Gesamtes Protokol
Allen einen wunderschönen guten Tag! Ich freuemich, dass Sie da sind . Die Sitzung ist eröffnet .Zunächst noch einige amtliche Mitteilungen . Inter-fraktionell ist vereinbart worden, die Unterrichtung derBundesregierung über die Stellungnahme des Bundesra-tes und die Gegenäußerung der Bundesregierung auf derDrucksache 18/9834 zu dem bereits überwiesenen Ent-wurf eines Gesetzes zur Änderung des Versorgungsrück-lagegesetzes und weiterer dienstrechtlicher Vorschriftenan den federführenden Innenausschuss sowie zur Mit-beratung an den Ausschuss für Recht und Verbraucher-schutz, den Haushaltsausschuss und den Verteidigungs-ausschuss zu überweisen . Sind Sie mit diesem Vorschlageinverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist sobeschlossen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigenKabinettssitzung mitgeteilt: 6. Bericht „Bildung inDeutschland 2016“.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,Frau Dr . Johanna Wanka . Bitte schön .Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Alle kennen PISA, TIMSS und die anderen inter-nationalen Leistungsvergleiche, die Antworten geben aufdie Frage: Wie ist das Bildungssystem in Deutschlandim Vergleich zu anderen Ländern? Diese Vergleiche sindmanchmal nicht einfach zu lesen .Die Bedingungen in Deutschland sind in einigen Bil-dungsbereichen ganz anders als beispielsweise in Frank-reich oder Spanien . Deswegen haben wir – „wir“ heißt:die Kultusministerkonferenz und die Bildungsministe-rin – 2006 beschlossen: Wir machen eine eigene statis-tische Erhebung . Das heißt, alle zwei Jahre gibt es einenBericht: Wie steht es um die Bildung in Deutschland?Wie viele Kinder gehen in den Kindergarten? Wie ist derLeistungsstand etc .? Damit haben wir eine ausführlicheDarlegung des Bildungsstandes in Deutschland und be-kommen eine Längsschnittstudie . Wir wissen jetzt nichtnur, wie hoch die entsprechenden Zahlen sind, sondernwir können einen Vergleich zu der Situation vor zwei, vorvier Jahren anstellen .Wir haben uns dann in der Kultusministerkonferenzmit dem Bund über die Indikatoren verständigt . Das istdie Basis dieses Berichts . Dadurch, dass er eine Längs-schnittstudie ist, kann man zum Beispiel ablesen, wieviele Kinder mit sozialpädagogischem Sonderbedarfinklusiv beschult werden . Man kann weiterhin ablesen,wie es mit der Weiterbildung vor fünf Jahren, vor siebenJahren gewesen ist .Man kann jetzt erkennen, dass wir eine Weiterbil-dungsbeteiligung von 51 Prozent haben . Die Bundesre-gierung hatte sich mal 50 Prozent vorgenommen . Jetztsind es 51 Prozent . Man sieht, wie die Kompetenzzu-wächse in den einzelnen Fächern sind . Man erkennt dieZahl der Schüler, die einen Schulabschluss schaffen odernicht schaffen . Es ist die wesentliche Stärke des Bil-dungsberichtes, dass man dort zu einzelnen Fragen sehrausführliche Antworten finden kann.Zusammenfassend kann man sagen, dass Bildungs-stand und Bildungsbeteiligung über einen längeren Zeit-raum kontinuierlich gewachsen sind, sich positiv ent-wickelt haben, dass aber der nationale Bildungsberichtauf Problemfelder aufmerksam macht, die wir noch inDeutschland haben .Ein Punkt, über den wir hier öfter gesprochen ha-ben, ist der bestehende Zusammenhang zwischen demBildungsstand und dem sozioökonomischen Status desElternhauses und dem Bildungserfolg des Einzelnen .Auch dort kann man sehen, dass sich die Dinge posi-tiv entwickeln . Wir haben in den Jahren seit dem ersten PISA-Bericht gerade einen Leistungszuwachs – wennich das Fach Mathematik nehme, aber auch in anderenFächern – bei den schwächeren Schülern, die oft aus sol-chen Elternhäusern kommen, zu verzeichnen .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619370
(C)
(D)
Wir stellen eine Differenzierung des Bildungsumfel-des und der Ergebnisse nach Regionen fest, die in die-ser Intensität neu ist . Wir haben zum Beispiel die Ent-wicklung – dies besagt der nationale Bildungsbericht –,dass es mittlerweile 163 Gemeinden gibt, in denen eskeinerlei staatliche Beschulung im Sekundarschulbe-reich mehr gibt . Es gibt also Bereiche, zum Beispiel inMecklenburg-Vorpommern, in denen es nur noch privateSchulangebote gibt . Das sind Dinge, über die wir natür-lich nachdenken müssen . Entsprechende Entwicklungenkann nur ein solcher Bericht in umfassender Weise zumAusdruck bringen .Der Bildungsbericht umfasst Indikatoren, die allezwei Jahre gemessen werden . So kann man die Zahlenvergleichen . Und im Bildungsbericht gibt es immer einSonderkapitel . Da nehmen wir Millionen in die Handund beauftragen eine Forschergruppe, sich ein Bild derLage in Deutschland mit Blick auf ein bestimmtes The-ma zu verschaffen . Das Thema war zum Beispiel einmaldie kulturelle Bildung im Lebenslauf . Beim allererstenBildungsbericht von 2006 hatten wir als Sonderthema„Migration und Bildung“ . Wir haben uns überlegt, nachzehn Jahren dieses Thema noch einmal aufzurufen . Sosehen wir im Vergleich noch besser, wie sich die Situati-on entwickelt hat .Man kann sagen, dass der Bildungsbericht an dieserStelle deutlich zeigt, dass Verbesserungen möglich sindund auch erreicht wurden, es aber eines längeren Atemsbedarf . Wir sehen dort zum Beispiel den Fakt – er wirdviele überraschen –, dass von den drei- bis unter sechs-jährigen Kindern mit Migrationshintergrund 90 Prozentin Kindereinrichtungen sind und sich auch bei den unterDreijährigen die Zahl derer, die in Kindereinrichtungensind, in den letzten Jahren fast verdoppelt hat .Wir hatten noch vor drei oder fünf Jahren die Situati-on, dass gut 30 Prozent derjenigen mit Migrationshinter-grund und 56 Prozent derjenigen ohne Migrationshinter-grund einen mittleren Bildungsabschluss erreichten . Jetztsind die Zahlen für beide Gruppen gleich; sie liegt inbeiden Fällen bei 56 Prozent . Bei den höheren Bildungs-abschlüssen – Gymnasium, Fachhochschulreife – ist derAnteil derjenigen mit Migrationshintergrund immer nochwesentlich geringer .Allerdings ist auch eine These durch diesen Berichtbelegt: Der sozioökonomische Hintergrund ist ganz ent-scheidend . Man hat nicht nur verglichen, wie viele deut-sche Schüler und wie viele Schüler mit Migrationshin-tergrund in einer Schulform sind, sondern man hat auchgeschaut, wie hoch der Anteil derjenigen ist, die einenähnlichen sozioökonomischen Hintergrund haben . IhrAnteil ist in den einzelnen Bildungsstufen jeweils gleichhoch .Der Bericht umfasst also sehr interessante, differen-zierte Schlussfolgerungen und auch eine Bewertungdazu, was wir mit unseren Maßnahmen bewirkt haben,wo wir Verbesserungen erreicht haben und wo wir nochhandeln müssen . Ich glaube, gerade beim Thema „Bil-dung und Migration“ ist der Bericht angesichts der Pro-blematik, jetzt die vielen jungen Flüchtlinge zu integrie-ren, für uns sehr anregend und nützlich . Man kann dortauf Erfahrungen mit KAUSA-Beratungsstellen und an-deres zurückgreifen .Insofern ist dieser nationale Bildungsbericht aus mei-ner Sicht eine Ermutigung. Wir empfinden ihn als Zustim-mung zu dem, was wir in Deutschland – „wir“ umfasstnatürlich in starkem Maße die Länder – im Schulbereichtun, aber eben auch als Hinweis auf Schwachstellen .
Vielen Dank, Frau Ministerin . – Mir liegt eine Reihe
von Wortmeldungen vor . Ich mache darauf aufmerksam,
dass wir uns darauf verständigt haben, dass wir für die
Fragen und für die Antworten, Frau Ministerin, jeweils
maximal eine Minute haben . Die Sekundenanzeige läuft
rückwärts . Das kann man also mitverfolgen .
Ich bitte Sie, zunächst einmal die Fragen zu dem The-
menbereich zu stellen, den die Frau Ministerin gerade
angesprochen hat .
Ich habe hier als Ersten den Kollegen Dr . Thomas
Feist auf der Liste .
Vielen Dank, Frau Ministerin, für den Bericht . – Siehaben es angesprochen: Wir müssen gerade bei denje-nigen mit Migrationshintergrund, aber auch bei denen,die jetzt zu uns gekommen sind, noch mehr tun . Siehaben auch darauf hingewiesen, dass die Anzahl der KAUSA-Beratungsstellen erheblich erhöht worden ist;auch in Leipzig haben wir jetzt eine . Das ist eine sehrschöne Sache .Ich möchte eine kurze Frage zum Übergangssystemstellen . Wir verzeichnen im Übergangssystem sinkendeSchülerzahlen . Meine Fraktion ist davon überzeugt, dassdas Übergangssystem nur ein Notbehelf sein kann, weildafür eine eigene Welt geschaffen wird, die nicht im-mer direkt mit der Realität verknüpft ist . Das heißt, wirwollen mehr betriebsnahe Ausbildungsgänge und auchVerknüpfungen zwischen den Strukturen des bisherigenÜbergangssystems und den Unternehmen . Was kann dieBundesregierung, was können Sie tun, um die Zahl derer,die im Übergangssystem landen – es sind immer noch zuviele –, weiter zu senken?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Es gab Zeiten, in denen sich über 400 000 Jugendli-che im Übergangssystem befunden haben, jetzt ist dieZahl wesentlich geringer . Sie haben recht: Es sind im-mer noch zu viele . Aber wir werden auch in Zukunft einÜbergangssystem für diejenigen brauchen, die die Schu-le verlassen und nicht ausbildungsreif sind; denn dieseJugendlichen müssen wir besonders fördern .Unser Haus gibt für die Verringerung des Übergangs-systems, für Maßnahmen zur Berufsvorbereitung undzum Nachholen von Abschlüssen beträchtliche Milli-onenbeträge aus . Wir werden das vielleicht auch nochin stärkerem Maße tun, weil wir nicht wollen, dass sichdurch die Flüchtlingszahlen die Zahl der Menschenim Übergangssystem wieder erhöht . Wir haben das imBundesministerin Dr. Johanna Wanka
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19371
(C)
(D)
Blick . Aber aus meiner Sicht wird in Deutschland immerein Übergangssystem benötigt werden, um denjenigen zuhelfen, die Unterstützung nötig haben . Das soll praxisnahund berufsnah erfolgen . Das ist der richtige Weg; da binich ganz Ihrer Meinung .
Danke schön . – Jetzt hat der Kollege Uwe Schummer
das Wort .
Frau Ministerin, es ist eine gute Nachricht, dass wir
das Ziel einer Weiterbildungsquote von über 50 Prozent –
dieses Ziel haben wir uns in der letzten Großen Koalition
gemeinsam gesteckt – erreicht haben . Die von Ihnen ge-
nannten 51 Prozent dokumentieren diesen Erfolg .
Meine Frage lautet: Welchen Beitrag haben die Wei-
terbildungsprämie und die damit verbundenen Bildungs-
beratungsstellen, die geschaffen wurden, in Bezug auf
diese Entwicklung geleistet? Gibt es noch weitere An-
gebote wie „Lernen im Lebenslauf“, um gemeinsam mit
den Ländern und der Wirtschaft Initiativen im Weiterbil-
dungsbereich zu fördern?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Wir haben kürzlich den 25 . Jahrestag des Weiterbil-
dungsstipendiums gefeiert . Das ist ein entscheidendes
Instrument . Viele derer, die es in Anspruch genommen
haben, sagen, dass sie ohne dieses Programm die Wei-
terbildung nicht absolviert hätten . Es gibt zum Beispiel
das Instrument der Bildungsprämie, die wir allerdings
noch attraktiver gestalten wollen; denn wir haben gese-
hen, dass wir mit der Bildungsprämie genau diejenigen
erreichen, die wir auch erreichen wollen, nämlich jene in
den unteren Bildungskategorien .
Zu der Weiterbildungsquote von 51 Prozent . Man
muss sagen, dass die betriebliche Weiterbildung in star-
kem Maße zu diesem Erfolg beigetragen hat . Deswe-
gen ist es unsere Intention, diese Entwicklung über die
Weiterbildungsberatungsstellen, über Industrie 4 .0, über
betriebliche Weiterbildung und über digitale Formen der
Weiterbildung zu stärken .
Wir müssen auch registrieren, dass Menschen mit
Migrationshintergrund die allgemeinen Weiterbildungs-
angebote in demselben Maße wahrnehmen . Aber bei
der betrieblichen Weiterbildung gibt es noch ein Leck .
Deswegen müssen wir uns überlegen: Wie können wir
bei KAUSA oder anderen Maßnahmen nicht nur für die
Erstausbildung, sondern auch gezielt für die Weiterbil-
dung werben?
Danke schön . – Jetzt hat der Kollege Karamba Diaby
das Wort und danach der Kollege Ernst Dieter Rossmann .
Es geht nach der Reihenfolge . – Frau Ministerin, Sie
haben häufig als Stichwort die sozioökonomischen Be-
dingungen genannt . Deshalb meine Frage: Welche Chan-
cen sieht die Bundesregierung in Bezug auf die Sanie-
rung und Ausstattung der Schulen in finanzschwachen
Kommunen? Denn der Zusammenhang ist bekannt: Der
Bildungserfolg hängt von sozioökonomischen Faktoren
ab, also von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und
Schüler und auch von sozialen Risikofaktoren . Welche
Maßnahmen, um diesen Zusammenhang nachhaltig auf-
zubrechen, sind von der Bundesregierung ganz konkret
vorgesehen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Was den sozioökonomischen Hintergrund anbetrifft
und die Frage, wie man Schülerinnen und Schüler mit
entsprechendem Hintergrund erreichen kann: Das ist in
sehr starkem Maße eine Frage des pädagogischen Kon-
zeptes . Ich glaube, wir haben uns innerhalb der Bundes-
regierung viel Gutes überlegt, aber nicht immer wird die
Zielgruppe wirklich erreicht . Bei „Kultur macht stark“
ist das zum Beispiel gelungen . Die Evaluation dieser
Maßnahme zeigt deutlich: Wir erreichen genau die Kin-
der und Jugendlichen, die wir erreichen wollten, und wir
bieten ihnen etwas, was für ihr ganzes Leben wichtig ist .
Die Auswertung der Initiative Bildungsketten, die wir
gemeinsam mit der Arbeitsministerin auf ganz Deutsch-
land ausgeweitet haben, zeigt, dass wir damit besonders
die Kinder und Jugendlichen erreichen, die es nicht so
einfach im Leben haben, weil sie einen schwierigen Hin-
tergrund haben .
Es geht aber nicht nur um die Ausstattung, sondern vor
allen Dingen auch um das pädagogische Konzept . In Be-
zug auf die Ausstattung im Bildungsbereich haben wir die
Situation, dass bereits jetzt finanzschwache Kommunen
mit 3,5 Milliarden Euro unterstützt werden . Sie dürfen
Maßnahmen zur energetischen Sanierung vornehmen . In
den Bund-Länder-Verhandlungen am Freitag wurde ge-
sagt: Das werden wir auch auf weitere finanzschwache
Kommunen ausdehnen . – Es gibt hier vielleicht nicht im-
mer eine Korrelation zu sozioökonomisch schwach auf-
gestellten Familien, aber einen gewissen Zusammenhang
gibt es doch; denn dort leben besonders viele Familien,
die ein entsprechendes Angebot brauchen .
Vielen Dank . – Herr Kollege Rossmann .
Frau Ministerin, die Autoren des nationalen Bildungs-berichts sagen – das zeigt sich auch in der Stellungnahmeder Bundesregierung –, dass wir mit Blick auf den Zu-sammenhang zwischen sozialem Herkommen und Bil-dungserfolg noch nicht so weit sind, wie wir sein wollen .Was sind die Schlüsselprojekte der Bundesregierung imfrühkindlichen und schulischen Bereich, mit denen siediesen Zusammenhang aufbrechen will, damit es mehrBildungsaufstieg und eine stärkere Entkopplung der Bil-dungschancen von dem sozialen Herkommen gibt? BitteBundesministerin Dr. Johanna Wanka
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619372
(C)
(D)
nennen Sie ein, zwei Schlüsselprojekte, an denen Sie ar-beiten .Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Vielleicht eine Bemerkung zum Zusammenhang: Ineinem Bundesland können wir hinsichtlich des Leis-tungsstandes der Kinder in der vierten Klasse, also imGrundschulbereich, mittlerweile eine Entkopplung ver-zeichnen . In einem Bundesland werden allen Kindern,unabhängig vom Elternhaus, die gleichen Chancen gebo-ten – jedenfalls besagen die Ergebnisse das –, und zwarin Sachsen. Ich finde es sehr gut, dass sich die Bundes-länder Bayern und Nordrhein-Westfalen in unserem fö-deralen System jetzt mit der Frage beschäftigen, wie mandas flächendeckend hinbekommen kann. Der Bund kannhierbei nur unterstützend wirken, durch Maßnahmen imökonomischen Bereich, durch Maßnahmen im BereichArbeitssicherung und anderes .Ein Schlüsselprojekt ist „Kultur macht stark“, weil wirwissen, dass das wirkt . Mit diesem Projekt wird etwaserreicht, was ansonsten überhaupt nicht funktioniert . EinSchlüsselprojekt ist auch das Projekt „Haus der kleinenForscher“, über das Kinder in den ersten Lebensjahrengefördert werden . Wichtig ist auch die Forschung dazu .Zum Beispiel im Bereich Sprachförderung werden in al-len Bundesländern Projekte durchgeführt, die aber keinebesonderen Effekte haben . Deswegen ist die begleiten-de Forschung, insbesondere zum Thema Inklusion, alsozum Umgang mit Heterogenität, wichtig .An dieser Stelle kann ich auch unsere „Qualitätsoffen-sive Lehrerbildung“ nennen . Es ist wichtig, wie die Leh-rer in den Schulen mit Heterogenität umgehen, wie siemit Kindern aus ganz unterschiedlichen Familien umge-hen . Ich glaube, es ist wichtig, das zu erforschen . Wir ha-ben dazu schon ganz viele Projekte, die wir im Rahmender Qualitätsoffensive durchführen . Und es gibt die klareVereinbarung, dass man, wenn ein solches Projekt gutläuft – das kann zum Beispiel ein bestimmtes Vorgehenim Chemieunterricht sein –, dieses Projekt deutschland-weit ausrollt, damit andere Lehrerbildungsinstitutionendavon profitieren können und dieses Projekt übernehmenkönnen . Das ist nicht nur ein Versprechen, sondern eineVerpflichtung derer, die ein solches Projekt erfolgreichrealisieren . Es kann aber auch Projekte geben, die nichtso erfolgreich sind . – Das sind einige Schlüsselbereiche,in denen wir uns bemühen .
Vielen Dank . – Jetzt der Kollege Kai Gehring und
dann Özcan Mutlu . – Ich darf die Ministerin noch einmal
daran erinnern, die Redezeit von einer Minute einzuhal-
ten .
Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie es
jetzt auch der Opposition gestatten, Fragen zu stellen –
nach vier Regierungsfraktionären .
Frau Ministerin, der Bildungsbericht macht überdeut-
lich, dass es massive regionale Unterschiede und regi-
onale Ungerechtigkeiten gibt . Das gilt für Kita-, Schul-
und Ausbildungsangebote in der Republik . Also nicht nur
die soziale Herkunft, sondern auch die Postleitzahl des
Wohnortes entscheidet über die Chancen von Kindern
und Jugendlichen in dieser Republik . Es darf einfach
keine abgehängten Gegenden und keine abgehängten
Stadtteile in Deutschland geben, in denen die Kinder und
Jugendlichen schlechtere Chancen haben als anderswo .
Ich glaube, dieser Bildungsbericht zeigt: Da muss mehr
passieren .
Deshalb frage ich Sie: Welche Maßnahmen wird die
Bundesregierung jetzt einleiten bzw . neu ergreifen, um
diesem verschärften Strukturproblem der massiven re-
gionalen Disparitäten entgegenzuwirken? Seit der Eini-
gung am Freitag haben Sie diesbezüglich ja neue Mög-
lichkeiten .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Völlig unabhängig von neuen Möglichkeiten, die Sie
am Horizont sehen, möchte ich erst einmal richtigstellen:
Die regionalen Disparitäten sind zum Teil sehr unter-
schiedlich . Hinsichtlich des Mangels an Auszubildenden
zum Beispiel sieht es in Deutschland regional ganz un-
terschiedlich aus . Diesen Mangel haben wir zum Teil in
ländlichen Bereichen, wo junge Leute fehlen; aber auch
in Bereichen Bayerns, in denen eine ganz hohe Arbeits-
produktivität vorliegt und wo viele in Beschäftigung
sind, ist ein Bedarf vorhanden . Das ist also nicht immer
der gleiche Mangel .
Für den Mangel gibt es manchmal entgegengesetzte Ur-
sachen .
Herr Gehring, für den Kitaausbau in der Bundesre-
publik Deutschland haben wir – ich sage es noch ein-
mal – in der vorletzten Runde 450 Millionen Euro zur
Verfügung gestellt . Gerade die Kommunen im ländlichen
Bereich, in denen ein Mangel herrscht, sind jetzt am Zug .
Bei dem Projekt zum Breitbandausbau, für das Herr
Dobrindt zuständig ist, haben wir dafür gesorgt, dass
dieses Projekt insbesondere von Schulen genutzt werden
kann .
Ich glaube, der Breitbandausbau ist gerade in ländlichen
Bereichen eine Notwendigkeit . Die Förderung des länd-
lichen Bereichs, um eine Kategorie herauszugreifen, die
wir seitens des Bundes betreiben, hat auch die Herstel-
lung gleichwertiger Lebensbedingungen in der Bundes-
republik Deutschland zum Ziel .
Özcan Mutlu .Dr. Ernst Dieter Rossmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19373
(C)
(D)
Frau Ministerin, danke für die einleitenden Worte . –
Ich muss ein bisschen Wasser in den Wein gießen . Si-
cherlich ist zu beobachten, dass wir uns als eines der
reichsten Länder der Welt seit dem PISA-Schock 2001 –
immerhin ist es 15 Jahre her – zum Positiven entwickeln .
Das ist aber für mich keine große Erfolgsmeldung . Wenn
man sich diesen Bericht anschaut, sieht man: Nach wie
vor sind soziale Disparitäten vorhanden . Nach wie vor
entscheidet die soziale Herkunft und im Extremfall, wie
auch dieser Bericht zeigt, die ethnische Herkunft über
den Bildungserfolg . Sie haben vorhin in diesem Zusam-
menhang einige Punkte aufgezählt .
Ich möchte konkret von Ihnen wissen: Eines der Ziele
des Bildungsgipfels 2008 war es, die Ausbildungsbeteili-
gung, vor allem auch der Abgehängten, der Risikogrup-
pen, zu erhöhen . Wenn man sich die Zahlen hier genau
anschaut, sieht man: Zwischen 2013 und 2014 ist der An-
teil der ausländischen Schülerinnen und Schüler, die die
Schule ohne Abschluss verlassen haben, von 10,7 Pro-
zent auf 11,9 Prozent gestiegen . Das ist also genau das
Gegenteil von dem, was man versprochen hat . Daher
meine Frage: Was tun Sie konkret, um diese Gruppe der
Risikoschülerinnen und -schüler zu Erfolgen zu führen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Wir haben die Zahl derer, die in der Bundesrepublik
Deutschland die Schule ohne Abschluss verlassen, redu-
zieren können, und zwar von 8 Prozent auf 5,8 Prozent .
Auch bei den Schülerinnen und Schülern mit Migrations-
hintergrund gibt es über die Jahre einen solchen Rück-
gang . Sie haben jetzt nur eine Jahresscheibe betrachtet;
dazu kann ich jetzt nichts sagen. Die demografische Ent-
wicklung ist so, dass wir eigentlich eine viel geringere
Ausbildungsbeteiligung haben sollten . Das heißt, es sind
weniger junge Leute geworden . Die Ausbildungsbeteili-
gung ist aber gegen diesen Trend gewachsen, Herr Mutlu .
Jetzt hat die Kollegin Dr . Rosemarie Hein und dann
die Kollegin Hupach das Wort .
Frau Präsidentin, vielen Dank . – Frau Ministerin, die
Bundesregierung und auch die Koalition betonen immer
wieder, dass es wichtig ist, die Durchlässigkeit im Bil-
dungssystem zu befördern . Auch im Bericht steht, dass
es ganz unterschiedliche Wege zum Abitur, ganz unter-
schiedliche Wege in den Beruf gibt, dass es dazwischen
auch sehr viel Bewegung gibt und Bildungsbiografien
eben nicht mehr so verlaufen wie noch vor 20, 30 Jahren .
Der Bericht zeigt sowohl Probleme als auch Möglich-
keiten auf, wie man künftig damit umgehen möchte und
umgehen könnte .
Ich möchte Sie gerne fragen, was die Bundesregie-
rung tun möchte und tun kann, diese Durchlässigkeit,
und zwar in unterschiedliche Richtungen und nicht nur
in eine, zu befördern, und welche Anstrengungen Sie
künftig unternehmen wollen, um Fördersysteme, die es
ja gibt, auskömmlich und auch so zu gestalten, dass sie
untereinander kompatibel sind .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ich glaube, die Frage der Durchlässigkeit kann man
nicht mit Förderprogrammen beantworten . Hier muss
flächendeckend etwas unternommen werden, Frau Hein.
Die Frage wird auch vonseiten der Bundesregierung an-
gegangen . Ich denke zum Beispiel an die Schnittstelle
zwischen Schule und Hochschule; das ist ja so ein Punkt .
Da haben wir in Deutschland – Bildungsgipfel 2008, Be-
schluss aller Ministerpräsidenten und der Bundeskanz-
lerin – entschieden, dass entgegen dem, was wir immer
hatten, nicht mehr das Abitur die allgemeine Hochschul-
zugangsberechtigung ist, sondern dass in Deutschland
das Studieren mit beruflicher Qualifikation möglich ist.
Daraufhin sind alle Ländergesetze geändert worden, zu-
allererst in Brandenburg .
Der Bund flankiert und unterstützt das mit dem großen
Programm „Offene Hochschulen“ . Denn die Hochschu-
len wissen bisher nicht, wie man damit umgeht, wenn
jemand berufliche Erfahrung hat, also mehr praktische
Erfahrung, aber ihm Theorie fehlt . Das Programm „Offe-
ne Hochschulen“ ist einer der ganz wesentlichen Impul-
se in diesem Bereich . Wir wollen erreichen, dass diese
Möglichkeit, die zwar rechtlich geregelt ist, aber noch
nicht allen bekannt ist – dies wird noch Jahre dauern –,
genutzt wird und dass die Hochschulen entsprechende
Erfahrungen sammeln .
Auf der anderen Seite gab es im vorletzten Jahr von
meiner Seite die Initiative, die hohen Abbrecherquoten
bei den Studierenden zu verringern . Trotzdem gibt es
gerade in den naturwissenschaftlichen und ingenieurwis-
senschaftlichen Fächern viele, die abbrechen . Deswegen
war die Initiative von unserer Seite ein Wettbewerb: Wie
kann man erreichen, dass diese pfiffigen jungen Leute,
die das Abitur geschafft haben und einige Semester stu-
diert haben, wahrgenommen werden und dass sie eine
Chance haben in der dualen Ausbildung? Dazu haben wir
in fast jedem Bundesland Modellprojekte . – Ich weiß,
Frau Schmidt, die Zeit .
Es ist so, dass alle, die eine Frage haben, noch dran-
kommen sollen . Da ist es gut, wenn sich jeder an die Zeit
hält . – Jetzt hat die Kollegin Hupach das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau MinisterinWanka, es ist sicherlich positiv, dass der Ausbau der Be-treuungsplätze für Kinder unter drei Jahren so schnellvorangekommen ist, dass die Anzahl der Plätze von 2013bis 2015 auf circa 100 000 gewachsen ist . Das ist sicher-lich positiv . Aber es ist auch erkennbar, dass die Dispari-täten in diesem Betreuungsbereich praktisch nicht abbau-bar waren . Der Bedarf an Kitaplätzen wird aufgrund von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619374
(C)
(D)
Geburtensteigerung, was sehr positiv ist, und Zuwan-derung steigen . Der nächste Schritt sollte doch sein, dieQualität zu sichern . Ich frage Sie: Warum sperrt sich dieBundesregierung weiterhin dagegen, ein Kitaqualitätsge-setz auf den Weg zu bringen, um Qualität zu sichern? Esist noch lange nicht selbstverständlich, dass in jeder KitaBildungspläne implementiert sind . Vielleicht können Siedazu etwas sagen .Vielen Dank .Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Sie haben völlig recht, dass die Nutzung der Be-treuungsangebote für Kinder unter drei Jahren enormzugenommen hat . Zum Beispiel hat sich der Anteil beidenen mit Migrationshintergrund seit 2009 von 11 auf20 Prozent fast verdoppelt . Bei den Deutschen hat sichder Anteil noch stärker erhöht . Fast 38 Prozent der un-ter Dreijährigen sind heute in den Kindereinrichtungen .Der Bund hat jetzt noch einmal Geld in Millionenhöhe,100 Millionen Euro, zur Verfügung gestellt . Wir wartennun darauf, dass es von den Gemeinden abgerufen wird,um die Angebote auszubauen .Was die Qualitätssicherung angeht, denkt die Famili-enministerin zusammen mit den Ländern über Standardsund darüber nach, wie man die Qualität in den Kinder-einrichtungen erhöhen kann, ohne dass der Bund derOberlehrer ist; denn diese Funktion hat er an dieser Stellenicht .
Danke . – Jetzt hat die Kollegin Beate Walter-
Rosenheimer das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Ministerin
Wanka, die Autorengruppe hat durchaus zu Recht darauf
hingewiesen, dass Deutschland seine Bildungsinstitutio-
nen für die Einwanderungsgesellschaft schon längst hät-
te fit machen müssen. Mittlerweile ist es unaufschiebbar.
Ich würde gerne von Ihnen konkret hören, was Sie gerade
im Bereich der beruflichen Bildung gedenken zu tun, ob
Sie zum Beispiel auch planen – es wird ja mehr als digi-
tale Modernisierung benötigt –, im Bereich Sprachförde-
rung richtig etwas draufzulegen, was ausbildungsbeglei-
tend sehr sinnvoll wäre .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Sprachförderung gerade für die jungen Flüchtlinge –
diese betrifft es ja besonders –, die im letzten Jahr ge-
kommen sind, leisten wir vonseiten der Bundesregierung
in Millionenhöhe . Das ist aber nicht in meinem Res-
sort, sondern im Arbeitsministerium, im Innenministe-
rium verankert . Es handelt sich um eine breitgefächerte
Sprachbildung .
Wir finanzieren in unserem Programm, in dem es um
die 10 000 Plätze im Handwerk geht, Sprachförderung
mit Blick auf die berufliche Bildung durch individuelle
Begleitung, durch Coaching . Wir haben im letzten Jahr
sehr schnell gehandelt, damit wir über Apps und anderes
die jungen Leute, die zu uns geflüchtet sind, in den Stand
versetzen, passend zu den Kursen, die sie besuchen sol-
len, sich selber weiterzubilden .
Darüber hinaus wollen wir mit dem Geld, das wir für
die jungen Flüchtlinge zusätzlich zur Verfügung stellen,
in den überbetrieblichen Ausbildungsstätten gerade die
sprachliche Bildung fördern, die natürlich wichtig ist;
denn für manche Berufe sind gute Sprachkenntnisse un-
verzichtbar, weil man sich mit Kunden auseinanderset-
zen muss . Das ist also generelle Haltung der Bundere-
gierung . Für uns bedeutet das mehr Geld oder überhaupt
Geld in die ÜBSen, um das zu realisieren .
Martin Rabanus hat jetzt das Wort, danach die Kolle-
gin Alexandra Dinges-Dierig .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Ministerin, ichhabe mich sehr darüber gefreut, dass wir im Bereich derWeiterbildung Erfolge zu verzeichnen haben . 51 ProzentWeiterbildungsbeteiligung ist schon eine Hausnummer .Ich bin sehr gespannt auf den 7 . Bericht, weil ja dann dieMaßnahmen, die wir in den letzten Jahren beschlossenhaben, wie zum Beispiel AFBG, aber auch Maßnahmenin den anderen Programmbereichen erst wirken werden .Ich bin wirklich sehr gespannt, wie wir dann liegen wer-den .Der Bericht besagt, dass 50 Prozent der Erwachsenendas nonformale, informelle Lernen nutzen . Sie stellen inIhren Schlussfolgerungen fest, dass wir dies – ich sagedas mit meinen Worten – erschließen müssen, handhab-bar machen müssen . Dazu habe ich folgende Fragen . DieInitiative ValiKom läuft ja seit 2015 . Gibt es von denLeitprojekten erste Zwischenergebnisse? Wie ist die Per-spektive, das in die Fläche auszurollen? Und was planenSie darüber hinaus, um diese nonformalen, informellenKompetenzen weiter und besser zu heben?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Danke, dass Sie ValiKom erwähnt haben . Ich glaube,es war sehr vorausschauend, diese Initiative einzurich-ten . Es hätte dazu gar nicht des Flüchtlingszustroms imletzten Jahr bedurft . Vielmehr wurden die entsprechen-den Überlegungen schon vorher angestellt, bis hin zurEinrichtung von Internetseiten, auf denen sich die Aus-bilder sofort informieren können, wie es aussieht . Wirsind noch nicht in der Lage, zu sagen, ob ValiKom sogewirkt hat, dass man es flächendeckend ausrollen sollte,und welche weiteren Fördermaßnahmen man ergreifensollte . Aber ich denke, wenn wir wissen, was sinnvoller-weise gefördert werden sollte, dann sollten wir auch hierFördermechanismen entwickeln .Zu Ihrer ersten Bemerkung . Sie möchten gerne wis-sen, wie die Maßnahmen, die wir zum Beispiel beimAufstiegs-BAföG beschlossen haben, wirken . Ich binSigrid Hupach
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19375
(C)
(D)
ein bisschen vorsichtiger als Sie, weil es im Bildungsbe-reich manchmal etwas länger als zwei Jahre dauert, eheman einen Effekt feststellt . Aber nach den Erfahrungen,die ich in den betreffenden Institutionen gemacht habe,sind unsere Maßnahmen für viele Menschen ein Impuls,sich zu überlegen, ob sie mit einer entsprechenden Aus-bildung beginnen . Dies gilt auch im Hinblick auf dieWeiterbildungsprämie . Das sind Instrumente, die sichbewährt haben . Ich bin sehr optimistisch, dass sie positivwirken . Ob man diese Wirkung schon an der nächstenEvaluierung ablesen kann, weiß ich allerdings nicht .
Danke . – Jetzt die Kollegin Alexandra Dinges-Dierig
und danach der Kollege Mutlu .
Danke, Frau Präsidentin . – Frau Ministerin, unser
Hochschulstandort und unser Wissenschaftsstandort sind
so attraktiv wie, glaube ich, noch nie zuvor . Wir haben
eine wachsende Zahl von Hochschulzulassungen zu ver-
zeichnen, und immer mehr Menschen studieren . Auch die
Zahl ausländischer Studierender an unseren Hochschulen
nimmt zu . Was kann und will die Bundesregierung tun,
um diese Entwicklung an den Hochschulen bestmöglich
zu unterstützen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Wir haben nicht nur immer mehr ausländische Stu-
dierende, sondern wir haben sogar den Höchststand an
ausländischen Studierenden zu verzeichnen, den es in der
Bundesrepublik Deutschland je gab . Das spricht für die
Attraktivität unseres Systems . Eine Komponente war der
Hochschulpakt, durch den zusätzliche Gelder für neue,
attraktive Studiengänge zur Verfügung gestellt wurden .
Was nun getan werden muss, ist Folgendes: Die At-
traktivität des Studiums und insbesondere der Ingenieur-
studiengänge muss erhöht werden . In den Ingenieurstu-
diengängen kommen mehr ausländische Studierende zu
uns als in allen anderen Studiengängen . Das Qualitätsbe-
wusstsein im Hinblick auf diese Studiengänge, aber auch
das internationale Marketing sind wichtig . Im Zusam-
menhang mit den Flüchtlingen haben wir studentische
Initiativen, die sich um ausländische Studierende küm-
mern, honoriert; das ist erfreulicherweise auch von den
Ländern registriert worden . Jetzt haben wir beschlossen,
dies weiter fortzusetzen .
Was wichtig ist, Frau Dinges-Dierig, und was wir ger-
ne schaffen wollen, ist, dass wir nicht nur viele, sondern
die besten jungen Leute aus dem Ausland zu uns holen .
Es gibt auch neue Überlegungen dazu, wie man es er-
reichen kann, dass die Besten nicht nach Harvard oder
Oxford gehen, sondern zu uns kommen .
Vielen Dank . – Der Kollege Mutlu und dann die Kol-
legin Rosemarie Hein .
Frau Präsidentin, herzlichen Dank . – Ich habe eineweitere Frage an die Ministerin . Im Jahre 2009 hatDeutschland die UN-Konvention über die Rechte vonMenschen mit Behinderungen ratifiziert. Seitdem ist eineMenge Wasser die Spree hinuntergeflossen. Abgesehenvon einigen wenigen Bundesländern, die sich in punc-to Inklusion auf den Weg gemacht haben, zum BeispielNRW, würde ich gerne konkret von Ihnen wissen, wieSie denn gedenken, die Ziele der Konvention, die wir ra-tifiziert haben, zu erreichen. Wenn man sich den Berichtansieht, stellt man fest, dass in Deutschland lediglich34 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit sonderpä-dagogischem Förderbedarf allgemeinbildende Schulenbesuchen . Das ist von dem Ziel, das wir uns gesetzt ha-ben, weit entfernt . Also: Was werden Sie konkret unter-nehmen, um die Ziele der UN-Konvention, was die In-klusion von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungin allgemeinbildenden Schulen betrifft, zu erreichen?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Entscheidend ist, dass wir die Fehler, die wir vor Jah-ren gemacht haben, nicht mehr machen . Das heißt, wirdürfen nicht einfach sagen: „Inklusion wird in Frankreichso und in den USA so gemacht; wir machen das genau-so“, sondern wir müssen in Sachen Inklusion Angebotemachen, die zum deutschen Bildungssystem passen . Esgibt Untersuchungen der Bertelsmann-Stiftung, derenErgebnisse zeigen, dass Länder, die versucht haben, ganzschnell für Inklusion zu sorgen, um im Ranking oben zustehen, viele Fehler gemacht haben .Im Bildungsbericht 2014 findet man ein Sonderkapi-tel zum Umgang mit Heterogenität und Inklusion . Dorthaben wir Empfehlungen formuliert . Wir versuchen, ihreUmsetzung zu unterstützen . Eine dieser Empfehlungenlautet, die Diagnosefähigkeit der Lehramtsstudenten zuerhöhen . Das leisten wir im Rahmen verschiedener Pro-jekte . Diese Maßnahme muss sich aber auch im Weiterbil-dungssystem wiederfinden. Eine Erkenntnis ist: Es fehltan Forschungsergebnissen, wie man dabei möglichst ge-schickt vorgeht und wie man mit der vorhandenen Leh-rerausstattung erreichen kann, dass wirklich individuellgeschult wird, und zwar auch dann, wenn Schülerinnenund Schüler mit und ohne Behinderung in einer Klassegemeinsam unterrichtet werden . Dazu haben wir ein gro-ßes Forschungsförderprogramm aufgelegt .Im Bereich der beruflichen Bildung heißt es natürlichvor allen Dingen, die Berufsschullehrer zu schulen . Dasgeschieht auch durch die Qualitätsoffensive Lehrerbil-dung .Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619376
(C)
(D)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen hier jetzt
noch elf Wortmeldungen vor . Ich schlage vor, dass alle
bedacht werden und ihre Fragen noch stellen können,
weil das ein wichtiges Thema ist . Damit würde ich die
Redeliste aber gerne schließen, da wir heute auch noch
andere Themen zu behandeln haben .
– Der Kollege Beck, der sich eben schon einmal gemel-
det hat, kommt auch noch auf die Liste . – Ich hoffe, dass
die Frau Ministerin so lange Zeit hat .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Aber klar .
Danke schön . – Jetzt hat die Kollegin Hein das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Ministerin, im
Bereich der frühkindlichen Bildung, wo viele Plätze ge-
schaffen worden sind, haben wir ein ganz großes Problem
mit der Qualität, weil wir zu wenige und nicht gut genug
ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher haben . Deren
Ausbildung ist bislang Länderaufgabe, und es gibt dazu
eine Vereinbarung der KMK im Zusammenhang mit der
Fachschulordnung . – Das weiß ich alles .
Da diese Ausbildungen in den einzelnen Ländern im-
mer noch sehr unterschiedlich sind – es werden sehr un-
terschiedliche Dinge ausgebildet und die Strukturen und
Ergebnisse sind ebenfalls sehr verschieden –, möchte ich
Sie fragen, ob Sie sich vorstellen können, bei den Erzie-
hungsberufen eine ähnliche Lösung zu finden, wie man
sie bei den Gesundheits- und Heilberufen gefunden hat .
Für jeden einzelnen dieser Berufe gibt es ein Bundesge-
setz, obwohl auch diese Ausbildungen Ländersache sind .
Könnten Sie sich so etwas für die Zukunft vorstellen, um
die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher einheitli-
cher und in der Qualität besser zu machen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Die qualitative Verbesserung der Ausbildung der Er-
zieherinnen und Erzieher ist ein ganz wichtiges Anlie-
gen . Ich denke, dass die Finanzprobleme, die bei der
Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher durch die
Praktika aufgetreten sind, durch unser Aufstiegs-BAföG
nun besser gelöst werden, Frau Hein . Diese Möglichkeit,
die wir geschaffen haben, muss in den Ländern nun ge-
nutzt werden .
Ich bin aber nicht der Meinung und habe nicht die
Heilserwartung, dass ein Gesetz für die gesamte Bun-
desrepublik immer der beste Weg ist . Schauen Sie nach
Frankreich oder Spanien, wo es sehr einheitlich geregelt
ist und nicht funktioniert . Ich habe bis jetzt noch keine
Bereitschaft vonseiten der Kultusministerkonferenz ge-
hört – sie können sich auch untereinander verständigen;
dazu braucht man den Bund eigentlich nicht –, dort ini-
tiativ zu werden .
Danke . – Jetzt der Kollege Dr . Philipp Lengsfeld und
danach der Kollege Karamba Diaby .
Frau Präsidentin! Frau Ministerin, mein Thema ist
noch einmal die Qualität der Bildung . Uns allen ist be-
wusst – das klang ja auch schon im Bereich Kita an; ich
glaube aber, das bezieht sich nicht nur auf den Bereich
Kita –, dass hier durchaus noch ein bisschen Luft nach
oben ist . Dieses Thema klang ja auch im Bericht an . Wel-
che Maßnahmen trifft die Bundesregierung, um die Qua-
lität der Bildung kontinuierlich voranzubringen und zu
verbessern?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Herr Lengsfeld, die Qualität von Bildungsprozessen
einzuschätzen und zu befördern, ist ein zentraler Punkt
unserer Forschungsförderung . Seit 2007 haben wir über
182 Millionen Euro für über 300 Forschungsprojekte in
diesem Bereich zur Verfügung gestellt . Dabei ging es un-
ter anderem um folgende Themen: „Wie kann man die
Lehrerbildung professionalisieren?“, „Wie kann man die
Sprachförderung verändern und verbessern?“, „Wie kann
man die Steuerung im Bildungssystem verändern?“,
„Wie kann man der Mehrsprachigkeit gerecht werden?“ .
In diesem Bereich findet also sehr viel Forschungsförde-
rung statt .
Daneben sind die Weiterbildungsinitiative Frühpä-
dagogische Fachkräfte – ein ganz konkreter Punkt, um
die Qualität von Aus- und Weiterbildungsangeboten zu
verbessern – und die Qualitätsoffensive Lehrerbildung zu
nennen, womit es uns wirklich gelingen kann, flächende-
ckend stärker etwas für die Qualität in der Lehrerbildung
und damit auch in der schulischen Bildung zu erreichen .
Bei unserer Förderung geht es auch um die Hochschul-
lehre und um den Qualitätspakt Lehre, für den zwischen
2011 und 2020 2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt
werden . Das ist etwas, was es in Deutschland vorher
noch nie gegeben hat, und führt in allen Hochschulen
dazu, dass sehr viel stärker über Hochschuldidaktik und
-lehre nachgedacht wird .
Danke . – Karamba Diaby .
Frau Ministerin, Stichwort „Diversity – Interkulturel-le Öffnung im Bildungsbereich“: Wir wissen, dass derAnteil der Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshinter-grund in Deutschland immer noch gering ist . Deshalb istmeine Frage – ich weiß übrigens, dass wir sehr viel imBereich der Qualitätsoffensive Lehrerbildung machen –:Was will die Bundesregierung initiieren und welche An-reize will sie schaffen, um mehr Lehrerinnen und Lehrermit Migrationshintergrund zu bekommen und auch jün-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19377
(C)
(D)
gere Menschen mit Migrationshintergrund zu begeistern,den Lehrerberuf zu ergreifen?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Gott sei Dank hat das Interesse an der Lehrerbildungzugenommen . Wir haben jetzt Zulassungsbeschränkun-gen an allen Institutionen und Hochschulen in der Bun-desrepublik Deutschland, in denen Lehrer ausgebildetwerden . Ich möchte mich dafür engagieren, dass manverstärkt auch Quereinsteigern, die schon einen Berufhaben und Berufsschullehrer werden wollen, die Mög-lichkeit der Lehrerbildung einräumt; denn gerade im Be-reich der Berufsschullehrer haben wir einen Mangel .Es gibt auch einzelne Projekte, die nicht von der Bun-desregierung initiiert sind, zum Beispiel an der Univer-sität Hildesheim, an der man direkt um Personen mitMigrationshintergrund wirbt, die Lehrer werden wollen .Auch bei KAUSA geht es um Unternehmer und Aus-bildungssuchende mit Migrationshintergrund; denn esmacht bei der Ansprache oder in der Werbung für einenAusbildungsberuf vielleicht Sinn, auf einen Betriebs-leiter mit Migrationshintergrund hinzuweisen, der soschneller zu einem Ansprechpartner werden kann .Ich denke, wir müssen uns überlegen: Wie wollen wirdie jungen Flüchtlinge, die im letzten Jahr zu uns gekom-men sind, fördern? Dabei steht nicht so sehr der BereichHochschule im Fokus, da nur ein kleiner Teil der Flücht-linge an die Hochschulen geht . Aber auch da sollte mandafür werben, dass dort die Erfahrung von Menschen mitMigrationshintergrund zum Tragen kommt .Letzter Punkt – die Anzeige leuchtet zwar schon rot,aber ich sage es trotzdem –: Wir haben das Anerken-nungsgesetz für alle bundesrechtlich geregelten Berufegemacht . Die Länder jedoch haben nicht geregelt – auchNRW nicht –, dass Erzieher und Lehrer aus Drittstaateneine Anerkennung ihrer Qualifikationen bekommen kön-nen . Auch das wäre ein Punkt .
Jetzt der Kollege Xaver Jung .
Frau Präsidentin, vielen Dank . – Frau Ministerin, wir
haben gehört, dass die Bundesregierung im Bereich der
Bildung auf ganz breiter Ebene tätig ist, angefangen von
der frühkindlichen Bildung bis hin zur schulischen Bil-
dung . Wir reden über Weiterbildung und Grundbildung .
– Das ist eine Feststellung . Darauf dürfen wir sogar stolz
sein . Das ist nicht zuletzt die Basis des Erfolges und der
Grund für die Belobigungen, die in den Bildungsberich-
ten immer wieder zum Ausdruck kommen .
Frau Wanka, das sind doch erhebliche finanzielle Be-
lastungen . Wie stellen Sie sich das vor? Ist denn das alles
abgesichert, um diese Herausforderungen auch in der Zu-
kunft zu bewältigen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Entscheidend ist der Haushaltsgesetzgeber . Deswe-
gen hoffe ich sehr, dass die Mittel, die wir vonseiten des
BMBF zum Beispiel für Weiterbildung im beruflichen
Bereich, zur Unterstützung der Grundbildungszentren,
die im Rahmen der Strategie für Alphabetisierung und
Grundbildung Erwachsener geschaffen worden sind, und
für Alphabetisierungskampagnen veranschlagt haben
und einsetzen wollen, bewilligt werden . Für die Alpha-
betisierungskampagne sind für die nächsten Jahre Mittel
in der Größenordnung von 180 Millionen Euro geplant .
Ich bin dankbar für jede Unterstützung . Das kann auch
gerne noch mehr Geld sein .
Ernst Dieter Rossmann .
Damit der Kollege von den Grünen, Herr Gehring,nicht der Einzige ist, der sich hier über die 3,5 MilliardenEuro zusätzlich für Bildungsinvestitionen im Rahmender Bund-Länder-Vereinbarung freut, will auch ich dieseausdrücklich erwähnen, zumal die Ministerin dort eherverhalten reagiert hat .
Daran will ich die Frage anschließen: Was kann dieBundesregierung jetzt tun, damit dieser erfolgreicheAufbruch mit schon gesicherten 3,5 Milliarden Euro fürnachhaltige Bildungsinvestitionen in finanzschwachenKommunen in eine Bildungsallianz von Bund, Ländernund Kommunen mündet? Im Anschluss an Herrn Jung:Welche Sicherheit haben wir, dass die von Ihnen in Aus-sicht gestellten 5 Milliarden Euro vom Finanzministerdieser Regierung tatsächlich bewilligt und hinterlegtwerden? Oder gibt es einen Unterschied zwischen den3,5 Milliarden Euro, die jetzt schon feststehen, und den5 Milliarden Euro, die noch offen sind?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Also, die 3,5 Milliarden Euro stecken, wenn Sie das-selbe meinen wie ich, im Kommunalinvestitionspro-gramm .
Das ist nicht nur für Bildung . Es kann auch für die ener-getische Sanierung von Schulen verwendet werden . Aberdas Geld kann nicht für inhaltliche Aufgaben genutztwerden .Dr. Karamba Diaby
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619378
(C)
(D)
Jetzt gibt es die Idee, finanzschwachen Kommunen3,5 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, die sie fürihre Bildungsinfrastruktur nutzen können . Das ist keineBund-Länder-Vereinbarung, sondern das ist eine Finanz-zuweisung nach Artikel 104b des Grundgesetzes . Darauskönnen auch Hochwasserschäden bezahlt werden .
– Es geht um Finanzhilfen des Bundes . Ich beziehe michhier auf Artikel 104b des Grundgesetzes .
– Keine Ahnung, was Sie meinen;
das muss jetzt einer mal deutlich sagen . – Gut, dann ant-worte ich auf Herrn Rossmann .
Jetzt hat überwiegend die Frau Ministerin das Wort .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Die 3,5 Milliarden Euro sind nichts Neues . Sie stehen
im Haushalt und werden schon ausgegeben . Das ist also
schon geregelt . Die energetische Sanierung läuft .
Am Freitagabend ist beschlossen worden: Wir wollen
sicherstellen, dass für finanzschwache Kommunen Geld
zur Verfügung gestellt wird, das sie in ihre Bildungsin-
frastruktur – also für Dächer, Toiletten oder anderes – in-
vestieren können . Das ist die Beschlusslage vom Freitag,
und das muss jetzt gesetzlich umgesetzt werden .
Ich will nicht nur finanzschwache Kommunen fördern,
die besondere Schwierigkeiten haben, und ich will auch
nicht nur kaputte Dächer reparieren, sondern ich will,
dass die Schule fit für das 21. Jahrhundert ist. Deswegen
will ich ein Digitalisierungsprogramm für alle Schulen in
der Bundesrepublik Deutschland, auch für alle Förder-
schulen und für alle privaten Schulen . Darüber spreche
ich mit den Ländern . Wenn die Kultusminister am 8 . De-
zember ihre Strategie verabschieden, dann müssen wir
gemeinsam dafür sorgen, dass die 5 Milliarden Euro, die
jetzt noch nicht veranschlagungsreif sein können – das ist
völlig klar –, ab 2017/2018 entsprechend zur Verfügung
stehen .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu
diesem Bereich gibt es noch Wortmeldungen von vier
Kolleginnen und Kollegen, und zwar von Simone Raatz,
Saskia Esken, Rainer Spiering und Elfi Scho-Antwerpes.
Ich bitte Sie, noch einmal tief in sich zu gehen, ob diese
Fragen nicht auch im Ausschuss geklärt werden können .
Denn wir haben noch Fragen zu anderen Themen der Ka-
binettssitzung oder zu sonstigen Bereichen, die die Re-
gierung betreffen . Also, nur wer meint, die Frage müsse
jetzt unbedingt noch gestellt werden, der darf sich jetzt
noch einmal melden . – Ich sehe, das ist bei niemandem
der Fall . – Danke schön, Frau Ministerin, dass Sie hier
zur Verfügung gestanden und so ausführlich geantwortet
haben .
Dann habe ich weitere Wortmeldungen . Gibt es zu
anderen Themen der Kabinettssitzung Fragen? – Das ist
nicht der Fall . Aber es gibt sonstige Fragen an die Bun-
desregierung . Dazu hat sich der Kollege Volker Beck ge-
meldet .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Der Bundesjustizmi-
nister hat für den Monat Oktober einen Gesetzentwurf
zur Rehabilitierung und Entschädigung der verfolgten
Homosexuellen angekündigt . Da dies die einzige Sit-
zungswoche ist, die wir im Oktober haben, frage ich die
Bundesregierung, in welcher Kabinettssitzung die Ver-
abschiedung dieses Gesetzentwurfes, den wir noch nicht
kennen, geplant ist . Das kann vielleicht Herr Lange sa-
gen .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ich habe am Rande gehört, dass der Justizminister die-
ses vorhat . Über genaue Terminlagen könnte eventuell
der zuständige Staatssekretär etwas sagen .
Bitte schön, Herr Staatssekretär Lange .
C
Herr Kollege Beck, Sie haben die Frage bereits in der
letzten Fragestunde gestellt,
und ich hatte Ihnen darauf geantwortet, dass unser Haus
an dem Referentenentwurf arbeitet . Ich kann Ihnen die
freudige Mitteilung machen, dass der Herr Bundesminis-
ter den Referentenentwurf gebilligt hat, sodass wir sehr
gut im Zeitplan liegen .
Ansonsten wiederhole ich meine Antwort der letzten
Fragestunde: Jetzt geht es in das entsprechende Verfah-
ren, sprich: in die Länder- und Verbändeanhörung und
vorher noch in die Ressortabstimmung .
Danke schön . – Jetzt hat der Kollege Mutlu das Wort,und danach die Kollegin Haßelmann .Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19379
(C)
(D)
Danke, Frau Präsidentin . – Aus der Presse haben wir
erfahren, dass der Präsident des Internationalen Olym-
pischen Komitees, der nach den Statuten des IOC ver-
pflichtet ist, die Interessen des Verbandes zu vertreten,
seit 1994 im Besitz eines Diplomatenpasses ist, wobei
klar unterstrichen werden muss, dass die Vergabe eines
Diplomatenpasses ganz klaren Regeln folgt, und die Ver-
bandspräsidentschaft fällt nicht unter diese Regelung .
Daher meine Frage an die Bundesregierung: Mit welcher
Begründung wurde dieser Diplomatenpass 1994 ausge-
stellt, und welche Minister haben mit welcher Begrün-
dung wann jeweils diesen Diplomatenpass verlängert?
Die Frau Staatsministerin Dr . Böhmer .
D
Gerne, Herr Kollege Mutlu . Ich habe das auch jetzt
erst erfahren und bin genauso überrascht wie Sie, gestehe
ich Ihnen . Damit Sie eine gründliche Antwort erhalten,
würde ich das gerne im Auswärtigen Amt überprüfen las-
sen und Ihnen dann die Antwort zukommen lassen .
– Ja . Nicht jeder liest vielleicht die Zeitungen so schnell
wie Sie, vor allen Dingen wenn man auf Dienstreise ist .
Vielen Dank . – Jetzt hat Britta Haßelmann das Wort .
Ich dachte immer, das Auswärtige Amt hat sicher-
lich mehr als eine Person, die das verfolgt . Das stand in
der Süddeutschen Zeitung. Das ist nicht irgendeine Zei-
tung . – Aber schön ist, dass wir die Information schrift-
lich bekommen . Danke .
Ich habe eine andere Frage entweder an Frau Wanka
oder an das Wirtschaftsministerium oder an das Kanz-
leramt . Wie gedenken Sie das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts zu CETA jetzt umzusetzen, das Ihnen klare
Bedingungen hinsichtlich der gemischten Ausschüsse
und anderer Fragen mit auf den Weg gegeben hat, bevor
es zur Zustimmung und einer vorläufigen Anwendung
Deutschlands im Rahmen der Ratifizierung des Abkom-
mens kommen kann?
Wer antwortet seitens der Bundesregierung? – Frau
Staatssekretärin Zypries .
B
Vielen Dank . – Frau Abgeordnete, Sie haben völlig
recht: Es gibt drei Voraussetzungen, die das Bundes-
verfassungsgericht in seinem Urteil zur Ablehnung der
einstweiligen Anordnung dargetan hat . Alle drei Voraus-
setzungen sind gestern beim Handelsministerrat in ge-
meinsamen Erklärungen umgesetzt worden .
Das heißt also: Die gemeinsamen Erklärungen, die
dort verabschiedet wurden, berücksichtigen all dieses,
etwa die Frage der gemischten Ausschüsse . Insofern se-
hen wir mit Blick auf die Erfüllung der Voraussetzungen
unsererseits und damit die Umsetzung kein Problem .
Aber Sie wissen, dass es wegen Belgien, Rumänien
und Bulgarien noch fraglich ist, ob CETA verabschiedet
wird?
Vielen Dank . – Mir liegen keine weiteren Wortmel-dungen vor . Somit beende ich die Befragung der Bun-desregierung .Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:FragestundeDrucksache 18/9971Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wiruns darauf verständigt haben, dass es jeweils zwei Minu-ten Redezeit für die erste Antwort gibt . Für die folgendenFragen und Antworten gibt es jeweils eine Minute . Dafürgibt es die rückwärtslaufende Sekundenanzeige sowiedie Warnzeichen in den Farben Grün, Gelb und Rot .Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-heit auf . Die Frage 1 des Abgeordneten Stephan Kühnund die Frage 2 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhlwerden schriftlich beantwortet .Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung auf . Zur Beantwortung steht der Parlamenta-rische Staatssekretär Thomas Silberhorn zur Verfügung .Ich rufe die Frage 3 der Abgeordneten Inge Höger,Fraktion Die Linke, auf:Plant die Bundesregierung, bei der jüngst beschlosse-nen Schaffung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen rundum Syrien die jeweils regional geltenden Regelungen zuMindestlöhnen einzuhal-ten, und für den Fall, dass dies nicht geplant ist, wie willdie Bundesregierung verhindern, dass dies zu Lohndum-ping und weiteren Spannungen zwischen Flüchtlingen und
Bitte schön, Herr Kollege .http://www.sueddeutsche.de/news/politik/migration-bundesregierung-schafft-jobs-in-krisenregion-um-syrien-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-161001-99-658429http://www.sueddeutsche.de/news/politik/migration-bundesregierung-schafft-jobs-in-krisenregion-um-syrien-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-161001-99-658429http://www.sueddeutsche.de/news/politik/migration-bundesregierung-schafft-jobs-in-krisenregion-um-syrien-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-161001-99-658429http://www.sueddeutsche.de/news/politik/migration-bundesregierung-schafft-jobs-in-krisenregion-um-syrien-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-161001-99-658429
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619380
(C)
(D)
Th
Frau Kollegin Höger, das Bundesentwicklungsminis-
terium stellt noch in diesem Jahr 200 Millionen Euro be-
reit, um mindestens 50 000 Flüchtlinge und Bewohner
der aufnehmenden Gemeinden in der Region des Nahen
Ostens in Beschäftigung zu bringen .
Die Entlohnung für die Arbeiten im Rahmen dieser
Initiative ist grundsätzlich am jeweiligen nationalen
Mindestlohn und an den jeweiligen nationalen Regelun-
gen für Cash-for-Work-Vorhaben orientiert .
Frau Kollegin Höger .
Vielen Dank . – Ich habe eine Nachfrage: Es gibt sehr
widersprüchliche Medienberichte über den gezahlten
Lohn im Rahmen des Programms „Geld für Arbeit“ .
Zum einen heißt es für Jordanien, dass 200 Dinar – der
Mindestlohn beträgt dort 195 Dinar im Monat, was etwa
250 Euro entspricht – gezahlt werden . Andererseits
schreibt der Spiegel in einem Bericht von einem Jahres-
gehalt in Höhe von 800 Dollar . Das wäre nur ungefähr
ein Viertel des Mindestlohns . Deshalb möchte ich gern
wissen, welche Regelungen tatsächlich gelten .
Th
Es gelten die jeweiligen nationalen Regelungen . Ich
darf allerdings darauf hinweisen, dass zwei Drittel dieser
Beschäftigungsverhältnisse kurzfristige Beschäftigungen
sind . Bei etwa einem Drittel handelt es sich um länger-
fristige Beschäftigungen . Das gilt insbesondere für die
Lehrkräfte, die wir einstellen .
Ihre zweite Zusatzfrage, Frau Kollegin Höger .
Gerade in Jordanien wird seit längerem um eine Erhö-
hung des Mindestlohns auf 300 Dinar gekämpft; er wur-
de seit 2008 nicht angehoben . Wenn nun der existierende
Mindestlohn durch das Programm vonseiten der Bundes-
regierung bzw . vonseiten Deutschlands festgeschrieben
wird: Führt das nicht zu weiteren Spannungen zwischen
Einheimischen und Flüchtlingen?
Th
Wir sind sehr darauf bedacht, Spannungen zu vermei-
den . Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass Flücht-
linge und aufnehmende Gemeinden in der schwierigen
Situation, in der sie sich befinden, eine mittelfristige Per-
spektive haben . Wir orientieren uns an den nationalen
Vorgaben . Wir sind sehr dankbar dafür, dass in den betref-
fenden Ländern zunehmend nicht nur Aufenthaltsberech-
tigungen für Flüchtlinge, sondern auch Arbeitsgenehmi-
gungen erteilt werden; denn das sind die Voraussetzungen
dafür, dass wir schnell Beschäftigungsverhältnisse schaf-
fen . Um Spannungen zu vermeiden, adressieren wir das
Programm „Cash for Work“ ausdrücklich nicht nur an
Flüchtlinge, sondern auch an die Einwohner vor Ort, also
an die aufnehmenden Gemeinden direkt .
Jetzt hat der Kollege Movassat eine Zusatzfrage .
Danke, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekretär, es
handelt sich zumindest in Jordanien um unqualifizierte
Aushilfsjobs, die Sie dort schaffen . Wäre es nicht sinn-
voller, in die Qualifizierung der Geflüchteten zu investie-
ren? Wie wir wissen, verfügen viele Flüchtlinge über be-
stimmte Qualifikationen und werden nun in Aushilfsjobs
gedrängt . Anscheinend geht es in erster Linie darum, eine
große Anzahl an Jobmöglichkeiten zu schaffen . Aber es
ist fraglich, dass das für die betreffenden Menschen nach-
haltig ist . Spielen solche Überlegungen für Sie eine Rol-
le?
Th
In Jordanien haben wir Beschäftigungsverhältnisse
im Bereich Abfallbeseitigung und Recycling geschaffen .
Das sind aktuell bereits über 4 000 . Bis Jahresende wer-
den es etwa 6 000 sein . Wir investieren in Gehälter für
Lehrkräfte und weiteres Personal . Hier sind aktuell etwa
2 400 Beschäftigungsverhältnisse geschaffen worden .
Bis Jahresende sollen es 5 600 werden . Zudem gibt es
Vorhaben zur Ausbesserung von Straßen . Bis Jahresende
sollen hier gut 1 000 Beschäftigungsverhältnisse geschaf-
fen werden . In der Tat sind auch Aushilfsbeschäftigun-
gen dabei . Aber es geht darum, die Flüchtlinge, die vor
Ort oft untätig sind und keine Perspektive sehen, dazu
zu bewegen, ihre Kinder in den Unterricht zu schicken
und diese Notsituation auszuhalten, sowie ihnen durch
die Möglichkeit der Beschäftigung eine mittelfristige
Perspektive zu geben . Natürlich setzen wir längerfristig
auf Qualifizierung und berufliche Bildung. Das tun wir
bereits in der Region, beispielsweise im Libanon und zu-
nehmend in der Türkei, aber unter nicht ganz einfachen
Bedingungen .
Vielen Dank . – Wir kommen damit zur Frage 4 desAbgeordneten Uwe Kekeritz:Durch welche konkreten Maßnahmen stellt die Bundesre-gierung bei der Umsetzung der CSR-Richtlinie, der Arbeit desTextilbündnisses und der Erarbeitung des Nationalen Aktions-plans „Wirtschaft und Menschenrechte“ ein kohärentesRegierungshandeln sicher, und wurden nach Auffassung derBundesregierung in den Entwurfsfassungen des NAP die vonder Zivilgesellschaft im Konsultationsprozess eingebrachtenVorschläge ausreichend berücksichtigt?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19381
(C)
(D)
Auch hier steht der Parlamentarische StaatssekretärThomas Silberhorn zur Beantwortung zur Verfügung . –Bitte schön, Herr Kollege .Th
In dieser Frage werden drei unterschiedliche Prozesse
angesprochen: die Erarbeitung des Nationalen Aktions-
plans „Wirtschaft und Menschenrechte“ unter Federfüh-
rung des Auswärtigen Amts, die Umsetzung der Corpo-
rate-Social-Responsibility-Richtlinie in nationales Recht
unter Federführung des Bundesministeriums der Justiz
und für Verbraucherschutz und die Arbeit des Textil-
bündnisses aus unserem Haus, dem Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung .
Diese drei unterschiedlichen Prozesse überschneiden
sich inhaltlich teilweise, sind aber aufgrund ihres jeweili-
gen rechtlichen Charakters unterschiedlich und getrennt
zu behandeln .
Der Nationale Aktionsplan soll als ein übergeordneter
Referenzrahmen für alle Branchen in Deutschland beim
Thema „Wirtschaft und Menschenrechte“ dienen . Bei
der CSR-Richtlinie sind bestimmte Unternehmen betrof-
fen, die sich bei der nicht finanziellen Berichterstattung
betreffend den Aspekt Menschenrechte beispielswei-
se an den VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Men-
schenrechte orientieren sollen . Das Textilbündnis zeigt
exemplarisch anhand einer Branche, dem Textilsektor,
auf, wie nationale Initiativen unterschiedliche Akteure
zusammenbringen und Themen nachhaltiger wirtschaft-
licher Entwicklung aufgreifen können .
Die Ressortabstimmungen zu diesen drei unterschied-
lichen Prozessen finden regelmäßig statt. Um weitere Sy-
nergien im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zu
schaffen, hat unser Haus bereits Mitte dieses Jahres die
Zuständigkeiten für alle drei Prozesse in einem Referat
zusammengeführt .
Der Entwurf zum Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft
und Menschenrechte“, der vom Auswärtigen Amt feder-
führend erstellt wird, befindet sich derzeit in der Ressort-
abstimmung . Insoweit kann ich zum jetzigen Zeitpunkt
keine inhaltliche Stellungnahme abgeben . Allerdings –
danach hatten Sie ausdrücklich gefragt – sind zivilgesell-
schaftliche Akteure bei der Vorbereitung dieses Entwurfs
intensiv eingebunden worden .
Herr Kollege Kekeritz .
Herzlichen Dank . – Sie haben richtig erwähnt, dass es
drei Prozesse sind: Textilbündnis, NAP und CSR-Richt-
linie . Bei allen drei Prozessen geht es um internationa-
le Verantwortung bzw . die Verantwortung international
agierender Unternehmen . Wir wissen seit langem, dass
die Tätigkeit internationaler Konzerne durchaus auch
negative, entsetzliche Wirkungen auf Entwicklungs-
und Schwellenländer erzielen kann . Deshalb wurde auf
UN-Ebene beschlossen, dass es einen Nationalen Akti-
onsplan in jedem Land geben soll . Diese UN-Initiative
spricht ganz klar davon, dass jedes Land freiwillige und
gesetzliche Verpflichtungen auferlegen soll. Könnten Sie
mir zwei oder drei der gesetzlichen Verpflichtungen be-
nennen, die im NAP geplant sind?
Th
Sie wissen, dass das BMZ für einen ambitionierten
Nationalen Aktionsplan eintritt . Was letztlich Inhalt die-
ses Planes der Bundesregierung sein wird, kann ich Ihnen
erst vortragen, wenn es dazu eine Einigung gegeben hat .
Insofern bitte ich um Verständnis, dass ich keine Zwi-
schenstände der Meinungsbildung referieren kann, die
derzeit noch innerhalb der Bundesregierung stattfindet.
Herr Kollege Kekeritz, Sie haben noch eine Nachfra-
ge .
Da muss ich Sie, Herr Staatssekretär, leider enttäu-
schen . Ich habe kein Verständnis dafür, weil die Zwi-
schenstände inzwischen schon in den Medien publiziert
worden sind und wir sehr wohl wissen, wie die Zwischen-
stände sind . Wir wissen, dass die ursprüngliche Fassung
des NAP sehr weich war . Nachdem allerdings im Finanz-
ministerium darübergeschaut worden ist, ist er überhaupt
nicht mehr brauchbar, sodass viele NGOs sagen, es wäre
besser, keinen solchen Plan zu verabschieden, weil er ne-
gative Auswirkungen hätte und den Unternehmen einen
riesengroßen Freiraum schaffen würde, den kein Mensch
haben will .
Ich frage Sie ganz konkret: Ist das BMZ wirklich nicht
in der Lage, hier Gegenpositionen zu beziehen? Wenn
Sie in der Lage sind, dagegen Positionen zu beziehen,
warum merkt davon kein Mensch etwas?
Th
Die Bundesregierung hat den Auftrag, eine gemein-
same Position zu finden. Dabei bringt sich das BMZ
aktiv ein . Insofern kann ich Ihnen versichern, dass wir
Ihnen und der Öffentlichkeit die Enttäuschung ersparen
werden, keinen Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und
Menschenrechte“ vorzulegen . Das werden wir tun . So-
bald wir uns auf Inhalte verständigt haben, werden wir
diese auch kommunizieren .
Der Kollege Niema Movassat hat noch eine Zusatz-
frage .
Herr Staatssekretär, eigentlich sollte es schon seit Junieinen Nationalen Aktionsplan geben . Wir warten schoneine ganze Weile . Das Parlament wird sehr schlecht bisgar nicht informiert . Die Medien werden schon infor-Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619382
(C)
(D)
miert . Wenn wir als Deutscher Bundestag wissen wollen,was beim Nationalen Aktionsplan passiert, dann müssenwir uns eher an die Medien als an die Bundesregierungwenden . Die fehlende Information, die wir auch hier jetztwieder erleben, ist ein Problem .Dass innerhalb der Bundesregierung offensichtlichunterschiedliche Positionen beim Nationalen Aktions-plan bestehen, liegt auf der Hand . Es gibt einen Brief vonfünf stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD andie Bundeskanzlerin, in dem sie die Verwässerung desEntwurfs durch das Bundesfinanzministerium sehr deut-lich kritisiert haben .Insofern stellen sich schon Fragen: Wann wird es ei-nen fertigen Nationalen Aktionsplan geben? Das würdemich sehr interessieren . Zum anderen: Wie gehen Sie alsBMZ, das eine entwicklungspolitische Verantwortunghat, mit der Kritik um, die auch von Ihrem Koalitions-partner kommt?Th
Ich kann Ihnen zum Zeitplan sagen, dass sich eine
Staatssekretärsrunde am 7 . Oktober dieses Jahres auf
Grundlinien eines Nationalen Aktionsplans verständigt
hat . Wir im BMZ setzen uns weiterhin für eine ambitio-
nierte Fassung dieses Nationalen Aktionsplanes ein . Wir
haben dieses Thema auch mehrfach im Deutschen Bun-
destag, insbesondere im Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, diskutiert . Das wis-
sen Sie; Sie haben daran teilgenommen . Insofern wissen
Sie auch, dass wir die Anliegen, die das BMZ verfolgt,
beispielsweise globale Lieferketten, auch in einem sol-
chen Nationalen Aktionsplan berücksichtigt wissen wol-
len .
Vielen Dank . – Ich rufe Frage 5 des Abgeordneten
Uwe Kekeritz auf:
Wie erklärt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung, dass der Bundesminister für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr . Gerd
Marshallplan für Afrika fordert, sich dabei auf konkrete Vor-
schläge an und Gespräche mit dem Bundesminister der Finan-
Sigmar Gabriel , bezieht und dennoch
keinerlei konkrete Angaben zu konkreten Überlegungen, ein-
bezogenen Partnerländern oder dergleichen gemacht werden
von Bundesminister Dr . Gerd Müller im
Widerspruch zur Absage an einen Marshallplan für Afrika
durch die Bundeskanzlerin Dr . Angela Merkel während ihres
Müller diese Forderungen erneut erhob (Phoenix, Der Tag,
10 . Oktober 2016)?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Th
Der Entwurf eines Marshallplans wird derzeit im
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung erarbeitet . Darin wird die bewährte
Afrika-Politik unseres Hauses weiterentwickelt, und es
wird an die Agenda 2063 der Afrikanischen Union an-
geknüpft . Insbesondere die von Bundesminister Dr . Gerd
Müller bereits unterbreiteten Vorschläge für mehr Privat-
investitionen in Afrika werden hier einfließen.
Die Aussagen von Minister Dr . Gerd Müller stehen
auch nicht im Widerspruch zu denen der Bundeskanz-
lerin . Die Bundeskanzlerin hat sich mit ihrer Aussage
konkret auf die Forderung des nigrischen Präsidenten
Mahamadou Issoufou bezogen, die dieser selbst als Mar-
shallplan bezeichnet hat . Sie betonte in diesem Zusam-
menhang, dass sie auf der erprobten Entwicklungsarbeit
aufbauen wolle und dass für Leistungen auch Kooperati-
on und Gegenleistungen erwartet würden .
Darüber hinaus hat die Bundeskanzlerin darauf hin-
gewiesen, dass Angebote für Afrika nicht vergleichbar
sein könnten mit dem Marshallplan für das Nachkriegs-
europa, weil die Grundbedingungen damals eben ande-
re waren . Entsprechend fokussiert der derzeit im BMZ
erarbeitete Marshallplan auf afrikanische Lösungen für
Afrika durch nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung
und Beschäftigung .
Herr Kollege Kekeritz .
Herr Staatssekretär, Sie haben seherische Fähigkeiten .Sie wussten, welche Zusatzfrage ich stellen wollte; da-rum haben Sie deren Beantwortung vorweggenommen .Ich hatte Ihnen eine ganz konkrete Frage schriftlicherArt gestellt . Ich wollte wissen, mit wem solche Aktionenabgesprochen sind . Marshallplan ist wirklich der größte,der gigantischste Begriff in Bezug auf Hilfe . Da sollteman sich dann doch an die Geschichte erinnern: Mar-shallplan, das ist etwas, was auf internationaler Ebenelange geplant, vorbereitet und strukturiert worden ist .Bezüglich Afrika habe ich festgestellt, dass Sie zwarden Begriff „Marshallplan“ verwendet haben, aber offen-sichtlich sind über einen solchen Plan noch mit nieman-dem Gespräche geführt worden; sonst hätten Sie mir da-von ja in der Antwort etwas sagen können . Ich kann mirnicht vorstellen, wie ein Entwicklungsministerium solchein Projekt ganz allein realisieren kann . Daran, dass dasgeht, habe ich schon meine Zweifel .Außerdem bin ich der Meinung – ich beziehe michauf Ihre prophylaktische Antwort –: Die Kanzlerin hat inNiger nicht gesagt, dass wir unsere gute Entwicklungs-politik fortsetzen, sondern sie hat gesagt: Wir zahlen ersteinmal 16 Millionen Euro; dann sehen wir, was darauswird, und dann können wir über Weiteres reden .Mit wem wurde der Marshallplan abgesprochen? Wel-che Dimensionen soll er haben? Inwieweit bildet sich dasNiema Movassathttp://de.reuters.com/article/deutschland-afrika-hilfe-idDEKCN11L17Fhttp://de.reuters.com/article/deutschland-afrika-hilfe-idDEKCN11L17Fhttp://de.reuters.com/article/deutschland-afrika-hilfe-idDEKCN11L17Fhttp://ftp-tv.wdr.de/main.html?download&weblink=7944e3e9945086b8ea70df61c7b4c0b7http://ftp-tv.wdr.de/main.html?download&weblink=7944e3e9945086b8ea70df61c7b4c0b7http://ftp-tv.wdr.de/main.html?download&weblink=7944e3e9945086b8ea70df61c7b4c0b7http://www.taz.de/!5343632
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19383
(C)
(D)
deutsche Entwicklungsministerium ein, dabei allein, alsoohne internationale Zusammenarbeit auf europäischerEbene, mit den USA, mit den Japanern und Australiern,vorzugehen?Th
Herr Kollege Kekeritz, Ihre Einlassung überrascht
mich etwas; denn das war das erste Mal in dieser Legisla-
turperiode, dass Sie offen zum Ausdruck gebracht haben,
in der Entwicklungszusammenarbeit weniger ehrgeizig
sein zu wollen als das Bundesentwicklungsministerium .
Natürlich reden wir mit vielen Partnern über das, was
wir unter der Überschrift „Marshallplan“ vorschlagen
wollen . Das tun wir im Rahmen der Europäischen Union .
Ich habe selbst eine Reihe von Gesprächen dazu mit bi-
lateralen, multilateralen Partnern geführt . Das wird kein
Alleingang des deutschen Entwicklungsministeriums
sein; aber wir werden dazu in Vorlage gehen, und wir
werden präsentieren, was wir uns darunter vorstellen .
Ich darf darauf hinweisen, dass Deutschland im nächs-
ten Jahr die G-20-Präsidentschaft innehat . Wir werden
auch in diesem Rahmen versuchen, einen Akzent mit
Blick auf Afrika als unseren Nachbarkontinent zu setzen .
In diesem Fahrplan spielen auch unsere Überlegungen
für einen Marshallplan eine Rolle .
Herr Kollege Kekeritz .
Der Marshallplan, so wie Sie ihn gerade geschildert
haben, wird als Erstes auf private Initiative setzen . Inwie-
weit wird er sich von der bisher durchgeführten klassi-
schen, traditionellen, wie Sie selber sagen, gut fundierten
und bewährten Afrika-Politik des BMZ unterscheiden?
Ich denke, dass sich in den letzten Monaten herauskris-
tallisiert hat, dass eine deutliche Abkehr von der üblichen
Entwicklungspolitik stattfindet. Es wird ganz massiv
auf Privatinitiativen gesetzt . Es wird ganz intensiv auf
Grenzmanagement gesetzt . Es wird ganz intensiv auf
Stärkung von Polizei- und militärischen Strukturen ge-
setzt . Das alles sind Paradigmenwechsel, die nirgendwo
abgesprochen sind, die auch nicht erklärbar sind und
die vor allen Dingen eines nicht bewirken, nämlich die
Fluchtursachen zu reduzieren . Also: Inwieweit wird sich
Ihr Marshallplan von der bisher geleisteten Entwick-
lungspolitik unterscheiden?
Th
Der Marshallplan wird keine Revision der bisherigen
Entwicklungspolitik sein, sondern darauf aufbauen und
sie zu erweitern versuchen . Wir sind in einem interna-
tionalen Dialog, in dem wir im letzten Jahr im Rahmen
der Vereinten Nationen die Agenda 2030 für nachhalti-
ge Entwicklung beschlossen haben und zu dem es große
Konferenzen über die Finanzierung von Entwicklungs-
zusammenarbeit gab . Das muss für unsere Antworten
Konsequenzen haben, auch in der bilateralen Entwick-
lungszusammenarbeit .
Wir haben unser Engagement in Afrika in den letzten
Jahren signifikant erweitert – das wissen Sie –, und wir
müssen tatsächlich auch neue Partner mit ins Boot holen .
Die Vorstellung, in der Zusammenarbeit allein aus un-
seren Steuermitteln auf einem so gewaltigen Kontinent
mit 1,2 Milliarden Einwohnern signifikante Unterschiede
erzielen zu können, ist verwegen . Deswegen müssen wir
uns zur Decke strecken und viele weitere Partner mit ein-
beziehen . Dazu zählt auch der private Sektor . Es gilt aber
auch, insbesondere die Möglichkeiten der Entwicklungs-
länder zu stärken, eigene Ressourcen zu nutzen und da-
mit ihre Abhängigkeiten von Geberstaaten zu reduzieren .
In diesem breiten Kontext müssen wir die Fragen auch in
einem Marshallplan angehen .
Danke . – Dann noch der Abgeordnete Movassat .
Her
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir hat-
ten heute einen sehr interessanten Gast bei uns im Aus-
schuss, einen Jesuitenpater aus Kenia, der einiges auch
zum Thema „Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika“
gesagt hat . Er hat unter anderem gesagt, es gehe ihm nicht
darum, dass man primär noch mehr gibt, sondern darum,
dass man weniger nimmt . Der ehemalige UN-Sonderbe-
richterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, hat
das einmal mit den Worten beschrieben: Es kommt nicht
darauf an, der Dritten Welt mehr zu geben, sondern da-
rauf, weniger zu stehlen .
In dem Zusammenhang würde mich interessieren, wa-
rum Sie als Ministerium sich zum Beispiel nicht gegen
die EPAs, die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit
den afrikanischen Ländern, aussprechen, die den Part-
nern wirklich die Pistole auf die Brust setzen und wirt-
schaftliche Entwicklung dort unmöglich machen . Der
Afrika-Beauftragte der Kanzlerin, Herr Nooke, hat ein-
mal gesagt: Das EU-Freihandelsabkommen EPA macht
Entwicklungshilfe zunichte . – Die Frage ist, warum Sie
von irgendwelchen Marshallplänen schwadronieren, die
anscheinend auch gar nicht von der Kanzlerin unterstützt
werden – man fragt sich sowieso, wie das überhaupt
funktionieren soll –, warum Sie sich nicht für Maßnah-
men einsetzen, die der Entwicklung in Afrika wirklich
helfen würden, zum Beispiel ganz konkret für den Stopp
der EPAs .
Th
Die Staaten des afrikanisch-karibisch-pazifischenRaums genießen präferenziellen Zugang zum europä-Uwe Kekeritz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619384
(C)
(D)
ischen Binnenmarkt . Die europäischen Wirtschafts-partnerschaftsabkommen sind darauf gerichtet, deneuropäischen Binnenmarkt für die Produkte aus Ent-wicklungsländern offen zu halten . Der Pater, der aufIhre Einladung heute im Ausschuss gewesen ist, hat ge-nau das hervorgehoben und dafür plädiert, dass wir dieMärkte offen halten . Er hat es ausdrücklich formuliert;Sie werden es im Protokoll der Ausschusssitzung nach-lesen können .
Insofern gibt es nun Verhandlungen über Wirtschafts-partnerschaftsabkommen, die von der EuropäischenKommission geführt werden . Wir beteiligen uns intensivdaran, auch wenn die Federführung nicht immer bei unsliegt . Diese Abkommen dienen nicht dazu, Partnern diePistole auf die Brust zu setzen . Die Vertreter der Europä-ischen Kommission verhandeln unbewaffnet, die Vertre-ter der afrikanischen Partnerstaaten ebenfalls . Sie sind inmehr als eine Diskussion einbezogen gewesen . Wir alsBMZ haben insbesondere auch die Vertreter unserer Part-nerländer zu uns ins Haus gebeten, um die Details dieserPartnerschaftsabkommen mit ihnen zu besprechen . Sieselbst sind für heute, 17 Uhr, eingeladen, an einer weite-ren Diskussion über Studien zu den Chancen, aber auchden Herausforderungen von Wirtschaftspartnerschafts-abkommen teilzunehmen, die in unserem Auftrag, imAuftrag des Entwicklungsministeriums, erstellt wordensind . Insofern nehmen wir das sehr ernst .Gestatten Sie mir noch einen Satz zur Frage „Stehlenoder nehmen“?
Noch einen, weil das dann sowieso der Abschluss die-
ses Geschäftsbereiches ist .
Th
Es treibt uns schon sehr um, dass nach Schätzungen
der OECD jedes Jahr mindestens 150 Milliarden US-Dol-
lar aus Entwicklungsländern in andere Länder expor-
tiert werden . Dieses Geld, das in Entwicklungsländern
verdient worden ist, wird dort aber nicht investiert und
eingesetzt, um Beschäftigung und wirtschaftliche Ent-
wicklung zu schaffen . Das ist mehr Geld, als die gesam-
te internationale Gemeinschaft an Entwicklungsgeldern
zur Verfügung stellt . Wir werden uns – auch im Rahmen
dieses Marshallplans – intensiv folgender Frage widmen
müssen: Wie können wir dazu beitragen, dass die in Ent-
wicklungsländern vorhandenen Mittel auch dort gehalten
und so eingesetzt werden, dass nachhaltige wirtschaft-
liche Entwicklung und Beschäftigungsperspektiven vor
Ort entstehen können?
Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende dieses Ge-
schäftsbereichs . Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staats-
sekretär Silberhorn, für die Beantwortung .
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanz-
lerin und des Bundeskanzleramtes .
Die Frage 6 des Abgeordneten Oliver Krischer wird
schriftlich beantwortet .
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie . Zur Be-
antwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Brigitte Zypries zur Verfügung .
Die Frage 7 der Abgeordneten Bärbel Höhn, die Fra-
gen 8 und 9 der Abgeordneten Katharina Dröge sowie
die Frag 10 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl wer-
den schriftlich beantwortet .
Ich rufe jetzt die Frage 11 des Kollegen Hubertus
Zdebel auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darü-
ber vor, dass die dem Bundesministerium für Wirtschaft und
Energie unterstehende Bundesanstalt für Geowis-
senschaften und Rohstoffe die Internetseite über ihre
Präsidenten mit dem Link www .bgr .bund .de/DE/50JahreB-
nachdem über die Vergangenheit von Geologen, die an der
Kriegsführung in Nazideutschland großen Anteil hatten – da-
runter mit Hans-Joachim Martini, Alfred Bentz und Gerhard
Richter-Bernburg ehemalige BGR-Präsidenten –, berichtet
sie diesen Vorgang?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin .
B
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Die Bundesanstalt
für Geowissenschaften und Rohstoffe, Herr Abgeordne-
ter, hat uns mitgeteilt, dass es sich bei den Internetsei-
ten, nach denen Sie gefragt hatten, um Informationen aus
Anlass der Feier des 50-jährigen Jubiläums der BGR am
25 . November 2008 gehandelt hat . Auf diesen Internet-
seiten seien neben dem Programm zum Festakt auch eine
Zeittafel der Geschichte der BGR sowie Kurzportraits
der ehemaligen Präsidenten der BGR aufgenommen ge-
wesen . Teile dieser Internetdarstellung bedurften einer
Überarbeitung und einer neuen Einordnung . Deshalb sei-
en sie heruntergenommen worden . Insofern ist der Sach-
verhalt richtig .
Zur Geschichte der BGR, um die es ja nun eigentlich
geht, gibt es eine eigenständige Internetseite mit der ent-
sprechenden Zeittafel, die nach den aktuellen Recher-
chen um den folgenden Hinweis – ich zitiere – ergänzt
wurde:
Die systematische geschichtliche Untersuchung und
wissenschaftliche Aufarbeitung der BGR und ihrer
Vorläufereinrichtungen steht noch aus . Der Unter-
suchung kommt aus Sicht des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Energie sowie der BGR
eine große Bedeutung zu . Auf Basis der Erfahrun-
gen aus der Geschichtskommission des BMWi wird
das BMWi gemeinsam mit der BGR dazu weitere
konkrete Schritte einleiten .
Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
//www.bgr.bund.de/DE/50JahreBGR/DE/Praesidenten/praesidenten_node.htmlhttp://www.bgr.bund.de/DE/50JahreBGR/DE/Praesidenten/praesidenten_node.htmlhttp://www.sueddeutsche.de/politik/ns-vergangenheit-erdoel-fuer-den-fuehrer-1.3191600http://www.sueddeutsche.de/politik/ns-vergangenheit-erdoel-fuer-den-fuehrer-1.3191600http://www.tagesschau.de/ausland/geowissenschaften-ns-101.htmlhttp://www.tagesschau.de/ausland/geowissenschaften-ns-101.html
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19385
(C)
(D)
Dass dies so sein wird, ist in der Tat mit unserem Minis-terium abgestimmt . Das heißt, es wird jetzt eine solcheUntersuchung geben .
Bitte schön, Ihre Zusatzfrage .
Danke schön, Frau Präsidentin . – Das bedarf doch
noch einmal einer genaueren Nachfrage, Frau Zypries .
Die Fakten, die Sie vorgetragen haben, stimmen so weit .
Es gibt jetzt in der Tat auf der BGR-Homepage einen ganz
neuen Hinweis . Er erfolgte, nachdem es erste Veröffent-
lichungen in den Medien über die braune Vergangenheit
einiger führender Geologen im Dritten Reich gab, was
die Kriegsvorbereitung und die Ausbeutungsprozesse bei
der Gewinnung von Rohstoffen anbelangte .
Pikant bei der ganzen Angelegenheit ist allerdings,
dass es sich bei dreien dieser ehemaligen NS-Geologen
um spätere Präsidenten der Bundesanstalt für Geowis-
senschaften und Rohstoffe handelt . Insbesondere möchte
ich auf Herrn Hans-Joachim Martini hinweisen, der auch
Namensgeber der Hans-Joachim-Martini-Stiftung ist . Er
war von 1940 bis 1945 im Reichsprotektorat Böhmen
und Mähren Leiter der dortigen Arbeitsstelle für Boden-
forschung . Des Weiteren war er, wie sich jetzt ebenfalls
herausgestellt hat, auch in der damaligen Marionettenre-
publik Slowakische Republik, die es ja bis 1945 gab, tä-
tig . Es hat sich ebenfalls herausgestellt, dass Herr Martini
Mitglied der SA, später der NSDAP und der SS gewesen
ist . Das ist in den Medien dargelegt worden . Daraufhin
hat es auf der Homepage der BGR eine Änderung gege-
ben . Es hat auf dieser Seite, die ich gerade angesprochen
habe, auch die Entnahme der Beiträge über diese ehe-
maligen BGR-Präsidenten gegeben . Über Herrn Marti-
ni – den ich bereits angesprochen habe – fehlt für die Zeit
von 1940 bis 1945 ein entsprechender Hinweis . Das hat
zumindest für mich ein Geschmäckle . Man hätte durch-
aus einen Hinweis machen können, dass diese Seite im
Rahmen der historischen Überarbeitung bearbeitet wer-
den muss . Es gehört zur historischen Überarbeitung, sol-
che Vorgänge nicht einfach sang- und klanglos von der
Homepage verschwinden zu lassen, vielmehr müssen sie
entsprechend weiter dokumentiert werden . Würden Sie
als Regierung dafür Sorge tragen, dass diese Seite weiter
in die Dokumentation der BGR-Geschichte aufgenom-
men wird, oder nicht?
Herr Kollege Zdebel, ich habe es so verstanden, dass
Sie beide Zusatzfragen in einer gestellt haben, weil Sie
zweieinhalb Minuten gesprochen haben . Ja? – Danke .
Frau Staatssekretärin .
B
Herr Abgeordneter, Sie haben völlig recht . Wir wer-
den nachhalten, was dort geschieht . Wir werden auch da-
rauf achten, dass die Ankündigung, die ich eben zitiert
habe, konkretisiert wird . Ich denke, wir sollten hier einen
möglichen Zeitablauf dokumentieren, damit es nicht im
Ungewissen bleibt . Wir werden uns noch einmal darum
kümmern .
Danke schön . – Damit sind wir am Ende dieses Ge-
schäftsbereichs . Herzlichen Dank an die Staatssekretärin
Frau Brigitte Zypries .
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts
auf . Die Frage 12 der Abgeordneten Inge Höger, die Fra-
ge 13 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, die
Frage 14 des Abgeordneten Omid Nouripour und die Fra-
ge 15 der Abgeordneten Sevim Dağdelen werden schrift-
lich beantwortet .
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern . Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings
zur Verfügung . Die Frage 16 des Abgeordneten Andrej
Hunko, die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Özcan
Mutlu sowie die Fragen 19 und 20 der Abgeordneten
Erika Steinbach werden schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Volker Beck,
Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Wie viele Rohingya hat Deutschland seit dem Jahr 2012 im
denen die Aufnahme erfolgt ist, aufschlüsseln), und inwiefern
wird diese Zahl angesichts der jüngsten Entwicklungen in Rak-
haing bzw . Arakan erhöht, wo erneut erhebliche Menschen-
rechtsverletzungen gegen die zivile Rohingya-Bevölkerung
Bitte schön, Herr Staatssekretär .
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine sehr verehrten
Damen und Herren!
Lieber Herr Kollege Beck, Deutschland hat im Rahmen
des bestehenden Resettlement-Programms im Jahr 2014
sieben schutzbedürftige Flüchtlinge aus Indonesien auf-
genommen, die der Bevölkerungsgruppe der Rohingya,
nach der Sie fragten, angehören . Dabei handelte es sich
um einen verwitweten Mann sowie eine sechsköpfige Fa-
milie .
In den Jahren 2016/2017 liegt vor dem Hintergrund
der Migrations- und Flüchtlingskrise im Nahen Osten der
Fokus bei Resettlements auf den Ländern des Mittleren
Ostens und Nordafrikas .
Bitte schön, Herr Kollege Beck .
Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
//www.bmi.bund.de/DE/Themen/Migration-Integration/Asyl-Fluechtlingsschutz/Humanitaere-aufnahmeprogramme/humanitaere-aufnahmeprogramme_node.htmlhttp://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Migration-Integration/Asyl-Fluechtlingsschutz/Humanitaere-aufnahmeprogramme/humanitaere-aufnahmeprogramme_node.htmlhttp://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Migration-Integration/Asyl-Fluechtlingsschutz/Humanitaere-aufnahmeprogramme/humanitaere-aufnahmeprogramme_node.htmlhttp://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Migration-Integration/Asyl-Fluechtlingsschutz/Humanitaere-aufnahmeprogramme/humanitaere-aufnahmeprogramme_node.html
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619386
(C)
(D)
Herr Staatssekretär, das befriedigt natürlich nicht .
Die Resettlement-Programme sind laut UNHCR dazu
gedacht, einerseits dauerhafte Lösungen für besonders
verfolgte Gruppen zu finden und andererseits dauerhafte
Lösungen für Flüchtlinge zu finden, die sich in Staaten
aufhalten, die besonders herausgefordert sind . Wir leis-
ten dann dort gar keinen Beitrag dazu, wenn wir im Rah-
men des EU-Türkei-Deals dieses Verfahren nur noch für
diesen Mechanismus gebrauchen . Deshalb frage ich Sie:
Welche Schutzperspektiven bietet die Bundesregierung
für Flüchtlinge in hoffnungslosen Situationen in anderen
Weltregionen wie den Rohingya in Bangladesch und den
Somaliern in Kenia? Es handelt sich um Flüchtlingsgrup-
pen, die sich unter nicht akzeptablen Bedingungen in
Nachbarländern befinden und wo der UNHCR dringend
Unterstützung benötigt .
D
Frau Präsidentin! Lieber Kollege Beck, es ist keines-
wegs so, dass wir nur Resettlement-Programme betrei-
ben, die im Zusammenhang mit der Vereinbarung zwi-
schen der Europäischen Union und der Türkei stehen .
Wir haben beispielsweise Resettlements im Libanon und
natürlich auch in anderen Staaten . Insofern geht es nicht
nur um diesen Bereich . Aber es ist richtig, dass wir uns
derzeit auf diese Region konzentrieren . Deutschland ist
angesichts der Aufnahme von fast 1 Million Flüchtlin-
gen allein im letzten Jahr und weiteren Flüchtlingen in
diesem Jahr in einer besonderen Situation . Ich glaube, es
ist auch angemessen, dass wir im Rahmen einer interna-
tionalen Arbeitsteilung davon ausgehen, dass das stärker
die Aufgabe von Ländern ist, die nicht im gleichen Maße
wie wir im letzten Jahr Flüchtlinge aufgenommen haben .
Herr Kollege Beck .
Vor dem Hintergrund möchte ich Sie nach der Kennt-
nis der Situation der Rohingya in Bangladesch fragen .
Nach 1992 sind sie nach Bangladesch geflohen und wur-
den dort aufgrund der bangladeschischen Politik nicht
vom UNHCR registriert; denn Bangladesch ist hinsicht-
lich der Genfer Flüchtlingskonvention kein Signatarstaat .
In den Camps von Kutupalong und Nayapara leben sie
in desaströsten Verhältnissen . Was wissen Sie über den
Stand der Pläne der bangladeschischen Regierung, die-
se Camps zwangsweise aufzulösen? Im Guardian gab es
mehrere Berichte darüber, dass dort entsprechende Trup-
pen eingerückt sind . Wie reagiert die Bundesregierung
auf diese Verschärfung der Menschenrechtssituation?
D
Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Beck, bei den
konkreten Punkten, die Sie zum Schluss ansprachen, sind
wir auf Informationen aus dem Auswärtigen Amt ange-
wiesen, das die Lage fortlaufend beobachtet . Insgesamt
darf ich Ihnen aber versichern, dass uns die prekäre und
schwierige Lage dieser Bevölkerungsgruppe durchaus
bekannt ist . Dass wir für den Bereich aktuell keine Re-
settlement-Maßnahmen planen, heißt nicht, dass wir in
irgendeiner Form die Lage beschönigen wollen . Aller-
dings können wir nicht alle Lagen dieser Welt in dieser
Art adressieren .
Herr Kollege Beck, das Problem ist jetzt gerade, dass
Sie schon zwei Nachfragen gestellt haben . Aber beim
nächsten Mal können Sie auch eine Anfrage an das Aus-
wärtige Amt schicken .
– Ja, aber Sie haben jetzt gerade die beiden Fragen schon
gestellt .
Wir kommen jetzt zu Ihrer Frage 22 zu den Asylverfah-
ren äthiopischer Staatsangehöriger, und dann haben Sie
auch zweimal die Möglichkeit, nachzufragen .
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Volker Beck auf:
Wie viele Asylverfahren äthiopischer Staatsangehöriger
Maßnahmen ergreift die Bundesregierung bzw . das Bundes-
amt für Migration und Flüchtlinge angesichts der gegenwär-
tigen Proteste, die von den äthiopischen Sicherheitskräften
beitung von Asylverfahren angemessen Rechnung zu tragen?
Herr Staatssekretär .
D
Vielen Dank . – Ich darf, weil es bei beiden Fragenum ähnliche Themenkomplexe geht, eine Vorbemerkungmachen und Ihnen versichern: Ich will damit nicht einerBefragung der Bundesregierung ausweichen . Ich habenur darauf hingewiesen, wie das Verfahren ist, welcheAufgaben das Auswärtige Amt übernimmt und was esuns zuliefert . Ich darf auch in Bezug auf die letzte ge-nannte Bevölkerungsgruppe betonen: Die schwierigeLage ist uns bekannt, hat aber nicht dazu geführt, dasswir hier Resettlement-Programme vorsehen .Ich komme zu Ihrer Frage zu äthiopischen Staats-bürgern in Deutschland . Dazu darf ich Ihnen sagen:Von Januar bis September 2016 hat das Bundesamt fürMigration und Flüchtlinge über 726 Asylanträge vonäthiopischen Staatsangehörigen entschieden .http://www.tagesschau.de/ausland/aethiopien-113.htmlhttp://www.tagesschau.de/ausland/aethiopien-113.html
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19387
(C)
(D)
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beob-achtet und evaluiert die Lage in den Herkunftsländernvon Asylantragstellern kontinuierlich . Das gilt auch fürdie Situation in Äthiopien . Ob und inwieweit die aktu-elle Verschärfung der Situation und die Verhängung desAusnahmezustands in Äthiopien zu einer Änderung derEntscheidungspraxis führt, wird natürlich geprüft . Unab-hängig von einer allgemeinen Lageveränderung wird imÜbrigen stets den individuellen Umständen des Einzel-falles Rechnung getragen . Wir haben es ja beim Flücht-lingsstatus, beim Asylrecht, mit einem Individualgrund-recht zu tun, das im Einzelfall geprüft werden kann undnicht kollektiv abgelehnt oder bejaht werden kann .Sie haben des Weiteren nach sehr konkreten Zah-len – Monat für Monat – gefragt . Wenn ich die jetzt allevorlesen würde, dann würde ich den Zeitrahmen massivsprengen . Es wäre auch ein bisschen langweilig . Ich kannIhnen die Zahlen aber gerne gleich aushändigen . Ich habesie, glaube ich, dabei; sonst würde ich sie gleich nachrei-chen . Sie kriegen die Zahlen heute und hier .
Volker Beck .
Wenn ich die Antwort überhaupt kriege, bin ich damit
gerne einverstanden . – Die Bundeskanzlerin war jetzt auf
ihrer Afrika-Reise auch in Äthiopien . Inwiefern hat die
Bundeskanzlerin auf ihrer jüngsten Reise die Situation
bezüglich der Oromo in Äthiopien angesprochen, die von
den Verfolgungsmaßnahmen besonders stark betroffen
sind?
D
Das kann ich Ihnen nicht sagen, und zwar nicht aus
Gründen der Ressortzuständigkeit, sondern weil die
Delegation der Bundeskanzlerin naturgemäß nicht alle
Staatssekretäre der Bundesregierung umfasst .
Ihre Frage bezog sich auf die Ansprache . Wenn es
um die damit verbundene Frage der Informationen geht,
möchte ich betonen, dass entsprechende Informationen
natürlich nicht nur bei Staats- und Regierungsbesuchen
gewonnen werden, sondern über unsere Botschaft und
das Auswärtige Amt fortlaufend Informationen zur Ver-
änderung der Lage in solchen Ländern an uns herange-
tragen werden .
Volker Beck .
Es handelt sich bei den jüngsten Verschärfungen der
Lagen im Prinzip um einen ethnischen Konflikt, der sich
gegen die Gruppe der Oromo und die Proteste, die von
dieser Gruppe ausgingen, richtet; denn die Sicherheits-
kräfte haben diese Proteste niedergeschlagen . Wie trägt
jetzt das BAMF in seiner Asylpraxis der Tatsache Rech-
nung, dass hier eine Verfolgung aufgrund der ethnischen
Zugehörigkeit stattfindet? Das ist eine neue Situation im
Vergleich zu der Situation, die wir vor diesen Ereignissen
hatten .
D
Frau Präsidentin! Herr Kollege Beck, Sie und ich ha-
ben eines gemeinsam: In dieser Frage bedienen wir uns
zunächst einmal aus Medienberichten . Allerdings hat
das BAMF den Vorteil – das ist auch richtig so –, dass
es auf die Expertise und die Erkenntnisse des Auswärti-
gen Amts und der jeweiligen Botschaften zurückgreifen
kann . Ich glaube, das muss im Einzelfall dann auch zu-
grunde gelegt werden .
Sie haben die Deutung dieser Konflikte als ethnische
Konflikte aufgemacht. Ich will hier und heute gar nicht
widersprechen . Aber ich glaube, es ist nicht unsere Auf-
gabe, das unter Verwendung von Medienberichten zu
tun . Wenn das BAMF die Entscheidungen trifft – mit-
hilfe von Informationen des Auswärtigen Amts –, dann
muss das für den Einzelfall unter Berücksichtigung der
veränderten Lage erfolgen .
– Das kann ich gerne ergänzen: Der Zeitraum von we-
nigen Wochen ist nun wirklich zu kurz, um eine andere
Entscheidungspraxis annehmen zu können .
Vielen Dank . – Die Fragen 23 und 24 der Kollegin
Ulla Jelpke werden schriftlich beantwortet . Damit bedan-
ke ich mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beant-
wortung der Fragen .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums der Justiz und für Verbraucherschutz . Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Lange zur Verfügung .
Die Frage 25 der Kollegin Dağdelen wird schriftlich
beantwortet .
Ich rufe die Frage 26 der Abgeordneten Martina
Renner, Fraktion Die Linke, auf:
Was hat die Bundesregierung im Einzelnen unternommen,
um herauszufinden, welche Strafvorwürfe in den Vereinigten
Staaten von wem gegen Edward Snowden erhoben werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär .
C
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ich würde die Fra-
gen 26 und 27 wegen des Sachzusammenhangs gerne
gemeinsam beantworten, wenn Sie gestatten .
Die Kollegin Renner ist einverstanden .Dann rufe ich auch die Frage 27 der Kollegin Rennerauf:Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619388
(C)
(D)
Welche konkreten Nachfragen hat die Bundesregierungdazu im Einzelnen gestellt, und welche Antworten oder Infor-mationen hat die Bundesregierung so erlangt?Bitte schön .C
Damit beantworte ich beide Fragen wie folgt: Die
Bundesregierung hat sich anhand der im Internet verfüg-
baren Criminal Complaint vom 14 . Juni 2013 sowie des
Ersuchens um vorläufige Inhaftnahme vom 3. Juli 2013
über die Strafvorwürfe informiert . In zwei Schreiben des
Bundesamtes für Justiz wurde um ergänzende Informati-
onen gebeten . Diese Schreiben wurden vom Justizminis-
terium der Vereinigten Staaten von Amerika beantwortet .
Über den Eingang des jüngsten Schreibens vom 13 . Ok-
tober 2016 hat mein Haus den Vorsitzenden des 1 . Unter-
suchungsausschusses unterrichtet .
Das amerikanische Justizministerium hat mitgeteilt,
dass einer Herausgabe des Schreibens nicht zugestimmt
werden könne . Dies wird damit begründet, dass ein Teil
der in dem Schreiben enthaltenen Informationen durch
das zuständige Gericht als vertraulich eingestuft worden
sei und daher nur für die Zwecke der Festnahme und
Auslieferung von Edward Snowden Verwendung finden
dürfe . Über diese Einstufung des Gerichts könne sich das
U .S . Department of Justice nicht hinwegsetzen . Gerade
in der Zusammenarbeit in Rechtshilfeangelegenheiten,
zumal bei laufenden Vorgängen, ist die international
praktizierte Vertraulichkeit des Verfahrens ein höchst
schützenswertes Gut, auch im Hinblick auf zukünftige
Fälle .
Ich bedaure deshalb, dass ich Ihnen keine weiteren
Einzelheiten zum Inhalt des Schreibens mitteilen kann .
Frau Kollegin Renner .
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, gleich vier Nach-
fragen zu stellen .
Erstens . Haben Sie sich darüber hinaus zum Beispiel
mit dem Verfahrensbevollmächtigten von Herrn Edward
Snowden in den USA und in Europa in Verbindung ge-
setzt, um weitere Informationen zu den Strafvorwürfen
zu erhalten?
Zweitens .
Soll der Staatssekretär die Frage jeweils gleich beant-
worten? Sie haben viermal die Möglichkeit, nachzufra-
gen .
Ich kann gerne alle Fragen im Zusammenhang stel-
len . Ich weiß nicht, wie sich der Herr Staatssekretär das
wünscht .
Wie ist es Ihnen recht?
C
Stellen Sie ruhig die Fragen im Zusammenhang . Ich
beantworte sie dann .
Gut . Bitte schön .
Danke . – Würden Sie mir recht geben, dass die Anga-
ben aus dem Justizministerium der USA maßgeblich von
Bedeutung sind – in Ihrem Haus, aber auch insgesamt in
der Bundesregierung – für die Beurteilung der Frage, ob
Edward Snowden Auslieferungsschutz gewährt werden
muss, also ob ihm in den USA politische Strafverfolgung
droht?
Drittens . Müssten vor dem Hintergrund der Relevanz
dieser Informationen diese nicht auch an den Untersu-
chungsausschuss gelangen, der sich mit der Frage einer
Realisierung der Zeugenladung intensiv zu befassen hat?
Zuletzt würde ich gerne noch von Ihnen wissen: Wann
kann der Untersuchungsausschuss mit der Beantwortung
unserer vor zweieinhalb Jahren gestellten Frage rechnen,
in der es darum geht, inwieweit Sie dem Amtshilfeer-
suchen aus dem Untersuchungsausschuss Folge leisten
würden, eine sichere Einreise von Edward Snowden zu
gewähren? Würden Sie die Frage nach einem möglichen
Auslieferungshindernis bejahen? Ihnen liegen ja jetzt
alle – zwar geheim eingestuften – Informationen aus dem
Justizministerium vor . Darf der Untersuchungsausschuss
jetzt endlich mit einer Antwort aus Ihrem Haus rechnen?
Das waren jetzt alle vier Zusatzfragen . – Bitte schön,
Herr Staatssekretär .
C
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Zunächst zur Fragenach den Verfahrensbevollmächtigten, ob wir bei weite-ren Personen angefragt haben: Unser Ansprechpartner istdas amerikanische Justizministerium . Deshalb hat sichdas Bundesamt für Justiz für ergänzende Informationenan ebendieses gewandt .Zweitens . Es ist natürlich richtig, dass das für die Ein-ordnung, was die Relevanz anbelangt, von Bedeutung ist .Aber genau dazu kann ich Ihnen jetzt angesichts der Ein-stufung durch das amerikanische Justizministerium keineAuskunft erteilen, wie ich es dargestellt habe .Dann zu Ihrer Frage, was wir zu unternehmen beab-sichtigen: Die Bundesregierung muss über die Bewilli-gung eingehender Ersuchen auf vorläufige Inhaftnahmemit dem Ziel der Auslieferung entscheiden . Das Bundes-ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wirdVizepräsidentin Ulla Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19389
(C)
(D)
die beteiligten Ressorts deshalb zu einer Besprechungeinladen .
Vielen Dank . – Die Frage 28 des Kollegen Christian
Ströbele wird schriftlich beantwortet .
Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär
Lange, für die Beantwortung der Fragen .
Die Fragen 29 und 30 des Kollegen Dr . Axel Troost
und die Fragen 31 und 32 der Kollegin Lisa Paus aus dem
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen
werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Arbeit und Soziales . Zur Beantwortung
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele
Lösekrug-Möller zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 33 der Abgeordneten Katrin Werner
auf:
Wie schlüsseln sich die von der Bundesministerin Andrea
Nahles am 22 . September 2016 in ihrer Bundestagsrede zum
Bundesteilhabegesetz erwähnten 700 Millionen Euro Mehr-
ausgaben des Bundes im Zuge des geplanten Bundesteilhabe-
gesetzes im Einzelnen auf?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin .
G
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Kollegin Werner, ich
antworte wie folgt: Für den Bund ergeben sich zum Zeit-
punkt des vollständigen Inkrafttretens des Bundesteil-
habegesetzes im Jahr 2020 Mehrausgaben in Höhe von
693 Millionen Euro, das heißt von rund 700 Millionen
Euro . Die Mehrausgaben des Bundes werden in der Ge-
setzesbegründung unter den Ausführungen zu den Ge-
setzesfolgen transparent dargestellt . Die entsprechenden
Mehrausgaben setzen sich danach wie folgt zusammen:
58 Millionen Euro für die ergänzende unabhängige Teil-
habeberatung, 1 Million Euro für den Teilhabeverfahrens-
bericht der BAR, 3 Millionen Euro für die Untersuchung
und Umsetzungsunterstützung des Bundesteilhabegeset-
zes, jeweils 100 Millionen Euro für präventive Modell-
vorhaben nach SGB II und SGB VI und 431 Millionen
Euro für zusätzliche Ausgaben der Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung .
Frau Kollegin Werner, Sie dürfen jetzt noch einmal
oder zweimal nachfragen .
Danke schön, Frau Präsidentin . – Ich habe nur eine
Nachfrage: Ich würde gerne wissen, wie viel von den
Geldern direkt bei den Menschen mit Behinderungen an-
kommt und damit ihre gesellschaftliche Teilhabe verbes-
sert . Es war jetzt von Modellprojekten die Rede . Aber:
Welche Mittel kommen direkt bei den Menschen an?
Bitte schön .
G
Ich versuche, bestmöglich zu antworten . Sie müssen
berücksichtigen, dass das ein Gesetzentwurf ist und das
Gesetz seine Wirkung erst noch entfalten muss . Daher
können wir nicht genau sagen, wie viel von den Mitteln
direkt bei den Leistungsempfängern ankommt . Wir wis-
sen aber sehr wohl, wie sich die Kosten der Eingliede-
rungshilfe und damit die Leistungen in den letzten Jahren
entwickelt haben . Wir gehen davon aus – Sie kennen ja
unseren Koalitionsvertrag –, dass der berechtigte Perso-
nenkreis weder eingeschränkt noch ausgeweitet wird und
die Leistungen nach diesem Recht jetzt teilhabeorientiert
ausgerichtet werden . Daher können die Erkenntnisse aus
den letzten Jahren helfen, den Kostenrahmen zu ermit-
teln, der ab 2020 eingehalten wird .
Danke schön . – Ich rufe jetzt die Frage 34 der Kolle-
gin Katrin Werner auf:
Wie hoch sind die Kosten für die Kampagne „Mehr mög-
lich machen . Weniger behindern .“, die im öffentlichen Raum,
in Tageszeitungen und Zeitschriften sowie im Internet auf die
behindertenpolitische Gesetzgebung der Bundesregierung auf-
merksam macht?
Bitte schön .
G
Vielen Dank . – Die Kosten für die Kampagne „Mehr
möglich machen . Weniger behindern .“ betragen im
Jahr 2016 bislang 990 061 Euro . Hiervon entfallen
919 875 Euro auf Schaltungen von Anzeigen in Tageszei-
tungen und Onlinemedien sowie Großflächenwerbung.
Die Nebenkosten betragen 70 186 Euro und umfassen
beispielsweise Ausgaben für Casting, Shooting, Druck-
unterlagenherstellung, Andrucke, technische Kosten der
Außenwerbung im öffentlichen Raum und Prüfdrucke .
Frau Werner .
Ich spreche das gerade im Hinblick auf die massiveKritik an dem vorgelegten Entwurf des Bundesteilhabe-gesetzes an in der Hoffnung, dass sich da noch viele Din-ge ändern werden . Ich hätte schon gerne eine Bewertung .Was im Rahmen der Kampagne gerade gemacht wird,das kann man verstehen oder auch nicht . Aber: Wie be-werten Sie diese Kampagne?Ich stelle auch gleich meine zweite Nachfrage: Wassoll das Ziel der Kampagne sein – für mich ist es, ehrlichgesagt, unverständlich –, und welche Zielgruppe habenSie eigentlich bei dieser Kampagne im Auge?Parl. Staatssekretär Christian Lange
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619390
(C)
(D)
G
Ich will Ihnen sagen: Die UN-BRK verpflichtet die
Vertragsstaaten in Artikel 8, das Bewusstsein für Men-
schen mit Behinderungen in der Gesellschaft zu schär-
fen, insbesondere durch öffentlichkeitswirksame In-
formations- und Aufklärungskampagnen . Um die Ziele
der UN-BRK und die Maßnahmen des Ministeriums für
Arbeit und Soziales bei ihrer Umsetzung in die breite Öf-
fentlichkeit zu tragen, führen wir diese Kampagne durch .
Sie beschränkt sich eben nicht – das darf ich klarstel-
lend sagen – auf den Entwurf des Bundesteilhabegeset-
zes, sondern sie bezieht sich auf den weiterentwickelten
Nationalen Aktionsplan – vor wenigen Tagen gab es
Inklusionstage – und auch auf die Weiterentwicklung
des Behindertengleichstellungsgesetzes; es gab in die-
sem Jahr eine Novellierung, die bereits in Kraft getreten
ist . All das umfasst diese Kampagne . Wir sehen sie als
eine angemessene, richtige und, wenn ich Artikel 8 der
UN-BRK heranziehe, notwendige und verpflichtende
Maßnahme .
Danke schön . – Sie sind zufrieden, Frau Kollegin
Werner .
Dann rufe ich jetzt die Frage 35 der Abgeordneten
Jutta Krellmann auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, dass sie aktuell die
Regelungen zur Festhaltenserklärung in § 9 Absatz 1 Num-
mern 1 bis 1b des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
nehmer der Entstehung eines Arbeitsverhältnisses zum Entlei-
her widersprechen kann, so auslegt, dass bei Fortführung einer
rechtswidrigen Überlassung trotz Widerspruch ein Arbeitsver-
hältnis zum Entleiher entsteht, weil der vorherige Widerspruch
für den fortgeführten rechtswidrigen Einsatz nicht greift, wie
von der Pressestelle des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales gegenüber dem NDR am 11 . Oktober 2016 mitgeteilt
wurde, und kann die Bundesregierung somit bestätigen, dass
ihr aktuelles Regelungsziel ist, dass die Festhaltenserklärung
zeitlich nicht für die Zukunft wirkt ?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin .
G
Frau Kollegin Krellmann, mit der im Gesetzentwurf
der Bundesregierung vorgesehenen Festhaltenserklä-
rung kann eine rechtswidrige Überlassung weder für die
Vergangenheit noch für die Zukunft legalisiert werden .
Das Widerspruchsrecht ermöglicht allein das Festhalten
am bisherigen Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher und
schützt damit die durch Artikel 12 des Grundgesetzes ge-
schützte Berufs- und Arbeitgeberwahl .
Das Widerspruchsrecht ermöglicht jedoch nicht das
Festhalten an einer rechtswidrigen Einsatzpraxis . Dem-
entsprechend kommt es bei der Fortführung eines rechts-
widrigen Einsatzes trotz Erklärung des Widerspruchs zur
Nichtigkeit des Arbeitsvertrages zwischen Verleiher und
Leiharbeitnehmer nach § 9 Absatz 1 Arbeitnehmerüber-
lassungsgesetz und zur Begründung eines Arbeitsver-
hältnisses mit dem Entleiher nach § 10 dieses Gesetzes,
das im Entwurf heute auch im Ausschuss diskutiert und
bewertet wurde . Wird der rechtswidrige Einsatz nach der
Erklärung des Widerspruchs hingegen nicht fortgeführt,
bleibt es auch für die Zukunft bei einem Arbeitsverhält-
nis mit dem Verleiher .
Bitte schön, Frau Krellmann .
Vielen Dank . – Das war eine sehr klare und verständ-
liche Erklärung . Ich habe keine Nachfragen .
Danke . – Dann kommen wir zur Frage 36 der Abge-
ordneten Jutta Krellmann:
Plant die Bundesregierung, den Gesetzestext zur Festhal-
das Regelungsziel, dass bei Fortführung einer rechtswidrigen
Überlassung trotz Widerspruch ein Arbeitsverhältnis zum Ent-
leiher entsteht, weil der vorherige Widerspruch für den fortge-
führten rechtswidrigen Einsatz nicht greift, auch im Wortlaut
des Gesetzes findet, da dieser Wortlaut meiner Auffassung
nach die Grenzen für die Auslegung setzt und das aktuelle Re-
gelungsziel der Bundesregierung im derzeitigen Gesetzestext
keinen tragfähigen Anknüpfungspunkt findet?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin .
G
Ja, sehr gerne . – Kollegin Krellmann, der von der
Bundesregierung am 1 . Juni beschlossene Gesetzentwurf
befindet sich im parlamentarischen Verfahren – ich ent-
schuldige mich schon einmal; ich weiß, dass wir uns heu-
te Morgen im Ausschuss gesehen haben; aber der Voll-
ständigkeit der Antwort halber will ich das gerne noch
einmal erwähnen – und kann demzufolge nicht mehr von
der Bundesregierung geändert werden .
Im Übrigen teilt die Bundesregierung die in der Fra-
ge geäußerte Rechtsauffassung nicht, dass sich im Ent-
wurfstext kein tragfähiger Anhaltspunkt für die in der
Antwort zu Frage 35 dargelegte Auffassung findet.
Der für die Beratungen im Deutschen Bundestag fe-
derführende Ausschuss für Arbeit und Soziales hat sich
in seiner heutigen Sitzung für einzelne Änderungen am
Gesetzentwurf ausgesprochen . Hierzu zählte auch eine
ausdrückliche Regelung zur Geltung von § 9 und § 10
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bei der Fortführung
einer rechtswidrigen Überlassung nach Widerspruch .
In der Begründung des vom Ausschuss angenommenen
Änderungsantrages wird zutreffend ausgeführt, dass dies
nur der Klarstellung dient .
Frau Kollegin Krellmann, sind Sie wieder mit der Ant-wort einverstanden?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19391
(C)
(D)
Ja .
Wunderbar . – Ich bedanke mich bei der Staatssekre-
tärin für die klare und eindeutige Beantwortung der Fra-
gen . Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereiches
angelangt .
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Ernährung und Landwirtschaft auf . Die Frage 37
des Kollegen Friedrich Ostendorff und die Frage 38 der
Kollegin Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet .
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Verteidigung auf . Die Frage 39 des Kollegen Andrej
Hunko und die Frage 40 des Kollegen Dr . Alexander S .
Neu werden schriftlich beantwortet .
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Gesundheit auf . Die Frage 41 der Kollegin
Katrin Kunert wird schriftlich beantwortet .
Als Letztes rufe ich den Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur auf .
Die Frage 42 des Kollegen Stephan Kühn, die Frage 43
des Kollegen Oliver Krischer, die Fragen 44 und 45 des
Kollegen Herbert Behrens sowie die Fragen 46 und 47
des Kollegen Matthias Gastel werden schriftlich beant-
wortet .
Damit sind wir am Ende der Fragestunde angekom-
men .
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 .35 Uhr .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet .
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Lage in Syrien und Irak und die internatio-
nalen Bemühungen um eine Stabilisierung der
Region
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat als erster
Redner in der Aktuellen Stunde Dr . Rolf Mützenich von
der SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Bekämpfung des IS dient ein ganzes Bün-del an verschiedenen Maßnahmen und Instrumenten wieGeheimdienste, Strafverfolgung, die Überprüfung derFinanzwege, aber auch die Zusammenarbeit mit anderenLändern und die Stabilisierung der Region, der insbe-sondere vonseiten der Bundesregierung in den laufendenHaushalten, aber auch in der Zukunft große Priorität ein-geräumt wird . Dazu gehört – auch das sage ich an dieserStelle – ein inklusives und gerechtes Regieren im Irak;auch das ist eine Notwendigkeit, um eine Stabilisierungder Region hinzubekommen . Ich glaube, wir sollten unsimmer wieder vor Augen führen: Leider gibt es auchviele deutsche Staatsbürger, die aufseiten gewaltbereiterGruppen in dieser Region kämpfen . Das schafft auch eineVerantwortung Deutschlands gegenüber dieser Region .In der Tat: Nicht als einziges, aber als ein Instrumentbrauchen wir zur Bekämpfung des IS auch militärischeMaßnahmen . Darüber werden wir morgen in der Man-datsdebatte noch diskutieren .Meine Damen und Herren, schwerste Menschen-rechtsverletzungen und Verbrechen sind in Syrien ver-übt worden, von Russland, aber auch von allen anderenKriegsteilnehmern, indirekt oder direkt . Ich glaube, es istnotwendig, mit dem Finger auf genau diese Verantwort-lichen zu zeigen . Die unterschiedslose Bombardierungvon Zivilisten – zum Beispiel im Osten Aleppos, aberauch darüber hinaus – ist ein Menschenrechtsverbrechen,das auch so genannt werden muss .
Vonseiten der Sozialdemokratischen Partei haben wir dieBundeskanzlerin gebeten, dies auch heute beim Besuchvon Präsident Putin in Deutschland so offen anzuspre-chen . Ich glaube, das ist richtig . Für mich war es wirklichschrecklich, zu hören, dass die Hilfsorganisationen, diedort immer noch tätig sind, sagen: Auch wir werden mitt-lerweile Ziel dieser Angriffe .Es gibt einen bemerkenswerten Beitrag der Vorsitzen-den der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Frau Göring-Eckardt, in der FAZ von vor einigen Tagen, dessen Tenorlautet, jetzt müsse man doch endlich etwas tun, die Re-gierung tue zu wenig . Außerdem wurden Vorschlägegemacht, in Sachen Waffenruhe, Diplomatie, VereinteNationen, humanitäre Hilfe und Internationaler Strafge-richtshof endlich voranzukommen . Frau Göring-Eckardt,Ihr Artikel war nicht auf der Höhe der Zeit . Eine Waf-fenruhe ist von der Bundesregierung und ihren Partnernimmer wieder eingefordert worden . Es ist auch immerwieder vermittelt worden; der Diplomatie sollte zumDurchbruch verholfen werden . Man regte an, dass dieVereinten Nationen aktiv werden . Von Deutschland kamzum Beispiel der Vorschlag, dass sich die Generalver-sammlung mit diesem Thema befassen soll . Die humani-täre Hilfe steht bei all den Fragen, die wir gegenüber demAuswärtigen Amt immer wieder angesprochen haben,ganz oben auf der Tagesordnung . Da Sie unter anderemden Internationalen Strafgerichtshof erwähnt haben, FrauGöring-Eckardt, muss ich Ihnen sagen: Sie hätten dieBundesregierung 2015 loben sollen, als unter deutschemVorsitz im Menschenrechtsrat genau dieses Thema aufder Tagesordnung gestanden hat und es darum ging, denInternationalen Strafgerichtshof durch Dokumentationzu unterstützen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eineehrliche Debatte. Ich finde für Ihren Namensbeitrag kei-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619392
(C)
(D)
ne andere Erklärung, als dass es sich dabei um eineninnerparteilichen Wettbewerb handelt. Ich finde aber,dieses Thema ist zu ernst, um es dem innerparteilichenWettbewerb unterzuordnen .
Meine Damen und Herren, in der Tat haben Sanktio-nen gegenüber Russland in den letzten Tagen eine großeRolle gespielt, und man sollte sie auch nicht grundsätz-lich ausschließen .
Ich finde aber, dass die Frage berechtigt ist – auch Siewerden nicht umhinkommen, darauf zu antworten –:Schaffen wir mit Sanktionen das, was wir erreichen wol-len, nämlich den Menschen in der Region die konkreteHilfe zu geben, die wir in der Lage sind zu geben?
Das schaffen Sie mit Sanktionen eben nicht, insbeson-dere dann nicht, wenn Sie nicht ehrlich sind . Sie dürfennämlich nicht nur einen Kriegsteilnehmer benennen, son-dern müssen alle Kriegsteilnehmer in Syrien und darü-ber hinaus benennen. Ich finde, da haben Sie noch eineMenge zu tun . Hier wäre kein Namensartikel notwendiggewesen; stattdessen hätten Sie eine Menge benennenkönnen .
Wir Sozialdemokraten sind nicht naiv gegenüberRussland . Insbesondere aber tun wir eines nicht: Wir bie-dern uns Putin nicht an. Das tun andere, und ich finde dasfalsch . Der entscheidende Punkt ist aber, dass wir sagen:Russland ist, egal wie es sich verhält, Nachbar Europas,und wir müssen versuchen, auch mit Russland immerwieder im Gespräch zu sein . Deswegen begrüßen wir,dass Präsident Putin heute nach Berlin kommt. Ich fin-de, Russland braucht unsere Aufmerksamkeit . Man mussPutin letztlich aber auch sagen, dass er kein verlässlicherPartner mehr ist, so wie ich ihn mir gewünscht habe . Spä-testens mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krimist er andere Wege gegangen .Ich sage sehr eindeutig: Einfache Antworten werdendieser Krise, die längst über Syrien hinausgeht, nicht ge-recht .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Heike Hänsel
für die Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir begrüßen ausdrücklich, dass heute ein Treffen vonBundeskanzlerin Angela Merkel mit dem russischen Prä-sidenten Wladimir Putin zu Syrien und zur Ukraine statt-findet; denn Dialog ist der richtige Weg.
Es geht darum, endlich wieder miteinander zu reden undsich nicht mit immer neuen Sanktionsforderungen undSäbelrasseln zu profilieren.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir die aktuellvon Russland und Syrien ausgerufene einseitige Feuer-pause . Sie muss dazu genutzt werden, einen umfassendenbeiderseitigen Waffenstillstand herbeizuführen .
Übrigens gibt es ja wohl schon erste Meldungen über ei-nen möglichen Abzug der Fatah-al-Scham-Rebellen ausAleppo . Das würden wir ausdrücklich begrüßen . Es wäreein wichtiger Erfolg für die Vereinten Nationen in diesemgesamten Konflikt.
Bomben, egal von welcher Seite – das sagen wir aus-drücklich –, schaffen keinen Frieden .
Das sehen wir im Osten Aleppos mit aller Schärfe . Wernur, wie die Bundesregierung – leider hat das mein Vor-redner auch wieder gemacht –, von syrischen und russi-schen Bomben spricht,
aber dazu schweigt, dass in Syrien auch US-amerikani-sche, türkische, saudi-arabische und französische Bom-ben fallen, der macht sich völlig unglaubwürdig .
Zur Wirklichkeit in Aleppo gehört auch – das habeich bisher nur wenig gehört – die Beschießung West-Aleppos mit Mörsergranaten durch islamistische Rebel-len, wodurch ebenfalls zahlreiche Zivilisten getötet oderverstümmelt werden . All das muss ein Ende haben!
– Ja .Dafür brauchen wir die entsprechenden Vorausset-zungen . Dazu gehört unter anderem, dass die Bundes-regierung endlich ihre strategischen Partnerschaften mitautoritären Regimen und Diktaturen wie der Türkei undSaudi-Arabien aufgibt, die den Krieg in Syrien und imDr. Rolf Mützenich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19393
(C)
(D)
Irak weiter anheizen und islamistische Gruppen nach-weislich mit Waffen versorgen .
Dazu gehört auch, dass Sie in diese Länder keine Waffenmehr liefern. Ich finde es einen Skandal, dass sich Rhein-metall gemeinsam mit einem türkischen Unternehmen aneiner neuen Panzerschmiede in der Türkei beteiligt unddamit in die Massenproduktion von türkischen Panzerneinsteigen will, während die kurdische Zivilbevölkerungmit türkischen Panzern bekämpft wird . Das ist doch nichthinnehmbar . Beenden Sie endlich dieses Geschäft mitdem Tod!
Sie sind leider Meister einer Politik der Doppelstan-dards .
Für Syrien fordern Frank-Walter Steinmeier für die Bun-desregierung, aber auch Norbert Röttgen eine Flugver-botszone; das haben wir auch von Cem Özdemir gehört .Aber wer hat nach den massiven Luftangriffen auf denJemen, etwa der Bombardierung von Hochzeitsgesell-schaften oder der Bombardierung zahlreicher Kranken-häuser, und nach dem Appell von Amnesty Internationalan die Weltgemeinschaft eine Flugverbotszone gefor-dert?
Ich habe die Bundesregierung danach gefragt . Sie hat mirgeantwortet, eine Flugverbotszone für den Jemen sehesie nicht vor, da unklar ist, wer sie durchsetzen solle . Mitdieser Politik der Doppelstandards, mit dieser Einseitig-keit der Bundesregierung können wir international nichtzu Dialog und Konfliktlösung beitragen.
Diese Politik der Doppelstandards muss beendet werden .
Das betrifft übrigens auch den Irak . Die nun verkün-dete Großoffensive auf Mosul wird natürlich auch vielenZivilisten das Leben kosten und zu vielen neuen Flücht-lingen führen . Die UN sprechen in diesem Zusammen-hang von 1 Million Menschen . Und ich sage Ihnen: DieOffensive birgt die Gefahr für einen neuen Krieg in derRegion . Präsident Erdogan hat nämlich angekündigt –ich zitiere ihn –:Wenn Mosul vom IS . . . befreit worden ist, solltennur sunnitische Araber, Turkmenen und sunnitischeKurden dableiben .Zu diesem skandalösen Satz, der bedeutet, dass es zuethnischen Vertreibungen oder vielleicht auch zu Grenz-verschiebungen kommen kann, habe ich von der Bundes-regierung kein einziges Wort gehört .
Es ist wirklich inakzeptabel, dass Sie zu einer solchenPolitik von Erdogan schweigen .
Ich frage mich auch, wie Sie nach wie vor rechtfertigen,dass Sie den Kurden im Norden Syriens keine humani-täre Hilfe leisten, dass Sie sich nicht gegen die türkischeBlockade gegenüber den Kurden aussprechen . Auch hierwäre es überfällig, dass sich die Bundesregierung für die-jenigen einsetzt, die derzeit am effektivsten gegen den ISkämpfen .Krieg als Mittel der Politik bedeutet immer einemenschliche und politische Katastrophe . Krieg ist im-mer ein Verbrechen, egal von welcher Seite . Auch Ter-rorismus lässt sich damit nicht bekämpfen . Wir brauchenendlich den Anlauf neuer politischer Initiativen in Syrienund im Irak . Dazu gehört auch die breite Beteiligung derZivilgesellschaft; sie ist mittlerweile nämlich ganz außenvor . Es gibt nach wie vor politische Initiativen der zivilenOpposition in all diesen Ländern, einer Opposition, diesich dafür starkmacht, eine neue Politik des Friedens zuentwerfen . Sie braucht unsere Unterstützung .Danke .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Volker Kauder
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Man kann hier über verschiedene Möglichkeiten undauch über Möglichkeiten, die es gar nicht gibt, reden .Aber, Frau Hänsel, bevor man so einsteigt, wie Sie ein-gestiegen sind, sollte man wissen, dass in diesem Au-genblick Tausende von Menschen in Aleppo und im Iraksterben .
Dass Menschen in Aleppo sterben, ist vor allem daraufzurückzuführen, dass Herr Putin und die Armee vonAssad nicht nur Stellungen bombardieren, sondern auchall das, was den Menschen in Aleppo noch ein bisschenZuversicht geben könnte; von Hilfe will ich gar nicht re-den . Darüber haben Sie kein Wort verloren .
Heike Hänsel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619394
(C)
(D)
Ihnen fehlt wirklich jede Kompetenz im Bereich Mensch-lichkeit; das muss ich einmal so klar und deutlich formu-lieren .
Bevor ich zum eigentlichen Thema komme, möchte ichdoch feststellen: Wenn das, was wir heute erleben, Er-gebnis von rot-rot-grünen Gesprächen ist, dann wäre dasfür Deutschland eine ganz schlechte Alternative, meinesehr verehrten Damen und Herren .
Wir verfolgen die Entwicklung im Irak, in Mosul, mitZuversicht; denn nach Jahren der Besetzung durch denIS erfolgt nun eine Befreiung der Stadt . Aber es wurdebereits darauf hingewiesen, dass das Vertreiben des ISaus Mosul noch lange keine Lösung bedeutet,
sondern dass wir uns jetzt mit der Frage befassen müs-sen: Was folgt politisch? Denn nachdem der Diktator imIrak vertrieben wurde, wurde der Fehler gemacht, einerein schiitische Regierung in Bagdad einzusetzen, diesich um den Rest des mehrheitlich sunnitischen Landesüberhaupt nicht gekümmert hat, mit all den Konsequen-zen, die dann eingetreten sind . Der Präsident der Auto-nomen Region Kurdistan, Barzani, hat mir gesagt, nichteinmal eine Flasche Milch sei aus Bagdad zu ihnen ge-kommen, sie hätten nichts von der Regierung in Bagdadgesehen . Das hat mit dazu geführt, dass die Menschenin Mosul damals, als der IS kam, hin- und hergerissenwaren, ob sie ihn unterstützen oder sich gegen ihn vertei-digen sollen . Es muss uns doch alle mit Sorge erfüllen,wenn Sunniten sagen, dass sie vor der Befreiung mindes-tens so viel Angst haben wie damals in der Situation, alsder IS gekommen ist . Deswegen ist es unsere Aufgabe,jetzt alles für eine politische Konferenz darüber zu tun,wie es weitergehen soll. Ich finde, dafür haben wir dieVerantwortung .Sie haben es zu Recht gesagt, Herr Mützenich: Wirhaben uns damals nach einer wirklich intensiven Diskus-sion im Deutschen Bundestag bereit erklärt, den Jesidenund Christen zu helfen, sich zu verteidigen, indem wirden Peschmerga-Kurden die entsprechenden Möglich-keiten geben . Ich erinnere noch einmal an den Satz Bar-zanis, der mich so bewegt hat wie kaum etwas anderes .Barzani hat mir gesagt: Herr Kauder, ich erwarte nichtvon Ihnen, dass Sie Ihre Söhne und Töchter schicken, umIhre Glaubensbrüder zu verteidigen; aber dann müssenSie mir helfen, dass wir, die Peschmerga-Kurden, das tunkönnen . – Wir haben uns bereit erklärt, Waffen und Aus-bildungshilfe zu geben, und jetzt sind 4 000 Peschmergain dieser Gruppe, die versucht, Mosul zu befreien . Weilwir mitgeholfen haben, dass dies möglich ist, müssen wirjetzt auch alles daransetzen, politisch dahin gehend zuwirken, dass sich die Fehler der Vergangenheit nicht wie-derholen, dass wir in Mosul wirklich zu einer Befriedungkommen, dass alle beteiligt werden und dass niemandglauben kann, er könne die Situation ethnisch, politischoder religiös für sich nutzen, um neue Machtpositionenzu festigen .
Ich bin der Bundesregierung – sowohl dem Auswärti-gen Amt bzw . dem Außenminister als auch dem Ministerfür wirtschaftliche Zusammenarbeit –, die erst einmalein großes materielles Kontingent zur Verfügung gestellthat, außerordentlich dankbar . Wir haben dem Irak so vielGeld gegeben wie kein anderer einzelner Geber – über200 Millionen Euro –, und sollten die Möglichkeit, diewir dadurch haben, nutzen, um ins Gespräch zu kommen .Ich hoffe natürlich auch – damit will ich schließen –,dass der heutige Tag, an dem Putin nach Deutschlandkommt, genutzt wird, darauf hinzuweisen, dass Kriegs-verbrechen und Menschenrechtsverletzungen stattfindenund dass dafür nur einige wenige infrage kommen . Ichsage nicht, wer die Hauptschuld hat . Dass Putin mit die-sen Menschenrechtsverletzungen überhaupt nichts zu tunhat, entspricht aber nicht der Wahrheit, liebe Kolleginnenund Kollegen .
Deswegen ist es richtig, dass das angesprochen wird .Ich habe den Beitrag von Frau Göring-Eckardt eben-falls gelesen . Das ist der Versuch, in einer Situation, inder wir wenige Möglichkeiten haben, zu handeln, etwaszu tun . Wir sollten uns in dieser schwierigen Frage nichtgegenseitig absprechen, dass wir alle ein gemeinsamesZiel haben . Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten . Ichglaube, dass es richtig ist, jetzt noch einmal mit Putin zusprechen und alles zu versuchen . Aber richtig ist auch:Wenn Putin den Eindruck hat, dass Sprechen unsere ein-zige Form der Auseinandersetzung mit ihm ist, dann wirdes auch nichts .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Omid
Nouripour das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ErlaubenSie mir zwei Vorbemerkungen zum Kollegen Mützenich .Erstens . Ich hatte gehofft, dass es Naivität ist – Sie ha-ben sich aber dagegen verwahrt, dass es naiv sei –, dassder Parteivorsitzende der Sozialdemokraten die Verant-wortung in Syrien so beurteilt, dass er für Demonstratio-nen sowohl vor der russischen Botschaft als auch vor deramerikanischen Botschaft eintritt . Das ist eine Gleichset-zung von Verantwortung, die der Situation vor Ort nichtVolker Kauder
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19395
(C)
(D)
gerecht wird . Ich hoffe immer noch: Das war naiv undnichts anderes .
Zweitens . Sie haben gesagt, das mit dem Internationa-len Strafgerichtshof machten wir schon . Wir diskutierendazu morgen einen Antrag zu diesem Thema im Deut-schen Bundestag . Es wird eine Abstimmung darüber ge-ben . Wir werden sehen, wie Sie sich zu der Forderungmeiner Fraktionsvorsitzenden verhalten .Meine Damen und Herren, zwei Millionenstädte ste-hen zurzeit im Fokus: Aleppo und Mosul . Die Situationist in beiden Städten dramatisch bis katastrophal – ausverschiedensten Gründen . Offenkundig ist, dass wir ganzschnell Lösungen brauchen . Offenkundig ist aber auch,dass die schnellen Lösungen am Ende des Tages nur hel-fen, wenn wir einen langen Atem haben .Im Fall von Aleppo sieht man, dass es immer wiederan diesem langen Atem scheitert . Nein, niemand hat einePatentlösung . Niemand hat eine superklare, einfacheAntwort darauf, wie wir die Russen davon überzeugensollen, dass sie keine bunkerbrechenden Bomben mehrauf Wohnhäuser werfen . Aber die Tatsache, dass zwarzurzeit in Lausanne Gespräche geführt werden – das istan sich richtig –, die Europäische Union aber nicht mehrdabei ist, zeigt, dass sich die Europäer allein durch Un-einigkeit und vielleicht auch durch Untätigkeit komplettaus dem Spiel genommen haben . Frau Mogherini wollteam Samstag dabei sein . Sie wollte am Montag dabei sein .Die Europäer werden zurzeit nicht gebraucht .Gerade in dieser Situation ist es umso notwendiger,dass die Bundesregierung anspricht, dass ein Land inOsteuropa, das sich sehr laut gegen die Aufnahme sy-rischer Flüchtlinge verwahrt, in der letzten Woche denVizeaußenminister zu Assad geschickt hat . Es gibt Hin-weise darauf, dass dieses Land, das im Übrigen auchdie Opposition mit Waffen beliefert, jetzt zugesagt hat,Assad ebenfalls Waffen zu liefern . Das ist eine riesigeHeuchelei, über die man endlich in Brüssel reden soll-te . Wenn diese Dinge nicht auf den Tisch kommen, wirdes nicht dazu führen, dass die Europäer eines Tages eineeinheitliche Linie finden werden.Wir haben jetzt die Situation, dass immer wieder Zeit-fenster eröffnet werden, dass gesagt wird: Ihr könnt alleraus . Es gibt acht Korridore . Alle Terroristen könnengehen . Die Zivilbevölkerung kann gehen . – Die Argu-mentation wechselt . Kollegin Brantner und ich haben dieBundesregierung gefragt, was mit den Leuten passiert ist,die aus Daraja herausgekommen sind . Sind sie evakuiertworden? Die Antwort der Bundesregierung ist: Sie weißes nicht . – Das ist kein Vorwurf an die Bundesregierung .Es gibt keine Registrierung dieser Leute . Wir können nurhoffen, dass sie irgendwo untergekommen sind . Zu be-fürchten steht aber, dass weit Schlimmeres passiert ist .Wenn wir darüber reden, was wir tun können, und es einAngebot gibt, die Zivilbevölkerung aus Aleppo zu eva-kuieren, frage ich: Was ist der Beitrag der Bundesregie-rung zur Registrierung dieser Leute, damit wir sicher seinkönnen, dass sie irgendwo lebendig ankommen? Wennwir über das Tun-Müssen reden, sollten wir auch darüberreden, dass es tatsächlich Beiträge gibt, die Deutschlandden Vereinten Nationen anbieten kann oder sollte .Zur Rolle der Vereinten Nationalen: Kanada bringtdas Thema wegen der Blockade des Sicherheitsrates indie Vollversammlung . Das Land will, dass dabei eineUniting-for-Peace-Initiative herauskommt und dass eshoffentlich eine Zweidrittelmehrheit im Sicherheitsratgibt, die verurteilt, was in Aleppo passiert . Heute habenwir im Ausschuss gehört, dass die Bundesregierung dasunterstützt . Das freut mich sehr . Ich wünsche mir jedochdabei größere Lautstärke, damit draußen ankommt, dasses auch für Deutschland eine Alternative ist, das Themain die Generalversammlung der Vereinten Nationen zubringen .Zum langen Atem: Ja, das ist richtig; das ist von allengesagt worden . Meine Kollegin Roth wird gleich längerauf Mosul eingehen . Wenn Mosul hoffentlich befreit ist –wir wissen, dass es danach Spill-over-Effekte überallhingeben kann –, gibt es noch sehr viel zu tun . Die Bun-desregierung hat vor einem Jahr im Nordirak Cash-for-Work-Programme aufgesetzt . Wir erfahren, dass Klein-projekte derzeit keinen Cent bekommen .Zur Endverbleibskontrolle: Herr Kollege Kauder, Siehaben gerade gesagt, man solle die Fehler der Vergan-genheit vermeiden . Das stimmt . Aber zu den Fehlernder Vergangenheit gehört auch, dass es Berichte vonAmnesty International und von Human Rights Watchgibt, nach denen die Peschmerga die Sunniten aus ihrenDörfern vertreiben . Ob die deutschen Waffen dabei einezentrale Rolle spielen, wissen wir nicht, weil die Bun-desregierung bezüglich der Endverbleibskontrolle sagt:Keine Ahnung, wir können das nun einmal nicht bis zurletzten Waffe gewährleisten . – Das sind auch Fehler derVergangenheit, die man vermeiden sollte . Genauso ist dieFrage, was die Türkei, ein NATO-Mitgliedstaat und Part-ner, zurzeit 110 Kilometer innerhalb des Territoriums desIraks macht .
Damit begeht sie massive Brüche des Völkerrechts – ge-gen den Willen Bagdads und gegen alles, was die Zent-ralregierung dort sagt .Das Letzte, was ich noch sagen will, ist: Sie haben dieJesiden angesprochen . Die Jesiden haben fürchterlicheZeiten erlebt . Wenn man mit ihnen redet – ich habe daskurz zuvor getan –, dann stellt man fest, dass die Sun-niten teilweise größere Angst vor der Befreiung als vorISIS haben . Viele der Jesiden, mit denen ich gesprochenhabe, haben größere Angst vor den Peschmerga als voreiner Wiederholung dessen, was im letzten Jahr passiertist . Nach Sindschar werden sie nicht zurückkehren kön-nen; das wurde ihnen bereits gesagt . Dörfer, die von denKräften der Jesiden erobert werden, werden von denPeschmerga neu erobert . Den Jesiden wird dann gesagt:Für die Hilfsgüter müsst ihr jetzt zahlen . Wenn ihr keinGeld habt, gibt es noch andere Leistungen, die ihr odereure Frauen erbringen können . – Das ist jenseits des Er-träglichen .Omid Nouripour
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619396
(C)
(D)
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .
Herr Kauder, Sie haben recht: Die Fehler der Vergan-
genheit müssen wir aufarbeiten, damit wir sie nicht wie-
derholen . Aber ich sehe nicht, dass die Bundesregierung
das zurzeit tut .
Als nächste Rednerin hat Dr . Ute Finckh-Krämer das
Wort für die SPD-Fraktion .
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tri-bünen! Ich möchte zuerst ein, zwei Sachen richtigstellen,Omid Nouripour . Die Bundesregierung unterstützt aus-drücklich den kanadischen Antrag, morgen in der Gene-ralversammlung über die Situation in Syrien zu reden .
Die Bundesregierung hat uns heute im Auswärtigen Aus-schuss mitgeteilt – das muss man nicht als Geheimnisbehandeln –, dass sich dann herausstellen wird, ob eseine entsprechende Mehrheit für eine mögliche „Unitingfor Peace“-Resolution der Generalversammlung gibt .Man sollte etwas, wofür man eine Zweidrittelmehrheitbraucht, nur anstreben, wenn man es tatsächlich errei-chen kann .
Rot-Rot-Grün wird nicht in erster Linie daran gemes-sen, wie die heutige Diskussion zwischen den Roten, denGrünen und den anderen Roten über Syrien und den Irakverläuft . Rot-Rot-Grün diskutiert im Augenblick übergemeinsame Anliegen im Bereich der Sozialpolitik . Dasist aber nicht Thema dieser Aktuellen Stunde .
Ich möchte einen Punkt ansprechen, bei dem wir, glau-be ich, über alle Fraktionen eine Mehrheit erreichen kön-nen, nämlich die humanitäre Hilfe . In Syrien sind über13 Millionen Menschen von humanitärer Hilfe abhängig .Da das Thema die Stabilisierung Syriens ist, müssen wirauch an diejenigen denken, die sich in Syrien außerhalbvon Ost-Aleppo aufhalten und auf humanitäre Hilfe an-gewiesen sind . Es gibt über 6 Millionen Binnenvertriebe-ne . Ähnliches gilt für den Irak . Wir dürfen uns nicht nurGedanken darüber machen, was in den nächsten Wochenund Monaten mit den Flüchtlingen aus Mosul geschehensoll, sondern wir müssen auch die vielen Flüchtlinge undBinnenvertriebenen im Irak im Blick behalten, insbe-sondere die Menschen, die nun genötigt werden, nachFalludscha zurückzukehren, obwohl es dort keine Infra-struktur sowie nichts zu essen und zu trinken gibt . Auchdarum müssen wir uns kümmern . Dazu brauchen wir imnächsten Bundeshaushalt mindestens so viel Geld fürhumanitäre Hilfe sowie die entwicklungsorientierte Not-und Übergangshilfe aus dem Etat des BMZ wie in diesemJahr . Wir alle können mit unseren Haushältern reden unddafür sorgen, dass Ende November die entsprechendenMittel im Bundeshaushalt eingestellt sind . Diese Mittelsollten nicht erst nachträglich durch irgendwelche Son-derzuweisungen oder Nachtragshaushalte bereitgestelltwerden .
Des Weiteren haben wir die Verantwortung, die inter-nationalen Hilfsorganisationen bei ihren Bemühungen zuunterstützen, dass die Grundprinzipien der humanitärenHilfe, also die Unabhängigkeit, die Unparteilichkeit, dieNeutralität und die Menschlichkeit, eingehalten wer-den, auch und gerade in einer Situation, in der so vieleMenschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind; dennin dem Augenblick, wo humanitäre Hilfe in einer Kon-fliktregion, in einem Bürgerkrieg oder in einem Krieg mitausländischer Beteiligung Teil eines Machtspiels wird,sind nicht nur die Helfer gefährdet, wie die Berichte ausOst-Aleppo zeigen, sondern auch die Zugänge, die beiEinhaltung der humanitären Prinzipien offen sind .Ich war neulich mit einigen Kollegen in Genf . Einer-seits haben wir dort gehört, dass Deutschland als Un-terstützer dieser humanitären Prinzipien sehr geschätztwird . Andererseits sind wir dringend gebeten worden, beiallem, was wir hier in Deutschland diskutieren und vor-schlagen, an diesen humanitären Prinzipien festzuhalten .Das Gleiche gilt für das, was diplomatisch passiert .Es ist nicht entscheidend, ob Deutschland in Lausannemit am Tisch sitzt, es ist entscheidend, dass diejenigenmit am Tisch sitzen, die im Augenblick massiv gewalt-fördernd und konflikteskalierend von außen auf Syrienund den Irak einwirken . Dazu gehören Länder wie Sau-di-Arabien, wie der Iran, wie die Türkei, wie Russland,wie die Regierungen von Irak und Syrien selber, abereben auch diejenigen, die im Augenblick im Kampf ge-gen ISIS als ausländische Koalition der Willigen aktivsind. Das ist wichtig, damit dort nicht die Konflikte, dieso eng miteinander verzahnt sind, weiter eskalieren unddamit es nicht noch mehr Tote gibt . Es müssen vielmehrzunächst ein Waffenstillstands- und dann ein Friedens-prozess in Gang kommen .Frank-Walter Steinmeier hat nicht eine mit Gewaltdurchzusetzende Flugverbotszone in die Diskussion ge-bracht – das will ich als Letztes noch sagen –, sonderner hat vorgeschlagen, dass man über freiwillige Flugver-botszonen, also No-Fly Areas, erreicht,
dass in bestimmten Bereichen nicht mehr gebombt wer-den kann . Das ist einer von vielen Vorschlägen, einer von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19397
(C)
(D)
vielen kleinen Schritten, die zur Deeskalation des Kon-flikts gebraucht werden können, und das ist auch gut so.Danke .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Wolfgang
Gehrcke von der Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich hattesehr gehofft, dass wir gerade bei diesem Thema daraufverzichten, kleinkarierten Parteienhickhack hier vorzu-führen .
– „Wer hat angefangen?“ ist immer die falsche Frage .
Die Rede von Kauder war so etwas von kleinkariert, be-zogen auf die Situation, wie sie real ist .
Wer für sich die menschliche Gerechtigkeit so verein-nahmt, der tut anderen nicht nur Unrecht, sondern sichselber auch keinen Gefallen, Herr Kauder . Das war we-der menschlich gerecht noch politisch weit gedacht .
Meiner Fraktion und mir geht es eigentlich im Mo-ment nur um eine Frage: Ich will, dass das Töten undMorden in Syrien aufhört .
Wenn nur eine Stunde Waffenruhe ist, dann wird in einerStunde nicht getötet und nicht ermordet . Dann möchteich diese Stunde wertschätzen und verteidigen .Ich bin froh, dass nach drei Jahren der russische Präsi-dent in Berlin ist . Es war schon längst fällig, ihn hierhereinzuladen . Ich bin unbedingt dafür, dass man mit ihmdarüber redet, wie man den stundenweisen einseitigenVerzicht auf Waffeneinsatz, auf Luftangriffe in Syrien zueiner dauerhaften Waffenruhe ausweitet .
Das ist Politik, Herr Kauder, und nicht das Zeug überRot-Rot-Grün, das Sie hier vorgetragen haben .
Ich bin auch dafür, dass darüber nachgedacht wird,wie man einen Abzug, gesichert, kontrolliert und orga-nisiert von den USA, von Russland und unter dem Dachder Vereinten Nationen, möglich macht . Zivilisten ausKriegswirren herauszubringen, ist eine hohe Leistungund verdient Unterstützung und nicht Häme . Das ist es,was ich möchte .
Ich möchte auch, dass man den Bewaffneten im Ost-teil von Aleppo die Chance bietet, diesen Ostteil zu ver-lassen . Das kann man kontrollieren . Man kann Waffenabnehmen, oder man kann Waffen freiwillig abgeben .
Auch die Bewaffneten im Ostteil müssen eine Chan-ce haben, herauszukommen, wenn man nicht will, dassweiter geschossen wird . Das haben sie bisher abgelehnt,aber ich finde, wir sollten in diese Richtung Politik ent-wickeln .
Die Chancen für die Zivilbevölkerung liegen darin,einzelne Schritte einer Waffenruhe zu einem Waffen-stillstand auszubauen und auf der Basis eines Waffen-stillstands weiter zu verhandeln, wie man zu politischenVeränderungen in Syrien kommt . Das ist das, was wirhier ansteuern sollten .Ich möchte dazu sagen: Ich wünsche mir die gleichenBedingungen für Mosul . Es wird nicht besser, wenn inMosul das Töten und Morden beginnt . Ich möchte diegleichen Bedingungen für die fürchterliche Situation imJemen . Auch im Jemen muss eine Waffenruhe herbeige-führt werden .
Das ist eine Aufgabe, für die man sich engagieren kann .Für die Linke gilt: Wir wollen, dass der Krieg in derLuft und am Boden – beides: in der Luft und am Boden –beendet wird .
In diese Richtung entwickeln wir unsere Vorstellungen .Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass derPublizist Andreas Zumach eine Idee, einen sehr gutenVorschlag entwickelt hat, die Vollversammlung der UNOsolle in einer Sondersitzung eine „Uniting for Peace“-Re-solution verabschieden .
Diese Idee kann man aufgreifen . Andreas Zumach möch-te, dass eine solche Resolution mit vier Forderungen ver-bunden wird: Waffenruhe, Stopp aller Luftangriffe, keineweiteren Waffenlieferungen nach Syrien von wem auchimmer – liebe Koalitionäre, das gilt ja auch für deutscheWaffen, die dort eingesetzt werden –
und die ungehinderte Zulassung von Hilfslieferungenfür die notleidende Bevölkerung . Die Umsetzung dieserForderungen durch die Vereinten Nationen wäre doch einProgramm, für das man eine Mehrheit gewinnen könnte .Dass diese Mehrheit in der Vollversammlung möglicher-Dr. Ute Finckh-Krämer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619398
(C)
(D)
weise noch nicht vorhanden ist, ist doch nur eine Auffor-derung, dafür zu sorgen, dass wir eine solche Mehrheitherstellen .
Eine letzte Überlegung von mir – ich kann sie nur alsBitte äußern; entscheiden müssen Sie selber –: Ich binschon sehr empört gewesen über die Einlassungen vomKollegen Röttgen, was eine Flugverbotszone angeht . Werso etwas fordert, muss bereit sein, Flugzeuge abzuschie-ßen . Ansonsten sind solche Äußerungen rechtspopulisti-sches Geschwätz, das man in dieser ernsthaften Situationunterlassen sollte .
Herr Röttgen, Sie haben also gefordert, man solle russi-sche und andere Flugzeuge abschießen . Na, warten wirmal ab, wohin man dann käme .Ähnlich geäußert hat sich der Kollege Kiesewetter,der einen Militäreinsatz in Syrien propagiert . Was ist esfür eine Politik der Union, hier kleinkariertes Theater zuspielen, dafür einzutreten, dass mit Waffeneinsatz Flug-verbotszonen geschaffen werden und dass Militäreinsät-ze durchgeführt werden? Das hat doch nichts mit einervernünftigen Regierungspolitik, was auswärtige Angele-genheiten angeht, zu tun . Kehren Sie um! Daran glaubeich zwar nicht, aber es gibt dennoch Besseres, als so et-was zu fordern .Danke sehr .
– Da schenken wir uns nichts .
Als nächster Redner hat Henning Otte von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Meine Damen und Herren! Herr Gehrcke, es warschon offenkundig, wie bewusst Sie eben Bewegungenmissverstehen wollten, um dort zu einem Frieden zukommen . Die Selbstkritik an dem Klein-Klein, die Sieanfangs hatten, sollten Sie bitte auch einmal in IhrerFraktion üben . Ich sage Ihnen: Sie verkennen völlig, dassder IS eine Bedrohung für den Weltfrieden ist, dass sichdiese Bedrohung in Syrien und im Norden Iraks konzen-triert, dass diese Bedrohung Einfluss hat auf Europa. DieAnschläge in Paris und Brüssel zeigen dies . Wir wollenuns einer islamistischen Regierung entgegenstellen, dieBotschafter als Selbstmordattentäter entsendet . DassMenschen im Auftrag einer islamistischen Regierung be-unruhigt und getötet werden, dagegen stellen wir uns alsTeil der Verantwortungsgemeinschaft .
Wir stellen uns dem aus humanitären Gründen entge-gen: weil wir das Leid von Menschen verhindern wollen .Wir stellen uns dem aus rechtlichen Gründen entgegen:weil das Völkerrecht für uns Maß und Mitte ist . Wir stel-len uns dem auch entgegen, weil wir hier in Deutschlandsehen, dass es einen enormen Flüchtlingsdruck aus dieserRegion gibt, und weil wir wollen, dass die Menschen vorOrt wieder eine Perspektive haben . Deswegen helfen wirin Syrien als Teil der Verantwortungsgemeinschaft mit 64anderen Nationen, indem wir Begleitschutz geben, Tank-flugzeuge stellen, Aufklärungsflüge tätigen, und auch, in-dem wir morgen in erster Lesung einem AWACS-Einsatzdort zustimmen .Wir helfen auch im Norden Iraks, um dem Pesch-merga Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe zu geben: imKampf, zur Minenräumung, in der Sanität . Deswegensage ich auch dem Kollegen Nouripour: Wir dürfen nichtnur die Bedenken sehen, sondern wir müssen auch dieChancen sehen . Vor allem müssen wir den Menschen vorOrt sagen: Für uns stehen nicht unsere Bedenken im Mit-telpunkt, sondern euer Recht auf Leben, euer Recht aufHeimat . Deswegen haben wir den Kämpfern des Pesch-merga, den Jesiden, aber auch der irakischen Armee dortgeholfen .
Ich gebe zu bedenken, dass viele Frauen und vie-le Mädchen noch in der Hand des IS sind . Es ist genaurichtig, wenn Volker Kauder sagt, dass, wenn Mosul frei-gekämpft ist, wir eine Befreiung haben, eine Befriedunghaben und dies politische Lösungen befördert . Das mussunser gemeinsames Ziel sein .Als wäre die Situation in Syrien nicht schon schlimmgenug: Es gibt dort das Assad-Regime, das bekannter-maßen gegen die Opposition, gegen die Zivilbevölke-rung Giftgas und Fassbomben einsetzt . Aleppo, das istein trauriges Bild, das wir täglich sehen . Das treibt unsalle um . Kriegsverbrechen werden dort durchgeführt . Ichsage: Alle handelnden verantwortlichen Personen müs-sen zur Rechenschaft gezogen werden . Die Völkerge-meinschaft darf nicht zulassen, dass so etwas ungeahndetbleibt .
Für mich ist es allerdings auch mehr als irritierend,dass dies alles unter Duldung, unter Aufsicht und unterZutun auch der Kremlregierung in Moskau vollzogenwird, immer unter dem Deckmantel offensichtlich ei-ner strategischen Machtpolitik . Der Tod und das Leidvon Tausenden von Menschen werden billigend in Kaufgenommen . Russland hat eine Schlüsselposition . Es be-herrscht dort Teile des Luftraums . Es verweigert sicheiner Flugverbotszone . Als ständiges Mitglied im Si-cherheitsrat der Vereinten Nationen bricht dieses Landaugenscheinlich Völkerrecht . Das ist auf der Krim deut-lich geworden . Das ist das aktuelle Bild . Deswegen istdiese Aktuelle Stunde auch genau richtig, in dieser Stun-de, wo der russische Präsident hier in Berlin erwartetwird – zu einem Dialog . Wir sind unserer Bundeskanz-Wolfgang Gehrcke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19399
(C)
(D)
lerin Angela Merkel dankbar, dass sie immer wieder die-sen Dialog anschiebt, immer wieder diesen Impuls setzt .Aber ich sage auch: Dialog muss dann von Sanktionenbegleitet werden, wenn wir noch nicht zum Ziel kom-men . Dialog und Stärke, das sind die beiden Säulen fürStabilität und Sicherheit, die wir haben .Russland ist auf dem Weg in eine Isolation . Wir for-dern auch, dass Russland unter Präsident Putin wiederin die Völkergemeinschaft, an den Verhandlungstischzurückkommt . Ansonsten: Ob Russland ein ständigesMitglied im UN-Sicherheitsrat sein kann, wenn man of-fensichtlich Völkerrecht bricht und nicht alles dafür tut,Menschen Leid zu ersparen, diese Frage sollte man sichdann auch stellen .Herzlichen Dank .
Als nächste Rednerin hat Claudia Roth für die Frakti-on Bündnis 90/Die Grünen das Wort .Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!An diesem Montag hat ein neues Kapitel der furchtba-ren Tragödie einer Region voller Leid und Zerstörungbegonnen . Ja, es sind freudige Bilder aus Karakosch,die Hoffnung auf Befreiung versprechen . Gerade heuteerinnere ich mich sehr an Anfang August 2014, als ichin Erbil mit vielen Frauen und Männern sprechen konn-te, die aus der ehemalig größten christlichen Stadt desIraks vertrieben worden waren . Ich erinnere mich an ihreVerzweiflung und an ihre Trauer auch darüber, dass ihresunnitischen Nachbarn bei dieser Vertreibung durch denDaesh mitgeholfen haben .Mit dem Sturm auf Mosul wird Daesh hoffentlich sei-ne wichtigste Bastion im Irak verlieren . Es ist gut, wenndiese Terrororganisation Daesh, die das Wesen von Staat-lichkeit und jeglicher Religion verspottet, geschlagenwird . Aber ich warne davor, zu glauben, damit würde inMosul oder gar im Irak alles gut . In Mosul setzt sich dochwie unter einem Brennglas fort, was die Katastrophe ei-ner ganzen Region ausmacht, wo jeder auf eigene Rech-nung spielt, wo es nur noch darum zu gehen scheint, aufwessen Seite man steht, der USA oder Russlands, Sau-di-Arabiens oder des Irans, der Schiiten oder der Sunni-ten, der Türken oder der Kurden, der syrischen Kurdenoder der irakischen Kurden, der Barzani-Kurden oderTalabani-Kurden . Haben wir, hat die Weltgemeinschafteigentlich irgendetwas gelernt aus fünf Jahren entgrenz-tem Krieg, aus dem Leid von 16 Millionen Syrern undIrakern auf der Flucht, aus dem Scheitern von UN-Son-dergesandten und Friedensgesprächen, aus immer wiedergebrochenen Waffenruhen?Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine politische Lö-sung für Mosul ist nie ernsthaft gesucht worden, aberohne eine solche Lösung werden dort schon heute dieGrundlagen für den nächsten unauslöschbaren Brand-herd gelegt . Mosul darf jedoch nicht Spielball im Ringender Regionalmächte werden .
Der Peschmerga rückt jetzt auf Mosul vor, währendwir doch wissen, dass Saudi-Arabien diese irakischenKurden finanziert, um damit die Schiiten klein zu hal-ten . Die irakische Regierung will mit der iranischen Re-gierung im Rücken sowie mithilfe schiitischer Milizendiese Stadt – die Stadt, die die Hochburg der Sunnitenim Irak ist – erobern . Erdogan dagegen will mit aller Ge-walt türkische Truppen dabei haben . Er fördert und bildetschon jetzt beteiligte Sunniten-Milizen aus . Das ist derErdogan, dessen oberstes Ziel es ist, jeden wachsendenEinfluss der Kurden zu bekämpfen.Wir müssen uns eingestehen, dass es in Mosul über-haupt keine Strukturen gibt, die man einfach wiederhochfahren könnte . Denn schon vor der Eroberung durchDaesh war Mosul außerhalb der Kontrolle der irakischenZentralregierung .Schon 2012 habe ich in Kirkuk mit Christen aus Mo-sul gesprochen, die von Vertreibung und Verfolgungberichtet haben . Das hat nur wenig interessiert . Schondamals war die Stadt Waffen- und Sklavenhändlern, Fun-damentalisten und Terrorfinanziers überlassen.Wenn wir all dies gemeinsam so analysieren, dannmüssen wir uns – das ist nicht Bedenkenträgerei – gro-ße Sorgen um die Stadt, die Menschen, die Zukunft desIraks und der gesamten Region machen . Die BefreiungMosuls mag militärisch erreichbar sein, aber Befriedungund Stabilisierung können wirklich nur eine politischesein .
Auch wenn es schwerfällt, das zu sagen: UnsereHandlungsmöglichkeiten sind begrenzt . Die aber, die wirhaben, sollten wir in vollem Umfang ausschöpfen undnutzen . Das heißt, wir sollten mit Mitteln einer weitsich-tigen und nachhaltigen inklusiven Diplomatie Druck aufalle beteiligten Parteien ausüben . Dazu gehört natürlichPutin . Ich hoffe, dass dieser Druck heute auch ausgeübtwird, weil er natürlich ein gefährlicher Akteur in dieserRegion ist . Es sollte Druck ausgeübt werden, damit Mo-sul nicht das nächste Kapitel in einem zynischen Stell-vertreterkrieg wird . Das heißt, wir sollten versuchen, diegrößte humanitäre Offensive, die wir zu leisten in derLage sind, anzuwerfen .Es ist gut, dass Vorbereitungen getroffen werden . An-gesichts aber von 1,2 bis 1,4 Millionen Menschen, diemöglicherweise die Flucht aus der Hölle Mosuls schaf-fen, reichen die Vorkehrungen bei weitem noch nicht . Esheißt, auch Vorsorge zu treffen, um alle aus Mosul Ge-flüchteten menschenwürdig aufzunehmen, gleichzeitigaber zu verhindern, dass es zur Vertreibung von anderenFlüchtlingen kommt, die im Laufe der Jahre in Dohuk,Sulaimaniyya und Erbil aufgenommen worden sind undjetzt nach Falludscha geschickt werden, obwohl Fal-ludscha völlig zerstört ist . Es heißt vor allem die Kräftezu stärken, die glaubhaft für eine inklusive Zukunft desIraks eintreten .Henning Otte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619400
(C)
(D)
Ich sage es noch einmal, liebe Kolleginnen und Kol-legen: Der Kampf um Mosul darf kein zweites Aleppowerden . Danach beginnt der noch viel wichtigere Kampfum die Zukunft nicht nur einer Stadt, sondern einer gan-zen Region .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Thomas
Hitschler für die SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber bei den ganz vie-len schrecklichen, traurigen und furchtbaren Bildern, dieeinen jeden Tag aus Aleppo erreichen, spürt man manch-mal so ein Stück weit auch die eigene Hilflosigkeit alsAbgeordneter . Deshalb bin ich sehr dankbar, dass wirheute im Deutschen Bundestag noch einmal eine Debatteüber die Lage dort führen können, um auch wieder daraufhinzuweisen, wie schrecklich es dort ist . Ich habe bei derDebatte, Kolleginnen und Kollegen, eines festgestellt:Uns eint tatsächlich alle eines, das ist der Wille auf Frie-de in diesem schlimm umkämpften Raum .Die grauenvolle Situation in Syrien und im Irak zeigtsich dadurch, dass es nicht nur Kombattanten – Soldatin-nen und Soldaten – sind, die in Kämpfe verwickelt sind,sondern auch Kinder und Alte – Menschen aus allenSchichten, deren Bilder wir jeden Tag über die Fernseh-schirme flimmern sehen. Es ist ein schrecklicher Krieg,bei dem, so scheint es, alle Regeln des Völkerrechtes, sowie wir sie kennen, auch alle Regeln des Kriegsrechtsaufgehoben zu sein scheinen . Es gibt und gab viele Ver-suche und Bemühungen, einen Friedensprozess einzu-leiten . Wir stellen aber fest, dass viele dieser Versuchegescheitert sind . Wir stellen ferner fest, wenn wir auf Sy-rien blicken, dass wir – das ist für mich eine der furcht-baren Lektionen aus diesem Konflikt – eine Rückkehrzur Machtpolitik sehen . Kollegin Roth hat es gerade be-schrieben. Wir sehen Einfluss aus vielen verschiedenenLändern . Wir sehen, dass viele verschiedene Länder ineiner Region um die Macht und um den Einfluss ringen.Das, Kolleginnen und Kollegen, macht die Situation sounfassbar komplex .Viele Hoffnungen ruhen auch auf dem deutschen Au-ßenminister . Ich will jetzt schon zum Ausdruck bringen,wie dankbar ich bin, dass Frank-Walter Steinmeier tag-täglich mit vielen Bemühungen unterwegs ist, um Frie-den in diesem Raum zu schaffen . Meine guten Wünschebegleiten ihn – auch vom Deutschen Bundestag und ausdieser Sitzung, Kolleginnen und Kollegen .
Ich habe für den heutigen Tag eine große Hoffnung,auch die hat Kollege Otte vorhin schon beschrieben .Wenn sich heute Merkel und Putin treffen, dann könnenwir eines feststellen: Der Schlüssel zur Lösung des Kon-flikts in Syrien liegt in Russland. Ich bin mir ganz sicher,dass die Lösung des Konflikts keine militärische Lösungsein kann, sondern nur eine politische sein darf . Deshalblassen Sie uns von diesem Ort noch einmal ein starkesSignal in diese Richtung senden und sagen: Lassen Sieuns gemeinsam daran arbeiten, dass es eine Lösung gibt .Wenn ich, Kolleginnen und Kollegen, den Blick nachMosul werfe, den Blick in den Irak werfe, dann stellt essich mir so dar, als ob wir tatsächlich eine etwas ande-re Situation erleben . Wir merken, dass der „IslamischeStaat“ bzw. Daesh stark geschwächt ist. Die finanziellenStrukturen sind aufgebrochen . Wir merken, dass die Öl-verkäufe zurückgegangen sind . Wir merken, dass die Re-krutierung junger Kämpfer, die früher in großen Massendorthin geströmt sind, weniger geworden ist . Wir stellenfest, dass unsere Anstrengungen und auch die Anstren-gungen der internationalen Koalition Wirkung gezeigthaben .An dieser Stelle will ich auch den deutschen Beitraghervorheben . Kollege Otte hat vorhin kurz darauf rekur-riert, dass wir den Peschmerga ausgebildet haben . Ichglaube, es hilft, die Zahlen noch einmal zu nennen . Wirhaben 2 000 Peschmerga-Soldaten ausgebildet . Ich warim Juni vor Ort und habe bemerkt, dass es mittlerweilesehr viele sehr Junge und sehr viele sehr Alte sind, diedort in den Kampf geschickt werden . Es zeigt ein Stückweit den hohen Blutzoll, den der Peschmerga dort in sei-nem Freiheitskampf geleistet hat . Wenn wir heute dortein Signal hinschicken wollen, dann ist es, glaube ich, einSignal der Dankbarkeit, dass sie den Kampf angenom-men haben und so erfolgreich Daesh, den „IslamischenStaat“, zurückgedrängt haben .Ich will ein zweites Dankeschön schicken, Kollegin-nen und Kollegen . Es geht an die Soldatinnen und Sol-daten . Über 120 Mann leisten im Nordirak ihren Dienstneben den Pilotinnen und Piloten der Aufklärungsflug-zeuge, neben den Besatzungen der Tanker, neben denMarinesoldatinnen und -soldaten auf der Fregatte . Ichglaube, sie haben ein großes Dankeschön von uns ver-dient .
Die Lage in Mosul ist allerdings wirklich schreck-lich . Kollegin Roth hat vom zweiten Aleppo gesprochen .Das ist auch meine große Befürchtung . Wenn man sieht,mit welchen perfiden Maßnahmen sich der IS auf denKampf vorbereitet – mit menschlichen Schutzschilden,mit Sprengfallen an allen Ecken und mit einer wirklichzermürbenden Häuserkampfstrategie –, dann werden wiralle gemeinsam darauf drängen müssen, dass die huma-nitäre Situation in Mosul nicht gleichzeitig die huma-nitäre Situation in Aleppo dupliziert . Wir werden dafürsorgen müssen, dass die Flüchtlinge, die aus Mosul he-rausströmen werden, eine gute Auffangsituation in denumgebenden Ländern haben werden . Ich habe mir beiClaudia Roth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19401
(C)
(D)
Erbil ein Flüchtlingslager im Irak angesehen und habebemerkt, wie schwierig es für die Region geworden ist,die großen Massen an Flüchtlingen aufzunehmen . Auchda ist eine Herausforderung für Deutschland, die Länderdabei zu unterstützen .
Wenn wir uns darüber Gedanken machen, was po-litische Lösungen sein könnten – das ist heute schonmehrfach gesagt worden –, dann wissen wir, dass esausschließlich politische Lösungen sein werden, die ge-gen Ideologien wie die des IS beispielsweise helfen . Wirkönnen militärisch dafür sorgen, dass aus einem symme-trisch agierenden Konflikt und aus einem symmetrischagierenden Gegner ein asymmetrischer wird . Aber imEndeffekt wird die Ideologie nur darin bekämpft werdenkönnen, dass man eine Verbindung und eine politischeLösung zwischen Sunniten und Schiiten anstrebt .Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich mit einemWunsch enden: Das ist meine Hoffnung für Frieden fürdiese ganze Region . Ich bin mir sicher, sie hat es ver-dient . Aber ich bin mir auch sicher, dass es objektiv insehr weiter Ferne liegt .Vielen Dank .
Als nächster Redner hat Dr . Johann Wadephul für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kol-lege Gehrcke, Sie haben heute wieder mit einem be-merkenswerten Beitrag deutlich gemacht, was sich dieLinksfraktion unter Friedenschaffen in dieser Regionvorstellt, und kritisiert, dass der Kollege Röttgen für eineFlugverbotszone eingetreten ist . Ich weiß eigentlich vonkeinem Flugzeug am syrischen Himmel, das irgendwiefür Frieden gesorgt hätte, sondern ich weiß nur von Flug-zeugen und Hubschraubern, die Fassbomben abwerfen,die mittlerweile bunkerbrechende Bomben abwerfen, diedie Zivilbevölkerung in einer Art und Weise eliminie-ren – muss man schon sagen –, quälen, in Nöte versetzen,dass es wirklich zum Himmel schreit . Deswegen mussman doch sagen:
Jedes Flugzeug weniger ist gut für Syrien . – Deswegenmuss man doch Ihre Freunde in Moskau, lieber Herr Kol-lege Gehrcke, aufrufen, endlich bei der Gestaltung einesFriedens mitzumachen .
Und das hier als Rechtspopulismus abzutun, lassen wirIhnen, Herr Kollege Gehrcke, nicht durchgehen .
Das ist eine Stimme des Humanismus gewesen, und derhätten Sie sich anschließen können .
Man muss all denjenigen, die sich in den letzten Tagenzusammengesetzt haben, um Rot-Rot-Grün zu schmie-den, was ja nicht nur legal, sondern auch legitim ist – esist in unserer parlamentarischen Demokratie erwünscht,nach neuen Mehrheiten zu suchen –, natürlich sagen: Wirwerden es Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nichtdurchgehen lassen, dass Sie sich über Sozialpolitik unter-halten, aber diesen Bereich aussparen .
Solange sich die Linksfraktion hier derart positioniert,wie sie sich positioniert, werden Sie eine verantwor-tungsvolle Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands,das im NATO-Bündnis fest verankert ist,
nicht formulieren können . Das, was die Linksfraktionhier bietet, wird der Rolle Deutschlands in der Welt, inEuropa nicht gerecht . Wer hier gemeinsam mit denenMehrheiten bilden will, der muss sich darauf einstellen,dass wir das ansprechen werden .
Dazu sind Wahlkämpfe dann ja auch da .Nun weiß jeder, dass Sanktionen nicht das schönsteMittel der Außenpolitik oder überhaupt der Politik sind .Dass sie allein nicht der Schlüssel sind, ist doch völligklar . Aber man muss natürlich schon ernsthafterwei-se sagen: Wenn wir bei der völkerrechtswidrigen, abervergleichsweise unblutigen Annexion der Krim relativgemeinsam der Auffassung waren, dass Sanktionen eineAntwort sind, dann muss man schon begründen, warumdenn trotz der sehr viel blutigeren Vorgehensweise Russ-lands in Syrien Sanktionen völlig ungerechtfertigt sind .
Darauf habe ich bisher noch keine überzeugende Ant-wort erhalten, meine sehr verehrten Damen und Herren .Jeder, der Sanktionen zum jetzigen Zeitpunkt katego-risch ablehnt – das haben wir hier von einigen Rednernunterschiedlicher Fraktionen gehört –, der muss natürlichsagen, warum er in der Außenpolitik gegenüber Russlandauf dieses Gestaltungsmittel, auch wenn es – ich sage esnoch einmal – nicht das erste Gestaltungsmittel der Au-ßenpolitik ist, verzichten will .
Thomas Hitschler
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619402
(C)
(D)
Das muss man rechtfertigen, und dazu habe ich von den-jenigen, die es ablehnen, bisher kein ausreichend über-zeugendes Argument gehört, meine lieben Kolleginnenund Kollegen .
Was mich an Russland insbesondere erschüttert, ist,dass es sich mittlerweile allen internationalen Vereinba-rungen und einem abgestimmten Vorgehen in der Völker-gemeinschaft verweigert . Wir haben ein Russland – auchnoch in der Form der Sowjetunion – kennengelernt, dasbereit war, sich im Rahmen internationaler Verträge zuengagieren . Alle waren stolz auf den KSZE-Prozess hierin Europa – Außenminister Steinmeier hat auf seine his-torische Bedeutung hingewiesen –, der in der Tat einegroße friedensstiftende, befriedende Wirkung hatte . DieSowjetunion hat sich an die entsprechenden Vereinba-rungen gehalten und hat immer darauf bestanden – dashaben Sie an der Hochschule in Moskau auch gelernt,Herr Gehrcke –,
dass das wichtig ist .Aber heute erleben wir ein Russland, das sich über-haupt nicht mehr an völkerrechtliche Vereinbarungenund Konventionen hält und dabei ist, die Vereinten Na-tionen als Instrumentarium zumindest stark infrage zustellen – um es vornehm zu formulieren .
Wir haben eine Entwicklung, die kürzlich darin mündete,dass sich sogar China bei der Abstimmung über den Ent-wurf einer Resolution zu Syrien enthalten hat . Russlandhat wieder mal eine Resolution, die Frieden hätte schaf-fen können, mit einem Veto blockiert .
Insofern muss ich schon sagen: Alle in diesem Hausefreuen sich, dass Präsident Putin nach Deutschlandkommt . Alle sollten die Bundeskanzlerin der Bundesre-publik Deutschland dabei unterstützen, dass sie – sie istwohl eine der wenigen, die überhaupt noch die Möglich-keit hat – die Möglichkeit nutzt, um mit Herrn Putin überdiese Fragen zu sprechen und ihm deutlich zu machen,wo die Grenzen des noch akzeptablen Verhaltens Russ-lands liegen . Wir dürfen nicht darauf verzichten, liebeKolleginnen und Kollegen, ganz klar zu sagen, dass dasvölkerrechtswidrige Verhalten Russlands von uns nichtakzeptiert wird . Das muss nötigenfalls auch Sanktionenzur Folge haben .
Ansonsten sind wir mitverantwortlich dafür, dass mandem Leid und der Not, die das ständige Bombardementin Syrien verursacht, nur zuschaut, und dessen sollten wiruns nicht mitschuldig machen .Herzlichen Dank .
Alexander Radwan hat als nächster Redner das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion .
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieserAktuellen Stunde geht es unter anderem um Syrien undden Irak . Auf der einen Seite können wir anhand der Vor-kommnisse in dieser Region ein Grundmuster erkennen,auf der anderen Seite haben wir es mit unterschiedlichenSituationen zu tun .Ich möchte zunächst auf Mosul und die Situation imIrak eingehen . Herr Gehrcke, sehen Sie es mir nach – esliegt sicherlich an mir –, aber ich habe aus Ihrer Wortmel-dung nicht herausgehört, ob Sie und die Linke es für rich-tig halten, dass die Koalition vor Ort zurzeit militärischgegen den IS vorgeht, oder nicht . Ich halte es für einenersten wichtigen Schritt, auch wenn man militärische Lö-sungen – –
– Es kam der Zwischenruf, dass Sie es nicht für richtighalten . Man kann es jetzt also konkretisieren .Ich halte es für notwendig, dass es eine gemeinsameKoalition gibt . Es ist ein Stück weit der US- bzw . derwestlichen Diplomatie zu verdanken, dass wir die ver-schiedenen Interessengruppen vor Ort, ob ethnischerHerkunft oder religiöser Herkunft, geeint haben . Sie eintder Kampf gegen den IS .Kollege Nouripour hat schnelle Lösungen angemahnt .Ich würde ihn gerne unterstützen, aber ich glaube, wiralle wissen: Eine schnelle Lösung wird es auch im mi-litärischen Bereich nicht geben . Das wird nur ein ersterSchritt in die richtige Richtung sein .Wir werden in einem zweiten Schritt sehen, dass derIS nicht verschwinden wird . Wir müssen klar ansprechen:Der IS wird in den Untergrund gehen, es wird Heimkeh-rer in den Westen, nach Europa geben, und der IS wird inandere Länder wie Syrien und Libyen gehen . Er wird zueiner weiteren Destabilisierung in dieser Region beitra-gen . Es gehört dazu, dass wir uns der Realität stellen . Esist wichtig, dass wir diesen Punkt ansprechen .In der jetzigen Phase ist aber auch die humanitäre Hil-fe wichtig, und hierüber scheint großer Konsens zu beste-hen . Ich möchte insbesondere unserem BundesministerGerd Müller und seinem Staatssekretär, die sich diesesThemas auf europäischer Ebene und auch weltweit an-nehmen, dafür danken, dass wir so schnell handeln; dennwenn wir die flüchtenden Menschen angesichts dieserKatastrophe ihrem Schicksal überlassen würden, dannwürde das zu einer weiteren Destabilisierung in dieserRegion beitragen . Das ist mit Sicherheit nicht unser Ziel .Wir wollen nicht nur Humanität, sondern auch Stabilität .
Sollte es zu einer Vertreibung des IS aus Mosul kom-men, dann stellt sich die Frage: Wie geht es politisch wei-ter? Hier sind wir gefordert – die Diplomatie in EuropaDr. Johann Wadephul
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 2016 19403
(C)
(D)
und in Deutschland ist gefordert, vor allen Dingen dieAmerikaner –, dafür zu sorgen, dass die Koalition vor Ortauch hält, dass die Kurden, die Türkei, die Schiiten unddie Sunniten sich auf ihre Gebiete konzentrieren und dieEinheit des Landes letztendlich nicht gefährden . Es darfkeine Instabilität entstehen, die die Basis für möglicher-weise neuen Terror ist .Es ist wichtig – das wurde angesprochen –, die Regi-onalmächte einzubeziehen . Das ist das große Kunststückvor Ort . Ich möchte an dieser Stelle hinterfragen, wie wirhier debattieren . Der Kollege Wadephul hat sehr stark aufden Besuch von Putin abgehoben, und auch der KollegeKauder hat zum Schluss seiner Rede darauf hingewiesen .Wir können hier im Deutschen Bundestag regelmäßigdarüber debattieren, was der richtige Weg in dieser Regi-on ist . Es ist wichtig, mit Putin zu reden – Gott sei Dankmacht das die Kanzlerin –, aber letztendlich geht es dochum die Frage: Was ist Deutschland, was ist Europa bereitzu leisten, um für Frieden und Stabilität in der Welt, alsoauch in dieser Region, zu sorgen?
Das Beste wäre erst einmal, Herr Kollege, wenn dieWeltgemeinschaft wahrnehmen würde, dass der Deut-sche Bundestag diesbezüglich ein Stück weit Geschlos-senheit und ein gemeinsames Ziel hat . Das wäre das bes-te Signal . Glauben Sie im Ernst, dass, solange die andereSeite der festen Überzeugung sein kann, dass es inner-halb Deutschlands keine geschlossene Front gibt – „diesind intern so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass die garnicht antworten können“ –, sich der Präsident, der heutein Berlin ist, beeindrucken lässt? Das, was Sie denken,entspringt doch Ihrer Fantasie .Es wäre dringend notwendig, dass wir der Verantwor-tung, die wir haben, gerecht werden und – angefangenbei den Flugverbotszonen bis zu den entsprechendenMaßnahmen in den Ländern – für Stabilität sorgen . Ichwürde mich freuen, wenn wir gemeinsam einen Wegfänden – es wäre gut, wenn auch die Linke dazu beitra-gen würde; Frau Roth, inhaltlich sind wir ja gar nicht soweit auseinander –, damit Deutschland und Europa in derjetzigen Phase aus einer Position der Stärke heraus vonLeuten wie Putin ernst genommen werden . Dazu brau-chen wir gemeinsames Handeln, wozu Sie einen großenBeitrag leisten können .Besten Dank .
Als letzter Redner in der Debatte hat Roderich
Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere heuti-ge Aktuelle Stunde hat gezeigt, dass wir die humanitäreKatastrophe in Syrien sehr ernst nehmen . Die Debattehat aber auch gezeigt, dass wir gleichermaßen vor einemungeheuren Vertrauensverlust in die internationale Ge-meinschaft, in die internationalen Institutionen stehen,weil die Vereinten Nationen, weil der Weltsicherheitsrathandlungsunfähig ist .Wir hören kein Wort von der Linkspartei dazu, dassRussland fünfmal den Weltsicherheitsrat in der Syri-en-Frage blockiert hat .
Wir hören kein Wort dazu, dass Russland die Arbeit vonde Mistura blockiert, kein Wort dazu, dass Russland undauch der Iran in der Region ihre militärische Präsenz un-geheuer ausbreiten . Sie sind nicht nur auf diesem Augeblind, sondern Sie sind auch blauäugig . Eine rot-rot-grü-ne Kooperation darf auf diesem Auge nicht blind sein .Sie dürfen das nicht verschweigen . Sie müssen sich be-kennen und sagen, wo Sie stehen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Europä-ische Union hat diplomatisch ungeheuer viel in der Re-gion investiert . Ich erinnere an die E3+3-Gespräche inWien, ich erinnere auch an die Genfer Gespräche zu Sy-rien . Trotzdem stehen wir gewissermaßen vor einer ArtErpressung durch Syrien, durch Assad, durch Putin undauch durch den Iran . Es werden militärische Erfolge er-zwungen, und ein politischer Prozess zu der Frage: „Wiegeht es nach Assad weiter?“ oder zu den Punkten, die inGenf vereinbart worden sind – freie Wahlen 18 Mona-te nach einem Friedensschluss –, ist in weite Ferne ge-rutscht . Wir Europäer stehen damit vor einem Dilemma:Einerseits sehen wir die Gefahr, dass zunehmend Flücht-linge aus der Region weiter nach Europa kommen, undwir sehen die Gefahr, dass wir erpressbar werden, ande-rerseits sind wir in unseren eigenen Handlungsmöglich-keiten beschränkt .Ich möchte drei Punkte aufzeigen, die mir am Herzenliegen . Die Debatte wurde in weiten Teilen sehr ernsthaftgeführt, und ich möchte hier sehr ernsthafte Vorschlägemachen .Erstens . Stimmt unsere Priorität, dass wir Assad solange im Amt belassen, bis der IS bekämpft ist? Für vie-le Syrer ist nicht der IS das Problem, sondern Assad . Erhat 75 Prozent der eigenen Bevölkerung gegen sich unddafür gesorgt, dass 12 Millionen der 22 Millionen Syrerauf der Flucht sind . Sie sind heimatvertrieben, sie sindnicht mehr an ihren angestammten Orten, sie haben ihreHeimat verlassen . Ich sehe folgende Möglichkeiten:Eine ist – damit haben wir bereits begonnen – dieErtüchtigung . Im Rahmen unserer Entwicklungszusam-menarbeit, die Minister Müller in Kooperation mit demAuswärtigen Amt betreibt – Außenminister Steinmeierist erwähnt worden –, wird in den Bereichen Ausbildungund Gesundheitsversorgung Beispielhaftes geleistet,auch durch die GIZ . Ich glaube, das ist viel Anerkennungwert . Auch das Technische Hilfswerk ist engagiert .Alexander Radwan
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 195 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 19 . Oktober 201619404
(C)
(D)
Wir müssen uns aber auch über etwas anderes Gedan-ken machen: Wenn wir in dieser Region unterstützendwirken wollen, können wir das nur, indem wir für Si-cherheit sorgen, indem – Volker Kauder hat das ausge-führt – die entsprechenden Kräfte sich bewaffnet wehrenkönnen . Insbesondere die Kurden schützen 1,8 MillionenFlüchtlinge, die aus den schiitischen und sunnitischenRegionen nach Kurdistan geflohen sind.Der zweite Aspekt ist: Stellen wir uns eigentlich da-rauf ein, was passiert, wenn mehr Flüchtlinge aus der Re-gion in Richtung Europa kommen? Müssen wir als Eu-ropäische Union uns nicht vielmehr darauf einstimmen,die zivile und militärische Werkzeugkiste zu öffnen undmitzuhelfen, dass Libanon, Jordanien und auch die Süd-osttürkei weitestgehend durch europäisches Engagementstabilisiert werden? Da geht es nicht um Militäreinsätze,Herr Kollege Gehrcke . Es geht darum, ob wir das zivileEngagement der Europäischen Union, Schutzzonen auf-zubauen, militärisch unterfüttern
durch einen entsprechenden Schutz an der Grenze vonJordanien, an der Grenze vom Libanon und an der Gren-ze zur Türkei . Das ist noch nicht ausreichend durchdacht .
Wir müssen uns aber Gedanken machen, wie die Europä-ische Union handlungsfähig wird,
und vor den Entscheidungen, die Russland versucht zuerzwingen, eine Initiative starten, wie wir die Flüchtlingein der Region halten, aber in gesicherter Umgebung .Dazu gehören drittens nach dem Fall von Mosul, aberauch nach dem Fall von Aleppo, wenn hoffentlich inter-nationale Hilfsorganisationen Zugang bekommen, dieFragen: Wie gestalten wir den Aussöhnungsprozess? Wiegestalten wir den Prozess, Waffen wieder einzusammeln?Wie gestalten wir den Prozess des Aufbaus ziviler Infra-struktur? Klar, mit europäischem Know-how . Aber wiegewinnen wir die Kraftquellen aus der Region, von denGolfstaaten, und wie überzeugen wir den Iran und Sau-di-Arabien, sich dort einzubringen?Ich glaube, das sind ganz entscheidende Punkte . Pa-rallel gehört dazu, dass sich die Europäische Union engmit den USA abstimmt, um im Weltsicherheitsrat gegendas Vorgehen Russlands und anderer Störenfriede Parteizu ergreifen und sich ganz klar zu positionieren für Hu-manität, für Solidarität und für den Kampf gegen diejeni-gen, die die Region auseinandergebracht haben .Herzlichen Dank .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde
ist beendet .
Damit ist auch unsere Sitzung geschlossen .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016,
9 Uhr, ein .
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und noch
gute Arbeit . Vielen Dank .