie für die Bewertung zukünftiger Technolo-
gien zur Erzeugung von Energie sein . Es wird uns auch in
der Hinsicht Leitlinie sein, dass wir bei unseren Entschei-
dungen berücksichtigen müssen, welche wirtschaftlichen
Auswirkungen sie auf Unternehmen haben .

Über das Verursacherprinzip ist schon viel gesprochen
worden und wurde auch im Vorfeld der heutigen Debat-
te viel diskutiert . Verursacherprinzip bedeutet, dass die
Energieversorgungsunternehmen für die durch sie verur-
sachten Kosten finanziell einstehen. Das sind die Kosten
für den Rückbau, für die Stilllegung, für die Verpackung
der Abfälle, für die Zwischen- und auch die Endlage-
rung . Diese sind ja durch die Rückstellungen gedeckt .
So haben das auch externe Wirtschaftsprüfer und die
KFK-Kommission beschieden .

Zusätzlich vereinbaren wir einen Risikopuffer von
6 Milliarden Euro, für den die Konzerne aufkommen
müssen . Wer sich die Bilanzen anschaut, wer sich Bi-
lanzpressekonferenzen der Versorger anschaut, der weiß,
dass 6 Milliarden Euro eine ganze Menge Geld sind . Das

Ute Vogt

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20829


(A) (C)



(B) (D)


bringt einzelne Unternehmen an die Grenze der Leis-
tungsfähigkeit .

Das Verursacherprinzip gilt aber eben auch nicht
schrankenlos . Das ist wichtig . Die Energieversorgungs-
unternehmen können nicht für jede willkürliche Hand-
lung der Politik zur Rechenschaft gezogen werden . Des-
wegen sieht das Atomgesetz eine klare Beschränkung auf
den notwendigen Aufwand vor . Ich kann nur an alle ap-
pellieren – ich gehe davon aus, dass wir uns gleich dafür
beglückwünschen können –, dass wir diesen KFK-Be-
schluss bzw . den Gesetzentwurf heute verabschieden .
Denn wollen wir ernsthaft die Debatte führen, ob ein
sicheres Endlager oder ein bestmögliches Endlager zum
notwendigen Aufwand gehört? Diese Debatte wollen wir
doch nicht ernsthaft führen . Wir sind mit dem KFK-Ge-
setz um eine gerichtliche Auseinandersetzung um die
Frage, was eigentlich notwendiger Aufwand ist und was
die Konzerne am Ende von diesen Sonderschleifen, die
wir drehen – sie sind gesellschaftspolitisch vernünftig
und notwendig; das ist gar nicht der Punkt –, mitfinanzie-
ren müssen, herumgekommen . Insofern ist es ein guter
Beschluss .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Über die Haftung der Kommunen wurde in den ver-
gangenen Tagen noch einmal heiß diskutiert . RWE und
EnBW haben kommunale Anteilseigner . Die Frage war,
inwiefern sie enthaftet werden oder nicht . Ich glaube,
man muss da eines sagen: Ohne das Gesetz ist es so, dass
die Konzerne und auch die Energieversorgungsunterneh-
men bis zu dem Zeitpunkt haften, zu dem wir ein End-
lager haben, also gebaut haben, befüllt haben, versiegelt
haben . Das dauert mindestens bis zum Jahr 2100; davon
können wir jedenfalls ausgehen . Nach dem jetzt vorlie-
genden Gesetzentwurf enthaften wir die Konzerne und
damit auch die Anteilseigner für den Bereich der Zwi-
schen- und Endlagerung ab dem Zeitpunkt, zu dem sie
den gesamten Anteil zuzüglich des Risikozuschlages in
den Fonds eingezahlt haben . Wir können im Moment da-
von ausgehen, dass das bis spätestens Juli 2017 der Fall
ist . Es ist also eine gute Lösung für die Kommunen . Auch
hier zeigen wir, dass wir ein Herz für die kommunale Sei-
te haben .

Ich möchte eine Spezialproblematik ansprechen, über
die wir uns in Zukunft noch einmal verständigen müssen .
Das ist das Thema Deponie und sofortiger Rückbau . Wir
vereinbaren mit dem KFK-Gesetz, dass wir gemeinsam
die Verpflichtung haben, die Kernkraftwerke sofort zu-
rückzubauen . In der Vergangenheit gab es auch die Mög-
lichkeit, Kernkraftwerke für eine gewisse Zeit einzumot-
ten, die Radioaktivität abklingen zu lassen und dann nach
einem Zeitraum von beispielsweise 25 Jahren erst in den
Rückbau einzusteigen . Wir wissen allerdings nicht, ob
wir in 25 Jahren noch über das notwendige Fachpersonal
verfügen, um diese anspruchsvolle Aufgabe zu bewerk-
stelligen . Insofern ist es richtig, dass wir uns für den so-
fortigen Rückbau als einzige Option aussprechen .

Das heißt aber auch, dass wir Entsorgungswege für
die konventionellen Abfälle offenhalten müssen . 95 Pro-
zent der Abfälle von Kernkraftwerken sind konventio-
nelle Abfälle, die dann im Straßenbau verwendet werden

oder, wenn es sich um ganz leicht kontaminierte Abfäl-
le handelt, auf Deponien gebracht werden . Was heißt
„ganz leicht kontaminiert“? Wir haben in Deutschland
im Strahlenschutz einen 10-Mikrosievert-Grenzwert
vereinbart, der nicht überschritten werden darf . Einmal
zur Einordnung: Wenn Sie nach San Francisco fliegen,
dann bekommen Sie eine Strahlung von etwa 110 Mikro-
sievert . Wenn Sie eine normale Röntgenaufnahme Ihres
Brustkorbs machen lassen, dann liegen Sie bei 200 Mi-
krosievert . Es handelt sich also nicht ansatzweise um ge-
fährliche Abfälle .

Ich bitte alle darum, unsere Lokalpolitiker, die Bürger-
meister, bei der Aufklärung vor Ort sehr zu unterstützen
und nicht Gefahren herbeizureden, die nicht existieren .
Wir müssen da Transparenz schaffen, damit uns die Men-
schen auch vertrauen . Dazu gibt es vor Ort viele gute Ini-
tiativen, beispielsweise Messwerte online einzustellen,
sodass alles nachvollzogen werden kann .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
ich will noch ganz kurz zu Ihrem Entschließungsantrag
Stellung nehmen, den Sie zu dem Gesetzentwurf ein-
bringen . Diesen Antrag können wir selbstverständlich
nur ablehnen . Sie gaukeln in Ihrem Antrag den Bürgern
mehr Sicherheit dadurch vor, dass Sie den Energiever-
sorgungsunternehmen vermeintlich 23,5 Milliarden Euro
nehmen – übrigens, folgende Anmerkung sei mir schon
erlaubt: so ganz schlecht können wir ja nicht verhandelt
haben, wenn Sie diese 23,5 Milliarden Euro schon ein-
mal einstreichen wollen –,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Das waren die Rücklagen! Das habe ich doch gesagt!)


zusätzlich aber die Unternehmen unbegrenzt haften las-
sen wollen . Das ist ja in etwa so, als würden Sie einen
Bauern enteignen und ihn dann dafür verantwortlich ma-
chen, dass in 50 Jahren die Ernte nicht so gut ausfällt,
wie Sie sich das vorher vorgestellt haben . Das kann doch
nicht Ihr Ernst sein; das können wir nicht mitmachen .
Deswegen müssen wir das ablehnen .

Wir bringen mit dem KFK-Gesetz endlich Handlungs-
und Finanzierungsverantwortung zusammen; dies haben
Kollege Fuchs und Kollege Nüßlein ja auch ausgeführt .
Davon erhoffen wir uns erhebliche Beschleunigungspo-
tenziale .

Sie suggerieren mit Ihrem Antrag mehr Sicherheit . Sie
schaffen aber mehr Unsicherheit: für die Beschäftigten,
weil diese nicht wissen, wie lange sie eigentlich gemäß
Ihrem Antrag noch zuständig sind; für die Eigentümer,
weil sie nicht wissen, wann sie enthaftet werden und ab
wann sie die notwendigen Gelder auch für andere alter-
native Technologien zur Verfügung stellen können . Sie
schaffen aber mit Sicherheit eines, nämlich dass wir in
Deutschland kein Endlager finden. Das wollen wir nicht;
wir wollen ein Endlager in Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich sage zum Abschluss, was wir meines Erachtens
nicht machen dürfen . Sie schreiben in Ihrem Antrag von
Bad Banks der Energieversorgungsunternehmen . Liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie diffamie-

Steffen Kanitz

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620830


(A) (C)



(B) (D)


ren damit diese technologisch hoch anspruchsvolle Auf-
gabe, Rückbau zu betreiben . Wir müssen doch den Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern der Konzerne und ihrer
Tochtergesellschaften, die für Rückbau zuständig sind,
dankbar sein, dass sie sich dieser Aufgabe annehmen .
Wir sollten sie nicht beschimpfen . Wir brauchen ganz im
Gegenteil eine groß angelegte Werbekampagne, adres-
siert an junge Leute, sich dieser Aufgabe zu verschreiben .

Wir sind im Bereich Rückbau Technologieführer . Ich
war vor kurzem auf einer Konferenz in Wien, wo wir über
dieses Thema gesprochen und diskutiert haben . Dort hat
sich bestätigt: Deutschland ist Technologieführer in die-
sem Bereich . Und mein Wunsch ist es, dass wir das auch
bleiben und unsere Kompetenz, unser Know-how, auch
unseren internationalen Partnern zur Verfügung stellen,
um den Rückbau auch dort verantwortungsvoll und si-
cher zu gestalten .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Ich bitte
um Zustimmung zu unserem wirklich guten Gesetz .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820901700

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung
der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung .

Hierzu liegen zahlreiche Erklärungen zur Abstim-
mung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir
wie immer dem Protokoll beifügen werden .1)

Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10671, den Gesetzentwurf der genannten
Fraktionen in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge-
setzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken
sowie einer Gegenstimme aus den Reihen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen in zweiter Beratung angenom-
men .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Hierzu hat die Fraktion Die
Linke namentliche Abstimmung verlangt . Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen und mir zu signalisieren, ob sie je-
weils ordnungsgemäß besetzt sind . – Ich eröffne die Ab-
stimmung .

Ist noch ein Mitglied des Hauses im Saal anwesend,
das seine Stimme oder, besser gesagt, seine Stimmkar-
te nicht abgegeben hat? – Nun können wir diesen Ab-
stimmungsvorgang, glaube ich, abschließen . Ich bitte die

1) Anlagen 2 bis 5

Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen, und teile Ihnen das Ergebnis später mit .2)

Ich bitte Sie, jetzt Platz zu nehmen, damit wir noch
eine Reihe ergänzender Abstimmungen durchführen
können .

Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses auf der Drucksache 18/10671
fort .

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese
Beschlussempfehlung mit breiter Mehrheit angenom-
men .3)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/10673 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Die Antragsteller stimmen ihrem Antrag zu . Wer
stimmt dagegen? – Das ist offensichtlich der Rest . Damit
ist der Antrag abgelehnt .

Wir kommen noch einmal zurück zu der Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie auf Drucksache 18/10671 . Hier wird unter Buch-
stabe b der Beschlussempfehlung empfohlen, den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen
Entsorgung für erledigt zu erklären . Das sind die alten
Drucksachen 18/10353 und 18/10482 . Hat jemand gegen
diese Beschlussempfehlung Einwände oder möchte sich
der Stimme enthalten? – Nein, dann ist das einvernehm-
lich so beschlossen .

Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abge-
schlossen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Müller (Potsdam), Sabine Zimmermann

(Zwickau), Sigrid Hupach, weiterer Abgeordne-

ter und der Fraktion DIE LINKE

Kinder und Familien von Armut befreien –
Aktionsplan gegen Kinderarmut

Drucksache 18/10628
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Dazu sehe ich
keinen Widerspruch . Also können wir so verfahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Lin-
ke .


(Beifall bei der LINKEN)


2) Ergebnis Seite 20832 C
3) Anlage 6

Steffen Kanitz

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20831


(A) (C)



(B) (D)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820901800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Weihnachten steht vor der Tür . Wir freuen uns auf
Weihnachten, auf die Tage im Kreise unserer Kinder und
Enkelkinder . Wir erfreuen uns an ihren glänzenden Au-
gen, wenn sie die Geschenke auspacken .

Für mehr als 2 Millionen Kinder gilt das nicht . Sie
leben in Armut und spüren besonders an Weihnachten,
was Armut bedeutet . Geschenke, so es sie überhaupt gibt,
fallen bescheiden aus . Für die Einladung der Großeltern
reicht das Geld nicht, und zu oft wird sogar auf den Weih-
nachtsbaum verzichtet . Im Regelsatz sind solche Kosten
nicht vorgesehen .

Wie fühlen sich wohl Eltern, die Jahr für Jahr erklären,
dass es nur ein ganz kleines Geschenk geben wird, weil
sie kein Geld haben? Glück haben da die Kinder, die von
den Tafeln einen Schokoladenweihnachtsmann bekom-
men . Aber auch da reicht es längst nicht mehr für alle
Kinder; denn sie sind auch bei den Tafeln Mangelware .
Kinderarmut ist und bleibt der größte Skandal in diesem
eigentlich so reichen Land, und das nicht nur zur Weih-
nachtszeit, sondern im ganzen Jahr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Tafeln leisten Großes . Sie unterstützen regelmä-
ßig über 1,5 Millionen Menschen, darunter 500 000 Kin-
der und Jugendliche . An dieser Stelle möchte ich allen
freiwilligen Helferinnen und Helfern Dank sagen, die die
Menschen mit Trost und dem Allernötigsten versorgen .


(Beifall bei der LINKEN)


Eigentlich wäre es die Aufgabe der Politik, diese Zu-
stände zu beenden, und zwar so schnell wie möglich .
Wie kann es sein, dass Sie zuschauen, wie in einem der
reichsten Länder Hunderttausende Menschen von Le-
bensmittelspenden abhängig sind? Ich bin empört darü-
ber, dass Sie uns Jahr für Jahr an dieser Stelle das Gleiche
sagen und nichts ändern . Im Gegenteil: Die Armut nimmt
weiter zu in unserem Land .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist falsch!)


Ursache, meine Damen und Herren, ist Ihre Verarmungs-
politik der letzten Jahre, die auch immer mehr Kinder in
diesen Armutsstrudel reißt . Das ist der eigentliche Skan-
dal .


(Beifall bei der LINKEN)


Und kommen Sie nicht wieder damit, dass wir nur
über Einzelfälle reden . Jedes siebte Kind lebt in Deutsch-
land von Hartz IV . Spätestens seit Hartz IV weiß doch
jeder in diesem Land, dass die Spaltung zwischen Arm
und Reich zunimmt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Seit 2014 nimmt die Zahl deutlich ab! – Gegenruf des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! – Gegenruf des Abg . Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Lesen Sie, was die OECD dazu sagt!)


Und was mich daran besonders entsetzt, ist, dass die So-
zialdemokraten alles wissen, aber nichts verändern . Ma-
chen Sie endlich Ihren Fehler von damals rückgängig .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin viel unterwegs bei den Tafeln . Wenn ich sehe,
wie die Mütter mit ihren Kindern in der Schlange stehen,
dann kommen mir vor Wut die Tränen . Die Leute fragen
mich: Wie soll die Zukunft meiner Kinder aussehen? Wa-
rum muss ich hier stehen, obwohl ich zwei Jobs habe? –
Trotz der zwei Jobs reicht es oftmals nicht .

Darauf gibt es nur eine Antwort: Alle Kinder brauchen
eine faire Zukunftsperspektive .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen müssen von ihrer Arbeit leben und ihre
Familien ernähren können . Dafür müssen aber die Rah-
menbedingungen stimmen .

Erstens . Die Bundesregierung muss dringend ein
Konzept gegen Kinder- und Jugendarmut vorlegen .

Zweitens . Die sozialen Leistungen müssen Armut ver-
hindern und Teilhabe ermöglichen .

Drittens . Die Regelsätze für Kinder müssen erhöht
werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens . Eine Kindergrundsicherung muss eingeführt
werden .

Die prekäre Beschäftigung wie Leiharbeit, Teilzeit
und Minijobs muss zurückgedrängt werden, und der
Mindestlohn muss rauf auf 12 Euro;


(Beifall bei der LINKEN)


denn die Armut der Kinder beruht immer auf der Armut
der Eltern . Dem Befristungsirrsinn muss endlich Einhalt
geboten werden .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und die Unternehmer möglichst enteignen, oder?)


Gerade für junge Familien ist diese Ungewissheit zer-
mürbend . Sachgrundlose Befristungen müssen abge-
schafft werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mann, mann! Sozialistische Mottenkiste!)


Das sind die Lösungen, die greifen würden und die wir
auch brauchen .

Sehr geehrte Damen und Herren, Kinderarmut muss
endlich der Vergangenheit angehören .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620832


(A) (C)



(B) (D)


Leider ist das aber nicht der Fall . Wenn die Kanzlerin
hier an diesem Pult sagt: „Den Menschen in Deutschland
ging es noch nie so gut“,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann hat sie recht!)


dann ist das angesichts der 2 Millionen Kinder in Armut
zynisch .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Die Armut ist da . Sie kann sich nicht verstecken; Sie kön-
nen sie auch nicht wegdiskutieren .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hören Sie mal mit Ihrem sozialistischen Erfolgsprogramm für die Wirtschaft auf! – Gegenruf des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Entspannen Sie sich mal! – Gegenruf des Abg . Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn Sie dazwischenrufen, darf ich das auch! Entspannen Sie sich mal!)


Sie schauen aber einfach nur weg; Sie wollen sie nicht
sehen . Wer so redet wie die Kanzlerin, der ist unfähig, die
Lage dieser Kinder zu verbessern .


(Beifall bei der LINKEN)


Soziale Gerechtigkeit wird nur mit einer starken Lin-
ken erreicht . Wir brauchen einen starken Sozialstaat, auf
den sich die Menschen in Notsituationen verlassen kön-
nen, der sie nicht zu Bettlern und Bittstellern degradiert
und der ihnen vor allen Dingen nicht die Würde nimmt .

Sozial geht anders! Dafür steht die Linke .

Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820901900

Bevor ich Marcus Weinberg als nächstem Redner das

Wort erteile, will ich das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Neuordnung
der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung
bekannt geben: abgegebene Stimmen 581 . Mit Ja haben
gestimmt 516, mit Nein haben gestimmt 58 . 7 Kollegin-
nen und Kollegen haben sich der Stimme enthalten . Da-
mit ist der Gesetzentwurf angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 580;
davon

ja: 516
nein: 58
enthalten: 6

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann

Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser

Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil

Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek

Sabine Zimmermann (Zwickau)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20833


(A) (C)



(B) (D)


Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg

Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)


Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch

Elisabeth Winkelmeier-
Becker

Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620834


(A) (C)



(B) (D)


Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis

Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe

Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)


Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Lothar Riebsamen
Waldemar Westermayer

DIE LINKE

Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20835


(A) (C)



(B) (D)


Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze

Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank

Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Brigitte Pothmer

Enthalten

SPD

Marco Bülow

Gabriele Groneberg

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Sven-Christian Kindler

Peter Meiwald

Hans-Christian Ströbele

Dr . Julia Verlinden

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .

Nun hat Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1820902000

Vielen Dank . – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Werte Frau Zimmermann, ja, es gibt Kin-
derarmut in Deutschland, und das wird hier auch keiner
verschweigen, relativieren, in irgendeiner Art und Weise
kleinreden oder verhehlen . Die Bekämpfung der Kinder-
armut ist eine unserer ersten Aufgaben hier im Parlament .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Machen Sie mal!)


Wenn wir sie ernsthaft bekämpfen wollen – das ist
mein erster wichtiger Punkt –, dann müssen wir diese
Ernsthaftigkeit auch unterstreichen . Mit dem, was Sie in
Ihren Anträgen fordern, tun Sie aber nichts anderes, als
Wolken hin- und herzuschieben . Es sind keine konkreten
Aussagen, sondern Sie fordern einfach nur Geld, ohne
auf die Finanzierung einzugehen, und das werden wir in
dieser Weise natürlich nicht mitmachen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem The-
ma hat die Große Koalition in den letzten Jahren bei sehr
vielen Schritten bewiesen .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Die Armut nimmt zu!)


Es geht dabei natürlich darum, zu überlegen, wie wir die
Kinderarmut tatsächlich bekämpfen können; damit bin
ich beim zweiten wichtigen Punkt . Die Kinderarmut ist
kein familienpolitisches, kein sozialpolitisches und kein
finanzpolitisches, sondern ein gesellschaftspolitisches
Problem . Deswegen muss man auf allen Ebenen und ge-
meinsam mit allen Ressorts Strategien für die Bekämp-
fung der Kinderarmut entwickeln .

Bei meinem dritten Punkt ist das Einvernehmen, glau-
be ich, bald vorbei: Das beste Mittel gegen arme Kinder
sind starke Eltern,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und das beste Konzept gegen Kinderarmut ist eine stabile
Erwerbstätigkeit der Eltern . Durch Erwerbstätigkeit si-
chern sich die Eltern ein eigenes Einkommen . Sie schaf-
fen damit nicht nur materielle Sicherheit, sondern sie er-
langen dadurch auch ein Selbstwertgefühl .

Wir haben hier lange und häufig über die berühmte
Frage diskutiert, ob der Bund neue Ranzen für Kinder
aus armen Familien finanzieren soll. Aber Kinder wollen,
dass die Eltern in der Lage sind, diesen Ranzen zu kau-
fen, weil es das Selbstwertgefühl der Kinder stärkt, dass
ihre Eltern dazu in der Lage sind .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch mal was dafür!)


Deswegen kommt für uns eine gute Wirtschaftspo-
litik in diesem Land zuallererst . Ein Blick auf die Zah-
len zeigt: Wir haben die Arbeitslosenquote von nahezu
12 Prozent in 2005 auf inzwischen 6 Prozent halbiert .
Das ist das Ergebnis guter Wirtschaftspolitik . Sie ist gut
für die Familien und für die Kinder .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt aber bei den armen Kindern nicht an!)


Die Kinder können nicht für sich selber sorgen . Das ist
eine andere Ideologie .


(Abg . Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Keine Zwischenfrage, Sie haben gerade geredet . Das
tut mir leid, Frau Zimmermann . – Es gibt bei uns einen
anderen Überbau als bei Ihnen . Wir sagen ganz deutlich:
Als Erstes müssen die Eltern und damit die Familie ge-
stärkt werden . Dann erst kann und muss der Staat selbst-

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620836


(A) (C)



(B) (D)


verständlich unterstützend eingreifen . Aber der Staat ist
kein Ersatz für Eltern . Ich glaube, diese Mitverantwor-
tung der Eltern muss der Alleinverantwortung des Staa-
tes – das ist Ihr Ansatz – entgegengestellt werden . Das ist
der Unterschied zwischen uns .

Eine gut funktionierende Wirtschaft und eine erfolg-
reiche Wirtschaftspolitik sind zum einen die Vorausset-
zung dafür, dass wir Arbeit für Eltern schaffen, und zum
anderen die Voraussetzung dafür, dass der Staat Steue-
reinnahmen generiert . Wir haben vor wenigen Wochen
über unseren Familienhaushalt diskutiert . Ich sage Ihnen
eines – das nervt Sie, aber ich führe es trotzdem an –:
Grundvoraussetzung für alles ist, dass wir keine neuen
Schulden machen .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wer sagt denn, dass die Regierung neue Schulden machen soll? Das ist doch Unsinn!)


Damit erhalten wir uns die Spielräume und die Gestal-
tungsräume, um als Staat dort eingreifen zu können, wo
Kinder Unterstützung brauchen, weil es die Eltern nicht
mehr schaffen, in einer schwierigen Situation Verantwor-
tung zu übernehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heißt, wir schaffen Spielraum für Investitionen
in Familie . Der Familienetat in der Größenordnung von
9,5 Milliarden Euro hat sich im Vergleich zu 2005 ver-
doppelt, während die Arbeitslosenquote halbiert wurde .
Das ist ein Zeichen einer stabilen und guten Politik . Ich
glaube, dass die Große Koalition in den letzten drei Jah-
ren daran im Wesentlichen mitgewirkt hat; denn es ist na-
türlich unseren Arbeitnehmern, dem Mittelstand und den
Unternehmen zu verdanken, dass die Wirtschaftsdaten
gut und stabil sind . Aber auch die politischen Rahmenbe-
dingungen wurden richtig gesetzt .

Nun gucken wir uns einmal Ihren Antrag an .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820902100

Herr Weinberg, lassen Sie auch Zwischenfragen zu?


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1820902200

Von den Linken nicht, da Frau Zimmermann gerade

geredet hat; tut mir leid .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: „Von den Linken nicht!“ Was soll das denn? Das ist nicht souverän!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820902300

Okay .


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1820902400

Der erste Punkt ist die Kindergrundsicherung, die in

Ihrem Antrag gefordert wird . Diese halten wir für nicht
zielführend, für nicht sinnvoll, und wir lehnen sie ab .
Warum? Weil wir die Familie als Ganzes sehen . Die Le-
benslage eines Kindes ist untrennbar mit der Lebenslage
und der Einkommenssituation der Eltern verbunden . Nur
wenn die finanzielle Situation der ganzen Familie stabil

ist, ist auch die finanzielle Situation eines Kindes stabil.
Das heißt, eine finanzielle Leistung nur für das Kind,
wenn es den Eltern gleichzeitig finanziell schlecht geht,
ist schlichtweg der falsche Weg .


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben Sie es nicht verstanden! Das ist das Problem!)


Wer meint, dass sich mit der Einführung einer Kinder-
grundsicherung in dieser Form die Entwicklungschancen
von Kindern vom sozialen Status ihrer Eltern abkoppeln
lassen, der irrt .

Wir als Große Koalition haben einiges gemacht . Man
muss aber vernünftig sein und genau überlegen: Was kann
man finanzieren? Was kann man wie machen? Ein sicher-
lich wichtiger Baustein, mit dem Kinder vor Armut in der
Familie geschützt werden sollen, ist der Kinderzuschlag,
eine unserer erfolgreichsten Maßnahmen . Zum 1 . Juli
2016 wurde dieser Zuschlag um 20 Euro auf 160 Euro
monatlich erhöht . Über 80 Prozent der Menschen spre-
chen von einer verbesserten Einkommenssituation .

Sie haben in Ihrem Antrag das Thema Alleinerziehen-
de richtig formuliert, das findet dort großen Widerhall.
Aber auch dazu will ich – ich kann mich kurz fassen
und nur etwas auflisten – einiges sagen. Viele Maßnah-
men der Großen Koalition, gerade in den letzten Jahre,
kommen den Alleinerziehenden zugute: der Ausbau der
Kindertagesbetreuung, ein Rechtsanspruch auf einen
Krippenplatz, die Erhöhung des Entlastungsbeitrags für
Alleinerziehende um 600 Euro . All das sind gute Bau-
steine gewesen, um die Situation der Alleinerziehenden
zu verbessern .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich greife einen anderen Punkt auf . Sie fordern in Ih-
rem Antrag den Aufbau einer sozialen Infrastruktur . Da-
mit tun Sie so, als wenn es sie nicht gäbe . Wir stellen
Ihrer Forderung nach einem Aufbau einer sozialen Infra-
struktur den Ausbau der Betreuungsangebote entgegen .

Ich frage einmal: Wer hat in den letzten Jahren für den
Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz gesorgt? Wer hat
dafür gesorgt, dass wir als Bund, obwohl diese Aufgabe
gar nicht in unserer Verantwortung liegt, den Ländern
6 Milliarden Euro für den Ausbau der Kitaplätze zur
Verfügung stellen? Wer stellt den Ländern mittlerweile
jährlich 945 Millionen Euro zur Finanzierung der Be-
triebskosten der Kindertagesstätten bereit? All das hat
der Bund gemacht, das haben wir in der Großen Koaliti-
on gemacht .

Das heißt, wir haben deutlich Schwerpunkte gesetzt,
auch mit einzelnen Programmen . Ich erinnere an das Pro-
gramm „Sprach-Kitas“ . Denn gerade die Frage der sozi-
alen Herkunft, der Sozialstruktur und auch der Herkunft
im Sinne von Migration ist ein wichtiges Thema . Inso-
weit haben wir mit Programmen wie den Sprach-Kitas
oder dem „Haus der kleinen Forscher“ genau an diesen
Stellen angesetzt, und das war richtig so .

Ja, Bildung ist ein Schwerpunkt . Auch hier muss man
deutlich konstatieren: Die Große Koalition hat den Haus-
halt für Bildung und Forschung insbesondere im Bereich

Marcus Weinberg (Hamburg)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20837


(A) (C)



(B) (D)


Bildung noch einmal deutlich erhöht . Über 17,5 Milliar-
den Euro werden im nächsten Jahr investiert .

Kommen wir zu Ihren Forderungen . Ich sprach vorhin
vom Wolken-Hin-und-Herschieben . Man muss ernsthaft
sein und auch die Finanzierung ernsthaft klären . Sie wol-
len das Kindergeld von jetzt 190 auf 328 Euro im Mo-
nat erhöhen . Wir wissen: 1 Euro mehr kostet ungefähr
180 Millionen Euro . Hochgerechnet sind das zwischen
20 Milliarden und 25 Milliarden Euro jährlich .

Sie haben eine Gegenfinanzierung vorgeschlagen, die
allerdings relativ bescheiden ist . Dazu schreiben Sie in
Ihrem Antrag nur, dass die Freibeträge zur Gegenfinan-
zierung herangezogen werden sollen . Das kann man aber
so nicht rechnen .

Wir alle in diesem Haus beschweren uns über Popu-
lismus und darüber, dass wir in der Politik nicht mehr
ernst genommen werden . Nein, wir werden nicht mehr
ernst genommen, wenn wir Vorschläge machen, die nicht
umzusetzen sind .

Es gibt zwei Möglichkeiten . Sie werden, falls Sie re-
gieren – der Wähler möge uns davor beschützen –, ent-
weder Ihre eigenen Forderungen wieder abräumen müs-
sen, oder Sie werden dieses Land in den Bankrott stürzen .
Ernsthaft über Kinderarmut zu diskutieren, ist das eine .
Aber Vorschläge zu machen, die zu finanzieren sind und
die auch längerfristig und nachhaltig wirken, ist das an-
dere, und da liegen Sie mit Ihrem Antrag komplett falsch .

Wir als Union werden weiter über die Schnittstellen-
problematik diskutieren . Dabei geht es um die Frage, wie
wir die Leistungen effizienter und zielgenauer steuern
können . Wir werden in den nächsten Jahren über ver-
schiedene Themen sprechen müssen . Ein Stichwort ist
die Arbeitszeit. Denn ich finde, dass man sich damit be-
fassen muss, wie man das Recht der Eltern mit einem ge-
ringen Einkommen, die von Armut betroffen sind, mehr
Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, umsetzen kann .

Alle diese Themen werden wir als Große Koalition
in den nächsten Monaten und als Union in den nächsten
Jahren weiter auf die Agenda setzen . Trotzdem gilt der
Grundsatz: Wir müssen die Eltern in die Lage versetzen,
dass sie sich um ihre Kinder kümmern können . Der Staat
unterstützt gerne, aber der Staat kann das nicht ersetzen .
Ich glaube auch mit Blick auf die Zahlen, dass es in den
letzten Jahren etwas besser geworden ist . Trotzdem bleibt
es ein großer Auftrag für uns in der Politik, das Thema
Kinderarmut auf die Agenda zu setzen . Wir werden das
vehement tun, auch in den nächsten Monaten .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820902500

Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Hein

das Wort .


Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820902600

Vielen Dank, Herr Präsident . – Ich würde Herrn

Weinberg gerne eine Frage stellen . Denn auch unsere
Rednerin hat darauf hingewiesen, dass die Kinderarmut

eine Folge von Elternarmut ist . Sie haben in eine ähn-
liche Richtung argumentiert, und ich gebe zu, ich ver-
stehe nicht, warum Sie allein die Tatsache, dass mehr
Menschen in Arbeit gekommen sind – auch in sozialver-
sicherungspflichtige Beschäftigung – als Erfolg werten
und dabei völlig ausblenden, dass die Bedingungen, un-
ter denen sie in sozialversicherungspflichtiger Beschäf-
tigung sind, so lausig sind, dass sie ihren Kindern kein
ordentliches Weihnachten gönnen und ihnen keine oder
nicht die Wünsche erfüllen können, die sie wie andere
Altersgenossen haben, mit denen sie gemeinsam spielen .
Sie werden dadurch zurückgesetzt, und das entmutigt .

Wenn wir schon darüber reden, dass Eltern gestärkt
werden müssen, dann müssen sie auch in ihrem Einkom-
men gestärkt werden, und dazu gehört eine ordentliche
Lohnpolitik .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820902700

Kurze Erwiderung, Herr Kollege Weinberg .


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1820902800

Kurze Erwiderung . – Gerne noch einmal: Wir hatten

2005 in diesem Land eine Situation, in der wir auch auf
dem Arbeitsmarkt Veränderungen vornehmen mussten,
damit die Menschen endlich wieder in Arbeit kommen .
Erstens . Das haben wir geschafft . Zweitens darf ich da-
ran erinnern, dass die Große Koalition lange diskutiert
und einen Mindestlohn eingeführt hat .

Jetzt fordern Sie, dass der Mindestlohn auf 12 Euro
erhöht wird . Demnächst werden es wahrscheinlich 15, 17
und 22 Euro werden .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das wird es auch alles geben! Das erleben Sie noch!)


Wenn wir tatsächlich die wirtschaftliche Stabilität in die-
sem Land erhalten wollen, dann sollten wir endlich mit
solchen utopischen Forderungen, die die Wirtschaft blo-
ckieren und den Mittelstand gefährden, aufhören .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein weiterer Punkt: Ja, wir als Staat müssen tatsäch-
lich die Einkommenssituation der Eltern weiter im Blick
behalten und dort, wo Kinder in Armut leben, Unterstüt-
zung leisten . Das ist unsere Aufgabe . Aber noch einmal:
Die Reihung muss eine andere sein . Wenn Sie die Prio-
ritäten nur auf das Ausschütten von Geld und finanziel-
le Leistungen setzen, dann ist das eine falsche Prioritä-
tensetzung .

Kinderarmut ist ein Thema, das Kultur, Bildung, So-
zialpolitik und Familienpolitik betrifft . Genau diese Mi-
schung muss bei der Bekämpfung der Kinderarmut Gel-
tung haben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Marcus Weinberg (Hamburg)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620838


(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820902900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820903000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-

be Kollegen! In zwei aufeinanderfolgenden Sitzungswo-
chen diskutieren wir über die Frage, wie wir Kinderarmut
bekämpfen, wie wir gegen Kinderarmut gut vorgehen
können: in der letzten Woche auf Initiative meiner Frakti-
on, in dieser Woche auf Initiative der Linken . Das ist sehr
angemessen; denn Kinderarmut ist ein großes Problem
in unserer Gesellschaft . Die Bekämpfung von Kinderar-
mut ist leider eine Leerstelle dieser Bundesregierung . Ich
finde, dass sich das dringend ändern muss. Wir müssen
Kinderarmut endlich konsequent beseitigen und Fami-
lien endlich gerecht unterstützen . Das hat nichts, lieber
Herr Weinberg, mit der Alleinverantwortung des Staats
zu tun . Das ist ein ideologischer Vorwurf; das ist wirklich
Unsinn . Wir müssen diese Herausforderung jetzt konkret
angehen . Ihre Rede hat sehr gut gezeigt, dass Sie sich vor
den konkreten Problemen wegducken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Unser Land ist ein Land mit zwei Gesichtern . Die
Kanzlerin wurde eben zitiert; das will ich auch tun . Sie
hat gesagt: „Deutschland geht es so gut wie nie zuvor .“
Im Durchschnitt mag das auch stimmen . Aber auf einen
erheblichen Teil der Menschen trifft das nicht zu . Rund
ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland
sind arm; diese Zahl wurde schon genannt . Was bedeutet
das in einem reichen Land wie unserem? Das bedeutet
für viele: ohne Frühstück in die Schule, keine Musik-
schule, kein Kino, von Urlaub ganz zu schweigen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Daran ist doch nicht die Regierung schuld!)


Im Kern bedeutet das also, nicht teilhaben zu können
an unserer Gesellschaft, an einem ganz normalen Leben .
Man gehört nicht dazu . Das dürfen wir doch nicht akzep-
tieren . Die betroffenen Kinder wissen Bescheid . World
Vision hat für seinen Kinderreport Sechs- bis Elfjähri-
ge befragt, die zum von Armut betroffenen Fünftel der
Gesellschaft gehören . Sechs- und Siebenjährige in un-
serer Gesellschaft sagen über sich selber, dass sie nicht
dazugehören und dass sie keine Chance für ihre Zukunft
haben . Kinder haben ein sehr genaues Gespür dafür . Wir
dürfen doch nicht akzeptieren – darin müssen wir uns
alle einig sein –, dass Kinder in unserer Gesellschaft kei-
ne Chance auf Teilhabe haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir fragen uns derzeit besonders intensiv, was unsere
Gesellschaft zusammenhält und was wir für den Zusam-
menhalt der Gesellschaft tun können . Wir fragen uns,
was aktuell diese tiefen Gräben in unser Zusammenle-
ben reißt . Es gibt natürlich keine einfache Antwort . Aber
die Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen, die
keine Chance haben, dazuzugehören, ist vielleicht ein

Teil der Antwort . Auch deshalb dürfen wir Kinderarmut
auf keinen Fall akzeptieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn es darum geht, Armut entgegenzuwirken, sind
Investitionen in Chancengleichheit, das heißt in Kitas
und Schulen, und eine gute materielle Absicherung von
Kindern und Familien zwei Seiten einer Medaille; das
darf man auf keinen Fall gegeneinanderstellen . Mir ist es
sehr wichtig, zu betonen: Wir brauchen gute Kitas, wir
brauchen gute Schulen, und wir brauchen eine gute ma-
terielle Absicherung der Familien .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir Grüne setzen uns schon lange für ein Kitaquali-
tätsgesetz ein . Wir setzen uns für mehr Ganztagsschulen
ein . Das ist zwar wichtig, aber nur eine Seite der Medail-
le . Was die materielle Absicherung angeht: Es ist doch
ein Skandal, dass das Existenzminimum vieler Kinder
und Jugendlicher in Deutschland weiterhin nicht gedeckt
ist . Kinder werden noch immer wie kleine Erwachsene
mit entsprechend abgeleiteten Ansprüchen behandelt .
Wir finden, dass das ein Ende haben muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es gibt weitere Ungerechtigkeiten in unserer Famili-
enförderung sozusagen am anderen Ende der Skala . Es
kann doch nicht sein, dass Familien mit einem besonders
hohen Einkommen durch Kinderfreibeträge mehr von
der staatlichen Unterstützung profitieren als Familien mit
kleinen oder normalen Einkommen . Das ist total unge-
recht . Deshalb wollen wir eine Kindergrundsicherung,
die sicherstellt, dass Kinderarmut wirksam bekämpft
wird und das Matthäus-Prinzip unserer Familienförde-
rung nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“ tat-
sächlich beendet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Abschließend will ich noch ein paar Worte zum Unter-
haltsvorschuss sagen; denn er steht in einem sehr engen
Zusammenhang mit dem Thema Kinderarmut .

Ich will ganz klar sagen: Wir teilen das Anliegen der
Bundesregierung voll und ganz, den Unterhaltsvorschuss
auszuweiten . Das ist überfällig und bringt eine wichtige
und richtige Entlastung für Alleinerziehende . Aber ich
will auch sagen: Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass
ein vom Kabinett beschlossener Gesetzentwurf nicht ins
Plenum eingebracht werden konnte, weil die Bundes-
länder Sturm laufen . Das tun sie tatsächlich durchaus zu
Recht . Wie kann ein Kabinett einen Gesetzentwurf be-
schließen, wenn die Finanzierung der Leistung überhaupt
nicht geklärt ist? Ich finde das unseriös und auch unver-
antwortlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt erleben wir ein Schwarzer-Peter-Spiel zwischen
Bund und Ländern . Das ist eine Politik auf dem Rücken
der Alleinerziehenden. Ich finde, das ist wirklich bitter.

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20839


(A) (C)



(B) (D)


Wir als Grüne wollen, dass das beendet wird . Wir brau-
chen eine Lösung für die Finanzierungsfrage . Die kann
nicht darin bestehen, den Vorrang von Unterhaltsvor-
schuss und SGB-II-Leistungen einfach umzudrehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir als grüne Bundestagsfraktion haben in den Haus-
haltsberatungen deutlich gemacht, dass man die Mehr-
kosten gut im Bundeshaushalt darstellen kann . Unsere
Aufforderung an die Bundesregierung ist, dem zu ent-
sprechen und das nachzuvollziehen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820903100

Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege

Fritz Felgentreu .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1820903200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den

beiden umfangreichen Anträgen der Linken und der Grü-
nen zum Thema Kinderarmut, die jetzt im Bundestag dis-
kutiert werden, sind wir schon erkennbar im Wahlkampf
angekommen .


(Widerspruch bei der LINKEN)


Unter anderen Umständen verzichtet auch die Oppo-
sition nicht auf den Anspruch, dass das ganze Haus ihre
Anträge beschließen könnte . Aber bei Ihnen, liebe Frau
Kollegin Zimmermann, soll der Bundestag jetzt einen
Satz wie den folgenden beschließen – ich zitiere –:

Die laufende Wahlperiode ist … eine verlorene Zeit
für den Kampf gegen Kinderarmut …

Das ist nicht nur sachlich völlig verfehlt – dazu komme
ich gleich –, es zeigt eben auch, dass dieser Antrag vor
allen Dingen Ihrer Kampagnenfähigkeit dienen soll, aber
nicht der politischen Gestaltung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Kunert [DIE LINKE]: Ihr seid nicht regierungsfähig!)


Wissen Sie, ich kann als Mitglied einer Koalitions-
fraktion sogar ganz gut damit leben, dass Sie so etwas in
einer Debatte vortragen – ein bisschen Juckpulver gehört
schon dazu –, aber Sie können doch selbst nicht ernsthaft
davon ausgehen, dass die SPD-Fraktion einer solchen
Formulierung auch noch ihre Zustimmung gibt . Nein,
meine Damen und Herren, der Linken geht es hier nicht
um Lösungen, sondern es geht darum, die Unterschiede
zu betonen . Das ist auch legitim . Im Wahlkampf geht das
gar nicht anders . Aber es muss hier im Deutschen Bun-
destag dann auch genau so diskutiert werden .

Lassen Sie uns zunächst das Grundproblem betrach-
ten . Schon das Wort „Kinderarmut“ beinhaltet einen Vor-
wurf . Wer Kinderarmut zulasse, so der unausgesproche-

ne Hintergedanke, der versündige sich, der werde dem
moralischen Anspruch an Politik nicht gerecht .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Richtig!)


Ich finde: Schon hier ist Aufklärung notwendig. Wenn
ich das Wort „Kinderarmut“ höre, dann steht vor meinem
geistigen Auge – gerade jetzt in der Weihnachtszeit – so
etwas wie Andersens Mädchen mit den Schwefelhölzern,
das Mädchen aus Die Sterntaler oder die Kinder aus
Zilles Mein Milljöh . Aber über diese Art von Kinderar-
mut sprechen wir hier nicht . Es ist ein großer Fortschritt,
dass es diese Art von Kinderarmut in Deutschland nicht
mehr gibt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Kinderarmut im Sinne des Linken-Antrags ist zu-
nächst einmal auch eine statistische Größe . Arm sind im
Sinne einer relativen Definition von Armut Menschen –
also auch Kinder –, denen monatlich weniger als die
Hälfte des Durchschnitts zur Verfügung steht . Mit so we-
nig Geld auskommen zu müssen, ist zwar nicht existenz-
bedrohend, aber es ist sehr schwer – gar keine Frage . Es
ist auch überhaupt gar keine Frage, dass es Aufgabe der
Politik ist, Kindern und Jugendlichen zur Seite zu stehen,
damit sie die Armutszone wieder verlassen können . Aber
so zu tun, als wären diese Kinder dem Staat und dieser
Regierung gleichgültig, ist reine Stimmungsmache . Das
geht an der Realität vorbei .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Auch die Antwort der Linken geht an der Realität vor-
bei; denn Ihnen fällt zuallererst eine deutliche Erhöhung
des Kindergeldes ein . Dabei wissen Sie genauso gut wie
ich, Frau Kollegin Zimmermann und auch Frau Kollegin
Dörner, dass das Kindergeld allenfalls einen kleinen Bei-
trag zur Armutsbekämpfung leisten kann und dass es von
allen staatlichen Instrumenten, um Kinder und Familien
zu fördern, eines der am wenigsten wirksamen ist .

Eine jahrzehntelange Politik, das Kindergeld auszu-
bauen, mündet seit Jahren unverändert in der doppelten
Kinderarmut: Wir sind ein Land, das arm an Kindern ist
und in dem zugleich ein großer Anteil der Kinder, die
da sind, unterhalb der Armutsgrenze lebt . Nein, meine
Damen und Herren, dieses Denken setzt von vornherein
auf das falsche Instrument . Das Kindergeld ist wirklich
eine gute Sache . Es hilft vielen Familien, besser über die
Runden zu kommen, aber es ist nicht geeignet, um ge-
sellschaftliche Fehlentwicklungen zu korrigieren .


(Beifall bei der SPD)


Das einzige nachhaltige, das mit Abstand beste Mittel
gegen die Armut von Kindern ist die Arbeit ihrer Eltern,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


also das Mittel, das Sie in Ihrem Antrag überhaupt nicht
erwähnen .

Es hat auch etwas mit Haltung zu tun, dass wir diesen
Punkt immer wieder betonen . Wir Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten wollen, dass die Menschen Arbeit

Katja Dörner

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620840


(A) (C)



(B) (D)


haben, und zwar gute Arbeit, Arbeit, von deren Ertrag
sie ihre Familien ernähren und ihre Kinder großziehen
können .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 43 Millionen Menschen in Deutschland, die arbeiten, und wir haben trotzdem Kinderarmut!)


– Stellen Sie doch eine Zwischenfrage; dann können wir
das in Ruhe diskutieren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellen Sie mal einen Antrag, dann können wir diskutieren!)


Deshalb hat unsere Regierung auch bei der Bekämp-
fung von Kinderarmut immer auf Instrumente gesetzt,
die es Eltern leichter machen, durch Arbeit für ihre Fami-
lie zu sorgen . Wir haben das Elterngeld Plus eingeführt,
das Teilzeitarbeit unterstützt . Wir haben den Kinderzu-
schlag erhöht, damit Familien nicht in Abhängigkeit vom
Jobcenter geraten . Wir haben die steuerliche Entlastung
Alleinerziehender um 50 Prozent erhöht . Wir werden den
Unterhaltsvorschuss ausweiten, der viele Familien mit
niedrigen Einkommen vor demselben Schicksal bewahrt .
Damit auch die Kinder armer Leute bessere Chancen auf
Bildung und Aufstieg durch Arbeit haben, setzen wir seit
dem ersten Tag dieser Koalition ganz konsequent auf den
Ausbau von Betreuung und Bildung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben milliardenschwere Investitionsprogramme
für die Kinderbetreuung aufgelegt . Erst gestern haben
wir ein weiteres Programm für 100 000 Kinder beschlos-
sen, und dank diesem Kabinettsbeschluss werden auch
die drei- bis sechsjährigen Kinder einbezogen . Wir haben
2 Milliarden Euro, die für das Betreuungsgeld vorgese-
hen waren, an die Länder umgeleitet, damit sie ihre Be-
treuungsangebote ausbauen können . Allein im Jahr 2017
wird der Bund eine Rekordsumme von 2,5 Milliarden
Euro für frühe Bildung ausgeben . Mit der verabredeten
Grundgesetzänderung werden wir diesen Weg konse-
quent fortsetzen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Denn in Zukunft wird auch der Bund zum Ausbau von
Schule und Bildung beitragen können .

Meine Damen und Herren, nur dieser Ansatz kann
letztlich die Forderung umsetzen, dass uns jedes Kind
gleich viel wert sein soll . Wir sind überzeugt davon – da
unterscheiden wir uns im Ansatz von den Kollegen der
Union –, dass wir Kinder und Familien in Deutschland
am besten und am gerechtesten durch erstklassige Kitas
und Schulen fördern, und zwar durch solche, die jedem
Kind offenstehen, ganz unabhängig vom Geldbeutel ih-
rer Eltern . Darauf kommt es an; in diese Richtung wollen
wir gehen .

Als Abgeordneter aus Berlin-Neukölln füge ich hinzu:
Um den Kindern Chancen zu eröffnen, deren Elternhäu-
ser es allein nicht schaffen, müssen wir gerade in den här-
testen Kiezen, da, wo die meisten armen Kinder leben,

damit anfangen . Das ist dann gelebte Solidarität mit den
Kindern armer Leute


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und eine nachhaltige Politik, damit sich Armut eben nicht
von Generation zu Generation vererbt, wie wir es teilwei-
se erlebt haben .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820903300

Eckhard Pols ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Eckhard Pols (CDU):
Rede ID: ID1820903400

Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Gesellschaftliche Teilhabe, soziale Absicherung,
Gesundheit und Bildung, das sind alles Rechte eines
jeden Kindes, die sich unter anderem aus der UN-Kin-
derrechtskonvention ergeben . Vertragsstaaten und damit
auch unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, sind
verpflichtet, die entsprechenden Rahmenbedingungen
zur Verwirklichung dieser Rechte zu schaffen . Die sozia-
le Absicherung in der Bundesrepublik Deutschland ist –
das möchte ich meinen Ausführungen voranstellen – auf
einem sehr hohen Niveau, und im weltweiten Vergleich
stehen wir gerade dank unserer unionsgeführten Bundes-
regierung gut da .

Natürlich gibt es auch bei uns noch Armutsgefähr-
dung . Wir müssen alles tun, um diese zu bekämpfen .
Dies schließt auch die Möglichkeit der gesellschaftlichen
Teilhabe explizit ein und beschränkt sich nicht, wie oft
suggeriert, auf das zum Überleben Notwendige . Klar ist:
Armutsgefährdung und Kinderarmut haben ihre Ursache
zumeist in der Familienarmut . Kinder sind langfristig
armutsgefährdet, wenn sie in einem von Armut gefähr-
deten Haushalt leben . Ursache hierfür ist logischerweise
das Einkommen der Eltern . Eines der besten Programme
gegen Kinderarmut ist die von der Bundesregierung ge-
tragene Wirtschaftspolitik, die Menschen in Arbeit bringt
und Familienteilhabe in allen Bereichen ermöglicht . So-
zialleistungstransfers schützen sowohl von Armut betrof-
fene Familien als auch armutsgefährdete Familien .

Die Instrumente des Sozialstaats werden ständig wei-
terentwickelt und aktuellen Gegebenheiten angepasst .
Was den speziellen Schutz von Kindern angeht, betrifft
dies Kinderregelsätze und das Bildungs- und Teilhabe-
paket . Im Blick behalten müssen wir immer die Verein-
barkeit von Familie und Beruf und besonders auch die
Kinder von Alleinerziehenden . Oft erhalten Alleiner-
ziehende den ihnen zustehenden Unterhalt nicht, da der
unterhaltspflichtige Elternteil seinen Unterhaltsverpflich-
tungen nicht oder nicht ausreichend nachkommt . Um
dies zu kompensieren, gibt es den Unterhaltsvorschuss;
wir haben das schon gehört . Er bietet durch eine vorüber-
gehende Überbrückung eine unmittelbare Unterstützung

Dr. Fritz Felgentreu

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20841


(A) (C)



(B) (D)


für Alleinerziehende und ihre Kinder . Um dieses Instru-
ment noch wirksamer werden zu lassen, steht für mich
fest: Die Altersgrenze von zwölf Jahren muss abgeschafft
werden, ebenso die maximale Bezugsdauer von 72 Mo-
naten, die nicht sachgerecht ist . Klar ist aber auch: Die
Rückholquote bei den säumigen Zahlern muss dringend
erhöht werden . Insbesondere


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In Bremen!)


in den Bundesländern, in denen Grüne und Linke in Re-
gierungsverantwortung stehen, sehen wir hier noch einen
eindeutigen Nachholbedarf .

Die Ausgangsbedingungen von Armut wie fehlende
Teilhabemöglichkeiten und Bildungschancen führen in
einen Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist . Kin-
der, die in Armut oder Armutsgefährdung aufwachsen,
bleiben aufgrund ihrer geringen Teilhabe- und Bildungs-
chancen in ihrem späteren Leben oft selbst arm . Für Kin-
der ist die Armut oder Armutsgefährdung ihrer Eltern
somit in doppelter Weise ein nicht tragbares Hemmnis .
Armut hat – das ist nicht neu – negative Auswirkungen
auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und
wirkt sich damit negativ auf die Lebensqualität und auch
auf die Lebenserwartungen aus . Ich möchte aber eines
klarstellen: Das von Ihnen suggerierte Wachsen der Ar-
mut findet so nicht statt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist das!)


Bezüglich der Armut in Deutschland ist aber auch
klar: Die Zahl der Erwerbstätigen, die Arbeitslosengeld
II beziehen, liegt heute etwa genauso hoch wie noch vor
einem Jahr . Schauen wir zehn Jahre zurück – das hat der
Kollege Weinberg auch schon gemacht –, so stellen wir
fest, dass mehr Menschen Hartz IV erhielten als heute,
nämlich 5,4 Millionen . Das widerspricht der vielfach ver-
breiteten Wahrnehmung, dass ein Teil der Bevölkerung
abgehängt wird . Auch spricht es eindeutig gegen eine
Ausweitung der sogenannten sozialen Kluft zwischen
Arm und Reich . Auf der einen Seite stehen gleich einem
Mantra wiederholte Äußerungen in den Talkshows, auf
der anderen Seite haben wir verlässliche Zahlen des Sta-
tistischen Bundesamtes, nach denen die Gefahr, in Armut
und soziale Ausgrenzung zu geraten, nicht zunimmt – im
Gegenteil .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei den Kindern sagt das das Statistische Bundesamt! Bei den Kindern nimmt es zu!)


Beachten wir doch bitte eine ganz simple Tatsache:
Ein steigendes Normaleinkommen steigert zwangsläufig
die Armutsgrenze . Es ist zu bedenken, dass dem vielfach
angeführten Armutsbegriff der Statistiker der Vergleich
mit dem Normaleinkommen zugrunde liegt . Gemessen
werden also nicht die notwendige Entbehrung oder gar
das Elend, sondern die Distanz zum Median, dem mittle-
ren Einkommen der Bevölkerung . Steigt dieses mittlere
Einkommen, so zieht auch die Grenze für das statistische
Armutsrisiko nach . Dieses statistische Armutsrisiko ging
in den vergangenen Jahren mal nach oben und mal nach

unten . Ein klarer Trend lässt sich jedoch nicht erkennen .
So ist dieses statistische Armutsrisiko 2015 zum Beispiel
ebenso hoch oder so niedrig wie 2008 . In Deutschland
galt seit 2015 jeder als materiell armutsgefährdet, der als
Single über weniger als 1033 Euro im Monat verfügte,
was zum Beispiel für das Gros der Studierenden zutraf .
Noch 2014 setzte die Armutsgefährdung erst bei weniger
als 987 Euro ein .

Nehmen wir als Beispiel eine Familie mit zwei Kin-
dern unter 14 Jahren: Diese war 2015 per definitionem
dann von Armut bedroht, wenn sie weniger als 2170 Euro
monatlich zur Verfügung hatte . Wie wir bereits festge-
stellt haben, dürfte sich in diesem Jahr die Grenze der
Armutsgefährdung wegen der deutlich gestiegenen Ein-
kommen weiter erhöht haben . Arm im traditionellen Sin-
ne waren 2015 nach Angaben des Statistischen Bundes-
amtes 4,4 Prozent der Bevölkerung . Damit sprechen wir
über einen deutlich geringeren Wert als 2014, als es noch
über 5 Prozent der Einwohner waren .

Armut im traditionellen Sinn bemisst sich an der ma-
teriellen Entbehrung . Dies kann bedeuten, dass man die
Wohnung nicht ausreichend heizen kann, Reparaturen
von Alltagsgegenständen nicht möglich sind oder dass
das Einkommen nicht ausreicht, um jährlich eine Woche
in Urlaub zu fahren . In Deutschland ist vor allem die Si-
tuation von Kindern und Jugendlichen besser als im eu-
ropäischen Schnitt .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: 3,4 Millionen Kinder!)


Das hat eine aktuelle Auswertung der europäischen Sta-
tistikbehörde Eurostat ergeben . Diese gute Momentauf-
nahme ist für die Bundesregierung natürlich kein Grund,
sich auszuruhen . Jedes armutsgefährdete Kind ist eines
zu viel, und wir dürfen kein Kind zurücklassen .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das tun Sie aber!)


Ich möchte auf eine Passage Ihres Antrages eingehen,
der übrigens in dieser Fassung etwas spät kam . Wenn Sie
das, was dort steht, wirklich meinen und umsetzen wol-
len, dann kann ich nur sagen: Frohe Weihnachten! Sie
zeigen beispielhaft unter den Punkten 5 a) und 5 i) Ihres
Antrages, dass Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen der Linksfraktion, jeglicher wirtschaftlicher Sach-
verstand fehlt . Diese Forderungen behindern und gefähr-
den massiv den Mittelstand und somit Hunderttausende
inhabergeführte Familienbetriebe im Handwerk und im
Handel .

Mit Ihren Forderungen erreichen Sie nicht mehr
Beschäftigung und somit auch nicht mehr Wohlstand,
sondern Sie sorgen für das Gegenteil: Die Gründerquo-
te – der Wille, eine Firma zu gründen – geht zurück . Ein
Nebeneffekt Ihrer Forderungen wäre, dass sich Unter-
nehmer überlegen, überhaupt noch junge Frauen einzu-
stellen . Das machen wir als Union nicht mit . Deswegen
lehnen wir diesen Antrag ab .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Dörner, noch ein Wort zu Ihrem Beispiel mit dem
Schulbrot. Ich finde die Argumentation völlig daneben.

Eckhard Pols

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620842


(A) (C)



(B) (D)


Jeder Vater, jede Mutter kann morgens seinem Kind ein
Schulbrot schmieren . Das hat mit Geld oder materiellen
Dingen nichts zu tun .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es müssen die Eltern eben aufstehen und das Brot
schmieren . Das mache ich auch, wenn ich zu Hause bin .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich doch einmal in der Realität um!)


Dann schmiere ich meinen Kindern das Schulbrot und
schneide den Apfel durch . Das können andere Eltern
auch machen . Dieses Beispiel hier anzuführen, Frau
Dörner, finde ich völlig daneben.

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie doch einmal in die Schulen! Gucken Sie sich die Kinder an!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820903500

Nächster Redner ist der Kollege Norbert Müller für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820903600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen! Herr
Felgentreu, liebe Kollegen Weinberg und Pols, ich schät-
ze Sie sehr, aber das, was Sie hier abgeliefert haben, ist
an Zynismus nicht mehr zu überbieten . Wir diskutieren
fast jede Woche über Kinderarmut . Wir können das bis zu
den Bundestagswahlen auch so weiterführen . Vielleicht
ändert sich dann etwas . Sie stellen sich hier aber immer
wieder hin, um zu sagen: Seit 2005 ist die Arbeitslosig-
keit halbiert worden,


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das stimmt!)


es sind immer mehr Menschen in Beschäftigung .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Sie blenden Fakten aus!)


Warum ist Kinderarmut in dieser Zeit nicht zurück-
gegangen, sondern angestiegen? Warum ist Kinderarmut
in Familien so verfestigt, dass sie sich vererbt? Wenn in
Regionen Ostdeutschlands und in vielen Regionen West-
deutschlands jeder Dritte für unter 10 Euro in der Stunde
arbeitet, wenn es Regionen, ganze Kreise in Deutschland
gibt, wo jeder Zweite zum Mindestlohn arbeitet: Dann
wissen Sie ganz genau, dass der Abbau der Arbeitslosig-
keit nicht reicht, um die materielle Armut in den Familien
zu reduzieren .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das reicht nicht, sondern Sie müssen die Familien finan-
ziell stärken, weil sie von ihrem Arbeitseinkommen nicht
leben können, weil niedrige Löhne gezahlt werden . Ich

will Ihnen deutlich sagen: Wenn der Mindestlohn von
8,50 Euro jetzt großzügigerweise um 0,34 Cent steigt,
dann können Sie Ihre Argumentation nicht mehr halten
und sagen: Die Leute brauchen nur irgendeine Arbeit,
dann geht die Kinderarmut schon zurück . – Sie geht eben
nicht zurück, egal was seit 2005 passiert ist . Sie haben
nichts konkret getan, um Kinderarmut zu reduzieren .
Wenn Sie etwas getan hätten, dann müssten Sie aufgrund
der Bilanz, dass sie heute genauso hoch ist wie 2005, zu
der Erkenntnis kommen, dass Sie vollständig versagt ha-
ben . Das wäre die Konsequenz .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung hat bei der Bekämpfung von
Kinderarmut aber nicht versagt . Die Wahrheit ist: Es hat
Sie nicht interessiert . Deswegen haben Sie keine ernst-
haften Maßnahmen unternommen, um sie zu reduzieren,
weil es keinen Willen gegeben hat, Kinderarmut ernsthaft
zu bekämpfen . Im Koalitionsvertrag wird sie mit keinem
Satz erwähnt . An keiner einzigen Stelle steht: Wir wol-
len Kinderarmut bekämpfen . Dafür haben wir folgende
Vorschläge: eins, zwei, drei . – Diese Vorschläge haben
Sie nicht . Diese Vorschläge haben die Grünen und die
Linken auf den Tisch gelegt .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in unserem Antrag im Wesentlichen drei Säu-
len formuliert, wie wir Kinderarmut reduzieren wollen .

Erstens . Wir wollen mehr Geld in die Familien geben .
Wir wissen, dass die Arbeit, die die Familien jetzt ha-
ben – wir fordern auch höhere Mindestlöhne als Sie –,
ihnen kein ausreichendes Einkommen verschafft . Wir
wissen aber auch, dass eine Familie, die ein gutes durch-
schnittliches Einkommen hat, wenn das erste, zweite
oder dritte Kind geboren wird, aufgrund der Kosten, die
dann entstehen und die in dieser Gesellschaft so hoch
sind, armutsgefährdet ist . Es ist ein völliger Unterschied,
ob Sie ein Paar ohne Kinder haben, das vom Ehegatten-
splitting besonders profitiert, dem es wirtschaftlich gut
geht, das nicht armutsgefährdet ist, oder ein Paar, das das
dritte Kind bekommen hat . Dieses Paar ist dann armuts-
gefährdet, weil Sie zu wenig Geld in die Familien geben
und weil Kosten durch Kinder häufig sehr hoch sind. Das
heißt, das Kindergeld soll auf 328 Euro steigen – das ist
keine Mondzahl –,


(Beifall bei der LINKEN)


statt 192 Euro für das erste und zweite Kind, die es ab
2017 gibt, was Sie beschlossen haben . 328 Euro entspre-
chen der steuerlichen Entlastung, die Spitzenverdiener
aus dem Kinderfreibetrag erhalten . Ihnen ist nicht jedes
Kind gleich viel wert . Denn es gibt Familien wie meine
Familie, mit einem guten Einkommen und zwei Kindern,
die vom Kinderfreibetrag in Höhe von 328 Euro pro Kind
profitieren, und es gibt Durchschnittsverdienerfamilien –
da reden wir noch nicht einmal von armen Familien –, die
192 Euro pro Kind bekommen . Diese Kinder sind Ihnen
nicht gleich viel wert . Sie belasten insbesondere geringe
und durchschnittliche Einkommen und entlasten Spitzen-
verdiener . Diese Ungerechtigkeit gehört beseitigt .


(Beifall bei der LINKEN)


Eckhard Pols

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20843


(A) (C)



(B) (D)


Zum Unterhaltsvorschuss ist viel gesagt worden . Alle
hier im Haus wollen inzwischen den Unterhaltsvorschuss
ausweiten . Wir wissen, dass wir damit viele Menschen
aus dem Hartz-IV-System herausbekommen können,
dass sie dann Leistungen bekommen können, die deut-
lich unbürokratischer vergeben werden und deren Bezug
nicht mit Sanktionen belegt werden kann . Aber dann tun
Sie es endlich auch, und beenden Sie das Schwarzer-Pe-
ter-Spiel mit den Ländern!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn die Bundesregierung einen Vorschlag machen
würde und sagen würde: „Wir übernehmen die Kosten
der Ausweitung des Unterhaltsvorschusses“, dann würde
es im Bundesrat kein Bundesland geben, das mit Nein
stimmt . Das wissen Sie . Was Sie beim Unterhaltsvor-
schuss fabriziert haben, ist, kurz vor Weihnachten auf
dem Rücken der Familien Politik zu machen, und das ist
inakzeptabel .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zweitens . Wir wollen Leistungen bündeln und Fami-
lienstellen einrichten . Da werden Sie jetzt wieder sagen:
Das sind bürokratische Monstren . – Ich sage Ihnen: Es ist
eine bürokratische Überforderung für Familien, dass sie
erst zum Arbeitsamt gehen und Kindergeld beantragen
müssen, dass sie dann zum Jobcenter gehen müssen, um
die Aufstockungsleistungen zu beantragen, dass sie dann
zum nächsten Amt, danach zur Kommune gehen müssen,
um Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zu
beantragen . Nein, das wollen wir in einem Antrag, an ei-
ner Stelle bündeln, um es niedrigschwellig zu gestalten
und es den Familien zu erleichtern, diese Leistungen in
Anspruch zu nehmen . Denn wir wissen, dass es heute
viele Menschen gibt, die Leistungen nicht in Anspruch
nehmen und auch deswegen arm sind . Diese Hürden
wollen wir über die Einrichtung von Familienstellen in
den Kommunen abbauen, bei denen die Menschen ihren
Anspruch auf Leistungen unbürokratisch verwirklichen
können .


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens . Wir wollen den Ausbau der Kinder- und
Jugendhilfe, und wir wollen auch den Ausbau von Teil-
habeleistungen und infrastrukturellen Leistungen . Ob
Bibliotheken, Schwimmbäder, Sporteinrichtungen, Mu-
sikschulen oder Freizeit- und Kultureinrichtungen – alle
Kinder sollten die Möglichkeit haben, diese Einrichtun-
gen zu besuchen und zu nutzen . Deswegen wollen wir
den Zugang gebührenfrei, niedrigschwellig und barrie-
refrei gestalten, damit es zu keiner Diskriminierung der
Kinder, die arme Eltern haben, in armen Familien leben
und sich den Bibliotheksbesuch oder den Kinobesuch
möglicherweise nicht leisten können, gegenüber den
Kindern kommt, die in Familien mit gutem Einkommen
leben . Wir wollen diese Kinder gleichstellen, damit die
Armut für sie wenigstens nicht mehr spürbar ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Also: Es reicht nicht, Kinderarmut zu beklagen, so wie
Sie das in jeder Rede hier tun . Lassen Sie uns Kinderar-

mut endlich reduzieren! Damit können wir heute unmit-
telbar anfangen . Diesen Schritt sollten wir endlich tun,
damit wir den Zynismus Ihrer Reden in Zukunft nicht
mehr ertragen müssen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820903700

Die Kollegin Gülistan Yüksel spricht jetzt für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Gülistan Yüksel (SPD):
Rede ID: ID1820903800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sitzen alle hier, um Politik für die Gegen-
wart und Zukunft Deutschlands zu machen . Wir verfol-
gen dabei unterschiedliche Schwerpunkte und Ansichts-
weisen . Wir diskutieren und streiten demokratisch, und
das ist gut so . Es gibt allerdings auch Themen, bei denen
wir deutlich größere Einigkeit zeigen, und auch das ist
gut so – so etwa beim gemeinsamen Anliegen, Kinder
und Familien aus Armut zu befreien . Wir haben hier ei-
nen sehr umfassenden Antrag mit vielen guten Wünschen
vorliegen . Ich erkenne an, dass Sie auch mit dieser par-
lamentarischen Initiative eine richtige Debatte zur rich-
tigen Zeit anstoßen . Kein Kind, keine Familie sollte in
Deutschland arm sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielen Kindern geht
es gut . Sie können Zeit im Kreise ihrer Familie verbrin-
gen, können ein breites Freizeitangebot genießen, leben
gesund . Es gibt aber auch viele Kinder in Deutschland,
denen es weniger gut geht, die in Armut leben und sich
eben nicht so entwickeln können, wie es jedes Kind ver-
dient . Und das, meine Damen und Herren, dürfen wir
nicht zulassen . Kinderarmut darf es in Deutschland nicht
geben, und sie darf sich auf gar keinen Fall verfestigen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir dürfen kein einziges Kind zurücklassen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder, die in Ar-
mut leben, haben weniger Chancen in der Kita, der
Schule und beim Berufseinstieg . Kinderarmut ist nicht
nur eine Beeinträchtigung in der aktuellen Lebenslage,
sondern beeinträchtigt auch das Entwicklungspotenzial
für das ganze Leben . Deshalb müssen wir einerseits für
beste Bildungsangebote von Anfang an sorgen, und an-
dererseits müssen wir sicherstellen, dass die Eltern stark
sind . Zentral dafür sind existenzsichernde Jobs, eine gute
Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie passende Fa-
milienbildungsangebote .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Parlament
haben viele wichtige Grundsteine dafür gelegt . Wir ha-
ben in die Qualität und in den Ausbau der Kinderbe-
treuung investiert . Dabei möchte ich insbesondere Pro-
gramme wie „KitaPlus“ und „Sprach-Kitas“ erwähnen .
Kinder sollen dadurch bereits im frühen Alter beste Start-

Norbert Müller (Potsdam)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620844


(A) (C)



(B) (D)


bedingungen erhalten. Wir unterstützen auch finanziell:
Ich möchte beispielhaft das Elterngeld, das Kindergeld
und den Kindergeldzuschlag nennen, Geld, das direkt bei
Familien und Kindern ankommt . Wichtig ist auch die Re-
form des Unterhaltsvorschusses, weil gerade Kinder in
Alleinerziehenden-Haushalten oft von Armut betroffen
sind .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Kin-
derarmut sprechen, dann müssen wir auch auf die Aus-
bildungskosten eingehen . Für den sozialen Aufstieg von
Familien und Kindern ist das ein sehr wichtiger Pfeiler .
Wir haben daher mit der BAföG-Reform spürbare Leis-
tungsverbesserungen geschaffen, und das für noch mehr
Schülerinnen und Schüler, Studierende und Auszubil-
dende. Umso mehr finde ich es sehr schade und einen
sozialen Rückschritt, wenn, wie aktuell in NRW, über
die Wiedereinführung der Studiengebühren gesprochen
wird; aber das nur am Rande .


(Beifall bei der SPD)


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, in unseren Kindern steckt nicht weniger
als die Zukunft. Sie werden Pfleger, Facharbeiter, Er-
zieher, Lehrer oder Wissenschaftlerin, Künstlerin oder
Ärztin . Ja, sie werden auch Politikerinnen und Politiker
der Zukunft sein . Kurzum: Sie werden die Gesellschaft
gestalten . In ihnen steckt das noch unentdeckte Poten-
zial unserer Gesellschaft, und wir müssen noch einiges
gegen Armut tun, damit sich das Potenzial eines jeden
Menschen entfalten kann .

Der Antrag der Linken geht in die richtige Richtung .
Schon in der letzten Sitzungswoche haben wir auf Antrag
der Grünen über Armut gesprochen; auch dieser Antrag
geht in die richtige Richtung . So wäre es sinnvoll, einen
gemeinsamen Aktionsplan von Bund, Ländern und Kom-
munen gegen Armut aufzulegen .


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Sehr guter Vorschlag! Den nehmen wir auf!)


Auch eine kinder- und familienfreundliche Arbeitswelt
würde Armut entgegenwirken .

Angesichts so mancher guter Ansätze, die wir heute
von verschiedenen Rednern gehört haben, freue ich mich
auf die weiteren Beratungen und lade Sie alle herzlich
ein, uns auf dem Weg zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe
und Chancengleichheit zu begleiten; denn Entscheidun-
gen, die wir heute treffen, werden schon in wenigen Jah-
ren Wirkung entfalten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns dafür
sorgen, dass unsere Kinder in Vielfalt aufwachsen kön-
nen . Lassen Sie uns das kommende Jahr gemeinsam zum
Jahr für das Wohl von Familien und insbesondere von
Kindern machen . Jetzt wünsche ich Ihnen allen schöne
Festtage und einen guten Start in ein friedliches Jahr
2017 .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820903900

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Wolfgang

Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Yüksel hat gerade gesagt: Wir dürfen kein Kind in
Deutschland zurücklassen . – Das ist sehr richtig, aber wir
lassen Kinder in Deutschland zurück, und das nicht nur
in Einzelfällen, sondern in ganz vielen Fällen . Man muss
es so deutlich sagen: Das ist ein Skandal . Wir müssen die
Verringerung der Kinderarmut in Deutschland endlich
als oberste Priorität unserer Arbeit benennen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Werfen wir einen Blick auf die Zahlen . Fast 2 Milli-
onen Kinder beziehen Hartz-IV-Leistungen, und diese
Zahl ist weitgehend konstant, trotz guter ökonomischer
Situation . Bei der aktuellen Regelsatzberechnung hat die
Bundesregierung übrigens die Ausgaben für Weihnachts-
baum und Adventsschmuck herausgenommen . Auch
durch so etwas lassen wir Kinder zurück .

2,5 Millionen Kinder in Deutschland leben unter der
Armutsgrenze, wobei hier der gesamte Haushalt, also
auch das Einkommen der Eltern, berücksichtigt werden
muss . Die Aussagekraft dieser Zahl ist eben infrage ge-
stellt worden, und sie ist als rein statistische Größe be-
zeichnet worden . Ich würde im Gegensatz dazu sogar
noch weitergehen: Wenn man sich die Armutsgrenze ge-
nau betrachtet, sieht man, dass Kinderarmut unterschätzt
wird . Für einen alleinstehenden Erwachsenen liegt die
Armutsgrenze – das ist eben schon gesagt worden – bei
1 033 Euro, für ein Kind bei 310 Euro . Das sächliche
Existenzminimum liegt in Deutschland ab dem 1 . Janu-
ar 2017 bei 393 Euro . Armut von Kindern wird, wenn
die EU-Definition von Armut herangezogen wird, unter-
schätzt . Wahrscheinlich – auch das muss man deutlich
sagen – sind sogar mehr als die 2,5 Millionen Kinder
von Armut betroffen . Kinderarmut ist in Deutschland ein
Skandal, und so muss man das benennen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Heute geht es vor allen Dingen um den Antrag der Lin-
ken . Wenn man den Antrag der Linken mit dem Antrag
der Grünen, über den wir in der letzten Sitzungswoche
debattiert haben, vergleicht, kann man die unterschiedli-
chen Ansätze von Linken und Grünen sehr gut erkennen .
Die Linken nehmen das jetzige System der Familienför-
derung, nehmen einfach eine Schippe mit ganz viel Geld
und schütten noch mehr Geld rein . Wir gucken uns das
System genau an . In Deutschland wird ja viel Geld für
Familienleistungen ausgegeben .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das erkennt ihr wenigstens an! Das ist ja schon mal was!)


Wir gucken, wie man das Geld effektiver, sinnvoller, ef-
fizienter einsetzen kann, um Kinderarmut zu beseitigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gülistan Yüksel

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20845


(A) (C)



(B) (D)


Dabei muss man in erster Linie das Ehegattensplitting in
den Blick nehmen . Das taucht in dem Antrag der Linken
interessanterweise überhaupt nicht auf . Wir geben viel
Geld für das Ehegattensplitting aus . Damit werden ei-
nerseits Familien gefördert, andererseits aber auch viele
Paare, die keine Kinder haben . Umgekehrt werden Fa-
milien, die eine Förderung nötig hätten, nicht gefördert,
weil die Eltern nicht verheiratet sind oder weil es sich um
Alleinerziehende handelt . Deswegen sagen wir als Grü-
ne: Wir müssen umsteuern, von der Förderung der Ehe
hin zur Förderung der Kinder .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen fordern wir eine einheitliche, eine einkom-
mensunabhängige Leistung, die endlich Schluss macht
mit der Ungerechtigkeit – das hat meine Kollegin Katja
Dörner auch schon angesprochen –, dass wir als Bundes-
tagsabgeordnete mehr herausbekommen als ein Normal-
verdiener . Wir brauchen eine einheitliche Leistung, die
mindestens so hoch ist wie die Steuerersparnis, die uns
gewährt wird . Am besten wäre es, wenn sie so hoch wie
der höchste Regelsatz für Kinder wäre . Das wäre eine
Basis .

Das verknüpfen wir, wie gesagt, mit der Reform des
Ehegattensplittings . Wir wollen, dass neu verheiratete
Paare diese Kindergrundsicherung erhalten und die Part-
ner individuell besteuert werden, das Ehegattensplitting
also nicht mehr zur Anwendung kommt . Paare, die be-
reits verheiratet sind und das Ehegattensplitting nutzen,
sollten in das neue System wechseln können . Uns ist
wichtig, dass mit dieser Reform Familien nicht schlech-
tergestellt werden, sondern möglichst alle Familien bes-
sergestellt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt im Antrag der Linken, der mich er-
staunt hat, betrifft die Reform des Kinderzuschlags . Der
Kinderzuschlag ist ein unglaublich bürokratisches Mons-
trum . Er sorgt für sehr viel Bürokratie, und das Geld
kommt nicht bei den Kindern an . Doch was sagen die
Linken dazu? Die Linken wollen ihn massiv ausweiten .
Der Kinderzuschlag soll bis zu 300 Euro betragen . Da-
durch würde der bürokratische Aufwand noch sehr viel
größer . Das würde massenhaft Geld kosten, aber das
Geld würde nicht unbedingt bei den Kindern, die es am
nötigsten brauchen, ankommen . Das ist nicht der Weg,
den wir Grüne gehen wollen . Der Kinderzuschlag gehört
grundlegend reformiert . Eigentlich gehört er in der Form,
in der er jetzt besteht, abgeschafft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sönke Rix [SPD]: Er ist im Übrigen durch die Grünen mit eingeführt worden!)


– Er ist von den Grünen mit eingeführt worden; das ist
richtig . Die Grundidee ist ja eigentlich nicht schlecht;


(Sönke Rix [SPD]: Aha!)


aber so, wie er gemacht worden ist – das muss man im
Nachhinein sagen –, funktioniert er nicht .


(Sönke Rix [SPD]: Nicht alles gleich abschaffen, sondern verbessern!)


Deswegen schlagen wir einen einkommensabhängigen
Zuschlag für alle Kinder vor, damit das sächliche Exis-
tenzminimum für alle unbürokratisch garantiert wird .
Wir wollen nicht den bürokratischen Kinderzuschlag,
sondern entweder einen einkommensabhängigen Zu-
schlag zum Kindergeld oder – in dem neuen System –
einen einkommensabhängigen Zuschlag zur Kinder-
grundsicherung . So können wir gewährleisten, dass die
Leistungen dort ankommen, wo sie gebraucht werden .
So kann endlich das Existenzminimum aller Kinder in
Deutschland garantiert werden .

Wenn der politische Wille dafür da wäre, könnten wir
Kinderarmut drastisch reduzieren, vielleicht sogar be-
seitigen . Das muss doch Aufgabe für uns alle sein . Ich
fordere insbesondere die SPD und die Union auf, endlich
etwas dafür zu tun . Vorschläge von den Linken und von
uns liegen vor . Die Vorschläge der Linken sehen wir als
teilweise problematisch an; aber von Ihnen kommt über-
haupt nichts .

Die Bekämpfung der Kinderarmut sollte oberste Pri-
orität haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir können das, und wir sollten das endlich tun . Keine
Ausreden mehr!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820904000

Die Kollegin Dr . Silke Launert spricht jetzt für die

CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Silke Launert (CSU):
Rede ID: ID1820904100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Viele von Ih-
nen sind Eltern und sind wahrscheinlich wie ich seit eini-
ger Zeit damit beschäftigt, den Weihnachtswunschzettel
ihrer Kinder abzuarbeiten . Das machen wir gerne; denn
wir wollen unseren Kindern nächste Woche an Heilig-
abend mit kleinen und größeren Geschenken eine Freude
machen . Sie sollen strahlen, wenn sie den Puppenwagen,
den Kaufladen oder vielleicht ein paar neue Skier auspa-
cken .

Doch was ist, wenn das Geld dafür nicht reicht, wenn
nicht genug da ist, um ein etwas größeres Geschenk zu
kaufen? Natürlich hat mancher nicht so viel Geld zur
Verfügung, aber ein kleines Geschenk ist immer möglich .
Diese Sozialsicherung haben wir . Es ist schon schwer –
ich stelle mir dieses Gefühl als Mutter vor –, wenn man
die Wünsche der Kinder nicht erfüllen kann und man
weiß, dass die Freunde der Kinder sie erfüllt bekommen .
Tatsächlich gibt es diese Fälle . Daher muss man sich die-
se auch anschauen . Das ist völlig richtig . Dabei ist die
Frage nach dem Weihnachtsgeschenk sicherlich nicht das
größte Problem .

Jahr für Jahr kommen neue Statistiken heraus, die be-
legen, wie viele Kinder in Deutschland arm sind oder von
Armut bedroht sind, wobei über die Details diskutiert
und gestritten werden kann . Mal sind es ein paar Prozent

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620846


(A) (C)



(B) (D)


mehr, mal ein paar Prozent weniger . Auch regional gese-
hen gibt es große Unterschiede . In Bayern gibt es übri-
gens bundesweit gesehen am wenigsten Kinder, die ar-
mutsgefährdet sind oder in Armut leben . In Bremerhaven
gibt es die meisten . Zuletzt hat die Bertelsmann-Stiftung
neue Zahlen geliefert . Demnach sind deutschlandweit
fast 2 Millionen Kinder auf Hartz-IV-Leistungen ange-
wiesen . Das größte Armutsrisiko – wir haben es heute
schon mehrfach gehört – haben den Daten zufolge Kin-
der von Alleinerziehenden und Kinder aus Familien mit
mehr als zwei Kindern . Das hat allerdings nichts mit der
Familie als solcher zu tun, sondern mit dem ökonomi-
schen Hintergrund dieser Familien .

Die Folgen von Kinderarmut wurden heute schon
mehrfach angesprochen: Sie sind bitter und ziehen sich
durch das ganze Leben . Kinder aus armen Verhältnis-
sen haben in der Regel schlechtere Bildungschancen,
was sich auf ihr späteres Erwerbsleben auswirkt . Man
kann also sagen, dass Armut sozusagen vererbt wird .
Auswirkungen hat die Armut auch auf die Gesundheit .
Man glaubt nicht, was der Zustand der Zähne, das Ernäh-
rungsverhalten, mögliche Schlafstörungen oder auch die
Körperhaltung von Kindern über ihr Leben alles preisge-
ben können . Schließlich ist es auch so, dass Kinder aus
armen Familien häufiger an psychischen Krankheiten
leiden. Auch der Sport kommt bei ihnen häufig zu kurz.
Nachweislich sitzen Kinder aus sozial schwachen Fami-
lien häufiger vor dem Computer oder Fernseher.

Ich möchte trotzdem etwas anmerken . Mehrfach wur-
de hier gesagt, dass Kinder kein Frühstück bekommen
oder kein warmes Essen . Tatsache ist, dass das Geld für
das Frühstück, für Brot und Butter, in den Sätzen enthal-
ten ist .


(Zurufe von der LINKEN)


Ich selbst bin nicht in finanziell starken Verhältnissen
groß geworden, aber meine Mutter hat immer dafür ge-
sorgt, dass wir all das, was wirklich wichtig ist – dazu
gehört auch Zeit mit den Kindern –, hatten . Es hat uns an
nichts gefehlt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was ist mit Käse?)


– Auch einen Käse von Aldi kann man sich noch leisten;
glauben Sie mir . Man braucht ihn auch nicht jeden Tag
auf dem Frühstücksbrot .

Fakt ist: Wie gesund Kinder in Deutschland leben,
hängt auch von den finanziellen Verhältnissen der Eltern
ab .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ach!)


Deshalb ist das Anliegen richtig . Wir müssen es aufgrei-
fen und etwas tun .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Machen Sie mal!)


Ich weiß, dass wir gerade in der aktuellen Situation be-
sonders Flüchtlingskinder vor Augen haben – sie brau-
chen natürlich unsere Hilfe –, aber wir dürfen darüber
nicht diejenigen Kinder vergessen, deren soziale Situa-

tion nicht gleich so offensichtlich ist . Armut ist oft un-
sichtbar . Wer will schon offen zeigen, dass er mittellos
ist? Lieber wird am Ende des Monats vielleicht das Geld
für das Frühstück im Hort vergessen, oder ein Ausflug
wird nicht mitgemacht, weil man zufällig keine Zeit hat .
Niemand will zugeben, dass er sich das, was für viele
selbstverständlich ist, nicht leisten kann .

Wir alle tragen gemeinsam die Verantwortung für un-
sere Kinder; denn sie sind unsere Zukunft . Insofern stim-
me ich mit Ihnen überein . Wir alle müssen investieren
und schauen, wie wir es schaffen, Chancengleichheit –
und nicht materielle Gleichheit – zu schaffen .

In der laufenden Wahlperiode haben wir einiges ge-
tan – das wurde schon dargelegt –: Der Familienetat für
2017 wurde auf 9,2 Milliarden Euro aufgestockt, so viel
wie noch nie zuvor . Es gab eine Erhöhung des Kinder-
zuschlages . Wir haben bei Alleinerziehenden den Ent-
lastungsbetrag um 600 Euro erhöht, und jetzt gehen wir
den Unterhaltsvorschuss an . Ich freue mich sehr, dass wir
hier einig sind, und ich bedauere es ebenso wie Sie, dass
Frau Schwesig dies leider durchgeboxt hat, ohne vorher
die Finanzierung sicherzustellen und die Länder und die
Kommunen mit ins Boot zu holen .


(Sönke Rix [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Jetzt werden wir es sicherlich noch hinbekommen . Ge-
ben Sie uns halt noch die paar Monate Zeit .


(Dr . Fritz Felgentreu [SPD]: Ihr Ministerpräsident hat zugestimmt!)


Das ist doch ein Kampf um nichts .


(Sönke Rix [SPD]: Herr Seehofer ist wahrscheinlich mit der Pistole bedroht worden, oder was?)


Damit werden wir jetzt ungefähr 100 000 Kindern zu-
sätzlich helfen, und es wird auch Kinder aus der Armut
bringen .

Wichtig ist die gute Infrastruktur; auch das wurde
schon angesprochen . Aber jetzt lassen Sie mich trotzdem
etwas zu diesem Antrag sagen: Die Intention ist richtig,
die Mittel sind falsch . Die Grünen haben es erkannt . Der
Fehler besteht darin, einfach ganz viel Geld reinzukip-
pen und reinzukippen . Letztlich ist es, wenn man sich
das Ganze durchliest, eine Zusammenfassung aller For-
derungen der Linken, also: nicht nur Verdoppelung des
Kindergeldes und Erhöhung des Kinderzuschlags, son-
dern auch kostenfreie Kinderbetreuung, kostenfreie Hob-
bys, Zugang zu allem, ein Rundum-sorglos-Paket bei der
Beantragung aller sozialen Leistungen, Sicherstellen,
dass auch ja niemand irgendeine Leistung des Staates
verschenkt, Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro,


(Beifall bei der LINKEN)


gebührenfreier Zugang zum öffentlichen Nahverkehr,
sanktionsfreies Hartz-IV-System,


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Silke Launert

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20847


(A) (C)



(B) (D)


Erhöhung der Hartz-IV-Beträge, Anspruch auf Ausbil-
dung, Verpflichtung aller Unternehmen, Leute auszubil-
den,


(Beifall bei der LINKEN)


Erhöhung des BAföG; Punkt, Punkt, Punkt . Es handelt
sich hier um ein Wunschpaket der Linken nach dem Mot-
to „Wünsch dir was“ . Sie haben natürlich keine Angaben
dazu gemacht, was es kostet, keine Angaben zur Gegenfi-
nanzierung . Ich weiß es nicht: Sind es 100 Milliarden, die
Sie hier wollen, wenn man alles durchrechnet? Sie haben
ja keine einzige Zahl genannt . Vorhin haben wir bei ei-
nem Kollegen allein beim Kindergeld die Hochrechnung
von 20 Milliarden Euro gehört . Entweder gilt „Wünsch
dir was“, oder das Motto ist: Wir drucken einfach mal,
wir lassen einfach mal die Gelddruckpresse loslaufen .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Geht mal an die Reichen ran!)


Diesen Wunschzettel wird das Christkind zu Weihnach-
ten nicht erfüllen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820904200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Bahr für die

SPD .


(Beifall bei der SPD)



Ulrike Bahr (SPD):
Rede ID: ID1820904300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Es gibt einen Artikel zum Thema
frühe Hilfen; er ist mit „Die drei K’s“ überschrieben . Es
geht jetzt ganz bestimmt nicht um Kinder, Küche, Kir-
che; vielmehr heißt der ganze Titel „Die drei K’s: Kin-
derarmut – Kinderschutz – Kommunen“ . Wenn es um
Kinderarmut geht, bleiben zwangsläufig Diskussionen zu
Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von monetären Leis-
tungen nicht aus . Geld ist wichtig, um die Existenz zu
sichern, keine Frage . Aber was ich für mindestens ebenso
wichtig halte, ist die soziale Infrastruktur; denn sie ist die
zentrale Grundlage . Sie kann Chancen und damit auch
Wege aus der Armut eröffnen . Sie kann Chancen aber
auch verwehren, nämlich dann, wenn sie fehlt oder zu
wenig zielgerichtet ist .

Die maßgebliche Infrastruktur, wenn Kinder, Jugend-
liche und ihre Familien im Fokus stehen, ist für mich die
Kinder- und Jugendhilfe, auch wenn die Kinder- und Ju-
gendhilfe in Ihrem Antrag vielleicht nicht ganz so präsent
ist wie Ihre Vorschläge zu konkreten Geldleistungen oder
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen .


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Müssen Sie mal lesen! Das steht alles drin!)


Mir ist es in dieser Debatte aber wichtig, auch noch
einmal ganz genau auf die Kinder und Jugendlichen
selbst zu schauen, für die Sie hier einen sehr umfangrei-
chen Aktionsplan zur Armutsbekämpfung vorschlagen .
Bei der Kinder- und Jugendhilfe scheinen Sie vor allem
in Sonderprogrammen absolute Allheilmittel zu sehen .

Das klingt für mich aber zu sehr nach der berühmt-be-
rüchtigten Gießkanne .

Wir alle wissen, dass Armut in der Kindheit ein großes
Entwicklungsrisiko darstellt . Armut kann sich verfesti-
gen und damit den Lebenslauf nachhaltig prägen . Armut
kann sich damit auch vererben . Umso wichtiger ist es,
präventive Ansätze in der Kinder- und Jugendhilfe weiter
auszubauen – da gebe ich Ihnen recht –, aber eben ziel-
gerichtet . Das wiederum geht nun einmal nur im engen
Schulterschluss mit den Kommunen; denn die Kommu-
nen sind es, die die Kinder- und Jugendhilfe verantwor-
ten . Diese wichtige, weil zentrale, Rolle der Kommunen
kommt mir in Ihrem Antrag zu kurz .

Deshalb noch einmal zurück zu „Kinderarmut – Kin-
derschutz – Kommunen“: Armut hat viele Gesichter, ent-
täuschte, traurige, zornige, weinende; denn zur materiel-
len Armut gesellen sich in vielen Fällen Bildungsferne,
ein Mangel an Teilhabemöglichkeiten, beispielsweise
in Sportvereinen oder im Musikunterricht, und leider
oft auch gesundheitliche Probleme . Dass das alles vom
Geldbeutel der Eltern abhängt, ist ungerecht; ich glaube,
darin sind wir uns alle einig . Genau hier müssen wir han-
deln; das ist keine Frage .

Armut existiert aber nicht im luftleeren Raum, son-
dern innerhalb von Wohnquartieren und Stadtvierteln –
mal deutlicher, mal weniger offensichtlich . Deshalb
brauchen wir auch ressortübergreifende Ansätze . Ein gu-
tes Beispiel ist das Bundesprogramm „JUGEND STÄR-
KEN im Quartier“, das die SPD-Ministerinnen Manuela
Schwesig und Barbara Hendricks in dieser Legislaturpe-
riode gemeinsam neu auf den Weg gebracht haben .


(Beifall bei der SPD)


In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, füh-
ren Sie zu Recht diejenigen an, die von den Angeboten
der Kinder- und Jugendhilfe nicht erreicht werden . Ge-
nau hier setzt „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ an: in
der direkten Wohn- und Lebenswelt der Kinder und ihrer
Familien . Dass wir das überaus erfolgreiche Städtebau-
programm „Soziale Stadt“ mit niedrigschwelligen sozial-
pädagogischen und gezielten Förderangeboten für junge
Menschen hiermit zusammengeführt haben, halte ich für
ganz zentral und wegweisend . In diesem Modellprojekt
sind die Kommunen nicht nur mit im Boot, sondern sie,
die Experten vor Ort, bestimmen auch, welche Angebote
am besten zu den Gegebenheiten der jungen Menschen
dort passen .

Es gibt auch andere Beispiele . In meiner Heimatstadt
Augsburg gibt es den Verein „Kinderchancen“ . Hier
richtet sich die Förderung zunächst, im ersten Schritt,
ganz gezielt an den Bedürfnissen der Kinder aus . Natür-
lich gibt es auch Unterstützung für die Eltern, beispiels-
weise wenn es um komplizierte Anträge geht; aber im
Mittelpunkt steht das Kind . So ermöglichen wir Sport-
oder Musikunterricht, organisieren Nachhilfe oder auch
Sprachförderung, und das alles so unbürokratisch wie
möglich und mit der Unterstützung eines breiten Netz-
werks vor Ort . Dazu gehören Ämter, Kitas, Schulen, Eh-
renamtliche, Sozialpartner usw .

Dr. Silke Launert

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620848


(A) (C)



(B) (D)


Unser Ansatz ist die Hilfe zur Selbsthilfe; denn das
Ziel dieses Projekts besteht nicht nur darin, große und
kleine Steine, die die gesellschaftliche Teilhabe behin-
dern, aus dem Weg zu räumen – das kann zum Beispiel
das erste Paar Sportschuhe sein –, sondern uns geht es
auch darum, Kinder und Familien eine bestimmte Zeit zu
begleiten, um sie im Hinblick auf ihre individuellen Fä-
higkeiten zu stärken, damit dieses Wissen um die eigenen
Stärken zum Fundament eines selbstbestimmten Lebens-
wegs wird . Auch das ist Armutsprävention .


(Beifall bei der SPD)


Natürlich sind hier auch SGB-VIII-Leistungen wie die
aufsuchenden Angebote Früher Hilfen, Erziehungsbe-
ratung, Familienberatung und Jugendsozialarbeit ganz
wichtige, wesentliche Elemente .

Alle, die in der Kinder- und Jugendhilfe engagiert
sind, wissen: Jeder Euro zählt . Umso wichtiger ist es,
dass wir zielgerichtete Hilfsangebote schaffen und sie
weiterentwickeln . Das funktioniert nicht starr mit Wei-
sungen von oben nach unten, sondern nur gemeinsam mit
den Kommunen und den Akteuren vor Ort .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820904400

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Martin

Patzelt .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Martin Patzelt (CDU):
Rede ID: ID1820904500

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste in un-

serem Haus! Über die Relativität des Armutsbegriffes
möchte ich mich nicht mehr äußern; das haben meine
Vorredner zur Genüge getan .


(Zuruf von der LINKEN: Aber nicht gut!)


– Das ist Ihre Meinung . – Ich möchte auch nicht über
die Armut an sich reden . Ich will aber bei all dem, was
ich Ihnen jetzt sagen werde, betonen: Natürlich bin ich
davon überzeugt, dass ein Minimum an materieller Aus-
stattung nötig ist, um ein menschenwürdiges Leben zu
führen – genau darüber entscheidet in Deutschland aber
nicht nur der Bundestag, sondern auch das oberste Ge-
richt –, und dieses Geld reicht nicht .

Wenn Eltern im Rahmen ihrer persönlichen Möglich-
keiten, der Angebote, die ihnen gemacht werden, und vor
allen Dingen der Kompetenz, die sie haben, zusätzliche
Hilfsangebote suchen und nutzen – ein Beispiel ist die
Tafel –, dann geschieht das, weil sie die Grundleistun-
gen, die sie bekommen, um leben zu können und das
Frühstücksbrot für ihre Kinder finanzieren zu können,
optimieren . Und wenn sie in Secondhandläden einkau-
fen – auch einmal ein Paar teure Skier und Markenkla-
motten –, dann tun sie das, weil sie ihr – zugegebenerma-
ßen niedriges – Einkommen optimieren wollen . Daraus
zu schließen, dass sie in lebensbedrohlicher Not sind, ist
einfach falsch, sondern ihnen gelingt es, zu optimieren .

Wissen Sie, wenn ich am Wochenende mal einkaufen
gehe und an der Kasse im Supermarkt stehe und sehe,
was mir bekannte Menschen – ich war einmal Bürger-
meister der Stadt; man kennt sich – in ihren Einkaufskör-
ben haben, dann überkommt mich bitter, dass sie das we-
nige Geld, das sie haben, für Artikel ausgeben, die nicht
nachhaltig sind, die bald kaputt sind und ihren Kindern
nicht lange Freude machen werden .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Finden Sie das nicht zynisch?)


Was will ich damit sagen? Ich will sagen, dass wir
nicht nur eine Armut an materieller Ausstattung unserer
Familien haben .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Die haben wir; das ist unbestritten . Ich will nicht miss-
verstanden werden . Meine Vorredner haben bereits da-
rauf hingewiesen, was die Regierungskoalition und auch
die CDU/CSU in den vergangenen Jahren, auch in den
Jahren vor dieser Koalition, an wirklich entscheidenden
und nachhaltigen finanziellen Förderungen auf den Weg
gebracht haben . Finanzielle Förderung scheint immer
das Einzige zu sein, was wir anzubieten haben, wenn es
um Nöte in der Gesellschaft geht . Lassen Sie mich auf
eine Armut hinweisen, die Kinder auch haben . Das ist
die Armut an Selbstbewusstsein . Von Ihnen wird dann
immer gleich gesagt: Ja, wenn sie mehr hätten, ein neues
Handy oder eine bessere Schultasche und bessere Klei-
dung, dann wäre ihr Selbstbewusstsein sofort aufgewer-
tet . Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das ist
doch eine Spirale .


(Zuruf der Abg . Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


In dem Moment, in dem sie das Neueste haben, haben
die anderen schon wieder etwas Neueres . Das ist eine
Spirale, die in die Irre führt, weil unsere Kinder diesem
Trend – diesem Trend, dem wir alle mehr oder weniger
folgen – immer nachlaufen werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es geht um das Glück von Kindern . Es geht nicht
darum, immer mehr zu haben . Die Armutsgrenze wird
sich doch ständig verändern . Warum haben wir wieder
mehr Armut nach der Statistik? Weil das allgemeine
Einkommen gestiegen ist . Immer wenn das allgemeine
Einkommen steigt, wird natürlich sofort die Zahl der Ar-
men größer, weil wir nicht schnell genug nachkommen,
die entsprechenden Anpassungen der unterschiedlichen
Leistungen im Parlament vorzunehmen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt so nicht!)


Dieser Zusammenhang ist von meinen Vorrednern deut-
lich gemacht worden .

Ich möchte den Kindern, für die ich auch als Mitglied
des Familienausschusses Verantwortung habe – es sind
die Kinder unseres Landes –, helfen, dass sie einen siche-
ren Selbststand haben, einen Selbststand, der nicht nur
davon abhängt, welche materielle Ausstattung sie haben .

Ulrike Bahr

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20849


(A) (C)



(B) (D)


Sie sollen Wissen erwerben können, sich kulturell enga-
gieren können, konfliktfähig sein. Ich habe in den letz-
ten Tagen in der Presse wieder gelesen, was auf unseren
Schulhöfen los ist, dass immer mehr Sozialarbeiter und
Psychologen eingestellt werden müssen, weil die Kinder
in einer Weise miteinander umgehen, dass die Lehrer es
nicht mehr schaffen, die Konflikte zu regeln.


(Zuruf von der LINKEN: Warum ist das denn so?)


Es geht um die Kompetenzen der Kinder, ihre Aus-
stattung mit Empathie, die Erfahrungen, die sie in ihrem
Leben machen, und ihre Lebensräume . Wie machen wir
denn Urlaub? Wir packen sie in die Kiste und fahren
Hunderte von Kilometern mit ihnen an einen Urlaubsort,
statt den Nahraum um unseren Wohnort, unser Land zu
erkunden . Ich kenne viele Kinder, die nicht einmal ihre
nähere Heimat kennen . Wir glauben, wir müssen ihnen
immer mehr und mehr geben, statt die Welt, in der sie
leben, mit den Mitteln, die wir haben, auszugestalten .

Ich sage das aus eigener Erfahrung . Ich habe mit Kol-
legen im Vorgriff auf diese Debatte gesprochen . Ein Kol-
lege sagte mir gestern: Ich war zwar arm; aber ich konnte
mich wenigstens ausschlafen . – Ich komme jeden Tag mit
der U-Bahn und sehe, wie die Mütter die Kinderwagen in
die U- und S-Bahnen zwängen . Sie haben kaum Platz,
auch wegen der vielen Fahrräder, und es ist kalt und nass .
Dann denke ich: Ein reiches Land; aber die Kinder kön-
nen nicht einmal ausschlafen . – Und wenn sich Frauen
in dieser sensiblen Phase des Lebens entscheiden, die
Infrastrukturangebote noch nicht wahrzunehmen und zu
Hause zu bleiben, und die Fraktion von CDU/CSU sagt,
diesen Frauen ein Betreuungsgeld zu zahlen, damit wir
ihnen eine Anerkennung für diese gesellschaftliche Leis-
tung geben, dann wird das ideologisch verfemt, dann ist
das eine Herdprämie .


(Zuruf von der LINKEN)


– Ich sage das nicht aus parteipolitischen Gründen . Ich
sage das, weil ich ernste Sorge habe, wenn wir weiter so
mit unseren Kindern umgehen, wenn wir sie in einer sen-
siblen Phase hemmungslos der öffentlichen Erziehung
ausliefern, wenn wir sie nicht mehr ausstatten mit der
Nähe von Eltern, die ihnen Märchen vorlesen, die noch
nicht kaputt sind vom Karrierekampf und vom Kampf
um noch mehr Geld, das sie verdienen können für ihre
persönliche Entwicklung .

Das alles ist wichtig und richtig; verstehen Sie mich
nicht falsch . Aber wer sich für Kinder entscheidet, der
muss wissen, dass diese Kinder die Eltern brauchen, dass
sie Zeit mit ihnen brauchen, Empathie, Zuwendung und
Zuhören .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe mich einmal damit beschäftigt, welche Jugend-
lichen eigentlich in rechten und linken extremistischen
Gruppen landen . Zum großen Teil sind das heimatlose
junge Menschen, die eine Ersatzfamilie suchen und in
dieser strengen und für uns alle fast unerträglichen wert-
bildenden Gruppe dann ein Stück weit ein Ersatzzuhause
finden. Warum ist das so? Weil sie dieses Zuhause in ih-
rer Kindheit nicht erleben konnten, weil wir außenorien-

tiert sind und sagen: Wir müssen mehr Knete machen!
Wir müssen Karriere machen! – Wer sich für Kinder ent-
scheidet, der sollte einberechnen, dass das für bestimmte
Zeiten ein Stückchen Karriere kosten kann .

Wir haben in unserem Parlament, in der Regierung
und in der Wirtschaft viele Kinderreiche . Die Manage-
rin der Berliner Verkehrsbetriebe hat, glaube ich, sieben
Kinder .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820904600

Kollege Patzelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Sabine Zimmermann?


Martin Patzelt (CDU):
Rede ID: ID1820904700

Nein, danke . Ich möchte in meinen Gedanken jetzt

nicht unterbrochen werden . – Es gibt genug Beispiele
von Frauen, die sogar überdurchschnittlich viele Kinder
hatten, bei ihren Kindern geblieben sind und sie mit ho-
her Kompetenz ins Leben geführt haben .

Denken Sie doch selber daran: Wir Älteren kommen
nicht alle aus vermögenden Haushalten . Ich komme
aus einer armen Familie und verschiedene Kolleginnen
und Kollegen auch, wie sie mir gesagt haben – Marcus
Weinberg gerade eben . Wenn es wirklich so wäre, dass
alles am Geld liegt, dann wären wir nicht hier gelandet .
Viele aus armen Verhältnissen wären dann nicht in der
Wissenschaft, der Kultur oder der Kunst gelandet . Ich
möchte nur eines anmahnen, nämlich dass wir miteinan-
der den Blick weiten und sagen: Es liegt nicht alles am
Geld .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden mit Geld nicht alles erreichen, was wir brau-
chen, damit diese Gesellschaft Zukunft und Bestand hat .

Ich bin ganz nah bei einigen Vorschlägen, die Sie in
Ihrer Vorlage gemacht haben, vor allen Dingen auch
bei den strukturellen Vorschlägen der Grünen . Ja, wir
brauchen eine gute Infrastruktur . Ich weiß, ich bin ein
bisschen weg vom Fenster; aber ich würde sogar eine
Schuluniform fordern . In meinem Wahlkreis gibt es ein
Spitzengymnasium . Dort haben sich die Eltern für eine
Schuluniform entschieden . Warum? Weil sie die Stigma-
tisierung der Kinder untereinander, die auf dem Schulhof
„Assi, Assi!“ schreien, vermeiden wollten . Wenn wir in
diese Strukturen investieren, für Lehrbuchfreiheit sorgen
und bestimmte Ausstattungsgrade für die Schulen for-
dern wollen, weil wir hier in einer Gemeinschaft lernen
und leben, dann haben wir ein weites Feld der Gestaltung
vor uns . Darauf freue ich mich .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820904800

Zum Abschluss dieser Debatte spricht der Kollege

Sönke Rix für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Martin Patzelt

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620850


(A) (C)



(B) (D)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1820904900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Zunächst einmal: Ich habe
gerade das Wort „Karrierekampf“ gehört . Natürlich gibt
es in manchen Familien auch Väter oder Mütter, denen
die Karriere das Wichtigste ist; aber bei den Allermeis-
ten ist dieser sogenannte Karrierekampf der Kampf ums
Überleben, sage ich einmal etwas überspitzt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist der Kampf, um die finanzielle Versorgung der
Familie zu sichern . Um heutzutage die Familie vernünf-
tig ausstatten zu können, muss man teilweise mehreren
Jobs nachgehen und müssen Vater und Mutter arbeiten .
Es geht hier also nicht in erster Linie um einen Karri-
erekampf, sondern darum, dass die Menschen arbeiten
müssen . Daneben geht es auch darum, dass sie arbeiten
wollen . Wir können nicht wollen, dass jemand, der seiner
Arbeit nachgehen möchte, während er Familie hat, seine
Familie vernachlässigen muss . Das ist auf keinen Fall so .
Familie und Beruf müssen miteinander vereinbar sein,
und das sollte Ziel unserer Politik sein .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich bringe morgens meinen Sohn zur Grundschule .
Dort gibt es neuerdings ein Müsli-Buffet, damit sich die
Kinder, die von zu Hause kein Frühstücksbrot mitbekom-
men oder mitbekommen können, morgens erst einmal
mit einem Müsli versorgen können . Ich danke in erster
Linie denjenigen, die dieses Problem erkannt haben und
sich vor Ort darum kümmern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihnen gilt unser Dank . Leider ist es notwendig, dass es so
etwas gibt . Es ist wichtig, die Zivilgesellschaft zu stär-
ken, um auch präventiv gegen die Kinderarmut vorzu-
gehen .

Es wurden in der Debatte schon mehrere Gründe für
Kinderarmut genannt; wir streiten darüber, ab wann Kin-
derarmut vorliegt und was das Wichtigste zur Bekämp-
fung von Kinderarmut ist . Ich glaube aber, wir sollten das
nicht gegeneinander ausspielen: Die Situation der Eltern,
die berufstätig sind, ist von Bedeutung . Arbeit ist mit der
wichtigste Faktor, wenn es darum geht, dass die Familien
Geld haben und für ihren Unterhalt sorgen können . Des-
halb ist es auch wichtig, dass Arbeit gut bezahlt wird . Es
waren wir in der Großen Koalition, die den Mindestlohn
eingeführt haben,


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Und den Niedriglohnsektor!)


und es waren wir diejenigen, die die Tarifbindung ge-
stärkt haben . Das dient besseren Löhnen, besserer Be-
zahlung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Auch die Regulierung von prekären Arbeitsverhältnissen
haben wir uns auf die Fahne geschrieben . Nicht umsonst
haben wir bei Werkverträgen und Zeitarbeit eine stärkere
Regulierung beschlossen . Auch das dient dazu, Familien

finanziell besser abzusichern, damit gute Arbeit auch gut
bezahlt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben noch einiges auf der Tagesordnung, was
dazu beiträgt, Familien finanziell besserzustellen. Dabei
geht es um die Situation von Frauen in Arbeit . Wir haben
noch zwei Gesetzentwürfe – das sage ich in Richtung des
Koalitionspartners – in der Schwebe . Zum einen geht es
um die Pflegeberufe. Wir wollen die Pflegeberufe auf-
werten . In diesen Berufen sind überwiegend Frauen tätig,
die schlecht bezahlt werden . Sie erhalten keine vernünf-
tige Anerkennung . Deshalb brauchen wir hier dringend
eine Reform . Der erste Schritt wäre, die Generalistik in
der Pflege einzuführen. Ich bitte Sie darum, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, dass wir diesen ersten Schritt ge-
hen .


(Beifall bei der SPD)


Zum anderen geht es um die Frage der Lohngerechtig-
keit . Frauen sollen generell besser bezahlt werden, und
diese Vorgabe soll gesetzlich festgeschrieben werden .
Das Lohngerechtigkeitsgesetz wird noch im Kabinett be-
raten; wir hoffen, dass es bald ins Parlament eingebracht
wird . Es dient dazu, dass Frauen bei gleicher Arbeit das
Gleiche verdienen wie ihre Kollegen . Wo Ungerechtig-
keit herrscht, müssen wir dagegen angehen können; aber
dazu muss die Ungerechtigkeit bekannt sein . Deshalb
brauchen wir mehr Transparenz, und deshalb brauchen
wir das Lohngerechtigkeitsgesetz .


(Beifall bei der SPD)


Vorhin wurde der Satz geprägt: Armut wird vererbt .
Ich weiß nicht genau, wer das gesagt hat; ich habe das
so mitgenommen . Man muss aber auch einmal deutlich
sagen: Auch Reichtum wird vererbt .


(Beifall bei der SPD – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich sage nur: Vermögensteuer! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Erbschaftsteuer!)


Wir haben es bei der Vorstellung des Armuts- und Reich-
tumsbericht mitbekommen: Die großen Vermögen sind
nicht so sehr durch Arbeit entstanden, sondern mehr
durch Erbschaften oder durch Maximierung von Kapital-
gewinnen . Deshalb halten wir es als Sozialdemokraten
durchaus für richtig, auch in der Steuerpolitik mehr Ge-
rechtigkeit walten zu lassen . Ich bin ganz dicht bei Ihnen,
wenn Sie sagen: Das Ehegattensplitting ist nicht das, was
wir uns unter Familienförderung vorstellen . Wir wollen
weniger die Förderung der Ehe, sondern mehr die Förde-
rung der Familie . – Das wollen wir auch steuerpolitisch
festhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum Unterhaltsvorschuss . Die Debatte darüber haben
wir letzte Sitzungswoche schon geführt; wir werden sie
wahrscheinlich noch häufiger führen. Ich will aber etwas
zur Ausgangslage sagen: Es waren die Ministerpräsi-
denten aller Länder – auch die Ministerpräsidenten von
Thüringen und Baden-Württemberg, schwarz-grüne Re-
gierungen, rot-grüne Regierungen, Große Koalitionen –,

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20851


(A) (C)



(B) (D)


die 16 : 0 beschlossen haben, dass zum 1 . Januar 2017
die Regelungen zum Unterhaltsvorschuss ausgeweitet
werden sollen . Die Ministerpräsidenten haben diesen
Beschluss gefasst – nicht Frau Schwesig hat diesen Vor-
schlag übereilt eingebracht –, die Ministerpräsidenten
haben dieses Versprechen gegeben .


(Beifall bei der SPD)


Wir sind diejenigen, die jetzt daran mitwirken sollen,
dass das Versprechen auch eingehalten wird .

Ein Wort noch in Richtung Hessen . Der Äußerung von
Volker Bouffier, mit der Ausweitung könne man bis 2020
warten, kann ich nur entgegenhalten: Es geht nicht an,
innerhalb von ein paar Monaten das eigene Versprechen
zu brechen .


(Beifall bei der SPD)


Damit ist niemandem geholfen, weder den Alleinerzie-
henden noch der Glaubwürdigkeit von Politik . Dieser
Unterhaltsvorschuss muss so schnell wie möglich kom-
men . Deshalb bitte ich alle hier im Raum, mit unseren
Ministerpräsidenten, egal welcher Farbe, zu reden und zu
sagen: Wenn ihr ein Versprechen gebt, dann seht auch zu,
dass ihr euch auf die Finanzierung einigt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820905000

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10628 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Widerspruch sehe ich keinen . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 5 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der von den Ver-
einten Nationen geführten Friedensmission
in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der
Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011
und Folgeresolutionen, zuletzt 2304 (2016)

vom 12. August 2016

Drucksachen 18/10188, 18/10547


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/10548

Über die Beschlussempfehlung werden wir, wie üb-
lich bei Einsätzen der Bundeswehr, später namentlich
abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
sehe ich keinen . Dann ist auch dieses so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Christoph Strässer für die SPD das
Wort .


(Beifall bei der SPD)



Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1820905100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! Gestern hat in Genf zum 26 . Mal
ein Sonderausschuss des Menschenrechtsrates der Ver-
einten Nationen zur Situation im Südsudan getagt . Zum
26 . Mal! Der aus meiner Sicht wichtigste unter den
Rednerinnen und Rednern ist der Sonderbeauftragte der
Vereinten Nationen für die Verhinderung von Genozid,
Herr Adama Dieng . Er hat die Weltgemeinschaft ein-
dringlichst aufgefordert, nicht wegzusehen, sondern da-
bei mitzumachen, den Menschen zu helfen, und sagte in
diesem Zusammenhang: Es bereitet sich etwas vor, was
wir sehen, was wir wissen: ein Genozid anhand ethni-
scher Leitlinien . – Worüber wir heute diskutieren, ist aus
meiner Sicht ein kleiner Beitrag, um das zu verhindern,
um hinzusehen und Lösungen zu präsentieren; aber es ist
selbstverständlich nicht der einzige .

Für diejenigen, die es noch nicht wissen, möchte ich
die Dimensionen des Mandates UNMISS noch einmal
ganz kurz darstellen, weil sich dann vielleicht das eine
oder andere, was wir gleich hören werden, relativiert .
Das UNMISS-Mandat existiert seit 2011 und soll zur
Stabilisierung im Südsudan, dem jüngsten Staat Afrikas,
beitragen . Es umfasst mittlerweile eine Obergrenze von
17 000 Soldatinnen und Soldaten . Es ist in diesem Jahr
erweitert worden, weil man erkannt hat, dass das Mandat
den Schutz von Zivilisten, zu dem es erteilt worden war,
nicht ausreichend gewährleistet hat . Im Rahmen dieses
Mandates mit einer Obergrenze – ich wiederhole – von
insgesamt 17 000 Soldatinnen und Soldaten diskutieren
wir heute über den Einsatz der Bundeswehr . Die Ober-
grenze für den Einsatz deutscher Soldatinnen und Solda-
ten ist auf 50 festgelegt – 50 von 17 000 Soldatinnen und
Soldaten in diesem Mandat . Den vorliegenden Zahlen
zufolge sind gegenwärtig 16 deutsche Soldatinnen und
Soldaten im Südsudan und machen dort eine gute und
wichtige Arbeit, für die ich mich an dieser Stelle aus-
drücklich bedanke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Die zentrale Aufgabe besteht im Schutz von Zivilis-
ten . Die Zahlen, die uns derzeit vorliegen, sind alarmie-
rend . UNMISS hat sechs sogenannte Schutzzonen einge-
richtet, in denen circa 200 000 Zivilisten untergebracht
sind . Der Schutz der Zivilbevölkerung in diesem Bereich
ist durch niemand anderen gewährleistet als durch die
Präsenz von UNMISS .

Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung von einem Be-
such in einem der Flüchtlingslager in der Hauptstadt Juba
berichten . Im Jahr 2015 begannen Zivilisten sich auch in

Sönke Rix

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620852


(A) (C)



(B) (D)


der Hauptstadt nicht mehr sicher zu fühlen und sind zum
ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen in
Einrichtungen der dort stationierten Kräfte geflohen. Wir
haben mit ihnen wie auch mit Vertretern der Zivilorga-
nisationen, die dort gearbeitet haben, sprechen können
und sie gefragt, warum sie das machen und wann sie die
Einrichtungen wieder verlassen . Die Antwort war völlig
klar: Wir gehen aus dieser Schutzeinrichtung nicht mehr
raus, weil sonst die Gefahr besteht, dass wir in dem be-
waffneten Konflikt getötet werden. – Meine Damen und
Herren, wer den Leuten diesen Schutz versagt, den sie
brauchen, der vergeht sich ein Stück weit an den Grund-
sätzen der Humanität, die wir als internationale Gemein-
schaft auch in diesem Bereich zu verantworten haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die uns vorliegenden Zahlen sind abenteuerlich; sie
sind unerträglich . In diesem jungen Land sind 1,8 Mil-
lionen Menschen intern vertrieben . 1,2 Millionen waren
allein in diesem Jahr auf der Flucht und bilden zurzeit –
auch das sollten wir in der Öffentlichkeit darstellen –
die größte Migrations- und Fluchtbewegung weltweit .
3 500 Menschen verlassen pro Tag das Land . Wir wer-
den heute auch über den Einsatz in Darfur, dem zweiten
Krisenherd in der Region, diskutieren . In diese seit 2003
krisenbehaftete Region fliehen jeden Tag Menschen aus
dem Südsudan . Das sollte uns zu denken geben, was die
Situation der Menschen dort angeht .

Die humanitäre Situation ist desaströs . Viele Bereiche
in dem sich ausweitenden Bürgerkrieg sind nicht mehr
durch humanitäre Hilfe zu erreichen . Das heißt, die Men-
schen sind in Gefahr, eine Hungersnot zu erleiden und
nicht mehr versorgt werden zu können . In dieser Situati-
on reden wir über UNMISS .

Wir haben in diesem Jahr auch ganz schlimme Bot-
schaften erfahren . Im Juli dieses Jahres wurde UNMISS
beschuldigt – darüber gab es auch eine Diskussion in
den Vereinten Nationen –, seiner Aufgabe nicht nachzu-
kommen . Dazu hat es eine Untersuchungskommission
gegeben . Die Vorwürfe wurden leider Gottes bestätigt .
Zum ersten Mal in der Geschichte von UNMISS hat es
daraufhin Konsequenzen gegeben . Diese Konsequenzen
belasten zum Teil die UNO . Der Leiter der Einrichtung,
die kritisiert wurde, weil sie keinen Schutz gewährleistet
hat, wurde entlassen; er war ein kenianischer Soldat . Die
Folge war zunächst einmal, dass Kenia aufgrund dieser
Entscheidung seine Bereitschaft, an UNMISS mitzuwir-
ken, aufgekündigt hat . Das alles sind Dinge, die wir zur
Kenntnis nehmen . Darüber muss auch im Kontext gere-
det werden .

Was ist aber die Konsequenz angesichts der geübten
Kritik? Ich habe darauf eigentlich nur eine Antwort .
Fast alle internationalen Beobachter sagen genauso wie
diejenigen, die im Land arbeiten, dass UNMISS allei-
ne zwar die Probleme im Südsudan nicht lösen kann,
dass aber ohne UNMISS die Probleme deutlich größer
wären . Ich möchte auf eine Veröffentlichung der Fried-
rich-Ebert-Stiftung aus diesem Monat – damit ist eini-
ger Unsinn getrieben worden; einer der betreffenden
Kollegen kann nicht mehr in Juba arbeiten und befin-

det sich mittlerweile in Kampala in Uganda – verwei-
sen. Ich zitiere nur die Überschrift – das ist die offizielle
Auffassung –: UNMISS alleine reicht nicht, doch ohne
UNMISS geht es nicht . – Wenn wir diese Auffassung
ernst nehmen, dann müssen wir darüber diskutieren, ob
das, was UNMISS im Augenblick macht, ausreicht oder
ob wir UNMISS durch eine größere Bereitschaft, zu hel-
fen, stärken sollten .

Wir sollten auch politische Lösungen in Angriff neh-
men: Gibt es einen regionalen Friedensprozess? Reicht
es, wenn die beiden alten Herren, Herr Salva Kiir und
Herr Riek Machar, miteinander etwas verabreden, an das
sich noch nicht mal ihre Gefolgsleute halten? Reicht es,
dass die EU ein Waffenembargo ausgesprochen hat, oder
müssen wir angesichts der in diesem Land ohnehin viel
zu hohen Anzahl an Waffen nicht endlich ein Waffenem-
bargo auf UNO-Ebene beschließen? – Das sind die Fra-
gen, die wir beantworten müssen . Für die SPD-Fraktion
ist völlig klar: Es braucht ein deutliches Signal, dass wir
UNMISS stärken wollen . Wir wollen, dass UNMISS ih-
ren Aufgaben gerecht wird . Deshalb bitten wir Sie, der
Fortsetzung dieses Mandats zuzustimmen .

Aufgrund der letzten Diskussion über Kinderarmut
möchte ich noch ein persönliches Wort sagen . Am Ende
dieser Sitzungswoche werden wir uns ein fröhliches und
friedliches Weihnachtsfest wünschen; das ist für uns
selbstverständlich . Ich würde mich sehr freuen, wenn es
uns gelänge, den Kindern im Südsudan und anderswo
nicht nur ein friedliches Weihnachtsfest, sondern irgend-
wann einmal auch ein Leben in Frieden und Freiheit zu
bescheren .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820905200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820905300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im

Jahr 2011 spaltete sich der ölreiche Süden vom Norden
des Sudans ab . Alle Parteien – CDU, CSU, FDP, SPD
und Grüne – begrüßten dies damals . Abgeordnete der
Union nannten das hier im Bundestag einen großen Er-
folg . Die Linke war die einzige Partei, die damals vor den
Konsequenzen gewarnt hatte . Ein unabhängiger Staat, an
deren Spitze eine korrupte Elite steht, die noch dazu in
sich verfeindet ist, würde der Bevölkerung nicht die er-
hoffte Verbesserung ihrer Lage bringen . Diese Vorhersa-
ge hat sich dramatisch bestätigt .

Seit nunmehr drei Jahren tobt zwischen dem Präsi-
denten Salva Kiir und seinem ehemaligen Stellvertreter
Riek Machar ein blutiger Bürgerkrieg mit Zehntausenden
Toten . Millionen Menschen sind auf der Flucht . Nach
Angaben des Welternährungsprogramms ist mehr als ein
Drittel der Bevölkerung des Südsudans vom Hunger be-
droht . Dabei gab es bereits bei der Staatsgründung vor

Christoph Strässer

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20853


(A) (C)



(B) (D)


fünf Jahren eine internationale Militärpräsenz einschließ-
lich der Bundeswehr . Es zeigt sich heute, dass diese
Truppenpräsenz nichts, aber auch gar nichts zu Frieden
und Entwicklung im Südsudan beigetragen hat .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Elend der Bevölkerung des Südsudan steht im
krassen Kontrast zum potenziellen Reichtum des Lan-
des . Der Südsudan hat die drittgrößten Ölreserven in
Afrika . Genau deshalb war der Westen damals für die
Abspaltung des Südens . Im Kern ging es immer darum,
den wachsenden Einfluss Chinas einzudämmen und eine
dem Westen genehme Regierung zu errichten . Wozu das
führt, kritisiert nicht nur die Linke . Es tut mir leid, Herr
Strässer, ich kann es Ihnen an dieser Stelle nicht erspa-
ren . Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung schrieb im
August dieses Jahres:

Es war der Westen, vor allem die USA, aber auch
Deutschland, ohne die es den Südsudan als eigenen
Staat gar nicht geben würde . … Über Kriegsverbre-
chen der Eliten im Süden wurde deswegen großzü-
gig hinweggesehen, und so endete die Staatsgrün-
dung in einem völligen Desaster .


(Christoph Strässer [SPD]: Das ist aber nur die eine Hälfte des Zitats!)


Ja, der Westen und die Bundesregierungen der letzten
Jahre tragen eine Mitschuld an der Entwicklung im Süd-
sudan . Darüber täuschen Sie heute hier hinweg .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Versprechen, mit deutschen und anderen in-
ternationalen Soldaten die notleidende Bevölkerung
im Südsudan zu schützen, haben Sie nicht eingelöst .
UNMISS steht auch nach der geplanten Aufstockung um
4 000 Soldaten vor einem Dilemma . Entweder bleiben
die UN-Soldaten angesichts von Gewalttaten passiv, oder
sie lassen sich auf einen Krieg mit der südsudanesischen
Armee oder den Milizen ein . Nichts von beidem trägt
zum Frieden im Südsudan bei .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820905400

Frau Kollegin Buchholz, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Strässer?


Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820905500

Ich bin gleich fertig . Er kann zum Ende dann gerne

seine Frage stellen .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820905600

Dann gibt es nur noch die Möglichkeit der Kurzinter-

vention .


(Christoph Strässer [SPD]: Ist mir auch lieber!)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820905700

Helfen würde, wenn die Kriegsfürsten Kiir und

Machar endlich am Kauf von Waffen gehindert würden,

helfen würde, wenn die Bundesregierung auf die Nach-
barländer des Südsudan wie Uganda einwirken würde,
ihre militärische Intervention zu stoppen, und helfen
würde auch, wenn Sie sich auf die Unterstützung ziviler
Notmaßnahmen konzentrieren würden . Das genau pas-
siert nicht . Die Linke stimmt der Verlängerung des Bun-
deswehreinsatzes im Südsudan nicht zu .


(Beifall bei der LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Güte!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820905800

Herr Kollege Strässer, Sie haben jetzt die Möglichkeit

zu einer Kurzintervention von Ihrem Platz aus .


Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1820905900

Schönen Dank .


(Das Mikrofon schaltet sich nicht sofort ein – Zurufe von der SPD: Knöpfchen drücken!)


– Ich mache zum ersten Mal eine Kurzintervention, zum
ersten Mal nach 14 Jahren . – Ich bin schon ein bisschen
irritiert über Ihre Äußerungen, weil Sie zum großen Teil
darauf rekurrieren, dass die Gründung des Staates Süd-
sudan ein Fehler und von außen beeinflusst war. Ich darf
einfach einmal daran erinnern, dass die Auseinanderset-
zungen im früheren Gesamtstaat Sudan im Jahre 1956
begonnen haben und dass es bis zum Jahre 2005, also bis
zum Abschluss des umfassenden Friedensabkommens,
bis auf elf Jahre Bürgerkrieg gegeben hat .

Viele Bemühungen sind nicht vom Westen ausge-
gangen, sondern von innersudanesischen Gruppen . Man
ging davon aus, dass es nach dem Abschluss des Frie-
densvertrages zu einer Lösung kommt . Den Bürgerinnen
und Bürgern des Südsudan ist die Frage gestellt worden,
was sie wollen . Wenn man sich hierhinstellt und sagt, die
Gründung des Südsudan sei eine Geburt des imperialis-
tischen Westens, dann ist das ein Schlag ins Gesicht von
99 Prozent der Südsudanesinnen und Südsudanesen, die
diese Unabhängigkeit ganz eindeutig gewollt haben .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820906000

Frau Kollegin Buchholz, Sie haben die Möglichkeit,

darauf zu erwidern .


Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820906100

Vielen Dank . – Wir Linke haben immer die Hoffnung

der Menschen im Südsudan auf eine bessere und fried-
lichere Entwicklung unterstützt . Aber das Dilemma ist
doch, dass durch die Art der Staatsgründung, die massiv
vom Westen unterstützt wurde – das sagt auch die Fried-
rich-Ebert-Stiftung –, genau diese Hoffnungen nicht er-
füllt wurden . Jetzt gibt es eine korrupte Regierung unter
Salva Kiir, die sich einen blutigen Bürgerkrieg mit dem
ehemaligen Stellvertreter Riek Machar liefert . Es hat
sich gezeigt, dass diese Staatsgründung, weil sie nämlich
nicht an den Interessen und Hoffnungen der Menschen

Christine Buchholz

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620854


(A) (C)



(B) (D)


ausgerichtet war, in ein totales Desaster geführt hat . Das
ist die Realität . Das müssen auch Sie heute konstatieren .
Deswegen hat die Bundesregierung damals eine Mitver-
antwortung an der jetzigen Entwicklung im Südsudan .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: So viel zur Souveränität des Volkes aus Sicht der Linken!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820906200

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Elisabeth

Motschmann .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1820906300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,

die Lage im Südsudan ist nach wie vor dramatisch – Kol-
lege Strässer hat es beschrieben –, man kann auch sagen:
katastrophal . Die Gewaltausbrüche haben nicht abge-
nommen, eher noch zugenommen . Aufgrund dieser Tat-
sache müssen wir überlegen: Wie gehen wir mit diesem
Staat weiter um? Gehen wir den Weg zum Frieden mit
diesem Staat, oder lassen wir es sein? Die Linke kommt
zu dem Entschluss: Wir lassen es sein . – Das halte ich
für komplett falsch, Frau Buchholz, weil Sie damit die
Menschen alleinlassen . Sie lassen die Kinder, die Mütter,
die Alten, die Kranken, sie alle allein .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das behaupten Sie! Das ist eine infame Unterstellung!)


Sie sagen: Das ist mir doch egal . Lasst 4,8 Millionen
Menschen hungern . Lasst zu, dass sie vertrieben werden .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist eine infame Unterstellung!)


Lasst zu, dass 1 Million Menschen in Nachbarstaaten
fliehen. – Immerhin suchen über 200 000 Menschen in
den Einrichtungen von UNMISS Schutz – 200 000 Men-
schen –, und Sie sagen: Das ist mir egal .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist eine Lüge! Sie haben nicht zugehört, Frau Motschmann!)


– Nein . Ich höre sehr genau zu, Frau Buchholz . Darauf
können Sie sich verlassen .

Die Vereinten Nationen warnen vor einem bevorste-
henden Völkermord . Im Global Peace Index liegt dieser
Staat tatsächlich nur knapp vor Syrien . Dennoch sagen
Sie: Wir sollten da herausgehen . – Dies können wir nicht
teilen . Wenn Sie sagen: „Wir wollen humanitäre Hilfe“,
dann frage ich: Das ist zwar richtig und wichtig, aber wie
wollen Sie humanitär helfen, wenn es nicht mindestens
Zonen gibt, die gesichert sind und in denen humanitä-
re Helfer überhaupt arbeiten können? Sie können doch
keine humanitären Helfer dahin schicken, wenn Sie sie
dramatisch gefährden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Richtig ist, dass Fehler gemacht wurden – auch darauf
ist hingewiesen worden – und dass aus den Fehlern dieser
Mission auch Konsequenzen gezogen werden müssen,
um die Situation zu verbessern . Die Vorwürfe, die man
den Vereinten Nationen gemacht hat, wiegen natürlich
schwer . Sie haben die Zivilisten eben nicht hinreichend
geschützt; an diesem Punkt bin ich bei Ihnen . Nur, was
ist die Konsequenz daraus? Dass man versucht, Fehler zu
vermeiden, Fehler zu korrigieren, dass man sie transpa-
rent, eindeutig und ehrlich offenlegt . Das ist geschehen,
und das wird auch weiterhin geschehen .

Man hat von Führungsschwäche gesprochen . Man hat
gesagt, dass Teile der Einsätze chaotisch und wirkungs-
los gewesen sind . Man hat Konsequenzen gezogen . Man
hat Abläufe und Befehlsketten korrigiert . Man hat Ver-
antwortlichkeiten geändert und die Mission besser orga-
nisiert . All das trägt dazu bei, dass die Arbeit dieser Mis-
sion wichtig ist und wichtig bleibt . Selbst wenn daran im
Augenblick nur 15 oder 16 Bundeswehrsoldaten beteiligt
sind: Sie leisten einen wichtigen Staatsdienst zur Steue-
rung der Mission . Auch ich möchte mich ausdrücklich
bei denjenigen Soldatinnen und Soldaten bedanken, die
in dieser nachweislich schwierigen Situation im Einsatz
sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht noch ein Letztes . Wir reden im Augenblick
sehr viel über Verlässlichkeit von Außen- und Sicher-
heitspolitik, weil wir natürlich die Sorge haben, dass sie
künftig bedroht sein könnte . Gerade deshalb sage ich
auch an dieser Stelle: Wir sollten verlässlich sein . Wir
sollten bei den Menschen bleiben . Wir sollten ihnen hel-
fen, und wir sollten uns nicht selber vorwerfen, dass wir
am Ende noch daran schuld sind, dass diese Staatsgrün-
dung zustande gekommen ist und dass es den Menschen
da jetzt so schlecht geht . Das ist wirklich abwegig, Frau
Buchholz, und es ist falsch . Deshalb bitte ich am Ende:
Lassen Sie uns dieses Mandat fortsetzen und den Solda-
tinnen und Soldaten jede Unterstützung geben, die nötig
ist, in der Hoffnung, dass es diesem Volk irgendwann
besser geht .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820906400

Nächste Redner ist der Kollege Dr . Frithjof Schmidt

für Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Um es vorweg zu sagen: Meine Fraktion hat
dieser notwendigen UN-Mission im Südsudan immer zu-
gestimmt, und das werden wir auch diesmal tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Christine Buchholz

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20855


(A) (C)



(B) (D)


Aber wir alle haben großen Grund zur Sorge . Es ist nicht
gelungen, die Lage dort zu stabilisieren . Im Gegenteil:
Sie spitzt sich gerade dramatisch zu . Die Berichte über
den Terror gegen die Zivilbevölkerung, über Morde und
Massenvergewaltigungen, die uns derzeit erreichen, ma-
chen fassungslos. Beide Konfliktparteien, sowohl das
Lager von Präsident Kiir als auch das Lager des früheren
Vizepräsidenten Machar, haben sich schwere Kriegsver-
brechen zuschulden kommen lassen . Insbesondere diese
beiden Anführer gehören vor ein internationales Strafge-
richt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Erst vor kurzem warnte der Sonderberater des UN-Ge-
neralsekretärs für die Verhütung von Völkermord Adama
Dieng: Die Machthaber instrumentalisieren ethnische
Unterschiede für ihre politische Hetze gegeneinander .
Der Südsudan droht in Gewalt zu versinken . Es gibt das
Potenzial für einen Genozid . – Diese Warnung ist sehr
ernst zu nehmen . Es muss vor allem verhindert werden,
dass in dieser aufgeheizten Lage noch mehr Waffen in
das Land gelangen . Das sagen uns auch alle Organisa-
tionen, die dort tätig sind . Die Bundesregierung sollte
sich sehr energisch dafür einsetzen, dass der UN-Sicher-
heitsrat endlich ein Waffenembargo für den Südsudan be-
schließt und sich um die Durchsetzung kümmert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Elisabeth Motschmann [CDU/CSU])


Das gehört ins Zentrum der internationalen Politik für die
Region .

Die katastrophale humanitäre Notsituation besteht
fort . Die Hilfsorganisationen vor Ort brauchen dafür
ausreichende und langfristig zugesagte Mittel . Die inter-
nationale Gemeinschaft darf hier nicht wieder versagen .
Es ist wie jedes Jahr: Zum Jahresende ist nur knapp die
Hälfte der Mittel, die gebraucht werden und zugesagt wa-
ren, eingegangen . Es ist schrecklich, dass wir das jedes
Jahr wieder diskutieren müssen . Es ist wieder so . Des-
halb begrüßen wir es sehr, dass Deutschland die humani-
tären Mittel für den Südsudan noch einmal kräftig erhöht
hat . Dafür haben Sie unsere volle Unterstützung . Das ist
notwendig und richtig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Genauso notwendig ist auch die weitere Unterstüt-
zung der Blauhelme von UNMISS . Wir wissen: In die-
sem riesigen Gebiet würden auch 20 000 Blauhelme die
Menschen nicht umfassend vor dem Gräuel des Bürger-
kriegs schützen können . Trotzdem – da möchte ich an
den Kollegen Strässer anknüpfen – müssen wir dringend
über eine qualitative Aufstockung und Verbesserung die-
ser UN-Mission reden . Sie reicht so, wie sie ist, einfach
nicht aus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kollegin Buchholz, auch wenn Sie meinen, in der Ver-
gangenheit seien Fehler gemacht worden, was ich, so wie
Sie es sagen, überhaupt nicht teile: Was wollen Sie denn
jetzt machen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ihre Antwort ist doch offensichtlich: nicht aufstocken,
nicht verstärkt dort reingehen, sondern rausgehen . – Was
soll denn dann passieren? Was ist das für eine Haltung?
Unabhängig davon, wie Sie zur Entstehung dieses Kon-
fliktes stehen, müssen Sie doch jetzt eine Antwort geben.
Das haben Sie in Ihrer Rede überhaupt nicht getan .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


Das finde ich wirklich nicht in Ordnung.

Wir wissen, dass diese Mission erhebliche inter-
ne Probleme hat . Erst kürzlich hat ein UN-Bericht den
UNMISS-Soldaten schweres Versagen beim Schutz von
Zivilisten vorgeworfen . Aber gut ist: Die UN hat darauf
unmittelbar reagiert und den verantwortlichen keniani-
schen Kommandeur abberufen . Trotz solcher schwerer
Fehler gilt: Für Hunderttausende bietet UNMISS die ein-
zige Zuflucht und Rettung. Eine Schwächung oder gar
ein Abzug von UNMISS wäre für all diese Menschen
eine Katastrophe – bei allen Unzulänglichkeiten der Mis-
sion . Deshalb wird meine Fraktion auch diesmal diesem
Mandat zustimmen .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820906500

Zum Abschluss dieser Aussprache spricht der Kollege

Dr . Reinhard Brandl für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1820906600

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir sprechen in diesem Haus und in diesen Tagen oft
über Flüchtlinge aus Afrika . Wir denken dabei an dieje-
nigen, die in Italien oder in Libyen ankommen . Im Süd-
sudan sind im Moment 1,8 Millionen Menschen inner-
halb des Landes auf der Flucht . 1,3 Millionen Menschen
haben in den letzten Jahren das Land verlassen, allein
400 000 seit Juli .

Meine Damen und Herren, von denen kommt kaum
einer in Libyen oder Italien an, weil ihnen schlichtweg
das Geld dafür fehlt. Die Menschen fliehen in die Nach-
barländer. Sie fliehen nach Äthiopien, nach Uganda
oder in den Sudan und verschärfen dort die humanitär
prekäre Situation weiter . Wir lesen über diese Menschen
wenig, weil es im Südsudan kaum internationale Presse
gibt . Das Land ist in vielen Bereichen gar nicht oder nur

Dr. Frithjof Schmidt

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620856


(A) (C)



(B) (D)


schwer zugänglich . Trotzdem – das zeigt die Debatte hier
im Bundestag – vergessen wir in Deutschland vonseiten
des Bundestages und der Bundesregierung dieses Land
nicht . Ja, Deutschland war daran beteiligt, dass es 2011
eine friedliche Loslösung vom Sudan gab, dass dieser
seit den 50er-Jahren anhaltende Konflikt zwischen Afri-
kanern und Arabern zu einem friedlichen Ende geführt
hat .

Meine Damen und Herren, ich war ein Jahr später, im
Jahr 2012, dort . In allen Gesprächen, die ich dort geführt
habe, spürte man den Stolz der Menschen auf ihr neu-
es Land, darauf, was sie mit dem Referendum erreicht
haben . Man spürte auch eine Aufbruchstimmung, dieses
Land mitzugestalten . Es war ein Riesenschritt vorwärts,
aber seit 2013 gibt es fast nur noch Rückschritte . Es ist
der Regierung trotz der großen internationalen Hilfe nicht
gelungen, einen Mechanismus zu finden, wie sie friedlich
und fair Macht und Ressourcen in dem Land verteilt . So
hat der Konflikt zwischen dem Präsidenten Salva Kiir
und dem Vizepräsidenten Riek Machar in einem neuen
Bürgerkrieg zwischen Dinka und Nuer geendet . Dieser
Konflikt ist Fluchtursache Nummer eins.

Meine Vorredner haben die Gewalt, insbesondere die
Gewalt gegen Frauen, die in diesem Bürgerkrieg ange-
wendet wird, zum Teil schon beschrieben . Ich will ei-
nen humanitären Aspekt hinzufügen . Allein durch die
Konflikthandlungen sind ungefähr 50 Prozent der Ern-
te ausgefallen . Die Landwirte können ihre Felder nicht
mehr bestellen. Es findet kaum noch nationaler Handel
statt, weil die Menschen Angst haben, dass Nahrungs-
mitteltransporte überfallen werden . Ein Drittel der Men-
schen des Südsudans leidet an Hunger . Das sind ungefähr
3,7 Millionen Menschen .

Meine Damen und Herren, das ist eine Aufgabe für die
internationale Gemeinschaft . Diese internationale Ge-
meinschaft hat diese Aufgabe auch angenommen . Es gibt
für den Südsudan ein UN-Mandat . Das gibt es für viele
andere Konfliktregionen – es ist über Syrien gesprochen
worden – nicht . Der Rahmen ist vorhanden . Das Problem
ist nur, dass die UN, insbesondere die UN-Missionen
im Südsudan, diesen Rahmen nicht ausfüllt und bei der
Auftragserfüllung in den letzten Monaten katastrophal
versagt hat . Der Schutz der Zivilbevölkerung, der an
erster Stelle steht, wurde nicht erfüllt . Zum Teil haben
Angehörige der UN-Mission zugesehen, wie vor ihren
Augen Frauen vergewaltigt worden sind . Damit haben
sie natürlich Vertrauen verspielt: vor Ort und auch in der
Weltbevölkerung .

Es gibt zwei Dinge, die zu tun sind .

Erstens: UNMISS effizienter aufstellen, sodass sie ih-
ren Auftrag erfüllen kann, Schutz der Zivilbevölkerung,
Stopp der Gewalt und Zugang zu humanitärer Hilfe er-
möglichen .

Zweitens . Es muss die Regierung unter Salva Kiir da-
von überzeugt werden, dass sie nur mit einem Ende der
Gewalt und einem Unterbrechen der Gewaltspirale dafür
sorgen kann, dass ihr Land wieder auf den Pfad der Sta-
bilisierung kommt .

Deutschland beteiligt sich daran im Rahmen von
UNMISS, mit den Soldatinnen und Soldaten, den Poli-
zisten und zivilen Helfern . Es ist ein wichtiger Auftrag;
denn diese Soldatinnen und Soldaten, diese Polizisten,
diese Menschen sind auch Auge und Ohr vor Ort: Sie
berichten uns aus einem Land, in dem es kaum interna-
tionale Presse gibt, aus dem es kaum ein Flüchtling zu
uns schafft, und sorgen auch dafür, dass wir ein eigenes
Lagebild bekommen, anhand dessen wir unsere Hilfe ab-
stimmen können .

Meine Damen und Herren, wir haben das Land von
Anfang an mit entsprechenden Mandaten unterstützt . Wir
sollten ihm auch in einer schwierigen Phase die Treue
halten . Ich bitte Sie herzlich um Ihre Zustimmung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820906700

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten
Friedensmission in Südsudan, UNMISS . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 18/10547, den Antrag der Bundesregierung auf
Drucksache 18/10188 anzunehmen .

Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung
namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . –
Auf der Seite der Regierungsbank fehlt noch die Oppo-
sition, was irgendwie logisch klingt, aber trotzdem jetzt
korrigiert werden muss . – Auf der Bundesratsseite fehlt
auch noch jemand . – Damit sind jetzt alle Plätze an den
Abstimmungsurnen besetzt . Ich eröffne die Abstimmung
über die Beschlussempfehlung .

Gibt es noch Mitglieder des Hauses, die ihre Stimme
abgeben möchten, dies aber noch nicht getan haben? –
Ich darf darauf verweisen, dass es hier vorne Abstim-
mungsurnen gibt, wo man noch nicht anstehen muss .

Wer jetzt seine Stimme noch nicht abgegeben hat, der
möge das anzeigen . – Ich sehe niemanden, der das an-
zeigt, und schließe damit die Abstimmung . Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben .1)

Wir werden nach dem nächsten Tagesordnungspunkt
in circa 25 Minuten erneut eine namentliche Abstim-
mung durchführen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

1) Ergebnis Seite 20858 D

Dr. Reinhard Brandl

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20857


(A) (C)



(B) (D)



(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hy-
brid-Operation in Darfur (UNAMID) auf
Grundlage der Resolution 1769 (2007) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 31. Juli 2007 und folgender Resoluti-
onen, zuletzt 2296 (2016) vom 29. Juni 2016

Drucksachen 18/10189, 18/10549


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/10550

Über diese Beschlussempfehlung – das habe ich schon
angekündigt – werden wir später namentlich abstimmen .

Ich bitte, zum Zweck der Beratungen die Plätze einzu-
nehmen und die Gespräche auf die hinteren Bereiche zu
konzentrieren .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
erhebt sich keiner . Dann ist das somit beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Jürgen Coße für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Jürgen Coße (SPD):
Rede ID: ID1820906800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

ist meine erste Rede als Abgeordneter des Deutschen
Bundestages .


(Beifall)


Es ist für mich ein Privileg und eine Herausforderung zu-
gleich, eine Herausforderung vor allem deswegen, weil
ich vor vier Monaten noch nicht über eine deutsche Be-
teiligung an Friedensmissionen zu entscheiden hatte .

Hier geht es um eine gemeinsame Friedensmission
von Vereinten Nationen und Afrikanischer Union, kurz
UNAMID . Und egal was wir gleich hören werden: Nie-
mand meiner Kolleginnen und Kollegen macht sich die
Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten oder
Polizisten im Ausland leicht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Aber was ist unsere Herausforderung hier im Vergleich
zum Überlebenskampf, den viele Menschen weltweit
täglich führen? So auch die Menschen im Westen des
Sudan. Die 300 000 Todesopfer des Konflikts in Darfur
haben diesen Kampf bereits verloren . Die 2,6 Millionen
Binnenvertriebenen führen diesen Kampf immer noch .

Wie sich dieser Überlebenskampf anfühlt, beschreibt
ein Binnenvertriebener in Darfur so:

Niemand auf der Welt kümmert es, ob wir überle-
ben, außer Gott und manchmal UNAMID .

Das Zitat beschreibt zum einen, wie weit der Konflikt
dem Radar der Weltöffentlichkeit entrückt ist, und zum
anderen zeigt es, dass die Blauhelme Zivilisten schützen,
aber leider nicht immer und überall; denn diese Friedens-
mission hat mit besonders schwierigen Bedingungen zu
kämpfen . Sie ist eine gemeinsame Aufgabe für die Afri-
kanische Union und die Vereinten Nationen . Das heißt,
sie muss drei stark gegensätzliche Interessenlagen unter
einem Dach vereinen: die des UNO-Sicherheitsrates, die
der Afrikanischen Union und die der sudanesischen Re-
gierung .

Die sudanesische Regierung hat die Friedensmission
nur widerwillig auf chinesischen Druck hin akzeptiert
und tut weiterhin alles, um sie aus dem Land zu drängen .
Dafür ist die Verweigerung von Visa nur das harmloseste
Mittel; denn die regierungstreuen Milizen greifen nicht
nur Zivilisten, sondern auch Blauhelme an . Unter diesen
Bedingungen müssen die knapp 17 000 Soldaten und Po-
lizisten ein Gebiet von der Größe Frankreichs beschüt-
zen . Zum Vergleich: Im winzigen Kosovo waren es bis
zu 40 000 gut ausgebildete Soldaten . Dazu kommt, dass
das Gelände in Darfur bergig ist und kaum ausgebaute
Straßen vorhanden sind .

Unter diesen äußerst schwierigen Voraussetzungen hat
die Friedensmission UNAMID Beachtliches geleistet .
Zentral gelegene Lager für Binnenvertriebene können
die Blauhelme sehr wohl schützen . Gerade die 2 400 ru-
andischen Soldaten in der Mission haben oft ihr eigenes
Leben riskiert, um Zivilisten gegen Angriffe zu verteidi-
gen . Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, UNAMID ret-
tet Menschenleben in Darfur! Wir haben großen Respekt
vor der schwierigen Aufgabe dieser Männer und Frauen
in Uniform . Die neun deutschen Soldaten, eine Frau und
acht Männer, und die vier Landespolizisten leisten unter
schwierigen Bedingungen sehr gute Arbeit . Dafür herz-
lichen Dank!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns aber den Blick etwas weiter fassen: Es
brodelt überall am Großen Horn von Afrika: In Somalia
und im Südsudan – wir haben es eben gehört – herrschen
bewaffnete Konflikte. Es gibt den Konflikt zwischen
Äthiopien und Eritrea . Und der Krieg im Jemen ist nur
30 Kilometer von Dschibuti und Eritrea entfernt .

Die Golfmonarchien haben die strategische Bedeu-
tung des Horns von Afrika erkannt . Ja, sie nutzen Eritrea
als Militärbasis in ihrem Kampf gegen die Huthi-Rebel-
len im Jemen .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Und dafür kriegen sie Waffen aus Deutschland!)


Wir sollten Eritrea aber nicht Saudi-Arabien und Co .
überlassen . Was dabei herauskommen kann, kann man an
Somalia beispielhaft sehen. Der große Einfluss der sau-
disch geprägten wahhabitischen Prediger in Somalia hat
erst den Boden für al-Schabab bereitet . Auch China ist in
der Region wirtschaftlich stark aktiv, und Menschenrech-
te spielen dabei sicherlich keine Rolle .

Vizepräsident Johannes Singhammer

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620858


(A) (C)



(B) (D)


Die angespannte Situation am Horn von Afrika könnte
sich weiter verschärfen; denn mittlerweile werden durch
den Klimawandel noch häufigere und längere Dürrepe-
rioden erwartet . Welchen Sprengstoff das birgt, zeigt
die gegenwärtige Situation in Äthiopien . Die Unruhen
in Äthiopien mögen hauptsächlich ethnisch motiviert
sein – und sie sind absolut zu verurteilen –, aber extre-
me Wasserknappheit und Ernteausfälle verstärken diesen
Konflikt. Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss
uns klar sein: Die Industrieländer sind vorrangig für den
Klimawandel verantwortlich . Deswegen tragen wir auch
eine große Verantwortung, die Folgen dieses Wandels zu
lindern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch beim Kampf gegen den Klimawandel selbst
dürfen wir nicht zurückstecken, gerade auch deswegen
nicht, weil Donald Trump nicht nur die internationalen
Beziehungen, sondern auch das Klima unnötig anheizen
wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da Wassermangel Konflikte verschärft, ist der Kampf ge-
gen den Klimawandel gelebte Krisenprävention . Ja, auch
die bewaffneten Auseinandersetzungen in Darfur began-
nen als Konflikt zwischen Viehzüchtern und Bauern um
knapper werdende Wasserressourcen .

Die Bundesregierung trägt der großen Bedeutung von
Krisenprävention generell Rechnung . So hat Frank-Walter
Steinmeier im Auswärtigen Amt die Abteilung S für Kri-
senprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge ein-
gerichtet . Sein unermüdliches Engagement an vielen Kri-
senherden der Welt verdient unsere volle Unterstützung .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dieses Engagement soll durch die Leitlinien der Bundes-
regierung für Krisenmanagement, Konfliktbewältigung

und Friedensförderung weiter verstärkt werden . Ja, am
besten ist es, wenn Konflikte gar nicht erst entstehen.
Aktive Krisenprävention ist angesagt . Sie ist jede Mühe
unsererseits wert .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wenn es aber, wie in Darfur, nicht gelingt, den Kon-
flikt im Vorfeld zu entschärfen, dürfen wir doch nicht nur
zuschauen; denn wir sind nicht nur für das verantwort-
lich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun .
Nichts tun würde bedeuten, dass wir der sudanesischen
Regierung und den anderen Konfliktparteien freie Hand
lassen beim Plündern, Vertreiben und Töten von Zivilis-
ten . Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, brau-
chen wir dort diese Friedensmission . Deswegen müssen
wir uns daran beteiligen .

Meine Fraktion stimmt dem Antrag der Bundesregie-
rung zu, weil wir nicht zuschauen, sondern mithelfen
wollen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820906900

Herr Kollege Coße, das war Ihre erste Rede hier im

Deutschen Bundestag . Im Namen der Kolleginnen und
Kollegen gratuliere ich Ihnen dazu .


(Beifall)


Zwischenzeitlich liegt das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu
dem Antrag „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Natio-
nen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS)
vor: abgegebene Stimmen 590 . Mit Ja haben gestimmt
530, mit Nein haben gestimmt 59, Enthaltung 1 . Die Be-
schlussempfehlung ist damit angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 590;

davon

ja: 530

nein: 59

enthalten: 1

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Norbert Barthle

Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig

Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach

Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel

Jürgen Coße

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20859


(A) (C)



(B) (D)


Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung

Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz

Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt (Ühlingen)


Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620860


(A) (C)



(B) (D)


Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Saskia Esken

Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel

Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer

Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20861


(A) (C)



(B) (D)


Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer

Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms

Nein

SPD

Christian Petry

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald

Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz

Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


Enthalten

SPD

Dr . Ute Finckh-Krämer

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .

Wir fahren jetzt fort in der Aussprache zum Tagesord-
nungspunkt 6 . Ich erteile das Wort der Kollegin Christine
Buchholz für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820907000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 2003

herrscht Krieg in Darfur im Westen Sudans . Präsident
Umar al-Baschir versucht mit allen Mitteln, Kontrolle
über die Provinz zu erlangen und Widerstand zu unter-
drücken . Laut UN sind dort 2,5 Millionen Menschen auf
der Flucht .

Im letzten Jahr sind noch einmal 200 000 Menschen
dazugekommen, die vor den Angriffen der sudanesischen
Armee aus den in Darfur gelegenen Marra-Bergen flohen.
Die Armee hat dabei laut Amnesty International Giftgas
eingesetzt . Über 200 Menschen starben . Amnesty beruft
sich auf Telefonate mit 56 Überlebenden und dokumen-
tiert 32 Fälle, in denen die sudanesische Armee drei ver-
schiedene chemische Waffen eingesetzt haben soll .

Die Bundesregierung sagt, diese Vorwürfe von
Amnesty seien nicht plausibel. Ich finde es schon auffäl-
lig, dass die Bundesregierung dazu, auch auf Nachfragen
im Verteidigungsausschuss, nichts sagen kann oder will .
Mein Eindruck ist: Hinter diesem Schweigen steckt eine
Verschiebung der Prioritäten Ihrer Sudan-Politik .

Unter deutscher Führung hat die EU im März dieses
Jahres ein 40 Millionen Euro teures Programm beschlos-
sen, in dessen Rahmen unter anderem sudanesische
Grenztruppen ausgebildet werden sollen, um Flüchtlinge
auf dem Weg nach Europa aufzuhalten . Wir erinnern uns:
Als vor Jahren der Einsatz der Bundeswehr in Darfur ge-
rechtfertigt wurde, da brandmarkte die Bundesregierung
den sudanesischen Präsidenten Baschir noch als einen
Kriegsverbrecher – zu Recht . Doch wenn es um Flücht-
lingsabwehr geht, strebt die Bundesregierung plötzlich
eine Zusammenarbeit mit ihm an . Das, meine Damen
und Herren, ist ein Skandal .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schon wieder!)


Auch heute, so scheint es mir, geht es tatsächlich wie-
der um etwas anderes als um das, was Sie proklamieren .

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620862


(A) (C)



(B) (D)


Der Einsatz in Darfur ist nur ein weiterer Baustein auf
dem Weg, die Bundeswehr zu einer Armee im internatio-
nalen Dauereinsatz zu machen . Es geht darum, deutschen
Wirtschaftsinteressen auf der internationalen Bühne Gel-
tung zu verschaffen . Und das lehnen wir ab .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: „Skandal“!)


Die sudanesische Bevölkerung braucht keine deut-
schen Soldaten, sie braucht auch kein UNAMID, um für
ihre Rechte zu kämpfen . Im November hat ein großes
Bündnis von Oppositionellen einen beeindruckenden
Dreitagestreik organisiert, um gegen massive Preisstei-
gerungen bei Benzin und Grundnahrungsmitteln zu pro-
testieren . Weite Teile der Hauptstadt Khartoum wurden
lahmgelegt . Die Opposition schlägt gleichzeitig die Brü-
cke zu den Menschen, die vom Regime in Darfur unter-
drückt werden . Der Aktivist und Filmemacher Ahmed
Mahmoud sagte dazu:

Die Regierung findet genug Geld, um den Krieg
gegen das Volk der Nuba zu finanzieren, gegen das
Volk in Darfur . Sie bombardieren sie fast jeden Tag .
Wo kommt das Geld her? Wo kommen die absurd
hohen Gehälter der Abgeordneten im Parlament, wo
kommt das Geld für die Armee und für den Geheim-
dienst her? Diese Ressourcen werden im Grunde
Tag für Tag dem Volk gestohlen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: „Skandal“!)


Mahmoud kündigte an: Der Protest wird weitergehen .

Das ist die Hoffnung für die Menschen im Sudan –
nicht die UN-Militärmission, die seit neun Jahren andau-
ert, keinen Frieden gebracht hat und pro Jahr fast 1 Mil-
liarde Euro verschlingt, und auch nicht die Stabsoffiziere
der Bundeswehr, die die Bundesregierung nach Darfur
entsendet .

Vielen Dank, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820907100

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Volker

Mosblech .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Mosblech (CDU):
Rede ID: ID1820907200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Konflikt in der
Region Darfur bleibt auch nach jahrelangen Friedensbe-
mühungen eine humanitäre Tragödie und ein Brennpunkt
auf dem afrikanischen Kontinent . Entführungen, Morde,
Vergewaltigungen und Hungersnöte sind Alltag für viele
Menschen in der westlichen Region des Sudan .

Der innerstaatliche und innerethnische Konflikt hat
unermessliches Leid über die Völker gebracht und wird
auch zukünftig die prekäre Lage von Millionen von
Menschen verschärfen . Die Rede ist von 2,6 Millionen
Binnenvertriebenen, von über 5,8 Millionen Menschen,
die allein in Darfur auf humanitäre Hilfe angewiesen

sind, und von 2 Millionen Kindern unter fünf Jahren, die
akut unterernährt sind . Ein Ende ist in diesem tragischen
Konflikt leider nicht in Sicht. Einzelne Konfliktparteien
stellen sich quer, Feuerpausen werden nicht mitgetragen,
und Friedensgespräche werden boykottiert .

Man könnte angesichts dieser Tragik die Hoffnung in
das Land und die dortigen Entwicklungen verlieren . Für
uns ist das leicht gesagt; doch die Menschen vor Ort ha-
ben keine andere Wahl als Hoffnung: Hoffnung auf eine
bessere Zukunft, Hoffnung auf ein Leben in Frieden,
Hoffnung, dass das Leid ein Ende hat . Wie können wir
zusammen mit unseren internationalen Partnern diesem
Wunsch Rechnung tragen?

Für außenstehende Betrachter sind die Entwicklungen
im Sudan schwer verständlich, da sich hier ein hoch-
komplexes Spannungsfeld zwischen Ethnien, Milizen
und politischen Akteuren auftut . Speziell in Darfur wird
Politik zu oft mit der Waffe in der Hand gemacht, und
zu oft ist letztendlich die unschuldige Bevölkerung das
leidtragende Opfer in dem Ganzen .

Die Gewalt richtet sich aber auch gegen die inter-
nationalen Hilfskräfte, wie die Entführungen von Ent-
wicklungshelfern und die Angriffe gegen Personal der
Vereinten Nationen immer wieder zeigen . Ein internati-
onal begleiteter Friedensprozess kann angesichts dieser
explosiven Gemengelange nur erfolgreich sein, wenn er
robust abgesichert und militärisch unterstützt wird . Hier
nehmen die Soldatinnen und Soldaten von UNAMID
eine unverzichtbare Rolle zur Verbesserung der Sicher-
heitslage und somit zur Begleitung des Friedensprozes-
ses in Darfur wahr .

UNAMID ist nicht Teil des Konfliktes, sondern Teil
seiner Lösung . Die hybride Truppe der UN und der AU
hat einen ordnenden Charakter und bringt eine gewisse
Stabilität in das vorherrschende Chaos . Sie ist nötig, um
den Menschen Hoffnung zu geben . Sie ist nötig, um den
Schutz der Bevölkerung und den Schutz der internati-
onalen Helfer zu gewährleisten, damit mittel- bis lang-
fristig eine Basis für fruchtbare Friedensverhandlungen
geschaffen werden kann .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jedem in diesem Haus ist bewusst, dass militärische
Mittel allein diesen Konflikt nicht lösen können. Diesem
Faktor begegnen wir daher mit einem stärker vernetzten
Ansatz aus militärischen, polizeilichen und zivilen Kom-
ponenten . Deutschland beteiligt sich neben dem Beitrag
für UNAMID aktiv in Mediation und Rechtsstaatsbera-
tung sowie finanziell im Jahr 2016 mit insgesamt 27 Mil-
lionen Euro für humanitäre Hilfe und Entwicklungszu-
sammenarbeit .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit unserem
anhaltenden Engagement im Sudan senden wir ein deut-
liches Zeichen der Hilfsbereitschaft und Verlässlichkeit
deutscher Außenpolitik . Wer Frieden für Darfur möchte,
muss auch bereit sein, die Konsequenzen, die mit dieser
Forderung einhergehen, zu tragen . Ideologische Graben-
kämpfe auf dem Rücken unserer Soldatinnen und Sol-
daten helfen niemandem, insbesondere nicht denjenigen,

Christine Buchholz

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20863


(A) (C)



(B) (D)


deren Leben vom Schutz durch die UNAMID-Soldaten
abhängt .

Die CDU/CSU-Fraktion trägt diese Verantwor-
tung und spricht sich für eine Verlängerung des
UNAMID-Mandates aus . Es ist wichtig, dass wir hier
im Deutschen Bundestag ein Signal der Geschlossenheit
senden und mit einer breiten Mehrheit die Bundeswehr
beauftragten, auch weiterhin Bestandteil von UNAMID
zu bleiben . Mit der Verabschiedung des heutigen Man-
dats können 50 Soldatinnen und Soldaten für Führungs-
und Verbindungsaufgaben sowie Beratungs- und Unter-
stützungsaufgaben eingesetzt werden .

Als einziger europäischer Staat werden wir uns auch
weiterhin verlässlich an der hybriden Mission der AU
und der UN beteiligen und den Friedensprozess von Dar-
fur begleiten . Deutschland unterstützt die Mission mit
derzeit acht Soldatinnen und Soldaten sowie drei Polizis-
ten . Ihnen und all denjenigen, die im Auslandseinsatz für
Deutschland waren und sind, möchte ich heute meinen
allerherzlichsten Dank übermitteln .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Sie können sich sicher sein, dass der überwiegende
Teil dieses Hohen Hauses Ihren Einsatz für unser Land
schätzt und stolz auf Sie ist .

Allen Männern und Frauen der Bundeswehr im In-
und Ausland wünsche ich ein frohes, besinnliches Weih-
nachtsfest und ein gutes neues Jahr wie auch Ihnen, mei-
nen lieben Kolleginnen und Kollegen, den Damen und
Herren auf den Emporen und natürlich auch allen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern dieses Hauses .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820907300

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr . Frithjof Schmidt,

Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit über 13 Jahren steht der Krieg in Darfur
auch für Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung und eth-
nische Säuberungen . Einer der Hauptverantwortlichen
für den Krieg und für diese Verbrechen ist der sudanesi-
sche Präsident al-Baschir . Es ist ein politischer Skandal,
dass er sich bis heute dem internationalen Haftbefehl ge-
gen ihn entziehen konnte . Die Wirkung dieser Straffrei-
heit ist verheerend .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Jetzt hat der schmutzige Krieg in Darfur einen weite-
ren Tiefpunkt erreicht . Die Berichte von Amnesty Inter-
national über einen Giftgaseinsatz in Darfur sind scho-

ckierend . Die Bundesregierung bezieht dazu nur sehr
einsilbig Stellung . Das hat in meiner Fraktion große Ver-
wunderung ausgelöst . Wenn Sie Zweifel an den Amnes-
ty-Berichten haben, dann hätten Sie sich doch zumindest
für eine Aufklärung der Ereignisse einsetzen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Notwendig wäre eine umfassende Untersuchung durch
die Organisation für das Verbot chemischer Waffen . Die
Bundesregierung tut aber bisher gar nichts, um eine sol-
che Untersuchung anzustoßen . Das ist nicht in Ordnung,
liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Friedensprozess für Darfur hat bisher kaum Fort-
schritte gemacht . Aber jetzt gibt es kleine Ansätze für
eine positive Entwicklung: Im Oktober dieses Jahres
haben die sudanesische Regierung und zwei Rebellen-
gruppen einen Waffenstillstand geschlossen . Es gibt eine
unterzeichnete Roadmap für neue Friedensverhandlun-
gen . – Das ist ein Hoffnungsschimmer für die Region .
Die Bundesregierung sollte diesen Prozess intensiv be-
gleiten und energisch unterstützen . Es muss auch inter-
national diplomatischer Druck für den Fortgang des Frie-
densprozesses aufgebaut werden .

Doch anstatt das jetzt wirkungsvoll zu tun, plant die
Bundesregierung seit kurzem eine sogenannte Koopera-
tion mit der sudanesischen Regierung in Flüchtlingsfra-
gen . Khartoum soll Geld und Sicherheitstechnik erhalten,
um Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa aufzuhalten .
Was ist das für ein politisches Signal in dieser Situation?
Diese Kooperation wäre doch fast wie eine Einladung an
al-Baschir, mit seiner menschenverachtenden Politik ein-
fach weiterzumachen . Er bleibt ja nicht nur ungestraft;
er wird durch diese Politik als Partner wieder hoffähig
gemacht . Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen . Stoppen Sie diese unseligen Pläne!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Trotz vieler Rückschläge hat UNAMID in den ver-
gangenen Jahren eine sehr wichtige Arbeit geleistet . Die
Mission hat die Versorgung vieler Menschen mit dem
Nötigsten sichergestellt, Hunderttausenden Schutz ge-
boten und wenigstens teilweise Stabilität in der Region
hergestellt . Eine Schwächung oder gar Beendigung der
Mission hätte katastrophale Folgen für die Menschen vor
Ort . Das wäre übrigens auch ein politischer Sieg der ver-
brecherischen Politik der Machthaber in Khartoum . Das
darf auf gar keinen Fall passieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Für uns Grüne bleibt UNAMID ein zentraler Faktor
der Nothilfe für die Menschen in Darfur und auch zur
Stabilisierung der gesamten Region . Deshalb werden wir
diesem Mandat auch diesmal zustimmen .

Volker Mosblech

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620864


(A) (C)



(B) (D)


Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820907400

Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege

Dr . Bernd Fabritius für die CDU/CSU das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Dr. h.c. Bernd Fabritius (CSU):
Rede ID: ID1820907500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! Der Konflikt in der Region Darfur geht in sein
14 . Jahr . Zwischenzeitlichen Beruhigungsphasen folgte
immer wieder ein Aufflammen der Kämpfe. Zuletzt kam
es im Frühjahr 2016 erneut zu intensiven Kampfhand-
lungen mit allen negativen Begleiterscheinungen . Ohne
die UNAMID-Mission bliebe allerdings die Bevölkerung
ohne Schutz vor Gewalt, Verfolgung und Verbrechen .
Dass wir heute den deutschen Beitrag zu dieser Mission
verlängern, halte ich deshalb für unsere Pflicht.

Die anhaltend schlechte Lage der Menschenrech-
te und die katastrophale humanitäre Lage, die heute zu
Recht bereits betont wurde, unter der Millionen Men-
schen, insbesondere Kinder und Frauen, leiden, machen
die UNAMID-Mission umso wichtiger . Dass man da-
bei, Herr Kollege Dr . Schmidt, gezwungenermaßen und
punktuell auch mit einer Regierung interagieren muss,
die diese Lage mitverantwortet und die zu Recht scharf
kritisiert wird, ist doch kein Grund, die Mission an sich
infrage zu stellen .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat er ja nicht gesagt!)


– Es ist richtig, er hat das nicht gesagt . Ich verlagere nur
die Betonung . Wir besprechen das nachher, Frau Kolle-
gin .

UNAMID steht jedenfalls – und dem wird nicht wi-
dersprochen werden können – aufseiten der Zivilbevöl-
kerung . Sie richtet Schutzzonen ein und sichert diese .
UNAMID erleichtert die Leistung humanitärer Hilfe,
die ebenfalls der Zivilbevölkerung zugutekommt . Wir
mögen in diesem Haus unterschiedliche Auffassungen
zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Allgemeinen
haben . Der humanitäre und protektive Charakter der
UNAMID-Mission, über die wir heute sprechen, sollte
allerdings, liebe Frau Kollegin Buchholz, diese Differen-
zen ausräumen . Die blauen Helme der UNAMID-Sol-
daten bedeuten für die sudanesische Zivilbevölkerung
Schutz und Unterstützung . Deswegen sollte der Deutsche
Bundestag sich heute geschlossen hinter diesen Einsatz
stellen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aktuell zeichnen sich wieder hoffnungsvolle Signale
für einen Frieden im Sudan und in der Region Darfur ab .
Im März hat die Afrikanische Union mit der sudanesi-
schen Regierung eine Roadmap verhandelt, welche zu

einem Ende der Kampfhandlungen, zur Schaffung von
Zugängen für humanitäre Hilfe und zu einer erneuten
Annäherung der Konfliktparteien führen soll. Im Au-
gust wurde die Roadmap auch von Teilen der Opposi-
tionsgruppen unterzeichnet . Es wäre natürlich naiv, zu
glauben, dass damit nun ein Frieden in greifbare Nähe
gerückt wäre . Ein wenig Optimismus darf und muss aber
gerade auch im Interesse der sudanesischen Bevölkerung
erlaubt sein .

Die humanitäre Hilfe und der Schutz, der durch
UNAMID ermöglicht wird, verschaffen Erleichterung
und geben Hoffnung . Wenn wir nicht optimistisch auf die
kleinen Fortschritte blicken würden, die auch durch die
UNAMID-Mission zustande kommen, dann würden wir
den persönlichen Einsatz unserer Soldatinnen und Solda-
ten, der Polizisten und zivilen Experten vor Ort kleinre-
den . Und das wäre nicht angemessen .

Erst Anfang November wurden erneut Waffenstill-
stände durch die Regierung sowie zwei Oppositionspar-
teien verkündet . Es sind die Phasen der relativen Ruhe,
in denen die UNAMID-Mission ihrem Auftrag zu – ich
zitiere – „Vermittlungsbemühungen in Konflikten zwi-
schen Bevölkerungsgruppen, einschließlich Maßnah-
men zur Bekämpfung ihrer tieferen Ursachen“, verstärkt
nachkommen kann . Solche Maßnahmen, meine Damen
und Herren, sind es, die zu einem dauerhaften Frieden
führen können . Wir begrüßen deshalb die Bemühungen
eines nationalen Dialoges der sudanesischen Regie-
rung, auch wenn dieser durch das Fernbleiben relevanter
Volksgruppen und Oppositionskräfte bisher nur geringe
Wirkung entfaltet .

Meine Damen und Herren, es ist ein grauenhafter
Konflikt, über den wir heute sprechen: 300 000 Tote und
Millionen Binnenvertriebene . Ich stimme zu, dieser Kon-
flikt ist nur politisch zu lösen. Für dieses Ziel wird auch
die UNAMID-Mission als Teil eines umfassenden Bei-
trags der Bundesrepublik Deutschland zur Beendigung
des Konflikts gebraucht. Der Beitrag umfasst neben der
Beteiligung an UNAMID die Hilfe der Max-Planck-Stif-
tung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit
durch Verfassungsberatung und Demokratieförderung
sowie die Unterstützung des Auswärtigen Amtes bei der
regionalen Rüstungskontrolle zur besseren Überwachung
der Waffenbestände .

Wir tun – zusammenfassend – viel Gutes, und dafür
bitte ich um Ihre Unterstützung . Den Soldatinnen und
Soldaten, die weltweit die heute geschilderten Ziele
verfolgen, danke ich ganz herzlich . Ich wünsche ihnen
und ihren Familien frohe Weihnachten, genau wie Ihnen,
meine Damen und Herren Kollegen im Bundestag .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1820907600

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu

Dr. Frithjof Schmidt

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20865


(A) (C)



(B) (D)


dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur, UNAMID . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10549, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 18/10189 anzunehmen . Wir stimmen
über die Beschlussempfehlung namentlich ab . Ich bitte
jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen, und nutze die Zeit für den
Hinweis, dass gültige Abstimmungskarten nicht nur bei
der Abstimmungsurne an der Regierungsbank, sondern
auch bei allen anderen hier im Saal befindlichen Abstim-
mungsurnen abgegeben werden können . Sind jetzt alle
Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt? – Das ist der
Fall . Dann eröffne ich die Abstimmung .

Gibt es noch jemanden hier im Saal, der seine Stimm-
karte noch nicht abgegeben hat? – Das ist erkennbar nicht
der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben .1)

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 f
auf:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr . Gesine Lötzsch, Caren Lay, Herbert Behrens,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Geset-
zes zur Änderung der Abgabenordnung

Drucksache 18/9125
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Haushaltsausschuss (f)

Federführung strittig

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung der Bundes-Tierärzteordnung

Drucksache 18/10606
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung der Aufbewahrung von Notari-
atsunterlagen und zur Einrichtung des Elek-
tronischen Urkundenarchivs bei der Bundes-
notarkammer

Drucksache 18/10607
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Brennstofflieferungen für belgische Atom-
kraftwerke stoppen

1) Ergebnis Seite 20869 A

Drucksache 18/9676
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Kommunen stärken – Kommunalisierung und
Rekommunalisierung unterstützen

Drucksache 18/10282
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Innenausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Haushaltsausschuss
Federführung strittig

f) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Regionale Wirtschaftspolitik – Ein integrier-
tes Fördersystem für strukturschwache Regi-
onen in ganz Deutschland schaffen

Drucksache 18/10636
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Dazu übergebe ich an meine Kollegin Edelgard
Bulmahn .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820907700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den genannten

Tagesordnungspunkten handelt es sich um Überweisun-
gen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir
kommen zunächst zu zwei Überweisungen, bei denen die
Federführung strittig ist .

Tagesordnungspunkt 33 a . Interfraktionell wird Über-
weisung des Gesetzentwurfs der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/9125 zur Änderung der Abgabenordnung
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen . Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD
wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die
Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Haus-
haltsausschuss .

Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung
beim Haushaltsausschuss . Wer stimmt für diesen Über-
weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist
dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Ko-
alition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Linken abgelehnt worden .

Vizepräsident Johannes Singhammer

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620866


(A) (C)



(B) (D)


Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag von
CDU/CSU und SPD abstimmen, also Federführung
beim Finanzausschuss . Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich
jemand? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
angenommen worden .

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 33 e . Auch
hier ist die Federführung strittig . Der Antrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/10282 mit dem Titel
„Kommunen stärken – Kommunalisierung und Rekom-
munalisierung unterstützen“ soll an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden . Die
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Fe-
derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie,
die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim In-
nenausschuss .

Ich lasse auch hier zunächst über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen . Wer stimmt
für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dage-
gen? – Damit ist auch dieser Überweisungsvorschlag mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position abgelehnt worden .

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abstimmen, Fe-
derführung im Ausschuss für Wirtschaft und Energie .
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht
der Fall . Dann ist dieser Überweisungsvorschlag mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on angenommen worden .

Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen .
Das sind die Tagesordnungspunkte 33 b bis 33 d sowie
der Tagesordnungspunkt 33 f . Interfraktionell wird vor-
geschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie da-
mit einverstanden? – Gibt es jemanden, der dagegen-
stimmt? – Dann ist das so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 c bis 34 m so-
wie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 i auf . Es handelt sich um
die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 34 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann

(Zwickau), Katja Kipping, weiterer Abgeordne-

ter und der Fraktion DIE LINKE

Abschaffung der Zwangsverrentung von
SGB-II-Leistungsberechtigten

Drucksachen 18/589, 18/5434

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/5434, den Antrag der Frakti-
on Die Linke auf Drucksache 18/589 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist diese Be-

schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Opposition angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 34 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

zu den Entwürfen der Kommission für zwei
Rechtsakte zur Festlegung wissenschaftlicher
Kriterien für die Bestimmung endokrinschä-
digender Eigenschaften im Zusammenhang
mit Pflanzenschutzmitteln und Biozidproduk-

(C hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Schutz vor Hormongiften verbessern – Die Kriterien für endokrine Disruptoren müssen dem Vorsorgeprinzip entsprechen Drucksachen 18/10382, 18/10659 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10659, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10382 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Tagesordnungspunkt 34 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit der Verordnung der Bundesregierung Sechste Verordnung zur Änderung der Elektround Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/10346, 18/10444 Nr. 2.2, 18/10662 Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/10346 zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden . Tagesordnungspunkt 34 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz Übersicht 9 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/10652 Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20867 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden . Tagesordnungspunkt 34 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu den Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvE 3/16 und 2 BvR 1823/16 Drucksache 18/10653 Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, eine Stellungnahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten, einen Prozessbevollmächtigten zu bestellen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden . Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 34 h bis 34 m . Tagesordnungspunkt 34 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 388 zu Petitionen Drucksache 18/10486 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 388 einstimmig angenommen worden . Tagesordnungspunkt 34 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 389 zu Petitionen Drucksache 18/10487 Wer stimmt hierfür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist auch die Sammelübersicht 389 einstimmig angenommen worden . Tagesordnungspunkt 34 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 390 zu Petitionen Drucksache 18/10488 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 390 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden . Tagesordnungspunkt 34 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 391 zu Petitionen Drucksache 18/10489 Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 391 einstimmig angenommen worden . Tagesordnungspunkt 34 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 392 zu Petitionen Drucksache 18/10490 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 392 mit den Stimmen der Koalition und den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden . Tagesordnungspunkt 34 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 393 zu Petitionen Drucksache 18/10491 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 393 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Zusatzpunkt 2 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ökologischen Hochwasserschutz länderübergreifend sicherstellen und sozial verankern – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ökologischen Hochwasserschutz voranbringen Drucksachen 18/3277, 18/2879, 18/3481 Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3277 mit dem Titel „Ökologischen Hochwasserschutz länderübergreifend sicherstellen und sozial verankern“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620868 tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2879 mit dem Titel „Ökologischen Hochwasserschutz voranbringen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Zusatzpunkt 2 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Christian Kühn weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Feinstaubemissionen aus Baumaschinen reduzieren Drucksachen 18/3554, 18/4399 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4399, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3554 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Zusatzpunkt 2 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses dem Antrag der Abgeordneten Sylvia KottingUhl, Lisa Paus, Dr . Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Atomkosten verursachergerecht anlasten – Kernbrennstoffsteuer beibehalten und anheben Drucksachen 18/10034, 18/10545 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10545, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10034 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall . Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Wir kommen nun zu den Zusatzpunkten 2 d bis 2 i . Es handelt sich um weitere Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses . Zusatzpunkt 2 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 394 zu Petitionen Drucksache 18/10644 Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden . Zusatzpunkt 2 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 395 zu Petitionen Drucksache 18/10645 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden . Zusatzpunkt 2 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 396 zu Petitionen Drucksache 18/10646 Wer stimmt dafür? – Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden . Zusatzpunkt 2 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 397 zu Petitionen Drucksache 18/10647 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden . Zusatzpunkt 2 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 398 zu Petitionen Drucksache 18/10648 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden . Zusatzpunkt 2 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 399 zu Petitionen Drucksache 18/10649 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20869 Bevor ich den Zusatzpunkt „Aktuelle Stunde“ aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung vortragen . Abgegeben wurden 587 Stimmen . Mit Ja haben gestimmt 526 Kolleginnen und Kollegen . Mit Nein haben gestimmt 60 Kolleginnen und Kollegen . Ein Abgeordneter hat sich enthalten . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 587; davon ja: 526 nein: 60 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens Veronika Bellmann Sybille Benning Dr . André Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr . Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr . Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich Michael Frieser Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr . Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dort mund)


(6 . Ausschuss)


(A) (C)


(B) (D)


(A) (C)


(B) (D)


(A) (C)


(B) (D)


(Hof)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel

Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620870


(A) (C)



(B) (D)


Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke

Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens

Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)


Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20871


(A) (C)



(B) (D)


Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend

Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke

Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms

Nein

SPD

Christian Petry

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth

Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


Enthalten

SPD

Dr . Ute Finckh-Krämer

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620872


(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Haltung der Bundesregierung zur deutschen
Beteiligung am US-Drohnenkrieg über die
Relaisstation Ramstein

Für die Diskussion liegt mir die Rednerliste schon
vor . Damit kann ich die Aussprache eröffnen . Als erster
Redner hat Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke das
Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820907800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re-

den heute über die Beteiligung Deutschlands am völker-
rechtswidrigen US-Drohnenkrieg über Ramstein als Re-
laisstation . Vor zwei Wochen hat hier in der Fragestunde
die Bundesregierung zum ersten Mal nach vielen Jahren
eingeräumt, dass Ramstein eine solche Relaisstation ist .
Jahrelang haben Sie die Öffentlichkeit und dieses Parla-
ment getäuscht . Das lassen wir nicht durchgehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Von Kontrollstationen in den USA wird die Kommu-
nikation über ein Glasfaserkabel nach Ramstein geleitet
und von dort via Satellit in die Einsatzgebiete . Bereits
im April 2010 wurde das Verteidigungsministerium von
der US-Regierung über den Bau einer hierfür notwen-
digen – Zitat – „Drohnen-SATCOM-Relais-Einrichtung“
in Ramstein unterrichtet . Seitdem haben zahlreiche Jour-
nalisten, Abgeordnete – Herr Ströbele, Herr Movassat,
Herr Alexander Neu, Gregor Gysi und auch meine We-
nigkeit – immer wieder nachgefragt . Anwälte, Men-
schenrechtsaktivisten, ehemalige Drohnenpiloten, sogar
ein Untersuchungsausschuss des Bundestages haben das
Thema aufgegriffen und die Rolle Ramsteins als unver-
zichtbare Relaisstation bestätigt .

Dreieinhalb Jahre lang antwortete die Bundesregie-
rung, ihr lägen dazu keine Erkenntnisse vor . Über Jahre
wurde diese Formel wiederholt oder einfach die Frage-
stellung verdreht .

Im April 2014 sagte schließlich der ehemalige
US-Drohnenpilot Brandon Bryant hier im Untersu-
chungsausschuss aus und berichtete von seinen über
1 000 Einsätzen, die über Ramstein gingen . Erst danach
schickte die Bundesregierung einen Fragenkatalog an
die US-Botschaft . Mit dessen Beantwortung werde in
wenigen Wochen gerechnet, erklärte mir damals Staats-
sekretärin Professor Maria Böhmer . Damit begann das
Kasperletheater . Es wurde immer wieder gefragt, und es
wurde immer wieder gesagt: Ja, wir haben die US-Seite
nachdrücklich, eindringlich usw . darauf hingewiesen . –
Aber es kam bis zur letzten Sitzungswoche keine Ant-
wort .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-
rung höhlt die parlamentarische Kontrolle aus . Wir wur-
den mit halbseidenen Antworten verhöhnt . Dieser Um-

gang mit dem Fragerecht der Abgeordneten ist völlig
inakzeptabel .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es sind auch derartige Vorgänge, die das Vertrauen in die
Demokratie untergraben . Das darf nicht sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mit der Duldung des Drohnenkriegs über Ramstein
bricht die Bundesregierung nicht nur das Grundgesetz,
sondern auch Völkerrecht und die universellen Men-
schenrechte . Ich meine damit nicht nur die gezielten Hin-
richtungen ohne Gerichtsverfahren . Mit ihrer gesamten
militärischen Drohnenpolitik der letzten zehn Jahre hat
die US-Regierung die Kriegsführung nicht nur räumlich,
sondern auch völkerrechtlich entgrenzt . Der Einsatz der
US-Kampfdrohnen erfolge als militärische Gewalt und
sei damit auf Basis von Recht und Gesetz, schreibt das
Auswärtige Amt; alles andere seien Einzelfälle, für die
wir zuerst Belege bringen sollten .

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen,


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Doch!)


die gezielten Hinrichtungen sind keine Einzelfälle . Wir
können davon fast täglich in den Medien lesen . Es ist
die Bundesregierung, die uns beweisen muss, dass die
Tötungen ohne Gerichtsverfahren über eine Relaisstation
in Ramstein keine Beteiligung an einer völkerrechtlichen
Straftat darstellen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung darf die Militäroperationen von
deutschem Territorium aus nicht erlauben, erst recht
nicht, wenn diese im Verdacht stehen, mit tausendfachen
illegalen Hinrichtungen völkerrechtswidrig zu sein . Das
NATO-Truppenstatut ist kein Freibrief für das US-Mili-
tär . Auch die Bundesregierung hat nach dem Abkommen
Rechte und Pflichten, etwa zur Überprüfung der rechtmä-
ßigen Nutzung der überlassenen Standorte . Kein Gesetz,
keine Konvention der Welt gestattet die Führung von To-
deslisten und die Hinrichtung ohne vorheriges Gerichts-
verfahren .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das Stationierungsabkommen mit den USA und der
NATO für die Air Base Ramstein muss deshalb gekün-
digt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Statt jetzt selbst in den Drohnenkrieg einzusteigen,
wie es die Bundesregierung mit der eigenen Anschaffung
von Kampfdrohnen des Typs Heron TP plant, wären in-
ternationale Initiativen zur Ächtung oder wenigstens zur
Einhegung des wuchernden Einsatzes von Kampfdroh-
nen notwendig . Ich war letzte Woche bei der UNO in
New York . Ich habe mich da erkundigt, wie der Stand der
Debatte ist . Es gibt sehr wohl Initiativen, leider ohne Ak-
tivitäten von deutscher Seite . Das ist sehr traurig . Setzen

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20873


(A) (C)



(B) (D)


Sie sich endlich für eine Drohnenkonvention ein! Ver-
zichten Sie auf die deutschen Kampfdrohnenpläne, und
schließen Sie Ramstein für den US-Drohnenkrieg!

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820907900

Als nächster Redner hat Dr . Wadephul für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1820908000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir haben auf der Tagesordnung sicherlich eine
der schwierigsten politischen und militärischen Fragen,


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine rechtliche Frage!)


was ethische Aspekte angeht . Zu meinem Vorredner
möchte ich nur sagen: Dieses Thema eignet sich nicht
zu der Simplifizierung, die Sie gerade hier angewandt
haben .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


– Ich meine, Antiamerikanismus geht bei Ihnen immer .
Aber das wird mit uns nicht zu machen sein, meine sehr
verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Hallo! Hallo! Aufwachen! Wer ist da zum Präsidenten gewählt worden? – Mann, ist das peinlich!)


Antiamerikanismus ist noch keine Politik . Schauen Sie
sich die Thematik doch bitte einmal in aller Ruhe an .

Wir haben ja festgestellt, dass Sie hier die Forderung
erhoben haben, dass man alle vertraglichen Übereinkünf-
te, was Ramstein betrifft, kündigen sollte .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Möglicherweise schlagen Sie uns als Nächstes – auch das
gehört zu Ihrer Agenda – vor, dass wir aus der NATO
austreten


(Zuruf von der LINKEN: Ja!)


und das Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Ameri-
ka beenden . Ich stelle hier nur in den Raum: Wer meint,
so verantwortliche Außen- und Sicherheitspolitik in der
nächsten Legislaturperiode gestalten zu können, wird
garantiert die Sicherheit und die Freiheit Deutschlands
gefährden,


(Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Aufs Spiel setzen!)


und davor können wir nur warnen, meine sehr verehrten
Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Es geht um Ramstein! – Wei terer Zuruf von der LINKEN: Reden Sie mal zum Thema!)


Das Thema ist komplex, und es ist schwierig .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem sind Sie bisher aber nicht gerecht geworden!)


– Entschuldigung, ich muss ja erst einmal auf das ant-
worten, Herr Kollege Trittin, was seitens der Linksfrakti-
on hier bisher holzschnittartig vorgetragen wurde .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das war hoch differenziert!)


Ich finde, wir müssen erstens zwischen dem techni-
schen Fluggerät Drohne und zweitens seinem konkreten
Einsatz unterscheiden . Sie haben hier gerade eben im
Übrigen Aufklärungsdrohnen und Kampfdrohnen, die
also zur Bekämpfung geeignet sind, in einem Atemzug
genannt .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Nein!)


– Sie haben eben ein konkretes Gerät genannt .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Heron TP ist eine Kampfdrohne!)


Dazu sage ich Ihnen: Die Aufklärungsdrohnen, die bei-
spielsweise unsere Soldatinnen und Soldaten einsetzen,
schützen Menschenleben und sorgen dafür, dass unse-
re Soldatinnen und Soldaten einen sichereren Einsatz
durchführen können . Deswegen ist das zunächst einmal
ein richtiger, guter und militärisch zu rechtfertigender
Einsatz von Drohnen .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Lenken Sie nicht ab! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um die geht es nicht! – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch einmal über Ramstein!)


Die klassische völkerrechtliche Unterscheidung, die
uns natürlich leitet und die das humanitäre Völkerrecht,
das Anfang der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts ko-
difiziert wurde, geprägt hat, nämlich die Unterscheidung
zwischen Kombattanten und Zivilisten, bei der man sich
dann darauf verlassen kann, dass in dieser Auseinander-
setzung die Kombattanten auch wirklich Uniform tragen
und als solche erkennbar sind, gilt eben leider in den
asymmetrischen Auseinandersetzungen, die wir mit al-
Qaida, mit ISIS und anderen Extremisten in dieser Welt
zu führen haben, nicht mehr .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Die darf man wegbomben, ja?)


Das muss man zur Kenntnis nehmen, und darauf müssen
wir uns in Zukunft auch einstellen .

Selbstverständlich ist es völkerrechtlich, kriegsvöl-
kerrechtlich zulässig, in militärischen Auseinanderset-
zungen dieser Art auch Kampfdrohnen einzusetzen .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Ja, aber nicht im Jemen oder in Pakistan!)


Andrej Hunko

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620874


(A) (C)



(B) (D)


– Das mag umstritten sein . Das haben wir auch hier im
Deutschen Bundestag schon für die deutsche Bundes-
wehr miteinander diskutiert . Darüber muss man sich po-
litisch auseinandersetzen .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist eine rechtliche Frage!)


Jeder, der den Einsatz von Drohnen verneint, verlangt
ja nur, dass ein Pilot im Flugzeug sitzt und sich einer ent-
sprechenden Lebensgefahr aussetzt .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ob die zu Hause sitzen oder irgendwo, die werden abgeschossen!)


Wir halten unter diesen Aspekten den Einsatz von
Kampfdrohnen prinzipiell für zulässig,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die gezielten Hinrichtungen?)


und ich warne davor, von vornherein den Einsatz dieser
militärischen Mittel hier zu verteufeln Wenn wir diese
Auseinandersetzung gewinnen wollen und wenn wir da-
bei möglichst wenige Leben von Soldatinnen und Solda-
ten gefährden wollen, dann muss man


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Möglichst viele Zivilisten!)


sich diese technischen Möglichkeiten offenhalten .

Nun kommen wir sicherlich – das will ich Ihnen ohne
Weiteres zugestehen – zu den schwierigen Punkten des
Drohneneinsatzes, der von den Vereinigten Staaten von
Amerika, übrigens unter Präsident Obama,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das macht es nicht besser!)


offenkundig in einem Umfang vermehrt worden ist, wie
wir das nicht erwartet haben . Das steht in einem bemer-
kenswerten Gegensatz dazu, dass nahezu die gesamte
Weltöffentlichkeit bedauert, dass dieser Präsident nun
nicht weiter im Amt ist und nicht von einer Parteifreun-
din sozusagen beerbt wird . Er hat auch hier in Deutsch-
land noch einmal diesen Einsatz von Kampfdrohnen ge-
rechtfertigt, und es ging kein Aufschrei der Empörung
durch Deutschland . Nein, dieser Präsident hat eine große
Unterstützung dafür erhalten .

Die Bundesregierung hat – das möchte ich abschlie-
ßend sagen, Frau Präsidentin – ganz klar festgehalten:
Es gibt keine aktive deutsche Beteiligung an derartigen
gezielten Tötungen, etwa in Form von Racheakten, ohne
dass es ein entsprechendes Gerichtsverfahren gegeben
hat . – Auch wir sind natürlich dieser Auffassung und
würden uns militärisch nie an so etwas beteiligen .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ramstein ist aber in Deutschland!)


Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir
müssen bündnisfähig bleiben, und wir brauchen die Zu-
sammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika
im Rahmen der NATO selbstverständlich auch weiterhin .
Das sollten wir durch diese Fragen nicht erschüttern las-
sen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820908100

Als nächster Redner spricht Hans-Christian Ströbele

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(Beifall des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE])



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Wadephul, über Ramstein haben Sie nun
keinen Satz verloren, nicht einmal ein Wort .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD])


Ramstein und AFRICOM, das ist aber heute das Thema .

Es geht hier heute bei dem Tagesordnungspunkt „Hal-
tung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung am
US-Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein“ nicht
nur darum, dass gezielte Hinrichtungen ohne jedes Ge-
richtsurteil mit unseren Werten, wie sie im Grundgesetz
verankert sind, mit der Unantastbarkeit der Würde des
Menschen, mit dem Recht auf Leben und mit dem Ver-
bot der Todesstrafe nicht zu vereinbaren sind . Das passt
überhaupt nicht zusammen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD])


Sie können zwar sagen: Im Kampf gegen den inter-
nationalen Terrorismus sind auch besondere Maßnahmen
erforderlich . – Die grundsätzliche Frage ist jedoch: Geht
das auch so weit, dass wir – so wie das jetzt praktiziert
worden ist – solche gezielten Tötungen zulassen, ihnen
zustimmen oder sie über unser Gebiet abwickeln las-
sen, wenn sie in Gebieten stattfinden, wo überhaupt kein
Krieg herrscht, wenn sie sich gegen Personen richten, die
zu Hause sitzen, die irgendwo auf dem Feld arbeiten, die
in einem Jeep oder in einem Lastwagen – nicht in einem
Militärfahrzeug – durch die Gegend fahren? Gilt das
dann auch? Das kann nicht sein, wenn unsere Werte, die
wir verteidigen wollen, gerade auch in diesem Krieg, in
dieser Auseinandersetzung, gewahrt werden sollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es geht heute speziell in dieser Aktuellen Stunde da-
rum: Was hat die Bundesrepublik Deutschland mit die-
sen Drohneneinsätzen zu tun, die wahrscheinlich von
US-Präsident Obama oder von der US-Administration
befohlen worden sind? Was hat die Bundesregierung da-
mit zu tun? Was haben also wir damit zu tun? Ich kann
Ihnen nur sagen: Wenn es stimmt, dass die Drohnen
über Ramstein an ihr Ziel gelenkt werden und dann auf
den Auslöser für die Rakete gedrückt wird, dann ist die

Dr. Johann Wadephul

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20875


(A) (C)



(B) (D)


Bundesrepublik Deutschland mitverantwortlich und mit-
schuldig . Das müssen wir zur Kenntnis nehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Deshalb hat die Bundesregierung all die Jahre auf sol-
che Fragen immer geantwortet: Wir wissen nicht, was sie
da machen . Wir gehen davon aus, dass sie sich an Gesetz
und Recht halten, auch in Deutschland . Das steht in den
Vereinbarungen . Das steht in den Verträgen . – Haben sie
das wirklich gemacht? Hat sich die Bundesregierung bei
den Amerikanern kundig gemacht? Hat sie das gemacht,
was wir gemacht haben? Wir sind nach Ramstein gefah-
ren und haben den kommandierenden General gefragt:
Was machen Sie eigentlich? Was läuft über Ramstein mit
den Drohnen? – Er hat uns genau dasselbe wie Obama
gesagt: Wir lassen keine Drohnen in Deutschland star-
ten . Wir befehligen sie auch nicht in Ramstein . – Nun
hat niemand behauptet, dass sie Drohnen in Deutschland
starten . Das würde überhaupt keinen Sinn machen . Denn
sie könnten gar nicht so weit fliegen, um in Afrika ein-
gesetzt zu werden . Etwas anderes ist auch nie behauptet
worden . Es ist die Frage: Wird die Relaisstation in Ram-
stein genutzt?

Jetzt haben wir hier eine völlig neue Situation, weil
wir vom Außenministerium gehört haben: All das, was
bisher vermutet wurde, was in der Zeit und im Spiegel
stand, bestätigt, dass Relaisstationen die Befehle an die
Einsatzorte der Drohnen weitertragen, und das läuft über
Ramstein .

Der Zeuge Brandon Bryant hat im Untersuchungsaus-
schuss ausgesagt – er war fünf Jahre lang Drohnenpilot
und an unzähligen Tötungen beteiligt –: Vor jedem Ein-
satz haben wir in Ramstein angerufen . Wir hatten an un-
serem Telefon eine Wahlwiederholungstaste, auf die wir
gedrückt haben, um eine Verbindung mit Ramstein zu
bekommen . Erst wenn Ramstein „okay“ gesagt hat, dann
haben wir losgelegt und dann gingen die Befehle aus der
Wüste in den USA über Glasfaser nach Europa und von
dort über die Relaisstation zu den Satelliten . – Das hat er
ausgesagt .

Er hat etwas Weiteres ausgesagt: Die Bundesregierung
war davon unterrichtet . – Das ist ihm immer wieder von
seinen Offizieren, seinen Vorgesetzten versichert worden.
Der Bundesregierung sind die Papiere darüber ausgehän-
digt worden . Sie wusste das alles . Die Bundesregierung
hat uns hier im Bundestag die Unwahrheit gesagt . Sie hat
nicht zu dem gestanden, was sie wusste . Das können wir
nicht hinnehmen . Wir müssen unsere Rechte einklagen .
Wir müssen die Rechte der Öffentlichkeit in Deutschland
einklagen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir verlangen Wahrheit und Klarheit . Nur dann kann
die Bundesregierung wieder glaubwürdig werden .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie ist glaubwürdig!)


Deshalb habe ich Strafanzeige gegen die Verantwortli-
chen in Deutschland und in den USA erstattet aufgrund

der klaren Aussage, dass Deutschland bei den Drohnen-
angriffen dabei ist . Ich sage – und kann es nur unterstüt-
zen –: Das darf nicht länger geduldet werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie können nicht noch drei Jahre verhandeln, sondern
es muss beendet werden . Nach den Auskünften, die die
USA Deutschland gegeben haben, muss jetzt Schluss
sein . Man muss den USA sagen: Diese ganze Tätigkeit
muss sofort eingestellt werden . Die Relaisstationen dort
müssen geschlossen werden .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820908200

Herr Kollege .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es dürfen keine Tötungsbefehle über Deutschland,
über Ramstein gegeben werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820908300

Thomas Hitschler hat als nächster Redner das Wort .


Thomas Hitschler (SPD):
Rede ID: ID1820908400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Nicht nur Weihnachten steht vor der Tür, son-
dern auch Silvester rückt immer näher – und damit zahl-
reiche Wiederholungen des Klassikers Dinner for One .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das wird dem Ernst der Lage nicht gerecht!)


Ähnlich wie der Butler James in diesem zeitlosen Sketch
frage ich mich angesichts dieser Aktuellen Stunde: „The
same procedure as last year?“ Wir alle kennen das Stück,
und wir alle wissen, dass es eigentlich nichts wirklich
Neues gibt . Aber wenn der Linkspartei für die Aktuel-
le Stunde nichts Aktuelleres einfällt, schauen wir es uns
eben noch einmal an .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die Linkspartei gibt es seit 2007 nicht mehr! Jetzt ist es Die Linke!)


Das immer gleiche Stück der Linkspartei handelt von
den bösen Amerikanern und von der deutschen Betei-
ligung an Völkerrechtsverletzungen . Im Gegensatz zu
Dinner for One, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben
wir es hier aber mit einem sehr ernsten Stoff zu tun .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ah! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dem werden Sie auch nicht gerecht!)


Es geht um nicht weniger als Leben und Tod . Daher halte
ich es für geboten, diese Debatte zu versachlichen .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aha!)


Das offizielle Thema dieser Aktuellen Stunde ist die
Haltung der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung

Hans-Christian Ströbele

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620876


(A) (C)



(B) (D)


am Drohnenkrieg über die Relaisstation Ramstein . Aber
seien wir ehrlich: Tatsächlich wollen Sie doch alte Forde-
rungen und Vorwürfe wieder aufwärmen . Ihre Forderung
lautet, den Stützpunkt Ramstein unverzüglich zu schlie-
ßen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dazu haben Sie einen Antrag gestellt, den wir im Januar,
soweit ich das richtig im Kopf habe, noch einmal bespre-
chen werden .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Immer und immer wieder!)


Ihr zusätzlicher Vorwurf lautet, die Bundesregierung be-
teilige sich an völkerrechtswidrigen, extralegalen Tötun-
gen .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja!)


Beides, liebe Kolleginnen und Kollegen, halte ich für
falsch . Ich sage Ihnen auch gerne, wieso ich das für
falsch halte:

Erstens . Angesichts der aktuellen Entwicklungen in
der Welt will ich erst einmal eines unterstreichen: Eine
gute Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten bleibt
für die Bundesrepublik sicherheitspolitisch von extrem
hoher Bedeutung .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Deshalb beteiligen Sie sich am Drohnenkrieg?)


Die Westbindung und die Mitgliedschaft in der NATO
sind seit Jahrzehnten Grundpfeiler der Sicherheit und des
Friedens in Deutschland . Dies in der aktuellen Weltla-
ge aufzukündigen, wäre politisch eine absolute Geister-
fahrt – unverantwortlich und mit uns auch nicht zu ma-
chen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


Teil dieser Zusammenarbeit sind auch die US-amerika-
nischen Stützpunkte auf deutschem Boden wie der in
Ramstein .

Zweitens . Als Pfälzer muss ich Ihnen eines deutlich
sagen: Ramstein zu schließen, so wie Sie es fordern,
wäre ein herber Schlag für die ganze Region .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


Die Militärgemeinde Kaiserslautern erzeugt eine jährli-
che Gesamtwertschöpfung für die regionale Wirtschaft


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Ah, es geht um Geld! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ach so!)


von über 2 Milliarden US-Dollar .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Für Geld gehen Sie über Leichen, oder was? – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist echt peinlich!)


Die US-Streitkräfte sind einer der größten Arbeitgeber
in Rheinland-Pfalz . Gute Zusammenarbeit und regiona-
le wirtschaftliche Interessen bedeuten aber nicht – jetzt

kommt der Punkt, ab dem Sie mir zuhören sollten –, dass
wir völlig unkritisch miteinander umgehen müssen oder
dass wir alles gutheißen müssen, was die andere Seite tut .

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich lehne extralegale ge-
zielte Tötungen absolut ab .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN)


Das ist auch die Position der Bundesregierung; so steht
es schwarz auf weiß im Koalitionsvertrag . Dort ist auch
festgehalten, dass sich Deutschland für eine völkerrecht-
liche Ächtung vollautomatisierter Waffensysteme ein-
setzt .

Ich gehe noch einen Schritt weiter: Extralegale Tötun-
gen außerhalb bewaffneter Konflikte sollten weltweit ge-
ächtet werden – mein Kollege Karl-Heinz Brunner wird
dazu gleich noch etwas sagen –, aber so weit sind wir
leider noch nicht .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Ach so!)


Die völkerrechtliche Bewertung des Drohnenkriegs ge-
staltet sich wesentlich schwieriger, als es die Vorwürfe
der Linkspartei suggerieren . Drohnenangriffe weichen
das Völkerrecht auf . Das wird mit allem Recht kriti-
siert . Aber per se völkerrechtswidrig sind sie eben nicht .
Deutschland hat den USA in völkerrechtlichen Verträgen
wie dem NATO-Truppenstatut die Nutzung der Air Base
in Ramstein eingeräumt . Die USA sind dort weder Besat-
zer noch gibt es ein Sonderrecht . Der Stützpunkt bleibt
auf deutschem Boden, und dort gilt deutsches Recht .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!)


Um die zugesicherte Nutzung der Air Base zu verwei-
gern, müsste man hieb- und stichfest nachweisen


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


– deshalb warten wir das Gerichtsurteil ab –, dass sich die
USA dort nicht an deutsches Recht halten, Herr Ströbele .
Die Vereinigten Staaten haben der Bundesregierung je-
doch wiederholt zugesichert, dass sie deutsches Recht
beachten .


(Zuruf von der LINKEN: Die hören uns auch nicht ab! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Das ist gelogen! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wie mit dem Spionieren unter Freunden!)


Die Bundesregierung kommt ihrem grundgesetzlichen
Auftrag nach, wenn sie die USA darauf hinweist, dass die
Air Base Ramstein nur in rechtskonformer Weise genutzt
werden darf – so lautet das Urteil des Verwaltungsge-
richts Köln, das aktuelle Geltung hat, Kolleginnen und
Kollegen . Von Ramstein aus werden keine Drohnen ge-
startet und gesteuert


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Nebelwerfer!)


– ich bin sehr dankbar, Herr Ströbele, dass Sie das vorhin
gesagt haben –; das hat auch die amerikanische Regie-
rung immer wieder betont . Die USA nutzen den Stütz-

Thomas Hitschler

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20877


(A) (C)



(B) (D)


punkt Ramstein nach den derzeitigen Kenntnissen im
Rahmen des deutschen Rechts . Die von der Linkspartei
konstruierte deutsche Beteiligung am US-Drohnenkrieg
besteht also im Grunde darin, eine rechtskonforme Nut-
zung der Air Base Ramstein nicht zu verweigern .


(Zurufe von der LINKEN)


Das ist am Ende ein rechtlich dünner Vorwurf mit sehr
wenig Neuigkeitswert, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Um es mit den Worten der 90-jährigen Miss Sophie zu
sagen: The same procedure as every year .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das war aber ganz schwach! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Peinlich!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820908500

Michael Vietz hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das

Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Vietz (CDU):
Rede ID: ID1820908600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Mir geht es heute nicht
darum, ob sich Deutschland direkt oder indirekt über den
Standort Ramstein an militärischen Einsätzen beteiligt .
Es geht mir auch nicht um den Einsatz von Drohnen im
Allgemeinen oder im Speziellen . Vielmehr geht es mir
darum, wie wir mit unserem langjährigen Bündnispartner
USA umgehen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Deutschland ist keine Insel . Wir können uns nicht von
der Welt abkoppeln . Wir stehen Schulter an Schulter mit
unseren Verbündeten und Partnern für unsere gemeinsa-
men Werte, was wir mit den heutigen Mandatsbeschlüs-
sen erneut unterstrichen haben . Sicherlich: Es gilt dabei,
die notwendige Balance zu halten .

Bei Erhalt und Verteidigung unserer Werte verlieren
wir unsere Grundsätze nicht aus den Augen . Die Einhal-
tung des Völkerrechts sowie der in unserem Land gelten-
den Gesetze sind selbstverständlich .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Grundgesetz zum Beispiel!)


– Genau . – Fakt ist: Die amerikanische Militärpräsenz in
Deutschland ist ein Zeichen der Bündnissolidarität inner-
halb der NATO . Sie liegt auch in unserem sicherheitspo-
litischen Interesse .

Ramstein ist der größte Militärflugplatz außerhalb
Amerikas . Hier laufen entscheidende Funktionen zusam-
men . Dazu gehört unter anderem die NATO-Kommando-
behörde zur Führung von Luftstreitkräften . Aber auch
humanitäre Einsätze, zum Beispiel die Bekämpfung der
Ebolakrise, wurden und werden hier koordiniert .

Die Rolle von Ramstein beim Einsatz von Drohnen
wird vonseiten der Bundesregierung in einem beharrli-

chen Dialog mit Washington diskutiert; beharrlich heißt
übrigens: nicht schreien, kreischen und Ähnliches . Wir
wissen, dass Drohnen in Ramstein weder starten noch
landen oder gesteuert werden .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nie jemand behauptet! Die können da gar nicht starten!)


Daran hat sich bis jetzt auch nichts geändert . Und auch
die Nutzung als Relaisstation für Steuerungsdaten fällt
meines Erachtens nicht in diesen Bereich; Sie haben sel-
ber in Ihren Beiträgen unterstrichen, dass das nicht wirk-
lich eine neue Erkenntnis, eine neue Datenlage ist . Dies
ist in meinen Augen auch nicht als Beteiligung unseres
Landes an Einsätzen, egal welcher Art, zu werten .

Die Herleitung, dass wir Verantwortung und Kontrolle
über die über Ramstein weitergeleiteten Daten überneh-
men müssen, weil wir das Gelände zur Verfügung stellen,
halte ich schlichtweg für abwegig . Wichtig ist der regel-
mäßige, konstruktive Dialog . Gegenseitiges Vertrauen ist
unabdingbar .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Deshalb ist Herr Ströbele hier doch angelogen worden!)


Würde dieses Misstrauen, das wir gegenüber einem un-
serer Verbündeten hier regelmäßig äußern, nur zur Hälfte
gegenüber anderen Akteuren der Weltpolitik geäußert,
wäre der eine oder andere hier in diesem Haus glaub-
würdiger .


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Dieses Vertrauen erreichen wir sicher nicht, wenn wir
Reflexen von Misstrauen und Kontrollfantasien nachge-
hen .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das beweist uns die NSA tagtäglich, das Vertrauen der Amerikaner in uns!)


– Im Kindergarten habe ich gelernt: Wer am meisten und
am lautesten schreit, hat am Ende nicht immer recht .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nicht immer, aber manchmal!)


Zu unterstellen, dass in Ramstein umfangreich gegen
geltendes Recht verstoßen wird, führt nicht weiter . Es gilt
das humanitäre Völkerrecht, das – wir haben es schon
gehört – den Einsatz von Drohnen nicht verbietet, son-
dern beschränkt . Dabei ist eine pauschale Betrachtung
ausgeschlossen . Es wird grundsätzlich jeder einzelne Fall
geprüft .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Dann machen Sie es doch!)


Uns allen ist klar, dass die sicherheitspolitische Lage
täglich neue Herausforderungen für uns bereithält . Die
Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ge-
hört mittlerweile zu unserem Alltag; diese wird übrigens
durch die Relaisstation Ramstein auch nicht größer . Al-
lein aufgrund unserer Werte und Grundsätze stehen wir

Thomas Hitschler

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620878


(A) (C)



(B) (D)


seit vielen Jahren im Fadenkreuz von Daesh, al-Qaida
und anderen .

Der Dialog über Ziele und Mittel militärischer Aktivi-
täten ist ebenso wichtig wie der Dialog über Einhaltung
von Recht und Gesetz . Beides macht die Bundesregie-
rung mit unseren Partnern, auch wenn die Antworten
manchmal auf sich warten lassen, auch wenn manchmal
nachgehakt werden muss .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Vertrauen ist gut!)


Die technische Möglichkeit allein – ich weiß, Sie zi-
tieren gerne Lenin –, Ramstein als Relaisstation zu nut-
zen, hat keinerlei Auswirkungen auf uns . Unsere Partner
wissen um unsere Vorbehalte und berücksichtigen diese .
Manchmal lohnt es sich, einfach weiter in Vertrauen zu
investieren, solange man keine wirklich belastbaren Be-
weise für das Gegenteil hat .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820908700

Als nächster Redner hat Alexander Ulrich von der

Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820908800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist wirklich sehr interessant, wie insbesondere die
Vertreter der Großen Koalition in diesem Hohen Hause
damit umgehen, dass wir jetzt seit 14 Tagen wissen, dass
in Ramstein das Grundgesetz gebrochen wird .


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Es ist wirklich unwürdig, Herr Wadephul und Herr
Hitschler, dass Sie uns, wenn wir dieses Thema hier an-
sprechen – man muss es in einer Aktuellen Stunde an-
sprechen –, Antiamerikanismus vorwerfen . Es gibt kein
anderes Land auf der Erde, das den Drohnenkrieg von
deutschem Boden aus organisiert . Deshalb können wir in
diesem Fall nur die Amerikaner ansprechen .


(Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Dann sagen Sie gleich mal was zu Aleppo und den Russen! Was passiert in Aleppo? Dazu keine Aktuelle Stunde! Ausgeblendet!)


Das ist auch nichts Neues, Herr Hitschler – genauso we-
nig, wie Dinner for One zu Silvester etwas Neues ist –;
denn wir wissen seit zwei Wochen von Herrn Roth, der
das hier in einer Regierungsbefragung zugestanden hat,
dass die Relaisstation eine wichtige Rolle spielt . Seitdem
müssen wir diesem Thema nachgehen, weil die Bundes-
regierung uns offensichtlich entweder jahrelang belogen
hat oder nur auf das vertraut hat, was die amerikanische
Regierung gesagt hat. Jetzt wissen wir es offiziell, und
deswegen können wir nicht mehr schweigen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Wadephul und Herr Hitschler, lassen Sie uns das
mal einordnen . Worum geht es hier?


(Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Ordnen Sie das selbst mal ein! Was passiert in Aleppo?)


Es geht um den Kampf gegen den Terror . Wir als Linke
sagen es nicht zum ersten Mal – das sage ich hier ganz
deutlich –: Man kann Terrorismus nicht mit Terror be-
kämpfen .


(Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn [CDU/CSU]: Aber auch nicht mit einem Stuhlkreis!)


Doch was passiert? Dem Drohnenkrieg, der auch von
Ramstein aus gesteuert wird, sind mittlerweile schon
über 5 000 Zivilisten zum Opfer gefallen . Nicht nur das,
was in Paris oder New York passiert ist, ist Terrorismus .
Es ist auch Terrorismus, wenn unschuldige Menschen im
Jemen umgebracht werden . Auch das ist Terrorismus .


(Beifall bei der LINKEN)


Weil Sie sagten, es sei alles in Ordnung, zitiere ich aus
einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des
Deutschen Bundestages:

Unstreitig ist dagegen, dass Deutschland völker-

(oder gar Kriegsverbrechen)

deutschem Territorium aus durchgeführt werden,
nicht dulden darf .


(Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Die völkerrechtswidrige „Exekution“ eines Terror-
verdächtigen durch Kampfdrohnen außerhalb eines
bewaffneten Konflikts kann daher, wenn die Bun-
desregierung davon weiß und nicht dagegen protes-
tiert, eine Beteiligung an einem völkerrechtlichen
Delikt darstellen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt: Wir wissen jetzt durch Staatsminister Roth,
was von Ramstein aus passiert . Wer dagegen nichts tut,
beteiligt sich daran, verübt Beihilfe zum Mord . – Das
muss so deutlich ausgesprochen werden .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Das tut weh, nicht wahr? Das tut weh!)


Deshalb muss man es deutlich sagen: Auch wenn es
sich um einen US-Militärstützpunkt handelt und Sie viel-
leicht glauben, dass wir aufgrund unserer Bündnistreue
die Augen verschließen müssen vor dem, was die Ame-
rikaner tun, können wir nicht einfach zur Tagesordnung
übergehen . Herr Hitschler, ich würde mich freuen, wenn
Sie und Ihre Partei sich an Willy Brandt erinnern würden,
der mal gesagt hat: „Vom deutschen Boden darf nie wie-
der Krieg ausgehen .“ Ramstein liegt auf deutschem Bo-

Michael Vietz

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20879


(A) (C)



(B) (D)


den . Bei Ihrer Rede müsste sich Willy Brandt eigentlich
im Grabe umdrehen .


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Hitschler [SPD]: Sie brauchen nicht Willy Brandt zu zitieren!)


Ich glaube, seit den NSA-Aktionen, aber spätestens
jetzt können wir nicht einfach mehr auf das vertrauen,
was uns Obama oder andere Mitglieder der US-Regie-
rung jeden Tag sagen, nämlich dass man sich an deut-
sches Recht halte . Spätestens jetzt muss man doch klar
sagen: Offensichtlich machen die Amerikaner auf deut-
schem Boden und unter den Augen der deutschen Bürger
so lange weiter, wie man sie lässt . Nicht nur aufgrund des
Abhörskandals, sondern auch aufgrund der Situation in
Ramstein wissen wir, dass es nicht ausreicht, wenn uns
die US-Regierung sagt, sie halte sich an unser Grundge-
setz . Wahrscheinlich wissen sie gar nicht, was im Grund-
gesetz drinsteht .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Aussage kann der Bundesregierung doch nicht
ausreichen, um die Augen zu verschließen .

Es ist an der Zeit, deutlich zu machen, dass wir diesen
Drohneneinsatz über die Relaisstation in Ramstein ableh-
nen . Das bedeutet auch, dass die Bundesregierung alles
tun muss, um zu überprüfen, was in Ramstein passiert .
Wenn es überprüft ist und festgestellt wurde, was dort
passiert, müssen die Aktionen, die von der Relaisstation
ausgehen, auch gestoppt werden . Das ist das Mindeste,
was man von der Bundesregierung erwarten kann, wenn
sie sich ans Grundgesetz halten will .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zum Schluss . Es wird nicht das letzte Mal
sein, dass wir hier im Bundestag darüber reden .


(Thomas Hitschler [SPD]: Es geht im Januar weiter!)


Noch einmal: Das, was Herr Staatsminister Roth ge-
sagt hat, war nicht irgendwann an Silvester bei Dinner
for One, sondern das war vor 14 Tagen . Wir haben seit
14 Tagen eine ganz neue Sachlage . Deshalb wird uns das
Thema auch ins neue Jahr begleiten . Wir als Linke wer-
den die Aktivitäten des Aktionsbündnisses „Stopp Ram-
stein“ unterstützen,


(Beifall bei der LINKEN)


das auch im nächsten Jahr wieder mit Tausenden in der
Westpfalz – ich komme von dort; ich wohne etwa 5 Kilo-
meter von Ramstein entfernt – protestieren wird .

Wir wollen, dass sich Deutschland nicht am Drohnen-
krieg beteiligt . Wir wollen, dass sich Deutschland nicht
am Krieg gegen den Terror beteiligt, wo unschuldige
Menschen ums Leben kommen, wo gemordet wird . Wir
wollen, dass die Relaisstation in Ramstein tatsächlich
geschlossen wird . Deshalb unterstützen wir das Aktions-
bündnis „Stopp Ramstein“ . Ich hoffe, dass nicht nur die
Grünen, sondern auch andere irgendwann wieder einmal
sagen: So geht es nicht, was da passiert .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820908900

Doris Barnett hat als nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1820909000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich hoffe, wir sind uns zumindest darin einig, dass wir
seit 70 Jahren ein robustes transatlantisches Verhältnis
zwischen Deutschland und den USA haben . Und das ist
gut so .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Das hat uns geholfen, 70 Jahre in Frieden zu leben, und es
hat uns auch auf dem Weg zur Wiedervereinigung gehol-
fen . Hätten wir dieses Verhältnis nicht, hätten wir – das
hätten Sie gern gemacht – die Amerikaner rausgeschmis-
sen, weiß ich nicht, ob wir heute hier stehen würden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN)


Natürlich hat dieses transatlantische Verhältnis auch
Höhen und Tiefen erlebt . Natürlich gab es Präsidenten
mit ganz unterschiedlichen Ansätzen, wie der Friede in
der Welt verwirklicht werden kann . Natürlich lässt sich
darüber streiten . Wir werden wahrscheinlich auch mit
dem neuen Präsidenten darüber streiten, was der richtige
Weg sein wird . Darüber kann man reden . Es gibt ja auch
verschiedene Auffassungen .

Ich möchte daran erinnern, dass wir 2002 mit Kanzler
Schröder jemanden hatten, der sich gewehrt hat, der ge-
sagt hat: Den Weg, den Amerika vorgibt, gehen wir nicht
mit .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das wäre doch jetzt auch an der Zeit!)


Wir sind nicht mit in den Irak gezogen . Das zeigt, wie
robust unser Verhältnis zu Amerika ist . Denn dieses Ver-
hältnis hat eben auch diese unterschiedliche Meinung
ausgehalten . Eine emanzipierte Partnerschaft muss so et-
was auch aushalten . Ich bin froh, dass wir nie ernsthafte
Verwerfungen haben .

Die Welt von heute ist in der Tat viel komplizierter
geworden . Das Schlimme ist: Wir wissen heute gar nicht
mehr, wer morgen Freund oder Feind ist . Oder wollen
Sie behaupten, dass Sie das wissen?


(Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


Aber wir wissen, dass Amerika unser Freund ist und
unser Verbündeter bleibt . Nichts zu tun, was Sie prak-
tisch vorschlagen, ist für mich keine Option . Gerade jetzt
brauchen wir wieder stabile transatlantische Beziehun-
gen und auch ein stabiles Bündnis . Denken Sie doch ein-
mal daran, was in den letzten Tagen in Syrien geschehen

Alexander Ulrich

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620880


(A) (C)



(B) (D)


ist . Wurden dort nicht auch viele zivile unschuldige Men-
schen umgebracht?


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Und viele Terroristen!)


Mir ist wichtig, dass wir zusammenarbeiten . Wir müs-
sen auch einander vertrauen . Denn wenn wir anfangen,
dem anderen gegenüber misstrauisch zu werden, dann
fliegt uns das Bündnis um die Ohren.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal was zu Ramstein!)


Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist kein eindi-
mensionales . Es ist nicht auf die militärische Zusam-
menarbeit beschränkt . Diese ist nur eine Facette unserer
wirklich robusten Zusammenarbeit auf ganz, ganz vielen
Gebieten . Aber die militärische Zusammenarbeit ist nicht
unwichtig . Darauf, dass die Amerikaner für uns die Kas-
tanien aus dem Feuer holen – das sage ich Ihnen auch
einmal –, haben wir uns jahrzehntelang ausgeruht .

Jetzt sind wir am Ende der Couch-Potato-Ära ange-
langt .


(Zuruf des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


Das heißt, dass wir selbst wieder viel mehr Verantwor-
tung übernehmen müssen in einem sicherheitspolitisch
verantwortlichen Europa, das sich anscheinend erst bil-
det . Noch sind alle zögerlich und warten nur darauf –
ich darf an die Zeit des Balkankriegs erinnern; es war
schändlich, was sich Europa da geleistet hat –,


(Zuruf des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


dass die Amerikaner eingreifen . Ich kann es nur noch
einmal sagen: Wir sind froh, dass wir solch ein Bündnis
haben .

Aber wir müssen feststellen, dass wir uns aufgrund
unserer Verantwortung auch neue Wege überlegen müs-
sen . Wir in Deutschland haben einen eigenen Weg für
Konfliktlösungen eingeschlagen. Er ist zwar langwierig
und zäh und erleidet auch hin und wieder Rückschläge;
aber am Ende der vielen kleinen Schritte zeigt sich doch
Erfolg . Wir gehen mit unserem Außenminister den Weg
des Gesprächs, des Dialogs, der Diplomatie und auch –
das ist neu – den Weg der parlamentarischen Diplomatie .
Das ist eine neue, große Herausforderung, gerade an uns
Abgeordnete selbst .

Helfen wir, die Feuer auszutreten, bevor es zum Brand
kommt! Verstärken wir den Dialog mit unseren Kolle-
ginnen und Kollegen in der Welt! Nehmen wir Partei für
unsere Kollegen dort, wo sie bedroht werden!


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt zum Thema! Was ist in Ramstein los?)


Werden wir laut, wo Menschenleben auf dem Spiel ste-
hen, und zwar nicht nur, wenn unser Partner angeblich an
allem schuld ist! Es gibt auch andere Schuldige .

Mit unserem Partner USA können wir reden, wir
können mit ihm diskutieren, und wir können streiten;
denn wir vertreten immerhin dieselben Werte auf der
Welt, auch wenn wir bei den Zielrichtungen verschiede-
ne Wege gehen und darüber auch weiterhin reden und
im Gespräch bleiben müssen . Wir haben dafür Sorge zu
tragen, dass wir jetzt noch bessere Möglichkeiten be-
kommen, als Abgeordnete mit unseren Kolleginnen und
Kollegen in den USA zu reden . Wir haben das Deutsche
Haus in New York, und auf der anderen Seite des ameri-
kanischen Kontinents in Kalifornien haben wir die Villa
Aurora und jetzt auch noch das Thomas-Mann-Haus . All
diese Einrichtungen können und sollten wir für diesen
notwendigen Dialog nutzen .


(Zurufe von der LINKEN)


Lassen Sie uns nicht wegen einer Relaisstation streiten,
sondern nehmen wir den Dialog auf!

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820909100

Jürgen Trittin hat als nächster Redner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820909200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kol-

legen von der Großen Koalition scheinen die Waffeng-
attung verwechselt zu haben . Wir reden hier darüber,
ob in völkerrechtswidriger oder fragwürdiger Art und
Weise auf deutschem Boden der Einsatz von Drohnen er-
möglicht wird . Das ist das Thema, nicht aber die Frage:
Wie werfe ich im Interesse von Rheinland-Pfalz und mit
Blick auf die Standortbedingungen und die Gemeinden
dort möglichst viele Nebelgranaten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die zweite Nebelgranate, die Sie geworfen haben, ist
die Frage der deutsch-amerikanischen Freundschaft . Frau
Barnett, ich bin zutiefst überzeugt, dass wir mit den USA
gemeinsame Interessen, gemeinsame Werte tragen, üb-
rigens auch in schwierigen Zeiten . Aber gerade da muss
man sagen: Es ist falsch verstandene Freundschaft, wenn
diese Zusammenarbeit und diese Freundschaft nicht auf
dem Boden des Rechts und des Völkerrechts stattfinden.
Dann ist es nicht Freundschaft, sondern falsch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie haben das Beispiel selbst genannt . Ich lasse mir
doch nicht nachsagen, ich sei ein Antiamerikaner gewe-
sen, als eine Bundesregierung, der ich angehört habe,
Folgendes gesagt hat: Das, was die US-Regierung im
Irak macht, ist völkerrechtswidrig . Da machen wir nicht
nur nicht mit, sondern da sorgen wir dafür, dass es eine
Mehrheit im Sicherheitsrat dagegen gibt . – Das war keine

Doris Barnett

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20881


(A) (C)



(B) (D)


Absage an unsere transatlantische Beziehung . Also las-
sen Sie diese Diskussion bitte im Schrank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir reden hier über die Frage: Wie ist es ermöglicht
worden, von deutschem Boden aus in völkerrechtswid-
riger Art und Weise Drohnen einzusetzen? Ich dachte,
da hätten wir einen Konsens . Ich habe die Äußerungen
aus dem Auswärtigen Amt und die Papiere dazu gesehen .
Sie mögen mir politisch nicht passen; aber die offizielle
Auffassung ist: Der Einsatz von Kampfdrohnen ist nicht
in jedem Fall völkerrechtswidrig . Er ist gebunden an die
Voraussetzung, dass es sich um einen bewaffneten Kon-
flikt handelt. – Wenn wir uns die veröffentlichten Daten
der Amerikaner anschauen, dann stellen wir fest: Die
Drohnen werden außerhalb von bewaffneten Konflikten
eingesetzt . Sie werden also auch nach der Rechtsauffas-
sung, die Sie dargelegt haben, in völkerrechtswidriger
Art und Weise eingesetzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)


Das muss doch jetzt eine Handlung zur Folge haben .
Wir können doch nicht mit angucken, wie das, worauf
wir alle uns immer berufen haben, nämlich dass im
Kampf gegen den Terrorismus sich nicht das Recht des
Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts am Ende durch-
setzen wird, von einem unserer Bündnispartner in dieser
Art und Weise mit Füßen getreten wird,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


und dies umso mehr, als es mehr als Evidenzen gibt, dass
die Führung dieses Krieges ohne die Logistik über Ram-
stein nicht möglich ist; sie wird dafür genutzt . Wenn sie
dafür genutzt wird, dann müssen Sie als Ausfluss Ihrer
eigenen Rechtsauffassung alles dafür tun, dass das nicht
mehr geschieht, weil Sie sich sonst an dieser Sache mit-
schuldig machen . Das ist der Kern des Problems .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will, damit das nicht zu einer rein juristischen De-
batte wird, noch eine Sache hinzufügen . Herr Vietz, Sie
haben gesagt, die terroristische Bedrohung werde nicht
größer . Doch! Schauen Sie sich an, wie viele Menschen,
wie viele Unbeteiligte gestorben sind – da kann man die
Zahlen der USA oder die Zahlen von NGOs nehmen; das
ist egal –, und schauen Sie sich an, was in Pakistan, in So-
malia und mitten in Afrika – in Ländern, denen niemand
den Krieg erklärt hat – passiert . Diese Drohnenangriffe,
bei denen so viele Zivilisten getötet werden, entwickeln
sich für terroristische Wortführer und Hetzer zur Rekru-
tierungserzählung . Diese Angriffe führen dazu, dass sich
in diesen asymmetrischen Konflikten mehr Menschen
auf die Seite des Terrors stellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Deswegen meine dringende Aufforderung an Sie: Tun
Sie alles, damit das beendet wird! Das ist nicht nur im

Sinne des Völkerrechts – wir dürfen keine völkerrechts-
widrigen Operationen von unserem Grund aus erlau-
ben –,


(Beifall der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


sondern auch in unserem Sicherheitsinteresse . Denn was
dadurch passiert, ist, dass der Terror auf der Welt mehr
Zulauf bekommt . Deswegen: Beenden Sie das!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820909300

Anita Schäfer hat als nächste Rednerin für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1820909400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Als Abgeordnete für Ramstein bin ich
mit der Art vertraut, mit der die Linke die diskutierte
Funktion des Stützpunktes bei amerikanischen Droh-
neneinsätzen immer mal wieder öffentlichkeitswirksam
in Szene zu setzen versucht . So haben die Kollegen Sahra
Wagenknecht und Alexander Ulrich im letzten Sommer
vor den Toren der Basis demonstriert,


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Es waren noch mehr! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Genau! Richtig so!)


nachdem sie angeblich keine Antwort auf ein Schreiben
bekommen hatten, wonach sie sich auf dem Gelände über
die Rolle Ramsteins bei Drohneneinsätzen informieren
wollten . Zu dieser Zeit war allerdings bereits ein Besuch
des Verteidigungsausschusses geplant, der wenig später,
im Oktober dieses Jahres, stattfand; aber das war viel-
leicht nicht schlagzeilenträchtig genug . Herr Dr . Neu,
auch Sie waren ja mit dem Verteidigungsausschuss in
Ramstein zugegen und wurden aufgeklärt .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Ich bin häufiger da!)


Die Anziehungskraft Ramsteins für Proteste ist über-
haupt bemerkenswert . Dagegen hat es zum Beispiel lan-
ge gedauert, bis es erst kürzlich die erste vergleichsweise
bescheidene Demonstration gegen den Syrien-Krieg vor
der russischen Botschaft gegeben hat .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Waren Sie denn dort?)


Ich habe den Verdacht: Bestünde die Vermutung, dass die
Bombardierung Aleppos über Deutschland unterstützt
würde, wäre das Schweigen ohrenbetäubend .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor diesem Hintergrund muss man auch den Titel
dieser Aktuellen Stunde betrachten: Haltung der Bun-
desregierung zur deutschen Beteiligung am völkerrechts-
widrigen US-Drohnenkrieg über die Relaisstation Ram-

Jürgen Trittin

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620882


(A) (C)



(B) (D)


stein . Dazu möchte ich feststellen: Es gibt erstens keinen
völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg und zweitens keine
deutsche Beteiligung daran .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Es gibt auch keine Drohnen, oder? – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, ja! Das ist postfaktisch, was Sie da sagen! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ach, das ist doch abenteuerlich! – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Da sagen Sie aber die Unwahrheit!)


Wenn Sie schon von einem Krieg, also einem bewaff-
neten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts,
ausgehen, ist der Einsatz von Drohnen darin nicht völker-
rechtswidrig . Auch ein unbemanntes Waffensystem ist
nur ein Waffensystem wie andere auch . Natürlich kann
es – genau wie andere Waffensysteme – auf völkerrechts-
widrige Weise eingesetzt werden .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das wird es ja auch!)


Aber die Amerikaner selbst haben im Sommer dieses
Jahres die Regeln veröffentlicht, nach denen sie Ziele
für Drohnenangriffe auswählen und diese angreifen, ein-
schließlich der Berücksichtigung rechtlicher Grundlagen .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die haben ja auch immer gesagt, dass sie die Kanzlerin nicht abhören! – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Und das glauben Sie? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die machen Sie sich zu eigen, Frau Schäfer? – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Sonst würde ich es nicht sagen .

Man kann immer überprüfen, ob ein einzelner An-
griff den Regeln des Völkerrechts entsprochen hat, ein-
schließlich der Frage, ob er tatsächlich im Rahmen ei-
nes bewaffneten Konflikts stattgefunden hat. Aber noch
einmal: Der Einsatz von Drohnen an sich ist eben nicht
völkerrechtswidrig .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Es kommt auf den Zweck an!)


Auch die Weiterleitung von Daten über Ramstein stellt
keine deutsche Beteiligung dar . Nur weil Daten durch
Deutschland fließen, ist Deutschland nicht an der Opera-
tion beteiligt, für die sie verwendet werden, noch berührt
das unbedingt deutsches Recht . Andernfalls müssten wir
uns in unserer vernetzten Welt mit allen Vorgängen be-
fassen, bei denen das Internet eine Rolle spielt und Daten
über deutsche Knotenpunkte fließen.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das wär mal was!)


– Das wäre was . – Sie wissen natürlich auch, dass zwei
verschiedene Gerichte einschließlich des Bundesverwal-
tungsgerichts in diesem Jahr verneint haben, dass die
Bundesregierung zur Überwachung der Völkerrechts-
konformität von Drohneneinsätzen verpflichtet ist, die
möglicherweise über Ramstein gesteuert werden . Beide
haben sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfas-

sungsgerichts bezogen, wonach der Regierung bei der
Erfüllung ihrer Pflicht zum Schutz des Lebens auf dem
Gebiet der Außen- und Verteidigungspolitik ein weiter
Entscheidungsspielraum zusteht .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Aber keine Rechtsbrüche!)


Allerdings hat diese Koalition im Koalitionsvertrag
klargestellt, dass wir extralegale, völkerrechtswidrige
Tötungen mit bewaffneten Drohnen kategorisch ableh-
nen,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann machen Sie doch was!)


wobei sich das zunächst auf jetzige und künftige deut-
sche Politik bezieht, aber natürlich eine grundsätzliche
Haltung ist .

Aber unsere amerikanischen Partner sind dem Völker-
recht ebenso verpflichtet wie wir,


(Zurufe von der LINKEN)


und sie haben wiederholt versichert, bei der Nutzung ih-
rer Einrichtungen in Ramstein deutsches und internatio-
nales Recht zu achten,


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


wie es ja unter engen Verbündeten auch selbstverständ-
lich ist . Uns verbinden schließlich Jahrzehnte vertrauens-
voller Zusammenarbeit für die gemeinsame Sicherheit,
und ich denke, das können Sie nicht abstreiten .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Doch! NSA!)


Natürlich wird die Linke weiter von Völkerrechtswid-
rigkeit und deutscher Beteiligung reden . Nur: Richtiger
wird es nicht .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Thomas Hitschler [SPD])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820909500

Als nächster Redner spricht Dr . Brunner für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1820909600

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-

men und Herren! Wenn wir heute in der Aktuellen Stun-
de des Bundestags über das amerikanische Drohnen-
programm sprechen, dann sollten wir dies beim Namen
nennen und nicht Ramstein als Medium nutzen für Dinge
wie den Austritt aus der NATO, den Austritt aus Bündnis-
sen und die Aufkündigung der deutsch-amerikanischen
Freundschaft . Wir sollten das nicht „Ramstein“ nennen .

Um was geht es denn heute? Was haben wir heute
diskutiert? Was bewegt uns heute? Es bewegen uns die
extralegalen gezielten Tötungen von Menschen, Tö-
tungen außerhalb von Regionen bewaffneter Konflikte,
Tötungen außerhalb von Rechtsstaatlichkeit, außerhalb

Anita Schäfer (Saalstadt)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20883


(A) (C)



(B) (D)


des Kriegsvölkerrechts . Dabei geht es um Unrecht, um
Unrecht in der Form, dass der Verdacht, sich in terroris-
tischen Organisationen zu engagieren, als ausreichend
angesehen wird, und vor allem um Unrecht, bei dem
häufig – ja, sogar sehr oft – Zivilisten betroffen sind. Das
ist Unrecht . Das muss unter Freunden, auch den ameri-
kanischen, ganz klar und deutlich gesagt werden . Das ist
normal .

Deshalb hat die Bundesregierung dieses Thema – und
hier sind wir wieder bei Ramstein – wiederholt und be-
harrlich und nicht nur, weil im Koalitionsvertrag steht:
Extralegale Tötungen sind ausgeschlossen, gegenüber
den US-amerikanischen Behörden auch angesprochen .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Oh!)


Ende August, verehrte Kolleginnen und Kollegen auch
von den Linken, wurden die neuen Informationen seitens
der Amerikaner übermittelt . Sie wurden unmittelbar auch
an die Obleute weitergegeben, sodass diese informiert
und umfassend in Kenntnis gesetzt sind .

Es ist nicht meine Aufgabe als Abgeordneter, aber
bei ordnungsgemäßer Information weiß man dies: Die
deutsche Regierung fordert weiterhin die Einhaltung
deutschen Rechts, unseres Grundgesetzes, in Ramstein
ein . Die Vereinigten Staaten haben, zumindest bis zum
heutigen Zeitpunkt, erklärt, dass sie deutsches Recht in
Deutschland auch anwenden, und das ist für uns Grund-
lage .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das stimmt doch gar nicht! Das ist doch unwahr!)


Damit wären wir beim Thema Ramstein . Ich möchte
aber sagen: Das größte Problem der Logik des US-Droh-
nenprogramms und der sogenannten Targeted Killings ist
nicht der Ort – Ramstein –, von wo sie gesteuert werden,
sondern das ist die Tatsache, dass sich das Relais überall
auf dieser Welt befinden kann.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist eine Ausrede!)


Ist es heute nicht Ramstein, so ist es übermorgen Tim-
buktu oder irgendein anderer Ort dieser Welt .


(Zuruf des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


Meine Kolleginnen und Kollegen, legen Sie sich
nicht auf Ramstein fest . Das Problem ist die räumliche
und zeitliche Entgrenzung von Kriegen, der permanente
Selbstverteidigungsfall im Kampf gegen den Terroris-
mus und das Schaffen gefährlicher Präzedenzfälle der
Kriegsführung für künftige Generationen .

Deshalb haben wir als SPD-Mitglieder des Unteraus-
schusses Abrüstung bereits im vergangenen Sommer ein
Positionspapier erarbeitet, das fordert, dass die Praxis der
extralegalen Tötungen nicht nur beseitigt, sondern durch
das deutsche Parlament, den obersten Souverän, auch ge-
ächtet wird, damit das Thema in die internationale De-
batte eingespeist wird . Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union, ich habe die Bitte, dass Sie sich unserem
Papier möglichst schnell anschließen, damit wir in die

entsprechenden Diskussionen auf internationaler Ebene,
in der Europäischen Union und in den Vereinten Nati-
onen, eintreten können, um extralegale Tötungen auch
weltweit zu ächten .


(Beifall des Abg . Andrej Hunko [DIE LINKE])


Es geht nicht primär um Ramstein und um die Fra-
ge, die wir hier im Hause diskutieren, sondern es geht
letztendlich um Recht, Anstand und Menschenwürde;
denn werden Drohnen, gleich welcher Art, gesteuert und
außerhalb von Kriegsgebieten eingesetzt, bedeutet dies
nicht nur traumatisierte Opfer und dauernd in Angst le-
bende Menschen, sondern auch einen ständigen Bruch
unseres Völkerrechts .

Ich glaube, dass Drohnen niemals Kriege befrieden
und dass sie auch niemals zur Selbstverteidigung im Sin-
ne von Artikel 51 der UN-Charta genutzt werden können
und dürfen . Das wäre nämlich falsch . Damit würden wir
nur der Logik der Terroristen folgen .

Deshalb werbe ich dafür, dass wir in diesem Hohen
Hause als hoher Souverän extralegale Tötungen noch in
dieser Legislaturperiode gemeinsam ächten und dies in
den internationalen Prozess einspeisen, womit wir sie an
der Wurzel bekämpfen und wir nicht an den Symptomen
herumdoktern würden .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was wollen Sie konkret?)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820909700


Florian Hahn hat als nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1820909800


Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Schon der Titel Ihrer Aktuellen Stunde – ursprüng-
lich lautete er sogar „Beteiligung am völkerrechts-
widrigen US-Drohnenkrieg“ – zeigt, worauf es Ihnen
ankommt, nämlich auf das Kochen einer großen, trüben
Drohnensuppe, in der alles mit allem vermischt wird –
Hauptsache, am Ende riecht es übel und die USA sind an
allem schuld . In Ihrer schlichten Weltsicht gilt: Drohne
plus USA ist gleich böse .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie sind schuld und verantwortlich!)


Es geht Ihnen eigentlich nicht um Ramstein oder
Drohnen, sondern um Antiamerikanismus pur, und es
geht Ihnen nicht um das Recht – weder um das deutsche
noch um das Völkerrecht .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von was reden Sie da?)


Dr. Karl-Heinz Brunner

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620884


(A) (C)



(B) (D)


Genau dieser Ansatz ist aber fatal . Das Völkerrecht ist ei-
nes der Fundamente der freiheitlichen Weltordnung, ein
Maßstab, auf den sich alle geeinigt haben .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)


Es ist Ausdruck der kondensierten Erfahrungen aus Jahr-
hunderten von Krieg und Elend . Mit dem pauschalisier-
ten, instrumentalisierten, ja, schlampigen Gebrauch ent-
werten Sie diese fundamentalen Normen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir halten fest: Herr Hahn findet Rassismus gut und Sexismus gut! Das ist so unterirdisch!)


Wir müssen präzisieren und den Einzelfall genau be-
trachten . Daher darf eben nicht alles, was mit Drohnen zu
tun hat, in einen Topf geworfen werden . Auf Differenzie-
rung dürfen wir nicht verzichten . Was steht also in Rede?
Eine angebliche deutsche Beteiligung am US-Drohnen-
krieg .

Die Bundesregierung und die Vorredner der Koalition
haben darauf hingewiesen: Die USA haben wiederholt
bestätigt, dass Drohneneinsätze der von Ihnen beschrie-
benen Art von Ramstein weder gestartet noch gesteuert
werden .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Behauptet auch niemand!)


Allerdings nutzen die USA bei den Drohneneinsätzen
von anderen Einsatzorten aus unter anderem auch die
Relaisstation in Ramstein zum Datentransfer und gege-
benenfalls für bestimmte Planungs-, Überwachungs- und
Auswertungsaufgaben . Zu Einzelfragen solcher Einsätze
ist die Bundesregierung mit der US-Regierung im inten-
siven Gespräch .

Die USA haben zugesichert, dass die Aktivitäten der
US-Militärbasis in Deutschland in Übereinstimmung mit
geltendem Recht erfolgen . Bis zur näheren Klärung ver-
trauen wir auf diese Zusicherung .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch! Darauf dürfen wir nicht vertrauen!)


Gespräche und Vertrauen sind der einzig richtige Weg,
wie man mit dem engsten Verbündeten umgeht, der uns
70 Jahre lang geholfen hat, unsere Freiheit zu bewahren .

Die Tatsache, dass die USA die amerikanische Mi-
litärinfrastruktur in Deutschland zum Datentransfer
für Drohnenoperationen nutzen, ist allein ohnehin kein
Grund für Kritik . Einsätze unbewaffneter oder bewaffne-
ter Drohnen sind eben nicht per se rechtswidrig . Bei Ein-
sätzen in bewaffneten Konflikten müssen wir vielmehr
sauber unterscheiden . Wie jede Waffe, zum Beispiel ein
Schweizer Taschenmesser, kann auch eine bewaffnete
Drohne rechtswidrig eingesetzt werden: bei Angriffen
auf unzulässige Ziele, unter Vernachlässigung des Schut-
zes der Zivilbevölkerung oder zur ungerechtfertigten Tö-
tung außerhalb bewaffneter Konflikte.

Sie kann aber auch rechtmäßig angewendet werden:
im Kriegsgebiet gegen militärische Gegner, ohne unnö-

tiges Leiden zu verursachen oder Zivilisten zu treffen .
Auch eine Drohne kann differenzierend nur gegen Kom-
battanten eingesetzt werden .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Zivilisten sind denn dabei umgebracht worden?)


Sie kann das Exzessverbot wesentlich besser beachten
als andere Waffensysteme . Drohnen haben zudem die
Möglichkeit, stundenlang über dem Einsatzgebiet zu flie-
gen und mit Kameras die Umstände vor Ort genau zu be-
obachten . Erst wenn klar ist, dass sich nur Militärisches
im Zielgebiet befindet, kann der Einsatzbefehl gegeben
werden. Das macht Drohnen gegenüber Kampfflugzeu-
gen oder Artillerie deutlich überlegen . Durch präzisere
Luftschläge sinkt das Risiko für die Zivilbevölkerung .

Auch die gezielte Tötung bestimmter Personen kann
in bewaffneten Konflikten rechtmäßig sein. Es bleibt
also die entscheidende Frage zu klären, welche Art von
Einsätzen in Rede steht . Drohneneinsätze pauschal zu
verurteilen, ist absurd . Sie sollten noch einmal die Ent-
wicklung der amerikanischen Drohneneinsätze genau
betrachten .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Tun wir doch!)


Ihr Bild entspricht schon lange nicht mehr der Realität .
Die Zahl der Drohnenangriffe ist in den letzten Jahren
stark zurückgegangen, ebenso wie die Zahl ziviler Opfer .
Das zeigen die vorliegenden Daten, und das bestätigen
auch NGOs .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gegenteil ist richtig!)


Die USA haben sich unter Präsident Obama entschie-
den, den Einsatz von Drohnen zunehmend strikteren, am
Völkerrecht ausgerichteten Regeln zu unterwerfen und
transparenter zu machen . Die neuen Grundsätze der USA
für den Drohneneinsatz sind allgemein zugänglich . Sie
sollten sie noch einmal intensiv lesen .

Wenn es also um die Bereitstellung militärischer In-
frastruktur in Deutschland geht, so sollten wir den USA
klarmachen: Wir sind dazu bereit, wenn es um völker-
rechtskonforme Einsätze geht . Ich sehe die Bundesregie-
rung hier auf einem guten Weg .

Abschließend möchte ich Ihnen noch sagen: Die Vor-
stellung, man könne dem Terror nur mit einem Stuhlkreis
und ohne Gewalt begegnen, ist aus meiner Sicht reichlich
naiv und gefährlich .


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat das jemand gesagt? – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das sagt niemand!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820909900

Roderich Kiesewetter hat jetzt als Redner für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Florian Hahn

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20885


(A) (C)



(B) (D)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1820910000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende die-
ser doch sehr ernsthaft geführten Debatte liegen mir drei
Dinge am Herzen, die es zur weiteren Einordnung des
Themas anzusprechen gilt . – Es ist erstaunlich, dass Sie
jetzt verstummen, Sie haben ja recht laut begonnen auf
der linken Seite .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir hören Ihnen zu!)


– Das freut mich, das ist auch notwendig .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir machen nur Zwischenrufe, wenn es nötig ist!)


Es ist nichts Neues, worüber wir heute sprechen .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Für die Bundesregierung ist es neu!)


Die Antworten der Bundesregierung, die sie in der Fra-
gestunde vor 14 Tagen gegeben hat, sind auch für das
Parlament nichts Neues .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum darf der Roth dann heute nicht reden? Er hat einen Maulkorb!)


Erster Aspekt . Im August hat die Bundesregierung In-
formationen der Vereinigten Staaten von Amerika erhal-
ten und die Obleute des Auswärtigen Ausschusses unmit-
telbar im September informiert . – Völlig richtig, zeitnah
und angemessen . Nur: Wieso kam es dazu?


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Weil wir nachgefragt haben!)


Das ist dem jahrelangen Engagement der Bundesregie-
rung über mehrere Legislaturperioden hinweg zu verdan-
ken, die auf die Amerikaner eingewirkt hat, Informatio-
nen über diese Thematik weiterzugeben .

Ein zweiter Aspekt ist für mich ganz entscheidend .
Genau am 1 . Juli dieses Jahres hat der US-Präsident eine
Weisung erlassen, in der er deutlich macht, wie im Droh-
nenkrieg künftig vorzugehen ist . Zugleich hat er einen
Bericht angefordert, der nun jedes Jahr im Frühjahr die
Öffentlichkeit, aber auch den amerikanischen Senat und
den Kongress über die zivilen Opfer des Drohnenkrieges
bzw . über die entstandenen Kollateralschäden informie-
ren soll .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Monitoring!)


Die US-Regierung hat diesen Bericht gemeinsam mit
Nichtregierungsorganisationen entwickelt .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Amerikanische NGOs!)


Ich denke, auch das ist der internationalen Diplomatie
und dem Wirken der Bundesregierung in einem gewissen
Maße zu verdanken . Das sollten wir honorieren .

Ein dritter Aspekt . Unsere Bundeskanzlerin hat am
9 . November dieses Jahres unmittelbar nach den Wahlen
dem neuen, designierten US-Präsidenten nicht nur gra-
tuliert, sondern sehr klar die Wertebasis angesprochen,

auf der die US- und deutsche Partnerschaft beruht . Diese
Partnerschaft ist nicht nur für Deutschland, sondern ge-
wiss auch für die USA unverzichtbar . Sie gründet auf den
Menschenrechten und auf gegenseitiger Wertschätzung .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Die Opfer freuen sich über diese Aussage!)


Wesentlich ist hierbei, dass die Bundeskanzlerin ge-
nau darauf verwiesen hat, und wir werden auch als Koali-
tion die neue US-Regierung an dem messen, was die alte
Administration entschieden hat . Deshalb bin ich sehr zu-
versichtlich, dass die USA – weil sie in ihrer Politik des
Ausgleichs auch weltweite Unterstützung benötigen – in
Zukunft sehr große Aufmerksamkeit für dieses sensible
Thema aufbringen werden .

Lassen Sie mich deshalb abschließend darauf verwei-
sen, dass die USA im Jahr 2007 die Einsatzregeln des
Drohnenkrieges aufgrund der Ereignisse in Afghanistan
erheblich verschärft haben .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es sind immer mehr geworden! Es sind inzwischen zehnmal so viele wie am Anfang!)


Sie von der Opposition sollten sich lieber darüber infor-
mieren, statt ständig Ihr Schema zu wiederholen . Das
wird dadurch nicht besser, lieber Herr Ströbele .

Da wir heute über unsere Alliierten in Deutschland
sprechen, möchte ich an dieser Stelle auch sehr klar den
US-amerikanischen Soldaten und ihren Angehörigen in
Deutschland Danke sagen, dass sie fern der Heimat einen
guten und notwendigen Dienst für die Sicherheit leisten,
der nicht immer einfach ist, auch nicht in Ramstein .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820910100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Ak-

tuelle Stunde .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent-
wurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des
Conterganstiftungsgesetzes

Drucksache 18/10378

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13 . Ausschuss)


Drucksache 18/10670

Zu diesem Gesetzentwurf liegen ein Änderungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie zwei Ent-
schließungsanträge der Fraktion Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620886


(A) (C)



(B) (D)


Ich eröffne die Debatte . Als erste Rednerin hat die Par-
lamentarische Staatssekretärin Frau Marks das Wort . –
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, sich zügig zu
setzen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


C
Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1820910200


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Contergan
steht für einen der schlimmsten Medizinskandale in der
Bundesrepublik . Durch dieses thalidomidhaltige Schlaf-
mittel, nicht geprüft auf seine Auswirkungen auf Föten,
sind Kinder mit unterschiedlich schweren Missbildun-
gen, vor allem an den Gliedmaßen, geboren worden . Das
Leben mit diesen Schädigungen und auch die Bewälti-
gung des Alltags sind und bleiben alles andere als leicht .

Der Staat hat Verantwortung gezeigt, die Contergan-
stiftung eingerichtet und die ursprünglich von der Firma
Grünenthal eingebrachten Mittel mehrfach aufgestockt,
vor allem in den letzten Jahren durch Beschlüsse des
Parlaments . Die Conterganstiftung gewährt Kapitalent-
schädigungen, seit 2013 deutlich verbesserte Conter-
ganrenten und, ebenfalls seit 2013, neue Leistungen für
die spezifischen Bedarfe. Das war auch dringend nötig.
Denn bei Contergangeschädigten machen sich jetzt, nach
über 50 Jahren, die körperlichen Überlastungen und Ver-
schleißerscheinungen deutlich bemerkbar .

Viele Contergangeschädigte haben beispielsweise
Mund und Gebiss für Tätigkeiten nutzen müssen, für die
wir Arme und Hände gebrauchen . Die Folge sind Schä-
digungen im Schulter- und Nackenbereich, aber auch
starke Schmerzen und Abnutzung der Zähne. Häufig sind
spezielle Therapien sowie eine kieferorthopädische Be-
handlung des Gebisses notwendig .

Hier sollten die Leistungen für spezifische Bedarfe
helfen . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die dies-
jährige Evaluation des Gesetzes hat aufgezeigt, dass die
Leistungen nicht so bei den Betroffenen ankommen wie
gewünscht und auch wie nötig . Das Antragsverfahren ist
zu kompliziert, und viele Bedarfe sind nicht optimal ab-
gedeckt . Bis Ende 2015 wurden erst 5 Millionen Euro
abgerufen .

Es geht darum, dass die Geschädigten die Hilfen er-
halten, die für sie vorgesehen sind und die sie auch brau-
chen . Daher freue ich mich, dass die Empfehlungen des
Evaluationsberichtes umgesetzt werden . Ab dem 1 . Janu-
ar 2017 wird es zu einer Pauschalierung der Leistungen
für spezifische Bedarfe kommen. Die Pauschalierung
folgt auch dem Wunsch der Betroffenen . Die jährlichen
Pauschalen richten sich nach dem Grad der Beeinträchti-
gung . Damit sorgen wir für eine gerechte Verteilung der
Mittel und für eine weitgehende Gleichbehandlung aller
Betroffenen . Der Sockelbetrag kommt allen zugute, den
geringer Geschädigten in besonderer Weise . Die Pau-
schalen sind so gestaltet, dass die Betroffenen sie eigen-
verantwortlich verwenden können . Es wird keine Einzel-
fallprüfung mehr geben . Das spart Bürokratie . Aber was
viel wichtiger ist: Wir entlasten die Betroffenen, und die

Hilfen für spezifische Bedarfe kommen umfänglich bei
ihnen an .

Während der Beratungen über diesen Gesetzentwurf
war auch die Struktur der Stiftung ein Thema . Für eine
Veränderung wollen wir uns die Zeit nehmen, die für ein
solches Vorhaben notwendig ist . Als Grundlage dafür
wollen wir in Abstimmung mit dem Stiftungsvorstand
und dem Stiftungsrat ein Gutachten in Auftrag geben,
das die Stiftungsstruktur analysiert . Ich möchte mich an
dieser Stelle herzlich bei den Koalitionsfraktionen für
den guten Gesetzentwurf und die notwendige Weiterent-
wicklung der Hilfen für Contergangeschädigte bedanken .
Mein besonderer Dank geht an den Stiftungsvorstand für
seine engagierte und ehrenamtliche Arbeit im Sinne der
Betroffenen . Ebenfalls bedanke ich mich beim Stiftungs-
rat . Es ist auch dem Wirken der Stiftung zu verdanken,
dass die spezifischen Bedarfe nun zu einer wirklichen
Hilfe, die bei den Betroffenen ankommt, weiterentwi-
ckelt wurden . Dafür herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820910300

Als nächste Rednerin hat Katrin Werner für die Frak-

tion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Werner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820910400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wir beraten heute ab-

schließend über den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Conterganstiftungsgesetzes . Ich möchte
mit einem Zitat beginnen:

Der Conterganskandal ist einer der größten Ge-
sundheitsskandale in Deutschland und hatte Aus-
wirkungen auch auf viele andere Länder in der
Europäischen Union . Ich will hier vor allem an die
zahlreichen Opfer erinnern, die jetzt meist in den
50er-Jahren sind .

Ein Stück weiter heißt es:

Viele von ihnen wurden nach mühevollem und
jahrelangem Kampf entschädigt . Andere haben bis
heute nur wenig Unterstützung erfahren, und gerade
diese Opfer dürfen wir nicht vergessen .


(Beifall im ganzen Hause)


Es steht außer Frage, dass mein Heimatland
Deutschland bei der Aufarbeitung des Skandals eine
nicht ganz rühmliche Rolle gespielt hat und daher
auch eine Verantwortung mitträgt .

Dieses Zitat stammt aus der Rede, die Ihre Kollegin
Susanne Melior, meine Damen und Herren von der SPD,
gestern Abend im Europäischen Parlament gehalten
hat . Hier ist Europa wieder ein Stück weiter als wir in
Deutschland .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20887


(A) (C)



(B) (D)


Natürlich haben wir große Fortschritte erreicht, zum
Beispiel mit der von den Betroffenen geforderten Pau-
schalisierung . Aber dabei wurden andere Fragen verges-
sen, zum Beispiel die Fragen nach den Hinterbliebenen
und der Höhe der Pauschalisierung . Die nun festgelegten
Beträge reichen zum Teil nicht für einen auskömmlichen
Ausgleich aus . Wenn man sich etwas nicht leisten kann,
braucht man eine Kapitalisierung . Angesichts des Alters
der Betroffenen, die früher Kinder waren und heute an
die 50 oder älter sind, stellt sich die Frage, ob sie über-
haupt noch Kredite aufnehmen können . All diese Fragen
sind nicht beantwortet .

Angesichts der Tatsache, dass die Betroffenen am
Anfang des Skandals jahrelang kämpfen mussten, ist die
Einsetzung einer Historikerkommission notwendig, die
diesen Skandal richtig aufarbeitet .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich vermute, dass viele von Ihnen, die sich mit diesem
Thema befassen, im September den Film Der geheime
Deal – Die dunkle Geschichte des Contergan-Skandals
auf WDR gesehen haben . Wer den Film gesehen hat,
weiß, dass noch viele Fragen offen sind . Diese sollten
schleunigst beantwortet werden . Bevor man aber eine
Historikerkommission einsetzt – natürlich unter Betei-
ligung der Betroffenen –, sollte nicht die Aufarbeitung
durch eine Landesregierung, sondern eine Entschuldi-
gung dieses Hauses an erster Stelle stehen .


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Ja, der Änderungsantrag hat viel vorangebracht, und
auch die Tatsache, dass die Strukturfrage getrennt be-
handelt wird, hat viel geändert . Wir werden uns trotz-
dem enthalten, weil ich glaube, dass wir an den Anfang
zurückgehen müssen, um zu verstehen, woher diese
geballte Ladung an Frust kommt . Erst dann kann man
verstehen, warum die Arbeitsweise und die Struktur das
Problem sind. Ich finde, die Strukturfrage ist nicht ganz
herausgelöst worden .

Wir haben zwei Entschließungsanträge eingebracht .
In einem dieser Anträge gehen wir auf die Struktur ein
und fordern, dass Mediatoren eingesetzt werden, um den
Prozess voranzubringen . Man muss sich schon mit der
Frage auseinandersetzen, wem die Stiftung gehört . Die
Betroffenen haben das Gefühl, dass das ihre Stiftung ist .
Wenn man auf die Geschichte zurückblickt, dann sieht
man, dass sich Eltern heute teilweise Vorwürfe machen,
dass sie diesen Deal eingegangen sind . Insofern muss
man Verständnis für den Wunsch haben, dass diese Stif-
tung den Betroffenen gehören soll . Wir als Vertreter von
Parteien sind gewohnt, dass einem dann etwas gehört,
wenn man die Mehrheit hat. Wir müssen Wege finden,
wie man die Betroffenen mitnehmen und ihnen diese
Mehrheit verschaffen kann .

Um noch einmal auf das Europäische Parlament zu-
rückzukommen: Die Frage hat auch eine internationale
Komponente, sie ist auch europäisch . Daher fordern wir
in unserem Antrag die Erstellung einer wissenschaftli-

chen Studie . Darin soll untersucht werden, wie man in
anderen europäischen Ländern mit den Opfern tatsäch-
lich umgeht . Immer wieder hören wir von einem jahre-
langen Kampf der Menschen, die jahrelang nicht wahr-
genommen werden. Sie befinden sich teilweise in einem
verbitterten Modus, den man aber auch verstehen muss .

Wir haben jetzt einen Schritt nach vorne gemacht,
dennoch enthalten wir uns, weil uns einige Aspekte feh-
len . Aber mein Appell ist, den weiteren Schritt nicht mit
einer Zweijahresstudie noch weiter in die Länge zu zie-
hen, sondern schnell eine solche Kommission einzurich-
ten und schnell Gespräche des Bundesgesundheitsmi-
nisteriums anzuberaumen . Im Europäischen Parlament
wurde gestern gesagt, dass man einen runden Tisch mit
dem Gesundheitsminister anstrebt . Da kann Deutschland
eine Vorreiterrolle einnehmen und dieses Gespräch vo-
rantreiben . Damit kann Deutschland ein Stück Aufarbei-
tung leisten .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820910500

Maik Beermann hat für die CDU/CSU-Fraktion jetzt

das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Maik Beermann (CDU):
Rede ID: ID1820910600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Werner,
das waren sehr versöhnliche Worte . Ich glaube, dass das
ein sehr besonderes Thema ist, ein Thema, das mit vie-
len Emotionen verbunden ist, bei dem es sich definitiv
nicht lohnt, dass Regierungsfraktionen und Opposition
sich darüber streiten . Wir sollten vielmehr versuchen, das
Bestmögliche auf den Weg zu bringen . Dazu habe ich die
Hoffnung .

In meinem Skript steht, dass ich mich freuen würde,
wenn auch die Opposition zustimmt . Sie haben schon ge-
sagt, dass es um die Struktur geht . Wenn wir noch das
eine oder andere auf den Weg bringen, dann bekommen
wir es vielleicht doch hin, dass wir gemeinsam einen Be-
schluss erwirken .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sie können sich schon freuen, dass wir nicht ablehnen!)


– Das finde ich auch gut, definitiv.

Mit dem Wort „Contergan“ – Frau Staatssekretärin
Marks hat es gesagt – verbindet jeder Einzelne von uns
den größten Arzneimittelskandal in Deutschland, dessen
Folgen bis heute das Leben der Betroffenen stark prä-
gen und auch weiter prägen werden . Es handelt sich um
die Kinder der Frauen, die in der Schwangerschaft ein
vermeintlich unbedenkliches Medikament einnahmen
und nach der Entbindung das schreckliche Ausmaß der
Auswirkungen dieses Präparates auf ihre Kinder erleben
mussten .

Katrin Werner

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620888


(A) (C)



(B) (D)


Diese Kinder von damals sind heute längst selbststän-
dige erwachsene Menschen, und für ihre Selbstständig-
keit kämpfen die Betroffenen jeden einzelnen Tag . Es
ist für mich persönlich unvorstellbar, mit welch einer
schweren Last die Betroffenen, sowohl mit der physi-
schen Belastung und den täglichen Hürden als auch mit
den tief sitzenden psychischen und emotionalen Eindrü-
cken, umgehen . Unvorstellbar ist auch, wie das Leben
jedes Einzelnen und auch das der Angehörigen durch die
Einnahme eines Medikaments, zum Teil auch nur durch
eine einzige Tablette, so stark beeinflusst wurde und vor
allen Dingen bis zum Lebensende beeinflusst wird.

Geschädigte erzählen mir von Problemen im Alltag .
Dinge, die für uns alle selbstverständlich sind, stellen
für sie täglich eine große Herausforderung dar . Vielen ist
nicht bewusst, dass sich die Schädigungen eben nicht nur
auf die äußerlichen Bereiche beschränken lassen; nein,
auch Schädigungen der inneren Organe, Gehörlosigkeit,
aber auch Zeugungs- und Empfängnisunfähigkeit haben
einen immensen Einfluss auf die Lebensgestaltung und
die Lebensqualität .

Die Betroffenen mussten für das, was sie bis heute
erreicht haben, lange kämpfen . Vor diesem Hintergrund
war es uns auch wichtig, das vorliegende Gesetz, das
wesentliche Erleichterungen für die Betroffenen ab 2017
bringt, noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen, also
zu beschließen . Das sind wir den Betroffenen schuldig .
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch genau un-
sere Aufgabe .

Vor 45 Jahren, genau: am 12 . Dezember 1971, wurde
erstmals mit dem Gesetz über die Errichtung einer Stif-
tung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ versucht, den
Conterganskandal aufzuarbeiten . 37 Jahre später, im Jahr
2008, wurde das Errichtungsgesetz erstmals geändert .
Dies wurde damals allerdings reinweg auf die Rentener-
höhung beschränkt .

Durch ein Zweites Gesetz zur Änderung des Con-
terganstiftungsgesetzes wurde einhergehend mit einer
Reduktion der Stiftung auf ausschließlich conterganop-
ferspezifische Leistungsempfänger eine Verkleinerung
vorgenommen . Die 2013 erfolgte dritte Änderung des
Conterganstiftungsgesetzes wird von den Betroffenen
selbst als Paradigmenwechsel im Umgang mit den Con-
terganbetroffenen beschrieben . Ab dem 1 . Januar 2013
wurden zusätzlich 120 Millionen Euro zur Verfügung
gestellt . Die Conterganrente wurde im Höchstsatz von
1 555 Euro auf 6 912 Euro angehoben . Das ist eine Ver-
sechsfachung . Zusätzlich wurden Leistungen zur De-
ckung spezifischer Bedarfe – Frau Staatssekretärin ist
darauf eingegangen – in Höhe von 30 Millionen Euro
jährlich bereitgestellt .

Für diesen Meilenstein und diesen Einsatz möchte ich
mich persönlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen
ganz herzlich bedanken, die in der letzten Wahlperiode
daran gearbeitet haben . Ein herzliches Dankeschön! Das
war, glaube ich, ein wichtiger und guter Schritt in Rich-
tung der Betroffenen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit den geplanten Neuregelungen möchten wir weite-
re Verbesserungen für die rund 2 700 betroffenen Men-
schen in unserem Land erreichen . Wir setzen damit zügig
die Ergebnisse der Evaluation um, die insbesondere die
Effizienz des Verfahrens zur Gewährung von Leistungen
für spezifische Bedarfe berücksichtigt. Ab 2017 sind die
Betroffenen nicht mehr auf die Bewilligung ihrer Anträ-
ge, der ein bürokratisches und umständliches Antragsver-
fahren vorgeschaltet war, angewiesen . In den drei Jahren
wurden von den jährlich 30 Millionen Euro, die zur Ver-
fügung gestellt wurden, pro Jahr zum Teil nicht einmal
2,5 Millionen Euro abgerufen . Das zeigt eben auch, in-
wieweit dieser Änderungsbedarf vorhanden ist .

Künftig werden die vorgesehenen Mittel für die Leis-
tung, für spezifische Bedarfe unkompliziert und pauschal
den Betroffenen zur Verfügung gestellt . Jeder vom Ge-
setz erfasste Contergangeschädigte erhält im Jahr einen
Sockelbetrag in Höhe von 4 800 Euro, unabhängig da-
von, wie stark seine Schädigungen nach Schadenspunk-
ten eingestuft sind . Die darüber hinaus vorgesehenen
Mittel werden nach Schadenspunkten pauschal ausge-
schüttet . So beträgt die Restpauschalierung pro Jahr zwi-
schen 876 Euro bei niedrigbepunkteten Betroffenen und
9 900 Euro bei den höchstbepunkteten .

Mit der vorgesehenen Pauschalierung wird eine an-
nähernd gerechte Verteilung zwischen den Contergan-
geschädigten mit geringeren und mit höheren Scha-
denspunkten ermöglicht . Wir wollen mit diesem Gesetz
den Betroffenen Unabhängigkeit und die Möglichkeit
zurückgeben, selbst zu entscheiden, welche Leistungen
sie brauchen und was ihnen in ihrer ganz individuellen
Situation am meisten hilft und guttut . Dass wir mit die-
sen Regelungen den richtigen Weg gehen, hat auch die
öffentliche Anhörung Ende November gezeigt .

Gleichzeitig wollen wir erreichen, dass durch die Pau-
schalierung freiwerdende Kapazitäten zielgenau da ein-
gesetzt werden, wo Bedarf besteht . Die Geschäftsstelle
der Conterganstiftung soll Betroffenen zukünftig zielge-
nau bei der Beratung und Durchsetzung von Ansprüchen
gegen andere Kostenträger beraten und unterstützen .
Aber auch der Aufbau medizinischer Kompetenzzentren
steht auf der Agenda . Die entsprechenden Anforderungs-
profile für diese Kompetenzzentren sind hierbei von der
Stiftung unter enger Beteiligung und Begleitung der Be-
troffenen zu entwickeln . Es ist auch mir persönlich wich-
tig, das so zu sagen .

Neben diesen wichtigen Punkten haben wir uns auch
der Haftungsfragen angenommen . Die Organmitglieder
sind ehrenamtlich tätig; da sind geregelte Verhältnisse
noch immer besonders wichtig . Mit dem von der Ko-
alition eingebrachten Änderungsantrag setzen wir die
Empfehlungen der Sachverständigen aus der öffentlichen
Anhörung um; denn in dieser haben sich alle Sachver-
ständigen klar dafür ausgesprochen, die Struktur der An-
fang der 70er-Jahre gegründeten Stiftung umfassend zu
evaluieren .

Hier war es der ausdrückliche Wunsch, keine Schnell-
schüsse zu wagen, sondern sich mit Sorgfalt und Ob-
jektivität der Thematik zu widmen . Dieses auch für die
Union wichtige Anliegen, liebe Kolleginnen und Kolle-

Maik Beermann

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20889


(A) (C)



(B) (D)


gen, setzen wir mit dem Vierten Gesetz zur Änderung
des Conterganstiftungsgesetzes umfassend um . Inner-
halb von zwei Jahren wird die Bundesregierung einen
Bericht über die Auswirkungen dieses Gesetzes und eine
gegebenenfalls notwendige Weiterentwicklung vorlegen .
Der Bericht soll auch eine Evaluation der Struktur der
Stiftung enthalten . Wir haben uns allerdings darauf ver-
ständigt, dass dieser besondere Teil der Evaluation, Frau
Schulte, möglichst noch bis zum Ende der laufenden Le-
gislaturperiode vorliegen soll .

Unser aller Ziel muss sein, den Graben zwischen Mi-
nisterium, Stiftung und den Betroffenen zuzuschütten
und gleichzeitig Brücken zu bauen . Mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf gehen wir einen weiteren Schritt in
genau diese Richtung, um den Geschädigten weiterhin
ein selbstbestimmtes sowie verbessertes Leben zu er-
möglichen . Ich gehe sehr davon aus, dass dieses Gesetz
für die Betroffenen unser aller Zustimmung hier im Ho-
hen Haus findet. Wir haben es eben schon gehört: Mit ei-
ner Enthaltung ist das, denke ich, schon einmal gar nicht
so verkehrt .


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Ich sage: Wir machen uns auf den Weg . Entscheidend
ist, glaube ich, dass wir bei dieser sensiblen Thematik als
Parlament dicht beieinanderbleiben und uns vernünftig
abstimmen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, ein solcher Medikamen-
tenskandal darf sich natürlich nicht wiederholen . Weil
wir als Parlament hier eine wichtige staatliche Verant-
wortung übernommen haben, ist es auch unsere Aufga-
be, genau hinzuschauen und Unterstützung anzubieten .
Wenn wir uns einig sind, dass sich so etwas nicht wieder-
holen darf, dann möchte ich und muss ich in diesem Zu-
sammenhang auch das Stichwort „Duogynon“ erwähnen .
Lassen Sie uns auch hier etwas genauer hinschauen und
den Betroffenen die vielleicht notwendige Unterstützung
bei der Aufklärung anbieten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss . Ich bin persönlich dankbar, weil auch ich etwas
sehr Wichtiges von den contergangeschädigten Frauen
und Männern in den letzten zweieinhalb Jahren erfahren
durfte . Lassen Sie mich bitte kurz Thomas Edison zitie-
ren:

Unsere größte Schwäche ist das Aufgeben . Der si-
cherste Weg zum Erfolg besteht darin, immer wie-
der einen neuen Versuch zu wagen .

Sie – ich spreche jetzt persönlich die Conterganbetrof-
fenen an – sind wahre Kämpfer . Vor Ihrem Mut und der
unerschöpflichen Kraft, die Sie immer wieder aufbrin-
gen, habe ich den allerhöchsten Respekt .


(Beifall im ganzen Hause)


Ich bitte um Zustimmung zu diesem Vierten Gesetz
zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes und be-
danke mich für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820910700

Corinna Rüffer hat als nächste Rednerin das Wort für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820910800

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Ich kann an Sie, Herr Beermann, ganz gut
anschließen und sagen: Wir haben eine historische Ver-
antwortung den Contergangeschädigten gegenüber . Aus
dieser Verantwortung sollte insofern Gemeinsamkeit er-
wachsen, als wir uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg
dieser Opfergruppe zuwenden und für sie die bestmög-
lichen Lösungen finden; da stimmen wir vollkommen
überein . Aber ich sage an dieser Stelle auch: Das ist lei-
der mit diesem Gesetzentwurf – Sie merken: ich schlage
einen ruhigen Ton an – nicht gelungen .

Das Schlafmittel Contergan – das wissen wir – hat
enormen Schaden verursacht . Über 50 Jahre waren die
Opfer dieses Medikaments chronisch unterversorgt –
medizinisch und sozial . Die Firma Grünenthal hat sich
enorm billig aus der Verantwortung herausgekauft . Die
Familien haben auf Schadensersatzansprüche verzichtet,
und die Bundesrepublik Deutschland hat Verantwortung
übernommen . Diese Verantwortung besteht bis heute . Ich
habe es schon gesagt: Über 50 Jahre waren die Menschen
unterversorgt . Erst im Jahr 2013 hat sich wirklich etwas
verbessert, was die sogenannten Conterganrenten anbe-
langt; das haben einige Vorredner schon gesagt . Auch der
Versuch, mit den spezifischen Bedarfen darüber hinaus
etwas zu tun, war wohlgemeint .

Dieses Parlament hat das mit einer gemeinsamen
Kraftanstrengung auf den Weg gebracht . Ich bin allen
Kollegen, genau wie Sie, Herr Beermann, unendlich
dankbar dafür, dass es funktioniert hat; denn es bedeutet
unendliche Erleichterungen für die Lebenssituation der
Betroffenen . Das sehen auch alle so . Ich glaube, der Ar-
beit dieses Parlaments gebührt in dieser Hinsicht ganz
viel Wertschätzung .


(Beifall im ganzen Hause)


Wir haben gesehen – das kann passieren –, dass das,
was sich das Parlament gedacht hat, nicht in aller Konse-
quenz gut funktioniert. Die spezifischen Bedarfe mit den
Einzelfallanträgen haben zu Problemen, zu Unmut unter
den Betroffenen und auch – das muss man sagen – zu
einem großen Vertrauensverlust geführt . Ich bin der Mei-
nung, dass für diesen Vertrauensverlust auch der Vorstand
eine gewisse Verantwortung trägt . Er hat das Gesetz sehr
streng ausgelegt . Im Zweifelsfall sind zu viele Fälle vor
Gericht gelandet . Das hat bei vielen Contergangeschä-
digten zu dem Eindruck geführt, dass diese Stiftung nicht
mehr auf ihrer Seite, sondern leider auf der anderen Seite
steht . Das müssen wir unbedingt korrigieren . Das darf
auf keinen Fall stehenbleiben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Maik Beermann

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620890


(A) (C)



(B) (D)


Zu einem ähnlichen Ergebnis ist die Evaluation und
sind die Expertisen, die dazu vorgelegt worden sind,
gekommen . Das Ergebnis war, dass das bisherige An-
tragsverfahren unzureichend, sehr kompliziert und in-
transparent sei . Deswegen war der Vorschlag, zu einer
Pauschalierung zu kommen . Ich glaube, in diesem Haus
besteht hohe Übereinstimmung, dass das der richtige
Weg ist .

Obwohl im Detail unterschiedliche Haltungen be-
stehen, hätte die Möglichkeit bestanden, mit einer brei-
ten Mehrheit zu einem gemeinsamen Gesetzentwurf zu
kommen . Das war auch unter uns Berichterstattern und
Berichterstatterinnen nicht das Problem . Wir haben an
einigen Stellen hin und her diskutiert . Die Union hat
sich schwergetan, die Pauschalierung zu akzeptieren . Im
Endeffekt lag darin nicht das Problem . Aber andere As-
pekte wurden unter uns nicht angesprochen, nichts ins
Feld geführt . Es haben dazu auch keine Termine mehr
stattgefunden . Das ist wirklich sehr schade . Leider haben
Sie als Regierungsfraktionen nie angesprochen, dass Sie
über die spezifischen Bedarfe hinaus beabsichtigen, die
Stiftungsstruktur im Grundsatz zu verändern .

Dann kam leider der Gesetzentwurf . Der ist sehr viel
weiter gegangen, als es angedeutet worden ist . Darin ist
die Stärkung des Stiftungsvorstandes zulasten des Stif-
tungsrates vorgesehen . Darin war auch ein noch stärkerer
Einfluss des Ministeriums gegenüber der Stiftung vorge-
sehen . Es wurde in der Evaluation ganz deutlich gesagt,
dass die Stellung des Familienministeriums gegenüber
der Conterganstiftung ohnehin schon so stark sei, dass
deren Unabhängigkeit bedroht sei . Das ist sehr deutlich .
Der Gesetzentwurf geht hier in die völlig andere Rich-
tung . Ich muss sagen, dieser Vorschlag hat uns von den
Socken gehauen . Das hat vor allen Dingen auch unter
den Betroffenen zu großer Verärgerung geführt, ohne
dass es notwendig gewesen wäre .

Die Anhörung bestätigt noch einmal unsere Haltung .
Alle Sachverständigen haben davor gewarnt, die Stif-
tungsstruktur zu verändern, ohne sie vorher zu evaluie-
ren . Deswegen – das will ich an dieser Stelle sagen – bin
ich der Unionsfraktion und der SPD sehr dankbar, dass
sie jetzt viel von dem zurücknehmen, was das Ministe-
rium ursprünglich vorgesehen hat . Ich bitte Sie in Bezug
auf die Beschlussfähigkeit – es sind Vorschläge enthal-
ten, die wir so nicht mittragen können, deswegen haben
wir einen Änderungsantrag eingebracht –: Bitte beschlie-
ßen Sie das Gesetz heute nicht . Es wäre gut, wenn wir
wieder zu einer Gemeinsamkeit zurückkehren könnten .
Die Stiftung muss im Geist der historischen Verantwor-
tung wirken . 1976 hat das Bundesverfassungsgericht in
ebendieser Weise geurteilt . Ich glaube, dass wir dazu
in der Lage sind – Zeitplan und Verfahren, in dem wir
uns jetzt befinden, lassen es nicht zu –, zukünftig alles,
was die Contergangeschädigten angeht, mit einer hohen
Übereinstimmung zu tun . Dazu gibt es alle Möglichkei-
ten . Heute gelingt uns das offensichtlich nicht ganz . Aber
es darf nicht so weitergehen . Wir sollten sehen, dass wir
die Gemeinsamkeiten, die in diesem Hohen Haus beste-
hen, wieder in den Vordergrund rücken .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820910900

Ursula Schulte hat als nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ursula Schulte (SPD):
Rede ID: ID1820911000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Verab-
schiedung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Conter-
ganstiftungsgesetzes hat der Bundestag im Jahr 2013 die
Lebensbedingungen der Menschen mit einer Contergan-
schädigung erheblich verbessert . Auch das Vierte Gesetz
zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes, das heute
zur Abstimmung steht, wird positive Auswirkungen auf
das Leben der circa 2 700 Contergangeschädigten und
deren Familien haben; davon bin ich fest überzeugt .

Wir bringen diese Änderung auf den Weg, weil wir
als Staat hier in ganz besonderer Weise Verantwortung
tragen; meine Vorredner haben das schon betont . Ich will
diese Verantwortung des Staates kurz begründen und da-
für einen Blick in die Vergangenheit werfen: Ende der
50er-, Anfang der 60er-Jahre wurde ein Medikament
mit dem Namen Contergan als rezeptfreies Schlaf- und
Beruhigungsmittel verkauft . Frauen, die das Mittel wäh-
rend der Schwangerschaft einnahmen, haben Kinder mit
schweren Fehlbildungen geboren . Viele dieser Kinder
sind unmittelbar nach der Geburt oder wenig später ge-
storben . Diejenigen, die überlebt haben, sind heute er-
wachsen und haben oft einen sehr langen Leidensweg
hinter sich . Zum damaligen Zeitpunkt gab es in Deutsch-
land kein nationales Medikamentenrecht; ein bundesein-
heitliches Verfahren zur Medikamentenkontrolle wurde
erst 1976 eingeführt . Hier liegt unsere staatliche Verant-
wortung begründet .

Der Hauptverantwortliche – jedenfalls ist er das für
mich –, die Firma Grünenthal, zahlte als Entschädigung
im Rahmen eines Vergleiches 100 Millionen D-Mark in
die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ ein . Im
Gegenzug wurden weitere Ansprüche gegen den Herstel-
ler in gesetzliche Leistungsansprüche umgewandelt . Der
Staat übernahm damit die weitere Verantwortung für die
geschädigten Kinder . Heutzutage – auch das muss einmal
gesagt werden – könnte sich eine Firma, die ein Medika-
ment mit dermaßen verheerenden Folgen rezeptfrei ver-
kauft hat, nicht mehr so einfach und so günstig aus der
Affäre und aus ihrer Verantwortung ziehen .

Aus den Kindern sind inzwischen, wie schon er-
wähnt, erwachsene Menschen geworden, die trotz ihrer
Behinderung versuchen, ihr Leben, so gut es eben geht,
zu meistern . Dafür verdienen sie unseren Respekt . Mich
haben die Betroffenen und viele andere behinderte Men-
schen demütig gemacht, und sie haben mich auch dank-
bar gemacht . Aber sie haben mir auch gezeigt, dass mit
einem eisernen Willen auch als behinderter Mensch ein

Corinna Rüffer

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20891


(A) (C)



(B) (D)


teilweise erfülltes Leben möglich ist . Dafür möchte ich
mich herzlichen bedanken .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundestag
musste das Conterganstiftungsgesetz in der Vergangen-
heit bereits mehrfach korrigieren und damit an die Le-
benswirklichkeit der Betroffenen anpassen . Zuletzt ist
das, wie schon erwähnt, im Jahr 2013 geschehen . Das
Parlament hat damals die Renten für Contergangeschä-
digte in der Spitze versechsfacht . Bei Schwerstgeschä-
digten beträgt sie jetzt etwa 7 000 Euro, vorher beka-
men diese Menschen 1 100 Euro . Das ist eine mehr als
deutliche Verbesserung . Hinzu kommt, dass weder das
Einkommen noch das Vermögen der Betroffenen für So-
zialleistungen, wie zum Beispiel persönliche Assistenz,
herangezogen werden kann . Auch das ist eine Besonder-
heit im Conterganstiftungsgesetz .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Berichterstatter
und auch viele andere von Ihnen wissen: Contergange-
schädigte Menschen haben eine Vielzahl an Bedarfen .
Diese sind, bedingt durch ihre Schädigungen, sehr un-
terschiedlich . Um ihren Alltag dennoch meistern zu
können, benötigen sie viele Hilfsmittel . Vieles von dem,
was Contergangeschädigten und auch anderen behin-
derten Menschen das Leben erleichtert, fällt nicht unter
den eng gefassten Begriff der medizinischen Heil- und
Hilfsmittel . Daher haben sich Krankenkassen und an-
dere Kostenträger schon immer sehr schwer getan, die
Kosten zu übernehmen . Oft geschah das erst nach langen
Rechtsstreitigkeiten . Deswegen hat der Bundestag 2013
zusätzliche Mittel für spezifische Bedarfe zur Verfügung
gestellt .

Ziel der Einführung war es, wie damals betont wurde,
bürokratiearm Hilfe zu leisten . Die Praxis hat aber leider
gezeigt: Dieses Ziel wurde verfehlt; das bisherige An-
tragsverfahren ist viel zu kompliziert – meine Vorredner,
auch Frau Rüffer, haben es dargestellt –, die Bewilligung
der Mittel ist schwierig und führt immer wieder zu Kla-
gen durch die Betroffenen . Viele Betroffene haben sich
daher gar nicht erst auf den Weg gemacht, diese Hilfe zu
beantragen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute die-
se Gesetzesänderung beschließen – ich hoffe mal, dass
die Oppositionsfraktionen da noch ihr Herz in die Hand
nehmen –, beweisen wir, dass Politik lernfähig ist . Die
Bereitstellung der Mittel für spezifische Bedarfe in 2013
war absolut richtig . Heute sorgen wir nur dafür, dass
diese Mittel die Betroffenen auch endlich und wirklich
erreichen . Wir schaffen das Antragsverfahren ab und
sichern allen Beziehern von Conterganrenten einen So-
ckelbetrag von 4 800 Euro zu . Zusätzlich erhalten die
Betroffenen, gestaffelt nach dem Grad ihrer Schädigung,
bis zu 9 900 Euro im Jahr . Wir handeln so, weil wir fest
daran glauben, dass die Betroffenen selbst am besten
wissen, welche Hilfsmittel ihnen das Leben erleichtern .
Mit dem Wegfall des Antragsverfahrens versetzen wir sie
damit auch in eine selbstbestimmtere Position .

Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass wir endlich
die Haftungsregeln für den Stiftungsvorstand anpassen .
Das war ein vielgeäußerter Wunsch aus dem Vorstand

heraus . Außerdem haben die contergangeschädigten Mit-
glieder des Stiftungsrates und des Stiftungsvorstandes
jetzt Anspruch auf die Erstattung notwendiger Assistenz-
kosten; auch das ist eine absolut richtige Veränderung im
Gesetz . Wir stellen ferner sicher, dass die Conterganren-
ten – auch das war ein Anliegen der Betroffenen – und
das Vermögen der Betroffenen auch nach dem neuen
BTHG anrechnungsfrei bleiben .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, anders als die Vor-
redner von der Opposition bin ich der Meinung, dass eine
Veränderung der Stiftungsstruktur zwingend notwendig
ist, nicht zuletzt auch aufgrund der Veränderungen, die
die Pauschalierung der Mittel mit sich bringen wird . Die
Stiftung wird dadurch erheblich entlastet und kann sich
so verstärkt um die Beratung und Unterstützung der Be-
troffenen kümmern .

Die notwendigen Strukturänderungen werden wir heu-
te allerdings noch nicht beschließen . Wir haben gemein-
sam aus der Anhörung die Lehre gezogen, dass wir das
jetzt noch nicht tun sollten . Wir bringen die Erstellung ei-
nes Evaluationsberichts auf den Weg, der möglichst noch
vor Ende der Legislaturperiode vorliegen soll . Dann wer-
den wir überlegen, was wir an der Stiftungsstruktur än-
dern . Damit erübrigen sich auch die entsprechenden Teile
in Ihren Anträgen, die sich mit diesem Thema befassen .

Die SPD-Fraktion und insbesondere ich als Bericht-
erstatterin sind uns sicher, dass der Bericht die Notwen-
digkeit der Strukturveränderungen bestätigen wird; denn
die Stiftung muss grundsätzlich handlungsfähig sein, und
das ist sie heute, wenn man genau und ehrlich hinschaut,
nicht immer . Der Stiftungsvorstand muss seine Aufgaben
erfüllen können – das haben Sie nicht immer im Blick,
Frau Rüffer –, der Stiftungsrat muss mitbestimmen und
kontrollieren, und die Ministerien müssen ihrer Auf-
sichtspflicht nachkommen können.


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht, indem man die Betroffenen schwächt!)


Diese vielfältigen Aufgaben sollten – das ist jedenfalls
meine Wunschvorstellung, und ich will alles tun, damit
das auch gelingt – im guten Miteinander erledigt werden .
Das klingt für mich im Moment noch nach der Quadra-
tur des Kreises . Da ich aber von der Notwendigkeit der
Veränderungen überzeugt bin, setze ich darauf, dass alle
Beteiligten – und ich betone: alle – aufeinander zugehen
und so ihren guten Willen zeigen . Nur so können sie den
Stiftungsauftrag erfüllen und den Betroffenen wirklich
helfen .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn der vor-
liegende Entwurf nicht alle meine Erwartungen erfüllt,
können wir, denke ich, dennoch zufrieden sein . Alle Be-
troffenen bekommen unbürokratisch Geld aus dem Topf
für spezifische Bedarfe. Sie bekommen damit mehr Au-
tonomie für die Gestaltung ihres Lebens . Das ist auch das
Ziel, das wir gerade mit dem BTHG beschlossen haben:
raus aus der Fürsorge, raus aus dem „Wir wissen schon,
was gut für euch ist“, hin zu einem selbstbestimmten Le-
ben . Das ist für uns als Politiker und für die Betroffe-

Ursula Schulte

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620892


(A) (C)



(B) (D)


nen ein schöner Erfolg am Ende des Jahres 2016 . Dafür
möchte ich mich bei allen Beteiligten herzlich bedanken .

Ihnen allen wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest
und ein gutes neues Jahr .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820911100

Paul Lehrieder hat als letzter Redner in dieser Aus-

sprache für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1820911200

Sehr geehrte Frau Präsidentin Bulmahn! Sehr geehrte

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Liebe Betroffene! Ich weiß aus zugesandten Mails, dass
sehr viele an den Fernsehgeräten diese Debatte verfol-
gen, um zu erfahren: Wie geht man mit meinem Schick-
sal um?

Die Verbesserung der Lebenssituation von contergan-
geschädigten Menschen liegt uns allen – ich denke, hier
spreche ich fraktionsübergreifend für alle Kolleginnen
und Kollegen in diesem Hohen Hause – besonders am
Herzen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


– Also, wenn die Linke klatscht, mache ich Pause .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir können ja auch mal klatschen, oder? Wenn du etwas Richtiges sagst!)


– Ja, es ist immer richtig, bei meiner Rede zu klatschen,
Herr Kollege .


(Ursula Schulte [SPD]: So weit geht die Liebe nicht!)


Das tägliche Leben der immer älter werdenden rund
2 700 Betroffenen ist durch die thalidomidbedingten Be-
hinderungen und deren Folge- und Spätschäden geprägt .
Die früheren sogenannten Contergankinder sind mittler-
weile alle etwa in meinem Alter, also Mitte/Ende 50 .

Ich muss zugeben, ich war wirklich beeindruckt,
als mir vor zweieinhalb Wochen ein Betroffener und
Sachverständiger im Anschluss an die durchgeführte
Anhörung auf seinem Tablet Folgendes zeigte: Er frag-
te mich nach meinem exakten Geburtsdatum – ich bin
1959 geboren, genau in der Mitte der Conterganproble-
matik; 1957 bis 1961 gab es die meisten Conterganfälle
in Deutschland –, und dann schaute er auf sein Tablet
und sagte: Jawohl, lieber Ausschussvorsitzender, an dei-
nem Geburtstag ist in Deutschland auch ein contergan-
geschädigtes Kind auf die Welt gekommen . – Ich habe
ihn gefragt, ob er mir die Daten zu Verfügung stellen
kann, aber das konnte er aus Datenschutzgründen leider
nicht . Aber ich weiß, es lebt in Deutschland jemand, der
auf den Tag genauso alt ist wie ich und der wegen dieses
Conterganmedikaments mit Schäden geboren wurde . Ich
glaube, alle, die in meiner Alterskohorte sind, die meine

Konsemester sind, müssen Gott danken, wenn sie dieses
Schicksal nicht erlitten haben, wenn sie durch dieses Me-
dikament nicht geschädigt worden sind .

Ich bin sehr dankbar dafür – ich spreche ganz bewusst
in Richtung Regierungsbank –, dass bei diesem wichti-
gen Thema neben unserer Familienministerin auch der
Justizminister dieser Debatte lauscht . Das zeigt, wel-
che Bedeutung diesem Gesetz in der Gesellschaft zu-
kommt . – Für Ihre Anwesenheit möchte ich mich an die-
ser Stelle ausdrücklich bedanken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Frau Schwesig, ich wünschte mir, dass manch an-
deres Gesetzgebungsvorhaben, das wir derzeit gemein-
sam in Arbeit haben, in ähnlich zügiger und konstrukti-
ver Zusammenarbeit abgeschlossen würde, wie das bei
diesem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des
Conterganstiftungsgesetzes der Fall war .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das täuscht!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Be-
troffene sind darauf angewiesen, bestimmte Körperteile
vermehrt einzusetzen, um ihren Alltag zu meistern . Aus
diesem Grund häufen sich im Alter die Gebrechen . Die
jahrzehntelangen Überlastungen durch Fehlstellungen
des Körpers und Ausgleichsbewegungen wirken sich
auf die Gesundheit aus . Der körperliche Verschleiß ver-
schiedener besonders beanspruchter Gelenke verstärkt
sich, wie bereits ausgeführt, mit zunehmendem Alter .
Aufgrund des mit steigendem Alter der Betroffenen zu-
nehmenden körperlichen Verschleißes ist eine zukunfts-
orientierte, angemessene Weiterentwicklung der Unter-
stützungsleistungen erforderlich . Diesem Erfordernis
sind wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nachge-
kommen .

Wir haben es uns mit der Erarbeitung eines Entwurfs
eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Conterganstif-
tungsgesetzes nicht leicht gemacht . Im Zuge der Vorlage
des Ersten Berichts über die Auswirkungen des Con-
terganstiftungsgesetzes vom 1 . Juni 2016 haben wir die
Wirkung der Leistungsverbesserungen, die durch das
dritte Änderungsgesetz eingeführt worden sind, bewer-
tet und geprüft, wo Nachbesserungsbedarf besteht . Im
Jahr 2009 wurden die Conterganrenten verdoppelt – die
Vorredner haben bereits darauf hingewiesen –, und im
Jahr 2013 wurden sie deutlich, bis zu einem Höchstbe-
trag von 7 175 Euro, erhöht . Gleichzeitig wurden die
Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe eingeführt,
die unabhängig vom Schädigungsgrad auf entsprechen-
den Antrag gewährt werden . Dafür wurde ein Topf mit
insgesamt 30 Millionen Euro jährlich eingerichtet . Wir
mussten allerdings feststellen – auch hierauf haben mei-
ne Vorredner bereits hingewiesen –, dass von den in
Aussicht gestellten 30 Millionen Euro nur circa 2,5 Mil-
lionen Euro pro Jahr abgerufen wurden . Jetzt kann man
fragen: Woran liegt das? Liegt das daran, dass die Hilfe
nicht notwendig war? Das glaube ich nicht . Ich glaube,
das liegt daran, dass wir die Leistungsbewilligungen re-
lativ restriktiv gehandhabt haben . Dieser Erfahrung fol-
gend führen wir jetzt eine Pauschalierung ein . Wir sagen:
Jeder soll zu seinem Recht kommen, egal ob er in den

Ursula Schulte

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20893


(A) (C)



(B) (D)


letzten Jahren einen Antrag zu den spezifischen Bedarfen
gestellt hat oder nicht . Jeder soll, insbesondere im fortge-
schrittenen Alter, eine Erleichterung erhalten .

Aus Gesprächen mit Betroffenen weiß ich, dass vie-
le vor einer Antragstellung zurückschreckten, nicht nur,
weil sie vielleicht selber den Bedarf noch nicht einsehen
wollten, sondern auch, weil sie vor dem langwierigen,
aufwendigen, komplizierten Genehmigungsverfahren
zurückgeschreckt sind . Sie sagten sich: Wenn ich abge-
lehnt werde, muss ich zum Sozialgericht gehen; doch
diese Kraft habe ich nicht, das will ich mir nicht antun . –
Möglicherweise ist der eine oder andere Antrag, der be-
gründet gewesen wäre, aus diesen Gründen nicht gestellt
worden .

Deshalb halte ich es für richtig, dass wir jetzt das
komplizierte Antragsverfahren abschaffen und mit der
Pauschalierung dafür sorgen, dass die Lebenssituation
von möglichst vielen der 2 700 Contergangeschädigten
im Alter verbessert wird . Dazu gehört vieles, zum Bei-
spiel eine Küchenmaschine, ein Autoumbau, elektrische
Jalousienheber . Ich erinnere an die berühmte Boxspring-
bettentscheidung . Es geht um Dinge, die jedem das Le-
ben erleichtern, die für Menschen mit diesen Handicaps
aber eine deutliche Verbesserung der Lebenssituation be-
deuten, insbesondere bei zunehmendem Verschleiß des
Skeletts, der körperlichen Gliedmaßen .

Viele Betroffene haben – ich habe bereits darauf
hingewiesen –, zum Teil aus Scheu, zum Teil aufgrund
des bürokratischen Aufwands, zum Teil aber auch aus
Scham, keinen Antrag gestellt . Sie scheuten den kompli-
zierten Weg und die bürokratischen Hürden .

Konkret sieht der vorliegende Gesetzentwurf nunmehr
vor – ich will das noch einmal wiederholen, auch wenn
der eine oder andere Kollege schon darauf hingewiesen
hat –, dass die Leistungen für spezifische Bedarfe nicht
länger als individuell bedarfsdeckende Leistungen ge-
währt werden, sondern künftig ohne gesonderten Antrag
pauschal . Somit ergibt sich für alle Betroffenen ein jähr-
licher Sockelbetrag in Höhe von 4 800 Euro . Hierdurch
erreichen wir eine gerechtere, schnellere, unkomplizier-
tere Verteilung . Die Contergangeschädigten sind nicht
mehr Antragsteller, sind nicht mehr Bittsteller, sondern
sie haben Rechte; sie haben den Anspruch darauf, dieses
Geld so einzusetzen, wie sie es selbstbestimmt für richtig
halten . Ich glaube, das ist eine deutliche Verbesserung .

Liebe Kollegin Werner, lieber Kollege Birkwald, ich
würde mir wünschen, dass Sie nach meinen Ausführun-
gen in sich gehen und noch einmal überlegen, ob Sie
nicht von Ihrer machtvollen Enthaltung abrücken und
doch zustimmen können . Von einer lauten Enthaltung
hier im Hause wird die Situation der Contergangeschä-
digten nicht verbessert . Also geben Sie Ihrem Herzen ei-
nen Ruck . Sie können das draußen bei den Geschädigten
viel besser verkaufen, wenn Sie sagen: Jawohl, Lehrieder
hat uns überzeugt . Wir haben dafürgestimmt .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Werner [DIE LINKE]: Das können Sie schlecht verkaufen! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Er hat es zumindest gut versucht!)


Wie schon gesagt, die Contergangeschädigten hätten es
verdient .

In diesem Sinne bedanke ich mich für das konstruk-
tive, wahrlich parteiübergreifende Mitwirken an diesem
Gesetzentwurf . Wir haben noch nicht alles erreicht; da-
rauf wurde hingewiesen . Wir haben die Evaluationszeit
von drei Jahren auf zwei Jahre verkürzt, weil wir mög-
lichst schnell sehen wollen, wie dieses Gesetz wirkt und
was wir in den nächsten Jahren brauchen . Ich glaube,
ähnlich wie in den vergangenen vier, fünf, zehn Jahren
werden wir weiterhin in diesem Hohen Haus über das
Thema Contergan diskutieren . Wir werden weiter hin-
schauen . Wir werden auch die anstehende Strukturre-
form – wie geht es mit der Stiftung, mit dem Stiftungs-
vorstand weiter? – im Blick behalten .


(Katrin Werner [DIE LINKE]: Dann können wir ja zustimmen!)


– Ja, da könnt ihr dann wieder zustimmen . Heute müsst
ihr erst einmal dieser Verbesserung zustimmen .

Ich bedanke mich und wünsche Ihnen noch einen
schönen Tag . Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Es ist noch nicht Weihnachten, Paul!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820911300

Vielen herzlichen Dank, lieber Paul Lehrieder . – Ich

sage Ihnen erst einmal einen schönen guten Tag . – Ich
schließe die Debatte .

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungs-
gesetzes . Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10670, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10378 in der
Ausschussfassung anzunehmen .

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10674 vor, über
den wir logischerweise zuerst abstimmen . Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt haben Bündnis 90, die Linke . Dagegen hat
die Große Koalition, also CDU/CSU und SPD, gestimmt .


(Sönke Rix [SPD]: Bündnis 90/Die Grünen heißt Ihre Fraktion immer noch! Nicht so weit vorausdenken! – Gegenruf des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Jetzt hörʼ aber auf! – Weitere Zurufe – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Also: Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die
Linke . Dagegengestimmt haben die CDU/CSU und die
SPD . Der Änderungsantrag ist abgelehnt .

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der

Paul Lehrieder

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620894


(A) (C)



(B) (D)


Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Enthalten
haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen
und die Linke . Damit ist der Gesetzentwurf angenom-
men .

Wir kommen jetzt zu Abstimmungen über zwei Ent-
schließungsanträge der Fraktion Die Linke .

Entschließungsantrag auf Drucksache 18/10675 . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan-
trag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke . Dagegen-
gestimmt haben CDU/CSU und SPD . Enthalten haben
sich Bündnis 90/Die Grünen .

Entschließungsantrag auf Drucksache 18/10676 . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan-
trag ist abgelehnt . Zugestimmt haben die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen . Dagegengestimmt haben CDU/
CSU und die SPD .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele, Tabea Rößner, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Lehren aus den Ermittlungen hinsichtlich
Landesverrats – Pressefreiheit und Journalis-
tinnen und Journalisten besser schützen

Drucksache 18/10036
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Katja Keul, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Lehren aus den Ermittlungen hinsichtlich
Landesverrats – Stellung des Generalbundes-
anwaltes rechtsstaatlich reformieren

Drucksache 18/10037
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss Digitale Agenda

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
Korte, Halina Wawzyniak, Karin Binder, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Journalistinnen und Journalisten sowie Hin-
weisgeberinnen und Hinweisgeber vor Straf-

verfolgung schützen und Unabhängigkeit der
Justiz sicherstellen

Drucksache 18/5839
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Dazu gibt es
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Hans-Christian Ströbele für Bündnis 90/Die Grünen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Großkampftag heute! Das ist die zweite Rede!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, jetzt geht es los . – Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Einige werden sich noch erinnern:
Es ist jetzt fast zwei Jahre her, da wurde in Deutschland
ein Abgrund von Landesverrat geortet . Das Bundesamt
für Verfassungsschutz und sein Präsident mussten Straf-
anzeige erstatten, weil in dem Netzwerk netzpolitik .org
ein Verfassungsschutzpapier veröffentlicht worden ist –
das war im Februar 2015 – und dann ein paar Wochen
später ein zweites Papier von netzpolitik .org veröffent-
licht worden ist . Da konnte die Pressefreiheit nicht so
wichtig sein, sodass man da zuschlagen musste .

Also, er hat Strafanzeige bei der hiesigen Staatsan-
waltschaft erstattet . Die Geschichte wurde dann sehr,
sehr ernst genommen und ist daraufhin eine Stufe oder
zwei Stufen höher gelangt und zur Bundesanwaltschaft
gegeben worden, weil doch hier möglicherweise Landes-
verrat begangen worden ist . Geschädigte: die Bundesre-
publik Deutschland .

Dann gab es eine Diskussion, bei der hin und her
überlegt worden ist: Wie soll man mit der Presse umge-
hen? Muss man die Pressefreiheit nicht mehr sichern?
Ich wollte Herrn Maas, der im Augenblick leider nicht
zuhören kann, obwohl es interessant ist, daran erinnern,
dass er Ende Juli 2015 angekündigt hat, dass er die Vor-
schriften, die die Pressefreiheit und die Arbeit von Jour-
nalisten und insbesondere den Landesverratsparagrafen
betreffen, sich doch noch einmal näher angucken wollte,
um zu sehen, ob man da nicht etwas machen muss .

Darauf warten wir nun heute noch; jedenfalls haben
wir aus dem Justizministerium nichts gehört,


(Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)


was das denn sein könnte . Daher haben wir uns selber an
die Arbeit gemacht . Wir haben nicht die Kapazitäten der
großen Fraktionen und auch nicht die des Bundesjustiz-
ministeriums . Also haben wir in mühsamer Kleinarbeit
versucht, einige gesetzliche Änderungen vorzuschlagen .


(Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das merkt man erst jetzt?)


Vizepräsidentin Claudia Roth

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20895


(A) (C)



(B) (D)


Sie will ich Ihnen jetzt kurz vortragen .

Als Allererstes habe ich mich erinnert, dass sich ei-
ner von zwei Leuten, die wegen Landesverrats verurteilt
worden sind – einer zu sieben Jahren, einer zu acht Jah-
ren, also doch schon zu erheblichen Strafen –, an mich
gewandt und gesagt hat, er sieht überhaupt nicht ein, dass
das ein Staatsgeheimnis gewesen ist; das hat er gar nicht
gewusst, usw .


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Überzeugend!)


Ich will auf diese Fälle gar nicht näher eingehen .

Daraufhin habe ich mir den Paragrafen auch noch ein-
mal angeguckt . Es steht nämlich im Strafgesetzbuch, in
§ 93, ausdrücklich, was nun ein Staatsgeheimnis ist . Dort
steht, alle Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die
nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind – wie
groß er sein kann, 100 000 oder 10 Personen, weiß man
nicht – und vor einer fremden Macht geheim gehalten
werden müssen, sind ein Staatsgeheimnis, und wenn man
ein Staatsgeheimnis weitergibt, dann macht man sich un-
ter bestimmten Voraussetzungen strafbar bzw . erheblich
strafbar .

Daraufhin haben wir gesagt: Nein, das kann so nicht
gehen, das müssen wir jetzt ändern . Wir wollen, dass die-
ser § 93 so umformuliert wird, dass für jeden klar erkenn-
bar ist, was ein Staatsgeheimnis ist, entweder dadurch,
dass man immer einen Stempel darauf hat, oder dadurch,
dass es ein Gesetz gibt, nach dem bestimmt wird: Dies
ist ein Staatsgeheimnis, und das ist ein Staatsgeheimnis .

Wir wollen weiter sagen – jetzt geht es um die Journa-
listen oder auch um die Whistleblower –: Wenn jemand
nun ein solches Staatsgeheimnis kennt und überlegt, soll
er es nun veröffentlichen oder nicht, soll er es weiterge-
ben oder nicht, dann soll das in folgenden Fällen nicht
strafbar sein: Wenn diese Informationen etwa Grund-
rechtsverletzungen beinhalten oder durch sie schwere
Verbrechen aufgedeckt werden können, dann soll das
eben nicht gelten . Denn dann überwiegt das öffentliche
Interesse an der Bekanntgabe nach außen im Sinne al-
ler Bürgerinnen und Bürger, dass diese Weitergabe unter
Strafe gestellt wird . So haben wir es in unserem Geset-
zesvorschlag, den wir an die Bundesregierung weiterge-
ben, vorgesehen .

Wir haben uns auch gefragt: Wie ist es eigentlich bei
Journalisten, die gar nicht mal Staatsgeheimnisse veröf-
fentlichen, sondern Informationen bekommen, etwa ge-
leakt aus irgendwelchen Behörden, vielleicht auch aus
Geheimdiensten? Sollen sie sich strafbar machen, nur
weil sie solche Informationen entgegennehmen? Sollen
sie die Entgegennahme vielleicht sogar ablehnen müssen,
weil sie sich sonst strafbar machen? Wenn sie die ent-
sprechenden Informationen gar veröffentlichen, sollen
sie dann zusätzlich bestraft werden? Wir haben gesagt:
Das kann nicht sein . Wenn ein öffentliches Interesse da-
ran besteht, dass man so etwas veröffentlicht, dann dür-
fen sich diese Journalisten doch nicht strafbar machen,
sondern dann müssen sie geschützt werden . Daher haben
wir auch einen Gesetzesvorschlag erarbeitet, wie man die
aktuelle Regelung ändern kann . So geht es weiter .

Wir wollen ferner, dass man als Journalist auch in Zu-
kunft aus öffentlichen Gerichtsverhandlungen, ohne dass
man sich der Gefahr aussetzt, sich strafbar zu machen,
berichten kann . Wir wollen auch – das wundert sicher
keinen, vor allem, weil ich hier rede –, dass Whistle-
blower geschützt werden . Wenn also Leute sagen: „Auf-
grund eines höheren gesellschaftlichen Interesses ergibt
sich bei einer Abwägung, dass die Bekanntgabe bzw .
Veröffentlichung einer Information wichtiger als die Ge-
heimhaltung ist“, dann sollten sie das, ohne sich strafbar
zu machen, tun dürfen, wenn sie den Abwägungsprozess
verantwortungsvoll gestalten .

All das bringt uns dazu, hier einen entsprechenden Ge-
setzesvorschlag vorzulegen . Auf die Einzelheiten kann
ich jetzt nicht näher eingehen; denn ich habe nicht so viel
Redezeit . Unser Vorschlag lautet: Tun wir etwas für die
Pressefreiheit! Sie ist eines unserer höchsten Güter . Wir
wissen, dass die Pressefreiheit und die Arbeit der Journa-
listen als vierte Gewalt im Staate unverzichtbar sind . Wir
alle leben davon, und die Demokratie lebt davon . Lassen
Sie uns für deren Schutz so viel tun wie irgend möglich!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820911400

Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele . – Nächster

Redner: Dr . Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Frakti-
on .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1820911500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Ströbele, ich glaube, wir alle erinnern
uns gut an den Fall von netzpolitik .org, an die Veröf-
fentlichungen von Geheim eingestuften Dokumenten .
Das waren ja nicht irgendwelche Dokumente; das wa-
ren ja eingestufte Dokumente – diese können nach der
Geheimschutzordnung verschiedene Stufen haben –, die
auch gekennzeichnet sind . Solche Dokumente liegen ja
nicht als handgeschriebene Papiere auf einer Parkbank .
Vielmehr war offensichtlich und klar, dass die Dokumen-
te, die netzpolitik .org veröffentlich hat, eingestuft sind .
Das war also ein Vorfall, den man als derjenige, der diese
Dokumente hat, einstuft und klassifiziert, nicht einfach
hinnehmen kann . Deswegen ist es auch zu einer Prüfung
durch die Staatsanwaltschaft, damals durch den General-
bundesanwalt, gekommen . Ich halte diesen Vorgang für
richtig .

Wenn Dokumente, die eingestuft sind, den Raum der
Einstufung des Dienstherrn, der sie eingestuft hat, ver-
lassen, muss man auch dafür Sorge tragen, dass nachge-
prüft wird: Wer hat die Dokumente, die eingestuft sind,
nach draußen gegeben? Denn es ist nicht sinnvoll, dass
Dokumente, die in amtlicher Verwahrung sind und einen
Einstufungsgrad haben, nach draußen gelangen . Hier zu
ermitteln, halte ich also für richtig .

Der Generalbundesanwalt – wir haben in dieser Zeit ja
öfter Statements von ihm gehört – hat in alle Richtungen
ermittelt, zum Beispiel auch, was die Möglichkeit eines

Hans-Christian Ströbele

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620896


(A) (C)



(B) (D)


Innentäters betrifft . Es ist ja nicht zwingend, dass der Tä-
ter jemand aus dem parlamentarischen Raum gewesen
sein muss; es kann ja auch ein Innentäter gewesen sein .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber er hat auch gegen Journalisten ermittelt!)


Dass der Blick in alle Richtungen geht, halte ich, wie ge-
sagt, für völlig richtig .

Der einzige Ansatz, den man damals hatte, waren die
Journalisten, die die Informationen auf ihrer Plattform
netzpolitik .org veröffentlicht haben; das ist ja logisch .
Aber dass der Generalbundesanwalt eine Überprüfung
anstellt, wenn amtliche Dokumente, die einen Geheim-
haltungsgrad haben, in die Öffentlichkeit gelangen, ist
richtig . Sonst würden wir ja – so sehe das zumindest
ich – die Integrität des Staates überhaupt nicht mehr ernst
nehmen, wenn alles, was eingestuft ist, einfach nach
draußen gelangen kann . Deswegen war das ein richtiges
Vorgehen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht gegen die Journalisten!)


Lieber Kollege Ströbele, in folgendem Punkt sind wir
uns einig: Die Pressefreiheit in Artikel 5 des Grundgeset-
zes ist eines unserer höchsten Schutzgüter . Sie ist nicht
nur ein Abwehrrecht, sondern auch ein Recht, das der
Staat verbürgen soll, für das er sich also einsetzen muss .
Wir haben in Deutschland eine dezidierte Rechtspre-
chung und Rechtspraxis, wie das Verhältnis zwischen der
Pressefreiheit, wie sie in Artikel 5 Absatz 1 Satz 2, erste
Alternative, normiert ist, und den Schutzrechten Drit-
ter abgewogen und austariert werden kann . Denn kein
Grundrecht – das wäre wirklich ein fataler Fehler – kann
absolut gesehen werden . Man darf nicht sagen – das gilt
für jedes Grundrecht –: Die Pressefreiheit geht allem an-
deren vor . – Man muss immer einen Abwägungsprozess
betreiben und ermöglichen, und es gibt Rechte Dritter,
privater Dritter, und es gibt auch Rechte des Staates an
seiner Integrität, was bedeutet, Veröffentlichungen zu-
rückzuhalten, sodass Dokumente, wenn sie eingestuft
sind, nicht nach draußen dringen .

Sie haben gerade kurz einen Punkt Ihres Vorschlags
zitiert . Ich habe ihn mir mitgenommen, damit sicher-
gestellt ist, dass wir wirklich vom gleichen Sachverhalt
reden . Sie haben gesagt: Dokumente sollen in Zukunft
nur noch als Geheim und Streng Geheim eingestuft wer-
den . So steht es in Ihrem Vorschlag . Das würde natürlich
zu einer Inflation der Geheim-Einstufungen führen. Sie
wissen es aus einer Vielzahl von Ausschüssen, aus dem
Parlamentarischen Kontrollgremium und aus Untersu-
chungsausschüssen: Dann, wenn es nur noch zwei Ein-
stufungen nach der Geheimschutzordnung geben würde,
würden diese auch in den Fällen genutzt, wenn Doku-
mente vielleicht als VS-NfD oder als VS-Vertraulich ein-
gestuft werden könnten . Wir haben dann also nicht mehr
das Spektrum, die Vielzahl der Dokumente entsprechend
ihrem Inhalt einzustufen . Ich halte diesen Vorschlag für
fatal . Das würde zum Beispiel bedeuten, dass in Untersu-

chungsausschüssen fast alles als Geheim eingestuft wür-
de . Das wollen sicherlich auch Sie nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Staatsgeheimnisse, von denen Sie ja immer reden,
können auch jetzt schon von Journalisten veröffentlicht
werden . Es ist ja nicht so – diesen Eindruck erwecken
Sie –, dass Journalisten nicht die Möglichkeit hätten, an
sensible Dokumente heranzukommen und diese dann,
wenn sie wesentliche Sachverhalte, wie sie eben geschil-
dert worden sind, beinhalten, zu veröffentlichen . Wir
haben jetzt schon die Abwägung zwischen dem Veröf-
fentlichungsinteresse auf der einen Seite – bei gravieren-
den Sachverhalten dürfen Journalisten veröffentlichen;
sie müssen auch gar nicht ihre Quellen preisgeben – und
auf der anderen Seite dem Geheimhaltungsinteresse des
Staates bei entsprechend relevanten Sachverhalten .

Einfach gesagt: Wenn kein hohes Veröffentlichungs-
interesse vorliegt, wenn es das reine Abstellen auf eine
mögliche Publikation ist, um viele Leser zu bekommen,
wenn es ein reißerisches Interesse ist, dann wird dem
Interesse des Staates an Geheimhaltung der Vorrang ge-
geben . Andererseits: Wenn die Veröffentlichungsgründe
wesentlich sind, dann dürfen Journalisten veröffentli-
chen .

Ich habe mich damals etwas geärgert, dass der Gene-
ralbundesanwalt bei seiner Prüfung ausgebremst worden
ist . Ich glaube, er wäre zu dem Ergebnis gekommen, dass
diese Veröffentlichung von netzpolitik .org keinen Straf-
tatbestand erfüllt hätte . Dazu ist es ja nicht mehr gekom-
men, weil es eine dementsprechende Weisung gegeben
hat .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Von wem kam die Weisung?)


Von daher werden wir schließlich auch nicht wissen, wie
sich dieser Sachverhalt beim Generalbundesanwalt wei-
ter entwickelt hätte .

Sie möchten durch Ihren Gesetzentwurf weiterhin
Journalisten die Veröffentlichung ermöglichen und es
nicht mehr als strafbare Handlung behandelt sehen, wenn
durch Nachstellen oder Druck Erkenntnisse erlangt wer-
den, wenn also fast ein Stalking stattfindet. Dazu muss
ich ehrlich sagen: Das geht zu weit . Ich habe mit einigen
Journalisten im Vorfeld der heutigen Debatte gespro-
chen . Seriöser Journalismus arbeitet investigativ, das ist
richtig . Er setzt auch nach, er recherchiert in die Brei-
te, aber nicht mittels Stalking, Nötigung oder schlichter
Bloßstellung von Menschen . So arbeiten seriöse Journa-
listen nicht . Diese Tatbestände herauszunehmen und ein
solches Vorgehen dann für legal zu erachten, das halte ich
schon für ein schräges Verhältnis .


(Zuruf des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das scheint mir ein bisschen ein Schaufensterantrag zu
sein . Richtig ist das nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie denn? Gar nichts!)


Dr. Patrick Sensburg

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20897


(A) (C)



(B) (D)


Als nächsten Punkt sollte man, glaube ich, erwähnen,
dass es möglich ist, an vielen Stellen mit Verschwiegen-
heit zu arbeiten, mit Dokumenten zu arbeiten, die einge-
stuft sind . Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig,
zu sehen, dass der Staat ein Interesse an der Wahrung
seiner Integrität hat und dass es auch ein Interesse der
Bürgerinnen und Bürger gibt, dass Dokumente, die beim
Staat liegen, verwahrt bleiben und nicht nach draußen
dringen . Das muss ein Abwägungsprozess sein .

Dieser Abwägungsprozess fehlt in Ihrem Antrag völ-
lig . Sie schauen ausschließlich auf die Informationsge-
winnung, auf die Journalisten, die dann, im Grunde ohne
diesen Abwägungsprozess, jedwede Dokumente nach
draußen geben könnten, wären sie nicht eingestuft . Wenn
sie als Geheim oder als Streng Geheim eingestuft sind,
dann wäre dies im Grunde auch möglich, weil der Ab-
wägungsprozess fehlt . Das wäre ein völliges Nach-drau-
ßen-Geben von eingestuften Dokumenten, und das kann
eigentlich und im Grunde auch nicht das Ziel von Bünd-
nis 90/Die Grünen und den Linken sein . Denn im End-
effekt heißt das, dass alles, was der Staat in Verwahrung
und auch geschützt in Verwahrung hat, in die Öffentlich-
keit gegeben werden kann .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Darum geht es überhaupt nicht, Herr Kollege . Da erzählen Sie den Leuten Unsinn!)


– Ja, doch, darum geht es schon, wenn man Ihre Anschul-
digungen hört . – Aufklärung heißt zum Beispiel, dass wir
im parlamentarischen Raum prüfen können, aber eben
nicht, dass das alles nicht mehr unter Strafe gestellt wird
und jedes Dokument veröffentlicht werden kann .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das verlangt überhaupt keiner!)


Das kann nicht Ziel eines klugen Antrages sein .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist auch nicht das Ziel unseres klugen Antrages, Herr Kollege! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch keiner gefordert!)


– Sie können ja gleich Ihren Antrag einmal näher erklä-
ren .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten es lesen! Dann verstehen Sie es!)


Wenn man beide Anträge liest – Ihren von den Linken
und den von Bündnis 90/Die Grünen; ich habe ja beide
mit nach vorne genommen –, dann muss man sagen, dass
der Antrag der Fraktion der Linkspartei eigentlich zum
Rundumschlag gegen die Sicherheitsbehörden ausholt .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Genau! Jawohl! Nicht gelesen, nur nach vorne mitgenommen!)


Mehr ist es doch eigentlich gar nicht .

Sie wollen im Grunde den Sicherheitsbehörden die
Chance nehmen, Dokumente einzustufen – und das vor
dem Hintergrund des Terrorismus, den wir zurzeit bei
uns erleben . Ich habe den Antrag vor mir liegen, habe ihn

gelesen und habe ihn sogar dezidiert bearbeitet . An fast
jeden Absatz habe ich ein Fragezeichen geschrieben . Das
sollte Ihnen zu denken geben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wovon reden Sie denn jetzt?)


Zu den Grünen muss ich ganz ehrlich sagen: Sie ha-
ben nicht verstanden, was wir in den letzten Jahren zum
Schutz der journalistischen Tätigkeit gemacht haben . Ge-
rade in der letzten Legislaturperiode hat die Union – üb-
rigens mit der FDP – die Rechte von Journalistinnen und
Journalisten an vielen Stellen in der Strafprozessordnung
intensiv gestärkt . Ich glaube, wir beide haben damals so-
gar zum Thema Geheimnisträger/Berufsgeheimnisträger
geredet . Wir haben viel gemacht .

Aber das, was Sie jetzt machen, dehnt die Rechte aus
und führt dazu, dass die Abwägung, die beim Eingriff in
die Grundrechte immer getroffen werden muss, aufge-
geben wird . Es erfolgt eine einseitige Ausdehnung hin
zur Veröffentlichung und Durchstecherei von Dokumen-
ten, und der Schutz staatlicher Interessen und der Schutz
Dritter werden nicht mehr beachtet . Das ist ein Ungleich-
gewicht, dem man so nicht zustimmen kann .

Ich muss ganz ehrlich sagen: Ihre Gesetzesinitiativen
sind aus meiner Sicht aus rechtsstaatlichen Gründen kri-
tisch zu bewerten . Ich kann nur empfehlen, dem so nicht
zuzustimmen und noch einmal darüber nachzudenken,
wie wir beim Thema Weisung klüger weiteragieren kön-
nen; Sie hatten es angesprochen .

Man kann sicher darüber nachdenken, ob Weisungen
bei Staatsanwaltschaften schriftlich zu erfolgen haben .
Alles andere ist abzulehnen . Sie empfehlen zum Beispiel,
die Parlamente in einem laufenden Strafverfahren zu un-
terrichten . Ich wage zu bezweifeln, dass Sie als Strafver-
teidiger das gewollt hätten, und das würde bei den Straf-
verfahren im Grunde zu einem Chaos führen .

Deswegen sind die Anträge von Bündnis 90/Die Grü-
nen und von der Linken leider nicht ausgegoren, und sie
sollten hier heute abgelehnt werden .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie hier gerade tun, ist, Fakenews zu verbreiten!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820911600

Vielen Dank, Patrick Sensburg . – Der nächste Redner:

Harald Petzold für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820911700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! Es
vergeht kaum eine Woche, in der wir nicht aus Ländern
wie der Türkei erfahren, dass Journalistinnen und Jour-
nalisten ihren Job verlieren oder gar verhaftet werden,
weil sie Dinge öffentlich gemacht, angeprangert oder be-

Dr. Patrick Sensburg

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620898


(A) (C)



(B) (D)


richtet haben, die den Herrschenden in ihrem Land nicht
gefallen .

Laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ bricht
die Türkei im Moment alle Rekorde, was die Inhaftie-
rung von Journalistinnen und Journalisten anbelangt . Sie
hat berichtet, dass mit Stand 13 . Dezember dieses Jahres
mindestens 348 Medienleute in türkischen Gefängnissen
sitzen, weil sie entweder des Landesverrats, der Zusam-
menarbeit mit terroristischen Organisationen, deren Un-
terstützung oder anderer Vergehen bezichtigt werden,


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Reden Sie einmal über den Journalismus in Russland!)


die dem autoritären Präsidenten Erdogan nicht gefallen .

Ich kann nur fragen: Alle 348 Journalistinnen und
Journalisten sollen Terroristen, Unterstützer von Terro-
risten oder Sympathisantinnen und Sympathisanten von
Terroristen sein? Das kann nicht einmal der Präsident
Erdogan wirklich glauben .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ist alles richtig, was Sie sagen! Aber wir reden gerade über die Bundesrepublik Deutschland!)


Wir reagieren darauf damit, dass wir sehr besorgt sind .
Mehr passiert nicht!

Nun reden wir heute natürlich über Deutschland


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! Eben!)


– ich weiß –, und ich will natürlich auf gar keinen Fall
unser Land mit der Türkei vergleichen . Gott bewahre!
Aber ich finde es schon einen Skandal, dass auch bei
uns Journalistinnen und Journalisten Strafandrohungen
bekommen oder Gefahr laufen, wegen Landesverrats an-
gezeigt zu werden,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ungeheuerlich!)


wenn sie über Dinge berichten, die der Bundesregierung
oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht passen;


(Beifall bei der LINKEN)


denn damit wird die Pressefreiheit eingeschränkt und der
Demokratie geschadet .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sehr gewagt! – Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist aber weit hergeholt!)


Der Kollege Ströbele hat uns an den Fall erinnert, der
sowohl für den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen als
auch für unseren Antrag Ausgangspunkt gewesen ist .
Sie hatten alle Gelegenheit der Welt, hier tätig zu wer-
den . Seit zwei Jahren kündigen Sie an, dass vonseiten
der Großen Koalition Initiativen kommen . Aber nichts ist
gekommen .

Lieber Kollege Sensburg, Sie wissen doch selbst: Na-
türlich geht es nicht um die Frage, ob Geheimnisse oder
geheime Dokumente veröffentlicht worden sind . Die
beiden Blogger, Herr Markus Beckedahl und Herr André
Meister, haben die Öffentlichkeit darüber informiert,

welche Pläne das Bundesamt für Verfassungsschutz zum
Ausbau der Internetüberwachung verfolgt .


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ja! Selbstlos!)


Sie haben auch über Geld informiert, das wir als Haus-
haltsgesetzgeber dem Bundesamt für Verfassungsschutz
zur Verfügung stellen,


(Dagmar Ziegler [SPD]: Das steht doch im Haushaltsplan!)


Steuergelder, mit denen genau diese Maßnahmen umge-
setzt werden sollen. Ich finde schon, dass die Öffentlich-
keit ein Recht darauf hat, zu erfahren, was das Bundes-
amt für Verfassungsschutz vorhat,


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie haben ja nur die halbe Wahrheit gesagt!)


um alle Lebensbereiche der Bürgerinnen und Bürger
dieses Landes auszuspähen, und dass dafür Steuergelder
verwendet werden . Es ist meines Erachtens völlig legi-
tim, dass dafür keine Strafmaßnahmen angeordnet wer-
den dürfen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist Ihnen ebenso bekannt, Herr Kollege Sensburg,
dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nach Krite-
rien, die nicht transparent sind, die in der Öffentlichkeit
nicht nachvollziehbar sind und über die wir nicht ent-
scheiden können, selbst bestimmen kann: Was ist ver-
traulich? Was ist geheim? Was ist streng geheim? Das
kann diese Behörde selbst festlegen, und alles, was die-
sen Stempel trägt, ist der Öffentlichkeit entzogen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820911800

Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung

des Kollegen Sensburg?


Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820911900

Selbstverständlich erlaube ich eine Zwischenfrage,

Frau Präsidentin .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820912000

Herr Sensburg .


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1820912100

Herr Kollege, Sie hatten mich eben kritisiert und ge-

sagt, dass ich Ihren Antrag nicht richtig gelesen hätte,
als ich gesagt habe: Nach Ihrem Antrag wollen Sie, dass
die Veröffentlichung von als Geheim eingestuften Doku-
menten nicht mehr strafbar ist . Ich lese jetzt aus Ihrem
Antrag vor . Unter II formulieren Sie:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der

1 . Personen von der Strafverfolgung lediglich we-
gen der Veröffentlichung von als Geheim eingestuf-
ten Dokumenten befreit, . . .

Harald Petzold (Havelland)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20899


(A) (C)



(B) (D)


Ich interpretiere das so, dass Sie möchten, dass die Veröf-
fentlichung von Dokumenten, die als Geheim eingestuft
sind, nicht mehr als Straftatbestand angesehen werden
soll .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Öffentlichkeit? Das ist Presse!)


Ist das so? Dann hätte ich Ihren Antrag richtig ver-
standen, und dann bleibe ich auch bei meiner Kritik . Das
trifft den Sachverhalt, den Sie gerade geschildert haben,
weil diese Dokumente eingestuft waren . Der Deutsche
Bundestag beschließt dies, weil er Methoden und Techni-
ken, die in den Dokumenten erwähnt werden, nicht preis-
geben will . Wenn man im Vorfeld sagt, wie man verdeckt
ermitteln möchte, braucht man es ja gar nicht mehr zu
machen .


Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820912200


Herr Kollege, Ich hatte vorhin nicht umsonst dazwi-
schengerufen . Sie verdrehen die Dinge immer so – das
ist Ihre Taktik –, dass am Ende genau das Gegenteil von
dem herauskommt, was eigentlich beabsichtigt war .


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Er hat den Text vorgelesen! Daran ist nichts Falsches!)


Ich habe Ihnen gerade ganz deutlich gesagt: Das Bun-
desamt für Verfassungsschutz kann selber festlegen: Was
ist vertraulich? Was ist geheim? Was ist streng geheim?
Alles, was diesen Stempel bekommen hat, ist der Öffent-
lichkeit entzogen. Ich finde, dass die Öffentlichkeit ein
Recht darauf hat, zu erfahren, was das Bundesamt für
Verfassungsschutz mit den Steuergeldern macht, die es
von uns zugewiesen bekommt und die von den Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahlern gezahlt worden sind .


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das ist fadenscheinig!)


– Das ist nicht fadenscheinig . –


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Doch!)


Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, was
das Bundesamt für Verfassungsschutz mit diesen Geldern
vorhat, dass es die Internetüberwachung auf die ganze
Gesellschaft ausdehnen will, um so all unsere Lebensbe-
reiche für den Geheimdienst transparent zu machen . Ich
finde, es darf nicht bestraft werden, wenn solche Dinge
der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden . Da haben
Sie mich völlig richtig verstanden: Ich will, dass sowohl
Journalistinnen als auch Journalisten – das steht in unse-
rem Antrag – nicht strafrechtlich belangt werden, wenn
sie der Öffentlichkeit solche Dinge bekannt machen .
Auch Menschen, die solche Informationen an Journalis-
tinnen und Journalisten weitergeben, sollen nicht bestraft
werden .

Wenn wir über Whistleblower reden, reden wir natür-
lich nicht in erster Linie über Edward Snowden. Ich fin-
de aber, Edward Snowden ist kein Landesverräter, son-

dern ein mutiger Mensch; das sage ich auch über andere
Whistleblower .


(Beifall bei der LINKEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ein Handlanger Russlands!)


Eigentlich hätte Edward Snowden den Friedensnobel-
preis verdient und nicht das Exil .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es muss möglich sein, dass die Öffentlichkeit über solche
Dinge informiert wird und diejenigen, die darüber infor-
miert haben, nicht Gefahr laufen, am Ende in ihrer Frei-
heit eingeschränkt oder ihrer Freiheit beraubt zu werden .

Ein weiterer Punkt, um den es uns in unserem Antrag
geht, ist die Unabhängigkeit der Justiz . Ich erinnere an das
Trauerspiel, das uns da vorgeführt wurde: Erst verlangt
ein Behördenleiter, Ermittlungen wegen Landesverrats
aufzunehmen . Dann werden diese Ermittlungen aufge-
nommen . Plötzlich merkt die Regierung, dass ihr dieses
Pflaster zu heiß wird. Also fängt sie an, zurückzurudern.
Der eine behauptet, er habe eine entsprechende Weisung
bekommen; der andere erklärt, nie eine Weisung erteilt
zu haben . Dann muss der Generalbundesanwalt sein Amt
aufgeben, und am Schluss stellt er sich noch als Opfer
dar . Da muss man doch das Vertrauen in den Rechtsstaat
verlieren . – Solche Zustände können wir nicht dulden .
Deswegen sagen wir: Die Staatsanwaltschaften müssen
unabhängig arbeiten können – ohne Beeinflussung durch
Landesjustizministerien oder durch das Bundesjustizmi-
nisterium –, und der Generalbundesanwalt darf kein po-
litischer Beamter sein .

Das sind Forderungen, in denen wir mit Bündnis 90/
Die Grünen übereinstimmen . Deswegen werden wir Ih-
ren Anträgen ebenso zustimmen, wie wir unserem Antrag
zustimmen .

Ich finde es bedauernswert, dass es immer wieder die
Oppositionsfraktionen sind, die zu solchen Themen An-
träge stellen bzw . stellen müssen, weil Sie nichts unter-
nehmen .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das stimmt nicht!)


Vielleicht sollten Sie von der Großen Koalition sich ein-
mal fragen, ob Ihnen Pressefreiheit tatsächlich so we-
nig wert ist, dass Sie sich im Parlament so wenig dafür
engagieren . Ich kann Sie nur auffordern, unseren guten
Anträgen – sowohl von Bündnis 90/Die Grünen als auch
unserem Antrag – zuzustimmen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820912300

Vielen Dank, Harald Petzold . – Nächster Redner:

Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Patrick Sensburg

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620900


(A) (C)



(B) (D)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1820912400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribü-
nen! Die Pressefreiheit ist eines der wichtigsten Güter
unserer Verfassung und eine entscheidende Grundlage
für unsere Demokratie . Zur Pressefreiheit gehört, dass
keine staatliche Stelle auch nur im Ansatz in irgendei-
ner Form Einfluss auf journalistische Tätigkeit nimmt.
Deshalb darf nicht einmal der Anschein entstehen, eine
Behörde würde Druck auf Journalisten ausüben .

Wir in der SPD-Fraktion haben die Art der Strafan-
zeige des Bundesamtes für Verfassungsschutz für einen
Fehler gehalten . Deren Zielrichtung war formal gegen
Unbekannt; tatsächlich wurden in der Anzeige Journalis-
ten namentlich genannt, und der Verdacht war damit ge-
gen sie gerichtet . Dabei war es offensichtlich, dass keine
Strafbarkeit wegen Landesverrats vorliegt; denn es war
ohne größere juristische Prüfung erkennbar, dass schon
der für die Verwirklichung des Landesverrattatbestands
erforderliche Vorsatz, nämlich die Gefahr eines schweren
Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik,
fehlte . Ich halte fest, dass diese Anzeige in dieser Form
nie hätte gestellt werden sollen und dass das Bundesin-
nenministerium dieser Strafanzeige niemals hätte zustim-
men dürfen . Das hätte von dort gestoppt werden müssen .


(Beifall des Abg . Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD] – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre auch richtig gewesen!)


Im ersten Antrag der Grünen wird behauptet, dass
Journalisten immer wieder Ermittlungen von Strafver-
folgungsbehörden ausgesetzt seien . Das kann ich für
Deutschland jedenfalls in dem Ausmaß, wie Sie es in Ih-
rem Antrag darstellen, nicht feststellen . Und es wird eine
präzisere Definition gefordert, was ein Staatsgeheimnis
ist . Publizistische Veröffentlichungen von Staatsgeheim-
nissen erfüllen schon heute in der Regel nicht den Straf-
tatbestand des Landesverrates, weil es an der Absicht
fehlt, Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde
Macht zu begünstigen . Das war früher anders . Nach der
Spiegel-Affäre haben wir die entsprechende Vorschrift
geändert . Damals hätte der einfache Dolus eventualis
ausgereicht; seit 1966 bedarf es der Absicht . Wir haben
also schon damals Ihrem Anliegen entsprochen .

Ich finde, Ihr Vorschlag ist viel zu unbestimmt. Nach
Ihrem Vorschlag soll ein Staatsgeheimnis nicht vorlie-
gen, wenn das öffentliche Interesse am Bekanntwerden
der Information „das öffentliche Interesse an deren Ge-
heimhaltung erheblich überwiegt“ . Was ist „erheblich“?


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiterlesen! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Begründung zu lesen, wäre sinnvoll!)


So ungenau sollten wir keine Strafnormen formulieren,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen .

Ich finde, die Qualifizierung einer Information als
Staatsgeheimnis sollte davon abhängen, ob tatsäch-
lich eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland besteht . Sie schlagen vor, dass Vorausset-
zung für die Strafbarkeit sein soll, dass die Information

als Geheim eingestuft ist . Das könnte dazu führen, dass
eine Information die äußere Sicherheit der BRD gefähr-
det, aber aus irgendwelchen Gründen nicht eingestuft ist .
Dieses formale Kriterium halte ich deshalb für schwierig .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820912500

Herr Fechner, Entschuldigung . Erlauben Sie eine Fra-

ge oder Bemerkung?


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1820912600

Ja klar . Natürlich .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820912700

Dann, lieber Christian Ströbele, bitte .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie hätten weiterlesen müssen . Der Satz war noch
nicht zu Ende . Sie haben zitiert bis „erheblich über-
wiegt“ . Dann geht es weiter:

. . . wenn sie oder ihre Inhalte

1 . gegen die freiheitliche demokratische Grundord-
nung verstoßen,

2 . auf Grundrechtsverletzungen oder die Begehung
schwerer Straftaten … schließen lassen,

3 . gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbe-
schränkungen verstoßen .

Nur dann fordern wir das .


(Beifall der Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Das haben Sie einfach weggelassen . Sie behaupten,
dass nach unserer Definition immer dann keine Staatsge-
heimnisse vorliegen, wenn das öffentliche Interesse am
Bekanntwerden das öffentliche Interesse an Geheimhal-
tung erheblich überwiegt . Wir haben die Gründe genau
aufgelistet, wann keine Staatsgeheimnisse vorliegen . Da-
gegen können Sie doch nichts haben .


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1820912800

Aus meiner Sicht ist es nach wie vor zu unbestimmt .

Es wird auch durch die Nachsätze, die Sie vorgetragen
haben – ich habe das auch in Ihrem Antrag gelesen –,
nicht besser . Sie eröffnen eine Diskussion über die Er-
heblichkeitsschwelle dieser wichtigen Norm . Das alles
halte ich für zu unbestimmt . Deswegen bin ich von Ihrem
Vorschlag nicht überzeugt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Langer Rede kurzer Sinn: Die Lehre aus der Affäre
netzpolitik .org muss sein, dass Sicherheitsbehörden kei-
ne offensichtlich haltlosen Strafanzeigen gegen Journa-
listen stellen . Wo das geplant ist, müssen die Ministerien
einschreiten und solche Anzeigen stoppen . Es darf we-
gen der überragenden Bedeutung der Pressefreiheit in
Deutschland nicht einmal der Anschein erweckt werden,

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20901


(A) (C)



(B) (D)


dass in Deutschland Sicherheitsbehörden durch Strafan-
zeigen Druck auf Journalisten ausüben .

Im zweiten Antrag fordern Sie, liebe Kollegen von
den Grünen, im Einzelfall das externe Weisungsrecht des
Justizministers zu beschränken . Ich halte fest: Sie wol-
len es nicht abschaffen, wie es der Deutsche Richterbund
fordert, sondern Sie wollen es beschränken, und zwar auf
„evident rechtsfehlerhafte Entscheidungen“ . Auch das
ist aus meiner Sicht viel zu unbestimmt . Wie und nach
welchen Kriterien wollen Sie das bitte bestimmen? Das
Weisungsrecht ist aus meiner Sicht sinnvoll und sollte
nicht abgeschafft werden . Der bekannte Rechtsanwalt
Gerhard Strate hat es in einem Beitrag für die Zeitschrift
für Rechtspolitik 2014, wie ich finde, sehr prägnant zu-
sammengefasst . Er verweist zu Recht darauf, dass das
Grundgesetz keine Unabhängigkeit der Justiz, sondern
„nur“ die Unabhängigkeit der Richter kennt . Den Staats-
anwalt zum Teil der dritten Gewalt zu erklären, wäre – so
Strate – der Abschied von dem fein austarierten System
unserer rechtsstaatlichen Justiz . Das externe Weisungs-
recht, von dem sowieso nie Gebrauch gemacht wird –
Herr Maas hat es nicht getan, Kollege Sensburg –, sollte
zumindest in der Theorie bestehen . Das ist wichtig, weil
ansonsten keinerlei parlamentarische Kontrolle der Er-
mittlungsarbeit möglich ist . Dass das erforderlich ist, hat
der Fall Mollath sehr deutlich gezeigt . Letztlich gibt es
Argumente für die Abschaffung des Weisungsrechts, und
es gibt Argumente für die Beibehaltung . Aber nach mei-
ner Meinung gibt es keine Argumente für Ihren Mittel-
weg . Ich halte es für zu schwammig und unbestimmt, zu
sagen, nur bei evident bedeutsamen Fehlleistungen solle
das Weisungsrecht bestehen . Da ist Rechtsunsicherheit
vorprogrammiert .

Zum Antrag der Linken . Er enthält die berechtigte For-
derung, Hinweisgeber besser zu schützen . Ja, das stimmt .
Die SPD hatte in der letzten Legislaturperiode genau zu
diesem Zweck einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht .
Auch wir wollen Hinweisgeber besser schützen . Etwa
die Lebensmittelskandale in den letzten Jahren wären
niemals aufgeklärt worden, wenn es nicht mutige Arbeit-
nehmer gegeben hätte, die sich gegen ihre Vorgesetzten
gestellt und viele persönliche Nachteile in Kauf genom-
men hätten . Weil sie den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern dadurch einen großen Dienst erwiesen und dafür
gesorgt haben, dass lebensgefährliche Geschäftsprakti-
ken aufgedeckt und verhindert werden konnten, müssen
wir den Schutz solcher Hinweisgeber auf jeden Fall ver-
bessern . Da teilen wir Ihr Ziel .

Die Anträge enthalten viele richtige Ansätze, etwa den
besseren Schutz der Whistleblower oder die Idee, das
Weisungsrecht nur schriftlich zuzulassen . Aber weil sehr
viel unklar ist und weil insbesondere bei den Anträgen
der Grünen die zentralen Punkte zu unbestimmt sind,
habe ich erhebliche Bedenken gegen Ihre Anträge .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820912900

Vielen Dank, Johannes Fechner . – Nächster Redner:

Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1820913000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! In der Tat haben die Ermittlungen
gegen netzpolitik .org zu einer heftigen und breiten De-
batte geführt . Es wurde gefragt, ob wir den Schutz der
Journalisten in unserem Land verbessern müssen und
ob wir nicht generell eine Reform der Tatbestände der
§§ 93 ff . StGB – Geheimnisverrat und Landesverrat –
brauchen . Aber der Reihe nach .

Bei uns sind Journalistinnen und Journalisten zunächst
einmal grundrechtlich geschützt durch Artikel 5 des
Grundgesetzes. Dieses Grundrecht findet eine Schranke
in den Straftatbeständen der §§ 93 ff . StGB . Interessant
dabei ist: Das Schutzgut ist die äußere Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland. Ich finde es ein Stück weit
bedenklich, dass wir heute eine rechtspolitische Debatte
über die Frage führen, ob wir diese Tatbestände reformie-
ren, und niemand von Ihnen, weder Sie, Kollege Petzold,
noch Sie, Kollege Ströbele, sich einmal die Mühe ge-
macht hat, dieses Rechtsgut in Inhalt und Ausmaß zu
beleuchten .

Zwei Dinge hat netzpolitik .org damals online gestellt –
ich glaube, auch da sollten wir einmal etwas konkreter
werden; Sie, Herr Petzold, haben das sehr oberflächlich
in den Raum gestellt –: zum einen Teile des Wirtschafts-
plans des BfV, zum anderen Teile des Konzepts „Erwei-
terte Fachunterstützung Internet“ . Ich empfehle Ihnen, zu
der Bewertung des Inhalts die Ausführungen von Profes-
sor Dr . Jan-Hendrik Dietrich, Hochschule des Bundes, zu
lesen . Das ist just der Gutachter, den der damalige Ge-
neralbundesanwalt als externen Gutachter beauftragt hat-
te . Dieses Gutachten ist sehr viel differenzierter als das
interne Gutachten, das das Bundesamt für Verfassungs-
schutz damals in Auftrag gegeben hat . Professor Dietrich
kommt – so einfach scheint es nicht zu sein, Kollege
Fechner – zunächst einmal zu der Einschätzung, dass die
Information über das EFI-Konzept ein Staatsgeheimnis
gewesen ist, da das Konzept Rückschlüsse auf das Leis-
tungspotenzial des Bundesamtes für Verfassungsschutz
im Cyberbereich zulässt . Das EFI-Konzept legt offen,
welche organisatorischen und technischen Defizite im
Bundesamt für Verfassungsschutz im Bereich Cyberbe-
kämpfung vorherrschen, und beschreibt die Methoden,
wie in diesem Haus Informationen gewonnen werden .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Und das darf die Öffentlichkeit nicht wissen?)


Jetzt sagen Sie, die Öffentlichkeit müsse informiert
werden . Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Da haben
sich mir die Nackenhaare aufgestellt . Kollege Petzold,
wir leben im Zeitalter der Cyberkriminalität, im Zeitalter
der Hackerattacken .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Eben!)


Dr. Johannes Fechner

https://netzpolitik.org
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620902


(A) (C)



(B) (D)


Und für Sie ist es in Ordnung, dass ein Konzept offen-
gelegt wird, das Rückschlüsse auf die Cyberkompetenz


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Auf die Defizite!)


des Bundesamts für Verfassungsschutz zulässt . Auf
Deutsch gesagt: Dieses Konzept zeigt, wo die Bundesre-
publik Deutschland auf dem Cyberweg verwundbar ist,
und das im Zeitalter der Hackerattacken . Und für Sie ist
die Veröffentlichung vollkommen in Ordnung .


(Zuruf von der CDU/CSU: Traurig! – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten die Journalisten verurteilt werden sollen?)


Ich finde es erschreckend, dass Sie tatsächlich gesetz-
lichen Handlungsbedarf anmahnen, sich aber mit dem
Inhalt des Gutachtens offensichtlich kaum beschäftigt
haben,


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: So ein Quatsch!)


zumal – auch das muss man sagen – das Schutzgut der
äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland,
der Schutz der Bundesrepublik Deutschland und seiner
Behörden und Einrichtungen vor Hackerangriffen, alles
andere als ein niedrigschwelliges Rechtsgut ist .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Wir dürfen das nicht erfahren vom Bundesamt für Verfassungsschutz? Wo leben wir denn? – Gegenruf des Abg . Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das ganze Geschrei hilft gar nichts!)


Ich sage Ihnen: Bei der Lektüre Ihrer Anträge nimmt
man wahr, dass Sie an dieser Stelle Ihre Ideologie offen-
sichtlich ganz nach oben stellen . Sie wollen möglichst
viel Beinfreiheit für Journalisten und nehmen dafür im
Notfall eine Gefährdung der Bundesrepublik Deutsch-
land in Kauf .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: So ein Unsinn!)


Genau deshalb werden wir diese Anträge ablehnen . Wir
leben im Zeitalter der Digitalisierung, in einem Zeital-
ter, in dem sich in jeder Lebenslage akut und spontan In-
formationen in die Welt hinaussenden lassen . Wenn die
Information einmal in der Welt ist, sekundenschnell, ist
sie ganz schwer rückholbar . Wir wollen in diesem Zeit-
alter keinen leichtfertigen Umgang mit Staatsgeheimnis-
sen . Wir wollen eben nicht, dass der äußere Schutz der
Bundesrepublik Deutschland zur Disposition Einzelner
gestellt wird .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820913100

Herr Hoffmann, erlauben Sie eine Bemerkung oder

Frage von Christian Ströbele?


Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1820913200

Aber mit großem Vergnügen, Frau Präsidentin .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820913300

Danke schön .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege, darf ich Sie so verstehen, dass Sie im
Ergebnis der Meinung sind, man hätte die beiden Jour-
nalisten doch anklagen und möglicherweise verurteilen
sollen?


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Genau!)


So verstehe ich Sie jetzt . Sie haben offenbar noch nicht
verstanden, dass das eine die Person oder die Stelle ist,
die eine Information aus dem Bundesamt für Verfas-
sungsschutz nach draußen gegeben hat – darüber reden
wir hier gar nicht –, das andere die Journalisten sind, die
diese Information bekommen und veröffentlichen . Wir
sind der Meinung, dass ein Journalist, wenn er so etwas
in die Hand bekommt, gerade in einer Zeit, in der wir
über die Internetüberwachung diskutieren – ich rede jetzt
nicht von dem möglichen Verfassungsschützer oder wer
auch immer das war –, sagen können muss: Das interes-
siert die Öffentlichkeit jetzt aber sehr . Also veröffentliche
ich das .


Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1820913400

Danke für die Frage . – Das ist doch genau der Punkt:

In dem Moment, wo man das in die Hände eines Jour-
nalisten gibt, legt man das erhebliche Rechtsgut „äußere
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ in die Hän-
de eines Einzelnen und stellt es zu seiner Disposition . Ich
habe eigentlich gedacht – deswegen war ich eingangs
Ihrer Frage etwas irritiert –, dass Sie als Strafverteidiger
sehr wohl die Frage, ob Anklage erhoben wird, ob ermit-
telt wird, und die Frage, ob jemand verurteilt wird, aus-
einanderhalten können . Ich glaube, dass es voll und ganz
gerechtfertigt gewesen ist, in diesem Fall Ermittlungen
einzuleiten .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen die Journalisten!)


Es scheint ja nicht so eindeutig gewesen zu sein, wie der
Kollege Fechner vorhin geschildert hat . Immerhin hat
das Bundesjustizministerium ein Gutachten in Auftrag
gegeben . Jeder Straftäter in Deutschland muss sich nach
den Ermittlungen unter Umständen einem Strafprozess
stellen, in dem es dann um die Frage geht, ob Vorsatz
oder Absicht, wie es das Gesetz erfordert, vorgelegen hat .
Daher verstehe ich nicht, warum wir uns diese Zeit nicht
hätten nehmen sollen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Journalisten wägen doch ab!)


Generell erlebe ich diese Debatte – da will ich ehrlich
sein – als sehr ideologisch . Ich gehe sogar noch einen
Schritt weiter . Ich persönlich behaupte, dass Sie von den
Grünen und auch Sie von den Linken diese Ermittlungen
nicht zum Anlass für Reformüberlegungen genommen
hätten, wenn es zum Beispiel Ermittlungen gegen ein

Alexander Hoffmann

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20903


(A) (C)



(B) (D)


sehr konservatives Medienblatt, wie zum Beispiel den
Tagesspiegel, gegeben hätte .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der war gut!)


Ich bin aber – auch das will ich ganz ehrlich sagen –
mit der Aufarbeitung dieser Thematik im Bundesjustiz-
ministerium – insofern bin ich dankbar, dass Sie da sind,
Herr Minister – nicht wirklich zufrieden . Wir täten uns in
der Debatte durchaus leichter, wenn auch Sie mehr zur
Aufklärung der damaligen Chronologie beitragen wür-
den . Sie sagen: Es hat keine Weisung gegeben . Ich habe
nie das Wort „Weisung“ verwandt . – Ich habe im Rechts-
ausschuss gefragt, ob Sie ausschließen können, dass das,
was Sie gesagt haben, als Weisung hätte verstanden wer-
den können . Dazu gab es keine Auskunft . Sie haben auch
die Existenz des Aktenvermerks nicht wirklich erklären
können, und sie ließen das externe Gutachten stoppen . –
Das sind die Erkenntnisse, die ich eingangs skizziert
habe . Auf die Frage, warum sie es an diesem Montag, am
Tag der Weisung, haben stoppen lassen, sagen sie: Es war
einfach keine Zeit mehr zu verlieren . – Es ärgert mich
als Parlamentarier, wenn ich über das Fernsehmagazin
Kontraste die Information bekomme, dass der Gutachter
selbst sagt, dass das Gutachten an diesem Tag so gut wie
fertig gewesen ist . Mit der Beantwortung dieser Fragen
täten wir uns in der Debatte leichter .

Ich will am Ende meiner Rede noch ein paar Sätze
zum Schutz von Hinweisgebern verlieren; auch das ist
immer wieder ein Thema in den Debatten gewesen . Ich
bin schon dafür, dass wir das Ganze weitaus differen-
zierter sehen, als es der Kollege Petzold vorhin getan hat
oder als Sie es immer tun, Kollege Ströbele . Mir ist schon
wichtig, dass wir gesellschaftspolitisch den Akzent da-
rauf setzen, dass Hinweisgeber nicht in eine Ecke mit
Denunzianten gestellt werden dürfen . Ich glaube schon,
dass wir uns trotz Edward Snowden die Zeit nehmen
sollten, einmal zu überlegen: Wo besteht denn überhaupt
Regelungsbedarf? Wie viele Regelungslücken haben
wir? – Sie wissen, dass in der juristischen Debatte die
Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte im Mittelpunkt stand . Damals ging
es um den berühmt gewordenen Fall der Pflegerin, die
Missstände in einem Pflegeheim veröffentlicht hatte. Die
wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Entscheidung sind:

Erstens . Es geht um Grundrechtsschutz . Es ist eine
Abwägungsentscheidung zu treffen zwischen der Mei-
nungsfreiheit und dem Informationsinteresse der Allge-
meinheit auf der einen Seite und dem Vertraulichkeitsin-
teresse des Unternehmens auf der anderen Seite .

Zweitens . Diese Abwägung muss im Einzelfall von
einem Gericht vorgenommen werden, auch wenn wir
einzelgesetzlich etwas verändern . Auch rechtliche Kon-
sequenzen – wie eine Abfindung, die es in diesem Fall
gab – müssen im Einzelfall geprüft werden; das ist heute
schon so .

Ich bin der Meinung, dass wir schauen müssen, wie
die Strukturen in diesem Bereich, zumindest im Hinblick
auf das Arbeitsrecht, sind und ob es Änderungsbedarf
gibt . Ein solcher Bedarf ist jedenfalls nicht in dem Um-

fang, wie Sie heute hier glauben machen wollen, vorhan-
den . Deswegen lehnen wir Ihre Anträge ab .

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820913500

Vielen Dank, Alexander Hoffmann . – Der letzte Red-

ner in der Debatte: Dr . Matthias Bartke für die SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1820913600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Netzpolitik .org-Affäre aus dem letzten Sommer hat uns
die Spiegel-Affäre von 1962 wieder ins Gedächtnis ge-
rufen . Beide Affären stehen für die hohe Bedeutung, die
die Pressefreiheit in unserem Land hat . Die Spiegel-Af-
färe hat die Pressefreiheit in der Gesellschaft wirklich
verankert . Die Gesellschaft hat damals begriffen, was
Pressefreiheit tatsächlich bedeutet . Seither begleitet der
kritische Geist der Presse die Entwicklungen in unserem
Land und korrigiert sie, wo sie in die falsche Richtung
laufen . Die Pressefreiheit ist damit Garant unserer De-
mokratie und scheint heute wichtiger denn je, nicht nur
in Deutschland .

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Spie-
gel-Urteil von 1966 in aller Deutlichkeit festgestellt:

Die Presse … beschafft die Informationen, nimmt
selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientieren-
de Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung .

Im selben Urteil hat das Bundesverfassungsgericht auch
deutlich gemacht, dass „die Aufdeckung wesentlicher
Schwächen … trotz der zunächst damit verbundenen …
Nachteile für das Wohl der Bundesrepublik auf lange
Sicht wichtiger … als die Geheimhaltung“ sein kann .

Meine Damen und Herren, das ist der Hintergrund,
vor dem die Netzpolitik .org-Affäre gesehen werden
muss . Es war daher absolut richtig, dass das Justizmi-
nisterium schon zu einem frühen Zeitpunkt der Affäre
besonders sorgsame Arbeit angemahnt hat . Selbst der
damalige Generalbundesanwalt Range hatte mit Blick
auf die Pressefreiheit Anweisung gegeben, „mögliche
Exekutivmaßnahmen“, wie er es nannte, gegen die Jour-
nalisten zu stoppen . Damit wird schon sehr deutlich, dass
der Staat zu keinem Zeitpunkt kritische Berichte unter-
drücken wollte oder gar unterdrückt hat .

Wenn es um Ermittlungen gegen Journalisten geht,
steht dieser Verdacht natürlich immer schnell im Raum,
und man darf solche Bedenken auch nicht leichtfertig
vom Tisch wischen . Das ist im Fall von netzpolitik .org
aber ganz sicher nicht geschehen . Nach dem Bekannt-
werden der Ermittlungen explodierte die Berichterstat-
tung zu diesem Thema geradezu . Medien und Pressever-
bände waren empört und haben sich mit den Bloggern
von netzpolitik .org solidarisiert . Ich muss gestehen:
Einen eingeschüchterten Eindruck hat das auf mich da-
mals nicht gerade gemacht. Ich finde, das spricht für das

Alexander Hoffmann

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620904


(A) (C)



(B) (D)


Selbstbewusstsein der Presse in unserem Land, und ich
sage: Richtig so!


(Beifall bei der SPD)


Liebe Oppositionsfraktionen, in Ihren Anträgen neh-
men Sie nicht nur auf die Pressefreiheit, sondern auch
auf das Weisungsrecht des Justizministers Bezug und
wollen es einschränken . Ja, der Justizminister hat ein
externes Weisungsrecht gegenüber dem Generalbundes-
anwalt . Im vorliegenden Fall hat er davon aber gar kei-
nen Gebrauch gemacht . Es ist ja nun auch nicht so, dass
er deswegen schalten und walten kann, wie er will . Die
Dienstaufsicht ist an Recht und Gesetz gebunden . Wo das
Gesetz keinen Ermessensspielraum zulässt, kommt das
Weisungsrecht überhaupt nicht infrage . Justizminister
Heiko Maas musste Generalbundesanwalt Range trotz-
dem in den einstweiligen Ruhestand versetzen . Nachdem
dieser ihm in einer Pressekonferenz vorgeworfen hatte,
in die Unabhängigkeit der Justiz einzugreifen, war das
unvermeidlich; denn einmal abgesehen davon, dass der
Generalbundesanwalt eben gerade nicht unabhängig ist,
erschüttert ein solch öffentlich erhobener Vorwurf das
Vertrauensverhältnis ohnegleichen . Völlig klar, dass das
deutliche Konsequenzen erforderte!

Meine Damen und Herren, ich will in diesem Zu-
sammenhang meinen persönlichen Eindruck schildern .
Im Rechtsausschuss hatten wir Herrn Range im August
vergangenen Jahres ja bekanntlich geladen . Ich muss
wirklich sagen: Einen solch schwachen Auftritt habe ich
zuvor selten erlebt .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Tat!)


Die Süddeutsche Zeitung beschrieb Range als „rebel
with out a cause“. Ich finde, das trifft es ziemlich gut.

Sie merken schon: Aus meiner Sicht zeichnet sich
nicht der Änderungsbedarf ab, den Sie aus der Affäre ge-
folgert haben . Das liegt vielleicht auch daran, dass der
letzte vergleichbare Fall über ein halbes Jahrhundert zu-
rückliegt. Ich finde: Dringender Handlungsbedarf sieht
wirklich anders aus .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820913700

Vielen Dank, Matthias Bartke . – Damit schließe ich

die spannende Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/10036, 18/10037 und 18/5839 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . – Sie sind damit einverstanden . Dann sind die
Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3 . Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte am NATO-geführten Ein-

satz Resolute Support für die Ausbildung, Be-
ratung und Unterstützung der afghanischen
nationalen Verteidigungs- und Sicherheits-
kräfte in Afghanistan

Drucksachen 18/10347, 18/10638 (neu)


– Bericht des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/10657

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Red-
ner Niels Annen für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1820913800

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Am 5 . Dezember 2001, also fast auf
den Tag genau vor 15 Jahren, ging auf dem Bonner Pe-
tersberg die erste Afghanistan-Konferenz zu Ende . Eini-
ge werden sich an die Debatten noch erinnern . Es gab so
etwas wie eine Aufbruchstimmung . Man darf auch nicht
vergessen: Die afghanische Bevölkerung hatte damals
schon auf 20 Jahre Krieg zurückgeblickt . Aber wenn wir
heute über Resolute Support diskutieren und beschließen
werden, dann gehört es zu unserer Verantwortung, dass
wir eine ehrliche Bilanz ziehen .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Oh ja!)


Die Erwartungen, die damals im Land herrschten, der
Enthusiasmus, haben sich nicht realisieren lassen . Das ist
ein Teil der Ernüchterung, die wir zur Kenntnis nehmen
müssen . Leider prägen immer noch Gewalt und Angst
vor Unsicherheit den Alltag der Menschen in Afgha-
nistan . Auch das Thema Korruption beschäftigt unsere
Kolleginnen und Kollegen im afghanischen Parlament .
Es gibt in Teilen des Landes ein Gefühl von Hoffnungs-
losigkeit . Das drückt sich in der Tatsache aus, dass Men-
schen Afghanistan verlassen . Ich komme aus Hamburg
und vertrete einen Wahlkreis mit einer der wahrschein-
lich größten afghanischen Gemeinden in Deutschland
und in ganz Europa .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Der Abschiebung, ja!)


Trotzdem ist es richtig – das ist auch ein Teil der De-
batte, die wir führen müssen –, dass es seit 2001 wichtige
Fortschritte in Afghanistan gegeben hat . Es gibt zumin-
dest in den großen Städten freie Medien . Es gibt Debat-
ten . Es gibt politische Demonstrationen . Das ist für uns
nichts Besonderes, aber für die afghanische Kultur ist das
bemerkenswert .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wahr!)


Dr. Matthias Bartke

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20905


(A) (C)



(B) (D)


Sie prägen damit auch das afghanische Gemeinschaftsge-
fühl, den Zusammenhalt dieser zerrissenen Gesellschaft .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Dies ist ein Teil der Realität . Deswegen möchte ich das
auch ansprechen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will hier keinen Katalog herunterbeten, aber er-
wähnen muss man das schon, wenn wir über Afghanistan
diskutieren . Es gibt auch Erfolge im Kampf gegen An-
alphabetismus, gegen Armut, gegen fehlende medizini-
sche Versorgung . Vor allem in den großen Städten – auf
dem Lande bleiben große Defizite – gibt es Zugang zu
Bildung in einer Art und Weise, wie es das in der afgha-
nischen Geschichte niemals gegeben hat .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist nicht wahr!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach den
Rückschlägen, über die wir miteinander diskutiert haben,
darf ich daran erinnern, dass wir über ein Bundestags-
mandat zu entscheiden haben, dessen Charakter darin
liegt, die afghanischen Sicherheitskräfte – Armee und
Polizei – zu unterstützen, zu trainieren, zu beraten . Ich
will auch daran erinnern, dass wir hier Menschenleben
zu beklagen haben, auch von deutschen Soldatinnen und
Soldaten, im Kampf gegen die Feinde der Demokratie
in Afghanistan, die Taliban und andere Aufständische .
Trotzdem glaube ich, dass es richtig ist, dass die Bundes-
regierung die afghanische Regierung, die afghanischen
Akteure, die sich für eine Versöhnung einsetzen, unter-
stützt . Das ist der richtige Weg für Afghanistan . Nach so
vielen Jahren Krieg wissen wir doch, meine sehr verehr-
ten Kolleginnen und Kollegen, dass es am Ende nur eine
politische Lösung geben kann .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und? Ihr tut ja nichts!)


Deswegen finde ich es erfreulich, auch wenn es nur
einen kleinen Teil der Aufständischen betrifft, dass wir
trotz der Schwierigkeiten, mit denen unsere Kolleginnen
und Kollegen in Kabul konfrontiert sind, mit dem jüngst
abgeschlossenen Abkommen mit Herrn Hekmatjar se-
hen, dass es eine realistische Möglichkeit gibt, Gewalt-
akteure in den politischen Prozess zu integrieren . Ich bin
mir sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Taliban
werden das, was dort vereinbart worden ist, sehr genau
beobachten . Umso wichtiger ist es natürlich, dass jetzt
die Versprechen, die vonseiten der afghanischen Regie-
rung gemacht worden sind, eingehalten werden .

Ich will hier an diesem Podium auch sagen: Präsident
Ghani und CEO Abdullah, die beiden beherrschenden
politischen Figuren des Landes, haben, nicht weil unsere
Hilfen konditioniert sind – sie sind es übrigens aus gu-
tem Grund –, sondern aus eigener Initiative, ihrer Bevöl-
kerung große Versprechen gemacht . Ein Land, das sich
im Kriegszustand befindet, kann nicht alles eins zu eins
umsetzen . Aber vieles ist nicht umgesetzt worden, weil

die beiden sich nicht verständigen konnten, weil die Um-
felder dieser beiden wichtigen Politiker nicht zusammen-
gearbeitet, nicht kooperiert haben . Das hat zur aktuellen
Instabilität und Unsicherheit beigetragen . Wir erwarten
von Präsident Ghani und von Herrn Abdullah, dass die
Versprechen, die sie ihren eigenen Menschen gegeben
haben, eingehalten werden, meine sehr verehrten Damen
und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dann muss sich auch jeder in Afghanistan darauf verlas-
sen können, dass wir mithelfen – mit Resolute Support,
um die Sicherheitskräfte auf ihre schwierige Aufgabe in
diesem Umfeld weiter so professionell wie möglich vor-
zubereiten, aber eben auch mit den Zusagen, die wir in
Brüssel gemacht haben .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will zum
Schluss, weil das ja nun die Debatte ist, die wir hier alle
miteinander führen, doch noch ein Wort zur aufgeregten
Diskussion über die Abschiebungen sagen . Eines ist doch
in der Tat richtig: Afghanistan ist kein sicheres Land .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Warum schiebt ihr ab?)


Man kann zur Sicherheit in Afghanistan keine pauschale
Aussage treffen . Ich kenne übrigens auch kein Gerichts-
urteil, das zu einem solchen Ergebnis kommt .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Aber?)


Ich glaube, trotzdem ist es richtig, dass es, wenn der
Rechtsweg ausgeschöpft ist, grundsätzlich die Möglich-
keit gibt, Menschen, die keine Bleibeperspektive haben,
zurückzuschicken . Ich sage „grundsätzlich“,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr konkret wird zurückgeschickt!)


weil ich das mit einem Appell verbinden möchte: Ich er-
warte, dass die Gerichte, aber auch das BAMF weiter-
hin sehr sorgfältig jeden Einzelfall prüfen . Ich warne vor
dem Populismus, den ich aus Bayern höre, wo es heißt,
man könne jetzt Tausende von Menschen nach Afghanis-
tan abschieben . Das hätte mit der Realität und übrigens
auch mit der Rechtslage nichts zu tun .


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Man darf niemanden nach Afghanistan abschieben!)


Gerade Menschen, die hier unsere Sprache sprechen, die
gut integriert sind, sollen weiter bei uns eine Perspektive
haben . Also lassen Sie uns keine populistische, sondern
eine an der Sache orientierte Debatte führen .

Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit und bitte
um Zustimmung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Niels Annen

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620906


(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820913900

Vielen Dank, Niels Annen . – Nächster Redner:

Wolfgang Gehrcke für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820914000

Danke sehr, Frau Präsidentin . – Wir reden hier über

15 Jahre deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan . Die
Kriege in Afghanistan sind sehr viel älter; das ist über-
haupt keine Frage . Wir haben unendlich viele Debatten
hier im Bundestag geführt – das ist richtig und wichtig –,
aber ich muss ehrlich sagen: So viel Dreistigkeit wie
diesmal habe ich bisher bei keiner Debatte erlebt . Das
macht mich wirklich fassungslos .


(Beifall bei der LINKEN)


Das müssen Sie den Menschen doch mal erklären: Sie
beantragen die Verlängerung des Mandates mit der Be-
gründung, dass die Sicherheit in Afghanistan nicht gege-
ben ist; deshalb müsse man das Mandat der Bundeswehr
verlängern . Ich halte das alles für falsch, aber das ist Ihre
Begründung . Gleichzeitig schieben Sie Flüchtlinge, die
hier Schutz gesucht haben – gestern waren es 34, die ab-
geschoben worden sind –, mit der Begründung nach Af-
ghanistan zurück, dass es ein sicheres Herkunftsland ist .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Nicht mit der Begründung!)


Das begreift keiner mehr .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit solch einer Begründung können Sie doch gar nicht
abschieben .

Das Triumphgeheule aus Bayern, von denjenigen, für
die 34 Abschiebungen nicht auslangen, sondern es eini-
ge Tausend sein sollen, ist doch nicht zu überhören . Die
Glückwunschschreiben der AfD müssen sich doch bei
Ihnen stapeln, wenn Sie so vorgehen . Es ist unfassbar
und völlig inakzeptabel, was Sie hier machen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe mich über jeden gefreut, der gestern am Frank-
furter Flughafen gegen die Abschiebung demonstriert
hat . Ich möchte, dass die Menschen in diesem Lande für
Frieden in Afghanistan, aber auch dafür, dass die afgha-
nischen Flüchtlinge hier zu Hause sein können, auf die
Straße gehen und sich einsetzen . Das ist eine vernünftige
Politik, zumindest aus Sicht meiner Fraktion .

Gleichzeitig bitte ich Sie, mal über die Afghanis-
tan-Entscheidungen nachzudenken, die hier unter jeg-
licher Couleur, jeglichen Regierungsfarben, getroffen
worden sind: Rot-Grün zu Beginn, dann Schwarz-Gelb
und Schwarz-Rot . Alle hier vertretenen Fraktionen außer
dem gallischen Dorf der Linken


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


waren daran beteiligt . Und die Argumente sind immer
schlechter geworden . Das war der Mühlstein, der die
deutsche Außenpolitik immer weiter runtergerissen hat .

Denken Sie an das Argument, die deutsche Sicherheit
solle am Hindukusch verteidigt werden . Die deutsche
Sicherheit ist nicht am Hindukusch verteidigt worden .
Die Gefahren sind immer größer geworden . Ich denke an
den Tötungsbefehl des Oberst Klein in Kunduz; es war
ein deutscher Oberst, der einen solchen Befehl gegeben
hat . Ich denke auch, Herr Außenminister, an die ganze
Debatte über Murat Kurnaz . All das ist Teil der Ausei-
nandersetzung über die deutsche Kriegsbeteiligung in
Afghanistan. Ich finde, gerade Sie als sozialdemokrati-
sche Partei sollten sich von dieser Katastrophe lösen und
einen anderen politischen Weg einschlagen . Das wäre
vernünftig . Ansonsten geht es in der Außenpolitik immer
weiter bergab . Aus diesem Dilemma kommen Sie nicht
raus . Sie müssen sich so oder so entscheiden .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fordere Sie auf, darüber nachzudenken, ob sich
die Mehrheit dieses Parlaments nicht bei der damaligen
Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in
Deutschland, Frau Käßmann, entschuldigen muss . Der
klassische Satz von Frau Käßmann: „Nichts ist gut in Af-
ghanistan“ ist stimmig und trägt .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Der ist grundfalsch!)


– Dass er Ihnen nicht passt, ist mir schon klar . Sonst strei-
ten Sie doch immer für die Kirche, Herr Kauder,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Grundfalsch!)


aber wenn es mal kritisch wird, dann ist alles vorbei . Das
war damals eine richtige Grundbeurteilung .


(Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Nein, war es nicht!)


Nichts ist gut in Afghanistan .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


220 000 Menschen sind in dem Krieg umgekommen . Ist
das gut? Was ist in Afghanistan nicht alles zerstört wor-
den! Die NATO hat sich so positioniert, dass immer mehr
Menschen zu den Terroristen übergelaufen sind . Heute
betreiben Sie eine Politik, durch die am Ende nicht die
Taliban, sondern der „Islamische Staat“ noch stärker
wird . Wer mit Drohnen in Afghanistan tötet, treibt die
Menschen in die Scheuer des „Islamischen Staates“ . Das
ist das Ergebnis Ihrer Politik . Da können Sie doch nicht
sagen, dass alles gut ist in Afghanistan oder besser ge-
worden ist .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir haben nicht gesagt, dass alles gut ist!)


Das alles bleibt unterm Strich stehen . Deswegen kann
man Ihrem Antrag nicht zustimmen . Wir werden den An-
trag ablehnen; das ist sowieso nicht das Problem . Aber
immer mehr Menschen in unserem Lande sagen: Mit ei-
ner solchen Politik wollen wir nichts zu tun haben, und
das zu Recht .


(Beifall bei der LINKEN)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20907


(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820914100

Vielen Dank, Wolfgang Gehrcke . – Nächster Redner:

Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1820914200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege
Gehrcke sprach eben von Dreistigkeit mit Blick auf den
vorliegenden Antrag . Dreist, Herr Kollege Gehrcke, ist,
wie Sie hier Aussagen aus dem Zusammenhang reißen
und Geschichte klittern,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Lars Klingbeil [SPD])


wie Sie hier eine Theologin vorführen, die Ihre Aussagen
längst revidiert hat .

Wir alle wissen: Die Lage in Afghanistan ist viel-
schichtig, aber ohne das internationale Engagement wäre
Afghanistan längst zerfallen . Ich glaube, darüber sind wir
uns einig .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Krieg ist verloren! Schon lange!)


– Herr Ströbele, es geht hier nicht um Krieg . – Der Kol-
lege Annen hat eben sehr klar daran erinnert, was wir im
Jahr 2011 zum zweiten Mal auf einer Petersberg-Konfe-
renz in Deutschland angesprochen, vorbereitet und in die
Planung gesetzt haben, nämlich bis 2024 aus Afghanistan
ein ganz normales Entwicklungsland zu machen . Merket
wohl: Ein ganz normales Entwicklungsland! Afghanistan
ist auf den letzten Plätzen was Sicherheit, was Korrupti-
onsbekämpfung angeht .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie mal de Maizière sagen!)


Afghanistan macht schleichende Fortschritte, aber das
hat Afghanistan bisher nicht aus eigener Kraft geschafft .
Dazu braucht es internationale Unterstützung .

Das wirklich Dreiste an der Argumentation der Linken
ist die ausschließliche Fokussierung aufs Militärische .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist doch Ihr Antrag!)


Drei Punkte sind hier wichtig, die wir in der Debatte der
Opposition, zumindest der Linken, entgegenhalten kön-
nen .

Erstens . Es geht schlichtweg darum, dass wir in der
afghanischen Bevölkerung das Vertrauen in die eigenen
Strukturen stärken . Das bedeutet, nach militärischen Ein-
sätzen sofort mit humanitärer Hilfe, mit Wiederaufbau
und mit einer wärmenden Hand des Staates präsent zu
sein . Da geht es um Energieversorgung, um Gesundheit
und um Wasser . Das leistet die Resolute Support Missi-
on, indem sie die afghanischen Strukturen befähigt, be-
gleitet und berät .

Zweitens . Wir müssen die Eigenverantwortung Af-
ghanistans stärken . Wenn wir über Afghanistan sprechen,

müssen wir uns bewusst sein, um was für ein Land es sich
handelt – dessen ist sich die Linke leider nicht bewusst –:
80 Prozent Sunniten, 19 Prozent Schiiten, rund 50 ver-
schiedene Volksgruppen und ebenso viele Sprachen . Das
zusammenzuhalten, ist eine Herkulesaufgabe . – Ich kom-
me an einem anderen Punkt darauf zurück .

Ein Blick in das Land macht deutlich – Kollege Annen
hat das angesprochen –: Zwei Drittel der Bevölkerung
leben in Ruhe und in Frieden und erleben eine positi-
ve wirtschaftliche Entwicklung . Knapp 30 Prozent der
Bevölkerung – rund 9 Millionen Einwohner – leben in
umkämpften Gebieten, aber 20 Millionen nicht . Bei Ab-
schiebungen – ich glaube, da sind wir uns alle einig –
muss man sehr sorgfältig auf die Region und auf die Eth-
nie achten . Pauschale Abschiebungen – da sind wir uns
sicherlich alle einig – sind nicht möglich – man muss die
jeweilige Region Afghanistans betrachten –; aber in zwei
Dritteln des Landes herrschen Frieden und Sicherheit .
Das unterstreiche ich .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist Quatsch!)


Drittens . Ein Abzug, den Teile der Opposition fordern,
würde ja nicht bedeuten, dass es mit Afghanistan auf ein-
mal aufwärtsginge . Ein Abzug hätte ganz klare Konse-
quenzen . Afghanistan würde, wie in der Vergangenheit,
zum Spielball regionaler Mächte werden . Indien, Iran,
Pakistan, China, Russland und auch die Türkei haben
Interessen . Was alle eint, ist die Sorge vor Terrorismus
und vor Drogenschmuggel sowie die Hoffnung auf mehr
Energieversorgungssicherheit . Hier sehe ich eine Aufga-
be für Deutschland . Diese haben wir in der Vergangen-
heit sehr intensiv wahrgenommen, und wir nehmen sie
auch aktuell wahr . Über diese drei Bereiche – Bekämp-
fung des Terrors und der Aufständischen, Bekämpfung
des Drogenanbaus und Unterbreitung von Alternativan-
geboten sowie Schaffung von Energieversorgungssicher-
heit – müssen wir mit den Regionalmächten reden . Das
geht nur durch Präsenz vor Ort, durch Glaubwürdigkeit
und Anwesenheit .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit 15 Jahren!)


Ein Letztes . Sie brauchen strategische Geduld . Wenn
wir über das weitere Vorgehen sprechen, müssen wir uns
den Beschluss von 2011 in Erinnerung rufen, nach dem
Afghanistan bis 2024 auf das Niveau eines normalen
Entwicklungslands geführt werden soll . Das bedarf eines
ganzheitlichen Vorgehens . Das bedarf auch der Korrupti-
onsbekämpfung, worauf die Amerikaner in der Resolute
Support Mission ungeheuer großen Wert legen . Sie set-
zen diesen Anspruch drastisch durch und lösen Personal
in den afghanischen Strukturen, das sich nicht an die Vor-
gaben hält, ab .

Was wir brauchen, ist strategische Geduld . Uns sollte
bei der Bemessung unseres Kräfteansatzes bewusst sein,
wie stark wir das aktuelle Mandat ausnutzen . 940 der
980 Dienstposten sind besetzt . Es gibt Mandate, bei de-
nen gerade einmal die Hälfte des angesetzten Personals
im Einsatz ist, bei denen es atmende Obergrenzen gibt .
Es wäre auch mit Blick auf die Belastung unserer Solda-
tinnen und Soldaten vor Ort hilfreich, lieber Herr Außen-

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620908


(A) (C)



(B) (D)


minister, über atmende Obergrenzen nachzudenken und
die Truppe mit dem auszustatten, was sie benötigt .

Trotz aller Fokussierung auf das Militärische: Stellen
wir doch heraus, was in Afghanistan an ziviler Entwick-
lungszusammenarbeit geleistet wurde! Die Bundesrepu-
blik Deutschland hat sich über das Mandat, das bei der
Afghanistan-Konferenz 2011 auf dem Petersberg be-
schlossen wurde, hinaus verpflichtet, bis 2022 1,7 Mil-
liarden Euro zu investieren . Andere Staaten machen es
genauso . Es geht auch darum, darzustellen, was zivil ge-
leistet wird . Ich denke, dass es eines Parlamentes würdig
ist, darüber ausschussübergreifend zu sprechen und unse-
rer Öffentlichkeit klarzumachen, dass es nicht nur um ei-
nen Militäreinsatz geht, sondern auch um eine sinnvolle
Begleitung des Wiederaufbaus .

In diesem Sinne darf ich, da ich sehr viel Lebenszeit
mit Afghanistan verbracht habe, von dieser Stelle aus
eine herzliche Ermunterung nach Afghanistan senden
und unseren Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen
Aufbauhelfern alles erdenklich Gute wünschen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820914300

Vielen Dank, Roderich Kiesewetter . – Nächster Red-

ner: Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820914400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es

gibt Fortschritte in Afghanistan . Das erkennt man, wenn
man sich die letzten 15 Jahre anschaut; das ist sicher so .
Kollege Annen hat einige dieser Fortschritte genannt .
Wir stehen in Afghanistan aber zurzeit vor einer riesigen
Herausforderung . Es gibt an der Spitze des Staates Si-
gnale für einen Zerfall . Die Politik des Landes steckt in
einer immensen Krise . Sie macht damit ganz, ganz viel
kaputt .

Ich war 2014 nach den Wahlen in Afghanistan . Ich
habe dort viel Euphorie gesehen und eine unglaublich
gute Stimmung erlebt . Ich sah Menschen mit leuchtenden
Augen, die mir total stolz ihren getinteten Finger gezeigt
haben, der zeigte, dass sie wählen gegangen waren . Dann
haben zwei Menschen den Wahlsieg für sich proklamiert .
Wir, der Westen, haben sie dann bedrängt, miteinander zu
arbeiten . Sie schaffen das bis heute nicht . Das sieht die
Gesellschaft . Es führt in einem Land wie Afghanistan zu
einer unglaublich schlechten Stimmung, wenn nach über
zwei Jahren kein Verteidigungsminister ernannt worden
ist . Das ist eine Art von Tribalisierung der Politik und
der Regierung an und für sich, die das Land maßgeblich
kaputtmacht .

Die Sicherheitslage ist höchst fragil . Ich war 2015
das nächste Mal dort . Da war die Stimmung schon gar
nicht mehr so gut, weil die fünftgrößte Stadt des Lan-
des, Kunduz, gefallen war . Innerhalb von 24 Stunden
hatten die Taliban Kunduz erobert . Die Frage, die sich
viele Freunde, die ich in Kabul habe, gestellt haben, war:
Ist das auch in Kabul in einer solchen Geschwindigkeit

möglich? Faktisch nicht, aber das zeigt, wie dramatisch
sich die Stimmung verändert hatte .

Die Taliban sind stark, die Friedensgespräche gibt es
nicht mehr, und ISIS fasst in immer mehr Gebieten Fuß,
zum Beispiel in der Provinz Nangarhar . Jeden Tag kann
man in den afghanischen Zeitungen lesen, dass es dort
bei Gefechten soundso viele tote Taliban und soundso
viele Tote von ISIS gegeben hat . Was nicht in der Zeitung
steht, ist, dass es diese Toten bei Gefechten zwischen die-
sen beiden Gruppen untereinander gab . Denn die afgha-
nische Armee kann gar nicht mehr vor Ort arbeiten . Das
zeigt, wie hoch dramatisch die Lage ist .

Die Vorwürfe an die afghanische Armee müssen
sich dabei in Grenzen halten . Ein paar Zahlen: 2015
6 637 Tote von der Armee, 12 471 Verletzte; Januar bis
August 2016 über 5 500 tote und fast 10 000 verletzte
Soldaten . Keine Armee der Welt würde so viele Verluste
auf Dauer überleben, ohne zu desintegrieren . Genau das
passiert derzeit in Afghanistan . Deswegen kommt auch
der Arbeitsmarkt nicht in Schwung . Deswegen funktio-
niert die Wirtschaft nicht gut . Das drückt auf die Stim-
mung .

2015 habe ich dort junge Menschen getroffen . Sie wa-
ren hoch agil, hoch aktiv und wirklich gut ausgebildet .
Sie gehörten genau der Generation an, die Afghanistan
aufbauen kann und auch muss . Wir haben eine sehr lange
Diskussion geführt . Dann kam es zur Frage der Migra-
tion . Eine junge, starke, mutige Frau sagte: Ich bleibe .
Das ist mein Land, und ich baue es auf . – Die anderen
sechs, die am Tisch saßen, haben sie ausgelacht . Das war
eine tragische Sekunde für mich, aber erst recht für die-
se Frau . Dies macht aber auch klar, wie die Stimmung
in diesem Land ist . Deshalb ist es umso wichtiger, dass
wir die richtigen Signale setzen, dass wir den Afghanin-
nen und Afghanen klarmachen, dass wir ihnen beistehen,
dass wir wissen, dass sie einen weiten Weg vor sich ha-
ben, und dass wir solidarisch sind . Es geht um Signale .
Es geht darum, dass wir den Afghanen die richtigen Si-
gnale senden .

Ich komme zu den Signalen der Bundesregierung .

Erstens . Massiver Tabubruch im Oktober 2016: Der
Außenminister verknüpft – das war bisher in dieser Re-
publik zu Recht völlig verpönt – die Entwicklungszu-
sammenarbeit unmittelbar mit der Annahme eines Rück-
nahmeabkommens . Das heißt, erst wenn Abschiebungen
funktionieren, sind wir bereit, euch Geld zu geben . – Es
gab einen guten Grund, warum genau dieselben Mitglie-
der der Bundesregierung, als zum Beispiel das Thema
bei Marokko auf die Tagesordnung kam, gesagt haben,
dass diese Verknüpfung unzulässig ist. Wir finden, dieser
Tabubruch ist das falscheste Signal, das man nach Afgha-
nistan senden kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens . Gestern: 34 Flüchtlinge in einem Flugzeug
von Frankfurt nach Kabul . Es gibt Rückführungen . Ist
Afghanistan nun sicher? Wir haben gerade von allen ge-
hört, dass dem nicht so ist . Gibt es sichere Zonen?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja!)


Roderich Kiesewetter

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20909


(A) (C)



(B) (D)


Wir fragen die ganze Zeit, wo die sicheren Zonen sind .
Dann wird uns Masar-i-Scharif genannt . Es gibt einen
guten Grund, warum unser Generalkonsulat nun ge-
schlossen ist und auch nicht mehr öffnen wird . Das liegt
daran, dass die Sicherheitslage hoch dramatisch ist und
auch die afghanischen Sicherheitskräfte nicht imstande
sind, unser Generalkonsulat zu schützen . Wie kommen
Sie auf die Idee, dass sie dann imstande sind, die Zivilbe-
völkerung zu schützen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es gibt ja auch freiwillige Rückführungen . Da ist es
so, dass man organisieren kann, dass es ein Netzwerk
gibt, dass es NGOs gibt, dass sich um die Leute geküm-
mert wird . Aber was hier passiert, sind Sammelabschie-
bungen, Sammelrückführungen mit Zielgrößen bzw . mit
Fantasiegrößen; es werden Größen genannt, wie viele
Menschen man zurückführen muss . Ich weiß nicht, was
sich der Herr Innenminister dabei denkt . Wenn er unser
Asylrecht kennen würde, würde er wissen, dass es dort
um Einzelfallprüfung geht und nicht um Maßgaben, wie
viele Abschiebungen man hinbekommen soll .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Deshalb kann ich nur appellieren: Setzen Sie die rich-
tigen Signale . Sagen Sie den Afghaninnen und Afghanen,
dass wir ihnen beistehen . Investieren Sie; ja, das müssen
wir politisch machen .

Die Frage, ob man das auch mit der Bundeswehr
dort macht, ist bei uns heiß umstritten . Ich werde dem
zustimmen, weil ich nicht das Signal senden will, dass
wir die Afghaninnen und Afghanen alleine lassen wol-
len . Ich verstehe ausgesprochen gut, warum es bei mir in
der Fraktion so viele Leute gibt, die zwar nicht gegen die
Solidarität mit den Menschen in Afghanistan sind, aber
gegen die Art und Weise, wie die Bundesregierung Af-
ghanistan-Politik betreibt, und die dieses Mandat daher
ablehnen werden .

Wir sind uns vielleicht nicht immer einig in der Frage,
welchen Beitrag wir für Afghanistan leisten wollen . Aber
wir sind uns hundertprozentig einig, dass wir den Afgha-
ninnen und Afghanen weiterhin beistehen sollten . Dafür
müssen wir die richtigen Signale setzen . Das macht die
Bundesregierung nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820914500

Vielen Dank, Omid Nouripour . – Nächster Redner:

Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1820914600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich will denjenigen danken, die dazu beitragen, dass wir
hier im Parlament eine sehr differenzierte Diskussion
über Afghanistan führen . Wenn wir uns die Situation im
Land scharf anschauen, dann haben wir weder das Recht,
zu sagen: „Alles ist schlecht in Afghanistan“, noch kön-

nen wir hier zufrieden feststellen, dass alles in Afgha-
nistan gut ist . Wir können meines Erachtens gemeinsam
festhalten, dass vieles nicht einfacher geworden ist in Af-
ghanistan und dass der Weg unseres Engagements dort
weitergehen muss .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen an vie-
len Stellen, wie fragil die sicherheitspolitische Situation
ist; das ist gerade aufgezählt worden . Wir haben in den
letzten 15 Jahren Fortschritte erlebt, aber leider auch
Rückschläge verkraften müssen . Der Kollege Annen hat
aufgezählt, dass wir viele Bereiche haben, in denen es
tatsächlich besser geworden ist . Wenn ich mir die poli-
tische Debatte anschaue, das, was Parlamentarier dort
wahrnehmen können, wenn ich mir das Mediensystem
anschaue, wenn ich den Bildungsbereich, die Universi-
täten oder Frauenrechte sehe, dann müssen wir meines
Erachtens festhalten: Vieles ist besser geworden,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt!)


und es ist auch ein Ergebnis unserer Politik, was wir in
den letzten 15 Jahren dort in Afghanistan gemeinsam vo-
ranbringen konnten . Das muss man in einer solchen Situ-
ation auch einmal sagen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das Land hat sich verändert . Ich weiß nicht, wie es
Ihnen geht: Wenn ich mit Soldatinnen und Soldaten im
Gespräch bin, die aus dem Afghanistan-Einsatz zurück-
kommen, dann höre ich dort auch differenzierte Wahrneh-
mungen . Es gibt diejenigen, die sagen: Ja, mein Einsatz
dort hat etwas gebracht . Es gibt aber auch diejenigen, die
Fragezeichen setzen. Ich finde, diese Meinungen muss es
geben dürfen, und wir müssen uns sehr intensiv mit den
Soldatinnen und Soldaten austauschen und auch ernst
nehmen, was sie uns von dort berichten .

Erinnern will ich aber daran, dass wir einen Grund
hatten, weswegen wir vor 15 Jahren hier im Bundestag –
einige waren schon dabei – beschlossen haben, dass wir
Militär nach Afghanistan schicken . Ich will auch daran
erinnern, dass wir vor 15 Jahren Verantwortung für die-
ses Land übernommen haben . Es wäre töricht, diese Ver-
antwortung jetzt abrupt abzubrechen, weil es viele dort in
dem Land sind, die sich auf uns verlassen können wollen,
und sie dürfen wir nicht im Stich lassen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen . Deswegen werden wir das Mandat
heute hier verlängern .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
es mag emotional befriedigen, wenn man „Raus aus Af-
ghanistan!“ ruft . Ich glaube aber, unserer Verantwortung,
die wir als Deutschland haben, werden wir mit einem sol-
chen Ruf bei weitem nicht gerecht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir hatten das ISAF-Mandat; am 1 . Januar 2015 ist es
ausgelaufen . Die Afghanen haben selbst die Verantwor-
tung für die Sicherheit im Land übernommen, und wir
sind jetzt in einem Mandat, das von vielen NATO-Staaten

Omid Nouripour

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620910


(A) (C)



(B) (D)


getragen wird und in dessen Rahmen Deutschland einen
Teil der Verantwortung in Afghanistan übernimmt . Wir
tun das auf Bitte der afghanischen Regierung; das will
ich hier auch noch einmal in aller Deutlichkeit sagen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820914700

Herr Klingbeil, erlauben Sie eine Frage oder Bemer-

kung von Christian Ströbele?


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1820914800

Ja, sehr gern .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820914900

Herr Ströbele, bitte .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich danke für die Zulassung meiner Äußerung . – Sie
haben zutreffend darauf hingewiesen, dass vor 15 Jahren
der Deutsche Bundestag diesen Einsatz beschlossen hat,
gegen meine Auffassung .

Dies ist heute die letzte Möglichkeit für mich, im
Deutschen Bundestag gegen den Afghanistan-Einsatz
zu stimmen . Ich will Ihnen das einmal vorhalten, weil
mich vieles hier gerade wieder geärgert hat, wie bei jeder
Diskussion über Afghanistan . Es wird einfach nicht die
Wahrheit zur Kenntnis genommen, auch heute nicht – da-
mals nicht und heute nicht .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Wahrheit heute ist, dass selbst das Außenministe-
rium davon spricht, in Afghanistan sei die Bedrohungsla-
ge insgesamt – nicht in irgendeiner Ecke – erheblich . So
ist die Situation .

Der Kollege Annen sagt: Wir haben dort doch eine
gute Regierung, wenn auch mit manchen Mängeln be-
haftet . – Wir haben dort doch überhaupt keine Regierung,
weil die beiden Kampfhähne den Kampf, den sie schon
im Wahlkampf ausgetragen haben, fortsetzen . Der Dritte
im Bunde, der Vizepräsident Dostum, ist damit beschäf-
tigt, irgendeinen Rivalen entführen zu lassen, und duldet
Vergewaltigungen durch Soldaten seiner Miliz .

In Afghanistan, im Norden Afghanistans ist nichts si-
cher .


(Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Doch!)


Wie kann man das noch deutlicher machen als daran, dass
in dem Ort, von dem wir immer gesagt haben, dass man
dorthin zurückkehren könne – der Kollege Nachtwei hat
mir gesagt, dorthin könne man die Leute bringen –, im
Augenblick nicht einmal ein deutsches Konsulat seiner
Arbeit nachgehen kann und sich vielmehr auf Militärge-
lände zurückziehen muss, weil die Lage dort so unsicher
ist? Sie können doch nicht immer nur sagen: Wir machen
so weiter .

Jetzt ist, wie ich höre, von 2024 die Rede . Geht das
jetzt bis 2024 so weiter? Damals hat man versucht, mir

den Einsatz zu verkaufen, indem gesagt wurde: Er dauert
höchstens ein Jahr . – 2001war das .


(Dr . Christoph Bergner [CDU/CSU]: Joschka Fischer!)


Jetzt sind wir im 15 . Jahr . Das kann doch nicht wahr sein!

Ich werfe der Koalition und auch dem Außenminister
vor, dass sie in Afghanistan nichts tun; mir jedenfalls ist
nichts bekannt . Der Außenminister ist unterwegs, wenn
es um die Ukraine geht . Er ist in Syrien unterwegs . Er
bemüht sich; das erkenne ich auch an . Aber warum tun
Sie nichts in Afghanistan? Es gibt keine Verhandlungen
mit den Taliban . Warum verhandeln Sie denn nicht? Jetzt
wird gesagt, dass es eine Einigung mit Hekmatjar gibt .
Aber die gab es vor fünf Jahren schon einmal . Das bringt
überhaupt nichts .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820915000

Christian Ströbele, bitte .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch einen Satz sagen, Frau Präsi-
dentin .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820915100

Ja .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie müssen hingehen und dort unabhängig von den
Amerikanern versuchen, Gespräche in Gang zu bringen
und zu einer Verhandlungslösung zu kommen . Sie kön-
nen das Mandat aber nicht einfach immer nur verlängern .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820915200

Bitte, Christian Ströbele!


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Amerikaner haben mit einem Drohnenabschuss
den vorletzten Taliban-Führer umgebracht . Meinen Sie,
da verhandeln die Taliban mit denen? Sie sind aufgeru-
fen, das zu tun . Dafür setze ich mich ein . Ich sage: Das
ist Ihre Aufgabe .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820915300

Jetzt hat Herr Klingbeil genügend Möglichkeiten, zu

antworten .


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1820915400

Lieber Kollege Ströbele, wenn Sie eine Zwischenfra-

ge stellen, richtet sie sich eigentlich an mich .


(Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Das war aber keine Zwischenfrage!)


Lars Klingbeil

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20911


(A) (C)



(B) (D)


Aber ich habe jetzt wahrgenommen: Das war eher eine
Äußerung, die an den Außenminister gerichtet war .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820915500

Nein, er kann auch eine Bemerkung machen; das ist

geschäftsordnungsmäßig richtig . – Jetzt haben Sie, Herr
Klingbeil, die Möglichkeit, Stellung zu nehmen .


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1820915600

Zweiter Aspekt . Ich glaube, wir alle haben zur Kennt-

nis genommen, dass Sie Ihre parlamentarische Arbeit mit
der Bundestagswahl beenden . Ich darf Ihnen sagen: Ich
bedaure das .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist hartherzig!)


Ich habe Sie als kritische Stimme immer geschätzt .

Sie haben gerade gesagt, nach 15 Jahren hätten Sie
jetzt die letzte Chance, mal wieder gegen das Afghanis-
tan-Mandat zu stimmen . Ich sage Ihnen: Sie haben heute
auch die Chance,


(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Zuzustimmen!)


zum ersten Mal für ein gutes Afghanistan-Mandat zu
stimmen. Denn ich finde, dass das, was die Bundesregie-
rung hier vorgelegt hat, dem Land sehr wohl hilft .

Wenn Sie sagen, der Kollege Annen habe von Afgha-
nistan das Bild gezeichnet, dass alles gut sei, und das
Außenministerium und der Außenminister würden von
Afghanistan das Bild zeichnen, dass alles gut sei, dann
frage ich mich: Wo waren Sie bei den Debatten in den
letzten Jahren, lieber Kollege Ströbele? Wir haben immer
darauf hingewiesen, dass es in Afghanistan Schwierig-
keiten gibt .

Sie schlagen vor: Ziehen wir die deutschen Solda-
tinnen und Soldaten ab, beenden wir unsere Unterstüt-
zungsleistungen, und beenden wir die Beratung der af-
ghanischen Sicherheitskräfte . – Ich sage Ihnen: Das wäre
nicht verantwortungsvoll, lieber Kollege Ströbele . Des-
wegen ist meine Meinung: Wir können diesem Mandat
heute mit Überzeugung zustimmen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Frau Beck hat auch noch eine Frage!)


– Es gibt noch eine Frage?


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Frau Beck hat noch eine! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut, Frau Beck! – Mechthild Rawert [SPD]: Wir möchten die Präsidentin darauf aufmerksam machen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820915700

Sind Sie damit einverstanden?


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1820915800

Ja, ich bin damit einverstanden .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Ich wollte die Frau Präsidentin nur darauf aufmerksam machen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820915900

Die Präsidentin hat Augen im Kopf . Danke schön,

Herr Mützenich, für diesen Hinweis . – Herr Klingbeil ist
einverstanden . Dann Frau Beck, wobei wir hier jetzt kei-
ne interne grüne Debatte aufmachen sollten .


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1820916000

Wäre aber auch mal ganz spannend .

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich werde,
wie mein Kollege Christian Ströbele, heute zum letzten
Mal zu einem Mandat für Afghanistan meine Stimme ab-
geben . Anders als Christian Ströbele werde ich, wie in
den ganzen Jahren zuvor, für dieses Mandat stimmen,
weil ich es für richtig halte .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bei Ihnen ist es gut, dass Sie aufhören!)


Auch ich möchte noch einmal den Blick auf das zu-
rückwenden, was vor 15 Jahren gewesen ist . Vor 15 Jah-
ren gab es ein Land, in dem kein Mädchen mehr zur
Schule gehen konnte, in dem Unterricht für Mädchen,
wenn überhaupt, in Kellern stattfand, in dem die durch-
schnittliche Geburtenzahl von Frauen bei acht Kindern
lag und in dem in der Regel die Frauen bei einer der spä-
teren Geburten ihr Leben verloren haben .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ist das eine Gegenrede zu Christian Ströbele, oder was ist das hier? Das könnt ihr doch miteinander beim Parteitag ausfechten!)


Es gab nämlich kein ärztliches Gesundheitswesen mehr .
Das Gesundheitswesen, das von Russland, damals noch
der Sowjetunion, nach Afghanistan gebracht worden war,
war nämlich eines, das durch Frauen betrieben worden
war . Und da Frauen das Haus nicht mehr verlassen durf-
ten, gab es auch kein Gesundheitswesen . Es gab auch
keine Studenten mehr . Die hätten ein neues Gesundheits-
wesen, ein neues Schulwesen, ein neues Universitätswe-
sen aufbauen können .


(Zurufe von der LINKEN)


All das beschreibt den Zustand vor 15 Jahren . So wur-
de das Land vorgefunden, und es gab viele, viele Men-
schen und – Christian Ströbele, ich stimme dir zu – viel
zu hoch gesteckte Erwartungen . Aber: Ist die Tatsache,
dass wir keine Erfahrung mit Fundamentalismus und
damit, wie schwer er einzugrenzen und zu besiegen ist,
hatten, ein Grund dafür, nach 15 Jahren zu sagen: „Es ist

Lars Klingbeil

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620912


(A) (C)



(B) (D)


uns zu schwer, wir ziehen uns jetzt deswegen zurück und
überlassen die Menschen wieder denen,


(Zurufe von der LINKEN)


die sich dieses Land unter Androhung von Gewalt, un-
ter Zurückdrängung der Frauen, unter Missachtung aller
Menschenrechte wieder zu eigen machen wollen“? Ich
halte das nicht für eine ethisch vertretbare Konsequenz .
Da wir diese Debatte schon manches Mal im Deutschen
Bundestag hatten, sage ich das als eine Frau, die sehr
wohl in dem Bewusstsein Politik gemacht hat, dass der
deutsche Faschismus uns eine Verpflichtung auferlegt
hat, nämlich da zu sein, wenn Menschen gequält und er-
niedrigt werden .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820916100

Dürfte ich Sie jetzt auch bitten, zum Ende zu kommen!

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Und der fundamentale Pazifismus ist nicht die einzige
Antwort darauf, wie das zu geschehen hat, sondern die
Antwort kann auch lauten, dass wir Menschen schützen
müssen . Eben das versuchen wir in Afghanistan .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist die neue Koalition! – Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820916200

Bitte stehen bleiben, weil der Kollege Klingbeil jetzt

die Möglichkeit hat, zu antworten . – Herr Klingbeil, bit-
te .


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1820916300

Liebe Kollegin Beck, ich kann auf Sie ganz kurz ant-

worten . Ich habe auch noch eine Redezeit von 1 Minute
und 30 Sekunden .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820916400

Nein, nein, das wird um die Antwort verlängert .


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1820916500

Vielen Dank . – Hätte ich gesessen, hätte ich auch ge-

klatscht . Vielen Dank für Ihre Anmerkungen und auch
für die Unterstützung des Weges, den wir in Afghanistan
gehen wollen .

Ich will, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal
festhalten: Das Mandat auf militärische Auseinanderset-
zung zu reduzieren, ist falsch . Wenn wir in das Mandat
hineingucken, dann sehen wir – ich will das hier explizit
erwähnen und dem Außenminister Steinmeier danken –,
wie viel außenpolitisches Engagement auch in unserem
Afghanistan-Engagement steckt . Es sind 510 Millionen
Euro, die wir jährlich in Afghanistan investieren . Das ist
das Land, für das wir sozusagen das meiste ausgeben:
250 Millionen Euro für Entwicklungshilfe, 70 Millionen

Euro jährlich für die Ausbildung der Polizei, 110 Milli-
onen Euro für Stabilisierungsmaßnahmen . Also, wir se-
hen, es gibt ein Gesamtkonzept, das die deutsche Bun-
desregierung hier verfolgt .

Es geht darum, Stabilität und Sicherheit in Afghanis-
tan herzustellen, weil das der Nährboden ist, auf dem
dann Demokratie und friedliche Prozesse auch in diesem
Land, wie wir es uns, glaube ich, alle wünschen, weiter
gedeihen und wachsen können .

Zum Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich
noch einmal sagen: Ich finde es gut, wenn wir hier so
intensiv über Außen- und Sicherheitspolitik diskutie-
ren . Wir sollten das eigentlich viel öfter hier im Parla-
ment tun . Wir schicken auch mit diesem Mandat wieder
980 Soldatinnen und Soldaten – das ist die Obergrenze –
nach Afghanistan . Wir haben andere Auslandseinsätze,
bei denen wir nicht nur Soldatinnen und Soldaten, son-
dern auch zivilen Helfern, Entwicklungshelfern ganz viel
abverlangen .

Gerade jetzt, wo die Feiertage bevorstehen, wo Weih-
nachten bevorsteht, denken Sie einmal daran, was das für
Familien bedeutet, wenn man weiß: Der Mann oder die
Frau, der Vater oder die Mutter sind in Afghanistan, und
man ist in diesen Tagen nicht zusammen . – Deswegen
finde ich es wichtig – das möchte ich nicht nur für meine
Fraktion tun, sondern, ich glaube, ich kann das für das
ganze Haus tun –, all denen zu danken, die Verantwor-
tung übernehmen, wenn wir hier Mandate beschließen .
All diesen möchte ich besinnliche und hoffentlich ruhige
Feiertage sowie eine gesunde Rückkehr nach Deutsch-
land wünschen .

Herzlichen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820916600

Vielen Dank, Lars Klingbeil . – Zu einer Kurzinterven-

tion hat Christine Buchholz das Wort .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Warum?)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820916700

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Zu den beiden Zwi-

schenbemerkungen eben, die am Rande auch die Zerris-
senheit in der grünen Außenpolitik offenbart haben,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen es uns im Gegensatz zu euch nicht einfach! Wir diskutieren! Wir hören den Leuten zu!)


aber auch zu den Aussagen von Herrn Klingbeil möchte
ich ganz deutlich sagen: Das Drama für die Menschen in
Afghanistan, insbesondere für die Frauen in Afghanistan,
die unter den Taliban gelitten haben, ist, dass die Situ-
ation dort 15 Jahre nach Beginn dieses Krieges für die

Marieluise Beck (Bremen)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20913


(A) (C)



(B) (D)


große Mehrheit nicht besser geworden ist – vielleicht für
einen Teil, aber nicht für die große Mehrheit .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht besser als unter den Taliban? Das ist doch absurd!)


Das ist auch das, was der Kollege Ströbele hier so ein-
deutig gesagt hat und worauf auch Sie keine Antwort hat-
ten, Herr Klingbeil .


(Zuruf von der CDU/CSU: Einfach nur falsch!)


Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen:
Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele, für deine Arbeit
hier im Bundestag, für deine Arbeit draußen und dafür,
dass du einen Beitrag geleistet hast, dieser Meinung, die
mehrheitlich in der Gesellschaft herrscht, hier eine Stim-
me zu geben .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Was soll das denn hier? – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Ist doch keine politische Kurzintervention! Ist doch demütigend für die Linke! Demütigend!)


Vielen Dank, dass du praktisch und in Solidarität mit den
Menschen gearbeitet hast, die in Afghanistan gegen den
Krieg und für ihre Rechte kämpfen . Vielen Dank, Hans-
Christian Ströbele .

Das ist ein wichtiges Zeichen, das wir senden müs-
sen, weil die Art und Weise, wie die Bundesregierung mit
der Situation in Afghanistan umgeht, wie sie die Situa-
tion schönredet, um jetzt Flüchtlinge nach Afghanistan
abschieben zu können, eine absolute Schande ist . Von
daher wünsche ich mir für den nächsten Bundestag mehr
Ströbeles hier . Das würde diesem Bundestag sehr gut tun .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Herr Ströbele, Sie können das ja zurückweisen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820916800

Der Kollege Klingbeil ist heute als Beantworter ge-

fragt . Sie haben jetzt natürlich das Wort, um zu antwor-
ten .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Ströbele auch! Er darf sich gegen das Lob wehren!)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1820916900

Frau Präsidentin! Ich glaube, der Redebeitrag hat ein

Stück weit für sich selbst gesprochen . Ich warne davor,
dass wir hier so massiv Parteipolitik machen, wie wir das
gerade erlebt haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich warne auch davor, dass wir so einfache Antworten
auf eine so schwierige außen- und sicherheitspolitische
Herausforderung geben .

Ich will einmal sagen: Ich bin dankbar dafür, dass wir
hier eine sehr differenzierte Diskussion geführt haben .

Davon wünsche ich mir wirklich mehr hier in diesem
Parlament .

Vielen Dank .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der LINKEN: Tosender Applaus!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820917000


Vielen Dank, Lars Klingbeil . – Der nächste Redner in
dieser turbulenten Debatte: Thorsten Frei für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bitte die anwesenden Kollegen, weiter so ruhig
zuzuhören, wie es bisher auch möglich war . – Thorsten
Frei, Sie haben das Wort . Bitte .


Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1820917100


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
40 Jahre nach Ausbruch von Krieg und Bürgerkrieg in
Afghanistan und ziemlich genau 15 Jahre, nachdem wir
uns das erste Mal im Land engagiert haben, diskutieren
wir heute über Afghanistan . Es ist ja in der Debatte schon
deutlich geworden, dass in Afghanistan Licht und Schat-
ten eng beieinander liegen .

Wenn wir in einer solchen Debatte über die Verlänge-
rung des RSM-Mandates diskutieren, dann, glaube ich,
ist es richtig, auch klar zu benennen, wo die Errungen-
schaften und wo die Probleme dieses Einsatzes liegen .
Ich könnte das wahrscheinlich nicht besser tun, als es die
Frau Kollegin Beck in ihrer Kurzintervention gemacht
hat . Natürlich hat sich die Gesundheitsversorgung mas-
siv verbessert . Natürlich wurden auch die Infrastruktur
und die Bildungsinfrastruktur im Land massiv verbes-
sert . Die Erfolge sind unbestreitbar .

Es ist aber auch richtig, dass wir im Bereich der Si-
cherheit mit Licht und Schatten zu kämpfen haben . Na-
türlich wissen wir, dass Aufständische Kunduz 2015
überrannt und eingenommen haben . Natürlich wissen
wir, dass Aufständische ein Attentat auf unser General-
konsulat in Masar-i-Scharif verübt haben . Natürlich ken-
nen wir die Tatsache, dass auf eine schiitische Moschee
in Kabul vor wenigen Wochen ein Attentat mit 32 Toten
und 85 Verletzten verübt wurde . All das wissen wir .

Wir haben aber beispielsweise auch den SIGAR-Be-
richt, der in diesem Sommer veröffentlicht wurde . Von
daher wissen wir ganz genau, wenn wir über die Frage
diskutieren, inwieweit Afghanistan sicher ist oder nicht,
wie es sich tatsächlich verhält . In diesem Bericht steht
klipp und klar, dass 62 Prozent der Flächen sicher sind
und zwei Drittel der Menschen in Sicherheit leben .


(Beifall des Abg . Dr . Franz Josef Jung [CDU/ CSU])


Christine Buchholz

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620914


(A) (C)



(B) (D)


Die Unterschiede zwischen den Provinzen sind natür-
lich groß . Von den etwa 407 Distrikten in Afghanistan
sind 268 sicher .


(Beifall des Abg . Dr . Franz Josef Jung [CDU/ CSU])


36 sind in den Händen der Aufständischen, und 104 sind
in Gefahr .


(Zurufe von der LINKEN)


Das ist eine Erkenntnis aus dem SIGAR-Bericht des
US-Senates . Wenn Sie dem Bericht nicht glauben, dann
verhilft vielleicht ein Interview des Chefs von IOM,
William Lacy Swing, das er heute Morgen in den deut-
schen Medien gegeben hat, dazu . Er hat beispielsweise
darauf hingewiesen, dass weite Teile Afghanistans hinrei-
chend sicher sind, sodass es durchaus möglich ist, nicht
nur Afghanen dorthin zurückzuführen, sondern dass wir
tatsächlich sagen können: Die Transition, die Übergabe
der Sicherheitsverantwortung auf die Afghanen, war und
ist schwierig und langwierig, aber sie ist durchaus schon
ein Stück weit gelungen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, tatsächlich
verhält es sich doch so: Seit dem Ende von ISAF sind
von 140 000 internationalen Soldaten in Afghanistan
noch 13 000 da . Das bringt eine gewaltige Herausfor-
derung für die afghanischen Sicherheitskräfte mit sich .
Ich glaube, diese Zahl ist heute schon genannt worden:
Im vergangenen Jahr sind 7 000 afghanische Soldaten
und Polizisten gefallen, 14 000 wurden verletzt . Dass
das natürlich eine Zerreißprobe für die Sicherheitskräf-
te in Afghanistan darstellt, ist völlig offensichtlich; das
ist doch ganz klar . Genau deshalb brauchen wir neben
dem bilateralen Einsatz der Amerikaner eben auch un-
ser RSM-Mandat, auf dessen Grundlage wir die afgha-
nischen Sicherheitsbehörden trainieren, unterstützen und
ihnen assistieren können . Darum geht es . Das diskutieren
wir heute im Deutschen Bundestag, meine sehr verehrten
Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eines sagen .
Es ist heute Morgen in einer anderen Debatte über eine
Mandatsverlängerung aus dem linken Teil des Hauses
geradezu abschätzig gesagt worden: Sie wollen dort ja
deutsche Interessen durchsetzen .


(Zuruf der Abg . Christine Buchholz [DIE LINKE])


Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich emp-
finde das nicht als schändlich. Wir sind Vertreter des
deutschen Volkes und vertreten deshalb auch deutsche
Interessen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


In Afghanistan tun wir etwas für die afghanischen In-
teressen . Das ist absolut richtig . Wir dürfen nicht verges-
sen, dass auf der Brüsseler Konferenz erreicht werden
konnte, dass der Tokio-Prozess fortgesetzt wird: 75 Staa-
ten, 26 internationale Organisationen haben gemeinsam

beschlossen, bis 2020 zusätzlich 15,2 Milliarden Euro an
ziviler Hilfe für Afghanistan bereitzustellen . Übrigens ist
Deutschland der zweitgrößte Geber .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, und?)


Wir geben bis 2020 jedes Jahr 430 Millionen Euro für
zivile Aufbauhilfe, 80 Millionen Euro jedes Jahr zur Un-
terstützung der Armee, 70 Millionen Euro jedes Jahr zur
Unterstützung der afghanischen Polizei . Das tun wir für
die afghanische Bevölkerung, um Zukunftsperspektiven
zu schaffen . Das ist richtig und vernünftig .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir vertre-
ten dabei auch deutsche Interessen . Wir tun etwas, um
Fluchtursachen zu bekämpfen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Deswegen ist mal ein Bundespräsident zurückgetreten! Fragen Sie mal Herrn Köhler!)


Wir schützen darüber hinaus – lassen Sie mich auch das
an dieser Stelle sagen – unsere Interessen auch dadurch,
dass wir durch mehr Sicherheit letztlich auch Zukunfts-
perspektiven, wirtschaftliche Perspektiven eröffnen und
damit beispielsweise verhindern, dass Afghanistan wei-
terhin Rückzugsort für den internationalen Terrorismus
ist und bleibt .

Man muss sich mit Blick auf internationale Krimina-
lität auch vor Augen führen, dass Afghanistan der welt-
größte Produzent und Exporteur von Cannabis, von Opi-
aten, von Heroin ist . Allein die Taliban haben im Jahr
2009 mit Drogengeschäften 155 Millionen Euro ver-
dient . Heute sind es 500 Millionen Euro . Genau an die-
sem Punkt müssen wir ansetzen . Damit dienen wir auch
unseren Interessen und vertreten sie dort unmittelbar vor
Ort .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb
müssen wir diesen Einsatz fortsetzen . Es ist wichtig, dass
wir unsere Mission weiter vorantreiben . Ich will an die-
ser Stelle sagen: Oberstes Gebot für uns als Deutscher
Bundestag muss sein, das Mandat so auszustatten, wie es
zum Schutz der deutschen Soldaten notwendig ist . Wir
müssen es so ausstatten, wie es nötig ist, um den Auftrag,
den wir der Bundeswehr erteilen, tatsächlich umsetzen
zu können . Dabei ist es wichtig, dass wir uns nicht an
irgendwelchen Stichtagen orientieren, sondern den Auf-
trag so erledigen, wie es notwendig ist . Ich wünsche mir
zuletzt, dass das auch in Zukunft die Maxime der ameri-
kanischen Politik bleibt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820917200


Vielen Dank, Kollege Thorsten Frei . – Die letzte Red-
nerin in der Debatte, der Sie bitte Aufmerksamkeit schen-

Thorsten Frei

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20915


(A) (C)



(B) (D)


ken mögen – Aufmerksamkeit geht so, dass man einfach
aufhört, miteinander zu reden, und stattdessen zuhört –,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nur ein Teil von Aufmerksamkeit!)


ist Julia Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1820917300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lohnt sich das deutsche Engagement in Af-
ghanistan?


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein! Nein!)


Ich möchte Ihnen die Antwort der 59-jährigen Ärztin und
Vorsitzenden der afghanischen Menschenrechtskommis-
sion Sima Samar geben . Für sie ist die Frage klar zu beja-
hen . Nach dem Sturz des Taliban-Regimes habe ihr Land
mit der Hilfe Deutschlands und der internationalen Ge-
meinschaft beachtliche Fortschritte gemacht . Natürlich
könne sich Afghanistan nach Jahren und Jahrzehnten des
permanenten Kriegszustandes nicht über Nacht wandeln .
Deshalb brauche ihr Land auch weiter internationale Hil-
fe .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist – das
belegen auch die Wort von Sima Samar – noch lange
nicht alles gut in Afghanistan . Aber es hat sich in den
vergangenen eineinhalb Jahrzehnten vieles zum Guten
hin verändert . Ich möchte Ihnen einige Beispiele nennen .

In Afghanistan, einem der ärmsten Länder der Welt,
hat sich das Pro-Kopf-Einkommen seit 2002 mehr als
verdreifacht .

Auch haben mehr Menschen Zugang zu Strom und
sauberem Trinkwasser . Viele neue Straßen und Brücken
wurden gebaut .

Deutliche Fortschritte gibt es auch bei der Bildung:
Besuchten 2001 nur 1 Million Kinder – ausschließlich
Jungen damals – eine Schule, lernen heute 9 Millionen
Kinder Lesen und Schreiben, darunter auch 3,6 Millio-
nen Mädchen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Wolfgang Hellmich [SPD])


Endlich können auch Frauen wieder Universitäten besu-
chen . Das ist sehr wohl eine deutliche Verbesserung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch haben viel mehr Menschen Zugang zur Gesund-
heitsversorgung . Dadurch konnte sowohl die Säuglings-
als auch die Müttersterblichkeit deutlich verringert wer-
den .

Deutschland engagiert sich mit vielen Projekten an
diesen Fortschritten . Dafür stellen das Ministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie
das Auswärtige Amt jedes Jahr 430 Millionen Euro zur
Verfügung . Deutschland ist der zweitgrößte bilaterale

Geldgeber . Dieses Geld ist auch an politische Fortschritte
und Reformen der Regierung gebunden .

Eines ist ja auch klar: Allein militärisch lässt sich der
Konflikt in Afghanistan nicht lösen. Dauerhafter Friede
ist nur auf politischem Weg und durch einen innerafgha-
nischen Friedensprozess möglich . Hierfür setzen wir uns
ein, unter anderem über die Internationale Kontaktgrup-
pe für Afghanistan, der Deutschland vorsitzt .

Die Fortschritte für die Menschen werden natür-
lich durch die Sicherheitslage erschwert . Der Kollege
Thorsten Frei hat die Sicherheitslage hier sehr deutlich
beschrieben . Afghanistan kann nur Fortschritte machen,
wenn das Land auch sicherer und stabiler wird . Genau
aus diesem Grund werden unsere bis zu 980 deutschen
Soldatinnen und Soldaten weiterhin vor Ort gebraucht .

Resolute Support ist kein Kampfeinsatz . Unsere Män-
ner und Frauen in Uniform bilden dort aus, beraten und
unterstützen die afghanischen Sicherheitskräfte . Mittler-
weile gibt es 320 000 afghanische Sicherheitskräfte, die
aktiver und erfolgreicher operieren . Im ganzen Jahr ist es
den Taliban nicht gelungen, auch nur eine der Provinz-
hauptstädte einzunehmen .

Aber die Sicherheitskräfte beklagen auch hohe Verlus-
te . Allein von Januar bis August 2016 sind über 5 500 An-
gehörige der afghanischen Streitkräfte bei Kämpfen ums
Leben gekommen, und fast 10 000 wurden verletzt . Hier-
auf gehen wir bei der Mandatsanpassung ein: Wir werden
unsere afghanischen Partner durch Aufklärung unterstüt-
zen, damit sie ihre Aufgaben sicherer erfüllen können .
Auch werden wir bei Bedarf Verwundetentransporte
übernehmen .

Ich möchte an dieser Stelle allen Angehörigen der
Bundeswehr, die in Afghanistan unter teils sehr schwie-
rigen Bedingungen ihren wichtigen Dienst leisten, ganz
herzlich für ihren Einsatz danken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind seit 15 Jah-
ren in Afghanistan . Das ist eine lange Zeit, in der eine
neue Generation herangewachsen ist . Aber – und das
sagt auch die Menschenrechtlerin Sima Samar – die Ar-
beit der internationalen Gemeinschaft am Hindukusch ist
noch nicht erledigt . Diese junge Generation braucht so
lange unsere Unterstützung, bis sie selbst die Verantwor-
tung für Frieden und Sicherheit in ihrem Land komplett
wahrnehmen kann . Der Einsatz Resolute Support leistet
hierzu einen wichtigen Beitrag . Von daher bitte ich Sie
um Ihre Zustimmung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820917400

Vielen Dank, Julia Obermeier . – Damit schließe ich

die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag
der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung

Vizepräsidentin Claudia Roth

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620916


(A) (C)



(B) (D)


bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten
Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung
und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidi-
gungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan .

Uns liegen mehrere Erklärungen zur Abstimmung
nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10638 (neu), den Antrag der
Bundesregierung auf Drucksache 18/10347 anzunehmen .
Wie Sie offensichtlich schon wissen, weil Sie sich schon
auf den Weg gemacht haben, stimmen wir namentlich ab .
Dafür braucht es aber die berühmten Urnen und neben
den Urnen die Schriftführer und Schriftführerinnen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Und die Abstimmer!)


– Erst einmal die Schriftführer, Herr Kauder .

Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der
Fall . Dann eröffne ich die namentliche Abstimmung über
die Beschlussempfehlung .

Sind Kollegen und Kolleginnen im Haus, die noch nicht
abgestimmt haben? – Dann nutzen Sie doch bitte auch die
Urnen hier vorne bei mir; da ist es sowieso netter .

Ich frage jetzt noch einmal: Gibt es einen Kollegen
oder eine Kollegin, der oder die die Stimme noch nicht
abgegeben hat? – Ich höre nichts, und wir sehen auch
nichts . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Wie gewohnt wird Ihnen das Ergebnis der
namentlichen Abstimmung später bekannt gegeben .2)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820917500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-

ordnungspunkte 10 a und 10 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Gute Arbeit in der Pflege – Personalbemes-
sung in der Altenpflege einführen

Drucksache 18/9122
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Gesundheit

(14 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Gute Arbeit – Gute Versorgung: Mehr Perso-
nal in Gesundheit und Pflege

Drucksachen 18/7568, 18/10664

1) Anlagen 7 bis 10
2) Ergebnis Seite 20917 D

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die noch Ge-
spräche zu führen haben, dies außerhalb des Plenarsaals
zu tun .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Pia
Zimmermann, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820917600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Personalmangel, Überbe-
lastung, nicht eingehaltene Dienstpläne, schlechte Ar-
beitsbedingungen, miese Bezahlung – das sind fünf der
Hauptkritikpunkte von Beschäftigten in der Alten- und
in der Krankenpflege. Ich muss Ihnen leider hier sagen,
dass das das Ergebnis Ihrer Politik ist, meine Damen und
Herren von der Großen Koalition .

Bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss wurde
angeführt, dass seit 1993 das Leistungsspektrum in den
Krankenhäusern erheblich erweitert wurde, das Fachper-
sonal aber nicht entsprechend aufgestockt wurde . Profes-
sor Simon hat berechnet, dass 100 000 Pflegekräfte mehr
vonnöten wären, um allein diesen Anstieg des Leistungs-
spektrums bewältigen zu können . Auch Frau Dr . Wieteck
hat Ihnen dies in der Anhörung bestätigt . Sie wies darauf
hin, dass Deutschland dann zumindest ins europäische
Mittel aufschließen würde .

Auch in der Altenpflege muss sofort gehandelt werden;
denn auch hier gefährdet der politisch in Kauf genomme-
ne Personalmangel die Gesundheit der Pflegekräfte und
produziert lebensgefährliche Situationen . Es häufen sich
Berichte, dass immer öfter Pflegefachleistungen von Hilfs-
oder Betreuungskräften erbracht werden müssen . Sie alle
wissen, dass ein neues Pflegeverständnis auch zu einem
höheren Pflegeaufwand führt. Die Umsetzung der von Ih-
nen beschlossenen Pflegegesetze wird nur dann zu besse-
rer Pflegequalität führen, wenn Sie auch das nötige Fach-
personal zur Verfügung stellen . Das ist unsere Forderung .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In der Altenpflege fehlen laut Verdi schon jetzt min-
destens 40 000 Fachkräfte . 45 000 Betreuungskräfte, wie
beschlossen, ändern daran nichts; denn Betreuung ist
eine neue Leistung, und sie darf und kann nicht Pflege-
fachleistungen ersetzen .


(Beifall bei der LINKEN)


Alle Mitglieder des Gesundheitsausschusses erhielten
25 Stellungnahmen von Beschäftigten aus Krankenhäu-
sern der ganzen Republik, und diesen Expertinnen und Ex-
perten möchte ich heute hier Raum im Parlament geben .
Beschäftigte aus einem Klinikum schrieben – ich zitiere –:

Egal auf welche Station Sie schauen: Es sind zu we-
nige Menschen da, um die Arbeit zu leisten . Zwei
Pflegekräfte auf einem 50-Meter-Flur, zuständig für

Vizepräsidentin Claudia Roth

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20917


(A) (C)



(B) (D)


42 Patienten, viele davon mit erhöhtem Pflegebedarf.
Schon die grundlegende Versorgung stellt eine kaum
zu leistende Herausforderung dar . . . . Flüssigkeiten
anreichen erfolgt zwischendurch . Infusionen – zum
Teil Antibiosen – werden irgendwann angehängt .

Beschäftigte aus einem weiteren Klinikum schrieben:

Das Pflegestellenförderprogramm

– der Bundesregierung –

hat sich für uns als nutzlos erwiesen . Die in Aussicht
gestellte Personalbemessung in der Altenpflege für
2020, ohne konkrete Angaben zu den Personal-
schlüsseln, ist eine Geringschätzung der Pflegen-
den!


(Mechthild Rawert [SPD]: Quatsch!)


Eine Mitarbeitervertretung schätzt ein:

Pflegekräfte werden zwischen Selbstausbeutung
und Fremdausbeutung zerrieben .

Als Fremdausbeutung definiert sie „Anspruch der Dienst-
geber, eine allzeit bereite Verfügungsmasse mit Arbeit auf
Abruf einsetzen zu wollen, um Kosten zu sparen . Dies
gefährdet nicht nur die eigene Gesundheit, sondern wirkt
sich sichtbar auf die Versorgung von Patienten aus .“

Meine Damen und Herren, es ist mittlerweile unüber-
sehbar, dass Sie bei der Personalbemessung Ihre Blocka-
dehaltung dringend zum Wohl der Beschäftigten in der
Pflege, insbesondere im Krankenhaus, und vor allen Din-
gen der Patienten aufgeben müssen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wissen es doch alle: Es besteht gar kein Erkennt-
nisproblem . Wir haben es eher mit einer Handlungsver-
weigerung zu tun . Das Bundesgesundheitsministerium
sagt selbst: Bis 2030 wird sich die Zahl der Menschen
mit Pflegebedarf auf 3,3 Millionen erhöhen, und dann
muss man natürlich auch mehr Pflegekräfte haben; das
ist doch ganz logisch .


(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Da haben wir doch schon längst was für getan!)


– Ich sage dir die Zahlen, Mechthild, natürlich . – Dann
werden etwa 500 000 Pflegekräfte fehlen. Dass Sie mit
diesem Wissen Ihres eigenen Ministeriums nicht sofort
handeln, das halte ich für einen politischen Skandal .


(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Diese Aussage ist ja auch falsch!)


Konkrete und wirksame Vorschläge von uns liegen auf
dem Tisch:

Erstens . In den Krankenhäusern werden als Sofort-
maßnahme 100 000 neue Vollzeitstellen geschaffen . Die-
se müssen vollständig und bedarfsgerecht außerhalb der
Fallpauschalen finanziert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens. Auch in der Altenpflege muss sofort gehan-
delt werden. Lösen Sie den Pflegevorsorgefonds auf, und
wandeln Sie ihn um in einen Personalfonds . Das bringt
jährlich mehr als 1 Milliarde Euro und sehr viele Voll-
zeitplanstellen in der Fachpflege.


(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Wie viele denn?)


Drittens . Höhere Vergütung, selbstbestimmte fachli-
che Mitsprache und eine wirksame soziale Absicherung
machen Pflege attraktiv.

Viertens. Die Pflegevollversicherung sichert nicht nur
eine gute, bedarfsdeckende Versorgung; sie verhindert
vor allem, dass Menschen mit Pflegebedarf höhere Per-
sonalkosten durch weiter steigende Eigenanteile decken
müssen .

Letztens. Eine solidarische Gesundheits- und Pflege-
versicherung, die alle Einkommen einbezieht, erweitert
dafür die Finanzierungsgrundlage und macht sie vor al-
len Dingen gerecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Lehnen Sie diesen Antrag heute aus ideologischen
Gründen ab, stimmen Sie gegen die Forderungen und
Interessen der Pflegebeschäftigten und damit gegen eine
hochwertige und sichere Versorgung der Patientinnen
und Patienten und Menschen mit Pflegebedarf. Politisch
und moralisch wäre das unterlassene Hilfeleistung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Ei, ei, ei! Das war ein bisschen dicke!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820917700

Vielen Dank . – Ich darf Ihnen zwischendurch das

von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittel-
te Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung
„Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Sup-
port . . . in Afghanistan“ bekannt geben: abgegebene Stim-
men 577 . Mit Ja haben gestimmt 467, mit Nein haben
gestimmt 101, Enthaltungen 9 . Damit ist die Beschluss-
empfehlung angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 577;
davon

ja: 467
nein: 101
enthalten: 9

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer

Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)


Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger

Pia Zimmermann

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620918


(A) (C)



(B) (D)


Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting

Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac

Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun schweig)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier

Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20919


(A) (C)



(B) (D)


Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer

Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks

Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix

Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Dr . Franziska Brantner

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620920


(A) (C)



(B) (D)


Dr . Thomas Gambke
Anja Hajduk
Dieter Janecek
Tom Koenigs
Nicole Maisch
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Manuel Sarrazin
Kordula Schulz-Asche
Markus Tressel
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms

Nein

SPD

Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr . Ute Finckh-Krämer
Michael Groß
Gabriele Hiller-Ohm
Ralf Kapschack
Cansel Kiziltepe
Daniela Kolbe
Hilde Mattheis
Markus Paschke
Christian Petry
Dr . Wilhelm Priesmeier
Kerstin Tack
Rüdiger Veit

(Wol mirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Thomas Lutze

Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Volker Beck (Köln)

Katja Dörner
Katharina Dröge
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink

Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Lisa Paus
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Dr . Julia Verlinden

Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Oliver Krischer
Dr . Konstantin von Notz

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .

Nächster Redner ist der Kollege Erwin Rüddel für die
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erwin Rüddel (CDU):
Rede ID: ID1820917800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Meine Fraktion lehnt die Anträge ab . Dies ist für
uns zwingend,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Welch Überraschung!)


weil wesentliche Tatsachen in den Anträgen keine Be-
rücksichtigung gefunden haben . Geben Sie mir deshalb
die Möglichkeit, hier einige Dinge richtig- bzw . klarzu-
stellen .

Bereits beim Pflegestärkungsgesetz I – das war noch
vor der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbe-
griffes – haben wir für die stationäre Pflege zusätzliche
Betreuungs- und Aktivierungsangebote auf den Weg
gebracht . Wir haben einen neuen Schlüssel eingeführt .
45 000 zusätzliche Betreuungskräfte in stationären Ein-
richtungen, ich denke, das ist eine beeindruckende Zahl .
Das sind mehr Kolleginnen und Kollegen in der Pflege,
mehr Hände für gute Pflege.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In den Vergütungsverhandlungen zwischen Pflege-
kassen und Pflegediensten haben wir verankert, dass die
Kassen bei tarifgebundenen Einrichtungen die Tarife
nicht als unwirtschaftlich einstufen dürfen . Damit stel-
len wir sicher, dass Tariferhöhungen wirklich bei den
Beschäftigten ankommen . Vor 14 Tagen haben wir die

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20921


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Regelung im PSG III auch auf nichttarifgebundene Ein-
richtungen ausgeweitet . Das bedeutet mehr Geld für die
Pflege.

Ferner haben wir bereits seit Ende 2014 mit dem
PSG II flächendeckend eine vereinfachte Pflegedoku-
mentation im ambulanten und im stationären Bereich
eingeführt und dabei klargestellt – das ist ganz wichtig –,
dass die gewonnene zeitliche Entlastung der Pflegekräfte
nicht durch Personalkürzungen wieder rückgängig ge-
macht werden darf . Das heißt also: mehr Zeit für Zuwen-
dung, mehr Geld, mehr Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bereits nach geltendem Recht können in den Landes-
rahmenverträgen Verfahren zur Ermittlung des Personal-
bedarfs oder zur Bemessung der Pflegezeit vereinbart
werden . Bislang werden in den Ländern allerdings nur
Pflegerichtwerte vereinbart. Im Zusammenhang mit der
Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes sind
diese Rahmenverträge entsprechend anzupassen und auf
die Pflegegrade hin neu auszurichten. Dies betrifft auch
die Vorgaben zur Personalausstattung in zugelassenen
Pflegeeinrichtungen.

Die Bundesregierung ergreift eine Vielzahl von Maß-
nahmen, um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu be-
geistern:

Dazu gehört die Gestaltung guter Rahmenbedingun-
gen der pflegerischen Versorgung. Wir haben bei allen
unseren Gesetzen im Gesundheitsbereich darauf geach-
tet, dass Aspekte berücksichtigt wurden, um die Rah-
menbedingungen für gute Pflege zu verbessern.

Wir haben die Umsetzung der Ausbildungs- und Qua-
lifizierungsoffensive in der Altenpflege auf den Weg ge-
bracht, und wir haben im Moment einen wahren Run auf
die Altenpflegeausbildung. Das ist ein gutes Signal.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Entwicklung und Erprobung eines fachlich-wis-
senschaftlich fundierten Verfahrens zur Personalbemes-
sung in der Pflege ist auf den Weg gebracht und wird
umgesetzt .

Wir haben den Mindestlohn und die permanente An-
passung des Mindestlohns in der Altenpflege eingeführt.

Die Aufwertung des Pflegeberufes haben wir dadurch
erreicht, dass mittlerweile wissenschaftlich fundiert nicht
mehr die Strukturqualität im Vordergrund steht, sondern
die Ergebnisqualität . Hier werden Fachlichkeit und Kom-
petenz für die Pflege wertgeschätzt.

Wir haben die Förderung der Vermittlung bzw . Zu-
wanderung von Pflegekräften aus dem Ausland intensi-
viert .

In der Altenpflege haben wir die Welt verändert, nicht
nur für die Pflegebedürftigen, sondern ganz besonders
auch für die Menschen, die in der Altenpflege arbeiten.

Aber wir haben auch im Krankenhausbereich wesent-
liche Dinge verbessert. Ich erinnere hier an das Pflege-
stellen-Förderprogramm, den Pflegezuschlag oder die
Expertenkommission, die prüft, ob in den DRGs ent-

sprechende Beträge für gute Pflege eingeplant sind. Wir
haben das Hygiene-Förderprogramm auf den Weg ge-
bracht. Also: Pflege steht bei uns im Mittelpunkt.

Das alles zeigt deutlich, dass die Koalition die perso-
nellen Probleme im Pflegebereich nicht nur ernst nimmt,
sondern auch alle Hebel in Bewegung setzt, um im Kran-
kenhaus und in der Altenpflege mehr qualifizierte Fach-
kräfte für den Pflegeberuf zu gewinnen.


(Beifall der Abg . Maria Michalk [CDU/ CSU])


Wir alle hier im Haus wissen, dass die Gewinnung zu-
sätzlicher Kräfte für die Pflege keine Aufgabe nur in
dieser Legislaturperiode ist, sondern es wird eine stetige
Aufgabe in allen zukünftigen Legislaturperioden sein .
Darauf konzentrieren wir unsere Arbeit für eine gute
Pflege in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten,
dass es für heutige und künftige Pflegekräfte attraktiv ist,
ihrem Beruf möglichst bis zur Rente treu zu bleiben . Das
ist unser Ziel, und dafür arbeiten wir in dieser Koalition
intensiv und gut zusammen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Bei der Pflegeberufereform!)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820917900

Vielen Dank . – Maria Klein-Schmeink hat jetzt das

Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Uns liegen zwei Anträge der Linken vor . Ich muss
gestehen: Nicht alles, was in diesen beiden Anträgen
steht, begeistert uns, aber es ist ganz klar: Mit dem The-
ma, das dort angesprochen wird, ist das richtige Thema
angesprochen worden . Wir können um jede Diskussion
froh sein, die wir genau darum führen; denn dass wir Ver-
änderungen an der Pflegefront brauchen, ist völlig klar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Herr Rüddel, auch wenn Sie vonseiten der Koalition
Ihre Erfolge hervorheben und hier ausbreiten, muss man
sagen: Sie haben zwar einiges in der Krankenhausfinan-
zierung getan,


(Mechthild Rawert [SPD]: Endlich!)


Sie haben auch einiges in der Pflege getan, aber im Kern
haben Sie diese große Problemsäule, die mit den Arbeits-
bedingungen in der Pflege verbunden ist, nicht in Angriff
genommen, die Situation nicht wirklich verbessert . Das

Erwin Rüddel

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620922


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lässt uns alle nicht ruhen . Deshalb ist es so wichtig, dass
wir darüber erneut diskutieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: Sie haben so schön angefangen!)


Wenn Sie die Statistiken sehen, dann finden Sie immer
wieder bestätigt: Alle Pflegekräfte – sowohl im Kranken-
haus als auch in der Altenpflege – klagen darüber, dass
es zu wenig Personal gibt, dass die Arbeitsverdichtung
zu hoch ist, dass sie einen immensen Druck verspüren,
und sie klagen über eine zu geringe Bezahlung. Das fin-
den Sie durchgängig . Das muss uns alarmieren, weil wir
wissen, dass wir einen enormen Fachkräftebedarf vor uns
haben . Das sind nicht die richtigen Vorzeichen für die
Pflege, und deshalb muss hier etwas passieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt sagen Sie: Ja, wir haben im Krankenhausbereich
ein Pflegestellenprogramm aufgelegt. – Ja, ein kleines
Pflegestellenprogramm:


(Mechthild Rawert [SPD]: 500 Millionen ist schon etwas! – Lothar Riebsamen [CDU/ CSU]: 6 000 Stellen!)


6 000 Pflegekräfte, 2,5 pro Krankenhaus. Das löst das
Problem in den Krankenhäusern nicht wirklich . Das wis-
sen Sie auch .


(Beifall der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt eine Lücke von mindestens 50 000 Pflegekräften
in den Krankenhäusern .


(Lothar Riebsamen [CDU/CSU]: Hatten wir noch nie!)


Sie haben dann ein Gutachten auf den Weg gebracht,
wonach eine Personalbemessung im Krankenhausbe-
reich entwickelt werden soll . Wann soll das vorliegen?
Ende 2017 . Das heißt, bestenfalls am Ende der nächsten
Wahlperiode beschließen wir ein Personalbemessungs-
instrument und die dazugehörigen Finanzierungen im
Krankenhausbereich .


(Mechthild Rawert [SPD]: Das hat bis jetzt noch keiner geschafft!)


So lange darf diese Diskussion nicht weitergehen . Hier
muss ein kurzfristiges Programm kommen . Hier muss
etwas passieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Pia Zimmermann [DIE LINKE])


Das Gleiche gilt für den Pflegebereich. Dort ist es
noch viel schlimmer. Mit den neuen Pflegegraden, die
richtig sind,


(Hilde Mattheis [SPD]: Das hat die Kollegin das letzte Mal anders ausgeführt!)


mit dem neuen Pflegebegriff, haben mindestens
200 000 Menschen ab 1 . Januar 2017 neue Ansprüche .
Wo sind die Maßnahmen dafür, dass wir tatsächlich das

Personal haben, um genau diesen neuen Ansprüchen ge-
recht werden zu können? Da sehen wir gar nichts .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sehen nicht, dass Sie tatsächlich dafür sorgen,
dass es echte Anhaltszahlen im ambulanten Bereich und
in der stationären Pflege gibt, sodass man sagen kann:
Wir haben eine zufriedenstellende Betreuungs- und Pfle-
gesituation . – Davon sind wir noch immer weit, weit
entfernt . Da hilft auch der Verweis auf Ihr Assistenzpro-
gramm nichts, weil es da um einen ganz anderen Aus-
schnitt der Pflege geht. Das wird letztendlich dazu füh-
ren, dass die Situation im Personalbereich in der Pflege
so prekär bleibt wie bisher .


(Mechthild Rawert [SPD]: Noch einmal: Abwarten!)


Das können wir uns nicht erlauben; da müssen wir etwas
tun . Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir immer wie-
der mit Initiativen darauf hinweisen .

Ich wünsche mir von Ihnen, quasi als Weihnachtsge-
schenk, aber von mir aus auch gerne als Wahlkampfge-
schenk – das wäre nämlich mal ein gutes –, ein Pflege-
stärkungsprogramm Nummer vier, in dem ganz konkrete
Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssituation in
diesem Bereich enthalten sind . So könnten wir eine gute
Situation schaffen .


(Erwin Rüddel [CDU/CSU]: War das jetzt ein Koalitionsangebot?)


Ich rufe Sie dazu auf, diese Debatte zum Anlass zu neh-
men, so etwas zu machen, von mir aus auch gern als
Wahlkampfgeschenk .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Pia Zimmermann [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820918000

Vielen Dank . – Jetzt hat Marina Kermer für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marina Kermer (SPD):
Rede ID: ID1820918100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte
Gäste! Die Überschrift des heute abschließend zu bera-
tenden Antrags lautet ja „Gute Arbeit – Gute Versorgung:
Mehr Personal in Gesundheit und Pflege“. Das ist eine
gute Überschrift; denn gute Arbeit und gute Versorgung
sind auch unsere Ziele, die unser Handeln in dieser Le-
gislatur bestimmt haben – und das mit gutem Erfolg .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir alle stehen in der Gesundheitspolitik vor der gro-
ßen Aufgabe, die Grundlagen für gute und bedarfsge-
rechte Pflege für die Zukunft zu sichern. Sehen wir uns
das Heute an, so wissen wir, dass es Krankenhäuser mit
Not in der Pflege gibt, aber auch Häuser, in denen das

Maria Klein-Schmeink

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20923


(A) (C)



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nicht so ist . Sehen wir in die Zukunft, so erkennen wir,
dass wir vor der Aufgabe stehen, unser Gesundheitssys-
tem transparent und effizient zu gestalten. Die Rahmen-
bedingungen werden sich ändern, und an diesen müssen
wir unsere Pflegeabläufe und -inhalte und bedarfsgerech-
te Pflegekapazitäten ausrichten.

Ihr Antrag vermittelt den Eindruck, dass er sich mit
einer offenen Wunde befasst und auch Heilung erzielen
will; aber die Medikation konzentriert sich nur auf ein
Mehr an Personal, über das wir zukünftig aus bekannten
Gründen nicht in großem Maße verfügen werden . Des-
halb haben wir bereits im Jahr 2015 das Krankenhaus-
strukturgesetz verabschiedet und damit dem gesamten
Krankenhauswesen Handlungsräume eröffnet, die fle-
xibel und bedarfsorientiert genutzt werden können; die
Mittel wurden nicht mit der Gießkanne verteilt . Dafür
haben wir als Regierungskoalition hart gestritten und er-
folgreich gekämpft .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, die Grundpfeiler sind ge-
setzt . Krankenhäuser können sich bedarfsgerecht und
damit zukunftsfest aufstellen. Die Länder können flexi-
bel auf die Anforderungen des demografischen Wandels
reagieren . Die Mittel in Höhe von 660 Millionen Euro
stehen mit dem Pflegestellen-Förderprogramm bereit.
Daher appelliere ich an all jene Krankenkassen und
Krankenhäuser, die noch in den Budgetverhandlungen
stehen: Schließen Sie diese schnellstmöglich ab; denn
Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen schnelle
Entlastung .

Wir haben eine Expertenkommission eingesetzt . Sie
soll langfristig und solide die Finanzierungsbasis für die
Kosten der Pflege besser abbilden.

Krankenhäuser können verlässlich und langfristig
mehr Personal einstellen. Dazu haben wir den Pflege-
zuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich auf
Dauer eingeführt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber die Verteilung der Mittel erfolgt eben nicht mit der
Gießkanne, sondern ist an Bedingungen geknüpft, um
ausreichend Pflegekapazitäten vorhalten zu können.

Angesichts der vielen Maßnahmen, die ineinander-
greifen und bedarfsorientiert genutzt werden können
und sollen, ist Ihre Forderung, 100 000 Pflegekräfte
zusätzlich allein für die Versorgung in Krankenhäusern
einzustellen, zwar nachvollziehbar, aber aus unserer
Sicht nicht zielführend . Warum nicht? Wir haben Ver-
änderungsprozesse eingeleitet, und Prozesse brauchen
ihre Zeit . Die Ergebnisse bleiben also zunächst einmal
abzuwarten . Und es ist nicht nur die Personaldecke, die
zu kurz ist; es ist auch das Aufgabenspektrum, das sich
verändert hat und sich auch weiter verändern wird . Aus
diesen Gründen, sehr geehrte Damen und Herren, reicht
es nicht aus, allein mehr Personal und damit mehr Geld
für die Krankenhäuser bereitzustellen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Aber das wäre schon mal was!)


Wir müssen unser gesamtes Gesundheitssystem und das
Zusammenwirken darin im Blick haben . Denn wir wol-
len unser Ziel, das Wohl der Patientinnen und Patienten,
nicht aus den Augen verlieren .

In der Regel, Frau Zimmermann, wird in unseren
Krankenhäusern gute medizinische Versorgung geleis-
tet, aber eben nicht in allen gleichermaßen . Das heißt im
Klartext: Es werden Operationen durchgeführt, die medi-
zinisch nicht notwendig sind .


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Wie kommt das denn? Das müssen Sie auch einmal erklären!)


Diese Eingriffe binden Personal und Geldmittel, die an
anderer Stelle dringend benötigt werden . Deshalb wurde
eine grundsätzliche Neuausrichtung der Krankenhaus-
versorgung hin auf Qualität und Transparenz beschlos-
sen . Patientinnen und Patienten müssen wissen, was mit
ihnen passiert und warum . Mehr Qualität in der stationä-
ren Versorgung ist unsere Langzeittherapie .


(Beifall bei der SPD)


Das ganze Gesundheitssystem im Blick zu haben,
heißt, zu verstehen, wie die Versorgungsbereiche inein-
andergreifen . Deshalb dürfen wir bei aller Sorge um die
Krankenhäuser die Pflegeheime nicht vergessen. Der
überwiegende Teil der Pflegeleistungen wird in den Pfle-
geheimen erbracht. Im Jahr 2013 gab es 800 000 Pflege-
heimplätze – doppelt so viele Plätze wie belegte Betten in
Krankenhäusern . Deshalb haben wir am 1 . Dezember das
PSG III verabschiedet und damit eines der umfangreichs-
ten Maßnahmenpakete zur Verbesserung der Pflege.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben die Rechte der zu Pflegenden verbessert, wir
haben die Situation der Angehörigen gestärkt, und wir
haben für bessere Bezahlung der Pflegekräfte in den Pfle-
geheimen gesorgt. Wir brauchen unsere Pflegekräfte.

Wir können es uns nicht leisten, all Ihre Forderungen
umzusetzen, weil wir schlichtweg nicht ausreichend Pfle-
gekräfte haben


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das ist ja eine Begründung! Man muss doch mal irgendwo anfangen!)


und weil wir nicht wollen, dass die verschiedenen Pflege-
bereiche zueinander in Konkurrenz treten . Auf der Stre-
cke bleiben dabei am Ende vor allem die Patientinnen
und Patienten .

Wir brauchen für die Zukunft mehr Menschen, die in
der Pflege arbeiten. Deshalb kann ich Sie nur einladen,
an der Pflegeausbildung zu arbeiten und an der Einfüh-
rung der generalistischen Pflegeausbildung mitzuwirken.


(Beifall bei der SPD)


Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha-
ben in dieser Wahlperiode viel erreicht . In diesem Sinne
wünsche ich uns allen: Frohe Weihnachten! Ich bedanke
mich an dieser Stelle sehr herzlich bei all jenen, die über

Marina Kermer

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620924


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die Weihnachtsfeiertage andere Menschen umsorgen und
pflegen.

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820918200

Danke schön . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Lothar Riebsamen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Lothar Riebsamen (CDU):
Rede ID: ID1820918300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In der Tat ist es ohne Zweifel notwendig, im-
mer wieder über das Thema Pflege zu reden. Das zei-
gen schon die nackten Zahlen: 20 Millionen Menschen
werden jedes Jahr in den Krankenhäusern versorgt und
gepflegt – rechnerisch ein Viertel der gesamten Bevöl-
kerung –; dazu kommen 2,7 Millionen Menschen, die in
der stationären Altenpflege und der ambulanten Alten-
pflege versorgt werden. Deswegen ist es vor Weihnach-
ten richtig, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und
den Pflegekräften in unseren Krankenhäusern, in unseren
Pflegeheimen und in den Sozialstationen ein herzliches
Dankeschön zu sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Sie leisten großartige Arbeit, sie leisten qualitativ hoch-
wertige Arbeit . Dies belegen aktuelle Patientenbefragun-
gen, und dies belegen auch immer wieder Studien .

Ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn die Lin-
ke als Oppositionspartei Forderungen stellt wie die Ab-
schaffung der Beitragsbemessungsgrenze; denn dann
kann man schnell 100 000 Pflegekräfte einstellen. Das
können Sie aber auch nur fordern, weil Sie nicht in der
Situation sind, das tatsächlich umsetzen zu müssen, und
Sie werden auch nie in die Situation kommen .


(Zuruf von der CDU/CSU: Hoffentlich! – Zuruf des Abg . Alexander Ulrich [DIE LINKE])


– Ich glaube nicht, dass Sie in die Situation kommen . –
Aber ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie in Ih-
rem Antrag schreiben, dass in deutschen Krankenhäusern
eine strukturell gefährliche Pflege gemacht wird. Das
weise ich entschieden zurück .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das diffamiert die Pflege in unseren Krankenhäusern und
auch in unseren Pflegeheimen. Ich sage Ihnen eines: Auf
diese Weise gewinnen Sie nicht eine Pflegekraft dazu.


(Mechthild Rawert [SPD]: Ja!)


Nicht ein junger Mensch wird sich dazu entschließen, Al-
tenpfleger oder Krankenpfleger zu werden, wenn Sie die
Pflege in Deutschland auf diese Weise darstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Nun ist es ja durchaus nicht falsch, darauf hinzuwei-
sen, dass wir vor Einführung der DRGs in den 90er-Jah-
ren die meisten Pflegekräfte in Deutschland hatten.
Damals hatten wir 350 000 Vollzeitpflegekräfte in den

Krankenhäusern . Diese Zahl sank auf unter 300 000 . Das
hat den Krankenhäusern nicht gutgetan .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820918400

Herr Kollege Riebsamen, die Kollegin Zimmermann

würde Ihnen gerne eine Frage stellen . Lassen Sie das zu?


Lothar Riebsamen (CDU):
Rede ID: ID1820918500

Ja, bitte schön .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820918600

Bitte schön .


Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820918700

Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen . – Ich will

auf die Ausbildung zu sprechen kommen, weil Sie einen
Zusammenhang zwischen der Ausbildung und den struk-
turellen Problemen vor Ort hergestellt haben . Natürlich
haben wir in den Häusern strukturelle Probleme . Sie
müssen einmal mit den Kolleginnen reden und sie fra-
gen, wie es ihnen geht und wie sie ihre Arbeit verrichten
können . Sie müssen wissen, dass Menschen, die in der
Pflege arbeiten – dazu gibt es unterschiedliche Studien –,
durchschnittlich nach sieben, acht oder neun Jahren ihren
Beruf wieder verlassen, weil sie die Arbeit physisch und
psychisch nicht aushalten .

Es gibt viele Anzeigen, dass Pflege nicht verrichtet
werden konnte und dass Notfälle im Bereich der Pflege
auftraten . Soll ich den Kolleginnen und Kollegen oder
den Menschen, die eine Ausbildung in der Pflege begin-
nen, vormachen, dass alles wunderbar ist, dass alles ganz
prima ist, dass es selbstverständlich verlässliche Dienst-
pläne gibt usw .? Soll ich den jungen Menschen vorma-
chen, dass man den Beruf, den man erlernt hat, auch
tatsächlich ausüben kann? Das macht doch keinen Sinn .

Sie müssen an einer anderen Stelle ansetzen . Sie müs-
sen den Beruf attraktiv machen . Die Menschen müssen
wissen, dass sie verlässliche Dienstpläne haben, dass sie
ihre Arbeit verrichten können und dass sie mit den Men-
schen menschenwürdig umgehen können . Ich glaube
nicht, dass wir Fachkräfte gewinnen können, indem wir
den Schülerinnen und Schülern die Probleme vorenthal-
ten .

Ich will Ihnen noch eine Sache sagen . Zu mir kommen
oft Besuchergruppen aus Altenpflegeschulen. Ich frage
mich immer wieder – das spreche ich natürlich auch an –,
warum die Gruppen so klein sind . Ich höre jedes Mal,
dass die meisten, wenn sie in die Praxis kommen, ihren
Berufswunsch aufgeben und die Ausbildung verlassen .
Ich frage Sie: Warum machen die das? Haben Sie sich
darüber einmal Gedanken gemacht?


Lothar Riebsamen (CDU):
Rede ID: ID1820918800

Frau Zimmermann, ich sage Ihnen: Bleiben Sie ein-

fach nur bei der Wahrheit . Stellen Sie nicht in den Raum,
dass strukturell bedingt – so haben Sie das geschrieben;
Sie sprechen nicht von Einzelfällen – eine gefährliche

Marina Kermer

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20925


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Pflege in den Krankenhäusern und den Pflegeheimen ge-
leistet wird . Das ist schlicht und ergreifend nicht wahr .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das wäre ein Straftatbestand . Wenn Sie entsprechen-
de Erkenntnisse haben, dann müssen Sie das beim Ge-
sundheitsamt anzeigen . Das, was Sie sagen, ist einfach
nicht richtig . Das kommt in Einzelfällen durchaus vor,
aber eben nicht strukturell bedingt . Sie stützen sich bei
Ihrer Aussage auf einen Enthüllungsjournalisten, dessen
Enthüllungen vom Landgericht Hamburg kassiert wur-
den . Das muss man an der Stelle auch sagen . Da ist Ihnen
wohl nichts Besseres eingefallen . Es gibt wirklich gute
Gründe, um über die Situation in der Pflege zu reden; das
habe ich eingangs gesagt . So seltsame Gründe wie die,
die Sie hier in die Welt setzen, braucht man dafür nicht .


(Zuruf der Abg . Pia Zimmermann [DIE LINKE])


Ich habe mich vorhin noch vornehm ausgedrückt . Das
muss ich schon sagen . Es war der adventlichen Gnade ge-
schuldet, dass ich mich zurückhaltend ausgedrückt habe .
Zu jeder anderen Jahreszeit würde ich es so formulieren:
Das ist eine Frechheit gegenüber denen, die diese tolle
Arbeit in den Pflegeheimen und Krankenhäusern leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD] – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Sie haben es nicht verstanden, und Sie werden es auch nicht verstehen!)


Ich habe gesagt, dass die Krankenhäuser im Zusam-
menhang mit der Einführung der DRGs zu viele Pflege-
stellen abgebaut haben. Die Zahl der Pflegekräfte sank
von 350 000 auf unter 300 000 . Die Krankenhäuser ha-
ben das Problem selbst erkannt . Sie haben erkannt, dass
man bei schlechter Pflege keine hohen Qualitätsstandards
einhalten kann. Sie haben die Zahl der Pflegekräfte von
sich aus erhöht .

Aber auch seitens der Politik haben wir Maßnahmen
ergriffen . Das Wichtigste, was zu Regierungszeiten der
Großen Koalition und davor gemacht wurde, ist schon
erwähnt worden. Das Pflegestellen-Förderprogramm von
2009 und das Pflegestellen-Förderprogramm in dieser
Legislaturperiode haben dazu geführt, dass wir heute in
etwa gleich viele Stellen haben wie vor Einführung der
DRGs . Das war eine große Leistung .

Ich möchte noch eines ergänzen, was bisher noch nicht
gesagt wurde: Wenn sich nun die Länder dazu durchrin-
gen könnten, die Investitionskosten zu finanzieren, und
wenn sie nicht Geld aus den Krankenhäusern abziehen
würden, indem sie deren Erlöse einkassieren, wenn die
Länder also ihren Verpflichtungen nachkommen wür-
den, dann hätten die Krankenhäuser noch mehr Geld, um
den berechtigten Forderungen nach mehr Pflegepersonal
nachzukommen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte zum Schluss darauf hinweisen, dass es na-
türlich wichtig ist, über Geld und über Stellenschlüssel
zu reden . Das ist überhaupt keine Frage . Aber wir sollten
uns auch die Frage stellen, was wir tun können, um sta-

tionäre Pflege möglichst zu verhindern. Die Menschen
möchten ihren letzten Lebensabschnitt sowieso lieber
zu Hause verbringen und zu Hause sterben . Es ist auch
preisgünstiger, zu Hause zu sein, als ein teures Pflege-
heim zu bezahlen . Aber darauf will ich jetzt gar nicht hi-
naus . Mir geht es um etwas anderes . Mir geht es darum,
dass wir, wenn wir den ambulanten Bereich stärken und
wenn mehr Leute zu Hause gepflegt werden können, we-
niger Pflegekräfte in den Pflegeheimen brauchen; damit
meine ich nicht, dass der Stellenschlüssel geändert wer-
den soll .

Die finanziellen Rahmenbedingungen haben wir mit
dem Pflegestärkungsgesetz I geschaffen. Aber wenn wir
die Rahmenbedingungen verbessern wollen, dann geht
es nicht nur um das Geld, sondern auch darum, dass wir
die Kurzzeitpflegeplätze – wir haben das Budget für den
Einzelnen von 1 600 auf 3 200 Euro im Jahr verdop-
pelt – dann vor Ort vorhalten . Das gilt auch für die Ta-
gespflegeplätze. Beides stützt die ambulante Versorgung,
Tagespflege und Kurzzeitpflege. In der Tagespflege ha-
ben wir ein Budget von um die 20 000 Euro pro Jahr für
jeden Einzelnen eingeführt. Allein die Tagespflegeplätze
stehen in der benötigten Breite nicht zur Verfügung .

Deswegen werden wir uns Gedanken machen müs-
sen, wie wir das in Zukunft erreichen . Die Kostenträger
sind gefordert, dieses Geld jetzt vor Ort auszugeben, den
Heimträgern Angebote zu machen und Anreize zu schaf-
fen, Kurzzeitpflegeplätze und auch Tagespflegeplätze
auszuweisen, um so den ambulanten Bereich zu stärken .
Das wird im nächsten Jahr, im Jahr 2017, und in den
kommenden Jahren unsere Aufgabe sein . Dazu wünsche
ich uns viel Erfolg .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820918900

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt

Mechthild Rawert .


(Beifall bei der SPD)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1820919000

Ja, es ist richtig: Wir stehen vor großen gesell-

schaftspolitischen Herausforderungen . Eine davon ist
der Personalnotstand in der Pflege. Wir brauchen viele
Maßnahmen, um dieses Problem tatsächlich – in An-
führungszeichen – in den Griff zu bekommen . Ein we-
sentlicher Baustein ist auf jeden Fall die Reform der
Pflegeberufe. Dazu gehören die generalistische und die
akademische Ausbildung; dazu gleich mehr .

Vor allen Dingen haben wir eines getan: Wir haben
mit den drei Pflegestärkungsgesetzen viel Wesentliches
auf den Weg gebracht,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nummer vier fehlt!)


Lothar Riebsamen

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620926


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damit Pflege gut geleistet wird, und zwar im Sinne der
Betroffenen, der Angehörigen und der hauptberuflich Be-
schäftigten .


(Beifall bei der SPD)


Daran kann niemand zweifeln . Das tun wir auch nicht .
Denn wir alle wissen, dass wir erfolgreiche und wichtige
Schritte gemacht haben . Ich will sie jetzt gar nicht alle
aufführen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der letzte Schritt fehlt noch!)


Für die Alten- und Krankenpflege haben wir bereits
Etliches dezidiert geleistet. Wir haben 2009 das Pfle-
gestellen-Förderprogramm – es wurde schon genannt –
eingeführt, welches allerdings noch darunter litt, dass es
nicht zielgenau gewesen ist und vielen in der Medizin
diente, was damals nicht die Intention war. Beim Pfle-
gezuschlag von 500 Millionen Euro waren wir cleverer .
Da haben wir unser Ziel politisch sehr viel genauer fest-
gelegt .

Wir haben die Ausbildungs- und Qualifizierungs-
offensive Altenpflege eingeführt. Wir haben das dritte
Ausbildungsjahr finanziert. Wir haben die Förderung
der Umschülerinnen und Umschüler für die Pflegeberu-
fe durch die Arbeitsagenturen mit auf den Weg gebracht .
Wir haben dafür gesorgt, dass für erfahrene Kräfte die
Altenpflegeausbildung auf zwei Jahre verkürzt wird. Das
alles sind Schritte, um dieses Berufsfeld attraktiv zu ma-
chen und vor allen Dingen auch Bildung in dieses Be-
rufsfeld zu bringen .


(Beifall bei der SPD)


Gesagt, getan, gerecht – so lautet unser sozialdemokra-
tisches Motto, und mit den verschiedensten Pflegerefor-
men haben wir weitere Schritte getan .

Wir haben mit dem Pflegestärkungsgesetz II bereits
ein Gremium beauftragt, in dreieinhalb Jahren – übrigens
ein relativ kurzer Zeitraum, der sich „dummerweise“
noch bis 2020 erstreckt – ein wissenschaftlich fundiertes,
also ein evaluiertes Verfahren für die Personalbemessung
in Pflegeeinrichtungen zu entwickeln. Dies soll auch den
neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff berücksichtigen, der
allerdings erst am 1 . Januar 2017 in Kraft tritt . Dass es
wissenschaftlich fundiert sein soll, steht nun in beiden
Anträgen der Linken . Es hieße, sich dieser Wissenschaft-
lichkeit zu berauben, wenn man jetzt wegen der benötig-
ten Zeit regelrecht schimpfen würde . Da muss ich ganz
ehrlich sagen: Das wäre doch wirklich ein Schuss ins
eigene Knie .


(Beifall bei der SPD – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Wir müssen doch eine Übergangsregelung haben!)


Des Weiteren werden bundeseinheitliche Standards
für die Personalbemessung gefordert . Gut so! Bundes-
weit alleine reicht aber nicht; denn wir brauchen auch
den Bezug auf die unterschiedlichsten regionalen Beson-
derheiten. Das ist wichtig; denn Pflege allein à la Gieß-
kanne hilft uns auch nicht weiter .

Über vieles wurde bereits im Kontext des Sechsten
Pflegeberichts gesprochen; ich will darauf nicht mehr
eingehen . Eines ist aber auch klar: Mehr Personal auf-
grund PSG I ist in den Einrichtungen vorhanden . Die An-
zahl der Betreuungskräfte hat sich deutlich erhöht . Auch
sie sind im Kontext des Pflegesettings extrem wichtig.


(Beifall bei der SPD)


Herr Rüddel hat es erwähnt, Herr Riebsamen ebenso:
Gefordert sind auch die Bundesländer . Mittlerweile gibt
es – positiverweise, muss man sagen – für 2017 ja schon
einzelne Personalschlüssel, die von den Vereinbarungs-
partnern ausgehandelt worden sind . Davon wünsche ich
mir mehr . Niemand hier sagt: Ihr Bundesländer, wir le-
gen euch hier einen Stein in den Weg . – Jedes Bundes-
land ist hier gefordert .


(Erwin Rüddel [CDU/CSU]: Auch Thüringen!)


– Auch Thüringen, Rheinland-Pfalz, Berlin, und, und,
und . Jeder kehre vor seiner eigenen Tür .

Des Weiteren haben wir über die Tarife gesprochen .
Mit der Stärkung der Tarifbezahlung ist wirklich ganz
Wesentliches erreicht worden .

Zum Schluss möchte ich aber auf die Pflegeberufere-
form eingehen; denn eines ist doch klar: Qualifiziertes
Personal gibt es nur durch eine gute, qualifizierte Ausbil-
dung . Deswegen brauchen wir die generalistische Aus-
bildung,


(Beifall bei der SPD)


deswegen brauchen wir die akademischen Berufe . Wir
müssen auch die zukünftige Konkurrenz zwischen den
verschiedenen Branchen berücksichtigen . Nur zu jam-
mern, hilft auch nicht . Das ist nicht attraktiv für junge
Leute .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Pflegesettings der Zukunft müssen mehr Kompe-
tenzen aufweisen . Wir alle reden über Multimorbidität,
wir reden über Alter und das Älterwerden . Und wir alle
wollen doch eine gute Versorgung haben . Also lasst uns
auch wirklich für eine gute Versorgung eintreten! – Ich
gucke einmal ganz scharf in eine bestimmte Richtung,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das sind mehr Kompetenzen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820919100

Frau Kollegin Rawert .


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1820919200

Ja . – Das wäre das Weihnachtsgeschenk, das wir Par-

lamentarierinnen und Parlamentarier den Pflegekräften
überreichen können: also pro Generalistik, pro akademi-
sche Ausbildung . In diesem Sinne ein frohes und gutes
neues Jahr!


(Beifall bei der SPD)


Mechthild Rawert

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20927


(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820919300

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist jetzt der Kollege Erich Irlstorfer für die
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt das Christkind!)



Erich Irlstorfer (CSU):
Rede ID: ID1820919400

Es freut mich, dass Sie das so sehen . – Sehr verehrte

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
beiden Anträgen der Linken zur Personalsituation in der
Altenpflege bzw. in der Pflege und im Gesundheitswe-
sen allgemein wird ein Bild der Situation in deutschen
Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gezeichnet,
das reine Untergangsstimmung vermitteln soll . Ich kann
nur sagen: Dieses Bild trifft nicht zu .


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Dann nehmen Sie die Leute also nicht ernst! Das ist ja interessant! Gut zu wissen!)


Es wird hier im Bundestag der Eindruck erweckt, als
ob die Bundesregierung in den letzten drei Jahren keiner-
lei Veränderungen im Bereich der Pflege vorgenommen
hätte . Sie wissen genauso gut wie wir, dass das nicht ein-
mal im Ansatz der Realität entspricht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Als Alternative erzeugt die Linke ein Traumbild mit
kostenfreier Gesundheitsversorgung in Deutschland und
einer Lösung der demografischen Herausforderungen im
Handumdrehen . Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren, die Lösungsansätze der Linken lassen sich nur wie
eine Rückkehr zur Planwirtschaft und zu einem Versor-
gungssystem à la Staatsmedizin lesen, von dem wir uns
vor 27 Jahren erfreulicherweise trennen durften .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Niveaulos! – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Haben Sie unsere Anträge eigentlich gelesen?)


Demnach sollen als kurzfristige Maßnahmen zur Ver-
besserung der Personalbesetzung in den Krankenhäusern
mindestens 100 000 Vollzeitstellen im Pflegebereich ge-
schaffen werden . Aus Ihrem Antrag geht jedoch nicht
hervor, auf welcher Grundlage diese Zahl basiert .


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Und Sie haben gar nichts! Sie lassen die Leute bis 2020 im Regen stehen!)


Sie verfahren hier wie beim Zaubern; das ist der Punkt .
Aber das ist keine seriöse Politik .


(Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Ihnen sind die Menschen egal!)


Ohne ordentliche Grundlage ist es aber hochgradig un-
wissenschaftlich und auch unseriös, solche Zahlen in den
Raum zu stellen . In meinen Augen ist es zumindest am
Rande der Unanständigkeit, wie Sie hier agieren; das
möchte ich Ihnen klar sagen .

Darüber hinaus, meine sehr geehrten Damen und Her-
ren, sollen hier ein wirtschaftlicher Wettbewerb und die
Möglichkeit, Gewinne zu erzielen, beendet werden . Ich
kann Ihnen nur sagen: Ohne Gewinne gibt es keine Ver-
fügungsmasse für Investitionen . Mehr Wettbewerb führt
zu mehr Qualität, auch in der Pflege. Sozialismus führt
nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Gesund-
heitsversorgung zu einer Katastrophe . Das möchte ich
untermauern .


(Mechthild Rawert [SPD]: Eben! Wir plädieren ja auch für die solidarische Bürgerversicherung, nicht für die sozialistische!)


Ihre Vorstellungen führten damals zu maroden Kran-
kenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in denen es am Nö-
tigsten fehlte . So wäre es auch heute . Wir möchten nicht,
dass, wie es einmal war, Einmalhandschuhe mehrmals
verwendet werden müssen und Ähnliches . Um es mit
Franz Josef Strauß zu sagen:

Man soll aus der Geschichte nicht lernen, um beim
nächsten Mal schlauer, sondern um für immer wei-
ser zu sein .

Das ist mein Rat für Ihre zukünftige Arbeit .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sehe na-
türlich auch die Bundesländer in der Pflicht, die notwen-
digen Mittel zur Finanzierung – Lothar Riebsamen hat
darauf hingewiesen – bereitzustellen . Auch hier können
die nicht CSU-regierten Bundesländer, wenn sie wollen,
noch viel von Bayern lernen .


(Zurufe von der LINKEN: Oh! – Nein danke!)


Bayern liegt bei den Investitionen auch heuer wieder an
der Spitze in Deutschland . Nehmen Sie das einmal zur
Kenntnis .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ui, ui, ui!)


In Ihrer Vorstellungswelt soll die Privatisierung von
Einrichtungen – wir hören das ja laufend – in Zukunft un-
tersagt werden . Statt der bestehenden Vielfalt von privat-
gewerblichen, frei-gemeinnützigen und öffentlichen Trä-
gern wollen Sie Monokulturen . Das, meine sehr geehrten
Damen und Herren, ist ein Irrweg . Wir konnten die An-
zahl der Pflegeeinrichtungen in den letzten Jahren – auch
das gehört zur Wahrheit – um über 40 Prozent steigern,
den Großteil davon dank immenser privater Investitio-
nen . An dieser Stelle danke ich für diese unternehmeri-
schen Leistungen .

Ich möchte darüber hinaus noch ganz kurz auf einen
weiteren Punkt eingehen – ich glaube, er gehört hier-
her –: Sie sprechen ja immer davon, dass Sie eine Pfle-
gevollversicherung einführen wollen und dass Sie vom
bestehenden System weg wollen . Außerdem hören wir in
regelmäßigen Abständen – nicht nur von Ihnen – immer
wieder etwas zum Thema Bürgerversicherung als der
einzig wahren Lösung aller Probleme in der deutschen
Gesundheitsversorgung . Das Positivste, das ich im Zu-
sammenhang mit der Bürgerversicherung gehört habe,

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620928


(A) (C)



(B) (D)


ist, dass mir gestern ein Treffen mit der Kollegin Hilde
Mattheis im Jahr 2017 versprochen wurde, bei dem sie
mir all diese Dinge erklären und sie entsprechend formu-
lieren wird . Ich kann nur sagen: Die Linke ist nicht ein-
mal in der Lage, das zu formulieren . Sie bringen nichts
Fachliches, sondern reine Propaganda . Das möchte ich
hier einmal festhalten .


(Mechthild Rawert [SPD]: Ich gebe Ihnen gleich 18 Seiten mit! – Gegenruf des Abg . Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber da steht nichts drin! Das ist es ja!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gäbe
noch viel zu sagen . Frau Rawert hat mich ja geradezu
herausgefordert, etwas zum Thema Pflegeberufegesetz
zu sagen . Ich hebe mir das aber für 2017 auf, verehrte
Kollegin . Heute kann ich nur sagen: Die strukturellen
Veränderungen, die wir beschlossen haben, werden sich
in den kommenden Jahren positiv auf die Gesundheits-
versorgung in Deutschland auswirken . Der Antrag der
Linken geht an diesen Tatsachen wieder einmal vorbei
und ist daher abzulehnen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820919500

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Die Fraktionen haben vereinbart, dass die Vorlage auf
Drucksache 18/9122 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse überwiesen wird . Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Tagesordnungspunkt 10 b . Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Gute Arbeit – Gute Versorgung: Mehr Personal in Ge-
sundheit und Pflege“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10664, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7568
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarz-
arbeit und illegalen Beschäftigung

Drucksache 18/9958

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/10655

Über den Gesetzentwurf werden wir später nament-
lich abstimmen . Ich weise darauf hin, dass zur Annahme
des Gesetzentwurfs nach Artikel 87 Absatz 3 des Grund-

gesetzes die absolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen –
erforderlich ist .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Auch hier höre
ich keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . – Ich
darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Uwe Feiler, CDU/CSU-Fraktion . Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Uwe Feiler (CDU):
Rede ID: ID1820919600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute schlie-
ßen wir das Gesetzgebungsverfahren zur Verbesserung
der Bekämpfung der Schwarzarbeit ab . Die Regierungs-
koalition setzt damit ihr entschlossenes Vorgehen gegen
Unternehmen fort, die meinen, sich durch die Beschäf-
tigung von Schwarzarbeitern einen Vorteil verschaffen
zu können, aber auch gegen Arbeitnehmer, die entweder
aus freien Stücken oder aus einer Notlage heraus nicht
erkennen, dass sie mit ihrem Handeln nicht nur den So-
zialstaat, sondern vor allen Dingen sich selbst schädigen .

In den vergangenen Monaten war ich mit mehreren
Gesetzen befasst, die bezwecken, Steuerehrlichkeit zu
fördern und entschieden denjenigen nachzugehen, die
meinen, sich ihren Pflichten bei der Entrichtung von
Steuern oder Sozialabgaben entziehen zu können . Meine
Damen und Herren, von daher steht auch dieses Gesetz
in einer Reihe mit einem Bündel von Maßnahmen, mit
denen wir sicherstellen, dass der Ehrliche nicht der Dum-
me ist, sondern dass Steuer- und Abgabengerechtigkeit in
diesem Land Ansprüche sind, die wir gemeinsam mit den
Länderbehörden durchsetzen wollen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heute Abend darf ich noch zur Unterbindung von
Kassenmanipulationen sprechen . Ich möchte aber auch
an unser Gesetzespaket zum automatisierten internatio-
nalen Informationsaustausch in Steuersachen und an die
BEPS-Initiative erinnern . Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, all diese Maßnahmen leisten einen Beitrag dazu,
dass der Staat wichtige Aufgaben wahrnehmen und vor
allem finanzieren kann.

In der Anhörung zum Gesetzentwurf haben wir zahl-
reiche Aspekte mit den Sachverständigen diskutiert . Da-
bei wurde übereinstimmend festgestellt, dass die Frag-
mentierung der Informationen mit das größte Hindernis
darstellt, Schwarzarbeit noch wirksamer auf die Schliche
zu kommen . Genau da setzen wir in diesem Gesetz an .
Die veraltete und dezentral organisierte EDV soll durch
eine integrierte einheitliche Datenbank in einem mo-
dernen IT-Verfahren ersetzt werden und den beteiligten
Behörden aktuelle und vor allem umfassende Daten zur
Verfügung stellen .

Ein Blick in § 2 des Schwarzarbeitsbekämpfungs-
gesetzes macht deutlich, dass es sich um eine äußerst
komplexe Thematik handelt, bei deren Lösung der Zoll
aufseiten des Bundes mit vielen Akteuren zusammen-

Erich Irlstorfer

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20929


(A) (C)



(B) (D)


arbeiten muss . An dieser Stelle möchte ich mich einmal
ausdrücklich für die gute Arbeit bedanken, die die Kolle-
ginnen und Kollegen des Zolls leisten . Herr Dr . Meister,
ich bitte Sie, dieses Lob und diesen Dank entsprechend
weiterzugeben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Zusammenarbeit mit anderen Behörden fängt bei
den Landesfinanzverwaltungen an, setzt sich über die
Rentenversicherungsträger, die Bundesagentur für Ar-
beit, die Arbeitsschutzbehörden, die Ausländerbehörden,
die Handwerks- und Gewerbebehörden, die Einzugsstel-
len der Krankenkassen, die Berufsgenossenschaften, die
Unfallkassen, die Asylbehörden und die Landespolizeien
fort und endet beim Bundesamt für Güterverkehr .

All diese Behörden können Hinweise auf unerlaubte
Beschäftigungsformen gewinnen und sollten sich meiner
Meinung nach auch darüber austauschen dürfen . Hier
kann ein Informationsaustausch, mit dem wir auch in an-
deren Bereichen gute Erfahrungen gemacht haben, nur
von Vorteil sein .


(Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Genau!)


Das schließt aber beispielsweise auch mit ein, dass die
oftmals kommunalen Behörden, die sich um die hand-
werks- und gewerberechtlichen Bestimmungen küm-
mern, auch Prüfungsrechte eingeräumt bekommen, um
ihren Anteil beitragen zu können .

Mit diesem Gesetzentwurf schaffen wir die Vorausset-
zungen dafür, dass die Länder entsprechend tätig werden .
Künftig können Betriebe, die gegen dieses Gesetz ver-
stoßen, nicht nur von öffentlichen Bauaufträgen, sondern
auch von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen ausge-
schlossen werden .

Seitens der Grünen wird vorgeschlagen, die Land-
wirtschaft in den Kreis derjenigen Branchen gemäß § 2a
Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz aufzunehmen, die als
besonders gefährdet gelten . Diesem Ansinnen vermögen
wir nicht zu folgen, weil wir die ohnehin schon gebeu-
telte Landwirtschaft nicht noch mit weiteren Regularien
überfrachten wollen .


(Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Das ist gut!)


Davon abgesehen, dass landwirtschaftliche Betriebe zu
Recht genauso wie alle anderen Betriebe Kontrollen
durch den Zoll unterworfen sind, hat uns das Finanzmi-
nisterium nachvollziehbar dargestellt, dass es sich hier
keineswegs um eine besonders risikobehaftete Branche
handelt . Auch habe es keinerlei Probleme bei Kontrollen
deswegen gegeben, weil die Beschäftigten ihre Ausweise
nicht mitgeführt haben .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann waren wir in zwei verschiedenen Veranstaltungen! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keine Dokumentationspflicht!)


Ohne eine ausreichende Personalausstattung helfen
die besten Gesetze nichts .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)


Erfreulich ist, dass wir die Stellen bei der Zollverwaltung
aufgestockt haben und die Ausbildungskapazitäten ent-
sprechend erhöht wurden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Bei der Anhörung wurde mehrfach angesprochen, dass
insbesondere die Kommunen im Bereich Personal mehr
Unterstützung durch die Länder benötigen . Wichtig ist
aber auch, dass Behörden, die Verstöße feststellen, diese
auch ahnden können . Im Bereich der Sozialversicherung
kann der Zoll deshalb zukünftig auch Meldeverstößen
nachgehen – und sie bis zum Ermittlungsverfahren be-
gleiten –, die er bislang an die Einzugsstelle gemäß § 112
Absatz 1 Nummer 4 des Vierten Buches Sozialgesetz-
buch abgeben musste . Er musste dann darauf vertrauen,
dass man sich dort der Sache annimmt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Auch der Forderung, Konzessionen ausdrücklich in
den Katalog von Vergabeausschüssen mit aufzunehmen,
muss ich leider eine Absage erteilen .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schade!)


Hier wurde bewusst eine gleichlautende Formulierung
des Vergabemodernisierungsgesetzes gewählt . Sollte es
hier missbräuchliche Gestaltungen geben, ist es uns un-
benommen, entsprechend nachzusteuern .

Auf ein zeitgemäßes Level bringen wir auch den Zu-
griff der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf die Fahr-
zeug- und Halterdaten . Während bislang jede Frage
manuell bearbeitet werden musste und Faxe quer durch
die Republik verschickt wurden, sorgt der automatische
Informationsaustausch künftig für schnelle und vor allem
weniger personalintensive Auskünfte .

Zum Ende meiner Rede darf ich noch kurz auf die
Umdrucke eingehen, die an die von mir angesprochenen
Themen anschließen . Demnach nehmen wir die Landes-
behörden, die sich mit der für Schwarzarbeit anfälligen
Branche der Personenbeförderung beschäftigen, in den
Katalog der Kooperationsbehörden auf, die nicht nur den
Zoll informieren, sondern von diesem auch informiert
werden .

Mit der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes tra-
gen wir dem Umstand Rechnung, dass die Informationen
über Kraftfahrzeuge und deren Halter, die nunmehr aus-
schließlich beim Bund liegen, auch den Landesfinanzbe-
hörden zur Verfügung gestellt werden können . Weiterhin
wird die Kraftfahrzeugsteuer ans EU-Recht angepasst .
All diese Regelungen sind sinnvoll und sollten deshalb
unsere Unterstützung erfahren .

Bei den Kolleginnen und Kollegen des Finanzaus-
schusses und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des

Uwe Feiler

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620930


(A) (C)



(B) (D)


BMF bedanke ich mich für die guten Beratungen . Ich bit-
te Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820919700

Vielen Dank . – Für die Linke spricht jetzt Jutta

Krellmann .


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820919800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir reden über den Entwurf eines Gesetzes
zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und il-
legalen Beschäftigung . Einige darin enthaltene Vorschlä-
ge sind sinnvoll und notwendig, wie die Untersuchungs-,
Ausweis- und Auskunftsrechte der Landesbehörden .
Aber Überwachung ist das eine, Ursachenbekämpfung
ist das andere . Den Missbrauch von Minijobs und den
Verfall geleisteter Arbeitszeit haben Sie nicht im Blick .
Sie bleiben die Bundesregierung der verpassten Chancen .

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Als Gewerk-
schaftssekretärin und Abgeordnete der Linken bin ich für
die Bekämpfung von Schwarzarbeit .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will aber auch die unsicheren und illegalen Beschäf-
tigungsverhältnisse bekämpfen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Machen Sie die Augen auf! Ich rede von unangemeldeten
sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten und Schein-
selbstständigkeit . Ich rede weiter von illegaler Arbeitneh-
merüberlassung, von Ausbeutung der Arbeitskraft bis hin
zum Menschenhandel .

Hierzu drei Beispiele .

Erstens: Missbrauch von Minijobs . In der Land-
wirtschaft, in der Forstwirtschaft und in anderen Bran-
chen wird jemand auf der Grundlage eines Minijobs
für 450 Euro eingestellt . Er arbeitet aber fünf Tage die
Woche, und zwar acht Stunden pro Tag . Real wird also
Vollzeit oder noch mehr gearbeitet . Alles über 450 Euro
hinaus wird schwarz abgerechnet . Dazu haben Sie keine
Vorschläge .


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Natürlich! Wir kontrollieren das doch! – Olav Gutting [CDU/ CSU]: Das ist verboten!)


Zweitens: Überstunden . Im letzten Jahr leisteten Be-
schäftigte mehr als 1 800 Millionen Überstunden außer-
halb ihrer normalen Arbeitszeit . 816 Millionen Stunden
werden bezahlt, und 997 Millionen Stunden sind unbe-
zahlte Stunden . Arbeitgeber bekamen also knapp 1 Milli-
arde Überstunden geschenkt .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn! – Dr . Michael Meister [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)


Das sind 500 000 Vollzeitarbeitsstellen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein Skandal!)


Nicht erfasste und nicht bezahlte Arbeitszeit wird so zur
Schwarzarbeit . Das darf überhaupt nicht sein, das darf
nicht passieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens: private Haushalte . Der DGB geht von 3 Mil-
lionen schwarzarbeitenden Haushaltshilfen aus . In der
häuslichen Pflege arbeiten schätzungsweise mehr als
100 000 Menschen – angeblich als Selbstständige, oft-
mals komplett schwarz .


(Zuruf von der CDU/CSU: Kennen Sie welche?)


Oftmals handelt es sich um Scheinselbstständigkeit, zum
Teil mit ausländischer Gewerbeanmeldung .

Alle Beispiele haben eins gemeinsam: Es geht um
Abrechnungs- und Sozialversicherungsbetrug an Be-
schäftigten, Sozialkassen und Steuerkassen – mit weitrei-
chenden materiellen und gesellschaftlichen Folgen wie
verminderte Steuereinnahmen, verminderte Sozialversi-
cherungsabgaben und weniger Geld für die Menschen .

In diesem Land verpuffen Milliarden Euro, weil einige
Arbeitgeber mit krimineller Energie systematisch Belege
fälschen, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um
ihren Lohn zu prellen . Politik muss die Arbeitgeber, die
sich richtig und anständig verhalten, vor den Arbeitge-
bern schützen, die sich über illegale Beschäftigung einen
Wettbewerbsvorteil verschaffen, und zwar auf Kosten
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Skandal!)


Damit bin ich auch schon beim Thema Zoll und der Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit . Wir übergeben diesen Be-
hörden immer mehr Aufgaben . Das setzt aber eine besse-
re Personalausstattung voraus . Dabei reicht es nicht, nur
die Planstellen aufzustocken; diese müssen auch attraktiv
und sicher sein . Denn wenn die Stellen nur befristet sind,
muss sich niemand wundern, wenn sich keiner darauf be-
wirbt . Die Bundesregierung braucht an der Stelle Fach-
kräfte . Diese kosten Geld, und das ist auch gut so .

Das gilt im Grunde für jeden Arbeitgeber: Wer gutes
Personal will, muss entsprechend für gute Arbeit sorgen .
Gute Arbeit muss immer unbefristet, tariflich bezahlt und
mitbestimmt sein . Das gilt auch für den Zoll und die Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit .

Wir wollen, dass Minijobs der vollen Sozialversiche-
rungspflicht unterliegen, und zwar ab der ersten Stunde.


(Beifall bei der LINKEN)


Jede Arbeit muss zeitlich erfasst und entsprechend be-
zahlt werden, damit Arbeit insgesamt nicht entwertet
wird . Dafür steht die Linke .

Uwe Feiler

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20931


(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank . Ich wünsche Ihnen ein wunderschönes
Osterfest .


(Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weihnachten!)


– Natürlich Weihnachtsfest .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820919900

Wir wollen jetzt daraus nicht auf die Zukunftsfähig-

keit schließen . – Als Nächste hat Ingrid Arndt-Brauer,
SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ingrid Arndt-Brauer (SPD):
Rede ID: ID1820920000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Das mit dem Osterfest war typisch; denn genauso sind
Sie in Ihrer Rede manchmal völlig vom Thema abge-
kommen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben uns heute Abend nicht versammelt, um die
Minijobs neu zu erfinden oder neu zu regeln. Man kann
sich immer alles noch besser und schöner vorstellen . Wir
finden aber, dass wir gute Aufzeichnungspflichten für die
Minijobs gefunden haben . Sie sind auf bestimmte Berei-
che begrenzt . Das heißt, nicht jeder kann einen Minijob
anbieten .

Ich weise noch einmal darauf hin, dass der Zoll natür-
lich vernünftige Arbeitsbedingungen für seine Mitarbei-
ter gewährleistet . Die Beschäftigungsverhältnisse sind
normalerweise auch nicht befristet, sondern unbefristet,
und mitbestimmt . Die meisten Beschäftigten beim Zoll
sind verbeamtet . Deswegen möchte ich hier keinen fal-
schen Eindruck aufkommen lassen .

Der Zoll hat vielfältige Aufgaben . Ich bin Berichter-
statterin für Zoll und Finanzverwaltung . Es stimmt – da-
mit haben Sie recht –: Wir haben dem Zoll in der Ver-
gangenheit vielfältige neue Aufgaben übertragen . Er ist
zuständig für die Wareneinfuhr- und -ausfuhrkontrolle
und treibt Steuern ein . Er ist für die Kontrolle von Pla-
giaten zuständig . Auch um Wirtschaftskriminalität und
Artenschutz muss sich der Zoll kümmern, und er ist für
die Kontrolle der Schwarzarbeit zuständig .

Mehr als 6 700 Zöllnerinnen und Zöllner sorgen bei
der Finanzkontrolle Schwarzarbeit dafür, dass wir ver-
nünftig gegen illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit
vorgehen können . Ich denke, dieser Aufgabe kommt der
Zoll gut nach .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben die Planstellen aufgestockt . Es dauert na-
türlich eine Weile, bis die Leute ausgebildet sind . Das
ist verständlich . Aber ich bin der Meinung, dass der Zoll
ein sehr attraktives Arbeitsumfeld bietet . Deswegen bin
ich zuversichtlich, dass wir da auch weiterhin erfolgreich
arbeiten können .

Jetzt komme ich zu unserem Gesetzentwurf . Mein
Vorredner, Herr Feiler, hat das meiste schon angespro-
chen: Es geht wirklich darum, die Arbeit der Finanz-
kontrolle Schwarzarbeit zu erleichtern und effektiver zu
machen . Ich denke, mit dem Gesetzentwurf haben wir
eine ganze Menge auf den Weg gebracht . Wir werden
die Rahmenbedingungen in der Form bekämpfen, dass
die illegale Beschäftigung eingedämmt wird, und zwar
durch ein gewisses Entdeckungsrisiko . Wenn ein Ent-
deckungsrisiko besteht, dann kann man bestimmte Be-
schäftigungsverhältnisse nicht mehr in der Form anbie-
ten, weil dann eine herbe Strafe droht . Ich denke, dafür
sind die Zollkon trollen, die immer wieder unangekündigt
stattfinden, ein gutes Mittel, um das vernünftig zu regeln.


(Beifall bei der SPD)


Die Hilfe bei der EDV wurde schon angesprochen .
Auch da ist es wichtig, dass wir das zeitgemäß reformie-
ren und dass wir dem Zoll die Möglichkeit geben, mit
Landesbehörden vernünftig zusammenzuarbeiten . Wir
weiten auch die Kompetenzen des Zolls aus . Deswegen
brauchen wir heute eine breite Mehrheit für diesen Ge-
setzentwurf . Es ist wichtig und gut, dass wir das machen .

Es gibt Bereiche, die besonders anfällig und auch ein
bisschen schwieriger in der Überwachung sind .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel die Landwirtschaft!)


Dort brauchen wir mehr Leute und manchmal vielleicht
auch eine andere Aufstellung des Zolls .

Es wird weiterhin nötig sein, dass Zollbeamte in be-
stimmten Kontrollbereichen bewaffnet auftreten . Das ist
leider so, auch wenn wir das nicht schön finden. Wenn
sich die Beamten morgens entsprechend anziehen, dann
kommt es vielleicht auch einmal vor, dass sie in einer
Gaststätte bewaffnet kontrollieren, nicht weil Gaststät-
ten so gefährlich sind, sondern weil eine Waffe zu ihrer
Dienstuniform gehört . Darüber müssen wir uns nicht auf-
regen . Dies ist angemessen, damit die Beamten den Tag
über vernünftig kontrollieren können, ohne einer Selbst-
gefährdung ausgesetzt zu sein .


(Beifall bei der SPD)


Es wurde schon angemerkt, dass der Bundesrat zahl-
reiche Verbesserungsvorschläge gemacht hat. Ich finde
es sehr gut, dass alle übernommen wurden . Das zeigt:
Es gibt einen breiten Konsens darüber, dass der Zoll die
richtige Behörde ist, um hier durchgreifend zu arbeiten,
und dass alle Seiten bestrebt sind, den Zoll dabei zu un-
terstützen .

Man kann natürlich alles verbessern und noch mehr
verschärfte Kontrollen fordern . Wir haben länger darü-
ber diskutiert . Die Grünen sehen die Landwirtschaft als
problematischen Bereich .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!)


Alle anderen sehen das nicht so problematisch .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das finden wir wiederum problematisch!)


Jutta Krellmann

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620932


(A) (C)



(B) (D)


Wenn sich aber herausstellen sollte, dass im landwirt-
schaftlichen Bereich verstärkt Missbrauch betrieben
wird, werden wir bereit sein, entsprechende Änderungen
vorzunehmen . Im Moment ist das nicht notwendig . Ak-
tuell wird regelmäßig kontrolliert . Da die Kontrolleure
relativ ortsnah arbeiten, gibt es kaum Möglichkeiten, sich
der Kontrolle zu entziehen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Meldepflichten!)


Deswegen glauben wir, dass wir im Moment noch gut
aufgestellt sind . Wenn sich hier aber etwas verändern
sollte, können wir jederzeit darauf reagieren .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!)


Es ist wichtig, dass es ein generelles Entdeckungsri-
siko für alle Bereiche gibt, wo Missbrauch stattfinden
kann . Wir brauchen also einen gut aufgestellten Zoll .
Wir müssen natürlich noch alle Planstellen besetzen, für
die wir Mittel eingestellt haben . Das wird noch ein biss-
chen dauern . Aber die entsprechende Zeit müssen wir
aufbringen . Wir haben jedenfalls alle Weichen gestellt,
damit der Zoll vernünftig arbeiten kann . Deswegen bin
ich zuversichtlich – die Beratungen haben gezeigt, dass
so gut wie alle dieser Meinung sind –, dass wir auf dem
richtigen Weg sind . Ich freue mich über die Zustimmung
der Opposition und die weitere Zusammenarbeit . Wenn
uns eine Verbesserung einfällt, sind wir immer bereit, sie
umzusetzen . Im Moment sind wir auf einem guten Weg .
Der Gesetzentwurf ist in diesem Haus auf breiter Basis
zustimmungsfähig . Ich danke für die guten Beratungen,
auch mit der Opposition . Ich wünsche vor allem dem
Zoll viel Erfolg bei seiner Arbeit .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820920100

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Beate Müller-Gemmeke .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Schwarzarbeit und illegale Beschäf-
tigung sind weit verbreitet und verursachen immense
volkswirtschaftliche Schäden . So entgehen dem Staat
Steuereinnahmen und den Sozialversicherungen Bei-
träge . Es geht hier um viele Milliarden . Vor allem sind
die Beschäftigten davon betroffen . Sie arbeiten hart und
bekommen dennoch zu wenig Lohn . Die Schattenwirt-
schaft verzerrt zudem den Wettbewerb zulasten der an-
ständigen und verantwortungsvollen Betriebe . Das alles
geht gar nicht . Deshalb müssen Schwarzarbeit und ille-
gale Beschäftigung konsequent bekämpft werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Notwendig sind effektive Kontrollen . Ich selbst war
einmal einen Tag mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit
unterwegs . Ich war beeindruckt von der guten und sehr
engagierten Arbeit . Dennoch müssen die Rahmenbedin-
gungen verbessert werden . Deshalb begrüßen wir Grüne
den vorliegenden Gesetzentwurf . Wir hatten dazu eine
wirklich interessante Anhörung mit guten Sachverstän-
digen aus der Praxis . Auch sie unterstützen das Gesetz .
Aber es gab auch dringende Appelle, den Gesetzentwurf
an manchen Stellen nachzubessern . Die konkreten Vor-
schläge wurden aber ignoriert . Ich wünsche mir, dass die
Koalitionsfraktionen solche Anhörungen etwas ernster
nehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Die wurden nicht ignoriert! Die wurden ausgiebig diskutiert!)


Wir werden dem Gesetzentwurf zwar zustimmen .
Aber auch wir sehen an vielen Stellen noch Handlungs-
bedarf . Deswegen haben wir drei Änderungsanträge in
den Ausschüssen gestellt . Diese wurden leider abgelehnt .
Ich möchte sie kurz ansprechen:

Erstens . In der Landwirtschaft arbeiten viele Saisonar-
beitskräfte auch aus dem Ausland . Wir sehen die Situati-
on anders als Sie . In der Praxis sind die Mindestlohnkon-
trollen der FKS relativ schwierig . Deshalb wollen wir die
Landwirtschaft im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz
als sensible Branche mit aufnehmen . Das würde die Kon-
trollen erleichtern und die FKS tatsächlich stärken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Durch § 21 Schwarzarbeitsbekämpfungs-
gesetz können schwarze Schafe von der Ausschreibung
öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden . Hier wer-
den jetzt neben den Bauaufträgen auch die Liefer- und
Dienstleistungsaufträge aufgenommen . Das ist gut so .
Aber auch Konzessionen müssten hier benannt werden;
denn wir meinen: Alle Aufträge müssen gleich behandelt
werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens . Ganz paradox wird es, wenn es um die
Straftaten geht, die zu diesem Ausschluss bei öffentli-
chen Ausschreibungen führen . Im Gesetz steht hier nur
Sozialkassenbetrug . Bei illegaler Beschäftigung geht es
aber vor allem um Betrug und Urkundenfälschung, und
die ganz schlimmen Formen sind Menschenhandel und
Ausbeutung der Arbeitskraft . Diese Straftatbestände ste-
hen eben nicht im Gesetz . Deshalb haben wir beantragt,
dass diese Straftaten explizit in das Gesetz aufgenommen
werden; denn öffentliche Aufträge dürfen nur an verant-
wortungsvolle Betriebe gehen . Deshalb brauchen wir
unserer Meinung nach ganz eindeutige und rechtssichere
Formulierungen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In der Anhörung wurde ein weiterer Aspekt immer
wieder zu Recht kritisiert – das wurde jetzt schon ange-
sprochen –: Effektive Kontrollen brauchen natürlich gute
Rahmenbedingungen . Notwendig ist aber vor allem aus-
reichendes Personal . Die FKS hat aber insgesamt zu we-

Ingrid Arndt-Brauer

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20933


(A) (C)



(B) (D)


nig Personal . Zudem sind viele Planstellen nicht besetzt,
und die versprochenen 1 600 neuen Stellen für die Min-
destlohnkontrolle sind auch noch nicht angekommen .

Die Aufgaben der FKS nehmen immer mehr zu, und
sie sind vor allem extrem anspruchsvoll . Seit Jahren wird
hier der Personalmangel nur verwaltet . Das Personal
reicht gerade einmal für Schwerpunktprüfungen . Das ist
zu wenig . Die Kontrollen müssen auch präventiv wirken .
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit braucht mehr Perso-
nal . Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Anhörung hat auch gezeigt, dass sich Schwarz-
arbeit und illegale Beschäftigung immer wieder verän-
dern . Am Bau gibt es mittlerweile 200 000 Minijobs . Das
ist absurd . Das wurde schon angesprochen . Hier wird
ein legales Arbeitsverhältnis vorgetäuscht . Tatsächlich
wird aber in Vollzeit gearbeitet, und die Differenz wird
schwarz und bar ausgezahlt . Es gibt mittlerweile auch
sehr erfolgreiche Internetportale, bei denen vermeintlich
Selbstständige an Privathaushalte vermittelt werden . Die
Honorare sind häufig so niedrig, dass niemand davon le-
ben kann . Der Gesetzgeber muss auf diese Entwicklung
reagieren und neue Kontrollmöglichkeiten entwickeln .
Das Gesetz heute ist also nur ein erster Schritt, weitere
müssen unbedingt folgen . Machen Sie sich bitte auf den
Weg .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820920200

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt der Kollege Dr . h . c . Hans Michelbach .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1820920300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt und keine Baga-
telle, sondern Wirtschaftskriminalität . Schwarzarbeit und
Schattenwirtschaft gehören schon immer zu den größ-
ten wirtschaftlichen Problemen unserer Volkswirtschaft .
Steuer- und Sozialversicherungsbetrug schadet unserer
Gemeinschaft .


(Beifall des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Zudem führt Schwarzarbeit zu Wettbewerbsverzerrun-
gen auf Kosten der rechtschaffenden Betriebe und der
Arbeitsplätze .

Betriebe können gegen die illegal handelnde Konkur-
renz, die oft ein günstigeres Angebot abgibt, nicht beste-
hen, weil die Preise der rechtschaffenden Unternehmen
natürlich höher sind . Auf diese Weise werden legale

Arbeitsplätze vernichtet und wird mehr Arbeitslosigkeit
geschaffen .


(Beifall des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Insgesamt kostet die Schwarzarbeit den Wirtschafts-
standort Deutschland jedes Jahr einen hohen dreistelli-
gen Milliardenbetrag . Man hat 2014 einen Schaden von
etwa 800 Milliarden Euro festgestellt . Heute geht man
von einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 11 Pro-
zent im Bereich der Schattenwirtschaft aus . Man sieht,
welche Dimension hier zu bekämpfen ist . Der Gemein-
schaft entgehen einerseits wichtige Einnahmen wie Bei-
träge und Steuern; andererseits steigen die Ausgaben für
Unterstützungsleistungen, weil man nicht in die Sozial-
versicherung einbezahlt hat .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Entwicklung
ist kein hinnehmbarer Zustand . Das ist nicht gerecht . Das
ist unsozial, und das ist gegen das Gemeinwohl .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das werden wir mit der heutigen Verabschiedung dieses
Gesetzes verstärkt bekämpfen . Das ist eine Tatsache . Wir
bekämpfen die illegale Beschäftigung mit aller Entschie-
denheit .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das reicht nicht aus!)


Was erzählen Sie von den Linken denn da? Mehr als
die Verschärfung von Kontrollen kann man nicht tun,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Doch! Mehr Personal! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Noch mehr Zöllner?)


und das tun wir . Wir sind natürlich gegen Ihre pauschalen
Verdächtigungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern .
Aber wenn Sie Weihnachten und Ostern nicht auseinan-
derhalten können, dann wundert mich natürlich nichts
mehr .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das ist ziemlich unverschämt!)


Das vorliegende Gesetz leistet einen wesentlichen
Beitrag zur Bekämpfung von Schwarzarbeit . Was wir im
Koalitionsvertrag bereits angekündigt haben, setzen wir
nun lösungsorientiert, praxisnah und mit Ausgewogen-
heit und Augenmaß um; denn das gehört dazu . Wir wol-
len nicht die große Keule schwingen, sondern wir wollen
die Schwarzarbeit ganz gezielt bekämpfen .

Daher ist es richtig, dem Zoll und den Landesbehör-
den mehr Rechte zu geben . Konkret: Die IT-Verfahren
können mit einer einheitlichen Datenbank und einem
zentralen Informationssystem verbessert werden . Wir
können eine Finanzkontrolle beim Zoll mit einem au-
tomatisierten Zugriff auf das Zentrale Fahrzeugregister
des Kraftfahrt-Bundesamtes vorweisen . Das sind eine
enorme Vereinfachung und ein großer Fortschritt . Denn
bisher musste jede Anfrage manuell bearbeitet werden .
Das hat in der Praxis zu Zeitverzögerungen und Fehlern
geführt .

Beate Müller-Gemmeke

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620934


(A) (C)



(B) (D)


Wir haben mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit
künftig für die Ahndung von Meldeverstößen nach dem
Sozialgesetzbuch IV verstärkt die Möglichkeit, Ermitt-
lungsverfahren durchzuführen . Mit dem neuen Gesetz
kann die Zollverwaltung mehr Meldeverstöße ahnden,
und es kann darüber hinaus Vergehen verfolgen, die bis-
her von den Einzugsstellen der Sozialversicherungen be-
arbeitet wurden .

All dies ist natürlich in Verbindung mit den Prüfungs-
befugnissen, die wir den zuständigen Landesbehör-
den einräumen, ein großer Schritt zur Bekämpfung der
Schwarzarbeit . Die Mitarbeiter werden auch in Zukunft
das Recht haben, Grundstücke zu betreten und die dort
tätigen Personen zu ihrer Arbeit zu befragen . Gerade in-
dem wir den Landesbehörden mehr Rechte einräumen,
lässt sich die handwerkliche und gewerberechtliche
Schwarzarbeit besser bekämpfen, weil Handwerk und
Gewerbe vor Ort natürlich zusammengehören . Deswe-
gen ist es gut, wenn die Landesbehörden hier eine recht-
liche Stärkung erfahren .

Zukünftig können Firmen nicht mehr nur von der Ver-
gabe öffentlicher Bauaufträge ausgeschlossen werden,
sondern auch von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen .
Diese maßvolle Erweiterung ist notwendig; denn die Pra-
xis zeigt, dass Schwarzarbeit zwar häufig im Baugewer-
be stattfindet, dass inzwischen aber auch in der Dienst-
leistungsbranche illegale Beschäftigung immer häufiger
vorkommt .

Ich möchte zum Abschluss meiner Rede noch einen
anderen Aspekt zum Ausdruck bringen . Schwarzarbeit
ist vor allem auf Kostenunterschiede zwischen legaler
und illegaler Arbeit zurückzuführen . Auch das gehört zur
Wahrheit . Je höher die Arbeits- und vor allem Lohnzu-
satzkosten sind, desto mehr Anreiz besteht für Schwarz-
arbeit .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber das rechtfertigt das nicht!)


Auch das gehört zur Wahrheit, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es macht natürlich keinen Sinn, wie das hier vorge-
tragen wurde, die Belastungen immer öfter und schneller
zu erhöhen . Vielmehr muss hier gemessen an den Lohn-
stückkosten eine Effizienz entstehen, eine Wettbewerbs-
fähigkeit auch im internationalen Rahmen . Insofern
gehört es dazu, dass wir insbesondere die Lohnzusatz-
kosten stabil halten, um keinen Anreiz für Schwarzarbeit
zu erzeugen . Das muss man bei diesem Thema natürlich
unbedingt dazusagen und darf es nicht außen vor lassen .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das hört sich nach einer Rechtfertigung an!)


Lassen Sie mich abschließend festhalten: Wir be-
schließen heute ein ausgewogenes und effizienzstei-
gerndes Gesetz, das die Schwarzarbeit zwar nicht völlig
verhindern, zumindest aber weiter einschränken wird .
Zudem bin ich außerordentlich froh, dass wir im gro-
ßen Einvernehmen im Finanzausschuss mit unserem
Koalitionspartner und den Ländern dieses Gesetz auf
den Weg gebracht haben . Ich hoffe, dass wir in diesem

Sinne auch im Jahr 2017 noch das eine oder andere Ge-
setz voranbringen können . Ich denke an das sogenannte
Panama-Gesetz, das die Steuervermeidung internationa-
ler Konzerne verhindern soll oder an das Gesetz gegen
Kassenmanipulationen . Auch das ist ein Bereich, wo wir
Flagge zeigen, dass wir einen starken Rechtsstaat wollen,
der letzten Endes Illegalität und Missbrauch bekämpft .
Das ist das Ziel, das wir haben und das von der Bevölke-
rung auch akzeptiert wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Zusammenhang mit diesem Gesetz möchte ich
insbesondere unserem Berichterstatter Uwe Feiler ganz
herzlich danksagen, der hervorragende Verhandlungen
mit den Berichterstattern aller Fraktionen geführt hat .

In diesem Sinne: Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820920400

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Dr . Jens

Zimmermann, SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Jens Zimmermann (SPD):
Rede ID: ID1820920500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um die

Debatte noch einmal zusammenzufassen: Mit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf wollen wir den zuständigen Be-
hörden beim Zoll und den zuständigen Landesbehörden
bessere Mittel an die Hand geben, um Schwarzarbeit und
illegale Beschäftigung zu bekämpfen . Wir alle wissen:
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung stellen ein
Problem dar – und kein kleines . Wenn wir uns einmal
Schätzungen anschauen, um welchen Betrag es sich al-
lein in diesem Jahr handelt, dann reden wir über 300 Mil-
liarden Euro . Das sind keine der berühmten Peanuts, von
denen früher immer mal wieder gesprochen wurde .


(Beifall bei der SPD)


Ich will auch ganz klar sagen: Uns geht es dabei vor
allem um die großen Fische . Es geht nicht um die kleine
nachbarschaftliche Hilfe . Wir müssen vor allem an den
Bereich heran, wo wir mit Fug und Recht von organisier-
ter Kriminalität reden können . Wir kämpfen deswegen
aber auch insgesamt auf dem Arbeitsmarkt für faire Re-
geln und für faire Löhne . Dazu haben wir in dieser Legis-
laturperiode in der Koalition ja schon einiges gemacht;
da kann ich dem Kollegen Michelbach nur recht geben .

Schwarzarbeit ist unsozial und unfair; denn sie richtet
in mehrfacher Hinsicht Schaden an . Sie ist unsozial und
unfair, weil durch die Steuerhinterziehung unsere Soli-
dargemeinschaft geschädigt wird und damit alle Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahler sowie Beitragszahlerinnen
und Beitragszahler verhöhnt werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es darf einfach nicht sein, dass am Ende des Tages der
Ehrliche der Dumme ist . Dagegen müssen wir etwas tun,

Dr. h. c. Hans Michelbach

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20935


(A) (C)



(B) (D)


und das tun wir mit diesem Gesetz . Aber Schwarzarbeit
ist auch aus einem anderen Grund unsozial und unfair;
denn sie führt natürlich auch zu Druck auf die ehrlichen
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die diese Abgaben
zahlen und die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter or-
dentlich anmelden . Diese werden von denen unter Wett-
bewerbsdruck gesetzt, die sich daran nicht halten . Auch
das kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf


(Unruhe – Glocke der Präsidentin)


leisten wir in diese Richtung einen ganz entscheidenden
Beitrag; denn die zuständigen Behörden bekommen da-
mit die notwendigen Instrumente an die Hand . Thema
„IT-Ausstattung – E-Government“ ist eine ganz lange
Geschichte . Wir haben in vielen Behörden, in vielen Tei-
len unseres Staates die große Herausforderung, mit der
digitalen Entwicklung Schritt zu halten . Das machen wir
mit diesem Gesetzentwurf auf der einen Seite . Auf der
anderen Seite sorgen wir dafür, dass der Zoll im Bereich
der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zukünftig den Zugriff
auf das zentrale Fahrzeugregister bekommt . Das mag im
ersten Augenblick keine riesige Veränderung sein, aber
es ist ein wichtiges Instrument für die Kollegen und
Kolleginnen beim Zoll, sonst ist die Arbeit frustrierend,
wenn man Ermittlungsansätze hat, sie aber wegen man-
gelnder Fähigkeiten nicht zu Ende führen kann .


(Beifall bei der SPD)


Ich glaube, es ist in der Debatte klar geworden: Wir
haben hier einen guten Gesetzentwurf vorliegen . Die
Länder haben darauf positiv reagiert . Von den Sachver-
ständigen gab es sehr positive Rückmeldungen . Deswe-
gen werden wir als SPD-Fraktion dem Gesetzentwurf
natürlich auch zustimmen .

Lassen Sie mich abschließend all den Kolleginnen
und Kollegen beim Zoll und den Finanzbehörden für ihre
Arbeit danken . Sie sind diejenigen, die Tag für Tag unter-
wegs sind, um dafür zu sorgen, dass die Ehrlichen nicht
die Dummen sind, meine Damen und Herren .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820920600

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir

sind damit am Ende der Aussprache angekommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stär-
kung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen
Beschäftigung. Der Finanzausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10655,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/9958 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der

Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Nach Artikel 87 Absatz 3 des
Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die
absolute Mehrheit – das sind 316 Stimmen – erforder-
lich . Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf nament-
lich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind die Plätze
an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Dann eröffne ich
die Abstimmung .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820920700

Gibt es noch jemanden, der im Saal anwesend und

abstimmungsberechtigt ist, aber – warum auch immer –
seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Wenn ja, ist
ihm nicht zu helfen . Wir schließen jetzt die Abstimmung .
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen .1)

Ich rufe dann unseren Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Lisa Paus,
Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Zu möglichen Gefährdungen des gleichbe-
rechtigten Einflusses aller Staatsbürgerinnen
und Staatsbürger auf die politische Willens-
bildung und zu weiteren Punkten des Gemein-
nützigkeits- und Vereinsrechts

Drucksachen 18/8331, 18/9573

Dazu wollen wir nach einer Vereinbarung 25 Minuten
debattieren. – Das findet offenkundig allgemeine Zustim-
mung . Dann verfahren wir so .

Ich gebe zu überlegen – ich habe das aber schon ein-
mal vergeblich versucht –, ob man das bei den durchweg
vier- und fünfminütigen Beiträgen nicht auch genauso
gut vom Platz wie vom Rednerpult aus machen könnte .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das könnten wir mal machen! Das wäre doch interessant! – Frank Junge [SPD]: Heute nicht!)


Aber auf gut Deutsch: It’s up to you .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst der Kollegin Lisa Paus für die Fraktion der Grü-
nen .


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820920800

Der Weg war jetzt auch nicht so weit . – Herr Präsi-

dent! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und
Bürger! Die Grünen hätten heute gern über die Antwor-
ten der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur
möglichen Gefährdung des gleichberechtigten Einflusses
aller Bürgerinnen und Bürger auf die politische Willens-

1) Ergebnis Seite 20937 C

Dr. Jens Zimmermann

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620936


(A) (C)



(B) (D)


bildung gesprochen; aber leider hat die Bundesregierung
unsere Fragen gar nicht oder nichtssagend beantwortet .
Von daher gibt es eigentlich gar nicht viel zu bereden .

Das passt allerdings vollkommen zur heutigen Mit-
teilung der Süddeutschen Zeitung, dass die Bundesregie-
rung im kommenden Armuts- und Reichtumsbericht kla-
re Aussagen darüber, ob Menschen mit mehr Geld einen
stärkeren Einfluss auf politische Entscheidungen haben
als Einkommensschwache, schlichtweg gestrichen hat,
obwohl genau dies das Ergebnis der von der Bundesre-
gierung selbst in Auftrag gegebenen Studie gewesen ist .

In der Antwort auf unsere Große Anfrage erklärte die
Bundesregierung entsprechend lapidar zu einer ganzen
Reihe von Fragen, wie zum Beispiel zum steuerlich ge-
förderten Einfluss von Berufs- und Unternehmensver-
bänden, dass ihr dazu leider keine Erkenntnisse vorlie-
gen . Diese Verweigerung der Diskussion über zentrale
Problemlagen unserer pluralistischen Demokratie ist ein-
fach – um nichts Schlimmeres zu sagen – eine Frechheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der konkrete Anlass unserer umfassenden Großen
Anfrage war allerdings ein anderer, aber nicht weniger
brisant, nämlich die Frage, ob sich der Gemeinnützig-
keitsstatus einer Organisation mit politischen Aktivitäten
verträgt oder nicht .

Meine Damen und Herren, liebe Bürgerinnen und
Bürger, als die globalisierungskritische Organisation
Attac in diesem Sommer wieder einmal ihre Sommer-
akademie ausrichten wollte, da hatte sie ein Problem . Es
gab viele Stiftungen, die Attac unterstützen wollten, aber
sie durften es nicht; denn die Satzungen der Stiftungen
und die Gesetzeslage besagen, dass sie nur gemeinnüt-
zige Organisationen unterstützen dürfen . Attac war aber
2014 die steuerliche Gemeinnützigkeit vom Finanzamt
Frankfurt abgesprochen worden,


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr sinnvoll!)


weil – so argumentierte das Finanzamt – Attac zu stark
politisch tätig sei


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


und damit nicht gemeinnützig sein könne . Diese Ent-
scheidung ist nun zweieinhalb Jahre später vom Finanz-
gericht Kassel zurückgenommen worden,


(Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!)


und zwar mit Pauken und Trompeten . Das Gericht hat
Attac in allen Punkten bestätigt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Die Richter betonten, dass politische Aktivitäten gemein-
nützigen Zwecken nicht entgegenstehen . Im Gegenteil:
Gemeinnützige Zwecke wie Bildung oder Förderung
des demokratischen Gemeinwesens seien ohne Einfluss
auf politische Willensbildung kaum zu verfolgen, so die

Richter; eine wichtige Klarstellung, die wir ausdrücklich
begrüßen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ist also nun wieder alles okay? Ist Attac ein Einzelfall,
wie die Bundesregierung meint, der politisch aufgebau-
scht wurde? Sind die Regeln okay? Sollten wir schlicht-
weg auf den Rechtstaat vertrauen? Mitnichten, liebe Bür-
gerinnen und Bürger . Es gibt aus unserer Sicht deutlichen
Änderungsbedarf .

Bei der Vorbereitung unserer Großen Anfrage hatten
wir Grünen zu einem Fachgespräch eingeladen . Der Ein-
ladung sind allein 60 Vertreterinnen und Vertreter von
gemeinnützigen Körperschaften gefolgt . Sie bestätigten
ihre ständige Furcht, dass man ihnen die Gemeinnützig-
keit entziehen könnte, wenn sie zum Beispiel eine De-
monstration oder eine Kampagne zu viel wagen oder
weil sich ihr konkreter Zweck nicht in dem langen, aber
veralteten Zweckkatalog der Abgabenordnung wieder-
findet – darunter waren so bekannte Organisationen wie
Amnesty International, Brot für die Welt, Greenpeace
oder die Deutsche Liga für Menschenrechte –; denn ein
universeller Zweck wie der Einsatz für Menschenrechte
ist eben gerade nicht in der Abgabenordnung aufgeführt .
Auch der BUND in Hamburg hat inzwischen seine Ge-
meinnützigkeit entzogen bekommen, genauso wie die
Frauenorganisation Dona Carmen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandal!)


Viele andere Fälle werden gar nicht erst publik . Wenn
sich zum Beispiel ein niedersächsischer Verein, der einen
örtlichen Christopher Street Day veranstalten möchte,
sieben Jahre lang beim Finanzamt um die Anerkennung
der Gemeinnützigkeit bemüht, dann ist das öffentlich
kein großes Thema, aber trotzdem nicht in Ordnung,
meine Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Einen Prozess über zweieinhalb Jahre, wie Attac ihn
durchlaufen musste, überleben schlichtweg die wenigs-
ten Organisationen; denn eine solche Aberkennung hat
drastische Konsequenzen . Steuernachzahlungen werden
fällig, Spendenbescheinigungen müssen widerrufen wer-
den, und nicht nur die Kooperation mit bisherigen ge-
meinnützigen Partnerorganisationen fällt weg, sondern
auch die Antragsberechtigung für öffentliche Gelder
hängt am Gemeinnützigkeitsstatus .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820920900

Frau Kollegin .


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820921000

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident .

Es gibt gute Gründe für die Sonderregelungen im Ge-
meinnützigkeitsrecht, aber es gibt keinen guten Grund,
der wachsenden Rechtsunsicherheit und der stark unter-
schiedlichen Beurteilungspraxis der Finanzämter einfach

Lisa Paus

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20937


(A) (C)



(B) (D)


weiter zuzusehen . Die Gemeinnützigkeit muss moder-
nisiert und konkretisiert werden . Es hätte der Bundes-
regierung mehr als gut angestanden, zumindest durch
Lieferungen von offiziellen Daten eine breite lösungsori-
entierte Debatte zu ermöglichen . Wir fordern dies wei-
ter ein . Wir werden Sie weiter antreiben . Wir lassen die
Organisationen nicht im Stich . Darauf können sie sich
verlassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820921100

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, gebe ich das

von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Ge-
setzentwurf zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarz-
arbeit und der illegalen Beschäftigung bekannt: abgege-
bene Stimmen 563 . Mit Ja haben gestimmt 509, mit Nein
hat niemand gestimmt, enthalten haben sich 54 Kolle-
ginnen und Kollegen . Damit hat der Gesetzentwurf die
erforderliche Mehrheit erreicht .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 563;
davon

ja: 509
nein: 0
enthalten: 54

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz

Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider

Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen

Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach

Lisa Paus

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620938


(A) (C)



(B) (D)


Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer


(Weil am Rhein)


Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Michael Gerdes

Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20939


(A) (C)



(B) (D)


Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)


Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt

Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Dr . Julia Verlinden
Dr . Valerie Wilms

Enthalten

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm

Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620940


(A) (C)



(B) (D)


Nächster Redner ist der Kollege Christian von Stetten
für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Frhr. Christian von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1820921200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Als ich der Tagesordnung des
Deutschen Bundestages entnommen habe, dass wir uns
heute kurz vor Weihnachten in einer Plenardebatte mit
dem Gemeinnützigkeitsrecht und mit dem Vereinsrecht
beschäftigen, habe ich mich sehr gefreut . Denn gerade in
der Weihnachtszeit und kurz vor Jahresende sehen wir,
zu welchen Leistungen unsere ehrenamtlich engagierten
Bürgerinnen und Bürger, die Vereine und die gemeinnüt-
zigen Organisationen imstande sind und wie sie unser
Leben dadurch bereichern . Ob im Sportverein, im Mu-
sikverein, in der Nachbarschaftshilfe, im Naturschutz, in
kirchlichen Organisationen oder jetzt gerade auch in der
Flüchtlingshilfe, ohne die Bürgerinnen und Bürger, wel-
che sich unentgeltlich und ehrenamtlich diesen Aufgaben
widmen, könnte der Staat nicht existieren . Deswegen
können wir gar nicht oft genug Parlamentsdebatten zu
diesem Thema abhalten und besonders diesem Personen-
kreis Anerkennung zollen .

Als ich dann allerdings, Frau Paus, Ihre Große An-
frage gelesen habe, war schnell klar – das konnte jeder
feststellen –, welche Zielrichtung sie hat, also was Sie ei-
gentlich durch das öffentliche Stellen von Fragen an die
Bundesregierung erreichen wollten . Ihnen ging es nicht
um die Aufwertung dieser ehrenamtlich engagierten Bür-
gerinnen und Bürger,


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich!)


Ihnen ging es weniger um das Gemeinwohl in diesem
Bereich, sondern es ging Ihnen – Sie haben das gerade
noch einmal ausgeführt – um den Gemeinnützigkeitsan-
spruch der Organisation Attac .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Das Finanzamt Frankfurt am Main hatte im Jahr 2014
Attac den Gemeinnützigkeitsstatus entzogen . Darauf hat
der Deutsche Bundestag keinen Einfluss. Das macht das
zuständige Finanzamt . Die Behörden entscheiden und
setzen die Beschlüsse um . Sie haben es gesagt: Wie in
jedem Rechtsstaat hat auch eine Organisation – in diesem
Fall Attac – die Möglichkeit, dies gerichtlich überprüfen
zu lassen . Attac hat dies getan . Das Finanzgericht Kassel
hat in seinem Urteil vom 10 . November 2016 die Aber-
kennungsbescheide des Finanzamtes aufgehoben . Damit
könnte man sagen: Dem Ansinnen von Bündnis 90/Die
Grünen wurde zumindest in dieser juristischen Instanz
entsprochen, und wir hätten uns die heutige Debatte ei-
gentlich sparen können .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich glaube, bei Ihrem Vortrag ist auch deutlich gewor-
den, dass wir in den nächsten Monaten darüber diskutie-
ren sollten – darüber würde ich sehr viel lieber mit Ihnen

reden –, wie wir die Vereine und die ehrenamtlich enga-
gierten Bürger in unseren Wahlkreisen in Zukunft noch
stärker unterstützen können . Sie wissen, wir haben in der
letzten Wahlperiode im Jahr 2013 die Unterstützung der
ehrenamtlich Tätigen und der Vereine massiv ausgebaut .
Herr Staatssekretär Dr . Meister, wir konnten die Übungs-
leiterpauschale von 2 100 auf 2 400 Euro erhöhen . Au-
ßerdem wurde der Ehrenamtsfreibetrag für Vorstands-
mitglieder, Schiedsrichter, Platzwarte und besonders
engagierte Ehrenamtliche im Verein von 500 Euro auf
jährlich 720 Euro angepasst .

Wir haben den Vereinen mehr Rechtssicherheit ge-
geben, indem wir das, was früher durch Ministererlasse
geregelt worden ist, ins Gesetzblatt aufgenommen haben .
Wir haben die Abgabenordnung geändert . Vor allem ha-
ben wir für die Sportvereine die Umsatzsteuergrenze von
35 000 auf 45 000 Euro erhöht . Das alles sind Punkte, die
unsere Vereine voranbringen .

Wenn Sie von Bündnis 90/Die Grünen in der nächs-
ten Legislaturperiode Ihre Ideologie beiseitelassen, dann
könnte ich mir gut vorstellen, dass wir in der nächsten
Legislaturperiode im Jahr 2018 gemeinsam die steuer-
lichen Rahmenbedingungen für Millionen ehrenamtlich
engagierte Bürgerinnen und Bürger in unserem Land er-
neut verbessern . Das wäre wichtig und eine zusätzliche
Investition in unsere Gesellschaft .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820921300


Die Kollegin Paus möchte eine Zwischenfrage stellen,
auf die der Redner offenkundig schon die ganze Zeit war-
tet . Bitte schön .


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820921400


Herr von Stetten, wie Sie meiner Rede und auch der
Großen Anfrage entnehmen konnten, ging es uns nicht
allein um eine Organisation, sondern es ging uns tatsäch-
lich um das ganze breite Feld der Organisationen . Uns
geht es darum, dass es oftmals schwierig ist, zwischen
gesellschaftlichem Engagement und politischem En-
gagement zu unterscheiden .

Deswegen wollte ich Sie, wenn Sie da gar keinen
Handlungsbedarf sehen, fragen: Wie schätzen Sie das
ein, was sich im letzten Jahr zugetragen hat? Sehr, sehr
viele Organisationen, Sportvereine und NGOs hatten
sich bei der Unterstützung von Flüchtlingen engagiert
und standen plötzlich vor dem Problem, dass sie von den
Finanzämtern die Meldung bekamen, dass sie, wenn sie
sich so um Flüchtlinge kümmern, ihren Gemeinnützig-
keitsstatus verlieren könnten . Fanden Sie es falsch, dass
damals von den Länderministern kurzfristig in einer Aus-
nahmeregelung reagiert worden ist, oder fanden Sie das
richtig? Inwieweit sehen Sie da nicht doch Handlungs-
bedarf bezogen auf den allgemeinen Katalog, um solche
Aktivitäten zu ermöglichen und nicht durch Rechtsunsi-
cherheit zu erschweren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Präsident Dr. Norbert Lammert

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20941


(A) (C)



(B) (D)



Frhr. Christian von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1820921500

Wenn Sie da Handlungsbedarf erkannt haben, dann ist

es wohl die Aufgabe Ihrer Fraktion, einen Gesetzentwurf
zu formulieren – nicht nur eine Anfrage zu stellen –, der
im Bundestag im Finanzausschuss diskutiert wird . Da
werden wir über die Punkte, die Sie vorschlagen, disku-
tieren und hier darüber abstimmen . Wenn Sie da Nach-
holbedarf sehen, dann kann ich Sie nur auffordern: For-
mulieren Sie die Gesetzentwürfe und stellen Sie nicht nur
Anfragen an die Bundesregierung .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollten ja einmal etwas Mehrheitsfähiges hinkriegen!)


Auf jeden Fall ist Weihnachten . Ich glaube, wenn wir
uns darauf konzentrieren, dass wir uns um die Vereine
und um die ehrenamtlich Engagierten kümmern, dann
merken Sie auch, wer sich in funktionierenden Vereinen
aufhält . Ich glaube, das liegt auch Ihnen am Herzen .

Wenn Sie in den funktionierenden Vereinen unterwegs
sind, dann spüren Sie die Wärme und sehen, dass diese
Vereine mittlerweile nicht nur Turnorganisationen oder
Sangesorganisationen sind . Vor allem für viele Kinder
bietet die familiäre Atmosphäre schon fast eine Art Hei-
matersatz; für sie sind die Vereine eine Art Familiener-
satz geworden .

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt und ho-
noriert vor allem die Integrationsleistungen, die in diesen
Vereinen erbracht werden, gerade auch im Hinblick auf
ausländische Jugendliche . Was hier als wesentlicher Bei-
trag der Vereine von Ihnen gerade noch einmal dargetan
worden ist, kann von staatlicher Seite überhaupt nicht
erbracht werden .

Von daher wünsche ich, da meine Redezeit schon
vorbei ist, Herr Präsident, uns allen eine schöne Weih-
nachtszeit . Ich wünsche aus konkretem Anlass besonders
all denjenigen, die sich ehrenamtlich in unserem Land
engagieren, eine besinnliche Weihnachtszeit .

Ich meine das Folgende wirklich ernst: Wir sollten
gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode noch
einmal die Änderungswünsche auflisten, die bei uns für
die nächsten Jahre hinsichtlich der Vereine bestehen . Da-
mit können wir viel für die Vereine und für die Stiftungen
tun . Wenn die Grünen ihren Beitrag dazu leisten, dann
ist es immerhin mehr als beim letzten Ehrenamtsgesetz .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820921600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820921700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat,

das Thema „Abgabenordnung und Gemeinnützigkeit“
klingt erst einmal ziemlich sperrig . Aber dahinter verber-
gen sich in der Tat wichtige Fragen: Welche Tätigkeiten

schätzen wir als gemeinnützig ein? Welchen Stellenwert
misst unsere Gesellschaft politischem Engagement bei?

Die Abgabenordnung regelt, welche Zwecke steuer-
lich begünstigt werden . Dazu zählen viele verdienstvolle
Tätigkeiten wie Tierschutz, Altenhilfe, Rettung aus Le-
bensgefahr und vieles andere mehr . Aber Tätigkeiten, die
nicht so sehr kreativ und dafür mehr politisch sind, gelten
als nicht gemeinnützig . Die Förderung des Friedens, der
Schutz der Menschenrechte, die Förderung des informa-
tionellen Selbstbestimmungsrechts sind heute zweifellos
von extrem hoher Bedeutung . Aber die Abgabenordnung
erkennt sie nicht als steuerbegünstigt an .

Die Bundesregierung empfiehlt in ihrer Antwort auf
die Große Anfrage, solche Aktivitäten – ich zitiere – un-
ter anderen Zwecken zu subsumieren, mit anderen Wor-
ten, einfach ein bisschen zu tricksen . Aber das ist ein ris-
kantes Spiel, wie Kollegin Paus hier schon gesagt hat,
weil die Finanzämter die Gemeinnützigkeit bis zu zehn
Jahre rückwirkend aberkennen können .

So ging es etwa der Informationsstelle Militarisierung
in Tübingen . Sie veröffentlicht kritische Analysen zu den
Einsätzen der Bundeswehr und anderes . Auch der Mün-
chener Dokumentationsstelle a .i .d .a ., die unbequeme In-
formationen zum Rechtsextremismus verbreitet, wurde
die Gemeinnützigkeit aberkannt . Beide konnten sich vor
Gericht erfolgreich wehren . Auch hier wurde deutlich,
wie das Steuerrecht zum Mittel der politischen Diszipli-
nierung werden kann .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch da sage ich ganz klar, sagt die Linke ganz klar:
Nicht mit uns! Engagement gegen den Krieg und gegen
Faschismus ist gemeinnützig und muss es auch bleiben .


(Beifall bei der LINKEN)


Noch ein Beispiel: Die Abgabenordnung begünstigt
die Soldaten- und die Reservistenbetreuung . Wir sagen:
Es ist auch gemeinnützig, wenn man die Arbeit dieser
Soldaten, sprich: das Kriegsführen, infrage stellt und sich
für den Frieden einsetzt .


(Beifall bei der LINKEN)


Steuerlich begünstigt ist die Hilfe für Flüchtlinge –
völlig zu Recht . Falsch und ungerecht ist es aber, das
politische Engagement gegen Abschottung und gegen
die Festung Europa nicht ebenso als gemeinnützig anzu-
erkennen . Die Bundesregierung betont in ihrer Antwort
ausdrücklich, dass Gemeinnützigkeit für Aktivitäten gilt,
bei denen die Einwirkung auf die staatliche Willensbil-
dung weit in den Hintergrund tritt . Das zeugt von einem
vordemokratischen Verständnis von Politik bzw . politi-
scher Willensbildung . Wenn die Bundesregierung den
Schutz von Ehe und Familie begünstigt, nicht aber die
Förderung des Schutzes gleichgeschlechtlicher Partner-
schaften, dann agiert sie selbst ausgesprochen politisch,
um ein konservatives Familienbild zu bewahren . Das
geht gar nicht, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Demokratie lebt von zivilgesellschaftlichen Or-
ganisationen, die dafür sorgen, dass Politik nicht nur in

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620942


(A) (C)



(B) (D)


Parteien und Parlamenten stattfindet, sondern dass auch
die Bürgerinnen und Bürger aktiv eingebunden werden .
Der politische Einsatz für demokratische Ziele trägt im
besten Sinne des Wortes zur Schaffung mündiger Bürge-
rinnen und Bürger bei . Deshalb fordern wir die Bundes-
regierung dringend auf, die Regeln für die Anerkennung
von Gemeinnützigkeit zu überarbeiten und hier entspre-
chend zu handeln .

Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen allen ein schönes
Weihnachtsfest .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820921800

Frank Junge ist der nächste Redner für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD)



Frank Junge (SPD):
Rede ID: ID1820921900

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vo-

rausschicken, dass wohl nichts die Werte unserer Gesell-
schaft besser verkörpert als das gemeinnützige und eh-
renamtliche bürgerschaftliche Engagement der Millionen
Menschen in unserem Land . Dafür muss man an dieser
Stelle zunächst einmal Danke sagen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Engagement stellt die Partizipation der Bür-
gerinnen und Bürger in allen Bereichen der Gesellschaft
sicher . Das stärkt die Demokratie . Das erwirtschaftet
einen messbaren, milliardenschweren Nutzen für die
Allgemeinheit . Ich halte es deshalb für richtig, gut und
wichtig, dass wir heute über das übergeordnete Thema
Gemeinnützigkeitsrecht sprechen . Ich will es in zwei
Punkten etwas näher beleuchten .

Erstens . Bei dem jüngsten Fall Attac, der sich auch
in einem Gerichtsurteil niedergeschlagen hat, geht es da-
rum, dass es bei der Aberkennung der Gemeinnützigkeit
einen Interpretationsspielraum des Finanzamtes Frank-
furt gab, der im folgenden Verfahren vom Finanzgericht
in Kassel einkassiert wurde . Insofern wurde dort Recht
gesprochen, und zwar zugunsten von Attac . Das ist so in
Ordnung . Mit dem Urteil bin ich sehr zufrieden, weil es
nach meinem Dafürhalten zeigt, dass sich Attac korrekt
verhalten hat .

Wir wollen, dass sich gemeinnützige Organisationen
politisch engagieren . Anders könnten sie ihre Satzungs-
zwecke nicht wirksam verfolgen . Klar ist aber auch, dass
das politische Handeln gemeinnütziger Organisationen
kein Selbstzweck sein kann . Es muss als Mittel zum Er-
reichen eines anerkannten gemeinnützigen Zwecks erfol-
gen . Allgemeines politisches Handeln ist hingegen kein
anerkannter gemeinnütziger Zweck .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Dr . Frank Steffel [CDU/CSU])


Es ist Aufgabe der Parteien, die dem Parteiengesetz un-
terliegen . Eine klare Abgrenzung zwischen der zweck-

bestimmten politischen Partizipation, die gemeinnützig
sein kann, und dem legitimierten Wirkungskreis von Par-
teien halte ich daher für zwingend notwendig und richtig .


(Beifall bei der SPD)


Darum ist das Urteil zu Attac in meinen Augen auch eine
Bestätigung, dass unsere Regelungen im Gemeinnützig-
keitsrecht gut und geeignet sind, die politische Partizipa-
tion der Bürgerinnen und Bürger prinzipiell zu fördern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sich
Menschen schon freiwillig und selbstlos in gemeinnützig
tätige Organisationen einbringen und unserer Demokra-
tie und der Gesellschaft so einen unschätzbaren Nutzen
erweisen, dann muss es unsere Aufgabe als Parlamentari-
er sein, die Rahmenbedingungen dafür so unkompliziert
wie nur eben möglich zu gestalten . Unter diesem Ge-
sichtspunkt halte ich den vorhandenen Zweckkatalog der
Abgabenordnung in der Tat für schon lange nicht mehr
zeitgemäß . Ihn müssen wir uns vornehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum einen müssen wir weitere und klug abgewoge-
ne Zweckbestimmungen aufnehmen . Denn es kann zum
Beispiel nicht sein – da komme ich auf Ihr Beispiel zu-
rück, Frau Jelpke –, dass sich Einrichtungen, die sich für
die Rechte von Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuellen
einsetzen, andere in der Abgabenordnung gelistete Zwe-
cke zu eigen machen müssen, weil sie für sich selbst
nichts finden. Zum anderen müssen wir vorhandene
Zweckbestimmungen einfach klarer und präziser formu-
lieren, damit der Interpretationsspielraum für Finanzäm-
ter eingeschränkt wird und es über diesen Weg zu mehr
Rechtssicherheit kommt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll-
ten wir uns fraktionsübergreifend in Kürze annehmen;
denn ich bin der festen Überzeugung, dass eine unter die-
sen Gesichtspunkten angepasste Abgabenordnung noch
viel mehr Bürgerinnen und Bürger motiviert, sich für das
Allgemeinwohl zu engagieren .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820922000

Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der

Kollege Frank Steffel .


Frank Steffel (CDU):
Rede ID: ID1820922100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die
34 Fragen von Bündnis 90/Die Grünen gelesen und am

Ulla Jelpke

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20943


(A) (C)



(B) (D)


Anfang gar nicht verstanden, worum es Ihnen eigentlich
geht . Der wesentliche Teil der Fragen beschäftigt sich
mit ziemlich pauschalen Verdächtigungen dahin gehend,
dass es irgendeine Einflussnahme von Unternehmen oder
von Bürgerinnen und Bürgern gibt, indem sie vermeint-
lich gemeinnützigen Organisationen Geld zur Verfügung
stellen und damit offenkundig parteipolitisch miss-
bräuchlich Ziele verfolgen .

Das haben Sie hier jetzt nicht zum Mittelpunkt ge-
macht, aber zumindest erschließt sich nun für mich, wo-
rum es Ihnen im Wesentlichen geht . Sie wollen, dass alle
politischen Vorfeldorganisationen, egal welches Ziel sie
verfolgen, in Deutschland relativ pauschal die Gemein-
nützigkeit zugesprochen bekommen .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: So ein Quatsch!)


Ich glaube, das kann nicht unser gemeinsames Ziel
sein . Es ist so, dass sehr viele NGOs und sehr viele Or-
ganisationen im vorpolitischen und im gesellschaftlichen
Raum in der Tat gemeinnütziges Engagement zeigen und
sich auch für das Wohl des Gemeinwesens einsetzen,
aber das kann nicht pauschal für jede Organisation gel-
ten . Insofern bin ich dem Kollegen von den Sozialdemo-
kraten sehr dankbar . Auch wir sind der Auffassung, dass
wir uns die Abgabenordnung anschauen müssen, dass
wir schauen müssen, ob da alles noch zeitgemäß ist . Das
ist übrigens ein permanenter Prozess, da die Gesellschaft
sich ja auch sehr dynamisch entwickelt .

Aber ich will genauso klar sagen, liebe Frau Paus:
Es ist nicht jede NGO, die sich politisch engagiert, nur
weil sie eine Vorfeldorganisation der Grünen ist, gleich
gemeinnützig . Hier muss von den Finanzämtern sehr
genau hingeguckt werden . Wenn die Finanzämter eine
Entscheidung treffen – und ich freue mich darüber, dass
das in Deutschland offenkundig funktioniert –, dann ist
es in einem Rechtsstaat normal, dass ein Gericht diese
Entscheidung überprüft und in vielen, vielen Fällen dem
Finanzamt sagt: Nein, ihr seid über das Ziel hinausge-
schossen . – Das ist im Fall Attac und in vielen anderen
Fällen so geschehen . Insofern können wir positiv fest-
stellen: Unser Rechtsstaat funktioniert .


(Zuruf der Abg . Lisa Paus [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wir haben viele Themen, um die wir uns kümmern
müssen . Ich glaube, dass gerade in der Weihnachtszeit –
mein Kollege von Stetten hat darauf hingewiesen – bür-
gerschaftliches Engagement und gemeinnütziges En-
gagement von Bürgerinnen und Bürgern, aber natürlich
auch von Organisationen und Unternehmen erwünscht
sind . Ich sehe hier überhaupt keinen gesellschaftlichen
Dissens darüber, dass auch Unternehmen sich bekennen
und dass auch Unternehmen sich engagieren .

Sie haben in einem Großteil Ihrer Fragen ja eine sehr
kritische Position eingenommen . Ich bin der Bundesre-
gierung dankbar, dass sie deutlich gemacht hat, dass Ge-
sicht-Zeigen und Sich-Bekennen in einem Gemeinwesen
dazu gehören und dass es für die Parteien gut ist, wenn
wir wissen, dass Bürgerinnen und Bürger, aber auch Un-
ternehmen sich in der Öffentlichkeit mit ihrer Meinung
klar und vernehmbar artikulieren .

Ich glaube, es ist zu dem Thema im Plenarsaal heute
alles gesagt . Ich bin in der Tat der Auffassung, wir soll-
ten uns im Finanzausschuss mit dem Thema noch ein-
mal beschäftigen . Wir sollten noch einmal schauen, wo
hier nachzujustieren ist, aber ich mache einen Vorschlag:
Sie ersparen uns in Zukunft Anfragen mit 34 Fragen und
diversen Unterpunkten, ich erspare Ihnen meine letzten
zwei Minuten Redezeit . Wir haben dann gemeinsam heu-
te etwas früher Feierabend und hoffentlich eine schöne
Weihnachtszeit .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerne! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir einigen uns auf die zweite Hälfte!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820922200

Letzte Rednerin ist die Kollegin Svenja Stadler für die

SPD .


(Beifall bei der SPD)



Svenja Stadler (SPD):
Rede ID: ID1820922300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Ich spreche heute zu Ihnen als
engagementpolitische Sprecherin meiner Fraktion .


(Zuruf von der CDU/CSU: Wow, so etwas gibt es?)


– Wow, ja, bei der SPD schon;


(Zuruf von der CDU/CSU: Klasse!)


denn wir schätzen das Ehrenamt wert .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In meinem Wahlkreis gibt es unter anderem zwei so-
ziale Kaufhäuser in zwei verschiedenen Orten . Beide ha-
ben denselben Träger, und beide haben dasselbe Profil
und dasselbe Ziel, nämlich sie wollen bedürftigen Men-
schen die Möglichkeit geben, für wenig Geld etwas mehr
als nur das Allernotwendigste zu kaufen .

Doch eines unterscheidet die beiden Häuser: Für sie
sind unterschiedliche Finanzämter zuständig . So kommt
es, dass das eine alle drei Jahre um die Zuerkennung der
Gemeinnützigkeit fürchten muss . Bisher ist alles gut ge-
gangen, doch wenn ich einmal über meinen Wahlkreis hi-
nausschaue, dann sehe ich, dass das nicht überall der Fall
ist . Deshalb müssen wir die Regeln für Gemeinnützigkeit
in unserem Land dringend verbessern .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bürgerschaftliches
Engagement ist ein Grundpfeiler für eine moderne und
demokratische Gesellschaft . Diejenigen, die sich frei-
willig, unentgeltlich und uneigennützig für andere Men-
schen einsetzen, stärken unsere Demokratie besonders .


(Beifall bei der SPD)


Unsere demokratische Gesellschaft braucht sie, um die
nötige Widerstandsfähigkeit zu entwickeln – gegen Aus-
grenzung, Egoismus und Menschenfeindlichkeit, und ich

Dr. Frank Steffel

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620944


(A) (C)



(B) (D)


werde nicht müde, das in diesem Hause immer wieder
zu betonen .

Doch wir müssen mehr tun, als das nur zu betonen
und zu wiederholen . Wir müssen den engagierten Bürge-
rinnen und Bürgern die Rahmenbedingungen bieten, die
sie brauchen . Dazu gehört an allererster Stelle Planungs-
sicherheit . Um das zu erreichen, müssen wir beispiels-
weise dafür sorgen, dass die Zuständigkeit der einzelnen
Finanzämter nicht mehr zu einem Flickenteppich unter-
schiedlicher Auslegungen von Gemeinnützigkeit führt;


(Beifall bei der SPD)


denn eine Situation wie die der beschriebenen Sozial-
kaufhäuser in meinem Wahlkreis ist Gift für bürger-
schaftliches Engagement . Sie führt zu Unsicherheit unter
den Engagierten und zu Unverständnis gegenüber der
Ungleichbehandlung . Im schlimmsten Fall führen Frust-
ration und das Ohnmachtsgefühl zum Ende des Engage-
ments . Wollen wir das?


(Willi Brase [SPD]: Nein, wollen wir nicht!)


Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen,
können nicht ohne die aktive Beteiligung von zivilge-
sellschaftlichen Organisationen bewältigt werden . Das
Gemeinnützigkeits- und Vereinsrecht muss Beteiligung
ermöglichen und fördern und darf ihr keine Steine in den
Weg legen .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb unterstützen wir als SPD-Bundestagsfraktion
eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts,


(Beifall bei der SPD)


eine Modernisierung, die den gesellschaftlichen Wan-
del der letzten Jahre und Jahrzehnte auch im Steuerrecht
widerspiegelt; eine Modernisierung, die anerkennt, dass
Zivilgesellschaft heute mehr ist als das „Ehrenamt“ von
früher; eine Modernisierung, die zur Entbürokratisierung
beiträgt .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer anpackt, will
auch mitbestimmen . Engagement ist mehr als nur die
karitative Wohlfahrtspflege. Es ist längst Ausdruck eines
aktiven Mitgestaltungsanspruchs der Zivilgesellschaft,
einer Zivilgesellschaft, die aktiv zur politischen Willens-
bildung beiträgt, unsere Demokratie bereichert, gestaltet
und stärkt .

Das bürgerschaftliche Engagement befindet sich im
Wandel . Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die Regeln,
denen es unterliegt, mit diesem Wandel Schritt halten
können . Reden wir nicht nur, packen wir es endlich an!

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820922400

Frau Kollegin, ich hoffe, dass ich durch die Zugabe

der Redezeit die Störung wiedergutgemacht habe, für die
ich mich entschuldigen möchte .

Zu beschließen haben wir jetzt nichts, sodass wir mit
den im Protokoll festgehaltenen Reden diesen Tagesord-
nungspunkt für heute beenden .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung eines Nachtrags zum Bun-
deshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016

(Nachtragshaushaltsgesetz 2016)

Drucksache 18/10500
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Auch das
scheint unstreitig . Dann verfahren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Jens Spahn .

J
Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1820922500


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Ausbau und die Verstetigung öffentlicher Infrastruktur-
investitionen sind der Bundesregierung ein großes An-
liegen, wie wir schon in den vergangenen Haushalten
gezeigt haben . Das ist ein Schwerpunkt unserer Haus-
haltspolitik, und das drückt auch dieser Nachtragshaus-
halt für 2016 aus, den wir heute in erster Lesung beraten .

Wir haben im Jahr 2016 bereits 31,5 Milliarden Euro
für Investitionen in die Straße, die Schiene, den Breit-
bandausbau und viele andere Dinge vorgesehen . Es gibt
sogar so viel zusätzliches Geld, dass wir feststellen müs-
sen, dass nicht das fehlende Geld der Engpass ist, wenn
es darum geht, Bundesinfrastrukturprojekte voranzubrin-
gen, sondern dass die Planungsprozesse den eigentlichen
Engpass darstellen . An dieser Stelle – das ist aber eine
andere Debatte – müssen wir darüber reden, wie wir die
Planung für Infrastrukturinvestitionen in Deutschland
gestalten können .

Zu diesen 31,5 Milliarden Euro, die schon für 2016
geplant waren, werden jetzt noch einmal 3,5 Milliar-
den Euro zusätzlich mit diesem Nachtragshaushalt für
Investitionen bereitgestellt . Das ist eine Steigerung von
deutlich mehr als 10 Prozent und ist damit noch einmal
ein deutliches Zeichen dafür, dass diese Koalition einen
Schwerpunkt auf öffentliche Infrastrukturinvestitionen
legt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Neue, das wir hier möglich machen wollen – dazu
brauchen wir noch die Begleitgesetze; wir schaffen hier-
mit die haushaltsrechtliche Grundlage, aber es braucht
noch grundgesetzliche und andere gesetzliche Änderun-
gen –, betrifft Investitionen in die kommunale Bildungs-
infrastruktur . Mit diesen 3,5 Milliarden Euro stellen wir
als Bund zusätzlich zu den bereits vorhandenen 3,5 Mil-
liarden Euro im kommunalen Investitionsförderungs-
fonds also insgesamt 7 Milliarden Euro für Investitionen
in den Kommunen zur Verfügung . Auch das ist einmal
mehr ein deutliches Zeichen – im Übrigen zusätzlich zu

Svenja Stadler

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20945


(A) (C)



(B) (D)


vielen Maßnahmen, die wir in den letzten Monaten be-
schlossen haben – dafür, wie stark sich der Bund bei der
Unterstützung der Kommunen, der Städte und Gemein-
den engagiert .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das, wofür wir hier die haushaltsrechtliche Grund-
lage schaffen und die 3,5 Milliarden Euro bereitstellen,
nämlich für stärkere Investitionen in die kommunale
Bildungsinfrastruktur, ist Bestandteil des Bund-Län-
der-Kompromisses, der die Finanzbeziehungen zwi-
schen dem Bund und den Ländern betrifft . Natürlich
kann man – das werden wir in den nächsten Monaten so
miteinander tun, wie wir es in den letzten Monaten schon
gemacht haben – trefflich darüber streiten, wie dieses
Zusammenspiel von Bund und Ländern im Föderalismus
geordnet sein soll, bei wem welche Kompetenzen liegen
und welche Entscheidungen bei Kompetenzverschiebun-
gen tatsächlich welche langfristigen Folgen haben wer-
den . Das ist sicherlich ein Punkt, bei dem es zur Frage
der Bildungsfinanzierung etwas zu debattieren gibt.

An einer Stelle aber gibt es, glaube ich, keine Debatte:
Der Bedarf ist objektiv da, was Investitionen in Schulen
und in die Bildungsinfrastruktur vor Ort angeht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Roland Claus [DIE LINKE]: Da hat er recht!)


Ich jedenfalls kenne viele Eltern, hier in Berlin und an-
deren Städten, die sich schon die Frage stellen, warum
manchmal mit viel medialer Aufmerksamkeit über ge-
schlechterneutrale Toiletten diskutiert wird, während sie
erleben müssen, dass ihren eigenen Kindern nur ziemlich
desolate Schultoiletten zur Verfügung stehen . Die Folge
ist, dass sich die Kinder mitunter gar nicht trauen, auf
diese Toiletten zu gehen, und sie gar nicht mehr benutzen
mögen . Der Zustand der Toiletten oder der Schulbauten
insgesamt ist mitunter unhaltbar . Deswegen ist es gut,
dass wir mit dem, was wir hier vorhaben, einen Schwer-
punkt setzen . Der Bedarf jedenfalls für mehr Investitio-
nen in Schulen und in die Bildungsinfrastruktur – jenseits
aller kompetenzrechtlichen Fragen – ist vorhanden .

Das bringt mich, liebe Kolleginnen und Kollegen,
abschließend zu der grundsätzlichen Bemerkung, dass
wir – auch das ist eigentlich etwas Besonderes, wenn Sie
sich anschauen, was in anderen Ländern in Europa und
der Welt los ist, was die haushaltsrechtliche Ausgangs-
lage angeht – im Jahr 2016 einen Spielraum haben, den
wir nutzen können, nicht zuletzt, weil wir für unsere
Schulden weniger Zinsen zahlen müssen . Wir können
uns, ohne uns neu zu verschulden, 3,5 Milliarden Euro
zusätzliche Investitionen leisten .

Wir zeigen also: Ein ausgeglichener Haushalt und zu-
gleich Wachstumsimpulse – das ist möglich . Das zeigen
wir auch mit diesem Nachtrag . Wir zeigen einmal mehr
einen ausgeglichenen Haushalt . Das heißt am Ende: Wir
lassen Spielraum für künftige Generationen . Ein ausge-
glichener Haushalt ist möglich, und gleichzeitig kann
man zusätzliche Investitionsimpulse, die im Übrigen ja
auch künftigen Generationen dienen, setzen . Wir zeigen,
nicht nur für Deutschland, sondern durchaus auch für an-

dere Länder, dass beides zusammen geht . Auch das ist ein
wichtiges Signal, das dieser Nachtragshaushalt sendet .

In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen,
freue ich mich auf spannende parlamentarische Beratun-
gen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820922600

Dann wollen wir mal gucken, ob die Spannung gleich

in dieser Debatte ausbricht .


(Heiterkeit)


Der Erste, der das vorführen könnte, ist der Kollege
Claus für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820922700

Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bun-

destagspräsident! Angesichts der vorweihnachtlichen
Stimmung, die im Plenarsaal Einzug gehalten hat, möch-
te ich Ihnen ganz besonders herzlich für Ihre Rede und
überhaupt für Ihren Beitrag zum Gelingen des allfraktio-
nellen Adventssingens am heutigen Abend im Deutschen
Bundestag danken . Auch so etwas geht im Parlament .


(Beifall)


Als dieser Nachtragshaushalt von Bundesminister
Schäuble zum ersten Mal angekündigt wurde, hat die
Linke das begrüßt und gesagt: Chapeau, Herr Schäuble!
Gut, dass Sie mit dem Überschuss zu Frau Wanka statt
wieder zu Frau von der Leyen gegangen sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Übersetzt heißt das: Besser mehr Geld für Bildung als
für das Militär .

Aber dann haben wir festgestellt, dass wir den Bun-
desfinanzminister wohl zu früh gelobt haben. Zu der
Erkenntnis kam Bundesminister Schäuble nämlich nicht
freiwillig, wie wir inzwischen wissen, sondern offenbar
auf Druck der Länderchefs . Die Begründung Ihres Ge-
setzentwurfes besagt: Hier wird die Voraussetzung dafür
geschaffen, dass die Bund-Länder-Vereinbarung vom
14 . Oktober 2016 umgesetzt werden kann . Gemeint ist
die Zukunft der Bund-Länder-Finanzbeziehungen .

Im Klartext heißt das: Ohne diese Investitionen wäre
dieser Finanzpakt mit den Ländern nicht möglich gewe-
sen . Deshalb sollte sich der Bund nicht als Weihnachts-
mann darstellen, der den Kommunen die Geschenke
überbringt . Richtiger wäre es an dieser Stelle, zu sagen:
Wenn wir wirklich vernünftige Investitionen in Bildung
und Infrastruktur wollen, dann müsste man mit dem Ko-
operationsverbot Schluss machen und ein zukunftsfähi-
ges Investitionsprogramm auflegen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Parl. Staatssekretär Jens Spahn

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620946


(A) (C)



(B) (D)


Allerdings ist zu begrüßen, dass mit diesem Geld
Investitionen in Schulinfrastruktur für finanzschwache
Kommunen getätigt werden können .


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Bitte! Das ist doch was!)


Ich habe das einmal zusammengerechnet: Für Ost-
deutschland sind das 675 Millionen Euro .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Einen solchen Schritt zu mehr Investitionstätigkeit be-
grüßen wir als Linke natürlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Woher kommt das Geld? Auch das findet sich im Ge-
setzentwurf: Der Bund zahlt weniger Zinsen für seine
Schulden als geplant . Das muss nicht immer so bleiben;
darauf weisen Forschungsinstitute inzwischen hin .

Deshalb wird die Linke nicht müde werden, zu for-
dern: Schaffen Sie endlich zukunftsfähige Politik für
mehr Einnahmen! Schaffen Sie Steuergerechtigkeit!
Dann haben wir auch die zukunftsfähige Möglichkeit, in
Bildung zu investieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Es kommt zuweilen vor, dass vor allzu viel schwar-
zer Null die Öffentlichkeit annimmt, der Bund habe nun
keine Schulden mehr . Es sind immer noch 20 Milliarden
Euro, die wir für Zinsen einstellen müssen, bzw . dafür,
um die Schulden zu tilgen . Auch das darf nicht vergessen
werden .

Abschließend will ich noch auf einen weiteren Punkt
hinweisen . In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
heißt es, die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin hät-
ten am 14 . Oktober einen Beschluss gefasst . Ich frage
Sie: Was ist denn das für ein Beschlussorgan, das da zu-
sammenkommt?


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Das war historisch!)


Gestern hat Bundesminister Schäuble in der Re-
gierungsbefragung gesagt: Natürlich sind noch Ände-
rungen möglich . – Das Parlament ist aber gewählt, um
gesellschaftliche Gestaltung in Gesetze zu gießen . Das
Parlament ist nicht gewählt, um nur die Ergebnisse von
Nachtverhandlungen von Regierungschefs abzunicken .
Das verlangen Sie aber von uns, und das nehmen wir so
nicht hin . Das sei Ihnen einmal gesagt .


(Beifall bei der LINKEN)


17 Regierungschefs sind uns lieb und teuer . Das ist
klar . Dennoch haben sie nicht das Recht, den Parlamen-
ten vorzuschreiben, was sie zu entscheiden haben .

Selbstverständlich werden auch wir heute für die
Überweisung stimmen . In der abschließenden Lesung
werden wir uns auch für diese Investitionen aussprechen,
aber dann eine getrennte Abstimmung verlangen, weil
wir nicht mit der Zustimmung für die Schulinvestitionen
einem Haushalt, den wir insgesamt abgelehnt haben, auf

diese Weise nachträglich zustimmen wollen . Dafür ist
kein Platz .

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820922800

Nächster Redner ist der Kollege Johannes Kahrs .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Eckhardt Rehberg [CDU/CSU])



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1820922900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Kollege Claus hat eben erwähnt, dass er das,
was diese Große Koalition macht, unterstützt und in der
Sache gut findet.


(Roland Claus [DIE LINKE]: Partiell!)


Das hat man nicht allzu häufig. Wir sind nicht nur auf
dem richtigen Weg, sondern tun auch etwas sehr Ver-
nünftiges .


(Roland Claus [DIE LINKE]: Partiell!)


Wir haben durchgesetzt, dass 3,5 Milliarden Euro mehr
ausgegebenen werden – der Herr Staatssekretär hat das
erwähnt – für die Bildungsinfrastruktur in den Ländern .
Das ist eine echte Leistung, die sich sehen lassen kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das bedeutet zwar noch kein Fallen des Kooperations-
verbotes – Weihnachten fällt nun einmal nicht auf Os-
tern –, aber es ist immerhin schon mal ein Aufbrechen . Es
ist ein erster Schritt in die richtige Richtung .


(Beifall bei der SPD)


– Jetzt könnte der Koalitionspartner auch einmal klat-
schen . Also: Halten Sie sich ran!


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die wollen nicht!)


Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, dass unser
Parteivorsitzender und Vizekanzler Sigmar Gabriel so-
wie unsere Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentin-
nen das in den Verhandlungen durchgesetzt haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist ein wesentlicher Punkt guter sozialdemokrati-
scher Politik . Im Ergebnis soll mit diesem Nachtrags-
haushalt erst der Anfang gemacht werden . Wir wollen
Schulsanierungen in den Städten und Stadtteilen, wo es
am schwierigsten ist, wo am wenigsten Geld vorhanden
ist . Wenn das das Ziel ist, dann muss später auch das Er-
gebnis entsprechend sein . Ich habe mich sehr gefreut,
dass Staatssekretär Spahn das genauso sieht . Ich bin mir
sicher, dass wir das dank seiner Unterstützung und nach
den salbungsvollen Worten, die er uns hat angedeihen
lassen, umsetzen können . Für uns als SPD ist wichtig,
dass bis 2021 die Schulen in ganz Deutschland saniert

Roland Claus

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20947


(A) (C)



(B) (D)


und modernisiert sind und dass es ein verlässliches Ganz-
tagsangebot gibt .


(Beifall bei der SPD)


Wenn der Bund die Länder dabei unterstützen kann, dann
ist das richtig, wichtig und gut .

Gleichzeitig findet das Ganze – das hat der Kollege
Claus zu Recht angemerkt – in einem größeren Rahmen
statt . Die Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanz-
beziehungen haben begonnen . Wir werden uns noch
über Infrastrukturgesellschaften für Autobahnen und
vieles andere unterhalten . Aber eines muss an dieser
Stelle gesagt werden: Wenn die Länder etwas mit 16 : 0
beschließen und das mit dem Bund, also mit der Bun-
desregierung, vereinbaren, dann ist das schön, hat aber
erst einmal keinerlei Wert . Das ist ein Muster ohne Wert .
Da hat die Exekutive aus den Ländern mit der Exekuti-
ven auf Bundesebene eine Absprache getroffen; das ist
schön . Aber mit der Absprache kommen sie nur so weit,
wie wir im Deutschen Bundestag unsere Beschlussfas-
sung darauf abstellen . Es ist wichtig, sich daran zu erin-
nern, dass für uns alle immer noch das Struck’sche Ge-
setz gilt: Kein Gesetz verlässt den Deutschen Bundestag
so, wie es in den Deutschen Bundestag hineingekommen
ist. Das heißt, wenn im Februar die erste Lesung stattfin-
det, werden wir uns das in aller Ruhe und Gelassenheit
anschauen . Es wird viele Expertengespräche und Anhö-
rungen geben . Wir werden uns dann in den kommenden
Monaten in aller Ruhe und Gelassenheit sowie mit viel
Zeit und Sachverstand die einzelnen Themen vornehmen
und nach und nach abhandeln .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir Haushälter werden das in engem Schulterschluss
mit den jeweiligen Fachpolitikern machen, weil das für
uns alle ein wichtiges Thema ist und weil wir Weichen-
stellungen für die Zukunft vornehmen . Grundgesetzän-
derungen macht man nicht irgendwann und irgendwie .
Angesichts der geforderten Mehrheiten bekommt man
das nur hin, wenn man sich einig ist .

Es ist gut, dass die 3,5 Milliarden Euro, über die wir
reden, in dem in Rede stehenden Paket enthalten sind,
und das kann dann zusammen mit den Grundgesetzände-
rungen aufgerufen werden. Denn das Geld fließt ja nicht,
bevor nicht die entsprechenden Gesetzesänderungen ge-
kommen sind . Wir werden über das Gesamtpaket im Par-
lament diskutieren . Ich hoffe, dass wir alle die Zeit und
die Ruhe haben, darüber gründlich zu diskutieren; denn
wir werden später zur Verantwortung gezogen, wenn hier
etwas auf die Beine gestellt wird, was nicht vernünftig
und sinnvoll ist . Mir ist wichtig, dass die Große Koaliti-
on das gelassen, entspannt und mit viel inhaltlicher Vor-
bereitung angeht . Ich würde mich freuen, wenn sich die
Opposition konstruktiv beteiligen würde . Dann könnten
wir vielleicht auch vieles gemeinsam beschließen . Ich
freue mich schon darauf, mit dem Kollegen Eckhardt
Rehberg im engen Schulterschluss dieses zu beschließen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820923000

Bevor der Kollege Rehberg das nun ausdrücklich be-

stätigen kann, hat der Kollege Sven-Christian Kindler
die Gelegenheit, den Weihnachtsfrieden zu stören . Bitte
schön, Herr Kollege .


(Heiterkeit – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das wird er ja nicht wagen!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sie müssen nach meiner Rede bewerten, ob
das eingetreten ist .

Ich will mit etwas Positivem anfangen. Auch wir fin-
den es gut, dass jetzt 3,5 Milliarden Euro für marode
Schulen zur Verfügung gestellt werden . Wir unterstützen
auch den kommunalen Investitionsfonds und den Finanz-
schlüssel, den es für die Kommunen in dieser Hinsicht
gibt . Von daher begrüßen wir das .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist schon mal eine gute Rede! – Johannes Kahrs [SPD]: Einsicht ist der erste Weg zur Besserung!)


– Bringen wir uns einmal positiv ein . Ich hoffe, die SPD
wird auch weiterhin bei meiner Rede klatschen . Man
muss trotzdem ein bisschen Wasser in den Wein gießen .

Es war nicht die Bundesregierung, die in den Haus-
haltsberatungen 3,5 Milliarden Euro für marode Schulen
vorgesehen hat . Wir haben das beantragt . In den Haus-
haltsberatungen hat die Bundesregierung noch abge-
lehnt, mehr für marode Schulen zur Verfügung zu stel-
len . Es waren nachher die Bundesländer mit ganz vielen
Regierungen, an denen die Grünen beteiligt sind, die in
den Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbezie-
hungen dafür gesorgt haben, dass dieses Geld jetzt flie-
ßen wird . Das begrüßen wir . Das möchte ich deutlich
feststellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Welche Grünen? Die baden-württembergischen, die hessischen, die bayerischen?)


Man muss auch noch einmal darstellen – auch das
wurde schon gesagt –, dass das KfW-Kommunalpanel
festgestellt hat, dass der Investitionsstau in den Kom-
munen in der Größenordnung von circa 34 Millionen
Euro liegt . Da sagen wir auch klar: 3,5 Milliarden Euro
können und dürfen nur der Anfang sein . Wir brauchen
deutlich mehr, um bröckelnde und marode Schulen in
Deutschland zu sanieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Frage ist: Warum hat die Bundesregierung das ei-
gentlich nicht viel früher gemacht? Das liegt auch daran,
dass gerade der Unionsteil der Bundesregierung, insbe-
sondere Herr Schäuble, lange geleugnet hat, dass es über-
haupt ein Investitionsdefizit in Deutschland gibt. Auf der
Grundlage einer mangelhaften Analyse kann man aber
auch keine gute Investitionsstrategie aufbauen .

Johannes Kahrs

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620948


(A) (C)



(B) (D)


Wenn man sich den Haushalt anschaut, dann sieht
man, dass Investitionen gesteigert wurden . Wenn es aber
mehr Geld gab, war dies eher dem Prinzip Zufall zu ver-
danken . Wenn es niedrige Zinsen und hohe Steuereinnah-
men gab, wurden Investitionsprogramme aufgelegt . Aber
wenn man sich den Finanzplan anschaut, stellt man fest,
dass das nicht nachhaltig und dauerhaft ist . Die Investi-
tionsquote stürzt bis 2020 auf 8,8 Prozent ab . Wir sagen:
Wir müssen dauerhaft mehr in Deutschland investieren,
wir müssen eine dauerhafte und sinnvolle Investitions-
strategie für Deutschland entwickeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Investitionspolitik nach Kassenlage ist auch proble-
matisch für die Kommunen . Wir sehen, dass die Investi-
tionsprogramme sehr kurzfristig aufgelegt wurden, ohne
Plan, ohne Strategie. Gerade für finanzschwache Kom-
munen ist das ein Problem, weil die eben nicht die Pla-
nungen zum Beispiel für Schulsanierungen in der Schub-
lade haben . Um das einmal konkret zu machen: Eine
komplette Schulsanierung inklusive Planung braucht bis
zu fünf Jahre. Gerade finanzschwache Kommunen haben
häufig nicht die Ressourcen und haben nicht die Pläne
in der Schublade, um die Sanierung sofort umzusetzen .
Deswegen fordern wir Sie auf: Hören Sie auf mit dieser
Zickzackinvestitionspolitik . Wir brauchen eine dauerhaf-
te und verlässliche Investitionspolitik für unsere Kom-
munen in Deutschland .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Roland Claus [DIE LINKE])


Grundlegende Probleme werden mit dem Bund-Län-
der-Finanzkompromiss leider auch nicht angegangen .
Lösungen wurden von der Bundesregierung nicht in
die Verhandlungen eingebracht . Wenn wir uns struktur-
schwache Kommunen in Deutschland anschauen, dann
sehen wir, dass die Schere zwischen Arm und Reich aus-
einanderklafft .


(Johannes Kahrs [SPD]: Der baden-württembergische Ministerpräsident war der größte Blockierer!)


– Ich sage gleich etwas dazu, Kollege Kahrs . Nicht so
aufregen!

Wenn man sich anschaut, dass die Schere zwischen
Arm und Reich in Deutschland weiter aufgeht, die Kom-
munen einen Investitionsstau von 136 Milliarden Euro
haben, und wenn wir sehen, dass es Kassenkredite von
50 Milliarden Euro gibt und die Soziallasten der Kom-
munen immer größer werden, dann sehen wir ein, dass
wir strukturelle Lösungen brauchen .

Wir haben vorgeschlagen, dass der Soli nicht abge-
schafft wird, wie die Unionsfraktion das plant, sondern
dass es eine Altschuldenhilfe für überschuldete Kommu-
nen gibt, man den Soli erhält, neu begründet und ausrich-
tet und damit finanzschwache Kommunen unterstützt.
Wir brauchen strukturelle und dauerhafte Lösungen,
um finanzschwache Kommunen zu unterstützen. Das ist

wichtig für die Kommunen und für unsere Demokratie in
Deutschland .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Warum sind die Grünen dann dagegen?)


Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wichtig ist, dass man
das Kooperationsverbot endlich fallen lässt . Es ist völlig
klar, dass wir mehr Bildungsinfrastruktur in Deutschland
brauchen .


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber warum sind die Grünen denn dagegen?)


Wir brauchen ein Kooperationsgebot, eine Abschaffung
des Kooperationsverbots in Deutschland .


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber die Grünen sind doch dagegen in Baden-Württemberg!)


– Ich sage Ihnen auch gerne etwas zu Baden-Württem-
berg und zu Herrn Kretschmann . Herr Kretschmann
sperrt sich nicht dagegen, dass es mehr Geld für die Kom-
munen in Deutschland gibt, um das einmal klarzustellen .


(Zuruf des Abg . Eckhardt Rehberg [CDU/ CSU])


– Ich würde etwas ruhig sein, liebe Union und liebe
SPD. – Es gibt Konflikte in allen Parteien über das The-
ma Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern .

Ich will noch einmal daran erinnern, wer das Koopera-
tionsverbot in die Verfassung geschrieben hat .


(Johannes Kahrs [SPD]: Entschuldigung, die Grünen haben sich doch geweigert! Warum wollen Sie es denn nicht ändern?)


Das waren nicht die Grünen . Kollege Kahrs, wer hat das
Kooperationsverbot in die Verfassung geschrieben? Das
waren die SPD-Bundestagsfraktion und die Unionsbun-
destagsfraktion . Ich würde lieber einmal ein bisschen
Demut zeigen . Für das Kooperationsverbot in Deutsch-
land ist die Große Koalition verantwortlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Aber warum wollt ihr das denn nicht ändern? Ihr blockiert das doch!)


– Wir wollen das ändern; ihr habt es eingeführt . Ehrlich
gesagt, wünsche ich mir, dass die SPD mit uns an einem
Strang zieht und hier keine billige Parteipolemik austrägt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Aber warum ist Kretschmann dagegen, dass die Länder und Kommunen Geld bekommen?)


Ich finde, in dieser Frage muss sie vom hohen Ross her-
unterkommen .

Durch die Große Koalition wurde mit dem Haushalt
nicht das Problem strukturschwacher Kommunen gelöst .
Es gibt keine gute Investitionsstrategie . Die Investitionen
stürzen bis 2020 ab . Ich würde dazu raten, an der Lösung
dieser Probleme zu arbeiten, liebe Große Koalition . Das
wäre besser, als hier polemische Reden zu halten, Kolle-
ge Kahrs .

Sven-Christian Kindler

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20949


(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Die Grünen waren doch dagegen, dass Geld in die Kommunen kommt!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820923100

Herr Kindler, da Sie mich ohne Not ausdrücklich zu

einer Bewertung aufgefordert haben: Es fing weihnacht-
licher an, als es geendet hat,


(Heiterkeit und Beifall)


was aber verfassungsrechtlich ausdrücklich zulässig ist .

Jetzt ist der Kollege Rehberg an der Reihe .


(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt schwebt der Weihnachtsengel ein!)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1820923200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da-

mit, Kollege Claus, hier kein falscher Eindruck entsteht:
Bei der Abstimmung im Bundestag in einigen Wochen
wird es nicht heißen: „Das Gesetz ist in der Fassung der
MPK-Beschlüsse angenommen“, sondern: „Das Gesetz
ist in der Ausschussfassung angenommen .“


(Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!)


Vorweg wird es gründliche Beratungen geben müs-
sen – da stimme ich Johannes Kahrs voll zu –, weil sich
gerade bei diesem Thema viele Fragen stellen: Was sind
finanzschwache Kommunen? Wie ist die entsprechende
Legaldefinition? Schauen Sie sich einmal die Protokol-
lerklärung der drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und
Bremen zu diesem Thema an . Diese drei Länder haben
deutlich gemacht, dass Kassenkredite bei Stadtstaaten
nicht vorkommen . Oder schauen Sie sich einmal die
Proto kollerklärung des Landes Thüringen an, formuliert
in Abstimmung von Linken, SPD und Grünen . In dieser
Erklärung wird – aus meiner Sicht: zu Recht – hinter-
fragt, ob Kassenkredite Merkmal finanzschwacher Kom-
munen sind . Drei Viertel der Kassenkredite in Deutsch-
land lasten auf drei Ländern: Nordrhein-Westfalen hat
48 Prozent dieser Kredite, Hessen und Rheinland-Pfalz
zusammen 27 Prozent, macht insgesamt 75 Prozent . Was
die Kommunalaufsicht in den einzelnen Ländern, auch in
meinem Heimatland, angeht, handelt jeder Innenminister
nicht zwingend nach Parteibuch, sondern nach eigenem
Ego und Gustus; alle handeln also ein Stück weit anders .
Sind nicht vielleicht die Steuerkraft, die Zahl der Arbeits-
losen, die Höhe der Sozialausgaben, der Kosten der Un-
terkunft Merkmale finanzschwacher Kommunen?

Wir müssen auch in Ruhe betrachten: Wir verteilen
nur die 3,5 Milliarden Euro .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Auf die Länder!)


An wen dieses Geld in den Ländern geht, das entscheiden
die Länder. Die Länder definieren ganz unterschiedlich,
was bei ihnen als finanzschwach gilt. Schaut euch einmal
die Bewilligung des ersten 3,5-Milliarden-Euro-Paketes

an! Die darin enthaltenen Mittel sind nicht zwingend
immer nur an finanzschwache Kommunen gegangen. Es
gibt große Städte, die hohe Kosten der Unterkunft haben,
aber auch hohe Gewerbesteuereinnahmen .

Meine Sorge ist: Als das erste 3,5-Milliarden-Eu-
ro-Paket geschnürt wurde, wurde beschlossen, den Ver-
teilungsschlüssel einmalig anzuwenden . Jetzt aber wird
eine Brücke geschlagen: Artikel 104c Grundgesetz soll
geändert werden, einhergehend mit der Verabschiedung
eines Begleitgesetzes, sodass es zu einer Legaldefiniti-
on kommt, was finanzschwache Kommunen sind, was
weiter gehende Auswirkungen hat . Insofern müssen wir
uns unabhängig von Wahlterminen und Länderinteressen
sehr gründlich anschauen, was wir an dieser Stelle ma-
chen; denn das hat Langzeitwirkung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, Kollege
Kindler . Nötig sind Investitionen in Höhe von 136 Mil-
liarden Euro . Ein Kollege von Ihnen hat gestern gesagt,
es gebe bei Schulen einen Sanierungsstau in Höhe von
34 Milliarden Euro . Das Entlastungsvolumen der letz-
ten sieben Jahre bei Ländern und Kommunen betrug
95 Milliarden Euro . Das diente der Finanzierung von
Grundsicherung im Alter, BAföG usw . usf . Die Steuer-
mehreinnahmen der Länder sind in den letzten Jahren
höher als die des Bundes gewesen . Länder und Kommu-
nen gemeinsam haben von 2010 bis 2016 Steuermehrein-
nahmen von 95 Milliarden Euro gehabt . Ich glaube, wir
dürfen die Länder und Kommunen hier nicht ganz aus
der Pflicht lassen. Es ist nämlich die Frage zu stellen:
Was machen die mit ihren Steuermehreinnahmen? Al-
lein das Entlastungspaket, das wir vor einigen Wochen
beschlossen haben – Stichwort „Übernahme Asylkosten“
und 5-Milliarden-Euro-Paket –, bedeutet 17 Milliarden
Euro für die nächsten drei Jahre . Deswegen ist es schon
berechtigt, immer wieder kritisch zu hinterfragen: Was
passiert mit dem Geld, das der Bund an die Länder wei-
terreicht?

Ich will manchen Kolleginnen und Kollegen hier ein-
mal einen Zahn ziehen: Wer meint, dass die Umsatzsteuer
der Gemeinden eins zu eins an die Kommunen geht, der
irrt sich. Diese Umsatzsteuer fließt in die kommunalen
Finanzausgleichssysteme . Gucken Sie sich einmal die
Verbundquoten oder Gleichmäßigkeitsgrundsätze an: Da
gehen teilweise über 80 Prozent in den Landeshaushalt .
Das heißt, wer meint, 1 Euro der Umsatzsteuer der Ge-
meinden ginge komplett an die Gemeinden, liegt falsch;
da kommen höchstens 20 Cent an .


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das sieht Herr Liebing anders!)


– Lieber Herr Rossmann, Herr Liebing sieht das über-
haupt nicht anders . Ich rate jedem in unserer Debatte: Wir
helfen finanzschwachen Kommunen; deswegen müssen
wir gründlich beraten . Denn das, was wir heute tun, wird
Langzeitwirkung haben . Wenn die Verteilsysteme einmal
festgelegt sind, wird man später nicht mehr sehr dezidiert
daran herangehen können .

Sven-Christian Kindler

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620950


(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen an ei-
ner Stelle aufpassen: Gucken Sie sich einmal an, was
die Länder bei dem ersten 3,5-Milliarden-Euro-Paket,
wodurch die energetische Sanierung von Kindertages-
stätten, Schulen und Berufsschulen ermöglicht wurde,
gemacht haben. Ich muss Ihnen sagen: Ein Abfluss von
gerade einmal 60 Prozent ist eine Katastrophe, und dieses
Programm läuft schon seit über einem Jahr . Und wenn
Sie sich einmal die Sektorenaufstellung angucken, sehen
Sie, dass das allerwenigste in kommunale Bildungsin-
frastruktur geflossen ist, obwohl es dahin hätte fließen
können .

Und zu dem Vorwurf, dass die Planungen lange dau-
ern: Ja, die Planungen dauern lange, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Aber wenn die Not seit Jahren so groß ist,
dann muss man doch die Frage stellen, warum man nicht
vorausschauend geplant hat, gerade mit Blick auf unsere
Schülerinnen und Schüler, unsere Kinder und Jugendli-
chen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Frage muss man hier schon deutlich stellen .

Ich stimme Johannes Kahrs vollkommen zu: Hier gilt
das Struck’sche Gesetz . Wir müssen den Gesetzentwurf
gründlich beraten . Das ist eines der entscheidenden Vor-
haben in dieser Legislaturperiode mit Langzeitwirkung
im föderalen Gefüge zwischen Bund, Ländern und Kom-
munen . – Lieber Kollege Kindler, der Bund ist in den
letzten Jahren weit über das hinausgegangen, für das er
nach dem Grundgesetz verantwortlich war .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820923300

Das Wort hat nun der Kollege Ernst Dieter Rossmann

für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1820923400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

w
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1820923500
die bildungspolitische Betrachtung .
10 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
sind in Schulen in Deutschland – 33 000 allgemeinbil-
dende Schulen, 8 000 berufsbildende Schulen –, und die
Investitionen in den Erhalt und die Pflege der baulichen
Substanz sind wesentlich von den Kommunen getragen
worden . Die Investitionen liegen bei 2,9 Milliarden Euro
jährlich, und zwar in allen Kommunen, auch den finanz-
schwachen. Der Bund ist jetzt bereit, die finanzschwa-
chen Kommunen mit einer Summe von 3,5 Milliarden
Euro über dreieinhalb Jahre zu unterstützen . Das bedeu-
tet, dass auf die 2,9 Milliarden Euro jährlich 1 Milliarde
Euro für Investitionen obendrauf kommt . Das ist für die
finanzschwachen Kommunen wirklich eine große Num-
mer .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Antje Tillmann [CDU/CSU])


Es wird gezielt dort angesetzt, wo die Bedarfe sind .

Kollege Rehberg, ja, wir haben mit dem Kommunalin-
vestitionsförderungsgesetz den ersten Einstieg gemacht;
aber das war an die energetische Sanierung gebunden .
Was wir jetzt machen, geht weiter . Das zeugt von ei-
ner guten Qualität, die über die Länder, über Minister
Gabriel, über die Bundesregierung mit in die Debatte
eingebracht worden ist . Die Schulen laden zu einer hohen
Identifikation mit der Kommune ein. Wir wollen eben
nicht, dass hier reiche Kommunen und da arme Kommu-
nen sind und dass man dies an der Unterschiedlichkeit
ihrer Schulen erkennen kann . Das ist nicht nur wichtig
für die 10 Millionen Kinder und Jugendlichen, die direkt
an den Schulen sind, sowie für die Eltern und Großeltern .
Es ist auch wichtig für die Kommunen, dass man an den
Schulen nicht mehr merkt, ob sie arm oder reich sind, ob
sie mit dem letzten Cent rechnen müssen, sondern dass
dort positiv gestaltet werden kann .

Noch einmal: Es ist wichtig, dass es die direkten Fi-
nanzierungen gibt, mutmaßlich bis zu einen Schlüssel
von 90 Prozent vom Bund und 10 Prozent von den Län-
dern oder Kommunen, was eine gute Unterfütterung ist .
Es ist eben etwas anderes, wenn das Geld direkt dorthin
fließt – auch ab einer Summe von 40 000 Euro. Ich bin
sicher: Es wird dann von den Kommunen aufgegriffen
werden . Es wird auch deshalb aufgegriffen werden, weil
zwingende bildungspolitische Argumente dafürsprechen .
Wir wissen aus lernpsychologischen Studien, dass bes-
sere Leistungsergebnisse erzielt werden, wenn die Schu-
len in Ordnung sind, wenn sie modern ausgestattet sind,
wenn sie eine Wertschätzung ausdrücken . Das überträgt
sich . Es gibt lernpsychologische Erkenntnisse, die besa-
gen: Da, wo die Lichtverhältnisse, die Lernverhältnisse
und die räumliche Gestaltung animierend sind, sind die
Leistungen noch einmal besser . Insofern ist es wichtig,
dass wir uns an den Kosten beteiligen .

Wir wissen aus PISA-Studien, dass es leider einen
verhängnisvollen Zusammenhang von Armut, Arbeits-
losigkeit und Strukturschwäche in den Kommunen gibt
mit den Rückwirkungen auf die Bildungsergebnisse . Von
daher spreche ich es noch einmal an: Es ist gut, dass sich
diese Große Koalition an dieser Stelle nicht nach den
Paragrafen, sondern nach den Bedarfen, nicht nach dem,
was war, sondern nach dem, was wir für die Zukunft ge-
winnen wollen, richtet . Das schließt eine gewisse Ver-
änderung in der Verfassung ein, auch wenn wir sagen:
Wir wollen das Kooperationsverbot nicht vollständig lo-
ckern, aber wir wissen einen ganz gezielten Zugang, wie
wir Gutes tun können für die Bildungsrepublik Deutsch-
land mit der Perspektive, dass es mehr Bildungsgerech-
tigkeit gibt .


(Beifall bei der SPD)


Wir freuen uns, dass zumindest der Staatssekretär –
bei Herrn Rehberg klang das auch durch – heute gesagt
hat: Ja, da geht auch der Koalitionspartner CDU/CSU
mit . – Uns als Bildungspolitiker hat diese Debatte schon
etwas erschrocken gemacht . Wir erinnern uns an eine
frühere Debatte zum Thema BAföG, in der der Kolle-
ge Kaufmann ein Bombardement gegen diese Regelung
angestoßen hat, was wir gar nicht verstehen konnten . Es

Eckhardt Rehberg

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20951


(A) (C)



(B) (D)


wäre viel naheliegender gewesen, zu sagen: Donnerwet-
ter, unser Finanzminister macht 3,5 Milliarden Euro lo-
cker für die Bildung . – Beim Kollegen Kaufmann klang
das so, als ob es ein ganz großer Irrweg wäre . Heute, Herr
Rehberg, musste der Kollege Liebing die gleiche Num-
mer singen, und zwar pro Mehrwehrtsteuerverteilung, zu
der Sie gerade die Gegenargumente genannt hatten . Wir
begreifen es fast nur psychologisch, dass Sie irgendwie
nicht mitgehen können, weil Sie das Gefühl haben: Da
ist zu viel Sozialdemokratie drin .


(Beifall bei der SPD)


Ja, in diesen 3,5 Milliarden Euro ist Sozialdemokratie
drin; aber das muss doch nicht dazu führen, dass Sie das
nur verschwiemelt darstellen .

Herr Spahn, es war schon gut, dass Sie sich voll dahin-
tergestellt haben . Sie haben damit Haltung pro Bildung,
pro Investition, pro kommunale Entwicklung bewie-
sen . Wir sagen auch: Mit der Änderung der Verfassung
sind wir noch nicht am Ende; denn Ihre Bildungsmi-
nisterin hat 5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, um
40 000 Schulen mit digitaler Infrastruktur auszustatten .
Donnerwetter, da werden wir die Verfassung noch einmal
ändern müssen .

Wir verstehen in dem Zusammenhang Bund-Län-
der-Kommunal-Zusammenarbeit nicht, weshalb Sie sich
hier so schwertun . Auf die Tatsache, dass wir es zusam-
men geschafft haben, 125 Millionen Euro für ein Hoch-
begabtenförderprogramm zwischen Bund und Ländern
auf den Weg zu bringen, singt auch der konservative Teil
dieses Parlaments Lobeshymnen . Das ist eine neue Form
der Bund-Länder-Zusammenarbeit . Singen Sie doch
auch eine Lobeshymne darauf, dass wir mehr soziale Ge-
rechtigkeit in der Bildungspolitik schaffen .


(Beifall bei der SPD)


Die ganze Palette besingen wir positiv. Deshalb finden
wir: Schöne Weihnacht, tolle 3,5 Milliarden Euro! Da-
raus kann etwas werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820923600

Alois Rainer ist für die CDU/CSU-Fraktion der letzte

Redner zu diesem Tagesordnungspunkt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1820923700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ein besonders schöner Abend heute: Wir bera-
ten in erster Lesung ein weiteres Geschenk . Ob das am
Ende der Tage, lieber Kollege Claus, der Weihnachts-
mann, der Nikolaus oder das Christkind für die Kom-
munen bringt, das sei dahingestellt . Für mich bringt der
Deutsche Bundestag eine weitere Voraussetzung in die
gesetzliche Beratung ein, damit die Kommunen wieder
einmal ein Stück entlastet werden .

Lassen Sie mich einiges dazu sagen . Ich wundere mich
immer mehr – es ist schön, dass ich mich in dieser Situ-
ation wundern kann –, dass der Bund, obwohl er nicht
zuständig ist, für diesen Bereich immer wieder Geld aus-
gibt . Dafür müssen wir – da spreche ich auch als Kommu-
nalpolitiker – immer ein Stück weit dankbar sein . Auch
wenn heute über marode Schulen, marode Schultoiletten
oder über anderes gesprochen worden ist, lässt sich fest-
stellen: Die Zuständigkeit ist klar und eindeutig geregelt:
Die Zuständigkeit für Schulen und für Schulinvestitionen
liegt bei den Ländern und Kommunen, nicht beim Bund .
Deswegen sehe ich die Entlastung als ein großes Ge-
schenk an . Wir haben mit 3,5 Milliarden Euro begonnen
und legen jetzt noch einmal 3,5 Milliarden Euro drauf .
Das wird verteilt . Als bayerischer Abgeordneter betone
ich: Bayern bekommt 8 Prozent, NRW circa 32 Prozent .
In Bayern sind die meisten Schulen aber auch saniert . Ich
habe in der Zeit als Bürgermeister meine Schule saniert .
Wir haben in unsere Zukunft investiert, nämlich in unse-
re Kinder .


(Zuruf des Abg . René Röspel [SPD])


Das müssten viele eben viel früher tun, statt zu jammern
und ständig mit dem Finger auf den Bund zu zeigen, lie-
ber Herr Kollege .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben einen funktionierenden Föderalismus in
unserem Staat . Es ist richtig und gut, dass man, wenn es
einem gut geht, ein Stück abgibt . Lassen Sie uns feststel-
len: Von den guten Steuereinnahmen, die wir in unserem
Land haben, profitiert der Bund, profitieren die Länder
und profitieren auch die Kommunen. Warum haben wir
diese guten Steuereinnahmen? Weil eine gute solide Fi-
nanzpolitik gemacht wird, eine gute solide Haushaltspo-
litik, eine gute solide Wirtschaftspolitik . Das haben wir
einer Großen Koalition zu verdanken, die dies hervorra-
gend macht .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die
Freunde und Kollegen der Linken dies ein Stück weit an-
ders sehen, dann wollen wir uns hier im weihnachtlichen
Frieden nicht aufregen . Ich freue mich auf alle Fälle, dass
der Kommunalinvestitionsförderungsfonds um 3,5 Milli-
arden Euro aufgestockt wird . Wir haben jetzt einige Wo-
chen Zeit, uns in Ruhe Gedanken zu machen, wie das
Geld gerecht verteilt wird . Oft müssen Nachtragshaus-
halte gemacht werden, weil eine Notsituation entstanden
ist . Hier ist es keine Notsituation; wir sind vielmehr in
einer Luxussituation . Wir haben einen Haushalt, bei dem
wir uns diese zusätzlichen 3,5 Milliarden Euro leisten
können, ohne neue Schulden zu machen und ohne Steu-
ererhöhungen anzugehen . Das ist unglaublich wichtig .
Ich werde nicht müde, ständig zu sagen: Wir schaffen das
ohne neue Schulden und ohne Steuererhöhungen, meine
sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


In diesem Sinne freue ich mich, dass wir heute eine
Unterstützung der Kommunen angehen . Ich bin mir si-
cher, dass wir in den nächsten Tagen und Wochen ein
gutes Gesetz auf den Weg bringen werden . Ich wünsche
Ihnen frohe Weihnachten und alles Gute im neuen Jahr .

Dr. Ernst Dieter Rossmann

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620952


(A) (C)



(B) (D)


Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820923800

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfes auf der Drucksache 18/10500 an den Haushalts-
ausschuss vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Über-
weisung so beschlossen .

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 14:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert,
Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Längere Lebensdauer für technische Geräte

Drucksachen 18/9179, 18/10666

Die Aussprache soll 25 Minuten dauern . – Einwände
sind nicht erkennbar .

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Michael Thews für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Michael Thews (SPD):
Rede ID: ID1820923900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Weihnachten lässt grüßen bei diesem Antrag
der Linken . Zum einen geht es um die Lebensdauer von
technischen Geräten und damit um die Lebensdauer von
vielen Weihnachtsgeschenken, die nächste Woche unter
dem Weihnachtsbaum liegen werden . Zum anderen wirkt
der Antrag ein bisschen wie ein Wunschzettel mit guten,
aber auch nicht so guten Wünschen .

Ich unterstütze durchaus die Forderungen in dem An-
trag, die zu einer verbesserten Information der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher, mehr Transparenz und damit
zu einer aufgeklärten Verbraucherentscheidung führen .
Ich halte aber die Ansätze, die eher zu einer Bevormun-
dung führen, für problematisch .

Zunächst die aus unserer Sicht vernünftigen Ansätze
aus dem Antrag der Linken: Insbesondere die Einführung
von Verbraucherinformationen zu Ersatzteilen und zur
Verfügbarkeit von Ersatzteilen halten wir für einen sehr
sinnvollen Schritt . Hier gibt es auch bereits Ankündigun-
gen auf EU-Ebene, dies im Rahmen eines Aktionsplans
für die Kreislaufwirtschaft zu prüfen . Fehlende Ersatz-
teile sind ein Problem gerade auch für die Betriebe, die
Reparaturen durchführen . Dabei gibt es einen momentan
sehr aktuellen Ansatz gegen unsere Wegwerfgesellschaft,
der sich bedauerlicherweise aber nicht im Antrag der
Linken findet: die Einführung eines reduzierten Mehr-
wertsteuersatzes für Reparaturleistungen – eine Idee, die
in Schweden jetzt umgesetzt werden soll .

Wahrscheinlich stand jeder von uns schon einmal
vor der Entscheidung, seine defekte Waschmaschine,
den DVD-Player oder andere Geräte reparieren zu las-
sen . Stattdessen aber hat man ein neues Gerät gekauft,
weil dies unwesentlich teurer oder vielleicht sogar preis-
werter war . Wenn wir dieses durchaus nachvollziehbare
Verbraucherverhalten ändern wollen, dann müssen wir
Reparaturdienstleistungen preiswerter machen . Das führt
zwar in diesem Fall zu verminderten Steuereinnahmen,
fördert aber gleichzeitig die Handwerks- und Reparatur-
betriebe vor Ort . Ich halte eine solche Maßnahme auch
in Deutschland für national umsetzbar und für sinnvoll .

Für nicht umsetzbar halte ich dagegen die Forderung
der Linken, „mit technischem Sachverstand nicht be-
gründbare Schwachstellen oder künstlich hervorgerufe-
ne – geplante – Funktionseinbußen“, also die geplante
Obsoleszenz, gesetzlich zu verbieten . Das klingt so ein
bisschen nach „Wünsch dir was“ .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nein! Sachverstand!)


Wie genau definiert sich denn überhaupt der technische
Sachverstand, wer hat ihn, und wer überprüft das Ganze?
Wann ist eine Schwachstelle überhaupt begründbar? Ist
der Einsatz von preiswertem Material zur Kosteneinspa-
rung schon eine nicht begründbare Schwachstelle? Wir
müssen uns vor Augen halten, dass das Umweltbundes-
amt in seiner Studie zur Obsoleszenz keine künstlich her-
vorgerufenen, geplanten Funktionseinbußen, also vom
Hersteller geplante Obsoleszenz, nachweisen konnte .

Ich halte es ebenso für problematisch, gesetzliche Re-
gelungen einzufordern, mit denen Mindestanforderungen
an die Produzenten für die Schaffung einer längstmögli-
chen Haltbarkeit von Produkten gestellt werden . Die Ver-
pflichtung zur Herstellung von langlebigen technischen
Produkten würde in vielen Fällen dazu führen, dass die
Produkte teurer werden . Diesen Effekt vermute ich auch
bei der Einführung einer verpflichtenden Mindestnut-
zungszeit . Die Anforderungen, die Verbraucherinnen und
Verbraucher an Geräte stellen, sind höchst unterschied-
lich: Für den einen muss es der Profi-Akkuschrauber für
200 Euro sein; dem anderen reicht vielleicht ein einfa-
cher für 40 Euro, weil er ihn eben auch nur zweimal im
Jahr benutzt . Letztendlich wollen Sie dem Verbraucher
die Option nehmen, sich bewusst für ein preiswertes Ge-
rät zu entscheiden .

Ärgerlich ist natürlich, wenn man ein teures, ver-
meintlich hochwertiges Produkt kauft und es gerade
mal die Garantiezeit überlebt . Für dieses Problem gibt
es aber eine verbraucherfreundliche Lösung: Wir soll-
ten eine Informationspflicht der Hersteller fordern, also
sie verpflichten, eine Angabe zur Lebensdauer ihrer
Geräte zu machen . Diese Informationen – davon bin
ich überzeugt – liegen dem Hersteller vor; sie prüfen ja
ihre Geräte . Eine solche Reglung ist durchaus national
durchsetzbar . Auch das gehört – unter dem Begriff der
Herstellergarantieaussagepflicht – zu den Kernempfeh-
lungen des Papiers „Strategien gegen Obsoleszenz“ des
Umweltbundesamtes . Der Hersteller darf dabei auch den
Zeitraum null angeben; aber der Käufer wird daraus sei-
ne Konsequenzen ziehen . Dieses Instrument wäre auch

Alois Rainer

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20953


(A) (C)



(B) (D)


insofern eine Verbesserung, als es – anders als das gelten-
de Gewährleistungsrecht – dem Verbraucher bei Nicht-
einhaltung der garantierten Lebensdauer einen direkten
Anspruch gegen den Hersteller gibt und nicht nur gegen
den Händler .

Auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher
geht dagegen die Forderung der Linken nach Einführung
einer Ressourcenverbrauchsabgabe für Primärrohstof-
fe . Sie soll vom Inverkehrbringer des Produktes gezahlt
werden, um die Inanspruchnahme neuer Ressourcen
deutlich zu verteuern . Wir wissen aber alle, wer sie am
Ende zahlt: die Verbraucherinnen und Verbraucher . Was
uns der Antrag außerdem nicht verrät: Wie soll sie be-
rechnet werden, und wer soll sie berechnen? Wie hoch
muss sie denn eigentlich sein, um eine Lenkungswirkung
zu entfalten? Muss man sich dann nicht auch an den Roh-
stoffpreisen orientieren? Was ist bei Preisschwankun-
gen? Hier gibt es viele Unwägbarkeiten, die aus meiner
Sicht eher zu Missbrauch und Wettbewerbsverzerrungen
führen können, die am Ende auf den Schultern von uns
allen lasten .

Einige der Forderungen des Antrags sind schon des-
halb an den falschen Adressaten gerichtet, weil sie nicht
oder nicht allein auf nationaler Ebene, sondern nur auf
europäischer Ebene geregelt werden können . Ein Ansatz-
punkt ist hier die EU-Ökodesign-Richtlinie . Deshalb ha-
ben wir in unserem Antrag zu ProgRess II darauf gedrun-
gen, dass bei der Anwendung der Ökodesign-Richtlinie
künftig auch der Ressourcenverbrauch stärker berück-
sichtigt wird . Auch der Anwendungsbereich der Ökode-
sign-Richtlinie lässt sich deutlich erweitern . Das wäre
aus meiner Sicht der richtige Weg .

Alles in allem ist der Antrag gut gemeint, aus den
vielfältigen bereits genannten Gründen aber nicht zu-
stimmungsfähig . Ich würde mich freuen, wenn es uns
gelingt, einen Antrag auf den Weg zu bringen, der darauf
abzielt, unsere Ressourcen zu schonen und gleichzeitig
die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher zu
stärken . Elemente wie eine bessere Reparierbarkeit oder
die Förderung einer modularen Bauweise von elektroni-
schen Geräten – dann tausche ich die Handykamera aus
und nicht gleich das ganze Handy – könnten hier enthal-
ten sein .

Nehmen wir die Ressourcenschonung wirklich ernst,
zählt hierzu unbedingt, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher über die Lebensdauer von Geräten aufge-
klärt werden . So entscheiden sie entsprechend ihrem ei-
genen Verbraucherverhalten bewusst und können gleich-
zeitig einen Beitrag zum Umweltschutz leisten .

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820924000

Ralph Lenkert hat nun für die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820924100

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Mein Sohn bekommt zu Weihnachten ein
neues Headset; das Mikro des alten gab zwei Monate
nach Ablauf der Garantie auf . Waschmaschinen, Kaf-
feeautomaten, Tablets und Computer gehen zu oft kurz
nach Ablauf der Gewährleistungspflicht kaputt. Dann
sind wir Kunden auf die Kulanz der Händler angewiesen,
müssen teure Reparaturen ertragen oder kaufen entnervt
neu . Manchmal stellt der Softwarelieferant einfach den
Support ein und zwingt Kunden zum Neukauf, oder er
entwickelt neue Software so, dass sie auf zwei Jahre alter
Hardware nicht funktioniert . Verschleißteile wie Akkus
oder Autolampen können nicht oder nur teuer vom Fach-
mann gewechselt werden . Dann kommt auch noch die
Bundesregierung und verändert die Frequenzbereiche für
das frei empfangbare Fernsehen . Damit wird die bisheri-
ge Technik mit einem Schlag entwertet . Entweder kaufen
Sie sich einen neuen Receiver oder neue Geräte, oder
Ihr Bildschirm bleibt ab dem 29 . März 2017 schwarz .
Mit jedem Neukauf klingelt die Kasse bei Handel und
Industrie . Deshalb halten Produkte nur eine bestimmte
Zeit, werden technische Veränderungen gnadenlos in den
Markt gedrückt . Verlierer sind wir Kunden und die Um-
welt, und das muss sich ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, sechs Jahre lang
war ich Entwickler und Qualitätsmanager in der Auto-
mobilzulieferindustrie, weitere sieben Jahre plante ich
Fertigungsanlagen für Objektive für Beamer . Eines war
immer gleich: Die Kunden, die Händler fordern niedrigs-
te Preise . Ihnen ist es scheinbar egal, ob Löhne sinken
müssen oder Rohstoffpreise steigen . Der Zulieferer ist
so gezwungen, Kosten zu senken . Er setzt billigeres und
weniger Material ein, klebt Gehäuse fest, statt Deckel
und Dichtung zu verschrauben . Da wird getestet, wie viel
Lötzinn man einsparen kann, sodass die Lötstelle die Ga-
rantiezeit gerade noch übersteht . Dazu kommen geplan-
te Störstellen in Geräten, Obsoleszenz genannt . Manche
Störstelle ist sinnvoll, zum Beispiel eine Sollbruchstelle
bei Achsfedern, damit im Falle eines Federbruchs nicht
der Reifen aufgeschlitzt wird . Andere Störstellen haben
nur einen Zweck: Der Kunde soll endlich neu kaufen .

Uns allen ist es egal, ob der Ausfall kurz nach der Ga-
rantie durch einen eingebauten Fehler oder durch über-
triebene Kostenreduktion verursacht wird . Deswegen,
Herr Kollege Thews, ist es Zeitverschwendung, zu versu-
chen, Firmen bewusste Fehler nachzuweisen . Die Linke
fordert deshalb, eine längere Lebensdauer für technische
Geräte gesetzlich festzulegen . Wir drehen den Spieß um:
Statt auf das Wohlwollen der Hersteller und Händler, auf
freiwillige Garantien und auf Kulanz zu setzen, fordern
wir, dass jedes technische Gerät eine verbindliche, ein-
klagbare Mindestnutzungsdauer haben muss:


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


für Waschmaschinen und Kühlgeräte mindestens fünf
Jahre, für IT-Geräte, Mobiltelefone und Unterhaltungs-
elektronik mindestens drei Jahre . Kühlt der Kühlschrank
nach vier Jahren nicht mehr, dann wird er kostenfrei re-

Michael Thews

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620954


(A) (C)



(B) (D)


pariert, oder es gibt das Geld zurück . Wir fordern, dass
insbesondere IT-Technik und Elektronikgeräte reparier-
bar und upgradebar sein müssen . Wir fordern, dass bei
der Produktion schon an späteres Recycling gedacht
wird .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


All diese Forderungen helfen übrigens auch Qualitäts-
herstellern im Wettbewerb gegen Billiganbieter . Unsere
Vorschläge für die Zeit nach der Wahl, wenn wir die Re-
gierung übernehmen, enthalten auch einen Mehrwert-
steuersatz von 7 Prozent für personalintensive Dienst-
leistungen . Das heißt, Ihre Idee, dass Reparaturen einem
niedrigeren Mehrwertsteuersatz unterliegen sollten, hat-
ten wir schon vor Jahren .

Ersparen wir den Bürgerinnen und Bürgern unnötige
Ersatzkäufe . Schützen wir mit gesetzlich festgelegten
längeren Nutzungszeiten und geringen Rohstoffverbräu-
chen unsere Umwelt . Stimmen Sie diesem Antrag der
Linksfraktion zu . Das wäre doch ein echtes Weihnachts-
geschenk für alle Bürgerinnen und Bürger, für unsere Ju-
gendlichen, für unsere Kinder und für die Umwelt .

Frohe Weihnachten .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820924200

Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Gebhart für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Thomas Gebhart (CDU):
Rede ID: ID1820924300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wir debattieren heute Abend einen Antrag der Lin-
ken mit dem Titel „Längere Lebensdauer für technische
Geräte“ . Ich gebe gerne zu: Der Titel klingt zunächst ein-
mal gut . Aber wenn wir uns mit dem Inhalt dieses Antra-
ges beschäftigen, dann muss ich Ihnen sagen: Der Inhalt
lässt zu wünschen übrig . Unser Ziel ist doch – ich glaube,
insofern besteht über die Parteigrenzen hinweg zunächst
einmal durchaus Einigkeit –, die Stoffkreisläufe zu
schließen. Wir wollen die Ressourceneffizienz steigern.
Wir wollen, dass Abfälle möglichst vermieden werden .
Wenn Abfälle entstehen, dann sollen sie wiederverwertet
werden . Sie sollen zu neuen Rohstoffen werden . Darin
sind wir durchaus einer Meinung .

Dazu gehört auch, dass zum Beispiel technische Gerä-
te, und zwar immer dann, wenn es Sinn macht, eine lan-
ge Lebensdauer haben sollen . Das bedeutet auch, Geräte
müssen repariert werden können, wenn sie kaputt sind,
Ersatzteile müssen verfügbar sein, wenn sie gebraucht
werden . Gerade im Elektronikbereich sollte die Verfüg-
barkeit von Ersatzteilen verbessert werden . Das ist keine
Frage .

Genauso klar ist aber, dass dies im Rahmen der eu-
ropäischen Gesetzgebung geregelt werden muss . Auf
diese Ebene gehört dieses Thema . In dem Antrag wird
gefordert, fest verbaute Akkus und Batterien zu verbie-

ten . Ich erinnere: Wir hatten hier im letzten Jahr eine
Debatte über das Elektrogesetz . Wir haben über genau
diesen Punkt diskutiert . Es gibt ja im Elektrogesetz eine
entsprechende Sollvorschrift . Aber ein darüber hinausge-
hendes Verbot können wir national nicht regeln . Ein nati-
onaler Alleingang wäre binnenmarktrechtlich überhaupt
nicht möglich . Es wäre ein unzulässiges Handelshemm-
nis . Deswegen geht Ihre Forderung, meine Damen und
Herren der Linken, an dieser Stelle völlig ins Leere .


(Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: Dann muss man ein Freihandelsabkommen abschließen! Das ist ja fürchterlich!)


Wir müssen noch etwas bedenken . Es macht nicht
immer Sinn, jedes Gerät möglichst lange zu nutzen .
Stattdessen kann es durchaus sinnvoll sein, dass ein be-
stimmtes Gerät durch ein neues ersetzt wird, wenn zum
Beispiel durch das neue Gerät während der Lebensphase
Energie eingespart wird oder wenn das neue Gerät einen
zusätzlichen Nutzen für den Verbraucher bringt, wenn es
zusätzliche Funktionen hat . Also warum sollte dann ein
altes Gerät nicht durch ein neues ersetzt werden?

An dieser Stelle gibt es übrigens im Antrag der Linken
einen Widerspruch . Auf diesen möchte ich hinweisen .
Zunächst einmal wollen Sie die längst mögliche Haltbar-
keit von Geräten vorschreiben, und dann wollen Sie den
Kauf von neuen, energieeffizienten Geräten für bestimm-
te Personengruppen fördern . Konsequent ist dies nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wo ist da der Widerspruch?)


Die Linke setzt vor allem auf Staatswirtschaft . Sie for-
dern in Ihrem Antrag erneut Ihre Ressourcenverbrauchs-
abgabe für Primärrohstoffe, wie Sie es nennen .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Sehr gut, ja!)


Wie Sie diese Abgabe ausgestalten wollen, dazu schwei-
gen Sie komplett .

Meine Damen und Herren, diese Abgabe, die Sie ein-
führen wollen, wirft mehr Fragen auf, als Sie Antwor-
ten dazu geben können, was die Ausgestaltung und die
Umsetzung angeht . Wenn man die Sache zu Ende denkt,
so muss ich sagen, ist wirklich zu befürchten, dass eine
solche Abgabe vor allem eines befördern würde, nämlich
ein unheimliches Maß an Bürokratie .

Sie wollen eine Rekommunalisierung der Kreislauf-
wirtschaft; auch darüber haben wir oft debattiert .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Unbedingt!)


Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Eine Rekom-
munalisierung der Kreislaufwirtschaft hilft weder der
Umwelt noch nützt sie dem Verbraucher .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Unbedingt!)


Vor allem schaffen Sie damit eben nicht die notwendige
Innovation in unserem Land, die wir in diesen Bereichen
dringend brauchen .

Die Linke fordert in ihrem Antrag, dass Haushalte mit
geringem Einkommen beim Kauf von Elektrogeräten
subventioniert werden sollen . Wie wollen Sie das um-

Ralph Lenkert

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20955


(A) (C)



(B) (D)


setzen? Auch dazu lese ich in Ihrem Antrag nichts . Ich
bin sehr für Sozialpolitik, aber nicht mit solch undurch-
dachten Mitteln, die nur zu neuen Ungerechtigkeiten und
Verzerrungen führen .

Deswegen, wenn man alles zusammennimmt: Es gibt
sehr gute Gründe, diesen heute vorliegenden Antrag
abzulehnen . Konzentrieren wir uns besser darauf, die
Kreislaufwirtschaft und die Ressourceneffizienz in unse-
rem Land sinnvoll voranzubringen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Michael Thews [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820924400


Für Bündnis 90/Die Grünen hat Peter Meiwald jetzt
das Wort .


Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820924500


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als ich die Ausführungen eben zum Schluss
gehört habe, fiel mir folgende Interpretation ein: Konzen-
trieren wir uns lieber darauf, nichts zu machen . Das ist
ja die Konsequenz dessen, was Sie gerade gesagt haben,
weil bei der korrekten Problembeschreibung die Initiati-
ven vonseiten der Koalition einfach fehlen . Deswegen ist
sehr zu begrüßen, dass diesmal die Linken einen entspre-
chenden Antrag eingebracht haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: So ist es! Wir müssen immer alles anschieben! Von denen kommt nichts!)


Kürzlich habe ich das Repair Café im Berliner Brun-
nenviertel besucht . Dort treffen sich Menschen, die ih-
ren alten Staubsauger oder CD-Player eben nicht einfach
wegwerfen wollen, nur weil er nicht mehr funktioniert .
Im Repair Café bekommen Menschen Hilfe dabei, ihre
Geräte wieder flottzumachen. Das ist eine sehr sinnvolle
Initiative; es ist toll, dass es mittlerweile in Deutschland
so viele dieser Repair Cafés gibt . Es zeigt, dass da ein
großer Bedarf besteht .


(Beifall des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Menschen wollen nicht mehr, dass ihre Geräte einfach ex
und hopp weggeschmissen werden, nur weil beim kleins-
ten Defekt etwas nicht mehr reparierbar ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das heißt, wir haben da eine tolle Entwicklung, die wir
fördern müssen .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die werden in aller Regel nicht von CDU-Mitgliedern betrieben!)


Leider machen es die Hersteller den Bastlern aber
häufig schwer, ebenso den Handwerksbetrieben, die es
noch gibt .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das stimmt ja wohl nicht!)


Man kann sich darüber streiten, ob sie es bewusst oder
fahrlässig tun . Auf jeden Fall tun sie es unnötigerweise .
Es ist einfach nicht nötig, dass Geräte reparaturunfreund-
lich konstruiert werden, verklebt werden, verschweißt
werden, vernietet werden, sodass man sie möglichst nicht
reparieren kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Selbst die Profibastler vom Reparaturportal iFixit waren
kürzlich offenbar nicht in der Lage, ein MacBook Pro
von Apple auseinanderzunehmen und wieder zusam-
menzusetzen . Es ist schon erschreckend, dass da so viele
Teile verklebt und nicht austauschbar sind . Das ist nicht
mehr zeitgemäß .

Wir reden über Ressourcenschonung, wir reden über
eine neue Gesellschaft und ökologisch-sozialen Umbau .
Dennoch werden wir in einen immer stärkeren Sog ei-
ner Gesellschaft gebracht, die immer mehr Ressourcen
verbraucht . Die Hersteller sollten stattdessen – das ist ei-
gentlich von allen gesagt worden – ihre Geräte so gestal-
ten, dass sie möglichst lange halten und reparaturfähig
sind .

Die Bundesregierung hat bereits im letzten Jahr, wie
gerade angesprochen wurde, zu Recht bei der Überar-
beitung des ElektroG unsere Gesetzesanträge und Ände-
rungsanträge und auch diejenigen der Linken abgelehnt,
die dafür sorgen sollten, dass Geräte reparierbar sein
müssen .


(Zuruf der LINKEN: Richtig!)


Sie hacken immer wieder darauf herum, dass das
nur auf europäischer Ebene zu regeln ist . Es steht aber
durchaus im Antrag der Linken, dass man die Ökode-
sign-Richtlinie anpacken muss . Es gibt also gar keinen
Grund, das als Ausschlusskriterium zu nehmen, um die-
sem Antrag nicht zuzustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dass wir da großen Nachholbedarf haben, bestätigt
auch die Studie des Umweltbundesamtes vom letzten
Jahr, auch wenn dies immer wieder ebenso für die ande-
re Seite herangezogen wird, dass man nicht nachweisen
kann, dass das absichtlich kaputtgemacht wird .


(Michael Thews [SPD]: Nicht in jedem Fall!)


Aber dass die Lebensdauer der Geräte immer kürzer wird,
ist unumstritten . Das bestätigen alle Experten, ebenso,
dass die Menschen damit unzufrieden sind . Also ist der
jetzt vorliegende Antrag der Linken auch ein Jahr nach
der Novelle des Elektrogesetzes aktuell und notwendig .


(Michael Thews [SPD]: Die Studie mal lesen!)


Dr. Thomas Gebhart

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620956


(A) (C)



(B) (D)


Deswegen stimmen wir ihm auch zu .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Viele Forderungen haben wir zwar schon im Jah-
re 2013 in unserem Antrag zum geplanten Verschleiß
aufgestellt . Aber wir müssen den Trend zu einer immer
kürzeren Dauer der Nutzung von Elektrogeräten endlich
umkehren . Da passiert einfach nichts . Die Regierung kri-
tisiert Anträge, die andere Fraktionen einbringen; aber
selber tut sie nichts . Der Verweis auf das notwendige
Engagement in Europa ist ja richtig; aber er ist nicht hin-
reichend . Wir müssen viel mehr tun . Dazu gehören die
Aspekte der Reparierbarkeit sowie der Sicherstellung der
Verfügbarkeit von Ersatzteilen, Software-Updates und
ähnlichen Dingen .

Schweden – es ist gerade schon kurz angeklungen –
hat sich jetzt auf den Weg gemacht . Man hat angekün-
digt, die Mehrwertsteuer bei der Reparatur von Fahrrä-
dern, Schuhen und Kleidung um die Hälfte zu senken .
Wer einen Handwerker ins Haus kommen lässt, um sei-
ne Waschmaschine oder seinen Kühlschrank reparieren
zu lassen, zahlt für die Arbeitsstunden künftig weniger .
Das ist genau der richtige Weg . Wir leben in einer Ge-
sellschaft, in der wir den Ressourcenverbrauch immer
billiger und den Faktor Arbeit immer teurer machen . Das
müssen wir endlich umkehren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die schwedische Regierung tut etwas für die Ressour-
censchonung und für den Arbeitsmarkt. Ich finde, das ist
eine gute Idee . Darüber sollten wir nachdenken und nicht
einfach sagen: Das geht alles nicht .

Was uns im Antrag der Linken etwas zu kurz kommt,
ist die Verantwortung der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher . Dieses Thema ist in der Tat eine gute Möglichkeit,
auch über das Mindesthaltbarkeitsdatum zu reden und
die Verbraucher durch mehr Transparenz überhaupt in
die Lage zu versetzen, eine bewusste Entscheidung zu
treffen: Kaufe ich das Billigprodukt, oder kaufe ich ein
Produkt, das etwas länger hält? Das lässt sich heutzutage
am Preis nicht ablesen; denn es gibt auch teure Produkte,
die schnell kaputtgehen . Das ist ein Punkt, den man noch
ergänzen kann .

Umweltministerin Hendricks sieht das offensichtlich
genauso . Wenn man das Integrierte Umweltprogramm
liest, stellt man fest: All das findet sich darin wieder. Nur:
Leider muss man davon ausgehen, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Regierungskoalition, dass es ein weiteres
Ankündigungsprogramm bleibt, –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820924600

Herr Kollege .


Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820924700

– wenn man all die konkreten Schritte, die nötig sind,

um dieses Programm umzusetzen, in diesem Haus ab-
lehnt . Ich hoffe, dass wir auch dazu demnächst eine Ini-
tiative von Ihnen sehen werden .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820924800

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Josef Göppel für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1820924900

Herr Präsident Lammert! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Ich bin den Linken eigentlich dankbar, dass sie
dieses Thema mit ihrem Antrag auf die Tagesordnung
gebracht haben . Es ist ja auch das gute Recht der Oppo-
sition, auf Schwachpunkte hinzuweisen . Das Thema, um
das es heute geht, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein
Schwachpunkt .

Ein Beispiel: An der Stelle, an der ein Kabel aus ei-
nem Kopfhörer kommt, ist ein Stück von 0,5 Zentime-
tern nicht mit der Plastikwand umgeben . Dieses Stück
scheuert natürlich zuerst durch, und dann ist der ganze
Kopfhörer plötzlich nicht mehr brauchbar . Für mich als
einen konservativen Menschen ist die Langlebigkeit von
Produkten praktisch seit der Kinderzeit ein Gebot . Bei
uns auf dem Land ging man sparsam mit den Dingen um .
Das begann bei den geflickten Hosen und hat sich über
Geräte aller Art fortgesetzt .

Wir haben uns in den Wohlstandsjahrzehnten von die-
sen Dingen entfernt . Deswegen möchte ich Ihnen, Herr
Kollege Meiwald, sagen: Sie müssen nicht so traurig
sein . Auch die Konservativen sehen in der Langlebig-
keit von Produkten ein wichtiges Ziel, vor allem deshalb,
weil das Handwerk ja auch eine politische Klientel der
Konservativen ist .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt kaum noch Handwerker in der CSU!)


Ich bin überhaupt der Meinung, dass die Leute, die
Repair Cafés betreiben, die Vorreiter der künftigen Wirt-
schaftsweise sind .


(Beifall der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Die Ergebnisse, die das Umweltbundesamt in seiner Stu-
die „Einfluss der Nutzungsdauer von Produkten auf ihre
Umweltwirkung“ herausgefunden hat, sagen klar aus,
dass der Rohstoffaufwand, den man für ein neues Pro-
dukt braucht, die Energieeinsparung, die man mit dem
neuen Gerät erzielt, in vielen Fällen aufwiegt .


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meistens!)


Es gibt ja auch die Liebhaber alter Autos, die sagen: Ich
fahre meine alte Kiste lieber 15 Jahre lang; letztlich bin
ich der bessere Umweltschützer .


(Beifall bei der LINKEN und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Peter Meiwald

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20957


(A) (C)



(B) (D)


Es ist wohl so, wie mein Kollege Dr . Gebhart aus-
führt: Man muss eine Abwägung treffen: Was ist tatsäch-
lich sinnvoll, und wo wird politisch eingegriffen werden
müssen? Und dazu möchte ich noch einmal kommen .

Auch wenn in dem Elektronikgesetz national nur eine
Sollvorschrift möglich ist: Verklebte Akkus, die man
nicht austauschen kann, sind nicht im Sinne der Kreis-
laufwirtschaft .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das sind Produkte, die nicht in unsere moderne Wirt-
schaft passen . Die Reparaturfähigkeit muss ein Kennzei-
chen der neuen Wirtschaft werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein Zweites . Ich bin nach Rücksprache mit einigen,
die in dieser Branche tätig sind, auch der Meinung, dass
eine feste Aussage eines Herstellers, wie lange sein Pro-
dukt brauchbar sein wird, sehr viel bringen würde . Das
ist dann ein Mittel im Wettbewerb . Wer auf seinem Pro-
dukt eine gewisse garantierte Lebensdauer angibt, setzt
sich positiv ab von Mitbewerbern, die das nicht machen .
Deswegen passt das auch sehr wohl in unser System .

Ich denke, wenn wir auf dieser Basis an dem Antrag
weiterarbeiten und das Thema noch einmal aufgreifen,
dann werden wir das erreichen, was wir letztlich wollen,
nämlich dass Deutschland, führend in vielen Bereichen
der Wirtschaft auf der Welt, in den Augen der Menschen
auch in der Verlässlichkeit führend ist . Denn nichts ärgert
Leute mehr, als wenn aufgrund einer winzigen Kleinig-
keit an einem Produkt etwas weggeworfen werden muss,
was offensichtlich im Übrigen noch funktionieren würde .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820925000

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Längere Lebensdauer für technische Geräte“ . Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der
Drucksache 18/10666, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf der Drucksache 18/9179 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition angenommen .

Der Tagesordnungspunkt 15 ist abgesetzt worden .

Wir kommen jetzt zu den Zusatzpunkten 4 a und 4 b:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zum Schutz vor Manipulationen an digita-
len Grundaufzeichnungen

Drucksachen 18/9535, 18/9957, 18/10102
Nr. 18

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/10667

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas
Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Betrug mit manipulierten Registrierkas-
sen gesetzlich verhindern – Zeitgleich Ab-
schreibungsregeln für geringwertige Wirt-
schaftsgüter verbessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Thomas
Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Umsatzsteuerbetrug bekämpfen

Drucksachen 18/7879, 18/1968, 18/10667

Auch das soll in 25 Minuten behandelt werden . – Das
Einvernehmen stelle ich hiermit fest .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Uwe Feiler für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Feiler (CDU):
Rede ID: ID1820925100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Dass der Entwurf eines Gesetzes zum Schutz
vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen
zunächst relativ abstrakt erscheint, kann ich in Anbe-
tracht dieses durchaus sperrigen Titels grundsätzlich
nachvollziehen . Doch der erste Eindruck täuscht . Jeder
von uns kommt mehrfach mit diesen Grundaufzeichnun-
gen in Berührung . Egal ob sich morgens beim Bäcker ein
Brötchen oder ein Kaffee gekauft wird oder ob abends
ein Bier in der Kneipe bestellt wird: Abgerechnet wird
meist mithilfe elektronischer Kassensysteme .

Nachdem mich dieses Thema seit über eineinhalb Jah-
ren intensiv beschäftigt, ertappe ich mich mittlerweile
selbst dabei, mir im Restaurant, am Kiosk oder im Su-
permarkt genau anzusehen, welches Kassensystem ver-
wendet wird und wie die Abläufe in diesem Geschäft
funktionieren .

Die große Mehrzahl der Unternehmer und Unterneh-
merinnen kommt ihren Verpflichtungen anstandslos nach
und rechnet gegenüber den Finanzbehörden auch ord-
nungsgemäß ab . Leider gibt es aber auch, wie überall im
Leben, schwarze Schafe, die meinen, den einen oder an-
deren Euro am Fiskus vorbei vereinnahmen zu können .
Dass es Betrugsfälle gibt, ist unumstritten und zeigt auch
den Handlungsbedarf auf . Die Kunst bei diesem Gesetz
war es, ein Verfahren zu entwickeln, das deutlich macht,
was für Anforderungen wir sowohl an die Hersteller von
elektronischen Kassensystemen als auch an die Unter-

Josef Göppel

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620958


(A) (C)



(B) (D)


nehmer stellen, die derartige Geräte zukünftig einsetzen .
Gleichzeitig sollten aber auch weiter Verkäufe in Hoflä-
den, bei Dorffesten oder in Vereinsgaststätten möglich
sein, ohne dass jeder Wurstverkäufer eine Registrierkas-
se mit sich herumtragen muss .

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist uns meines
Erachtens ein guter Kompromiss gelungen, der Betrug
wirksam unterbindet, Unternehmen Investitionssicher-
heit bietet und Lösungen von großen Handelsketten bis
zu Kleinstunternehmen erlaubt . Mein Dank geht deshalb
nicht nur an den Koalitionspartner für die Einigungsbe-
reitschaft, sondern auch an das Bundesfinanzministeri-
um, das uns geduldig zahlreiche Nachfragen beantwor-
tet und mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat . Einige
Punkte möchte ich besonders hervorheben:

Erstens . Ab dem 1 . Januar 2020 besteht für all die-
jenigen, die über ein elektronisches Kassensystem ver-
fügen, die Verpflichtung, ein Kassensicherungssystem
zu verwenden, das Manipulationen ausschließt . Durch
die manipulationssichere Aufzeichnung jedes einzelnen
Geschäftsvorfalls kann die Finanzverwaltung künftig lü-
ckenlos nachvollziehen, welche Eingaben in die Kasse
erfolgten .

Für diejenigen, die erst in jüngerer Vergangenheit ein
Kassensystem angeschafft haben, sehen wir eine Über-
gangsfrist bis zum 1 . Januar 2023 vor . Damit schützen
wir getätigte Investitionen innerhalb des normalen Ab-
schreibungszeitraumes, setzen aber auch klare Fristen
für die notwendigen Umstellungen, auf die sich alle jetzt
sechs Jahre lang vorbereiten können .

Zweitens . Dafür ziehen wir gegenüber dem Regie-
rungsentwurf die Kassennachschau vom 1 . Januar 2020
auf den 1 . Januar 2018 vor . Die Finanzverwaltungen der
Länder haben somit die Möglichkeit, das Kassensystem
vor Ort in Augenschein zu nehmen, Testeinkäufe zu tä-
tigen und die ordnungsgemäße Aufzeichnung der Ge-
schäftsvorfälle zu kontrollieren .

Drittens. Wir führen eine Meldepflicht für die einge-
setzten elektronischen Aufzeichnungssysteme beim zu-
ständigen Betriebsstättenfinanzamt ein. Damit erschwe-
ren wir die Benutzung von Zweit- und Nebenkassen .

Viertens . Wir schaffen aber auch praktikable Lösun-
gen für besondere Fälle . Beim Verkauf von Waren an
eine Vielzahl nicht bekannter Personen gegen Barzah-
lung entfällt die Einzelaufzeichnungspflicht. Die offene
Ladenkasse bleibt also möglich . So muss beim Schützen-
fest auch in Zukunft nicht jedes ausgegebene Bier oder
jede Bratwurst in der offenen Ladenkasse verzeichnet
bzw . erfasst werden . Das Gleiche gilt für die Kasse des
Vertrauens auf Feldern . Hier würde eine Aufzeichnungs-
pflicht eine unbillige Härte darstellen und den Verkauf
von Waren unnötig erschweren, wenn nicht sogar gänz-
lich verhindern .

Fünftens. Eine Kassenanschaffungspflicht besteht
auch in Zukunft nicht . Jedoch ist der Unternehmer bei
der Benutzung von elektronischen Kassen künftig ver-
pflichtet, einen Beleg auszugeben. Die Finanzbehörden
können jedoch nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß
§ 148 der Abgabenordnung den Unternehmer von der

Belegausgabepflicht befreien, wenn das unzumutbar er-
scheint . Der Bäcker von der Ecke muss also auch in Zu-
kunft nicht für jedes 20-Cent-Brötchen zwingend einen
Beleg ausgeben .

Meine Damen und Herren, wir schließen heute ein
Gesetzesverfahren ab, bei dem Genauigkeit vor Schnel-
ligkeit stand .

Alle gesetzlichen Regelungen und technischen Lö-
sungen helfen jedoch nicht, wenn keine hinreichende
Kontrolle erfolgt . Die Länder sind jetzt aufgefordert,
die wirksamen Instrumente Meldepflicht und insbeson-
dere Kassennachschau zu nutzen, damit sich das Entde-
ckungsrisiko bei Steuerbetrug deutlich erhöht .

Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf
und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820925200

Richard Pitterle ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820925300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Stellen
Sie sich vor, Sie gehen nach der Bundestagsdebatte in
eine Kneipe und trinken dort drei Bier . Es kann dann gut
sein, dass beim Finanzamt am Ende nur die Steuern für
ein oder zwei Biere ankommen .

Es ist ein offenes Geheimnis, dass insbesondere in
der Gastronomie bei der steuerlichen Abrechnung viel
Schindluder getrieben werden kann . Das geht ganz ein-
fach: Für elektronische Registrierkassen kann man die
Schummelsoftware, die die eingegebenen Umsätze nach
unten korrigiert, oft gleich mitbestellen, und wenn man
nur eine offene Ladenkasse hat und von Hand Buch führt,
dann ist dem Steuerbetrug ohnehin Tür und Tor geöffnet .

10 Milliarden Euro: Das ist die geschätzte Summe, um
die der Fiskus jedes Jahr durch Kassenmanipulationen
betrogen wird . Bereits 2003 hat der Bundesrechnungs-
hof darauf hingewiesen . Doch erst jetzt, 13 Jahre später,
kommt die Bundesregierung mit diesem schwachen Ge-
setzentwurf daher .


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Aber immerhin! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Gründlichkeit vor Schnelligkeit!)


Das war und ist schlicht Arbeitsverweigerung . Das lässt
Ihnen die Linke so nicht durchgehen .


(Beifall bei der LINKEN – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Sonst immer: Fristverzicht!)


Jetzt zum Inhalt des Gesetzes, das eigentlich der Be-
kämpfung des Steuerbetrugs durch Kassenmanipulation
dienen soll . Als wir hier vor knapp drei Monaten zum

Uwe Feiler

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20959


(A) (C)



(B) (D)


ersten Mal darüber debattiert haben, hieß es: „Ziel ver-
fehlt … klar und deutlich .“

Nun hat die Große Koalition in den letzten Wochen
noch ein wenig an dem Gesetz herumgedoktert, und wie-
der heißt es: „Die CDU hat alles darangesetzt, einzelne
Schlupflöcher offenzuhalten.“

Diesen beiden Einschätzungen stimme ich voll zu .
Leider stammen sie nicht von mir, sondern von den ge-
schätzten Kollegen der SPD, die sich leider nicht gegen
die Bremser aus der CDU/CSU durchsetzen konnten .


(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Kann ich mir gar nicht vorstellen!)


Meine Damen und Herren, die Große Koalition steht für
steuerpolitischen Stillstand . Das ist die traurige Wahrheit .


(Beifall bei der LINKEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Ach, komm! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Endlich wird mal hier die Wahrheit gesagt!)


Aber genug zu Ihrer gescheiterten Ehe .

Insbesondere zwei Punkte machen das Gesetz
schwach .

Erstens. Sie führen zwar eine Belegausgabepflicht für
die Registrierkassenbesitzer ein, sodass für fast jeden
Umsatz zwingend ein Beleg ausgegeben werden muss .


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Immerhin!)


Grundsätzlich sind Umsätze so schwieriger zu verschlei-
ern . Gleichzeitig führen Sie aber keine allgemeine Re-
gistrierkassenpflicht ein. Soll heißen: Wer weiter fröhlich
Steuern hinterziehen will, führt eben im wahrsten Sinne
des Wortes Buch und frisiert die Einnahmen per Bleistift .
Dem wäre durch eine Registrierkassenpflicht ein Riegel
vorgeschoben .

Für kleine Gewerbetreibende wie den Bratwurstver-
käufer oder für den gemeinnützigen Sportverein, für die
das einen enormen Aufwand bedeuten würde, könnte
man immer noch Ausnahmen machen, zum Beispiel in
Anlehnung an einen bestimmten maximalen Jahresum-
satz .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Richtig!)


Zweitens . Ein Schwerpunkt des Gesetzes soll ei-
gentlich sein, Kassensysteme auch gegen nachträgliche
Manipulation fälschungssicher zu machen . Die Große
Koalition will sich hier noch nicht auf ein bestimmtes
System festlegen und bezeichnet ihren Ansatz als „tech-
nologieoffen“ .


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Genau!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, „technologiefern“
würde eher zutreffen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem INSIKA-Projekt ist längst eine nutzbare
Technologie zur Verhinderung der Kassenmanipulation
vorhanden . INSIKA steht für „Integrierte Sicherheits-

lösung für messwertverarbeitende Kassensysteme“ . Es
wurde mit Steuermitteln entwickelt, ist seit mehreren
Jahren erprobt, lizenzfrei und quasi ab sofort verfügbar .
Dass Sie stattdessen bei der Entwicklung ganz von vorne
anfangen wollen, ist für die Linke nicht hinnehmbar .


(Beifall bei der LINKEN – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Wir wollen es noch besser machen! – Gegenruf der Abg . Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Oder lieber gar nicht!)


Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
Ihr Gesetz bleibt somit nur ein Tropfen auf den heißen
Stein . Die Linke fordert weit mehr im Kampf gegen
Steuerhinterziehung . Wir können Ihrem Gesetz daher
nicht zustimmen .


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das ist aber schade!)


Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820925400

Lothar Binding erhält nun das Wort für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Matthias Hauer [CDU/CSU])



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1820925500

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richard Pitterle, es
stimmt: Große Lösungen kann man manchmal auch mit
kleinen Schritten erreichen . Das machen wir heute .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Manfred Grund [CDU/CSU] – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Wie oft haben wir das diskutiert im Ausschuss!)


Die Hauptsache ist, dass man ankommt .

Ich wollte zunächst Andreas Schwarz danken, der uns
heute vor seiner Grippe bewahren will und deshalb zu
Hause geblieben ist . Er ist der Berichterstatter für diesen
Tagesordnungspunkt . Ich wollte ihm von hier aus alles
Gute wünschen . Gute Besserung! Wir hätten ihn heute
gebraucht, aber ich versuche, ihn zu ersetzen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Er hat mit starkem Gegenwind sehr gut verhandelt; das
muss man sagen, denn die CDU hat sich wirklich nicht
leichtgetan, das Gesetz, selbst so, wie es jetzt ist, mitzu-
tragen .

Ich möchte aber auch Uwe Feiler danken . Als Finanz-
beamter hat er fair bis zum Ende verhandelt . Auch für ihn
war es nicht immer leicht; das kann sich jeder vorstellen .
Das fängt schon mit dem Titel an – das hat er erwähnt –:
„Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen
Grundaufzeichnungen“ . Man hätte auch einfach sagen
können: „Gesetz gegen Kassenbetrug“ . Oder noch bes-
ser: „Gesetz gegen Betrug beim Bezahlen“ oder „ . . . beim

Richard Pitterle

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620960


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(B) (D)


Kassieren“ . Das hätte jeder sofort verstanden . Aber der
Name deutet schon an, dass man sich an dieses Thema
nicht so richtig herangewagt hat .

Das Ziel des Gesetzes ist der gleichmäßige Steuervoll-
zug . Das klingt sperrig, heißt aber, dass wir betrugsbe-
dingte Wettbewerbsnachteile vermeiden wollen .


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen einen fairen Markt . Deshalb ist dieses Gesetz,
so wie es jetzt ist, noch nicht ganz fertig, aber es ist auf
dem richtigen Weg . Wir haben Probleme in der Praxis .
Bei der steuerlichen Außenprüfung gibt es eine ganze
Reihe von Problemen . Wir haben nicht dokumentierte
Stornierungen . Wir haben nicht erkennbare Änderungen
durch Programme . Wir haben Manipulationssoftware,
also Phantomware oder Zapper . All dies stellt die gesam-
te Dokumentation im Grunde infrage . Und natürlich gibt
es die Möglichkeit, die Kasse ganz zu umgehen . Aber
dann ist es schon fast offensichtlich, was passiert .

Außerdem fehlen bisher noch gesetzliche Regelun-
gen . Es stimmt: Das hätten wir vielleicht früher machen
können . Aber man hat nicht immer alle Ideen gleich am
Anfang . Zum Beispiel ist die Unveränderbarkeit von
Informationen, die Integrität, nicht gegeben . Auch die
Herkunft der Daten, die Authentizität, ist nicht gesi-
chert . Auch das sind wichtige Voraussetzungen, die man
braucht, um sicher mit Daten umgehen zu können . Auch
die Vollständigkeit digitaler Aufzeichnungen ist nicht ge-
währleistet und auch gesetzlich nicht geregelt . Deshalb
muss man unbedingt etwas tun .

Schon bisher galt für Aufzeichnungen: Sie mussten
einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht geordnet und
auch unveränderbar sein . Es gab schon Regeln; und das
sind sehr gute Grundsätze . Angenommen, es gäbe kei-
nen Betrug, wäre alles in Ordnung . Leider werden diese
Grundsätze nicht von allen beherzigt . Keine Quittung,
keine Buchung, keine Dokumentation – all das sind
Beispiele dafür . Es kann natürlich, wie jeder weiß, vor-
kommen, dass man vergisst, dem Finanzamt Umsätze
zu melden . Das könnte im Prinzip jedem passieren . Und
gelegentlich bekommt man auch zu hören: „Bei uns nur
Cash!“ Dann schaue ich genauer hin und frage mich –
ich hoffe, da geht es mir so wie Ihnen –: Was läuft hier
eigentlich ab? – Ich bin ja kein Testkäufer, aber in diesem
Moment wäre ich gerne einer gewesen .

Mit diesem Gesetz – das ist der erste große Schritt –
wollen wir die Einzelaufzeichnungspflicht auch für elek-
tronische Aufzeichnungssysteme, also für Kassen, Taxa-
meter usw ., verankern . Dafür haben wir uns sehr massiv
eingesetzt . Die CDU/CSU hat sich anfangs ein bisschen
schwergetan . Aber wir wollen im Prinzip, dass alle elek-
tronischen Aufzeichnungssysteme und die digitalen Auf-
zeichnungen selbst durch zertifizierte technische Sicher-
heitseinrichtungen geschützt werden, sodass man davon
ausgehen kann: Das ist ein System, in dem man sich aus-
kennt und bei dem man weiß, was passiert .

Die Einzelaufzeichnungspflicht gilt zwar nach den
GoB, den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung,
schon jetzt . Seit den 60er-Jahren gibt es aber eine vom
BFH bestätigte Ausnahme . Das ist auch klug; denn es

gibt ja Leute, die mit ganz geringen Werten handeln: zum
Beispiel Zeitungskioske oder ein Erdbeerverkäufer, der
vielleicht mit einer Untertasse am Straßenrand Erdbeeren
verkauft . Für diese wollen wir die Einzelaufzeichnungs-
pflicht natürlich nicht. Interessant ist, dass diese Ausnah-
me bei elektronischen Kassen aber nicht gilt . Was wür-
den Sie also machen, wenn sie bei diesen nicht gilt? Ich
habe eine ganz einfache Antwort: Kasse weg, dann gilt
die Ausnahme .

Man merkt: Hier gibt es eine Lücke im System, über
die wir nachdenken müssen; denn wenn wir diese Art
von Lücken weiter dulden, dann erreichen wir mit unse-
rem Gesetz das gewünschte Ziel nicht . Deshalb wollen
wir bei allen elektronischen Kassen eine Belegausgabe-
pflicht, um das Entdeckungsrisiko bei Betrug zu erhöhen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Was das angeht, habe ich nie verstanden, warum sich die
CDU/CSU so vehement dagegen gewehrt hat, und zwar
gegen den Rat aller Experten und auch gegen die Forde-
rungen des Bundesrates .

Die Pflicht zur Belegausgabe bei elektronischen Kas-
sen gilt – das ist ein schöner SPD-Erfolg –; aber bei un-
verhältnismäßiger Härte und bei offenen Kassen gilt die-
se Pflicht nicht. Das ist eine Verwässerung, die wir gerne
verhindert hätten . Vielleicht kann der Kollege Güntzler
nachher erklären, warum der Gesetzentwurf an dieser
Stelle so verwässert wurde . Ich sage: Dabei handelt es
sich um zwei Pyrrhussiege . – Jeder weiß ja: Pyrrhus sieg-
te in der Schlacht bei Asculum über die Römer, und dann
ging er nach Hause und sagte: „Noch so ein Sieg, und
wir sind verloren!“ Da muss man also aufpassen, dass die
CDU/CSU nicht noch weitere Siege davonträgt .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Sehr gut ist die Pflicht zur Kassenregistrierung. Es
gibt eine Meldepflicht beim Finanzamt, weil wir verhin-
dern wollen, dass man mit einer Zweitkasse an der ersten
Kasse vorbeiarbeiten kann . Das ist sehr gut . Allerdings
gibt es – das wurde schon gesagt – keine allgemeine Kas-
senpflicht. Damit hat man auch diese gute Idee teilweise
wieder konterkariert . Das ist schlecht .

Schlecht finden wir auch, dass INSIKA, das ein gu-
tes Verfahren ist, jetzt per Gesetz für einige Jahre aus-
geschlossen wird . Herr Pitterle hat schon etwas dazu ge-
sagt; deswegen gehe ich jetzt nicht im Detail darauf ein .
Zusammenfassend könnte man sagen: Stattdessen warten
wir per Gesetz darauf, dass Unternehmen eine kompli-
zierte Software entwickeln, die den ersten Tastendruck
registriert, um den Beleg mit einem Sicherheitsmerkmal
auszustatten . Leider haben wir das aber bisher nicht . Sie
haben vorhin gesagt, der Gesetzentwurf sehe ein entspre-
chendes Verfahren vor . Nein, laut Gesetzentwurf warten
wir darauf, dass Unternehmen ein Verfahren entwickeln,
das wir dann benutzen wollen . Das heißt im Prinzip, dass
wir bis zum Jahr 2020 nichts oder zu wenig haben . Das
ist nicht gut .

Was sehr gut ist, ist, dass die unangekündigte Kassen-
nachschau kommt . Der Prüfer kann die Kasse sozusa-

Lothar Binding (Heidelberg)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20961


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gen spontan prüfen . Im Entwurf stand – da habe ich das
BMF nicht verstanden –: ab 2020 . Eigentlich könnten die
Prüfer doch schon in der nächsten Woche damit begin-
nen . Wir haben dann in kleinteiligen Verhandlungen das
auf 2018 verkürzt . Ich frage mich genauso wie Andreas
Schwarz: Warum gilt das nicht ab dem 1 . Januar 2017?
Im Grunde haben die Gauner ein Jahr gewonnen .

Da weder der Anwendungsbereich des Gesetzes de-
finiert wurde, noch die technischen Spezifikationen als
Grundlage für das Gesetz bekannt sind, gibt es einen
Beschluss der ganz besonderen Art . – Frau Präsidentin,
da ich sehe, dass ein Minuszeichen bei meiner Redezeit
steht, komme ich zu meinem letzten Satz: Normalerwei-
se kann die Verwaltung oder die Regierung eine Rechts-
verordnung erlassen . Wir haben nun einen ganz beson-
deren Beschluss vorliegen, der auf eine Idee von Ralph
Brinkhaus und Andreas Schwarz zurückgeht . Wir haben
gesagt: Die Ermächtigung der Verwaltung, eine Rechts-
verordnung zu erlassen, steht unter dem Zustimmungs-
vorbehalt des Bundestages . Das heißt, wenn das Gesetz
scharf geschaltet wird, wird der Bundestag noch einmal
gefragt . Aufgrund dieser wirklich guten Idee kann man,
wie wir denken, diesem Gesetzentwurf zustimmen und
dann auf die Ausgestaltung warten .

Weil Weihnachten kurz bevorsteht, mache ich eine
ganz besondere Abschlussbemerkung . Wir alle erleben in
diesem Parlament, dass wir nach jeder Rede ein Protokoll
bekommen. Ich finde, die Betreffenden machen eine ge-
niale Arbeit . Wenn ich sehe, wie unsere Reden hier pro-
tokolliert werden, kann ich nur sagen: Das ist einmalig
gut . Dafür will ich mich beim Protokolldienst bedanken .

Ich wünsche allen schöne Weihnachten .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820925600

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Dr . Thomas Gambke .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuschauer auf den Rängen und vielleicht noch spä-
ter in der Mediathek! Das zur Diskussion stehende The-
ma ist wirklich bedeutsam . Zu diesem Schluss kommt
man, wenn man den Experten und nicht der Union zu-
hört . Die Experten sagen nämlich, dass sich der Scha-
den durch Umsatzsteuerbetrug auf 10 Milliarden Euro
und mehr belaufen könnte . Ich hätte mir gewünscht, dass
heute der Kollege Brinkhaus hier geredet hätte, von dem
ich immer wieder gehört habe, dass er diese Zahl anzwei-
felt . Ich hätte gerne seine Begründung gehört .

Ich kann mir jedenfalls nicht erklären, warum die Uni-
on noch vor einem Jahr dieses Thema einfach negiert und
eine Pressemitteilung herausgegeben hat, in der sie die
von allen 16 Ländern einstimmig vorgetragene Forderung
nach Maßnahmen gegen manipulierte Kassen ablehnte?
Die Union hat gesagt: Für uns existiert dieses Thema

nicht; dagegen können wir nicht vorgehen . – Wenn Sie
das 2003 gesagt hätten, als die Digitalisierung noch kein
Thema war, dann hätten wir vielleicht Verständnis dafür
gehabt .

Nachdem man sich aber in den letzten zwei, drei
Jahren anschauen konnte, wie einfach Kassen manipu-
liert werden können, muss man zunächst einmal zu dem
Schluss kommen, dass solche Manipulationen sich nicht
nur auf die schon genannten Betriebe der Gastronomie
oder aus dem Taxigewerbe beschränken . Wenn man dann
noch weiß, dass fast die Hälfte derjenigen, die eine Kasse
erwerben wollten, sofort nach der entsprechenden Soft-
ware gefragt haben, dann muss man doch einsehen, dass
es offenbar ein tiefgreifendes Problem gibt und dass wir
gut daran tun, zu versuchen, dem endlich einen Riegel
vorzuschieben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Machen wir jetzt ja!)


Wenn wir Grüne dem vorliegenden Gesetzentwurf in
der ausgehandelten Form zustimmen werden, dann tun
wir das mit ziemlichen Bauchschmerzen . Warum? Es ist
Gott sei Dank in den Verhandlungen gelungen – dafür bin
ich der Sozialdemokratie und vor allen Dingen den Län-
dern sehr dankbar –, endlich eine Belegausgabepflicht
durchzusetzen . Ich habe nie verstanden, liebe Kollegen
von der Union, warum Ihnen das so schwergefallen ist .
Das Gleiche gilt für das Registrierkassenverzeichnis;
dabei gibt es noch nicht einmal eine Registrierkassen-
pflicht. Das waren unsere Forderungen. Ich freue mich
sehr, dass wir sie durchsetzen konnten .

Was ich überhaupt nicht verstehe, ist, dass Sie stän-
dig auf das Kosten- und Umsetzungsargument verwiesen
haben . Jetzt haben wir aber die Situation – jeder, der bei
der Anhörung dabei war, weiß, dass das die Sachverstän-
digen, gerade auch die des Bundesamtes für Sicherheit in
der Informationstechnik bestätigt haben –, dass wir kein
zertifiziertes System haben. Die Sachverständigen konn-
ten auch nichts zu den Kosten und dazu sagen, wie lange
das dauern wird, bis ein zertifiziertes System vorliegen
wird; Kollege Binding hat darauf hingewiesen . Dabei
existiert ein solches System . Es hat den Beweis für sei-
ne Funktionstüchtigkeit in Hamburg angetreten . Es hat
dazu geführt, dass der Wettbewerb dort endlich wieder
fair vonstattenging .


(Uwe Feiler [CDU/CSU]: Aber nicht sicher ist! – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Aber es war nicht sicher!)


– Aber es war fair und hat funktioniert, Herr Kollege . –
Es funktioniert in der gewünschten Art und Weise . Sie
haben das bestritten; aber die Experten haben uns das
bestätigt . Ich glaube da eben nicht so sehr dem Steuerju-
risten als vielmehr dem Experten, der vor Ort ist und sich
mit dem Thema auseinandersetzt .

Insofern, meine Damen und Herren, haben wir hier
ein Gesetz vorliegen, das absolut in die richtige Richtung
geht . Wir wollen fairen Wettbewerb . Wir wissen, dass
wir jetzt noch daran arbeiten müssen, bestimmte Dinge
zu regeln . Ich freue mich, dass darüber noch im Deut-

Lothar Binding (Heidelberg)


Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620962


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(B) (D)


schen Bundestag entschieden wird . Wir müssen uns jetzt
anschauen, ob bei der Durchführung wirklich etwas Ver-
nünftiges herauskommt . Es wäre sehr wichtig, dass das
passiert .

Ich sage noch einmal: Die Wettbewerbsverzerrung,
die wir im Bereich der Umsatzsteuer haben, ist nicht
hinnehmbar . Das betrifft eben nicht nur die Gastronomie
und nicht nur das Taxigewerbe, sondern der Umsatzsteu-
erbetrug mit manipulierten Kassen kann auch viel weiter
um sich gegriffen haben . Sie beklagen es immer; aber
wir müssen es dann auch einfach umsetzen: Der Steu-
erunehrliche muss endlich dazu gebracht werden, steu-
erehrlich zu werden . Dafür ist ein erster, wichtiger Schritt
getan worden . Ich hoffe, dass wir im weiteren Verlauf zu
einem Gesetz kommen, das dann auch wirklich umsetz-
bar ist und seinen Zweck erfüllt .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820925700

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Fritz Güntzler,

CDU/CSU-Fraktion, die Gelegenheit, dazu Stellung zu
nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der wird uns das jetzt alles erklären!)



Fritz Güntzler (CDU):
Rede ID: ID1820925800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Herr Gambke hat die 10 Milliarden Euro an-
gesprochen, die den Haushalten jährlich verloren gehen
sollen . Ich möchte gern darauf Bezug nehmen . Wenn Sie
an der Anhörung teilgenommen haben,


(Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich!)


dann wissen Sie, dass wir den Bundesrechnungshof ge-
fragt haben, wie er auf die 10 Milliarden Euro komme .
Es kam keine konkrete Antwort, sondern nur der Hin-
weis, man habe eine Stichprobe bei 40 oder 47 Unterneh-
men gemacht . Man glaubt also, auf dieser Grundlage die
Summe hochrechnen zu können . Von daher: Vorsicht an
der Bahnsteigkante!

Ich würde auch davor warnen, hier den Eindruck zu
erwecken, dass alle Unternehmer, die eine Kasse führen,
per se Steuerhinterzieher sind .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein, nein! – Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat keiner gesagt! – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen die Ehrlichen schützen!)


Es gibt die Fälle, aber man muss diese auch einordnen .
Von daher ist es klug, einen Kompromiss zu finden – wie
dieser aussieht, hat Uwe Feiler ja vorhin sehr deutlich
dargestellt –, damit man den Steuerehrlichen nicht noch
bestraft und mit zusätzlicher Bürokratie belastet . Man
muss vielmehr einen vernünftigen Ausgleich hinbekom-
men, sodass man das Ziel, über das wir uns alle einig

sind, erreicht, ohne die Belastung der ehrlichen Steuer-
pflichtigen zu stark zu erhöhen. Ich glaube, das bekom-
men wir hier gut hin .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nur die Gauner sind im Verdacht!)


Es ist richtig, dass wir Manipulationen verhindern
müssen . Die Dinge, die uns geschildert worden sind, sind
wirklich abenteuerlich . Schauen Sie sich die Manipulati-
onssoftware Phantomware an: Sie müssen Tetris spielen,
danach kommen Sie auf eine andere Ebene, und dann
werden Ihnen die Umsätze und Materialaufwendungen
auf Wunsch geschmeidig gemacht, sage ich einmal, also
angepasst . – Das kann nicht funktionieren . Da müssen
wir eine Lösung finden. Die haben wir jetzt auch gefun-
den .

Wir haben eine technologieoffene Lösung, was ich gut
finde. Wir haben eine herstellerunabhängige Lösung und
eine kostengünstigere Lösung als das INSIKA-Verfah-
ren . So jedenfalls heißt es in der Gesetzesbegründung der
Bundesregierung . Und wir suchen ein sichereres Verfah-
ren, in das sich nicht jeder reinhacken kann . All das war
mit INSIKA nicht gegeben . Daher glaube ich, dass wir
auf einem guten Weg sind .

Wir müssen auch beachten, welchen Umfang dieses
Gesetz annimmt, wen wir alles damit treffen . Wir haben
in Deutschland ungefähr 400 000 Einzelhandelsbetrie-
be und ungefähr 250 000 gastronomische Betriebe . Die
müssen wir im Blick haben . Ich habe das vorhin schon
einmal erwähnt . Von daher ist es richtig, keine generel-
le Registrierkassenpflicht einzuführen. Das klingt per se
ganz gut, aber wir treffen eben auch viele Kleine . Ich will
nicht nur die Sportvereine nennen . Der Deutsche Fuß-
ball-Bund war ja bei der Anhörung anwesend und sagte,
dass der Verkauf auf dem Sportplatz ein Problem sei . Bei
einem Volksfest oder einem Stiftungsfest, das ein Verein
veranstaltet, kommt man schnell über die Umsatzgrenzen
hinaus, die mal diskutiert worden sind . Dann gibt es das
Problem bei den einzelnen Vereinen .

Wir brauchen nur über die Grenze zu schauen . Die Ös-
terreicher haben das mit großem Bohei eingeführt . Aber
was finden wir jetzt vor? Mittlerweile hat das Schreiben
des österreichischen BMF 95 Seiten . Als wir angefangen
haben, zu diskutieren, waren es noch 67 Seiten . Weil die
Ausnahmen immer mehr werden, ist der Umfang an-
gewachsen . Die Ausnahmen betreffen den Umsatz im
Freien, Hüttenumsätze und ganz viele tolle Dinge . Diese
Ausnahmetatbestände würden wir auch hier in Deutsch-
land schaffen; denn der politische Druck auf uns alle
wäre sehr groß, weil wir Leute in den Vereinen treffen
würden, die wir gar nicht treffen wollen .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wir machen ja überall Ausnahmen für Kleine und Vereine! Das ist ja überhaupt kein Problem!)


Stattdessen machen wir hier Politik mit Augenmaß und
sind froh, dass wir die Sozialdemokraten dazu bringen

Dr. Thomas Gambke

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20963


(A) (C)



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konnten, diesen Weg mitzugehen und nicht wieder über-
bordende Bürokratie aufzubauen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutlich muss aber auch sein, dass das Ganze kein
Allheilmittel ist . Der Kollege Binding hat ja darauf
hingewiesen: Ein großes Problem sind – das muss man
ehrlicherweise sagen – Einnahmen, die gar nicht erfasst
werden .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Natürlich!)


Egal, wie gut ein Kassensystem ist: Wenn eine Einnahme
kassemmäßig gar nicht erfasst wird, ist das ein Problem .
Von daher ist es richtig, dass wir jetzt die Kassennach-
schau einführen und damit der Finanzverwaltung ein
Handwerkszeug an die Hand geben . Sie kann von nun an
unangekündigt in Räumlichkeiten gehen und sich einzel-
ne Dinge anschauen .

Kritisiert wird, dass diese Regelung erst ab dem 1 . Ja-
nuar 2018 gelten soll . Dass das so ist, hat auch etwas mit
den Länderfinanzverwaltungen zu tun, die erst einmal
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen müssen .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber die Prüfer gibt es ja schon! Man braucht ja nur zu sagen: Jetzt dürft ihr gehen!)


Wenn man unbedingt handeln will, Herr Kollege Binding,
dann besteht auch jetzt schon die Möglichkeit, das Inst-
rument der Umsatzsteuernachschau anzuwenden . Dort,
wo Steuern hinterzogen werden, gibt es oft nämlich auch
ein Problem mit der Umsatzsteuer, sodass man auch auf
diese Weise das angehen könnte .

Natürlich wird es weiterhin die Möglichkeit geben,
eine offene Ladenkasse zu führen . Ich sage Ihnen aber:
Das werden die wenigsten tun, weil bei einem zertifizier-
ten System die gesetzliche Vermutung der Richtigkeit der
Kassenaufzeichnung greift . Die sogenannte Beweiskraft
der Buchführung ist in § 158 Abgabenordnung verankert .
Wenn ein Betriebsprüfer vor Ort ist, versucht er gern, die
Buchführung durcheinanderzubringen, indem er sagt:
„Sie ist sachlich nicht richtig“, weil er dann nach § 162
Abgabenordnung die Möglichkeit hat, zu schätzen . Das
ist das größte Problem . Insofern kann ich jedem Mandan-
ten nur empfehlen – das tue ich auch –, offene Ladenkas-
sen ab- und Registrierkassen anzuschaffen . Das ist ver-
nünftiger, weil man dann auch Sicherheit hinsichtlich der
Betriebsprüfung hat .

Übrigens sind die Registrierkassen nicht erfunden
worden, weil es den Fiskus gibt, sondern weil Unterneh-
mer sicher sein wollten, dass ihre Mitarbeiter keine eige-
nen Geschäfte machen .


(Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bürokratieabbau!)


Ich habe einmal nachgelesen: 1879 ist in einem Saloon in
Ohio zum ersten Mal eine Registrierkasse benutzt wor-
den .


(Christian Petry [SPD]: Wie lange hat der Wirt gelebt? – Heiterkeit)


– Der Barkeeper war nicht mehr lange beschäftigt . – Es
gibt also gute Gründe, die offene Ladenkasse abzuschaf-
fen .

Ich glaube, dass wir hier insgesamt eine sehr prakti-
kable Lösung vorliegen haben . Wir werden gemeinsam
Erfolg haben . Wir wollen den Steuerhinterziehern das
Handwerk legen . Das werden wir mit diesem Gesetz
schaffen, auch wenn Herr Binding noch nicht ganz über-
zeugt ist .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wenn wir mit der Ernsthaftigkeit weitermachen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820925900

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum
Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeich-
nungen .

Zu dieser Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31
unserer Geschäftsordnung vor .1)

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10667,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/9535 und 18/9957 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
wie zuvor angenommen .

Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschluss-
empfehlungen des Finanzausschusses auf Drucksa-
che 18/10667 fort .

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7879 mit
dem Titel „Betrug mit manipulierten Registrierkassen
gesetzlich verhindern – Zeitgleich Abschreibungsregeln
für geringwertige Wirtschaftsgüter verbessern“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Opposition angenommen .

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/1968 mit dem Titel „Umsatzsteuerbetrug

1) Anlage 11

Fritz Güntzler

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620964


(A) (C)



(B) (D)


bekämpfen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenom-
men .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Dr . Gerhard Schick, Anja Hajduk,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprü-
chen sogenannter Geierfonds wirksam schüt-
zen

Drucksache 18/10639
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Für die Aussprache sind nach einer interfraktionellen
Vereinbarung 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre keinen
Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Peter
Meiwald, Bündnis 90/Die Grünen . – Bitte schön .


Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820926000

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Geierfonds ist ein beinahe niedlich klin-
gender, aber auf der anderen Seite auch zutreffender
Name für ein Spekulationsmodell, das Staaten an den
Rand des Ruins oder manchmal darüber hinaus treibt .

Worum geht es? Staaten, vor allen Dingen Entwick-
lungsländer, geraten mitunter in drohende Zahlungsun-
fähigkeit, und das aus verschiedenen Gründen . Schlechte
Regierungsführung wird immer genannt, aber es kann
auch unverschuldet passieren, zum Beispiel durch Na-
turkatastrophen oder Krisen an den Rohstoffmärkten . In
solchen Krisensituationen haben Staaten nicht, wie es im
Privatrecht der Fall ist, die Möglichkeit, Insolvenz anzu-
melden; Firmen haben diese Möglichkeit, Staaten nicht .

Tritt nun eine Staatspleite ein, versuchen die Gläubi-
ger, an den Märkten ihre dann praktisch wertlosen Staats-
anleihen loszuwerden . Der Rausch der Geier beginnt . Zu
Ramschpreisen kaufen sie Forderungen auf, um sie spä-
ter zu vergolden . Es gibt dann Verhandlungen; aber an ei-
ner Verhandlungslösung oder einer gerechten Verteilung
der Verluste sind die Geier natürlich nicht interessiert .
Das müssen sie auch nicht sein; denn es existiert immer
noch kein weltweites Staateninsolvenzregime, das alle
Gläubiger an den Verhandlungstisch zwingt . Die Bun-
desregierung ist hieran leider mitschuldig . Deutschland
hat 2015 in den Vereinten Nationen gegen ein geordnetes
Staateninsolvenzrecht gestimmt .

Doch zurück zu den Geierfonds . Wie über Verdurs-
tenden in der Wüste kreisen auch über zahlungsunfähi-

gen Staaten die Geier . Doch im Gegensatz zu Geiern in
der Natur warten die Spekulanten ab, bis der Staat die
rettende Oase erreicht hat, bis große Gläubiger freiwillig
verzichtet haben – darunter Deutschland und damit auch
die Steuerzahler in diesem Land –, bis der Staat wieder
einigermaßen auf die Füße gekommen ist und die Da-
seinsvorsorge wieder einigermaßen funktioniert . Erst
dann schlagen die Geierfonds zu . Dann ziehen die Fonds
vor unsere Gerichte, die Gerichte in den Industriestaa-
ten – und das mit Erfolg . Sie zwingen die verschulde-
ten Staaten dazu, ihnen den Nennwert der Anleihen plus
Zinsen zu bezahlen, obwohl sie selber nur einen Bruch-
teil davon bezahlt haben, als sie die Anteile aufgekauft
haben . Renditen von über 1 000 Prozent sind auf diese
Weise schon erzielt worden .

Das bekannteste Beispiel dürfte der Geierfonds NML
Capital sein, der Profit aus der Staatspleite Argentiniens
geschlagen hat . Die übrigen Gläubiger stimmten einem
Schuldenschnitt zu und verzichteten auf mehr als die
Hälfte ihres Geldes . Nicht so NML Capital: Der Geier-
fonds verklagte Argentinien vor einem Gericht in den
USA auf volle Zahlung und bekam recht .

Wir als grüne Bundestagsfraktion fordern mit dem Ih-
nen heute vorliegenden Antrag, diesem Treiben endlich
Einhalt zu gebieten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Investmentfonds handeln zwar im Moment durchaus
nach Recht und Gesetz; aber sie verletzen, zumindest
nach unserem Verständnis, Werte wie Anstand und Wür-
de . Jemanden, der schon am Boden liegt, tritt man nicht
auch noch . Jene, die helfen wollen, sollen dafür nicht be-
straft werden, so wie die Steuerzahler hier bei uns .

Belgien und Großbritannien haben bereits gehandelt .
Sie haben Antigeiergesetze erlassen . Es wird Zeit, dass
auch wir hier in Deutschland tätig werden . Das wäre
auch im Sinne der nachhaltigen Entwicklungsziele der
Vereinten Nationen, zu denen sich auch Deutschland be-
kannt hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Lassen wir die Geierfonds weiter zu, droht ein Do-
minoeffekt . Niemand wird sich mehr auf Verhandlungen
und auf Verzicht einlassen . Tragfähige Lösungen für
Schuldenkrisen werden immer schwieriger . Es kann und
darf nicht länger sein, dass die Steuerzahler zurückste-
cken, damit sich einige wenige die Taschen vollmachen,
ganz zu schweigen vom Leiden der Menschen in den
überschuldeten Staaten, wo dann die Daseinsvorsorge
zusammenbricht, wo Menschen leiden, die sich nicht
mehr wehren können . Das Leid der einfachen Leute, die
unter den Sparmaßnahmen leiden und die alles ausbaden
müssen, sollten wir dabei in erster Linie im Blick behal-
ten und nicht so sehr die Sicherung der Renditen .

Laut IWF sind immer mehr Staaten von Überschul-
dung bedroht . Die Schuldensituation weltweit wird jeden
Tag brenzliger . Wir müssen also als Gesetzgeber han-
deln, ehe die Hütte brennt . Lassen Sie uns die Wasserei-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20965


(A) (C)



(B) (D)


mer bereitstellen – stimmen Sie unserem Antrag zu! Das
ist ein erster wichtiger Schritt .

Um das Schuldenproblem zu lösen, müsste sich die
Koalition endlich ein Herz fassen und international für
ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren eintreten . Die
G-20-Präsidentschaft ist da, glaube ich, jetzt ein ganz gu-
ter Anlass, um darüber noch einmal nachzudenken .

Ich wünsche allen schöne, friedvolle Weihnachten .
Gute Besserung all denen, die heute wie Uwe Kekeritz,
der eigentlich hier reden sollte, krank sind und nicht an
dieser Debatte teilnehmen können . Gute Besserung und
frohe Weihnachten!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820926100

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

der Kollege Johannes Selle das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Selle (CDU):
Rede ID: ID1820926200

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Es kommt nicht oft
vor, dass sich die Staaten und die Menschen dieser Welt
einig sind, schon gar nicht, wenn es um etwas Grundsätz-
liches geht . Aber am 1 . September letzten Jahres gab es
eine solche Sternstunde der Menschheit . 193 Staaten der
UNO verabschiedeten den von der Generalversammlung
überwiesenen Resolutionsentwurf mit dem Titel „Trans-
formation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige
Entwicklung“ .

Die Umsetzung der Agenda 2030 muss jetzt Leitmo-
tiv unserer Politik sein und alle Politikfelder einbeziehen .
Eine ganz wesentliche Aufgabe wird darin bestehen, die
Finanzierung für diese Ziele zu beschaffen und die Fi-
nanzierungen so zu gestalten, dass sie geeignet sind, den
Weg zu Arbeitsplätzen, zu Infrastruktur, Bildung und Ge-
sundheit zu beschreiten . In unserer Anhörung zum Stand
der Umsetzung der Agenda 2030 am 30 . November 2016
mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Finanzierun-
gen gerade ihre Institutionen in den Ländern verlieren, in
denen sie am dringlichsten gebraucht werden, zum Bei-
spiel in Afrika . Wenn man Geldströme, Investitionen und
auch Staatsfinanzierungen nicht mehr organisieren kann,
dann werden wir die Ziele der Agenda 2030 verfehlen .
Deshalb muss man wohl abgewogen und sensibel vor-
gehen .

Wir werden aber diese Ziele auch verfehlen, wenn
sich Geschäftsmodelle ausbreiten, die eine auftretende
Schwäche eines Landes zur Gewinnmaximierung nut-
zen . Genau darauf wird in diesem Antrag aufmerksam
gemacht . Mit solchen Schwächen sind Zahlungsproble-
me gemeint, die dazu führen, dass finanzielle Verpflich-
tungen zu spät und nicht vollständig erfüllt werden kön-
nen . Wenn sich so etwas andeutet und gegen ein solches
Land spekuliert wird, indem die im Wert fallenden An-
leihen aufgekauft werden, um sie später im vollen Um-
fang durchzusetzen, wird es in der Tat problematisch .

Bedauerlicherweise müssen wir davon ausgehen, dass
diese Situation auftreten kann . Das kann durch Preisver-
fall, durch Naturkatastrophen, durch Konflikte ausgelöst
werden .

Die Beratungen der Gläubiger in solchen Fällen wer-
den schwerlich zu guten Ergebnissen führen, wenn ein
Teil der Gläubiger abwartet und seine vollen Ansprüche
geltend machen will . Die Collective Action Clauses, die
für solche Fälle eingeführt wurden, werden ihre Wirkung
verfehlen, wenn es den Geierfonds gelang, Mehrheitsan-
teile zu erlangen . Und diese Strategie ist bereits vorhan-
den . Die für alle Gläubiger geltenden Beschlüsse unter
dem Geltungsbereich der Collective Action Clauses müs-
sen nämlich mit Mehrheit gefällt werden .

Dass diese Geschäftsmodelle überhaupt funktionie-
ren, liegt an der fehlenden internationalen Regelung für
Staaten, die sich im Zustand der Insolvenz befinden. In-
solvenz, wie sie bei wirtschaftlichen Betrieben der Pri-
vatwirtschaft abgewickelt wird, lässt sich nicht auf Staa-
ten übertragen, und deshalb konnten Ansprüche bisher
durchgesetzt werden . Auch das spricht der Antrag an .

Da ein Volk, ein Territorium nicht verschwinden kann,
wird es darum gehen, eine zukünftige Entwicklung ei-
nes betroffenen Staates zu ermöglichen . Die Restruktu-
rierung durch Schuldenerlass, Umschuldung und weitere
Hilfen sollte den IWF bzw . die Weltbank einbeziehen .
Hier hat die internationale Gemeinschaft kompetente
Institutionen . Für mich bedeutet das jedenfalls, dass die
Proklamation eines kritischen Zustandes eines Landes
von diesen Institutionen kommen muss, um sie dem di-
rekten politischen Einfluss zu entziehen. Die Proklamati-
on muss dann verhindern, dass Gläubiger so agieren kön-
nen, als gäbe es die Notsituation nicht . So könnte in dem
ungeklärten Fall der Zahlungsunfähigkeit eines Staates
vorgegangen werden .

Einen politischen und solidarischen Ansatz haben
Geierfonds nicht in ihrer Satzung . Die Politik kennt die-
sen Ansatz, und sie weiß, dass nur über Perspektiven
für die Völker Frieden, Wohlstand und Bewahrung der
Schöpfung möglich sind . Das ist unsere Verantwortung .
Deshalb gibt es ja die Agenda 2030 . Regelungsbedarf ist
also vorhanden . Fonds, die investieren und an eine Zu-
kunft glauben – und die gibt es schon –, brauchen wir
allerdings . Zu umständliche und gläubigerfeindliche
Regelungen erhöhen die Kosten und können sinnvol-
les Engagement von Fonds verhindern . Regeln, die von
vornherein den Wert von Anleihen einschränken, werden
grundsätzlich negativ bewertet und werden schwerer zu
handeln sein .

Insofern haben wir sehr sorgfältig und ernsthaft die
plakativ wirkenden Forderungen des Antrages zu behan-
deln . Das gründlich zu machen, nehmen wir uns vor, und
wir sind uns bewusst, dass die Anleihen, über die wir hier
reden, bisher nicht nach deutschem Recht begeben wer-
den, sondern eher nach britischem . Und für ausländische
Emittenten gelten unsere Gesetze auch nicht . Wir wollen
ja nicht folgenlose Gesetzgebung betreiben .

Uns ist ebenfalls klar, dass von Deutschland kom-
mende Regelungen in besonderer Weise tragfähig sein
müssen; denn Deutschland hat sich verpflichtet, bei der

Peter Meiwald

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620966


(A) (C)



(B) (D)


Agenda 2030 eine Vorreiterrolle einzunehmen, und gilt
als wichtiger Akteur und Meinungsbildner . Generell hal-
te ich für uns fest: Wir wollen den Ländern bei dem Weg
aus der Schuldenfalle helfen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820926300

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Niema Movassat,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820926400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Insbe-

sondere werte Abgeordnete der Regierungsfraktionen,
ich habe heute einen fast unwiderstehlichen Investiti-
onstipp für Sie: Sie zahlen 1 000 Euro ein und bekommen
1 Million Euro zurück . Was müssen Sie tun? Sie geben
1 000 Euro einem Hedgefonds, der sich darauf speziali-
siert hat, Staatsschulden zu viel Geld zu machen . Diese
Hedgefonds, auch „Geierfonds“ genannt, pressen hoch-
verschuldeten Staaten Geld ab, das diese gar nicht haben .
Wie das funktioniert?

Erster Schritt: Der Geierfonds kauft von Gläubigern
ausstehende Staatsschulden, an deren Rückzahlung die
Gläubiger ohnehin nicht mehr glauben . Er kriegt diese
Staatsschulden, da sie ja als faktisch wertlos gelten, zu
einem Ramschpreis .

Zweiter Schritt: Der Geierfonds bezahlt teure An-
waltsbüros, die den verschuldeten Staat auf sofortige
Rückzahlung dieser Staatsschulden verklagen, plus jähr-
liche Zinszahlungen von bis zu 100 Prozent . Weigert sich
der Staat, diesen Forderungen nachzukommen, lässt der
Geierfonds Staatseigentum im Ausland – wie Schiffe
oder Flugzeuge – konfiszieren und treibt diesen Staat zu-
dem in die Zahlungsunfähigkeit .

Wenn dieser Geierfonds ein Land ausgewählt hat,
das dem enormen Druck nicht standhält oder – wie im
Fall Argentiniens – das Glück hat, dass eine linke Regie-
rung von einer rechten abgelöst wird, dann klingelt die
Kasse . Im Fall von Argentinien haben die Hedgefonds
Traumrenditen von bis zu 1 000 Prozent erzielt . Für ihre
1 000 Euro bekommen sie 1 Million Euro zurück . Es ist
eine schier unfassbare Gier, der endlich ein Riegel vorge-
schoben werden muss .

Um diese horrenden Forderungen bedienen zu können,
muss der betroffene Staat Sozialausgaben massiv kürzen .
Für die Menschen vor Ort bedeutet dies im Normalfall
Arbeitslosigkeit, Wegfall von Renten, Armut und Elend .
Damit sich einige wenige Anleger die Taschen fett füllen
können, wird gesellschaftliches Elend für Millionen pro-
duziert . Es ist eine Schande, dass diese Bundesregierung
diesem Recht des Stärkeren bisher keine wirksamen ge-
setzlichen Maßnahmen entgegensetzt .


(Beifall bei der LINKEN)


Argentinien ist nicht das einzige Opfer der Geier-
fonds . Liberia, Peru, Sambia, Nicaragua oder der Kon-

go – es sind vor allem arme Staaten, auf die sich diese
Fonds stürzen, weil sie eine besonders leichte und hilf-
lose Beute darstellen . Deshalb unterstützen wir als Linke
alle Forderungen des Antrags der Grünen, um den Geier-
fonds endlich das Handwerk zu legen .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zugleich muss die Bundesregierung aber mit dem
Schäuble’schen Mantra brechen, das auf die Rückzah-
lung sämtlicher Staatsschulden beharrt, koste es, was es
wolle . „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“ –
besser als mit dieser Bild-Schlagzeile kann man die
rücksichtslose Haltung von Finanzminister Schäuble ge-
genüber hochverschuldeten Staaten nicht auf den Punkt
bringen . Wo die Schulden herkommen – uninteressant .
Wie das Geld für die Schuldentilgung aufgebracht wird
und welches menschliche Elend dies verursacht – egal .
Dass selbst der IWF Schuldenschnitte für diese Länder
fordert – geschenkt . Diese deutsche Haltung gegenüber
Griechenland, Argentinien und anderen Staaten ist fatal
und muss endlich aufhören .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Um den Kreislauf von Schulden und Ausbeutung zu
brechen, hat meine Fraktion im letzten Jahr einen An-
trag eingebracht, der ein internationales Staateninsolven-
zverfahren fordert . Ebenso wie für Privatpersonen und
Unternehmen brauchen wir für hochverschuldete Staaten
ein klares Verfahren, wie sie ihre Schuldenlast auf ein
erträgliches Ausmaß reduzieren können .

Die Linke ist mit dieser Forderung nicht alleine: Die
G-77-Staaten haben diesen Vorschlag in die UN-Gene-
ralversammlung eingebracht . Die Bundesregierung war
eine von nur elf Regierungen, die diesen Antrag abge-
schmettert haben . Sie beharrt damit auf dem Recht des
Stärkeren . Dies ermöglicht auch, dass Geierfonds von
wehrlosen Staaten Renditen von 1 000 Prozent erpressen .
So darf es nicht weitergehen . Eine Politik, die Anstand
und wirtschaftspolitischen Weitblick hat, muss ein Staa-
teninsolvenzverfahren ermöglichen und Antigeiergesetze
auf den Weg bringen .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820926500

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt

Manfred Zöllmer .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1820926600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, dass es aktuell sicherlich wichtigere Aspekte des
Themas Staatsinsolvenz als den Aspekt der sogenannten
Geierfonds und ihres Agierens in der Staatsschuldenkrise
von Argentinien gibt, den die Grünen jetzt in ihrem An-
trag aufgegriffen haben . Denn Argentinien hat sich mit

Johannes Selle

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20967


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(B) (D)


diesen Fonds inzwischen geeinigt: Im März dieses Jahres
haben das Abgeordnetenhaus und der Senat Argentiniens
einer Vereinbarung zwischen der Regierung und den An-
leiheinvestoren mit großer Mehrheit zugestimmt . Argen-
tinien hat im Gegenzug 4,65 Milliarden US-Dollar an die
Gläubigerhedgefonds ausgezahlt und dem Land damit
den Weg zurück an den Kapitalmarkt geebnet . Dies ist
im Übrigen – das muss man einfach sagen – ein großer
Erfolg für den neuen Staatspräsidenten Macri, und es hat
die argentinische Wirtschaft entsprechend befördert . Das
Elendsbild, das Sie, Herr Movassat, hier gezeichnet ha-
ben, trifft die Realität in Argentinien nicht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Schauen wir uns den Fall Argentinien aber mal ge-
nauer an. Hintergrund ist ein juristischer Konflikt Ar-
gentiniens mit einem New Yorker Hedgefonds . Infolge
der Insolvenz des Landes im Dezember 2001 führte die
Regierung in Buenos Aires in den Jahren 2005 und 2010
große Umschuldungsrunden durch . Herr Movassat, Ar-
gentinien war erst pleite und hat dann die Umschuldun-
gen vorgenommen . Ich glaube, das muss man einmal in
aller Deutlichkeit sagen . Dann haben Hedgefonds argen-
tinische Schuldtitel auf dem Sekundärmarkt zu günstigen
Konditionen aufgekauft und vor einem US-Gericht Ar-
gentinien verklagt, um zum vollen Wert entschädigt zu
werden – das ist in der Tat der Sachverhalt –, und ein
US-Gericht hat die Regierung in Buenos Aires dazu ver-
urteilt, insgesamt vier Hedgefonds den Nennwert auszu-
zahlen .

Jetzt kann man ja fragen: Warum läuft das Ganze vor
einem amerikanischen Gericht? Dazu muss man wissen,
dass die argentinische Regierung die entsprechenden
Bonds ganz bewusst unter amerikanischem Recht in Dol-
lar aufgenommen hat . Insofern war das amerikanische
Gericht zuständig .

Ich will aber auch deutlich machen, dass der Bundes-
gerichtshof deutschen Anlegern, die gegen diese Um-
schuldungsstrategie geklagt haben, gegenüber Argentini-
en recht gegeben hat . Der BGH hat Folgendes formuliert:
Kein völkerrechtlicher Grundsatz berechtige ein Land
dazu, die Zahlung fälliger Schulden wegen eines finanzi-
ellen Staatsnotstandes oder einer freiwilligen Umschul-
dung der Gläubigermehrheit zeitweise zu verweigern .


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen müssen wir es ändern!)


Auch aus der Weltfinanzmarktkrise und der Rettung
Griechenlands sei eine derartige völkerrechtliche Regel
nicht entstanden .

Man muss jetzt sehen: Der argentinische Staatspräsi-
dent Macri hat die politische Strategie Argentiniens geän-
dert . Die Staatspräsidentin Kirchner hatte sich geweigert,
zu verhandeln; Macri hat verhandelt . Die Verhandlungen
mit den Hedgefonds haben dazu geführt, dass nur 75 Pro-
zent der ursprünglich geforderten Summe von Argentini-
en gezahlt werden mussten . Ich denke, auch das gehört
zum Gesamtbild dazu, wenn man diesen Fall darstellt .

Es ist im Prinzip das geschehen, was Sie in Ihrem An-
trag fordern: den Rückzahlungsanspruch eines Fonds auf

dem Verhandlungswege zu finden. Herr Macri hat ver-
handelt, und Frau Kirchner hatte damals nicht verhan-
delt . Das Ergebnis der Verhandlungen war, dass Argenti-
nien wieder Zugang zum Kapitalmarkt gefunden hat .

Herr Movassat, auch das muss man in aller Deutlich-
keit sagen: Argentinien ist kein armes Land; Argentinien
ist ein reiches Land . – Aber das nur am Rande .

Jetzt fordern die Grünen in ihrem Antrag, der Deut-
sche Bundestag möge sich doch bitte an der Gesetzge-
bung von Belgien und Großbritannien orientieren und ei-
nen Gesetzentwurf vorlegen, der Staaten vor illegitimen
Rückzahlungsansprüchen wirksam schützt . Doch ein sol-
cher Gesetzentwurf geht vollständig ins Leere .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Eben!)


Gut gemeint bedeutet leider nicht gut gemacht . Ich will
das begründen, indem ich wörtlich zitiere, was in der Be-
gründung Ihres Antrages steht:

Die Bundesrepublik Deutschland ist – bislang –
kein bedeutender Finanzplatz,


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Genau!)


auf dem die hier beschriebenen Geier-Fonds aktiv
sind, weder als Ort, an dem entsprechende Klagen
geführt werden, noch als Sitz von entsprechenden
Investmentgesellschaften .

Das steht wörtlich so in Ihrem Antrag . Diese Feststellung
ist richtig . Aber was wollen Sie dann mit einem deut-
schen Gesetz, das, wie Sie selbst beschreiben, völlig wir-
kungslos wäre? Das wäre reine Symbolpolitik .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ein solches Antigeiergesetz wäre eine konzeptionelle
Belanglosigkeit .

Ein Großteil der Staatsanleihen und weiterer Wert-
papiere werden unter der Gerichtsbarkeit der großen
internationalen Finanzplätze USA und Großbritannien
begeben . Ein Verfahren, welches diese Akteure nicht mit-
einbezieht, wird absolut wirkungslos bleiben .

Dann haben Sie gefordert, man möge im Rahmen der
G 7, der G 20, des Pariser Clubs und der OECD für ent-
sprechende Regelungen werben . Das halte ich für eine
richtige Forderung . Das sollte in der Tat geschehen . Aber
eine Verständigung kann es nur geben, wenn es einen
fairen und transparenten Prozess unter Einbeziehung der
angesprochenen Institutionen und Gläubiger gibt . Ein na-
tionales Verbotsgesetz hilft überhaupt nicht .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Johannes Selle [CDU/CSU])


Deshalb unterstützen wir die IWF-Empfehlungen zu
den sogenannten Collective Action Clauses . Diese Um-
schuldungsklauseln in Staatsanleihen müssen weiter-
entwickelt werden . Dieser Prozess muss vorangetrieben
werden . Nach der Staatsinsolvenz Argentiniens ist das
entsprechend geschehen .

Das Anliegen ist es, alle Gläubiger auf die Anerken-
nung einer Verhandlungslösung zu verpflichten, die mit
bestimmten, vorher vertraglich festgelegten Mehrheiten

Manfred Zöllmer

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620968


(A) (C)



(B) (D)


gefunden wurde . Dann wissen die Geldgeber, worauf sie
sich einlassen . Das ist ein faires und transparentes Ver-
fahren . Das verhindert, dass die sogenannten Geierfonds
überhaupt aktiv werden können . Sie haben so kein Inte-
resse mehr, sich spekulativ mit Schuldtiteln zu versorgen,
und das Problem Geierfonds wäre auf diesem Wege ge-
löst . Staatliche Schuldenkrisen können dann kontrolliert
abgewickelt werden .

Die Bundesregierung bzw . wir als Parlament setzen
uns deshalb beim IWF dafür ein, die Arbeiten in diesem
Bereich intensiv fortzusetzen . Aber das braucht eine enge
Beteiligung von IWF und Pariser Club und auch eine
Einbeziehung der Gläubiger . Ohne ein solches Vorgehen
können wir keinen Fortschritt erreichen .

Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen, –


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820926700

Aber bitte ganz kurz, Herr Kollege, ja?


Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1820926800

– und das ist das Thema Schuldenprävention . Die-

ses Thema müssen wir im Auge behalten . Wir müssen
die Gesamtproblematik Staatsschuldenkrise sehen . Wir
brauchen vernünftige Regeln und Verfahren, die mit den
relevanten Beteiligten entwickelt werden müssen . Was
wir nicht brauchen, ist eine reine Symbolpolitik .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820926900

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist Dr . Heribert Hirte, CDU/CSU-Fraktion .


Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1820927000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir reden auf Antrag der Grünen über Staatsinsolvenzen .
Zunächst einmal wurde der Eindruck erweckt, das sei ein
Spezifikum für Entwicklungsländer. Das ist der erste
Fehler in Ihrem Antrag . Das ist eine Erfahrung, die auch
viele Industrieländer gemacht haben . Deutschland hat
das mehrere Male durchgemacht . Wir erleben in Europa
diese Diskussion auch aktuell immer wieder . Deshalb ist
die Frage: Warum geht es nur um Entwicklungsländer?
Warum geht es nicht um die Frage: „Wie regeln wir ent-
sprechende Vorgänge in Europa?“? Als Beispiel nenne
ich Kalifornien und Puerto Rico . Selbst die Vereinigten
Staaten von Amerika


(Christian Petry [SPD]: Russland!)


– Russland – und alle möglichen weiteren Länder waren
kurzzeitig vor der Zahlungsunfähigkeit . Das Problem ist
also – im wörtlichen und im übertragenen Sinne – viel
globaler .

Das bedeutet: Wir brauchen – da stimme ich Ihnen
vollständig zu – einen rechtlichen Rahmen zur Regelung
von Staatsinsolvenzen . Ich schaue zum Kollegen von den
Linken: Wenn Sie den Eindruck erwecken, dass ein sol-

ches Insolvenzverfahren damit einhergehen würde oder
müsste, dass Inseln gepfändet werden, ist das natürlich
neben der Sache . Darum geht es nicht . Wir brauchen ein
völlig eigenständiges Verfahren; letztlich wurde es in
vielen Bereichen auch schon privatautonom entwickelt .

Aber denken wir einmal zurück: Was wollen eigent-
lich Insolvenzverfahren? Im Wesentlichen geht es um
drei Punkte:

Zum einen geht es darum, den Schuldner zu entlasten,
damit er alte Schulden loswird . Das ist verständlich .

Der zweite Punkt ist, die Forderungen der Gläubi-
ger durchzusetzen, und zwar im gleichen Umfang unter
Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes . – Sie ni-
cken jetzt; auf den Punkt komme ich gleich zurück .

Schließlich geht es drittens darum – da besteht völlige
Zustimmung bzw . Übereinstimmung –, den Schuldner,
die Staaten wieder fit zu machen für den Kapitalmarkt,
damit sie Renten und Sozialausgaben künftig zahlen kön-
nen und auch wieder an den Kapitalmarkt gehen können .

Aber in Ihrem Antrag ist – das merkt man, wenn man
die Überschrift liest – im Wesentlichen nur von dem ers-
ten Punkt die Rede, nämlich davon, Schuldnerstaaten zu
entlasten . Aber es geht auch darum, Gläubigeransprüche
durchzusetzen . Das sollte man einmal deutlich sagen . In
den Szenarien, die Sie hier beschrieben haben, leiden
auch die Gläubiger . Es leiden die Gläubiger, die auf ihre
Ansprüche verzichtet haben .


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich ja gesagt!)


Am Ende kommen einige, nämlich die bösen Geierfonds,
und setzen ihre Ansprüche durch . – Sie haben aber nicht
erwähnt, dass auch die Gläubiger die Betroffenen sind .


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das, was ich gesagt habe! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Hat er doch gesagt! Haben Sie nicht zugehört?)


– Nein, er hat gesagt: Wir wollen die Staaten schützen . –
Wir wollen auch die Gläubiger schützen . Wir wollen die
Durchsetzung von Gläubigerinteressen unter Wahrung
des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes . Das ist ein
wesentlicher Unterschied . Deshalb ist der Antrag – das
kann ich an der Stelle schon sagen – nicht zur Lösung des
Problems geeignet .

Der Punkt ist dann – da stimme ich Ihnen im Ansatz
zu –: Wenn wir dieses Problem lösen wollen, stellt sich
die Frage, wo der Regelungsort ist . Ich glaube nicht, dass
die Vereinten Nationen der primäre Ort sind, an dem
Zahlungsansprüche behandelt werden können, also der
richtige Adressat sind . Die Vereinten Nationen sind nicht
das richtige Forum, darüber zu entscheiden . Kollege
Zöllmer hat auf die entsprechenden Vorschläge hinge-
wiesen . Weltbank und IWF sind die Foren, in denen über
diese Frage nachgedacht werden muss . Da wird auch da-
rüber nachgedacht .

Wenn wir – ich habe es gerade gesagt – in Europa
das gleiche Problem haben, dann müssen wir auch in
der Europäischen Union über diese Frage nachdenken .

Manfred Zöllmer

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20969


(A) (C)



(B) (D)


Meine Fraktion hat gerade im Zusammenhang mit dem
Bericht der fünf Präsidenten der Europäischen Union da-
rauf hingewiesen, dass auch wir fordern, ein geordnetes
Insolvenzverfahren für Staaten einzuführen . Daran arbei-
ten wir . Ich kann Sie darauf hinweisen: Auch die Euro-
päische Zentralbank denkt über diese Frage nach . Dem-
nächst wird ein Tagungsband veröffentlicht, der genau
die Punkte enthält, der sozusagen die Leitplanken nennt,
die wir im Zusammenhang mit dieser Frage aufstellen
müssen . Dieses Thema ist also in der Diskussion . Wir
sollten die Antworten abwarten . Dann sehen wir weiter,
welche Schlussfolgerungen wir daraus zu ziehen haben .

Unabhängig davon – ich will das, was Kollege
Zöllmer gesagt hat, noch einmal aufgreifen – gilt vieles
von dem, was Sie sozusagen als Problem geschildert ha-
ben, schon jetzt . Denn wir sehen, dass die sogenannten
Collective Action Clauses – sie haben die schöne Abkür-
zung CACs – nicht alle Fälle packen . Daher drängen wir
gerade auf der europäischen Ebene im Bereich des ESM
auf eine Reform .

Griechenland hat genau das gemacht . Wenn Sie sagen,
die Ansprüche seien vor staatlichen Gerichten durchsetz-
bar, muss ich Ihnen sagen: Vor deutschen Gerichten sind
die Ansprüche, die auf der Basis des geänderten griechi-
schen Rechts entstanden sind, gerade nicht durchsetzbar .
Insofern haben wir das Problem nicht . Soweit es noch
Anwendungslöcher gibt, was diese CACs angeht – Herr
Zöllmer hat es genau beschrieben –, sind wir bereit – ich
arbeite gerne daran mit –, an einer Lösung des Problems
auf der europäischen Ebene mitzuwirken .

Dann bleibt für Deutschland – wir haben es inzwi-
schen mehrfach gehört – kein Anwendungsbereich . Da-
mit geht Ihr Antrag ins Leere . Auf der internationalen
Ebene ist das Forum ein anderes . Daran arbeiten wir . Das
tun wir im Übrigen auch mit großer Überzeugung . Ihr
Antrag aber ist in diesem Punkte nicht zielführend . Des-
halb lehnen wir ihn ab .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820927100

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Interfraktionell wurde vereinbart, die Vorlage auf
Drucksache 18/10639 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse zu überweisen . – Ich sehe, dass Sie
damit einverstanden sind . Dann ist die Überweisung so
beschlossen

Ich rufe die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs
der Urheber und ausübenden Künstler auf an-
gemessene Vergütung

Drucksache 18/8625

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/10637

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea
Rößner, Renate Künast, Dr . Konstantin von
Notz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Urheberinnen und Urheber stärken –
Urhebervertragsrecht reformieren

– zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Künast, Kai Gehring, Dr . Konstantin von
Notz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Ur-
heberrecht bildungs- und wissenschafts-
freundlich gestalten

Drucksachen 18/7518, 18/8245, 18/10637

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre hierzu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . – Dann hat zur
Eröffnung der Aussprache der Kollege Christian Flisek,
SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1820927200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegin-

nen und Kollegen! Wenn für eine Debatte wie die zum
Urheberrecht insgesamt nur 25 Minuten anberaumt sind,
dann muss man eigentlich gleich zur Sache kommen . Ich
kann mir aber eine Vorbemerkung nicht ganz verkneifen .

Mich hat schon irritiert, dass es nur die SPD-Fraktion
war, die darauf insistiert hat, dass wir diese Debatte heute
führen . Alle anderen Fraktionen waren geneigt, ihre Re-
den zu Protokoll zu geben .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kollege, ich wollte keinen Weißwein trinken!)


Ich denke, das wird dem Thema, das wir hier verhandeln,
nicht ganz gerecht .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kolle-
gen, wir verhandeln heute die Arbeitsbedingungen, die
Grundlagen für unzählige Künstler und Kreative in die-
sem Land . Ich glaube, das ist auch ein guter Tag für die
Kreativen .


(Zurufe von der Linken)


Dr. Heribert Hirte

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620970


(A) (C)



(B) (D)


– Hören Sie einfach einmal zu; denn sonst bekommen
Sie von den vier Minuten, die ich rede, gar nichts mit .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon sind jetzt schon zwei Minuten um! – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Deswegen!)


– Gemach, gemach!

Nach Jahren folgenloser Ankündigungen – das muss
man hier auch einmal sagen – ist die Lethargie im Urhe-
bervertragsrecht überwunden . Wir haben im Koalitions-
vertrag vereinbart, dass wir die Urheber stärken wollen,
dass wir die Kreativen stärken wollen, und wir liefern
heute . Das ist auch gut so, meine Damen und Herren .

Eines muss man deutlich sagen: Die Verhandlungen
waren sehr intensiv; sie waren am Ende aber auch er-
folgreich . Für die SPD-Fraktion war eines von Anfang an
wichtig: Der rote Faden für uns war – Sie können sagen,
das war unser Kompass –: Wir wollten die einzelnen Kre-
ativen aus der Schusslinie nehmen, wir wollten sie in ih-
ren Rechten stärken . Wir wollten vor allen Dingen dafür
sorgen, dass sie mit gemeinsamen Vergütungsregelungen
branchenspezifisch Regelungen zum Urheberrecht tref-
fen können und dass sie, wenn es darum geht, Rechts-
verletzungen geltend zu machen, also Verstöße gegen
gemeinsame Vergütungsregelungen, aus der Schusslinie
genommen werden .

Das haben wir geschafft, das ist heute gelungen . Des-
wegen sage ich auch ganz ausdrücklich herzlichen Dank
an das Bundesministerium der Justiz und für Verbrau-
cherschutz, an den Bundesminister Heiko Maas, an den
Parlamentarischen Staatssekretär Christian Lange, und
ich darf Sie bitten, Herr Staatssekretär,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sich zu erheben!)


dass Sie diesen Dank auch an Ihr Referat weitergeben;


(Beifall bei der SPD)


denn wir haben hier insgesamt wirklich über die gesam-
te Strecke hinweg sehr kooperativ und gut miteinander
verhandelt .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Wenn das zur Sache ist!)


Meine Damen und Herren, der Auskunftsanspruch
war am Ende sozusagen der Casus knacksus .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Für uns als SPD-Fraktion war immer klar, dass jeder
Journalist – egal ob Textjournalist oder Fotojournalist –,
dass jeder Schauspieler einen Auskunftsanspruch haben
muss . Ich bin froh, dass das gelungen ist . Deswegen ist
dieser Auskunftsanspruch, den wir heute regeln, auch ein
Auskunftsanspruch, der seinen Namen wert ist . Der Aus-
kunftsanspruch ist ein Hilfsanspruch . Er dient dazu, die
Grundlagen zu ermitteln, die Informationen zu bekom-
men, die ein Kreativer braucht, damit er seine angemes-
sene Vergütung bemessen und beziffern kann .

Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe teilweise die De-
batte nicht mehr verstanden . Da ist von den Zeitungs-
verlagen, von den Zeitschriftenverlegern der Untergang
des Abendlandes an die Wand gemalt worden, nur weil
man genau diesen Menschen, denen man seine Produkte
verdankt, einen Auskunftsanspruch schuldet . Gleichzei-
tig waren es dieselben Verleger, die in Europa und auf
nationaler Ebene ein Leistungsschutzrecht für Pressever-
leger einforderten, die genau ein solches Auskunftsrecht
von Plattformen und allen möglichen Internetprovidern
einforderten .

Das kann doch wirklich nicht sein . Das war eigentlich,
so muss ich sagen, an Heuchelei am Ende nicht mehr zu
überbieten . Deswegen bin ich sehr froh, dass wir uns hier
auf die Grundlagen besonnen haben und dass wir die
Kreativen, die Urheber, in dieser Sache stärken .

Wir wollen gemeinsame Vergütungsregelungen stär-
ken – das haben wir geschafft –, weil wir glauben, dass
diejenigen, die sich in einer Branche gegenübersitzen, am
besten wissen, was in ihrer jeweiligen Branche Sache ist .
Das wird ein großer Schritt hin zu einem branchenspezi-
fisch ausdifferenzierten Urheberrecht sein. Ich glaube, da
sind wir uns mit der CDU/CSU auch völlig einig .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Immer!)


Das ist nicht des Teufels, sondern das sind kollektive Re-
gelungen, die greifen und vernünftig sind .

Deswegen war es richtig – ich komme zum Schluss –,
auch darauf zu achten, dass Verstöße gegen solche kol-
lektiven Vergütungsregelungen am Ende auch gemein-
sam im Wege einer Verbandsklage durchgesetzt werden
können .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterlassungsklage!)


Das ist ein ganz wichtiges Zeichen, um den einzelnen
Kreativen aus der Schusslinie zu nehmen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch gar keine Verbandsklage, oder?)


Wie gesagt, meine Damen und Herren, vier Minuten
sind kurz, und sie sind vorbei . Man könnte zum Urheber-
vertragsrecht noch viel sagen . Aber noch einmal: Heu-
te ist ein wirklich guter Tag für die Kreativen in diesem
Land . Sie können sich auf uns verlassen, und sie haben
mit uns Rückenwind . Das ist ein ganz wichtiger Schritt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820927300

Vielen Dank . – Jetzt hat für die Fraktion Die Linke

Dr . Petra Sitte das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820927400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als das

Justizministerium voriges Jahr seine Pläne für ein neues
Urhebervertragsrecht veröffentlichte, waren einige rich-

Christian Flisek

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20971


(A) (C)



(B) (D)


tige Dinge geplant, um Urheberinnen und Urheber beim
Aushandeln guter Verträge zu stärken . Prima! Dann kam
die Union und kochte das Ganze im Sinne der Verlags-
lobby so weich, dass es – jetzt können Sie einmal sehen,
Herr Flisek, wie ich mich in Ihre Situation hineindenke –


(Heiterkeit des Abg . Christian Flisek [SPD])


der SPD zu viel wurde und sie bis zum letzten Drücker
in dieser Woche Kompromisse erstritten hat . Herausge-
kommen ist allerdings ein Gesetzesmenü, das sowohl
halb gar als auch versalzen ist .


(Beifall der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Christian Flisek [SPD]: Die Kreativen loben es! – Gegenruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, na ja!)


Ich nenne Ihnen gleich drei Beispiele; weitere Kernpunk-
te eines guten Urhebervertragsrechts und einer Urheber-
vertragsrechtsreform können Sie in unserem Entschlie-
ßungsantrag finden.


(Beifall bei der LINKEN)


Erstes Beispiel. Statt einer Auskunftspflicht der Ver-
werter über die Werknutzung wird es nun nur einen ein-
geschränkten Auskunftsanspruch der Urheberinnen und
Urheber geben .

Zweites Beispiel . Statt eines bedingungslosen Kün-
digungsrechts der Urheberinnen und Urheber fünf Jahre
nach Vertragsschluss räumt die Koalition nur ein Zweit-
verwertungsrecht für eigene Werke ein – das allerdings
erst nach zehn Jahren .

Drittes Beispiel . Es wird eben kein starkes Ver-
bandsklagerecht für die Interessenvertretung der Urhebe-
rinnen und Urheber geben . Sie bleiben also auch weiter
im Einzelkampf, insbesondere gegen die großen Verlags-
konzerne .

Doch damit nicht genug: Zeitgleich wird den Urhe-
berinnen und Urhebern empfohlen, einen Teil ihrer oft
spärlichen Einkünfte über die sogenannte Verlegerbetei-
ligung an den Ausschüttungen der Verwertungsgesell-
schaften wieder abzugeben .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Solche Texte werden doch nie gelesen!)


Mir haben, genauso wie Ihnen, große und profitable Ver-
lagshäuser, aber eben auch gebührenfinanzierte Anstalten
des öffentlichen Rundfunks geschrieben, dass sie quasi
nur überleben können, wenn die Urheberinnen und Ur-
heber ihnen etwas von deren ureigenen Einnahmen abge-
ben . Ich muss schon sagen: Dies ist an Gier kaum noch
zu toppen .

Dieses Beispiel lässt erahnen, dass mit der vorgeschla-
genen Regelung wieder die Starken gestärkt werden . Sie
werden nämlich die Chance nutzen und die Verlegerbe-
teiligung zur Bedingung für Vertragsabschlüsse machen .
Dann wird aus Ihrer Gesetzesregelung „Die Urheberin-
nen und Urheber können etwas von ihren Einnahmen
abgeben“ im Alltag schnell: Sie müssen etwas abge-
ben . – Dann sind wieder die Kreativen diejenigen, die

das Nachsehen haben, weil es ein Abhängigkeitsverhält-
nis gibt .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Ohne Verlag kein Buch!)


Natürlich gibt es auch Verlage, die wertvollste, aber
eben nicht marktgängige Kulturprodukte anbieten, etwa
aufwendige Produktionen im Kunst- und Lyrikbereich .
Diese Hüter kultureller Vielfalt sind selbstverständlich
auf jeden Cent angewiesen . Allerdings: Die VG WORT
hat im aktuellen Ausschüttungsstreit gerade gegenüber
solchen Verlagen durchaus kulante Rückzahlungsmoda-
litäten angeboten . Perspektivisch wäre es aus der Sicht
der Linken sinnvoll, kleine und mittlere Literatur- und
Kunstverlage in die Kulturförderung mit aufzunehmen
und sie so gewissermaßen vom Marktdruck zu entlasten .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dass das nun wiederum kein sozialistisches Traum-
schloss ist – ich höre schon so manchen von der Uni-
on –, sondern funktionierende Realität, kann man sich
zum Beispiel in Österreich ansehen . Die Koalition aber
verfehlt lieber das dringend zu erreichende Ziel, die Ver-
handlungsposition der Kreativen nachhaltig zu stärken,
weil die Union wieder einmal lieber auf der Seite der
Verwertungsindustrie steht .

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820927500

Vielen Dank . – Als Nächstes spricht die Kollegin

Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1820927600

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Zuschauer haben wir zwar nicht mehr viele, aber
seien auch Sie herzlich gegrüßt! Gute Regeln im Bereich
des Urheberrechts zu treffen, sind eine anspruchsvolle
Aufgabe . Daran kann man auch krachend scheitern . Das
hat 2002 noch die damalige rot-grüne Regierung erfah-
ren . Ich denke, wir legen heute ein gutes Gesetz vor, das
auch den Gesetzentwurf, den zunächst der Justizminister
vorgelegt hat, an entscheidenden Stellen wirklich sub-
stanziell verbessert .

Es ist ein Gesetz für ganz viele unterschiedliche Bran-
chen und für ganz unterschiedliche kreative Leistungen
von Autoren, Journalisten, Fotografen, Musikern, Schau-
spielern, Regisseuren und vielen anderen mehr, auch von
Übersetzern, von Stars bis hin zu denen, die die kleinen
Beiträge liefern, was noch nichts darüber aussagt, wer
die bessere Qualität liefert .

Es sind ganz unterschiedliche Strukturen mit ihren
jeweils spezifischen Verteilungskonflikten. Dabei geht
es zunächst um die Frage: Wie groß ist der Kuchen, der
verteilt werden kann? Da sitzen Kreative und Verwerter
oft in einem Boot . Das schweißt sie zusammen, und das

Dr. Petra Sitte

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620972


(A) (C)



(B) (D)


sollte man nicht vergessen, auch dann nicht, wenn sie an
anderer Stelle miteinander streiten .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Das ist für uns der Auftrag, gegen die weitverbreitete
Umsonstmentalität anzugehen und Urheberrechtsverlet-
zungen zu bekämpfen . Das ist auch etwas, was wir be-
achten müssen, wenn wir zum Beispiel über Haftung im
Zusammenhang mit dem WLAN-Bereich oder wenn wir
in Zukunft über die Regelung zur Wissenschaftsschranke
reden .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zukünftig! Aha!)


Wir müssen die Fragen beantworten: Was ist uns Kul-
tur in Deutschland wert? Was ist sie uns als Konsumen-
ten wert? Wie stark wird sie in den Bildungs- und Wis-
senschaftshaushalten der öffentlichen Hand beachtet?

Dann geht es auch um die Frage: Wer bekommt was
vom Kuchen? Hier haben wir den Befund, dass es Defi-
zite gegeben hat, zum Beispiel bei der Transparenz . Da
stellt sich die Frage, was mit einem bestimmten Werk
verdient werden kann, welche Erlöse erzielt worden sind
und welche Ansprüche daraus abzuleiten sind . Wir haben
Defizite bei der Durchsetzung, wir haben Missstände:
vom Blacklisting bis hin zu prekären Beschäftigungsver-
hältnissen zum Beispiel bei Journalisten .

Wir antworten darauf, indem wir neue Auskunftsrech-
te schaffen . Wir haben jetzt den jährlichen Auskunftsan-
spruch auch gegen diejenigen, die in der Verwertungs-
kette tatsächlich die Informationen haben . Wir schaffen
die neue Klagebefugnis für die Urheberverbände, die
an gemeinsamen Vergütungsregeln beteiligt waren, und
stellen damit sicher, dass diese auch eingehalten werden .
Wir setzen Anreize, dies in den branchenspezifischen ge-
meinsamen Vergütungsregeln jeweils zielgerichtet und
genau auch den Bedürfnisse der Branchen entsprechend
zu regeln . Ich denke, das sind wichtige Verbesserungen .

Ich möchte aber noch auf einen weiteren wichtigen
Punkt eingehen . Wir legen hier die Grundlage dafür, dass
Verlage auch weiterhin an den Erlösen aus den Verwer-
tungsgesellschaften beteiligt werden können . Das ist eine
seit Jahrzehnten gelebte und bewährte Praxis; denn zu-
sammen sind an dieser Stelle die Urheber und die Verla-
ge stärker. Unter dem Strich profitieren sie beide davon,
dass die Verwertungsgesellschaften die gemeinsamen
Rechte gegenüber Dritten durchsetzen, und zwar trotz
aller unterschiedlichen Interessen, die ansonsten beste-
hen . Wir leisten hier einen ganz wichtigen Beitrag für
das Überleben von Verlagen, vor allem der kleinen und
mittleren Verlage, auf den diese auch dringend warten .
Deshalb ist es gut, dass das Gesetz morgen schon schnell
in den Bundesrat geht und dort voraussichtlich auch ver-
abschiedet wird .

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal kurz
zu unterstreichen, welche Bedeutung die Verlage haben,
weil von Ihnen schon wieder kritisiert wurde, dass wir
diese Möglichkeit einräumen . Gäbe es die Verlage nicht,

dann hätten wir viele Werke nicht, vor allem nicht in die-
ser Qualität .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Johannes Fechner [SPD])


Wir hätten viele Autoren nicht, wenn die Verlage ihnen
nicht helfen würden, die Durststrecke von dem ersten
Werk bis zur Entdeckung und bis zum Erfolg zu über-
stehen .

Ich möchte noch etwas unterstreichen, wofür wir die
Verlage brauchen . Wir reden im Moment sehr viel über
die Informationsflut im digitalen Zeitalter, die über uns
hereinbricht, bei der man das Wichtige gar nicht mehr
vom Unwichtigen unterscheiden kann . Wir reden über
Fake News, bei denen die Verlässlichkeit und der Wahr-
heitsgehalt von Informationen nicht mehr überprüft wer-
den können . Auch hier haben die Verlage eine ganz wich-
tige Funktion; denn sie stehen mit ihren Namen dafür,
dass hier journalistische Qualitätsstandards eingehalten
werden .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Hauptarbeit!)


Sie unterscheiden beim Angebot das Wichtige vom
Unwichtigen und stehen mit ihrem Namen auch für
einen zumindest relativen Wahrheitsgehalt ihrer
Nachrichten . Das ist ein wichtiger Dienst an der De-
mokratie und der Meinungsvielfalt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lasst uns deshalb die Verlage nicht unterschätzen . Sie
sind ganz wichtig und haben eine große Bedeutung . In
diesem Sinne: Es ist ein gutes Gesetz, das möglichst bald
in Kraft stehen sollte .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Christian Flisek [SPD])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820927700

Vielen Dank . – Bevor ich jetzt der Kollegin Renate

Künast, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort erteile, möch-
te ich es nicht versäumen, ihr zu ihrem heutigen Geburts-
tag zu gratulieren .


(Beifall)


Bitte schön .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820927800

Danke . – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Sehr geehrter Kollege Flisek, ich weiß gar nicht, was Sie
meinten . Normalerweise sprechen die Geschäftsführer,
wenn es tief in den Abend geht, immer über die Frage,
ob das eine oder andere zu Protokoll geht, und dann ist es
eigentlich üblich, dass wir uns das hier nicht gegenseitig
vorwerfen . Ich war zu allem bereit . Ob Sie das nachher
schön finden, werden Sie sehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Elisabeth Winkelmeier-Becker

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20973


(A) (C)



(B) (D)


Wir alle haben angegeben, das Ziel dieses Gesetzent-
wurfs sei, die Urheberinnen und Urheber zu stärken .


(Christian Flisek [SPD]: Ist auch gelungen!)


Das war der Ursprung . Ich meine aber, dass das, was die
Koalition jetzt vorgelegt hat, nicht ausreichend ist, um
dem zustimmen zu können .

Ich gebe dabei durchaus zu: Sie haben das eine oder
andere, was immer verfolgt wurde, verbessert . Im Zu-
sammenhang mit dem geregelten Auskunftsanspruch
geht es aber um die Unterlassungsklage und nicht um die
Verbandsklage . Davon steht dort nichts . Eine eigenstän-
dige Verbandsklage ist hier nicht vorgesehen,


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja!)


und die Regelungen zu den Schlichtungsverfahren halte
ich auch für unzureichend .

Wir kritisieren den Gesetzentwurf, weil wir meinen,
dass er nicht wirklich hält, was in den Anfängen seiner
Beratung einmal versprochen wurde .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Jenseits der Tatsache, dass wir hier ein geordnetes
demokratisches Verfahren durchführen, fände ich es als
Vorsitzende des Rechtsausschusses eigentlich auch schö-
ner, sagen zu können: Bei uns wird das alles zeitlich gut
beraten . – Zur Beratung zähle ich Ihre quälenden koaliti-
onsinternen Gespräche übrigens nicht, auch wenn Sie sie
Berichterstattergespräche nennen . Laut der Geschäfts-
ordnung dieses Hauses finden die Beratungen nämlich
im Plenum oder in den Ausschüssen statt und nicht in
Koalitionsausschüssen, und von Gängeleien ist an dieser
Stelle auch keine Rede .

Am Dienstagvormittag dieser Woche – nicht irgend-
einer Woche – bekamen wir dann die Vorlage . Die Frage
war dann nur noch: Erklären wir einen Fristverzicht, be-
raten das Mittwochfrüh, oder beraten wir es am Diens-
tagmittag, wo aber bereits eine andere Sondersitzung
stattfindet, in der über die Verlängerung des Afghanis-
tan-Einsatzes beraten werden soll? Diese Sondersitzung
kam übrigens auch überraschend; denn seit 15 Jahren
diskutieren wir immer in der letzten Sitzungswoche des
Jahres über diese Verlängerung . Ich würde einmal vor-
schlagen, dass wir das Verfahren in Zukunft verbessern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da Sie den Gesetzentwurf hier jetzt so loben, sage
ich Ihnen: Er enthält eine ganze Menge unbestimmter
Rechtsbegriffe, und ich finde, diese sind zu offen, als
dass man sagen kann, dass das eine wirkliche Stärkung
für die Urheberinnen und Urheber ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben von einer angemessenen Vergütung gespro-
chen . Was ist das? Man muss die Vergütung ja immer in
Relation zu einer Verlagsbeteiligung setzen . Was ist an-
gemessen? Für die Individuen bedeutet die Ausschüttung
eine Existenzsicherung; ansonsten müssten sie aufs Amt
gehen . Wenn wir die Existenzsicherung stärken wollen,
dann müssten wir eigentlich sozusagen eine Wasser-

scheide angeben und sagen, was eine angemessene Ver-
gütung sein kann .

Oder gucken wir uns die Schlichtungsverfahren an .
Der Ausstieg aus einem laufenden Schlichtungsverfahren
soll zu keiner rechtlichen Konsequenz führen. Ich finde,
das entspricht nicht einmal den Empfehlungen der En-
quete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“
aus der vorherigen Legislaturperiode . Wofür setzen wir
sie eigentlich ein, wenn wir den weisen Ratschlägen am
Ende an keiner Stelle folgen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe es schon gesagt: Der eingefügte Unterlas-
sungsanspruch ist ja schon mal ganz schön, aber er stellt
kein echtes Verbandsklagerecht dar . Die Verlage können
sich den Vergütungsregeln entziehen .

Jetzt zu dem ganz neuen Punkt an der Stelle, nämlich
der Verlagsbeteiligung . Zu dieser Neuerung kam es auch
erst am Dienstagvormittag .


(Christian Hirte [CDU/CSU]: Da war aber noch kein Geburtstag!)


– Da war noch kein Geburtstag, genau . Deshalb habe ich
es ja auch sofort gelesen, Herr Hirte . Danke für den Zwi-
schenruf .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist ja ein richtiges Geburtstagsgeschenk, Frau Künast!)


Wenn ich mir die Verlagsbeteiligung anschaue, dann
muss ich Ihnen sagen: Ich finde sie immer noch nicht
hinreichend geregelt . Als ich Frau Winkelmeier-Becker
im Ausschuss die Frage stellte, wie es jetzt eigentlich
mit der Stimmberechtigung aussieht und ob die Verlage
bei der Abstimmung darüber, wie gezahlt wird, das volle
Stimmrecht haben oder nicht, konnte sie mir diese Frage
nicht beantworten .

Was haben Sie sich bei dieser Regelung gedacht? Das
meine ich gar nicht negativ, sondern ich stelle die Frage
nur im Sinne einer guten Gesetzesberatung . Die Gremien
legen die Höhe des Verlegeranteils fest, oder? Das sage
ich auch unter dem Gesichtspunkt, dass Verlage Geld
brauchen, gerade kleine und mittelständische . Ich bin gar
nicht gegen die Verlagsbeteiligung . Aber ich sage Ihnen:
Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BGH und
deren Auflage, die Vergütung neu zu regeln, hätte man
sich das Ganze genauer überlegen müssen .

In dem Gesetzentwurf steht nun: Der Urheber kann
seine Rechte abtreten . – Aber die Urheber könnten das
auch heutzutage schon machen, niemand hindert sie nach
jetzigem Recht daran . Diese Kannvorschrift wird sich
meines Erachtens am Ende so auswirken, dass schon in
den Verträgen steht: Ich bin, wenn das Werk angemel-
det ist, zu einer Verlagsbeteiligung bereit . – Damit haben
wir, da wir das Wort „angemessen“ nicht definiert haben,
im Vergleich zu heute überhaupt nichts gewonnen, meine
Damen und Herren . Ich glaube, der Druck bleibt an vie-
len Stellen trotz des Anspruchs auf Auskunft bestehen .

Mein letzter Satz .

Renate Künast

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620974


(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820927900

Sie haben jetzt aber Ihren Geburtstagsbonus ganz

schön ausgereizt .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820928000

Oh ja . – Ein Wort zum Thema Wissenschaftsschranke .

Bisher haben wir keine Regelung zur Nutzung von wis-
senschaftlichen Beiträgen, die aus Steuergeldern finan-
ziert werden – wir hatten gerade beim Thema Rosenburg
so etwas –, für die man nachher noch einmal Geld bezah-
len muss, um sie in Buchform zu kaufen. Das empfinde
ich als ein echtes schwarzes Loch in Ihren Regelungs-
vorschlägen . So kann man dem Gesetzentwurf nicht zu-
stimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820928100

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Siggi Ehrmann,

SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Silke Launert [CDU/CSU])



Siegmund Ehrmann (SPD):
Rede ID: ID1820928200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Der Schutz des geistigen
Eigentums ist ein hehrer Begriff . Wer sich mit der wirt-
schaftlichen und sozialen Situation der Künstlerinnen
und Künstler beschäftigt und nicht nur mit der der High
Performer, der sieht hervorragend ausgebildete, hoch-
begabte Menschen . Aber was bei ihnen manchmal zur
Hälfte des Monats in der Brottrommel ist, ist oft sehr
wenig . Zu einem wesentlichen Aspekt, die Situation der
Künstlerinnen und Künstler, der Kreativen zu stabilisie-
ren, gehört neben fairen und gerechten Honoraren auch
die Frage der angemessenen Vergütung der Urheberinnen
und Urheber .

Wir haben uns in dieser Legislaturperiode, gemessen
an der vorherigen Legislaturperiode, als Bestandteil des
Koalitionsvertrages nicht nur einiges vorgenommen –
das stand schon einmal in den Koalitionsvereinbarun-
gen –, sondern wir haben tatsächlich etwas auf den Weg
gebracht .

In der Tat, Frau Künast, stellt sich die Frage: Ist das
Glas halb voll oder halb leer? Ich bewerte das, was wir
gerade auch im Bereich des Auskunftsrechtes modifiziert
haben, als richtigen Fortschritt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das bringt die Dinge nach vorne . Es ist auch ein Fort-
schritt, dass wir die gemeinsamen Vergütungsregeln ge-
stärkt haben . Dass dieses Instrument ausbaufähig ist, ist
von Christian Flisek schon dargelegt worden. Ich finde,
das sind die absolut richtigen Ansätze .

Wir haben in den letzten Wochen und Monaten inner-
halb der Koalition sehr intensiv gerungen . Das eine oder
andere hätten wir aus unserer Sicht sicherlich offensiver
gestalten können, wenn nicht auch – da gebe ich Ihnen
recht – die Frage nach dem Schlichtungsverfahren im

Raum gestanden hätte . Diese Regelung hätte man schär-
fer fassen können .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Diese Regelung hätte man konkreter ausgestalten müs-
sen, was insbesondere die Verbindlichkeit der Schlichter-
sprüche angeht . Das wird sich in einem weiteren Anlauf
in der nächsten Legislaturperiode sicherlich besser dar-
stellen lassen . Aber die Regelung ist auf jeden Fall in die
richtige Richtung gelenkt worden .

Ich komme zur Verlegerbeteiligung . Dieser Punkt ist
von der Vorrednerin aus der Union zu Recht angespro-
chen worden . Die Bedingungen im Buchmarkt zeigen ein
symbiotisches Verhältnis der Autoren zu den Verlagen .
Es hat sich dort über viele Jahrzehnte eine Praxis he-
rausgebildet, die nun durch die Rechtsprechung des Eu-
ropäischen Gerichtshofes, aber auch durch die nationale
Rechtsprechung in Zweifel gezogen wurde . Ich erinnere
nur an das Vogel-Urteil .

Ich denke, es ist mit dieser Novelle gelungen, die von
den Richtern festgestellte Lücke einigermaßen rechtssi-
cher zu schließen, um hier Klarheit zu schaffen. Ich fin-
de, das ist ein guter Weg, der beschritten wird . Es bleibt
noch einiges zu tun, damit das auch europarechtlich was-
serdicht ist . Da ist eindeutig noch Handlungsbedarf . Ich
freue mich, dass wir in dieser Novelle zum Urheberver-
tragsrecht auch diesen Aspekt haben regeln können .

Ich danke dem Haus für die gute Zusammenarbeit .
Ich danke den Koalitionskolleginnen und -kollegen für
die sehr gute Zusammenarbeit . Insbesondere möchte
ich auch den Rechtspolitikern – vornehmlich Johannes
Fechner und Christian Flisek – für die intensive Kon-
sultation fraktionsinterner Art danken, weil es auch ein
Herzstück von Kulturpolitik ist, dort ein gutes Instrument
zu haben .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820928300

Vielen Dank . – Jetzt hat für die CDU/CSU-Fraktion

Dr . Silke Launert das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Christian Flisek [SPD])



Dr. Silke Launert (CSU):
Rede ID: ID1820928400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Kultur hat
ihren Wert, und wer kulturelle Werke schafft, hat auch
das Recht auf eine ordentliche Bezahlung . Das sollte
eigentlich selbstverständlich sein . Doch leider sieht die
Realität oft anders aus .

Nehmen wir zum Beispiel einen jungen Opernre-
gisseur . Nach vielen Jahren des Studiums und vielen
langen, oft unbezahlten Hospitanzen an Theatern ist er
freiberuflich tätig und verdient seinen Lebensunterhalt
mit einzelnen Produktionen an kleinen Häusern . Für

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20975


(A) (C)



(B) (D)


solch eine Produktion erhält er in der Regel eine Gage
um die 10 000 Euro . Damit sind abgegolten: die etwa
ein Jahr dauernde Vorbereitung auf die Produktion, die
verschiedenen Treffen mit dem Produktionsteam in den
sogenannten Konzeptionsgesprächen – also mit der In-
tendanz, dem Dramaturgen, dem Bühnenbildner usw . –
und die sechs Wochen Probezeit vor der Premiere, die
kein Wochenende kennt . Schließlich müssen davon nicht
selten auch noch die Reise- und Übernachtungskosten
gezahlt werden .

Wenn ein Regisseur wirklich hart arbeitet, dann
schafft er vielleicht drei solcher Produktionen im Jahr .
Beim Schauspiel können Sie davon ausgehen, dass sogar
noch weniger bezahlt wird als bei der Oper .

Dieses Beispiel ist typisch für die Kreativbranche .
Viele Künstler leben von der Hand in den Mund . Dabei
ist die Kultur- und Kreativwirtschaft mit einem jährli-
chen Umsatz von etwa 146 Milliarden Euro vergleichbar
mit den großen Wirtschaftszweigen wie beispielsweise
Automobilindustrie, Maschinenbau oder Chemie .

Der Gesetzgeber hat schon im Jahr 2002 reagiert und
für Kreative das Recht auf eine angemessene Vergütung
im Gesetz verankert . Doch die letzten Jahre haben ge-
zeigt, dass Kreative und Verwerter immer noch nicht auf
Augenhöhe miteinander verhandeln . Manchmal erinnert
es an den Kampf Davids gegen Goliath .

Die Digitalisierung und das Internet haben zudem
dazu geführt, dass die Verwertung urheberrechtlicher
Werke ein sehr viel größeres Ausmaß angenommen hat .
Auch das wird von den Vertragspartnern der Urheber
nicht immer ausreichend berücksichtigt, wenn es um die
Beteiligung der Urheber an dem Erlös ihres Werkes geht .

Mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, wer-
den wir Kreative nun noch mehr stärken: Künftig sollen
Urheber die Vergütung erhalten, die ihnen gebührt . Auch
das ist, wie gesagt, eigentlich eine Selbstverständlichkeit .

Deshalb konkretisieren wir nun – es wundert mich,
dass das heute noch niemand erwähnt hat –, dass Häu-
figkeit und Ausmaß der Werknutzung bei Vereinbarung
der Vergütung zu berücksichtigen sind . So muss es sich
für einen Drehbuchautor auszahlen, wenn sein Film nicht
nur einmalig ausgestrahlt wird, sondern später, beispiels-
weise in der Mediathek, immer wieder .

Der Union war es jedoch auch von Anfang an ein An-
liegen, die etablierten Geschäftsmodelle nicht zu unter-
laufen . Es geht nicht nur darum, die Kreativen zu stärken .
Das ist zwar ein Hauptanliegen, aber es geht auch darum,
einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der
Kreativen, der Urheber, und den Interessen der Verwerter
zu schaffen .

Nach der ersten Lesung bestand die Herausforderung
in den vergangenen Monaten nun vor allem darin, den
Einzelheiten der unterschiedlichen Branchen gerecht zu
werden . Dabei hat sich gezeigt: Das ist unmöglich . Wir
können als Gesetzgeber nicht alle Einzelheiten regeln .
Die Kreativbranche ist zu heterogen . Film, Musik, Thea-
ter, Design, Software: Diese Branchen spielen jeweils
nach ihren eigenen Regeln und Normen .

Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist deshalb –
darin waren wir uns zum Glück fraktionsübergreifend
einmal einig –, vorrangig auf gemeinsame Vergütungsre-
geln hinzuwirken, die zwischen gleichrangigen Partnern
ausgehandelt werden, zum Beispiel zwischen dem Ver-
band Deutscher Filmproduzenten und einem Filmverleih
oder zwischen dem Deutschen Journalisten-Verband und
dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger . Denn
wer, wenn nicht die Urheber selbst, weiß am besten, was
eine faire Beteiligung ist? Bislang sind aber leider noch
viel zu wenige Kreative in Verbänden und Vereinigungen
organisiert . Das ist ein riesiges Problem . Ich kann alle
Künstler, Kreativen und Urheber nur aufrufen: Organi-
sieren Sie sich! – Die Geschichte zeigt: Nur wenn man
sich verbündet, ist man stark .

Hinsichtlich des Auskunftsanspruchs war es uns von
der Union wichtig, dass er nicht bei jeder Kleinigkeit
erfüllt werden muss . Wir haben uns nicht gegen ihn ge-
wehrt. Wir akzeptieren ihn und finden ihn gut. Ein sol-
cher Anspruch stellt die Voraussetzung dafür dar, dass ein
Kreativer weiß, wie sehr sein Werk genutzt wurde . Aller-
dings macht es bei sogenannten nachrangigen Beiträgen
keinen Sinn, die Verwerter über Gebühr zu belasten . Nur
ein Beispiel: In einem Film ist ganz kurz ein Schauspie-
ler als Taxifahrer zu sehen . Dann stellt sich die Frage,
ob es wirklich sinnvoll ist, vielleicht bis zu 1 000 Aus-
kunftsansprüche für einen Film zu erfüllen . Wir haben
kein Interesse, permanent Bürokratie zu schaffen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820928500

Frau Kollegin Launert, denken Sie an die Zeit!


Dr. Silke Launert (CSU):
Rede ID: ID1820928600

Oh, wie ich sehe, steht dort ein Minus .


(Heiterkeit)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820928700

Wenn Sie genau schauen, dann stellen Sie fest, dass da

schon lange ein ganz dickes Minus ist . Kommen Sie bitte
zum letzten Satz .


Dr. Silke Launert (CSU):
Rede ID: ID1820928800

Ich begrüße, dass wir auf die Rechtsprechung des

EuGH reagieren und dass wir die Beteiligung der Ver-
wertungsgesellschaften ermöglichen . Viele Autoren sind
froh, dass es Verlage gibt und dass sie sich mit vielen
Sachen nicht befassen müssen, sondern sich nur um die
Schaffung ihres Werkes kümmern können. Davon profi-
tieren dann auch wir .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1820928900

Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur

Dr. Silke Launert

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620976


(A) (C)



(B) (D)


verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber
und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung .
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/10637, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 18/8625 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen . – Das ist die Koalition . Wer ist
dagegen? – Das ist die Opposition . Enthaltungen gibt es
keine . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/10660 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Das ist die Linke . Wer stimmt dagegen? – Das ist
die Koalition . Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grü-
nen . Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt .

Zusatzpunkt 5 b . Wir setzen die Abstimmung zu der
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz auf Drucksache 18/10637 fort . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7518 mit
dem Titel „Urheberinnen und Urheber stärken – Urhe-
bervertragsrecht reformieren“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen .

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/8245 mit dem Titel „Jetzt Zugang zu Wissen
erleichtern – Urheberrecht bildungs- und wissenschafts-
freundlich gestalten“ . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Die Koalition . Wer stimmt dagegen? –
Die Opposition . Enthaltungen? – Keine . Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Dr . Alexander S . Neu, Andrej
Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Weichen für eine Europäische Union der
Abrüstung und des Friedens stellen

Drucksache 18/10629
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, dass Sie damit einverstanden sind .1)

Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vorla-
ge auf Drucksache 18/10629 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen .

Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verbesserung des Schutzes gegen
Nachstellungen

Drucksache 18/9946

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/10654

Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben . –
Sie sind einverstanden .2)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/10654, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksa-
che 18/9946 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Die
Koalition . Wer stimmt dagegen? – Die Opposition . Wer
enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine . Damit ist der
Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis an-
genommen .

Ich rufe Zusatzpunkt 7 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung der Bestimmungen zur
Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung
und zur Eigenversorgung

Drucksachen 18/10209, 18/10352, 18/10444
Nr. 1.10

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/10668

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .

Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben . –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .3)

1) Anlage 12
2) Anlage 13
3) Anlage 14

Vizepräsidentin Ulla Schmidt

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20977


(A) (C)



(B) (D)


Damit kommen wir zur Abstimmung . Zu dieser Ab-
stimmung liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor .1)

Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10668,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/10209 und 18/10352 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Opposition angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die zustim-
men wollen, sich zu erheben . – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Keine . Damit ist der Gesetzentwurf mit
dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10677 .
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das sind
die Grünen und die Linken . Wer stimmt dagegen? – Das
sind die Koalitionsfraktionen . Wer enthält sich? – Nie-
mand . Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt .

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Sech-
zehnten Gesetzes zur Änderung des Soldaten-
gesetzes

Drucksache 18/10009

Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi-
gungsausschusses (12 . Ausschuss)


Drucksache 18/10542

Die Reden werden zu Protokoll gegeben . – Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden .2)

Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Verteidi-
gungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10542, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/10009 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Die Linke . Wer enthält
sich? – Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

1) Anlage 15
2) Anlage 16

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgeset-
zes

Drucksache 18/10456

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(10 . Ausschuss)


Drucksache 18/10661

Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben . –
Ich sehe, Sie sind einverstanden .3)

Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10661,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/10456 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie
zuvor angenommen .

Tagesordnungspunkt 20:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Kreislaufwirt-
schaftsgesetzes

Drucksache 18/10026

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/10663

Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz, Bau und Reaktorsicherheit auch Änderungen des
Elektro- und Elektronikgerätegesetzes .

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .4)

Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10663, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/10026 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –

3) Anlage 17
4) Anlage 18

Vizepräsidentin Ulla Schmidt

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 201620978


(A) (C)



(B) (D)


Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte jetzt alle, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer ist
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit
dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .

Tagesordnungspunkt 21:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
der Verordnung der Bundesregierung

Verordnung über die Bewirtschaftung von
gewerblichen Siedlungsabfällen und von
bestimmten Bau- und Abbruchabfällen

(Gewerbeabfallverordnung – GewAbfV)


Drucksachen 18/10345, 18/10444 Nr. 2.1,
18/10656

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind einverstanden .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10656, der Verordnung auf Drucksache 18/10345
zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Re-
gion stärken – Deutsches Know-how nutzen

Drucksache 18/10651
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Damit sind alle einverstanden .2)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10651 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich sehe, damit
sind alle einverstanden . Dann ist die Überweisung so be-
schlossen .

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 23:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Wissenschaftskooperation mit Partnern in
Subsahara-Afrika stärken

1) Anlage 19
2) Anlage 20

Drucksache 18/10632
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . –
Das stößt auf allgemeines Einverständnis .3)

Interfraktionell wurde vereinbart, die Vorlage auf
Drucksache 18/10632 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse zu überweisen . – Auch hier sehe
ich, dass alle damit einverstanden sind . Dann ist so be-
schlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der Handlungsfähigkeit der Selbst-
verwaltung der Spitzenorganisationen in der
gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur
Stärkung der über sie geführten Aufsicht

(GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz)


Drucksache 18/10605
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Patientenvertretung in der Gesundheitsver-
sorgung stärken

Drucksache 18/10630
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Damit sind alle einverstanden .4)

Unter den Fraktionen ist vereinbart worden, die Vorla-
gen auf den Drucksachen 18/10605 und 18/10630 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über-
weisen . Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist
der Fall . Dann ist so beschlossen .

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 25:

Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit

3) Anlage 21
4) Anlage 22

Vizepräsidentin Ulla Schmidt

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 209 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 15 . Dezember 2016 20979


(A) (C)



(B) (D)


in Gerichtsverfahren und zur Verbesse-
rung der Kommunikationshilfen für Men-
schen mit Sprach- und Hörbehinderungen

(Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG)

Drucksache 18/10144
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . – Damit sind alle einverstanden .1)

Die Fraktionen haben vereinbart, den Gesetzentwurf
auf Drucksache 18/10144 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Gibt es von Ih-
rer Seite dazu andere Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht
der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Sicherung der Sozialkassenverfah-

(Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SokaSiG)


1) Anlage 23

Drucksache 18/10631

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind einverstanden .2)

Auch hier haben sich die Fraktionen geeinigt, den Ge-
setzentwurf auf Drucksache 18/10631 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . –
Ich sehe keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag,
den 16 . Dezember 2016, 9 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen noch
einen angenehmen Restabend .