Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zu unserer Plenarsitzung. Es gibt eine interfrak-
tionelle Vereinbarung, vor dem Tagesordnungspunkt 1,
also der üblicherweise um diese Zeit stattfindenden Re-
gierungsbefragung, eine Vereinbarte Debatte im Umfang
von 60 Minuten zu den Ereignissen von Clausnitz und
Bautzen aufzurufen. – Ich kann davon ausgehen, dass das
allgemeine Zustimmung findet. Dann ist das so beschlos-
sen.
Damit rufe ich Zusatzpunkt 1 unserer Tagesordnung
auf:
Vereinbarte Debatte
zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen
Die vereinbarte Debattenzeit – 60 Minuten – hatte ich
schon mitgeteilt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Bundes-
regierung das Wort dem Parlamentarischen Staatssekre-
tär Günter Krings.
D
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! In den letzten Tagen haben uns die erschreckendenVorfälle in den sächsischen Orten Clausnitz und Bautzenbestürzt. So erschütternd diese jüngsten Übergriffe aufFlüchtlinge und ihre Unterkünfte auch sind, so stehensie doch leider in einer Reihe mit inzwischen weit über1 100 Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte seitdem 1. Januar des letzten Jahres.Solche Taten finden sich in allen Teilen Deutschlands,auch wenn sie in manchen Regionen, gerade in den neu-en Ländern, in einer besonderen Häufung auftreten. Die-se Geschehnisse – darin sind wir uns, denke ich, alle ei-nig – sind in jeder Hinsicht inakzeptabel. Die aus diesenabscheulichen Taten sprechende Menschenverachtungkann von allen, die auch nur ein Mindestmaß an Empa-thie empfinden, nur auf das Schärfste verurteilt werden.
Wir werden nicht zulassen, dass Menschen, die in unse-rem Land Schutz suchen, gefährdet und bedrängt wer-den, und zwar egal, ob ihnen dieser Schutz nun dauerhaftzusteht oder nicht.Es ist richtig: Die Demonstrations- und Meinungsfrei-heit ist ein hohes Gut in der Demokratie, und als Demo-krat muss ich bereit sein, eine Menge an Dummheit undgeistigem Unrat in der öffentlichen Debatte auszuhal-ten. Es ist für mich aber schwer, ja eigentlich gar nichtnachvollziehbar, was Menschen dazu treibt, ihren Protestnicht an die Adresse der Politik zu richten, sondern sichals Mob zusammenzurotten und ihre Aggressionen ge-rade an den Menschen auszulassen, die bei uns Schutzsuchen.
Offensichtlich erleben wir hier in manchen östlichenRegionen unseres Landes auch die Spätfolgen einer jahr-zehntelangen, auch repressiven Abschottung in der Zeitbis 1989.
Aber ich misstraue, offen gestanden, allen, die für dieseVorgänge im Osten wie im Westen mit allzu einfachenund einseitigen Erklärungen aufwarten. Für mich ist vorallem wichtig, dass wir feststellen, dass nichts so falschist wie der verlogene Schlachtruf dieser Leute „Wir sinddas Volk“.
Die Menschen, die vor einem Vierteljahrhundert mit die-sem Ruf ein demokratisches und vereintes Deutschlandgegen die damals herrschende Diktatur einer Einheits-
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partei erstritten haben, waren von den Ideen der Freiheitund der Menschenrechte getragen. Weiter weg von denIdealen dieser friedlichen Revolution des Herbstes 1989kann man sich gar nicht begeben, wenn man sich in dieGesellschaft derer begibt, die in Clausnitz, Bautzen undanderswo dumpf und zynisch genau diese Ideale mit Fü-ßen treten, meine Damen und Herren.
Wir wissen, dass sich hier eben nicht das Volk äußert.Die Gewalttäter und Randalierer vor den Flüchtlingshei-men, aber auch der harte Kern von Pegida und Co. bil-den in Wirklichkeit das, was sie anderswo gerne anpran-gern, nämlich eine Parallelgesellschaft mitten in unseremLand.
Sie bilden eine Parallelgesellschaft, weil sie grundlegen-de Regeln und Werte unseres Rechtsstaates ablehnen. Siebekämpfen politische Entscheidungen nicht mit Worten,sondern mit Gewalt. Sie begegnen damit auch der parla-mentarischen Demokratie mit Verachtung, und sie ver-höhnen diejenigen, die ihnen als Repräsentanten unseresStaates gegenübertreten, seien es Feuerwehrleute oderPolizisten.
Es ist daher aus meiner Sicht auch richtig und wichtig,dass wir hier im Bundestag ein klares Bekenntnis dazuabgeben, dass wir denjenigen, die für uns und unserenRechtsstaat tagtäglich ihren Kopf hinhalten, den Rückenstärken, meine Damen und Herren.
Das gilt für Polizisten und alle Einsatzkräfte, denen wirvon Köln bis Clausnitz in diesen Monaten besondereVerantwortung und besonders schwierige Einsätze ab-verlangen.Natürlich gehört es auch zu einem Rechtsstaat, dasspolizeiliches Handeln nötigenfalls zum Gegenstand einerÜberprüfung werden kann und soll. Ich habe aber – dassage ich ganz offen – kein Verständnis dafür, wenn vonBerlin aus, Hunderte Kilometer entfernt vom Ort derschrecklichen Vorfälle, manche meinen, sie könnten an-hand einer 90-sekündigen Handyvideosequenz beurtei-len, ob ein Einsatz fehlerhaft oder gar unrechtmäßig war.Das ist Illusion des Dabeigewesenseins, aber nicht einwirklich sachkundiger Beitrag.
Fairness und Respekt sollten wir hoffentlich im Konsensaller Demokraten auch im Umgang mit allen Einsatzkräf-ten, auch den Polizisten, zeigen.Wir setzen zum einen auf Polizei, Staatsanwaltschaftund Gerichte im Kampf gegen gewalttätige und hetzendeExtremisten. Diesen Tätern begegnen wir mit null Tole-ranz. Ich erwarte daher, dass die zuständigen Behördenalle Straftaten, für die sich in Clausnitz, Bautzen oderanderswo ein Anfangsverdacht ergibt, mit aller Konse-quenz verfolgen und dass die Täter schnell ihrer gerech-ten Strafe zugeführt werden.
Dass wir auf der Grundlage entsprechender Informatio-nen auch hart und konsequent handeln, hat Bundesinnen-minister Thomas de Maizière mehrfach gezeigt, zuletztetwa durch das Vorgehen gegen die Gruppe „OldschoolSociety“ oder das jüngste Verbot der rechtsextremisti-schen und ausländerfeindlichen Internetplattform Alter-media Deutschland.Zum anderen gehen wir präventiv vor und unterstüt-zen das bürgerschaftliche Engagement gegen Extremis-ten, beispielsweise mit Angeboten der politischen Bil-dung, deren Förderung in diesem Jahr zu Recht nocheinmal deutlich verstärkt wurde.Meine Damen und Herren, leider können staatlicheFördergelder alleine eine Gesellschaft gegen Extremis-mus nicht immunisieren. Es kommt letztlich auf dieMenschen an, die sich für Mitmenschlichkeit und De-mokratie einsetzen. Hier sollten wir bei aller Erschüt-terung über die jüngsten Bilder von Gewalt und Hetzevor allem nicht an der Stärke unserer Demokratie ver-zagen. Der Weimarer Republik, deren Geschichte uns indiesem Gebäude täglich umgibt, hat man nachgesagt, siesei gescheitert, weil sie eine Demokratie ohne Demokra-ten gewesen sei. Ich bin der felsenfesten Überzeugung,dass das Engagement vieler Bürger, auch in der aktuellenFlüchtlingskrise, beweist, dass unsere Bundesrepublikvoller Demokraten ist, meine Damen und Herren.Als Demokraten bieten wir den Extremisten die Stirn.Wenn wir in dieser Debatte genau dazu einen Beitragleisten wollen, dann können wir das, wie ich hoffe, in-dem wir auf kleinliches Gezänk verzichten und stattdes-sen ein Zeichen der Entschlossenheit und Geschlossen-heit setzen.Vielen Dank.
Die Kollegin Haßelmann erhält das Wort zu einer
Kurzintervention.
Vielen Dank, Herr Präsident, für die Gelegenheit zu
einer Kurzintervention.
S
Ja, von diesemParlament soll ein starkes Zeichen ausgehen. Es war derWunsch aller Fraktionen, nachdem wir eine AktuelleStunde beantragt hatten, hier gemeinsam zu einer Verein-barten Debatte zusammenzukommen, um deutlich zu un-terstreichen: In diesem Parlament gehen Vorfälle, Über-griffe wie in Clausnitz und Bautzen uns alle an. Auch ichParl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
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finde, dass wir die Gemeinsamkeiten der Demokratinnenund Demokraten betonen sollten.Bei aller Wertschätzung für Sie, die Sie als Staatsse-kretäre auf der Regierungsbank sitzen: Ich finde es einUnding, dass angesichts dieser Situation kein einzigerMinister und keine einzige Ministerin anwesend ist, au-ßer der Vertreterin des Kanzleramtes,
und dass auch die Ostbeauftragte des Deutschen Bundes-tages nicht hier ist. Wenn wir die Gemeinsamkeiten unddie Bedeutung dieses Themas unterstreichen wollen –alle gemeinsam; dafür bin ich –, dann erwarte ich, dassdie Ministerinnen und Minister der Regierung bei einersolchen Gelegenheit auf der Regierungsbank sitzen.
Nächster Redner ist der Kollege Dietmar Bartsch für
die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich willzunächst ausdrücklich Danke an die Grünen sagen, diedie Aktuelle Stunde sehr schnell beantragt haben. Es istauch gut, dass wir zu einer vereinbarten Debatte gekom-men sind. Meine Fraktion hatte am Sonntag gefordert,dass es eine Regierungserklärung gibt.
Wir haben ja jetzt ungefähr wöchentlich Regierungser-klärungen; das ist angesichts all der Themen auch richtigund notwendig. Und im Übrigen: In dieser Frage schautEuropa auch auf uns.
Meine Damen und Herren von der Koalition, dass Sievon der Opposition gezwungen werden müssen, dass dashier Thema wird, und dass dann auch noch, wie die Kol-legin eben sagte, wirklich kein Minister, nicht einmal derInnenminister, hier ist, das ist wirklich skandalös.Kein Minister findet es notwendig, hier anwesend zusein? Dann kann ich Ihre Worte nur begrenzt ernst neh-men, Herr Krings. Das ist nun mal leider so.
Allein die schlichte Tatsache, dass es im letzten Jahr bun-desweit über 1 000 Straftaten gegenüber Flüchtlingsun-terkünften gegeben hat – fünfmal mehr als im Jahr da-vor –, ist doch Grund genug, hier anwesend zu sein. InDeutschland applaudiert der Mob, wenn die Flüchtlings-unterkünfte brennen. Meine Damen und Herren, wo sindwir hingekommen?
Herr Krings, ich will ausdrücklich betonen, dass wiruns in einer Frage einig sind: Diese Vorfälle in Clausnitzund Bautzen sind verabscheuungswürdig, sind widerlichund sind eine Schande für unser Land. – Aber, meine Da-men und Herren, es ist kein Zufall, dass diese Vorfällein Sachsen geschehen – erst Heidenau und Freital, dannBautzen und Clausnitz, jeden Montag Pegida in Dresden.All das ist auch Ergebnis einer verhängnisvollen Politik,die unter CDU-Verantwortung in Sachsen über 25 Jahrehinweg gemacht wird.
Das geht im Übrigen schon auf die Überzeugung des da-maligen CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf zu-rück, der festgestellt hat, Sachsen sei „immun gegenüberrechtsradikalen Versuchungen“ – das ist ein O-Ton. ÜberJahre hat die CDU hier ja Verharmlosung betrieben undIgnoranz an den Tag gelegt, meine Damen und Herren.
Ich will Ihnen nur ein paar wenige aktuelle Beispielenennen:Erstens. Ein sächsischer Landtagsabgeordneter derCDU namens Krauß hat den Vorwurf der Amadeu-Antonio-Stiftung zurückgewiesen, dass sächsische Lan-despolitik Nazis groß mache. Das sei zwar kein neuerVorwurf, bleibe aber trotzdem Unsinn, sagte Herr Kraußin der Jungen Freiheit – der Mann merkt offensichtlichnichts.Zweitens. Es ist auch absolut unverständlich, dass dieSächsische Staatskanzlei zu einer Dankveranstaltung fürHelferinnen und Helfer einen Menschen des Pegida-Vor-standes einlädt. Das ist doch kein Zufall, meine Damenund Herren.
Drittens. Bei dem Asylbewerberheim in Clausnitz warein AfD-Mitglied Chef, und der Bruder organisierte dieProteste gegen die Ankommenden und Hilfesuchenden.Das waren nur drei Beispiele. All das ist aber keinWunder. So hat der Ministerpräsident, Herr Tillich, derverantwortlich ist, gesagt: „Der Islam gehört nicht zuSachsen.“ Das ist der Mann, der diese Rechten mit derBürgerbewegung Stuttgart 21 gleichsetzt. Meine Damenund Herren, wo leben wir denn?
Herr Krings, wenn Sie sagen, anhand einer Videose-quenz könne man den Polizeieinsatz in Clausnitz nichtbeurteilen, dann will ich Ihnen entgegenhalten: Aber IhrBritta Haßelmann
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Innenminister konnte das. – Ich will Ihnen auch deutlichsagen: Traumatisierte Flüchtlingskinder, die so Schreck-liches erlebt haben, nimmt man in den Arm und nicht inden Würgegriff.
Es ist und bleibt notwendig, dass demokratische Kräf-te hier Haltung zeigen und klarmachen, dass die Men-schen, die zu uns kommen, anständig behandelt werden.Unsere Solidarität – ich hoffe, die Solidarität des gan-zen Hauses – muss all jenen gelten, die gegen rassisti-sche Hetze auf die Straße gehen und die Flüchtlingshilfeunterstützen. Da meine ich die Kirchen genauso wie dieAntifa-Bewegung, Nachbarschaftsinitiativen und vieleandere Menschen mehr in diesem Land. Die müssen wirstärken.
Im Übrigen sage ich Ihnen: Meine Partei steht inSachsen an deren Seite. Es ist kein Zufall, dass die meis-ten Abgeordnetenbüros, die in Sachsen angegriffen wer-den, Büros der Linken sind. Das ist wirklich kein Zufall,meine Damen und Herren.Und deshalb – letzter Satz –: Ja, ich bin für Entschlos-senheit. Lassen Sie uns die gemeinsame Botschaft nachaußen tragen, dass wir aufstehen müssen für mehr Mit-menschlichkeit in unserem Land und in Europa.Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Uli Grötsch
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Immer wieder Sachsen!“, so möchte man sagen, und sohaben vielleicht auch viele von uns in den letzten Tagengedacht. Glaubt noch jemand, dass das alles Zufall ist,in Heidenau, Freital, Bautzen, Clausnitz und anderswo?Schauen Sie sich einmal die Karte der Amadeu-Antonio-Stiftung zu Brandanschlägen an, liebe Kollegin-nen und Kollegen. Für mich ist das die Karte der Schan-de. Die roten Punkte markieren rechte Übergriffe seitJanuar 2015. Sachsen ist als einziges Bundesland kom-plett übersät mit roten Punkten. Jeder sechste Anschlagauf Asylunterkünfte im letzten Jahr fand in Sachsen statt.Diese Orte in Sachsen, die ich eben aufgezählt habe, ha-ben in den letzten Wochen und Monaten sehr zweifel-haften Weltruhm – kann man fast schon sagen – erlangt.Diese roten Punkte, liebe Kolleginnen und Kollegen,markieren Dunkeldeutschland.
Ich möchte aber auch sagen, dass ich die Menschen inSachsen bei weitem nicht pauschal verurteilen und schongar nicht an den Pranger stellen will.
Ich höre von meinen Kolleginnen und Kollegen ausSachsen, wie sehr sie sich auch dort in diesen Tagen en-gagieren, wie sehr sich auch in Sachsen viele Menschengegen rechts und gegen Neonazis stellen. Und trotzdem:Die Mutter aller Gidas kommt aus Sachsen. Was sich dortWoche für Woche ereignet, muss ich hier nicht noch ein-mal erzählen. Es ist wohl nicht mehr zu leugnen, dassgerade dort der Nährboden und das Klima für Neonazisoptimal zu sein scheinen. Das hat meiner Meinung nachdurchaus einen Grund: Dort, wo man die braune Soßeseit der deutschen Einheit nahezu ungehindert wabernlässt – da muss sich niemand wundern –, ist eben eineArt Dunkeldeutschland entstanden, eine Situation also,wie sie in anderen Teilen unseres Landes schlichtweg un-denkbar ist.
Die Ansatzmöglichkeiten staatlichen Handelns sind indiesem Zusammenhang ja eigentlich sehr weitreichend.Wir, die Große Koalition, haben die Aufstockung desBundesprogramms „Demokratie leben!“ im Bundes-haushalt 2016 durchgebracht und damit ein deutlichesZeichen, ein deutliches Signal gegen rechts gesetzt.
Wir schaffen damit die Grundlage für eine nachhaltigwirkende Präventionsarbeit gegen rechts – wenn dieseInitiativen vor Ort dann nicht alleine gelassen werdenund wenn die jeweiligen Bundesländer auch ihren Teildazu beitragen.Und wir verfügen in Deutschland über eine Strukturder Sicherheitsbehörden, die es möglich macht, dassrechte Umtriebe erkannt und gebannt werden. Zum Er-kennen dieser Umtriebe und zum Aufklären der Struktu-ren verfügen die Bundesländer, wie wir alle wissen, überein Landesamt für Verfassungsschutz.Glauben Sie mir, ich befasse mich ziemlich intensivmit der Arbeit des Bundesamtes und der Landesämter fürVerfassungsschutz, und es ist immer wieder Sachsen, wonicht so gearbeitet wird, wie ich es mir und wie wir esuns erwarten dürfen. Es ist Sachsen, wo das LfV Pegidagewähren lässt, obwohl dort zur Exekution von Men-schen an den Grenzen aufgerufen wird, obwohl dort Gal-gen hochgehalten werden und Parolen gegrölt werden,die anderswo undenkbar sind.
Wenn das LfV Sachsen offensichtlich nicht in der Lageoder nicht willens ist, dort wirksam zu handeln, dann istdie Landesregierung, dann sind der Innenminister Ulbigund der Ministerpräsident Tillich dafür verantwortlich,dass dessen Präsident abgelöst wird und die Stelle so be-Dr. Dietmar Bartsch
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setzt wird, dass dort richtig und verantwortlich gehandeltwird.Apropos Ministerpräsident Tillich – das muss ichschon sagen –: Was für eine Erkenntnis, dass Sie nach25 Jahren feststellen, dass Sachsen ein Problem mitRechtsextremen und Neonazis hat! Auch ein blindesHuhn findet – mit Verlaub – einmal ein Korn.
Ich habe am Donnerstag letzter Woche, nur wenigeStunden vor den Ereignissen in Clausnitz, gesagt, dass esunsere Aufgabe ist, den Anfängen zu wehren, liebe Kol-leginnen und Kollegen. Heute sage ich: Wir müssen inSachsen gar nicht mehr den Anfängen wehren, ich glau-be, wir sind schon mittendrin.
Und ganz bestimmt wird sich an den Zuständen dortauch nichts ändern, wenn Herr Tillich jetzt in Erwägungzieht, abgelehnte Polizeibewerber zu sogenannten Wach-polizisten zu machen und einzustellen – am besten wahr-scheinlich noch zur Bewachung von Pegida oder vonAsylbewerberunterkünften. Ich will mir gar nicht vor-stellen, wieso diese Polizeibewerber abgelehnt wurden.Was sind das für Menschen, liebe Kolleginnen undKollegen, die vor brennenden Unterkünften jubeln, dieMänner, Frauen und Kinder erschießen wollen und vielesandere mehr. Herr Krings, Sie haben eben von einer Pa-rallelgesellschaft gesprochen; da bin ich sehr bei Ihnen.Das Volk unseres Landes sind sie aber ganz bestimmtnicht.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Anton Hofreiter für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ja, wir alle sind über die Vorfälle am Wo-chenende schockiert. Menschen, die dem Schreckendes Krieges entkommen sind, die die lebensgefährlicheFlucht überlebt haben, sahen sich mit einem rechten Mobkonfrontiert. Ich bin mir sicher, uns alle eint: Wenn dieseMenschen hier ankommen, dann müssen wir ihnen Si-cherheit bieten.
Aber genau dabei hat der Staat in Clausnitz versagt. DieTäterinnen und Täter waren der braune Mob, aber die Po-lizisten vor Ort haben die Schutzbedürftigen nicht ausrei-chend vor dem braunen Mob geschützt,
und das, obwohl es nicht Tausende von Demonstrantenwaren, wenn man sie so nennen will, sondern 100. Daszeigt, wie sehr die Sicherheitsbehörden in diesem Fallversagt haben. Das darf sich nicht wiederholen, nirgend-wo.
Es ist eine Schande für unser Land, was in Clausnitz pas-siert ist und was jeden Tag an vielen Orten in Deutsch-land passiert.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vorfälle be-legen, dass wir nicht nur in Teilen der Gesellschaft einProblem mit Rassismus haben, nein, sie verdeutlichenauch, dass wir ein Problem mit Teilen unserer Sicher-heitsbehörden haben. Dass die Polizei ihrer Verantwor-tung, die Geflüchteten zu schützen, nicht gerecht wird,ist für mich alarmierend, und dass es nicht das erste Malvorkommt, halte ich für einen echten Skandal. Aber dasssich dann der zuständige Polizeipräsident – offenbar invölliger Verkennung, was seine eigentliche Aufgabe ist –gegen jede Kritik am Polizeieinsatz verwahrt, dass diePolizei gegen die Geflüchteten, gegen die Opfer ermitteltund dass er ihnen in der Pressekonferenz eine Mitschuldzuweist, das zeigt das ganze Versagen. Ich kann es nichtanders bezeichnen: Es handelt sich hier um einen Fallvon institutionellem Rassismus.
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen: Daran tragen diesächsische Landesregierung und die sächsische CDUeine Mitschuld, nicht die Mehrheit der Bevölkerung inSachsen.Es ist bereits zitiert worden: Kurt Biedenkopf hat invölliger Verkennung der Realitäten oder im Nicht-erken-nen-Wollen der Realitäten erklärt, dass die Menschenin Sachsen immun gegen Rechtsextremismus sind. Wirschauen jetzt auf eine 25-jährige Geschichte der Ver-harmlosung, des Abstreitens und des Wegschauens imUmgang mit Rechtsextremismus. Und die Zivilgesell-schaft – hören Sie sich mal die Berichte der Menschenan, die in Sachsen gegen Rechtsextremismus kämp-fen – wird nicht unterstützt, der Zivilgesellschaft werdenKnüppel zwischen die Beine geworfen,
die Zivilgesellschaft wird kriminalisiert und entmutigt –und das kommt dann dabei heraus.
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– Ihre Zwischenrufe beweisen nur eines, nämlich dassSie die Verhältnisse vor Ort nicht kennen, dass Sie mitden Verantwortlichen nie gesprochen haben
und dass Sie sich für die Probleme im Detail nicht inte-ressieren.Hören Sie sich doch nur einmal an, was der Minister-präsident von Sachsen sagt. Er macht die Ressentimentsselber hoffähig. Sein Zitat zum Islam ist bereits erwähntworden. Wenn er nun davon spricht, dass der rechte Mobin Clausnitz irgendwie so etwas sei wie die Bürger, die inStuttgart gern einbezogen worden wären bei der Planungeines Bahnhofs, dann zeigt das doch, wie weit weg ervon einem Verständnis dafür ist, wo die Probleme liegen.
Selbst wenn er versucht, die Vorfälle in Clausnitz undin Bautzen zu verurteilen, zeigt sich der ganze Ungeist;er erklärt nämlich, dass die Täter Verbrecher und keineMenschen waren, wo wir doch längst wissen, dass dasalles Menschen sind. Selbst wenn er versucht, sich zudistanzieren, zeigt sich, dass er im Grunde nicht in derLage ist, einem humanen, einem menschlichen Weltbildzu folgen. In seinen Worten drückt sich der gesamte Un-geist aus, der in dieser Landesregierung herrscht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wirhatten letzte Woche erst eine Debatte zum Rechtspopu-lismus. Dabei hat auch ein Kollege aus Sachsen über die-ses Problem gesprochen. Lesen Sie die Rede noch einmalnach, und überlegen Sie sich dann, was Sie in dem Lan-desverband Sachsen zu tun haben! Ich glaube, Sie habenda eine verdammt wichtige Aufgabe, nämlich dafür zusorgen, dass da bestimmte Umtriebe eingestellt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider sind die Er-eignisse in Clausnitz und Bautzen, so schrecklich siesind, nur die neuesten Beispiele für rassistische Gewaltund Hetze. Rechte Gewalt ist ein gesamtdeutsches Pro-blem. Leider ist sie in unserem Land wieder das gewor-den, was sie nie wieder werden sollte, nämlich alltäglich.Wir haben 2015 14 000 rechtsextrem motivierte Strafta-ten gehabt, darunter 1 600 Straftaten im Zusammenhangmit der Unterbringung von Asylsuchenden. Die Gewalt-bereitschaft hat in diesem Land traurigerweise eine neueDimension erreicht: Biedermänner werden zu Brandstif-tern.Rassismus entsteht aber nicht aus dem Nichts. Wirerleben zurzeit eine Verrohung der Debatte, die uns alleeigentlich tief besorgt stimmen müsste. Dazu tragen lei-der manche aus der Großen Koalition ihren Teil bei. WerHysterie schürt, wer mit Ressentiments spielt, der berei-tet der rassistischen Stimmungsmache und der Gewaltden Boden.
Und genau das tut traurigerweise Herr Seehofer. Ich gebees zu: Das ist der Ministerpräsident des Bundeslandes,aus dem ich komme. Aber auch in der CDU wird man-ches immer schlimmer. Schauen Sie sich an, was JuliaKlöckner und Guido Wolf inzwischen aus Angst vor derAfD machen: Sie fallen inzwischen Frau Merkel in denRücken. – Hören Sie doch endlich damit auf! Mit diesemZickzackkurs, mit dieser Zerstrittenheit, mit dieser Un-verantwortlichkeit erreichen Sie doch nur, dass die AfDstärker wird. Die Hetzer fühlen sich dadurch bestätigt.Lassen Sie das doch endlich sein!
Deshalb sage ich, liebe Kolleginnen und Kollegen:Hass ist keine Alternative. Wir alle müssen gemeinsamRassismus entgegentreten. Es ist höchste Zeit, dass wirunmissverständlich für unsere demokratische und offe-ne Gesellschaft einstehen. Wir brauchen einen Aufstandder Anständigen; denn unsere demokratische und offeneGesellschaft ist in Gefahr, und das dürfen wir nicht zu-lassen.
Herr Kollege.
Lasst uns deshalb zurückkehren zu einer Debatte mit
Augenmaß, zu einer Debatte, die Menschlichkeit erken-
nen lässt,
zu einer Debatte, die endlich auf dem Boden der realen
Probleme stattfindet! Das ist unsere Verantwortung nach
diesen schrecklichen Vorfällen in den letzten Wochen.
Vielen Dank.
Günter Baumann erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Anton Hofreiter
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lieber Kollege Hofreiter, in Ihrer Rede warkein „Augenmaß“ zu erkennen. Das war ein Frontalan-griff gegen Sachsen, gegen rechtschaffene Menschen, diedort arbeiten. So können wir das Thema nicht aufarbei-ten.
Der Ruf Sachsens und Deutschlands ist durch einzel-ne Bürger, die sich außerhalb des Gesetzes befinden, zuSchaden gekommen.
– Das sind einzelne Bürgerinnen und Bürger, gegen diewir vorgehen müssen. – Angriffe gegen Asylbewerber,gegen Flüchtlingsheime, gegen Helfer, gegen Ehrenamt-liche können wir nicht hinnehmen. Die müssen wir aufsSchärfste verurteilen.
Das Bild von klatschenden Menschen vor einem brennen-den Asylbewerberheim in Bautzen oder von grölendenMenschen in Clausnitz, die einen Bus stoppen wollen,ist für uns alle, meine Damen und Herren, unerträglich.
Lieber Uli Grötsch, ein Frontalangriff gegen alle Sachsenhilft uns nicht weiter und ist absolut ungerecht.
Das Bild einzelner Ereignisse der letzten Tage ent-spricht nicht unserem Sachsen. Das zu behaupten, istungerecht gegenüber den Menschen, die ehrlich arbeitenund jeden Tag ihren Job machen.
– Sie habe ich auch gar nicht angeschaut.
Ich sage hier ganz deutlich: Die Blockierer von Claus nitzund die Brandstifter von Bautzen sind nicht das Volk.Das Volk sind die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen,die ehrlich ihre Arbeit machen, die Demokraten sind undsich jeden Tag rechtstreu verhalten.Ich sage Ihnen auch – darüber können Sie sich gleichbestimmt wieder empören –: Wir sind stolz auf unserSachsen,
auf ein weltoffenes Sachsen, auf das, was wir nach derpolitischen Wende geschafft haben. Wir stehen in Sach-sen wirtschaftlich, auf dem Gebiet des Tourismus, bei In-frastruktur und Kultur gut da.
Darauf sind wir stolz. Das kann uns auch keiner nehmen,auch nicht die fremdenfeindlichen Menschen, die auf derStraße herumgrölen.Wir müssen die Vorkommnisse gemeinsam und mitaller Konsequenz aufarbeiten, und wir müssen die Asyl-bewerber, die zu uns nach Sachsen kommen und Hilfebrauchen, ordentlich behandeln und auch schützen.
Ich möchte ganz deutlich sagen: Als sächsischer Abge-ordneter möchte ich mich für das Handeln der pöbelndenMenschen und der Brandstifter bei den Asylbewerbernund den Bürgern, die ehrenamtlich tätig sind, entschul-digen.
Keinerlei Entschuldigung gibt es für diejenigen, die mitallen Mitteln gegen unser Land arbeiten. Sie müssen un-sere Härte zu spüren bekommen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kannüber die gegenwärtige Asylpolitik diskutieren, und mankann auch verschiedene Meinungen dazu haben – aberdas im demokratischen Rahmen, nicht auf der Straße undnicht mit Gewalt.
Ich sage Ihnen auch deutlich, was mich so traurigmacht: Sachsen hat gar nicht die größten Probleme. DerAnteil der Asylbewerber, die wir 2015 aufgenommen ha-ben, betrug, gemessen an der Einwohnerzahl Sachsens,1,3 Prozent. Wir haben insgesamt einen Ausländeranteilvon 2 Prozent. Das sind im Vergleich zu anderen Regio-nen keine hohen Zahlen.
Deswegen ist es so traurig, dass es hier zu diesen Vorfäl-len gekommen ist.Das Schlimme ist auch, dass wir die Sache einseitigbetrachten. Wir müssen sehen: Es gibt auch in Sachseneine Willkommenskultur. Es gibt Menschen, die sich eh-renamtlich engagieren, Asylbewerber begrüßen und sichfür sie einsetzen. Johanniter, DRK, Malteser, THW und
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Polizei – ich könnte noch mehr aufzählen – leisten un-heimlich viel. Auch darauf können wir stolz sein.
Meine Damen und Herren, mit Recht stellen inDeutschland Journalisten, Politiker und auch andere dieFrage – auch Uli Grötsch hat sie angesprochen –: Wa-rum gibt es in Sachsen mehr solcher Vorfälle, sowohl imbundesdeutschen Vergleich als auch im Vergleich zu denanderen neuen Bundesländern? Eine abschließende Ant-wort wird hier und heute keiner von uns geben können.Jeder wird versuchen, aus seiner Sicht Gründe zu finden.
Ursachenforschung ist dringend notwendig, um einStück voranzukommen. Ich stelle klar und deutlich dieFrage, ob die Programme, die wir haben und für die wirsehr viel Geld zur Verfügung stellen – zur Demokratie-förderung, zur Extremismusberatung, zu Interventionund Prävention im Rahmen von Aussteigerprogrammen;zu nennen ist auch das Landesprogramm „WeltoffenesSachsen für Demokratie und Toleranz“ –, wirklich effek-tiv sind, ob sie ausreichen oder ob wir noch mehr brau-chen.
Dieser Umstand ist auch ein Widerspruch dazu, dassSachsen bei PISA im Vergleich zu anderen Regionenständig mit die besten Plätze belegt. Darauf sind wirstolz. Die Frage ist aber: Ist die politische Bildung in un-seren Schulen zu schwach besetzt? Müssen wir hier nochmehr tun?
Diese Fragen müssen wir uns ohne Schaum vor demMund ehrlich stellen und die Dinge aufarbeiten. Wir dür-fen uns aber nicht gegenseitig frontal beschimpfen.Ich sage auch deutlich: Die Polizeireform in Sachsen,in deren Rahmen in den letzten Jahren 20 Prozent derStellen abgebaut wurden, war aus meiner Sicht nicht derrichtige Weg.
Inzwischen wurde hier eine Korrektur eingeleitet. Wirwollen wieder mehr Polizisten einstellen.Ich glaube, noch etwas ist wichtig: Wenn Asylbewer-ber in Asylheimen untergebracht werden, müssen wirmehr als bisher im Vorfeld mit den Bürgern der Gemein-den ausführlich in einen Bürgerdialog treten und versu-chen, allen Menschen die Ängste zu nehmen. Es ist jaein Zeichen von Angst, wenn man auf die Straße gehtund sagt: Ich will das so nicht. – Es wurde auch statis-tisch festgestellt: In Orten, in denen hier im Vorfeld mehrgetan wurde, ist die Zahl der Angriffe und Pöbeleien einganzes Stück geringer.Zusammenfassend sage ich: Sachsen ist nicht rechts-radikal und auch nicht ausländerfeindlich. Es gibt aus-länderfeindliche Aktionen von Einzelnen, die wir mit derganzen Härte unseres Gesetzes verfolgen müssen. MeineDamen und Herren, Ursachenforschung ist für uns ent-scheidend wichtig; wir dürfen aber niemals alle Sachsenunter Generalverdacht stellen.Zum Schluss gestatten Sie mir noch einen Satz: Es istauch nicht hinzunehmen, dass am Montag dieser Wocheein Anschlag von Chaoten gegen die sächsische Landes-vertretung in Berlin erfolgte. Das geht beim besten Wil-len nicht. Gewalt war nie eine Lösung.Vielen Dank.
Caren Lay ist die nächste Rednerin für die Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habenes heute mehrfach gehört: In Sachsen ist das Problemrechter Gewalt besonders groß. Herr Baumann, ich mei-ne, es ist doch völlig unstrittig: Gemessen an der Bevöl-kerungszahl gibt es in Sachsen die meisten Angriffe aufFlüchtlingsunterkünfte. Wenn Sie hier von Einzelfällensprechen, dann haben Sie wirklich den Schuss nicht ge-hört.
Wir haben in Sachsen allein in diesem Jahr 33 Angrif-fe auf Flüchtlingsunterkünfte und 15 Körperverletzungengehabt. Das ist eine einzige Schande – und bitte keineZwischenrufe, die irgendwie in die Richtung gehen, die-ses Problem jetzt auch noch zu verharmlosen.In Sachsen herrscht eine Pogromstimmung gegenFlüchtlinge.
Das sage nicht nur ich, sondern das sagt der LeipzigerPolizeipräsident, Herr Merbitz. Und ich habe dem nichtshinzuzufügen.Diese Pogromstimmung gegen Flüchtlinge, meine Da-men und Herren, ist nicht vom Himmel gefallen. Schau-en wir doch einmal in den Landkreis Bautzen, wo dieserschreckliche Anschlag am Wochenende stattfand. Da gibtes seit Jahren eine erstarkende Neonazi-Szene und spon-tane Fackelumzüge ungestört nachts durch die Stadt. Esgibt dort – in einem einzigen Landkreis – 36 Bürgeriniti-Günter Baumann
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ativen gegen Flüchtlingsunterkünfte. Auf deren Internet-seiten wurde schon im Dezember über Brandanschlägediskutiert. Schon vor zwei Jahren gab es jeden Abendeinen pöbelnden Mob vor einer Flüchtlingsunterkunft ineinem Hotel. Da will ich von den 26 Angriffen auf meineBürgerbüros gar nicht reden. Dass es aber bisher nur zueiner einzigen Verurteilung gekommen ist, damit müssenwir uns wirklich auseinandersetzen.
Im Landkreis Bautzen liegt übrigens auch der Wahl-kreis von Herrn Tillich. Wenn sich der jetzt hinstellt undsagt: „Oh, ich bin überrascht. Wir müssen etwas gegenrechts tun“, dann muss ich wirklich feststellen: Wer nichteinmal weiß, was vor der eigenen Haustür passiert, istder falsche Mann in diesem Amt. Solange dieser Mannan der Spitze von Sachsen steht, wird dieses Land dasProblem auch nicht in den Griff bekommen.
– Frau Michalk, ich höre Ihre Zwischenrufe. Aber wis-sen Sie: Wegducken und das Problem verharmlosen, wardoch jahrelang die Strategie der CDU im Kampf gegenrechts.
Die Liste des sächsischen Versagens im Kampf gegenrechts ist wirklich lang. Ich nenne ein einziges Beispiel:Die CDU im Land und in der Stadt Dresden hat jahrelangtatenlos dem größten Naziaufmarsch Europas zugesehen,der durch die Landeshauptstadt zog. Dann hat das Bünd-nis „Dresden Nazifrei“ dies irgendwann verhindert. Dawaren Hunderte von Strafverfolgungen die Folge – nein,nicht gegen die Neonazis, sondern gegen die Gegende-monstranten. Polizei und Staatsanwaltschaft waren jah-relang auf dem rechten Auge blind. Das ist das Problem.Ich muss einmal sagen: Ein „Danke“ hätte auch gereicht.
Und genau das will ich an dieser Stelle sagen: Danke,„Dresden Nazifrei“, Danke „Bautzen bleibt bunt“, vie-len Dank an all diejenigen, die sich auch in Sachsen denRechten in den Weg stellen.
Ja, meine Damen und Herren, es gibt ein weltoffenesSachsen. Die CDU aber gehört nicht dazu. Und genaudas ist das Problem.
Ein letzter Satz: Sie müssen hier auch nicht so tun, alssei es einzig und allein ein sächsisches Problem. BrauneGewalt und rechter Terror sind ein bundesweites Pro-blem. Schieben Sie das Problem doch nicht auf Sachsenalleine! Wer hier monatelang von Obergrenzen und Kon-tingenten schwafelt, der bereitet doch dem braunen Mobden Boden. Davor können wir doch heute die Augennicht verschließen.
Frau Kollegin, Sie müssen zu Ende kommen.
Ja, Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Wenn wir hier über den Rechtsruck in Deutschland
sprechen, dann dürfen wir, finde ich, hier auch zum Asyl-
paket nicht schweigen. Die Verschärfung des Asylrechts
ist wirklich die falsche Antwort im Kampf gegen rechts.
So bekämpft man Rassismus nicht, so betreibt man das
Geschäft der AfD. Hören Sie endlich auf damit!
Das Wort erhält nun die Kollegin Susann Rüthrich für
die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich bin am Freitagabend von einer Veranstal-tung in Dresden nach Hause gekommen. Der Raum,aus dem ich gekommen bin, war voller Ehrenamtlicheraus den verschiedensten Bereichen: THW, Schulverein,Diakonie, Bündnis Buntes Radebeul, Kinder- und Jug-endring, Jüdische Gemeinde, Einzelpersonen aus Unter-nehmen. Ich war glücklich und beschwingt; denn wir ha-ben dort Vorstellungen über bessere Bedingungen für dasEhrenamt zusammengetragen. Es gibt viel zu tun, aberhey, dafür sind wir ja da.Ich bin also nach Hause gekommen und wollte dasauf Facebook schreiben. Da sah ich sie, die Videos ausClausnitz. Schon wieder Sachsen!Das Wochenende half nicht, den Schock zu überwin-den. In Bautzen klatschen die Leute, während inmittenihrer Innenstadt ein Haus brennt. Ja, sie behindern sogardie Feuerwehr. Ein versuchter Brandanschlag in Löbauschafft es schon gar nicht mehr ins öffentliche Bewusst-sein. Darauf lege ich heute aber nicht meinen Schwer-punkt.Ich lege meinen Schwerpunkt auch nicht auf Sie,meine Herren von der sächsischen Polizei, die Sie unsjetzt das ich weiß nicht wievielte Mal erzählen: „DieLage konnten wir nicht vorhersehen“ – wieso eigent-lich nicht? –, „Wir hatten nicht genug Leute vor Ort, dieAngegriffenen haben aber auch provoziert“ – genau, ammeisten wahrscheinlich dadurch, dass sie da waren –,„Ansonsten war am Polizeieinsatz, wie immer, alles inOrdnung“.Caren Lay
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Mein Schwerpunkt sind auch noch nicht einmal Sie,meine Herren Innenminister, deren Aufgabe es wäre, dieSicherheit eines jeden bei uns zu garantieren, die Sie aberjahrelang Stellenabbau bei der Polizei mitgetragen habenund im Übrigen immer schauen, wo im Sinne der Extre-mismusdoktrin nun bitte diejenigen auf der nicht-rechtenSeite sind, die die Rechten provoziert haben müssen, alsob uns die nicht auch so genug hassen würden, um unsanzugreifen.
Nein, auch Sie sind heute nicht mein Schwerpunkt,sondern die, über die im Plenum nie eine Stunde gere-det wird, weil sie durch ihre unermüdliche Arbeit keine„Ereignisse“ schaffen. Daher folgt nun mein Bericht ausSachsen:Clausnitz liegt im Erzgebirge; das weiß mittlerweilejeder. Dort haben wir im vergangenen Jahr dem Verein„Agenda Alternativ“ den David-Schmidt-Preis für sozi-ales und sozialpolitisches Engagement verliehen; denndort veranstalten junge Leute Jahr für Jahr ein Festival,das einzige in der ganzen Gegend. Dort gibt es neben gu-ter Musik Workshops und Seminare. Diese jungen Leutezeigen: Unsere Heimat ist bunt, und das ist gut so.Oder: Das Bündnis „Bautzen bleibt bunt“ lädt zumSommerfest mit Geflüchteten und zum gemeinsamenWeihnachtskegeln ein. Es bietet Deutschkurse an undhilft beim Ankommen.Oder: Es sind die vielen unermüdlichen Ehrenamtli-chen beim THW, beim DRK, bei der Diakonie und beivielen anderen Trägern, die die Unterkünfte, die Versor-gung und die Betreuung stemmen.Oder: Überall in Sachsen führt das Netzwerk für De-mokratie und Courage mit seinen 106 eingesetzten Eh-renamtlichen Projekttage an Schulen durch. 347 fandenallein im letzten Jahr statt, davon 14 im Erzgebirgskreisund 17 in Bautzen. Wir könnten noch mehr Projekttagedurchführen, wenn wir mehr Ressourcen für die Projekt-tage selbst und für die Ausbildung der Ehrenamtlichenhätten, die Schlange stehen.
Ganz nebenbei: Das NDC entstand 1999 in Sachsen undwird mittlerweile in fast ganz Deutschland, in Belgienund in Frankreich umgesetzt. Geht doch, Sachsen!
Von all denen habe ich übrigens nie „Grenzen dicht!Verschärft die Asylgesetze!“ gehört. Sie brauchen näm-lich etwas ganz anderes.Erstens brauchen sie Anerkennung. Sie wollen sich imBetrieb, gegenüber Behörden und in ihrem Umfeld nichtdafür rechtfertigen, dass sie sich engagieren. So banal esklingt: Es ist eben auch eine Anerkennung, wenn ihnenneben dem örtlichen Pfarrer und dem Gewerkschaftschefauch die Bürgermeisterin oder der Ministerpräsident denRücken stärkt.
Ich frage: Wo sind Sie denn, Herr Tillich? In Clausnitzund in Bautzen habe ich wieder einmal nur den SPD-Minister Martin Dulig und die SPD-Ministerin Petra Köpping gesehen, wie übrigens auch bei den buntenBündnissen und beim DGB, der seit Jahren die Gegende-mos anmeldet und dafür noch nie den öffentlichen Dankdes Ministerpräsidenten bekommen hat.Sie, Herr Tillich, betonen, dass es nicht allein Aufgabevon Polizei und Politik ist, sich dem rechten Mob ent-gegenzustellen. Richtig! Mit diesem Fünkchen Wahrheitzünden Sie allerdings eine große Nebelkerze; denn es istetwas ganz anderes, Herr Tillich, genau denen, die sichvor Ort engagieren, den Rücken zu stärken, als einmalzum Empfang in die Staatskanzlei einzuladen und huld-voll Danke zu sagen. Das kann man machen – dabei gibtes auch schöne Fotos, vor allem für Sie –, und es tut nichtweh. Davon kann man sich vor Ort aber auch nichts kau-fen.Zweitens braucht es Zeit. In Sachsen gibt es beispiels-weise keinen Bildungsurlaub. Warum auch? PISA-Siegerzu sein, reicht doch, oder? Manchmal klingt es fast so; esist aber falsch. Denn wir brauchen nicht nur an Schulen,sondern weit darüber hinaus gesellschaftliche Bildung.Drittens muss man das Augenmerk verstärkt auf dieBlaulichtorganisationen und deren Ehrenamtliche rich-ten. Es braucht eine moderne Ausstattung, gesetzlicheRegelungen für das Einbinden der spontan Helfendenund weniger Bürokratie.Und viertens braucht es auch Geld. Dass die Ehren-amtlichen noch draufzahlen müssen, wenn sie sich ein-bringen, kann nicht sein. Es kann auch nicht sein, dassgesellschaftliche Daueraufgaben immer noch in Pro-grammen und Projekten feststecken. DemokratischeDaueraufgaben brauchen eine dauerhafte Absicherung.Vereinbart ist das sowohl im NSU-Abschlussbericht alsauch im Koalitionsvertrag. Wir müssen es nur noch um-setzen. Ich will das nicht gegen Widerstand erkämpfenmüssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Fünftens ist noch etwas anderes bitter nötig, und dasrichtet sich an die sächsischen Behörden und die säch-sische Politik: Entkriminalisieren Sie endlich antirassis-tisches und demokratisches Engagement! Es sind nichtdiejenigen das Problem, die sich Rassisten in den Wegstellen. Nein, das ist bitter notwendig, sonst macht esnämlich keiner.
Susann Rüthrich
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Ein Mensch, der sich Rechtsextremen entgegenstellt, istnicht linksextrem; er ist Demokrat.
Ich komme zum Schluss. Ihr Pöbler, die ihr unsereHeimat in den Dreck zieht: Ihr seid nicht Sachsen; ihrseid nicht das Volk. Ihr nicht! Eure brutalen Rückzugs-gefechte werden eine offene, demokratische Gesellschaftnicht verhindern. Auch wenn es uns wehtut: Ihr werdetkeinen Erfolg haben. Dafür können wir alle sorgen, jederund jede in seiner und ihrer Verantwortung.Danke.
Monika Lazar ist die nächste Rednerin für die Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! FürHetze und Gewalt gibt es keine Rechtfertigung. Das giltselbstverständlich auch für die Vorfälle in Clausnitz undBautzen in der letzten Woche.Als sächsische Abgeordnete weiß ich, dass in Sach-sen schon seit langem etwas schiefläuft. Der Freistaatgehört zu den traurigen Spitzenreitern bei rassistischenStraftaten. In solch einem gesellschaftlichen Klima istes wichtig, jeglicher Form von Rassismus eine unmiss-verständliche Absage zu erteilen, sich mit den Opfernzu solidarisieren und sie mit allen staatlichen Mitteln zuschützen.
Aber was ist in den letzten Tagen alles schiefgelaufen?Die Pressekonferenz des Polizeipräsidenten Reißmannam Samstag ist ein sehr plakatives Beispiel für die nichtvorhandene Fehlerkultur bei der sächsischen Polizei.Auch mit Blick auf den Betreiber der Flüchtlingsunter-kunft kann man ins Grübeln kommen. Herr Hetze vonder AfD – ein bezeichnender Name –, der schon beiflüchtlingsfeindlichen Demonstrationen in den letztenMonaten als Redner auftrat, wird zwar am Montag vomLandrat von diesem Posten abberufen, aber nicht, weil erFehler gemacht hat, sondern zum Schutz seiner Person.Wer bitte soll das verstehen?
Auch die sächsische CDU zeigt sich leider wieder be-sonders realitätsfern, diesmal zum Beispiel die KolleginBellmann, die heute auch anwesend ist. Sie beklagt beiFocus Online: Wenn die Antifa Schilder besprühe, werdedas medial kaum beachtet. Und weiter: „Wenn auf Veran-staltungen ‚Wir sind das Volk‘ gerufen wird, spricht mansofort von Mob und ‚verbaler Gewalt´“. – Als eine, die1989 in Leipzig auf die Straße gegangen ist, bin ich wü-tend, dass diese Rufe in Clausnitz und auch in Dresdenund Leipzig ertönen.
Denn das hat mit dem Anliegen der Montagsdemonstrati-onen vom Herbst 1989 rein gar nichts zu tun.
Wie hat nun Ministerpräsident Tillich auf diese Ereig-nisse reagiert? Zuerst, wie meistens, gar nicht, und dannkam ein Vergleich der rassistischen Demonstrationen mitden Protesten gegen Stuttgart 21.
Das ist eine Verharmlosung von Rassismus und eine Kri-minalisierung legitimer Bürgerproteste.
Dann nahm Herr Tillich alle Bürger in die Pflicht undforderte mehr Zivilcourage. Das ist richtig. Aber wer derZivilgesellschaft Steine in den Weg legt, wie es in Sach-sen seit Jahren passiert, hat wieder einmal nicht bemerkt,was zu tun ist.Ich begrüße die Bemühungen von Ministerin Schwesigum die Verdopplung der Mittel des Bundesprogramms„Demokratie leben!“. Allerdings nutzt das nur dann et-was, wenn das Geld bei den Initiativen auch ankommt.
Ausgerechnet für Sachsen gibt der Bund durch das Pro-gramm „Demokratie leben!“ zurzeit gar keine Beschei-de aus. Schuld daran sind die sächsischen Ministerien,die sich über Nebensächlichkeiten streiten und damitdie Förderung blockieren. Deshalb liegt in Sachsen mo-mentan nicht nur die zivilgesellschaftliche Projektarbeitbrach. Zwar arbeiten die Koordinierungs- und Fachstel-len seit Anfang des Jahres auf Hochtouren, aber ohneGeld. Angesichts dieser Zustände sind Tillichs Reden nurwohlfeile Lippenbekenntnisse.
Es fehlt noch immer eine klare Haltung. Eine solche Hal-tung hätte ich mir spätestens gestern bei seiner Presse-konferenz gewünscht.Die Anhäufung von Fehlverhalten und Peinlichkeitenin Sachsen fällt besonders auf und wird politisch und me-dial stark beachtet. Es wäre aber ein großer Fehler, solcherassistischen Vorfälle zu einem reinen Sachsenproblemzu stilisieren. Wir alle wissen: Leider ist Rassismus einProblem in ganz Deutschland. Flüchtlingsfeindliche Pa-rolen finden überall erhebliche Zustimmung. AngriffeSusann Rüthrich
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auf Flüchtlingsunterkünfte finden bundesweit statt. DieAfD liegt in Umfragen – auch in westdeutschen Bundes-ländern – häufig im zweistelligen Bereich. Aus Studienvon Heitmeyer, Brähler, Decker wissen wir das seit Jah-ren. Aber sichtbar ist, dass es in letzter Zeit immer dra-matischer wird.Deshalb brauchen wir eine gesamtgesellschaftlicheDemokratieoffensive.
Politik und Staat müssen gemeinsam antirassistischeVorbildwirkung entfalten und zeigen, was Demokratiebedeutet. Wer heutzutage von Demokratie redet, darfüber Willkommenskultur, Integration und antirassisti-sches Engagement nicht schweigen.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Marian Wendt für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Noch am vergan-genen Donnerstag habe ich in der Debatte gesagt: „Diegesellschaftliche Entwicklung zu einem Mehr an Gewaltin unserem Land sehe auch ich mit großer Sorge.“ Jetztmuss ich leider hinzufügen, wie sehr mich die Verro-hung erschreckt. Wir sind anscheinend an einem neuenTiefpunkt angekommen. Solchen Menschenfeinden wiedenjenigen vom Wochenende müssen wir entgegentre-ten. Darin sind wir uns alle einig, wie wir heute gehörthaben. Der Rechtsstaat muss hier klare Konsequenzenziehen und die konkreten Taten – das sage ich klipp undklar – hart bestrafen.
Den damit einhergehenden Umschwung in der Hal-tung zur Innen- und Sicherheitspolitik, der gerade durchalle Parteien geht, begrüße ich sehr. Nachdem es jahre-lang anscheinend keine Stimmung gab, die Polizei diesesLandes für ihre ureigenen Aufgaben fit zu halten, gibtes jetzt endlich einen breiten Konsens. Der Rechtsstaatbraucht eine handlungsfähige Polizei, um die freiheit-lich-demokratische Grundordnung dort zu schützen, wosie bedroht wird. Wir Innenpolitiker sehen uns stets ei-nem Zeitgeist gegenüber, der die Polizei zumeist mit gro-ßer Skepsis betrachtet. Dass jetzt wieder der Wert unsererFreunde und Helfer erkannt wird, ist eine begrüßenswer-te Entwicklung.Für mich stellt sich schon seit Langem die Frage, wiewir die fremdenfeindlichen, extremistischen und antide-mokratischen Strömungen wieder stärker zurückdrängenkönnen. Ich habe in den letzten Tagen folgendes Zitat desgroßen Hans Sarpei gelesen: „Wenn ihr das Volk seid,werde ich Flüchtling.“ Wie so oft bei solchen Sprüchen,klingt das zunächst sehr griffig. Ich würde jedoch ent-gegenhalten: Nein, Hans, ich würde nicht flüchten. Eskommt nämlich gerade auf uns Demokraten an, die ge-wissermaßen die Grundstruktur einer Gesellschaft bildenund Extremisten daran hindern, die Kontrolle zu über-nehmen.Wir müssen uns alle gemeinsam überlegen, woran esvielleicht liegen kann, dass es in den östlichen Bundes-ländern zu einem Mehr an fremdenfeindlicher Gewaltkommt. In diesem Zusammenhang stellen sich mir schonseit Langem Fragen: Liegt es vielleicht daran, dass sichviele Menschen als Verlierer der Wiedervereinigung füh-len, weil sie nicht gleich einen Arbeitsplatz gefundenhaben oder seit 20 Jahren arbeitslos sind? Lassen Siemich klar sagen: Ich bin dankbar für die Überwindungder Teilung und das, was wir erreicht haben. Sachsen istdas wirtschaftlich stärkste Land, das aus der ehemaligenDDR hervorgegangen ist. Aber wir müssen uns dieseFragen stellen.Es ist natürlich auch die Frage, ob es einen gesell-schaftlichen Gegendruck gerade in den ländlichen Regi-onen Sachsens vielleicht deswegen nicht gibt, weil sichdie bürgerliche Mitte dort ein wenig verabschiedet hat.Aus meinem Abiturjahrgang sind vier von fünf Mitschü-lern abgewandert. Diese Abiturienten kann man zu denbürgerlichen Führungskräften zählen. Diese Kräfte feh-len nun, um sich demokratischen Prozessen zu stellen.Das haben viele Studien leider gezeigt. Deswegen ist esan uns, diese Entwicklung umzukehren und eine Basisfür die bürgerliche Mitte zu schaffen. Wir haben schonviel erreicht. Für mich ist die Schaffung von Arbeitsplät-zen am wichtigsten; denn danach streben die Menschen.Das haben wir gelernt.Wir haben viel erreicht. Wir haben die Arbeitslosig-keit in Sachsen auf unter 10 Prozent gesenkt. Wir habendie Infrastruktur- und Solidarpaktmittel sinnvoll einge-setzt. Wir müssen natürlich noch mehr tun, insbesonderein Nicht-Leuchtturmregionen, die nicht immer im Fokusstehen.
Bildung, Breitband, ÖPNV, Straßenbau – so kommen wirwieder zu Perspektiven, auch in Clausnitz und Bautzen.Daran sollten wir arbeiten.
Die Pauschalisierungen und Anfeindungen haben je-den Sachsen getroffen. Lesen zu müssen, alle Sachsenseien im Grunde Nazis, ist gerade gegenüber den vielenengagierten Menschen dort zutiefst ungerecht.
Das hat Frau Rüthrich eben bestätigt.Monika Lazar
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Eine kleine Minderheit vernichtet den guten Ruf einesschönen und diversen Landes. Pauschalisierungen sinddoch eigentlich ein Mittel derer, die Vorurteile säen undmit Ressentiments ihre Zeit vertreiben. Deswegen wärees wichtig, Leipzig nicht als „Nazistadt“ oder Menschenin Heidenau nicht als „Pack und Gesocks“ zu bezeich-nen.
Wir brauchen den Dialog und keine Fronten. Wirbrauchen Fakten und keinen Populismus. Dann schaffenwir weniger Gewalt und mehr Frieden in unserem Land.Vielen Dank.
Michael Leutert ist der nächste Redner für die Frakti-
on Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist schon darauf hingewiesen worden, dass Clausnitz und
Bautzen keine Einzelfälle sind, sondern dass sie säch-
sische Normalität, sächsischer Alltag sind. Im Übrigen:
Dies gilt nicht erst seit Pegida und nicht erst, seit der Mob
in Freital und in Heidenau auf der Straße ist, sondern das
ist sächsische Realität seit 25 Jahren. Das ist Ergebnis
ganz bewusster CDU-Politik auf Landes- und Kommu-
nalebene.
Ich will auf verschiedene Punkte hinweisen: 1997 gab
es die SSS, Skinheads Sächsische Schweiz. Sie konnten
fünf Jahre lang ihr Unwesen in der Sächsischen Schweiz
treiben. Kein Wunder, dass die NPD 2004 mit 9,2 Pro-
zent in den Landtag eingezogen ist. Ich habe gedacht, das
sei ein Alarmsignal. Sie war damit fast so stark wie die
Sozialdemokraten. Sie hat in der Sächsischen Schweiz
fast 25 Prozent geholt. Das wurde damals damit abgetan,
das seien Einzelfälle.
Sturm 34 – 2006, 2007 in Mittweida. In Mügeln –
wer sich noch daran erinnert; so lange ist es noch nicht
her – prügelte 2007 ein aufgebrachter Mob von 50 Leu-
ten mehrere Inder durch die Stadt und skandierte: Hier
herrscht der nationale Widerstand. – Das ist sächsische
Realität. Im Übrigen: Auch der NSU hat in Sachsen Un-
terschlupf gefunden.
Wenn Sie wissen wollen, wie es auf kommunaler Ebe-
ne aussieht, schauen Sie sich den Landkreis Mittelsach-
sen an. Dort gibt es einen Landrat, der Matthias Damm
heißt. Er war in den 90er-Jahren CDU-Chef in Mittweida.
Dort komme auch ich her. Ich war damals Vorsitzender
eines Jugendvereins. Wir hatten ein Jugendhaus. Natür-
lich sind wir regelmäßig von Nazis angegriffen worden.
Wissen Sie, was die Stadt gemacht hat? Wir haben Buß-
geldbescheide bekommen wegen Verunreinigung des öf-
fentlichen Raums, weil die Scherben noch auf der Straße
lagen.
Nicht nur wir sind angegriffen worden. Die Katho-
lische junge Gemeinde ist angegriffen worden. Es gab
Schwerverletzte. Wir sind ins Krankenhaus gefahren,
haben uns gekümmert und Anwälte besorgt. Wir durf-
ten nicht einmal den Film „Hitlerjunge Salomon“ in den
Schulen vorführen, weil uns gesagt wurde, die Schulen
seien keine öffentlichen Aufführungsanstalten. So wur-
den uns Knüppel zwischen die Beine geworfen.
Im Übrigen war Matthias Damm einmal bei uns im Ju-
gendhaus – mit Polizei, als das Jugendhaus dichtgemacht
wurde. Die Nazis hat es gefreut.
Im Jahr 2007, als der Sturm 34 Mittweida fest im Griff
hatte und als mein Abgeordnetenbüro fünf-, sechsmal an-
gegriffen wurde, haben wir eine Demo organisiert. Der
Bürgermeister hatte alle Hände voll damit zu tun, das zu
verhindern. Er wollte einen Feuerwehrumzug machen,
damit wir nicht durch die Straßen konnten. Er hat ver-
sucht, den evangelischen Pfarrer davon abzuhalten, an
der Demo teilzunehmen und dort zu sprechen, was na-
türlich schiefgegangen ist. Er hat sogar die Hochschule
einen Tag vorher schließen lassen. Die ausländischen
Studierenden sind nach Freiberg geschafft worden, damit
ja niemand an der Demo teilnehmen konnte. 2 000 waren
dann da. Auch heute noch einmal recht herzlichen Dank
für die hohe Beteiligung an der Demo.
Damals war er Bürgermeister in Mittweida, jetzt ist
Matthias Damm Landrat, und es passiert das in Claus-
nitz. Was macht er? Er sagt: Der Heimleiter ist versetzt
worden, und zwar zu seinem Schutz. – Die Polizei er-
mittelt gegen die Flüchtlinge. Das ist sächsische Realität.
Genau das ist im Übrigen die Politik, die dazu führt, dass
der rechte Mob auf der Straße ist; denn er fühlt sich nicht
nur im Recht, in Sachsen fühlt er sich in Sicherheit. Das
ist das Problem.
So funktioniert das im Übrigen auch auf Landesebe-
ne. Ich habe schon gesagt: Demonstranten, die sich in
Dresden den Nazis in den Weg stellen, wird nicht Danke
gesagt, sondern die werden angeklagt und verfolgt. Das
SEK ist mit brachialer Gewalt in Vereinsräume eingebro-
chen und in die Büros von Anwälten gegangen, um Com-
puter und Flugblätter zu beschlagnahmen.
Herr Kollege, kurzer Blick auf die Uhr.
Ich schaue. Danke für den Hinweis.
Marian Wendt
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Bitte ein konsequenter Blick auf die Uhr.
Es ist hier angesprochen worden: Die Zivilgesell-
schaft muss gestärkt werden, und wir auf Bundesebene
können etwas dafür tun, indem wir die Programme gegen
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit aufsto-
cken und so ausstatten, dass die Zivilgesellschaft damit
etwas anfangen kann.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Andrea
Lindholz, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 26 Jahrengingen Hunderttausende mutige Ostdeutsche mit demRuf „Wir sind das Volk“ auf die Straße und sorgten fürden friedlichen Fall der Mauer und für das Ende derDDR-Diktatur. Seither symbolisieren diese Worte eineSternstunde in der deutschen Geschichte. Sie stehen füreinen demokratischen Wandel, für die Öffnung der Gren-zen und für die Wiedervereinigung.In letzter Zeit missbraucht eine radikale Minderheitdiesen Ruf, um andere Menschen auszugrenzen undBrandstiftung wie in Bautzen oder schamlosen Auslän-derhass wie in Clausnitz zu rechtfertigen. Das dürfen wirals Demokraten nicht akzeptieren. In unserer weltoffenenund rechtsstaatlichen Demokratie ist die Würde des Men-schen unantastbar, egal woher er kommt oder welchenAufenthaltsstatus er hat. Wer Mütter mit kleinen Kindernanpöbelt, wer sie in Angst und Schrecken versetzt, werHäuser anzündet oder dabei jubelt, wer Feuerwehrleuteund Polizeibeamte bei der Arbeit behindert, der kündigtden demokratischen Grundkonsens auf und stellt sichselbst außerhalb unserer Gesellschaft. Das müssen wirmit aller uns zur Verfügung stehenden Macht verurteilen.
Auch die Straftaten, die in diesem Zusammenhang be-gangen werden, müssen konsequent rechtsstaatlich ver-folgt werden. Ich halte es trotzdem für falsch, in dieserDebatte Sachsen unter Generalverdacht zu stellen.
Das Bundeskriminalamt hat im letzten Jahr 976 Straf-taten gegen Asylunterkünfte registriert. Das sind fast500 Prozent mehr als im Jahr davor. Das muss uns alleaufmerksam machen. Sachsen ist Vorreiter in dieser be-schämenden Statistik – das will ich gar nicht verharm-losen –, aber der Anstieg der asylbewerberfeindlichenGewalt geht über das gesamte Bundesgebiet. Wir redendamit über ein deutsches und kein rein und ausschließ-lich sächsisches Problem.
Jeder Angriff auf eine Asylunterkunft ist unerträglich undzu verurteilen.
Wir als Demokraten sollten hier heute zusammenste-hen und keine parteipolitischen Vorurteile verbreiten.Wir sollten das auch den Menschen in diesem Land, denvielen redlichen, demokratischen, für die Asylbewerbertätigen Menschen in Sachsen und im ganzen Bundesge-biet zeigen. Ich finde es auch unerträglich, wie mancherin den Medien eine Welle der Empörung über die Polizeilostritt, ohne die Fakten zu kennen, oder gar von Polizei-versagen spricht.Wir haben heute im Innenausschuss den sächsischenStaatssekretär und den Landespolizeipräsidenten Sach-sens befragt. Sie beide haben sich den kritischen Fragenaller Parteien gestellt. Man kann zu einer unterschiedli-chen Bewertung kommen; aber uns ist die Entwicklungin den vier Stunden nachvollziehbar dargelegt worden,dargelegt worden, wie die Entscheidungsfindung zustan-de gekommen ist. Man kann einen Polizeieinsatz, derüber vier Stunden dauert, nicht anhand weniger Sekun-den auf einem Video beurteilen.
Die Beamten haben aus einer schwierigen Lage he-raus ihre Aufgaben erfüllt. Sie haben dafür gesorgt, dassniemand zu Schaden kam, und sie haben auch dafür ge-sorgt, dass die staatliche Verteilentscheidung durchge-setzt wurde und der Rechtsstaat nicht vor den von Hasserfüllten Demonstranten versagt hat.
– Das ist richtig, Herr Kollege Beck. Wir haben heuteaber auch ganz klar gehört – Sie waren ja dabei –, dassder Landespolizeipräsident gesagt hat, dass man aus die-sem Vorfall für die Zukunft seine Schlüsse ziehen wird.Das fand ich eine äußerst positive Bemerkung.
Natürlich hat die Polizei auch die Aufgabe, Platzver-weise durchzusetzen. Ich will aber noch einmal daraufeingehen: Jedem, der heute im Innenausschuss war, istvöllig vorurteilsfrei, frei von unserem parteilichen Den-ken, ganz klar und sachlich dargestellt worden, wie sichdieser Abend entwickelt hat. Unsere Polizisten leisten imganzen Land in dieser Flüchtlingskrise Unglaubliches; eswerden viele Überstunden in allen Bundesländern geleis-
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tet. Dafür sollten wir ihnen heute einmal unseren Dankaussprechen.
Jeder hat in diesem Land das Recht, die Asylpolitik zukritisieren und auch dagegen zu protestieren. Die Mei-nungsfreiheit gehört genauso zu unseren Grundwertenwie die Würde des Menschen. Gewalt und blanker Hasshaben aber definitiv nichts mit der Meinungsfreiheit zutun. Wir alle – jeder Einzelne von uns in der Politik undauch in der gesamten Gesellschaft – kann dazu beitragen,dass wir ganz klar verdeutlichen: Wir akzeptieren als De-mokraten keine Fremdenfeindlichkeit, keinen Rassismusund keine Gewalt. Ich bitte Sie alle, jeden Einzelnen vonIhnen, dabei mitzuhelfen.Vielen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! DerBrandanschlag von Bautzen und die widerlichen Krawal-le bei der Busblockade in Clausnitz sind weitere Tief-punkte aus den vergangenen Tagen. Sie zeigen, dass esleider immer mehr Menschen in Deutschland gibt, dieFlüchtlinge auf menschenverachtende Weise angreifen.Es ist abstoßend und bestürzend, dass über 100 Men-schen in Clausnitz Flüchtlinge eingeschüchtert undbedroht haben, unter ihnen Familien, etwa Frauen undKinder, die schlimme Verfolgung und einen gefährlichenFluchtweg hinter sich haben, die niemandem irgendet-was getan haben, die zu uns gekommen sind, weil sieSchutz vor Terror und Verfolgung suchen. Deshalb ist esbeschämend, dass über 100 Menschen diese Flüchtlingebedroht und eingeschüchtert haben.
Der Rechtsstaat und die Zivilgesellschaft müssen nunoffensiv zeigen, dass es in Deutschland keinen Platz fürdiese menschenverachtenden Attacken gegen Flüchtlin-ge gibt. Wer Kinder und Frauen bedroht und wer, wie inBautzen, Wohnunterkünfte anzündet und wer dann auchnoch die Feuerwehr bei den Löscharbeiten behindert, derist ein Krimineller und gehört hart bestraft.
Besorgniserregend ist natürlich nicht nur die Zahl derAnschläge und Attacken in Sachsen. Wir haben es in derTat mit einem bundesweiten Phänomen zu tun. Niemand,insbesondere kein Redner der SPD-Fraktion heute, hateinen Generalangriff gegen Sachsen geführt.
Wir wissen sehr wohl um die Leistungen der Sachsen;wir haben davor großen Respekt.Aber es stellen sich doch Fragen, wenn jeder fünfteAngriff gegen Flüchtlingsheime in Sachsen stattfindet.Das bedeutet keine Attacke auf die Polizei in Deutsch-land. Wir wissen, dass die Polizei gute Arbeit leistet. Werwüsste, wie es in Bezug auf die Flüchtlingskrise ausse-hen würde, wenn wir nicht so viele engagierte Polizistenhätten! Also auch da ein Lob von uns an die Polizei; esgibt keinen Generalverdacht gegen sie.
Aber natürlich stellt sich die Frage: Warum wurdenin Sachsen in der Vergangenheit nicht genügend Poli-zeistellen geschaffen? Man muss sich fragen: Warumweiß man über die rechtsradikalen Strukturen dort sowenig und wird von Aufmärschen und Attacken immerwieder überrascht, und wie kann es sein – das hat michfassungslos gemacht –, dass ein AfD-Mitglied Leiter derFlüchtlingseinrichtung in Clausnitz werden konnte?
Man muss fragen, ob in Sachsen rechte Straftäter sointensiv verfolgt werden, wie es nötig wäre, oder ob dortrechtsradikale Strukturen nicht blauäugig unterschätztwurden. Die Gegendemonstranten, etwa bei dem Nazi-aufmarsch in Dresden – es ist schon gesagt worden –,wurden verfolgt; die Telefondaten wurden tausendfachüberprüft. So eine intensive Verfolgung muss es auch beiStraftaten von Rechtsradikalen geben. Ich bin deshalbfroh, dass der Ministerpräsident angekündigt hat, einigeSchritte einzuleiten. Das weist in die richtige Richtung,hätte aber viele Jahre früher kommen müssen, liebe Kol-leginnen und Kollegen.
Ich finde, es kann insbesondere nicht sein, dass Flücht-linge gleich unter den Verdacht gestellt werden, dieAusschreitungen selbst provoziert zu haben. Mit dieserDenkweise, dass Neonazis und Rechtsradikale nur aufProvokation reagieren, wird diesen Personen die Recht-fertigung für ihre Taten gegeben. Nein, die Neonazis unddie Rechtsradikalen, das sind die Täter, und die gehörenbestraft, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ausdrücklich möchte ich hier die zahlreichen Bür-gerinitiativen und die vielen tapferen Bürgerinnen undBürger erwähnen, die in Sachsen für einen menschlichenUmgang mit Flüchtlingen, für Demokratie und für einAndrea Lindholz
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weltoffenes Sachsen werben. Sie stellen sich vielerortscouragiert gegen die Rechtsradikalen. Etwa in Clausnitzgab es kurz nach der Busblockade eine Demonstration,an der viel mehr Menschen teilgenommen haben als ander Busblockade. Ich finde, das ist ein ermutigendes Zei-chen aus der Zivilgesellschaft. Das sollten wir fördern.Deswegen ist es richtig, dass die SPD-Fraktion eine Ver-dopplung der Mittel für das Programm „Demokratie le-ben!“ fordert; sie kann es hoffentlich auch durchsetzen.Wir müssen die Zivilgesellschaft stärken.
Wir müssen alles tun, damit die fremdenfeindlichenÜbergriffe rasch aufgeklärt werden und die Täter kon-sequent bestraft werden. Es ist deshalb gut, dass Justiz-minister Maas angekündigt hat, beim nächsten Justizmi-nistergipfel eine Initiative zu starten, um rechte Gewaltsichtbarer zu machen. Wir müssen genau wissen, welcheund wie viele Delikte von den Rechtsradikalen begangenwerden und wo die Justiz mehr Ressourcen braucht, umfremdenfeindliche Taten besser verfolgen zu können.Vor allem müssen wir uns gegen die geistigen Brand-stifter dieser Taten wenden. Wenn etwa die AfD fordert,dass auf Kinder und Frauen bei illegalen Grenzübertrittengeschossen werden kann, dann ist das ein Beitrag dazu,dass die Hemmschwelle für Gewaltanwendung fällt unddass es zu solchen Ausschreitungen wie in Heidenau oderin Clausnitz kommt; darüber braucht sich dann niemandzu wundern. Da hat die AfD ihr wahres Gesicht gezeigt.Wer Schüsse auf Kinder als legitimes Mittel der Polizeiansieht, der ist rechtsradikal, der ist keine Alternative fürDeutschland, und der darf keinen Sitz in den Landes-parlamenten bekommen, die jetzt zur Wahl stehen, liebeKolleginnen und Kollegen.
Es trägt auch nicht zur Beruhigung der Lage bei, wennetwa der bayerische Ministerpräsident sagt – ich zitie-re –:Wir haben im Moment keinen Zustand von Rechtund Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts.Damit verunsichert er die Bürgerinnen und Bürger,und dann darf man sich nicht wundern, wenn diese ihrvermeintliches Recht selber in die Hand nehmen, weilja laut Seehofer – angeblich – das Unrecht regiert. Wennalso Repräsentanten des Staates wie Seehofer nicht be-sonnen agieren, sondern die Stimmung durch solch selt-same Ausführungen auch noch anheizen, dann machensie sich an einer zunehmend vergifteten und aggressivenStimmung gegen Flüchtlinge in Deutschland mitschul-dig, und das können wir nicht zulassen, liebe Kollegin-nen und Kollegen.
Willy Brandt hat einmal gesagt:Wo immer schweres Leid über die Menschen ge-bracht wird, geht es uns alle an. ... Wer Unrecht lan-ge geschehen läßt, bahnt dem nächsten den Weg.Lassen Sie uns in diesem Sinne über die Parteigrenzenhinweg unseren Rechtsstaat verteidigen gegen die Ver-fassungsfeinde und alle diejenigen, die unsere freiheitli-che demokratische Grundordnung angreifen und Flücht-linge attackieren!Vielen Dank.
Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich
das Wort dem Abgeordneten Michael Kretschmer, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Als ich am Ende der vergangenen Woche nachHause gefahren bin und gesehen habe, was in Clausnitzpassiert ist – einige Zeit darauf gab es das brennendeHeim in Bautzen –, war ich wie die meisten von uns hier,wie die meisten in Deutschland tief erschüttert und habemich gefragt: Wo führt das hin, und was können wir tun,damit aus dem, was da geschehen ist, nicht ein SolingenII wird – in Solingen sind ja Menschen tatsächlich umsLeben gekommen –, und damit es nicht weiter eskaliert,wie es an anderen Stellen in Baden-Württemberg gewe-sen ist, wo eine Handgranate auf ein Asylbewerberheimgeworfen, oder wie es vor wenigen Tagen in Augsburgwar, wo ein junger Asylbewerber aus dem Senegal kran-kenhausreif geschlagen wurde? Hier ist eine Grenzeüberschritten, was es ganz klar erforderlich macht, dasswir alle, die Institutionen des Staates, die Politiker, dieGewerkschaften, die Arbeitgeber, die Kirchen, aber auchjeder für sich persönlich sagt: So nicht. So kann es nichtweitergehen!
Wenn der Wohnort zum Tatort wird, ist jeder Einzelnegefragt, weil es an dieser Stelle darum geht, wie wir Kon-flikte miteinander ausleben, wie wir mit Meinungsunter-schieden umgehen, wie wir zusammenleben. Und wirwollen nicht zusammenleben, indem wir uns die Köpfeeinhauen, sondern indem wir vernünftig miteinander re-den, meine Damen und Herren.
Es ist im Interesse jedes einzelnen Bürgers – imVerein, im Familienkreis, am Stammtisch, am Arbeits-platz –, Argumenten entgegenzutreten, die zu Gewalt undHerabwürdigung anderer aufrufen, und zu sagen: Nein,ich möchte nicht, dass wir so miteinander umgehen. –Deswegen ist es richtig, wenn der Ministerpräsident sagt:Dr. Johannes Fechner
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Hier ist die gesamte Zivilgesellschaft, hier ist jeder Ein-zelne gefordert, meine Damen und Herren.
Eine Spirale der Gewalt, die mit Worten beginnt undmit Taten endet, darf es nicht geben. Wir brauchen eineBrandmauer. Und es ist klar: Wer die Feuerwehr bei Löscheinsätzen und Rettungsarbeiten behindert, ist selbstein Brandstifter und muss nach dem Strafgesetzbuch mitvoller Härte verurteilt werden. Deswegen finde ich esrichtig, wenn die CDU/CSU sagt: Hier muss das Straf-recht verändert werden, Rettungsdienste müssen bessergeschützt werden, Angriffe auf Rettungsdienste müssenanders und stärker geahndet werden.
Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwi-
schenfrage aus der SPD-Fraktion.
Jetzt nicht.
Okay.
Ich war im Alter von 14 Jahren – 1989, im Herbst – bei
den Friedensgebeten und auch bei den Demonstrationen,
die nachts in Görlitz im Dunkeln stattgefunden haben.
Und der Ruf „Wir sind das Volk“ hatte damals einen ganz
anderen Ton, einen anderen Klang und vor allen Dingen
einen anderen Geist als den, den wir vor wenigen Tagen
in diesem Video gesehen haben.
Es heißt in Wirklichkeit auch nicht: „Wir sind das
Volk“, sondern: „Wir sind ein Volk“. Darum geht es auch
in dieser Debatte – Günter Krings hat dazu aufgerufen,
die Chance zu nutzen, sich jetzt nicht im Klein-Klein der
Parteitaktik zu verheddern, sondern diese Botschaft nach
außen zu senden –: Wir müssen gerade in dieser schwie-
rigen Zeit zusammenhalten, in der die Bevölkerung auf
der Suche nach den richtigen Antworten ist, in der es
immer mehr Polarisierung gibt. Jetzt muss die Politik
zusammenhalten. Und es ist bitter, dass einige Kollegen
heute diese Chance wieder nicht genutzt haben, sondern
das Gegenteil gemacht haben, nämlich sich hier im Par-
teien-Klein-Klein, im Krakeelen zu ergehen, meine Da-
men und Herren.
Es gibt einen weiteren Wunsch nach einer Zwischen-
frage, und zwar von Herrn Beck. Wollen Sie weiterspre-
chen?
Ja. – Hass mit Hass zu beantworten, setzt eine Spira-le der Gewalt in Gang, die ins Verderben führt. Juli Zehhat es im vergangenen Jahr wunderbar gesagt: Öffentli-che Diffamierungen führen zu zusätzlicher Aggression.Emotionalität in der Sprache führt dazu, dass die Dingenur schlimmer werden. – Und eine Politik, die mit demFinger auf andere zeigt, die Worte wie „Pack“, „Pöbel“und „Dunkeldeutschland“ – auch in dieser Debatte wie-der – nennt, die ist nicht in Ordnung, meine Damen undHerren.
Es ist auch nicht in Ordnung, wenn über den FreistaatSachsen hier ein Zerrbild verbreitet wird, das nur dazuführt, dass die aufrechten Menschen in diesem Land, diein der großen Mehrzahl sind, die sich für Flüchtlinge undfür das Gemeinwesen engagieren, mit heruntergemachtwerden, meine Damen und Herren.
Zur Wahrheit gehört, dass selbstverständlich der Ver-fassungsschutz des Freistaates Sachsen,
der in den vergangenen Jahren insbesondere von Linkenund Grünen bei seiner Arbeit immer wieder behindertworden ist,
genau darauf achtet, wenn Rechtsextremisten versuchen,auf asylkritische Proteste Einfluss zu nehmen.
Richtig ist auch, dass in Sachsen im Jahr 1991 dieSonderkommission Rechtsextremismus eingerichtetwurde, dass 2012 das Operative Abwehrzentrum derPolizei Sachsen gegründet wurde, das bis 2015 279 Er-mittlungsverfahren wegen Rechtsextremismus mit einerAufklärungsquote von 73,1 Prozent geführt hat, dass wirim Jahr 2015 die Integrierte Ermittlungseinheit der Jus-tiz gegründet haben, um politisch motivierte Kriminalitätbesser bekämpfen zu können, und dass wir die Gelder fürdas Programm „Weltoffenes Sachsen“ von 2005 bis jetztMichael Kretschmer
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von 2 Millionen Euro auf 5,1 Millionen Euro aufgestockthaben. Es ist uns wichtig, hier ein klares Signal gegenRechtsextremismus zu setzen. Denn uns als Union ist esein Anliegen, diesen braunen Sumpf auszutrocknen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es eben nicht nureine Aufgabe des Staates, sondern auch eine Aufgabeim Kleinen ist. Dass man Rechtsextremismus nicht mitLinksextremismus bekämpfen kann, ist, glaube ich, auchklar. Das muss man aber nach dieser Debatte hier auchnoch einmal sagen.
In diesem Sinne wünsche ich mir, dass die Chancejetzt nicht vertan wird. In einer Zeit, in der die Menschenauf der Suche nach einer Antwort sind und die große He-rausforderung des Flüchtlingsstroms viele Ängste undSorgen verursacht, ist es wichtig, dass die Politik sichnicht auseinandertreiben lässt, sondern dass die wirkli-chen Demokraten zusammenstehen und wir die Chancenutzen, dieses Land zusammenzuhalten. Sie braucht esmehr denn je.
Jetzt haben wir noch zwei Kurzinterventionen, die
eine vom Kollegen Beck und die andere von der Kollegin
Lay. – Herr Kollege Beck fängt an.
Herr Kretschmer, ich habe das Gefühl, dass wir so, wie
Sie das Thema in Ihrer Rede betrachten und beschreiben,
noch keinen wirksamen Kampf gegen die rechten Hetzer,
die wir in Sachsen und anderen Teilen unserer Republik
auf den Straßen sehen, führen, dass wir hier noch nicht
wirklich vorankommen.
Ich will damit beginnen, dass Sie sagen: Wir müssen
jetzt als Politik alle zusammenhalten. – Ich glaube, wir
müssen vor allen Dingen „Demokratie“ und „Rechts-
staat“ erklären. Wenn Sie sagen, der Ausspruch „Wir
sind das Volk“ hat damals in der Demokratiebewegung
der DDR einen anderen Klang gehabt, dann muss ich
sagen: Er hatte auch einen ganz anderen Sinn. Es sind
die Bürgerinnen und Bürger eines Staates auf die Straße
gegangen gegen ein Regime, das zwar Wahlen abgehal-
ten, aber nicht zugelassen hat, dass die Wählerinnen und
Wähler frei und gleich wählen können. Dieses Regime
bestand eben nicht aus gewählten Vertretern des Volkes.
Das unterscheidet es maßgeblich von den Verhältnissen
in unseren 16 Bundesländern und im Deutschen Bundes-
tag.
Das Volk hat hier alle vier oder fünf Jahre – je nach
der Länge der Legislaturperioden – die Möglichkeit, sich
selber eine andere Mehrheit im Parlament zu wählen und
damit eine neue Regierung zu bestimmen. Deshalb ist
die Dichotomie zwischen dem Pöbel auf der Straße, der
behauptet, er sei der Repräsentant des Volkes, und den
Volksvertretungen einfach eine Lüge. Diese muss man
als solche dekuvrieren und darf nicht zulassen, dass das
hohe Ansehen und das hohe Verdienst der Bürgerrechts-
bewegung in der DDR in den Schmutz gezogen werden.
Da müssen Sie stärker differenzieren.
Wenn Sie einen Begriff wie „asylkritische Proteste“ in
den Mund nehmen, bleibt mir echt die Spucke weg.
Dann sind brennende Flüchtlingsheime wohl angewandte
Architekturkritik. Nein, das ist keine legitime demokra-
tische Position, die dort diskutiert wird. Das Asylgrund-
recht und die Genfer Flüchtlingskonvention sind Teil des
Verfassungsrechts dieser Republik. Da können Sie nicht
sagen, Asylkritik ist einfach einmal so eine Position.
Nein, das stellt die Unantastbarkeit der Menschenwürde
infrage. An diesem Punkt sollten wir als Demokratinnen
und Demokraten in der Tat parteiübergreifend zusam-
menstehen und die Menschenwürde und ihre Unantast-
barkeit verteidigen.
Herr Kretschmer, wollen Sie jetzt oder nach der Kurz-
intervention von Frau Lay antworten? – Erst einmal Frau
Lay.
Frau Kollegin Lay, bitte.
Vielen Dank für die Möglichkeit zu einer Kurzinter-vention. – Herr Kretschmer, auch mich hat Ihre Rede zueiner Intervention provoziert. Ich muss sagen: Ich binwirklich entsetzt, dass Sie sich als langjähriger General-sekretär der sächsischen CDU hierhinstellen und sagen:Man könnte, man müsste, man sollte. – Sie reden hier so,als hätten Sie mit der ganzen Sache nichts zu tun. Werist denn eigentlich verantwortlich für die Verhältnissein Sachsen? Wer regiert denn in Sachsen und im Bund?Das ist doch die CDU. Dann muss man doch ein bisschenmehr Verantwortung tragen.Wissen Sie, Ihre tolle positive Bilanz über die Erfolgeder sächsischen CDU bei der Bekämpfung des Rechts-extremismus kann ich überhaupt nicht teilen. Die SokoREX wurde doch eingestellt. Stattdessen war es doch so:Als sich Pegida in Dresden formierte, hat der sächsischeInnenminister gesagt, er habe Verständnis dafür und manmüsse eine Soko gegen angeblich kriminelle Asylbewer-ber einrichten. – Das war die Reaktion Ihrer Partei da-rauf.Die Projekte in Sachsen gegen Rechtsextremismushaben doch seit Jahren ein erhebliches Finanzierungs-problem, dann werden sie auch noch beäugt und in dielinksextremistische Ecke gestellt. Das ist Ihre Politik.Michael Kretschmer
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Letzter Punkt. Das sächsische Landesamt für Verfas-sungsschutz als tolles scharfes Schwert im Kampf gegenRechtsextremismus: Jede lokale Antifa in Sachsen weißmehr über die rechten Strukturen in den Landkreisen alsdas sächsische Landesamt für Verfassungsschutz. Es hatin dieser Sache komplett versagt. Ich will Ihnen sagen:Wenn es im Bundestag einen Preis für Heuchelei und fürScheinheiligkeit geben würde, dann hätten Sie ihn heuteverdient.
Ich bitte, die Worte immer etwas abzuwägen. – Herr
Kollege Kretschmer.
Ich glaube, dass das nicht die Art ist, wie wir mitei-
nander reden sollten und die dieser Debatte angemessen
ist.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz deut-
lich machen: Für mich und für mein Heimatland gilt: Der
Kampf gegen Rechtsextremismus und Extremismus ins-
gesamt ist eine ganz zentrale Aufgabe. Diesem Kampf
stellten wir uns in der Vergangenheit jeden Tag,
und wir werden es in der Zukunft noch viel stärker tun.
Das, was in den letzten Tagen passiert ist, ist für uns ein
deutlicher Weckruf. Es wird noch intensiver und noch
mehr.
Aber ich sage Ihnen auch ganz genau: Die Antifa ist in
diesem Kampf kein Partner. Sie ist ein zusätzliches Pro-
blem, aber kein Partner bei der Lösung dieses Problems.
Das, was jetzt notwendig ist, ist neben mehr Polizis-
ten – auch bei der Wachpolizei –, die eingestellt werden,
eine Stärkung des Verfassungsschutzes, mehr Bildungs-
arbeit, ein Weiter-so in der Stärkung der Zivilgesell-
schaft, auch im Ehrenamt. Das passiert bereits.
Deswegen verwahre ich mich gegen dieses Zerrbild, das
hier verbreitet worden ist, dass diese Arbeit entweder
nicht gemacht wird, dass sie nicht wichtig ist oder dass
wir nachlässig damit umgehen. Das Gegenteil ist der Fall.
Ich sage vor allen Dingen ganz deutlich: Man kann
sich nicht hierhinstellen und alle Menschen eines Landes
unter Generalverdacht stellen. Das ist nicht in Ordnung,
meine Damen und Herren.
Ich schließe die Aussprache.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Nationales Programm fürnachhaltigen Konsum.Das Wort für den einleitenden Bericht hat die Bundes-ministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-cherheit, Frau Dr. Barbara Hendricks. – Frau Ministerin,vielleicht warten Sie kurz, bis sich das Plenum beruhighat, auch wenn es mir völlig unverständlich ist, dass unsangesichts eines so interessanten Berichts so viele ver-lassen.Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Das vergangene Jahr war durchaus historisch fürden Umweltschutz. Wir haben mit dem Abkommen vonParis den internationalen Klimaschutz ein großes Stückvorangebracht. Wir haben im September in New York dieUN-Nachhaltigkeitsziele verabschiedet. Beide Verträgezeigen: Die Weltgemeinschaft ist sich bewusst, dass dieAusbeutung unseres Planeten ein Ende haben muss. Sieist sich bewusst, dass Umweltverschmutzung oft einher-geht mit sozialer Ungerechtigkeit. Sie ist sich bewusst,dass wir umsteuern müssen, wenn wir den kommendenGenerationen eine lebenswerte Erde hinterlassen wollen.Jetzt liegt der Spielball wieder bei den Staaten undihren Gesellschaften. Wir also, auch in Deutschland,müssen jetzt umsetzen, was wir im vergangenen Jahr be-schlossen haben. Das stellt Anforderungen an die Politikund an jede Bürgerin und jeden Bürger. Wir wollen aberkeinen Verzicht predigen oder die Verantwortung denKonsumenten alleine aufbürden. Wir wollen die Rah-menbedingungen verbessern und alle für einen nachhal-tigen Konsum gewinnen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, einer der Schwer-punkte der Agenda 2030 ist für uns das Ziel 12: Wir ha-ben uns verpflichtet, nachhaltige Konsum- und Produkti-onsweisen nach vorne zu bringen. Nachhaltiger Konsumbedeutet: Jede und jeder Einzelne sollte berücksichtigen,welche ökologischen und welche sozialen KonsequenzenKaufentscheidungen haben. Klar ist: Ein gesellschaftli-Caren Lay
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cher Wandel lässt sich nicht einfach verordnen. Daswollen wir selbstverständlich auch gar nicht. Wir wollenZiele aufzeigen, Leitplanken vorgeben und die Rahmen-bedingungen verbessern.Wir wollen zum Beispiel klare Informationen anbie-ten, etwa über ein Onlineportal, das Licht in den Dschun-gel der Umweltsiegel bringt. Wir wollen bei Produzentenund bei Konsumenten über den Aspekt der Langlebigkeitaufklären. Gerade bei Mobiltelefonen oder Computernnimmt die Lebensdauer ab, obwohl wir ja alle wissen,dass jedes Bauteil wertvolle Rohstoffe enthält. Eine Fra-ge wird sein: Brauche ich wirklich ein neues Gerät, oderkann ich das alte vielleicht auch nachrüsten? Oder: Wa-rum kann man sich nicht den Besitz von Elektrogerätenteilen, zum Beispiel in der Nachbarschaft? Wussten Siezum Beispiel, dass eine Bohrmaschine im Durchschnittpro Jahr nur anderthalb Minuten läuft?
Überlegen Sie mal, wie viele Bohrmaschinen es in denKellern der Bundesrepublik Deutschland gibt!Meine Damen und Herren, der nachhaltige Konsumsoll aus seiner Nische geholt und in den Alltag gebrachtwerden. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssendabei unterstützt werden, nachhaltig zu handeln. DieWahl der nachhaltigen Alternative sollte zur Selbstver-ständlichkeit werden. Ich sage aber auch: NachhaltigerKonsum darf nicht vom Geldbeutel abhängig sein. JederMensch in Deutschland sollte in der Lage sein, nachhal-tig zu konsumieren. Schließlich dürfen wir nicht verges-sen: Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktionbedingen sich. Verbraucherinnen und Verbraucher wer-den nur dann überzeugt mitmachen, wenn die Produktelanglebiger, emissionsärmer und letztlich auch qualitativbesser werden. Hier sind die Hersteller in der Pflicht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Nationale Pro-gramm für nachhaltigen Konsum soll zur möglichstbreiten Mitwirkung einladen. Es soll erfolgreiche Maß-nahmen stärken und das Thema mit neuen Initiativenvoranbringen. Wir haben das Programm in zwei Maß-nahmenbereiche unterteilt, erstens in die sechs Konsum-felder, in denen der Konsum die größte Umwelt- und So-zialwirkung aufweist. Dies sind folgende Konsumfelder:erstens Mobilität, zweitens Ernährung, drittens Wohnenund Haushalt, viertens Arbeit und Büro, fünftens Beklei-dung, sechstens Freizeit und Tourismus. – Zweitens ha-ben wir übergeordnete Handlungsansätze erarbeitet, diekeinem Konsumfeld konkret zugeordnet werden können.Hierzu zählen Bildung und Verbraucherinformationenebenso wie die Nutzung von Ökodesign und -kennzei-chen, Forschung und Monitoring.Wir wollen aber auch soziale Innovationen unterstüt-zen und insgesamt in Deutschland ein Nachdenken überLebensstile initiieren. Das Programm ist außerdem einePlattform, die die Bürgerinnen und Bürger und die Zi-vilgesellschaft bei der Suche nach erfolgversprechendenHandlungsansätzen ausdrücklich miteinbezieht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland wirdim Umweltschutz weltweit als Vorbild wahrgenommen.Veränderungen auf der Konsumseite hin zu mehr Klima-und Ressourcenschonung wären natürlich auch globalein wichtiges Zeichen. Auch deshalb hat das Kabinettheute dieses Maßnahmenpaket beschlossen, übrigens dasweltweit erste seiner Art.Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank. – Es gibt eine Reihe von Fragestel-
lern bei den Grünen, aber es beginnt Frau Kollegin Menz
von der Fraktion Die Linke. – Bitte schön.
Danke schön, Frau Ministerin, für Ihren Beitrag. Lei-
der konnte ich das Nationale Programm noch nicht lesen.
Ich habe es erst vorhin zugeschickt bekommen.
Meine Frage ist: Inwieweit wird mit dem Programm
auch eine offene Debatte über eine grundsätzliche Neu-
orientierung des wirtschaftlichen Handelns und bei den
wirtschaftlichen Erfolgsmaßstäben sowie eine entspre-
chende Neubewertung der Bedeutung und Rolle von
Wachstum und Wohlstand verbunden sein?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ich glaube nicht, dass wir davon ausgehen müssen,
dass wir in diesem Zusammenhang neu über die Rolle
von Wachstum und Wohlstand reden müssen. Selbstver-
ständlich bleibt das auch unsere Aufgabe. Es geht in die-
sem Zusammenhang aber darum, den Bürgerinnen und
Bürgern dabei zu helfen, einen nachhaltigen Konsum
tatsächlich auch gleichsam bewusst pflegen zu können.
Wir wollen die Menschen ja nicht zwingen, sondern sie
sollen durch gut zugängliche Informationen in die Lage
versetzt werden, selber zu überprüfen, ob die Konsu-
mentscheidung, die sie sich gerade vorgenommen haben,
eine vernünftige ist, oder vereinfacht gesagt, ob sie das,
was sie gerade kaufen wollen, wirklich brauchen und ob
sie das, was sie kaufen, auch lange nutzen können und
wollen.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Renate
Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Ministerin, erst einmal sehr herzlichen Dank fürIhre luziden Ausführungen in Sachen Bohrmaschine. –Was ich aber nicht verstanden habe, ist: Was ist an die-sem Programm jetzt eigentlich neu, und was soll in Zu-kunft passieren? Sie haben viel zur Bewusstseinsbildungausgeführt. Da wird mir am Ende schon ganz schwinde-lig. Aber sagen Sie doch einmal an einer Stelle, was zuwelchem Zeitpunkt konkret umgesetzt werden soll.Ich will das durch ein Beispiel im Bereich Textil kon-kretisieren. Greenpeace hat mit über 100 Unternehmenin Deutschland eine Vereinbarung geschlossen, dass elfChemikalien bis 2020 aus dem Prozess herauszuneh-men sind. Haben Sie beim Punkt Bekleidung irgendet-Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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was Gleichartiges, etwas Konkretes in Ihrem Programmvorgelegt? Gibt es mehr als ein allgemeines „Wir wollenzum Bewusstsein beitragen“?Mein zweites Beispiel ist der Punkt Ernährung. Siewollen gerne, dass man mehr regional einkauft. Abergibt es denn in Zukunft und, wenn ja, bis wann, ein Re-gionalzeichen, das auch mit zwingenden ökologischenund sozialen Kriterien verbunden ist, nach denen sich dieVerbraucher dann richten können? Ich habe dazu nichtsgefunden.Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Frau Kollegin, zu den konkreten Maßnahmen gehörenzum Beispiel der Ausbau und die Ausweitung des Portals„Siegelklarheit.de“, um Verbrauchern genau darüber einebessere Übersicht zu verschaffen. Wir sind dort noch amAnfang; das sehe ich ein. Deswegen werden wir das wei-ter ausbauen und ausweiten.
Das ist einer der konkreten Punkte, die wir uns in diesemProgramm vorgenommen haben.Es gehört auch – zunächst – die Erforschung und danndie Entwicklung eines sogenannten zweiten Preisschil-des dazu, welches die Sozial- und Umweltauswirkun-gen eines Produktes abbildet und damit einen Schritt inRichtung Internalisierung externer Kosten darstellt. Diessoll natürlich den Konsumenten an die Hand gegebenwerden, damit sie auf dieser Grundlage ihre Konsum-entscheidungen fällen können.Außerdem sind wir dabei, das Verbraucherportal desUBA auszubauen, welches ja schon unter dem Gesichts-punkt „umweltbewusst leben“ existiert. Darüber hinausist die Ausweitung des Textilbündnisses inklusive einerErhöhung des Marktanteils von Bekleidung aus zertifi-zierten Prozessen zu nennen. Alles dies sind Punkte, diewir ganz konkret in unserem Programm angesprochenhaben und die wir in den nächsten Wochen und Mona-ten voranbringen werden, selbstverständlich auch abge-stimmt im Ressortkreis. Ich bin den Kollegen im Justiz-ministerium und im Ernährungsministerium besondersdankbar. Wir haben gemeinsam die Federführung fürdiesen Prozess übernommen.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Eva
Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke.
Danke schön. – Dank auch an Sie, Frau Ministerin, für
den Bericht.
Nachhaltig leben heißt ja, langlebige Dinge zu kaufen,
die man – oder natürlich auch Frau – wirklich braucht.
Das heißt für mich auch, Lebensmittel zu kaufen, die
regional produziert werden. Dazu gehören kurze An-
fahrtswege usw. Ich denke, da gibt es auch schon viele
Informationen in der Bevölkerung. Es können aber im-
mer noch mehr werden. Viele meiner Wählerinnen und
Wähler sagen mir jedoch: Ja, Eva, du kannst dir das leis-
ten. Aber ich kann halt nicht jeden Tag im Bioladen oder
auf dem Biomarkt einkaufen. – Es ist natürlich auch klar,
dass ein Mantel, der acht Jahre hält, teurer ist als einer
aus so einem Billigladen, der in Bangladesch produziert
wurde.
– Gut, okay. – Also, Sie verstehen, was ich meine. Ich
würde dazu gern Näheres wissen.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ja, Frau Kollegin Bulling-Schröter, Sie haben natür-
lich vollkommen recht. Deswegen ist es uns auch ein
besonderes Anliegen, tatsächlich allen Bevölkerungs-
schichten den Zugang zu nachhaltigem Konsum zu er-
möglichen; denn selbstverständlich wissen wir, dass
billig nicht gleich preiswert ist und dass der nachhaltige
Konsum gerade denjenigen entgegenkommt, die mit ih-
rem Einkommen tatsächlich rechnen müssen. Deswegen
kommt es auch hier darauf an, nachhaltigen Konsum für
alle zu ermöglichen. Ein Beispiel für den Bereich Ener-
gieeffizienz – Sie kennen das Beispiel – ist ein Projekt
zum Thema Nachhaltigkeit, bei dem wir mit der Caritas
zusammenarbeiten. Hier geht es darum, höherwertige,
bessere, sparsamere und effizientere Elektrogeräte ein-
zusetzen. Auch dies ist ein Bereich, in dem wir weiter
vorangehen können.
Ja, wir sind noch ziemlich am Anfang, was die Ent-
wicklung anbelangt, und ja, bis jetzt hat es sich noch
nicht durchgesetzt, dass wirklich überall regionale Pro-
dukte zu kaufen sind. Im Übrigen müssen nicht alle re-
gionalen Produkte in Bioläden verkauft werden. Es sind
ja auch nicht alle in der biologischen Landwirtschaft ent-
standen; das ist auch nicht zwingend nötig, wir haben ja
auch sonst anständige landwirtschaftliche Produkte aus
regionaler Produktion. Es ist aber zu beobachten, dass in
immer mehr ganz normalen Supermärkten des Lebens-
mitteleinzelhandels – die Namen will ich jetzt nicht nen-
nen, sie sind uns aber alle bekannt – regionale Produkte
mittlerweile tatsächlich einen besonderen Stellenwert
haben.
Sie werden allerdings zu ganz normalen Preisen verkauft.
Die Preise zum Beispiel für Fleisch, Eier oder was auch
immer – das wissen Sie – sind hier nicht höher.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete PeterMeiwald, Bündnis 90/Die Grünen.Renate Künast
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Frau
Ministerin, für Ihre Ausführungen. Dass wir im Bereich
„nachhaltiger Konsum“ eine Menge zu tun haben, ist
durch die Bertelsmann-Studie vom vergangenen Jahr
deutlich geworden. Egal ob es um Abfall geht, um Le-
bensmittelverschwendung, um Wasser, um Nitrat oder
um viele Dinge mehr: Wir sind in Deutschland noch
lange nicht so weit, wie wir aufgrund unseres Selbstver-
ständnisses als Vorreiter sein wollen.
Es ist aber auch klar: Wir können uns nicht nur auf den
Verbraucher fokussieren. Wir kennen die Studien: 25,
30 oder 35 Prozent der Menschen erklären sich bereit,
ethisch einzukaufen, aber im Laden tun sie es nicht, und
zwar aus verschiedenen Gründen; Frau Bulling-Schröter
hat eben einige Gründe angesprochen. Es gibt aber noch
weitere Gründe. Offensichtlich reichen Information und
Transparenz alleine nicht aus. Ich glaube, wir brauchen
eindeutig noch weitere Erfordernisse im Bereich des
Ordnungsrechts und mehr Klarheit.
Es gibt das Programm für nachhaltigen Konsum und
die SDGs. Wir stehen nun vor der Herausforderung, die
Vorgaben in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie um-
zusetzen. Meine Frage ist: Was kommt am Ende des Ta-
ges an konkreten Maßnahmen heraus, zum Beispiel im
Bereich der Weiterentwicklung des ElektroG, wenn es
darum geht, langlebige Produkte zu fördern und die Ge-
währleistungsfrist entsprechend zu ändern?
Vielen Dank.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege, ich will in diesem Zusammenhang auf
die Ökodesign-Richtlinie hinweisen, die, gerade was Ef-
fizienz anbelangt, uns schon sehr gut vorangebracht hat.
Sie adressiert selbstverständlich die Hersteller. Manch-
mal wird die Ökodesign-Richtlinie hier in Deutschland
belächelt, im Sinne von – das kann man hier und da le-
sen –: Jetzt will Brüssel auch noch festlegen, wie unsere
Haarföhne beschaffen sein sollen. Ja, Brüssel kann fest-
legen, dass die zukünftig zu kaufenden Haarföhne ener-
gieeffizienter sein sollen als die, die es jetzt schon gibt;
man ist jedoch nicht gezwungen, einen neuen zu kaufen.
Aber wenn man sowieso einen neuen kauft, dann sollte
er doch energieeffizienter sein als der alte, den man aus-
rangiert hat. Genau das ist die Richtung, in die wir uns
bewegen.
Wir sollten in der Öffentlichkeit für eine entsprechen-
de Entwicklung werben. Die Unternehmen wissen, dass
die Ökodesign-Richtlinie, die wir auf europäischer Ebe-
ne haben, letztlich dazu führen wird, dass wir in Deutsch-
land mit unseren Technologien und Produkten einen
Wettbewerbsvorteil haben. Es soll bei den Bürgern nicht
der Eindruck entstehen, dass die Vorgaben von Brüssel
einfach aufgepfropft werden.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Dr. Matthias
Miersch, SPD-Fraktion.
Frau Ministerin, vielen Dank für die Initiative. Ich
glaube, sie ist eine Fortsetzung dessen, was Rot-Grün im
Jahre 2000 begonnen hatte, als das Thema „nachhaltige
Entwicklung“ durch die Bildung des Parlamentarischen
Beirates für nachhaltige Entwicklung, durch den Rat für
nachhaltige Entwicklung und durch das Green Cabinet
Einzug gehalten hat.
Wenn ein Programm aufgesetzt wird, dann werden
wahrscheinlich mehrere Gesetze daraus folgen. Ich
halte die frühzeitige Einbeziehung des Parlaments für
essenziell. Daher meine konkrete Frage: Ist heute im
Kabinett auch darüber diskutiert worden, wie man eine
Parlamentsbeteiligung möglichst frühzeitig sicherstellen
kann, bzw. können Sie uns sagen, woran Sie denken?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege, wir haben jetzt nicht unmittelbar gesetz-
geberische Aktivitäten vorgesehen, aber sofern sie aus
diesem Programm erwachsen, werden wir das Parlament
selbstverständlich frühzeitig beteiligen.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Oliver Krischer,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Ministerin, mir geht es bei diesem Programm sowie bei vielen Programmen aus Ihrem Haus. Spontan fälltmir das Ressourceneffizienzprogramm ein. Ich habe IhrNationales Programm für nachhaltigen Konsum geradekurz durchlesen können. Wenn man das liest, denkt man,vieles ist richtig; da würde man gar nicht widersprechen.Die Frage ist nur: Was hat das konkret für Konsequen-zen? Wo findet Politik statt? Das ist die entscheidendeFrage, die in diesem Programm zu 95 Prozent aber nichtbeantwortet wird. Jedenfalls hat man nach dem erstenLesen diesen Eindruck.Ich möchte deshalb eine ganz konkrete Frage stellen,und zwar bezogen auf einen Punkt, an dem Sie schonaktiv geworden sind, den Sie eben selbst angesprochenhaben. Es geht um das Thema Siegelklarheit. Vor übereinem Jahr haben Sie ein entsprechendes Internetportalgeschaffen. Damals wurde, wenn ich richtig informiertbin, angekündigt, dass die Siegel in den Bereichen Texti-lien, Lebensmittel, Holz und Papier sofort erklärt werdensollen. So schwer kann das ja eigentlich nicht sein. Esgibt zwar viele Siegel, aber für Ihre Behörde sollte es ei-gentlich keine große Herausforderung sein, diese Siegelzu erklären. Wenn man heute in dieses Portal schaut –das haben Sie in Ihrem Bericht als eines der Highlightsdargestellt, wenn ich das einmal so interpretieren darf –,sucht man die Erklärung für die Siegel in den BereichenLebensmittel und Holz vergeblich. Wann können wir –bei den wenigen Dingen, die Sie konkret machen – miteiner vollständigen Umsetzung rechnen?
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Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Kollege, eine vollständige Umsetzung wird esniemals geben, weil immer wieder neue Zeichen undStandards auf den Markt kommen.
Ganz ruhig bleiben. Sie haben sowieso schon hem-
mungslos überzogen. – Nächster ist der Kollege Friedrich
Ostendorff von Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Ministerin, das Programm liest sich wie ein
Wünsch-dir-was-Katalog. Gehen wir in die Details: Es
steht nichts Falsches darin.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Das ist doch schon mal was wert, oder?
Ja. – Darin steht, dass wir wiederum neue Foren, neue
Plattformen schaffen. Was ist daran das Neue? Sie be-
klagen seit Jahren, dass neue Beiräte, Foren oder Platt-
formen gegründet werden, daraus aber nichts folgt. Man
hat es nur mal wieder besprochen und an irgendeinen Ar-
beitskreis delegiert. Dieser Ansatz durchzieht auch dieses
Papier. Wo ist denn ein konkreter Ansatzpunkt zu finden?
Bleiben wir bei der Schulernährung, also der Ernäh-
rung der zukünftigen Verbraucherinnen und Verbrau-
cher. Wenn wir die Schulernährung verbessern wollen,
dann brauchen wir konkrete Angebote. Deshalb muss
ich nachfragen: Warum werden die Mittel für die Schul-
vernetzungsstellen, die für die Etablierung der Schulver-
pflegung in den Einrichtungen ganz entscheidend sind,
gekappt?
Im Programm steht geschrieben, dass die Tierwohl-
initiative zu unterstützen ist. Was mache ich damit? Wo
unterstützt das Ministerium die Tierwohlinitiative? Sie
hat diese Aufgabe an die Wirtschaft delegiert, aber da
läuft das beklagenswert schlecht. Die Bundesregierung
müsste doch sagen: Hier muss konkret etwas passieren.
Das muss gestärkt werden. Ich vermisse eine entspre-
chende Initiative. Wo bleibt die Initiative?
Wenn wir regionale Kost etablieren wollen, dann soll-
ten wir auf die Bundeskanzlerin hören, die bekannter-
weise eine hervorragende Kartoffelkennerin ist. Sie hätte
doch einmal zum Stift greifen und ein bisschen hinein-
schreiben können. Damit hätte man dem Minister doch
sicher auf die Sprünge helfen können.
Die Regierung wird gleich auf den kreativen Vor-
schlag antworten.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Wenn Sie damit einverstanden sind, antwortet, weil
das den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Ernährung und Landwirtschaft anbelangt, die Frau Kol-
legin Flachsbarth.
Ich bin damit einverstanden.
D
Herr Kollege Ostendorff, herzlichen Dank für IhreFragen. Gerne trage ich aus dem Ressortbereich desBundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaftetwas bei.Sie wissen, dass sich die Tierwohlinitiative des Bun-desministers „Eine Frage der Haltung“ seit September2014 in vielen konkreten Projekten verifiziert,
dass zum Beispiel der breite Bereich von Modell- undDemonstrationsvorhaben von Netzwerken von Betrie-ben, die sich an solchen Vorhaben beteiligen, unter an-derem zur Vermeidung nichtkurativer Eingriffe, vomBundesministerium mit erheblichen Millionenbeträgenunterstützt wird. Sie wissen, dass wir einen sehr guten,konkreten Austausch haben, dass – ganz konkret – Be-trieb für Betrieb beraten wird, um in diesem Bereichletztendlich eine Umstellung zu ermöglichen.Sie wissen, dass wir auch im Bereich der Prüf- undZulassungsverfahren auf guten, konkreten Wegen sind,um zum Beispiel Tierhaltungssysteme zu standardisierenund letztendlich auch die Tierhaltungsbedingungen zuverbessern. Sie wissen, dass wir im vergangenen Som-mer im Bereich der freiwilligen Vereinbarungen, zumBeispiel mit der Geflügelbranche, wesentliche Schrittenach vorne gemacht haben. So verifiziert und konkreti-siert sich dieses Programm, das wir hier zusammenge-fasst haben, in vielen einzelnen Schritten tatsächlich imDetail.Ihre zweite Nachfrage betraf die Ernährung bzw. dieErnährungsbildung. Die Bundesinitiative Ernährungs-bildung ist eine der großen Prioritäten, die sich Bundes-minister Christian Schmidt auf die Fahne geschriebenhat. Der Minister fordert deshalb einen festen Platz inden Lehrplänen für das Fach Ernährungsbildung. Er istdiesbezüglich in Kontakt mit seinen Kolleginnen undKollegen auf Länderebene. Wir als Bundesministeriumunterstützen Schulen und Kitas mit kostenlosen Bil-dungspaketen, die im Rahmen von „IN FORM“, also
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Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehrBewegung, entwickelt wurden.Darüber hinaus plant das BMEL, eine Studie zumThema „Ernährungsbildung in Kita und Schule“ in Auf-trag zu geben. Ziel ist es, erstmals nach 15 Jahren syste-matisch zu erarbeiten, wie derzeit der Stand des Ernäh-rungswissens bei Kindern in Kita und Schule ist.Außerdem informiert die Kampagne „Macht Dampf!“,warum gutes Essen für Kinder und Jugendliche sowohlzu Hause als auch in Kita und Schule so wichtig ist undwas eine ausgewogene Ernährung ausmacht, und klärtüber die Kriterien des DGE-Qualitätsstandards auf. Auchin diesem Bereich gibt es also eine Vielzahl von Konkre-tisierungen und konkreten Projekten.
Herzlichen Dank. – Jetzt haben wir die Zeit ein biss-
chen überzogen, aber das waren alles wichtige Informa-
tionen.
Nächste Fragestellerin ist Frau Dr. Valerie Wilms,
Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, das
ist ein tolles Papier; das kann ich meinem Kollegen
Friedrich Ostendorff sagen. Es stehen sehr viele interes-
sante Sätze drin, die auch wir durchaus unterschreiben
können. Ich habe mich gefragt, ob es auch konkrete Maß-
nahmen enthält, und habe mir, wie Sie sich sicherlich
denken können, den Teil zur Mobilität angesehen. Dort
las ich etwas über die Vernetzung von Verkehrsinforma-
tionen und Ticketsystemen, welche über innovative digi-
tale Mobilitätsdienste zur Verfügung gestellt werden. Ich
frage mich: Wie wollen Sie das in Gang setzen?
Derzeit haben wir nicht einmal ein vernünftiges Ticke-
tingsystem der verschiedenen ÖPNV- bzw. Verkehrsver-
bünde. Wenn wir in eine andere Stadt kommen, stehen
wir vor den Automaten und wissen nicht, wie wir sie ver-
nünftig bedienen sollen. Wie wollen Sie dieses Thema
angehen? Wollen Sie endlich einmal mit dem Ordnungs-
recht kommen? Wollen Sie dem VDV unter Umständen
mit Geld winken, damit auf diesem Gebiet etwas in die
Wege geleitet wird? Oder wollen Sie gegebenenfalls
auch Zuschüsse sperren? Das wären konkrete Maßnah-
men. Auf diese Frage hätte ich gerne eine Antwort.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin Wilms, Sie haben sehr zutreffend be-
schrieben, dass es in diesem Bereich bisher nicht zufrie-
denstellend läuft und es tatsächlich einer Verbesserung
bedarf, nicht nur im Sinne der Verbraucherinformation,
sondern auch im Hinblick darauf, Verbraucher bzw. Nut-
zer des öffentlichen Personennahverkehrs überhaupt in
die Lage zu versetzen, vernünftige, abgestimmte Ent-
scheidungen zu treffen. Es ist selbstverständlich und
klar, dass wir dazu noch weiter gehende Initiativen wer-
den entwickeln und mit dem Bundesverkehrsminister
und den Ländern, die für die Verkehrsverbünde zustän-
dig sind, auf den Weg bringen müssen. Dabei kann es
notwendig werden, auch finanzielle Anreize ins Auge zu
fassen. Das könnte nach meinem Dafürhalten zum Bei-
spiel über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
durchaus in Angriff genommen werden.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete ChristianKühn, Bündnis 90/Die Grünen.Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Danke, Herr Präsident. – Danke, Frau Ministerin, fürIhren ausführlichen Bericht. Sie haben sich ja für IhreAmtszeit vorgenommen, Umwelt und Bauen miteinanderzu verbinden; das war eines Ihrer großen Versprechen.Gerade bei der Frage des Konsums, wenn es also darumgeht, wie und wo man lebt, in welcher Wohnung bzw.welchem Haus man lebt, kann man Umwelt und Bauenmiteinander verbinden. Nun frage ich Sie: Was tun Siekonkret, damit mehr nachwachsende Rohstoffe und mehrökologische Baustoffe auf deutsche Baustellen und indeutsche Baumärkte kommen? Wie wollen Sie das The-ma „Lebenszyklusbetrachtung von Gebäuden“ stärkenund damit den nachhaltigen Konsum beim Wohnen vo-ranbringen? Denn gerade beim Bauen sind wir nach wievor ziemlich große Ressourcenfresser. Wir können nichtin der Art und Weise, wie wir heute bauen, unsere Zu-kunft bauen.Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Ich stimme Ihnen in der Analyse zu. Wir sind auchals Konsumenten ziemliche Ressourcenfresser; denn dieZahl der Quadratmeter, die wir für uns in Anspruch neh-men, steigt ständig. Das will ich jetzt nicht – damit Sienicht auf den Gedanken kommen – irgendwie per Gesetzbegrenzen. Es ist aber natürlich so, dass heute jeder vonuns deutlich mehr Quadratmeter als zum Beispiel vor50 Jahren zur Verfügung hat. Das ist rechnerisch einfachso. Dabei handelt es sich um einen der größten Konsum-verbräuche, die wir überhaupt – auch unter ökologischenGesichtspunkten – haben. Man muss schließlich auchnoch heizen. Der Flächenverbrauch hat also noch weite-re Folgen bzw. führt zu weiterem Ressourcenverbrauch.Keine Frage, das ist so.Sie wissen, dass unsere Einwirkungsmöglichkeitenauf die Zulassung von Bauprodukten beschränkt sind.Allerdings haben wir – das geschah nicht erst neuer-dings – im Bereich der Bauprodukteforschung einigesauf den Weg gebracht. Wir werden das auch in Zukunftweiter machen. Wie Sie wissen, sind wir gerade dabei,ein eigenes Programm zu erstellen. Das ist ausgeschrie-ben. Es wird zu Beginn des Jahres entschieden werden,wer an diesem Programm teilnehmen kann. Dabei gehtes um kleine Wohnungen, die variabel zu gestalten sind.Dies alles dient dazu, den Bürgerinnen und Bürgern,aber auch den Investoren Anstöße zu geben. Ich will jetztnicht Sie persönlich ansprechen, es scheint mir aber ausden Worten der Kolleginnen und Kollegen von der Grü-Parl. Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth
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nenfraktion durchzuscheinen, dass sie eigentlich ganzviele Regelungen im Sinne von „Das wird verboten, unddas wird erlaubt“ haben wollen.
Nein, das ist mit diesem Programm so nicht vorgesehen.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Sylvia
Kotting-Uhl für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Ministerin, Sie haben gesagt, dass Sie ein Nach-
denken über Lebensstile anregen wollen. Das freut uns
natürlich. Wir tun das schon lange. Aber wir denken nicht
nur darüber nach, wir lassen die Ergebnisse dieses Nach-
denkens dann auch in unsere Politik einfließen.
Ihr Koalitionspartner hat genau gegen die Ergebnisse
solchen Nachdenkens in der Politik im letzten Bundes-
tagswahlkampf eine „ordentliche“ Kampagne unter dem
Stichwort „Veggieday“ gegen uns gefahren. Insofern
freue ich mich jetzt durchaus, dass wir da eventuell Un-
terstützung bekommen. Allerdings geht es mir – so wie
meinen Vorrednerinnen und -rednern auch – so, dass ich
mir unter einem Nationalen Programm ein bisschen mehr
als ein paar konkrete Gesetzesinitiativen irgendwann vor-
stelle. Sie müssen nichts verbieten, sondern können auch
anders arbeiten. Ich nenne in diesem Zusammenhang
konkrete Ziele, Zeitpläne und Haushaltsmittel, die man
einstellen will. Vielleicht aber kommt das alles noch.
Ich will das an einem Satz festmachen, der mir gera-
de im Zusammenhang mit dem, was ich vorher genannt
habe, aufgefallen ist. Im Nationalen Programm für nach-
haltigen Konsum steht auf Seite 32:
Auch die Wahl der Lebensmittel spielt eine große
Rolle. So verursachen pflanzliche Lebensmittel
i. d. R. erheblich weniger Umweltbeeinträchtigun-
gen … als Lebensmittel tierischer Herkunft.
Was gedenkt das Ministerium aus dieser Erkenntnis zu
machen?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, wir gedenken nicht, die Tierzucht in
Deutschland zu verbieten.
Herzlichen Dank. – Nächster Fragesteller ist der Ab-
geordnete Carsten Träger, SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Mi-
nisterin, ich möchte vorwegschicken, dass auch die Koa-
litionsfraktionen Ihr Programm begrüßen. Es ist nicht so,
dass Sie Zuspruch nur von der Opposition bekommen.
In der Öffentlichkeit und auch im Parlamentarischen
Beirat für nachhaltige Entwicklung diskutieren wir oft
über das Thema des nachhaltigen Konsums. Ein Satz
bzw. eine These beschäftigt uns immer wieder: Der Preis
muss auch die Wahrheit sprechen. – Von daher finde ich
den Ansatz des doppelten Preisschildes, den Sie angeris-
sen haben, sehr interessant. Ich bitte Sie, dazu ein paar
Ausführungen zu machen.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Sie können sich sicher vorstellen, Herr Kollege
Träger, dass das durchaus noch ein Bohren harter Bretter
sein wird, weil damit für Verbraucher und Hersteller na-
türlich klar ist, welche Produkte mehr oder weniger nach-
haltig sind. Wenn Sie sich überlegen, wie schwierig es
war, zum Beispiel eine Kennzeichnungsampel durchzu-
setzen – sie wäre eigentlich, bezogen auf einige Lebens-
mittel, ein sehr einfaches Instrument, um festzustellen,
was mehr oder weniger gesundheitsschädlich ist –, dann
werden Sie sich vorstellen können, dass wir noch eine
ganze Zeit brauchen werden, um das doppelte Preisschild
durchzusetzen.
Aber es geht uns in der Tat darum, die Sozial- und
die Umweltauswirkungen eines Produktes deutlicher zu
machen, sodass den Bürgerinnen und Bürgern ermög-
licht wird, auch unter diesem Gesichtspunkt eine Kauf-
entscheidung zu treffen. Dafür ist in der Tat sicherlich die
Unterstützung des ganzen Hauses notwendig.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Renate
Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Danke sehr. – Ich möchte zwei Sätze von Seite 9 Ih-res Berichtes zitieren und dazu jeweils eine Frage stellen.Der erste Satz lautet:Außerdem ist die Stärkung der Berücksichtigungs-fähigkeit von Nachhaltigkeitskriterien durch dieModernisierung des Vergaberechts für die öffentli-che Beschaffung und somit auch für einen nachhal-tigen Konsum von Bedeutung.Jenseits des Satzbaus und der Verstehbarkeit: Wenndas von Bedeutung sein soll, warum haben wir im Ver-gaberecht und heute im Rechtsausschuss, als es um dieVergabeverordnung ging, keinerlei Nachhaltigkeitskrite-rien festgelegt? Ich denke zum Beispiel an die ILO-Kern-arbeitsnormen. Das heißt, bei der öffentlichen Auftrags-vergabe ist Kinderarbeit kein Ausschlusskriterium. Dasverschlägt mir echt die Sprache, insbesondere, weil sichdie alte, traditionsreiche sozialdemokratische Partei mitglobaler Gerechtigkeit beschäftigen wollte.Der zweite Satz auf dieser Seite, den ich zitierenmöchte, lautet: „Den Maßnahmen kommt daher teilweisenur Vorschlagscharakter zu“, und vorher steht dort:Soweit die im Programm aufgeführten Maßnahmennicht bereits laufen oder fortgeführt werden, müssensie zum Teil noch abschließend geklärt werden ...Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Das heißt: Was alt ist, kennen wir schon; was neu ist,muss noch geklärt werden.Können Sie mir sagen, ob es irgendeine feste Maßnah-me gibt – und zwar nicht die Einrichtung eines Debattier-zirkels oder eines Debattierzirkus –, die jetzt tatsächlichzwingend umgesetzt wird?Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Ja, Frau Kollegin. Wir haben heute im Bundeskabinettdazu beschlossen, dass jedenfalls der Bund diese Kriteri-en bei der Vergabe beachten will.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Menz,
Fraktion Die Linke.
Danke schön; ich wollte noch einmal nachfragen. – Ich
weiß, dass die verschiedensten Ressorts das zusammen
erarbeitet haben. Schon in der kurzen Zeit, die ich diesem
Hause angehöre, hat sich mir immer wieder gezeigt, dass
die Ressorts auch dann gegeneinander arbeiten, wenn es
um Nachhaltigkeit geht. Die spannende Frage ist jetzt,
wie wir das in Zukunft verhindern.
Ein neues Beispiel haben wir: Ich höre jetzt ganz ne-
benbei, dass es auch beim Kükenschreddern, das erst
Ende 2017 verboten werden soll, nicht anders ist. Der
eine will es verbieten, der andere nicht, und wir kommen
im Endeffekt zu keiner Einigung. So setzt sich das fort.
Das wirkt sich auch international aus. Ich denke zum
Beispiel an Glyphosat, was auch internationale Auswir-
kungen hat.
Wo kommen wir hier unserer Verantwortung nach,
Nachhaltigkeitsbelangen auch international gerecht zu
werden?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, ich kann verstehen, dass es für Sie, die
Sie seit zwei Jahren Mitglied dieses Hohen Hauses sind,
zunächst überraschend ist, dass es auch innerhalb einer
Bundesregierung durchaus unterschiedliche Interessen-
lagen gibt. Das ist aber so wie in der gesamten Gesell-
schaft, und damit muss man sich auch auf der politischen
Ebene auseinandersetzen.
Ich mag Frau Flachsbarth gern, und trotzdem wird
zwischen unseren Häusern immer mal gestritten, zum
Beispiel, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, über das
Düngegesetz. Das heißt aber auch, dass es vollkommen
normal und korrekt ist, dass man die jeweiligen Interes-
sen, die man zu vertreten hat, eben auch vertritt.
Wir finden dann, wie sich das in der Politik auch ge-
hört, einen anständigen Kompromiss. Das führt dazu,
dass nicht jeder sein Idealbild durchsetzen kann, sondern
im Gegenteil: normalerweise keiner. Das ist aber das Üb-
liche bei einem vernünftigen Kompromiss, und Sie wis-
sen: Wir sollten es nicht „fauler Kompromiss“ nennen.
Der Kompromiss ist das Wesen der Demokratie.
Herzlichen Dank. – Die vereinbarte Redezeit ist jetzt
abgelaufen.
Gibt es zu anderen Themen noch eine Frage aus der
Runde? – Das ist nicht der Fall.
Ich weiß, es gibt noch ein paar Nachfragen aus dem
Kreis derjenigen, die schon gefragt haben. Diese drei an-
gemeldeten Nachfragen lasse ich jetzt noch zu. Ich bit-
te um kurze Fragen und knackige Antworten. Das sind
noch Herr Krischer, Frau Bulling-Schröter und Christian
Kühn.
Herzlichen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Nach-fragen noch zulassen. – Frau Ministerin, eine Bemer-kung kann ich mir nicht verkneifen. Hier haben Kollegenernsthafte Fragen zur Ernährung gestellt, die Ihnen mög-licherweise nicht gefallen. Es ist aber die Aufgabe derOpposition, zu einem Bericht, dessen Beratung Sie sel-ber auf die Tagesordnung gesetzt haben, kritische Nach-fragen zu stellen. Wenn dann ein Satz kommt wie „Wirwollen nicht den Fleischkonsum verbieten“, wonachüberhaupt nicht gefragt worden ist, dann finde ich das einbisschen merkwürdig. Das kenne ich von Ihnen bisherauch nicht. Deshalb finde ich das ein bisschen schade.Ich möchte auch eine konkrete Frage stellen. Jetztkommt etwas Positives, keine Sorge. Zum Thema Ver-schleiß hat das Umweltbundesamt eine, wie ich finde,sehr gute Studie gemacht. In dem Bericht kommt aber dieentscheidende Maßnahme, die das Umweltbundesamtvorschlägt, nämlich dass Hersteller gegenüber den Kon-sumenten Informationspflichten beim Thema Verschleißhaben, sodass sie Produkte überprüfen können, nicht vor.Stattdessen sprechen Sie in dem Bericht von freiwilligenSelbstverpflichtungen, die gerade in dem Bereich nichtunbedingt Erfolge gezeitigt haben. Ist es für Sie vorstell-bar, dass Sie die Vorschläge des Umweltbundesamtesaufgreifen und über die in Ihrem Bericht angekündigtenDinge hinausgehen?Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Kollege Krischer, ich kann Ihr Interesse daransehr gut verstehen. Ich bitte aber um Verständnis dafür,dass wir das in einem europäischen Verbund, in dem wiruns ja befinden, nach meinem Dafürhalten auch unterdem Gesichtspunkt von Wettbewerbsbedingungen nurdann verpflichtend durchsetzen werden können, wennwir das auch auf europäischer Ebene hinbekommen.Die Ökodesign-Richtlinie ist dabei der richtige Weg. Siekönnte aber natürlich einen noch größeren Anwendungs-bereich bekommen, so wie Sie es gerade skizziert haben.Da wäre ich mit Ihnen vollkommen einer Meinung.Renate Künast
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Aber wir können das – unter dem Gesichtspunkt vonWettbewerbsbedingungen – schlecht alleine in der Bun-desrepublik Deutschland verpflichtend machen. Deswe-gen setzen wir in diesem Zusammenhang auf freiwilligeSelbstverpflichtungen, die letztlich, wenn man sie posi-tiv wahrnimmt, ein gutes Verkaufsargument in RichtungKonsumenten darstellen.
Frau Kollegin Bulling-Schröter hat die nächste Nach-
frage.
Danke schön. – Wir haben vorher schon kurz über
Ausschreibungen gesprochen. Jetzt habe ich gehört, Sie
möchten eher auf Bundesebene etwas regeln. Aber ich
denke, dass gerade in Fragen der Nachhaltigkeit Land
und Kommunen ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für
Ausschreibungen sind. Ich möchte ein Beispiel nennen,
das auch in der tollen Sendung quer behandelt wurde; es
bezieht sich auf Bayern. Dort wurde Schulessen ausge-
schrieben. Es ist jetzt zwar ein paar Cent billiger, aber es
kommt von weit her, ist in Alu verpackt und muss aufge-
wärmt werden, weil es eingefroren ist. Das soll angeb-
lich den Ausschreibungskriterien entsprechen, in denen
explizit von Ökologie und Nachhaltigkeit die Rede ist.
Für mich ist das überhaupt nicht nachhaltig.
Denken Sie, dass wir Regelungen finden können, da-
mit so etwas in Zukunft verhindert wird? In dieser Fern-
sehsendung wurde auch angesprochen, dass die Defini-
tion von regionalen Produkten nicht genau ist, sodass
diese Produkte gar nicht aus einer bestimmten Region
kommen, sondern nur dort produziert werden müssen.
Das alles verstehe ich nicht unter Nachhaltigkeit.
Wenn das mit Kostenkriterien wieder ausgehebelt wird,
nützt das beste Papier nichts.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, da haben Sie natürlich recht. Wenn
man bei Ausschreibungen ausschließlich unter Kosten-
gesichtspunkten entscheidet, dann führt das häufig dazu,
dass die Nachhaltigkeit nicht gegeben ist, dass mögli-
cherweise soziale Standards nicht berücksichtigt werden
und vieles andere dabei zu kurz kommt.
Ich kann nur etwas für die Bundesregierung dazu sa-
gen, weil wir uns gerade heute Morgen im Kabinett er-
neut darüber verständigt haben, dass wir unsere Vergaben
danach ausrichten werden. Darauf haben wir uns heute
Morgen eindeutig verpflichtet. Aber selbstverständlich
kann ich das nicht für alle Bundesländer verpflichtend
machen.
Andererseits sollte es eigentlich jedem Verantwort-
lichen klar sein, dass „billig“ nicht gleich „preiswert“
ist. In den Vergaben wird immer nach Preiswürdigkeit
gefragt; das Wort „billig“ kommt nicht vor. Deswegen
ist es in der Tat auch die Aufgabe der politisch Verant-
wortlichen auf der jeweiligen Ebene – das geht bis hin
zu den Kommunen, die insgesamt gesehen große Verga-
ben organisieren –, dies entsprechend umzusetzen. Dazu
braucht man natürlich auch eine politische Verantwor-
tung, um diese Aufgabe wahrzunehmen.
Letzter Fragesteller: Abgeordneter Christian Kühn.Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Danke, Herr Präsident, dass Sie diese letzte Fragenoch zulassen. – Frau Ministerin, bevor ich zu meinerkurzen Frage komme, eine kleine Vorbemerkung: Sie ha-ben gesagt – ich fasse das kurz zusammen –, die Grünenwollten immer Dinge verbieten. Gerade aber im Umwelt-bereich waren Verbote in der Vergangenheit dringendnotwendig. Nehmen Sie als Beispiele FCKW oder ande-re Chemikalien. Ohne entsprechende Verbote und ohneOrdnungsrecht wären wir in der Umweltpolitik nicht soweit gekommen. Deswegen fasse ich das, was Sie ge-sagt haben, als kleine, flapsige Bemerkung auf, aber ichweiß doch, dass auch Sie wahrnehmen, dass Verbote inder Umweltpolitik viel gebracht und unsere Umwelt ge-schützt haben.In meiner Frage geht es aber nicht um das Ordnungs-recht, sondern um Anreize. Durch die KfW werden un-fassbar viele Bauprojekte in Deutschland gefördert, so-wohl im Neubau- als auch im Sanierungsbereich. Ichbekomme von der KfW immer die Antwort: Wir förderntechnologieoffen. – Aber Themen wie graue Energie,ökologische Baustoffe oder nachwachsende Rohstoffewerden dort überhaupt nicht abgebildet. Planen Sie et-was, was dafür sorgt, dass sich die KfW solcher Themenstärker annimmt und entsprechende Förderkriterien inihre Richtlinien einfügt? Damit würden Sie nachhaltigenKonsum im Baubereich wirklich voranbringen.Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Kollege, ja, da haben Sie recht. Das wäre eineder Möglichkeiten, die uns tatsächlich voranbringenkönnten. Ich persönlich würde das gerne so sehen; das istgar keine Frage. Darüber sollten wir uns in der Bundes-regierung noch abstimmen. Ich bin gerne bereit, das ver-stärkt in die Förderkriterien einzubeziehen. Im energeti-schen Bereich findet das bereits vollkommen statt. Dafürgibt es richtig gute Beispiele. Dort kommen wir mit denKfW-Förderprogrammen gut voran. Es spricht in der Tatnichts dagegen, das im Bereich der Ressourcenschonungin vergleichbare Richtung zu lenken.Ich will gerne noch auf Ihre Vorbemerkung eingehen.Ja, selbstverständlich haben wir uns im Umweltrecht aufVerbote und Gebote stützen müssen; das ist keine Frage.Das werden wir auch in Zukunft tun. Aber ich habe dasauf Lebensstile bezogen. Konsumverhalten ist auch Teildes Lebensstils. Da möchte ich nicht gerne mit Gebotenund Verboten arbeiten.
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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(D)
Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/7603
Ich rufe die mündlichen Fragen auf Drucksa-
che 18/7603 in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend. Frage 1 der Abgeordneten Erika Steinbach wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Zur Beantwortung steht bereit der Parlamentarische
Staatssekretär Norbert Barthle.
Ich rufe die Frage 2 der Abgeordneten Dr. Valerie
Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Aus welchen Gründen werden in Deutschland voraussicht-
tical/files/sector-factsheet-transport_en.pdf), und inwieweit
beabsichtigt die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass
es sich bei der Mehrheit der Vorhaben im Verkehrsbereich um
Autobahnprojekte handelt, sich dafür einzusetzen, dass im
Rahmen des EFSI zukünftig mehr in Vorhaben zur Förderung
nachhaltiger Mobilität im Sinne des Weißbuchs Verkehr 2011
investiert wird?
Herr Staatssekretär, bitte.
N
Danke, Herr Präsident. – Frau Kollegin Wilms, die
Einschätzung, dass in Deutschland voraussichtlich kei-
ne Verkehrsprojekte durch den EFSI gefördert werden,
wird vor dem Hintergrund, dass sich auf der aktuellen
EFSI-Projektliste der Europäischen Investitionsbank das
Projekt A 6 Weinsberg–Wiesloch/Rauenberg befindet,
nicht geteilt. Im Rahmen des EFSI förderfähig sind auch
Vorhaben, die die Entwicklung von Verkehrsinfrastruk-
turen und Ausrüstungen sowie von innovativen Techno-
logien für den Verkehr insbesondere durch intelligente
und nachhaltige Lösungen zur städtischen Mobilität
verfolgen und die auf die Verminderung von Treibhaus-
gasemissionen und Reduzierung des Energieverbrauchs
gerichtet sind.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? – Bitte.
Aber gerne, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, mit
Blick auf das A-6-Projekt möchte ich zunächst feststel-
len, dass „zusätzlich“ und „gemeinnützig“ als EFSI-Kri-
terien gelten sollten. Hätte der vorgesehene Betreiber
Ihres ÖPP-Projekts A 6 die entsprechenden Investitionen
nicht auch ohne EFSI-Förderung getätigt, und wird hier
nach Auffassung der Bundesregierung das eigentliche
Ziel des EFSI, zusätzliche Investitionen zu fördern und
nicht bestehende Projekte zu vergolden, nicht konterka-
riert?
N
Frau Kollegin Wilms, beim EFSI handelt es sich um
einen Garantiefonds, der insbesondere privates Kapi-
tal mobilisieren soll. Im Rahmen der EFSI-Kriterien
werden bei jedem einzelnen Projekt die wirtschaftliche
Tragfähigkeit des Vorhabens, die Vereinbarkeit mit der
Unionspolitik insgesamt, die Zusätzlichkeit, die maxi-
male Mobilisierung privaten Kapitals und die technische
Durchführbarkeit geprüft. Das sind die Entscheidungs-
kriterien für die EIB. Insofern ist es für die Durchführ-
barkeit des ÖPP-Projekts A 6 eine unterstützende Hilfe,
wenn ein Teil des Risikos durch die EIB abgebildet wird.
Zusatzfrage?
Gerne, Herr Präsident. – Sie haben eben eines dieser
Kriterien aufgeführt: zusätzlich. Das verstehe ich noch
nicht ganz. Hätte das A-6-Projekt denn nicht stattgefun-
den, wenn es die EFSI-Förderung nicht gegeben hätte,
oder was ist da der Hintergrund? Denn wenn es auch an-
sonsten gebaut worden wäre, hätte normalerweise keine
EFSI-Förderung fließen dürfen, weil es nicht „zusätz-
lich“ ist und damit das Kriterium nicht erfüllt wird. Das
müssten Sie mir noch ein bisschen genauer erklären.
Haben Sie noch weitere Projekte, die, wenn wir diese
Kriterien anwenden, in Deutschland für eine EFSI-För-
derung infrage kommen würden?
N
Zum ersten Teil Ihrer Frage, Frau Kollegin, was die
Zusätzlichkeit anbelangt: Ich habe ausgeführt, dass das
nur eines unter mehreren Kriterien ist, die beurteilt wer-
den.
Zum anderen muss man die Zusätzlichkeit sicherlich
auch auf der Zeitschiene sehen. Wir sind der Auffas-
sung, dass die A 6 innerhalb eines ÖPP-Projektes deut-
lich schneller realisiert werden kann, als wenn man das
Projekt mit konventioneller Finanzierung vorantreiben
würde, wie es übrigens die grün-rot geführte Landesre-
gierung Baden-Württembergs immer gefordert hat. Wir
wollen dieses Projekt schnell realisieren und es deshalb
mit einem ÖPP-Modell unterfüttern.
Zur zweiten Frage. Ich gehe davon aus, dass wie die
A 6 auch weitere ÖPP-Projekte durch EFSI gefördert
werden könnten.
Eine weitere Nachfrage des Abgeordneten Behrens.
Danke, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, ich hatteeben den Begriff des Unterfütterns bei Ihnen gehört. Wiehttp://ec.europa.eu/priorities/sites/beta-political/files/sector-factsheet-transport_en.pdfhttp://ec.europa.eu/priorities/sites/beta-political/files/sector-factsheet-transport_en.pdf
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ist denn die Finanzierung im Groben zusammengesetzt?Sie sprechen davon: Die A 6 soll als ÖPP-Projekt reali-siert werden; es fließen EFSI-Mittel ein, es fließen Bun-desmittel ein. – Wie ist das Ganze konstruiert? KönnenSie dazu etwas sagen?N
Herr Kollege Behrens, EFSI-Mittel sind keine Förder-
mittel, mit denen man einen Investor sozusagen mit Bar-
geld unterstützt, vielmehr funktioniert der EFSI-Fonds
so, dass mit relativ kleinem Kapitaleinsatz ein relativ
großer Hebel erzeugt werden soll.
Insgesamt beträgt das Investitionsvolumen rund 315 Mil-
liarden Euro. Das funktioniert insofern, als der EFSI die
Risikoabdeckung, also Garantien für mögliche Ausfälle,
übernimmt. Das ist ein großer Unterschied.
Deswegen kann ich Ihnen noch nicht sagen, wie inner-
halb des ÖPP-Projektes A 6 die genauen Finanzierungs-
bedingungen aussehen werden. Das muss sich erst noch
herausstellen.
Dann kommen wir jetzt zur Frage 3 der Abgeordneten
Dr. Valerie Wilms:
Wie bewertet die Bundesregierung die Überprüfung
der beabsichtigten Lkw-Mautausweitung ohne Ausschrei-
bung durch die Vergabekammern mit dadurch möglichen
folgenden Gerichtsverfahren in Hinblick auf Verzöge-
rungen bei der Mautausweitung, und inwieweit werden
dadurch neben zukünftigen auch bestehende Mautein-
Herr Staatssekretär.
N
Frau Kollegin Wilms, das Bundesministerium für Ver-
kehr und digitale Infrastruktur hat die Toll Collect GmbH
aufgefordert, ein Angebot für die technische Aufrüstung
des bestehenden Systems einzureichen.
Gegen die gewählte Art des Vergabeverfahrens hat
die Kapsch TrafficCom AG aus Wien einen Antrag auf
ein Nachprüfungsverfahren bei der Vergabekammer
des Bundes gestellt. Die Vergabekammer hat diesen am
18. Februar 2016 zurückgewiesen und die Rechtsauffas-
sung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale
Infrastruktur vollumfänglich bestätigt.
Eine Gefährdung bestehender und zukünftiger Maut-
einnahmen besteht aus Sicht des Bundesministeriums für
Verkehr und digitale Infrastruktur deshalb nicht.
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Gerne, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, Sie ha-
ben eben nonchalant gesagt, finanzielle Risiken bestün-
den nicht.
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, liegt nur die
Entscheidung der Vergabekammer vor. Grundsätzlich be-
steht noch die Möglichkeit des Antragstellers, der Firma
Kapsch, das gerichtlich überprüfen zu lassen. Dann müs-
sen Sie doch im Hintergrund eigentlich eine Abschätzung
haben, was im schlimmsten Fall auf den Bund zukom-
men könnte. Würde das eventuell sogar das gesamte
derzeitige Mautsystem gefährden? Ist ab 2018 damit zu
rechnen, dass wir keine Einnahmen aus der Lkw-Maut
haben? Dazu hätte ich ganz gern eine Risikoabschätzung
von Ihnen gehört.
N
Frau Kollegin Wilms, das BMVI hat verschiede-
ne Szenarien zur Umsetzung der Mauterweiterung im
Jahr 2018 geprüft und auch auf ihre Wirtschaftlichkeit
hin untersucht.
Die rechtliche Zulässigkeit eines Verhandlungsverfah-
rens ohne Teilnahmewettbewerb mit der derzeitigen Be-
treibergesellschaft des bestehenden Lkw-Mautsystems
wurde ergebnisoffen geprüft.
Wir haben uns das vorab durch ein Gutachten einer
unabhängigen Rechtsanwaltskanzlei bestätigen lassen.
Insofern sind wir sicher, rechtssicher zu sein, und sehen
allen weiteren Dingen gelassen entgegen.
Noch eine Zusatzfrage?
Aber gerne, Herr Präsident. – Die Frage zum Risiko
wollen Sie offenbar nicht beantworten. Toll, wenn ich
das so sehe.
N
Ich sehe kein Risiko.
Es ist in Unternehmen aber üblich, dass man so etwasabbildet, aber offenbar beim Bund nicht. Wir können jaeinfach gegebenenfalls die Steuern erhöhen.Meine Zusatzfrage, die ich noch habe, lautet: Soferndie Mautausweitung auf alle Bundesstraßen auch fürFahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht zwi-schen 3,5 Tonnen und 7,5 Tonnen mit einem einheitlichenSystem erfolgen sollte, aus welchen Gründen bevorzugtdie Bundesregierung die Erhebung ausschließlich mitdem bestehenden System Toll Collect?Herbert Behrenshttp://www.handelsblatt.com/my/politik/deutschland/wegen-gerichtsverfahren-bund-droht-milliardenloch-bei-der-lkw-maut/12962100.html?ticket=ST-154940-JFii3h3zzUK4azZDG1y5-ap1http://www.handelsblatt.com/my/politik/deutschland/wegen-gerichtsverfahren-bund-droht-milliardenloch-bei-der-lkw-maut/12962100.html?ticket=ST-154940-JFii3h3zzUK4azZDG1y5-ap1http://www.handelsblatt.com/my/politik/deutschland/wegen-gerichtsverfahren-bund-droht-milliardenloch-bei-der-lkw-maut/12962100.html?ticket=ST-154940-JFii3h3zzUK4azZDG1y5-ap1http://www.handelsblatt.com/my/politik/deutschland/wegen-gerichtsverfahren-bund-droht-milliardenloch-bei-der-lkw-maut/12962100.html?ticket=ST-154940-JFii3h3zzUK4azZDG1y5-ap1
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N
Frau Kollegin, wir haben jetzt die Ausweitung der
Maut auf Lkws mit einem zulässigen Gesamtgewicht
ab 7,5 Tonnen und die Ausweitung auf autobahnähnlich
ausgebaute Bundesstraßen beschlossen. Ab 2018 soll
diese Maut auf alle Bundesstraßen ausgeweitet werden.
Das bereiten wir entsprechend vor, und wir werden die
notwendigen rechtlichen und haushalterischen Maßnah-
men rechtzeitig einleiten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Behrens, Fraktion Die
Linke.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben gerade davon,
dass Sie verschiedene Szenarien geprüft hätten. Welche
außer der freihändigen Vergabe waren das?
N
Herr Kollege Behrens, es handelte sich nicht um eine
freihändige Vergabe, sondern wir haben Toll Collect auf-
gefordert, uns ein Angebot für diese Mauterweiterung im
Jahr 2018 einzureichen, sodass auch künftig mit nur ei-
nem Fahrzeuggerät die Maut entrichtet werden kann. Die
Abgabe eines Angebotes ist etwas anderes als ein Auftrag
und ein Zuschlag. Da besteht ein Unterschied.
Frau Kollegin Leidig, Fraktion Die Linke.
Ich frage nach, weil Ihre Formulierung, Herr Staats-
sekretär, wie ich finde, etwas nebulös war. Es ist doch
richtig, dass Toll Collect diesen Auftrag bekommen hat
und Sie darauf verzichtet haben, andere mögliche Anbie-
ter in einem wettbewerblichen Verfahren einzubeziehen?
N
Frau Kollegin, ich wiederhole: Wir haben Toll Col-
lect aufgefordert, uns ein Angebot für diese vorgesehene
Mauterweiterung abzugeben. Bevor ein Auftrag erteilt
wird, ist selbstverständlich eine europaweite Ausschrei-
bung notwendig.
Die Fragen 4 und 5 des Abgeordneten Oliver Krischer
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 6 des Abgeordneten Herbert
Behrens, Fraktion Die Linke:
Welchen Zeitraum hat die Bundesregierung, vor dem
Hintergrund einer entsprechenden Aussage des Parlamenta-
rischen Staatssekretärs im Bundesministerium für Verkehr
und digitale Infrastruktur, Enak Ferlemann, im Haushalts-
ausschuss des Deutschen Bundestages vom 17. Februar
2016, bezüglich der für das Jahr 2018 geplanten Ausweitung
der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen im internen Zeitplan
für eine mögliche Klage wegen der geplanten Direktverga-
be an Toll Collect GmbH für die technische Vorbereitung
eine Direktvergabe dieser Leistung hat die Bundesregierung
verworfen ?
Herr Staatssekretär.
N
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale In-
frastruktur hat die Toll Collect GmbH aufgefordert, ein
Angebot für die technische Aufrüstung des bestehenden
Systems einzureichen. Gegen die gewählte Art des Ver-
gabeverfahrens hat die Kapsch TrafficCom AG aus Wien
einen Antrag auf Nachprüfungsverfahren bei der Ver-
gabekammer des Bundes gestellt. Die Vergabekammer
hat diesen am 18. Februar 2016 zurückgewiesen und die
Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Verkehr
und digitale Infrastruktur vollumfänglich bestätigt. Die
Verhandlungen mit der Toll Collect GmbH über die tech-
nische Erweiterung des Mautsystems für die Lkw-Maut
auf allen Bundesstraßen im Jahr 2018 werden planmäßig
fortgeführt.
Zusatzfrage: Abgeordneter Behrens.
„Planmäßige Weiterführung der Ausschreibung“ heißt
dann auch, dass Sie, einem von Ihnen gewählten Zeitplan
folgend, die weiteren Schritte unternehmen.
Selbst in dem Fall, dass Kapsch in der Frist, die der Fir-
ma noch zur Verfügung steht, eine Klage vor dem Ober-
landesgericht Düsseldorf einreicht und mit einem Ver-
fahren gerechnet würde, würde dieser Klagezeitraum im
Verfahren schon berücksichtigt sein. Welche Zeitverzüge
kalkulieren Sie denn ein, wenn die Firma Kapsch tatsäch-
lich noch gegen dieses Urteil der Vergabekammer Klage
einreicht?
N
Herr Kollege Behrens, dazu kann ich Ihnen keine Aus-
kunft geben. Wir wissen ja nicht, was die Firma Kapsch
beabsichtigt, ob sie klagt und, wenn ja, ob dann die Klage
erfolgreich ist oder nicht. Das hängt von vielen Dingen
ab. Deshalb kann ich das nicht beurteilen. Wir sind davon
überzeugt, dass wir rechtzeitig in der nächsten Legisla-
turperiode die Ausweitung der Lkw-Maut vornehmen
können.
Noch eine Zusatzfrage? – Bitte.
Eine Zusatzfrage, die auf den daraus folgenden Ge-setzentwurf abzielt. Ich habe Informationen, dass sichhttp://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/lkw-maut-bund-droht-milliardenschwere-verzoegerung-a-1077348.htmlhttp://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/lkw-maut-bund-droht-milliardenschwere-verzoegerung-a-1077348.htmlhttp://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/lkw-maut-bund-droht-milliardenschwere-verzoegerung-a-1077348.html
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der Gesetzentwurf zur Mautausweitung bereits in derBearbeitung befindet. Ich möchte ganz gerne von Ihnenerfahren, wann damit zu rechnen ist, dass dieser Gesetz-entwurf ins Kabinett eingebracht wird.N
Herr Kollege Behrens, es ist richtig: Der Gesetzent-
wurf befindet sich in Erarbeitung, genauer gesagt: in der
Ressortabstimmung. Da diese Ressortabstimmung noch
nicht abgeschlossen ist, kann ich Ihnen auch keinen Ter-
min nennen, wann er ins Kabinett geht. Wir müssen die
Einlassungen der beteiligten Ressorts abwarten.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Valerie Wilms.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
habe ich es jetzt richtig verstanden, dass Sie Toll Col-
lect aufgefordert haben, ein Angebot für die notwendigen
Erweiterungen abzugeben, dass aber nachher noch ein
Ausschreibungsverfahren starten soll, das dann auch eu-
ropaweit umgesetzt wird? Wenn das so sein sollte, dann
frage ich mich, wie Sie das bis Ende 2018 hinbekommen
wollen.
N
Frau Kollegin Wilms, ein europaweites Ausschrei-
bungsverfahren dauert in der Regel sechs Monate. Wir
haben jetzt Februar 2016. Bis 2018 soll dieses Verfahren
gelaufen sein. Ich denke, wir kommen hin.
Wir haben die Erfahrungen bei der Schleuse Bruns-
büttel, nicht wahr?
N
Mit Brunsbüttel haben wir andere Erfahrungen ge-
macht.
Das war eine unzulässige Nachfrage; sie wurde trotz-
dem souverän beantwortet.
Wir kommen jetzt zur Frage 7 des Abgeordneten
Herbert Behrens, Fraktion Die Linke:
Teilt die Bundesregierung die im Abschlussbericht der
Kommission „Bau und Unterhaltung des Verkehrsnetzes“ ge-
troffene Einschätzung, dass für die Gründung der vom Bund
avisierten Infrastrukturgesellschaft „ein Zeitfenster von mehr
als zwei Legislaturperioden ... durchaus realistisch“ sei und
zumindest in dieser Übergangsphase „mit erheblichen Re-
dundanzen und Doppelstrukturen zu rechnen“ sei und es zu
befürchten sei, dass die „Transaktionskosten bei weitem die
Effizienzeinsparungen übersteigen“?
Herr Staatssekretär, zur Beantwortung, bitte.
N
Herr Kollege Behrens, die Antwort der Bundesregie-
rung lautet klar und deutlich: Nein.
Eine klare kurze Antwort. Ich vermute, es gibt den
Wunsch nach einer Nachfrage. Stimmt das? – Ja. Das
war richtig vermutet.
Herr Staatssekretär, halten Sie die Aussage, dass Im-
plementierung und Arbeitsfähigkeit einer Bundesgesell-
schaft erst nach mehreren Jahren erreicht sein können,
für unrealistisch?
N
Herr Kollege Behrens, wir wollen das Reformvorha-
ben bis Ende 2020 abschließen. Wir wollen in der Zwi-
schenzeit die Reform zielorientiert und im Sinne der
Nutzer so wirtschaftlich wie möglich umsetzen. Deshalb
kann man über diese Bedenken der Kommission nur spe-
kulieren.
Noch eine Nachfrage, Abgeordneter Behrens? – Bitte.
Trifft es zu, dass sich ein Gesetzentwurf zur Gründung
einer Bundesfernstraßengesellschaft schon im Prozess
der Erarbeitung befindet?
Herr Staatssekretär.
N
Herr Kollege, ein Gesetzentwurf dazu ist mir nicht be-
kannt. Es gibt ein Papier aus unserem Hause, das auch
dem Ausschuss zugeleitet worden ist. Aber von einem
Gesetzentwurf weiß ich noch nichts.
Dann kommen wir zur Frage 8 der AbgeordnetenSabine Leidig, Fraktion Die Linke – gleiche Thematik –:Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung ausden Ergebnissen der Sonder-Verkehrsministerkonferenz am23. Februar 2016 zum Abschlussbericht der Kommission „Bauund Unterhaltung des Verkehrsnetzes“ vor dem Hintergrundder Pläne der Bundesregierung zur Reform der Auftragsver-waltung mit der beabsichtigten Gründung einer „Infrastruktur-gesellschaft des Bundes mit Fokus auf den Bundesautobah-
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Frau Staatssekretärin, bitte.
Ri
Liebe Frau Kollegin Kotting-Uhl, zu den von Ihnen
explizit genannten Vorhaben kann ich Ihnen Folgendes
sagen:
Ich beginne mit Polen. Im Januar 2014 hat der Minis-
terrat der Republik Polen das nationale Kernenergiepro-
gramm angenommen. Die polnische Espoo-Kontaktstel-
le hat den geplanten Neubau des Kernkraftwerks auf dem
Gebiet der Wojewodschaft Pommern notifiziert. Es wer-
den die Standorte Lubiatowo-Kopalino und Zarnowiec in
Betracht gezogen.
In Großbritannien sieht es wie folgt aus: Im Jahr 2008
hat sich Großbritannien für den Bau neuer Kernkraft-
werke ausgesprochen. Die laufenden gasgekühlten Re-
aktoren sollen sukzessive abgeschaltet werden. Speziell
zum Neubauvorhaben Hinkley Point C, mit dem zwei
European Pressurized Water Reactor geplant sind, läuft
derzeit die Standortanalyse. Die geplanten Baustarts sind
im Jahr 2018 bzw. 2019. Angestrebt wird eine Inbetrieb-
nahme im Jahr 2023 bzw. 2024.
In Frankreich zu Flamanville 3: Aufgrund zahlreicher
Verzögerungen ist die Inbetriebnahme statt ursprünglich
2012 nun für das Jahr 2018 geplant.
Zu Ihrer Frage nach den Langzeitbetriebsplänen für
europäische Atomkraftwerke, insbesondere solche in
Nachbarstaaten Deutschlands, möchte ich folgende Bei-
spiele hervorheben:
Es wird Sie nicht wundern, wenn ich mit der Schweiz
beginne. Abgesehen vom AKW Mühleberg ist das Be-
triebsende der Anlagen bislang unbefristet. In Mühle-
berg hat der Betreiber aufgrund betriebswirtschaftlicher
Überlegungen die Außerbetriebnahme der Anlage für das
Jahr 2019 angekündigt. Von den übrigen Anlagen haben
Beznau 1 47 Jahre und Beznau 2 45 Jahre hinter sich.
Das bis vor kurzem im Schweizer Parlament diskutierte
Langzeitbetriebskonzept wurde nicht verabschiedet.
In Tschechien sieht es folgendermaßen aus: Für das
AKW Dukovany wird eine Laufzeitverlängerung ange-
strebt. Beginnend mit Block 1 könnte eine entsprechende
Genehmigung für zehn Jahre Anfang dieses Jahres erteilt
werden. Für das AKW Temelin wird für beide Blöcke
eine Laufzeit von 60 Jahren angestrebt.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete?
Ja, Herr Präsident. – Vielen Dank, Frau Staatssekretä-
rin Schwarzelühr-Sutter, für diese Antwort. Was mir jetzt
noch etwas fehlt, ist Frankreich. Ich höre, dass auch dort
über eine Laufzeitverlängerung nachgedacht wird. Ich
will aber vorausschicken: Ich halte, ehrlich gesagt, einen
Teil der Neubaupläne, von denen Sie berichtet haben, für
mehr oder weniger obsolet, weil sich über kurz oder lang
herausstellen wird, dass alle diese Pläne ökonomische
Desaster bedeuten. Insofern ist die Frage der Langzeitbe-
triebspläne, also die Frage der Verlängerungen, sehr viel
relevanter, und zwar gerade auch für uns, weil wir das
Land sind, das sich des Risikos auf eine andere Weise
bewusst ist als unsere Nachbarn und deshalb die Atom-
kraftwerke in angemessener Zeit abschaltet.
Jetzt gibt es ja verschiedene Vereinigungen, eine
EU-Ratsarbeitsgruppe, Gruppen der bilateralen Zusam-
menarbeit und die WENRA. Werden denn in all diesen
Vereinigungen die Themen „Laufzeitverlängerung“ und
„Alterung der Atomkraftwerke“ – mit dem Alter erhöht
sich die Störanfälligkeit – angemessen behandelt?
Ri
Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl, ich hatte schon im
Ausschuss gesagt, dass für uns die Themen „Alterung der
Atomkraftwerke“ und „Sicherheit“ sehr wichtig sind und
wir sie deswegen auch auf europäischer Ebene in den
einzelnen Gremien thematisieren, in der deutsch-schwei-
zerischen Kommission und in der deutsch-französischen.
Das wird demnächst, wenn sie installiert sein wird, auch
in der deutsch-belgischen Kommission sicherlich eine
Rolle spielen.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja, danke schön. – Eine kurze Frage noch: Gibt esBündnispartner, die das genauso sehen und die vielleichtauch darauf drängen, dass man die Laufzeiten nicht insUnermessliche steigert?Parl. Staatssekretär Norbert Barthle
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Ri
Sie sehen anhand der Pläne der einzelnen souveränen
Staaten, wie deren Vorstellungen sind. Wir versuchen
aber, die Beziehung zwischen Alterung der Reaktoren
und Sicherheit als Thema auf sachlicher Ebene zu plat-
zieren.
Dann kommen wir zur Frage 12 der Abgeordneten
Sylvia Kotting-Uhl:
Wurden nach Kenntnis der Bundesregierung konkret die
Reaktordruckbehälter der grenznahen französischen Atom-
kraftwerke Cattenom 1 bis 4 und Fessenheim 1 bis 2 hinsicht-
lich der Frage ähnlich gravierender Materialprobleme wie die
Reaktordruckbehälter der Atomkraftwerke Beznau 1, Tihan-
ge 2 oder Doel 3 seit dem Jahr 2012 ausreichend belastbaren
und abdeckenden Ultraschallprüfungen auf dem Stand der
seitens der WENRA-Behörden (WENRA: Western European
Nuclear Regulatorsʼ Association) die Veröffentlichung einer
aktualisierten Übersicht ähnlich dem „Annex: Activities with
regard to WENRA recommendation plant by plant“ des in den
vorgenannten Antworten der Bundesregierung referenzierten
Frau Staatssekretärin, bitte.
Ri
Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl, nach dem Bericht der
WENRA, also der Western European Nuclear Regulators’
Association, vom 17. Dezember 2014 sind die Schmie-
deringe aller Reaktordruckbehälter der französischen
Atomkraftwerke zerstörungsfreien Prüfungen mit Ultra-
schall unterzogen worden; dies schließt demnach auch
die Standorte Fessenheim und Cattenom mit ein. Wie
bereits in den Antworten der Bundesregierung auf die
schriftliche Frage 56 auf Bundestagsdrucksache 18/6603
und die mündliche Frage 37, Plenarprotokoll 18/154, An-
lage 27, erwähnt, geht aus diesem Bericht hervor, dass
sich aus den durchgeführten Prüfungen keine Hinweise
auf entsprechende wasserstoffinduzierte Fehler in den
Reaktordruckbehältern wie in Doel 3 und in Tihange 2
ergeben haben. Darüber hinausgehende Informationen
zu den an den französischen Reaktordruckbehältern un-
ternommenen Ultraschallprüfungen liegen der Bundes-
regierung nicht vor. Die Bundesregierung geht weiter
davon aus, dass bei sicherheitsrelevanten Ultraschall-
anzeigen an den Reaktordruckbehältern die französische
atomrechtliche Aufsichtsbehörde ASN die Mitglieder der
WENRA sowie die Öffentlichkeit informieren wird.
Zu dem, was wir tun: Eine Aktualisierung des Berichts
der WENRA vom 17. Dezember 2014 soll Gegenstand
von Gesprächen in den kommenden Sitzungen ihrer Mit-
glieder werden. Da werden wir uns für eine Aktualisie-
rung dieses Berichtes aktiv einsetzen.
Zusatzfrage?
Ja. Danke schön, Herr Präsident. – Frau Staatssekretä-
rin, dass die ASN der WENRA und auch anderen Gremi-
en mitteilen wird, wenn Ultraschalluntersuchungen ne-
gative Befunde ergeben, erscheint mir logisch. Aber dazu
müssen die Ultraschalluntersuchungen erst einmal ge-
macht werden. Ich habe den WENRA-Bericht von 2014
bisher so verstanden, dass er sich auf die Auswertungen
der Dokumentation stützt und nicht auf Ultraschallunter-
suchungen. Habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass Sie
definitiv sagen können: „Ja, in Cattenom und Fessenheim
wurden diese Ultraschalluntersuchungen gemacht“?
Ri
Wie ich gerade gesagt habe, wurden nach dem Bericht
der WENRA zerstörungsfreie Ultraschalluntersuchungen
bei allen französischen Atomkraftwerken vorgenommen;
dazu gehören auch Fessenheim und Cattenom.
Die Frage 13 des Abgeordneten Dr. André Hahn wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 14 des Kollegen Christian
Kühn auf:
Wie viele Sozialwohnungen wurden nach Kenntnis der
Bundesregierung in den einzelnen Bundesländern in den letz-
ten beiden Jahren, für die die Zahlen vorliegen, fertiggestellt
?
Ri
Herr Kühn, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: DieLänder haben nach eigenen Angaben im Jahr 2013 insge-samt rund 10 000 Mietwohnungen und 4 000 Eigentums-wohnungen bzw. Eigenheime im Rahmen der sozialenWohnraumförderung neu gebaut. Darüber hinaus wurdedie Modernisierung von rund 22 000 Wohnungen geför-dert.Im Jahr 2014 förderten die Länder den Bau von rund12 500 Mietwohnungen und von rund 3 000 Eigentums-wohnungen bzw. Eigenheimen. Der Schwerpunkt verla-gerte sich somit stärker auf den Mietwohnungsbau. DieLänder förderten 2014 zudem die Modernisierung vonrund 30 000 Mietwohnungen.Die Zahlen für 2015 liegen uns noch nicht vor.Um jetzt keine langen Tabellen vorlesen zu müssen,schlage ich vor, Ihnen die Aufschlüsselung der Zahlenauf die einzelnen Bundesländer für die Jahre 2013 und2014 schriftlich zukommen zu lassen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2016 15445
(C)
(D)
Das Angebot nehmen Sie wahrscheinlich an. – Haben
Sie trotzdem noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ja, ich nehme das Angebot gerne an und habe eine
Zusatzfrage. – Wir beide wissen, dass sich in den letz-
ten Jahren viel zu wenige Sozialwohnungen im Neubau
befinden und wir die Rate deutlich steigern müssen. Die
Bundesregierung hat jetzt einen Vorschlag gemacht, wie
eine steuerliche Sonderabschreibung für den Wohnungs-
bau in Deutschland aussehen könnte. Danach soll er aber
nicht unter die Mietpreisbindung fallen. Ich möchte wis-
sen, welche Gründe dafür herangezogen werden, da so
nicht gewährleistet ist, dass die zusätzlichen Wohnungen,
die erheblich mit Steuergeld gefördert werden, im Be-
reich des sozialen Wohnungsbaus entstehen.
Ri
Sehr geehrter Herr Kollege Kühn, ich möchte erst ein-
mal festhalten, dass wir die Förderung für den sozialen
Wohnungsbau ab diesem Jahr immerhin verdoppelt ha-
ben. Wir haben jetzt über die Jahre 2013 und 2014 gere-
det. Die Mittel ab 2016 haben wir verdoppelt. Die Länder
haben sich freiwillig verpflichtet, diese Mittel auch wirk-
lich im sozialen Wohnungsbau zu investieren. Um den
Wohnungsmarkt insgesamt zu entspannen, brauchen wir
auch steuerliche Anreize. Es wäre natürlich wünschens-
wert, eine gewisse Mietpreisbindung zu haben; aber es
muss für den Investor noch interessant sein. Das schließt
jedoch nicht aus, dass man dies im parlamentarischen
Verfahren noch einmal berät.
Noch eine Zusatzfrage?
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ich hoffe, dass die SPD-Fraktion, der Sie ja angehö-
ren, diese Initiative in das Parlament einbringt. Wir Grü-
nen werden das sicher mit unterstützen.
Meine letzte Frage zu diesem Punkt: Sie haben gesagt,
dass die Zahlen für das Jahr 2015 noch nicht vorliegen.
Wann liegen die Zahlen vor? Wann ist mit einer Veröf-
fentlichung der Zahlen aus dem letzten Jahr zu rechnen?
Ri
Nach einem Gespräch zwischen Staatssekretär Adler
und den Ländern wurde uns zugesichert, dass sie bis Mit-
te des Jahres vorliegen sollen.
Die Abgeordnete Haßelmann hat noch eine Zusatzfra-
ge. – Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretä-
rin, Sie haben gerade davon gesprochen, dass die Mittel
verdoppelt worden sind. Vielleicht können Sie noch sa-
gen, wie hoch die Mittel sind und was Sie glauben, wie
viele Wohnungen mit einer Sozialbindung davon gebaut
werden können, wenn die entsprechenden Ergänzungen
der Länder kommen. Wir wissen – hier will ich an mei-
nen Kollegen Christian Kühn anknüpfen –, dass jährlich
60 000 Sozialwohnungen aus der Bindung herausfallen.
Ich habe angesichts der Zahlen für das Jahr 2013, die Sie
genannt haben, nicht den Eindruck, dass wir auch nur an-
satzweise mit den 10 000 Wohnungen dagegen anbauen,
obwohl jeder weiß, dass wir bezahlbaren sozialen Wohn-
raum dringend brauchen.
Ri
Sehr geehrte Frau Kollegin Haßelmann, Sie wissen,
dass wir nach der Föderalismusreform den Ländern die
finanziellen Mittel überweisen. Diese betrugen bisher
jährlich 518 Millionen Euro. Wir werden diese bis 2019
um insgesamt 2 Milliarden Euro verdoppeln. Das ist ein
wichtiger Grundstein. Wir wissen aber auch, dass von
den Ländern nicht alle Mittel in den sozialen Wohnungs-
bau geflossen sind. Die Länder haben sich jetzt freiwil-
lig verpflichtet, die Mittel tatsächlich in den sozialen
Wohnungsbau zu stecken. Manche Länder, zum Beispiel
Baden-Württemberg, legen noch etwas drauf. Sie haben
auch ein eigenes Interesse, dieses Problem zu lösen.
Wie viele Wohnungen kann man davon bauen? Es
gibt das Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen.
Hier gibt es Vorschläge, wie man kostengünstig bauen
kann. Ich glaube, das wäre eine gute Gelegenheit, die-
se entsprechend umzusetzen. Insofern bin ich durchaus
zuversichtlich, dass wir den sozialen Mietwohnungsbau
ausbauen können.
Danke schön. – Wir kommen zum Geschäftsbereichdes Bundesministeriums für Bildung und Forschung. DieFrage 15 der Abgeordneten Erika Steinbach wird schrift-lich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung. Die Fragen 16 und 17 des Abgeordneten UweKekeritz werden schriftlich beantwortet.Wir kommen damit zum Geschäftsbereich der Bun-deskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fra-gen 18 und 19 der Abgeordneten Katrin Kunert sowiedie Fragen 20 und 21 der Abgeordneten Tabea Rößnerwerden ebenfalls schriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums für Wirtschaft und Energie. Die Frage 22 der Ab-
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(C)
(D)
geordneten Bärbel Höhn sowie die Frage 23 des Abge-ordneten Dr. André Hahn werden schriftlich beantwortet.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswär-tigen Amtes. Zur Beantwortung steht StaatsministerinProfessor Dr. Maria Böhmer bereit.Die Frage 24 des Abgeordneten Hans-ChristianStröbele wird schriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 25 der Abgeordneten SevimDağdelen auf:Ist es zutreffend, dass das Zurückweisungsverbot nach Ar-tikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention auch dann greift,wenn die Gefahr besteht, dass der Staat, in den Schutzsuchen-
bzw. in den Verfolgerstaat abschiebt, und inwieweit ist vordiesem Hintergrund die geplante Zurückweisung Schutzsu-chender in die Türkei mit dem Zurückweisungsverbot ver-einbar, da Berichte dazu vorliegen, dass die Türkei syrische
Frau Staatsministerin, bitte.D
Danke, Herr Präsident. – Frau Kollegin Dağdelen,
ich darf Ihnen wie folgt antworten: Soweit Non-Refou-
lement-Prinzipien anwendbar sind, erfassen diese auch
die Gefahr von Kettenabschiebungen. Die Türkei ist
aufgrund völkerrechtlicher und nationalrechtlicher Vor-
gaben an Non-Refoulement-Prinzipien gebunden. Die
Bundesregierung geht davon aus, dass die Türkei das
geltende Völkerrecht und türkisches Recht beachtet.
Ich vermute, Sie haben eine Zusatzfrage, Frau
Dağdelen.
Ja. – Ganz herzlichen Dank. Man ist schon fast ge-
willt, zu sagen: Ihr Wort in Gottes Ohr; denn man kann
doch sehen, dass die Türkei völkerrechtswidrig Luftan-
griffe im Irak und in Syrien fliegt. So viel zur Einhaltung
des Völkerrechts durch die Türkei.
Zurück zum Thema. In den Medien heißt es, der deut-
sche und der französische Innenminister hätten am 5. Fe-
bruar in Athen erreicht, dass Griechenland die Türkei
als sicheren Herkunftsstaat bzw. Drittstaat einstufe. Es
gibt aber unterschiedliche Informationen dazu, ob diese
Regelung bereits in Kraft ist. Deshalb würde ich gerne
wissen: Was genau war die Rolle des deutschen Innenmi-
nisters im Zusammenhang mit der Einstufung der Türkei
durch Griechenland als sicheren Drittstaat? Ist die Rege-
lung in Kraft, oder wann soll sie in Kraft treten? Wie ist
sie im Detail ausgestaltet? Ist zum Beispiel eine Prüfung
im Einzelfall vorgesehen, falls die Türkei zu einem si-
cheren Drittstaat erklärt werden sollte?
D
Frau Kollegin Dağdelen, Sie haben zum Glück noch
zwischen sicherem Herkunftsstaat und sicherem Dritt-
staat differenziert.
Es geht hier um die Frage eines sicheren Drittstaats.
Eine Kollegin aus Ihrer Fraktion hat eine entsprechen-
de Frage an den Kollegen aus dem Bundesinnenminis-
terium gerichtet. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich darf Ihnen dazu vielleicht die Antwort mitteilen:
Der Bundesregierung ist bekannt, dass die griechi-
sche Regierung derzeit die Einstufung der Türkei
als sicheren Drittstaat prüft. Die Anwendung des
Konzepts des sicheren Drittstaats im Einklang mit
der Richtlinie 2013/32/EU erfolgt in eigener Zu-
ständigkeit und Verantwortung der Mitgliedstaaten
der Europäischen Union.
Noch eine Zusatzfrage? – Bitte schön.
Vielen Dank. – Ich würde gerne wissen, Frau Staats-
ministerin, wie die Zurückweisung der Schutzsuchenden
auf den NATO-Schiffen in die Türkei konkret aussehen
soll. Gesetzt den Fall, Flüchtlinge werden aufgegrif-
fen und kommen auf eines dieser Schiffe und einer der
Schutzsuchenden sagt: „Ich möchte gerne einen Antrag
auf Asyl stellen.“ Wie wird dann mit diesem Schutzsu-
chenden umgegangen? Welche Einsatzregeln sind für
einen solchen Fall vorgesehen? Wie lautet die Regelung
im internationalen Seerecht für den Fall, dass Flüchtlinge
auf diesen Kriegsschiffen sagen, dass sie nicht zurück-
gewiesen werden wollen, sondern einen Antrag stellen
möchten, der geprüft werden soll?
D
Frau Kollegin Dağdelen, Sie hatten schon in der letz-ten Fragestunde eine Frage mit vergleichbarer Zielrich-tung an den Kollegen Roth gestellt.
Sie erinnern sich vielleicht noch an die Antwort.Es sind NATO-Schiffe. Diese NATO-Schiffe habennicht exekutiven Charakter, sondern dienen der Auf-klärung und der Verschaffung eines Lagebildes. Wennes dann aus irgendwelchen Gründen eine Situationgibt, in der es darum geht, Menschen aus Seenot zuretten, dann gibt es dafür ganz klare völkerrechtlicheHandhabungen. Es ist selbstverständlich, dass man ei-nen solchen Menschen aus Seenot rettet. Ich kann mirauch nicht vorstellen, dass dann jemand nicht gerettetwerden will.Wir haben Ihnen auch gesagt, dass die Vereinbarungzwischen den drei Verteidigungsministern von Grie-Vizepräsident Peter Hintzehttp://www.amnesty.de/presse/2015/12/16/tuerkei-nimmt-hunderte-fluechtlinge-fest-und-schickt-sie-zurueck-nach-syrien-und-dhttp://www.amnesty.de/presse/2015/12/16/tuerkei-nimmt-hunderte-fluechtlinge-fest-und-schickt-sie-zurueck-nach-syrien-und-dhttp://www.amnesty.de/presse/2015/12/16/tuerkei-nimmt-hunderte-fluechtlinge-fest-und-schickt-sie-zurueck-nach-syrien-und-d
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chenland, der Türkei und von Deutschland, die auch inder NATO verankert werden könnte, vorsieht, dass eineRückführung in die Türkei erfolgt. Die entsprechendenVerhandlungen werden derzeit im NATO-Rat geführt,und ich denke, wir sollten abwarten, wie diese Verein-barung konkretisiert wird. Das heißt, eine Einsatzrege-lung, wie Sie sie angesprochen haben, liegt bisher nichtvor.
Herr Kollege Hunko hat dazu eine Nachfrage.
Vielen Dank. – Frau Staatsministerin, habe ich Sie
jetzt richtig verstanden, dass es noch kein entsprechendes
Abkommen mit der Türkei gibt? Dementsprechend hat
sich auch die türkische Seite geäußert. Der stellvertreten-
de Ministerpräsident Kurtulmus sagte am Dienstag, dass
es ein Abkommen, das vorsieht, die Geretteten in die
Türkei zurückzubringen, nicht gibt. Das ist im Augen-
blick also noch völlig offen. Wie ist Ihre Einschätzung
bezüglich der Frage, ob die Türkei die Genfer Flücht-
lingskonvention beachtet?
D
Sie haben jetzt zwei Punkte angesprochen. Auch ich
kenne die Äußerungen des stellvertretenden türkischen
Ministerpräsidenten, die in der Presse weitergetragen
worden sind. Aber uns ist nicht bekannt, dass die Ver-
einbarung der drei Verteidigungsminister und das, was
von den NATO-Verteidigungsministern am 11. Februar
in Auftrag gegeben worden ist, nicht mehr gilt. Insofern
gehe ich weiter von der Vereinbarung aus. Die Planungs-
arbeiten sind in vollem Gange. Gerade in dem Moment,
in dem wir miteinander reden, werden die entsprechen-
den NATO-Gremien darüber verhandeln. Ich bin sicher,
dass dies der Umsetzung der Vereinbarung vom 11. Fe-
bruar dient.
Den zweiten Teil Ihrer Frage habe ich bereits beant-
wortet. Die Türkei ist durch entsprechende Vereinbarun-
gen internationaler Art, durch die EU-Menschenrechts-
konvention wie auch durch die nationale Gesetzgebung
gebunden.
Wir kommen zur Frage 26 der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Fraktion Die Linke:
Inwieweit teilt die Bundesregierung meine Auffassung,
dass die Provinzen Idlib, Aleppo, Hama , Daraa (Sü-
den) auch und besonders von den islamistischen Terrororga-
nisationen des syrischen al-Qaida-Ablegers Al-Nusra-Front,
Islamische Front und Ahrar al-Scham gehalten werden, und
welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Zusam-
menarbeit des von ihr mitfinanzierten Syria Recovery Trust
Fund in den genannten Provinzen mit Strukturen dieser isla-
mistischen Terrororganisationen?
Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort zur Beant-
wortung.
D
Ich darf wie folgt antworten, Frau Kollegin Dağdelen:
Von den in der Frage genannten Gruppen ist lediglich
die Al-Nusra-Front als Terrororganisation durch die VN
gelistet. Der Syria Recovery Trust Fund arbeitet nach
Kenntnis der Bundesregierung mit keiner der genannten
Gruppen zusammen.
Die weitere Beantwortung der Frage ist gemäß der
Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministe-
riums des Innern zum materiellen und organisatorischen
Schutz von Verschlusssachen als „VS – Nur für den
Dienstgebrauch“ eingestuft und geht der Fragestellerin
gesondert zu.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete?
Ja. – Vielen herzlichen Dank. Ich würde gerne wissen,
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zurzeit findet ja eine gemeinsame
Offensive vom sogenannten „Islamischen Staat“ und von
Teilen der bewaffneten Opposition in Syrien statt, um die
von Regierungstruppen kontrollierten Teile von Aleppo
einzukesseln. Zählen für die Bundesregierung bewaffne-
te Einheiten in Syrien, die mit dem „Islamischen Staat“
kooperieren, zur sogenannten moderaten Opposition, die
dann Teil der Waffenstillstandsvereinbarung sind, die am
Samstag in Kraft treten soll bzw. tritt?
D
Sie wissen ganz genau, wie der IS einzustufen ist. Ich
kann das jetzt nicht spezifizieren, was die entsprechen-
den Gruppen angeht, die Sie angesprochen haben.
– Also, der IS ist eindeutig als Terrorgruppe eingestuft.
– Nein, mit Sicherheit nicht.
Noch eine Zusatzfrage?
Weil Sie nicht geantwortet haben, frage ich noch ein-mal, ob diejenigen Teile der bewaffneten Oppositionin Syrien, die mit dem „Islamischen Staat“ zusammenkämpfen, seitens der Bundesregierung als moderat ein-zustufen sind. Diese Frage richte ich vor dem Hinter-grund der heutigen Bundespressekonferenz an Sie, weildort gesagt wurde, man wisse das bei der Al-Nusra-Frontnicht, also dem syrischen Ableger der TerrororganisationStaatsministerin Dr. Maria Böhmer
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al-Qaida, gegen die wir ja an der Seite der USA seit überzehn Jahren unter anderem in Afghanistan kämpfen. Ichmöchte also wissen, ob die Al-Nusra-Front für die Bun-desregierung eine Terrororganisation ist, die es in Syrienzu bekämpfen gilt.D
Also, Frau Kollegin, das habe ich Ihnen doch gerade
mit meinem ersten Satz gesagt. Ich lese es Ihnen gerne
noch einmal vor – doppelt genäht hält besser –:
Von den in der Frage genannten Gruppen ist ledig-
lich die Al-Nusra-Front als Terrororganisation durch
die VN gelistet.
Ich kann es auch einfacher machen: Die Al-Nusra-
Front ist eine Terrororganisation, die durch die VN ge-
listet ist.
Damit sind diese Fragen beantwortet.
Wir kommen zur Frage 27 des Abgeordneten Andrej
Hunko, Fraktion Die Linke:
Welche Finanzhilfen in Form von Budgetunterstützung
und Krediten für die Ukraine sind für das Jahr 2016 durch die
Europäische Kommission, den IWF und andere internationale
Akteure mit deutscher finanzieller Beteiligung geplant, und
wovon wird die Bundesregierung eine weitere Fortsetzung
ihrer Unterstützung von Zahlungen in Milliardenhöhe ange-
Misstrauensantrag und dem Verlust der Parlamentsmehrheit
barungen durch Kiews Parlament und Regierung abhängig
Frau Staatsministerin, bitte.
D
Gerne. – Herr Kollege, die multilaterale Unterstützung
für die Ukraine mit deutscher Beteiligung erfolgt insbe-
sondere durch den Internationalen Währungsfonds, IWF,
die Europäische Union, die Europäische Bank für Wie-
deraufbau und Entwicklung und die Weltbank. Die Ge-
samthöhe der Mittelauszahlung für 2016 hängt dabei von
der Erfüllung von Auflagen durch die Ukraine ab. Die
meisten Programme laufen überjährig, in anderen Fällen
sind die Planungen für 2016 noch nicht abgeschlossen.
Die multilateralen Finanzhilfen werden im Rahmen
klarer Konditionalitäten ausgezahlt. So konditioniert der
IWF sein Programm an makroökonomischer Stabilität,
an der Beseitigung struktureller Wachstumshindernis-
se, an Transparenz und an Korruptionsbekämpfung und
macht Fortschritte in diesen Bereichen zur Bedingung für
die Fortführung des Programms.
Die Weiterführung des laufenden IWF-Programms
ist gleichzeitig Bedingung etwa für die Auszahlung der
EU-Makrofinanzhilfen, in deren Rahmen im Jahr 2016
voraussichtlich circa 1,2 Milliarden Euro als mittelfristi-
ge Darlehen an die Ukraine fließen werden.
Die EU setzt ihre eigenen klaren Programmvorgaben,
etwa zur Korruptionsbekämpfung, zur Privatisierung
staatlicher Unternehmen und zur Reform des Energie-
sektors.
Auch die Bundesregierung knüpft ihre finanzielle Un-
terstützung an die nachhaltige Bereitschaft und den politi-
schen Willen der ukrainischen Führung, die notwendigen
Reformen entschlossen weiter umzusetzen. Bundesau-
ßenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier forderte zuletzt
bei seinem Besuch in der Ukraine am 23. Februar unter
anderem ein entschiedenes Vorgehen gegen Korruption,
bei dem der Grundsatz „Null Toleranz für Korruption“
gelten müsse.
Die Erfüllung der Minsker Vereinbarungen, zu der alle
Beteiligten verpflichtet sind, ist nicht verknüpft mit der
Gewährung von finanziellen Hilfen an die Ukraine.
Danke schön. – Herr Kollege Hunko, Sie haben sicher
eine Nachfrage. Bitte schön.
Vielen Dank für die doch sehr aufschlussreiche
Antwort. Wenn ich das richtig verstanden habe: IWF,
EU-Kommission, Bundesregierung, alle fordern die Be-
kämpfung der Korruption als zentralen Punkt für die wei-
tere Mittelvergabe. Nun pfeifen es die Spatzen von den
Dächern, dass die Korruption in der Ukraine auf schon
sehr hohem Niveau weiter zunimmt. Die Umstände der
Nichtabwahl des Ministerpräsidenten haben wahrschein-
lich sehr stark damit zu tun. Deswegen ist meine Frage:
Wann ist der Punkt erreicht, an dem Sie sagen: „Jetzt
können keine Mittel mehr gegeben werden“? Welche
konkreten Kriterien legen Sie an? Oder gibt es einen sol-
chen Punkt nicht?
D
Der Bundesaußenminister hat gestern bei seinem Be-
such sehr deutlich gemacht – ich wiederhole die sehr kla-
re Aussage; sie ist an Deutlichkeit, glaube ich, nicht zu
übertreffen –: „Null Toleranz für Korruption“.
Herr Kollege Hunko.
Gut, das ist eine Grundäußerung des Außenministers,
die ich auch teile.
D
Das freut mich.Sevim Dağdelenhttp://www.faz.net/agenturmeldungen/adhoc/iwf-fordert-von-ukraeine-massenahmen-zur-korruptionsbekaempfung-14063917.htmlhttp://www.faz.net/agenturmeldungen/adhoc/iwf-fordert-von-ukraeine-massenahmen-zur-korruptionsbekaempfung-14063917.htmlhttp://www.faz.net/agenturmeldungen/adhoc/iwf-fordert-von-ukraeine-massenahmen-zur-korruptionsbekaempfung-14063917.htmlhttp://www.faz.net/agenturmeldungen/adhoc/iwf-fordert-von-ukraeine-massenahmen-zur-korruptionsbekaempfung-14063917.htmlhttp://www.tagesschau.de/ausland/ukraine-regierungskrise-101.htmlhttp://www.tagesschau.de/ausland/ukraine-regierungskrise-101.htmlhttp://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/ukraine-konflikt-zwischen-den-fronten-14065370.htmlhttp://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/ukraine-konflikt-zwischen-den-fronten-14065370.html
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(D)
Aber ich entnehme Ihrer Antwort, dass es für Sie dort
keine konkreten Kriterien gibt.
Ich habe eine zweite Frage zur Unterstützung der
Ostukraine. Es gab verschiedene Aussagen der Bundes-
regierung: zum einen, dass man humanitäre Missionen
plant, sowohl in die Gebiete, die von den Separatisten
kontrolliert werden, als auch in die Gebiete in der Ost-
ukraine, die von Kiew kontrolliert werden, und zum an-
deren, dass es Pläne für Aufbauhilfe für die Ostukraine
gibt, weil das natürlich die Region ist, die gegenwärtig
am meisten leidet. Daher meine Frage: Was ist davon bis-
lang realisiert, und was ist in Planung?
D
Ich will noch etwas zu der Frage der Korruptionsbe-
kämpfung sagen, um Sie nicht mit nur einem sehr kla-
ren Satz hier stehen zu lassen. Ich möchte Ihnen sagen,
dass wir sehr darauf gedrungen haben, dass sich in der
Ukraine auch in Sachen Korruptionsbekämpfung etwas
tut. Sie wissen – das ist Ihnen nicht fremd –, dass im Ge-
setzgebungsbereich Reformen angestoßen worden sind,
dass eine Antikorruptionsbehörde sowie eine Korrupti-
onspräventionsagentur gegründet worden sind und dass
mit diesen Reformen auch die Bildung einer gesonderten
Antikorruptionsgeneralstaatsanwaltschaft verbunden ist.
Wir sehen aber, dass diese Maßnahmen nicht voll um-
gesetzt worden sind, dass die Behörden noch nicht voll
arbeitsfähig sind und sichtbare Ergebnisse der Korrupti-
onsbekämpfung noch fehlen. Das heißt, wir können an
sehr konkreten Punkten ansetzen, sodass sich die For-
derung des Bundesaußenministers – „Null Toleranz bei
Korruption“ – auf sehr konkrete Punkte bezieht. Ich hal-
te es für wichtig, dass wir diese Forderung nicht nur in
einem Satz formulieren, sondern auch konkrete Ansatz-
punkte haben.
Zu der anderen Frage schlage ich vor, dass ich sie Ih-
nen schriftlich beantworte.
Eben. Die Zeit für die Beantwortung der Frage ist
auch abgelaufen.
Die Kollegin Dağdelen hat eine Nachfrage. – Bitte
schön, Frau Kollegin.
Vielen herzlichen Dank. – Ich würde gerne noch ein-
mal nachhaken. Sie haben hier gesagt, dass Sie zum The-
ma Korruption klare Sätze formuliert haben. Mich würde
interessieren: Wo sind denn die klaren Taten der Bundes-
regierung? Da in der Ukraine Minister zurücktreten, weil
sie vom Präsidenten bzw. vom Ministerpräsidenten an
der Bekämpfung der Korruption gehindert werden, Sie
aber weiterhin darauf bestehen, Milliarden von Steuer-
geldern in dieses korrupte Regime zu investieren, würde
ich gerne wissen: Wann gibt es nicht nur klare Sätze, son-
dern auch klare Taten, und woran messen Sie den Erfolg?
Es muss doch eine Messlatte für den Umgang mit deut-
schen Steuergeldern geben. Es muss doch klar sein, ab
welchem Punkt die deutsche Bundesregierung kein Steu-
ergeld mehr an das korrupte Regime in Kiew schickt.
D
Frau Kollegin Dağdelen, ich habe in meiner Antwort
auf die Frage des Kollegen Hunko drei sehr konkrete
Punkte genannt. Es geht um Entwicklungen in der Uk-
raine, an denen man erkennen kann – da kann man auch
konkret nachhaken –, welche Fortschritte bei der Kor-
ruptionsbekämpfung gemacht werden. Wir wissen alle
gemeinsam, dass die Frage der Korruption in der Ukraine
eine ganz entscheidende ist. Deshalb halte ich es für klug,
dass wir seitens der Bundesregierung unsere finanziellen
Hilfen auf bilateraler Ebene an konkrete Projekte knüp-
fen. Das gilt für die Mittel, die wir 2015 gegeben haben,
und auch für die Mittel, die wir 2016 geben. Mit den kon-
kreten Projekten ist eine Mittelbindung verbunden. Ich
glaube, das ist ein Schutz vor Korruptionsanfälligkeit.
Vielen Dank. – Ich sehe zu dieser Frage keine weite-
ren Nachfragen.
Wir kommen zur Frage 28 des Abgeordneten Andrej
Hunko:
gierung dazu, in welchem Umfang in Libyen operierende, pro-
fitorientierte Fluchthelfer aus Angehörigen libyscher Behör-
den bestehen , und welche
Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung hinsichtlich der
von ihr geplanten bzw. unterstützten Ausbildungsmissionen
die Führungsriege des libyschen „Netzwerks von Schmugg-
lern“ ausschließlich aus aktiven oder ehemaligen Angehörigen
Frau Staatsministerin.
D
Herr Kollege Hunko, der Bundesregierung ist bekannt,dass in den Menschenschmuggel kriminelle, bewaffneteGruppen und teilweise auch örtliche Behörden verwi-ckelt sind. Es gibt kein einheitliches libysches Netzwerkvon Schmugglern, sondern die Gegebenheiten sind vonOrt zu Ort verschieden. Diese besondere Herausforde-rung unterstreicht auch der zitierte Bericht. Falls es – ichbetone: falls – zu einem Ausbildungsprojekt für liby-sche Streitkräfte kommen sollte, wird der Auswahl derlibyschen Teilnehmer sowie ihrer Verwendung nach Ab-schluss der Ausbildung größtmögliche Aufmerksamkeitgewidmet werden. Die VN-Mission für Libyen – UnitedNations Support Mission in Libya – hat signalisiert, dasssie bereit und in der Lage wäre, die libysche Regierungim Überprüfungsprozess der Teilnehmer, dem sogenann-ten Vetting, zu beraten.
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Kollege Hunko.
Vielen Dank. – Um das zu erläutern, beziehe ich mich
noch einmal auf einen Bericht von Frontex, nach dem die
Führungsriege der, wie Sie gesagt haben, Schmuggler,
also der profitorientierten Fluchthelfer, ausschließlich
aus ehemaligen Polizei- und Militärangehörigen besteht.
Das ist natürlich ein wichtiger Punkt, wenn man solche
Kooperationen anstrebt. Mich würde interessieren: Wel-
che konkreten Gespräche haben denn mit der libyschen
Seite stattgefunden, um dieses Problem anzugehen?
D
Zunächst, Herr Kollege Hunko, möchte ich deutlich
machen, dass der Begriff „Fluchthelfer“ – er ist auch in
früheren Fragestunden schon verwendet worden – hier
wirklich fehl am Platz ist. Wir haben es mit kriminellen
Machenschaften zu tun; das sagen Sie ja selbst. Das sind
kriminelle Menschen, die das Leben anderer riskieren
und dafür auch noch hohe Geldsummen einfordern. Das
ist zu einem kriminellen Geschäft geworden. Wir igno-
rieren überhaupt nicht, sondern sehen es mit offenen Au-
gen und großer Sorge, dass neben kriminellen bewaffne-
ten Gruppen zum Teil auch örtliche Behörden und andere
involviert sind. Deshalb kommt dem Ausbildungspro-
jekt, der Auswahl und der Überprüfung der Teilnehmer
sowie der Frage: „Wer kommt dafür infrage?“, so große
Bedeutung zu.
Ich teile Ihre Sorge – denn sie ist sehr berechtigt –,
wenn es darum geht: Wer wird zukünftig für die Sicher-
heit in diesem Land sorgen können? Werden es Men-
schen sein, die in solche Machenschaften involviert sind,
oder kann man, soweit es möglich ist – Sie merken, wie
vorsichtig ich an dieser Stelle bin –, sicherstellen, dass
man eine Auswahl nach Verlässlichkeit trifft? Deshalb
finde ich es sehr wichtig, dass die VN-Mission für Li-
byen ihre Bereitschaft signalisiert hat, zu beraten – nicht
auszuwählen, sondern zu beraten.
Danke schön. – Es gibt noch eine Frage des Kollegen
Hunko.
Vielen Dank. – Den kriminellen Charakter mancher
Gruppen will ich gar nicht bestreiten. Das Problem
ist – das gab es auch in anderen Situationen; ich den-
ke zum Beispiel an Drogenkartelle in Mexiko oder auch
an die Zeiten der Prohibition mit ihren aus der Illegali-
tät kommenden Strukturen –: Solange es eine Illegalität
der Flucht gibt, so lange wird es auch solche Strukturen
geben. Das Problem ist, dass wir keine legale Einreise-
möglichkeit haben, und aus dieser Situation heraus er-
wachsen diese Strukturen. Meine konkrete Frage: Wenn
es diese Beratungsgespräche gibt, wird dann auch über
Seenotrettung diskutiert und eine Ausbildung im Bereich
der Seenotrettung angeboten, oder spielt das dann keine
Rolle?
D
Ich bin jetzt ein bisschen überrascht, welche Dinge Sie
hier miteinander vermischen. Ich war auch vorhin über-
rascht, dass Sie Fluchtbewegungen als Ursache solcher
kriminellen Verbindungen ansehen. Wir haben es in Li-
byen mit einem Failed State zu tun. Alle Kräfte werden
derzeit angestrengt, um diese Situation zu überwinden.
Es geht um ein Land, das Sicherheitsstrukturen braucht;
das ist die Notwendigkeit, die sich in Syrien zeigt. Inso-
fern finde ich die Assoziierung, die Sie vornehmen, etwas
befremdlich.
Wir haben zu diesem Themenbereich keine weiteren
Nachfragen. – Danke schön.
Dann kommen wir zur Frage 29 des Abgeordneten
Beck:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Entfüh-
rungen und Anschläge und sonstige schwerwiegende Men-
schenrechtsverletzungen durch die terroristischen Gruppierun-
gen al-Qaida im islamischen Maghreb , Mouvement
pour l’Unicité et le Jihad en Afrique de l’Ouest ,
al-Murabitun und Dschund al-Chilafa in Algerien seit dem
Jahr 2015, und inwiefern ist die algerische Regierung nach
Kenntnis der Bundesregierung in der Lage, die Bevölkerung
vor diesen Gruppierungen zu schützen?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
D
Ja, gerne. – Herr Kollege Beck, ich darf Ihnen dieAntwort geben: Die Gruppierung al-Murabitun war nachErkenntnissen der Bundesregierung seit dem Jahr 2015nicht mit Entführungen, Anschlägen oder Menschen-rechtsverletzungen gegen die Bevölkerung in Algerienaktiv. Bei dem schwerwiegendsten Terroranschlag seitBeginn des Jahres 2015 kamen am 18. Juli 2015 in AinDefla, 150 Kilometer von Algier, elf algerische Soldatenums Leben. Der Anschlag wurde von al-Qaida im islami-schen Maghreb verübt.Im Übrigen haben al-Qaida im islamischen Maghrebund Dschund al-Chilafa seit dem Jahr 2015 folgende An-schläge in Algerien verübt:Al-Qaida im islamischen Maghreb: 21. Mai 2015,Hinterhalt auf eine Militäreinheit; 4. Juni 2015, Hinter-halt auf eine Militäreinheit; 7. Juli 2015, Tötung vonzwei Polizisten.Dschund al-Chilafa: 3. Februar 2015, Tötung von zweiPolizisten in einem Café; 5. März 2015, Hinterhalt gegeneine Militäreinheit; 6. März 2015, Hinterhalt gegen einePolizeieinheit; 1. Dezember 2015, Hinterhalt gegen eineMilitäreinheit; 18. Dezember 2015, Hinterhalt gegeneine Militäreinheit.Al-Qaida im islamischen Maghreb entführte in denletzten Jahren Privatpersonen, um von deren Angehöri-gen Lösegelder zu fordern. Diese Einnahmequelle war
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2016 15451
(C)
(D)
aber nach zunehmenden Protesten der betroffenen Bevöl-kerung stark rückläufig.Die algerischen Sicherheitskräfte halten den Verfol-gungsdruck auf im Land operierende Terrorgruppenungebrochen aufrecht. Die Anzahl sicherheitsrelevanterZwischenfälle ist seit Jahren rückläufig. Im Jahr 2015sank die Zahl sicherheitsrelevanter Zwischenfälle deut-lich um über 50 Prozent auf circa 60.Frau Präsidentin, wenn Sie mir gestatten, würde ichdem Kollegen auch noch gerne den Schluss vortragen.
Ja, Sie liegen gut in der Zeit.
D
Herzlichen Dank. Wir wissen, dass er sehr daran in-
teressiert ist. – Dabei liegt die Anzahl der von Terroris-
ten verursachten sicherheitsrelevanten Zwischenfälle
bei unter 20 Prozent der Gesamtzahl. Dies unterstreicht
deren eingeschränkte operative Möglichkeiten und die
Dominanz der Sicherheitskräfte. Operationen terroristi-
scher Kräfte richten sich in Algerien traditionell gegen
die Sicherheitskräfte als Symbol des Staates, weniger ge-
gen Zivilisten. Bei zivilen Opfern sind die Zahlen sehr
gering. Die algerischen Sicherheitskräfte gelten als rela-
tiv erfolgreich im Kampf gegen die terroristische Bedro-
hung im Land.
Danke schön, Frau Präsidentin.
Vielen Dank. – Der Kollege Beck hat trotzdem noch
Nachfragen.
Ich bin ganz beeindruckt über die gerade von Ihnen
vorgenommene Schilderung der Zustände in einem si-
cheren Herkunftsstaat. Sie haben aber am Ende nach
Weisung des Hauses noch versucht, die Kurve zu kriegen,
und gesagt, dass trotzdem irgendwie alles sicher und in
Ordnung ist. Ich frage mich aber schon, warum Ihr Haus,
das die Antwort, die Sie gerade vorgelesen haben, verant-
wortet, auf seiner Webseite wiederum sagt, in Algerien
bestehe das Risiko von Entführungen und Anschlägen
durch terroristische Gruppierungen wie al-Qaida im is-
lamischen Maghreb, AQM, Mouvement pour l’Unicité et
le Jihad en Afrique de l’Ouest, MUJAO, al-Murabitun
und die neu gebildete Gruppe Dschund al-Chilafa.
Sie sagen den Deutschen also: Das alles ist unsicher.
Ihr müsst aufpassen, dass ihr dort nicht entführt werdet.
All das aber, was Sie hier vorgetragen haben – in Ihren
Reisehinweisen geben Sie eine ganz andere Einschät-
zung dazu –, kommt in der Begründung des Gesetzent-
wurfes, warum Algerien ein sicherer Herkunftsstaat sei,
mit keiner Silbe vor. Wie rechtfertigen Sie es, dass diese
Einschätzung in Ihrem Gesetzentwurf nicht argumen-
tativ behandelt wird, und wie erklären Sie, was die Si-
cherheitsfrage und die Terrororganisationen angeht, den
Widerspruch zwischen Ihrer Einschätzung hier und der
Ihres Hauses in den Reisehinweisen?
D
Herr Beck, ich wusste, dass Sie diesen Zusammen-
hang herstellen. Deswegen habe ich auch noch einmal
sehr intensiv – auch in unserem Haus – nachgefragt. Ich
weiß, das ist Ihnen ein besonderes Anliegen.
Sie wissen – ich will das noch einmal in den Blick
rücken –, dass die Gesamtquote für Schutzsuchende aus
Algerien im Jahr 2015 0,8 Prozent betrug.
– Ich darf das trotzdem sagen.
Jetzt hebe ich noch einmal auf das ab, was Sie mit
Blick auf die Entführungen angesprochen haben. Ich
habe hier erläutert, dass die Entführungen rückläufig
sind und dass sich die Terroranschläge nicht gegen die
Zivilbevölkerung, sondern gegen Militäreinheiten und
Polizisten richten. Hier haben wir es noch mit Nachwir-
kungen des Algerien-Krieges zu tun. Das ist eine sehr
tragische Situation in diesem Land.
Jetzt hat die Staatsministerin das Wort. Sie dürfen da-
nach noch eine Frage stellen.
Bitte schön.
D
Herr Kollege Beck, heute Vormittag war die Men-
schenrechtslage in Marokko und Algerien Gegenstand
der Beratungen im Auswärtigen Ausschuss. Ihre Kol-
legen von der Grünenfraktion waren da. Sie gehören ja
dem Innenausschuss an. Ich bin sicher, dass Sie das auch
dort thematisieren.
Die Einstufung, die vonseiten des Auswärtigen Am-
tes noch einmal unterstrichen worden ist, lautete: Sie ist
gut vertretbar. – Das möchte ich Ihnen hier noch einmal
mitteilen.
Bitte schön, Herr Kollege Beck. Jetzt haben Sie noch
einmal das Wort.
Besteht nun für Zivilpersonen ein Risiko von Entfüh-rungen und Anschlägen durch terroristische Gruppen inAlgerien, oder besteht dies nicht? Ihre Webseite behaup-tet, es bestünde. Sie haben gerade behauptet, es bestündeStaatsministerin Dr. Maria Böhmer
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(D)
nur für Repräsentanten der algerischen Sicherheitskräfte.Was ist denn nun wahr?D
Herr Beck, ich habe bei den terroristischen Anschlä-
gen unterschieden. Diese richten sich überwiegend ge-
gen Polizisten und Militäreinheiten. Ich habe wörtlich
vorgelesen und sehr deutlich gesagt, dass in den letzten
Jahren Privatpersonen durch die al-Qaida im islamischen
Maghreb entführt wurden und dass die Zahl dieser Ent-
führungen aber rückläufig ist.
Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Nachfragen.
Die Frage 30 der Kollegin Heike Hänsel wird schrift-
lich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs,
und ich darf mich bei Ihnen, Frau Staatsministerin, für
die Beantwortung der Fragen bedanken.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums des Innern. Die Frage 31 der Kollegin Heike
Hänsel, die Frage 32 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele, die Fragen 33 und 34 der Kollegin Ulla Jelpke
und die Fragen 35 und 36 der Kollegin Martina Renner
werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Finanzen. Die Frage 37 des Kolle-
gen Christian Kühn wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 38 der
Kollegin Kerstin Andreae wird schriftlich beantwortet.
Schließlich kommen wir zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Die Fragen 39 und 40 des Kollegen Harald Ebner werden
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde und am Ende
unserer Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 25. Februar 2016,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
einen arbeitsreichen Nachmittag und einen schönen
Abend.