Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zu unserer Plenarsitzung .
Großbritannien hat gestern darüber befunden, aus der
Europäischen Union auszutreten . Dennoch ist die Sonne
heute Morgen wieder aufgegangen .
So bedauerlich das eine ist, so beruhigend ist das andere .
Jedenfalls müssen wir uns nun ebenso ruhig wie zügig
mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen auseinan-
dersetzen . Das wird Folgen für den Ablauf der heutigen
Termine und auch für die nächste Woche haben .
Um 13 Uhr werden wir die Plenarsitzung für Son-
dersitzungen der Fraktionen unterbrechen . Und wenn es
nicht im Laufe des Vormittags noch zu anderen Verein-
barungen kommt, wird es voraussichtlich am Dienstag
der nächsten Woche eine Sondersitzung des Bundestages
mit einer Regierungserklärung zur Vorbereitung des dann
unmittelbar folgenden europäischen Gipfels geben . Falls
es zu Terminen oder Uhrzeiten noch Änderungen geben
sollte, werden wir Sie darüber natürlich unverzüglich un-
terrichten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine inter-
fraktionelle Vereinbarung, dass der Entwurf eines Vier-
ten Gesetzes zur Änderung des GAK-Gesetzes auf der
Drucksache 18/8578 dem Ausschuss für Wirtschaft und
Energie zur Mitberatung überwiesen werden soll . Das
gehört, glaube ich, zu unseren kleineren Problemen . – Ich
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Es gibt aber andere Gegenstände, bei denen es eine
Spur komplizierter ist . Deswegen müssen wir vor Eintritt
in die Tagesordnung zwei Geschäftsordnungsanträge zur
Ergänzung der Tagesordnung behandeln, bei denen es
kein Einvernehmen gibt .
Mit ihrem ersten Geschäftsordnungsantrag bean-
tragen die Fraktionen der CDU/CSU und SPD fristge-
recht, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte
Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung
des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an
die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu
erweitern und im Anschluss mit einer Debattenzeit von
60 Minuten zu beraten .
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege Mi-
chael Grosse-Brömer . – Mach das doch vom Platz aus!
Dann geht alles schneller .
Jetzt war ich schon auf dem Weg . Herr Präsident, dass
Sie mir im fortgeschrittenen Alter nicht zutrauen, relativ
zügig dieses Pult zu erreichen, irritiert mich schon .
Ich bin beruhigt, dass Sie es geschafft haben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller Hochach-tung: Am heutigen Tag gibt es weiß Gott wichtigere De-batten als die über eine Geschäftsordnung . Ich will aberdarauf hinweisen, dass den Koalitionsfraktionen häufigervorgeworfen wird, dass sie etwas verzögern, wenn sieein Thema nicht auf die Tagesordnung setzen . Wenn wiretwas aufsetzen, heißt es wiederum oft, wir peitschen esdurch das Parlament . Aber lassen wir das außen vor .Ich will nur darauf hinweisen, dass es um zwei Ta-gesordnungspunkte geht . Einen hatten wir am Donners-tag auf die Tagesordnung gesetzt; er soll heute debattiertwerden . Der andere ist kurzfristig aufgesetzt worden .Keiner – auch die Oppositionsfraktionen nicht – bestrei-tet, dass das rechtlich einwandfrei ist . Das nur zur Infor-mation . Deswegen glaube ich: Wir müssen uns wirklichnicht intensiv mit der Tagesordnung befassen . Lassen Sieuns angesichts der Gespräche, die am heutigen Tag noch
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 180 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . Juni 201617770
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erforderlich sind, schnell abstimmen und an die Arbeitgehen .
Frau Sitte .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz soeinfach ist es eben nicht, Herr Grosse-Brömer .
Auch die Entscheidung in Großbritannien kann man nichtpunktuell betrachten . Es geht nicht nur um den 23 . Juni .Das hat eine lange Vorgeschichte, und dafür sind Parla-ment und Politik genauso verantwortlich wie außerhalbder Parlamente auch die Wirtschaftsentwicklung, dieBankenentwicklung bzw . die Finanzmärkte .
– Ja, das gehört alles dazu, Herr Kauder .
– Selbstverständlich gehört das dazu . Es ist auch eineBankrotterklärung der parlamentarischen Demokratie,wenn sie eine solche Absage bekommt . Deshalb ist eseben auch wichtig, dass wir über solche Fragen wie dieErbschaftsteuer – dabei geht es um ein zentrales Gerech-tigkeitsproblem in diesem Land – vernünftig reden undberaten .
Dazu ist es wichtig, Ausschusssitzungen und Anhörun-gen durchzuführen .
Sie wissen, dass es eine Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichtes gibt . Diese Entscheidung ist im De-zember 2014 gefallen . Sie haben seit 2014, also einein-halb Jahre, Zeit gehabt, Regelungen zur Erbschaftsteuerzu treffen, und sind nicht zu Potte gekommen . Aber heu-te, kurz bevor die Frist ausläuft, die uns das Bundesver-fassungsgericht gesetzt hat, wollen Sie die Reform inner-halb einer Woche durch den Bundestag schleusen .
– Sie können sich gerne aufregen . Ich bin da bei Ihnen;ich rege mich ja auch auf .
In der Union hatten Sie am 25 . September des letztenJahres einen Kompromiss ausgehandelt . Es gab auch ei-nen Kompromiss in der Koalition . Nun konnte man jadavon ausgehen, dass die Geschichte relativ schnell insParlament kommt . Der Kompromiss war eh sehr zaghaftund schaumgebremst . Nein, da kam ein bayerischer Mi-nisterpräsident daher und hat diesen Kompromiss plötz-lich infrage gestellt .
Man könnte ja nun annehmen, dass die CSU nicht in die-ser Koalition sitzt . Jedenfalls ist dieser Kompromiss erstin den letzten Tagen aufgeschnürt und um erhebliche Ele-mente erweitert worden . Es sind neue Dinge eingeführtworden, die ursprünglich nicht in der Diskussion waren,
beispielsweise die Investitionsklausel .
All diese Dinge hätten im Ausschuss vernünftig beratenwerden müssen . Das haben Sie versäumt .
Die erste Lesung fand vor fünf Monaten statt; aber erstin den letzten Tagen sind diese neuen Elemente in denAusschuss gelangt, wo sie vernünftig diskutiert werdensollten .
Oppositionsfraktionen haben darüber beraten und sind zudem Ergebnis gekommen, dass es – so wie es im Rahmender Ausschussarbeit üblich ist und wie es dem Minder-heitenrecht der Opposition im Parlament entspricht –wieder eine Anhörung von externen Sachverständigengeben müsse .
Das haben Sie abgelehnt .Ich sage Ihnen eines – das habe ich bereits gestern imÄltestenrat gesagt –: Solche wichtigen, schwerwiegen-den Gesetze, bei denen es um das Zusammenleben ineiner Gesellschaft und um das Funktionieren der Wirt-schaft geht, innerhalb weniger Tage durch das Parlamentzu drücken, bedeutet, sich vor öffentlicher Kritik zu drü-cken .
Es bedeutet aber auch, dass Sie weder die mediale Kri-tik noch die von den Betroffenen ausgesprochene Kritikaufnehmen .Michael Grosse-Brömer
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Nun hat es einen Parallelentwurf der Bundesregierunggegeben .
Der ist erst am Mittwoch ins Parlament eingebracht wor-den . Warum ist das erwähnenswert? Weil in diesem Ge-setzentwurf überaus kritische Meinungen und Stimmun-gen wiedergegeben wurden . Die sind aber im Ausschussgar nicht besprochen worden .
Es ist symptomatisch, dass Sie das bei einem Gesetztun, das verfassungsrechtlich bedenklich ist; denn dasVorgängergesetz hat schon vonseiten des Bundesverfas-sungsgerichts eine Absage bekommen . Man muss davonausgehen, dass Ihr Vorhaben dazu führt, dass es wiederKläger gegen das Gesetz geben wird und dass wir unswieder vor dem Bundesverfassungsgericht treffen .
Ihr beschleunigtes Verfahren und Ihre Absage an reguläreparlamentarische Abläufe helfen hier überhaupt nicht .
Ich will abschließend sagen: Es geht um eine zentraleGerechtigkeitsfrage in diesem Land . Dieser müssen Siesich stellen . Es geht darum, dass alle diejenigen, die imLand vom Erbschaftsteuerrecht betroffen sind, gleichbe-handelt werden .
Frau Kollegin, genau das wird gleich in der Debatte
inhaltlich besprochen .
Ich bin auch schon am Ende . Das zentrale Gerechtig-
keitsproblem musste hier abschließend noch einmal ganz
deutlich hervorgehoben werden .
Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ei-
gentlich habe ich gedacht, angesichts der Tagesordnung
und auch der Bedeutung der Themen, die jetzt zusätzlich
auf die Tagesordnung gekommen sind, müsste ich nicht
in der GO-Debatte reden . Aber einen Begriff, liebe Frau
Sitte, lasse ich hier nicht stehen . Wir „schleusen“ hier
nichts durchs Parlament .
Wir beantragen die Aufsetzung eines Tagesordnungs-
punktes an einem Freitagmorgen, zur Primetime; also,
besser geht es nicht . Ich verwahre mich gegen solche Be-
griffe und gegen die Behauptung, dass hier irgendetwas
gemauschelt werden soll .
Das ist eine Unverschämtheit, eine bodenlose Unver-
schämtheit .
Sie wollen verhindern, dass wir heute sprechen . Sie
wollen die Absetzung des Tagesordnungspunkts . Sie
wollen, dass heute nicht darüber debattiert werden kann .
Ich sage Ihnen auch, warum: weil Sie weder im Aus-
schuss noch irgendwo sonst auch nur einen einzigen Än-
derungsantrag eingebracht haben .
Wissen Sie, was Sie stört? Sie stört, dass diese Große Ko-
alition einen Vorschlag auf den Tisch gelegt hat, der die
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt,
der dafür sorgt, dass keine Arbeitsplätze abgebaut wer-
den, und der noch dazu dafür sorgt, dass das Steuerauf-
kommen steigen wird . Deswegen: Hören Sie auf mit
diesen Geschäftsordnungsgeschichten, und erwecken Sie
nicht den Eindruck, als ob hier etwas durchgepeitscht
werden soll .
Nur eine Ergänzung noch zu der Behauptung, die In-
vestitionsklausel sei nie ein Thema gewesen . Selbstver-
ständlich war sie Thema in der Anhörung . Ich nenne Ih-
nen die Namen der beiden Sachverständigen – vielleicht
lesen Sie es dann nach –: Herr Rödder und Herr Jorde
sind ausdrücklich darauf eingegangen . Aber wenn man
nicht zuhört, kann man natürlich auch nicht wissen, was
sie dazu gesagt haben .
Lassen Sie uns jetzt endlich zur inhaltlichen Debatte
kommen . Wir haben heute eine ganze Menge Wichtiges
zu beschließen, und die Erbschaftsteuer gehört dazu .
Dass jedenfalls der Parlamentarismus nicht zusam-
menbricht, wissen wir jetzt schon einmal .
Nun hat die Kollegin Haßelmann das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Kolleginnen und Kollegen! Ja, in der Tat, heute gibtes viele andere Themen – Stichwort „Europa“ –, die wirzu diskutieren haben . Die Britinnen und Briten habenDr. Petra Sitte
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 180 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . Juni 201617772
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über den Verbleib in der EU abgestimmt und sich mehr-heitlich für den Austritt ihres Landes ausgesprochen .Konsequenzen und Ausmaß werden uns alle hier im na-tionalen Parlament und auch auf europäischer Ebene inden nächsten Wochen und Monaten intensiv beschäfti-gen . Wir alle wissen eigentlich noch nicht so genau, wiesich diese Entscheidung auf Europa und die Zukunftsfä-higkeit Europas auswirken wird .Dennoch ist es wichtig, da wir heute inhaltliche Ent-scheidungen im nationalen Parlament, hier im DeutschenBundestag, treffen, und zwar weitreichende Entschei-dungen, dass wir eine Geschäftsordnungsdebatte überThemen führen, von denen wir den Eindruck haben, dasssie noch längst nicht entscheidungsreif sind .
Da geht es zum Beispiel um den jetzt diskutierten Ent-wurf eines Gesetzes zur Anpassung der Erbschaftsteuer .Herr Grosse-Brömer, ich kann Sie überhaupt nichtverstehen angesichts Ihrer lapidaren Einlassung nachdem Motto: Das ist doch jetzt lange genug diskutiertworden . Außerdem ist heute der Brexit beschlossen, unddeshalb müssen wir hier jetzt schnell entscheiden . Allesandere stört . – Was für eine Wahrnehmung vom Parla-ment haben Sie eigentlich?
Im Dezember 2014 hat das Bundesverfassungsgerichteine wichtige Entscheidung zur Erbschaftsteuer getrof-fen . Sie wird nicht die letzte in Sachen Erbschaftsteuersein, wenn die Große Koalition heute diesem Gesetzent-wurf ihre Zustimmung erteilt .
Das Schlimme ist: Die Hälfte dieses Hauses weiß dasganz genau . Viele von Ihnen, den Abgeordneten, FrauLambrecht, die davon etwas verstehen,
wissen ganz genau, dass die Erbschaftsteuerreform, dieheute beschlossen werden soll, nicht verfassungsgemäßist .
Das war letztlich der Grund, weshalb Sie uns eine Anhö-rung verweigert haben .
Sie hätten in der ganzen Republik keinen Sachverständi-gen gefunden, der Ihnen belegt hätte, dass dieser Gesetz-entwurf und diese Eckpunkte der Erbschaftsteuer verfas-sungsgemäß sind . Deshalb haben Sie lieber gesagt: ImGesetzentwurf sind gar nicht so viele Änderungen; nurkeine neue Anhörung . Am Ende erkennt der gesammel-te wissenschaftliche Sachverstand, dass auch dieser Ge-setzentwurf verfassungswidrig ist . Das war der Grund,weshalb Sie uns ein ordentliches Beratungsverfahren undeine weitere Anhörung verweigert haben .
Jetzt einmal etwas zu der Behauptung, wir hätten soviel Zeit gehabt, zu beraten . Ich bin selber Finanzaus-schussmitglied .
Im Finanzausschuss haben wir uns ziemlich viel Zeit ge-nommen; da sitzt die Vorsitzende . Eine Anhörung habenSie uns verweigert .
Aber wissen Sie, wie viel Zeit wir hatten, den komplettenUmdruck, den neuen Gesetzentwurf, überhaupt zu lesen?Wir haben am Dienstagabend um 17 .58 Uhr die Vorlagemit ganz umfangreichen und weitgehenden Änderungendes Erbschaftsteuergesetzentwurfes bekommen, und amnächsten Morgen um 9 Uhr begann die Fachausschuss-sitzung . So viel dazu, dass es angeblich ein ordentlichesBeratungsverfahren gegeben habe .
Es geht hier gar nicht nur um die sogenannte Investiti-onsklausel; es geht auch um den Wertabschlag von bis zu30 Prozent . Es geht um den Wegfall der Lohnsummen-prüfung bei Unternehmen bis zu fünf Mitarbeitern . Alldas sind hochwichtige Fragen, wenn es um die Verfas-sungsmäßigkeit geht .Sie hatten über ein Jahr Zeit . Das Problem an dieserStelle ist einfach: Wir hatten keine ordentlichen Beratun-gen . Wir konnten die Verfassungsmäßigkeit nicht sorg-fältig prüfen . Das Schlimmste ist: Sie als Parlamentarierder Großen Koalition merken den Wandel des Politikver-ständnisses gar nicht . Dieser Wandel hat damit zu tun,dass Menschen Politik nicht mehr nachvollziehen kön-nen .Nur weil sich am Montag, dem 20 . Juni 2016,Seehofer, Gabriel und Merkel auf einen Gesetzentwurfverständigt haben, heißt das doch nicht, dass wir ihn heu-te verabschieden müssen .
Wo sind sie denn, wo sind denn die selbstbewussten Par-lamentarierinnen und Parlamentarier? Sie geben IhreAufgabe doch an die Regierung und an die Koalitions-Britta Haßelmann
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spitzen ab, wenn Sie das ständig mit sich machen lassen .Merken Sie das eigentlich nicht?
Am meisten treibt mich auf die Palme, wenn ich sehe:Wir diskutieren das nicht mit Sorgfalt . Wir nehmen unsan dieser Stelle nicht ernst, und zwar nicht nur die Oppo-sition nicht, sondern wir allesamt nicht .
Frau Kollegin .
Das ist doch ein Trauerspiel .
Wir kommen zur Abstimmung . Wer dem Aufsetzungs-
antrag der Koalitionsfraktionen zustimmen möchte, den
bitte ich um sein Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist die Aufsetzung mit der
Mehrheit der Koalition so beschlossen .
Es gibt nun einen zweiten Geschäftsordnungsantrag,
in dem die Koalitionsfraktionen beantragen, den gestern
abgesetzten Tagesordnungspunkt 14 – hier geht es um die
zweite und dritte Beratung der von den Koalitionsfraktio-
nen sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe
eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei
der Bekämpfung des internationalen Terrorismus – auf
die heutige Tagesordnung aufzusetzen und nach dem Ta-
gesordnungspunkt 24 unter Beibehaltung der dafür vor-
gesehenen Redezeit von 38 Minuten zu beraten .
Wortmeldungen zu diesem Geschäftsordnungsantrag
liegen mir nicht vor, sodass wir darüber gleich abstim-
men können . Wer dem Aufsetzungsantrag zustimmt, den
bitte ich um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist auch dieser Aufsetzungsan-
trag mit Mehrheit angenommen .
Die Tagesordnung ist damit um folgende Punkte er-
weitert:
ZP 9 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteu-
er- und Schenkungsteuergesetzes an die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts
Drucksachen 18/5923, 18/6279, 18/6410
Nr. 4
Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-
nanzausschusses
Drucksache 18/8911
Drucksache 18/8912
14 . – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zum besseren Infor-
mationsaustausch bei der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus
Drucksache 18/8702
– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zum besseren Informationsaus-
tausch bei der Bekämpfung des internatio-
nalen Terrorismus
Drucksachen 18/8824, 18/8881
Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses
Drucksache 18/8917
Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass später
zu den beiden aufgesetzten Punkten jeweils eine nament-
liche Abstimmung durchgeführt wird .
Ich rufe nun den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 9
auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteu-
er- und Schenkungsteuergesetzes an die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts
Drucksachen 18/5923, 18/6279, 18/6410
Nr. 4
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses
Drucksache 18/8911
Drucksache 18/8912
Über diesen Gesetzentwurf werden wir, wie gerade
angekündigt, später namentlich abstimmen .
Für die Aussprache sind 60 Minuten vorgesehen . –
Dazu höre ich jetzt keinen Widerspruch mehr .
Ich eröffne die Aussprache . Erster Redner ist der Kol-
lege Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Derheute leider zur Tatsache gewordene Brexit ist auch einegroße Herausforderung für die deutsche Wirtschaft . Esgeht jetzt um die internationale Leistungs- und Wettbe-werbsfähigkeit – natürlich auch mit einem reformiertenErbschaft- und Schenkungsteuergesetz, das wir heuteverabschieden, meine Damen und Herren . Denn in denBritta Haßelmann
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 180 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . Juni 201617774
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nächsten drei Jahren stehen allein 135 000 Familienun-ternehmen zur Übergabe an, und davon sind über 2 Mil-lionen Beschäftigte betroffen . Das ist der Ernst der Lage,und deswegen müssen wir heute handeln .
Unser Leitgedanke bei der Anpassung der Erbschaft-und Schenkungsteuer war die Erhaltung der Generatio-nenbrücke in unseren deutschen Betrieben mit der Siche-rung von Arbeitsplätzen . Mit der Einigung auf die nunvorliegende Reform ist uns eine verfassungskonforme,praxistaugliche und vor allem arbeitsplatzsicherndeLösung gelungen . Dieser tragfähige Kompromiss zeigtdie Handlungsfähigkeit unserer Koalition . Uns ist es amEnde gelungen, vor allem eine mittelstandsfreundlicheLösung zu finden, die Sicherheit für viele Betriebe be-deutet und zu keinen weiteren Belastungen führen wird .Dies ist ein Beitrag zur Sicherung und Stärkung unse-rer weltweit einzigartigen, vom Mittelstand und vonFamilienunternehmen geprägten Wirtschaftsstruktur inDeutschland . Das ist das Erfolgsmodell, meine Damenund Herren, um das uns viele Länder beneiden . DieseMittelstandsstruktur ist das Erfolgsmodell für die erfolg-reiche Wirtschaftsnation Deutschland .
Es ist eine Wirtschaftsstruktur – das sollten wir nichtvergessen –, die in der Finanz- und Wirtschaftskrisemaßgeblich zur Stabilität und Beschäftigungssicherungbeigetragen hat, und diese Struktur dürfen wir nicht zer-schlagen .
Ich stelle ausdrücklich fest: Es geht hier nicht um Ge-schenke für ein paar reiche Erben mit Privatvermögen,
sondern um den Erhalt von Arbeitsplätzen und Betrieben,um das Wohl von Arbeitnehmern und ihren Familien .Das steht ganz vorn, meine Damen und Herren .
Wir sprechen hier von denjenigen, die den Wohlstandin Deutschland erwirtschaften, den Sie, meine Damenund Herren von den Linken, so gern verteilen . Erwirt-schaften geht vor verteilen; aber das wollen Sie niebegreifen . Gerade Ihnen von den Linken sind die ideo-logischen Feindbilder und Scheuklappen näher als dieMenschen in diesem Land und eine ordentliche, arbeits-platzsichernde Erbschaft- und Schenkungsteuer . Ich habein der Diskussion um die Erbschaftsteuer immer wiederdas Wort „Verteilungsgerechtigkeit“ gehört . Verteilungs-gerechtigkeit ist wichtig . Das hört sich gut an .
Verteilungsgerechtigkeit kann es aber nur dann geben,wenn es etwas zu verteilen gibt . Das ist eine Binsen-wahrheit . Ihre Vorstellungen würden dazu führen, dass esziemlich bald nichts mehr zu verteilen gibt .Für uns ist die soziale Bindung des Eigentums dieGrundlage unserer sozialen Marktwirtschaft . Deshalbverbinden wir in diesem Gesetzentwurf das Eigentummit der Verpflichtung zur Erhaltung der Betriebe undArbeitsplätze . Das ist die Grundlage unseres Gesetzent-wurfs .
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil unse-re Verschonungsregelung, die Sie immer kritisiert haben,ausdrücklich bestätigt . Das muss noch einmal verdeut-licht werden: Das Bundesverfassungsgericht hat unsereVerschonungsregelung bestätigt; das ist der wesentlicheGrundsatz . Deswegen ist dieser Gesetzentwurf verfas-sungskonform .
Die Einwände, die das Bundesverfassungsgericht er-hoben hat, haben wir in den Beratungen und Anhörungender Sachverständigen sehr ernst genommen . Im Proto-koll ist nachgewiesen, dass alle Punkte dieses Gesetzent-wurfs mit den Sachverständigen erörtert wurden . Es isteinfach nicht die Wahrheit, wenn Sie hier etwas anderesverkünden . Wir haben einen Gesetzentwurf, der an dieGemeinwohlverpflichtung angepasst ist. Auch deshalbkann ich mit Fug und Recht sagen: Wir haben ein gutesErgebnis erzielt, mit mehr Sicherheit für Unternehmenund Arbeitsplätze . Natürlich kann man sich noch mehrvorstellen; aber es ist ein Kompromiss, der es ermöglichthat, das Ganze bei allen Schwierigkeiten positiv abzu-schließen .
Lassen Sie mich einige wichtige Punkte hervorheben:Die Freistellung von Betrieben mit bis zu fünf Beschäf-tigten von der Lohnsummenprüfung war ein Anliegender CSU, weil wir uns mit den kleinen Handwerks- undDienstleistungsbetrieben ganz eng verbunden fühlen .Diese werden damit in der Zukunft weniger durch Bü-rokratie belastet . Das Totschlagargument der Oppositionist falsch . Die größte Zahl von Einmannbetrieben wirdüberhaupt nicht übergeben oder vererbt . Das sollte manaus der Unternehmensstatistik einmal herauslesen, bevorman die Lohnsummen- und Verschonungsregelung kriti-siert . Das ist die Grundlage . Insofern ist die Größenord-nung von fünf Beschäftigten absolut entbürokratisierendund auch die richtige Zahl .
Hervorzuheben ist auch die marktwirtschaftlich rea-listische Unternehmensbewertung . Wir kürzen den Kapi-talisierungsfaktor von knapp 18 auf einen Wert im Kor-ridor von 10 bis 12,5 . Dadurch vermeiden wir – das istwichtig – eine Überbewertung, die sich aus dem anhal-tenden Niedrigzinsumfeld ergibt, und erhalten gleichzei-tig einen akzeptablen Unternehmenswert, der im verein-fachten Ertragswertverfahren auch weniger streitanfälligist . Das ist im Vollzug ein wichtiges Thema; denn dieMarktfähigkeit eines Unternehmenswertes liegt in derRegel beim etwa 7- bis 9-Fachen des Jahresertrages . Wirhaben jetzt einen Korridor vom 10- bis zum 12,5-Fachen .Das trägt dazu bei, dass der Mittelstand nicht unverhält-nismäßig durch eine Substanzbesteuerung belastet wird .Dr. h. c. Hans Michelbach
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Insofern ist dieser Punkt ein Erfolg für die Wirtschaft undletzten Endes auch für die Finanzämter, die das adminis-trieren müssen .Ein ebenfalls großer Erfolg ist die erweiterte Rege-lung zur Stundung, die zinslos für maximal zehn Jahregewährt wird . Damit zeigen wir deutlich, dass für unsdie Erhaltung von Betrieben und Arbeitsplätzen das Al-lerwichtigste ist . Es muss kein Betrieb wegen der Erb-schaft- und Schenkungsteuer zerschlagen werden . Das istdie Botschaft, die wir heute verkünden, und das ist einewichtige Botschaft, meine Damen und Herren .
Darüber hinaus haben wir eine sogenannte Investiti-onsklausel im Gesetz verankert . Dadurch kann nach demErbfall nichtbegünstigtes Vermögen durch eine Investiti-on in begünstigtes Vermögen gewissermaßen umgewan-delt werden . So stellen wir Planungssicherheit her undsetzen zugleich starke Zukunftsanreize für notwendigeInvestitionen . Wir bekämpfen damit auch den Investiti-onsstau in Deutschland . Dieser Anreiz ist wichtig . So hatman letzten Endes, wenn man in die Zukunft des Betrie-bes und den Erhalt der Arbeitsplätze investiert, auch eineAnerkennung des Gesetzgebers .Als letzten Punkt möchte ich erwähnen, dass wir grö-ßeren Familienunternehmen, also Betrieben mit vielenBeschäftigten und Eigentümerbindungen über Generati-onen hinweg, die oftmals eine Verfügungsbeschränkungder Anteilseigner haben, mit einer Steuerbefreiung vonmaximal 30 Prozent entgegenkommen .Meine Damen und Herren, das ist gerecht, weil Ver-fügungsbeschränkungen bei der Anteilsweitergabe na-türlich den Wert erheblich reduzieren . Sie können dochnicht etwas besteuern, was in dem Wert nicht als Bemes-sungsgrundlage beinhaltet ist . Auch damit leisten wir ei-nen elementaren Beitrag zum Erhalt unserer arbeitsplatz-sichernden Wirtschaftsstruktur .Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zumSchluss das Fazit ziehen: Wir haben erreicht, dass auch inZukunft der Wirtschaftsstandort Deutschland erfolgreichgestaltet werden kann . Unsere kleinen und größeren mit-telständischen Familienunternehmen werden auch dankdieser Reform das Rückgrat der deutschen Wirtschaftund Beschäftigungsmotor Nummer eins bleiben . Vordiesem Hintergrund appelliere ich an dieser Stelle auchan die Grünen, dass sie es im Bundesrat letzten Endesnicht blockieren . Geben Sie diesem Wirtschaftsstandortmit diesem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzeine Chance .
Herr Kollege .
Das ist gerade heute im Zeichen des Brexit ein wich-
tiges Anliegen .
Vielen Dank .
Mit Blick auf die besonderen Bedingungen, unter
denen wir heute die Tagesordnung abwickeln, bitte ich
noch einmal alle Rednerinnen und Redner, die Redezeit
möglichst einzuhalten .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sahra Wagenknecht
für die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ichmuss wirklich noch einmal sagen: Ich finde es ungeheu-erlich,
dass Sie ein derart grundlegendes und möglicherweiseerneut verfassungswidriges Gesetz hier im Eilverfahrenund noch dazu heute im Schatten einer solchen Abstim-mung wie der in Großbritannien gestern durchpeitschenwollen .
Ich finde, das ist völlig unangemessen und genau die Po-litik, die die Leute abstößt . Machen Sie so weiter, dannmachen Sie alles kaputt .
Natürlich geht es bei der Erbschaftsteuer um die Frage:In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Zwei Ökono-men der italienischen Notenbank haben kürzlich die Lis-te der Steuerzahler der Stadt Florenz aus dem Jahr 2011mit der aus dem Jahr 1427 verglichen . Das erstaunlicheErgebnis war: Die reichsten und einflussreichsten Fami-lien der Stadt waren immer noch die gleichen wie vorfast 600 Jahren . Die gleichen Studien gibt es auch fürGroßbritannien . Auch für Deutschland lassen sich solcheKontinuitäten mindestens bis ins 19 . Jahrhundert zurück-verfolgen . An der Spitze der Einkommens- und Vermö-genspyramide hatten wir nie eine Leistungsgesellschaft .Da hatten und haben wir eine Erbengesellschaft mit lan-gen, generationenübergreifenden Familiendynastien, diesich von dem alten Feudaladel nur dadurch unterschei-den, dass ihre Vermögen noch um einiges größer sind .
Um genau diese Vermögen geht es überwiegend,wenn wir über Betriebsvermögen reden . Über 90 Pro-zent des Betriebsvermögens in Deutschland befindet sichin den Händen der reichsten 10 Prozent aller Familien .Den Löwenanteil hat das reichste 1 Prozent . Ein gutesZehntel aus jeder Generation erbt mehr, als die untereHälfte der Bevölkerung im ganzen langen ArbeitslebenDr. h. c. Hans Michelbach
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verdienen kann . Das heißt, wer reich geboren wird, bleibtreich . Wer arm geboren wird, der hat mit großer Wahr-scheinlichkeit auch in Armut zu sterben . Das sind die ge-sellschaftlichen Realitäten in Deutschland zu Beginn des21. Jahrhunderts. Wir finden das unerträglich.
Als der Liberalismus noch eine lebendige Strömungin der Tradition der Aufklärung war, gehörte der Kampfgegen erbliche Vorrechte zum liberalen Markenkern .Der große Liberale John Stuart Mill forderte explizit,„eine stark belastende Steuer auf jede Erbschaft“ zu le-gen, die einen moderaten Betrag übersteigt . Auch derOrdoliberale Alexander Rüstow attackierte das, was erdas „feudal-plutokratische“ Erbrecht nannte, das nachseiner Auffassung die Marktwirtschaft zur „Plutokratie,zur Reichtumsherrschaft“ verkommen lässt. Ich finde eswirklich traurig, dass solche Traditionen in der heutigenUnion keine Heimat und nicht den geringsten Rückhaltmehr haben .
Wir reden also nicht über sauer erarbeitete Spargro-schen, und wir reden auch nicht über Oma ihr kleinHäuschen und auch nicht über kleine Unternehmen . Inall diesen Fällen kann der Fiskus sich tatsächlich zurück-halten . Aber die Realität ist: Das tut er gar nicht .Wer zum Beispiel von seinen Eltern ein Haus im Wertvon 1 Million Euro erbt – das sind in Städten wie Mün-chen oder Düsseldorf keine prunkvollen Villen –, beidem werden 90 000 Euro Erbschaftsteuer fällig; keineKleinigkeit .
Wer dagegen ein Unternehmen im Wert von 25 Millio-nen Euro erbt, der zahlt keinen einzigen Euro Erbschaft-steuer .
Selbst für Unternehmen mit einem Wert im dreistelligenMillionen- oder sogar im Milliardenbereich sind so vieleAusnahmen und Sonderregelungen im neuen Gesetz ver-steckt, dass selbst Sprösslinge aus Familien, die man inRussland oder in Griechenland als Oligarchen bezeich-nen würde, gute Chancen haben, ihr Erbe anzutreten,ohne der Allgemeinheit irgendeinen relevanten Beitragzu zahlen. Ich finde, das ist ein Skandal.
Ich weiß auch nicht, wie Sie das mit dem Gleichheits-grundsatz des Grundgesetzes vereinbaren wollen. Ich fin-de, das Gesetz ist auch eine ziemliche Unverschämtheitgegenüber dem Verfassungsgericht – um das auch deut-lich zu sagen –; denn es hat genau diese Gleichbehand-lung eingefordert .Insgesamt 300 bis 400 Milliarden Euro, und zwar über-wiegend Großvermögen jenseits der Milliardenschwelle,werden Jahr für Jahr von einer Generation zur nächstenweitergereicht . Trotzdem haben Sie die Erbschaftsteuerzu einer Bagatellsteuer verkommen lassen, die wenigerals 1 Prozent zum gesamten Steueraufkommen beiträgt .Das war vor der Reform so, und das wird nach der Re-form so bleiben .
Ich finde, das ist der eigentliche Skandal.
Diese zartfühlende Rücksichtnahme, mit der in derErbschaftsteuerdebatte immer wieder vor Überbelas-tungen gewarnt wird – wohlgemerkt, wir reden hier vonMultimillionären –, hätte ich mir einmal gewünscht,wenn es um die Belastung normaler Arbeitnehmer geht .Welche Verschonungsregeln haben Sie etwa für Kindervon armen Eltern, wenn diese im Alter ins Pflegeheimmüssen? Ab einem Einkommen von gut 3 000 Euro proHaushalt verlangt das Sozialamt von jedem verdientenEuro 50 Cent für die Pflege der Eltern, ohne Verscho-nungsregeln .Jetzt kommen Sie mir nicht mit der angeblichen Ge-fährdung von Arbeitsplätzen . Selbst der Wissenschaft-liche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hatfestgestellt, dass es wenige Hinweise darauf gibt, dassdie steuerliche Schonung von Betriebsvermögen Ar-beitsplätze sichert . Dass immer mehr Unternehmen anFinanz investoren und Konzerne verkauft werden, hatmehr damit zu tun, dass geeignete Nachfolger fehlen,und es hat natürlich auch mit Herrn Draghis Billiggeldund dem dadurch ausgelösten Übernahmefieber zu tun.
Aber bis heute gibt es keinen einzigen dokumentiertenFall eines Unternehmens, das aufgrund der Zahlung vonErbschaftsteuer pleitegegangen wäre .
8 000 Millionen Euro Mehreinnahmen im Jahr wä-ren zu erwarten, wenn einfach nur die aktuellen, relativniedrigen Sätze auch auf große Betriebsvermögen ange-wandt würden . Aber durch Ihre tolle Reform sollen sichdie Einnahmen gerade mal um lächerliche 235 MillionenEuro erhöhen . Selbst das ist fraglich: Experten, wie etwaNorbert Walter-Borjans, der NRW-Finanzminister,
fürchten sogar zusätzliche Steuerausfälle. Ich finde, dasist doch wirklich ein Hohn . Verdammt noch mal, mussdas nicht Ihnen von der SPD zu denken geben, was SieDr. Sahra Wagenknecht
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hier heute für ein Gesetz durchwinken? Das ist doch un-glaublich .
Mit 8 Milliarden Euro Mehreinnahmen wäre es übri-gens kein Problem, die Zuzahlungen der Kinder für El-tern im Pflegeheim komplett abzuschaffen und natürlichauch die personelle Ausstattung der Heime deutlich zuverbessern . Aber so etwas kommt Ihnen leider offenbargar nicht in den Sinn .
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD,
wer soll denn Ihre Politik noch nachvollziehen können?
An einem Tag ruft Ihr Vorsitzender den linken Bündnis-fall zur Rettung des Landes aus,
und am nächsten Tagen winken Sie dieses Oligarchen-pflegegesetz hier im Bundestag durch.
Das bringt doch keiner mehr zusammen .
Ich finde, wer der Konzentration derart riesiger Vermö-gen so tatenlos zuschaut, der sollte sich Sonntagsredenüber Chancengleichheit und Gerechtigkeit auch sparen .Ich muss noch eines sagen: Besondere Ignoranz ge-genüber verfassungsmäßigen Grundsätzen muss mannun wirklich der CSU bescheinigen .
Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, dieAnsammlung von Riesenvermögen in den Händeneinzelner zu verhindern .Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor, sehr geehrteKolleginnen und Kollegen von der CSU? Schon mal ir-gendwo gehört?
– Ja, das ist die bayerische Verfassung . Na, Sie wissen esdoch sogar . Aber es scheint überhaupt keine Relevanz zuhaben, dass die bayerische Regierung auf diese Verfas-sung ihren Amtseid geschworen hat .
Gebrochene Eide scheinen Sie für eine politische Selbst-verständlichkeit zu halten .
Auch das ist ein Punkt, weshalb Sie sich nicht wundernmüssen, dass die Menschen sich von so einer Politik ab-wenden .
Inzwischen hat die Ansammlung von Riesenvermö-gen in Deutschland Ausmaße angenommen, die mit einerDemokratie nicht mehr vereinbar sind . Gerade das Ge-setz, das Sie hier durchwinken, ist ein lebendiger Belegdafür . Das ist keine Reform, das ist eine Kapitulation vorder Macht und dem Einfluss steinreicher Firmenerben.Die Linke wird auf jeden Fall ihren Anteil dazu bei-tragen, dieses Gesetz im Bundesrat zu stoppen . Wenn dieGrünen das Gleiche tun, dann werden wir auch Erfolghaben . Ich hoffe sehr, dass es dazu kommt .
Carsten Schneider ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede etwas zum Ver-fahren sagen . Die Opposition hat kritisiert, dass sie zuspät über die Änderungen im parlamentarischen Verfah-ren informiert wurde .
Das finde ich bemerkenswert; denn der Kern dessen, wasIhnen heute vorliegt, ist seit Februar klar . Seit Februarhatten Sie die Chance, sich damit auseinanderzusetzen .Es gibt jetzt noch ein, zwei marginale Änderungen,
die zu einer Verbesserung des Erbschaftsteuergesetzesführen .
Dr. Sahra Wagenknecht
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Sie müssen sich überlegen, wie Sie Ihre Oppositions-arbeit hier wahrnehmen;
denn nur zu opponieren und Nein zu sagen, reicht nicht .Sie hatten anderthalb Jahre Zeit, dem Deutschen Bundes-tag ein eigenes Modell zur Erbschaftsteuer vorzulegen,aber weder von der Linkspartei noch von den Grünenliegt auch nur ein Änderungsantrag vor .
Ich kann ja verstehen, dass Sie nicht zustimmen – Siesind in der Opposition, das müssen Sie tun! Aber zur Op-position gehört nicht nur, Nein zu sagen, es gehört auchdazu, Alternativen aufzuzeigen . Sie haben keine einzigeAlternative aufgezeigt .
Ich vermute, bei den Grünen ist das der Fall, weil Siesich nicht entscheiden können, welcher Flügel bei denGrünen sich nun durchsetzt: der aus Baden-Württem-berg, der alle verschonen will, die sehr reich sind, oderder von Herrn Hofreiter . Aber das können Sie doch nichtuns vorwerfen . Wir als Koalition müssen hier und heuteEntscheidungen treffen .
Herr Kollege Schneider, die Kollegin Göring-Eckardt
möchte Ihnen das gerne erklären . Darf sie das?
Gern .
Bitte .
Ich möchte sehr gern die Möglichkeit einer Zwi-
schenfrage in Anspruch nehmen . Ich möchte Sie, Herr
Schneider, gerne fragen, ob es wirklich so ist, dass sich
Frau Merkel, Herr Seehofer und Herr Gabriel wegen
Marginalien treffen . – So haben Sie es gerade dargestellt .
Liebe Frau Kollegin Göring-Eckardt, die vorgesehe-
nen Änderungen an dem Kompromiss, der im parlamen-
tarischen Verfahren von dem Kollegen Brinkhaus, Frau
Hasselfeldt und mir vereinbart wurde und seit Februar
steht, sind marginal . Das ist meine Auffassung .
– Ja, Sie müssen die Änderungen nur mit dem Forde-
rungskatalog vergleichen, den die CSU aufgestellt hat,
dann sehen Sie, was davon übrig geblieben ist .
Im Kern ist die Erbschaftsteuer eine der letzten und
wenigen vermögensbezogenen Steuern in Deutschland .
Wir haben nur zwei . Frau Wagenknecht, ein Punkt, den
sie eben angesprochen haben, war richtig: Die Vermö-
gensverteilung ist nicht gerecht . Aus diesem Grund ist
die Erbschaftsteuer eine Kernsteuer, um für mehr Ge-
rechtigkeit zu sorgen .
Die SPD, liebe Frau Wagenknecht, setzt sich dafür ein
und bringt heute durch, dass das Steueraufkommen gesi-
chert wird, dass die Regelung dauerhaft verfassungsfest
ist und dass die Arbeitsplätze erhalten werden . Es ist der
Erfolg der SPD, dass wir eine gerechte Steuer bekom-
men . Sie haben nichts Eigenes dazu vorgelegt .
Nun möchte der Kollege Troost noch eine Zwischen-
frage stellen . Das wäre allerdings, wenn Sie sie zulassen,
die letzte, die ich zulassen würde .
Gerne .
Bitte schön, Herr Kollege Troost .
Kollege Schneider, Sie sind nicht Mitglied des Finanz-ausschusses . Deswegen frage ich Sie: Sind Sie bereit, zurKenntnis zu nehmen,
dass wir am letzten Dienstag im Berichterstattergesprächgesagt haben, wir wollen noch eine Anhörung durch-führen, weil bereits in der ersten Anhörung auch IhreSachverständigen gesagt haben, dass der Entwurf eherCarsten Schneider
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nicht verfassungskonform ist, und Sie jetzt noch eineAusweitung der Regelung auf Betriebe mit fünf statt dreiMitarbeitern vorgenommen haben . Die Antwort IhresKollegen war: Wir brauchen keine Anhörung, die habenuns sowieso schon alle gesagt, dass der Gesetzentwurfnicht verfassungskonform ist, und da die Regelung so-gar noch ausgeweitet worden ist, werden wir die gleicheAntwort wieder bekommen . Dafür brauchen wir keineAnhörung . – Das ist aus unserer Sicht skandalös, weilwir wissen, dass dieser Gesetzentwurf, wenn er nicht imBundesrat gestoppt wird, am Ende wieder vom Bundes-verfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt wird .
Noch einen Satz zu der Frage: Ist das jetzt Bürokratie-abbau? Wir reden doch nicht von der monatlichen Um-satzsteuererklärung . Wir reden davon, dass in 20, 30 Jah-ren einmal ein Fall von Schenkung oder ein Erbübergangstattfindet. Da ist es doch wohl gerechtfertigt, dass maneinmal die Vermögensverhältnisse offenlegen muss, umfestzustellen, was an Substanz zur Versteuerung vorhan-den ist .Danke schön .
Sehr geehrter Herr Troost, zunächst einmal sage ich:In der Anhörung gab es zustimmende und kritische Stim-men . Darauf sind wir eingegangen .
Nehmen Sie den Abschmelzbetrag . Ein Hauptkri-tikpunkt bezog sich auf die Frage: Wie ist das mit derVerschonung bei besonders hohen Vermögen? Das warauch einer der Kritikpunkte der SPD . Zum Hintergrund:Wer einen Unternehmensanteil im Wert von über 26 Mil-lionen Euro erbt – das ist der Erbschaftswert –, hat jetztzwei Möglichkeiten: Erstens kann er die Bedürfnisprü-fung wählen .
– Warten Sie . – Das war eine Vorgabe des Verfassungs-gerichts . Diese Bedürfnisprüfung haben wir eingeführt .Zweitens kann er aber auch ein Abschmelzmodell wäh-len . Dann muss er das Privatvermögen nicht offenlegenund bis zu einer Summe von weit über 100 MillionenEuro – so stand es im ursprünglichen Gesetzentwurf –einen niedrigeren Steuersatz zahlen . Das haben wir alsSozialdemokraten immer kritisiert; der Bundesrat imÜbrigen auch . Deswegen haben wir das geändert . Die-ser Abschmelzbetrag – das ist die Verschonung – ist umdie Hälfte reduziert worden, sodass wir jetzt ein deutlichhöheres Steueraufkommen und ein sichereres Erbschaft-steuerrecht haben .
Was die verfassungsrechtlichen Fragen betrifft, kannich Ihnen nur Folgendes sagen: Im Kern Ihrer Frage gehtes ja darum, ob es drei oder fünf Arbeitnehmer sind .
Dabei geht es nicht um das Aufkommen . Wir sind unsalle einig, dass es bei Unternehmen mit fünf Arbeitneh-mern nicht um große Vermögen geht .
Das ist auch eine Frage der Bürokratie . Für die Eigentü-mer bedeutet das einen hohen Aufwand .
Das Bundesfinanzministerium und das Bundesjustizmi-nisterium haben das geprüft . Sie sind der Auffassung,dass eine Regelung mit fünf Arbeitnehmern möglich istund dass eine solche Regelung verfassungskonform ist .
Dieser Auffassung haben wir uns angeschlossen . Das be-deutet nicht, dass es zu einem geringeren Steueraufkom-men kommt, sondern, dass weniger Bürokratieaufwandentsteht . Genau deswegen haben wir das übernommen .
Sie hätten Gelegenheit gehabt, im Ausschuss oderheute im Plenum eigene Vorschläge vorzulegen . Ich stel-le fest: Von Ihnen liegt nichts Eigenes vor .Jetzt blicken wir einmal auf die Länder: Wir sind aufdie Punkte eingegangen, die die Länder mit Blick aufden Gesetzentwurf beschlossen haben . Wir haben diesePunkte aufgegriffen . Dabei geht es erstens um die Än-derung beim Verwaltungsvermögen: Wie definiert manVerwaltungsvermögen? Wir haben die Position der Län-der zu 100 Prozent übernommen . Diese Position habenim Übrigen auch Länder vertreten, in denen Linke undGrüne mitregieren . Die Konsequenz dieser Regelung istaber, dass das Aufkommen um 70 Millionen Euro sinkt .Ist Ihnen das bewusst? Wir haben das gemacht; aber ichverbitte mir Kritik an einem geringeren Aufkommen,weil das daraus resultiert, dass wir die Position der Län-der übernommen haben .
Der zweite Punkt betrifft den Abschmelzbetrag . Dasist der große Erfolg der SPD . Wir haben jetzt eine Rege-lung für die wirklich Superreichen, für das 1 Prozent, dasSie, Frau Wagenknecht, angesprochen haben . Ich seheauch, dass wir hier ansetzen müssen, weil es aufgrunddes Zins- und Zinseszinseffekts Menschen gibt, die garnicht mehr arbeiten müssen und quasi wie im Schlaraf-fenland leben . Das widerspricht auch meinem Verständ-Dr. Axel Troost
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nis von Leistung . Deswegen müssen diese Leute, wennsie mehr als 26 Millionen Euro erben, jetzt tatsächlichSteuern zahlen .
Das mussten sie bisher nicht . Jetzt müssen sie Steuernzahlen . Ich halte das für gerecht . Auch deswegen sind wirals Sozialdemokraten der Auffassung, dass das ein guterEntwurf eines Erbschaftsteuergesetzes ist .
Ich möchte noch darauf eingehen, dass eventuell derVermittlungsausschuss angerufen wird . Ich habe über-haupt kein Problem damit . Es ist sogar gut, wenn die Ver-fassungsorgane Bundestag und Bundesrat ihre normalenInstrumente nutzen . Ich bin gespannt, wie man mit die-sem Gesetzentwurf umgehen wird, ob es eine Mehrheitdafür gibt, ob die Mehrheit den Vermittlungsausschussanrufen will etc . Man kann ja nur schlauer werden . Dannhätten wir endlich eine geschlossene Position der Länderbezüglich ihrer eigenen Steuer .
Diese Verantwortung müssen die Länder wahrnehmen .Wir jedenfalls sind bereit, uns darauf einzulassen . Dasist kein Beinbruch, sondern ein ganz normales Verfahrenin Deutschland .Ich will noch kurz auf das Beispiel von FrauWagenknecht mit dem Häuschen in München eingehen .Sie haben hier, wie gesagt, keinen einzigen Änderungs-antrag eingebracht .
Zum Hintergrund muss man Folgendes wissen: Wenn Sieprivat erben, gilt ein Kinderfreibetrag von 400 000 Euround ein Ehegattenfreibetrag von 500 000 Euro . Das istschon sehr viel . Das Durchschnittsvermögen in Deutsch-land beträgt 200 000 Euro . Die ganzen Superreichen sinddabei eingerechnet . Viele werden also ein Vermögen von30 000, 40 000 oder 50 000 Euro haben . Das heißt, wirsehen als Freibetrag das Zehnfache des durchschnittli-chen Vermögens der meisten vor . Jetzt kommen Sie heuteund sagen, dass Sie diesen Freibetrag auf 1 Million Euroerhöhen wollen . Liebe Frau Wagenknecht, das ist das Ge-genteil von einer sozialen Politik . Das ist letztendlich derSchutz der Millionäre in München .
Genau das haben wir verhindert .
Dass die Linke jetzt darauf einschwenkt, ist eine beson-dere Quintessenz dieses Tages .
Zum Schluss noch ein Punkt an die Kollegen von derCSU . Es war schon ein spannendes Verfahren, das wirhier anderthalb Jahre hatten . Ich habe mich manchmalgefragt: Welcher Partei gehört eigentlich der Bundesfi-nanzminister an? Denn die Kritik an dem Vorschlag, dener ausgearbeitet hatte, kam vor allen Dingen vonseitender CSU .
Ich muss Ihnen ganz klar sagen, dass wir als Sozialde-mokraten die Forderung, die Ministerpräsident Seehoferjetzt aufgestellt hat, nämlich eine Regionalisierung derErbschaftsteuer anzustreben, ganz klar ablehnen . DasVerfassungsgericht ist da ganz eindeutig .
Wir haben es verhindert, liebe Kollegen der Grünen .Das war eine der Forderungen . Was bedeutet das? Esbedeutet Steuerdumping in Deutschland . Natürlich istdas Vermögen bei mir in Thüringen viel geringer als dasin Bayern . In Bayern hatte man ja auch viel mehr Zeit,es zu erarbeiten . Wenn wir unterschiedliche Steuersätzehätten – vielleicht in Thüringen 10 Prozent und in Bayernnur 3 Prozent –, dann würde es zu einer extremen Ver-lagerung kommen, wie wir sie im europäischen Bereichleider schon haben; denn in Österreich wird keine Erb-schaftsteuer gezahlt . Es wurden sogar Anzeigen geschal-tet: Kommt nach Österreich . – Das wollen wir weder inDeutschland und schon gar nicht in Europa .Deswegen, liebe Kollegen der CSU, ist das mit unsnicht zu machen, weder vor einer Bundestagswahl nochnach einer Bundestagswahl . Das gehört zur Einheitlich-keit der Lebensverhältnisse und zu einer gerechten Ge-sellschaft; ihr habt doch eigentlich das Soziale in euremNamen . Schreibt diese Forderung ab . Das wird sowiesonichts .Vielen Dank .
Lisa Paus hat nun das Wort für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um esgleich ganz klar zu sagen:
Wenn wir als Gesetzgeber noch ernst genommen werdenwollen, Herr Kauder, und nicht nur als Erfüllungsgehil-fe von Lobbyisten, dann darf dieser Gesetzentwurf denDeutschen Bundestag heute nicht passieren .
Carsten Schneider
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Der Gesetzentwurf ist verfassungswidrig .
Er ist ungerecht, er ist unfassbar kompliziert und einKonjunkturprogramm für Steuerberater . Deswegen wer-den wir diesen Gesetzentwurf hier heute ablehnen .
Dabei ist es eigentlich ganz einfach . Das Bundesver-fassungsgericht – wir haben es schon gehört – hat im De-zember 2014 verkündet: Eine pauschale Befreiung vonder Erbschaftsteuer für Unternehmenserben, wie es siebisher gab, darf es zukünftig nicht mehr geben . Es darfsie für Erben von kleinen und mittleren Unternehmengeben, wenn sie Arbeitsplätze erhalten, aber für alle an-deren Fälle, so das Gericht, müsse zukünftig eine indi-viduelle Bedürfnisprüfung des Unternehmenserben statt-finden, um festzustellen, ob er nicht doch – und wenn ja,wie viel – Erbschaftsteuer zahlen kann . So weit, so klar .Was passierte dann? Minister Schäuble legte vor ge-nau einem Jahr einen Referentenentwurf vor, nach demweiterhin 99 Prozent der Unternehmenserben pauschalvon der Erbschaftsteuer befreit sein sollten . Das heißt,dass im Schnitt ganze 95 Personen pro Jahr – ich wieder-hole: 95 Personen; das sind nicht meine Zahlen, sonderndie Zahlen der Bundesregierung – von der Erbschaftsteu-er nicht mehr pauschal befreit werden sollten, weil sieein Betriebsvermögen von mehr als 20 Millionen Eurogeerbt haben . 95 Personen! Ich fand das schon damalszu wenig .
Aber was passierte dann? Ein Jahr lang wurde zwi-schen CDU, CSU und SPD verhandelt, aber nicht etwadarüber, wie die Basis der Steuerzahlenden verbreitertwerden könnte . Nein, es wurde zwölf Monate lang darangearbeitet, dass auch diese 95 Personen weiterhin keineErbschaftsteuer zahlen müssen . Dazu kann man heutenur sagen: Dieses Ziel haben Sie fast bis auf den letztenErbfall erreicht . Das war aber nicht die Forderung desBundesverfassungsgerichts .
So wird es bei diesem Gesetzentwurf dabei bleiben,dass die, die mehr als 20 Millionen Euro in Deutsch-land erben, effektiv 3 Prozent Steuern zahlen, währenddiejenigen, die zum Beispiel zwischen 100 000 und200 000 Euro erben, effektiv das Fünffache an Erbschaft-steuer zahlen müssen, nämlich 15 Prozent . Das nenne ichungerecht, meine Damen und Herren und Herr Schneider .
Deshalb, Herr Schneider, wäre eine Flat Tax, zum Bei-spiel 15 Prozent für alle und nicht nur für die Mittel-schicht, jedenfalls im Vergleich zu diesem Gesetzentwurfdeutlich gerechter .
– Er war ja vorher da . – Dieses Gesetz wird in den nächs-ten Jahren übrigens auch zu weniger Einnahmen führenund nicht zu mehr . Auch das ist völlig klar .Jetzt gibt es das Argument, man müsse das Gesetztrotzdem unbedingt wegen der ansonsten drohendenRechtsunsicherheit beschließen . Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen, zunächst hat das Bundesverfassungs-gericht selbst schon klargestellt, dass das nicht der Fallist . Im Übrigen: Was kann es Rechtsunsichereres gebenals ein neu beschlossenes Gesetz, von dem alle einesganz genau wissen, nämlich dass es verfassungswidrigist? Das Einzige, was wir nicht wissen, ist, wann genauwas wie für verfassungswidrig erklärt wird . Das ist wirk-lich die Königsdisziplin der Rechtsunsicherheit, meineDamen und Herren .
Um es noch einmal konkret zu erläutern – auch fürHerrn Schneider –, dass doch mehr Änderungen ge-kommen sind, als Sie es eben behauptet haben: DiesesGesetz ist verfassungswidrig, insbesondere weil Sie aufden letzten Metern Bewertungsregeln eingeführt haben,durch die Betriebsvermögen im Vergleich zu sonstigemVermögen deutlich gesenkt werden . Dabei war genau dasschon 2006 vom Verfassungsgericht für verfassungswid-rig erklärt worden .
Das heißt konkret: War ein Familienunternehmennach den Regeln des Ursprungsgesetzes noch 80 Milli-onen Euro wert, so ist es nach dem vorliegenden Ent-wurf plötzlich bis zu 60 Prozent weniger wert, also nurnoch 32 Millionen Euro . Auf die darauf fälligen Steuerngibt es dann auch noch einen mindestens 30-prozentigenRabatt, weil die Steuer bei Betriebsvermögen zehn Jah-re zinslos gestundet werden kann . Dann gilt noch eineExtraregelung für Investitionen . Und dann kommt nochdurch die pauschale Verschonung nach dem sogenann-ten Abschmelzmodell für Vermögen zwischen 26 und90 Millionen Euro ein reduzierter Steuersatz dazu .Meine Damen und Herren, lassen Sie uns diesen Irr-sinn heute nicht beschließen . Lassen Sie das nicht zu .Lehnen Sie den Gesetzentwurf ab, sonst wird es der Bun-desrat tun .
Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian von
Stetten für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirhaben uns tatsächlich über ein Jahr mit der Änderung desLisa Paus
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Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts beschäftigt . Ichsage: Diese Diskussion hat die CDU/CSU-Bundestags-fraktion eigentlich nicht gewollt .Wir haben gute Erfahrungen mit dem noch heute gül-tigen Gesetz gemacht . Es war zwar schon vorher kompli-ziert, aber es konnte bei der Vererbung des Familienun-ternehmens folgendermaßen zusammengefasst werden:Wenn ein Vater oder eine Mutter ein Unternehmen an dieTochter oder den Sohn vererbt hat und diese oder die-ser dann das Unternehmen verkauft hat, muss auch heuteschon die volle Erbschaftsteuer gezahlt werden . Das istauch richtig so .Aber wenn der Erbe in das Unternehmen eintritt, insRisiko geht, die Arbeitsplätze eine Zeit lang erhält undeine Zeit lang das Unternehmen nicht verkauft, hat erheute die Möglichkeit, diesen Unternehmensteil erb-schaftsteuerfrei in die nächste Generation zu überfüh-ren . Das war ein sinnvolles System . Ich glaube, das hatviele Tausende Arbeitsplätze in der Vergangenheit gesi-chert und dazu geführt, dass die ganze Welt auf unsereUnternehmen, die Familienunternehmen, unsere HiddenChampions schaut . Egal wo wir sind: Wir werden benei-det um diese einmaligen Unternehmensstrukturen in denFamilienbetrieben . Deswegen war das bisherige Gesetzkein schlechtes Gesetz .
Dann hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014ein Urteil gefällt . Das Positive daran ist: Die Richter ha-ben klargestellt, dass eine Verschonung zu 100 Prozentauch heute noch möglich ist . Gleichzeitig haben sie aberauch klargestellt, dass Erben größerer Familienunter-nehmen zusätzlich noch nachweisen müssen, dass siebestimmte Voraussetzungen erfüllen, etwa dass sie dieErbschaftsteuer nicht zahlen können, um auch in Zukunfteine Verschonung zu bekommen .Also mussten wir einen Weg finden, der dem Verfas-sungsgericht gerecht wurde, der aber auch dafür gesorgthat, dass die einmalige Struktur erhalten bleibt . Dennwenn Sie in der Krise vor einigen Jahren geschaut haben,welche Unternehmen die Mitarbeiter behalten haben, sa-hen Sie: Es waren die Familienunternehmen, bei denender Sohn oder die Tochter des Unternehmers mit denKindern der Mitarbeiter zum Fußball oder in die Schulegeht, wo man sich beim Gesangsverein, beim Einkaufenoder in der Kneipe trifft . Das waren nicht die anonymen,börsennotierten Unternehmen, keine anonymen auslän-dischen Gesellschaften, bei denen der Eigentümer inChicago oder New York sitzt . Nicht da wurden die Ar-beitsplätze in der Krise erhalten, sondern im Prinzip beiuns .
Wir dürfen es nicht zulassen – dem haben wir mitdiesem Gesetzentwurf entsprochen –, dass deutscheFamilienunternehmen jetzt einen Wettbewerbsnachteilaufgrund der Erbschaftsteuer haben . Wenn DAX-Unter-nehmen keine Erbschaftsteuer zahlen und ausländischeGesellschaften, die in Deutschland ihre Produkte verkau-fen, auch keine Erbschaftsteuer an den Fiskus abführen,aber wenn im internationalen Wettbewerb – wir merken,welche Konkurrenzsituationen bei Ausschreibungenbestehen – in Zukunft diese Familienunternehmen ei-nen Erbschaftsteuerzuschlag auf ihre Produkte erhebenmüssten, wäre das sicherlich der falsche Weg . Deswegenhaben wir uns in den letzten eineinhalb Jahren bei die-sem Gesetzentwurf von der Maxime leiten lassen: Keindeutsches Unternehmen und kein deutscher Unternehmerdarf dieses Land wegen der Erbschaftsteuer verlassen .Ich glaube, das ist mit diesem Gesetzentwurf auch ge-lungen .
Liebe Kollegin Wagenknecht, Sie haben völlig recht:Nicht nur kein deutscher Unternehmer und kein deut-sches Unternehmen darf Deutschland deswegen ver-lassen, sondern auch kein Erbe eines Häuschens darfaufgrund der Erbschaftsteuer gezwungen sein, sein El-ternhaus zu verlassen . Sie haben angeführt, dass dies eineUngerechtigkeit sei, denn wenn jemand in München seinHaus vererben würde, dann sei es, auch wenn es nichtbesonders groß sei, aufgrund der besonderen Lage zumBeispiel 1 Million Euro wert . Ein Arbeiter oder eine Ar-beiterin müsste dann 80 000 Euro Erbschaftsteuer auf-bringen und könnte es sich daher eventuell nicht leisten,weiter im Elternhaus zu leben . Die Wahrheit ist: Wir se-hen das genauso wie Sie . Deswegen ist dieses Problemlängst gelöst . Wir haben schon im jetzigen Erbschaftsteu-errecht eine klare Regelung für den Fall, dass ein Erbe indas Haus seiner Eltern, das maximal 190 Quadratmetergroß ist, einzieht; da haben wir wahrscheinlich sogar aufSie Rücksicht genommen, weil es hier ja nicht etwa umRiesenvillen geht .
Wenn ein Haus also maximal 190 Quadratmeter großist, der Erbe in das Haus einzieht und zehn Jahre in demHaus wohnen bleibt, dann ist es völlig egal, wie hoch derVerkehrswert ist und wo der Standort ist . Dann ist dasschon heute erbschaftsteuerfrei . Das ist richtig und bleibtauch so .
Ich gebe zu – das ist vorhin bei meinen Vorrednern an-geklungen und auch bestätigt worden –, dass vorauszuse-hen war, dass die Verhandlungen in der Großen Koalitionzum Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht aufgrund derunterschiedlichen Wahlprogramme nicht besonders ein-fach werden . Auch ich hätte mir ein etwas einfacheresErbschaftsteuerrecht vorstellen können . Aber jetzt habenwir einen Kompromiss gefunden, den wir auch nach au-ßen tragen .Ich darf alle beruhigen: Es geht in diesem Gesetzent-wurf nicht nur um Unternehmen und Unternehmer . Wennwir in den letzten eineinhalb Jahren mit Betriebsrätenund mit gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmern gesprochen haben, dann habensie uns gebeten, einen Gesetzentwurf zu verabschieden,der es auch in Zukunft möglich macht, dass Familienun-ternehmen, auch wenn sie groß sind, in der Hand einesFamilienunternehmers bleiben .Christian Freiherr von Stetten
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Denn auch Gewerkschaftler, auch solche, die gerne de-monstrieren – das ist ein Grundrecht in Deutschland undbleibt auch erhalten –, würden gerne wissen: Wo ist dennder Eigentümer des Unternehmens? Wo kann ich meineForderung vortragen? Wo kann ich meine berechtigtenInteressen vorbringen? – Auch die machen das nämlichlieber bei einem Unternehmer, der in Deutschland wohnt,als bei einem Unternehmer aus Chicago, New York oderLondon, von dem sie überhaupt keine Adresse finden.Deswegen ist dieses Gesetz auch ein Gesetz für Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer und für den Erhalt derArbeitsplätze in Deutschland . Auf diese Strukturen kön-nen wir stolz sein .
Herr Kollege von Stetten, darf Ihnen der Kollege
Gambke – dann aber bitte ganz kurz – eine Zwischen-
frage stellen?
Selbstverständlich .
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischen-
frage zulassen . Ich habe zwei Fragen, die ich verbinden
muss .
Erstens . Sie sagten, dass Sie das heutige Steuerauf-
kommen gerade der Familienunternehmen für ange-
messen und auch für bezahlbar erachten . Es liegt – Kol-
legin Paus hat heute darauf hingewiesen – bei aktiven
Schenkungen unter 1 Prozent und im Durchschnitt bei
4 Prozent . Sie selber führen aber in einer Veröffentli-
chung aus, dass Sie eine Flatrate von 12,5 Prozent für
absolut bezahlbar halten und dass Sie es als ein Märchen
betrachten, dass Familienunternehmer dann ins Ausland
abwandern würden . Stehen Sie nun zu der Aussage, die
Sie in Ihrer Veröffentlichung gemacht haben, oder zu der
Aussage, die Sie heute im Plenum gemacht haben?
Zweite Frage . Sie haben über Bürokratie und Verläss-
lichkeit gesprochen . Das, was ich von den Unternehmen
höre, ist – dazu stehen auch wir –: Wir brauchen verläss-
liche Regelungen . – Ist Ihnen bewusst, dass die jetzige
Regelung die Folge bereits eines dritten Spruchs des
Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer ist, wir
fest davon ausgehen müssen, dass Sie hier eine Regelung
vorlegen, die ein viertes Mal vor dem Bundesverfas-
sungsgericht landen wird, und damit eben keine Rechts-
sicherheit und kein Vertrauen in die Politik geschaffen
wird?
Vielen Dank für die Frage . Grundsätzlich kann ich
Ihnen sagen: Ich bin immer für Steuervereinfachungen .
Mir wäre es aber völlig neu – ich bin seit 13 Jahren hier
im Parlament –, dass die Grünen bisher auch nur einen
einzigen Beitrag zur Steuervereinfachung geleistet ha-
ben . Insofern kann ich Ihnen sagen: In den letzten ein-
einhalb Jahren haben wir in dieser Diskussion natürlich
alle Möglichkeiten, ein neues Erbschaft- und Schenkung-
steuerrecht zu beschließen, durchgespielt . Wir haben es
vorhin ja schon gehört: Sie hätten Möglichkeiten en mas-
se gehabt, Ihre eigenen Gesetzentwürfe einzubringen . Da
ist aber überhaupt nichts gekommen .
Zur Wahrheit gehört auch, dass die Umsetzung der
Diskussionsbeiträge, die ich zu diesem Thema von der
Opposition in den letzten eineinhalb Jahren gehört habe,
die Situation der Erben und die Arbeitsplätze in Deutsch-
land nicht sicherer gemacht hätten . Ich kann nur sagen,
dass die Wichtigkeit einer Regierungsbeteiligung der
CDU/CSU in diesem Zusammenhang noch einmal völlig
deutlich geworden ist .
Ich möchte jetzt nicht aufzählen, was passiert ist und
welche Forderungen aus Ihren Fraktionen gekommen
sind .
Das ist zwar technisch innovativ, trifft aber leider
nicht zu,
sodass diejenigen, die es vorgezogen haben, diese Ple-
narsitzung live und in Farbe zu verfolgen, genauer über
die Zeitabläufe informiert sind als diejenigen, die das auf
diesem Wege zugerufen bekommen haben .
Bitte schön, Herr Kollege .
Ich hatte gedacht, Herr Präsident, Sie lassen nurnoch eine Zwischenfrage zu . – Um das abzuschließen:Ich habe in den Diskussionen schon den Eindruck ge-habt, dass die Kolleginnen und Kollegen der Oppositionüberhaupt keinen Einblick haben, wie Entscheidungen –Strukturentscheidungen, Investitionsentscheidungen – inFamilienunternehmen in Deutschland getroffen werden .Wenn wir die Vorschläge vonseiten der Linken, aberauch vonseiten der Grünen, die Sie in den letzten Mona-ten gemacht haben, so umgesetzt hätten, wie Sie sie inden Wahlprogrammen beschrieben haben – Sie forderneine deutliche Erhöhung der Erbschaftsteuer –, dann hät-te uns das in den nächsten 15 Jahren mindestens 3 Milli-onen Arbeitsplätze gekostet .
Das haben wir verhindert, und deswegen glaube ich, dasswir hier jetzt auf dem richtigen Weg sind,
ein verlässliches Erbschaftsteuerrecht für die Bürgerin-nen und Bürger, die als Erben betroffen sind, aber auchfür die Arbeitsplätze – die Arbeitnehmerinnen und Ar-Christian Freiherr von Stetten
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beitnehmer, die lieber in Familienunternehmen arbei-ten – zu schaffen .Ganze Regionen sind übrigens von Familienunterneh-men geprägt . Wo gehen denn die Mitarbeiter hin, die imSport- oder im Gesangsverein aktiv sind, wenn ein neuesKlavier gebraucht wird oder Anschaffungen im Jugend-bereich anstehen? Es gibt einen direkten Zugang zumUnternehmer, die in diesen Bereichen auch großzügigsind .Diese Strukturen, die weltweit nicht nur geachtet sind,sondern auch kopiert werden wollen, wollen wir nichtzerstören . Wenn wir dazu in den nächsten Jahren sinnvol-le Vorschläge von Ihnen bekommen, dann sind wir hierauf einem guten Weg .Herzlichen Dank .
Für den Bundesrat erhält nun die Finanzministerin
von Schleswig-Holstein, Monika Heinold, das Wort .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Be-
steuerung von Einkommen und Vermögen nach Leis-
tungsfähigkeit ist kein ideologischer Unsinn . Es geht
hier, wie gesagt, nicht um ideologische Scheuklappen,
sondern darum – es ist traurig, dass wir die CSU immer
wieder an ihre eigene Verfassung erinnern müssen –
– Ihre Verfassung! –, die Ansammlung von Riesenver-
mögen in den Händen Einzelner zu verhindern .
– Schön, dass Sie wach sind; guten Morgen!
Meine Damen und Herren, was darf die Länderkam-
mer erwarten, wenn ihr am 8 . Juli 2016 ein neues Re-
gelwerk für die Erbschaftbesteuerung von Unternehmen
vorgelegt wird?
– Ich habe zugehört . – Die Länderkammer darf erwarten,
dass es einen Vorschlag gibt, der eindeutig verfassungs-
und gestaltungsfest ist .
Die Länderkammer darf erwarten, dass die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichtes berücksichtigt werden .
– Dazu komme ich gleich . Der Bundesrat hat sich sehr
wohl positioniert .
Einen Augenblick! Im Augenblick hat Frau Heinold
das Wort . Es gibt ja noch weitere Redner . – Bitte schön .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Länderkammer darf erwarten, dass die Einnahme-situation und die finanziellen Auswirkungen auf die Län-der klar und nachvollziehbar benannt werden, und zwarnicht erst im Jahr 2040, sondern jetzt .
Wir dürfen auch erwarten, dass es ein Gesetz gibt, das dieErben tatsächlich nach ihrer Leistungsfähigkeit gerechtbesteuert .
– Ich komme dazu .Meine Damen und Herren, das, was Sie uns vorlegen,wird all diesen Ansprüchen nicht gerecht .
– Das ist falsch – ein bisschen Geduld –; dazu kommeich noch .Meine Damen und Herren, der ursprüngliche Gesetz-entwurf der Bundesregierung ist von Tag zu Tag verwäs-sert worden . Das waren keine kleinen Änderungen . Ichhabe den Bericht des Finanzausschusses gelesen . Dortist unter einer Tabelle zu den Finanzen von einer „Viel-zahl komplexer Änderungen“ die Rede; so komplex, dassSie uns noch nicht einmal sagen können, was das für dieLänder finanziell bedeutet.
Diese Änderungen wurden von der CSU in letzter Mi-nute durchgedrückt . Das ist Ihr Problem, meine Damenund Herren .
Christian Freiherr von Stetten
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 180 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . Juni 2016 17785
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Beibehaltung der Privilegien, Verschonungsregelun-gen: ein Ritt auf der Rasierklinge der Verfassungswid-rigkeit .
Die Messlatte der Steuergerechtigkeit wird gerissen . DieLänder können knobeln, wie viel ihnen an Einnahmen fürBildung, Teilhabe und all das, was wir finanzieren müs-sen, bleibt .
Ich sage Ihnen: Als grüne Finanzministerin kann ich demnicht zustimmen . Ich freue mich, dass ich damit nicht al-leine bin .
Meine Damen und Herren, Ihr eigener Bundesfinanz-minister hatte am Anfang der Debatte einen Eckpunkte-plan vorgelegt, von dem Lisa Paus sagt: Das war schonschwierig genug . – Ich sage über diesen Plan: Das wäreein Kompromiss, damit Bundestag und Bundesrat zuei-nanderkommen
Natürlich haben die Länder gearbeitet, und zwar nichtwie Sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion,
sondern ordnungsgemäß über den Bundesrat . Wir habenIhren Regierungsentwurf genommen und ihn um dieStellungnahme der Länder ergänzt .
Dem ist im Bundesrat mit Mehrheit zugestimmt worden .Wo ist denn Ihr Problem? Ihr Problem ist, dass Sie dieCSU an Bord haben und dass diese alles blockiert, wasverfassungskonform wäre .
Meine Damen und Herren, sowohl der Eckpunkteka-talog von Schäuble als auch der Regierungsentwurf, er-gänzt um die Stellungnahme der Länder,
wäre eine Grundlage, um bei einer Erbschaft auch denFortbestand der Betriebe zu gewährleisten . Kein norma-ler Mensch bezweifelt das, glaube ich . Damit würde derErhalt der Arbeitsplätze gesichert . Er wäre auch im Ver-gleich zur geltenden Rechtslage eine leistungsgerechtereBesteuerung .Das wäre nicht das, was ich mir wünsche und wasauch viele Experten sagen, die davon sprechen, dass wirdie Erbschaftsteuer im Grundsatz vom Kopf auf die Füßestellen sollen; Stichwort Flat Tax . Aber Bundestag undBundesrat müssen aufeinander zugehen . Wir brauchenein verfassungskonformes Gesetz . Wir brauchen Rechts-sicherheit für die Betriebe .
Meine Damen und Herren, noch einmal mit Blick aufdie SPD: Wir müssen der Reinigungskraft Frau Neumannaus Gelsenkirchen aufrichtigen Herzens versichern kön-nen, dass es in unserem Staat gerecht zugeht .
In diesem Sinne hoffe ich, meine Damen und Herren,dass es der Bundesrat besser macht, als Sie es heute ver-mutlich machen werden .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kiziltepe für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Das Bundesverfas-sungsgericht hat dem Gesetzgeber den klaren Auftrag er-teilt, die steuerfreie Übertragung von größten Vermögenohne Prüfung einer Verschonungsbedürftigkeit zu been-den . Warum? Weil das bisherige Gesetz ungerecht war .Das war ein schlechtes Gesetz, Herr von Stetten . DiesenAuftrag umzusetzen, ohne das Steueraufkommen zu er-höhen, wie von der Union verlangt, kommt einer Qua-dratur des Kreises gleich .Liebe Kolleginnen und Kollegen, herausgekommenist ein politischer Kompromiss, der kleinste gemeinsameNenner; nicht mehr und nicht weniger . Sollte das Gesetzin Karlsruhe erneut scheitern, dann trägt hierfür einzigund allein die Union die Verantwortung . Ein Gerechtig-keitsempfinden bei der Christlich-Sozialen Union zu ver-langen, war wahrlich zu viel verlangt . Horst Seehofer hatsich hier als der größte Bremsklotz erwiesen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, zukünftig wird dasBetriebsvermögen ab 90 Millionen Euro, also bei den Su-perreichen, ohne Nachweis einer Bedürfnisprüfung nichtmehr verschont werden . Das ist ein großer Erfolg, denich nicht kleinreden werde . Die Bedürfnisprüfung ist eingroßer Schritt nach vorne . Wer in Zukunft eine Verscho-nung von der Erbschaftsteuer erreichen will, der mussseine privaten Vermögensverhältnisse endlich offenle-gen . Das ist auch ein Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit .Hierfür werden wir Sozialdemokraten uns auch in Zu-kunft einsetzen . Wenn es um eine zukünftige Reform derErbschaftsteuer geht, werden wir daran anknüpfen . StattMinisterin Monika Heinold
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90 Millionen Euro wären beispielsweise 20 MillionenEuro ein vernünftiger Schwellenwert gewesen .
Das war in den Eckwerten, die Herr FinanzministerSchäuble vorgelegt hat, auch ursprünglich vorgesehen .Herr Dr . Meister weiß das nur zu gut . Allerdings habenim Rahmen der Beratungen die Lobbyvereine, die Fami-lienunternehmer wohl dermaßen intensiv an die Tür ge-klopft, dass diese Eckwerte entschärft wurden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich befürchte, dassUnternehmen auch in Zukunft Gestaltungsspielraum ha-ben . Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt . Ichhabe auch Bedenken, ob diese Regelungen in KarlsruheBestand haben werden . Die Finanzminister von Nord-rhein-Westfalen und Niedersachsen teilen meine Ein-schätzung .Wir Sozialdemokraten wollen eine Erbschaftsteuer,die einen signifikanten Beitrag zum Abbau der enor-men Vermögensungleichheit in diesem Land leistet . Dasbleibt auch in Zukunft auf unserer politischen Agenda .Auch hätten wir das Steueraufkommen erhöhen kön-nen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden . Hierfür lagenKonzepte vor . Das hat beispielsweise das Institut fürMakroökonomie und Konjunkturforschung vorgerech-net . Von 2009 bis 2014 wurden über 170 Milliarden EuroBetriebsvermögen steuerfrei übertragen . Dadurch sindunserem Gemeinwesen 43 Milliarden Euro entgangen .Das hing mit der Überprivilegierung der größten Vermö-gen zusammen . Das wollen wir mit der Einführung derBedürfnisprüfung jetzt abschaffen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erbschaftsteuerist keine Bagatellsteuer . Wenn man sie gerecht gestaltet,führt sie auch zu Mehreinnahmen . In der Vergangenheithaben die Vergünstigungen dazu geführt, dass die Ein-nahmen nicht sehr hoch waren . Das wollen wir ändern,indem wir das eine Prozent der Superreichen belastenwollen .Ich kann leider nicht verhehlen, dass ich mir eine an-dere Lösung gewünscht hätte . Das ist auch die Meinungvieler meiner Kollegen . Umso mehr bedauere ich, dass esin den anderthalb Jahren der Beratungen keinen Gesetz-entwurf der Länder zu dieser Frage gab .
Das wäre wirklich sinnvoll gewesen, weil die Einnah-men den Ländern zufließen. Ich bin auf die Haltung Ba-den-Württembergs zu dieser Frage in der Sitzung desBundesrates gespannt .Von Linken und Grünen war heute nur unqualifizierteKritik zu hören . Daher wüsste ich gerne: Was sind eureKonzepte? Wo sind eure Anträge und Änderungsanträge?Ich habe bisher noch keine gesehen .
Im Übrigen, Frau Paus, schafft das, was Ihre Kol-legen von den Grünen vorgeschlagen haben, nämlicheine Flat Tax von 15 Prozent, wahrlich kein relevantesMehraufkommen, und es ist auch nicht gerecht . GroßeBetriebsvermögen müssen angemessen besteuert wer-den . Hoffentlich gelingt das in der nächsten Legislaturunter anderen Mehrheitsverhältnissen besser . Das gehtaber nur mit progressiven Steuersätzen; es geht nicht mitFlat-Tax-Modellen, die Sie aus der neoliberalen Motten-kiste herausgekramt haben .
Vielen Dank .
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege
Fritz Güntzler das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heutedas Erbschaftsteuerrecht . Ich glaube, kein Steuergesetzist so dafür geeignet, ideologische Debatten zu führen .Frau Wagenknecht, Sie haben das auch bewiesen. Ich fin-de es interessant, dass nicht die Fachpolitiker der Linkengesprochen haben, sondern dass Sie eine ideologischeRede gehalten haben .
Es hätte mich schon interessiert, wie Sie am Gesetzent-wurf entlang argumentiert hätten .
Erstaunt bin ich auch über Ihren Beitrag, Frau Minis-terin Heinold . Der Bundesrat hat, glaube ich, nicht gera-de bewiesen, dass er in diesem Punkt leistungsstark ist .
Die Erbschaftsteuer ist eine Ländersteuer . Von daherwäre es auch Aufgabe der Länder gewesen, sich zu ei-nigen und einen Gesetzentwurf vorzulegen, über den wirgerne debattiert hätten .
Sie aber haben die Verantwortung auf den Bund gescho-ben, und wir mussten Ihnen etwas vorlegen . Jetzt kriti-sieren Sie daran herum, ohne einen eigenen konkretenVorschlag vorzulegen .
Cansel Kiziltepe
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Meine Damen und Herren, zum Thema Beratung: DasUrteil stammt vom 17 . Dezember 2014 . Herr MinisterSchäuble hat zügig ein Eckpunktepapier vorlegt . Wirhaben dann im September letzten Jahres hier die ersteLesung gehabt . Wir haben alle Punkte umfassend disku-tiert und angesprochen . Wir haben im Ausschuss auchdargelegt, dass die Dinge, die von den Grünen und vonden Linken bemängelt worden sind, in der Anhörung be-sprochen und andiskutiert worden sind . Von daher kannich überhaupt nicht verstehen, dass man kurz vor Tores-schluss sagt: Wir haben gar nicht mitberaten . – Dannhaben Sie, Herr Pitterle, die ganze Zeit über Ihre Arbeitnicht gemacht . Das ist die Wahrheit!
Meine Damen und Herren, über das Urteil ist ja vielgeschrieben worden . Die Überschriften lauteten immer:„Das Erbschaftsteuerrecht ist verfassungswidrig .“ Dasist zu kurz gegriffen . Das Bundesverfassungsgericht hatfestgestellt, dass die Steuerbefreiung und die Verscho-nungsregelung grundsätzlich verfassungskonform sind .Es hat sogar gesagt, dass wir Unternehmensvermögen biszu 100 Prozent freistellen können, wenn wir die richtigeBegründung dafür geben . Das bisherige System wurdeim Grundsatz durch das Bundesverfassungsgericht be-stätigt . Das war ein Erfolg . Der Erfolg hat auch sozu-sagen einen Sohn, das ist der Staatssekretär Dr . MichaelMeister, der uns in Karlsruhe hervorragend vertreten hat .
Worum geht es? Es geht um etwas, was hier in der De-batte meines Erachtens viel zu kurz gekommen ist, näm-lich um die Sicherung von Arbeitsplätzen und der Inves-titionsfähigkeit von Unternehmen . Denn es ist so: Wennein Unternehmen in die nächste Generation übertragenwird, kommt es zu Erbschaftsteuerzahlungen, die – überAusschüttungen oder Entnahmen – aus dem Unterneh-men genommen werden müssen . Dies gefährdet das Un-ternehmen . Von daher gefährdet es auch Arbeitsplätze,meine Damen und Herren . Deshalb ist es kein Geschenkan die Unternehmer, sondern aus volkswirtschaftlichenGründen sinnvoll, diese Unternehmensübergaben steuer-frei zu stellen, um die Arbeitsplätze in Deutschland zusichern .
Natürlich befinden wir uns in einem Spannungsfeld,wenn wir verschonen . Dies hat das Bundesverfassungs-gericht in seinem Urteil ja auch ausgeführt . Es hat ge-fordert, das vernünftig zu begründen . Frau Paus, Siehaben auch wieder ausgeführt – auch die Linken habendas getan –, alles sei verfassungswidrig . Sie sind aber daseinzelne Argument dafür schuldig geblieben, an welcherStelle es verfassungswidrig ist .Das Bundesverfassungsgericht hat uns einen klarenAuftrag gegeben, was wir zu ändern haben . Dabei gehtes darum, dass wir bis jetzt bis zu 50 Prozent Verwal-tungsvermögen – sozusagen schlechtes Vermögen – inZukunft nicht mitübertragen dürfen . Diesen Satz senkenwir auf 10 Prozent . Damit haben wir dem Urteil des Bun-desverfassungsgerichts Rechnung getragen .Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass wirdie Gestaltungsanfälligkeit des Erbschaftsteuerrechtsminimieren müssen . Auch das haben wir sogar schonvorher getan . Für die Cash-GmbHs haben wir eine Lö-sung über den Finanzmitteltest herbeigeführt . Herr Kol-lege Gambke, Sie müssten mir einmal neue Gestaltungennennen . Ich bin ja beratend tätig . In diesem Gesetz habeich keine neuen Gestaltungen gefunden, Sie anscheinendsolche . Sie könnten uns diese ja dann verraten .Dann hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dasswir in Bezug auf die Lohnsummenregelung bei denkleinen Unternehmen mit über 20 Arbeitnehmern keineBefreiung von der Bürokratie vornehmen, wir müsstendarunter gehen . Nun haben wir uns auf fünf Arbeitneh-mer geeinigt, ursprünglich waren es ja drei Arbeitneh-mer . Es wurde diskutiert, wie viele Unternehmen davonbetroffen sind . Das weiß eigentlich keiner . Wir könnendas Statistische Bundesamt befragen . Dann sehen wir dieGrundgesamtheit der Unternehmen in Deutschland, diedavon betroffen sind . Die eigentliche Frage aber, die wiruns stellen müssen, lautet ja, wie viele von diesen Unter-nehmen tatsächlich in die nächste Generation übertragenwerden . Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen –das kann man aber auch nachlesen –, dass gerade beikleineren Unternehmen eine Übertragung in die nächsteGeneration gar nicht stattfindet. Von daher müssen Siedas richtige Vergleichspaar suchen . Ich sage Ihnen nocheinmal sehr deutlich: Ein Großteil dieser Übertragungenunterliegen den persönlichen Freibeträgen der Erbschaft-steuer, sodass es gar nicht zu einer Steuerbelastung käme .Von daher glaube ich, dass wir auch bei diesem Punkt aufeinem guten Weg sind .
Letztlich hat uns das Bundesverfassungsgericht auf-getragen, die deutsche Wirtschaft in kleine, mittlere undgroße Unternehmen einzuteilen . Wir haben heftig darü-ber diskutiert, ab wann ein großes Unternehmen beginnt .Da gibt es unterschiedliche Definitionen. Wir haben unsjetzt an die Steuerklasse gehalten und sind bei 26 Mil-lionen Euro gelandet . Ich verweise gerne auf die schö-ne Textziffer 175 des Bundesverfassungsgerichtsurteils,wo sogar auf einen rot-grünen Gesetzentwurf verwiesenwird, nach dem sogar eine Grenze von 100 MillionenEuro möglich gewesen wäre . Wir haben uns aber auf26 Millionen Euro verständigt, um auch hier auf einemsicheren Weg zu gehen . Ich glaube, das ist eine vernünf-tige Lösung .Danach werden wir die Bedürfnisprüfung haben, diewir uns auch nicht ausgedacht haben . Zum einen geht esum die Verschonungsbedürftigkeit . Da beziehen wir so-gar das Privatvermögen mit ein, und wir schauen, ob dasBedürfnis der Verschonung gegeben ist, weil vielleichtgenug privates Vermögen vorhanden ist, um 50 Prozentdavon zur Bezahlung der Erbschaftsteuerschuld einzu-setzen .Parallel wird es ein Abschmelzmodell geben, wasleider aus meiner Sicht etwas gemindert wurde; HerrSchneider hat darauf hingewiesen . Wir hatten uns dasetwas anders vorgestellt. Ich finde es richtig, dass wirmit der Grenze von 26 Millionen Euro nicht quasi einFritz Güntzler
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Fallbeil haben und wir von einer 85-prozentigen oder100-prozentigen Verschonung auf eine Nullverschonunggehen, sondern wir einen gleitenden Übergang haben .
Das waren die Aufgaben, die uns das Bundesverfas-sungsgericht aufgetragen hat . Die haben wir gelöst . Wirhaben sogar noch eine Verbesserung erreicht, indem wirmit der Investitionsklausel den Unternehmern die Mög-lichkeit geben, Liquidität, die zu viel im Unternehmenist, zum begünstigten Vermögen zu machen; denn es istso, Frau Paus, dass sich die Unternehmer nicht nur aufdie Kreditinstitute verlassen, sondern das Geld auch imUnternehmen ansammeln, um dann die Investition zu tä-tigen .Es wäre nun wirklich dumm, wenn der Unternehmergerade zu dem Zeitpunkt, zu dem die Liquidität ange-sammelt ist, verstirbt und der Sohn oder die Tochter da-rauf Steuern zu zahlen hätten . Vielmehr müssen sie danndie Investition tätigen können, damit das Unternehmenweiterhin in der bisherigen Form erhalten bleibt und auchdie Arbeitsplätze erhalten werden können . Von daher istdie Investitionsklausel eine gute Lösung .
Wir haben uns auch mit der Bewertung beschäftigt .Sie haben ein Zahlenbeispiel gebracht . Sie sind von ei-ner utopischen Bewertung ausgegangen . Wir haben mitt-lerweile im vereinfachten Ertragswertverfahren einenFaktor von 18 . Alle Unternehmer, die ich kenne, würdenfür den Faktor von 18 ihr Unternehmen wahrscheinlichsofort veräußern, weil das völlig irreal ist . Wir habendeshalb jetzt eine Lösung gefunden, sodass das verein-fachte Ertragswertverfahren zu halbwegs vernünftigenErgebnissen führt . Es steht übrigens im Gesetz, dass dasVerfahren nur anzuwenden ist, wenn es nicht zu unrealis-tischen Ergebnissen führt . Wir hätten es eigentlich schonjetzt gar nicht mehr anwenden dürfen, weil der Faktorvon 18 völlig unrealistisch ist . Ich sage Ihnen: Auch einFaktor von 10 ist unrealistisch .
Von daher sind viele gut beraten, vielleicht ein Gutachtenbei einem Wirtschaftsprüfer in Auftrag zu geben, um zueinem niedrigeren Wert zu kommen .Meine Damen und Herren, ich glaube, in der Kürzehätten Sie die Möglichkeit gehabt, zu zeigen, warum dasGesetz verfassungswidrig ist . Ich fand Ihre Argumen-te wenig überzeugend . Ich glaube, dass wir angesichtsdes Rahmens, der hier mehrfach geschildert worden ist,einen guten Kompromiss erzielt haben . Ich würde mirwünschen, dass der Bundesrat nicht blockiert, sonderndieses Gesetz mit beschließt, damit wir zügig Rechtssi-cherheit für die Unternehmerinnen und Unternehmer inDeutschland bekommen .Zum Schluss – damit ich in meiner Redezeit bleibe,Herr Präsident – erlauben Sie mir eine persönliche An-merkung . In diesem Prozess zur Erarbeitung des Erb-schaftsteuergesetzes habe ich mich sehr ausgiebig mitunserem Kollegen Philipp Graf Lerchenfeld auseinan-dergesetzt . Wir haben gemeinsam diskutiert . Ich weiß,dass Graf Lerchenfeld am Fernseher die Debatte ver-folgt, weil er gesundheitlich ein wenig angeschlagen ist .Ich wünsche ihm gute Besserung . Lieber Philipp, allesGute von hier!
Danke .
Letzter Redner ist der Kollege Lothar Binding für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte zunächsteine Bemerkung zu Ministerin Heinold machen; dennich kann ihre Kritik in Teilen verstehen . Aber dann irri-tiert wirklich, dass die Länder für eine Ländersteuer keineigenes Gesetz vorgelegt haben . Die Möglichkeit hättebestanden .
In diesem Gesetz hätten Sie all die Punkte, die Sie be-rechtigterweise ansprechen, regeln können . Insofern fandich das ein bisschen gewagt .Ich habe vorhin applaudiert, als Carsten Schneider ge-sagt hat, wir hätten ein gutes Gesetz gemacht .
Ich meine auch, dass wir im Rahmen der Möglichkei-ten, die wir haben, ein gutes Gesetz gemacht haben . Nunmuss man sagen: Der Rahmen ist nicht ganz einfach . DasBundesverfassungsgericht hat uns eine Reihe von Be-dingungen diktiert, die aber doch unspezifisch sind. Wirhatten viele Möglichkeiten, über die einzelnen Grenzenzu streiten .Etwas hat mich sehr gestört . Da spreche ich RalphBrinkhaus, Gerda Hasselfeldt und Carsten Schneider an;denn die haben einen sehr guten Kompromiss erarbeitet .
Wenn man so etwas erreicht hat und alle unterschrei-ben das – vielen Dank für den Applaus –, dann frage ichmich, wie es möglich ist, dass die CSU nach Hause geht,anschließend zurückkommt und dann sagt: Wir machendoch nicht mit . – Diese Art der Unzuverlässigkeit min-dert das Vertrauen in die Politik .
Ich meine, an Vereinbarungen muss man sich halten .Dann sind alle auf einem verlässlichen Pfad . Ich glaube,was da passiert ist, hat große Verwerfungen zur Folgegehabt .Fritz Güntzler
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Insofern ist das, was Sigmar Gabriel, die Kanzlerinund Herr Seehofer verhandelt haben, fachlich marginal,aber politisch wichtig . Ich bin Sigmar Gabriel dankbar,dass es ihm in diesem Dreiecksverhältnis gelungen ist,den Streit zwischen CDU und CSU zu schlichten . Inter-essant ist, dass das Aufgabe der SPD geworden ist .
Das ist tatsächlich bemerkenswert .Wir sind für eine weitere Randbedingung: Wir woll-ten das Aufkommen erhalten und sogar erhöhen . Dasmag nicht ganz leicht sein . An meinem Platz stehenzwei Gläser . Am Inhalt dieser Gläser spiegelt sich all daswider, was in Deutschland erarbeitet wird . Das, was indem einen Glas ist, entspricht fast allem; es gehört ganzwenigen . In dem anderen Glas ist nichts; das entsprichtdem, was allen anderen gehört . Das Bruttovermögen jeHaushalt in Deutschland liegt bei 240 000 Euro . Ich bitteSie, die Zuhörerschaft, einmal zu prüfen, wer von Ihnenein Vermögen von 240 000 Euro hat und wie viele einVermögen haben, das darunter liegt . Unabhängig davon,wer nun ein Handzeichen gibt, weiß ich: Das Vermögender meisten liegt darunter . Übrigens beträgt das durch-schnittliche Nettovermögen 215 000 Euro . 10 Prozentder Menschen verfügen über 60 Prozent des Vermögens .Der Gini-Koeffizient liegt bei 76 Prozent. Das ist im in-ternationalen Vergleich sehr hoch .80 Prozent der Vermögen stammen aus Erbschaften .Nun haben wir heute von Hans Michelbach gelernt: Er-wirtschaften geht vor Verteilen . Ich sage es noch einmal:Erwirtschaften geht vor Verteilen . Ich kenne ganz vieleTöchter und Söhne, an die wurde zuerst verteilt, und an-schließend wurde das Unternehmen, das sie erbten, rui-niert . Was Hans Michelbach gesagt hat, ist also eigent-lich falsch . Die meisten Vermögen entstehen nicht durchErwirtschaften, sondern durch Verteilen, bevor etwas er-wirtschaftet worden ist . Das ist die Realität .
– Ich beschreibe eigentlich nur die jetzigen Verhältnisse .Wenn das Sozialismus ist, dann ist das eine interessanteSache, was die Unternehmen angeht .
Insofern ist es wichtig, dass wir Konzentrationspro-zessen begegnen . Dazu muss man sagen: Obwohl es imRahmen unserer Möglichkeiten ein guter Gesetzentwurfist, werden wir das Ziel, diesen Prozessen zu begeg-nen, mit Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs nichterreichen . Sie fragten: Warum verabschieden wir ihntrotzdem? Die Antwort ist einfach: Wir wollen die Erb-schaftsteuer natürlich erhalten, die sonst infrage gestelltworden wäre, und wir wollen die Arbeitsplätze erhalten .Das sind zwei wichtige Kriterien, derentwegen wir die-sem Gesetzentwurf natürlich zustimmen .
Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass dasBundesverfassungsgericht gesagt hat, wir überprivile-gierten . Die Überprivilegierung haben wir zurückgenom-men . Insofern wird das Gesetz verfassungsfester sein .
Herr Kollege .
Eine Sekunde noch . – Allerdings muss man feststellen:
In den Anhörungen haben die Sachverständigen zum Teil
gesagt, das Gesetz sei zulässig . Andere Sachverständige
haben gesagt: Es ist unzulässig . Im Spannungsfeld die-
ses Urteils ist es klug, dass sich Norbert Walter- Borjans
eine Prüfung vorbehalten hat . Das ist nicht nur sein gutes
Recht, sondern auch seine Pflicht. Das entspricht unse-
rem Umgang mit einer guten Gesetzgebung . Deshalb
kann man diesem Gesetzentwurf heute zustimmen . Alles
andere obliegt der Zukunft .
Schönen Dank .
Ich schließe die Aussprache .Wir kommen nun zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzeszur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkung-steuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesver-fassungsgerichts . Ich mache darauf aufmerksam, dassich inzwischen über 30 persönliche Erklärungen zur Ab-stimmung vorliegen habe, die wir wie immer in solchenFällen dem Protokoll beifügen .1)Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf der Drucksache 18/8911, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5923und 18/6279 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit denStimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-tion bei einzelnen Gegenstimmen und Enthaltungen ausden Reihen der Koalition angenommen .Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung . Die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen hat namentliche Abstimmung verlangt . Ich darfdeswegen die Schriftführerinnen und Schriftführer bit-ten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir zusignalisieren, wenn die Abstimmungsurnen komplettbesetzt sind . – Wunderbar . Ich eröffne die Abstimmung .Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Ich frage noch einmal, objemand im Saal und abstimmungsberechtigt ist, der seineStimmkarte nicht abgegeben hat . – Das ist offensichtlich1) Anlagen 2 und 3Lothar Binding
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nicht der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung undbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit derAuszählung zu beginnen . Ich gebe Ihnen das Ergebnisder Abstimmung während des nächsten Tagesordnungs-punktes bekannt, sobald es vorliegt .1)Jetzt wäre es schön, wenn diejenigen, die beim nächs-ten Tagesordnungspunkt mitwirken wollen oder müssen,ihre Plätze einnähmen und die anderen ihre noch wich-tigeren Geschäfte außerhalb des Plenarsaals weiterver-folgten .Ich rufe nun die Zusatzpunkte 10 und 11 auf:ZP 10 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Änderung wasser- und naturschutz-rechtlicher Vorschriften zur Untersagung undzur Risikominimierung bei den Verfahren derFracking-TechnologieDrucksachen 18/4713, 18/4949Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-cherheit
Drucksache 18/8916ZP 11 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Ausdehnung der Bergschadenshaftungauf den Bohrlochbergbau und KavernenDrucksachen 18/4714, 18/4952Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Energie
Drucksache 18/8907Zu dem Gesetzentwurf zur Fracking-Technologie lie-gen ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke so-wie ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantragder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .Zu dem Gesetzentwurf zur Bergschadenshaftung liegtebenfalls ein Entschließungsantrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen vor .Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Fra-cking-Technologie werden wir später namentlich abstim-men .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdiese Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Das ist of-fensichtlich einvernehmlich . Dann können wir so verfah-ren .Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Matthias Miersch für die SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichglaube, nach einem Jahr intensiver Beratung können wir1) Ergebnis Seite 17791 Dfeststellen, dass das, was hier heute vorliegt, ein Riesen-erfolg für dieses deutsche Parlament ist .
Vor einem Jahr haben wir hier miteinander gestritten .Es lag ein Entwurf der Bundesregierung vor, und wirhaben viele Punkte angesprochen: Reicht dieses Verbot,weil es auf den Bereich oberhalb von 3 000 Metern Tie-fe begrenzt war? Wie ist das mit dem unkonventionellenErdöl? Wie ist das mit einer Expertenkommission? Eshaben viele Demonstrationen stattgefunden . Viele Or-ganisationen und viele Bürgerinnen und Bürger habensich eingebracht . Auch die Länder, die vor allen Dingenbetroffen sind, haben sich zu Wort gemeldet . Das LandNiedersachen, dessen Anteil an der deutschen Erdgas-förderung bei über 90 Prozent liegt, hat uns über seinenLandtag vor gut einem Jahr einen rot-grünen Entschlie-ßungsantrag zur Kenntnis gegeben . Der energiepolitischeSprecher der grünen Landtagsfraktion in Niedersachsenhat in seiner Rede zu diesem Entschließungsantrag voreinem Jahr Folgendes zu Protokoll gegeben:Die entscheidenden Fragen sind doch: Wie gehenwir mit der unkonventionellen Erdgasförderungum? … Wird es bei uns auch massives Frackingwie in den USA geben?Weiter heißt es – er kritisiert –:Statt klarer Ansage gibt es nun vom Bund dieschlichte Ankündigung, dass über den Einstieg inskommerzielle Fracking nach 2018 eine Experten-kommission entscheiden soll .… Das ist aus meiner Sicht politische Arbeitsver-weigerung, ein Sich-Wegducken vor Verantwor-tung . Bei so weit reichenden Entscheidungen darfman sich nicht hinter Experten verstecken .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist kein Geheim-nis, dass wir über genau diese Punkte lange gestritten ha-ben . Aber heute beschließen wir in Deutschland erstmalsein klares Verbot für unkonventionelles Fracking . Das istein Riesenerfolg .
Dieses Verbot, auch wenn man dazu anderes lesen kann,ist unbefristet und gilt bundesweit . Davon kann nicht ab-gewichen werden .
Darüber hinaus haben wir diskutiert, ob auf dem Um-weg über Probebohrungen dieses Verbot umgangen wer-den kann . Hierzu haben wir festgelegt, dass keine unbe-grenzte Zahl von Probebohrungen möglich ist, sondernmaximal vier . Diese stehen unter dem Vorbehalt, dass diejeweilige Landesregierung zustimmt . Auch das ist eindeutlicher Erfolg .
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Der zentralste Punkt – ich will das an dieser Stelle sa-gen – war natürlich auch der umstrittenste: Die Exper-tenkommission kann keinen Übergang ins kommerzielleFracking erlauben, sondern sie monitort die Probeboh-rungen und berichtet dem Bundestag . Der Bundestag hatdann die Möglichkeit, 2021 zu überlegen, wie er mit demVerbot umgeht . Macht er nichts, bleibt dieses Verbot be-stehen, und das ist das Entscheidende .
Ich glaube, dass wir damit auch ein Signal für andereFelder gesendet haben, weil es eine Tendenz gibt, wich-tige Entscheidungen vom Parlament in Expertengremienzu verlagern . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, wasder energiepolitische Sprecher der grünen Landtagsfrak-tion Niedersachsen gesagt hat, finde ich richtig. DiesesParlament darf sich nicht vor wichtigen Entscheidungendrücken . „Fracking, ja oder nein?“ ist keine Frage für Ex-perten .
Aber wir machen darüber hinaus noch viel mehr .Meine Kollegen werden darauf eingehen . Ich weiß, dassviele in Niedersachsen sehr skeptisch sind, weil es umdie Technik von vielen Jahrzehnten geht . Aber auch hierführen wir hohe Umweltstandards ein . Der niedersächsi-sche Umweltminister Stefan Wenzel hat vor wenigen Ta-gen erklärt, dass es langwierige Genehmigungsverfahrengeben wird . Diese Aussage resultiert aus der Erkenntnis,dass man nicht alles einfach durchwinken kann . Es wirdum eine Abwägung gehen . Die Umwelt wird dabei einengroßen Stellenwert bekommen .
Wir als Parlament werden sorgfältig darauf achten undfragen müssen: Wie geht die Industrie und wie gehen dieGenehmigungsbehörden mit dem neuen Gesetz um? Istdas, was wir uns versprechen, ein wirklicher Fortschritt,wenn es auch um Kommunikation geht? Wenn die Indus-trie jetzt schon wieder Krokodilstränen weint, dann mussman doch sagen: Wenn ihr die Leute mitnehmen wollt,dann könnt ihr es nicht so machen wie bisher, sondernihr müsst kommunizieren, ihr müsst Daten offenlegen,ihr müsst miteinander ins Gespräch kommen . Dazu, liebeKolleginnen und Kollegen, haben wir heute, glaube ich,auch was die konventionelle Förderung angeht, einengroßen Beitrag geleistet . Ich bedanke mich bei allen, diehieran konstruktiv mitgewirkt haben .Vielen Dank .
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebeich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schrift-führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassungdes Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes be-kannt: abgegebene Stimmen 569 . Mit Ja haben gestimmt447, mit Nein haben gestimmt 119 . 3 Kolleginnen undKollegen haben sich enthalten . Damit ist dieser Gesetz-entwurf angenommen .Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 568;davonja: 446nein: 119enthalten: 3JaCDU/CSUKatrin AlbsteigerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Dr . André BergheggerDr . Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerDr . Maria BöhmerNorbert BrackmannMichael BrandDr . Reinhard BrandlHelmut BrandtDr . Ralf BrauksiepeDr . Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachHermann FärberUwe FeilerDr . Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDr . Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr . Astrid FreudensteinDr . Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr . Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannDr . Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr . Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingDr. Matthias Miersch
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Dr . Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannThorsten Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M . HuberHubert HüppeThomas JarzombekSylvia JörrißenDr . Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr . Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr . Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr . Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacMichael KretschmerDr . Günter KringsRüdiger KruseDr . Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr . Karl A . LamersAndreas G . LämmelDr . Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerPaul LehriederDr . Katja LeikertDr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr . Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr . Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr . h . c . Hans MichelbachDr . Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringVolker MosblechElisabeth MotschmannDr . Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergLothar RiebsamenIris RipsamJohannes RöringKathrin RöselDr . Norbert RöttgenErwin RüddelDr . Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja SchmittPatrick SchniederNadine Schön
Dr . Ole SchröderDr . Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe SchummerArmin Schuster
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr . Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr . von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlLena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackDr . Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr . Johann WadephulDr . h . c . Albert WeilerMarcus Weinberg
Dr . Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerBarbara WoltmannHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr . Katarina BarleyDoris BarnettKlaus BarthelDr . Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr . Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMartin BurkertDr . Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr . Daniela De RidderDr . Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund Ehrmann
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Michaela EngelmeierDr . h . c . Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Johannes FechnerDr . Fritz FelgentreuElke FernerDr . Ute Finckh-KrämerGabriele FograscherDr . Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesIris GleickeAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr . Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr . Eva HöglMatthias IlgenChristina Jantz-HerrmannFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr . Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr . Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr . Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerDetlef Müller
Michelle MünteferingDr . Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr . Sascha RaabeDr . Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDennis RohdeDr . Martin RosemannRené RöspelDr . Ernst Dieter RossmannSusann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeAxel Schäfer
Dr . Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr . Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Frank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr . Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesNeinSPDMarco BülowChristian PetryDIE LINKEJan van AkenDr . Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W . BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr . Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDr . Gregor GysiDr . André HahnHeike HänselDr . Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertDr . Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr . Petra SitteKersten SteinkeDr . Kirsten TackmannAzize TankDr . Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerDr . Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
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BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska BrantnerAgnieszka BruggerKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr . Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr . Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr . Tobias LindnerPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr . Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr . Gerhard SchickDr . Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr . Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr . Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr . Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr . Valerie WilmsEnthaltenSPDDr . Hans-JoachimSchabedothEwald SchurerPeer SteinbrückNächster Redner ist der Kollege Hubertus Zdebel fürdie Fraktion Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Fracking ist eine Gefahr für Mensch undNatur . Fracking ist eine teure und unbeherrschbare Risi-kotechnologie .
Es geht um Grund- und Trinkwasserverseuchung durchChemikalien, aufsteigendes Methan und Lagerstätten-wasser . Fracking und die Verpressung von Lagerstätten-wasser können Erdbeben hervorrufen, wie wir sie jetztschon in Niedersachsen erleben . Die Entsorgung derBohrschlämme, die in der Regel Giftmüll darstellen, istangesichts sinkender Deponiekapazitäten ungeklärt, wiewir es im Moment auch in Niedersachsen erleben . DieVersenkung von Lagerstättenwasser, das insbesondereradioaktive Isotope, Quecksilber und Benzol enthält, er-füllt nicht die Anforderungen an eine geordnete Abfal-lentsorgung . Die Klimabilanz von gefracktem Erdgas istmiserabel, insbesondere wegen zahlreicher Lecks unddiffuser Quellen bei der Förderung . Auch das muss ge-sagt werden .
Wir steigen in eine neue Runde der Karbonisierung ein,anstatt weiter auf die Dekarbonisierung zu setzen .
Es werden Mondlandschaften hinterlassen . Solange dieUrsachen der erhöhten Krebsraten an Gasförderstandor-ten in Niedersachsen nicht aufgeklärt sind, ist es unver-antwortlich, an Fracking auch nur zu denken .
Daher fordert die Linke ein gesetzliches Fracking-Ver-bot ohne Ausnahmen .
Dazu liegt Ihnen heute ein Entschließungsantrag unsererFraktion vor . Die Bundesregierung hat hingegen überfal-lartig ein Pro-Fracking-Recht auf den Tisch gelegt .
Ein durch Anträge der Großen Koalition leicht modifi-ziertes Fracking-Regelungspaket soll das gefährlicheGasbohren ermöglichen . Zur Aufsuchung und Gewin-nung von Gas und Öl in bestimmten Sandgesteinsarten,sogenannten Tight-Gas-Reservoirs, soll problemlos ge-frackt werden können . Legen Sie nicht wieder die altePlatte von konventionellem und unkonventionellem Fra-cking auf, wie ich es gerade gehört habe . Das ist völligunhaltbar . Es geht um konventionelle Lagerstätten undunkonventionelle Lagerstätten .
Tight-Gas-Reservoirs gehören deutlich zu den un-konventionellen Lagerstätten. Das ist die Definition derBGR, der ich mich an dieser Stelle ausdrücklich an-schließe .
Dies soll jetzt in jeder Tiefe möglich sein, also auch biszur Oberfläche. Damit sind Grundwasserverseuchungenvorprogrammiert . Ein genereller Ausschluss von Tight-Gas-Fracking in einem Bundesland ist nicht möglich, dahierfür im Gesetz keine Länderklausel existiert . Auchdas gehört zur Wahrheit . Fracking soll auf weiten Tei-
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len der Fläche Deutschlands möglich sein . Selbst vorNatura-2000-Gebieten schrecken Sie nicht zurück . DasVerbot von Förderanlagen in diesen Gebieten gilt nichtbei der Ausbeutung von Tight-Gas-Lagerstätten . Damitkönnen die Bohrtürme zukünftig auf den sensibelstenFlächen errichtet werden . Das ist ein absoluter Skandal .
Außerdem gibt es in dem neuen Gesetzentwurf keineStärkung der Wasserbehörden . Dazu hätten Sie klarstel-len müssen, dass Fracking und das Verpressen von La-gerstättenwasser eine echte Gewässerbenutzung mit derCharakterisierung „Einbringen und Einleiten von Stoffenin Gewässer“ darstellen .
Denn damit würde auch der Besorgnisgrundsatz desWasserhaushaltsgesetzes Anwendung finden. Aus Wort-laut und Begründung des Gesetzentwurfes ergibt sichjedoch, dass dieser für Fracking und Verpressung nichtgelten soll . Wasserbehörden, die ihn bisher herangezogenhaben, werden empfindlich geschwächt.Mit der heutigen Beratung über das Pro-Fracking-Recht erleben wir eine weitere Phase eines abgekartetenSpiels .
Das muss an dieser Stelle auch sehr deutlich gesagt wer-den .
Mehr als ein Jahr hat das Fracking-Erlaubnisgesetz derBundesregierung vor sich hin geschmort, ohne dass ir-gendetwas beschlossen wurde . Wir haben immer wiederentsprechende Kleine Anfragen und schriftliche Fragengestellt . Wir mussten uns dann sogar von Ihnen nochvorwerfen lassen, wir würden hier ohne Debatte im Bun-destag über irgendetwas diskutieren wollen . Dann kamam 15 . Juni Martin Bachmann, der Vorsitzende des Bun-desverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie, und hat mitseiner Ankündigung, das faktische Fracking-Moratoriumin Niedersachsen aufzukündigen, SPD und CDU unterDruck gesetzt .
Der niedersächsische Wirtschaftsminister, der Sozialde-mokrat Olaf Lies, wies dies nicht zurück, sondern un-terstützte Bachmann per Videobotschaft an den Verband .Lies drohte, die Voraussetzungen für Fracking in Nieder-sachsen selbst zu schaffen, falls kein bundesweites Fra-cking-Recht kommt .Dies haben dann die Bundesregierung und die Koa-litionsfraktionen willig aufgegriffen, um die Vorausset-zungen für Fracking im Windschatten der Fußballeuro-pameisterschaft durchzupeitschen . Genau das passierthier jetzt .
Erst Dienstagabend, wohlgemerkt, erhielten wir die ent-sprechenden Änderungsanträge . Bereits am Mittwochwurde in den Ausschüssen abgestimmt . Sie wissen ganzgenau, dass ich um zwei Wochen Verlängerung gebetenhabe; wir hätten es möglicherweise noch vor der Som-merpause beschließen können, aber wir, die Opposition,hätten tatsächlich die Möglichkeit gehabt, diese Sachenvernünftig zu prüfen .
Das haben Sie abgelehnt. Deswegen findet hier heuteschon die dritte Lesung statt . Es ist meines Erachtensklar, dass so die Demokratie ausgehebelt wird . Was hatdas denn damit noch zu tun?
Was auch bezeichnend ist: Die angeblichen Fra-cking-Gegner aus der SPD, wie zum Beispiel HerrKlingbeil, die vor Wochen noch lautstark eine seriöseund intensive Debatte zum Thema gefordert haben, sindplötzlich verstummt . Es ist vor allem das Ergebnis die-ses doppelten Spiels der SPD, die sich nach außen gernefrackingkritisch gibt, aber entgegengesetzt handelt, wennheute überfallartig ein Pro-Fracking-Recht verabschiedetwerden soll .
Wenn Sie gegen Fracking sind, wie Sie es vorgeben, ha-ben Sie heute die Möglichkeit, unserem Entschließungs-antrag zuzustimmen .Die Gasindustrie erhält jetzt genau das, was sie vehe-ment gefordert hat – dem beugt sich die Große Koaliti-on –:
Rechtssicherheit für eine verstärkte Gasgewinnung mitder Fracking-Technik in Tight-Gas-Reservoirs, die esbisher nicht gegeben hat, und eine Option auf Schie-fergasförderung für andere Zeiten, wenn sich das teureFracking nach Gas und Öl in diesen Gesteinsschichtenwieder rechnen sollte .Im Gewand von vier wissenschaftlichen Erprobungs-maßnahmen in Schiefer-, Ton-, Mergel- oder Kohle-flözgestein können die Gaskonzerne mit ersten Auf-suchungsmaßnahmen beginnen . Die einseitig besetzteExpertenkommission zur Begleitung der Erprobungs-maßnahmen, aus der die Zivilgesellschaft ferngehal-ten wird, soll weiterhin installiert werden – zwar abge-schwächt, aber sie wird es geben .Um eine sichere Energieversorgung geht es bei diesemGesetz sowieso nicht . Tight Gas trägt etwa zu 1 ProzentHubertus Zdebel
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zur Energieversorgung in Deutschland bei . Dies könntedurch eine forcierte Energiewende schnell aufgefangenwerden .
Es geht vor allem um Profite in Niedersachsen, wo sichein Großteil der Tight-Gas-Vorkommen befindet. Einganzes Bundesland soll den Interessen der Gaskonzernegeopfert werden, die rechtssicher fracken wollen . DieGasindustrie kommandiert, und die Große Koalition pa-riert – unter diesem Motto kann man es zusammenfassen .Das ist unerträglich und untergräbt die Demokratie .
Doch es hätte noch schlimmer kommen können: Ur-sprünglich sollte mit diesem Gesetz auch der unverzüg-liche großflächige Einstieg in die Schiefergasförderungerfolgen . Dies geschieht jetzt nicht . Das ist der Erfolg derzahlreichen Bürgerinitiativen und Umweltverbände, diesich immer dagegen gewehrt haben .
Es ist ein kleiner Fortschritt – das räume ich ein, HerrSchwabe –, dass die Restriktionen bei der Schiefergas-förderung statt bis 2013 nun bis 2021 gelten sollen . Aberin den kommenden fünf Jahren wird die Gasindustrie in-tensiv nach Tight Gas fracken und Lobbyarbeit für Schie-fergas-Fracking betreiben .Ich komme zum Schluss, Herr Präsident .
Deshalb fordern wir Sie auf: Beenden Sie jetzt alle Hoff-nung auf Schiefergas . Streichen Sie die Probebohrungen,die Expertenkommission und die Überprüfung des Ver-bots des Schiefergas-Frackings . Geben Sie sich keinenIllusionen hin: Mit einer Entscheidung für Tight-Gas-Fracking ist die Auseinandersetzung nicht beendet . Sieprovozieren lediglich einen Kampf um jedes Bohrloch .Dabei stehen wir an der Seite der Bürgerinitiativen vorOrt für ein Fracking-Verbot ohne Ausnahmen .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Das Wort erhält nun die Kollegin Herlind Gundelach
für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße sehr, dass wir heute für die konventionelle Erd-gasförderung endlich einen tragfähigen rechtlichen Rah-men festlegen können, der Mensch und Umwelt sorg-fältig schützt . Seit über fünf Jahren ist in Deutschlandkein Antrag auf konventionelle Erdgasförderung mit derAnwendung der Fracking-Technologie mehr beschiedenworden . Die Gasförderung in Deutschland ist kontinuier-lich zurückgegangen . Ganze angegliederte Wirtschafts-zweige sind bereits weggefallen . Wir haben auch einigeArbeitsplätze verloren, und qualifizierte Fachkräfte sindins Ausland abgewandert .Ich denke, gerade nach der zuletzt gehörten Rede istes notwendig, einiges klarzustellen, was an Fehlinforma-tionen gegeben wurde .Es gab nie ein verbindliches Moratorium, auch wenndas häufig behauptet wird. Insofern gab es auch keine Er-pressungsmöglichkeiten und auch keine Erpressungsver-suche, wie den erdgas- und erdölfördernden Unterneh-men dauernd und auch heute wieder unterstellt wird . DieWahrheit ist: Es wurden auf freiwilliger Basis schlicht-weg von den Unternehmen keine Anträge mehr gestellt,da die Politik zugesagt hatte, einen neuen ordnungsrecht-lichen Rahmen für die Fracking-Technologie festzule-gen, der den heutigen Anforderungen gerecht wird . Undso haben wir es damals auch im Koalitionsvertrag festge-halten: Wir wollen einen Gesetzesrahmen, mit dem wirErdgas in Deutschland unter ökologisch verantwortbarenund wirtschaftlich vertretbaren Voraussetzungen fördernkönnen, bei dem – und das betone ich ganz besonders –der Schutz des Menschen, seine Gesundheit und die Be-lange der Umwelt im Vordergrund stehen .
Diesen ordnungsrechtlichen Rahmen für die konventio-nelle Förderung, also für die Förderung des sogenanntenTight Gas, haben wir gefunden. Er findet sich in dem vor-liegenden Gesetzentwurf wieder, und er ist gut .So haben wir beispielsweise festgelegt – jetzt kom-men ein paar Fakten und keine Behauptungen –, dass diesogenannten Frack-Fluide, also die für das Offenhaltender Förderwege benötigten Flüssigkeiten, maximal dieWassergefährdungsklasse 1 haben dürfen. Das ist defini-tiv nicht giftig . Zum Vergleich: Shampoos enthalten häu-fig Inhaltsstoffe der Wassergefährdungsklasse 2, und dieempfinden Sie vermutlich auch nicht als giftig.Wir weisen ausdrücklich Schutzgebiete aus, in denenkeine Erdgas- und Erdölförderung in Zukunft erlaubt seinsoll . Diese Regelung dient vor allem dem Schutz unseresTrinkwassers – das war ein besonderes Anliegen – bzw .des zur Herstellung von Lebensmitteln benötigten Was-sers . Die Wasserbehörden haben künftig ein Vetorechtbei Genehmigungen; so viel zu dieser Fehlinformation .Wir verbieten die Errichtung von Anlagen zum Ein-satz von Fracking-Maßnahmen in Nationalparks undNaturschutzgebieten . Das gilt selbstverständlich auch fürdie Tight-Gas-Förderung; die nächste Fehlinformation .
Wir führen außerdem zum ersten Mal umfangreicheUmweltverträglichkeitsprüfungspflichten ein, sodassschon bei der Aufsuchung, also dem Schritt vor der För-derung, eine erste UVP-Prüfung durchgeführt werdenHubertus Zdebel
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muss . So kann der gesamte Prozess der Förderung über-wacht werden .Wir regeln den Umgang mit Lagerstättenwasser neu .Es darf künftig nur noch in jene Schichten zurückgeführtwerden, aus denen es kommt . Auch dieser Rückführungmuss eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschaltetwerden .Ferner fordern wir die Länder auf, gemeinsam mitden Unternehmen Schlichtungsstellen zu schaffen, wiewir sie schon aus dem Kohlebergbau kennen, wo sie sichsehr bewährt haben, damit Schäden, die möglicherweisean Gebäuden in Fördergebieten entstehen, schnell undunproblematisch beseitigt werden können . Wir brauchendazu die Länder; denn der Bund hat hier keine Gesetzge-bungsbefugnis .Wir verschärfen außerdem das Bergschadensrecht . Sowird die Beweislast für mögliche Bergschäden auch beider Erdgas- und Erdölförderung sowie bei Kavernenspei-chern den Unternehmen auferlegt .
Wir haben uns die Beratung dieses Gesetzentwurfs inden Koalitionsfraktionen – Herr Miersch hat es geradeschon gesagt – weiß Gott nicht leicht gemacht . Ich kannmich an kein Gesetz erinnern, bei dem ich in so vielenSitzungen und Gesprächen mitgewirkt habe . Viele derneuen Regelungen, die wir heute verabschieden werden,sind in diesen Gesprächen entstanden und von der Regie-rung zum Teil schon im Kabinettsbeschluss aufgenom-men worden . Dafür möchte ich mich bei beiden Ressortsganz herzlich bedanken .
Wir haben uns dieser Mühe unterzogen, weil wir dieSorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst genommen ha-ben . Wir wollten ihnen ein Gesetzeswerk liefern, das ihreÄngste und Befürchtungen zerstreut . Aber wir musstenwährend der ganzen Beratungen feststellen, bis heute –die gerade gehaltene Rede war das beste Beispiel dafür –,dass es wohl nur wenige Themen gibt, die politisch soaufgeladen sind und bei denen es so viele Fehlinformati-onen gibt, bis hinein in die öffentlichen Medien .
Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Das Gesetz,dessen Entwurf heute verabschiedet wird, regelt aus-schließlich den Bereich der sogenannten konventionel-len Förderung, nicht den der Gasförderung im Schiefer-,Ton-, Mergel- oder Kohleflözgestein. Für diese Art derFörderung sieht der Gesetzentwurf ein unbefristetes Ver-bot vor . Allerdings sollen bis zu vier Probebohrungenzugelassen sein, sofern die jeweiligen Landesregierun-gen diesen zustimmen . Ob es angesichts der Rahmenbe-dingungen dazu überhaupt kommt, muss nach heutigerKenntnis erst einmal offen bleiben . Sollten jedoch Pro-bebohrungen beantragt werden, wird zu deren Beobach-tung eine wissenschaftliche Kommission eingesetzt . Die-se soll dann bis 2020/2021 einen Bericht vorlegen, derwiederum Grundlage für eine Überprüfung der Verbot-sentscheidung durch den Bundestag im Jahre 2020/2021sein soll .Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede eine persön-liche Bemerkung machen . Unser Ursprungsvorschlagsah ebenfalls Probebohrungen und eine wissenschaftli-che Kommission vor, die über die Machbarkeit von Fra-cking im unkonventionellen Bereich urteilen und eben-falls einen Bericht vorlegen sollte . Wäre dieser positivausgefallen, hätte danach nach unserer Auffassung diekommerzielle Förderung erfolgen können . Das heißt, derBundestag hätte in dieser Legislaturperiode abschließendentschieden und wäre seiner Verantwortung nachgekom-men, wie wir es im Koalitionsvertrag ja auch festgehal-ten haben . Ich möchte aus meiner Einbringungsrede imRahmen der ersten Lesung eine Passage zitieren, aus derhervorgeht, weshalb ich schon damals für eine solche Re-gelung eingetreten bin – ich zitiere –:Der zweite Punkt, warum meines Erachtens dieVerabschiedung dieses Gesetzentwurfs wichtig ist,hängt damit zusammen, dass wir auch ein Signalnach draußen setzen: dass sich Deutschland auchin schwierigen Feldern bewegen kann, dass wiruns nach wie vor technologieoffen zeigen und nichtausschließlich an Verteilungsprozessen interessiertsind . Wir zeigen damit, dass wir– in Deutschland –noch immer in der Lage sind, Innovationen anzusto-ßen und diese auch umzusetzen .Diesen Beweis sind wir nun leider nicht angetreten . Dasbedauere ich persönlich ganz außerordentlich .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin Gundelach . – Schönen
guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mei-
ner Seite aus . – Die nächste Rednerin: Dr . Julia Verlinden
für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Auch ich muss darauf hinweisen,dass ich das Verfahren so nicht okay finde. Erst passiertbei Ihnen zwölf Monate lang gar nichts – zumindest krie-gen wir nichts mit –, und dann lässt man uns nur wenigeStunden vor der Beschlussfassung im Ausschuss die Vor-lagen zukommen, über die abgestimmt werden soll, unddas bei einem so wichtigen Thema, das wirklich vieleMenschen in unserem Land beschäftigt .
Offenbar denken Sie: Es reicht doch, wenn unsereGroKo-Abgeordneten die Anträge kennen; wir haben jaDr. Herlind Gundelach
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die Mehrheit . – Aber ich sage Ihnen: Das ist kein saube-res parlamentarisches Verfahren .
Leider ist ein so kurzfristiges Agieren keine Ausnahmebei Ihnen, sondern wird jetzt anscheinend zur Regel . Ichfinde das höchst undemokratisch.
Nun zum Thema . Der Fracking-Gesetzentwurf derBundesregierung aus dem letzten Jahr wurde zu Rechtvon Bürgerinitiativen, Umweltverbänden, Gewerkschaf-ten, Wirtschaftsverbänden und Kirchen als nicht ausrei-chend kritisiert .
Auch der Bundesrat hat zahlreiche Änderungen gefor-dert . Ja, gerade den Bundesländern, in denen die Grünenmitregieren, ging der Gesetzentwurf wahrlich nicht weitgenug .
– Umso besser . – Die Ablehnung von Fracking in der Be-völkerung war schon letztes Jahr sehr groß, und sie nahmmit der Zeit immer weiter zu . Ohne unser beharrlichesKämpfen für ein echtes Fracking-Verbot und ohne dieInitiativen der Umweltverbände und der Aktiven vor Ortwäre im Bundestag wohl nichts passiert .
Es ist allerhöchste Zeit, dass etwas passiert – da sind wiruns einig –; denn bisher war Fracking gar nicht geregelt .Das musste endlich, und zwar auf Bundesebene, gesche-hen .
Dieser gesellschaftliche Druck war also richtig undwichtig . Er hat auch dafür gesorgt, dass Sie jetzt manchePunkte zusätzlich umgesetzt haben, um den Gesetzent-wurf weiter zu verschärfen . Zum Teil sind Sie schon da-rauf eingegangen; Sie werden das mit Sicherheit weiter-hin in der Debatte tun . So weit, so gut . Offenbar hat dieSPD also genau das durchgesetzt, was sie immer wollte;jedenfalls feiert sie das Ergebnis . Okay, geschenkt . DieErdgasindustrie sieht es ja auch so – ich zitiere aus derPressemitteilung des Branchenverbandes von vor einpaar Tagen – und bezeichnet es als „positives Signal“ .
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung des Kollegen Mattfeldt?
Ja, der Name des armen Kollegen steht ja heute auch
gar nicht auf der Rednerliste . Da muss er ja irgendwie
noch zu Wort kommen .
Es war jetzt nicht meine Frage, ob sein Name auf der
Rednerliste steht, sondern, ob Sie eine Zwischenfrage
zulassen .
Ja, bitte .
Ganz herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage
zulassen . – Frau Kollegin Verlinden, auch Sie haben ja
etwas zum heutigen Gesetzentwurf eingebracht . Sie wis-
sen, dass ich aus der, was Erdgasförderung anbelangt, am
stärksten krisengeschüttelten Region komme . Ich führe
innerhalb der Unionsfraktion eine Gruppe – ich habe
diese ins Leben gerufen –, der sich mehr als 100 Kolle-
ginnen und Kollegen der Unionsfraktion angeschlossen
haben . Diese Gruppe fordert genau das, was Sie eben
angesprochen haben, nämlich Verschärfungen des einge-
brachten Gesetzentwurfes . Einige Verschärfungen haben
wir in dieser Unionsgruppe formuliert, erarbeitet und in
den Gesetzentwurf eingebracht .
Lieber Kollege Miersch, auch Sie lobe ich noch .
Denn wir haben ja in dieser Sache – auch mit dem Kol-
legen Schwabe – sehr eng und sehr gut zusammengear-
beitet . Aber nicht in dieser Angelegenheit mitgearbeitet –
deshalb finde ich, dass Sie sich hier jetzt ein wenig mit
fremden Federn schmücken – haben Sie von den Grünen .
Bitte?
Das sehen Sie auch, wenn Sie Ihren Antrag lesen . Ich
wundere mich sehr, dass Sie Ihre gesamte Argumentation
ausschließlich auf die Fracking-Technologie abstellen .
Das ist – –
Frau Verlinden, er darf erst einmal reden, und dannkönnen Sie entsprechend mit Empathie antworten . – So,bitte .Dr. Julia Verlinden
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Dabei blenden Sie vollkommen aus, dass zwei Drittel
aller derzeitigen Erdgasförderungen in Deutschland auf
konventionelle Art und Weise, also ohne Einsatz der Fra-
cking-Technologie, durchgeführt werden . Ich habe mich
sehr gewundert, dass Sie in Ihrem Antrag ausschließlich
schreiben, dass es durch den Einsatz der Fracking-Tech-
nologie zu Verunreinigungen des Grundwassers kommt,
Bodenabsenkungen und Erdbeben auftreten können und
dass auch die Entsorgung des Lagerstättenwassers, die
damit einhergeht, ungeklärt ist . Deshalb lautet meine
Frage: Tritt so etwas bei der konventionellen Förderung,
bei der die Fracking-Technologie nicht eingesetzt wird,
nicht auch auf?
Haben wir bei den anderen Formen der Förderung, die
zwei Drittel ausmachen, nicht auch diese Probleme?
Müssen wir nicht auch diese Probleme hier im Deutschen
Bundestag lösen? Genau das tut dieser Gesetzentwurf
jetzt . Er löst diese Probleme . Er löst die Probleme von
Erdbebengeschädigten durch Beweislastumkehr . Das ist
vernünftig . Vielleicht können Sie hierzu einmal Stellung
nehmen .
Sehr gerne, Herr Kollege Mattfeldt . Ich bin, ehrlichgesagt, enttäuscht, dass Sie, obwohl Sie sich scheinbarso für das Thema interessieren, nicht alle vorliegendenAnträge zur Kenntnis genommen haben, über die heuteabgestimmt wird .
Es gibt von der Bundestagsfraktion der Grünen zweiEntschließungsanträge und einen Änderungsantrag . Indiesen Anträgen gehen wir ausführlich auf all die Punk-te ein, die Sie gerade genannt haben . Sie können denAnträgen gerne zustimmen, wenn Sie das unterstützen .Insbesondere geht es um den Punkt, den Sie angespro-chen haben, nämlich dass die Erdgasförderung ohneFracking auch zu Problemen führt . Damit haben wir unssehr intensiv befasst . Dazu haben wir hier sehr ausführ-liche Entschließungsanträge vorgelegt . Ich kann Ihnendie Drucksachennummern jetzt nicht auswendig sagen,aber die finden Sie ja in der Tagesordnung. Diese Anträgekönnen Sie sich gerne anschauen .Darin fordern wir unter anderem – ich kann Ihnen jetztnoch ein bisschen Nachhilfe geben, wenn Sie es, wiegesagt, nicht gelesen haben –, dass Erdgasförderung inWasserschutzgebieten verboten sein soll . Das heißt, wirhaben zum Lagerstättenwasser und zum Verpressen zu-sätzliche Forderungen aufgestellt, die über das hinausge-hen, was in dem vorliegenden Gesetzentwurf steht, überden heute abgestimmt werden soll . Sie können unserenEntschließungsanträgen, wie gesagt, sehr gerne zustim-men . Ich glaube, Sie haben nur den Änderungsantrag ge-lesen; auf diesen haben Sie gerade Bezug genommen . Ichwürde mich über Ihre Unterstützung freuen .
Die Grünen stellt das Gesetzespaket, wie es jetzt aufdem Tisch liegt, nicht zufrieden; denn wir haben mehrgefordert . Es ist klar, dass eine schwarz-rote Bundesre-gierung keine grüne Politik macht . Das hätte auch nie-mand erwartet .
Aber noch eine andere Sache verärgert mich, nämlichdass man den Menschen nur die halbe Wahrheit erzählt .So hieß es vor ein paar Tagen von den SPD-Kollegen beiTwitter wörtlich: In der Konsequenz gibt es ein komplet-tes Fracking-Verbot . – Das stimmt einfach nicht .
Sie verbieten nur das Schiefergas-Fracking und lassenhier Probemaßnahmen zu . Aber das Tight-Gas-Fracking,was in Niedersachsen zu einer breiten gesellschaftlichenDebatte geführt hat, weil die Menschen die zahlreichenAuswirkungen der Erdgasförderung direkt erleben, wol-len Sie weiterhin erlauben . Das mag aus Ihrer Sicht rich-tig sein . Es mag sein, dass Sie das so rechtfertigen unddass das für Sie die richtige politische Position ist . Aberdann sagen Sie den Menschen doch auch, dass Sie dieseForm des Frackings weiterhin erlauben . Das wäre ehr-lich .
Unter einem kompletten Verbot, wie Sie das amDienstag bei Twitter genannt haben, verstehe ich wirk-lich etwas anderes. Inzwischen spezifizieren Sie undsagen auch, dass Sie das sogenannte unkonventionelleFracking verbieten wollen .Aber wenn Sie diese Unterscheidung begründen: Wol-len Sie den Menschen wirklich weismachen, es gäbegutes und böses Fracking? Dabei ist die Technik dochdieselbe . Die Risiken sind ähnlich . Deswegen wollen dieMenschen ein echtes Verbot aller Formen von Fracking .Warum wollen die Menschen das? Weil Risiken und ge-sellschaftliche Kosten von Fracking in überhaupt keinerRelation zum fragwürdigen Nutzen stehen . Wir habenbessere Alternativen und wollen doch perspektivisch dieDekarbonisierung, also den Verzicht auf fossile Energie-träger .
Alle, die sich intensiver mit der Thematik befasst ha-ben, wissen – das war gerade Thema –, dass auch dieErdgasförderung ohne Fracking strengere Umweltaufla-gen bekommen sollte .
Wir nehmen das Vorsorgeprinzip ernst . Auch hier könnenwir im Gesetzespaket der Bundesregierung zwar das eineoder andere erkennen, das in die richtige Richtung geht .
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Zum Beispiel ist die Beweislastumkehr bei Bergschädenein erster Schritt . Aber dass Sie den bestehenden Lager-stättenverpressstellen Bestandsschutz geben, wird dieMenschen in den betroffenen Regionen wohl kaum zu-friedenstellen .Innerhalb von nur zwei Plenarwochen bremsen Sieden Ausbau der erneuerbaren Energien . Sie subventionie-ren alte Kohlekraftwerke, und Sie sorgen dafür, dass dieErdgasindustrie weiter fracken kann . Diese schwarz-roteEnergiepolitik ist wie Weihnachten und Ostern zusam-men für die Aktionäre des fossilen Zeitalters sowie fürdie Öl- und Gasbarone .
Es ist die volle Breitseite gegen Klimaschutz und Bürge-renergien . Für uns Grüne sieht Energiewende anders aus .
Mit diesem Fracking-Gesetz haben Sie vielleicht Ih-ren Koalitionsfrieden gerettet, und Sie haben einiges beider rechtlichen Situation – auch dank der Vorarbeit in dergesellschaftlichen Debatte und der Vorarbeit im Bundes-rat – verbessert . Aber das reicht uns Grünen nicht .
Denn genauso wie 80 Prozent der Menschen in Deutsch-land wollen wir ein echtes Fracking-Verbot, und zwar imBergrecht . Daher stimmen wir gegen Ihren Gesetzent-wurf .Vielen Dank .
Vielen Dank, Julia Verlinden . – Nächster Redner in
der Debatte: Frank Schwabe für die SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Verehrte Damen und Herren! Mit diesem Gesetzespa-ket wird es das Fracking im Schiefergestein – das ken-nen wir aus den USA – in Deutschland nicht geben . Dassage nicht nur ich, sondern das sagen auch der BDI unddie Verbände der Erdgaswirtschaft . Wenn Sie uns schonnicht glauben, Hubertus Zdebel, wäre es gut, wenn Siedenen wenigstens glauben . Fracking im Schiefergesteinwird es deshalb nicht geben, weil wir gleich zwei Me-chanismen eingeführt haben, die das verhindern . MeineMutter würde sagen: Doppelt hält besser . – Das eine istein bundeseinheitliches Verbot, das fortlaufend gilt unddas 2021 überprüft werden soll . Das ist vernünftig; mankann alles überprüfen . Das könnten wir im Übrigen auch,ohne dass wir das in den Gesetzentwurf schreiben .
– Genau, das kann man immer überprüfen .Ich komme nun zum zentralen Punkt . Das muss manim Deutschen Bundestag feststellen . Darauf können wiralle stolz sein . Wir sollten das nicht skandalisieren undirgendetwas von der EM erzählen .
Man kann festhalten – Frau Dr . Gundelach hat das er-frischenderweise gesagt –: Da haben wir definitiv einenDissens . Wir von der SPD sind froh, dass wir uns durch-gesetzt haben . Wir wollen nicht unsere bei demokrati-schen Wahlen übertragene Verantwortung an der Garde-robe des Bundestages abgeben .
Wir haben nichts dagegen, dass Expertenkommissionenberaten, prüfen usw . Aber die Entscheidung muss amEnde der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber treffen .Das ist in diesem Gesetzentwurf klargestellt .
Es gibt eine zweite Absicherung, und zwar im Rah-men der sogenannten Länderklausel . Zwar kann es vierProbebohrungen geben . Aber faktisch – wenn wir uns dieaktuelle Debatte anhören, muss uns das klar sein – wirdam Ende jedes Bundesland die Länderklausel ziehen unddamit Probebohrungen verhindern . Für Nordrhein-West-falen hat meine Ministerpräsidentin Hannelore Kraft dasbereits erklärt .
Was wir nicht verbieten, liebe Kolleginnen und Kol-legen – das war auch nicht unsere Absicht –, ist die her-kömmliche Erdgasförderung, die es in Deutschland schonseit vielen Jahren – seit 100 Jahren oder ich weiß nicht,wie lange; einige werden das besser wissen als ich – gibt .
Es ist völlig klar: Auch das hätten wir machen können,weil mit jeder Erdgasförderung Risiken verbunden sind .Es gibt sie, und wir wollen sie auch nicht negieren .
Aber wir haben eben nicht gesagt, dass es das Ziel derKoalition oder das Ziel der SPD ist, die Erdgasförderungzu unterbinden .Wir haben etwas geschafft, was sich die Betroffenenin der Region vor fünf Jahren, glaube ich, nicht hättenvorstellen können . Im Zuge der Fracking-Debatte habenwir es geschafft, neue – wenn vielleicht auch noch nichtfür alle Fälle ausreichende – und bessere Regelungen zutreffen als die, die bisher gelten . Nun gibt es neue Rege-lungen im Hinblick auf die Umweltverträglichkeitsprü-Dr. Julia Verlinden
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fung und neue Regelungen, was das Bergschadensrechtangeht. Ich finde, das sollte man positiv zur Kenntnisnehmen .
Ich begrüße, dass Julia Verlinden einen zumindestabwägenderen Ton als in mancher Pressemitteilungangeschlagen hat . Ich will mich ausdrücklich bei denBürgerinnen und Bürgern und bei der lebendigen Zivil-gesellschaft bedanken, die natürlich großen Druck aufuns ausgeübt haben . Mein Dank gilt aber auch allen Ab-geordneten dieses Parlaments. Ich finde, das sollte manmitnehmen und sagen: Jawohl, wir haben heftig gerun-gen . Am Ende haben wir ein Ergebnis gefunden, von demwir sagen, dass es gut ist, und von dem Sie sagen, dasses zwar gute Teile enthält, aber noch besser hätte seinkönnen . – So sollte man sich verabreden . Ich erwarte garnicht, dass die Opposition zustimmt . Ich erwarte aber,dass man zumindest zugesteht, dass es zu Verbesserun-gen gekommen ist, und vor allen Dingen nicht versucht,das Ganze zu skandalisieren .
Denn das hilft niemandem in diesem Parlament, und dashilft auch nicht dem Parlamentarismus und der Demo-kratie .In der SPD-Fraktion reden wir häufig vomStruck’schen Gesetz . Ich habe es immer für einen rheto-risch gemeinten Satz von Peter Struck gehalten, mit demer uns Abgeordneten ein gewisses Selbstbewusstsein ge-ben wollte, wenn er gesagt hat: Kein Gesetz geht so ausdem Deutschen Bundestag heraus, wie es hereingekom-men ist. – Ich finde, in diesem Fall und in dieser Situati-on trifft aber genau das zu . Ich will allen, insbesondereaber meiner Fraktion, die wirklich zusammengestandenund gekämpft hat, ganz herzlich danken, vor allem FrauJantz-Herrmann und Herrn Klingbeil, aber auch den an-deren. Ich finde, man sollte das vorliegende Ergebnisnicht skandalisieren . Vielmehr ist es eine Sternstunde desParlaments, das so erkämpft zu haben . Dafür danke ich,wie gesagt, herzlich .Vielen Dank .
Vielen Dank, Frank Schwabe . – Nächste Rednerin:Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne! Ich glau-be, gerade an einem Tag wie dem heutigen sollten nichtdie einen reflexartig draufhauen und die anderen allesverteidigen . Deswegen verstehe ich nicht, warum jetztvon einigen Seiten Pappkameraden aufgebaut werden .Wir als Bündnis 90/Die Grünen haben ganz klar gesagt,dass dies ein Erfolg des letzten Jahres war . Beteiligt wa-ren viele Akteure, Abgeordnete aus allen Fraktionen die-ses Parlaments und Vertreter der Zivilgesellschaft, die jaöfter als böse Campact-Schreiber verunglimpft wordensind . Dass wir Verbesserungen des Gesetzentwurfes er-reicht haben, stellt doch niemand infrage . Darauf könnenwir natürlich auch stolz sein .
Sie haben zu Recht gesagt: Es ist richtig, dass dasSchiefergas raus ist . – Sie haben zu Recht gesagt: Es istrichtig, dass die Kommission raus ist . – Sie haben zuRecht gesagt: Es ist richtig, dass Trinkwassergebiete jetztkomplett ausgenommen werden . – Aber wenn Sie vonuns einfordern, nicht reflexartig draufzuhauen, dann dür-fen wir doch auch von Ihnen einfordern, die Punkte, dieweiterhin problematisch sind, hier kritisch zu benennen .Das ist nämlich die Aufgabe einer Opposition in einemgewählten Parlament, meine sehr verehrten Damen undHerren .
Dazu gehört das verkürzte Verfahren . Dass Sie HerrnZdebel so sehr angehen, finde ich, ehrlich gesagt, nichtin Ordnung .
Ein Jahr lang lag das auf Eis . Aber das, worüber wir jetztabstimmen, ist der finale Gesetzentwurf. Diesen Gesetz-entwurf haben wir am Montag erhalten .Sie haben hier hineingeschrien, ob wir ihn überhauptgelesen haben . Wenn Sie uns keine Chance geben, Ih-ren Gesetzentwurf zu lesen, dann können Sie uns das amEnde doch nicht vorhalten .
– Ja, wir haben ihn gelesen . Wir haben eine Nachtschichteingelegt, damit wir diesen Gesetzentwurf lesen konnten .
– Ich erinnere noch einmal daran: Sie haben davon ge-sprochen, nicht reflexartig zu handeln. Dann rufen Siejetzt auch nicht: „Oh!“Wir haben diesen Gesetzentwurf gelesen, und wir hät-ten mit den Fachpolitikern – nicht mit denen, die hierjetzt einfach einmal populistisch hineinrufen – sehr gernedarüber diskutiert: Warum ist Fracking in Naturschutz-gebieten ausgeschlossen, in Natura-2000-Gebieten abernicht? Warum schließen Sie Fracking in Schiefergesteinaus, in Sandstein aber nicht?Herr Mattfeldt, Sie haben es gerade ja selber beschrie-ben: Die Regionen, in denen Fracking bisher schon statt-findet – in Sandstein; ich habe es notiert und zitiert –,„sind krisengeschüttelt“, und deswegen müssen wir dochüber das Fracking in Sandstein reden . Das können wirFrank Schwabe
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jetzt nicht mehr tun, weil das von diesem Gesetzentwurfausgenommen ist .
Wir hätten auch gerne mit Ihnen darüber diskutiert,warum wir auf der einen Seite einen Klimavertrag un-terschreiben, in dem steht, dass zwei Drittel der fossilenVorräte unter der Erde bleiben, während auf der anderenSeite die herkömmliche Erdgasförderung weiterbetrie-ben wird und Sie parallel dazu mit Fracking in Sandsteinauch noch die letzten Krümelchen Gas und Öl – wie auseiner Zitrone – aus der Erde pressen . Das entspricht nichtdem Pariser Klimavertrag .
Zum Bergrecht . Auch darüber hätten wir gerne dis-kutiert . Frau Gundelach, Sie wissen, dass ich sehr gerneüber das Bergrecht diskutiere . Sie haben hier mit demGesetzentwurf zur Bergschadenshaftung einen gutenVorschlag gemacht, um die Rechte der Betroffenen zustärken. Das finden wir super. Wir hätten aber gerne mitIhnen darüber diskutiert, warum dieser Gesetzentwurf,mit dem die Rechte der Betroffenen von Bergschädengestärkt werden sollen, nur für die durch den Betrieb vonKavernenspeichern Betroffenen und beispielsweise nichtfür die vom Tagebau Betroffenen gilt . Das ist doch un-gerecht .
Wir hätten mit Ihnen auch gerne über Ihren Vorschlagzur Einrichtung einer Schlichtungsstelle diskutiert, diewir seit langem fordern und die es in Nordrhein-Westfa-len auch schon gibt .
Eine solche Schlichtungsstelle ist absolut richtig . Warumschreiben Sie aber in Ihrem Vorschlag, dass die Ländereinmal prüfen sollen, ob sie eine solche Schlichtungsstel-le, die so wichtig ist – das teilen wir alle –, einrichtenwerden? Wir beschließen hier über das Bundesberg-gesetz . Wir sind die Gesetzgeber und können in dasBundesberggesetz schreiben, dass es verpflichtend ist,Schlichtungsstellen einzurichten .
Frau Kollegin .
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . – Dass
die Länder das nicht automatisch machen, sieht man an
Brandenburg und Sachsen . Dort wurde letztes Jahr ein
Jahr lang darüber diskutiert, ob es eine Schlichtungsstelle
gibt . Die Länder haben sich letztendlich dagegen ausge-
sprochen .
Im Übrigen hat sich auch der Bund dagegen ausge-
sprochen. Die LMBV, die an das Bundesfinanzministeri-
um angegliederte Stelle für Bergschäden aus DDR-Tage-
bauzeiten, hat gesagt: Wir wollen eine Schlichtungsstelle
für Bergschäden nicht finanzieren. – Deswegen hätten
wir das hier in das Bundesgesetz hineinschreiben müs-
sen .
Ich hätte mir gewünscht, dass wir in den Ausschüssen
darüber gestritten hätten . So ist es nicht gewesen . Wir
haben jetzt nur einen halbguten Gesetzentwurf . Deswe-
gen werden Sie von uns weiter Änderungsvorschläge be-
kommen .
Aber nicht mehr jetzt .
Dann können wir hoffentlich weiter diskutieren .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Der nächste Redner in
der Debatte: Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich gehöre zu den Abgeordneten, die mittlerweile seitJahren immer wieder gesagt haben – sie sind heute hierauch schon zu Wort gekommen –: Wir können diesenGesetzentwurf noch nicht abschließen, weil noch Fragenoffen sind; es gibt noch Risiken, die geklärt werden müs-sen . Wir müssen dem noch nachgehen und können das sonicht beschließen . – Wir haben jahrelang gerungen undgerade in dieser Legislaturperiode besonders intensiv ge-kämpft . Es ist gelungen, ein immer höheres Schutzniveauzu erreichen und immer wieder neue Verschärfungen zunormieren . Jetzt ist es gelungen, ein Gesetzespaket vor-zulegen, von dem ich sage: Das ist kein Fracking-Gesetz,sondern ein Wasserschutzgesetz .
Es ist ein Gesetz, mit dem die absolute Priorität desTrinkwasserschutzes und der Gesundheitsvorsorgedurchgesetzt wird . Deshalb kann ich sagen: Ich stimmedem aus voller Überzeugung zu .
Ich will zum Ausgangspunkt unserer Debatte zurück-kommen . Es ist eine gemeinsame Einschätzung, dassdie jetzige Rechtslage nicht in Ordnung ist . Die jetzigeRechtslage sieht vor, dass dann, wenn ein Antrag gestelltAnnalena Baerbock
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und auf Grundlage der bisher geltenden Regelung be-schieden wird, gefrackt werden kann .
Das ändern wir heute . Bis heute ist der Zustand weitge-hend unreguliert . Wer fracken will, könnte das ohne UVP,ohne Öffentlichkeitsbeteiligung, ohne andere Hürdenmachen . Das ändern wir heute mit diesem Gesetzespa-ket . Deshalb ist das ein richtig guter Schritt nach vorne .
Einer der ersten Schritte in diesem Prozess war dasGutachten, das das Umweltbundesamt in Auftrag gege-ben hat . In diesem Gutachten hatten die Gutachter daraufhingewiesen: Der jetzige Zustand ist unreguliert . Es mussetwas gemacht werden . – Die Gutachter haben Vorschlä-ge für eine Umweltverträglichkeitsprüfung, Öffentlich-keitsanhörung und teilweise auch für Verbote gemacht .All das, was damals vorgeschlagen wurde, machenwir . Insgesamt gilt der Grundsatz: Mit dem Gesetz, des-sen Entwurf wir heute beschließen, wird nichts erlaubt,was bislang verboten ist, sondern es werden nur Dingeverboten, die bislang erlaubt sind . Aber für mich ist dasEntscheidende: Wir machen viel mehr als das, was da-mals die Gutachter des Umweltbundesamtes vorgeschla-gen haben . Wir sind einen Quantensprung weiter undhaben eine viel bessere Regelung für Trinkwasserschutzund Gesundheitsvorsorge gefunden .
Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, dasin meiner Region am Bodensee für besonders viele Dis-kussionen gesorgt hat, aber mit der Situation in fast allenanderen Regionen in Deutschland vergleichbar ist . In derEmpfehlung des Umweltbundesamtes stand ursprünglichnur: Verbietet Fracking in Wasserschutzgebieten . – Dannstellten wir fest, dass bei uns – genauso wie an anderenSeen – eben nur eine Minderheit der Gebiete, selbst anTrinkwasserseen, Wasserschutzgebiete sind . Deshalbhaben wir gesagt: Das reicht nicht . Da bleiben Fragenoffen . Da sind viele Risiken ungeklärt . Wir brauchen einumfassendes Verbot von Fracking in der Nähe von allenTrinkwasserseen und Talsperren sowie in der Nähe vonBrauereien und Brunnen, und zwar nicht nur im enge-ren, sondern auch im weiten Einzugsbereich . Vor mehrals einem Jahr war es der erste politische Schritt, sichdarauf zu einigen: Ja, der Trinkwasserschutz kommt . Wirnehmen diesen Schutz in die Gesetzesvorlage auf, unbe-dingt, unbefristet, für jegliche Art von Fracking . Trink-wasser hat Vorrang . Das war der erste Schritt, und daswar schon ein Fortschritt .
Dann haben wir gesagt: Auch damit ist die Gesetzes-beratung nicht beendet, sondern wir müssen noch weitergehen . Fragen stellen sich nicht nur dort, wo Trinkwassergewonnen wird und wo etwa Brauereien Brunnen Wasserentnehmen – das sind ganz sensible Gebiete –, sondernauch anderswo und müssen auch dort beantwortet wer-den . Es ist anerkennenswert, dass wir in dieser Wocheeine Einigung erzielt haben . Das ist ein Durchbruch, mitder ganz klaren Botschaft: Unkonventionelles Frackingwird in ganz Deutschland verboten, unbedingt und unbe-fristet . Trinkwasser hat Vorrang . Wir schließen Risikenaus . – Ich freue mich, dass das so gelungen ist .
Zurück zu den Debatten der letzten Jahre . Wir sind andem Punkt, der uns am Ende der letzten Legislaturperio-de dazu geführt hat, zu sagen: Wir nehmen die Beratungdieses Gesetzentwurfs von der Tagesordnung . Wir neh-men uns die Zeit für eine ausführliche Beratung . – Wirals Union haben in unser Wahlprogramm geschrieben:Trinkwasserschutz und Gesundheitsvorsorge haben füruns absolute Priorität . – Wir haben dann gemeinsammit den Kolleginnen und Kollegen der SPD, MatthiasMiersch, Frank Schwabe, Ute Vogt und anderen, in denKoalitionsverhandlungen um Formulierungen gerungenund haben uns auf genau die Grundsätze geeinigt, dienicht nur unsere Fraktionen, sondern auch andere Frakti-onen in diesem Hause vertreten, und haben sie in unsererKoalitionsvereinbarung niedergelegt . Auf dieser Grund-lage sind die Gesetzesberatungen durchgeführt worden .Wir haben immer wieder den Finger auf die Wundegelegt und immer wieder Verbesserungen angemahnt .Diese haben wir jetzt erreicht, sodass ich sagen kann:Das, was wir in unserem Programm stehen haben, unddas, was wir im Koalitionsvertrag niedergelegt haben,setzen wir jetzt um . Wir setzen den Trinkwasserschutzdurch . Wir setzen die Gesundheitsvorsorge durch . Wirbeschließen damit ein Wasserschutzgesetz .Ich werde dem Gesetzentwurf zustimmen, und auchmeine Fraktion wird ihm zustimmen. Ich finde, er ist einwichtiger Fortschritt in unserem Eintreten für den Was-serschutz und die Sicherung der Qualität des Wassers inDeutschland .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Andreas Jung . – Nächster Redner: Bernd
Westphal für die SPD .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich freue mich, dass wir den vorliegendenGesetzentwurf zur Erdgasförderung in Deutschland mitden vorgesehenen Änderungen im Wasserhaushaltsge-setz und im Berggesetz endlich zum Abschluss bringenkönnen . Frau Baerbock und Frau Verlinden, wir habennie ein komplettes Verbot der Erdgasförderung und desFracking in Deutschland gefordert . Übrigens machen SieAndreas Jung
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das dort, wo Sie in Landesregierungen politische Verant-wortung tragen, auch nicht .
Die Grünen in Niedersachsen haben das gemeinsam mitder SPD genauso vertreten wie wir .Das Bundeswirtschaftsministerium und das Bun-desumweltministerium hatten bereits im Mai des vergan-genen Jahres ein Regelungspaket vorgelegt . Von daherkann von Durchpeitschen überhaupt keine Rede sein .Ziel war von Anfang an, die strengsten Rahmenbedin-gungen für Erdgasförderung zu beschließen . Es ging unsimmer darum, mit den Sicherheits- und Umweltstandardsden Schutz der Menschen, der Gesundheit, der Umweltund vor allen Dingen des Lebensmittels Nummer eins,des Trinkwassers, zu gewährleisten .Wir mussten im letzten Jahr viel Kritik einstecken –von Unternehmen, aus der Wirtschaft, von Bürgerinitia-tiven, von Umweltschutzverbänden und aus der Wasser-wirtschaft – und wurden gefragt, warum wir so lange fürdiese Entscheidung brauchen . Ja, es war ein intensiverDialog notwendig, um den Gesetzentwurf letztendlichdurchzubringen . Aber wir als SPD haben es immer fürwichtig und richtig befunden, dass wir mit dieser Geset-zesvorlage als Basis an vielen Stellen noch Nachbesse-rungsbedarf gesehen haben . Auch mussten wir – damitverrate ich kein Geheimnis – mit unserem Koalitions-partner viele Punkte intensiv beraten .Deshalb freut es mich umso mehr, dass die Kollegin-nen und Kollegen von der Union in intensiven Gesprä-chen zu den wichtigen Punkten, insbesondere beim un-konventionellen Gas, überzeugt werden konnten . DieserGesetzentwurf ist allemal besser als gar keine Regelung .Diese Regierungskoalition zeigt mit dem Gesetzent-wurf, dass wir auch bei schwierigen Themen Regelungenhinbekommen . Das hat bisher keine Vorgängerregierunggeschafft . Deshalb bin ich auch Sigmar Gabriel undBarbara Hendricks für den Vorschlag vom letzten Jahrdankbar .
Die Regelungen zur Verschärfung und die Rahmenbe-dingungen – das haben meine Vorredner schon angespro-chen – sind durchaus vorzeigbar . Auch dass das Parla-ment das letzte Wort hat, ist richtig, denke ich .Aber wir brauchen – das will ich an dieser Stelle be-tonen – im Zusammenhang mit den vier Probebohrun-gen auch eine entsprechende Technologieoffenheit, umbei dem Bodenschatz, den wir haben, den Unternehmendie Chance zu geben, zu investieren und Erdgasförde-rung auch im Schiefergestein, im Kohleflöz und in ande-ren geologischen Formationen zumindest ausprobierenzu können . Dann entscheiden wir im Parlament, ob dieRisiken beherrschbar sind und ob das eine Option fürDeutschland ist . Wir müssen doch in Deutschland zumin-dest in der Lage sein, so eine Technologie ausprobierenzu können .
Aber auch im konventionellen Fracking, das inDeutschland seit über 50 Jahren erfolgreich durchgeführtwird, gibt es jetzt eine Öffentlichkeitsbeteiligung . Es gibtSchutzgebiete, die davon ausgenommen werden, und vorallen Dingen strengere Regelungen gerade bei der Ent-sorgung von Abfällen und eine Beweislastumkehr beiBergschäden . Um es auf den Punkt zu bringen: OberstesZiel ist immer, Umwelt und Trinkwasser zu schützen .Erdgas ist für den Wirtschaftsstandort Deutschlandwichtig . Wir brauchen Erdgas als Energieträger, aberauch als Rohstoff für die chemische Industrie . Es ist un-ser zweitgrößter Primärenergieträger . Deshalb brauchenwir ihn auch als Brücke in das Zeitalter der erneuerbarenEnergien . Erdgas wird wegen seiner günstigen Werte,was den CO2-Ausstoß angeht, in Zukunft eine wichtigeRolle einnehmen . Deshalb ist es wichtig, dass wir zusätz-lich zu den Importen auch die heimischen Lagerstättenzugänglich machen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir ha-ben ein gutes Regelungspaket geschaffen, und ich bitteSie, diesem Regelungspaket zuzustimmen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Bernd Westphal . – Nächster Redner:
Karsten Möring für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, doku-mentiert, dass wir den Trinkwasserschutz und den Ge-sundheitsschutz an die allererste Stelle setzen . Symbo-lisch wird das dadurch deutlich, dass wir die Regelungzur Erdgasförderung aus dem Bergrecht weitgehend he-rauslösen und in das Wasserhaushaltsgesetz überführen .Das hat praktische Bedeutung . Zum Beispiel legen wirim Gesetz fest, dass die Wasserbehörden im Verfahrenzur Genehmigung von Bohrungen nicht nur involviertsind, sondern de facto ein Vetorecht haben . Es ist dieVerantwortung der Wasserbehörden, darauf zu achten,dass die Trinkwasserversorgung gesichert ist und nichtgefährdet wird . Das wird dadurch sichergestellt, dass wirim Gesetz den Wasserbehörden diese Rolle zuweisen .Das ist uns ein großes Anliegen gewesen .
Wir haben es mit einem sehr komplexen Gesetz zutun . Deswegen gibt es Grund, vielen Beteiligten zu dan-ken – nicht nur den Kolleginnen und Kollegen, die sichhier im Haus damit befasst haben . Es ist auch – das sageich ausdrücklich – den vielen Mitarbeitern der Abgeord-neten zu danken, die sich Stunde um Stunde um die Oh-Bernd Westphal
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ren geschlagen haben, um mit fein ziselierten Formulie-rungen Ergebnisse zu produzieren, auf die wir uns hierheute verständigen werden . Und das ist einen Dank wert .
In den Dank schließe ich auch die Mitarbeiter der be-teiligten Ministerien ein, die uns vor einem Jahr einenaus zwei SPD-Ministerien stammenden Gesetzentwurfvorgelegt haben, den wir in dem einen Jahr im parlamen-tarischen Verfahren in erheblichen Punkten deutlich ver-ändert haben, und zwar im Sinne von mehr Sicherheit,mehr Öffentlichkeitsbeteiligung und mehr Zukunftsaus-sichten, als ursprünglich vorgesehen war .
Der eine oder andere hat vorhin angesprochen, dasses in den Fraktionen sehr unterschiedliche Auffassungendarüber gab, wie wir das im Konkreten gestalten sollten .Ich will nicht sagen, dass der eine oder andere hieranmehr beteiligt war, von Anfang an auf der richtigen Linielag oder erst später . Ich will nur – da ich beim Dankenbin – eines sagen: Es gibt auch bei uns jemanden, dem ichzu danken habe: Der CDU-Vorsitzende in NRW, ArminLaschet, hat mit seiner Einwirkung auf unsere Fraktionentscheidend dazu beigetragen,
dass bei uns ein Meinungsbild zustande kam, das bei derheutigen Verabschiedung eine wesentliche Rolle spielt .
Wie führen wir die Trinkwassersicherung durch? Ichwill in diesem Zusammenhang drei zentrale Punkte ausden vielen Einzelmaßnahmen nennen, die zum Teil auchschon erwähnt worden sind .Erster Punkt . Ein Ziel war: Das Frack-Fluid darf nichtgiftig sein . Ich ärgere mich über die Kampagnen, in de-nen immer noch behauptet wird, wir würden Gift in derErde platzieren . Das ist kein Gift . Ein weiterer Punktist in diesem Zusammenhang wichtig: Das Frack-Fluidmuss zurückgewonnen werden . Beide Dinge sind ein we-sentlicher Bestandteil zur Sicherung unserer Trinkwas-servorräte .Der zweite Punkt hat erst im Laufe des Verfahrenseine immer größere Bedeutung bekommen . Dabei gehtes um die Frage des Umgangs mit den Lagerstätten . DasWasser, das aus großen Tiefen kommt, ist stark belastet .Es wurde bisher zum Teil oberflächennah in geeignetenFormationen wieder entsorgt . Dieses Lagerstättenwasserwird jetzt dorthin zurückgehen, wo es hergekommen ist,nämlich in die Tiefen, aus denen es ursprünglich stammt .Es gehört da auch hin . Da es zum Teil sogar an der Ober-fläche aufbereitet wird – einige Stoffe werden entfernt –,kann man sagen: Es geht sauberer in die Tiefe zurück, alses herausgekommen ist .
Der entscheidende Punkt ist: Es wird sicher entsorgt .Beim dritten Punkt geht es um die Frage: Wie gehenwir mit dem Schiefergas um? Die Regelung zum Schie-fergas, die wir getroffen haben – das ist mehrmals gesagtworden –, enthält ein unbefristetes Verbot . Das heißt – ichgebe jetzt eine kleine Nachhilfe in Parlamentarismus –ganz einfach: Wenn nicht irgendein zukünftiger Bundes-tag hingeht und ein Gesetz verabschiedet, durch welchesdieses Verbot aufgehoben wird, bleibt es auf Dauer so .Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen –ich spreche jetzt auch die anderen Kritiker an –: Selbstwenn wir Ihrem Gesetz, das zu einem absoluten Verbotvon Fracking führen würde, zugestimmt hätten, hätte esder nächste Bundestag wieder aufheben können .
Jetzt muss ich Sie fragen: Erlauben Sie eine Zwischen-
frage oder Zwischenbemerkung von Herrn Behrens?
Bitte .
Gut .
Vielen Dank, Herr Kollege Möring, dass ich die Zwi-
schenfrage stellen kann . – Sie haben eben darauf hinge-
wiesen, dass die Fracking-Flüssigkeiten wieder an die
gleiche Stelle zurückgepresst werden, von der sie ge-
kommen sind . Sie wissen, dass diese Flüssigkeiten nach
diesem Vorgang eine unterschiedliche Qualität haben .
Sie sagen, alles sei ungefährlich und es gebe keine
Probleme . Wie erklären Sie sich, dass die Ergebnisse des
Monitorings, das gerade diese Frage untersuchen sollte,
bislang in Niedersachsen nicht veröffentlicht worden
sind?
Herr Kollege, ich vermute, Sie meinen Lagerstätten-wasser und nicht Frack-Fluid in Ihrer Frage .
Ich kann über die niedersächsischen Verhältnisse imDetail nichts sagen .
Ich weiß nur, dass es natürlich den einen oder anderenStörfall gegeben hat, der damit zu tun hat, dass wir ander Oberfläche zum Teil falsche Rohre und Materialienund Ähnliches mehr benutzt haben . Es ist aber Sache derGenehmigungsbehörden, darauf zu achten, dass die Vor-schriften eingehalten werden .
Ich komme zurück zu dem Punkt: Auch wenn wir jetztkein Fracking-Verbot haben, könnte der nächste Bun-Karsten Möring
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destag ein solches beschließen . Gesetzgebung ist immerfrei . Auch wenn in diesem Gesetz steht, dass bis 2021 derBericht vorgelegt werden soll und der Bundestag danndarüber beschließen kann, so kann er auch 2020 oder2025 darüber beschließen . Das ist alles offen . Aber wirbeschließen hier und jetzt ein unbefristetes Verbot mitAusnahme von vier Probebohrungen, mit denen wir Er-kenntnisse gewinnen wollen . Das haben wir in unseremKoalitionsvertrag schon von vornherein so festgelegt .Betrachten wir die Tatsachen und befassen wir unsnicht mit Schlagworten oder falschen Behauptungen;denn wer keine Argumente hat, der neigt dazu, Angst-kampagnen zu produzieren und auf diese Weise zu versu-chen, ein öffentliches Klima herbeizuführen, in dem einesachliche Lösung keinen Platz hat .
Wir haben hier eine sachliche Lösung . Auf dieser Fest-stellung bestehen wir . Die Bevölkerung kann sehr beru-higt sein, wie wir mit dem Thema umgehen .
Wir wollen den Ausstieg aus der fossilen Energiever-sorgung . Es wird uns entgegengehalten, wir sollten dochdas Gas dann in der Erde belassen . Das Gas, das wir inDeutschland fördern können, entspricht der Menge, dieunsere chemische Industrie als Rohstoff braucht . Wirbrauchen das Gas nicht zur Energieerzeugung . Wenn wireine vollständig dekarbonisierte Energieversorgung hät-ten, dann könnten wir immer noch dieses Gas gebrau-chen, um uns selbst zu versorgen .Woher kommt denn unser Gas jetzt? Es kommt ausHolland, aus Norwegen, aus Russland und zu einem klei-nen Teil aus der Eigenproduktion . Schauen wir uns dieSituation an, wie sie ist . Die Förderung in Holland undNorwegen sinkt . Alles, was wir zusätzlich brauchen – dassind jedes Jahr 1 bis 2 Prozent mehr –, importieren wiraus Russland .
Wer sich die Förderbedingungen anschaut und sieht,dass über eine Strecke von 5 000 Kilometern eine Ga-spipeline unterhalten werden muss, der weiß, wie vieleVerluste von Erdgas es auf diesem Wege gibt . Dazu kannich nur sagen: Wenn der globale Umweltschutz gilt, dannmuss auch an dieses Problem herangegangen werden .Die Versorgung, die wir unter völlig anderen Bedingun-gen selber organisieren, ist wesentlich besser . Deswegensage ich schlicht und einfach: Mir ist jeder KubikmeterGas, der in Deutschland unter Einhaltung deutscher Um-weltstandards gefördert wird, lieber als jeder aus Russ-land importierte Kubikmeter Gas, von der Versorgungs-sicherheit einmal ganz abgesehen .
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmenSie diesem Gesetzentwurf heute zu . Dann sind Sie aufder sicheren Seite . Wir sind es .
Vielen Dank, Karsten Möring . – Nächster Redner für
die SPD: Johann Saathoff .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Dat wurr hochnödig Tied, würde man in
Ostfriesland sagen . Also, es wird dringend Zeit, dass wir
Fracking endlich gesetzlich regeln .
– Keine Sorgen um die Stenografen . Die bekommen an-
schließend eine Übersetzung von mir .
Wir wollen die Übersetzung aber auch . Ich komme
aus Schwaben . Das war mir jetzt erst einmal fremd .
Frau Präsidentin, Sie haben ein Übersetzungsabo beimir .Im Koalitionsvertrag wollten wir eigentlich nur höhe-re Anforderungen an unkonventionelles Fracking formu-lieren . Wir haben Fracking mit diesem Gesetz nun zwarnicht kurzfristig geregelt – das kann man nicht behaup-ten –, dafür aber besonders gründlich und besonders si-cher im Sinne der Bürgerinnen und Bürger .Ich möchte an dieser Stelle meine Verwunderung da-rüber zum Ausdruck bringen, wem hier alles in der De-batte gedankt wurde. Ich finde, über den Dank an HerrnLaschet muss man nachdenken . Ich habe ein Zitat vonihm in Erinnerung, dass Fracking zugelassen werdenmüsse, weil es Arbeitsplätze schaffe . Ich glaube, es istvor allen Dingen Hannelore Kraft zu verdanken, dass wirdiesen Gesetzesstand haben .
Unkonventionelles Fracking, wie in den USA prakti-ziert, wird bei uns verboten . Die Sorgen der Bürgerin-nen und Bürger werden berücksichtigt und werden ernstgenommen . Es gibt derzeit keine ausreichenden wissen-schaftlichen Erkenntnisse darüber – das muss man sa-gen –, ob unkonventionelles Fracking, also Fracking inunkonventionellen Lagerstätten, wirklich verantwortetwerden kann . Deswegen ist es schön, dass wir das mitKarsten Möring
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diesem Gesetz jetzt klarstellen und festzurren können,und zwar dauerhaft und rechtssicher .
Lange haben wir uns damit beschäftigt . Wir haben unsdarüber beraten, wie eine Expertenkommission zusam-mengesetzt werden muss, wie die Bundestagsbeteiligungaussehen kann . Wir haben unzählige Gespräche darü-ber geführt . Jetzt herrscht Klarheit, und das ist die guteNachricht des Tages .Bisher – ohne dieses Gesetz – war Fracking inDeutschland grundsätzlich erlaubt .
Wir brauchen dieses Gesetz also dringend . Es ist gut,dass wir uns heute so entscheiden wollen . Am Zustan-dekommen dieses Gesetzes hat aus meiner Sicht auchder niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies einenentscheidenden Anteil . Er hat nämlich mit seiner Initiati-ve am Wochenende genau den richtigen Punkt getroffen .Nun ist endlich eine Lösung möglich .Laut Gesetz können vier wissenschaftlich begleiteteProbebohrungen erlaubt werden, dies allerdings nur mitausdrücklicher Erlaubnis des betroffenen Bundeslandes .Die Wahrscheinlichkeit, dass ein entsprechender Antraggestellt wird, ist schon sehr gering; aber die Wahrschein-lichkeit, dass das betroffene Bundesland dann auch nochzustimmt, ist noch viel geringer . Wenn dem so wäre,dann würden wir uns spätestens 2021 im Bundestag nocheinmal damit beschäftigen .In diesem Zusammenhang davon zu sprechen, dassmit diesem Gesetz Fracking ermöglicht werden soll,stellt die Realität auf den Kopf .
In Wahrheit handelt es sich um ein Fracking-Verbots-gesetz . Das ist eine gute Botschaft, die von diesem Ge-setz ausgeht . Die zweite gute Botschaft ist, dass wir mitdiesem Gesetz die Voraussetzungen für konventionellesFracking deutlich verschärfen. Es wird verpflichtend dieUmweltverträglichkeitsprüfung eingeführt . Dadurch sinddie Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger bei dengeplanten Vorhaben künftig wesentlich besser informiertund vor allen Dingen auch beteiligt .Die Menschen haben Sorgen um ihr Trinkwasser . DerSchutz des Trinkwassers ist ein hohes Gut, keine Frage .Aber dieser Sorge der Bürgerinnen und Bürger wird mitdiesem Gesetz entgegengewirkt . In und unter Wasser-schutzgebieten, Heilquellenschutzgebieten, Einzugsge-bieten von Brunnen und Wasserentnahmestellen für dieöffentliche Trinkwasserversorgung wird es kein Frackinggeben .
Im Falle von durch Erdgasförderung entstandenenErdbeben wird mit diesem Gesetz erstmals die Beweis-last umgekehrt .
Künftig muss nicht mehr der Hauseigentümer beweisen,dass die Schäden an seinem Haus von der Erdgasförde-rung herrühren, sondern das Förderunternehmen mussbeweisen, dass die Schäden mit der Erdgasförderungnichts zu tun haben .
Ich betone: Das Unternehmen muss es beweisen . Be-haupten reicht nicht .Wiederholung, liebe Kolleginnen und Kollegen, istdie Mutter der Pädagogik . Dies ist ein Fracking-Verbots-gesetz, ein gutes Gesetz im Sinne der Sorgen der Bür-gerinnen und Bürger . Deswegen ist es absolut zustim-mungsfähig .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Herr Kollege, jetzt übersetzen Sie bitte noch den ers-
ten Satz Ihrer Rede .
Frau Präsidentin, sehr gerne: „Dat wurr hochnödig
Tied“ kommt aus dem Altostfriesischen und bedeutet:
Das wurde aber auch dringend Zeit .
Vielen herzlichen Dank für diesen Erkenntnisge-
winn . – Der letzte Redner in dieser Debatte, dem bitte
alle ihre Aufmerksamkeit schenken mögen – das hat er
nämlich verdient; wenn das heute eine Sternstunde ist,
dann hat das letzte Sternchen auch noch einmal – – Oh,
jetzt muss ich aufpassen .
Also, Dr . Andreas Lenz verdient jetzt Ihre Aufmerk-
samkeit . Für die CDU/CSU ist er der letzte Redner in
dieser Debatte .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Frau Präsidentin, herzlichen Dank für diesecharmante Einführung . – Wenn etwas notwendigerwei-se zu regeln ist, dann haben wir hier im Parlament dieVerantwortung, die Verpflichtung, die entsprechende Re-gelung auch herbeizuführen . Genauso verhält es sich hin-sichtlich der Regelungen der Fracking-Technologie . Hierbrauchen wir eine staatliche Regelung zur Sicherheit vonBürgerinnen und Bürgern, zur Sicherheit der Umwelt,aber auch für die Planungssicherheit der Unternehmen .Johann Saathoff
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Diese Sicherheit ist jetzt gegeben . Das Regelungspa-ket, das wir heute beraten – man kann es nicht oft genugsagen; Wiederholung festigt –, sieht ein unbefristetesVerbot unkonventionellen Frackings vor . Das heißt, dieFracking-Technologie wird in unkonventionellen Lager-stätten, Schiefer-, Ton- und Mergelgestein sowie Kohle-flözgestein, zur Gewinnung von Erdgas und Erdöl voll-ständig verboten .Im Jahr 2021 überprüft der Deutsche Bundestag – inwelcher Zusammensetzung auch immer – auf Grundla-ge des bis dahin vorliegenden Standes von Wissenschaftund Technik das Verbot .Auch für das konventionelle Fracking gelten zukünf-tig sehr strenge Vorgaben . Das konventionelle Frackingwird in sensiblen Gebieten wie Wasserschutz- und Heil-quellenschutzgebieten und Seen zur Trinkwassergewin-nung vollständig untersagt . Grundwasserschutz hat ab-soluten Vorrang .Mit dem Ergebnis dieser Woche wird der Koaliti-onsvertrag umgesetzt . Darin heißt es: Fracking ist „eineTechnologie mit erheblichem Risikopotenzial“, derenAuswirkungen noch nicht hinreichend geklärt sind . Undweiter:Trinkwasser und Gesundheit haben für uns absolu-ten Vorrang .Diese Aussage ist Maßstab . Diese Aussage war aber auchschon während der Beratungen im gesamten letzten Jahrunser Maßstab .Um es noch einmal klar zu sagen: Aktuell sind sowohlkonventionelles als auch unkonventionelles Frackinggrundsätzlich zulässig . Der Anspruch auf Genehmigungauch unkonventionellen Frackings wäre nach dem jetzi-gen Stand also einklagbar . Wir schaffen jetzt einen stren-gen, klaren und transparenten Rechtsrahmen für dieseTechnologie .Seit Jahrzehnten wird vor allem in Niedersachsen ge-frackt . 95 Prozent des in Deutschland geförderten Erd-gases werden in Niedersachsen gefördert . Vom Erlös derErdgasförderung erhält das Land einen Anteil von rund37 Prozent . Das entspricht in Niedersachsen 700 Milli-onen Euro – bei einer, ich glaube, rot-grünen Landes-regierung . Auch deshalb ist die Länderöffnungsklauselabsolut sachgemäß .Die geologischen Voraussetzungen für Fracking sindbundesweit unterschiedlich . In Bayern wird die konven-tionelle Fracking-Technologie lediglich bei der Erschlie-ßung und Sanierung von Heilwasserquellen eingesetzt .Außerdem spielt die Technologie bei Geothermieprojek-ten eine wichtige Rolle, und das soll auch so bleiben .Unkonventionelles Fracking war und ist in Bayernkein Thema . Deswegen wollen wir aus Bayern uns garnicht an den Versuchen der Geschichtsfälschung – objetzt Laschet oder Kraft die Regelung noch forciert ha-ben – beteiligen . Wichtig ist, dass wir jetzt eine sichereund strenge Regelung haben .Wenn nun wieder Serienmails kommen, in denen esheißt: „Fracking wird erlaubt“, dann muss man ganz klarsagen: Das ist politische Propaganda und eine bewussteVerunsicherung der Bürger .
Aber ich glaube, die Debatte der letzten Jahre hat zueiner Versachlichung beigetragen . Gerade für ein Landwie Deutschland sind Technologieoffenheit, ja Tech-nologiefreundlichkeit wichtig, auch für die Zukunfts-fähigkeit insgesamt . Aber wir dürfen nicht zu falschenWenn-dann-Schlussfolgerungen kommen . Das heißt,wir dürfen nicht glauben, dass wir nicht mehr technolo-giefreundlich sind oder sein können, wenn wir bei einerTechnologie – jetzt beim unkonventionellen Fracking –strenge Restriktionen setzen . Es gibt zahlreiche andereBereiche von Forschung und Hochtechnologie, bei denenes wichtig ist und wichtig bleibt, dass wir international ander Spitze sind .
Es ist wichtig, dass wir insgesamt ein technologie-freundliches Land bleiben . Dafür stehen wir als Unioninsgesamt – genauso wie wir für den Schutz von Menschund Umwelt stehen; das steht für uns an vorderster Stelle .Herzlichen Dank .
Vielen herzlichen Dank, Dr . Andreas Lenz .Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-rung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zurUntersagung und zur Risikominimierung bei den Verfah-ren der Fracking-Technologie . Der Ausschuss für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehltin seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8916,den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-chen 18/4713 und 18/4949 in der Ausschussfassung an-zunehmen .Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8925 vor . Werstimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abge-lehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und dieLinke . Dagegen waren große Teile von CDU/CSU undSPD . Nicht abgestimmt haben die, die wollen, dass es anden Abstimmungsurnen besonders schnell geht .
– Ich bin ein Traum? Das hat mir ja noch niemand gesagt .Manche sagen: ein Albtraum . Aber das ist ein anderesThema .
Ich glaube, an einem Tag wie heute braucht man ziemlichviel Humor .Dr. Andreas Lenz
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Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerGesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegenwaren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .Wir kommen nun zurdritten Beratungund Schlussabstimmung .Es liegen uns zahlreiche Erklärungen nach § 31 derGeschäftsordnung vor .1)Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Ver-langen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlichab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen . Darf ich fragen, obdie Plätze an den Urnen besetzt sind? – Das ist der Fall .Dann eröffne ich die Abstimmung .Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Niemand mehr, der nochnicht abgestimmt hat . Dann schließe ich die Abstimmungund bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mitder Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis wird Ihnenwie immer später bekannt gegeben .2)Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-ßungsanträge .Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke aufDrucksache 18/8931 . Wer stimmt für diesen Entschlie-ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Dage-gengestimmt haben die CDU/CSU und die SPD, dafür-gestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .Wir kommen zum Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8926 . Werstimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan-trag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/DieGrünen und die Linke, abgelehnt haben ihn CDU/CSUund SPD .Zusatzpunkt 11 . Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zurAusdehnung der Bergschadenshaftung auf den Bohrloch-bergbau und Kavernen . Der Ausschuss für Wirtschaft undEnergie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 18/8907, den Gesetzentwurfder Bundesregierung auf den Drucksachen 18/4714 und18/4952 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit-te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich . – Der Gesetzent-wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zuge-1) Anlagen 4 bis 62) Ergebnis Seite 17811 Cstimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt hatdie Linke, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen .Dritte Beratungund Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSUund SPD, bei Gegenstimmen der Linken und bei Enthal-tung von Bündnis 90/Die Grünen .Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/8907 empfiehlt der Ausschuss, eineEntschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen .CDU/CSU und SPD waren dafür, Linke und Bündnis 90/Die Grünen waren dagegen .Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8927 .Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-ßungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bünd-nis 90/Die Grünen und die Linke, dagegen waren CDU/CSU und die SPD .Ich möchte Ihnen mitteilen, dass nach dem Ende derDebatte zum nächsten Tagesordnungspunkt die Frak-tionssitzungen stattfinden. Dies wird früher als 13 Uhrsein, es sei denn, Klaus Ernst stellt dauernd Zwischenfra-gen, aber die werde ich dann nicht zulassen .
Stellen Sie sich bitte darauf ein, dass wir vor 13 Uhr zuden Fraktionssitzungen gehen .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten JuttaKrellmann, Sabine Zimmermann ,Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEMindestlohn für die Beschäftigung von Lang-zeiterwerbslosenDrucksache 18/8864b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeord-
neten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, SusannaKarawanskij, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEMindestlohn sichern – Umgehungen verhin-dernDrucksachen 18/4183, 18/8278Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die De-batte 38 Minuten vorgesehen . – Es gibt keinen Wider-spruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache, und besagter Klaus Ernsthat für die Linke das Wort .
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Seit 1 . Januar 2015 haben wir den Mindestlohn .
Für viele bedeutet er mehr Geld . Aber das Gesetz überden Mindestlohn hat deutliche Mängel: Viele sind vomMindestlohn ausgenommen . Der Mindestlohn ist deut-lich zu niedrig . Das Gesetz ist schlampig formuliert .
– Es ist schlampig formuliert, Kollege Rützel .
Unsere Argumente, die wir damals vorgebracht haben,waren richtig . Wir haben nämlich von Anfang an ge-sagt – Kollege Rützel, jetzt wird es spannend –, dass de-finiert werden muss, was der Mindestlohn ist, wie er sichzusammensetzt, wie er sich berechnet . Die Regierung –ihr von den Sozialdemokraten habt da mitgemacht – hatdas ignoriert .Jetzt haben wir den Salat: Das Bundesarbeitsgerichthat entschieden, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld aufden Mindestlohn angerechnet werden können .
Das Problem ist nicht, dass das Gericht so entschiedenhat; das Gericht hat nach der Gesetzeslage entschieden .Aber Sie haben ein Gesetz definiert, das es möglichmacht, dass Weihnachts- und Urlaubsgeld auf den Min-destlohn angerechnet werden können . Das ist Unfug, dasmuss geändert werden .
Das ist der Inhalt unseres Antrags, Kollege Rützel .Ich zitiere, damit man es nicht vergisst, aus unseremAntrag vom 3 . März 2015 . Da haben wir gefordert – ichzitiere –:Das Mindestlohngesetz dahingehend zu präzisieren,dass der Mindestlohn dem reinen Stundenentgeltohne Zuschläge entspricht . Darüber hinausgehendeEntgeltbestandteile, wie zusätzliches Monatsgehaltoder Urlaubsgeld … sind neben dem Mindestlohnzu zahlen …Das haben Sie im Gesetz nicht definiert, und jetzt habenwir die Probleme . Korrigieren Sie Ihren Fehler, und stim-men Sie unserem Antrag zu . Dann ist wenigstens dieserMangel beseitigt .
In dem Zusammenhang können Sie dann auch gleichIhre Ausnahme für Langzeitarbeitslose streichen . FürLangzeitarbeitslose ist der Mindestlohn in den erstensechs Monaten nach einer Einstellung nicht zwingend .Laut Gesetz hätte die Bundesregierung spätestens zum1 . Juni 2016 diese Regelung auf ihre Sinnhaftigkeit über-prüfen müssen, sie hat es aber nicht gemacht . Es stehtaber so im Gesetz .
– Ach, geh, jetzt hört’s doch auf! Nichts habt ihr gemacht .Wir haben im Ausschuss darüber diskutiert . Die Bundes-regierung hat nichts vorgelegt . Das ist doch Fakt . Dasbedeutet, dass die Bundesregierung die Gesetze, die sieselbst macht, nicht mehr ernst nimmt, und das Parlamentauch nicht . Sonst hätte zumindest ein Bericht vorgelegen .Jetzt gibt es einen Bericht des Instituts für Arbeits-markt- und Berufsforschung zu diesem Thema . Das In-stitut hat Folgendes festgestellt: Die Ausnahmen fürLangzeitarbeitslose haben schlichtweg keine positiveWirkung – null positive Wirkung .
Im Gegenteil: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufs-forschung spricht von diskriminierenden und demotivie-renden Regelungen . Betroffene müssen trotz Arbeit wei-ter über das Hartz-System ihren Lohn aufstocken .Meine Damen und Herren von der SPD, ich weiß ja,dass nicht all das, was im Gesetz steht, von euch gewolltwar . Aber jetzt habt ihr die Chance, mit einer Zustim-mung zu unserem Antrag diesen Fehler zu korrigieren .
Nehmt sie doch wahr!
Darum geht es . Wenn ihr es nicht macht, muss ich an-nehmen, ihr wollt es so, ihr wollt, dass die Arbeitslosenweiterhin sechs Monate vom Mindestlohn ausgenommenwerden können, und das ohne jeden Sinn .
Jetzt kommen wir zur Höhe des Mindestlohns . Dasist vor dem Hintergrund der Debatten der letzten Tageauch nicht ganz uninteressant . Ein Grund, warum wir ge-gen den Mindestlohn gestimmt haben, war seine Höhe .8,50 Euro sind deutlich zu wenig .
Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aberauch von der CDU/CSU, bestätigt uns das Ministeriumselber, dass wir recht hatten, dass der Lohn zu niedrig ist .Wir haben gefragt, wie hoch der Mindestlohn sein müss-te, damit er das anerkannte durchschnittliche Existenz-minimum nach dem Hartz-System für einen Single ohneKinder abdeckt . Es ist ja das Mindeste, dass der Mindest-lohn das abdeckt, was ein Single mindestens zum Lebenbraucht – deswegen heißt er ja auch Mindestlohn . Washat uns nun das Ministerium bestätigt? Es hat uns bestä-tigt, dass der Mindestlohn nicht einmal für das Mindestereicht – für die Mehrheit derer, die im Westen wohnenund sehr hohe Mieten zahlen müssen . Aber es ist ja wohlder Sinn, dass der Lohn so hoch ist, dass man noch die
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Miete zahlen kann . Auch als Mindestlöhner muss mandoch noch anständig wohnen können, oder nicht?
Insofern sage ich: Die geringe Höhe des Mindestlohnsführt dazu, dass auch hier die Betroffenen weiter aufsto-cken müssen, und zwar nicht nur in Mietpreishochbur-gen wie München oder Hamburg, sondern in den meistenKommunen der westlichen Bundesländer .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir haben, istnicht ein Mindestlohn; es ist ein Mangellohn . Es wirdZeit, dass wir das ändern .
Wir wollen, dass der Mindestlohn deutlich angehobenwird, und zwar unabhängig von den ungefähr 30 Cent,die gerade im Gespräch sind . Es wäre notwendig, dasswir per Gesetz die Basis erhöhen, an der die Mindest-lohnkommission dann ansetzen kann, wenn sie über dieErhöhung entscheidet .Auch angesichts der Tatsache, dass die Rente derRentnerinnen und Rentner, die vorher den Mindestlohnerhalten haben, weit unterhalb der Grundsicherung imAlter liegt – wir wissen, dass der Mindestlohn bei über11 Euro liegen müsste, damit wir das ausgleichen kön-nen –,
sage ich: Sie haben zwar einen Mindestlohn vereinbart,aber er ist leider ein Mangellohn geblieben . Mit unserenAnträgen haben Sie jetzt die Chance, die Mängel zu be-seitigen .Ich danke Ihnen fürs Zuhören .
Bevor ich Herrn Dr . Linnemann das Wort erteile,möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung zum Gesetz zur Änderung wasser- undnaturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagungund zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fra-cking-Technologie bekannt geben: abgegebene Stim-men 564, mit Ja haben gestimmt 436, mit Nein habengestimmt 119, Enthaltungen 9 . Der Gesetzentwurf istdamit angenommen .Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 553;davonja: 435nein: 109enthalten: 9JaCDU/CSUKatrin AlbsteigerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Dr . André BergheggerDr . Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerDr . Maria BöhmerNorbert BrackmannMichael BrandDr . Reinhard BrandlHelmut BrandtDr . Ralf BrauksiepeDr . Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachHermann FärberUwe FeilerDr . Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDr . Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr . Astrid FreudensteinDr . Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr . Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr . Stephan HarbarthJürgen HardtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingDr . Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannThorsten Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M . HuberHubert HüppeThomas JarzombekSylvia JörrißenDr . Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr . Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterDr . Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr . Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenKlaus Ernst
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Markus KoobCarsten KörberKordula KovacMichael KretschmerDr . Günter KringsRüdiger KruseDr . Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr . Karl A . LamersAndreas G . LämmelDr . Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerPaul LehriederDr . Katja LeikertDr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr . Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr . Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr . h . c . Hans MichelbachDietrich MonstadtKarsten MöringVolker MosblechElisabeth MotschmannDr . Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergLothar RiebsamenIris RipsamJohannes RöringKathrin RöselDr . Norbert RöttgenErwin RüddelAndreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja SchmittPatrick SchniederNadine Schön
Dr . Ole SchröderDr . Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe SchummerArmin Schuster
Christina SchwarzerJohannes SelleDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr . Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr . von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlLena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr . Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerDr . h . c . Albert WeilerMarcus Weinberg
Dr . Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerBarbara WoltmannHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr . Katarina BarleyDoris BarnettKlaus BarthelDr . Matthias BartkeSören BartolBärbel BasLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr . Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMartin BurkertDr . Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr . Daniela De RidderDr . Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr . h . c . Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Johannes FechnerDr . Fritz FelgentreuElke FernerDr . Ute Finckh-KrämerGabriele FograscherDr . Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesIris GleickeAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang Hellmich
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Dr . Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr . Eva HöglMatthias IlgenFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr . Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr . Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerDetlef Müller
Michelle MünteferingDr . Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetrySabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr . Sascha RaabeDr . Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDennis RohdeDr . Martin RosemannRené RöspelDr . Ernst Dieter RossmannSusann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr . Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr . Nina ScheerMarianne SchiederDr . Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr . Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannBrigitte ZypriesNeinCDU/CSUDr . Michael FuchsDIE LINKEJan van AkenHerbert BehrensKarin BinderMatthias W . BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr . Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDr . André HahnHeike HänselDr . Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerJutta KrellmannSabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertDr . Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr . Petra SitteKersten SteinkeDr . Kirsten TackmannDr . Axel TroostKathrin VoglerHalina WawzyniakKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska BrantnerAgnieszka BruggerKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr . Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringAnja HajdukBritta HaßelmannBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr . Tobias LindnerPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr . Konstantin von Notz
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 180 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . Juni 201617814
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Omid NouripourFriedrich OstendorffLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr . Gerhard SchickDr . Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr . Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr . Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr . Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr . Valerie WilmsEnthaltenCDU/CSUHans-Georg von der MarwitzDr . Mathias MiddelbergDetlef SeifReinhold SendkerSPDMarco BülowChristina Jantz-HerrmannLars KlingbeilDr . Hans-Ulrich KrügerDetlev PilgerJetzt geht es weiter mit dem Mindestlohn . Dr . CarstenLinnemann für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächsteRedner .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Herr Ernst, wir haben es im Gesetz bewusst soformuliert, dass nicht die Partei Die Linke die Löhnein Deutschland festlegt . Seit Jahrzehnten handeln inDeutschland die Tarifpartner die Löhne aus . Deswegengibt es auch eine Mindestlohnkommission der Tarifpart-ner, die die Löhne festlegt . Ich glaube, die Koalition ausCDU, CSU und SPD hat es richtig gemacht, dass nichtdie Linke, sondern die Tarifpartner in Deutschland Min-destlöhne festlegen .
Herr Ernst, mir geht es eigentlich um einen anderenPunkt . Es ist ganz interessant: In Ihrem Antrag spre-chen Sie davon, dass sich die Kritik des Mittelstandsin Deutschland am Mindestlohn an den hohen bürokra-tischen Hürden festmacht . Ich habe mir die Umfragendes Deutschen Industrie- und Handelskammertags an-gesehen . Es stimmt: 60 bis 70 Prozent der Betriebe inDeutschland sagen: Es gibt zu viel Bürokratie . Aber in-teressant ist, Herr Ernst, die Schlussfolgerung, die Sie inIhrem Antrag daraus ziehen . Ich zitiere:Die Behauptung einer vermeintlich überbordendenBürokratie hat einzig den Zweck, den Mindestlohnzu unterlaufen .Damit unterstellen Sie diesen 60 bis 70 Prozent Mittel-ständlern in Deutschland, die bei den Umfragen der In-dustrie- und Handelskammern mitgemacht haben, dasssie das Thema Bürokratie ansprechen, um den Min-destlohn auszuhebeln . Sie stellen die Mittelständler inDeutschland einmal mehr unter Generalverdacht
und sorgen so dafür, dass es eine Kultur des Misstrauensgibt . Dafür darf es keinen Platz geben in Deutschland .Da müssen wir aufpassen . Das kritisiere ich an IhremAntrag .
Wenn ich so etwas lese, dann frage ich mich: Was den-ken Sie eigentlich über die Unternehmer in Deutschland,über den ganz normalen Mittelstand? Ich kann nicht inIhren Kopf schauen,
aber ich kann Ihnen sagen: Ich habe viele Mittelständlerin Deutschland besucht . Das sind Familienunternehmen,Gott sei Dank, sie sind oft in der Fläche, im ländlichenRaum, angesiedelt . Sie kennen ihre Mitarbeiter persön-lich . Sie haben nicht nur ein Interesse an der Zukunft desUnternehmens, sondern auch ein Interesse am Wohl derMitarbeiter selbst . Sie sehen den Menschen . Sie möch-ten, dass auch er eine Zukunft hat .Sie sehen den Unterschied, wenn Sie zum Beispielnach Frankreich schauen . Dort gibt es nur noch die Groß-industrie konzentriert auf Paris . Der Mittelstand brichtweg . Deswegen bin ich froh, dass wir die Familienunter-nehmen in Deutschland noch haben . Sie dürfen sie nichtunter Generalverdacht stellen .
Lassen Sie mich auf einen konkreten Punkt eingehen,Stichwort Bürokratie und Dokumentationspflichten. Ichwill Ihnen das Beispiel Praktikum nennen . Das ist sehrinteressant . Es gibt eine aktuelle Umfrage des ifo-Insti-tutes . Dort heißt es: Vor Einführung des Mindestlohnsim Januar 2015 haben noch 70 Prozent der Unternehmenangegeben, sie böten freiwillig Praktika an, heute sindes nur noch 34 Prozent . – Jetzt wird es interessant: Ähn-lich sieht die Entwicklung bei den Pflichtpraktika aus,die von Schulen oder Hochschulen im Rahmen der Aus-bildung vorgesehen sind; Klammer auf: Sie sind nichtmindestlohnpflichtig. Hier sank der Anteil von 62 auf34 Prozent . Als Gründe gaben sie an: Unsicherheit, Do-kumentationspflichten usw. Diese Unsicherheit müssenwir den Firmen nehmen .Dieses Beispiel zeigt, dass diese Bürokratie nicht dieGeneration Praktikum abschafft, was wir alle wollen,sondern in vielen Bereichen das Praktikum selbst . Des-wegen brauchen wir Planungssicherheit und Bürokratie-abbau . Wir sollten diese Bedenken ernst nehmen .
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 180 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . Juni 2016 17815
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Herr Linnemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ich bin beim letzten Satz . Danach kann er gerne fra-
gen .
Das wäre die einzige Zwischenfrage in dieser Debatte .
Erlauben Sie, dass Klaus Ernst die einzige Zwischenfra-
ge in dieser Debatte stellt?
Ja, jetzt muss ich sie ja erlauben .
Ich will erklären, warum das die einzige Zwischen-
frage ist: Wir haben heute noch eine lange Tagesordnung
und Fraktionssitzungen vor uns, und nach aktuellem
Stand tagen wir heute bis 17 Uhr .
Eine Zwischenfrage lasse ich zu, und das war es dann .
Danke, dass Sie die Frage bzw . Bemerkung zulas-
sen . – Herr Linnemann, Sie haben gesagt, dass Sie nicht
in meinen Kopf schauen können. Danach fiel die Bemer-
kung: „Ein Glück!“ Ich weiß auch nicht, was in Ihrem
Kopf vorgeht und warum Sie auf unsere Anträge bis jetzt
mit keinem Satz eingegangen sind . Es geht um ganz kon-
krete Dinge, nämlich um die Ausnahmeregelungen, und
nicht allgemein um den Mittelstand . Ich würde gerne von
Ihnen hören, ob Sie dem Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung widersprechen, das zu dem Ergebnis
gekommen ist, dass die Ausnahmeregelungen bei den
Langzeitarbeitslosen Unfug sind . Es wäre schön, wenn
wir dazu noch was hören würden .
Dann haben Sie gefragt, welches Bild von den Un-
ternehmern wir haben . Herr Linnemann, wenn es um
Kontrollen in Sachen Schwarzarbeit geht, äußern sich
Vertreter Ihrer Fraktion in übelster Weise und polemisch
über die Kontrolleure . Ich kann mich erinnern, dass Herr
Fuchs hier gesagt hat: Es kommen bewaffnete Zöllner-
truppen in die Betriebe und kontrollieren die Einhaltung
des Mindestlohns . – Wenn man in der Öffentlichkeit so
über den Mindestlohn debattiert, ist klar, dass Ihre Kli-
entel auf die Idee kommt, zu fragen: Warum wird das
eigentlich kontrolliert? Das ist doch bloß Bürokratie! –
Wissen Sie, was in diesem Zusammenhang bürokratisch
ist? Die Ausnahmeregelungen sind bürokratisch . Wenn
Sie die Ausführungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung lesen, kommen Sie zu der Erkenntnis,
dass wir weniger Bürokratie hätten, wenn wir die Aus-
nahmeregelungen abschaffen würden .
Ich bin der Meinung, Sie sollten dazu einmal etwas sa-
gen; denn es wäre ein echter Abbau der Bürokratie, wenn
man die Ausnahmeregelungen beenden würde .
Herr Ernst, das war eine Stellungnahme von Ihnen .
Ja, das sieht die Geschäftsordnung aber vor . Man kann
fragen oder eine Stellungnahme abgeben .
Ja . – Herr Ernst, wir können uns gerne über alle Än-
derungen unterhalten . Es ist aber nicht in Ordnung, dass
Sie sich nur eine oder zwei Änderungen herausnehmen .
Wenn wir uns über Änderungen unterhalten, dann müs-
sen wir auch über die Auftraggeberhaftung, die Prakti-
kanten usw . reden .
– Nein, überhaupt nicht . Wenn, dann müssen Sie konse-
quent bleiben .
Was mich gestört hat, ist der Ton, ist diese rote Li-
nie . Sie stellen die Unternehmen unter Generalverdacht .
Sie müssen einfach wissen, dass das nicht gut für dieses
Land ist, auch nicht für das soziale Klima . Es ist einfach
so, dass der deutsche Mittelstand den Sozialstaat trägt .
Nur mit ihm ist er möglich .
Herzlichen Dank .
Sind Sie schon fertig? – Gut . Sechs Minuten ver-
schenkt . Danke schön, Herr Dr . Linnemann .
Die nächste Rednerin: Brigitte Pothmer für Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin, ich gehe davon aus, dass die Rede-
zeit, die Herr Linnemann nicht in Anspruch genommen
hat, mir gutgeschrieben wird .
Ich bin mir nicht sicher, ob die Geschäftsführer demzustimmen würden, aber bitte .
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Linnemann, es hätte Ihnen nach der vielen Kritik, die Sie
am Mindestlohn und dessen Einführung geäußert haben,
gut angestanden, jetzt einmal zu sagen: Dieser Mindest-
lohn ist eine Erfolgsgeschichte .
Trotz aller Unkenrufe sind die Arbeitsplatzverluste, die
Sie prognostiziert haben, ausgeblieben .
aber leider eben nicht bei allen . Unter dem Vorwand,
Langzeitarbeitslose durch Billiglöhne schneller in den
Arbeitsmarkt integrieren zu können, wurden Langzeitar-
beitslose für sechs Monate vom Mindestlohn ausgenom-
men .
Schon damals hat es sehr viel Kritik an diesem Vor-
schlag gegeben . Alle Arbeitsmarktexperten haben darauf
hingewiesen, dass Langzeitarbeitslose eine sehr hetero-
gene Gruppe sind, die keinesfalls über einen Kamm ge-
schoren werden darf . Sie haben auch darauf hingewiesen,
dass es weitaus bessere und zielgenauere Instrumente
gibt, um Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu in-
tegrieren . Leider hat sich die Union zum Schaden der
Langzeitarbeitslosen gegen jeden Sachverstand dickköp-
fig durchgesetzt.
Die Langzeitarbeitslosen sind das Bauernopfer im Streit
um den Mindestlohn, die auf dem Altar des Koalitions-
friedens geopfert worden sind . Es ist Ihnen nie um die
Menschen gegangen .
Jetzt ist dieser Vorwand nun wirklich wie ein Karten-
haus zusammengebrochen . Der Evaluationsbericht des
IAB liegt vor, und die Ergebnisse sind wahrlich vernich-
tend .
Dort steht: Die Ausnahme ist in jeder Hinsicht in Bezug
auf die erwarteten Effekte wirkungslos . Sie geht an den
Herausforderungen bei der Betreuung von Langzeitar-
beitslosen vorbei . Die Regelung wirkt diskriminierend .
Last, but not least ist diese Regelung auch noch extrem
teuer . Für 2 000 Bescheinigungen wurde über eine Vier-
tel Million Euro ausgegeben . So gehen Sie mit Steuer-
geldern um .
Mit anderen Worten: Diese Regelung ist teuer und
schlecht . Sie hat keinerlei Daseinsberechtigung . Sie
muss weg, und zwar sofort .
– Das ist vollkommen falsch . Dafür gibt es überhaupt
keinen Hinweis, ganz im Gegenteil .
Die Ausstellung von Bescheinigungen gibt noch keinen
Hinweis darauf, dass die Menschen in den Arbeitsmarkt
integriert worden sind . Das können Sie im IAB-Gutach-
ten nachlesen, Herr Schiewerling .
Diese Regelung ist wirkungslos . Sie ist diskriminie-
rend . Sie muss sofort weg . Wenn Sie, nachdem das nun
endgültig unter Beweis gestellt worden ist, immer noch
an dieser Regelung festhalten, dann machen Sie wirk-
lich deutlich, dass es Ihnen zu keinem Zeitpunkt um die
Langzeitarbeitslosen gegangen ist und dass Ihre Politik
mit Sachpolitik nichts zu tun hat, sondern pure Ideologie
ist .
Sie entwerten damit natürlich auch die Arbeit von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern . Ich frage
Sie: Warum machen wir so teure und aufwendige Unter-
suchungen, wenn deren Ergebnisse in der Politik über-
haupt keinen Niederschlag finden?
– Das ist es wert . – Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Union, Herr Schiewerling, ich bitte jetzt wirklich ein-
mal um Ihre Aufmerksamkeit .
Das muss aber schnell gehen .
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Herr Schiewerling, ich hoffe, dass Sie dabei auch et-
was lernen .
Ich nehme jetzt einmal keinen Geringeren als Epikur
zur Hilfe, der einmal gesagt hat – ich zitiere –: „Der
Beginn des Heils ist die Erkenntnis des Fehlers .“ Herr
Schiewerling, carpe diem, nutzen Sie diesen Tag, und
stimmen Sie heute dafür, dass diese diskriminierende und
wirkungslose Regelung endgültig abgeschafft wird .
Vielleicht abschließend noch ein kleiner Hinweis an
die SPD: Ich gehe davon aus, dass Sie heute für diesen
Antrag, also für die Abschaffung der Sonderregelung für
Langzeitarbeitslose, stimmen werden . Frau Mast hat ja
bereits öffentlich erklärt, dass diese Regelung weg muss,
dass sie gestrichen werden muss . Ich kann mir einfach
nicht vorstellen, dass die SPD ihre arbeitsmarktpolitische
Sprecherin im Regen stehen lässt .
Liebe SPD, es gibt nichts Gutes, außer man tut es .
Ich danke Ihnen .
Vielen Dank, Brigitte Pothmer . – Das Wort hat jetzt
Katja Mast für die SPD .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Ich habe zwar nicht Epikur im Gepäck,aber Heribert Prantl . Er hat zur Einführung des Mindest-lohns gesagt: Der Mindestlohn zählt zu den größten sozi-alpolitischen Errungenschaften der Nachkriegszeit . – Ichfinde: Er hat recht.
Herr Ernst, genau das ist das Problem Ihrer Fraktion .Sie haben versäumt, dieser großen sozialpolitischen Er-rungenschaft der Nachkriegszeit zuzustimmen .
Wir sind stolz darauf, dass wir den Mindestlohn nachzehn Jahren Kampf an der Seite der Gewerkschaften ein-geführt haben . Das ist ein Leidenschaftsthema der Sozi-aldemokratischen Partei Deutschlands .
Der Mindestlohn schützt Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer vor Niedriglöhnen – im Übrigen über 4 Millio-nen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer .
Der Mindestlohn schützt die Steuerzahlerinnen und Steu-erzahler in dieser Republik, weil sie nicht mehr Dum-pinglöhne durch Steuermittel subventionieren müssen .
Der Mindestlohn schützt die ehrlichen und anständigenArbeitgeberinnen und Arbeitgeber, weil sie sich auch ge-gen Schmutzkonkurrenz besser wehren können .
Das ist die ethische Frage, die Frage nach der Würde derArbeit und danach, was soziale Marktwirtschaft heutebedeutet .
Aber der Mindestlohn hat auf der anderen Seite auchandere Auswirkungen . Wie viele Unkenrufe haben wirgehört, dass es durch den Mindestlohn zu bis zu 1,2 Mil-lionen Arbeitslosen zusätzlich komme .
Unkenruf widerlegt: geringste Arbeitslosenquote seit24 Jahren in Deutschland .Unkenruf zwei: Die Zahl der sogenannten Aufstocke-rinnen und Aufstocker bleibt gleich oder steigt gar an . –Fakt ist: Es gibt Hunderttausende Aufstockerinnen undAufstocker weniger in der Bundesrepublik Deutschland .Unkenruf widerlegt .
Unkenruf drei: Der Mindestlohn wird der Wirtschaftschaden . – Im Gegenteil: Er nutzt der Wirtschaft . Seltenwar die Kaufkraft in Deutschland so hoch wie heute . Ge-ringverdiener haben einen Lohnzuwachs von 5 Prozentdurch den Mindestlohn . Unkenruf widerlegt .
Unkenruf vier war immer: Der Mindestlohn ist ein un-verhältnismäßiger Preistreiber . – Ja, es gab ganz wenigemoderat angestiegene Preise . Wir fahren weiterhin Taxi,wir gehen weiterhin zum Friseur, und wir nehmen andereDienstleistungen in Anspruch . Auch dieser Unkenruf istwiderlegt. – Ich finde: Heribert Prantl hatte recht.
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Ihre Anträge geben mir die Möglichkeit, etwas zu einpaar aktuellen Entwicklungen zu sagen .
Wir können heute über den IAB-Bericht reden, dessenÜberschrift übrigens „Mindestlohnbegleitforschung –Überprüfung der Ausnahmeregelung für Langzeitarbeits-lose“ lautet und der diese Woche dem Parlament zuge-gangen ist .
Dass er nach 18 Monaten dem Parlament zugegangen ist,ist ein Erfolg der Koalitionspartner in den Verhandlungenzu diesem Gesetzentwurf im Parlament, weil vorgesehenwar, ihn nach 24 Monaten zu erstellen . Wir sind froh,dass wir das heute machen können .
Die Regelung hat sich aus Sicht der SPD – FrauPothmer, ich wiederhole gerne meine Aussagen, die ichschon öffentlich gemacht habe – nicht bewährt .
Wir waren von Anfang an der Meinung: Sie ist stigma-tisierend .
Wir wissen jetzt, dass sie kaum genutzt wird . Sie verfehltdamit aus Sicht der Sozialdemokraten das Ziel, Men-schen in Arbeit zu bringen . Aus unserer Sicht kann siegestrichen werden .
Die eigentliche Botschaft dieser Absenkung des Min-destlohns ist nämlich: Arbeit lohnt sich für dich nicht . –Das ist nicht die Haltung der SPD .
Aber wie in jeder ordentlichen Koalition brauchen wirauch in unserer Koalition Bündnispartner,
weil wir gemeinsam verabredet haben – das müssten dieGrünen, die mal irgendwo in Regierungsverantwortungwaren, auch wissen –: In der Koalition gibt es nur ge-meinsame Mehrheiten im Deutschen Bundestag . Des-halb müssen wir das mit unserem Koalitionspartner be-sprechen .
Übrigens: Auch Frau Nahles ist der Meinung, dassdiese Ausnahme beim Mindestlohn gestrichen werdenkann . Ich will noch einmal sachlich etwas erläutern .Wenn es tatsächlich notwendig ist, dass jemand nachlanger Arbeitslosigkeit zu Beginn seiner Beschäftigungunterhalb des Mindestlohnniveaus bezahlt werden soll,so stehen dafür bereits bewährte Instrumente der Arbeits-marktpolitik zur Verfügung, die übrigens im Gegensatzzu dieser Absenkung auch angewandt werden, etwa derEingliederungszuschuss . Bei der Absenkung des Min-destlohns geht es um sechs Monate; der Eingliederungs-zuschuss kann für Langzeitarbeitslose bis zu zwölf Mo-nate gewährt werden – er wird übrigens auch recht oftgewährt –, und man kann bis zu 50 Prozent der Lohn-kosten bis zu einer Höhe von 657 Euro vom Jobcenterbekommen . Diese Absenkung des Mindestlohns passtauch gar nicht in die Instrumentenlandschaft, mit der wirLangzeitarbeitslose in Beschäftigung bringen . Deshalbsind wir ganz klar für eine Abschaffung . – Das war daserste aktuelle Thema .Das zweite Thema – auch darüber wurde heute ge-sprochen – betrifft die Anrechnung von Sonderzahlungenauf den Mindestlohn . Die Frage war, wie wir damit um-gehen . Ja, es gibt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts,das uns alle beunruhigt . Es beunruhigt uns deshalb, weilwir glauben, dass es dazu kommen könnte, dass selbst13 . Monatsgehälter auf den Mindestlohn angerechnetwerden . Das war bisher nie unsere Auffassung und auchnicht die Auffassung der Bundesregierung . Allerdings:Im Gegensatz zu den Antragstellern mache ich da kei-nen Schnellschuss; denn die Begründung des Urteils liegtnoch nicht vor . Deshalb bin ich auch froh, dass wir heutenicht darüber abstimmen, sondern uns Zeit nehmen,
um gemeinsam darüber zu diskutieren .Zum Dritten: zur Debatte um die Mindestlohnkom-mission und die Erhöhung des Mindestlohns . Ich bin mirsicher, dass die Mindestlohnkommission nächste Wocheeine gute Empfehlung abgeben wird .
Wir haben bewusst die Tarifvertragsparteien in die Min-destlohnkommission geholt, damit die Lohnfindungnicht im Parlament stattfindet, sondern mit den Tarifver-tragspartnern .
Damit haben wir historisch sehr gute Erfahrungen ge-macht . Wir wollen nicht zurück zu den Verhältnissen derWeimarer Republik, in der das anders war .
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit?
Ich komme gleich zum Schluss .
Sie kommen bitte zum Schluss!Katja Mast
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Die Mindestlohnkommission wird, wie gesagt, eine
gute Entscheidung treffen . Ich will ihr mit auf den Weg
geben,
dass sie eine Gesamtabwägung vorzunehmen hat und
sich nicht ausschließlich am Tarifindex orientieren darf;
das steht so im Gesetz .
In diesem Sinne: Der Mindestlohn ist ein großer Er-
folg . Er zählt zu den größten sozialpolitischen Errungen-
schaften der Nachkriegszeit . Wir freuen uns, dass es uns
2015 gelungen ist, ihn einzuführen .
Vielen Dank .
Nächster Redner: Matthäus Strebl für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen undKollegen! Der gesetzliche Mindestlohn hat seit seinerEinführung 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmern höhere Löhne beschert . Zusätzlich wurden vielegeringfügige in sozialversicherungspflichtige Beschäfti-gungsverhältnisse umgewandelt . Wenn wir heute, nacheineinhalb Jahren, fraktionsübergreifend Bilanz ziehen,kann schon jetzt ohne Übertreibung gesagt werden – ichwiederhole es –: Es ist ein Erfolg, dass der Mindestlohneingeführt worden ist .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, besondersim Einzelhandel und in der Gastronomie, um zwei Bran-chen zu nennen, profitieren viele Menschen vom gesetz-lichen Mindestlohn . Dies bestätigen auch die Zahlen: Inder Gastronomie stieg die Zahl der Vollbeschäftigten um1,5 Prozent, die Zahl der Teilzeitbeschäftigten sogar um1,8 Prozent . Von einem befürchteten Abbau von Arbeits-plätzen, besonders in der Gastronomie, wenn ich dabeibleiben darf, kann nicht die Rede sein . Der Mindestlohnbringt in erster Linie Gerechtigkeit für die Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer . Besonders Frauen, die häu-fig im Niedriglohnsektor arbeiten, profitieren davon. Siehaben einen Anteil von 62 Prozent an den vom Mindest-lohn geschützten gering bezahlten Tätigkeiten .Entgegen der ersten Vermutung profitieren nicht nurArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Mindestlohn .Nein, er ermöglicht auch Gerechtigkeit für die Unter-nehmen . Wettbewerbsverzerrungen und Lohndumpingwerden verhindert . Benachteiligt wurden in der Vergan-genheit ausgerechnet die Unternehmen, die ihren Be-schäftigten angemessene Löhne gezahlt haben .Werte Kolleginnen und Kollegen, über den Mindest-lohn wurde vor seiner Einführung über Jahre hinwegkontrovers diskutiert . Die Meinungen hierzu gehen weitauseinander: Für die einen ist er ein unerlaubter Eingriffin die unternehmerische Freiheit und für die anderen einsoziales Wundermittel . Beide Ansichten halte ich fürübertrieben .Vor der Einführung des Mindestlohns wurde vor denGefahren des Mindestlohns gewarnt . Ich nenne nur eini-ge Beispiele aus der Zeit: Verlust von Arbeitsplätzen, un-nötige Bürokratie oder nicht zu rechtfertigende Eingriffein die Privat- und Tarifautonomie . Eingetreten sind dieBefürchtungen nicht .Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die gute Kon-junktur und der positive Arbeitsmarkt für den Mindest-lohn hilfreich sind . Der Arbeitsmarkt in Deutschland istso gut wie lange nicht . Nach den Prognosen des Deut-schen Industrie- und Handelskammertages wird die Zahlder Beschäftigten in Deutschland in diesem Jahr zum elf-ten Mal in Folge steigen .Allein im April dieses Jahres gab es über 43 Millio-nen Erwerbstätige, und die deutsche Wirtschaft befindetsich weiterhin in einer robusten Verfassung . Das ist vorallem durch höhere Investitionen und Konsumausgabenbedingt . Natürlich sind die meisten Arbeitgeber bereit,ihr gutes und qualifiziertes Personal angemessen zu ent-lohnen .Ich sage aber auch: Gleichwohl muss der Mindestlohnim Einklang mit der Wettbewerbsfähigkeit stehen . Sonstwürden wir hier auch Arbeitsplätze vernichten .In den Regelungen zum Mindestlohn haben wir so-wohl Übergangsregelungen für einige Branchen als auchAusnahmen verankert . Ich möchte hier einige nennen:Insbesondere die Ausnahme vom Mindestlohn für Be-schäftigte unter 18 Jahren halte ich für besonders sinn-voll . Damit wollen wir verhindern – das ist der Punkt –,dass junge Menschen wegen besser bezahlten Hilfstätig-keiten auf eine Ausbildung verzichten; denn eine Aus-bildung hat für die späteren Berufsjahre einen ungemeinhohen Wert .
Mit der Ausnahme vom Mindestlohn für Langzeitar-beitslose
wollten wir Anreize schaffen, Menschen mit unterbro-chenen Erwerbsbiografien wieder einzustellen. Ich sagte:„wollten wir“ .Im Ausschuss wurde uns in dieser Woche von derParlamentarischen Staatssekretärin Lösekrug-Möller einBericht der Bundesregierung über die Wirksamkeit die-ser Regelung angekündigt, und ich begrüße es, dass die
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Vorlage zeitnah erfolgen soll . Ich denke schon, dass wiruns so lange gedulden sollten .
Meine Damen und Herren, 8,77 Euro oder 10 Euro:Über die Anpassung des Mindestlohns durch die Min-destlohnkommission kursieren in den Medien unter-schiedlichste Zahlen .
Viele Forderungen halte ich für überhöht; denn sie die-nen nur der Stimmungsmache bei den Wählerinnen undWählern . Ich halte es für wichtig, das Thema nicht zuinstrumentalisieren .Oft wird das Argument genannt, dass ein Gehalt aufMindestlohnniveau auch nach 45 Beitragsjahren nichtfür eine Rente oberhalb der Grundsicherung ausreicht .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von derLinken, dabei werden hier aber bestimmte Punkte über-sehen:Die meisten Beschäftigten werden in ihrem Arbeitsle-ben nicht ausschließlich nur einen Mindestlohn verdie-nen .
Der Mindestlohn definiert, wie uns allen bekannt ist, eineLohnuntergrenze . Bedingt durch Erfahrung und Qua-lifikation steigt bei vielen Beschäftigten im Laufe desBerufslebens der Lohn . Auch wird unterschlagen, dassMenschen oft eine zusätzliche Altersvorsorge oder einweiteres Einkommen haben .Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Siemich abschließend und zusammenfassend sagen: SowohlBeschäftigte als auch Arbeitgeber bewerten den Min-destlohn durchweg positiv . Warten wir den Bericht desBundesministeriums für Arbeit und Soziales ab, um dannweitere Schritte zu gehen und Entscheidungen zu fällen .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Herr Strebl . – Letzter Redner in der De-
batte: Bernd Rützel .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Der Weg bis zur Ein-führung des Mindestlohns war lang, schwierig und äu-ßerst erfolgreich .
Deswegen bin ich sehr froh, dass wir fast auf den Tag ge-nau vor zwei Jahren diesen Mindestlohn auf den Weg ge-bracht haben. Seit dem 1. Januar 2015 profitieren 4 Mil-lionen Menschen von diesem Mindestlohn .Keines der Horrorszenarien ist eingetreten . Es wurdevieles prophezeit,
aber die Minijobs sind in sozialversicherungspflichtigeJobs umgewandelt worden,
und das ist wichtig für unsere ganze Volkswirtschaft undfür jeden Einzelnen .
– Es langt immer „nie“ . Aber man muss auch gucken:Was ist realistisch umsetzbar? Ich glaube, wir haben ge-nau das Richtige getan . Es ist schön, dass wir das gewe-sen sind und dass wir nach so einem langen Weg dabeiwaren, diesen Mindestlohn einzuführen .
Die Anhörung am 14 . März dieses Jahres hat deutlichgezeigt, dass die Einführung in den Betrieben meistensproblemlos verlaufen ist . Ich will hier die Stellungnahmedes Kommissariats der Deutschen Bischöfe zu der Anhö-rung zitieren, in der es heißt – ich zitiere –:Erhebliche Probleme sind im kirchlichen ein-schließlich des sozial-karitativen Bereichs mit derEinführung des Mindestlohns in der Praxis nichtaufgetreten .Ich könnte hier noch einige Beispiele aufzählen . Aberich will jetzt etwas zu Ihren Anträgen sagen . Es ist be-kannt, dass die SPD bei der Verabschiedung des Gesetzesdamals kein Freund der Ausnahmen vom Mindestlohngewesen ist und auch heute nicht ist, weder derer für dieunter 18-Jährigen noch derer für Langzeitarbeitslose;denn die Lohnuntergrenze sollte für alle gelten . Aber wirsind auch nicht alleine auf der Welt . Wir mussten Kom-promisse eingehen . Das ist so, wenn man regiert . In derOpposition ist das vielleicht leichter .
Die Sonderregel für die Langzeitarbeitslosen ist, wieSie es beschrieben haben und wie wir das auch in demBericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-Matthäus Strebl
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schung, des IAB, gelesen haben, als nutzlos und als sinn-los bezeichnet worden .
Es hieß in dem Bericht auch, dass die befürchteten Dreh-türeffekte, wonach viele Menschen aus der Langzeitar-beitslosigkeit herausgeholt, für sechs Monate eingestelltund dann entlassen werden, überhaupt nicht eingetretensind . Darüber hinaus hätten die Ausnahmeregelungen beiden Arbeitsvermittlern unnötige Arbeit verursacht, undsie erschwerten die Kontrolle des Mindestlohns .
Daher sollte man diese Ausnahmen im Prinzip aus demGesetz streichen .
Das hat auch unsere Bundesministerin Andrea Nahlesvorgeschlagen . Allerdings wird niemandem entgangensein, dass es seit der Einführung des Mindestlohnes im-mer wieder bis heute die heftigsten Forderungen nachAusnahmen, nach Rücknahme und nach der Einschrän-kung von Kontrollen gab . Ich könnte mir vorstellen, dasseinige Gruppen nur darauf warten, hier Verschlechterun-gen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu errei-chen .
Das wird die SPD nicht zulassen .
Zum Thema bessere Werkzeuge . Meine KolleginKatja Mast, unsere Sprecherin, die wir, Frau Pothmer,niemals im Regen stehen lassen – wir stehen nämlich zu-sammen, wenn es darauf ankommt; deswegen sind wirerfolgreich –,
hat darauf hingewiesen, dass wir gute Programme haben .Ich erinnere an das Programm „Soziale Teilhabe am Ar-beitsmarkt“, bei dem es auch immer heißt, das sei zu we-nig, das aber in der Wirklichkeit seine Wirkung entfaltet .Ich erinnere an den ESF .
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir weiter-hin alles daransetzen müssen, die beruflichen Perspekti-ven gerade von Langzeitarbeitslosen immer wieder aufdie Tagesordnung zu setzen und täglich etwas dafür zutun . Aber das ist schwierig; das steht auch im IAB-Be-richt .Was den Mindestlohn angeht, will ich zusammenfas-send sagen, dass dies eine sehr große Erfolgsgeschichtewar und ist und sein wird . Wir haben diesen Mindestlohnpolitisch nur einmal festgelegt – wir waren damals inLondon und haben uns das angeguckt –
und überlassen ansonsten die Festlegung des Mindest-lohns der Kommission . Diese Kommission wird bei ih-rer Festlegung des Mindestlohns alle Punkte ordentlichberücksichtigen, bekannt gegeben wird er am nächstenDienstag . Ich bin sicher: Der Mindestlohn wirkt . Er isteine Erfolgsgeschichte .Danke schön .
Vielen Dank, Kollege Rützel .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8864 mit dem
Titel „Mindestlohn für die Beschäftigung von Langzeit-
erwerbslosen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine . Der Antrag
ist abgelehnt . Zugestimmt haben die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen . Dagegengestimmt haben CDU/CSU
und die SPD .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 26 b . Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Arbeit und Soziales zum Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Mindestlohn sichern – Umgehun-
gen verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/8278, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4183 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Dagegengestimmt hat die Linke . Enthal-
ten haben sich Bündnis 90/Die Grünen .
Interfraktionell ist vereinbart worden, jetzt die Sitzung
zu unterbrechen . Voraussichtlich werden die Sondersit-
zungen eine Stunde dauern, also bis gegen 13 .45 Uhr .
Der Wiederbeginn wird Ihnen aber rechtzeitig durch
Klingelsignal angekündigt . Ich wünsche Ihnen eine gute
Beratung in den Fraktionen zu einem sehr schwierigen
Thema .
Die Sitzung ist jetzt unterbrochen .
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:Erste Beratung des von den Fraktionen derCDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Einführung von Aus-schreibungen für Strom aus erneuerba-Bernd Rützel
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 180 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . Juni 201617822
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ren Energien und zu weiteren Änderun-gen des Rechts der erneuerbaren Energien
Drucksache 18/8860Überweisungsvorschlag Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der KollegeHubertus Heil für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich gebe zu, dass es nicht ganz leicht fällt, andiesem Tag zur Tagesordnung überzugehen, die wir heu-te im Plenum haben . Ich persönlich fühle mich Großbri-tannien von Kindesbeinen an sehr verbunden . Wir allehaben nicht vergessen, dass dieses Land auch von briti-schen Soldaten vom Nationalsozialismus befreit wurde .
Diese Entscheidung darf und wird nicht das Ende vonEuropa sein . Mir ist wichtig, das deutlich zu machen . Dasheißt auch, dass wir in dieser Situation nicht in Angststar-re verfallen dürfen, sondern dafür sorgen müssen, dasswir unsere Arbeit weitermachen . Deshalb ist es danndoch folgerichtig, dass wir die Dinge, die wir heute imBundestag zu beraten haben, abschließen . Das betrifftauch das zentrale Projekt der Energiewende, meine Da-men und Herren .Ich sage vorweg: Wir wollen und wir werden dieEnergiewende in Deutschland zum Erfolg führen . Oderbesser: Sie ist schon heute ein Erfolg .
Wir haben in den letzten Jahren mit zwei zentralen ge-sellschaftlichen Entscheidungen die Energiewende ein-geleitet: mit dem Ausstieg aus der Kernenergie, der nichterst nach Fukushima begann, sondern 1998/2000 ver-einbart wurde, kurzzeitig unterbrochen war, und mit derEntscheidung, sich in einer industrialisierten Gesellschaftsehr ehrgeizige Klimaschutzziele zu stecken . Wir habenmittlerweile einen Anteil der erneuerbaren Energien ander Stromproduktion in Deutschland von 33 Prozent . Dasist eine lange Strecke, eine lange Lernkurve . Ich will da-ran erinnern, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz, daswir heute anfangen, grundlegend zu reformieren, einge-führt wurde zur Markteinführung erneuerbarer Energien .Aber bei 33 Prozent Marktanteil kann man nicht mehrvon Markteinführung reden . Vielmehr werden die Er-neuerbaren jetzt Stück für Stück zur tragenden Säule derEnergieproduktion in Deutschland .Deshalb müssen wir mit diesem Gesetz zwei Dingeauf den Weg bringen . Zum einen gilt es, mit einem neuenSystem dafür zu sorgen, dass wir von einer Preissteue-rung zu einer Mengensteuerung kommen, das heißt, dasswir über das marktwirtschaftliche Instrument der Aus-schreibung für mehr Kosteneffizienz beim Ausbau aufder nächsten Strecke bis 2025 sorgen; denn es geht jetztvon 33 Prozent Anteil der Erneuerbaren an der Strom-produktion in Deutschland in Richtung 45 Prozent in dennächsten Jahren . Zum anderen müssen wir dafür sorgen,dass das systemintegriert geschieht, das heißt, dass derAusbau der Netze mit dem Ausbau der ErneuerbarenSchritt halten kann . Dafür sorgt dieses Gesetz, meine Da-men und Herren .
Wir haben nach wie vor – ich sage das auch den Kol-legen der Grünen, weil ich mir lebhaft vorstellen kann,dass die Reden, die sie schon 2014 zum Gesetz gehaltenhaben, jetzt wieder aufgetischt werden –
sehr ambitionierte Ausbauziele beim Ausbau der erneu-erbaren Energien . Wie gesagt: Das Ziel ist 45 Prozent imJahr 2025 .Aber mit dem Paradigmenwechsel, den wir jetzt voll-ziehen, von festen Einspeisevergütungen für den Ausbauhin zu Ausschreibungen, bei denen das kosteneffizientes-te Angebot zum Zuge kommen kann, sorgen wir dafür,dass die Korridore auch eingehalten werden, die wir unsvorgenommen haben . Damit die Systemintegration statt-finden kann, weisen wir den richtigen Weg.Ich bin dankbar und froh, dass es gelungen ist, denBundesminister Sigmar Gabriel 2014 und jetzt erst rechtdafür zu gewinnen, mit diesem Gesetz dafür zu sorgen,dass wir nicht mehr 16 verschiedene Energiewenden inDeutschland haben . Es ist in intensiven Verhandlungengelungen, zu einer Verständigung mit allen Regierungs-chefs der Länder auf das Grundgerüst dieser EEG-Reformzu kommen . Aus den Ländern waren Regierungschefsder SPD, der CDU, einer von der CSU – sehr bekannt –,einer von den Grünen und einer von der Linkspartei da-bei . Deshalb sage ich der Opposition: Tun Sie uns denGefallen und versuchen Sie, im Bundestag nicht wenigerKlugheit an den Tag zu legen, als Ihre Kollegen es ausden Ländern getan haben, die diesen Weg mitgehen .
Wir haben jetzt ein ambitioniertes parlamentarischesVerfahren vor uns . Für meine Fraktion, für die SPD-Bun-destagsfraktion, will ich sagen, dass es neben vielenDetails zumindest drei größere Themen gibt, die wir imparlamentarischen Verfahren mit dem Koalitionspartner,mit der Opposition, mit Experten in der Anhörung dis-Vizepräsidentin Petra Pau
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kutieren wollen, ob es noch zu Änderungen am Entwurfkommt . Es gilt das Struck’sche Gesetz: Keine Regie-rungsvorlage verlässt das Parlament so, wie sie einge-bracht wurde . – Wir sind selbstbewusste Parlamentarier .Wir tragen als Fraktion die Grundlinie mit . Aber es gibtdrei Dinge, über die wir reden wollen:Erstens die Frage, wie wir es hinbekommen, in die-sem System die Akteursvielfalt zu erhalten . Das ThemaBürgerenergie ist uns sehr wichtig . Da hat das Bundes-wirtschaftsministerium einen Vorschlag entwickelt, derin die richtige Richtung geht, damit auch Bürgerenergiezum Zuge kommt . Wir wollen darüber reden, ob wir wei-tere Maßnahmen ergreifen können, um die Hürden beider Teilnahme an den Ausschreibungen abzusenken . Dageht es nicht um eine Regelung, die die Ausschreibungaushöhlt – da sollte sich keiner Illusionen machen –, son-dern um eine Regelung, die faire Chancen zur Teilnahmean der Ausschreibung schafft .Zweitens . Wir wollen darüber reden, ob im Übergangzu den Ausschreibungen die sogenannte Einmaldegressi-on im Jahre 2017, die vorgesehen und vernünftig ist, einStück weit gestreckt werden kann, damit wir dann keinenStop-and-go-Effekt haben . Das werden wir in der Anhö-rung diskutieren und entsprechend behandeln .Drittens . Wir sind der festen Überzeugung, dass wirnoch einmal über das Thema der zuschaltbaren Lastenreden müssen, nämlich über die Frage, ob das, was anüberschüssigem Strom da ist, volkswirtschaftlich sinn-voller verwendet werden kann . Dazu gibt es einen Vor-schlag: Wir wollen untersuchen, ob wir in diesem Be-reich – im Sinne einer Speicherung des überschüssigenStroms – einen Schritt weiter gehen und zumindest eineExperimentierklausel in das Gesetz aufnehmen können .Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe eseingangs gesagt: Wir wollen und wir werden mit die-sem Gesetz die Energiewende zum Erfolg führen . Diesist eine energieintensive Woche: Wir haben hier gesterndas Strommarktgesetz und das Gesetz zur Digitalisierungder Energiewende in zweiter und dritter Lesung beratenund dann beschlossen, jedenfalls viele Kollegen, die imSaal waren . Heute wurde hier im Bundestag das ThemaGasförderung mithilfe von Fracking diskutiert und dasVerbot von unkonventionellem Fracking beschlossen .Wir werden versuchen, in zügigen, aber grundlegendenBeratungen dafür zu sorgen, dass dieses Gesetz noch vorder Sommerpause über die parlamentarischen Hürdenkommt . Wer sagt, das wäre Durchpeitschen, sagt nichtdie Wahrheit . Die Themen sind lange bekannt . Es ist Zeitzu handeln, und das werden wir tun .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir
einen Hinweis: Wir werden die Tagesordnung genau
so, wie sie im Ältestenrat und zwischen den Fraktionen
vereinbart war, gemeinsam abarbeiten . Das Einzige, was
heute entfällt, ist eine namentliche Abstimmung, die für
den Nachmittag angekündigt war . Alle anderen Dinge
werden wie geplant hier stattfinden.
Wir fahren in der Debatte zur EEG-Novelle fort . Das
Wort hat die Kollegin Katja Kipping für die Fraktion Die
Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wirberaten hier über eine Novelle des Erneuerbare-Energi-en-Gesetzes . Ehrlicher wäre gewesen, von einem Ener-giewendeverhinderungsgesetz zu sprechen .
Denn das, was Schwarz-Rot vorgelegt hat, befördert dienotwendige Energiewende nicht; es bremst sie aus .
Schwarz-Rot, die Regierung Merkel/Gabriel wird zumBremsklotz für die Energiewende . Damit versündigenSie sich nicht nur an einer Zukunftsbranche, sondernauch an nachkommenden Generationen .
Nehmen wir nur die Bürgerenergie . Die Hälfte derÖkostromerzeugung kommt aus dem Bereich der Bürger-energie . Das meint Genossenschaften, Bioenergiedörferoder Menschen, die sich zusammenschließen und ge-meinsam in eine Anlage investieren . Bürgerenergie stehtfür eine Nähe zu Verbrauchern und bedeutet eben aucheine wachsende Unabhängigkeit von großen Konzernen .Diese Unabhängigkeit von großen Konzernen ist wich-tig; denn wir müssen weg von diesen Megaanlagen, hinzu kleinen, intelligenten Anlagen – dezentral und erneu-erbar . So geht Energiewende .
Da gibt es nun die Ausschreibungspflicht. Für denLaien klingt das erst einmal harmlos, zumal es ja auchgewisse Ausnahmen geben soll .
Aber in der Praxis bedeutet die Ausschreibungspflichteine Benachteiligung für die Bürgerenergie; denn diegroßen Konzerne – da braucht man sich nichts vorzu-machen, Herr Heil – bezahlen Planungskosten natürlicheher aus der Portokasse . Kleine Bioenergiedörfer oderGenossenschaften können es sich nicht leisten,
in Planungen zu investieren, dann womöglich die Aus-schreibung zu verlieren und auf den Kosten sitzen zuHubertus Heil
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bleiben . Insofern bricht dieses schwarz-rote Gesetz derBürgerenergie das Genick . Sie rollen den großen Finanz-investoren den roten Teppich aus . Das ist die falsche Pri-oritätensetzung .
– Frau Präsidentin, Herr Heil möchte mir eine Frage stel-len . Er will mich bestimmt nach den Ausnahmeregelun-gen für den Bereich der Bürgerenergie fragen .
Zuerst halte ich mal die Uhr an .
Dafür wäre ich Ihnen sehr verbunden .
Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie bereit sind, auf
eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Heil zu reagie-
ren . – Bitte, Kollege Heil .
Ganz herzlichen Dank, Frau Kipping . Sie haben es
schon erahnt: Ich habe eine ganz grundsätzliche Frage .
Wir wälzen pro Jahr 24 Milliarden Euro um
– 25 Milliarden Euro um –, um erneuerbare Energi-
en über die EEG-Umlage auszubauen . Das ist auch mit
bestimmten sozialen Fragen verknüpft . Wir wollen das
auch weiterhin tun .
Wir wechseln jetzt aber zum System der Ausschrei-
bungen . Mir ist Folgendes nicht ganz klar: Sind Sie
grundsätzlich gegen Ausschreibungen – das kann man
vertreten –, oder sind Sie der Meinung, es sollte für die
Bürgerenergien Ausnahmen geben, sodass die Planungs-
kosten, die Sie für ein Haupthindernis halten, kein Pro-
blem sind?
Ich habe vorhin in meiner Rede gesagt: Es gibt einen
Vorschlag, die sogenannte BImSchG-Genehmigung, die
erhebliche finanzielle Vorleistungen nach sich zieht, für
Bürgerenergien zunächst nicht zu fordern . Wir diskutie-
ren im Verfahren weitere Möglichkeiten .
Sind Sie der Meinung, dass wir am Gesetzentwurf
etwas reformieren sollten, oder sind Sie einfach für Re-
volution im Sinne von: keine Ausschreibung, nie und
nimmer! Das würde ich gerne wissen . Ich bitte Sie, das
klarzustellen .
Über die Frage „Reform oder Revolution?“ könnteman trefflich streiten.
Ich bin ein großer Fan von revolutionärer Realpolitik,
aber das ist nicht das Thema des Tagesordnungspunktes .Die konkrete Fachfrage, die dahintersteht, ist doch die:Die ursprüngliche Idee des Erneuerbare-Energien-Geset-zes – das ist das große Erbe von Hermann Scheer, derleider viel zu früh gestorben ist – war doch, Menschen zuermuntern, von sich aus die Energiewende in die Handzu nehmen, sodass man nicht abhängig ist von den Ent-scheidungen, die an der Spitze irgendwelcher Konzernegetroffen werden, und alles zu tun, um für eine deutlichbessere Wettbewerbssituation der Bürgerenergien zu sor-gen. Deswegen finden wir die ursprüngliche Anlage desErneuerbare-Energien-Gesetzes deutlich besser als das,was Sie jetzt probieren . Die Ausnahmeregelungen mil-dern das Problem nur ab, sie beseitigen das Problem abernicht .
Ich kann ganz grundsätzlich sagen: Ja, es gibt eineKonkurrenz zwischen den kleinen Energiegenossen-schaften und den großen Konzernen . Es ist quasi einKampf vieler kleiner Davids gegen einige wenige großeGoliaths . Ganz offensichtlich stehen Sie eher auf der Sei-te der Goliaths . Wir jedoch meinen: VerantwortungsvolleEnergiepolitik heißt ganz klar, auf der Seite der Bürger-energie zu sein .
Ja, Ihre Entscheidung ist nicht nur unökologisch, ichfinde, sie ist auch energieindustriepolitisch eine falscheWeichenstellung . Nehmen wir nur einmal die Deckelungder Windkraft an Land . Angeblich geht es bei der De-ckelung der Windkraft darum, die Strompreise niedrig zuhalten .
Das ist eine Forderung, die uns Linken sehr wichtig ist;denn natürlich sagen wir: Strom darf kein Luxusgut wer-den . Deswegen setzen wir uns für einen Gratissockel undfür Sozialtarife ein . Aber wenn Sie auf die Strompreiseverweisen, dann wirkt das immer wie eine faule Ausrede .Es ist doch auffällig: Die Windkraft an Land soll gede-ckelt werden, bei den Offshoreanlagen hingegen ist mandeutlich großzügiger . Dabei wissen wir doch, dass dieOffshoreanlagen, also die Anlagen im Meer, den Strom-kunden doppelt so viel kosten . Außerdem wissen wir,dass große Offshoreanlagen solche Dimensionen haben,dass sie eben nicht von Bürgerenergienmodellen getra-gen werden können, sondern nur von großen KonzernenKatja Kipping
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umgesetzt werden können . Auch bei der Energiewendezeigt sich wieder einmal: Schwarz-Rot ist der Kumpelder großen Konzerne; denn die großen Konzerne kön-nen sich viele Lobbyisten leisten . Ihnen bescheren SieProfitmöglichkeiten, während Sie der Bürgerenergie dasGenick brechen, und das ist beschämend .
Wir als Linke meinen hingegen: Weg mit dem Deckelbei der Windkraft an Land, her mit der Energiewende inBürgerhand . So geht Zukunftsfähigkeit!Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Dr . Michael Fuchs für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Eigentlich habe ich mir fest vorgenommen, auf so etwas
gar nicht mehr einzugehen, weil es immer dieselbe Plat-
te, immer dieselbe Leier ist, Frau Kipping .
Sie wollen einfach nicht wahrhaben, dass wir reformie-
ren müssen . Wir geben mittlerweile 25 Milliarden Euro
pro Jahr an Subventionen für erneuerbare Energien aus,
und das 20 Jahre lang .
Die erneuerbaren Energien sind uns also 500 Milliarden
Euro wert . Wer dann davon redet, dass wir etwas kaputt-
machen wollen, der versündigt sich an denjenigen, die
das zu bezahlen haben, und das sind vor allen Dingen
die kleinen Leute, das sind Ihre „Kunden“, die das zu
bezahlen haben .
Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die mit jedem Jahr
mehr für das EEG etc . zu bezahlen haben . Zurzeit sind
das 6,35 Cent pro Kilowattstunde .
Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung des Kollegen Meiwald?
Von mir aus .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Vielen Dank, Herr
Fuchs . Sie haben gerade wieder von den 25 Milliarden
Euro Subventionen gesprochen . Das hören wir seit Jah-
ren immer wieder .
Ich kann sie doch nicht wegdiskutieren .
Wenn Sie den Bürgern erzählen, dass sie 25 Milliar-
den Euro für die Erneuerbaren als Subventionen bezah-
len, dann müssen Sie auch zwei weitere Fragen beant-
worten, worum ich Sie bitte:
Die eine Frage lautet: Wer bezahlt Ihrer Meinung nach
die 100 Milliarden Euro für die fossilen Brennstoffe, die
wir jedes Jahr importieren? Die muss ja auch jemand be-
zahlen . Wer bezahlt das Ihrer Meinung nach?
Die zweite Frage schließt sich daran an: Die EEG-Um-
lage ist im Grunde die Differenz zwischen dem Börsen-
strompreis und der Einspeisevergütung . Wenn jetzt der
Börsenstrompreis sinkt und die EEG-Umlage steigt,
dann bleibt die Differenz, also der Preis, in der Summe
doch tendenziell gleich . Wie begründen Sie angesichts
dessen Ihre Aussage, dass wir dafür sorgen müssen, dass
der Strompreis aufgrund der Steigerung der EEG-Umla-
ge nicht immer weiter steigt?
Erstens . Den Brennstoff für konventionelle Stromer-zeugung müssen Sie natürlich bezahlen . Fossile Energiensind Brennstoffe und entsprechend zu bezahlen . Das istaber keine Subvention,
sondern das ist der Preis für das Betreiben der Anlage .Sie können den Kauf von Brennstoffen doch nicht alsSubvention bezeichnen .
Zweiter Punkt . Dieses Delta ist es ja nicht alleine . DerNetzausbau – auf dieses Thema komme ich gleich nochzu sprechen – wird ja auch ins Geld gehen, und zwar ge-rade jetzt und gewaltig .Zurzeit fließen also 500 Milliarden Euro an Subventi-onen . Ich meine, es ist an der Zeit, dass wir eine generelleBremse einführen, dass wir dafür sorgen, dass das nichtmehr so weitergeht .
Es ist ja interessant, dass mittlerweile in vielen Gegendendarüber nachgedacht wird, dass es mit dem exorbitantenKatja Kipping
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Ausbau des Bereichs Windenergie so nicht weitergehenkann . Der schleswig-holsteinische Energieminister, einGrüner, hat sich gerade von der Idee verabschiedet, denWindenergieausbau wie bisher weiterzubetreiben . Jetztgibt es Vorranggebiete und einen wesentlich geringerenAusbau .
Der Ausbau des Bereichs Windenergie soll zurückge-führt werden, weil er weiß, dass Schleswig-Holsteinwesentlich mehr Windenergie produziert, als jemals inSchleswig-Holstein verbraucht wird . Das gilt, nebenbeibemerkt, auch für Niedersachsen . Herr Wenzel hat fest-gestellt, dass zurzeit in Niedersachsen eine Spitzenlastvon 8,8 Gigawatt aus Windenergie gewonnen wird . Dochwas wird kommen? Im Jahr 2020 sollen über 20 Giga-watt Strom aus Windenergie – On- und Offshore – stam-men . Das ist einfach zu viel . Das kann nur funktionieren,wenn wir parallel dazu in vernünftige Netze investieren .Das tun wir aber nicht .Viele Bürger sind mittlerweile auf einem anderen Trip .Einer, der den BUND mitgegründet hat, Enoch von undzu Guttenberg, ist wegen der exorbitanten Differenz ausdem BUND ausgetreten: Es sollen in Wälder Windmüh-len gestellt werden, aber gleichzeitig wird gefordert, dassum Himmels willen nirgendwo ein Baum gefällt wird . –Das ist schon ein bisschen ärgerlich. Ich finde es mitt-lerweile sogar unerträglich, was an manchen Stellen indeutschen Wäldern passiert . Ich komme aus dem Huns-rück . Das ist eine wunderschöne Region . Ich kann Ihnennur empfehlen, da mal durchzufahren und zu schauen,was dort passiert . Dort werden hektarweise Wälder abge-holzt . Aber wenn in der Stadt Koblenz einer einen Baumabsägen will, dann muss er 24 Anträge dafür stellen . Das,was Sie da veranstalten, ist nicht konsequent, und das istschon gar nicht ökologisch . Das wissen Sie ganz genauund der Herr Trittin erst recht .
Ich komme zu einem weiteren Punkt, den wir in die-sem Gesetzgebungsprozess mit berücksichtigen . LieberHubertus Heil, Sie haben drei, vier Punkte genannt, diewir im Gesetzgebungsverfahren noch zu bearbeiten ha-ben . Einen Punkt möchte ich noch erwähnen: die Syn-chronisation von Netzausbau und Ausbau des Bereichsder erneuerbaren Energien . Wer A sagt, erneuerbareEnergien, der muss auch B sagen, Leitungsbau .
Es ist sehr interessant, dass dieselben Leute, die überallden Ausbau erneuerbarer Energien fordern, sich paralleldazu dagegen wenden, dass irgendwo eine neue Leitunggebaut wird .
In meinem Wahlkreis wird gerade eine alte Leitung er-tüchtigt . Sie muss ertüchtigt werden, weil eine HGÜ-Lei-tung obendrauf kommt – drei zusätzliche Kabel . DieGrünen haben eine Bürgerinitiative gegründet und sagen:Das muss weg, das muss unter die Erde . – Das ist eineprima Idee . Jeder von uns weiß, dass eine Erdverkabe-lung ungefähr achtmal so teuer ist wie eine Überlandver-kabelung .
Das geht so nicht; denn damit steigen die Netzkosten im-mer weiter .Dann kommt die Krönung des Ganzen: Das sind dieberühmten Offshoreanlagen . Die Offshoreanlagen sollenschnell gebaut werden, sie sollen möglichst heute fertig-gestellt werden . Man spricht von Fadenriss usw ., wennnicht jeden Tag eine neue Anlage gebaut wird . Paralleldazu sind die Leitungen nicht da . Dazu haben wir einwunderbares Beispiel in Niedersachsen . Niedersachsenist sowieso am weitesten hinterher, was den Leitungsaus-bau angeht .
In den EnLAG-Projekten – der ehemalige MinisterTrittin, der sie damals mit angeschoben hat, nickt mitdem Kopf – haben wir rund 1 800 Kilometer geplant;davon sind knapp 600 Kilometer, also ein Drittel, gebaut .In Niedersachsen sind 405 Kilometer geplant . Davon istnoch nichts gebaut . Planfestgestellt sind noch nicht ein-mal 100 Kilometer .So geht das nicht . So können wir den Strom aus erneu-erbaren Energien nicht dahin bringen, wo er gebrauchtwird . So kann das nicht funktionieren . Wenn wegen je-des Vogelschutzgebietes gesagt wird, dass dort gar nichtsgeht – das macht Herr Wenzel ja gerade –, dann kann ichnur sagen: So können wir nicht miteinander umgehen .Wenn wir die erneuerbaren Energien haben wollen, dannmüssen wir auch bereit sein, den Strom dorthin zu brin-gen, wo er gebraucht wird .
Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung des Kollegen Lenkert?
Von mir aus . Das gibt alles mehr Redezeit für mich .
Herr Kollege Fuchs, wir waren beide in der Anhörungzu den Erdkabeln . Die Firma ABB hat in dieser Anhö-rung dargestellt, dass ihr Kabelsystem das Anderthalb-bis Zweifache von Freileitungen kostet . Auf die Einwen-dungen, die dann von Ihrem Sachverständigen kamen,dieses System sei nicht erprobt, antwortete der Vertre-ter von ABB mit: Nicht in Deutschland, aber weltweitliegen bereits 5 000 Kilometer dieses Systems unter derErde und funktionieren, 2 000 Kilometer davon alleinevon ABB . – Nur in Deutschland soll dieses System nichtausgereift sein, nicht funktionieren . Wie begründen Siedas? Wie sehen Sie das in dem Zusammenhang, dassDr. Michael Fuchs
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Deutschland eigentlich Vorreiter sein will? Das ist meineerste Frage .Die zweite Frage bezieht sich auf Ihren Entwurf zumEEG . Sie begründen hier ausgiebig, dass Stromleitungenin Niedersachsen fehlen, insbesondere zum Anschließenvon Offshorewindparks . Mir erschließt sich aber nicht,wieso Sie einen Deckel für Windkraft an Land machen,die diese fehlenden Leitungen überhaupt nicht benötigt,weil sie sozusagen dahinter einsteigt, und ausgerechnetdie Offshorewindkraft nicht deckeln .
Also, das ist völlig unlogisch .
Wissen Sie, wo die meisten Windanlagen stehen?
5 600 Anlagen sind bereits allein in Niedersachsen in
Betrieb . Ich rede jetzt nicht von Offshore-, sondern von
Onshoreanlagen . Sie stehen an der Küste in Niedersach-
sen . Es ist ziemlich wurscht, ob Sie von der Küste oder
vom Meer den Strom nach Süden transportieren . Das,
was Sie sagen, ist ziemlich unlogisch; aber das kennen
wir ja von den Linken .
Im Übrigen bin ich kein Techniker von ABB . Mir lie-
gen Gutachten vor, nach denen der Ausbau der Kabel-
technik eben nicht sicher genug ist . TenneT hat uns be-
stätigt, dass sie nicht so sicher sind, ob das funktioniert .
Solange uns die Übertragungsnetzbetreiber keine Garan-
tie dafür geben, kann ich nicht sagen, dass es eine sichere
Technik ist, die wir jetzt einführen können . Wenn Sie das
besser wissen, soll es mir egal sein . Dass ABB ein Inte-
resse hat, Kabel zu verkaufen, das kann ich verstehen .
Ich bleibe beim Thema Offshoreanlagen . Dass Off-
shore anlagen nötig sind, glaube ich sogar; denn damit
haben wir fast grundlastfähige Möglichkeiten . Sie haben
bis zu 5 000 Stunden Laufzeit; an manchen windhöffigen
Stellen vielleicht sogar 5 500 . Das ist schon ganz gut .
Es ist aber eine sehr teure Technologie . Das wissen wir .
Denn nach dem Stauchungsmodell bekommen sie – al-
lerdings nur für acht Jahre – 19,4 Cent Einspeisevergü-
tung . Das ist auch der Grund, warum die Industrie da so
schnell wie möglich bauen will . Aber es muss sicherge-
stellt sein, dass der Strom dann auch dahin kommt, wo er
gebraucht wird .
Jetzt bleibe ich einmal bei BorWin3; so heißt das
Ding. Diese Plattform befindet sich in der Nähe von Bor-
kum . Dort soll eine 900-MW-Anlage gebaut werden . Die
Industrie ist schneller, als wir es gedacht haben . Sie soll-
ten eigentlich erst Ende 2019 fertig werden; sie werden
jetzt Mitte 2018 fertig . Das Stromkabel liegt schon an
Land, aber da endet es auch, und zwar im Sand . Wenn die
Anlage läuft, dann bedeutet das, dass rund 900 Millionen
Euro im Jahr für Strom vergütet werden müssen, den wir
nirgendwo, auch nicht mit neuen Technologien, verwen-
den können . Erst dann, wenn die Leitung von Emden/Ost
nach Conneforde und weiter nach Merzen gebaut ist, ist
der Strom verwendbar .
Wir haben mit Herrn Ministerpräsident Weil und auch
mit dem Umweltminister Wenzel mittlerweile x-mal da-
rüber gesprochen und überlegt, wie wir das beschleuni-
gen können . Wir wollen das beschleunigen . Aber schnel-
ler – nach Aussage von Herrn Wenzel – geht es nicht . Ich
kann ihn völlig unbefangen hier zitieren; er gehört nicht
meiner Partei an . Er hat mir gesagt: Wir müssen erst die
Sache mit dem Vogelschutzgebiet lösen . Dann müssen
wir da und dort eine Lösung finden. Das ist eine Notifi-
zierungsfrage in Brüssel . – Aber wenn wir das doch wis-
sen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, können wir die
Genehmigungen für solche Offshoreanlagen erst dann
erteilen, wenn wir sicher sein können, dass der Strom
verwendet werden kann .
Das hat für mich eine gewisse Logik . Dafür werbe
ich . Wir sind dabei, das ein Stück weit in den Griff zu
bekommen . Wir haben im Gesetzgebungsverfahren – da
bin ich völlig einig mit Hubertus Heil – noch einiges zu
verändern . Aber wir sind auf dem richtigen Weg . Die
Ausschreibung ist der richtige Weg . Wir wollen am Ende
des Tages erneuerbare Energien haben, aber zu Preisen,
die die Bürgerinnen und Bürger sowie vor allen Dingen
die mittelständischen Unternehmen in Deutschland be-
zahlen können .
Danke .
Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Herr Fuchs,
ich bewundere immer Ihre Kollegen Andreas Jung,Ingbert Liebing, Josef Göppel und andere engagierteKollegen . Ich muss das hier nur alle paar Wochen hören,aber die müssen sich diesen Unsinn, den Sie zur Ener-giepolitik erzählen,
wahrscheinlich jede Woche anhören .
Jeder Siebtklässler kann dazu qualifizierter reden, alsSie es hier tun. Ich finde, das muss mal gesagt werden.Ralph Lenkert
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Ich habe der Zeitung entnommen, dass Sie demnächstnicht mehr dem Deutschen Bundestag angehören wollen .
Ich habe den Erleichterungsseufzer aus der CDU-Frak-tion gehört, dass das endlich ein Ende hat, Herr Fuchs .
Ich will Ihnen das an einer Stelle fachlich belegen:Sie haben eben Schleswig-Holstein dafür kritisiert, dasses Windstrom exportiert . Was Sie vergessen, ist, dassSchleswig-Holstein zu den Hochzeiten der Atomkraftdie dreifache Menge Strom produziert und exportiert hat .Das haben Sie aber nie problematisiert . Warum nicht?Warum machen Sie das nur beim Windstrom? Dazu wür-de ich mir irgendwann einmal eine Aussage wünschen .
Ich habe jetzt gelesen: Der Wirtschaftsrat der CDU,dem Sie angehören, macht eine Kampagne gegen erneu-erbare Energien .
Da zeigen Sie Ihr wahres Gesicht und offenbaren, worumes geht . Wen haben Sie als Leiter für diese Kampagnegenommen? Johannes Lambertz, der Manager bei RWEwar und für den Niedergang dieses Konzerns sowie fürdie vielen Fehlentscheidungen verantwortlich ist . Dassind also die Leute, die Sie wieder an die Front setzen .Das ist doch wohl das Rückwärtsgewandteste, was mansich überhaupt vorstellen kann . Ich glaube, das kann nie-mand abstreiten .
Nachdem Sie die Photovoltaikförderung 2012 und dieFörderung der Bioenergien 2014 reduziert haben, solljetzt der Windenergieausbau um mindestens die Hälfte –2020 sogar noch mehr – reduziert werden .Man kann das alles irgendwie begründen . Aber dieeine Konsequenz ist klar . Stefan Rahmstorf vom Pots-dam-Institut für Klimafolgenforschung, der unverdächtigist, hat ganz klar gesagt: Diese EEG-Novelle bedeutet,dass wir die Klimaschutzziele 2020 definitiv und endgül-tig nicht mehr erreichen können . Wenn Sie ehrlich wä-ren, würden Sie das hier sagen und den Menschen reinenWein einschenken, dass Sie den Klimaschutz aufgeben .
Ein Unding ist doch, dass die Welt auf Erneuerbare setzt,dass immer mehr in Erneuerbare investiert wird, aber wirin Deutschland, meine Damen und Herren, in die andereRichtung fahren .
Das ist nicht in Ordnung .Schauen wir uns an, welche Begründungen Sie lie-fern . Die Begründung mit den Kosten, Herr Fuchs, läuftüberhaupt nicht mehr .
Für die 20 Milliarden Euro bekommen wir ein Drittelnachhaltige Stromversorgung; der Kollege Meiwald hates eben angesprochen . Was wäre denn die Alternative,Herr Fuchs? Man kann heute in einem anderen Zusam-menhang nach Großbritannien schauen . Dort hat manausgeschrieben, und man sieht, was das für ein neuesAtomkraftwerk bedeuten würde . Das ist alles viel, vielteurer und nicht mehr wirtschaftlich . Kein einziges neu-es Kohlekraftwerk rechnet sich . Es würde uns viel teurerzu stehen kommen – die Folgekosten nicht einmal miteingerechnet . Deshalb ist das auch ein volkswirtschaft-lich effizienter Weg, den wir an der Stelle gehen, meineDamen und Herren .Jetzt möchte ich etwas zu dem neuen Argument, dasimmer wieder angeführt wird, sagen: Beim Netzausbauhaben wir Probleme . – Ja, da haben wir in der Tat Proble-me, aber nicht, weil da irgendwelche Grünen oder sonstwer unterwegs ist, sondern weil Herr Seehofer blockiert .
Er hat nicht nur dafür gesorgt, dass auf Bundesebenenoch kein Kilometer gebaut wurde – davon reden wirdoch gar nicht –, sondern auch dafür, dass Sie noch garnicht mit den Planungen angefangen haben .
Wir sind drei Jahre zurück . Sie produzieren das Problemund nehmen es dann als Begründung dafür, die Erneuer-baren auszubremsen .
Ich sage Ihnen: Sie sind nicht einmal in der Lage, einevernünftige Fehlerdiagnose vorzunehmen .
Sie sagen, die Erneuerbaren seien schuld . Dabei ist esaber so: Kohle und Atomstrom verstopfen die Netze .
Denn dann, wenn Erneuerbare viel produzieren, werdenMoorburg und Brokdorf nicht abgeregelt, sondern dielaufen weiter . Wenn Sie die Netze entlasten wollen, dannschalten Sie Moorburg und Brokdorf ab! Das wäre dieOliver Krischer
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richtige Antwort, nicht aber das Ausbremsen der Erneu-erbaren .
Zum Schluss möchte ich noch auf etwas anderes hin-weisen; da fand ich das, was der Kollege Heil gesagt hat,gut .
– Ja, ja .
Sie sagen, auf Ausschreibungen könnten wir verzichten;außerdem gebe es ja die De-minimis-Regelung . Das alleswollen Sie aber nicht hören . Auch das Stichwort „Bür-ger energie“ ist, wenn es konkret wird, immer gut fürSonntagsreden . Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dassSie an dieser EEG-Novelle noch etwas ändern werden .
Heute Morgen habe ich aber gehört: Die Sektorkopp-lung ist ein Thema, bei dem wir erneuerbare Erzeugungund Verbrauch zusammenbringen wollen; dazu gibt esgute Vorschläge, etwa eine Experimentierklausel . – Ges-tern habe ich gehört, dass alle beim Strommarktgesetzfür Speicher sind . Nur: Sie haben einen Gesetzentwurfbeschlossen, in dem sie nicht drinstehen . Lassen Sie unsdoch diesen Aspekt in diesem wenn auch sehr kurzenVerfahren ernst nehmen und ihn in den Gesetzentwurfeinfügen, um diesen schlechten Gesetzentwurf zumin-dest an ein paar kleinen Stellen, an denen Sie über IhrenSchatten springen können, zu verbessern . Das wäre dochetwas, wenn Sie schon die Energiewende nicht richtigvoranbringen wollen .
Kollege Krischer, Sie müssen zum Ende kommen .
Aber ich fürchte, in einer Woche stehen wir wieder
hier und stellen fest, dass Sektorkopplung und Speicher
wieder nicht im EEG enthalten sein werden . Das ist mei-
ne große Sorge . Denn am Ende will man gar keine Erneu-
erbaren haben – das hört man ja in den Reden von Herrn
Fuchs –, sondern man will sie ausbremsen .
Das ist der falsche Weg . Wir brauchen mehr statt weniger
Erneuerbare . Das ist die Antwort auf Paris .
Ich danke Ihnen .
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft undEnergie, Sigmar Gabriel .
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Sie müssen nicht schon schimpfen, bevor ich das ersteWort gesagt habe .
– Sie sind gespannt?
– Das glaube ich Ihnen auch nicht .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viel-leicht können wir in dieser hitzigen Debatte, Herr Kolle-ge Krischer, versuchen, zumindest eine Sache zu vermei-den: persönliche Angriffe auf Kollegen .
Ich bin mit Michael Fuchs nicht immer einer Meinung .Aber ihm Redlichkeit zuzusprechen, finde ich, ist selbst-verständlich . Übrigens: Auch die, die anderer Meinungsind, machen einen gelegentlich auf Probleme aufmerk-sam. Ich finde, man kann über das Ganze auch in etwasruhigerer Form diskutieren, zumal dann, wenn es einemum die Sache geht . Deswegen würde ich gerne ein paarBemerkungen zu Ihren Behauptungen machen .
Hubertus Heil hat völlig recht: Die gleichen Reden –fast wortgleich; nachher kommt ja noch so eine – habenSie in der Debatte zur Reform des EEG 2014 schon ein-mal gehalten:
„Bremsklotz“, „Untergang der Energiewende“, „keinKlimaschutz mehr“, „Beendigung der Energiewende“ .
Sie haben beim letzten Mal auch einen Begriff wie „Kul-turrevolution“, „Konterrevolution“ oder so benutzt .Die Wahrheit ist, dass wir mit dem EEG 2014 – üb-rigens auch mit Zustimmung der von den Grünen mit-regierten Länder – in der Tat die Kosten gesenkt haben .Was war das Ergebnis? Das Ergebnis war, dass wir inden letzten zwei Jahren den größten Zubau erneuerbarerEnergien in der Geschichte des Erneuerbaren-Energi-en-Gesetzes hatten .
Oliver Krischer
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Nichts von dem, was Sie damals befürchtet haben, isteingetreten .
– Warten Sie, Herr Krischer! Seien Sie sich sicher: Ichantworte Ihnen .Sie sagen dann: Das war aber nur bei der Windener-gie so . – Gleichzeitig geben Sie aber zu, dass wir hier2 500 Megawatt geplant und mit knapp 4 000 Megawatteine weite Überschreitung erreicht haben .Dann sagen Sie: Ja, aber bei der Photovoltaik hat nichtsmehr stattgefunden . – Sie müssen aber auch hier redlichbleiben . Das liegt nämlich daran, dass in der Tat wegeneiner zu häufig wechselnden Finanzierung drei Jahre langdavor jedes Jahr mehr als 7 000 Megawatt ausgebautwurden . Der Markt ist hinterher zusammengebrochen,weil die wechselnden Rahmenbedingungen zunächst zugigantischen und danach zu relativ geringen Zubautengeführt haben, was übrigens dazu führt, dass wir jetzt beidem von Ihnen damals kritisierten EEG 2014 die Kosten-degression lockern, damit wieder mehr zugebaut wird .Sie sagen immer nur die halbe Wahrheit, und ich finde,das tut der Energiewende nicht gut . Ich komme zu nochein paar solcher Beispiele .Biomasse zum Beispiel: Die Biomasse ist eine Tech-nologie, die in den letzten 20 Jahren jedes Jahr teurergeworden ist . Das Technologiefördergesetz hatte dasZiel, die erneuerbaren Energien preiswerter zu machen .Ich kann der Öffentlichkeit doch nicht jahrelang erklä-ren, dass sie über den Strompreis mithelfen muss, dieTechnologie, die irgendwann billiger wird, zu fördern,und nach 20 Jahren sagen: „Das hat in dieser Form nichtstattgefunden, aber macht euch keine Sorgen, ihr müsstdas weiter bezahlen“, zumal dann nicht, wenn sie sie indem Umfang nicht brauchen . Wir bauen sie jetzt weiteraus, aber nicht so, dass das ein erheblicher Kostenblockbleibt, weil wir mehr nicht brauchen . Wir können dochnicht einfach die Augen davor verschließen .Nun zu dem Argument, das würde die Energiewen-de ausbremsen: Die erneuerbaren Energien haben jetzteinen Anteil von 33 Prozent . Bis 2025 werden wir denAnteil auf vermutlich über 45 Prozent steigern . Das istdoch kein Ausbremsen, kein Abwürgen . Sie können sa-gen, dass sie sich 50 oder 60 Prozent wünschen .
– Ja, das ist ganz einfach: Die Behauptung, diese Ent-wicklung der erneuerbaren Energien würde die Klima-schutzziele in Deutschland beschädigen, ist schlichtfalsch .
– Herr Krischer, ich habe Ihnen zugehört; hören Sie mireinfach auch zu . Es ist ganz einfach . Das müssen Sie er-tragen; ich muss es ja auch ertragen . – Sie haben für IhreBehauptung übrigens auch keinerlei Belege; aber das istja üblich .Ich finde, Sie tun damit auch denjenigen keinen Ge-fallen, die sich für erneuerbare Energien einsetzen, weilsie den Eindruck haben, ihr ganzes Engagement würdein den Wind geschrieben . Das Gegenteil ist der Fall: Esgeht weiter . Wenn Sie jetzt mehr ausbauen wollen, dannmüssen Sie allerdings auch die Frage nach dem Strom-netz beantworten .Ich höre jetzt: Das ist doch bei Offshorewind das ei-gentliche Problem . – Ja, das stimmt . Demnächst bekom-men wir etwas, was wir nie hatten – und was Sie übrigenswollten –, nämlich jedes Jahr zusätzliche Offshorewind-parks, die eine weit höhere Windausbeute weit besserund stabiler liefern als Anlagen an Land .Wir werden 200 circa 7 000 Megawatt erreichen .Jürgen Trittin hat einmal einen Plan zum Ausbau im Be-reich Offshore an mich übergeben, der das Ziel hatte,2030 mehr als 20 000 Megawatt zu erreichen . Ich habeschon in meiner Zeit als Umweltminister das Ziel herun-tergesetzt . Diskreditieren Sie die Offshorewindenergie,die Sie noch vor ein paar Jahren aus einem guten Grundfür richtig gehalten haben, jetzt doch nicht in der Öffent-lichkeit .
Aus welchem guten Grund?Ich werde mir einmal den Spaß machen, der IG MetallKüste die Position der Vorsitzenden der Linkspartei zuübermitteln . Frau Kipping, die Linke ist doch eine denGewerkschaften offenstehende Partei . Niedersachsenund Norddeutschland haben 30 Jahre Deindustrialisie-rung hinter sich . Zum ersten Mal seit langer Zeit entste-hen dort neue industrielle Arbeitsplätze, und zwar nichtnur im Bereich Onshore, sondern insbesondere auch anden Küstenstandorten, im Bereich Offshore . Sie sagenjetzt: Ihr dürft nicht so viel Offshore zubauen . – SagenSie das einmal den Facharbeiterinnen und Facharbeiternin den Einrichtungen dort!
Nein, man kann nicht immer an unterschiedlichenStellen das jeweilige Gegenteil sagen . Auf der einen Sei-te sagen Sie: „Das ist wunderbar, wir kämpfen für euch“,während Sie auf der anderen Seite deren Arbeitsplätzeinfrage stellen .Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das ist doch genau Ihr Programm!)Bundesminister Sigmar Gabriel
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– Bitte? Stellen Sie einfach eine Frage; ich kann Sie nichthören . Sie trauen sich nicht, eine Frage zu stellen, weilich dann antworte; das verstehe ich .
Wenn es um die Netze geht, dann geht es nicht nurum Süddeutschland, sondern auch darum, dass sie inNorddeutschland nicht ausreichend ausgebaut wordensind, und zwar aus unterschiedlichen Gründen . Einer derGründe war, dass den Forderungen der Grünen und auchunseren Forderungen, die Erdverkabelung möglich zumachen, viel zu lange nicht nachgekommen wurde . Dashaben Sie immer zu Recht gefordert, und wir auch . Gottsei Dank ist es jetzt endlich gelungen .
Es stimmt auch nicht, dass die Erdverkabelung teurer ist .Noch teurer ist es nämlich, keine Kabel zu legen und sichständig vor Verwaltungsgerichten zu bewegen . Das istnoch viel teurer .
Deswegen ist die Erdverkabelung absolut richtig . Abersie ist eben noch nicht da .Jetzt geht es nicht darum, Onshorewindanlagen zudeckeln; denn Onshorewindanlagen sind die preiswer-teste Form der erneuerbaren Energien . Vielmehr geht esdarum, dass wir derzeit, da wir keine Netze haben, An-lagen abregeln und den Strom zweimal bezahlen müs-sen: Einmal müssen wir den Windmüller und einmal dasKraftwerk in Österreich bezahlen, damit es den Stromnach Süddeutschland liefert . Das nennt man – das wissenSie – Redispatch-Kosten . Diese betragen derzeit 1 Mil-liarde Euro, wenn wir nicht aufpassen, über 4 Milliar-den Euro .Dann kommt von Ihnen: Ja, dann müsst ihr die Atom-kraftwerke schneller abstellen . – Sagen Sie einmal: Fürwie fahrlässig halten Sie uns? Glauben Sie wirklich, wirhätten bei der Berechnung der Netzkapazitäten nicht be-rücksichtigt, dass Atomkraftwerke vom Netz gehen? Na-türlich haben wir das gemacht .
– Mensch, Maestro, nun hör doch einfach einmal zu!
Sie haben eben gesagt, Sie würden es aufgeben, Ar-gumente vorzutragen . Das setzt so einen aufklärerischenImpetus und vermittelt den Eindruck, Sie seien sonst anArgumenten interessiert . Dann möchte ich Ihnen sagen:Hören Sie einmal zu . – Jetzt geht es darum, dass wir dieKapazitäten des Netzes so berechnet haben, dass Atom-kraftwerke abgeschaltet werden . Klar haben wir das ge-macht . Übrigens haben wir auch berücksichtigt, dass einStromkabel nach Norwegen gelegt wird . Trotzdem – dasist ein gutes Argument – ist der Zubau Erneuerbarer sogroß, auch in Zukunft im Norden, dass wir auf jeden Fallneue Netze brauchen, um diesen Erfolg der Erneuerba-ren in wirtschaftliche Praxis umzusetzen . Das ist dochnichts Schlimmes . Das machen wir übrigens schon einpaar Jahre .Ich erinnere an die Tatsache, dass alle Bundesländerdiesem Kompromiss zugestimmt haben . Ich weiß, dasssie im Bundesrat Änderungen beantragen; das ist okay .
– Mensch, ich glaube, sie haben beim letzten Mal 80 Än-derungen beantragt . Aber hinterher haben sie dem Kom-promiss zugestimmt .
– Das ist doch nicht wahr . Passen Sie einmal auf: Daskönnen Sie gerne sich selbst und anderen erzählen . Aberwer dabei war – ich habe die Verhandlungen mit gelei-tet –,
d
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich könnte mir mehr vorstellen,aber ich stimme diesem Kompromiss zu, weil hier jederKompromisse machen muss . – Auch Sie sollten so klugsein . Man kann nicht mit dem Kopf durch die Wand . Daswaren Grüne, die so argumentiert haben .
Übrigens hat der Ministerpräsident von Thüringendiesen Kompromiss am Ende dieser Veranstaltung aus-drücklich gelobt, und er ist ein Mitglied der Linkspartei .Sie machen hier im Deutschen Bundestag ein Theater umdieses Thema, das all diejenigen, die sich in der Sachebemühen, zu Lösungen zu kommen, schwer nachvollzie-hen können .
Letzte Bemerkung von Ihnen, auf die ich eingehenmöchte: Wir machen das nur für die Konzerne . – Jetztwill ich Ihnen einmal Folgendes sagen: Frau Kipping, eswäre nicht schlecht, wenn Sie das Gesetz zur Kenntnisnehmen würden, anstatt Dinge zu behaupten, bei denendas Gegenteil richtig ist und die im Gesetz stehen . Sie ha-ben gerade gesagt: Wie wollen wir es erreichen, dass diekleinen Bürgerenergiegenossenschaften die Planungs-kosten bezahlen? Das können sie doch gar nicht . – Dashaben Sie hier fast wörtlich gesagt . Schauen Sie einmalins Gesetz: Diese Genossenschaften haben gar keine Pla-nungskosten . – Wissen Sie, was eine Bürgerenergiege-nossenschaft braucht, um sich an einer Ausschreibungzu beteiligen? Erstens ein Grundstück – das ist nichtschlecht, wenn man eine Windenergieanlage aufstellenwill – und zweitens ein Windgutachten; das war es . DasRisiko der Planungskosten von 100 000 Euro pro Anlagemüssen eben nur die Unternehmen tragen, nicht die Bür-gerenergiegenossenschaften . Das ist eine Privilegierung .Behaupten Sie doch nichts Falsches . Sie schrecken mitBundesminister Sigmar Gabriel
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solchen Argumenten die Leute ab, sich für Windenergiezu engagieren, die wegen der Kosten keine Angst zu ha-ben brauchen . Warum betreiben Sie eine solche Propa-ganda?Wo haben sich bei einer Ausschreibung für Photovol-taikanlagen die meisten Energiegenossenschaften gemel-det? Als der Ausschreibungspreis am niedrigsten war!Das war nach drei Ausschreibungsrunden, als der Preisnicht mehr bei 11 Cent, 9 Cent, sondern bei zum Teil un-ter 7 Cent pro Kilowattstunde lag .
Warum kommt man zu solchen Preisreduzierungen? Dasist ganz einfach . Wenn der Deutsche Bundestag, wennder Staat die Preise festlegt, dann rechnet sich doch jederaus, wie hoch er gehen kann, damit er sich eine Scheibevom Kuchen abschneiden kann . Dabei kommen Sie aufEinnahmen von 30 000 bis 40 000 Euro pro Hektar imJahr . Das ist ein wunderbares Einkommen . Ein paar Ar-beitnehmer in Deutschland würden sich freuen, wenn sieso viel hätten . Diese Summe kommt dadurch zustande,dass der Staat die Preise festsetzt .Jetzt gehen wir in die Ausschreibung . In der Aus-schreibung kann man dieses Spiel nicht mehr weitertrei-ben . Deswegen haben die Bürgerenergiegenossenschaf-ten bei Photovoltaikanlagen genau da die Chance gehabt,als die Preise am niedrigsten waren . Das hilft den Ge-nossenschaften, aber das hilft eben auch den Menschen .Meine Bitte ist, dass wir versuchen, uns von Welt-untergangsszenarien zu verabschieden, sowohl bei denPreisen als auch bei der Energiewende . Es wäre besser,sich anzuschauen, was im Gesetz steht, und sich darü-ber zu freuen, dass der Erfolg der Energiewende nicht zubremsen ist und übrigens auch die Erneuerbaren nicht .Dies muss jedoch in einer Art und Weise geschehen,dass uns die Leute nicht einen Vogel dafür zeigen, dasswir Anlagen bauen, aber den Strom nicht transportierenkönnen . Dann halten uns die Leute schlicht für bekloppt .Ich finde, der Ruf der Politik sollte nicht dadurch nochschlechter werden, dass dieser Eindruck durch die Ge-setzgebung bestätigt wird .Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für
die Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vielleicht werden wir unseren Enkelinnen und Enkelnin einigen Jahren nur die kurze Geschichte der Bürger-energie erzählen können, die einst vier großen Kon-zernen die Energieversorgung abgetrotzt hat . Denn mitdieser EEG-Novelle zertrümmern Bundesregierung undKoalition alles, was die Energiewende demokratisch unddezentral macht, sie machen sich zu Lakaien der Konzer-ne und Großinvestoren . Ich verstehe, dass Sie das nichthören wollen . Aber es ist so .Die Energiewende ist eigentlich ein linkes Thema .Das wundert Sie vielleicht; deshalb sage ich Ihnen, wa-rum: Es geht um das Eigentum an einem Gut der Da-seinsvorsorge . Jeder braucht Strom und Wärme, und esgeht hier um die Frage, wer darüber bestimmen darf . Wirsagen: Energie gehört in die Hände der Bürgerinnen undBürger .
Das historische EEG hatte dafür den Weg freigemacht .Es hat nämlich eine doppelte Wende eingeleitet: nicht nurbei der Energieerzeugung, sondern auch beim Eigentuman Energieerzeugungsanlagen . Hunderttausende sind zuMiteigentümern am Gemeingut Elektrizität geworden .Eine ganze Struktur ist verändert worden . Ich meine, daswar eine tolle Entwicklung .
Jetzt, im Jahr 16 des EEG, wird das alles zertrümmert .Die Bürgerenergie wird abgeschafft und der demokrati-schen und dezentralen Energiewende eine Absage erteilt .Den fossilen Energiekonzernen, die mit ihren Auslauf-produkten Atom- und Kohlestrom Probleme bekommen,werfen Sie jetzt einen Rettungsring nach dem anderen zu .Wenn wir über Kosten reden, dann muss man denLeuten auch sagen, dass wir gerade einen Gesetzentwurfbeschlossen haben, mit dem allein für die Braunkohle-reserve 1,6 Milliarden Euro vorgesehen sind . Das be-kommen nicht die Beschäftigten, sondern die Konzerne .Und da reden Sie immer davon, dass durch das EEG derStrompreis so hoch ist .In meiner Heimat Bayern werden etwa 50 Prozent desÖkostroms von den Bürgerenergiegesellschaften produ-ziert . Ich möchte in diesem Zusammenhang den Chef derBürgerenergie, Markus Käser, zitieren:Durch die aktuelle Gesetzgebung wird Bürgernund unseren Kommunen der Gestaltungsspielraumregelrecht aus den Händen gerissen! Die europa-weiten Ausschreibungen, wie sie von der Koalitionderzeit geplant sind, sind der Sargnagel für den de-zentralen Ausbau und die regionale Wertschöpfungvon erneuerbarer Energieproduktion in unseren Ge-meinden!Er ist Praktiker und weiß, wovon er spricht .
Im Übrigen hat die Bürgerenergie auch Bavariastromgegründet . Auch dieser regionale Strom wird jetzt ver-marktet. Das finde ich toll. Es geht der Linken nicht umdie Bürgerenergie, weil wir sie so niedlich finden. Siepasst einfach zu aufgeklärten Demokraten des 21 . Jahr-hunderts .
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Denn Entscheidungen über Großprojekte – die Energie-wende ist ein Großprojekt – werden nicht mehr von denEliten getroffen . Nein, die Menschen reden mit, und siewollen mitreden . Sie wollen auch mitbestimmen, und dasist gut so . Das sollte man nicht kaputtmachen .
Lassen Sie uns über Arbeitsplätze reden . Sie legenimmer dieselbe Platte auf und behaupten, wir wolltenArbeitsplätze vernichten . Dann schauen wir einmal, wasbei den regenerativen Energien los ist . Es gab heute eineDemonstration für die Bioenergie, und die Kollegen ausden Betrieben haben erzählt, dass sie schon jetzt keineAufträge mehr haben und nicht wissen, wie es weiter-geht . Aus diesem Grund müssen wir etwas tun .Sie haben immer nur bestimmte Arbeitsplätze imBlick . Es gibt aber viele kleine Betriebe im Bereich derregenerativen Energien, die tolle Arbeitsplätze bietenund sogar nach Tarif bezahlen . Es wäre uns zwar lieber,wenn alle nach Tarif bezahlen würden . Aber ich meine,hier muss etwas getan werden . Sie können das nicht ein-fach so deckeln .
Noch einmal zur Beteiligung: Wir brauchen die Ak-zeptanz . Wir alle kennen die Windkraftgegner, die mitallen möglichen Argumenten versuchen, Windenergie zuverhindern . Akzeptanz kann nur durch eine breite Betei-ligung – durch Bürgerbeteiligung und durch eine finan-zielle Beteiligung – entstehen . Das wollen die Leute . Siewollen mehr mitreden . Das sehen wir auch an einigenMemoranden . Sie wollen mitreden . Und wenn sie nichtmitreden können, dann lehnen sie das ab und wollen dasnicht . Dann lehnen sie auch unsere Politik ab .
Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Mei-ne Herren! Liebe Frau Bulling-Schröter! Lieber OliverKrischer! Mir fiele jetzt viel zu den Themen ein, die ihrimmer ansprecht . Ihr redet immer von der Braunkohle-reserve und davon, dass Braunkohle und Kernenergiedie Netze verstopfen . Auch das Wort „Energieverhinde-rungsgesetz“ wurde vorhin genannt . Die Großkonzernewerden gegeißelt . – Ihr wisst es besser: Das sind nicht dieProbleme der Energiewende, es sind nicht die Themen,die uns derzeit bewegen, sondern wir haben andere Pro-bleme . Die werden mit dem Gesetz, das wir jetzt vorge-legt haben, auch adressiert .Ich wünsche mir manchmal – gerade auch vonseitender Grünen – eine etwas sachlichere Debatte . Schließlichhat auch euer Ministerpräsident Winfried Kretschmannbei der MPK mitgemacht .
Schließlich gibt es ja auch den einen oder anderen Mitar-beiter an führender Stelle im Ministerium, der am Gesetzmitgeschrieben hat . Auch in dieser Hinsicht würde ichmir ganz gerne etwas mehr Sachlichkeit und mehr Mitar-beit von den Grünen hier im Parlament wünschen, meinesehr verehrten Damen und Herren .
Ich will noch einmal die Erfolge der Energiewendedarstellen; denn ich glaube, dass die gerade vonseiten derGrünen und der Linken hier immer wieder kaputtgeredetwird . Wir haben schon heute einen Riesenerfolg zu ver-zeichnen, was den Ausbau erneuerbarer Energien angeht .33 Prozent unserer Stromversorgung basieren auf erneu-erbaren Energien . Wir haben uns Ziele wie sonst keineandere Industrienation der Welt vorgenommen .Wir sind erfolgreich . Ich möchte in diesem Zusam-menhang drei kleine Bereiche herausgreifen: Im BereichOffshore haben wir das Ziel, bis 2020 7,5 Gigawatt zuerreichen . Bis 2030 wollen wir auf 15 Gigawatt kommen .Das heißt, dass wir hier in Deutschland, was Offshoreanbelangt, einen Anteil von 50 Prozent am europäischenMarkt haben werden . Das ist ein Riesenerfolg . Wir sindder Marktführer in Europa und damit auch Schrittmacherfür die Welt .Auch den Exportanteil im Offshorebereich haben wirenorm erhöht . Derzeit liegen wir bei 20 Prozent . Wirwollen da im nächsten Jahr weiter vorankommen . Auchhier werden wir mit unserer Technologie anderen Län-dern bei der Energiewende helfen .Bei der Onshorewindenergie – dabei geht es um Wind-räder auf dem Land – hatten wir in Deutschland 2014 ei-nen Zubau, der rund ein Drittel des gesamteuropäischenAusbaus ausmachte . Auch hier sind wir Marktführer inEuropa . Der Exportanteil bei Windonshore liegt übrigensbei 60 Prozent . Also 60 Prozent der Windräder, die hiergebaut werden, werden exportiert . Auch das beweist,dass wir erfolgreich sind und die Produkte, die wir hierbauen, nicht nur für uns nutzen, sondern sie auch anderenLändern, die damit Erfolg haben, zur Verfügung stellen .Auch bei der Photovoltaik – dabei geht es um Solar-energie, die von vielen im Rahmen der Energiewendeabgelehnt wird – produzieren wir von 100 Gigawatt,die in Europa erzeugt werden, 40 Gigawatt . Auch hiersind wir, was den Ausbau erneuerbarer Energien angeht,Weltmarktführer . Ich glaube, dass auch das etwas ist, wasman herausstellen kann .Andere Länder haben in den letzten Jahren anders aufdie Herausforderung reagiert . Tschechien hat beispiels-weise die Vergütung für Bestandsanlagen komplett ein-gestellt, Spanien hat seit Juli 2013 Einspeisevergütungenfaktisch abgeschafft, und die Briten wollen seit dem letz-ten Jahr Windkraft an Land nicht mehr fördern .Eva Bulling-Schröter
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Das beweist, dass wir im Hinblick auf erneuerbareEnergien andere Schlagzeilen produzieren . Ich glaube,auch darauf sollten alle hier im Hause stolz sein . Wirsollten stolz darauf sein, dass wir die EnergiewendeStück für Stück voranbringen, meine sehr verehrten Da-men und Herren .Ich möchte noch zwei wichtige Punkte aus dem Ge-setz erwähnen .
Kollege Bareiß, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung der Kollegin Verlinden?
Sehr gerne, ja .
Bitte .
Herr Bareiß, Sie haben ja davon gesprochen, dass die
Energiewende Schritt für Schritt vorangebracht werden
soll . Sie sprechen hier im Plenum auch immer gerne das
Thema Energieeffizienz an. Sie sei wichtig, damit das
Ganze gelingt . Ich möchte rückfragen, wie das Thema
der besonderen Ausgleichsregelungen jetzt in der Koali-
tion weiter diskutiert wird . Wir haben ja aus den Medien
erfahren, dass es eine große Debatte darüber gibt, dass
privilegierte Unternehmen lieber absichtlich Energie
verschwenden, damit der Stromverbrauch entsprechend
hoch ist, um weiter die Befreiungen in Anspruch nehmen
zu können, anstatt eben vernünftig in Energieeffizienz zu
investieren . Das wird von den anderen Stromkunden –
also auch von den kleinen Unternehmen, die eben nicht
befreit sind, sowie von den privaten Verbrauchern – quer-
subventioniert .
Ich habe jetzt mit großer Freude zur Kenntnis genom-
men, dass das Land Baden-Württemberg – Sie kommen
ja aus Baden-Württemberg – im Bundesrat zur Abstim-
mung gestellt hat, genau an diesem Punkt, also was die
besondere Ausgleichsregelung angeht, nachzubessern,
um nämlich genau den Anreiz für Unternehmen zu er-
höhen, tatsächlich in Energieeffizienzmaßnahmen zu in-
vestieren . Werden Sie sich dafür einsetzen, dass dieser
Vorschlag des Landes Baden-Württemberg im Bundesrat
hier umgesetzt werden kann?
Frau Verlinden, ich bin Ihnen dankbar für die Frage .Der Bereich der Energieeffizienz verhält sich wie an-dere Bereiche . Auch da sind wir Weltmarktführer . Wirhaben es als einzige Industrienation der Welt geschafft,den Wohlstand unserer Nation von dem zusätzlichenEnergieverbrauch zu entkoppeln . Das hat keine andereNation geschafft . Wir haben es in den letzten 20 Jah-ren geschafft, unseren Energieverbrauch um 6 Prozentzu reduzieren, während unser Bruttoinlandsprodukt um30 Prozent gestiegen ist . Auch das ist ein großer Erfolgunserer Industrie und unserer Wirtschaft .Deshalb wollen wir auch diejenigen Unternehmen,die in Energieeffizienz investieren und die es geschaffthaben, ihren Energieverbrauch Stück für Stück zu redu-zieren, nicht bestrafen, sondern wir wollen, dass diesevon der besonderen Ausgleichsregelung profitieren kön-nen . Das war der Grund dieses Änderungsgesetzes . Dashaben wir auch geschafft, und ich glaube, wir sind aufeinem richtigen Weg . Das werden wir auch entsprechendumsetzen .
– Den werden wir prüfen .Ich will zu zwei Themen in diesem Gesetzentwurfkommen, die mir sehr wichtig sind, weil ich glaube, dassdiese für die nächsten Jahre etwas Neues bieten werden,was entscheidend für das Gelingen der Energiewendesein wird .Das erste Thema betrifft die Ausschreibungen . Wirwerden einen Systemwechsel einleiten . Das heißt, wirwerden von der starren EEG-Umlage wegkommen . Wirwerden zu einer Ausschreibung übergehen, die dazuführt, dass wir erstens die Mengensteuerung in dennächsten Jahren konsequenter umsetzen können und dasswir wirklich nur dort investieren, wo wir Bedarf sehen .Zweitens werden wir die Preise für erneuerbare Energiennicht mehr hier im Deutschen Bundestag festsetzen, son-dern wir werden per Ausschreibung dafür sorgen, dasssich die erneuerbaren Energien dem Markt stellen müs-sen . Damit werden wir enorme Potenziale für uns heben .Ich glaube, wir haben hiermit einen großen Schritt ge-macht . Wir haben schon lange diese Ausschreibung ge-fordert . Wir haben immer wieder Kritik an der Ausschrei-bung gehört . Ich kann nur sagen: Die Ausschreibungfunktioniert . In Dänemark funktioniert sie einwandfrei .Sie hat dazu geführt, dass Offshorestrom in Dänemark5 Cent günstiger als beispielsweise in Deutschland ist .Wir haben auch in Deutschland Pilotprojekte im Bereichvon PV-Freiflächen gemacht. Auch in diesem Fall habenwir gesehen, dass die Ausschreibung funktioniert . Hiergehen wir also einen großen Schritt voran und bringendie erneuerbaren Energien in den Markt . Sie können sichschon heute dem Markt stellen, was für uns einen großenSchritt nach vorne bedeutet .Der zweite Punkt betrifft die Synchronisation vonNetzausbau und erneuerbaren Energien . Auch hier wol-len wir den Anforderungen, die wir haben, besser gerechtwerden . Einerseits erfolgt der Ausbau der erneuerbarenEnergien schneller als gedacht, andererseits erreichtleider der Netzausbau – auch das haben wir schon ge-hört – derzeit noch nicht die Geschwindigkeit, die wirbrauchen .Oli Krischer, du hast eben gesagt, in Bayern säßen diegroßen Verhinderer . Ich kann dir sagen: In Niedersach-sen wurde seit sieben Jahren keine einzige neue Leitunggenehmigt . Man sieht, dass auch andere Bundesländerdas genauso restriktiv handhaben . Ich glaube, alle müs-sen an einem Strang ziehen, um die Netze auszubauen .Wir brauchen 8 000 Kilometer in den nächsten Jahren,Thomas Bareiß
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700 davon haben wir gebaut . Das sind gerade einmal9 Prozent . Das ist zu wenig . Da müssen wir mehr tun,weil sonst die erneuerbaren Energien nicht auf den Marktkommen . Das wäre ein ganz großer Fehler .Wir müssen das tun, um Kosten einzudämmen, wirmüssen das tun, damit wir die Versorgungssicherheit inden nächsten Jahren weiter auf hohem Niveau haltenkönnen . Deshalb brauchen wir die richtigen Instrumente .Ein Instrument ist die Netzengpassgebietszone, diewir ausrufen wollen . Diese Netzengpassgebiete werdendafür sorgen, dass dort eher weniger Windräder aufge-baut werden . Ich glaube, das ist wichtig, damit wir dieGeschwindigkeit etwas drosseln und das Netz in denVordergrund stellen . Ich glaube, es wäre ein Fehler,wenn wir das, was die EU-Kommission vorgeschlagenhat, nämlich die zwei Preiszonen, umsetzen würden . Daswäre nicht das, was wir hier in Deutschland wollen . Daswürde den Binnenmarkt konterkarieren . Deshalb sindwir ganz klar für die Instrumente, die dafür sorgen, dasswir den Netzausbau mit den erneuerbaren Energien wirk-lich synchronisieren .Wir sehen ebenfalls Veränderungsbedarf im parla-mentarischen Verfahren . Da sind einige Punkte für michund uns wichtig . Der eine Punkt ist die Akteursvielfalt imBereich der Energieträger . Ich glaube, wir brauchen ei-nen breiten Mix von erneuerbaren Energien . Es ist wich-tig, dass wir in Wind- und Sonnenenergie investieren .Wir brauchen aber auch die Wasserkraft, die Geothermieund die Biomasse . Bei der Biomasse wird es uns wichtigsein, dass wir gerade auch die Kleinanlagen zukünftigin die Ausschreibung hereinholen, damit auch die eineChance haben, am Markt zu bestehen . Wir wollen auchbestehenden Biogasanlagen eine verlässliche Zukunfts-perspektive bieten .Das Thema Eigenstrom ist für uns von so großer Be-deutung, dass wir es noch einbringen wollen . Das Glei-che gilt für das Thema Akteursvielfalt . Auch das wurdevon den Kollegen der SPD schon adressiert .Meine Damen und Herren, das EEG 2016 ist ein wirk-lich großer Schritt . Wir werden die erneuerbaren Energi-en in den Markt bringen . Wir werden für Verlässlichkeitim EEG sorgen, und wir werden den Netzausbau mit demAusbau von erneuerbaren Energien synchronisieren . Ichglaube, das ist ein großer Schritt . Wir müssen es anpa-cken . Die nächsten zwei Wochen erfordern ambitionierteArbeit . Ich glaube, wir werden sie gemeinsam bewälti-gen .Herzlichen Dank .
Die Kollegin Dr . Julia Verlinden hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Ich frage mich manchmal, was die Bundes-regierung und die Regierungskoalition eigentlich unterEnergiewende verstehen . Wir haben gestern Subventio-nen für Braunkohle beschlossen, genauer: Sie haben die-se Subventionen beschlossen . Heute Morgen haben Siedafür gesorgt, dass die Erdgasindustrie weiter frackt, undjetzt sprechen wir über ein Ausbremsen der erneuerbarenEnergien . Das ist aus unserer Sicht keine Energiewende .
Die von Ihnen so oft genannte Sektorkoppelung be-deutet, dass wir weniger fossile Treibstoffe und wenigerfossile Heizstoffe verwenden, dafür aber mehr Strom,und zwar Erneuerbarenstrom . Welche Bedeutung das fürden Ausbau der erneuerbaren Energien hat, das scheinenSie noch nicht ganz zu begreifen .Sie sagen immer: Wir schaffen bis 2025 unser Ziel 40bis 45 Prozent erneuerbare Energien im Stromsektor . WirGrünen finden: Das ist viel zu wenig. Aber lassen wir daseinmal dahingestellt sein . Sagen wir einmal, Sie wollendieses Ziel erreichen . Dann kann das Ganze doch nichtfunktionieren, wenn Sie diese 40 oder 45 Prozent auf denaktuellen Stromverbrauch in Deutschland beziehen, alsoauf die augenblicklich 600 Terawattstunden . Sie müssensich doch fragen: Wie viele Elektrofahrzeuge haben wirbis dahin? Wie viel Strom wird, etwa über die Techno-logien PtX oder PtH, in Wärme umgewandelt? Wie vielnutzen wir davon?Das heißt, der Strombedarf wird in den nächstenJahren immer steigen, wenn das, was Sie wollen, näm-lich Sektorkoppelung, zur Realität wird . Das wiederumheißt – das ist ein einfacher Dreisatz –: Wenn man 40 oder45 Prozent EE-Strom haben will, dann muss der Ausbauder erneuerbaren Energien Jahr für Jahr umfangreichersein als das, was Sie jetzt vorgesehen haben; schließlichkommen Sie sonst angesichts des zusätzlichen Strombe-darfs ja nicht hin .
Anfang der Woche wurde dazu eine Studie von derHTW Berlin vorgestellt . Darin wird vorgerechnet, dasswir bei der Umstellung des Strom-, des Verkehrs- unddes Wärmesektors bis zum Jahr 2040 doppelt so vielStrom verbrauchen wie heute . Das klappt übrigens nur,wenn wir zusätzlich alle Energieeffizienzpotenziale nut-zen . Auch da gibt es im Moment Handlungsbedarf . An-sonsten werden wir womöglich eine Verfünffachung desStromverbrauchs erleben .Wenn wir die Energiewende im gleichen Tempo wie inden letzten Jahren fortführen, dann wird sie im Jahr 2150abgeschlossen sein . Die Bundesregierung hat in Elmauund Paris etwas ganz anderes zugesagt: Wir wollen dieEnergiewende bis spätestens 2050 vollzogen haben . –Das heißt, wenn wir jetzt nicht an Tempo zulegen, dannkommen wir ganze 100 Jahre zu spät . Leider wollen Sieden Ausbau der Erneuerbaren aber nicht voranbringen;Sie wollen nicht einmal das bisherige Tempo beibehal-ten . Stattdessen treten Sie auf die Bremse und legen ersteinmal eine Energiewendepause ein .Thomas Bareiß
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Lassen Sie mich Ihnen das kurz vor Augen führen .
– Herr Gabriel, Sie haben eben gesagt, dass es gut ist,wenn andere eine andere Meinung haben; denn dannkann man sie auf ein Problem aufmerksam machen . MeinAnliegen eben war, auf die Bereiche Sektorkoppelung,Stromverbrauch usw . einzugehen .Zwischen 2021 und 2025 gehen Windenergieanlagenmit einer Leistung von über 16 000 Megawatt vom Netz .Dagegen sollen im gleichen Zeitraum im besten Fall nur14 500 Megawatt Energie neu aufgebaut werden . Dasheißt unter dem Strich in dem Zeitraum 2021 bis 2025ein Minus von 1 500 Megawatt Windenergie . Ich frageSie: Ist das ein Ausbau? Ausbau heißt doch mehr undnicht weniger .Mit diesem Gesetzentwurf bremsen Sie aber nichtnur die Energiewende an sich aus, sondern Sie schließenauch die Bürgerinnen und Bürger von ihr aus . Eine Ener-giewende gegen die Bürgerinnen und Bürger wird aberkeinen Erfolg haben .Wir haben im Ausschuss noch die Möglichkeit, diesesGesetz in vernünftige Bahnen zu lenken . Lassen Sie unsein Gesetz verabschieden, mit dem wir einen echten Aus-bau der erneuerbaren Energien erreichen und die Bürge-rinnen und Bürger an der Energiewende teilhaben lassen .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben gestern das Strommarktgesetz be-schlossen; das haben wir heute schön öfter gehört . Daging es mit Blick auf unsere Zieltrias in allererster Linieum Versorgungssicherheit . Jetzt höre ich, Frau Verlinden,dass Sie behaupten, wir hätten gestern beschlossen, dieBraunkohle zu subventionieren . Das ist, glaube ich, nichtrichtig .
Wir überführen 13 Prozent der Braunkohleleistung ineine Sicherheitsbereitschaft
und legen sie danach still . Darauf kommt es an .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst die taz nanntedas einen Durchbruch in der Kohlefrage .
Ich finde, daran kann man an dieser Stelle einmal erin-nern .Heute beraten wir über die Reform des Erneuerba-re-Energien-Gesetzes . „All hangt mit all tausamen“, wür-de man in Ostfriesland sagen, also „Alles hängt mit allemzusammen“, und ist gemeinsam wichtig für unseren Wegin der Energiewende . Wir sind unaufhaltbar auf dem Wegdes Ausstiegs aus den fossilen Energieträgern . Der Aus-stieg kann aber nicht zufällig erfolgen, sondern muss mitBlick auf unsere Zieltrias „sicher, sauber und bezahlbar“geplant werden . Alle drei Ziele müssen gemeinsam be-trachtet werden, und das Dreieck der Ziele darf nicht ausdem Gleichgewicht gebracht werden . Übrigens: Auch beiden jeweiligen Energieträgern müssen wir darauf achten,dass wir es sozial vernünftig umsetzen können, dass derStrukturwandel entsprechend organisiert wird .Gestern lag der Schwerpunkt mit dem Strommarkt-gesetz auf dem Ziel „sicher“ . Mit dem EEG liegt derSchwerpunkt auf „sauber“, aber auch mit einem deutli-chen Blick auf das Ziel „bezahlbar“ . Wir wollen, nein,wir werden mit dieser EEG-Novelle unser Ausbauzielaus dem Koalitionsvertrag – 40 bis 45 Prozent erneuer-bare Energien in 2025 – eher an der oberen Marke errei-chen . Bereits jetzt haben wir über 33 Prozent erneuerbareEnergien im Stromnetz .Wir wollen die Akteursvielfalt . Deswegen begrüßenwir ausdrücklich den Vorschlag des Ministers zur Ak-teursvielfalt . Ich als ehemaliger Bürgermeister kann mirallerdings auch noch eine ein bisschen stärkere kommu-nale Beteiligung vorstellen;
denn, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn wir dieKommunen beteiligen, dann beteiligen wir nicht nur ei-nige, sondern alle Bürger direkt .
Das gilt auch für solche Sachen wie Mieterstrom, die wirsicher noch miteinander zu diskutieren haben .Im EEG 2016 wird darauf reagiert, dass der Netzaus-bau nicht wie erhofft stattgefunden hat, also eigentlichauf den Netznichtausbau . Dazu werden erstmals Netz-ausbaugebiete definiert. Das darf kein Dauerzustandwerden . Wir brauchen in der Zukunft auch Diskussio-nen über Netzausbauvarianten, über Alternativen, tech-nischer Art, aber auch von der Bewältigung der Lastenher . Wir brauchen eine viel stärkere Zusammenarbeit alsbisher in der Frage: Wie gehen eigentlich ÜNBs, Über-tragungsnetzbetreiber, mit Verteilnetzbetreibern um, undwie kann eigentlich die Branche der erneuerbaren Ener-gien mit den Netzbetreibern Lösungen in dieser Fragefinden?Wir brauchen dringend Antworten hinsichtlich derNutzung der Potenziale in der Sektorkopplung . Zu dieserThematik gibt es im Wirtschaftsministerium eine Arbeits-Dr. Julia Verlinden
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gruppe . Ich glaube, dass wir uns nach der Sommerpause,nachdem wir viele energiepolitisch wichtige Gesetzebeschlossen haben werden, intensiv damit beschäftigenmüssen, welche Ergebnisse aus dieser Arbeitsgruppekommen . Wir werden uns auf den Weg machen, zur Sek-torkopplung auch die richtigen Lösungen zu finden.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Der Kollege Dr . Andreas Lenz hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wirberaten heute in erster Lesung das EEG 2016 . Es ist inder Tat so, dass die Untergangsgesänge, die wir heutewieder hören mussten, sehr stark an die Diskussion zumEEG 2014 erinnern . Aber um was geht es im Kern beimEEG 2016? Die Einspeisevergütung wird künftig nichtmehr von der Politik oder dem Ministerium festgelegt,sondern im Wettbewerb ermittelt . Dies ist ein System-wechsel . Es ist ein richtiger Systemwechsel – und übri-gens auch europarechtskonform oder im Hinblick auf dieEuroparechtskonformität geboten . Strom aus erneuerba-ren Energien soll in der Höhe vergütet werden, die füreinen wirtschaftlichen Anlagenbetrieb erforderlich ist .Wir schaffen damit mehr Kosteneffizienz beim Ausbauder Erneuerbaren .Gerade die Synchronisierung von Netzausbau undAusbau der Erneuerbaren ist von kaum zu überschätzen-der Bedeutung . Es hilft uns nichts, wenn wir zwar einenhohen Zuwachs an erneuerbaren Energien im Strombe-reich haben, aber keine Leitungen, die den Strom ab-transportieren können . Übrigens kommen wir gerade imrot-grün regierten Niedersachsen beim Netzausbau nichtvoran . Laut Übertragungsnetzbetreibern ist es so, dass inBayern der Netzausbau mittlerweile sehr gut läuft . Hierwird nicht nur geplant, sondern hier wird auch umgesetzt .Der Unterschied ist: Wir reden nicht nur, wir machen .Regionen mit besonders großen Netzengpässen werdenals Netzengpassgebiete ausgewiesen, in denen der Aus-bau der Windenergie begrenzt wird . Hier wird der Zubauauf 58 Prozent des durchschnittlichen Zubaus von 2013bis 2015 begrenzt . Insgesamt darf in den Netzengpass-gebieten nur ein Zubau auf 900 Megawatt von den ins-gesamt 2 800 Megawatt erfolgen . Das ist ein wichtigerSchritt, um die Problematik der Netzengpässe zu berück-sichtigen .Auch die Akteursvielfalt ist uns wichtig . Wir habenhier schon viel erreicht . Es gibt den Vorschlag des Mi-nisteriums – der Minister hat es ausgeführt –, bei Bür-gerenergiegenossenschaften auf das Emissionsschutz-gutachten zu verzichten . Wir sind hier im Gespräch, undich denke, wir werden auch noch Modelle entwickeln,wie wir die Bürgerenergie mit dem neuen EEG stärkerfördern können .Bei der Photovoltaik gibt es eine Bagatellgrenzevon 750 Kilowattstunden . Aus Praktikabilitätsgründenist diese Grenze sicherlich angemessen . Sie ermöglichtauch den Betrieb von Bürgerenergiegenossenschaften .Wir werden bei der Flächenkulisse für Photovoltaikfrei-flächen die berechtigten Interessen der Landwirtschaftberücksichtigen .Gerade der Bestand an Biogasanlagen kann dazu bei-tragen, die stark fluktuierenden Erneuerbaren wie Windund Photovoltaik in den Spitzen auszugleichen . Fürdiese Anlagen ist in den nächsten sechs Jahren ein Aus-schreibungsvolumen von 1 050 Megawatt vorgesehen .Übrigens bestehen auch bei Biogasanlagen Kostensen-kungspotenziale, weil auch dort die Einspeisevergütungwettbewerblich ermittelt wird . Die Stärken der Biomasseliegen in der Flexibilität, aber auch in der Steuerbarkeitund der netzstabilisierenden Wirkung . Man muss fairer-weise sagen, dass bei der Biomasse, die dezentral ist,ganz Deutschland betroffen ist . Ich habe hier eine Kartemitgebracht – damit man auch sieht, dass das kein reinbayerisches Thema ist –,
auf der die Biomassestandorte aufgeführt sind . Man siehthier, dass ganz Deutschland betroffen ist .
Das gilt es bei den Beratungen zu berücksichtigen .
Dass das eben kein spezifisch bayerisches Thema ist,muss man ganz klar zum Ausdruck bringen . Die Biomas-se trägt 27 Millionen Tonnen jährlich zur CO2-Einspa-rung bei . Wenn ich überlege, wie wir letztes Jahr überdie Einsparung von 22 Millionen Tonnen CO2 diskutierthaben, dann denke ich, dass das nicht zu verachten ist .Wir brauchen Perspektiven, gerade für die kleinenAnlagen unter 150 Kilowattstunden . Ich bin der Mei-nung, wir sollten auch bei Altholz und der Dicklaugenach Regelungen suchen, die nicht zu Verwerfungen anden Märkten führen . Solche Regelungen sind ja teilweiseschon bei der Schwarzlauge gefunden worden .Auch bei der Wasserkraft gilt es, gewisse Problemezu bedenken, gerade bei den großen Anlagen . Wir habenja in Süddeutschland Anlagen mit mehr als 5 MegawattLeistung . Es ist im Moment so, dass durch den im EEGfestgelegten Einspeisevorrang der Erneuerbaren die-se Anlagen, die nicht gefördert werden, nicht mehr amMarkt bestehen können . Es droht, dass diese nicht mehrbestehen können . Es wäre ja sozusagen ein Treppenwitz,wenn gerade die älteste Form der erneuerbaren Energiendurch das EEG nicht mehr wettbewerbsfähig wäre . Auchhier müssen wir nach Lösungen suchen .Johann Saathoff
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Natürlich müssen wir uns zukünftig noch um ganz an-dere Herausforderungen kümmern . Ich glaube übrigens,dass der bisherige Zubau bei den Erneuerbaren auf einenWert von 33 Prozent an der Stromproduktion leichterwar, als es der zukünftige Zubau auf 45, 55 oder 60 Pro-zent sein wird . Wir stehen vor der Herausforderung, dasswir auch die Speicher am Markt beteiligen müssen . Wirstehen vor der großen Herausforderung des Netzausbaus .Wir müssen weiterhin auf mehr Systemdienlichkeit beiden Erneuerbaren achten, und wir müssen auch – heuteganz aktuell – die europäische Komponente der Energie-wende stärker in den Blick nehmen .Die Reform des EEGs 2016 stellt zusammen mit demStrommarktgesetz einen wichtigen Teil bei der Weiter-entwicklung der Energiewende dar . Wir werden schau-en, dass auch die Beschlüsse des Koalitionsausschusseszum Strommarkt tatsächlich umgesetzt werden . DasEEG 2016 führt insgesamt zu mehr Kosteneffizienz beigleichzeitiger Wahrung ökologischer Ziele und einerBeibehaltung der hohen Versorgungssicherheit von kaumzu überschätzender Bedeutung . Ein Mehr an Markt hilft,richtig umgesetzt, allen . Wir würgen die Energiewendenicht ab, wir machen sie zukunftsfest .Herzlichen Dank .
Der Kollege Ingbert Liebing aus der CDU/CSU-Frak-
tion hat das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Am Ende dieser Debatte zum EEG können wir Bilanzziehen . Das Fazit ist: Die Opposition hat sich redlichbemüht, ein Bild zu zeichnen, die Energiewende werdeausgebremst . Aber die Argumente waren dafür herzlichschwach .
Es führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass wir einklares Ziel miteinander haben . Wir, die Koalition, wollendie Energiewende zum Erfolg führen . Das war, das istund das bleibt unsere Zielsetzung .Es ist vor allem eine Zahl, mit der ich dies zum Ab-schluss dieser Debatte belegen möchte . Es geht um dasAusbauziel . Wir haben im geltenden EEG das Ausbau-ziel, dass wir bis zum Jahr 2025 40 bis 45 Prozent desStroms aus erneuerbaren Energien erzeugen wollen . Andiesem Ausbauziel ändert sich nichts, gar nichts . ImGegenteil: Wir bestätigen dieses Ausbauziel . Aber dieSituation ist nicht so, dass wir im Moment Gefahr lau-fen, dass wir dieses Ziel unterschreiten würden . Ganzim Gegenteil: In den letzten Jahren war der Ausbau dererneuerbaren Energien stärker, schneller forciert, als wires staatlicherseits von der Politik – Sie in der Oppositionoder wir in der Regierung – erwartet und prognostizierthätten . Wenn wir so weitermachen, dann überschreitenwir diese Zielsetzung .Darüber kann man sich freuen, wenn denn die Rah-menbedingungen das auch ermöglichen . Aber genau da-rin liegt das Problem . Die Rahmenbedingungen dafürstimmen nicht . Deswegen gilt doch: Es geht nicht darum,so schnell wie möglich so viel Strom wie möglich auserneuerbaren Energien zu erzeugen, sondern es geht umden Umbau des Gesamtsystems, wo wir am Ende desTages die Stromerzeugung vollständig auf erneuerba-re Energien umstellen wollen . Das ist die Zielsetzung .Aber dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen:vom Netzausbau über die Speichertechnologien . Auchder weiterhin notwendige intelligente Zusammenklangzwischen erneuerbaren Energien und konventionellenKapazitäten, die wir vorübergehend brauchen, gehört ge-nauso mit dazu . Wenn uns das gelingt, dann führen wirdie Energiewende zum Erfolg . Aber deswegen ist Nach-steuerungsbedarf, deswegen ist Handlungsbedarf da .Dem entsprechen wir mit unserem Gesetzentwurf .
Die Bundesregierung hat sich mit den Ministerprä-sidenten auf wesentliche Änderungen verständigt . Aberdas heißt nicht, dass wir nicht auch etwas zu entscheidenhätten . So möchte ich drei Punkte nennen, die mir amHerzen liegen, über die wir in den nächsten zwei Wochennoch einmal sprechen müssen, um zu anderen, vielleicht,nein, sicherlich besseren Ergebnissen zu kommen .Der erste Punkt ist: Akteursvielfalt und Bürgerener-gieprojekte . Ich komme aus einer nordfriesischen Regi-on, wo über 90 Prozent der Windparks Bürgerwindparkssind . Bürger einer Gemeinde sind Eigentümer ihres eige-nen Bürgerwindparks . Vor über 25 Jahren ist dieses Mo-dell dort entstanden – eine Erfolgsgeschichte .
Ich möchte, dass diese Erfolgsgeschichte auch unterden Bedingungen der Ausschreibungen fortgeschriebenwird . Das Ministerium hat einen Vorschlag gemacht . Ichglaube, dass es noch weiterführende Vorschläge gibt, diewir prüfen sollten, um genau diese Bürgerenergieprojek-te in Zukunft abzusichern, ein klares Ziel .Der zweite Punkt ist: Es ist extrem ärgerlich, dassStrom abgeriegelt wird, aber vergütet und nicht genutztwird .
Besonders ärgerlich finde ich, dass es nach aktuellerRechtslage auch verboten ist, diesen abgeriegelten, abervergüteten Strom zu nutzen . Das möchte ich ändern .
Wir diskutieren jetzt darüber, in welcher Form dies geht .Es gibt die Konzepte der zuschaltbaren Lasten, die mannutzen kann . Mir ist dieser Vorschlag noch zu starr imalten System verhaftet . Hier gibt es intelligentere, wei-terführende Möglichkeiten, die Erzeuger von Strom auserneuerbaren Energien auch in die Verantwortung zuDr. Andreas Lenz
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nehmen, ihnen Geschäftsmodelle, direkte Geschäftsbe-ziehungen zu ermöglichen . Wenn der Mehrerlös darausgleichzeitig zu einem wesentlichen Teil in das Härtefall-konto zurückfließt, dann entlastet es finanziell auch dasGesamtsystem; ein guter Vorschlag, den wir uns in denAusschussberatungen noch einmal genauer ansehen soll-ten . Es ergibt Sinn, jetzt die Umsetzung der Ergebnisseder konkreten Projekte in den SINTEG-Regionen, dievom Bundeswirtschaftsministerium gefördert und mitinitiiert wurden, auf den Weg zu bringen . Diese Chancesollten wir allemal miteinander nutzen .
Ein dritter Punkt, der mir am Herzen liegt, ist das The-ma Referenzertragsmodell . Es sieht vor, dass an wind-schwächeren Standorten eine höhere Vergütung gezahltwird . Das haben wir heute schon . Aber wenn mit demGesetzentwurf jetzt vorgeschlagen wird, dies zu ver-stärken, also für schwächere Standorte noch mehr Geldeinzusetzen, dann ist das nach meiner Auffassung dasGegenteil dessen, was wir jetzt mit dem Systemwechselerreichen wollen: Über Ausschreibungen wollen wir dieeffizienteren Projekte nach vorne bringen. Insofern ergibtdie Stärkung des Referenzertragsmodells keinen Sinn .Wir müssen uns hier einmal ansehen, Herr Minister, oball das Sinn ergibt, was angesichts der Interessenlage ein-zelner Bundesländer in den Gesetzentwurf eingeflossenist . Wir müssen miteinander ein Interesse daran haben,die effizientesten Standorte voranzubringen. Das senktdann die Kosten; das ist die Zielsetzung, um die es hiergeht .Ich möchte mich zuletzt an unsere grünen Kollegin-nen und Kollegen richten, die hier mit viel Verve unserenGesetzentwurf kritisiert haben . Mein Rat ist: Schauen Sieeinmal nach Schleswig-Holstein . Der schleswig-holstei-nische grüne Umweltminister Robert Habeck hat geradeseine Form der Energiewende vorgelegt . Er verschiebtseine Ausbauziele mal eben um zehn Jahre, von 2020 auf2030 . Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das kritisie-re ich nicht .
– Ja, das Ziel ist ja auch in Ordnung .
Da sind wir uns völlig einig . Das entspricht der Menge anEnergie, die wir bisher in drei Kernkraftwerken produ-ziert haben . Wir wollen sie durch erneuerbare Energienersetzen . Da werden Sie nichts dagegen haben; ich habeauch nichts dagegen .
– Entschuldigung, Oliver, hör doch mal zu .
– Zuhören ist nicht seine Stärke . Das haben wir den Tagüber schon erlebt . Ist so .
Ich mache darauf aufmerksam, dass Sie das bitte jetzt
in einen Satz packen sollten .
Genau . – Also, schauen Sie sich an, was Herr Habeck
da macht . Offensichtlich führt Regierungsverantwortung
dazu, dass man sich schrittweise ein bisschen der Reali-
tät annähert . Das, was dort geschieht, kritisiere ich nicht .
Aber Sie sollten sich daran einmal orientieren und erken-
nen, dass es vielleicht tatsächlich Sinn ergibt, etwas zu
ordnen und zu steuern, was aus dem Lot geraten ist . Das
tun wir mit diesem Gesetzentwurf . Damit werden wir uns
jetzt in den Ausschussberatungen beschäftigen, damit da-
raus am Ende ein gutes Gesetz wird .
Vielen Dank .
Ich schließe die Aussprache .Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 18/8860 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .Dann ist die Überweisung so beschlossen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zum besseren Infor-mationsaustausch bei der Bekämpfung desinternationalen TerrorismusDrucksache 18/8702– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zum besseren Informationsaustauschbei der Bekämpfung des internationalen Ter-rorismusDrucksachen 18/8824, 18/8881Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
Drucksache 18/8917Für die Aussprache hatten wir heute Morgen 38 Minu-ten vereinbart . – Auch dazu gab es keinen Widerspruch .Ich warte noch, bis sich die Reihen in den Fraktionenneu sortiert haben .Ingbert Liebing
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Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parla-mentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings .
D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Terroranschläge in Paris und Brüssel habenjüngst in erschütternder Deutlichkeit gezeigt: Die Sicher-heitsbehörden in Europa stehen nicht nur vor einer nati-onalen, sondern auch vor einer internationalen Aufgabe .Wenn sich Terroristen weltweit in ihrem menschenver-achtenden Tun vernetzen, dann darf polizeiliche undnachrichtendienstliche Arbeit ebenfalls nicht an Staats-grenzen haltmachen .
Eine Reihe von Gesetzen und Maßnahmen haben wirdeshalb bereits vor längerem vorangebracht . Ich denkeauch an die Fluggastdatenrichtlinie, die PNR-Richtli-nie, die wir bald auf nationaler Ebene umsetzen werden .Ich denke an die hervorragende Arbeit von Europol unddes daran angegliederten Europäischen Zentrums fürTerrorismusbekämpfung . Es ist gut, dass Deutschlandeiner der größten Zulieferer dieser Datenbank ist . BeimAuswerteschwerpunkt „islamistischer Extremismus“sind etwa 80 Prozent aller Personendaten EU-weit ausDeutschland .Auch auf nationaler Ebene haben wir gehandelt, durchGesetzgebung, aber eben auch durch die Bereitstellungvon mehr Personal für unsere Sicherheitsbehörden, vomBundeskriminalamt bis zum Verfassungsschutz . Deshalbgalt und gilt: Bei CDU und CSU ist die innere Sicher-heit unseres Landes in guten Händen . Ich darf ergänzen:Auch bei der Großen Koalition ist sie in guten Händen .
Wir nehmen die Freiheitsrechte der Bürger und dieSchutzpflichten des Staates gleichermaßen ernst. Oderum es auf den Punkt zu bringen: Wir halten das Grund-recht auf Datenschutz für wichtig, aber nicht wenigerwichtig ist für uns das Menschenrecht, nicht von einemTerroristen in die Luft gesprengt zu werden .
Auf dieser Linie liegt auch das Gesetz, das wir heu-te abschließend beraten . Es ist ein Gesetz zur Stärkungunserer inneren Sicherheit und zur Stärkung unsererAbwehrkraft gegen den dschihadistischen Terrorismus .Deshalb ist die Kernregelung des Gesetzentwurfs dieSchaffung klarer Rechtsgrundlagen für gemeinsameDateien, die das Bundesamt für Verfassungsschutz mitwichtigen ausländischen Nachrichtendiensten einrichtenund betreiben kann . Selbstverständlich ist die Vorausset-zung für solche gemeinsamen Dateien die Gewährleis-tung rechtsstaatlicher Standards, einschließlich des nöti-gen Datenschutzniveaus .Wir schließen heute ebenfalls eine für die Terrorbe-kämpfung relevante Sicherheitslücke, wenn es um denErwerb vorausbezahlter Telefonkarten, sogenannter Pre-paidkarten, geht . Telekommunikationsunternehmen müs-sen schon jetzt die Namen und Daten der Käufer von vo-rausbezahlten Handykarten speichern, nur verzichten siederzeit leider darauf, sich den Ausweis zeigen zu lassen,was naheliegend wäre .
Das führt dann dazu, dass bei vielen Verträgen „DonaldDuck aus Entenhausen“ als Kunde registriert wurde;Ihnen mag das lustig vorkommen, aber dadurch entste-hen Sicherheitslücken . Ganz vertrackt wird es, wenn derName einer anderen Person angegeben wird . So gerätauf einmal ein Unbescholtener ins Visier eines Staats-anwaltes . Deshalb wollen wir die Qualität der ohnehingespeicherten Daten verbessern und dafür sorgen, dassman seinen Ausweis vorzeigen muss, wenn man einensolchen Vertrag abschließt . Das ist eine kleine Belastungim Moment des Verkaufs, aber ein großer Sicherheitsge-winn .
Aus der Opposition kommt der Vorwurf: Es gibt Aus-weichmöglichkeiten . Die gibt es derzeit noch, aber im-mer mehr Staaten in Europa haben erkannt, dass hier eineSicherheitslücke besteht . Es gibt immer mehr Staaten umuns herum, die die Ausweispflicht einführen. Wir sindnicht mehr an der Spitze der Bewegung, aber weitereStaaten werden dem Vorbild Deutschlands folgen, damitwir in dem Bereich einen gemeinsamen europäischen Si-cherheitsraum schaffen . Das ist selten so nötig gewesenwie in diesen Tagen .Ich will einen weiteren wichtigen Punkt ansprechen .Es geht darum, dass es verdeckte Ermittler, die zur Ge-fahrenabwehr in fast allen Landespolizeibehörden ein-gesetzt werden, künftig auch bei der Bundespolizei gibt .Das ist ein wichtiges Werkzeug, um die brutalen undabgeschotteten Strukturen der Schleuser und Menschen-händler aufzubrechen .
Auch dieses Instrument ist wichtig für unsere Sicherheit .Ich will abschließend noch ein paar Bemerkungen zuden Vorwürfen der Opposition machen, das Ganze seiviel zu schnell durch die parlamentarischen Beratungengegangen. Das ist ein reflexhafter Vorwurf. Wenn man inder Sache nicht viele Argumente vorzuweisen hat, dannsagt man: Das Verfahren war nicht in Ordnung . In derTat, ich gebe gerne zu: Es ist immer schöner, wenn manviel Zeit hat, Gesetze im Parlament zu beraten .
Aber ich sage ganz klar: Wir haben dieses Verfahrennicht nur ordnungsgemäß, sondern auch vernünftigdurchgeführt, inklusive einer Anhörung, an der Sie nichtteilnehmen wollten . Das ist Ihre Entscheidung . Wir ha-ben uns die Arbeit nicht leicht gemacht . Man kann zügigVizepräsidentin Petra Pau
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und gründlich arbeiten . Das haben wir an dieser Stellegezeigt .
Ich sage Ihnen noch eines: Von den Sicherheitsbehör-den erwarten Sie und erwarten wir, dass sie 24 Stundenam Tag, 7 Tage die Woche und 365 Tage für unsere Si-cherheit da sind, zur Verfügung stehen, uns schützen . Dafinde ich es schon blamabel, wenn es aus der Opposi-tion heißt: Man will die Verabschiedung des Gesetzesam liebsten bis auf die Zeit nach der parlamentarischenSommerpause verschieben, also noch mindestens zweiMonate ins Land gehen lassen .
Das Bundesministerium des Innern rät von einem sol-chen Spiel auf Zeit, weil man keine guten Sachargumentehat, dringend ab . Aber zum Glück kennen Polizei, Ver-fassungsschutz und unsere anderen Sicherheitsbehördenkeine Sommerpause .Vielen Dank .
Die Kollegin Ulla Jelpke hat für die Fraktion Die Lin-
ke das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrStaatssekretär, um es gleich klarzustellen: Das, was Sieuns hier gerade vorgeworfen haben, nämlich dass wirden Kampf gegen den Terrorismus verzögern und not-wendige Maßnahmen weder diskutieren noch ergreifenwollten, ist eine demagogische Unterstellung und einewirklich unverschämte Provokation .
Ich kann gleich noch etwas mit abhandeln: Wenn dasBundesinnenministerium die Präsidenten von BKA,Bundespolizei und Bundesverfassungsschutz als soge-nannte unabhängige Sachverständige zu einer Anhörungzitiert, ist das – das muss man einfach sagen – eine glatteProvokation; denn das sind weisungsgebundene Behör-denleiter, die im Gesetzgebungsverfahren beratend dabeiwaren . Natürlich reden die Ihnen nach dem Munde . Dasmachen wir einfach nicht mit . Deswegen haben Linkeund Grüne die Anhörung verlassen .
Bislang durften internationale Geheimdienste nur imEinzelfall und auf Ersuchen untereinander Daten austau-schen . Künftig – so will es die Regierung laut Gesetzent-wurf – sollen sie einen internationalen Datenpool schaf-fen, aus dem sie sich nach Gutdünken bedienen können,und zwar automatisiert und ohne Einzelfallprüfung . Dasist wirklich eine bedenkliche Zäsur . Sensible Daten wer-den von Geheimdiensten künftig auf dem Präsentiertel-ler serviert – auf Kosten des Rechts auf informationelleSelbstbestimmung . Dazu sagt die Linke ganz klar unddeutlich: Wir haben verfassungsrechtliche Bedenken .
Der Gesetzentwurf besteht aus lauter Gummiparagra-fen . Er sieht den Informationsaustausch über – ich zitie-re – „bestimmte Ereignisse oder Personenkreise“ vor,wenn die Erforschung „von erheblichem Sicherheitsinte-resse“ ist . Was das konkret heißt, können die beteiligtenGeheimdienste laut Gesetzentwurf unter sich vereinba-ren . Sie erhalten eine Vollmacht, können grenzenlos ver-meintliche Gefährder bespitzeln, was mit der Rechtspre-chung des Bundesverfassungsgerichts nichts zu tun hat .Erst im April gab es ein Urteil, in dem es heißt: „Kei-nesfalls darf der Staat seine Hand zu Verletzungen derMenschenwürde reichen .“ Genau das wird mit diesemGesetzentwurf aber gemacht .Meine Damen und Herren, durch den Aufbau einerglobalen Geheimdienstbank kann der Verfassungsschutzan Daten kommen, die er nach eigenem Recht gar nichterheben dürfte . Betroffene sind neben sogenannten Ge-fährdern unbescholtene Kontakt- oder Begleitpersonen,in diesem Fall sogar 14- bis 15-Jährige, wenn es nachdem Willen der Regierung geht . Den Betroffenen drohengravierende Folgen, wenn Daten über sie zum Beispielbeim türkischen Geheimdienst landen . Zwar erklärt dieKoalition im Moment, dass die Türkei vorerst nicht mit-machen soll; aber im Gesetzentwurf steht das nicht . ImGesetzentwurf von CDU/CSU und SPD heißt es sogar,dass bei Partnern aus der NATO „das Vertrauen in dieZuverlässigkeit“ menschlichen Handelns grundsätzlichbegründet sei . Ab wann Sie der Meinung sein könnten,dass die Türkei sich rechtsstaatlich verhält, sagen Sienicht, und wir als Parlamentarier haben keine Kontroll-möglichkeit . Das halten wir für blanken Hohn . Die Tür-kei führt gegenwärtig Krieg gegen die Kurden; sie unter-stützt den „Islamischen Staat“ und schränkt Schritt fürSchritt Presse- und Meinungsfreiheit ein . Und Sie wollenmöglicherweise irgendwann wieder mit der Türkei ko-operieren?Und was ist mit den USA? Werden in diesem Land,das ein Sonderlager wie Guantánamo unterhält und Tau-sende Verdächtige durch Killerdrohnen umbringt, dierechtsstaatlichen Prinzipien gewahrt? Wir meinen: Nein .
Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
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Was die anderen Punkte des Gesetzentwurfes angeht,muss ich aus Zeitgründen auf die Ausführungen der Da-tenschutzbeauftragten verweisen, die ich sehr gut finde.Die Bevollmächtigung der Bundespolizei zu Einsätzenmit verdeckten Ermittlern ist vom Grundgesetz schlichtund einfach nicht gedeckt . Die Zweckbindungen bleibenunberührt; so steht es im Gesetzentwurf . Wenn es Ihnennur darum geht, Schleuserbanden zu bekämpfen, hätteich einen anderen Vorschlag: Schaffen Sie legale Flucht-wege für Flüchtlinge . Dann erledigt sich die Schleuser-kriminalität von selbst .
Ganz nebenbei haben Sie noch in letzter Minute einenÄnderungsantrag im Ausschuss vorgelegt, demzufolgeder Inlandsgeheimdienst jetzt auch Dateien über 14- und15-Jährige anlegen darf . Akten aus Papier konnte derVerfassungsschutz bereits führen . Aber jetzt sollen esauch Dateien sein . In der Antwort auf eine Kleine Anfra-ge haben wir erfahren, dass es sich um gerade einmal vierMinderjährige im Alter von 14 bis 15 Jahren handelt . Esgibt also überhaupt gar keinen Bedarf, hier eine solcheAusweitung vorzunehmen . Deswegen sagen wir: Kindergehören in die Kinderhilfe, dorthin, wo man ihnen auchauf anderer Ebene helfen kann, aber nicht in Dateien desVerfassungsschutzes .
Vergessen wir nicht: Es ist schon unmöglich, den Ge-heimdienst auf nationaler Ebene zu kontrollieren . Aufinternationaler Ebene kann man das zurzeit meines Er-achtens vergessen . Auch die Datenschutzbeauftragte hatdarauf hingewiesen –
Kollegin Jelpke, achten Sie bitte auf die Redezeit .
– ich komme zum letzten Satz, Frau Präsidentin –, dass
ihre Kontrollbefugnisse bei weitem nicht ausreichen . Der
Gesetzentwurf ist nichts weiter als ein weiterer Angriff
auf die Grundrechte . Er wird unter dem Deckmantel der
Terrorbekämpfung hier eben einmal so durchgepuscht .
Das Wort hat der Kollege Burkhard Lischka für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerAnschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel, der An-schlag auf Charlie Hebdo, Anschläge auf europäischeUrlauber in Tunesien und der Türkei, der Terrorakt imThalys in Belgien, die Anschläge in Kopenhagen, derSprengstoffanschlag auf ein russisches Passagierflug-zeug in Ägypten, die Anschlagsserie in Paris im vergan-genen November mit fast 500 Toten und Verletzten, dieTerroranschläge von Brüssel mit 400 Toten und Verletz-ten, die Messerattacke in Hannover, der Anschlag auf denSikh-Tempel in Essen – die Liste des Terrors ist lang, viellänger als meine Aufzählung . Wissen Sie, Frau KolleginJelpke, wenn man diese grausame Liste des Terrors ein-mal zum Ausgangspunkt unserer heutigen Debatte überdas Antiterrorgesetz nimmt, dann stelle ich mir hin undwieder schon die Frage, ob diese Bedrohungslage wirk-lich bei Ihnen angekommen ist .
Die Lage ist ernst . Uns gemeinsam muss doch, nebender Brutalität der Fanatiker, dem internationalen Milieuund der Mobilität dieser Terroristen, der Umstand be-unruhigen, dass es dem IS offensichtlich gelungen ist,zumindest über einige europäische Staaten so etwas wieeine Befehls- und Kommandostruktur zu legen, die be-reits Hunderte Menschen das Leben gekostet hat . Einesolche grenzüberschreitende Vernetzung wünsche ichmir das eine oder andere Mal auch von unseren Sicher-heitsbehörden .Wir haben bis zum heutigen Tag nicht eine Datenbank,in der beispielsweise die Namen aller Syrienkämpfer undterroristischen Gefährder in Europa allen europäischenSicherheitsbehörden zugänglich sind . Das ist ein schwe-res Versäumnis, das dringend behoben werden muss .Dazu leisten wir heute einen ersten wichtigen Beitrag .Ich finde, das kann nicht Gegenstand einer ernsthaftenund ernstgemeinten Kritik sein . Wenn sich Terroristenvernetzen, müssen sich auch Sicherheitsbehörden ver-netzen . So einfach ist das .
Ich gehe für die SPD-Bundestagsfraktion sogar nocheinen Schritt weiter . Der internationale Datenaustausch,den wir in diesem Gesetzentwurf vorsehen, kann nur einerster Schritt sein . Ich sage das ganz bewusst einen Tagnach dem Referendum in Großbritannien . Wir brauchenein gemeinsames europäisches Antiterrorzentrum,
in dem die europäischen Sicherheitsbehörden eng undkoordiniert zusammenarbeiten, um dem Terror die Stirnzu bieten .Ich finde, das Gemeinsame Terrorismusabwehrzen-trum, das wir in Deutschland haben, ist in diesem Fallwirklich ein gutes Vorbild – auch für Europa . Herr Mi-nister de Maizière, nur Mut! Setzen Sie sich auf euro-päischer Ebene für die Schaffung eines solchen Anti-terrorzentrums ein . Europa darf nicht zum Aktionsfeldgut vernetzter Terroristen werden . Wir brauchen eineneuropäischen Verbund gegen diesen Terror . Die bessereKooperation gerade der europäischen Sicherheitsbehör-den muss energisch vorangetrieben werden . Da ist jedesZaudern, wie ich finde, fehl am Platz.
Ulla Jelpke
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Meine Damen und Herren, es ist ein großes Privileg,dass wir in Freiheit leben können . Diese Freiheit ist denTerroristen ein Dorn im Auge . Es ist unsere Welt, gegendie seit vielen Monaten gebombt und geschossen wird .Freiheit und Offenheit brauchen gerade in diesen Tagenunseren Schutz . Dazu leisten wir mit dem heutigen Ge-setz einen wichtigen und einen, wie ich finde, notwendi-gen Beitrag .Recht herzlichen Dank .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-lege Dr . Konstantin von Notz das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kolle-ge Lischka, in den letzten elf Jahren hat elf Jahre lang dieUnion die Verantwortung für die innere Sicherheit getra-gen . Sie sind jetzt im siebten Jahr dabei . Und Sie wollenuns erzählen, es komme genau auf den Tag an, an demSie diesen Gesetzentwurf durch das Parlament puschen?
Was Sie betreiben, ist wirklich Volksverdummung, unddas ist unseriös . Ich weise das aufs Schärfste zurück .Dass wir heute in der letzten Kurve dieser Sitzungs-woche einen so grundrechtssensiblen Gesetzentwurf ineinem völlig unzureichenden parlamentarischen Verfah-ren einfach so durch das Parlament puschen, ist ein parla-mentarisches Armutszeugnis für diese Große Koalition,meine Damen und Herren .
Mit Ihren Mehrheiten bekommen Sie das alles durch .Quantitativ sind Sie eine Große Koalition, qualitativ sindSie eine ganz kleine .
Dieses Paket ist der erste Teil von insgesamt vier tiefin die Grundrechte eingreifenden Initiativen . Neben demPaket kommt ein Gesetz zum Abbau der parlamentari-schen Kontrolle . Es kommt ein BND-Gesetz . Seit derBerichterstattung in der Süddeutschen Zeitung von ges-tern wissen wir, dass Sie offensichtlich parallel zu alle-dem eine Behörde zur Zerstörung von Verschlüsselungschaffen . Es geht Ihnen um die grundlegende Verände-rung der bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur . Wiralle zahlen hier im Eilverfahren den Preis mit dem Ver-lust unserer Freiheitsräume und der Einschränkung unse-rer Grundrechte .
Sie verfahren nach dem Motto: Je sensibler das ist, waswir anfassen, desto schlampiger und schneller peitschenSie es durch das Parlament . So geht es einfach nicht, mei-ne Damen und Herren .
Es kommt massive Kritik hinzu . Das sehen nicht nurdie Grünen und die Opposition insgesamt so, sondern dassieht auch der Normenkontrollrat so . Er sagt, dieser Ge-setzentwurf sei keine adäquate Entscheidungsgrundlagefür die Politik . Genau so ist es .
Jetzt zum Inhalt Ihres Pakets . Es ist eine Mogelpa-ckung . Sie schreiben – und auch deswegen dieses gan-ze Tremolo, Herr Lischka – „Antiterror“ drüber, aber essteckt eben alles Mögliche in Ihrem Paket drin .
„Sicherheitsinteressen des Landes“ ist – Frau Jelpke hatdas angesprochen – ein unbestimmter Rechtsbegriff, un-ter dem praktisch alles zu subsumieren ist . Deswegen istdieses Antiterrorpaket, als das Sie es in der Öffentlichkeitverkaufen, eine Irreführung der Öffentlichkeit .
Der Gesetzentwurf enthält den Versuch einer offen-kundig verfassungswidrigen Legalisierung beim interna-tionalen Datenringtausch der Geheimdienste . Niemandbestreitet – wir als Letzte –, dass wir nicht eine bessereKooperation in Europa beim Austausch von Daten brau-chen . Aber dafür benötigen wir einheitliche Gefährderbe-griffe, und es muss rechtsstaatlich sein . Das ist Ihr Ent-wurf leider nicht .
Sie haben Mitte und Maß verloren und schließen esnicht aus, dass wir uns mit den Geheimdiensten von Fol-terstaaten gemein machen oder Teil eines völkerrechts-widrigen Drohnenkriegs werden . Zum Schluss doku-mentieren Sie auch noch, dass Ihnen die Rechtsprechungdes Bundesverfassungsgerichts, zuletzt das BKA-Urteil,herzlich egal ist .Die im Gesetzespaket enthaltenen Abgriffe an derGlasfaser sind verfassungsrechtlich hoch bedenklich;denn Sie ermöglichen sie hier und heute ohne aufsicht-liche Anordnung . Das ist ein weiterer Affront gegenüberunserem Untersuchungsausschuss, der noch läuft, abervor allen Dingen gegenüber der G-10-Kommission, dieja in Karlsruhe gegen Sie klagt, weil Sie sich so ignorantverhalten .
Statt klarer Zuständigkeiten und Verantwortlichkeitenweiten Sie die sicherheitsstrategisch fragwürdigen über-lappenden Kompetenzen von Polizeidiensten und Ge-heimdiensten weiter aus . Ein Irrsinn! Selbst bei der Pre-Burkhard Lischka
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paidkarte frage ich mich: Warum ein solcher Vorstoß, derin der Praxis als nationaler Alleingang absehbar ins Leerelaufen wird, mehr als 30 Millionen Deutsche – mehr als30 Millionen! – betrifft und gegen den Datenschützerund Wirtschaft in nie gekannter Einigkeit gemeinsamSturm laufen? Sie schaffen maximale Bürokratie beiminimalem Effekt angesichts der vielen Möglichkeiten,weiterhin anonym zu kommunizieren . Deswegen ist auchdieser Vorschlag unverhältnismäßig und unbrauchbar .
Dieser Gesetzentwurf ist die ganz große Wundertüte fürdie Sicherheitsbehörden . Mit Antiterror hat er ganz we-nig zu tun .Gerade in Richtung der SPD darf ich sagen: Es hilftuns überhaupt nichts, wenn Kolleginnen und Kollegender Sozialdemokratie morgens im Deutschlandfunk Kro-kodilstränen über diesen schlimmen Gesetzentwurf derBundesregierung vergießen, bei der Verschärfung diesesGesetzentwurfes durch den Änderungsantrag aber völligwillenlos mitmachen . Das geht so nicht, liebe Genossin-nen und Genossen .
Insofern sind, wenn ich das sagen darf, die Bürgerrechteund der ganze Bereich der inneren Sicherheit bei Ihnen inganz schlechten Händen, nicht in guten .
Statt endlich die Vorgaben aus Karlsruhe zu berück-sichtigen, begehen Sie hier einen weiteren groben Affrontgegenüber dem höchsten deutschen Gericht . Herr deMaizière – Sie sind ja da –, Sie haben deutlich gemacht,dass Sie dieses Gericht eher als störend empfinden. Ichdarf sagen: Ich rate strengstens dazu, sich das BKA-Ur-teil erst einmal anzusehen und dann einen entsprechen-den Gesetzentwurf vorzulegen .Zum Schluss . Sie setzen die unheilige Tradition kurz-fristiger innenpolitischer Profilierung – ob mit Blick aufdie AfD oder was weiß ich – fort . Sie suggerieren – auchmit Ihrer Sprache –, Sie würden mordswas tun . Tatsäch-lich aber sind die Mittel, denen Sie hier das Wort reden,unbrauchbar, sie sind massiv grundrechtsgefährdend,und sie bringen keinen relevanten Gewinn für die innereSicherheit .
Herr Kollege .
Das sieht auch die Bundesbeauftragte für den Daten-
schutz so . Insofern sind wir sehr irritiert und werden das
nicht mittragen .
Ganz herzlichen Dank .
Lieber Kollege von Notz, die Ankündigung des
Schlusses einer Rede ersetzt den Schlusspunkt nicht . Ich
bitte, das in Zukunft zu beachten .
Das Wort hat der Kollege Dr . Stephan Harbarth für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte keinProblem damit, wenn Herr Kollege von Notz einen klei-nen Moment länger sprechen würde, wenn er sich we-nigstens mit der Sicherheitslage auf unserem Planetenbefassen würde,
statt Schilderungen vorzutragen, die mit Deutschlandund Europa schlicht und ergreifend nichts gemein haben .Ich möchte gar nicht mehr in aller Ausführlichkeitauf den Inhalt des Gesetzentwurfes, über den wir heuteabschließend debattieren, eingehen; das hat Herr Staats-sekretär Krings bereits getan . Ich möchte meinen Blickvielmehr auf die Fragen richten: Wo stehen wir eigentlichbei der Terrorismusbekämpfung? Was tut not?Wir haben eine sehr ernste Bedrohungslage . DieZahl der Gefährder in Deutschland ist in den vergan-genen Jahren sehr stark gestiegen; derzeit sind es rund500 . Über 100 Bürgerinnen und Bürger unseres Landessind seit 2001 Opfer terroristischer Straftaten gewor-den . Auch Deutschland ist im Visier des internationalenTerrorismus . Wir sollten nicht den Fehler begehen, aufein rasches Ende dieser Bedrohung zu setzen . Denn alleHoffnungen, die wir in den vergangenen 15 Jahren da-rauf gerichtet haben, haben sich als trügerisch erwiesen .Rund 4 500 Personen aus ganz Europa sind bislangnach Syrien und in den Irak gereist, um sich dem Kriegdes „Islamischen Staates“ anzuschließen . Wenn der mi-litärische Kampf gegen den IS erfolgreich ist und seineZurückdrängung gelingt: Was werden diese Personentun? Mancher wird sein Leben verloren haben, mancherwird sich im Ausland einen neuen Dschihad suchen .Doch viele werden hoch radikalisiert und hoch brutali-siert nach Europa zurückkehren, und sie werden sich ineiner Auseinandersetzung – ja, in einem Krieg – mit demWesten sehen . Wenn diese Einschätzung zutrifft, dannsinkt die terroristische Bedrohung leider nicht, sondernsie wächst . Wir werden es dann europaweit mehr denn jemit dezentralen Netzwerken zu tun haben, auf die es nurDr. Konstantin von Notz
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in einzelnen Staaten Hinweise gibt . Deshalb wird es inZukunft mehr denn je auf eine umfassende Kooperationmit den Sicherheitsbehörden anderer Staaten, insbeson-dere mit unseren Partnern in der EU und in der NATO,ankommen . Genau dafür legen wir mit diesem Gesetz-entwurf die Grundlage . Die Nachrichtendienste sollenihre Erkenntnisse mithilfe gemeinsamer Dateien teilenund noch enger zusammenarbeiten können . Dies ist mit-nichten ein Schritt in die Massenüberwachung, sondernangesichts der Bedrohungslage dringend geboten und tutnot .
Die Große Koalition hat in den vergangenen Jahrenviel für die Sicherheit der Menschen in Deutschlandund in Europa getan . Ich möchte dafür auch dem Bun-desinnenministerium sehr herzlich danken, insbesondereHerrn Bundesinnenminister de Maizière, der in diesemBereich ganz Herausragendes geleistet hat . HerzlichenDank!
Wir haben in dieser Wahlperiode im Kernbereich derinneren Sicherheit mehr als ein halbes Dutzend Gesetzeverabschiedet . Die Opposition hat in jedem dieser Geset-ze einen Anschlag auf die Freiheitsrechte erkannt – siehat heute auch wieder von einem „Angriff auf die Grund-rechte“ gesprochen – und gegen jedes einzelne dieserGesetze gestimmt . Wir haben das Reisen in terroristi-scher Absicht unter Strafe gestellt und einen Ersatzper-sonalausweis für potenzielle terroristische Gewalttätereingeführt, der nicht zu Reisen befähigt . Die Oppositionwar dagegen . Wir haben die Geltungsdauer des Terro-rismusbekämpfungsgesetzes verlängert . Die Oppositionwar dagegen . Wir haben die Mindestspeicherfristen inmaßvoller Weise wieder eingeführt . Die Opposition wardagegen .Nun spricht die Linke im Zusammenhang mit diesemGesetzentwurf erneut von Massenüberwachung, und fürdie Bundestagsfraktion der Grünen gilt beim Datenaus-tausch laut ihrem Papier zur inneren Sicherheit: „Weni-ger ist mehr“ .
Daran schließt sie die Forderung nach einem radikalenUmbau des Verfassungsschutzes in ein „stark reduzier-tes Bundesamt“ mit einem „sehr schmalen Aufgabenbe-reich“ an, das „stark reduzierte Befugnisse“ hat .
Wenn das in Zeiten einer ernsten terroristischen Bedro-hung Ihre Antwort ist, dann kann ich nur sagen: Es istgut, dass in diesen Zeiten nicht Sie regieren,
sondern diese Koalition . Bei uns ist die innere Sicherheitin guten Händen .
Ich rate Ihnen auch: Schauen Sie ruhig einmal dorthin,wo keine grünen Ideologen regieren, sondern gemäßigteKräfte der Grünen, beispielsweise nach Baden-Württem-berg .
Dort hat der Ministerpräsident vorgesehen, dass der Ver-fassungsschutz ausgebaut und das Landesamt für Verfas-sungsschutz gestärkt wird .
Sie wollen das reduzieren . Vielleicht sprechen Sie ein-fach einmal mit Herrn Kretschmann .
Uns ist die Balance von Freiheit und Sicherheit gutgelungen . Ich weiß, dass Sie oft sagen, der islamistischeTerrorismus wolle nur, dass der Staat beim Schutz seinerBürger überreagiert . Das ist richtig und zugleich falsch,weil es ihm wohl kaum um eine Solidarisierung mit undum einen Aufstand der Bevölkerung gegen eine vorgeb-liche Massenüberwachung geht .
– Hören Sie doch einmal zu . Sie können manches lernen .
Ganz anders als die RAF richten islamistische Ter-roristen ihre Anschläge nicht gegen eine eingrenzbareGruppe von Repräsentanten einer bestehenden Ordnung .Für islamistische Terroristen ist die westliche Kultur alssolche der Feind . Sie richten ihre Anschläge bewusst ge-gen Zivilisten und wollen möglichst viele Menschen er-morden . Ihre Methode ist nicht das Attentat, sondern dasMassaker . Diese Entgrenzung zielt auf nichts anderes,als das Vertrauen der Bürger in den Staat als Garantender Sicherheit umfassend und restlos zu untergraben, inder Erwartung, dass in einer Gesellschaft, in der sich nie-mand mehr sicher fühlt, der innere Zusammenhalt zer-bricht . Dem IS geht es um nichts Geringeres als um dieSpaltung unserer Gesellschaft, um die Konfrontation vonEinheimischen und Zugewanderten, von Christen undMuslimen . Es geht ihm um die Ausweitung der Kampf-zone . Deshalb wird diese Koalition den islamistischenTerrorismus mit aller Entschlossenheit und aller HärteDr. Stephan Harbarth
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bekämpfen . Nicht von der internationalen Zusammen-arbeit der Sicherheitsbehörden wird unsere Freiheit be-droht, sondern durch den Verlust des gesellschaftlichenZusammenhalts, dessen Wurzeln „Unsicherheit“ und„Angst“ heißen . Weil es ohne Sicherheit keine Freiheitgeben wird, werden wir diesen Gesetzentwurf heute be-schließen .Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Uli Grötsch für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist nichts Neues, wenn ich Ihnen sage, dass der IS
über Europa ein Terrornetz aufgespannt hat . Was die
allgegenwärtige Terrorbedrohung angeht, so waren wir
noch nie so gefordert wie heute . Großereignisse wie die
Fußballeuropameisterschaft sind eine enorme Heraus-
forderung für die Sicherheitsbehörden in ganz Europa .
Das ist vielleicht so etwas wie die schlechte Nachricht .
Die gute Nachricht aber ist: Wir in Deutschland sind gut
aufgestellt . Wir konnten durch die sehr gute Arbeit der
Sicherheits- und Ermittlungsbehörden bislang alle An-
schlagsversuche vereiteln . Ich sage: Es zahlt sich aus,
auf einen starken und damit handlungsfähigen Staat zu
setzen .
– Ganz bestimmt und ohne Zweifel . – Deshalb wird die
personelle Konsolidierung der Sicherheitsbehörden auch
in Zukunft elementarer Bestandteil sozialdemokratischer
Sicherheitspolitik sein . Aber wir wollen im Hier und
Jetzt noch besser werden . Das tun wir mit diesem Gesetz .
Wir schaffen die Grundlage für die Errichtung gemein-
samer Dateien mit Partnerdiensten . Bislang gab es eben
keine gemeinsamen Datenbanken, und der momentane
Datenaustausch dauert einfach viel zu lange . Während
also Terroristen längst bestens vernetzt sind, sind es die
Sicherheitsbehörden bisher nicht .
Die Ereignisse überschlagen sich . Erst am letzten
Wochenende haben die Brüsseler Behörden Terrorver-
dächtige festgenommen . Ständig gewinnen die Nach-
richtendienste unserer internationalen Partner neue Er-
kenntnisse über Gefährder, die bei uns Anschläge planen .
An die müssen wir herankommen können,
um unser Land im Antiterrorkampf zu schützen . Deshalb
brauchen wir gemeinsame Datenbanken .
Kollege Grötsch, ich habe die Uhr angehalten . Der
Kollege Ströbele wünscht, eine Frage zu stellen oder sei-
ne Meinung zu äußern . Lassen Sie das zu?
Selbstverständlich . – Bitte schön .
Herr Kollege Grötsch, danke, dass Sie meine Frage
zulassen . Ich freue mich, dass gerade Sie sie zulassen,
weil auch Sie Jurist sind .
Sie wollen also den Datenaustausch mit dem Ausland
fördern . Nun wissen wir beide, dass das Bundesverfas-
sungsgericht am 20 . April dieses Jahres zum BKA-Ge-
setz eine ganze Reihe von sehr wichtigen Anmerkungen
gemacht hat und dieses Gesetz in Teilen für verfas-
sungswidrig erklärt hat . Das Verfassungsgericht hat ins-
besondere zum Datenaustausch mit dem Ausland viele
wichtige Sätze gesagt . Ich will Ihnen davon zwei Sätze
vorhalten .
Das Bundesverfassungsgericht meint nämlich:
Eine Übermittlung von Daten ins Ausland ver-
langt . . ., dass ein hinreichend rechtsstaatlicher Um-
gang mit den Daten im Empfängerstaat zu erwarten
ist . . . . Geboten ist in diesem Sinne die Gewährleis-
tung eines angemessenen materiellen datenschutz-
rechtlichen Niveaus für den Umgang mit den über-
mittelten Daten im Empfängerstaat . . .
Ich weiß, dass der Minister von diesem Urteil nicht viel
hält . Aber da steht nun einmal für Sie alle bindend als
Schlussfolgerung auf Seite 112:
Der Gesetzgeber hat insgesamt Sorge zu tragen,
dass der Schutz der Europäischen Menschenrechts-
konvention und der anderen internationalen Men-
schenrechtsverträge … durch eine Übermittlung der
von deutschen Behörden erhobenen Daten ins Aus-
land … nicht ausgehöhlt wird .
Jetzt sagen Sie mir bitte, wo dieser Schutz in den Pa-
ragrafen zur Einrichtung von Dateien im Ausland, in die
auch deutsche Daten aufgenommen werden sollen, ge-
regelt ist .
Ich bin mir nicht sicher, ob Sie den Gesetzentwurf ge-lesen haben . Wir gehen im Gesetzentwurf ganz explizitauf das ein, was Sie gerade angesprochen haben .
Wir haben in dem Gesetzentwurf eine klare Regelung .Wenn es etwa um den Datenaustausch mit Staaten geht,Dr. Stephan Harbarth
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die keine EU-Mitgliedstaaten oder NATO-Partner sind,dann ist sogar der Bundesinnenminister höchst persön-lich gefordert, grünes Licht für den Datenaustausch mitdiesen Staaten zu geben .
Ansonsten ist das BMI bei der Einrichtung jeder Da-tenbank mit Partnerdiensten gefordert, das im Einzelfallzu prüfen .
Ich glaube auch, dass das gut ist . Ich glaube nämlich ganzund gar nicht, dass man die Bekämpfung des internatio-nalen Terrorismus – dazu komme ich gleich noch – nurnationalstaatlich sehen kann . Ich glaube zudem – auchdas gehört zur Wahrheit –, dass man sich seine Partnerin der Zusammenarbeit dahin gehend nicht im Einzelnenaussuchen kann .Aber um das, was Sie angesprochen haben, auszu-schließen, haben wir zwei ganz deutliche Regelungen inden Gesetzentwurf aufgenommen .
Der Gesetzentwurf bedeutet auch eine Befugniserwei-terung für die Nachrichtendienste, liebe Kolleginnen undKollegen . Das Bundesamt für Verfassungsschutz zumBeispiel macht in der letzten Zeit nicht immer eine guteFigur, um das am Ende der Woche vorsichtig auszudrü-cken . Woche für Woche überschlagen sich die Ereignisseund Versäumnisse des Bundesamtes im Zusammenhangmit dem ehemaligen V-Mann „Corelli“ . Trotzdem dürfenwir nicht das ganze Amt über einen Kamm scheren undalle zusammen für die Versäumnisse und Fehltritte Ein-zelner verantwortlich machen .
Ich komme gerne noch einmal auf das Thema Daten-schutz zu sprechen und wiederhole: Wir als SPD-Bun-destagsfraktion meinen, dass für den Datenaustausch einangemessenes Datenschutzniveau gewährleistet werdenmuss .
Das ist völlig unstrittig, völlig richtig und natürlich auchwichtig .Ich glaube aber wirklich, dass es völlig unrealistischist, zu erwarten, dass wir uns nur mit den Ländern imAntiterrorkampf vernetzen, die genau unseren deutschenDatenschutzstandards entsprechen . Ich glaube nämlich,dass am deutschen Wesen die Welt auch dahin gehendnicht genesen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Das wird nicht gehen . Das liegt in der Natur der Sache,mit der wir uns hier beschäftigen .Genau deshalb nimmt die Datenschutzbeauftragteihre vom Bundesverfassungsgericht angedachte Kom-pensationsfunktion wahr, und wir erwarten von der Da-tenschutzbeauftragten, Frau Voßhoff, auch klipp und klareine aktive Rolle bei der Kontrolle dieser Standards .
Es steht für mich weiterhin völlig außer Frage, dass auchwir als Parlamentarier unserer Kontrollbefugnis gegen-über der Bundesregierung nachkommen werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie michtrotzdem noch einen weiteren Aspekt des Gesetzentwurfsansprechen, weil er mir wichtig ist: Die Schleuserkrimi-nalität ist vielleicht die abscheulichste und menschenver-achtendste Form der organisierten Kriminalität .
Wir reden heute noch über die Fortsetzung und Erwei-terung der EU-Mission EUNAVFOR MED OperationSophia . Ich ziehe meinen Hut vor den 950 Soldatinnenund Soldaten, die im Rahmen dieser Mission Menschenin Seenot retten, gegen Schleuserbanden vor Ort vorge-hen und das Elend auf dem Mittelmeer – den SündenfallEuropas; ich will so weit gehen, das so auszudrücken –jeden Tag hautnah miterleben müssen .
Wir wollen aber insbesondere die Netzwerke zerschla-gen und die großen Fische hinter Gitter bringen . Sie sit-zen aber nicht mit in den Booten . Unter anderem dafürwird daher künftig auch die Bundespolizei wie bisherschon die anderen Polizeien bereits zur Gefahrenabwehrstatt erst zur Strafverfolgung verdeckte Ermittler einset-zen können .Mit diesem Gesetzentwurf haben wir an mehrerenStellschrauben gedreht, um bestehende Sicherheitslückenim Land weiter zu schließen . Dazu gehört auch, dass dieTelekommunikationsdienstleister künftig die Identitätvon Prepaidkunden eindeutig feststellen müssen . Dafürhaben sie selbstverständlich auch ausreichend Zeit . Icherwarte von den Telekommunikationsdienstleistern, dassdiese Zeit insbesondere auch dafür genutzt wird, dass dasmit der Prüfung betraute Personal durch entsprechendeSchulungen in die Lage versetzt wird, solche Ausweispa-piere prüfen zu können . In meinen Gesprächen mit denVerbänden habe ich hierzu auch die Bereitschaft gese-hen, das zu machen . Auch die von uns gesetzten Fristenstießen auf Zustimmung .Uli Grötsch
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Ich glaube – damit komme ich zum Schluss –, dass esmit diesem Gesetz darum geht, auf der Höhe der Zeit zubleiben . Es geht darum, bei der Bekämpfung des inter-nationalen Terrorismus auf Augenhöhe mit unseren Part-nern zu sein . Deshalb werbe ich um Zustimmung .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Armin Schuster,
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Lassen Sie mich als letzter Redner zusammen-fassen .
– Doch, doch!
Sie kommen noch dran, keine Sorge .
– Jeder Kunde wird bedient, keine Angst .Meine Damen und Herren, für die Unionsfraktion –ich glaube, das gilt auch für die Regierungskoalition –darf ich sagen: Wir sind sehr froh, dass dieses Gesetzvor der Sommerpause hier im Deutschen Bundestag be-schlossen wird .
Burkhard Lischka hat ja die Reihe der Anschläge aufge-zählt . Wann, wenn nicht jetzt, müssen wir in diesem Par-lament Handlungsfähigkeit bei der Terrorabwehr bewei-sen . Unsere Aufgabe ist es, die Bürger vor Gefahren zuschützen . Und da spielt eine Sommerpause eventuell einegroße Rolle . Ich nenne Ihnen gleich ein Beispiel dazu .Vorher will ich aber die Kritik der Opposition auf-greifen, was die Form des Durchlaufens des Gesetzes-weges anbelangt . Ich kann Ihre Kritik nachvollziehen .Auch ich fand, dass die Zeitabläufe nicht unbedingt dennormalen parlamentarischen Weg darstellen . Von derersten Lesung über eine Anhörung bis hin zur zweitenund dritten Lesung dauerte es zwei Sitzungswochen . Esist nur so, meine Damen und Herren, dass wir von denSicherheitsbehörden verlangen, dass sie bei Gefahr imVerzug außergewöhnlich schnell reagieren . Wir habenals Parlamentarier zu erkennen, wann Gefahr im Verzugist . Es muss dann auch möglich sein, einmal von parla-mentarischen Gepflogenheiten herunterzukommen, dasswir die Wege zwar einhalten, sie aber verdammt schnellbeschreiten . Das ist notwendig; denn es ist Gefahr imVerzug . Deswegen haben wir diese Geschwindigkeit anden Tag gelegt .
Ich finde, dass Sie das akzeptieren können.Ich komme jetzt – Sie waren ja nicht bei der Anhörungdabei – zu meinem Beispiel, von dem ich glaube, dasses Bände spricht . Wir haben bisher keine gesamteuropä-ische Datenbank für Terroristen und Gefährder in allenMitgliedstaaten . Das sorgt für extrem unterschiedlicheKenntnisstände in allen Ländern, was ein Riesenvorteilfür die Terroristen und Gefährder ist .Jetzt plant die Counter Terrorist Group – das ist einZusammenschluss der europäischen Nachrichtendiens-te – unter niederländischer Führung, dieses Problem – eswird seit Monaten nach jedem Anschlag heftig beklagt –zum 1 . Juli zu beseitigen . Das wollen wir jetzt abräumen .Die Holländer haben die Führung übernommen und ma-chen das . Ab 1 . Juli gibt es Wirkbetrieb, nur Deutschlandist, weil die gesetzlichen Grundlagen dafür nicht vorhan-den sind, nicht mit dabei . Jetzt frage ich Sie allen Ernstes:Wollen wir jetzt bis September warten, bis wir uns andiesem unglaublich wichtigen Projekt beteiligen?
Die Union will das nicht . Für uns sind diese drei Monatewichtig .
Und deswegen machen wir das Gesetz jetzt . Der Vorteilist mit Händen zu greifen .
Es ist gut, wenn man einmal Innenpolitik innerhalbeiner Regierung gemacht hat . Herr Dr . von Notz, Sieklingen halt immer wie so ein rhetorischer Pappkamerad,weil Sie diese Erfahrung nicht haben . Es tut mir leid . Dasist vielleicht für eine Universität geeignet .
Ich empfehle Ihnen die Universität von ProfessorCastellucci . Die veranstaltet Vorlesungen, bei denen dieStudenten ihre Professoren anhimmeln . Das wäre viel-leicht etwas für Sie .
Meine Damen und Herren, dass wir die Anonymitätvon Prepaidkunden – das ist eine Sicherheitslücke – nichtmehr lange akzeptieren dürfen, ist eine wichtige Forde-rung des BKA-Präsidenten .Uli Grötsch
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Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein, ich lasse sie nicht zu . Das hat keinen Zweck mit
Herrn Dr . von Notz .
– Gut, ich lasse sie zu .
Ausnahmsweise .
Herr Kollege Schuster, ich versuche, die Debatte zu
versachlichen .
Ich will das nicht auf eine persönliche Ebene bringen .
Vielleicht helfen Sie mir kurz weiter: Wo haben Sie Re-
gierungsverantwortung im Innenbereich getragen, Sie
persönlich?
Herr Dr. von Notz, ich persönlich profitiere seit Jahren
von hervorragenden Innenministern der CDU in diesem
Land, weil ich in deren Geschäftsbereich lange gearbeitet
habe .
Da sitzt übrigens einer . Wenn Sie Mitarbeiter eines Ge-
schäftsbereichs sind, in dem starke Innenminister arbei-
ten, dann wissen Sie, wie im Innenbereich regiert wird .
Es ist vielleicht eine schwere Woche auch für einen In-
nenminister . Wir haben viele Themen .
– Ich bin noch bei meiner Antwort . Der liebe Kollege
soll noch stehen bleiben . – Wir in der Union haben seit
Jahrzehnten in der Innenpolitik Typen zu bieten, die
eine Marke darstellen . Dazu gehört Thomas de Maizière
zweifelsfrei .
Ich bin unglaublich dankbar, dass wir einen Innenmi-
nister haben, der nicht Politikersprech macht und herum-
schwurbelt, sondern das sagt, was zur inneren Sicherheit
in diesem Land notwendig ist . Von solchen Personen zu
lernen, würde ich Ihnen gönnen . Das können Sie aber in
Ihrer Fraktion nicht . Stellen Sie irgendwann einmal einen
Innenminister in diesem Land, damit Sie etwas lernen .
Das würde Ihnen sehr viel helfen .
Jetzt mache ich gleich weiter mit euch . Das Manu-
skript ist sowieso zum Teufel . Dieses Land hat – da haben
Sie richtig gerechnet – eine unglaublich lange Zeit einer
CDU-Regierung hinter sich . Wir haben die deutsche Si-
cherheitsarchitektur nicht zerstört, wie Sie meinen, son-
dern wir haben sie seit elf Jahren genau für diese Lagen
fit gemacht. Was glauben Sie, warum die Menschen in
diesem Land so sicher leben?
– Jetzt habe ich euch die ganze Zeit geschont . Riskier
das nicht .
Aber die Zeit ist begrenzt, jetzt noch weiter auszutei-
len .
Die CDU/CSU hat in diesem Land tatsächlich die Si-
cherheitsarchitektur genau für die Lagen fit gemacht, die
wir heute haben . Die Deutschen leben jetzt sicher . Dieses
Gesetz, das wir heute beschließen, wird sehr stark dazu
beitragen, dass sie das weiter tun werden .
Um den Kollegen Ströbele noch zu bedienen: Das von
Ihnen so sehnlich erwartete Umarbeiten unserer Gesetze
unter Berücksichtigung des Verfassungsgerichtsurteils
zum BKA werden wir Ihnen – natürlich verspricht Ihnen
das die Regierungskoalition – noch dieses Jahr liefern, so
wie diese Koalition in diesem Land immer liefert, wenn
es darauf ankommt . Machen Sie sich keine Sorgen . Wir
werden alles umsetzen, was Karlsruhe sagt, und zwar
sinnvoll .
Ich danke Ihnen .
Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfeines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch beider Bekämpfung des internationalen Terrorismus . DerInnenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 18/8917, den Ge-setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD aufDrucksache 18/8702 in der Ausschussfassung anzuneh-men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
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chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerGesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender Opposition angenommen .Damit kommen wir zurdritten Beratungund Schlussabstimmung . Ich bitte jetzt diejenigen, diedem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerGesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichenStimmenverhältnis angenommen .Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Innenausschusses zu dem von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zumbesseren Informationsaustausch bei der Bekämpfungdes internationalen Terrorismus . Der Ausschuss emp-fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/8917, den Gesetzentwurf der Bundesre-gierung auf den Drucksachen 18/8824 und 18/8881 fürerledigt zu erklären . Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Die Beschlussempfehlung ist bei einer Enthaltung einesKollegen der Fraktion Die Linke angenommen .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten LuiseAmtsberg, Annalena Baerbock, Volker Beck
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSeenotrettung im Mittelmeer – Menschenschützen, humanitäre Verantwortung über-nehmen, solidarisch handelnDrucksache 18/8875b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Innenausschusses
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,Jan Korte, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion DIE LINKEDas Mittelmeer darf nicht zum Massengrabwerden – Für eine Umkehr in der EU-Asyl-politik– zu dem Antrag der Abgeordneten LuiseAmtsberg, Manuel Sarrazin, AnnalenaBaerbock, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENFlüchtlingsschutz und faire Verantwor-tungsteilung in einer geeinten Europäi-schen UnionDrucksachen 18/4838, 18/8244, 18/8918c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Innenausschusses zudem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,Annette Groth, Heike Hänsel, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion DIE LINKESanktionsregelungen für Beförderungsunter-nehmen, insbesondere Flug- und Schiffsunter-nehmen, abschaffenDrucksachen 18/8701, 18/8905Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die KolleginLuise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Heute ist vermutlich einer der traurigsten, aber vielleichtauch wichtigsten Tage, um über die Zukunft der Europä-ischen Union zu sprechen . Ich denke mir, dass es vielenhier im Parlament ähnlich geht, wenn ich sage, dass wirheute Morgen alle einen ziemlich großen Kloß im Halshatten, als wir von dem Ergebnis des Referendums ge-hört haben, als wir erfahren haben, dass Großbritanniendie Europäische Union verlassen wird .Mich macht es besonders betroffen, dass die Zustim-mung zu Europa unter den jüngeren Menschen besondershoch war . Drei Viertel der unter 40-Jährigen wollten denVerbleib in der Europäischen Union . Viele von diesenjungen Europäerinnen und Europäern wollten für sicheine andere Zukunft; aber sie haben diese Abstimmungverloren .Es stimmt mich auf der anderen Seite aber auch hoff-nungsvoll, dass gerade die jungen Menschen ihre Hoff-nung in die Europäische Union setzen . Es zeigt, welcheVerantwortung wir und die Regierungen der einzelnenMitgliedstaaten den kommenden Generationen gegen-über haben .
Auf die Fragen von heute, aber auch der Zukunft gibt eseben keine Antworten mit nationalstaatlicher Kleingeis-terei . Die Herausforderungen, die wir am dringendstenangehen müssen, sind global und kennen keine nationa-len Grenzen .Was führt uns das besser vor Augen als die europä-ische Flüchtlingspolitik? Meine Fraktion hat sich langund ausführlich mit dieser Frage beschäftigt, auch un-bequeme Fragen aufgegriffen, vielleicht sogar für Grüneunbequeme Antworten gefunden . Das war aber auch not-wendig; denn was uns vollkommen klar ist – das habenwir auch hier im Parlament mehrfach angemahnt –, ist,dass die Vereinbarung mit der Türkei zwar zu wenigerFlüchtlingen in Europa geführt hat – manch einer von Ih-nen findet das gut –, dass sie aber mitnichten eine Lösungfür und in Europa darstellt . Diese Vereinbarung hat nichtzu mehr Solidarität in Europa geführt, sondern das The-ma vor unsere Grenzen verlagert . Diese Vereinbarungtrifft vor allen Dingen Schutzsuchende, die damit vor denToren Europas stehen gelassen werden, im Stich gelassenwerden . Für sie heißt es: Aus den Augen, aus dem Sinn .Deshalb ist es für uns vollkommen unverständlich,dass die Bundesregierung diese Vereinbarung, diesenVizepräsidentin Ulla Schmidt
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Deal als langfristige europäische Lösung verkaufen will,sogar – das macht es ganz besonders absurd – als Stär-kung der Politik der legalen Zugangswege . Wahr ist: DieVereinbarung mit der Türkei schafft täglich neue Proble-me, nicht nur wegen der Politik eines Erdogan, der Op-positionelle wegsperren lässt, einen blutigen Krieg gegendie eigene Bevölkerung führt und den Staat mehr undmehr autokratisch regiert und in dessen Abhängigkeitwir uns begeben, sondern auch, weil wir wiederholt vonSchüssen auf Flüchtlinge, sogar auf Flüchtlingskinder,hören, weil ein Großteil der syrischen Flüchtlingskinderdort im Land nicht beschult wird, weil die Zukunft vielerMenschen dort ungewiss ist und die Lebensverhältnisseprekär sind . Wir wissen, dass Erdogan die Rolle, die wirihm zugeschrieben haben, nicht ewig so konditionslosweiterspielen wird .Die Vereinbarung mit der Türkei hat aber auch dazugeführt, dass wichtige Schritte – das macht es wirklichganz besonders dramatisch –, die Europa im vergange-nen Jahr gegangen ist und zu durchdenken angefangenhat, nicht weiterverfolgt werden . Die europäischen Hot-spots in Griechenland sind zu Haftzentren geworden .Wenn nun Frau Kollegin Lindholz im Innenausschussbehauptet, dass die Menschen in den Hotspots nicht in-haftiert werden – das habe ihr der griechische Integra-tionsminister gesagt –, dann beruhigt das vielleicht sie,mich aber nicht; denn ich war vor Ort, und ich weiß, wiedie Realität dort ist . In Europa wird jetzt akzeptiert, dassFrauen, Kinder und Kranke wochen- und monatelang in-haftiert werden .
Das wussten wir auch vorher . Das gibt diesen Menschenkeine Perspektive; denn das griechische Asylsystem istnicht in der Lage, die Asylverfahren adäquat und in ab-sehbarer Zeit zu bearbeiten .Eine europäische Umverteilung von Flüchtlingen –das ist das andere – ist nicht gelungen . Der EuropäischeRat hat im September des letzten Jahres die verbindlicheUmverteilung von 160 000 Flüchtlingen beschlossen .Von den rund 28 000 Schutzsuchenden, die hierbei aufDeutschland entfallen, wurden bisher – es beschämt michwirklich, das zu sagen – keine 60 Personen umgesiedelt .Deswegen haben wir einen Antrag gestellt; das ist ge-nau der Grund . Wir sagen: Hier fehlt ein Konzept . DieBundesregierung hat keine Idee, wie sie auf die europä-ischen Staaten zugehen möchte, wie sie alle wieder aneinen Tisch holen kann .
Wir haben in unserem Konzept dargestellt, dass le-gale Wege der richtige Weg sind, nämlich: Familienzu-sammenführung stärken, nicht abbauen; das Resettle-ment-Programm ausbauen, damit Menschen nicht denWeg über das Mittelmeer nehmen müssen . Wir wolleneinen echten Seenotrettungsdienst . Wir wollen die Auf-gabe nicht von anderen Agenturen und Institutionennebenbei erledigen lassen . Wir wollen europäische Erst-aufnahmeeinrichtungen – keine Hotspots, liebe Linke –,in denen Menschen nach ihren Zielstaatsvorstellungenbefragt werden und über ihre familiären Bindungen ineuropäische Länder berichten können, sodass wir alsEuropäische Union in der Lage sind, auf der einen Seitediesen Wünschen Rechnung zu tragen, auf der anderenSeite aber auch für eine solidarische Verteilung innerhalbder Europäischen Union zu streiten .
Wir wollen, dass die Menschen bezüglich ihrer eigenenZukunft eingebunden werden und beteiligt werden; essoll nicht durch Zwang, sondern unter Beteiligung undInformation erfolgen .Wir wollen flexible Lösungen. Wir wollen, dass dieBeiträge von Staaten nicht nach Schema F funktionie-ren und daran gemessen werden . Wenn Griechenland dieVerteilung von allen Flüchtlingen, die in Europa ankom-men, übernimmt und organisiert und sie im eigenen Landadäquat und menschenwürdig unterbringt, dann ist dasein starker Beitrag zur europäischen Flüchtlingspolitik .Dann braucht man am Ende des Tages nicht zu zählen,wie viele Flüchtlinge Griechenland dauerhaft aufnimmt .
Es ist auch ein eigenständiger Beitrag, wenn ein euro-päisches Land sagt: Wir bauen unser Resettlement-Pro-gramm aus . – Die europäische Verteilung wird darangemessen, wie viele Flüchtlinge wir im Rahmen diesesProgramms aufnehmen, um den Menschen zu ersparen,über das Mittelmeer zu kommen .Es ist auch in Ordnung, wenn Deutschland am Endesagt: Wir nehmen mehr Flüchtlinge auf als andereEU-Mitgliedstaaten . Wir, die wir diese Geschichte habenund diese Verantwortung empfinden, nehmen verhält-nismäßig mehr Flüchtlinge auf als beispielsweise Polenoder Ungarn .Es ist auch eine große Chance für die EuropäischeUnion, in dieser Auseinandersetzung die europäischenInstitutionen wie das EASO oder die Grundrechteagen-tur zu stärken . Hier liegt auch eine große Chance, Europadahin zu bringen, wo es wirklich wehtut, wo MenschenEuropa brauchen .
Sie kommen jetzt bitte zum Schluss, Frau Amtsberg .
Mein letzter Gedanke . – Dass es nicht leicht ist, dieVerfehlungen der Vergangenheit rückgängig zu machenund alle wieder an einen Tisch zu holen, ist uns vollkom-men klar . Aber es braucht einen Plan, und vor allen Din-gen – davon ist meine Fraktion überzeugt – braucht Eu-ropa eines, nämlich Menschen, die die europäische Ideeund die Solidarität verteidigen . Damit sollten wir in derFlüchtlingspolitik möglichst schnell beginnen .Haben Sie herzlichen Dank .
Luise Amtsberg
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 180 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . Juni 201617852
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Vielen Dank . – Barbara Woltmann ist die nächste Red-
nerin für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich glaube, es treibt uns alle um,
wenn die Flucht über das Mittelmeer auf seeuntaugli-
chen Booten angetreten wird, wenn dort Menschen ster-
ben . Allein in diesem Jahr sind bereits 3 000 Menschen
auf diesem Weg ertrunken . Das berührt uns alle . Es ist
wirklich schwer zu ertragen, was sich in den überfüll-
ten Schiffen und in den Schlauchbooten an Tragödien
abspielt, natürlich erst recht, wenn diese Boote sinken .
Wir sind uns sicherlich einig darüber, dass das so nicht
weitergehen darf . Das sind wir sicherlich auch den Men-
schen schuldig . Niemand soll im Mittelmeer ertrinken .
Aber – das muss ich an dieser Stelle auch ganz deutlich
sagen –: Wir sind uns über die Methoden nicht einig, wie
wir das verhindern können, bzw . über die zu ergreifenden
Maßnahmen nicht einig . Wir verfolgen da unterschiedli-
che Ansätze . Das ist mir gestern Morgen, Frau Jelpke,
auch wieder klar geworden, als wir mit einer Delegation
italienischer Abgeordneter des Senats zusammengeses-
sen haben und Sie dort von „Krieg gegen Flüchtlinge“
gesprochen haben . Das haben Sie auch in Ihren Antrag
hineingeschrieben. Ich finde es hochnotpeinlich, von
„Krieg gegen Flüchtlinge“ zu sprechen – das haben Sie
gestern und auch in Ihrem Antrag getan –, wenn gegen
Schleuser vorgegangen wird, wenn Boote am Auslaufen
gehindert werden . Was Sie tun, kann nicht der richtige
Weg sein .
Frau Kollegin Woltmann, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Dağdelen?
Nein, jetzt nicht . – Mit solchen Äußerungen verun-glimpfen Sie alle, die sich um Lösungen bemühen, undauch alle, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagie-ren . Die Rettung von in Seenot geratenen Menschen istin der Tat eine völkerrechtliche Pflicht, der viele, zumBeispiel unsere Marine – sie ist mit zwei Schiffen vorLibyen im Mittelmeer vertreten; auch die Bundespolizeihat ein Schiff im Mittelmeer –, Handelsschiffe, aber auchdie europäische Grenzschutzagentur Frontex, selbstver-ständlich nachkommen . Allein in diesem Jahr wurden imRahmen der Mission Triton, bei der der Mittelmeerraumvor Italien überwacht wird, rund 15 000 Migranten ausSeenot gerettet .Aber die Tatsache, dass sich so viele Menschen aufeinen solch gefährlichen Weg begeben, erfordert die Er-greifung von geeigneten Maßnahmen . Ich halte die Be-kämpfung der Schlepper- und Schleuserbanden, derenGewinnmargen weltweit bei circa 6 Milliarden Euro lie-gen, wie Bundespolizeipräsident Romann in der öffent-lichen Anhörung am vergangenen Montag sagte, für dieoberste Priorität in dem Bemühen, die Flucht über dasMittelmeer und das Sterben zu beenden . Was Schlepperund Schleuser, also Personen, die Menschen gegen Be-zahlung illegal von einem Land in ein anderes Land brin-gen, mit den oft überfüllten und seeuntauglichen Bootentun, ist menschenverachtend . Diese Schlepperbandenbewegen sich schon lange im Bereich der organisiertenKriminalität und haben längst mafiöse Strukturen ange-nommen . Deswegen ist es richtig, diese Schlepperban-den zu bekämpfen, und falsch, in diesem Zusammenhangvon Krieg zu sprechen .Liebe Kollegen von den Grünen, in Ihrem Antrag„Seenotrettung im Mittelmeer“ legen Sie Ihren Fokusauf eine systematisierte Priorität für in Seenot gerateneFlüchtlinge und Migranten . Die Bekämpfung des Schlep-per- und Schleusertums rückt dabei völlig in den Hinter-grund . Ja nicht nur das: Das spielt doch den Schlepperngeradezu in die Hände . Wir dagegen wollen Maßnahmenunterstützen, die verhindern, dass Schlepper einen An-reiz haben, ihre Geschäfte mit der Not anderer fortzufüh-ren . Zur Bewältigung dieser riesigen Aufgabe ist, wie Siein Ihrem Antrag zu Recht erläutern, aber auch die Solida-rität aller europäischen Staaten gefordert, insbesonderedann, wenn es darum geht, Resettlement-Flüchtlinge fairzu verteilen .Es ist richtig, Frau Amtsberg: Die Hotspots in Grie-chenland und Italien sind längst überfüllt . Kein Landkann das alleine schaffen . Ich erinnere dabei an das ersteLegislativpaket der EU-Kommission vom 9 . Mai 2016,mit dem die partnerschaftliche Zusammenarbeit voran-gebracht werden soll . Ich hoffe, dass die EuropäischeUnion da auch zu Lösungen kommen wird . Das Abkom-men mit der Türkei, Frau Amtsberg, zeigt Wirkung . Auchich bin bei der Reise dabei gewesen . Wir haben in Grie-chenland gesehen, wie dort mittlerweile mit der NATOund zwischen den Küstenwachen zusammengearbeitetwird . Ich denke, es ist eine gute Zusammenarbeit, die wirdort jetzt feststellen können .Nach Aussage des Exekutivdirektors von Frontex, Fa-brice Leggeri, der ja am Mittwoch hier bei uns im Innen-ausschuss gewesen ist, kommen täglich nur noch 50 bis60 Personen in Griechenland an . Das zeigt, dass der Zu-zug über die östliche Mittelmeerroute abgenommen hat .Wir können also Flüchtlingsströme steuern .Die Menschen suchen sich nun allerdings andereWege, und die Schleuser bieten ihre Dienste über Libyenan . Die logische Folge war, dass die europäischen Mis-sionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- undVerteidigungspolitik vor Libyen erweitert wurden, umrichtigerweise ein Signal gegen Schlepper und Schleuserzu senden . Auch im Rahmen der Operation Sophia, überdie wir ja nachher hier noch zu beschließen haben, wirdder Kampf gegen Schlepper im Mittelmeer fortgesetztund erweitert . Die Schiffe der Deutschen Marine sollenzukünftig auch den Waffenschmuggel von hoher See ausnach Libyen unterbinden und die libysche Küstenwacheunterstützen . Ja, der Weg ist schwierig, weil die Solida-rität einiger Mitgliedstaaten zu wünschen übrig lässt . In-sofern möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich unsererBundeskanzlerin Angela Merkel für ihren unermüdlichen
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Einsatz bei der Suche nach gemeinsamen europäischenLösungen danken .
Das war jetzt ein schönes Schlusswort, Frau Woltmann .
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss . –
Wir müssen sehr viel tun, um die Flucht über das Mit-
telmeer zu beenden . Aber die Maßnahmen, die Sie vor-
schlagen, sind nicht die richtigen . Da haben wir andere
Ansätze .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die
Kollegin Ulla Jelpke das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin Woltmann, erst vor wenigen Tagen hat die Eu-
ropäische Union ihre Militärmission im Mittelmeer ver-
stärkt, nicht die Seenotrettung, um das einmal ganz klar
zu sagen .
Außerdem soll sie ausgerechnet vor der libyschen Küste
stattfinden. Der Außenminister hat ganz deutlich gesagt:
Es geht darum, den Übertritt von Flüchtlingen über die
libysche Grenze Richtung Mittelmeer, Richtung Europa
zu verhindern .
Wenn man Flüchtlinge daran hindert, aus einem Land zu
fliehen, das kriegszerrissen ist, wo Folter herrscht, wo
die Flüchtlinge in Gefängnissen sitzen, wo man sie dort
festhalten will, dann ist es Krieg, wenn man das Militär
gegen diese Flüchtlinge einsetzt und nichts anderes; denn
die Menschen können keinen Schutz mehr suchen und
finden.
Deswegen ist es auch eine unglaubliche Provokation,
dass Sie das so nicht sehen wollen, die Grenzen überall
dicht machen und für legale Wege überhaupt keine Mög-
lichkeiten mehr aufzeigen . Wir alle, insbesondere Ihre
Fraktion, haben Krokodilstränen vergossen, als es vor
einigen Jahren immer wieder zu riesengroßen Katastro-
phen im Mittelmeer gekommen ist . Tausende sind inzwi-
schen dort ertrunken . Auch in diesem Jahr sind wieder
2 500 Menschen ums Leben gekommen . Ich sage in aller
Deutlichkeit: Die Bundesregierung ist mit schuld daran,
weil sie sich weigert, sichere und legale Fluchtwege zu
schaffen . Sie haben dafür bisher nichts getan .
Warum fliegen Flüchtlinge nicht einfach mit dem
Flugzeug?
So lautet die simple Frage einer Künstlerinitiative in Ber-
lin . Die Antwort: Weil die EU und die Bundesregierung
das verhindern . Fluggesellschaften müssen drakonische
Strafen bezahlen, wenn sie Schutzsuchende ohne gültige
Visa befördern . Deswegen müssen sich Flüchtlinge zum
Teil kriminellen Schleppern und Schleusern ausliefern .
Die Künstler vom Zentrum für Politische Schönheit
haben mitten in Berlin eine Arena mit vier Tigern auf-
gebaut und angekündigt, diese Raubtiere würden ab
kommenden Dienstag Flüchtlinge fressen . Diese Aktion
wird von einigen als zynisch bezeichnet . Die Wahrheit
ist aber: Nicht die Tiger sind die tödliche Gefahr, sie sind
vielmehr nur ein Symbol für eine tödliche Abschottungs-
politik der EU, die Tag für Tag Flüchtlingen das Leben
kostet .
Zudem schaffen Europa und die NATO seit Jahren
selbst Fluchtursachen, die Menschen aus den Ländern
vertreiben . Ich nenne nur die Bombardierung von Syrien,
Waffenexporte, neoliberale Wirtschaftspolitik, insbeson-
dere gegenüber Ländern der sogenannten Dritten Welt .
Das ist der eigentliche Zynismus, den es anzuprangern
gilt, meine Damen und Herren .
Ich sage Ihnen: Deswegen fordert die Linke in einem
Antrag, endlich für legale und sichere Wege zu sorgen .
Sanktionen gegen Transportunternehmen gehören ersatz-
los gestrichen .
So, jetzt können Sie es wieder herunternehmen, Frau
Jelpke .
Das ist nur ein Flugzeug, Frau Präsidentin . Es steht
nicht einmal etwas darauf .
Aber trotzdem halten wir hier keine Plakate hoch .
Sie kennen die Geschäftsordnung .
Es sollte im Grunde symbolisieren, dass man legaleWege sehr leicht schaffen kann, indem man die Sank-Barbara Woltmann
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tionen gegen Transportunternehmen ersatzlos streicht .Dann könnten Flüchtlinge auch Fähren und Flugzeugebenutzen; denn sie müssen sowieso ein Asylverfahrendurchlaufen . So könnten wir dafür sorgen, dass es keineToten mehr gibt, und vor allen Dingen – das finde ich be-sonders gut – wären die Schlepperbanden arbeitslos undhätten nichts mehr zu tun .
Es wurde heute hier schon angesprochen: Natürlichhat die Linke immer wieder in weiteren Anträgen ge-fordert, Italien und Griechenland kräftig zu unterstüt-zen . Das sind die Länder, die gegenwärtig am meistenFlüchtlinge aufnehmen, insbesondere Griechenland . Danützt es nichts, nur Beamte hinzuschicken . Wir fordernschon lange, dass das Dublin-System endlich aufgehobenwird; denn – das muss man nach wie vor sagen – es istgescheitert .Es ist doch wirklich ein Armutszeugnis: Die Bundes-regierung hat letztes Jahr versprochen, 27 500 Flüchtlin-ge aus den beiden Ländern zu übernehmen, und bis heutesind nur 57 hier angekommen . Na, wo sind wir denn?Wo ist denn die Solidarität gegenüber solchen Ländern inEuropa? Das ist doch wirklich ein Skandal .
Um es ganz klar zu sagen, meine Damen und Herren:Lassen Sie nicht Krokodilstränen fließen, sondern tun Sieendlich etwas! Sie haben damals, nach der Katastrophevon Lampedusa, versprochen, so etwas dürfe nie wiederin Europa passieren . Alle haben das gesagt: die Politi-ker auf europäischer Ebene und insbesondere auch hier .Insofern sagen wir: Machen Sie Nägel mit Köpfen, be-enden Sie das Massensterben, indem Sie endlich legaleWege schaffen .Ich danke Ihnen .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der
Kollege Professor Dr . Lars Castellucci das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir heuteMorgen erlebt haben, zeigt uns, dass den Menschen derSinn für Europa verloren gegangen ist . Wenn ich überle-ge, was in meinem Wahlkreis, in den vielen Gesprächen,gesagt wird, dann erkenne ich: Das ist eine Sache, dienicht nur in Großbritannien stattfindet, sondern auch hier.Es wird gefragt: Wozu Europa? Die alte Geschichte vonKrieg und Frieden, von Wohlstandssicherung und Bin-nenmarkt zieht so nicht mehr .Also muss sich Europa besinnen; wir müssen den SinnEuropas mit den Bürgerinnen und Bürgern wieder klären .Der Zusammenhang mit unserem Thema ist, dass ein Eu-ropa, das ein Massensterben an seinen Grenzen zulässt,sinnlos ist . Im vergangenen Jahr kam es zu 3 800 Totenauf dem Mittelmeer . Ich hatte Anfang dieses Jahres dieHoffnung, dass wir die Zahl in diesem Jahr wenigstenshalbieren könnten . Jetzt sind wir nach einem halben Jahrschon deutlich darüber .Jetzt ist es ja nicht so, dass nichts passiert . Wir ha-ben eine Militärmission, die natürlich auch den Auftragder Seenotrettung hat . Wir diskutieren über Frontex, ha-ben dafür deutlich mehr Ressourcen bereitgestellt . ZumAuftrag von Frontex gehört eben auch die Seenotrettung .Es gibt privates Engagement, zum Teil Boote, die ausDeutschland losfahren . Wir haben das Abkommen mitder Türkei, dessen konkrete Umsetzung immer noch eineKatastrophe ist, das aber auch einen wesentlichen Bei-trag dazu leisten soll, den Schleppern das Handwerk zulegen, und damit helfen soll, weitere Todesfälle zu ver-hindern . Aber es ist richtig – vielleicht kann diesem Satzsogar jeder hier in diesem Parlament zustimmen –: Es istschon viel passiert, aber es reicht nicht .
Frau Kollegin Woltmann, Sie haben jetzt gesagt, sodürfe es nicht weitergehen . Da stimme ich Ihnen aus-drücklich zu . Die Argumente, die wir hier im Haus – aufden Gängen oder auch mal in den Ausschüssen – hören,sprechen nicht dafür, dass alle der Meinung sind, hiermüsste jetzt viel mehr gemacht werden . Es sind die Ar-gumente, die jetzt vielleicht in der Diskussion hier imParlament nicht kommen, aber ich will sie mal vortragen:Es gab die Operation Mare Nostrum der Italiener . EinArgument, das ich hier gehört habe, war: Na ja, trotzMare Nostrum sind Menschen auf dem Meer gestor-ben . – Das stimmt .
Dann habe ich gehört, es sei schwierig, das ganze Mit-telmeer zu überwachen . Auch das ist richtig .Dann habe ich das Argument gehört: Wenn wir mehrtun, dann kommen vielleicht noch mehr, das heißt, wirsetzen mit einer größeren Hilfsaktion auch noch Anreizedafür, dass mehr Flüchtlinge nach Europa kommen . –Da wird es schwierig, weil das so gar nicht stimmt: Wirhaben bei den italienischen Missionen gelernt, dass dasgrößere Engagement in der Seenotrettung in Wahrheitzur Schleuserbekämpfung beigetragen hat und nicht zurErhöhung der Zahl der Menschen, die versuchen, über-zusetzen .Damit ist völlig klar: Vielleicht ist allgemein davondie Rede, dass es so nicht weitergehen darf, aber es gibtin den parlamentarischen Diskussionen klare Argumente,die sich gegen mehr Engagement richten . Ich halte dieArgumente, die ich eben vorgetragen habe, alle für nichterträglich;
denn diese Argumente nehmen den Tod in Kauf .Ulla Jelpke
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Jetzt ist die Frage: Was kann darüber hinaus nochpassieren? Ich glaube, das Wesentliche ist, dass wir soetwas wie ein europäisches Programm zur Seenotrettungauflegen. Hier gibt es Bewegung. Wir arbeiten daran,den Auftrag von Frontex in dieser Hinsicht zu erweitern .Wenn Frontex diesen Auftrag nicht übernimmt, dann isttatsächlich die Frage, ob wir einer anderen Institutiondiesen Auftrag geben .Ein zweiter Vorschlag ist, die unterschiedlichen Berei-che, die es gibt, besser zu koordinieren . Es gibt eine Mili-täraktion . Allein in diesem Jahr sind bereits 16 000 Men-schen allein von unseren Soldatinnen und Soldaten derBundeswehr gerettet worden . Dafür muss man sehrdankbar sein . An dieser Stelle: Hochachtung vor der Ar-beit unserer Soldatinnen und Soldaten!
Es gibt weitere nationale Missionen, die im Mittelmeertätig sind . Die Frage ist, ob sie besser koordiniert werdenkönnen .Ein dritter Aspekt, der mir sehr wichtig ist . Eigentlichkann man heutzutage alles überwachen . Kann man dannüber satellitengestützte Instrumente oder mit Drohnennicht auch das Mittelmeer besser überwachen, sodassman weiß, wann ein Schiff mit Geflüchteten die Häfenan der afrikanischen Küste verlässt, um rechtzeitig vorOrt zu sein, um zu helfen?Die Punkte, die die Wurzeln der ganzen Problematikbetreffen, habe ich noch gar nicht angesprochen; sie sindteilweise von meinen Vorrednerinnen genannt worden .Natürlich wäre es das Beste, die Menschen setzten erstgar nicht über, wir könnten die Fluchtursachen noch stär-ker bekämpfen . Das sind die eigentlichen Herausforde-rungen . Es geht auch darum, legale Zugangswege nachEuropa zu eröffnen, Stichwort Einwanderungsgesetz, daswir in Deutschland brauchen . Aber in Wahrheit brauchtganz Europa bessere Einwanderungsregeln; denn dieMigration trifft auf unseren Kontinent .Die größte Gefahr, die ich für uns alle sehe, ist dieGefahr der Gewöhnung, die Gefahr, dass uns die Bildernicht mehr erreichen . Das Bild des angeschwemmtenJungen ging um die ganze Welt, aber das Bild des Jungen,der auf dem Arm eines Seemanns war, hat kaum mehrjemanden erreicht . Die Gefahr ist, dass wir abstumpfen .Dagegen müssen wir uns alle zur Wehr setzen . Es darfnicht passieren, dass wir abstumpfen .
Deswegen möchte ich meine Rede mit einer Frage schlie-ßen – die Frage mag jeder für sich beantworten –, und dieFrage lautet: Wie fühlt es sich wohl an, ein totes Kind aufdem Arm zu tragen?
Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege
Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion .
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Natürlich ist jeder Tote im Mittelmeer ein Toter
zu viel .
– Jetzt hören Sie doch bitte erst einmal zu .
– Das werde ich Ihnen sofort erklären, liebe Frau
Hänsel . – Natürlich bedrückt uns die Tatsache, dass seit
Beginn des Jahres 2014 10 000 Menschen im Mittel-
meer gestorben sind . Deswegen haben wir die Anträge
von Grünen und Linken sehr aufmerksam gelesen .
Aber ich muss Ihnen sagen, dass Sie sowohl in der Ana-
lyse als auch in den Schlussfolgerungen, die Sie daraus
ziehen, danebenliegen .
Einige Punkte sind in dieser Debatte bereits genannt
worden . Erstens . Natürlich kann es nie gelingen, ein Netz
zu spannen, das alle, die im Mittelmeer in Lebensgefahr
sind, schützt . Zweitens . Damit setzt man natürlich auch
Fluchtanreize und unterstützt vor allen Dingen das dre-
ckige Geschäft von Schleppern insoweit, als man Gefahr
läuft, das letzte Stück der schmutzigen Arbeit der Schleu-
ser, die Menschen auf ihren Kähnen auf hohe See brin-
gen und dort ihrem Schicksal überlassen, mitzuerledigen .
Deswegen glaube ich: Das, was wir tun, ist erstens gut
und zweitens richtig .
Ich bitte Folgendes zu bedenken: Die Frontex-Opera-
tionen Triton und Poseidon haben inzwischen qualitativ
und quantitativ das Ausmaß von Mare Nostrum ange-
nommen . Darüber hinaus gibt es EUNAVFOR MED und
die NATO-Operation in der Ägäis . Fakt ist, dass Europa
noch nie so viel Personal, noch nie so viel Kapazitäten
und noch nie so viel Geld in die Waagschale geworfen
hat, damit wir am Ende erfolgreich sein können . Die
Zahlen bestätigen das: In den vergangenen zwölf Mo-
naten wurden 60 000 Menschen von Frontex gerettet,
15 000 bis 16 000 Menschen sind alleine durch deutsche
Marinesoldaten im Rahmen von EUNAVFOR MED ge-
rettet worden, und in der Ägäis ist überhaupt niemand
mehr gestorben, weil die Westbalkanroute zu ist und es
die Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und
der Türkei gibt .
Herr Kollege Frei, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Dağdelen?
Bitte schön .Dr. Lars Castellucci
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Bitte schön, Frau Kollegin .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Vielen Dank, Herr
Kollege Frei, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen
haben . Ich gehe davon aus, dass es aufrichtig gemeint
ist, dass man das Massensterben im Mittelmeer beenden
möchte, und es ist schön, dass es Maßnahmen gibt, die
dazu beigetragen haben, Flüchtlinge aus Seenot zu ret-
ten . Allerdings muss ich hinzufügen: Es gibt im Moment
kein Seenotrettungsprogramm im Mittelmeer, sondern
das wird nebenbei gemacht .
Insofern würde ich gerne Folgendes wissen: Wenn es
aufrichtig gemeint ist, wenn man sagt, dass man Men-
schenleben retten möchte, wäre es dann nicht sinnvoller,
eine einfache Maßnahme zu ergreifen und in § 63 Ab-
satz 3
die Sanktionsregelungen für Beförderungsunternehmen
abzuschaffen, damit ein Mensch beispielsweise auch da-
durch vor Verfolgung und Krieg flüchten kann und Schutz
entsprechend der Allgemeinen Erklärung der Menschen-
rechte, der Genfer Flüchtlingskonvention etc . pp . suchen
kann, dass er einfach ein Flugzeug besteigt, anstatt Tau-
sende Euro an Schlepperbanden bezahlen zu müssen, die
ihn schlecht behandeln, anstatt in Todesschiffe steigen zu
müssen mit dem Risiko, dass er gar nicht lebendig an-
kommt? Das ist eine Maßnahme, die möglich wäre und
vor allen Dingen weniger kosten würde als alle Program-
me, die man mit Millionen und Milliarden Euro bestückt,
um zu verhindern, dass Menschen sterben . Fakt ist, dass
die Menschen weiterhin sterben . Allein in diesem Jahr
sind es bereits 2 500 Tote .
Frau Dağdelen.
Das wäre eine kleine, einfache, ganz konkrete Maß-
nahme, die zur Beendigung des Massensterbens im Mit-
telmeer beitragen könnte . Ist das nicht eine Möglichkeit?
Das würde weniger kosten als all Ihre Maßnahmen .
Nein, Frau Kollegin Dağdelen, das ist aus unsererSicht keine Möglichkeit . Ich werde gleich noch etwaszum Thema „legale Migration“ sagen . Wenn Sie glau-ben, dass man 1,8 Millionen illegale Grenzübertritte nachDeutschland im vergangenen Jahr zu legalen Grenzüber-tritten machen sollte, sage ich dazu klipp und klar Nein .Es gibt andere Dinge, mit denen wir versuchen, diesesProblem nachhaltig zu lösen .Es ist falsch, wenn Sie sagen, dass EUNAVFOR MEDvor der Küste Libyens die Seenotrettung sozusagen nurnebenbei erledigen würde .
Nein, es ist geradezu nachhaltig, wenn man darüber hi-naus auch gegen Schlepper und Schmuggler vorgeht,auch gegen Waffenschmuggler, und man einen Beitragdazu leistet, auf mittlere Sicht letztlich auch Marine undKüstenschutz zu ertüchtigen, ihre Aufgaben zu erledigen .
Es geht doch darum, das Problem nachhaltig zu lösen,und nicht darum, Strohfeuer zu löschen . Es ist richtig,dass es eine humanitäre Pflicht zur Seenotrettung gibt.Wer den Einsatz aber auf die Seenotrettung begrenzt –das tun Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von denGrünen auch –,
wer sagt, dass das Mandat, über das wir nachher sprechenwerden, kontraproduktiv und hochriskant ist, und allesandere außer Acht lässt, der ist letztlich naiv . Das wollenwir nicht . Deshalb ist das, was wir machen, richtig .
Sie haben einen richtigen Satz gesagt . Natürlich musses das Ziel sein, dass die Menschen gar nicht erst dieschwierige Fahrt über das Mittelmeer machen . Deswe-gen muss man an dieser Stelle auch sagen, dass man et-was tun muss, um Fluchtursachen zu bekämpfen .
In Ihrem Antrag werfen Sie uns aber vor, diesbezüglichbliebe alles vage . Das ist doch überhaupt nicht so . Erst indieser Woche hat die Bundeskanzlerin in mehreren Re-den darauf hingewiesen,
dass die Bekämpfung von Fluchtursachen und Migrationwahrscheinlich die größte Herausforderung in der erstenHälfte dieses Jahrhunderts sein wird .Schauen Sie sich die Maßnahmen der EuropäischenUnion an, beispielsweise die Tatsache, dass die Europä-ische Union im Rahmen eines Migrationspaktes 8 Mil-liarden Euro bis zum Jahr 2020 zur Verfügung stellenmöchte; gehebelt durch private Folgeinvestitionen solldiese Summe auf 64 Milliarden Euro anwachsen . Den-ken Sie daran, dass die Europäische Investitionsbank inden nächsten fünf Jahren ihre Projektmittel verdoppelnmöchte und 6 Milliarden Euro zur Verfügung stellt –gehebelt durch private Mittel wächst dies letztlich auf15 Milliarden Euro an –, um insbesondere Länder wieJordanien, den Libanon und die Türkei, aber auch afrika-nische Länder zu unterstützen, um dort letztlich Perspek-tiven zum Bleiben zu stärken . Ich glaube, dass das derrichtige Ansatz ist und dass er im Übrigen auch lohnendist . Wir wissen, dass wir in Deutschland in diesem und imnächsten Jahr insgesamt 50 Milliarden Euro aufzuwen-
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den haben, um die Unterbringung und Integration vonFlüchtlingen zu gewährleisten . Ich glaube, dass diesesGeld in den Herkunftsländern sehr viel besser angelegtist .Ich will zuletzt sagen: Ja, es ist falsch, wenn Sie be-haupten, dass wir nichts tun, um legale Migration zuermöglichen . Natürlich hat die Kommission einen Vor-schlag vorgelegt, durch den die Bluecard reformiert wer-den soll . Aber wir verstehen vielleicht etwas anderes da-runter . Wir können über ein Einwanderungsgesetz reden,aber Einwanderung heißt, dass wir die zu uns holen, dieunsere Gesellschaft tatsächlich weiterbringen . Wir kön-nen im Rahmen der legalen Migration auch über Resett-lement-Programme sprechen .
Aber wir können illegale Migration nicht wie in der Ver-gangenheit eins zu eins zu legaler Migration machen .
Deswegen muss man darüber sprechen, ob man dieSeenotrettung nicht anders vornehmen sollte . Man mussauch überlegen, ob es nicht besser ist, Möglichkeiten zufinden, Flüchtlinge erst gar nicht auf das europäischeFestland zu bringen . Diese Abschreckungseffekte sol-len sich nicht gegen Flüchtlinge, sondern letztlich gegenSchlepper richten . Darüber müssen wir uns Gedankenmachen . Wir dürfen uns durchaus anschauen, wie das inanderen Ländern geschieht, die damit erfolgreich sindund letztlich verhindern, dass es Tote auf See gibt .Über all diese Themen sollten wir uns Gedanken ma-chen . Dann wird eine nachhaltige Lösung daraus undkein ideologisches Strohfeuer, wie wir es hier in IhrenReden erlebt haben .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Dr . Birgit
Malecha-Nissen, SPD-Fraktion, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für unsist der 20 . März ein wichtiges Datum, wir sprechen vonder Zeit davor und der Zeit danach . Das war der ersteSatz meiner Gesprächspartnerin des Flüchtlingshilfswer-kes der Vereinten Nationen auf der griechischen InselLesbos . Griechenland stand und steht vor einer riesigenHerausforderung . Mit dem EU-Türkei-Abkommen am20 . März 2016 hat sich die Situation grundlegend geän-dert . Vor dem 20 . März waren die griechischen InselnDurchgangsstation der vielen verzweifelten Menschen,die Schutz vor Krieg und Verfolgung auf ihrem Weg nachNordeuropa suchten . Nun bleiben sie und wissen nicht,wie es weitergeht .Deshalb war es mir besonders wichtig, vor einemMonat nach Lesbos zu reisen, um mir dort einen eige-nen Eindruck von der Situation der Flüchtlinge und derSeenotrettung vor Ort zu verschaffen . Besonders beein-druckt hat mich das großartige Engagement der Hilfsor-ganisationen, der ehrenamtlichen Freiwilligen und dergriechischen Kommune mit ihrer Verwaltung . Sie alleleisten unermüdliche Arbeit, um den Menschen das Le-ben in den Flüchtlingslagern zu erleichtern . Trotzdemsind die Verhältnisse bedrückend, so auch im Flücht-lingslager Kara Tepe, das ich besucht habe . Es sind vorallem die Enge, die keine Privatsphäre zulässt, und seitdem 20 . März die Ungewissheit, wie es weitergeht . Grie-chenland ist weder finanziell noch personell genügendausgestattet und braucht dringend weitere Unterstützungaus Europa .Retter helfen Rettern – das ist der zeitlich befristeteUnterstützungseinsatz der nordeuropäischen Seenotret-tungsgesellschaften auf Anforderung ihrer griechischenKollegen . Aus Deutschland ist der Seenotrettungskreuzer„Minden“ im Einsatz . Zwei ehrenamtliche Einsatzgrup-pen mit je 16 Frauen und Männern sind jede Nacht biszum Morgengrauen unterwegs, um Menschen aus Seenotin Sicherheit zu bringen . Vielen Dank für dieses außeror-dentliche Engagement und diesen Einsatz .
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass sich die Deut-sche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger rein ausSpenden finanziert. An dieser Stelle ein großes Danke-schön allen Menschen, die diese wertvolle lebensrettendeArbeit unterstützen .
Jetzt ist es ruhig, wurde mir vor Ort auf Lesbos gesagt .Das heißt jedoch mitnichten, dass sich keine Menschenmehr auf den gefährlichen Seeweg machen .
Denn die Flüchtlingsbewegungen haben sich wieder überdas Mittelmeer mit dem Ziel Italien verschoben . In denersten fünf Monaten dieses Jahres sind fast 3 000 Ge-flüchtete auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen, inder letzten Maiwoche 880 . Das ist bereits eine humanitä-re Katastrophe . Dafür müssen wir uns alle schämen .
Damit dürfen wir uns auch nicht abfinden.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich möchte in die-sem Zusammenhang noch einmal nach Italien blickenund auf die Operation Mare Nostrum der italienischenRegierung in den Jahren 2013 und 2014 hinweisen, dievielen Menschen das Leben gerettet hat . Sie wurde imOktober 2014 eingestellt, verbunden mit der ForderungThorsten Frei
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Italiens, die Seenotrettung auf europäische Ebene zu he-ben .Die seit 2005 eingesetzte EU-GrenzschutzagenturFrontex kann und konnte dieser Aufgabe nicht gerechtwerden, da sie eben nur in Küstengewässern unterwegsist . Täglich erreichen uns seit 2015 die dramatischenBilder vom Mittelmeer . Handelsschiffe wurden ver-mehrt von der internationalen Leitstelle zur Koordinie-rung der Seenotrettung angefordert und haben insgesamtgroßartige Arbeit geleistet . Mit ihrer Hilfe wurden fast60 000 Menschen gerettet . Das ist eine außerordentlicheund unvorstellbare Leistung . Unseren herzlichen Dankdafür . Das hat jedoch die Seeleute auch an ihre körperli-chen und psychischen Grenzen gebracht . Seenotrettungkann und darf nicht Aufgabe der Handelsschifffahrt sein .Zu den Forderungen im Antrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen möchte ich klarstellen: Die finanzielleBelastung der Reedereien existiert faktisch nicht, weildie operativen Kosten der Seerettungseinsätze durch dieSchiffsversicherer nahezu vollständig abgedeckt sind .Auch die strafrechtliche Verfolgung von Kapitänen we-gen des Absetzens von Drittstaatsangehörigen aus See-not hat nach Aussagen des Verbandes Deutscher Reedernicht stattgefunden .Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gehandeltworden . Seit Mai letzten Jahres werden deutsche Marine-schiffe der Bundeswehr für die Seenotrettung eingesetzt .Sie sind seither in unermüdlichem Einsatz . Vielen Dankan die Soldatinnen und Soldaten . Das hat die Handels-schifffahrt massiv entlastet . Sie wird heute kaum mehrdazu aufgefordert .Ich möchte auch noch auf den Antrag der Linkeneingehen . Sie fordern darin die Abschaffung der Sank-tionsregeln für Beförderungsunternehmen, insbesonderefür die Schifffahrt. Ich finde das nicht zielführend. DerAntrag ist im Ausschuss abgelehnt worden . Das würdein der Praxis eine Verlagerung der Verantwortung auf dieSchiffsgesellschaften, auf die Menschen, auf die Seeleutebedeuten . Dabei haben wir gerade festgestellt, dass dieHandelsschiffe entlastet worden sind . Um das klarzustel-len, sage ich: Bisher sind keine Zwangsgelder an Schiff-fahrtsunternehmen verhängt worden .
Frau Kollegin, die Redezeit .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe gerade:
Meine Zeit läuft ab .
– Ja, die Redezeit . – Wir brauchen dringend einen ver-
stetigten Ausbau der Seenotrettung . Das können wir nur
gemeinsam mit allen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union tun .
Die Schritte, die wir bis dahin machen, kann ich nicht
mehr alle nennen . Ich bedanke mich trotzdem ganz herz-
lich und wünsche noch einen weiteren guten Verlauf .
Danke schön .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Alexander
Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Ich glaube, ich spreche für das ganze Haus, wenn ichsage, dass uns die Bilder, die wir vom Mittelmehr sehen,nicht loslassen . Ich spreche in meinem Wahlkreis oft mitGrundschülern . Selbst die Grundschüler berichten vonden Bildern, die sie sehen . Sie berichten von ertrunkenenMenschen, darunter Kinder .Ich will Ihnen von der Opposition sagen: Ich empfindees an einem Tag wie heute ein Stück weit fast schon un-redlich, wenn Sie auch bei dieser Debatte wieder diesesZerrbild von zwei Lagern skizzieren .Da ist das eine Lager . Da sind Sie drin . Das sind dieGuten . Das sind diejenigen, die die ganze Zeit unentwegtVorschläge unterbreiten, wie man das Massensterben imMittelmeer unterbinden kann .Im anderen Lager sind die Unmenschen . Da sitztselbstverständlich auch die Bundesregierung drin .
Da sind diejenigen drin, die nach Ihrer Einschätzung fürAbschottungspolitik stehen, und diejenigen – so ist esheute wieder gesagt worden –, die Schuld oder Mitschulddaran tragen .
Das mündet dann in Ihren Vorschlag, dass wir mit siche-ren Einreisewegen von Nordafrika nach Europa und miteiner weiteren Ausdehnung von Frontex bis an die liby-sche Küste – das ist Ihre Quintessenz – das Sterben imMittelmeer werden verhindern können .Ich sage Ihnen: Das hört sich einfach an . Aber so ein-fach, wie es sich anhört, so naiv ist es auch . Denn Siehaben in beiden Reden zu diesem Thema zwei große Re-alitäten ausgeblendet .
Die erste Realität ist, dass in Afrika schon heute 15 Mil-lionen Menschen auf der Flucht sind . Es gibt Schätzun-Dr. Birgit Malecha-Nissen
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gen, nach denen 50 Millionen Menschen aus Afrika nachEuropa wollen .
Die zweite – fast tragische – Erkenntnis ist, dass dasgrößte Flüchtlingsgrab nicht das Mittelmeer, sondernvermutlich die Sahara ist . Es gibt Schätzungen, dass dortwomöglich schon bis zu 1 Million Flüchtlinge ums Le-ben gekommen sind, Menschen, die getötet wurden, dieverdurstet oder verhungert sind; dort werden Kinder ver-schleppt und Frauen vergewaltigt .Wenn man sich einmal konkret mit der Situation inAgadez auseinandersetzt – Agadez ist eine Stadt im Ni-ger, die Hauptstadt der gleichnamigen Region; sie liegtgenau an der Route von Westafrika nach Libyen undist der Ausgangspunkt für Fahrten in die Wüste –, dannmuss es einen beschäftigen, dass dort im letzten Jahr täg-lich teilweise bis zu 15 000 Flüchtlinge durchgeschleustwurden . Dort sind das Schleusen bzw . der Transport vonFlüchtlingen und alles, was dazugehört, ein großer Wirt-schaftszweig . Menschen, die es geschafft haben, nachLibyen oder Ägypten zu kommen, berichten von Leichenam Wegesrand .Wenn ich mir die Frage stelle, was passieren würde,wenn wir legale Einreisewege von Nordafrika etablie-ren würden, dann wage ich die Behauptung, wir würdenGefahr laufen, dass wir in Agadez nicht mehr Tausen-de, sondern Zehntausende und in der Sahara nicht mehrZehntausende, sondern Hunderttausende Flüchtlinge ha-ben würden .Ähnliche Erfahrungen haben wir im Hinblick aufIhren zweiten Vorschlag gemacht . Es gab ja schon denVersuch, diverse Operationen weiter in den Mittelmeer-raum hinein agieren zu lassen . Die Erkenntnis, würde ichsagen, war eher ernüchternd .Was ist passiert? Die Schleuserbanden haben dieFlüchtlingsboote noch viel voller gepackt, haben nochviel jämmerlichere Nussschalen – so möchte man fastsagen – genommen, haben die Menschen auf das Mit-telmeer hinausgeschickt und ihnen gesagt – bitte nichtfalsch verstehen! –: Ihr werdet ja jetzt früher herausge-fischt.
Ich glaube, dass wir uns bei allem, was wir tun, na-türlich auch die Frage stellen müssen: Schaffen wir da-mit nicht falsche Anreize? Das ist, liebe Kolleginnenund Kollegen von der Opposition, letztendlich auch derPunkt, an dem Sie unvollständig agieren, weil Sie nur aufdas Mittelmeer schauen .
Wenn wir nämlich über Anreize reden, dann müssenwir auch darüber sprechen, warum im Bundesrat nachwie vor über die Einstufung als sichere Herkunftsländerdiskutiert wird . Solange diese Länder nicht als sichereHerkunftsländer deklariert sind, solange nicht das klareSignal ausgesandt wird: „Ihr müsst euch nicht auf denWeg, auf die gefährliche Reise nach Europa machen“, solange werden sich auch Menschen aus diesen Ländernauf diesen lebensgefährlichen Weg machen . Deswegenmüssen auch Sie sich an dieser Stelle die Frage der Mit-verantwortung stellen .
Meine Damen, meine Herren, die Aufgabe ist viel um-fassender, und wir dürfen nicht nur auf das Mittelmeerblicken . Ich bin dem Kollegen Frei sehr dankbar, dasser umfassend beleuchtet hat, was wir machen müssen,um die Situation vor Ort zu verbessern . Denn eines istsicher: Unsere humanitäre Verantwortung endet nicht anunseren EU-Außengrenzen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .Wir kommen jetzt zu vier Abstimmungen zu diesemTagesordnungspunkt .Zunächst stimmen wir über den Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8875 mitdem Titel „Seenotrettung im Mittelmeer – Menschenschützen, humanitäre Verantwortung übernehmen, so-lidarisch handeln“ ab . Wer stimmt für diesen Antrag? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antragist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dieStimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung derFraktion Die Linke abgelehnt .Wir stimmen über die Beschlussempfehlung des In-nenausschusses auf Drucksache 18/8918 ab .Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-tion Die Linke auf Drucksache 18/4838 mit dem Titel„Das Mittelmeer darf nicht zum Massengrab werden –Für eine Umkehr in der EU-Asylpolitik“ . Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen auf Drucksache 18/8244 mit dem Titel „Flüchtlings-schutz und faire Verantwortungsteilung in einer geeintenEuropäischen Union“ . Wer stimmt für diese Beschluss-Alexander Hoffmann
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empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen vonBündnis 90/Die Grünen angenommen .Wir kommen zur letzten Abstimmung zu diesem Ta-gesordnungspunkt, und zwar zur Abstimmung über dieBeschlussempfehlung des Innenausschusses zu demAntrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Sankti-onsregelungen für Beförderungsunternehmen, insbeson-dere Flug- und Schiffsunternehmen, abschaffen“ . DerAusschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/8905, den Antrag der Fraktion Die Lin-ke auf Drucksache 18/8701 abzulehnen . Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmender Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünenangenommen .Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf:Beratung des Antrags der BundesregierungFortsetzung und Erweiterung der Beteili-gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED Operation SOPHIADrucksache 18/8878Überweisungsvorschlag Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GONach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre hierzukeinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen, damit ich dieAussprache eröffnen kann .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parla-mentarische Staatssekretär Dr . Ralf Brauksiepe für dieBundesregierung .
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sie alle kennen die Tragödien, die sich vor der libyschenKüste abspielen, wo völlig überfüllte und gänzlich un-geeignete Flüchtlingsboote von skrupellosen Menschen-schleusern auf das Mittelmeer geschickt werden . Im Zu-sammenhang mit dem vorherigen Tagesordnungspunkthaben wir bereits darüber diskutiert .Es ist wahr: Unter Ausnutzung der Hoffnung aufeine bessere Zukunft in Europa missbrauchen die Men-schenschmuggler die Notlage der Flüchtlinge weiterhin,schlicht um sich selbst zu bereichern . Das ist und bleibtunmoralisch und für uns absolut inakzeptabel .Trotz allen Unglücks: Es konnte glücklicherweise we-nigstens ein Teil der Schiffbrüchigen – zum Teil in letzterMinute – gerettet werden .Davon ist hier auch schon die Rede gewesen, und ichbetone das noch einmal: Es ist eine selbstverständlichevölkerrechtliche Pflicht für alle Schiffe, die Menschen zuretten, die in Seenot sind und die sie aufgreifen können .Das ist nicht nur Theorie, sondern nicht zuletzt deshalb,weil die Bundesregierung im Frühjahr 2015 schnell undentschlossen zwei Schiffe der deutschen Marine in dasMittelmeer entsandt hat, ist dies auch in vielen Tausen-den Fällen erfolgreich geschehen .Ich will hier nur den Stand vom letzten Freitag, dem17 . Juni 2016, nennen: Über 15 700 Menschen sind insge-samt gerettet worden, davon 9 346 durch deutsche Kräf-te . Gestern sind zum Glück 84 weitere hinzugekommen .Weit mehr als die Hälfte aller, die gerettet worden sind,sind also von deutschen Marinekräften gerettet worden .Ich finde, darüber können wir glücklich und darauf kön-nen wir stolz sein . Dafür sollten wir unseren Soldatinnenund Soldaten herzlichen Dank sagen .
Uns ist klar, dass die Ursachen für dieses Flücht-lingsdrama sich nur mit langfristig ausgerichteten undganzheitlichen europäischen Ansätzen an den Wurzelnbekämpfen lassen . Seit der Sondersitzung des Europäi-schen Rates zur Migrationsproblematik im April letztenJahres gehen wir im Rahmen der EU dabei Hand in Handvor . Unser gemeinsam erklärtes Ziel ist es, den kriminel-len Schleusern das Handwerk zu legen und ihre Netzwer-ke in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Sicher-heitsinstitutionen Libyens zu zerschlagen .Deshalb haben wir in der EU beschlossen, die Kern-aufgabe von EUNAVFOR MED Operation Sophia, dieeindeutig darin liegt, diesen Schleusern das Handwerkzu legen, zu ergänzen und zwei weitere Zusatzaufgabenzu übernehmen . Zum einen soll die Unterstützung derlibyschen Küstenwache und der Marine durch Informa-tionsaustausch, Ausbildung und Kapazitätsaufbau erhöhtwerden; denn eine funktionierende libysche Küstenwa-che und Marine sind eine wichtige Voraussetzung dafür,dass der Menschenschmuggel in den Küstengewässernwirkungsvoll unterbunden werden kann .Zum Zweiten werden wir auf der Grundlage der ein-stimmig angenommenen Resolution des Sicherheitsratsder Vereinten Nationen vom 14 . Juni dieses Jahres Maß-nahmen auf hoher See umsetzen, um Verstöße gegen dasVN-Waffenembargo in Bezug auf Libyen zu unterbinden .Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll der Waffen-schmuggel nach und von Libyen, bei dem der sogenannte„Islamische Staat“ eine Schlüsselrolle innehat – er profi-tiert davon am meisten –, entscheidend verhindert wer-den; eine Maßnahme, die dringend geboten ist .Mit diesen Maßnahmen erfährt zugleich die sich eta-blierende libysche Einheitsregierung eine wesentlicheStärkung . Uns allen ist dabei klar, dass dieser ProzessVizepräsidentin Ulla Schmidt
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nicht von heute auf morgen funktioniert . Es gilt weiter-hin, viele innerlibysche Widerstände zu überwinden . Wirmüssen helfen, die libysche Einheitsregierung beim Auf-bau eigenständiger und belastbarer Sicherheitsstrukturenzu unterstützen und die Stabilisierung des Landes sowieindirekt der weiteren Region, so gut es geht, voranzu-bringen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, EUNAVFORMED Operation Sophia wird zu dieser Unterstützung derneuen Regierung auch weiterhin einen wertvollen Bei-trag leisten . Daher prüfen wir wie auch die anderen Mit-gliedstaaten der Europäischen Union aktuell die Bereit-stellung von weiteren Einheiten und Ausbildungskräften,um Libyen auf diesen Feldern aktiv eine wirksame Start-hilfe zu geben .Mit unserem Mandat, das die Bundesregierung demHohen Hause vorlegt, setzen wir die jetzige Beschlussla-ge der EU für den Einstieg in die ergänzenden Aufgabenum . Die EU beschränkt zunächst weiterhin ihr Handelnauf die hohe See . Das gilt auch für die jetzt zu überneh-mende Aufgabe der Ausbildung . Ich sage gleichzeitig fürdie Bundesregierung in aller Deutlichkeit: Wenn sich dieEU, was natürlich weitere Voraussetzungen und auch dasZusammenwirken mit der libyschen Regierung erfordert,im weiteren Verlauf der Operation zum Handeln in li-byschen Territorialgewässern und an Land entschließensollte, werden auch wir gefordert sein, uns zu entschei-den . Aber wie schnell das der Fall sein wird, kann derzeitniemand voraussagen . Klar ist nur für diese Mission wieauch für andere: Wir Deutsche können uns nicht einfachwegducken, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Unsere Beteiligung an EUNAVFOR MED OperationSophia soll bis zum 30 . Juni 2017 mit einer unveränder-ten personellen Obergrenze von 950 Soldatinnen undSoldaten durchgeführt werden . Wir haben damit ausrei-chende operative Flexibilität, um gemeinsam mit unse-ren europäischen Partnern jetzt handeln zu können . Wirliegen in der Praxis zurzeit sehr weit unter dieser Man-datsobergrenze .Wir werden vorerst bei der Operation weiterhin mitzwei Einheiten vertreten sein . Deutschland ist nach Ita-lien schon jetzt der mit Abstand größte Truppensteller .Ich sage es noch einmal: Die deutschen Kräfte sind die-jenigen, die besonders viele Menschen aus Seenot geret-tet haben . Das zeigt, für wie wichtig wir diesen Beitragerachten .Es gilt jetzt, gemeinsam mit unseren europäischenPartnern das konkrete Handeln auszuplanen und Libyenzu helfen . Eins ist klar: Diese Entwicklung braucht nichtnur Zeit, sondern auch eine handlungsfähige und interna-tional anerkannte libysche Regierung, die ihren Teil derinternationalen Verantwortung verlässlich und berechen-bar wahrnimmt .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie: Un-terstützen Sie den Antrag der Bundesregierung! Denndas deutsche Engagement im Rahmen von EUNAVFORMED ist richtig und wichtig . Es ist politisch richtig undwichtig, und es ist auch aus humanitärer Sicht richtig,wichtig und geboten .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Dr . Alexander Neu ist jetzt der nächste
Redner für die Linksfraktion .
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte FrauPräsidentin! Heute geht es um die erste Verlängerung derMission EUNAVFOR MED, ironischerweise „Sophia“genannt. Offiziell geht es um die Schleuserbekämpfung.De facto handelt es sich um eine Flüchtlingsabwehrmis-sion .Die gute Nachricht ist – das räumen wir ein; das wirdauch von NGOs eingeräumt –: 16 000 Menschenlebenwurden gerettet . Hervorragend!Wie viele Menschen gerettet wurden, wissen wir . Wieviele ertrunken sind, können wir nur schätzen . Die Zah-len belegen laut UNHCR und Ärzte ohne Grenzen, dasszwischen Januar und Mai 2016 etwa 3 000 Menschen imMittelmeer ertrunken sind, umgerechnet alle 80 Minutenein Mensch . Es müssten aber keine Kinder, Frauen undMänner im Mittelmeer ertrinken, wenn sie legal und aufsicheren Wegen Europa erreichen könnten .
Kommen wir aber zurück zum eigentlichen Auftrag –so lautet er zumindest offiziell –: die Schleuserbekämp-fung . Die Bundesregierung hat uns keine Bilanzierungdes Dreivierteljahres vorgelegt, seitdem EUNAVFORMED läuft . Es gibt aber eine Bilanzierung – das kannman im Internet einsehen –, die der EU-Unterausschussdes britischen Oberhauses Anfang Mai, also vor weni-gen Wochen, unter dem Titel „Operation Sophia, dieEU-Mission im Mittelmeer: eine unlösbare Aufgabe“ zuEUNAVFOR MED vorgelegt hat . Das Fazit lautete: DasGeschäftsmodell des Schleusertums – dessen Bekämp-fung ja eine Kernaufgabe der Mission ist – konnte nichtbeeinträchtigt werden, und die Operation kann ihr Man-dat nicht erfüllen .Sie kann zwar ihr Mandat nicht erfüllen, aber nunsollen zwei neue Aufträge hinzukommen, nämlich zumeinen die Unterbindung von Waffenschmuggel auf hoherSee und zum anderen der Aufbau des Küstenschutzes .Interessant ist die Unterbindung des Waffenschmuggelsauf hoher See . Der Waffenschmuggel in Libyen läuft imWesentlichen nicht über die hohe See; er läuft über dieLandgrenzen – wenn er überhaupt über den Seeweg er-folgt, dann läuft er über das Küstenmeer, und genau dortwird EUNAVFOR derzeit nicht agieren . Das heißt, dieseAufgabe wird wahrscheinlich, ähnlich wie die Schleuser-bekämpfung, ins Leere laufen . Also: Das läuft so nicht .Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
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Abgesehen davon: Wenn Waffenschmuggel bekämpftwerden soll, dann sollten die Europäer und auch Deutsch-land aufhören, Waffen in die Region zu liefern .
Es ist doch zynisch, den Waffenschmuggel nach Libyenunterbinden zu wollen und gleichzeitig Waffen dorthinzu liefern . Das verstehe ich nicht .Der andere Ansatz lautet „Aufbau eines Küstenschut-zes“ . Mir ist nicht klar, wer ausgebildet werden soll undwelche Kriminellen oder Islamisten darunter sein wer-den . Das ist alles nicht geklärt, aber der Auftrag steht .Ich bin gespannt, was dabei herauskommt . Die „Erfolgs-story“ anderer Ausbildungsmissionen lässt nichts Guteserahnen .Aber was den Begriff „Küstenschutz“ angeht: Es istdoch der eigentliche Auftrag eines Küstenschutzes, Ge-fahren von außen abzuwehren . Hier geht es nicht primärdarum – das wurde gerade noch einmal deutlich –, Ge-fahren von außen abzuwehren; es geht vielmehr darum,Flüchtende, Menschen daran zu hindern, über Libyenund das Mittelmeer nach Europa zu kommen . Das isteine recht seltsame Aufgabenstellung, und das hat nichtsmit Küstenschutz zu tun, meine Damen und Herren .
Wenn die Seenotrettung nicht der eigentliche Auftragist – und das ist er auch nach dem neuen Mandat nicht –,die Schleuserbekämpfung nicht erfolgreich ist und dieBekämpfung des Waffenschmuggels nicht erfolgreichsein wird, stellt sich die Frage, warum EUNAVFORMED, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit derNATO – das steht ja immer noch im Raum –, verlängertwerden soll .Offensichtlich geht es um Raumkontrolle des süd-lichen Mittelmeers durch die Europäische Union unddurch die NATO . Anders kann man das nicht erklären .Sie machen auf diese Weise das südliche Mittelmeer undNordafrika zum europäischen Hinterhof . Das ist primiti-ve Geopolitik, sehr geehrte Damen und Herren .
Wir alle haben heute Morgen die Nachricht bekom-men, dass das Referendum über den Brexit erfolgreichwar . Ich kann nur davor warnen, dass die Rest-EU ver-sucht, über außen- und sicherheitspolitische, militärpo-litische Abenteuer diese EU in irgendeiner Weise so zu-sammenzuhalten, wie sie ist .
Was wir brauchen, ist ein Umdenken . Gerade wurdegesagt: Wir müssen verhindern, dass die Menschen nachEuropa kommen . – Aber sehr auffällig war, dass vor al-lem in den Reihen der CDU/CSU die Ursachen nicht an-gesprochen worden sind . Manchmal werden sie mit demBegriff „Ursachenbekämpfung“ angesprochen, aber siewerden nicht qualifiziert.Fluchtursachen ernsthaft bekämpfen, heißt eben auch,die Handelsliberalisierung gegenüber dem globalen Sü-den einzustellen und Agrarexportsubventionen und somitdie Armutsspirale in Afrika zu beenden . Es heißt: Stoppvon Regime Changes, von militärischer Gewalt gegendie Region .
Das ist genau das, was das Friedensgutachten 2016 fest-gestellt hat . Die Damen und Herren sind hier gewesen .Die Informationen, die diese uns gegeben haben, sindbei Ihnen aber zum einen Ohr rein-, zum anderen wiederrausgegangen, weil das nicht in Ihr Konzept passt .Es ist wichtig, Fluchtwege zu legalisieren bzw .Flüchtenden zu helfen . Ärzte ohne Grenzen und Sea-Watch fordern genau das; aber es geht an Ihnen vorbei .Wir haben vorhin darüber debattiert . Unser Antrag undauch der Antrag der Grünen wurde abgelehnt . Sie sindalso nicht willens, den Menschen einen legalen Weg nachEuropa zu ermöglichen .Es ist, sehr geehrte Damen und Herren, eine Schan-de, dass das angeblich so zivilisierte Europa vorwiegendmilitärische Antworten liefert . Es ist eine Schande, dassbeabsichtigt wird, flüchtende Menschen zurück in liby-sche Lager zu schicken . Man muss sich die Zuständedort einmal vor Augen halten. Dort finden Vergewalti-gung, Mord, Hunger und Folter statt . Und Sie wollen dieMenschen zurückschicken! Das ist wirklich ein Skandal .
Herr Kollege Neu, darf ich Sie an Ihre Redezeit erin-
nern .
Ich komme zum Ende . – Es ist – das sage ich abschlie-
ßend – eine Schande, dass Privatinitiativen wie Sea-
Watch oder Ärzte ohne Grenzen das übernehmen, was
eigentlich Aufgabe der Europäischen Union und ihrer
Mitgliedstaaten wäre, nämlich Menschen zu einem lega-
len Weg nach Europa zu verhelfen .
Danke .
Vielen Dank . – Niels Annen ist jetzt der nächste Red-
ner für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich glaube, es ist uns allen bewusst, wie sehr unsdie Krisen im Nahen und Mittleren Osten hier bei denDebatten im Parlament und in der Öffentlichkeit beschäf-tigen . Längst haben die Kriege in Syrien und im Irak zueiner regionalen Instabilität geführt . Und Libyen – dasLand, über das wir heute hier reden – spielt dabei schonaufgrund seiner Größe, aber auch seiner geografischenLage eine zentrale Rolle .Dr. Alexander S. Neu
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Wir alle kennen die Ausgangsposition . Es gibt zweiParlamente und zwei Regierungen bzw . zwei Machtzen-tren. Und in der Mitte befindet sich – wenn man das sosagen darf – die Terrormiliz IS . Das ist eine Situation, diefür die internationale Staatengemeinschaft auch deswe-gen nur sehr schwer zu bewältigen ist, weil Herr Gaddafinach den vielen Jahrzehnten seiner Diktatur – anders alses in vergleichbaren Ländern der Fall war – letztlich kei-ne staatlichen Strukturen hinterlassen hat . Die Situationist also fragil . Aber ich glaube, man kann schon feststel-len: Es hat Fortschritte in Libyen gegeben . Das wurdenicht zuletzt durch den Einsatz des VN-Sondergesandtenerreicht . Das ist, wie Sie alle wissen, ein deutscher Di-plomat, Martin Kobler, dem ich an dieser Stelle für seineherausragende Arbeit noch einmal ganz herzlich dankenmöchte .
Es ist ihm gelungen, eine Einheitsregierung zu stabili-sieren und dafür zu sorgen, dass sie von der internationa-len Staatengemeinschaft anerkannt und unterstützt wird .Ich glaube zwar, dass es ein Fortschritt ist, es ist aber kei-ne Garantie dafür, dass wir auf diesem Weg weitergehenkönnen . Die Kollegen der Linken haben es sich ja zurAngewohnheit werden lassen, zu erklären, wir seien derAnsicht, die Mandate, über die wir hier diskutieren, seienquasi so eine Art Blaupause für die Lösung der Konflikte.Darum geht es hier nicht, sondern es geht um ein Elementder Stabilisierung . Wir wissen, dass die Situation fragilist, dass wir Herrn as-Sarradsch und seine Regierung inTripolis unterstützen müssen . Diese Ausbildungsmissionist eben ein Element davon . Ich glaube, dass es deswegenrichtig ist, sie hier zu unterstützen . Ich darf auch daraufhinweisen, dass es eine Bitte des Präsidialrates bzw . eineexplizite Anfrage auch an uns gegeben hat, dieses zu tun .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe esschon erwähnt: Die Terrormiliz IS nutzt die Fragilität desLandes, um ihren Machtbereich in der Region um Sirteauszudehnen . Ja, es ist richtig – Sie alle haben das derPresse entnehmen können –: Es gibt militärische Erfolgebeim Kampf gegen den IS . Dennoch kann man nicht da-von sprechen, dass die Lage schon entspannt sei .Es ist natürlich klar, dass auch hier die Operation So-phia allein nicht ausreicht . Sie allein wird – der Staats-sekretär hat darauf hingewiesen – auch nicht ausreichen,um die Schleuserkriminalität zu bekämpfen . Aber sieleistet einen Beitrag, und sie hat auch eine abschrecken-de Funktion . Auch deswegen begrüßen wir das Mandat .Meine Damen und Herren, ich möchte auf einen As-pekt der Rede von Herrn Dr . Neu hinweisen . Sie habenhier ja so eine Form der Verschwörungstheorie – dabeiging es um Stichworte wie „NATO“, „Raumkontrolle“,„Geopolitik“ und „Hinterhofpolitik“ – in den Raum ge-stellt .
Ich will in diesem Zusammenhang ganz bewusst daraufhinweisen – das ist schon interessant –, dass alle 15 Mit-glieder des Sicherheitsrats, auch Russland, der entspre-chenden Resolution zugestimmt haben .
Es ist mir nicht bekannt, dass Russland eine NATO-Ope-ration zur europäischen Kontrolle des europäischen Hin-terhofs legitimieren würde . Das ist ein wenig verwunder-lich und unterstreicht, glaube ich, dass es sich bei dem,was Sie vorgetragen haben, geschätzter Herr Kollege, imWesentlichen um Propaganda handelt .
Es ist auch deswegen bemerkenswert, dass Russlandzugestimmt hat, weil wir wissen, dass es eine ganz be-sondere Geschichte mit Libyen gibt . Die damalige Re-solution, die den Militäreinsatz von NATO-Mitgliedstaa-ten legitimiert hat, ist sehr in der Kritik – wie ich finde,durchaus zu Recht – und wird von der russischen Seitebis heute als eine Art Missbrauch einer solchen Legiti-mation betrachtet .
Trotzdem hat Russland dieses Mal zugestimmt, weil –davon gehe ich jedenfalls aus – es im Interesse Russlandsist, dass diese fragile Region stabilisiert wird . Dass wirdas gemeinsam tun, ist gut . Das zeigt übrigens auch, dasses sich lohnt, mit Russland über so schwierige Fragenzu reden . Es scheint doch so zu sein, dass sich die Mühemanchmal lohnt
und dass man in einigen Bereichen kooperative Lösun-gen mit Russland trotz all der Probleme, die wir haben,erreichen kann .
Herr Kollege Annen, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Neu?
Das mache ich, Frau Präsidentin .
Bitte schön .
Herr Annen, Russland und China haben sich 2011bei der Sicherheitsratsresolution darauf verlassen, dassder Luftraum gesperrt wird . Man weiß heutzutage, dassdie NATO dieses Mandat genutzt hat, um einen RegimeChange durchzuführen . Nun haben Russland und Chinawieder einmal einer Sicherheitsratsresolution im Vertrau-en darauf, dass diese Mission eine EU-Mission bleibenwird, zugestimmt .Niels Annen
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Können Sie definitiv ausschließen, dass die NATOdaran nicht teilnehmen wird? NATO-GeneralsekretärStoltenberg hat schon massiv angeboten, dass das aucheine NATO-Mission werden könnte . Können Sie das aus-schließen?
Herr Kollege Neu, ich finde es jedenfalls erstaunlich,
dass Sie hier offensichtlich die Position Russlands ein-
nehmen .
Ich bin mir aber sicher, dass der russische NATO-Bot-
schafter schon selber in der Lage ist, die Position seines
Landes vorzutragen .
Ich will aber gerne zu einem Punkt etwas sagen . Auch
ich bin der Meinung, dass die damalige Resolution in
einer Art und Weise ausgelegt worden ist, die der Legi-
timation der Vereinten Nationen nicht geholfen hat . Ich
bin ein großer Anhänger der relativ neuen UN-Norm der
sogenannten Schutzverantwortung, Responsibility to
Protect .
Ich glaube schon, dass wir sehr kritisch auf das schau-
en müssen, was damals geschehen ist . Sie sprechen von
einer NATO-Operation . Es haben sich aber nicht alle
NATO-Staaten daran beteiligt . Ich darf vielleicht für die-
jenigen, die uns hier zuhören, deutlich machen: Deutsch-
land hat sich an dieser Operation damals nicht beteiligt,
so wie andere Länder auch . Ich glaube, das ist eine klare
Antwort auf Ihre Frage . – Vielen Dank .
Ich will in der verbleibenden Zeit noch auf einen
zweiten Staat eingehen, der als nicht ständiges Mit-
glied des Sicherheitsrates dieser Resolution zugestimmt
hat . Ich rede über Ägypten, ein Land, das – ich bin kein
Diplomat, aber ich will doch versuchen, mich diploma-
tisch auszudrücken – eine sehr ambivalente Rolle in Li-
byen spielt . Man muss zur Kenntnis nehmen, dass etwa
1 300 Kilometer Grenze aus Sicht Kairos natürlich ein
dramatisches Sicherheitsrisiko darstellen, eine Grenze zu
einem Land, das im Chaos zu versinken droht .
Trotzdem haben wir die einseitige Unterstützung von
General Haftar als nicht besonders konstruktiv wahrge-
nommen . Das haben wir mit den ägyptischen Kollegen
natürlich diskutiert . Umso bemerkenswerter ist es, dass
es auch hier eine Zustimmung und zumindest deklarato-
risch eine Unterstützung gegeben hat . Insofern haben wir
eine legale politische internationale Grundlage, die von
allen Staaten, die zurzeit im Sicherheitsrat vertreten sind,
mitgetragen wird .
Ich hoffe sehr, dass das eine Botschaft an diejenigen
ist, die sich mit Herrn Kobler zusammen um eine politi-
sche Lösung für Libyen bemühen . Der Aspekt der See-
notrettung – auf den hat Herr Staatssekretär Brauksiepe
hingewiesen – liegt auch uns am Herzen . Aber ich wollte
diese Gelegenheit nutzen, um auf die politischen Zusam-
menhänge hinzuweisen .
Ich glaube nicht, dass wir uns selber helfen würden,
mit der Verabschiedung dieses Mandatsantrages jetzt
quasi die Botschaft zu verbreiten, das Thema Libyen
wäre damit abschließend von uns behandelt worden . Es
ist – ich kann das nur wiederholen – ein Baustein unserer
Politik, unsere Antwort auf eine Krise, die uns direkt an-
geht, auch aus humanitärer Verantwortung . Das Mandat
ist ein wichtiger Baustein, und deswegen unterstützen
wir diesen Antrag .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, dadiese Vorlage in die Ausschüsse überwiesen wird, würdeich jetzt von der Genehmigung weiterer Zwischenfragenabsehen, auch da wir weit über der Zeit sind .Jetzt hat die Kollegin Agnieszka Brugger für Bünd-nis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ob das der Marinesoldat der MissionEUNAVFOR MED ist oder ein Ehrenamtlicher, der sichauf einem Schiff von Sea-Watch befindet, das mit Spen-dengeldern finanziert wurde – wir sind jedem Menschendankbar, der in den letzten Monaten dazu beigetragenhat, dass weniger Menschen auf dramatische Weise imMittelmeer ertrinken müssen .
Eine Reihe von uns Abgeordneten hatte letztes Jahrzusammen mit der Verteidigungsministerin Gelegenheit,die Mittelmeermission der Bundeswehr zu besuchen .
Ich muss wirklich sagen: Ich habe selten Soldatinnenund Soldaten gesehen, die unter so hohen physischenund psychischen Belastungen so überzeugt von einemAuftrag waren . Mir hat erst neulich jemand, der mehrereMonate im Einsatz war, erzählt, dass man teilweise nach14 Stunden den Befehl erteilen musste, wenigstens kurzeine Pause zur Erholung zu machen . Dass aber die Bun-deswehr und auch private Initiativen im Mittelmeer See-notrettung betreiben, ist schon Ausdruck dessen, dass dieeuropäischen Mitgliedstaaten dabei versagt haben, einefunktionierende, effektive und zivile Seenotrettung aufden Weg zu bringen . Darüber haben wir in der Debattedavor diskutiert .
Seenotrettung ist für jedes Schiff eine internationaleVerpflichtung. Das sollte aber nicht den Blick auf das ver-stellen, was der Kernauftrag der Mission EUNAVFORMED ist, nämlich die militärische Schlepperbekämp-Dr. Alexander S. Neu
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fung . Nach wie vor treiben die Bundesregierung und dieanderen europäischen Mitgliedstaaten die Ausweitungdieses Mandats voran, um auch in den libyschen Küs-tengewässern und in Libyen an Land militärisch gegenSchlepper operieren zu können . Wir halten das für diefalsche Antwort auf die Dramen im Mittelmeer . Es ist ge-fährlich, es ist riskant, und es hilft den Flüchtlingen nicht,sondern gefährdet sie nur noch mehr . Damit Sie michnicht falsch verstehen: Natürlich treiben viele Schlepperein sehr grausames Geschäft mit dem Leid der Flücht-linge . Aber wenn Sie das wirklich abstellen wollen, undzwar effektiv, dann geht es um polizeiliche Maßnahmen,dann geht es um legale und sichere Einwanderungswege,um den Schleppern die Geschäftsgrundlage kaputtzuma-chen .
Die Bundesregierung bringt jetzt ein neues Mandatauf den Weg . Das ist aus zwei Gründen notwendig; dennes gibt erweiterte Aufgaben . Es geht einerseits darum,den Waffenschmuggel über den Seeweg zu unterbinden .Das kann vielleicht den positiven Effekt haben, den Waf-fenstrom nach Libyen, der natürlich ein riesiges Problemist, einzudämmen . Aber dieser Effekt ist begrenzt, weildie meisten Waffen über den Landweg nach Libyen kom-men .Viel problematischer aber ist die zweite Veränderungdes Mandats, bei der es um die Ausbildung der libyschenKüstenwache geht . Seit Wochen fragen wir die Bun-desregierung: Wer genau soll ausgebildet werden? Wosoll das stattfinden? Wie sieht der genaue Auftrag aus?Welche Geräte und welche Ausrüstung wollen Sie zurVerfügung stellen? Wie ist eigentlich sichergestellt, dassdie Milizenstrukturen in irgendeiner Form der Kontrol-le durch die Regierung unterliegen? Seit Wochen hat dieBundesregierung dazu keine Antwort .Sie jagen hier ein Mandat durch das Parlament, sinddabei aber selber völlig plan- und kopflos in Bezug aufdas, was Sie wollen . Sie wollen von uns einen Blan-koscheck für eine Operation, die sich am Ende des Tagesim Konkreten in dieser höchst fragilen Lage in Libyenals sehr kontraproduktiv und gefährlich erweisen kann .Da muss ich sagen: Das ist keine verantwortungsvolleSicherheitspolitik .
Gerade Libyen ist doch ein klassisches Beispiel dafür,wie undurchdachter Aktivismus von außen sehr schnellverheerende, natürlich nicht intendierte Folgen habenkann .Mir macht es große Sorgen, dass der Bundesregierungangesichts der dramatischen Lage in Libyen selbst undder schrecklichen Situation der Flüchtlinge dort nichtmehr einfällt als eine Militärmission und ein dreckigerDeal, der in die Richtung dessen geht, was Sie mit derTürkei vereinbart haben; so haben sich BundeskanzlerinMerkel und Innenminister de Maizière schon geäußert .Ich frage Sie: Wo ist eigentlich Ihre kluge, Ihre huma-nitäre Antwort auf die Lage der Menschen, die dort inden Flüchtlingslagern eingepfercht sind? Wir hören vonMenschenrechtsverletzungen, von Menschen, die ster-ben . Flüchtlinge dürfen diese Lager nicht verlassen, sinddort eingepfercht, verhungern teilweise . Wir reden hiervon 500 000 Menschen in einem Land, in dem teilweiseBürgerkrieg herrscht .Ich muss es so hart und zynisch sagen: Die Frage istdoch nicht, wo die Menschen ihr Leben riskieren undverlieren – in den Flüchtlingslagern in Libyen, in denHaftanstalten oder im Mittelmeer . Es muss doch viel-mehr darum gehen, wie wir ihr Leid lindern und Stabili-sierung in Libyen erreichen können .
An dieser Stelle muss man sagen: Da hilft Ihre Abschot-tungs- und Abschreckungspolitik nicht . Sie verbessertweder die Situation in Libyen, noch hilft sie den Flücht-lingen . Sie müssen stattdessen humanitäre und sicher-heitspolitisch verantwortungsvolle Antworten für dieMenschen in Libyen und für die Flüchtlinge in Libyenauf den Weg bringen .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU spricht jetzt der
Kollege Jürgen Hardt .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Neufassung des deutschen Bundeswehrmandats fürEUNAVFOR MED ist in erster Linie notwendig, weil eseine neue UN-Resolution gibt, die ein wirkungsvolleresVorgehen gegen Waffenschmuggel Richtung Libyen zu-lässt . Es soll zukünftig möglich sein, Schiffe nicht mehrnur mit Einwilligung des sogenannten Flaggenstaates,also des Landes, dessen Flagge dort gehisst ist, zu kon-trollieren . Schiffe sollen auch gegen den Willen des soge-nannten Flaggenstaates durchsucht werden können . Dasist natürlich eine andere Herausforderung, weil man imZweifel davon ausgehen muss, dass in dem einen oderanderen Fall auch Widerstand zu brechen ist, wenn mandiese Durchsuchung durchführen will . Die Soldaten derBundeswehr sind auf einen solchen Auftrag gut vorberei-tet, und sie werden auf einen solchen Auftrag gut vorbe-reitet; aber das ist schon eine neue Dimension . Deswe-gen ist es richtig, dass die Bundesregierung das Mandaterneuert .Das zweite Element, das hinzukommt, ist die Ausbil-dung von Küstenwachsoldaten auf hoher See . Wir tundas ausdrücklich nicht in Hoheitsgewässern .
Zur Klarstellung möchte ich an dieser Stelle noch ein-mal sagen: Als wir EUNAVFOR MED auf den Weg ge-bracht haben, hatte das Projekt im Prinzip vier angedachteStufen . Stufe 1 war die Aufklärungs- und Seenotrettungs-mission . Dann kam die Stufe 2 mit der Überwachung desWaffenembargos in der leichteren Form . Wir würden ei-nes Tages gern in die Stufe 2b übergehen: BekämpfungAgnieszka Brugger
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der Schleuser auch in den Küstengewässern . Aber das,was jetzt hier beantragt wird, ist eher eine Variante 2a++,würde ich mal sagen, also die Ausbildungsmission unddie veränderte Bekämpfung des Waffenschmuggels .Es ist vorhin hier angeklungen, die Seenotrettung seiquasi eine Aufgabe nebenbei . Ich möchte ganz klipp undklar sagen: Für jeden Seemann, auch für die DeutscheMarine, ist das Retten aus Seenot eine der vornehms-ten und edelsten Aufgaben . Dass nahezu 16 000 schiff-brüchige Flüchtlinge auf diese Weise geborgen werdenkonnten, ist ein eindeutiger Beweis dafür, dass es mehrals nur eine Nebenaufgabe ist; was die tägliche Arbeitangeht, steht das sicherlich im Mittelpunkt . Das ist auchgut so . Dafür verdienen der Einsatz und die Soldaten, dieihn leisten, unsere volle Anerkennung .
Die Bekämpfung des Waffenschmuggels RichtungLibyen ist eine enorm wichtige Aufgabe . Herr Koblerschätzt, dass es in Libyen dreimal so viel Waffen wieMenschen gibt,
also dass dieses Land quasi bis an die Zähne gerüstet ist,dass rund 300 Kilometer der Küste in der Hand des ISsind . Eine Befriedung des Landes in irgendeiner Weisesetzt natürlich voraus, dass wir verhindern, dass Waf-fen und Munition dort ankommen . Das ist eine enormschwierige Aufgabe . Wir machen uns auch keine Illusiondarüber, dass EUNAFVOR MED die Situation maßgeb-lich oder grundlegend ändern kann . Aber wir glauben,dass es ein wichtiger, ein notwendiger Beitrag ist .Auch die Bekämpfung des Schlepperunwesens ist beiEUNAFVOR MED gut aufgehoben . Es hat immerhin71 Überstellungen von Menschenschmugglern gegeben,ich glaube, überwiegend an die italienischen Behörden .Weit über 100 Schmugglerboote konnten unbrauchbargemacht werden, sodass sie weder eine Behinderung fürdie Seewege darstellen noch für weitere Schlepperaktio-nen zur Verfügung stehen . Von daher ist das ein richtigerund wichtiger Einsatz .Es ist hier angeklungen, wir müssten mehr an Landtun . Ja, das stimmt . Auch ich bin der Meinung, dass wirdie gegenwärtig sich etablierende Regierung in Tripolisunterstützen müssen . Der Bundesaußenminister hat Fi-nanzmittel zugesagt . Insgesamt haben wir die Finanzmit-tel für die Entwicklungshilfe und für die humanitäre So-forthilfe in einer Art und Weise aufgestockt – insgesamtrund 1,5 Milliarden Euro beträgt allein die Steigerung fürbeide zusammen, die wir beschlossen haben –, dass mannun wirklich nicht sagen kann, dass Deutschland dort einerhebliches Defizit hat.Ich würde mir aber wünschen, dass wir über diese Mis-sion, über die Zusammenarbeit der Völkergemeinschaftund auch über die Auflösung des Konfliktes zwischen derRegierung in Tripolis und denjenigen, die in Tobruk sit-zen und andere Vorstellungen über die Entwicklung desLandes haben, zu einer Annäherung kommen und dass esuns dann Schritt für Schritt gelingt, auf dem langen undmühsamen Weg der Befriedung Libyens voranzukom-men . Dadurch könnten wir eines der größten außenpoliti-schen Probleme lösen, die wir gegenwärtig haben .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Dr . Karl-Heinz Brunner .
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Sophia heißt sie .Am 24 . August 2015 hat sie das Licht der Welt erblickt .Sie wirkt wie jedes Kind ein wenig zerknittert, ist aber inSicherheit; denn Sophia wurde auf der Fregatte „Schles-wig-Holstein“ geboren . Mit dem Namen Sophia steht imwahrsten Sinne des Wortes, wie es der griechische Namesagt, die Tugend im Mittelpunkt; denn ein Stabsarzt undein Obermaat halfen der somalischen Mutter bei derEntbindung auf hoher See . Für dieses kleine Mensch-lein ist die Welt noch recht übersichtlich . Doch sie hatim Moment ihrer Geburt bereits mehr erlebt als vieleandere Menschen . Sie trägt die Hoffnung und die Angstvon Hunderttausenden auf den Schultern, die nach demSehnsuchtsort Europa fliehen, diesem Sehnsuchtsort,dem gestern unsere britischen Nachbarn die kalte Schul-ter gezeigt haben . Sie wird in eine Welt geboren, die, wiees unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagt,aus den Fugen geraten ist .Sophia gab der Operation, die wir heute beraten, ih-ren Namen, und sie wird sich irgendwann einmal fragen:Was war da los? Was war das für eine Welt, in der meineMutter unser Leben aufs Spiel gesetzt hat? Wer warendiese Menschen, die uns geholfen haben? Warum wolltenandere Menschen nicht helfen? Ich sage Ihnen ganz klar,meine Damen und Herren: Ich möchte eines Tages nichtzu denen gehören, die ihre Augen verschlossen oder mitZynismus reagiert haben . Ich will zu denen gehören, diesich den Herausforderungen unserer Zeit stellen, die nichtabwarten und Tee trinken, sondern tatsächlich handeln .
Zu diesen Herausforderungen gehören nun einmal flä-chendeckender Terror, Waffenschmuggel, Menschenhan-del, fragile Staaten, durchgeknallte mordende Gewalttä-ter .Ich bin froh, dass wir Soldatinnen und Soldaten ha-ben, die hier ganz konkret etwas tun, und ich meinedamit nicht nur die zuvor zitierte Geburtshilfe . Sie kon-trollieren im Mittelmeer das VN-Waffenembargo gegen-über Libyen, sie bilden die libysche Küstenwache aus,sie versuchen, den Menschenschmuggel zu bekämpfen .Im Detail haben das meine Vorredner bereits genau be-schrieben . Diese Frauen und Männer in Uniform, so seheJürgen Hardt
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ich es zumindest, stehen für mich für die Guten unsererGesellschaft, denen es eben nicht reicht, empört auf diePolitik zu zeigen und wegzuschauen, sondern die tat-sächlich etwas tun . Dafür herzlichen Dank!
Es ist nun einmal eine Tatsache: Libyen ist ein tiefgespaltenes Bürgerkriegsland . Es ist in Regionen zerfal-len und geprägt von islamischen und säkularen Milizen .Die Einheitsregierung kann kaum Löhne zahlen und tutsich schwer, in der Bevölkerung überhaupt Vertrauenzu schaffen . Rund 1 Million Flüchtlinge sind im Land,von denen 100 000 bis 200 000 nach Italien oder nachÄgypten wollen . Der Kampf gegen den IS ist im vollenGange . Da kann man nicht wegsehen . Man muss Einhaltgebieten .Natürlich wird auch der Einsatz EUNAVFOR MEDOperation Sophia diese Probleme nicht lösen; da bin ichnicht blauäugig . Aber er wird einen konkreten Beitragleisten, dass sich der IS dort nicht weiter ausbreitet unddass Menschenhändler abgeschreckt werden . Wir sto-cken jetzt die humanitäre Hilfe auf, unterstützen Kran-kenhäuser . Die zivile Hilfe läuft . Unser Außenministerkämpft Tag und Nacht auf diplomatischer Ebene . Ichglaube, die Hilfe greift – zaghaft zwar, aber sie greift . Inkleinen Schritten gewinnt die Regierung der NationalenEinheit langsam wieder etwas Handlungsfähigkeit . Es istgelungen, einzelne Gebiete zu befreien und Terroristen inihrem bisherigen Rückzugsort in Surt anzugreifen .Es darf deshalb meiner Meinung nach nicht bei demheute Beschlossenen bleiben . Wenn wir konsequent blei-ben wollen und ganzheitlich denken, könnten wir zumBeispiel auch Grenzbeamte an Land ausbilden, meinet-wegen in Tunesien . In jedem Fall sollten wir jetzt nichtstehen bleiben .Der kleinen Sophia wird das alles herzlich wenig hel-fen . Ihr wird es im Augenblick auch egal sein . Ihre Weltbesteht voller Hoffnung, nämlich der auf ein gutes Le-ben, und das Beste hat sie noch vor sich . Sie war mit ih-ren 3 000 Gramm und 49 Zentimetern nicht die Kräftigs-te, aber sie wird, so hoffe ich, in einer Welt groß werden,in der Einsätze wie EUNAVOR MED Operation Sophianicht mehr nötig sein werden . Das, glaube ich, sind wirSophia schuldig . Das sind wir unseren eigenen Kindernschuldig . Das sind wir uns selbst schuldig .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Der Kollege Florian Hahn, CDU/
CSU-Fraktion, ist jetzt der letzte Redner zu diesem Ta-
gesordnungspunkt .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Mission Sophia wird öffentlich vor allem durch dieErfolge bei der Seenotrettung wahrgenommen . Sie sollaber in erster Linie der Bekämpfung der Schleuserak-tivitäten im Mittelmeer dienen durch Aufklärung, abergegebenenfalls auch mit robusten Mitteln . Jetzt erwei-tern wir, auch autorisiert durch ein einstimmiges Votumdes UN-Sicherheitsrates – immerhin sind Russland undÄgypten mit dabei; das wurde schon gesagt –, das Man-dat um die Durchsetzung des VN-Waffenembargos sowieum die Hilfe bei Ausstattung und Ausbildung der liby-schen Küstenwache und Marine . Wir entwickeln damitden Einsatz sinnvoll weiter .Seenotrettung ist moralische und völkerrechtlichePflicht. Wir werden sie weiter leisten. Aber wir alle wis-sen auch: Die Rettung der Menschen ist eng verknüpftmit der Schleuserproblematik . Wir dürfen mit der Opera-tion Sophia nicht integraler Teil des kriminellen Systemsder Schleusungen werden . Daher ist die gleichzeitigeBekämpfung der organisierten Kriminalität so wichtig .Zum einen sammelt die Operation Informationen überMigrationsnetzwerke, zum anderen darf sie bei Verdachtauf Menschenschmuggel Schiffe völkerrechtskonformauf hoher See anhalten, durchsuchen, beschlagnahmenund umleiten .Unser langfristiges Ziel ist die Stabilisierung Libyens .Nur ein funktionierender libyscher Staat kann eigenver-antwortlich Küstenschutz, Flüchtlingsversorgung undKriminalitätsbekämpfung betreiben . Mit der Etablierungder Einheitsregierung gibt es erstmals vorsichtige Per-spektiven für eine Verbesserung der Lage . Wir müssendiese fragile Regierung in jeder Hinsicht unterstützen .Neben der Unterbindung der Waffenlieferungen anAufständische und Terroristen müssen wir beim Aufbaueigener Sicherheitskräfte helfen, beginnend mit Marineund Küstenwache . Wie beim UNIFIL-Mandat im Liba-non, wo es auch um Kampf gegen Waffenschmuggel undden Aufbau der Marine geht, müssen wir in langen Zeit-horizonten denken . Die Qualitätsverbesserung bei der li-banesischen Marine zeigt aber auch: Am Ende zahlt sichsolides, stetiges Arbeiten aus . Bei Sophia wird zunächstwohl an Bord ausgebildet, Stichwort „schwimmendesKlassenzimmer“ .Das bringt mich zur allgemeinen Situation unsererMarine . Die Marine hat bei Sophia bislang Großartigesgeleistet; darüber haben wir schon gesprochen . Die Rah-menbedingungen sind nicht einfach: Kriegsschiffe sindfür die Seenotrettung nicht optimiert; körperliche undpsychische Belastungen der Mannschaft sind enorm . Fürihren aufopferungsvollen Einsatz möchte ich den Solda-tinnen und Soldaten daher meinen Dank aussprechen .Lassen Sie mich aber außerdem auf eines hinweisen:Die Marine ist zurzeit in einer ganzen Reihe von Ein-sätzen gefordert . Sie musste als kleinste Teilstreitkraftgroße Einsparungen hinnehmen . Andererseits wird sie inNATO- und EU-Missionen so beansprucht wie nie . Beiüberdurchschnittlicher Verwendung operiert sie längstan ihrer Belastungsgrenze . Die geplante Ausbildung li-byscher Marineangehöriger auf deutschen Schiffen istdaher ein zusätzlicher Kraftaufwand . Gleichzeitig führ-ten Engpässe, auch bei den Verbündeten, zu einer ArtVerschiebebahnhof im Mittelmeer . Die Fregatte „Karls-ruhe“ wurde im direkten Anschluss Richtung Ägäis ge-steuert . Ich begrüße daher den Vorstoß der Kanzlerin, dieDr. Karl-Heinz Brunner
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Notwendigkeit höherer Verteidigungsausgaben bei denanstehenden Haushaltsberatungen noch einmal anzu-sprechen . Die getroffenen Entscheidungen bei Haushalt,Personal und Rüstungsinvestitionen sind aber nur ein ers-ter von vielen notwendigen Schritten .Meine Damen und Herren, die Erweiterung vonEUNAVOR MED ist richtig und konsequent .Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und amSonntag ein gutes Spiel .
Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 18/8878 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Dienstag, 28 . Juni 2016, 10 .30 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen ein
angenehmes Wochenende .