Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sieherzlich zu unserer Plenarsitzung .Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Kolle-gen Rainer Spiering zu seinem gestrigen 60 . Geburtstag
sowie dem Kollegen Cajus Caesar, der in der vergange-nen Woche seinen 65 . Geburtstag gefeiert hat, herzlichgratulieren .
Alle guten Wünsche im Namen des ganzen Hauses .Wir müssen noch die Wahl eines Mitglieds des Bei-rats beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen desStaatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR gemäߧ 39 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes durchführen . DieFraktion Die Linke schlägt vor, für eine weitere Amtszeitden Kollegen Jörn Wunderlich als Mitglied des Beiratszu berufen . – Heftiges Nicken bei der Fraktion Die Lin-ke . Kein erkennbarer Widerspruch aus den Reihen deranderen Fraktionen . Dann ist das hiermit so beschlos-sen und der Kollege Wunderlich in den Beirat nach demStasi-Unterlagen-Gesetz gewählt .Des Weiteren schlägt die SPD-Fraktion vor, als stell-vertretendes Mitglied des Wahlprüfungsausschussesgemäß § 3 Absatz 2 des Wahlprüfungsgesetzes den Kol-legen Dr. Matthias Bartke für die aus dem Gremiumausscheidende Kollegin Dr . Katarina Barley zu wählen .Stimmen Sie auch diesem Vorschlag zu? – Das ist offen-kundig der Fall . Damit ist der Kollege Bartke gewählt .Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages-ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführtenPunkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIELINKEHaltung der Bundesregierung zu aktuellenArmuts- und Reichtumsstudien
ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-fahren
Erste Beratung des von den Abgeordneten KatjaKeul, Luise Amtsberg, Volker Beck , wei-teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozess-ordnungDrucksache 18/7359Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-sprache
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-gie zu der Mitteilung der Kom-mission an das Europäische Parlament, den Rat,den Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus-schuss und den Ausschuss der RegionenDen Binnenmarkt weiter ausbauen: mehrChancen für die Menschen und die Unterneh-menKOM(2015) 550 endg.; Ratsdok. 13370/15hier: Politischer Dialog mit EU-InstitutionenDrucksachen 18/6855 A.5, 18/7395ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPDMenschen- und umweltgerechten Ausbau derRheintalbahn realisierenDrucksache 18/7364ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPDMenschen- und umweltgerechte Realisierungeuropäischer SchienennetzeDrucksache 18/7365
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ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr und digitaleInfrastruktur zu dem Antrag derAbgeordneten Matthias Gastel, Kerstin Andreae,Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENFinanzierung eines bürgerfreundlichen undumweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahnjetzt sicherstellenDrucksachen 18/6884, 18/7388ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten OliverKrischer, Annalena Baerbock, Dr . Julia Verlinden,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENZukunft des Strommarktes – Mit ökologischemFlexibilitätsmarkt klimafreundliche Kapazitä-ten anreizen und Kohleausstieg einleitenDrucksache 18/7369Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheitVon der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden .Der Tagesordnungspunkt 27 – da geht es um die Ein-setzung eines weiteren Untersuchungsausschusses – wirdheute abgesetzt . Darüber hinaus kommt es zu den in derZusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen desAblaufs .Ich möchte schließlich noch auf mehrere nachträg-liche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz-punkteliste aufmerksam machen:Der am 15 . Januar 2016 überwiesenenachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-schuss für Arbeit und Soziales zur Mit-beratung überwiesen werden:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung der Richtlinie über die Vergleichbarkeitvon Zahlungskontoentgelten, den Wechsel vonZahlungskonten sowie den Zugang zu Zah-lungskonten mit grundlegenden FunktionenDrucksache 18/7204Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
InnenausschussAusschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und SozialesDer am 14 . Januar 2016 überwiesenenachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-schuss für Wirtschaft und Energie zurMitberatung überwiesen werden:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-setzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisseund verwandte ErzeugnisseDrucksache 18/7218Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für GesundheitDie am 18 . Dezember 2015 gemäß § 80 Absatz 3 derGeschäftsordnung überwiesene nachfolgende Unterrich-
Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über ÖPP-Pro-jekte im BetriebDrucksachen 18/6898, 18/7116 Nr. 2Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Wirtschaft und Energie VerteidigungsausschussHaushaltsausschussDer von der Bundesregierung eingebrachte Entwurfeines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgeset-zes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten vonWasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zurÄnderung des Abwasserabgabengesetzes auf Drucksache18/6986 sowie die dazu vorliegende Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 18/7288 sollen an den Ausschussfür Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
zurücküberwiesen werden .
Dazu gibt es offensichtlich Einvernehmen . Also kön-nen wir so verfahren .Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf:a) Abgabe einer Regierungserklärung durch denBundesminister für Wirtschaft und EnergieZukunftsfähigkeit sichern – Die Chancen desdigitalen Wandels nutzenb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungJahreswirtschaftsbericht 2016 der Bundesre-gierungDrucksache 18/7380Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss Digitale Agenda Haushaltsausschussc) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungPräsident Dr. Norbert Lammert
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Jahresgutachten 2015/2016 des Sachverstän-digenrates zur Begutachtung der gesamtwirt-schaftlichen EntwicklungDrucksache 18/6740Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss Digitale Agenda Haushaltsausschussd) Beratung des Antrags der Abgeordneten KerstinAndreae, Oliver Krischer, Katharina Dröge,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENJahreswohlstandsbericht einführenDrucksache 18/7368Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-rung 77 Minuten vorgesehen . – Auch das ist offenkundigunstreitig . Also verfahren wir so .Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatder Bundesminister für Wirtschaft und Energie . – HerrGabriel, bitte schön .
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jah-reswirtschaftsbericht zeigt erneut, dass Deutschlandgerade eine langanhaltende Phase des Wachstums undder Prosperität erlebt . Der Aufschwung der deutschenWirtschaft geht in das dritte Jahr . Nach den Jahren 2012und 2013 mit nur 0,4 Prozent und 0,3 Prozent hatten wir2014 1,6 Prozent und 2015 1,7 Prozent Wirtschafts-wachstum, und 2016 wird mit einem Wachstum in dergleichen Größenordnung – 1,7 Prozent – gerechnet .Das zeigt, dass sich die Wachstumsphase fortsetzt . Aberwichtiger ist: Es setzt sich auch der Aufbau von Beschäf-tigung in Deutschland zu vernünftigen Löhnen fort .
Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland war nochnie so hoch . Für 2016 ist prognostiziert, dass wir ei-nen Beschäftigungsaufbau von 380 000 Personen ha-ben werden . Für 2017 wird mit knapp 300 000 weite-ren Beschäftigten gerechnet . Wir erreichen damit imlaufenden Jahr 43,3 Millionen Erwerbstätige und imJahr 2017 43,7 Millionen Erwerbstätige . Eine solcheZahl gab es in der Geschichte der Bundesrepublik nochnie .Gleichzeitig sinkt die Arbeitslosigkeit . Wir habenschon im letzten Jahr die niedrigste Arbeitslosigkeit seitder Wiedervereinigung verzeichnen können . Besonderswichtig ist, dass die Zahl sozialversicherungspflichtigerBeschäftigungsverhältnisse mit plus 540 000 deutlich zu-nimmt und ein Rückgang der Zahl geringfügig Beschäf-tigter um 90 000 Personen zu verzeichnen ist . Löhneund Gehälter steigen aufgrund der guten Rahmenbedin-gungen und entsprechender Tarifverhandlungen an: um2,3 Prozent in 2015, um 2,6 Prozent in 2016 . Aufgrunddes niedrigen Ölpreises sind auch die Realeinkommenerstmals seit vielen Jahren um durchschnittlich 2,2 Pro-zent gestiegen . Das heißt, der Wohlstand und das Wachs-tum kommen bei den Menschen in Deutschland an . Ichfinde, es ist gerade in diesen Zeiten wichtig, auch daseinmal laut und öffentlich zu sagen, meine Damen undHerren .
Unsere Unternehmen sind wettbewerbsfähig und un-sere Staatsfinanzen solide. Deutschlands Wirtschaft stehtdamit fast allein . Angesichts der geopolitischen Risiken,die es gibt, der Schwierigkeiten in China und Lateiname-rika, der Auseinandersetzungen zwischen Russland undder Ukraine, des Krieges im Nahen Osten und des nurlangsamen Zusammenwachsens Europas ist es doch er-staunlich – ich finde, das darf dieses Land auch stolz aufsich selber machen –, was dieses Land in dieser Zeit zuleisten in der Lage ist und wie gut die wirtschaftliche,aber auch die soziale Situation in unserem Land ist .
Das heißt aber nicht, dass wir so tun, als gäbe es nichtauch in unserem Lande Probleme und Schwierigkeiten .Ich erinnere an Alleinerziehende, Familien, Rentnerin-nen und Rentner, die 40 Jahre gearbeitet haben und amEnde ihres Arbeitslebens nicht einmal eine Rente auf So-zialhilfeniveau bekommen .
– Das liegt unter anderem daran, dass wir es noch nichtgeschafft haben – was wir in dieser Koalition aber ma-chen werden –, eine solidarische Lebensleistungsrenteeinzuführen, sodass der, der 40 Jahre gearbeitet hat, mehrbekommt als derjenige, der nicht gearbeitet hat .
– Bei Ihnen darf man nicht einmal mehr auf die Zwi-schenrufe gespannt sein . Die kann man sich schon vorder Rede vorstellen .Präsident Dr. Norbert Lammert
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Ich sage das nicht ohne Grund; denn es gibt einenmerkwürdigen Widerspruch .
– Ich weiß nicht, ob es Ihnen besser ginge, wenn es demLand schlechter ginge . Vielleicht hätten Sie dann bessereLaune . Das weiß ich aber nicht .
Ich erwähne diese Zahlen deshalb, weil es einen merk-würdigen Kontrast gibt zwischen einerseits der gefühltenStimmung im Land und manchmal auch der politischenHysterie, die wir erleben, und andererseits dieser exzel-lenten wirtschaftlichen und sozialen Situation, die wir inunserem Land vorfinden. Ja, die Herausforderung, mehrals 1 Million Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen,ist riesig . Ja, nicht alles läuft dabei perfekt; ja, manch-mal machen wir dabei auch Fehler . Manchmal streitenwir auch . Manchmal sind Dinge auch nicht so schnell insLot zu bringen, wie wir uns das wünschen . Ich hoffe, wirschaffen am heutigen Tag wieder einen deutlichen Schrittnach vorn . Man kann aber nun wirklich nicht sagen, dassdieses Land handlungsunfähig sei,
dass wir die Kontrolle über das Land verloren hätten unddass jeden Tag aufs Neue das Chaos ausbreche . Wennman die Zeitungen, die Medien und die Briefe, die manerhält, liest, muss man den Eindruck haben, dass wir ineinem Land leben, das überall funktionsunfähig gewor-den ist . Das Gegenteil ist der Fall, meine Damen undHerren: Wir sind eines der am besten aufgestellten Län-der Europas .
Noch einmal: Nicht alles ist perfekt . Manches ma-chen wir auch falsch . Das liegt übrigens daran, dass wirMenschen sind und dass wir nicht vorhersehen konnten,vor welche Herausforderungen man gestellt wird, wenn1 Million Zuwanderer im Jahr zu uns kommen . Manch-mal arbeiten auch die Behörden nicht gut genug . Dasliegt auch daran, dass sie nicht genug Personal haben,dass wir in der Vergangenheit zu viel auf das Einsparenvon Lehrer- und Polizeistellen gesetzt haben, was wirjetzt wieder ändern werden .
Deshalb darf man aber doch nicht eine Krise der Demo-kratie, der Republik und auch nicht der Koalition herbei-reden oder herbeischreiben . Das alles gibt es nicht, meineDamen und Herren . Wir haben ein stabiles Land, einestabile Bundesregierung, ein Land, das ungeheuer kräftigist und das die Möglichkeiten hat, das zu schaffen .
– Herr Krischer, als ich mir überlegt habe, diese Sätze zusagen, wusste ich, dass Leute wie Sie darüber lachen undsagen: Schaut euch doch einmal den Streit in der Bun-desregierung an . – Ich will Ihnen einmal etwas sagen:Zur Demokratie gehört auch Streit . Ihre Partei hat einmaldafür gefochten .
Ihre Partei ist großgeworden mit der Aussage, dass manunterschiedliche Meinungen auch öffentlich aussprechendarf . Heute halten Sie das für ein Zeichen von Regie-rungsunfähigkeit .
Ich finde es auch nicht belebend, was an mancher Stel-le der Debatte in der Union stattfindet.
– Und der SPD . Okay . Nur die anderen beiden sind sichimmer einig; es sei denn, Cem Özdemir sagt etwas zurZuwanderung – dann gibt es da auch Ärger –
oder Frau Wagenknecht spricht über das Gastrecht .
Wir müssen aufhören, der Öffentlichkeit vorzumachen,dass man bei einer der größten Herausforderungen unse-rer Zeit nicht auch in den Parteien zu unterschiedlichenPositionen in den Diskussionen kommen kann . Das Pro-blem ist nicht, dass wir an einzelnen Stellen unterschied-licher Auffassung sind . Das Problem ist vielmehr, dasswir dabei ein Bohei daraus machen, als wären wir mittenin einer Staatskrise . Das sind wir nicht .
Ich sage das deshalb, weil von dieser Art der Debatte,von der Überzeichnung ganz normaler politischer Dis-kussionen,
nur die profitieren, von denen keiner hier im Parlamentwill, dass sie demnächst in Parlamenten sitzen .
Warum sind sie keine Alternative für Deutschland? Weilsie diese wirtschaftliche Entwicklung ruinieren würden,weil das Leute sind, die sich gegen den sozialen Aus-Bundesminister Sigmar Gabriel
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gleich stellen, nicht für den Zusammenhalt der Gesell-schaft einstehen und sich obendrein auch noch häufigrassistisch verhalten und übrigens nicht selten das sind,was wir früher einmal „Feinde der freiheitlich demokra-tischen Grundordnung“ genannt haben .
Ich trete nicht dafür ein, dass wir nicht unterschiedli-che Auffassungen debattieren .
Das ist notwendig . – Ich weiß, dass es für Sie ganzschwer ist, eine ernsthafte Debatte zu führen, weil Sieden Eindruck haben, nur bei hohen Wellen wahrgenom-men zu werden . Ich sage Ihnen: Das ist nicht so . Sie wer-den auch wahrgenommen, wenn Sie ernsthaft diskutierenund handeln .
– Wenn Sie möchten, kann ich Cem Özdemir auch gerneeinmal wörtlich zitieren . Sie können dann ja hierherkom-men und sagen, was Sie davon halten .Ich glaube, unterschiedliche Auffassungen zu haben,ist nicht das Problem . Wir müssen vielmehr aufpassen,dass wir nicht ein Zerrbild unseres Landes zeichnen .Dieses Land wird nicht durch rechtsradikale Brandstiftergekennzeichnet, auch nicht durch kriminelle Ausländer .Deutschland ist ein handlungsfähiger Staat, ein sehr star-kes und sehr stabiles Land, das in der Lage ist, vieles zubewältigen, wie kein anderes Land der Erde es in dieserWeise tun könnte . Das ist das Land, von dem wir reden .
Weil man das so schnell vergisst, will ich noch ein-mal in Erinnerung rufen, was wir schon geschafft haben:Wir haben den Ländern und Kommunen im letzten Jahr6 Milliarden Euro zur Bewältigung der Flüchtlingskrisegegeben, und wir alle ahnen, dass das in Zukunft ehernoch mehr werden wird . Wir haben dafür gesorgt, dassmit hoher Geschwindigkeit Entscheidungszentren auf-gebaut wurden . Wir haben das Bundesamt für Migra-tion und Flüchtlinge in kurzer Zeit nicht nur personellaufgestockt, sondern auch noch mit der Bundesagenturfür Arbeit verzahnt . Wir haben die ersten Arbeitsmarkt-programme aufgelegt und uns um die Unterbringunggekümmert; auch die Kommunen haben Phantastischesgeleistet .
Ich könnte diese Liste fortsetzen . Denken Sie zum Bei-spiel daran, wie wir mit der Gesundheitsversorgung um-gehen .Natürlich haben wir einige Probleme noch nicht ge-löst, beispielsweise die Frage, wie wir mit dem Fami-liennachzug für subsidiär Schutzbedürftige umgehen .Das sind Menschen, die nicht aus Bürgerkriegsgebietenkommen, die nicht unmittelbar gefährdet sind, aber diewir aus humanitären Gründen nicht abschieben . Ich binmir ziemlich sicher, dass wir eine gute Chance haben,das heute zu klären . Angesichts der Zahlen, über die wirdabei reden, ist das eher eine Randfrage; aber es wirdals Beispiel genutzt, um zu zeigen, wir seien angeblichhandlungsunfähig . Deswegen ist es wichtig, dass wir diesheute klären .
Noch einmal: Es ist nicht alles perfekt; aber wir habendas Erreichte ohne Verteilungskämpfe in diesem Landgeschafft . Wir haben niemandem etwas weggenommen,damit wir das schaffen können . Es ist nicht zu sozialenAuseinandersetzungen gekommen . Im Gegenteil: Wirlegen Wohnungsbauprogramme auf, die allen dienenwerden, die in den Großstädten nach bezahlbaren Woh-nungen suchen .
Keine Verteilungskämpfe, trotzdem solide Finanzen undeine wirklich exzellente Entwicklung auf dem Arbeits-markt – ich finde, das kann uns Mut geben für das, waswir noch schaffen müssen .Wir haben im letzten Jahr im Wesentlichen über Un-terbringung geredet . Jetzt ist die Zeit, über Integrationund eine nachhaltige Integrationsstruktur zu sprechen .
Wir brauchen soziale Investitionen, und zwar wie-der nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle, die inDeutschland beispielsweise auf der Suche nach einemGanztagsschulplatz sind oder noch keinen Platz in einerKindertagesstätte gefunden haben .Aber es geht auch darum, dass wir ganz generell überdie Frage sprechen: Was ist nötig, damit sich diese wirt-schaftliche Entwicklung in den nächsten Jahren fort-setzt? Die Spannungen in unserem Land sind nämlichnur dann beherrschbar, wenn wir auch in Zukunft Vertei-lungskonflikte vermeiden. Dafür sind eine erfolgreichewirtschaftliche Entwicklung und ein hoher Beschäfti-gungsstand von großer Bedeutung . Deswegen schlagenwir vor, in unserem Hause darüber zu debattieren: Waskönnen wir tun, um den Schritten, die wir zur Stärkungder Investitionstätigkeit schon gemacht haben, weiterefolgen zu lassen? Auch da hat die Koalition schon vielgeschafft . Immerhin sind die Investitionen des im letztenJahr beschlossenen Haushalts 20 Prozent höher als die imJahr 2014; wir liegen da jetzt nahe an 30 Milliarden Euro .Wir haben den OECD-Durchschnitt, 20 Prozent desBruttoinlandsprodukts zu investieren, inzwischen fasterreicht . Wir haben die Städte und Gemeinden in dieserLegislaturperiode um 20 Milliarden Euro entlastet, damitsie wieder investieren können, weil die Kommunen dieHauptträger öffentlicher Investitionen sind, nicht Bundoder Länder . Wir werden Länder und Kommunen bis2018 um sage und schreibe 45 Milliarden Euro entlasten,Bundesminister Sigmar Gabriel
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ein Riesenschritt zur Verbesserung der kommunalen In-vestitionstätigkeit .
Also: Wie gehen wir auf diesem Weg weiter? EinThema ist natürlich der Breitbandausbau . Der KollegeDobrindt hat das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2018 eineÜbertragungsgeschwindigkeit von 50 Megabit pro Se-kunde bereitzustellen .
Wir alle wissen: Das ist ein wichtiges Ziel . Aber es ist nurein Zwischenziel, um zu einem wesentlich schnellerenNetz in unserem Land zu kommen, weil wir nur so an dendigitalen Geschäftsmodellen teilhaben können .Wir sind dabei, den digitalen Ordnungsrahmen neuaufzustellen: in Europa mit der Datenschutz-Grundver-ordnung und bei uns, indem wir das Gesetz gegen Wett-bewerbsbeschränkungen novellieren und uns fragen:Können wir eigentlich zulassen, dass die Giganten aufden Datenmärkten immer größer werden und marktbe-herrschende Stellungen erreichen?Wir kümmern uns um die Frage, wie wir den Mit-telstand in Deutschland stärker an das Thema Digi-talisierung heranbringen . Das Ziel sind fünf Kompe-tenzzentren – plus eines für das Handwerk – für dieDigitalisierung im Mittelstand . Wir digitalisieren auchdie Energiewende . Das heißt, wir sind auch da auf demWeg . Klar, wir haben noch eine Menge zu tun . Aber dieBundesregierung hat hier in den letzten zwei Jahren vie-les auf den Weg gebracht .Wir sind auch beim Thema „Start-up und Venture Ca-pital“ weitergekommen . Es gibt ein vorbörsliches Seg-ment . Wir haben Eckpunkte für ein Venture-Capital-Ge-setz erarbeitet . Wir haben 2 Milliarden Euro mehr fürInvestitionen in unserem Land zur Verfügung gestellt .Auf all den Feldern, auf denen wir unterwegs sein müs-sen, um die Investitionstätigkeit weiter anzuregen, umStart-ups und Gründerzeit zu fördern und die öffentlicheInfrastruktur zu verbessern, hat die Bundesregierung be-reits vieles auf den Weg gebracht .Wir haben ein Bürokratieentlastungsgesetz ver-abschiedet, das mit einer Einsparung von immerhin1,4 Milliarden Euro Wirkung zeigt . Wir sind beim Bü-rokratieindex zum ersten Mal unter dem Ausgangswert100, also unterhalb des Wertes, bei dem wir gestartetsind; wir haben die Bürokratie nicht ausgebaut .Ich finde, wir können auch relativ stolz auf das sein,was wir im Bereich der Energiemärkte inzwischen ge-schafft haben . In nur zwei Jahren haben wir die verschie-denen Teile der Energiewende ineinandergreifen lassen,die losen Fäden miteinander verknüpft . Wir bringen jetztVerlässlichkeit und Planbarkeit in die Energiepolitik inDeutschland zurück .Meine Damen und Herren, all das sind Bedingungen,die dieses Land in den kommenden Jahren nutzen kann,um seinen wirtschaftlichen Aufschwung fortzusetzen .Natürlich gibt es auch auf einigen Feldern Beratungsbe-darf . Wenn wir stolz darauf sind, dass unser Anteil derAusgaben für Forschung und Entwicklung bei 3 Prozentdes Bruttoinlandsprodukts liegt, während andere Europä-er nur einen Anteil von 2 Prozent aufweisen, dann kannich nur sagen: Das ist eine optische Täuschung .
Unsere Wettbewerber in Südkorea oder Asien haben sich4 bis 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zum Ziel ge-setzt . Davon sind übrigens immer 80 Prozent private In-vestitionen und nicht öffentliche . Das heißt: Was könnenwir tun, um gerade im Mittelstand die Investitionen inForschung und Entwicklung zu befördern?Mich hat sehr beunruhigt, dass im letzten Jahr dieInvestitionen in Forschung und Entwicklung gerade imMittelstand deutlich zurückgegangen sind . Das ist dasRückgrat der deutschen Wirtschaft . Deswegen wird dieKoalition darüber zu beraten haben, wie wir die Inves-titionstätigkeit in den kommenden Jahren besser fördernkönnen . Die Debatte geht zwischen Projektförderung undsteuerlicher Forschungsförderung hin und her . Ich binzuversichtlich, dass wir uns da verständigen; denn aufDauer können wir uns nachlassende Forschungsinvesti-tionen gerade im Mittelstand mit Blick auf die Wettbe-werbsfähigkeit nicht leisten, meine Damen und Herren .
Auch in der Industriepolitik gibt es, glaube ich, vielzu tun . Wir sind auch in diesem Bereich in der Diskus-sion, zum Beispiel über die Frage, wie wir in einer sowichtigen Leitindustrie wie der Automobilindustrie dasThema Elektromobilität voranbringen können . Wir wer-den uns ohnehin in den nächsten Jahren sehr stark umdie Systemverknüpfung zwischen erneuerbaren Energienund dem Mobilitätssektor bemühen müssen . Man musssich letztlich entscheiden, ob man an dem Ziel von 1 Mil-lion Elektroautos bis 2020 festhalten will . Dann brau-chen wir Markteinführungsprogramme und Investitionenin Ladeinfrastruktur – ohne sie wird es nicht gehen –,und wir brauchen auch ein Beschaffungsprogramm vonBund, Ländern und Gemeinden . Sonst kann man diesesZiel von 1 Million nicht erreichen . Aber wir müssen vonder Industrie auch eine Gegenleistung fordern,
und diese muss darin bestehen, dass die industrielle Bat-terieproduktion nach Deutschland zurückkommen muss .Das ist es, was wir in diesem Land schaffen müssen .
Meine Damen und Herren, soziale Investitionen brau-chen wir insbesondere vor dem Hintergrund der Zuwan-derung, aber nicht nur deshalb . Wir brauchen sozialeInvestitionen in Bildung und Erziehung, in Sprachförde-rung, Qualifizierung, in den Arbeitsmarkt und übrigensauch in ein System, in dem die soziale Marktwirtschaftihrem Namen gerecht bleibt .
Ich weiß, dass in unserem Land Werkverträge und Leih-arbeit auch in Zukunft zur ganz normalen Flexibilitäts-Bundesminister Sigmar Gabriel
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option unserer Unternehmen gehören müssen . Es kannaber nicht sein, dass diese Instrumente von Arbeitgebernmissbraucht werden, um sich aus der Arbeitgeberrolle zuverabschieden .
Arbeitgeber sind etwas anderes als Manager . Managerkönnen sich möglicherweise vorstellen, ihren Betrieb sozu managen, dass dabei im Wesentlichen andere Unter-nehmen wie Werkvertragsunternehmen tätig sind . EinArbeitgeber in der sozialen Marktwirtschaft hat über denProduktionsprozess hinaus Verantwortung, auch für diesoziale Sicherheit seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer . Wir möchten gerne, dass die Werkverträge da,wo sie Flexibilität für Arbeitgeber herstellen, erhaltenbleiben . Wir können nicht Werkverträge an der Stelleeinschränken .
Aber wir wollen nicht, dass der Ausbau bzw . der Miss-brauch von Werkverträgen und Leiharbeit weiter fort-schreitet und damit letztlich die Idee des Arbeitgebers ineiner sozialen Marktwirtschaft immer mehr in den Hin-tergrund gedrängt wird . Das wollen wir nicht .
An dieser Schnittstelle werden wir arbeiten müssen .Meine Damen und Herren, ich weiß, dass zu der Fra-ge, wie wir in den kommenden Jahren wettbewerbsfähigbleiben, noch mehr Themen gehören, beispielsweise auchdie Frage, wie es in Europa weitergeht . Aber mir lag auchbeim Jahreswirtschaftsbericht ein bisschen daran, diesedoch wirklich beeindruckenden Zahlen zu nutzen, um zuzeigen, dass das Land keine Angst haben muss, dass wirnicht in einem Land leben, das unsicher über sich selberwird, dass es auch um Themen wie soziale Ungleichheitim Land geht, dass wir mehr und bessere Primäreinkom-men brauchen und dass wir auch über die Steuerpolitikin diesem Land weiter diskutieren und streiten werden .Für das alles gibt es ausreichend Raum . Aber wir solltenbei solchen Debatten unseren Bürgerinnen und Bürgernim Land auch zeigen: Das ist ein verdammt starkes Land,das eine Menge kann und auf das die Menschen, die daserarbeiten, ziemlich stolz sein können .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Lieber Herr Minister, lieber Sigmar, in einem Punktbin ich mit dir einer Meinung
– ja, in einem Punkt –: Das ist tatsächlich ein star-kes Land . Es bewältigt Probleme und sorgt dafür, dassFlüchtlinge vernünftig aufgenommen und betreut wer-den . Es gibt aber einen großen Unterschied: Dieses Landist handlungsfähig; aber bei dieser Regierung habe ichinzwischen gravierende Zweifel, was die Handlungsfä-higkeit in dieser Frage betrifft .
Da will ich gleich einmal auf die Flüchtlingskrise ein-gehen; du hast sie angesprochen, Sigmar . In der Regie-rung gibt es eine Bandbreite der Diskussion, die von derForderung aus Bayern, die Grenzen zu schließen, bis hinzur Willkommenskultur reicht . Die Kanzlerin wird vonder eigenen Fraktion angesägt; leider ist sie jetzt nichtmehr anwesend .
– Ihr wisst doch selber, was ihr macht . Tut doch nichtso! – Da ihr in dieser Situation die Kanzlerin ansägt undwir als Opposition sie auch noch verteidigen müssen,stellt sich die Frage: Wen hättet ihr denn als Alternative?Da ist doch weit und breit niemand vorhanden . Deshalbbin ich froh, dass Frau Merkel Kanzlerin ist und nichtjemand von euch; das will ich mit aller Klarheit sagen .
Der Jahreswirtschaftsbericht ist verständlicherweisenichts anderes als ein Selbstlob; daran kann man nichtsändern . Aber dass man gravierende Fehlentwicklungennicht einmal anspricht, ist wirklich ein Problem . 62 derreichsten Menschen, darunter auch sechs Deutsche, be-sitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit . Eineunglaubliche Zahl! In keinem Euro-Land ist der Reich-tum so ungerecht verteilt wie in Deutschland .
– Sich der Realität zu verweigern, ist bei euch nichtsNeues . – Ich will euch eine Zahl nennen . Die SchweizerBank UBS hat veröffentlicht, dass in Deutschland alleinim Jahre 2014 das Vermögen derjenigen, die 30 Millio-nen Euro und mehr besitzen, um mehr als 200 MilliardenUS-Dollar gestiegen ist .
Das entspricht ungefähr zwei Dritteln des Staatshaus-halts der Bundesrepublik .
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201614890
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Wie gesagt, es geht hier um den Zuwachs und nicht umdas Vermögen selber . Zwei Drittel des Staatshaushaltsder Bundesrepublik könnten diese reichen Menschen al-leine von ihrem Vermögenszuwachs bezahlen .Im letzten Jahreswirtschaftsbericht heißt es – ich habedas nachgelesen –:Nach Auffassung der Bundesregierung lassen sicheffizientes Wirtschaften und gerechte Verteilung inder sozialen Marktwirtschaft nicht trennen .Ja, einverstanden! Aber dem aktuellen Jahreswirtschafts-bericht kann ich entnehmen, dass die Löhne weiterhinlangsamer wachsen als die Gewinne . Die Schere wirdalso weiter auseinandergehen . Was ich schlichtweg ver-misse, ist irgendeine Initiative, die dazu dient, die un-gerechte Verteilung in dieser Republik anzugehen . Damacht die Bundesregierung nichts . Das ist Arbeitsver-weigerung .
Was könnten Sie tun? Sie könnten die Leiharbeit unddie Werkverträge vernünftig regeln . Aber was tun Sie?Sie legen ein Gesetz vor, das weit hinter den Anforderun-gen zurückbleibt .
Dieses unzureichende Gesetz wird von der Kanzlerindann auch noch angeschossen . So kann man das Problemnicht lösen .Welche Möglichkeit hätten Sie noch? Sie könntendie Vermögen vernünftig besteuern . Aber auch das ma-chen Sie nicht . Vielmehr schonen Sie die Vermögen derReichen . Sie belassen es bei der ungleichen Verteilung .Damit haben Sie auch nicht das Geld, das dringend not-wendig wäre, um die Flüchtlingskrise so anzugehen, wiees angemessen wäre, nämlich mit mehr Wohnungen undeiner vernünftigen Ausstattung der Kommunen, die mitt-lerweile nicht mehr wissen, wie sie das alles finanzierensollen . Aber nein! Die Arbeitsverweigerung dieser Re-gierung ist unerträglich .
Ein weiteres Thema, bei dem Sie sich weigern, es an-zugehen, sind die Bruttoanlageinvestitionen . Sie redendauernd von notwendigen Investitionen . Schaut man aberIhr eigenes Zahlenwerk an, Herr Gabriel, lieber Sigmar,dann stelle ich fest, dass die Investitionen des Staates imJahre 2015 im Vergleich zu 2014 um 2,1 Prozent gesun-ken sind . Sie sind also nicht mehr, sondern weniger ge-worden . Wo bitte schön ist da die Investitionsinitiative?Wir wissen, dass jährlich 100 Milliarden Euro fehlen, umdie Infrastruktur – Brücken, Straßen, Schulhäuser – inOrdnung zu bringen . Wir brauchen genügend Geld fürKindergärten . Aber die Investitionen gehen zurück . So-lange ihr die Reichen schont und die schwarze Null wieeine Monstranz vor euch hertragt, euch hinter ihr versam-melt und euch an den Händen haltet, so lange wird dasProblem nicht gelöst werden .
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, weil er soaktuell ist, betrifft die bislang nicht angesprochenen Han-delsabkommen . Nun dürfen wir Abgeordnete in einemLeseraum im Wirtschaftsministerium nachschauen, wasüber unsere Köpfe hinweg zwischen EU und den Ame-rikanern vereinbart wurde . Tolle Sache! Wenn man sichgenau anschaut, wie das laufen soll, dann haut es einemden Vogel hinaus . Frau Malmström hat im Wirtschafts-ausschuss gesagt, es sei ein Bonbon für die Abgeordne-ten der nationalen Parlamente, dass sie die Unterlagenüberhaupt ansehen dürften . Die Abgeordneten habeneigentlich nichts zu melden . Schließlich verhandelt dieEuropäische Union mit den Amerikanern . Dass wir dieUnterlagen überhaupt ansehen dürfen, ist sozusagen einEntgegenkommen . Dass die amerikanischen Abgeordne-ten mehr Rechte haben, einen tieferen Einblick nehmen,ihre Mitarbeiter mitnehmen und darüber diskutieren kön-nen, was in den Abkommen steht, liegt daran, dass diesein die Verhandlungen einbezogen sind . Bei uns ist es einEntgegenkommen, und deshalb sind die Regelungen füruns anders .An welcher Stelle sind jetzt die Regelungen anders?Die Unterlagen sind ausschließlich in Englisch, manmuss sein Handy abgeben, offensichtlich ist ein Sicher-heitsbeamter dabei, der einem über die Schulter schaut .Es wird registriert, was man anguckt; es gibt auch keinePapiere, sondern alles kann nur am Computer angesehenwerden, meine Damen und Herren . Selbstverständlich istalles geheim, und man darf nichts sagen . Die Geheim-haltung bei diesen Abkommen wird nicht verändert . DieBürgerinnen und Bürger werden nach wie vor ausge-schlossen, meine Damen und Herren .Der Hammer ist, dass selbst die Regelungen, die jetztbeschlossen wurden und unter denen wir Abgeordneteuns die Papiere ansehen dürfen, zur Verschlusssache er-klärt wurden . Auch darüber dürfen wir nicht sprechen . Ja,meine Damen und Herren, wo leben wir denn eigentlich?Ich kann sagen: Ich weiß nicht, ob ich das so auf mirsitzen lasse, ob ich nicht tatsächlich darüber informiere,welche Regelungen die Abgeordneten zu beachten ha-ben, wenn sie das einsehen . Das hat mit Geheimhaltungnichts zu tun . Das gehört an die Öffentlichkeit; denn dageht es nicht um die Inhalte von irgendwelchen Verhand-lungen, sondern da geht es darum, wie die Abgeordnetengegängelt werden, sodass sie diese Sache nicht ordent-lich behandeln können .Ich danke Ihnen für das Zuhören .
Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion .
Klaus Ernst
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Flücht-lingsstrom ist sicherlich eine der größten Herausforde-rungen, die dieses Land jemals zu bewältigen hatte, undwir haben erhebliche Mühen, um das Thema in den Griffzu bekommen . Wenn wir diese Herausforderungen meis-tern wollen, dann müssen wir allerdings auch wirtschaft-liche Stärke haben, und wenn wir diese wirtschaftlicheStärke nicht haben, dann werden wir Probleme bekom-men .Gott sei Dank – der Wirtschaftsminister hat das völligzu Recht dargestellt – ist unsere Situation gut . Ja, sie istsogar sehr gut und war eigentlich nie so gut wie jetzt .Dass wir auch hinsichtlich der Arbeitslosigkeit so gutaufgestellt sind wie noch nie, das muss man einfach an-erkennen . Das ist hervorragend .
Aber – dieses Aber sollten wir uns merken – wir habeneine Menge an exogenen Faktoren, die unsere wirtschaft-liche Großwetterlage positiv beeinflussen, die wir nichtaußer Acht lassen können und die sich auch in kürzesterZeit verändern können . Ich will einmal folgende Punktenennen: Der niedrige Ölpreis ist mit Sicherheit nicht nurfür die Bürgerinnen und Bürger eine erfreuliche Sache,sondern natürlich auch für die Unternehmen . Die nied-rigen Zinsen sind es genauso, auch wenn man da schonZweifel haben kann, ob sie nicht in dem einen oder ande-ren Fall eher kontraproduktiv sind . Und wir haben einenEuro, dessen Kurs gegenüber dem Dollar sehr niedrig ist .Da gibt es enorme Windfall Profits für unsere Unterneh-men, die in den Dollar-Bereich hinein exportieren . Dassollten wir nicht vergessen .Es ist aber nicht garantiert, dass das unbedingt immerso bleibt . Im Gegenteil: Das kann sich von heute auf mor-gen ändern. Darauf haben wir keinerlei Einfluss.Diese ökonomische Schönwetterlage, die wir momen-tan haben, ist erfreulich . Aber wir müssen darauf achten,dass wir diese gute Situation auch weiter nutzen undnicht anfangen, an irgendwelchen Stellen Veränderungenvorzunehmen, die die Wirtschaft nicht tragen kann .Ich habe es für richtig gehalten, Herr Bundesminister,dass Sie eben über das Thema Werkverträge gesprochenhaben . Aber wir dürfen auf keinen Fall dieses Flexibi-litätsinstrument, das die Unternehmen brauchen, kaputt-machen –
weder bei den Werkverträgen noch bei der Zeitarbeit .
Wir sollten auch nicht anfangen, im Bereich der Entgelt-gleichheit neue Lohnbürokratie aufzubauen . Auch dasmuss verhindert werden . Bürokratie haben wir genug .Ich bin froh, dass Sie die „One in, one out“-Regel insGesetz hineingebracht haben . Das sollten wir auch weiterbeachten .Wir müssen auch im Umweltbereich aufpassen . Ichfand es völlig richtig, als die Bundeskanzlerin gesagthat: Wir können gerade in der jetzigen Situation nichtunbedingt jede alte, liebgewonnene Regel beibehalten . –Nein, wir müssen darüber nachdenken, ob wir da Flexi-bilisierung hineinbringen .Sie haben völlig recht: Das Thema Investitionen istein ganz wichtiges . Mir macht es Sorge, dass energiein-tensive Unternehmen – man kann sich die Statistikenvom VDMA ansehen – nur noch 80 Prozent ihrer Ab-schreibungen reinvestieren . Was ist das denn? Das istnichts anderes als Desinvestition in Deutschland . Ichgehe einmal davon aus, dass die Unternehmen weiterexistieren wollen, also auch weiter investieren werden,aber anscheinend nicht mehr bei uns . Da müssen wir unsfragen: Warum ist das so? Was ist der Grund dafür, dassnicht in Deutschland investiert wird? Das halte ich füreinen Trend, den ich schon als dramatisch betrachte . DieFolgen sehen wir erst in einigen Jahren .Ein sicher ganz wichtiger Punkt ist der hohe Energie-preis in Deutschland, der hohe Strompreis . Ich will ein-mal ein Beispiel nennen: Ein Badener Bürger kam vordrei Tagen zu mir und sagte: Hier ist meine Stromrech-nung . Ich habe mir eine Wärmepumpe geleistet und zah-le jetzt schon 600 Euro pro Jahr für die EEG-Kosten . –Wenn wir so weitermachen, wird dieser Betrag nicht bei600 Euro bleiben, sondern in kürzester Zeit weit über die600 Euro steigen und sich in Richtung 1 000 Euro ent-wickeln .Die EEG-Umlage beträgt jetzt schon 6,3 Cent pro Ki-lowattstunde . Mit Blick auf den enormen, weit über dieKorridore hinausgehenden Windkraftausbau – die Kor-ridore haben wir uns selbst gegeben – kann man sagen,dass die EEG-Umlage in kürzester Zeit bei einer Grö-ßenordnung von 8 Cent, eher 10 Cent liegen wird . Dannwird dieser Badener Bürger 1 000 Euro pro Jahr allein anEEG-Kosten zahlen . Das ist Kaufkraft, die abgeschöpftwird und damit in anderen Bereichen fehlt . Ich möchtenicht nur dem Badener Bürger helfen, sondern ich möch-te auch ganz gerne dafür sorgen, dass die Unternehmen,vor allen Dingen die Mittelständler, nicht so belastet wer-den, dass es zu Abwanderungstendenzen kommt . Genaudas darf nicht passieren .Ein Punkt ärgert mich ganz besonders . Wer E wie „Er-neuerbare“ sagt, der muss auch L wie „Leitungsausbau“sagen; denn der geschieht in Deutschland nicht . Der Lei-tungsausbau hinkt hinterher .
Sie alle kennen EnLAG .
– Sie .
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1 700 Kilometer sollen nach dem EnLAG gebaut wer-den, davon unter anderem 405 Kilometer in dem schönenLand Niedersachsen . Herr Minister, das liegt Ihnen nahe .Nun raten Sie einmal, wie viel davon bis jetzt gebautwurde .
Ich sehe Sie verzweifelt, weil nämlich kein einziger Ki-lometer gebaut wurde .
Das kann nicht sein . Seit 2003 gibt es das EnLAG, seit2007 ist es in Kraft . 405 Kilometer sollen in Niedersach-sen gebaut werden, aber nicht ein einziger Kilometer istbis jetzt gebaut worden .Dafür haben wir aber in der gleichen Zeit 5 700 Wind-masten aufgestellt, nur in Niedersachsen . Insgesamt sindes in Deutschland 26 000 . Wenn wir es nicht schaffen,den Leitungsausbau mit dem Ausbau der erneuerbarenEnergien zu synchronisieren, dann wird genau das pas-sieren, was uns immer mehr belastet, nämlich dass im-mer mehr Redispatch-Maßnahmen, also das Abschaltenvon Windkraftanlagen in der Nord- und Ostsee und dasHochfahren von alten Anlagen – das geht bis hin zu al-ten Ölkraftwerken –, im Südteil der Republik stattfinden.Das Wirtschaftsministerium hat mir auf Nachfrage mit-geteilt, dass wir im letzten Jahr bereits 1,2 MilliardenEuro zusätzliche Ausgaben nur für Redispatch hatten .
Das fließt dann in die sogenannten Netzentgelte. Darü-ber wird sich der Badener Bürger demnächst auch wiederbeschweren .
Wenn wir es nicht schaffen, den Windkraftausbau mitdem Leitungsausbau zu synchronisieren, und wenn wires nicht schaffen, den Bürgerinitiativen gegen den Lei-tungsausbau, die es überall gibt, zu sagen, dass wir dieerneuerbaren Energien nur dann ausbauen können, wennwir auch bereit sind, parallel dazu den Leitungsausbauzu beschleunigen, dann werden Kosten entstehen, die wiruns nicht leisten können .Ich würde gerne noch drei Worte zu TTIP sagen .TTIP ist eine Chance für uns, nicht ein Risiko für uns .Ich verstehe bis heute nicht, warum dieses Land, das dasexportstärkste Land in Europa und das zweitstärkste Ex-portland in der Welt ist, meint, wir müssten ausgerechnetden Freihandel zusätzlich beschränken . Die Amerikanerhaben in vielen Bereichen wesentlich strengere Regu-lierungen als wir . Herr Ernst, fragen Sie einmal bei VWnach, wenn Sie es mir nicht glauben . Zum Beispiel darfein Dieselfahrzeug in den USA maximal 32 MilligrammNOx ausstoßen, 80 Milligramm sind es bei uns . Die Um-weltmaßnahmen in den USA sind somit wesentlich stren-ger als bei uns . Das müssen wir irgendwo harmonisie-ren; diese Harmonisierung wollen wir zustande bringen .Dann haben wir auch die Probleme nicht mehr, die wir inden letzten Jahren dort sehen konnten .TTIP ist eine Chance für uns . Wer bei TTIP schläft,der wird durch die Asiaten bestraft, weil TPP und die da-mit verbundenen Standards dann nämlich viel schnellerkommen . Das wollen wir gemeinsam verhindern .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Anton Hofreiter das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Gabriel, Sie habengesagt: Das Land ist handlungsfähig . – Ja, das Land isthandlungsfähig dank Tausender und Abertausender Eh-renamtlicher, die sich darum kümmern, dass die Flücht-linge entsprechend versorgt werden, dass die Flüchtlin-ge anständig behandelt werden . Außerdem ist das Landhandlungsfähig dank Unmengen aktiver Kommunalpoli-tiker und dank Unmengen Beamter und Angestellter imöffentlichen Dienst, die einen ganzen Haufen Überstun-den schieben . Dadurch ist das Land handlungsfähig . Dagebe ich Ihnen sogar recht .
Aber wenn ich mir anschaue, wie sich die Große Ko-alition – die CSU und die SPD sind bekanntermaßen Teilder Großen Koalition – in den letzten Wochen und Mo-naten benommen hat – dabei geht es nicht darum, einensachlichen Streit zu führen –, dann stelle ich fest, dassdiese Regierung nicht handlungsfähig ist . Denke manallein an den Herrn Seehofer: Er stellt inzwischen zumfünften Mal dieser Bundesregierung ein Ultimatum . Erschreibt inzwischen Briefe und spricht davon, dass erdie Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgerichtverklagen will . Ist dieser Mensch jetzt Teil der GroßenKoalition? Ja oder nein? Er ist es! Also stellen wir fest:Die Große Koalition ist nicht handlungsfähig .
Ich sehe hier die Kollegin und den Kollegen von derCSU und der SPD sitzen, Frau Hasselfeldt und HerrnOppermann . Frau Hasselfeldt hat davon gesprochen, dassdie SPD das Koalitionsklima vergiftet . Herr Oppermannhat davon gesprochen, dass diese Große Koalition einKasperletheater aufführt .
Dennoch tun Sie so, als wenn das Ganze ein nüchterner,sachlicher Streit wäre . Nein, Herr Gabriel, einen nüch-ternen, sachlichen Streit und eine vernünftige Debattewürden wir von Ihnen erwarten .
Dr. Michael Fuchs
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Wissen Sie, wie eine vernünftige Debatte ausschaut?Eine vernünftige Debatte, Herr Gabriel, schaut so aus:Man streitet sich . Man überlegt sich etwas . Man ent-scheidet, man handelt dann und dreht sich nicht wie einBrummkreisel die ganze Zeit im Kreis . Bei so etwas istzwar Bewegung drin, aber vorwärts geht dabei überhauptnichts .
Wissen Sie, Herr Gabriel, was man einfach schlicht-weg feststellen kann? Ihre Koalition hat hier zwar80 Prozent der Abgeordneten, und wir haben wirklichein hervorragendes Land mit klasse Bürgern; aber diesesLand wird einfach krass unter Wert regiert, unter ande-rem von Ihnen .
Ich hätte mir von der SPD in dieser Krise erwartet,dass sie ganz klar für die offene Gesellschaft steht, dasssie ganz klar erläutert, wie wir das schaffen . Erwartethätte ich aber nicht diesen wüsten Zickzackkurs, den dieSPD hier aufführt:
mal rechts von der Kanzlerin, mal links von der Kanzle-rin, und fünf Minuten später weiß man schon nicht mehr,wo sie steht . Das erklärt auch das seltsame Verhalten derSPD-Ortsverbände in Essen, wo sie einen Lichtermarschgegen neue Flüchtlingsheime geplant haben . Ich meine,das ist ein Symptom Ihres eigenen Zickzackkurses, denSie hier aufführen .
Vielleicht noch ein paar Bemerkungen zu IhremJahreswirtschaftsbericht . Wissen Sie, Ihr Jahreswirt-schaftsbericht ist unvollständig, ebenso wie sämtlicheJahreswirtschaftsberichte der letzten Jahre unvollständigwaren . Sie stellen hier einen Bericht vor, der ökologischblind und sozial gleichgültig ist .
Es erstaunt uns zwar nicht, dass Sie einen Bericht vor-stellen, der ökologisch blind ist, aber dass Sie einen Be-richt vorstellen, der sozial gleichgültig ist, ist, wie ichfinde, für einen SPD-Vorsitzenden und für einen SPD-Vi-zekanzler schon ziemlich bemerkenswert . Sie verlierenkein Wort dazu, dass die Einkommensungleichheit in die-sem Land so groß ist, wie seit 20 Jahren nicht mehr . Sieunternehmen nichts dagegen, dass die oberen 10 Prozentinzwischen die Hälfte des Nettovermögens besitzen unddass die unteren 50 Prozent de facto nichts haben . SorgenSie endlich dafür, dass unser Staat gerechter wird! Dannempfinden die Leute dieses Land auch wieder als gerech-ter und identifizieren sich stärker mit diesem Land unddieser Demokratie .
Herr Gabriel, auch in einer ganzen Reihe von Be-reichen in der Energiepolitik ist dringend etwas zu tun .Es ist dringend dafür zu sorgen, dass die Kohlenutzungendlich ausläuft . Die Folgekosten der Kohleverstromungsind gigantisch . Sie sind nicht nur ökologisch gigantisch,sondern auch ökonomisch gigantisch .Ich gestehe Ihnen zu, dass es in der Energiepolitik mitIhrem Koalitionspartner schwierig ist . Herr Fuchs hathier wieder ein Beispiel abgeliefert von – ich weiß garnicht,
was man dazu sagen soll, wenn man fachlich Ahnunghat – vollkommener Unbelecktheit in energiepolitischenFragen . Ich will politisch nur eines dazu sagen: Bei allenVolten, die Herr Seehofer schlägt: Dass Seehofer jetzt zuuns Grünen gehört, Herr Fuchs, möchte ich wirklich be-streiten .
Da der Hauptfeind des Leitungsausbaus in Deutsch-land Herr Seehofer ist, würde ich sagen: Fassen Sie sichda mal an die eigene Nase, und reden Sie mal mit IhrenKollegen von der CSU, dass es da endlich vorwärtsgeht!In einem Punkt hatten Sie nämlich recht: Beim Leitungs-ausbau muss es vorwärtsgehen . Deshalb: Stellen SieHerrn Seehofer mal in den Senkel, und lassen Sie sichvon ihm nicht weiter auf der Nase herumtanzen!
Zum Schluss: Ja, unser Land ist stark, unser Land isthandlungsfähig, aber es wird von dieser Bundesregie-rung unter Wert regiert . Ändern Sie das endlich; denn esist Zeit dafür .Vielen Dank .
Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenKolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass es richtig ist,einen realistischen Blick auf die Situation in Deutsch-land zu werfen, und dieser Jahreswirtschaftsbericht tutdas . Aber ich habe ein bisschen das Gefühl, dass wir inder Debatte ein Schisma haben, also zwei Arten, mit demBefund über die wirtschaftliche Lage umzugehen: Wirhaben Mutmacher in diesem Land, und wir haben Mies-macher in diesem Parlament .
Dr. Anton Hofreiter
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Die vorige Rede war ein Beleg dafür, meine sehr geehr-ten Damen und Herren .
Wenn wir uns die Lage angucken, dann stellen wirfest – das ist nicht zu leugnen –: Es ist tatsächlich so,dass dieses Land ein wirtschaftliches Wachstum hat . Wirsind Wachstumsmotor und Stabilitätsanker in Europa –trotz aller Schwierigkeiten . Wir haben vor allen Dingendie niedrigste Arbeitslosigkeit seit der deutschen Einheitund die höchste Beschäftigungsquote, auch im Bereichder sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, diedas Land je hatte . Das führt übrigens dazu, dass wir nachJahren, meine Damen und Herren, endlich wieder Lohn-zuwächse haben . Die Löhne sind im vergangenen Jahrstärker gewachsen als in den letzten 20 Jahren, und auchin diesem Jahr werden sie weiter wachsen . Das führt üb-rigens dazu, dass wir in diesem Jahr auch endlich wie-der kräftige Rentenerhöhungen haben werden . Der Auf-schwung kommt an bei den Menschen in Deutschland .Das ist die Nachricht, die man nicht verschweigen darf,Herr Ernst .
Wenn man sich die wirtschaftliche Lage anguckt,stellt man fest: Sie ist im Gegensatz zur Vergangenheitnicht allein vom Export getragen . Wir sind nach wie vorwettbewerbsfähig und exportstark – mit Verfahren undProdukten made in Germany sind wir auf den Märktender Welt erfolgreich –, aber wir haben jetzt zudem einestarke Binnenkaufkraft . Die Binnenwirtschaft – der Kon-sum, auch der Wohnungsbau – trägt mit dazu bei, dasswir gerade in diesen weltwirtschaftlich unsicheren Zeiteneine robuste Nachfrage in Deutschland haben .Wenn wir an die zum Teil hysterischen Debatten-beiträge einiger zur Einführung des Mindestlohns voreinem Jahr denken: Der Mindestlohn – das ist nicht zuleugnen – hat einen Teil dazu beigetragen, dass die Bin-nenkaufkraft gestiegen ist . Der Jahreswirtschaftsberichtmacht es deutlich . Alle die Horrorszenarien von der Ver-nichtung von Arbeitsplätzen durch den Mindestlohn sindnicht eingetreten; das Gegenteil ist der Fall .
Aber der Jahreswirtschaftsbericht verschweigt auchnicht, dass es konjunkturelle Risiken gibt . Es sind vorallen Dingen weltwirtschaftliche Risiken . Die geopoliti-sche Lage und das nachlassende Wachstum in Schwel-lenländern sind angesprochen worden .Wir haben uns natürlich auch bei uns Sorgen zu machen,weil wir in Deutschland nicht erst seit gestern, sondernschon über zehn Jahren zu niedrige Investitionen haben,vor allen Dingen zu niedrige private Investitionen, Kol-lege Fuchs . Wir sind uns bewusst, dass wir uns bei die-sem Thema nicht ausruhen können . Da teile ich auch denBefund: In einer Situation, in der wir niedrige Ölpreise,niedrige Zinsen und auch eine günstige Entwicklung derWechselkurse haben, wäre es eigentlich an der Zeit, dasshier privatwirtschaftlich kräftig investiert wird .Wir dürfen uns nicht auf den Erfolgen der Vergangen-heit und der Gegenwart ausruhen . Vielmehr müssen wiruns in diesem Land so einrichten, dass wir in Zukunftwirtschaftlich erfolgreich sind . Deshalb ist es an der Zeit,dass wir nicht nur die öffentlichen Investitionen in dieInfrastruktur und die kommunale Investitionskraft in denBlick nehmen – was diese Bundesregierung tut –, son-dern in dieser Koalition auch beraten, was wir tun müs-sen, um privatwirtschaftliche Investitionen anzureizen .Da gibt es ganz unterschiedliche Bereiche, und esgibt sektorale Rahmenbedingungen . Sie haben an dieserStelle die Energiewirtschaft angesprochen . Hier müssenwir für angemessene Rahmenbedingungen sorgen . DieGrünen sagen, wir würden die Erneuerbaren abwürgen .Teile der Union sagen, wir würden die Erneuerbaren zumassiv ausbauen . Irgendwo in der Mitte zwischen diesenExtremen liegt die Wahrheit . Wir werden von einer Preis-steuerung zu einer Mengensteuerung übergehen müssen,damit die Erneuerbaren weiter kräftig ausgebaut werden,aber eben kosteneffizienter und auch systemintegriert.Wir werden uns neben all diesen Fragen auch dieFrage stellen müssen, was wir tun können und müssen,um wichtige Leitmärkte in diesem Land zu halten undzu entwickeln . Die Automobilindustrie ist nach wie voreiner der stärksten Wirtschaftsbereiche dieses Landes .Über 750 000 Menschen arbeiten in der Automobilindus-trie – nicht nur in den Automobilunternehmen, sondernauch in der Zulieferindustrie .
Deshalb ist es richtig, dass wir uns darüber Gedan-ken machen, was notwendig ist, damit nicht nur jetzt,sondern auch in Zukunft Wertschöpfung, Arbeit und Be-schäftigung in der Automobilindustrie in Deutschlandgeschaffen werden . Damit wir nicht den Anschluss anneue Antriebsarten verpassen, müssen wir die Hindernis-se aus dem Weg räumen, die in diesem Land die Ausbrei-tung von Elektromobilität verhindern . Das betrifft dreiBereiche .Wir haben erstens immer noch einen Preisunterschied .Es gibt zwar inzwischen auch im Bereich der Elektro-mobilität ganz viele deutsche Modelle, aber wir habennach wie vor einen Preis-Gap zwischen konventionellenAntrieben und Elektroantrieben . Wir müssen zweitensetwas tun für die Ladeinfrastruktur in diesem Land . Unddrittens müssen die Reichweiten – das betrifft den Be-reich Batterieforschung – erhöht werden, damit die Elek-tromobilität endlich zum Durchbruch kommt .Minister Gabriel hat es vorhin deutlich gesagt: Jetzt istdie Zeit, zu handeln, damit wir das gesetzte Ziel – 1 Mil-lion Elektrofahrzeuge bis 2020 – tatsächlich erreichenkönnen und nicht verfehlen .
Deshalb müssen wir uns in der Koalition verständigen .Wir haben Vorschläge für Marktanreizprogramme ge-macht .
Hubertus Heil
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– Herr Kauder, Sie werden sich an dieser Stelle auchnoch korrigieren; das sage ich Ihnen .
Ich bin ja sehr froh, dass einige in der Union jetzt weitersind .
Da will ich ausnahmsweise Frau Aigner und HerrnSeehofer einmal kräftig loben, die uns in unseren Vor-stellungen unterstützen, weil sie begriffen haben, wiewichtig es ist – nicht nur für Bayern, sondern für ganzDeutschland –, dass wir eine zukunftsfähige Automobil-industrie in Deutschland haben .
Ich füge aber auch hinzu: Wenn wir Anreize geben,dann erwarten wir von der deutschen Automobilindustrieeine Gegenleistung . Diese Gegenleistung besteht darin,dafür zu sorgen, dass wir bei uns die gesamte Wertschöp-fungskette aufbauen . 40 Prozent der Wertschöpfung imBereich der Elektromobilität hat etwas mit Batterietech-nik zu tun . Da das so ist, wollen wir uns nicht daraufbeschränken, dass in Deutschland Fahrzeuge nur zusam-mengeschraubt werden, sondern wir wollen, dass dieganze Wertschöpfungskette aufgebaut wird .
Deshalb hat die deutsche Automobilindustrie, wenn wirAnreize geben, eine Verpflichtung, wieder in die Batte-rieproduktion in Deutschland einzusteigen . Das ist auchim Interesse von Beschäftigung in diesem Land .
Ich kenne viele Regionen in Deutschland wie bei-spielsweise in Sachsen – da schaue ich zum KollegenKretschmer – oder auch in Niedersachsen, in denen wirnicht nur Forschung im Bereich der Batterietechnologi-en, sondern auch wirklich wieder Produktion brauchen .Wir wollen die Batterietechnik nach Deutschland zu-rückholen, sonst werden wir in diesem Bereich abge-hängt, meine Damen und Herren .
Zum Schluss . Es ist angesprochen worden: Beim The-ma Flüchtlinge – das hat etwas mit der ökonomischenEntwicklung dieses Landes zu tun – sind wir im Momentin der Lage, vieles zu schaffen, weil es wirtschaftlich gutläuft . Aber umgekehrt müssen wir jetzt auch eine gan-ze Menge schaffen, damit wir tatsächlich wirtschaftlicheund soziale Integration in diesem Land leisten, damit wirunsere Gesellschaft zusammenhalten, damit wir diejeni-gen, die zu uns gekommen sind und die dauerhaft beiuns bleiben werden, tatsächlich gut integrieren können .Da geht es um Sprache . Es geht um Schule . Es geht umberufliche Ausbildung. Es geht um die Integration in Ar-beit . Es geht auch um Wertevermittlung . Deshalb sindjetzt neben den privatwirtschaftlichen und infrastruktu-rellen Investitionen die sozialen Investitionen das Gebotder Stunde .Ich will das an einem Aspekt verdeutlichen: Alleindurch die Entwicklung der Flüchtlingszahlen im letztenJahr haben wir 300 000 zusätzliche Kinder und Jugendli-che im schulpflichtigen Alter. Wir brauchen Investitionenin unsere Schulen, in Bildung und Ausbildung . Ich sagean dieser Stelle: Da muss auch der Bund mitmachen kön-nen . Deshalb muss dieses unsinnige Kooperationsverbotan dieser Stelle endlich weg, sonst erleben wir Unfrieden,
sonst verschlechtert sich die Unterrichtsqualität für dieSchüler, die schon hier sind, und wir schaffen die Inte-gration nicht .
Herr Kollege .
Aber vor allen Dingen – das ist der Zusammenhang
mit der Wirtschaft – hat die Wirtschaft recht .
Herr Kollege Heil, würden Sie freundlicherweise ge-
legentlich einmal einen Blick auf die Uhr werfen?
Gerne, Herr Präsident . – Oh, da ist ja eine Uhr .
Deshalb sage ich zum Schluss – mit Verlaub, Herr Prä-
sident, danke für die Erinnerung –: Dieses Land ist ein
starkes Land . Wir haben eine starke Wirtschaft . Wir ha-
ben einen starken, handlungsfähigen Staat, vor allem ha-
ben wir aber eine starke Gesellschaft . Das sind die Vo-
raussetzungen dafür, dass wir es wirtschaftlich und sozial
tatsächlich schaffen können .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Joachim Pfeiffer ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirsprechen heute über den Jahreswirtschaftsbericht undden Ausblick auf 2016 und 2017 . Der Bericht ist durch-aus erfreulich; der Wirtschaftsminister hat dies eingangsvorgetragen .Das war nicht immer so . Wenn wir zurückblicken:Vor 12, 13, 14 Jahren – ich bin seit 2002 im DeutschenBundestag – war der Jahreswirtschaftsbericht immer un-Hubertus Heil
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erfreulich . Wir hatten damals die Situation, dass die Zahlder Arbeitslosen zunahm .
Hunderttausend Menschen mehr in Arbeitslosigkeit sindein enormer Kostenfaktor für die öffentliche Hand . ProArbeitslosen sind das im Jahr 18 000 bis 19 000 Europlus weitere sekundäre Effekte, also weniger Steuerein-nahmen und anderes mehr, in einer Größenordnung von15 000 Euro . Das bedeutet: Wir, die öffentlichen Haus-halte, hatten 2003 – um einen Zehnjahreszeitraum zuwählen – direkte und indirekte Ausgaben für die Folgender Arbeitslosigkeit in Höhe von 92 Milliarden Euro proJahr: Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosengeld I, Ar-beitslosengeld II, Zahlungen in die Sozialversicherungaus den öffentlichen Kassen und weniger Einnahmen beiden Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen . Umge-kehrt bedeuten aber Hunderttausend Menschen mehr inArbeit allein 1,3 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmenpro Jahr . Das ist der Haupterfolgsgrund, warum es uns inDeutschland immer noch so gut geht .Sigmar Gabriel hat vorhin darauf hingewiesen:43,3 Millionen Menschen in diesem Jahr, wahrscheinlich43,7 Millionen Menschen im nächsten Jahr in Lohn undBrot . Um noch einmal die Zahlen von 2003 und 2013zu vergleichen: 2003 haben wir insgesamt 92 MilliardenEuro ausgegeben, 2013 nur noch 54 Milliarden Euro .Rechnet man dieses auf das BIP um, so ist die Quote vonüber 4 Prozent auf circa 2 Prozent gesunken . Das machtdeutlich, wo wir einen Spielraum hatten . Diesen Spiel-raum haben wir für Strukturreformen am Arbeitsmarktgenutzt, um aus dem Teufelskreis von mehr Arbeitslosen,weniger Sozialversicherungseinnahmen und wenigerSteuereinnahmen herauszukommen .Die Agenda 2010 war ein wichtiger Punkt . Diese istheute oftmals etwas vater- oder mutterlos .
Ich glaube, es war genau der richtige Weg . Wir müssenjetzt aufpassen, dass wir diese zentralen Strukturrefor-men, die Flexibilisierung am Arbeitsmarkt, nicht wiederrückgängig machen .Wir haben sie genutzt, um mehr in Innovationen zu in-vestieren . Die Ausgaben für Forschung und Entwicklungsind heute so hoch wie nie zuvor, und sie werden zielge-richtet in neue innovative Felder und Sektoren investiert .Gleichzeitig haben wir die Haushalte konsolidiert . Wirwerden auch in 2016 eine Nullverschuldung haben unddie Konsolidierung weiter vorantreiben . Deutschland isteines der wenigen Länder in Europa, in denen die Staats-verschuldung sinkt . Wir hatten eine Quote von über83 Prozent auf dem Höhepunkt der Krise . Jetzt liegt siebei unter 70 Prozent, und wir gehen in Richtung 60 Pro-zent, so wie es das Maastricht-Kriterium vorsieht . Das istdie Folge von Konsolidieren und Investieren .Diesen Teufelskreis haben wir verlassen . Jetzt sindwir sozusagen in einer Art Glücksspirale und müssendiesen Weg weiter fortsetzen .
Glück fällt einem aber nicht einfach nur vor die Füße,sondern Glück ist auch das Ergebnis harter Arbeit vonUnternehmen und Arbeitnehmern, aber auch von Konso-lidieren und Investieren . Gerade in die Richtung der Grü-nen kann ich sagen: Man kann das auch anders machen .Schauen Sie nach Baden-Württemberg .
In Baden-Württemberg haben Sie es in der Zeit IhrerRegierungsverantwortung geschafft, den Haushalt um30 Prozent aufzublähen und die höchste Verschuldungin der Geschichte Baden-Württembergs herbeizuführen .
So ist das, wenn man den Grünen und leider auch denSozialdemokraten in Baden-Württemberg die Regierungüberlässt . Wie man das bei gleichen Rahmenbedingun-gen anders macht, haben wir hier im Bund gezeigt .
Jetzt geht es darum, die Wachstumspotenziale weiterzu heben . Der Freihandel ist angesprochen worden . HerrErnst, es wird immer abstruser . Sie haben keine einzigeAussage zum Inhalt gemacht . Jetzt haben Sie Zugang zuentsprechenden Dokumenten, und jetzt ist es auch wiedernicht recht .
– Melden Sie sich einmal an . Ich habe es getan . Wir spre-chen uns dann in der nächsten Sitzungswoche und sehen,welche Dokumente dort sind und welche nicht .Sie vergleichen hier Amerikaner mit Deutschen .Aber es ist so, dass die amerikanischen Kolleginnen undKollegen – im Gegensatz zu uns – hier federführendverhandeln, weil die USA mit der Europäischen Unionverhandeln . Wir hingegen haben dieses Mandat übertra-gen . Die Europäische Union hat von uns ein Mandat zurVerhandlung bekommen . Die europäischen Kolleginnenund Kollegen, die in diesem Ausschuss sind, haben diegleichen Rechte wie die Amerikaner . Insofern lassen Sieuns über die Sache reden und nicht immer irgendwelcheScheingefechte austragen .
Dann gilt es, neue Technologien zu fördern .Dr. Joachim Pfeiffer
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Herr Kollege Pfeiffer, darf der Kollege Ernst eine
Zwischenfrage stellen?
Unbedingt .
Herr Pfeiffer, Sie haben sicher zur Kenntnis genom-
men, dass das Thema Transparenz ein zentrales Thema
der TTIP-Debatte ist . Wenn das so passiert, wie Sie es
jetzt sagen, wenn Sie so argumentieren, dann akzeptieren
Sie, dass die europäischen Abgeordneten, die EU, letzt-
endlich verhandeln und zu einem Abschluss kommen und
dass die nationalen Parlamente das Ergebnis nur noch ab-
nicken können . Wir waren immer gemeinsam der Auf-
fassung, dass es sich um ein gemischtes Abkommen han-
delt, dass also auch die Parlamente der nationalen Staaten
mitreden und mit Einfluss nehmen dürfen. Ich habe auch
Herrn Lammert, unseren Bundestagspräsidenten, so ver-
standen, als er sagte, er könne sich eine Zustimmung ei-
gentlich nicht so vorstellen, dass man nur abnickt . Ich
weiß nicht, wie ich Ihre Aussage hier werten soll .
Herr Pfeiffer, schauen Sie sich die Richtlinien an, die
uns zugegangen sind . Fakt ist: Wenn wir diese Räume be-
treten, dann werden wir behandelt, als würden wir einen
Schwerverbrecher in einem Sicherheitsknast besuchen .
Ich bin es nicht gewohnt, dass hinter mir ein Mitarbei-
ter des Sicherheitsdienstes steht, wenn ich irgendwelche
Unterlagen lese . Ich bin es auch nicht gewohnt, dass ich
sozusagen alles abgeben muss . Ich bin es auch nicht ge-
wohnt – und ich wiederhole das noch einmal; denn Sie
haben dazu nichts gesagt –, dass selbst die Regeln, die
wir als Abgeordnete bei der Einsicht in diese Dokumente
beachten müssen, geheim sind . Ja, Herr Pfeiffer, geht es
denn noch? Wollen Sie das wirklich positiv bewerten?
Zunächst sage ich: Wie das mit dem Sicherheitsdienst
oder dem Staatssicherheitsdienst funktioniert, das kann
ich nicht beurteilen . Da kenne ich mich nicht aus . Fra-
gen Sie Frau Wagenknecht, die weiß das wahrscheinlich
besser als ich .
Ich kann Ihnen aber gern etwas zum Freihandel und
zu TTIP sagen . Was ist die Vereinbarung? Wir haben im
Lissabon-Vertrag zuletzt das Verhandlungsmandat auf
die Europäische Union übertragen . Wir, und zwar nicht
nur Deutschland, sondern 28 Staaten der Europäischen
Union, haben gesagt: Es gibt einen Verhandlungsrahmen,
innerhalb dessen die Europäische Union verhandelt . Die
Europäische Union informiert uns regelmäßig über den
Stand der Verhandlungen .
In der letzten Sitzungswoche war die zuständige Kom-
missarin Malmström hier bei uns im Ausschuss und hat
uns zum aktuellen Verhandlungsstand in allen Punkten
Rede und Antwort gestanden . Sie waren dabei . Wir wa-
ren im November in Brüssel und haben mit ihr gespro-
chen . Die Chefunterhändler sind ständig hier . Ich kann
überhaupt nicht erkennen, wo es hier in der Sache oder
bei sonst etwas an Transparenz fehlt und wo es bei Ihnen
ein Informationsdefizit gibt. Wo das bei Ihnen besteht,
würde mich mal interessieren . Sie haben heute keinen
einzigen Satz zu der Sache gesagt, um die es geht .
Die Vermutung liegt nahe, dass es bei Ihnen nicht um die
Sache geht,
sondern dass Sie dieses Thema als Monstranz vor sich
hertragen . Sie projizieren alle möglichen Ängste und Be-
fürchtungen auf TTIP und begründen damit, gegen TTIP
zu sein . Das ist, was ich kritisiere .
TTIP bietet die letzte Chance, die Globalisierung ge-
meinsam mit den Amerikanern mit unseren Standards,
in unsere Richtung zu gestalten . Sonst werden es andere
tun .
Herr Präsident, ich bin eigentlich immer noch bei der
Beantwortung der Zwischenfrage .
Ja, ich weiß, dass die Kreativität von Rednern, Zwi-
schenfragen zu einer Verdoppelung der Redezeit zu nut-
zen, nahezu unbegrenzt ist . Dem muss ich mit Blick auf
unser eigenes, beschlossenes Zeitregime widerstehen . –
Bitte schön .
Dann muss ich allerdings mit den Wachstumspotenzi-alen fortfahren . –
Wachstumspotenziale birgt nicht nur der Freihandel, son-dern auch der Energiebereich . Es geht darum, dass wirbezahlbare Energiepreise haben; Kollege Fuchs hat esausgeführt .
Um es deutlich zu machen: Wir haben in dieser Koalitiongemeinsam Ausbaupfade bis 2020, 2025 und 2030 verab-redet . Dem haben auch die Bundesländer – auch die untergrüner Beteiligung – zugestimmt . Jetzt zeigt sich, dassder Ausbau schneller vorangeht und wir die Erzeugungs-mengen des Jahres 2030 wahrscheinlich bereits 2019 er-reichen, der Netzausbau aber weitaus schleppender undlangsamer vorangeht . Deshalb müssen wir hier korrigie-ren und die Dinge entsprechend zueinanderbringen .Ich möchte noch kurz auf das Thema Digitalisierungeingehen . Es birgt ungeahnte Chancen, dass die physi-sche mit der digitalen Welt verschmilzt und wir eine neueVernetzung von Produktion, Logistik und Kunden errei-chen, die wir auch in unseren traditionellen industriellen
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Bereichen nutzen müssen . Ich möchte an dieser Stelle dieGelegenheit nutzen, darauf hinzuweisen, dass damit auchGefahren verbunden sind, denen wir uns stellen müssen,Stichwort: Cyber Crime und Cybersicherheit . 40 Prozentaller Branchen waren in den letzten zwei Jahren von Cy-berkriminalität betroffen; die Zahlen haben sich in denletzten Jahren erhöht . Bei den Finanzdienstleistern warenes sogar 55 Prozent . Der Schaden in den Jahren 2013 und2014 wird auf eine Größenordnung von 50 bis 60 Milli-arden Euro geschätzt, also mehr als 1 Prozent des Brut-toinlandsprodukts .Wir müssen auch darüber sprechen, wie wir das geis-tige Eigentum insbesondere des Mittelstands schützenkönnen, wie wir dafür sorgen können, dass die Dateneines Unternehmens, das an einer Ausschreibung teil-nimmt, nicht den Wettbewerbern oder anderen Staatenbekannt werden . Das ist eine Aufgabe, der wir uns imRahmen der Digitalisierung widmen müssen .Wenn es uns gelingt, in der Glücksspirale zu bleiben,in der wir uns befinden,
indem wir die wirtschaftliche Entwicklung mit Innova-tionen, mit Digitalisierung und mit Flexibilisierung amArbeitsmarkt und am Gütermarkt befeuern, dann wirdes auch in den nächsten Jahren Grund zur Freude geben,wenn es gilt, den Jahreswirtschaftsbericht vorzustellen,dann werden wir weiterhin eine positive Entwicklungkonstatieren können . In diesem Sinne arbeiten wir in die-sem Jahr daran, dass es im nächsten Jahr so weitergehenkann .Vielen Dank .
Die Kollegin Wawzyniak erhält nun für die Fraktion
Die Linke das Wort .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! Herr Gabriel, Sie haben jetzt in Ihrer 22Minuten langen Regierungserklärung zum Thema „Zu-kunftsfähigkeit sichern – Die Chancen des digitalenWandels nutzen“ für zwei Minuten vier digitale The-men angeschnitten . Ich dachte ja eigentlich, heute käme Digi-Siggi, der Checker des Digitalen . Sie sind aber Analog-Siggi geblieben .
Dieser Umgang mit Chancen des digitalen Wandels istein Problem . Wir brauchen – besser gestern als heute –Antworten auf die Herausforderungen, die mit der Digi-talisierung einhergehen, und zwar solche, von denen alleprofitieren können. Wie Sie mit diesem Thema umgehen,ist wenig zukunftsfähig .
Dabei steht doch im Jahreswirtschaftsbericht sogar et-was zum Digitalen . Ich sage Ihnen gleich etwas zu dem,was da ab Ziffer 110 steht, nämlich zu Netzneutralität,Störerhaftung und Breitbandausbau .
– Ja, diese wichtigen Themen kamen aber leider nichtvor .Dass die Störerhaftung beim Betreiben offenerWLAN-Netze das größte Hindernis für die Verbreitungöffentlicher Funknetze ist, gilt als unbestritten . Und dassoffene Funknetze hilfreich wären, um Menschen mit ge-ringem Einkommen und Geflüchteten einen Internetzu-gang zu ermöglichen und innovative Geschäftsideen zufördern, liegt auf der Hand .
Doch statt die Störerhaftung abzuschaffen, zementierenSie sie . Grüne und Linke haben einen entsprechendenGesetzentwurf vorgelegt, dem könnten Sie zustimmen .Wenn Sie uns nicht vertrauen, dann vertrauen Sie demArbeitskreis Urheberrecht der SPD-Bundestagsfraktion .Der fordert nämlich, dass WLAN-Anbieter als Zugangs-anbieter nicht für Rechtsverletzungen ihrer Nutzer haf-ten, auch nicht im Rahmen der Störerhaftung . Und da hatder Arbeitskreis Urheberrecht der SPD-Bundestagsfrak-tion recht .
Nun soll der Telekom erlaubt werden, DSL-Anschlüs-se mithilfe des Einsatzes des sogenannten VDSL2-Vec-toring an den Hauptverteilern zu beschleunigen . Dummnur, dass dadurch verhindert wird, dass Konkurrenten derTelekom ihre Technologie einsetzen können
und ein neues Quasimonopol der Telekom geschaffenwird . Kein Wunder, dass die Mitbewerber überlegen, vordas Bundesverfassungsgericht zu ziehen .
Sie geben beim Breitbandausbau veralteten Technologi-en den Vorrang, anstatt den Glasfaserausbau zu unterstüt-zen . Sie können damit zwar möglicherweise in ein paarJahren das Erreichen eines niedrigen Ziels verkünden,aber in zehn Jahren stehen wir vor demselben Problem .Sie vertagen die Lösung des Problems und verspieleneine große Chance .Sie sagen, Sie wollen Start-ups fördern, um endlich ei-nen Gegenpol zum Silicon Valley in Kalifornien zu schaf-fen . Ein Grundpfeiler für Chancengerechtigkeit kleinerIT-Unternehmen ist aber die Netzneutralität . Doch stattDr. Joachim Pfeiffer
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jetzt tätig zu werden und wenigstens das bisschen Netz-neutralität aus der EU-Verordnung abzusichern, wartenSie lieber ab und lassen so die Start-ups im Stich . Han-deln Sie doch einfach, wie im Antrag der Linken emp-fohlen . Wenn Sie dann noch etwas für kleine und mittlereUnternehmen machen wollen, dann setzen Sie doch ein-fach bei öffentlichen Aufträgen auf Open-Source-Soft-ware und nicht auf Software großer Konzerne .
Über die Veränderungen der Erwerbsarbeitswelt durchDigitalisierung wäre noch viel zu sagen . Ich will nur kurzauf die Situation von Click- und Crowdworkern auf-merksam machen, die sich von einem schlecht bezahltenAuftrag zum nächsten hangeln . Der Mindestlohn greifthier nicht, viele sind selbstständig . Es wäre also an derZeit, ein Mindesthonorar einzuführen, das allen prekärarbeitenden Selbstständigen zugutekäme .
Wenn man darüber spricht, die Chancen der Digita-lisierung zu nutzen, könnte man auch über viele andereThemen sprechen, nämlich Datenschutz, Urheberrecht,IT-Sicherheit, Bildung, Weiterbildung, Nachhaltigkeitund Landwirtschaft . Kluge, konkrete und zügige Maß-nahmen würden dabei helfen, die Chancen der Digitali-sierung so zu nutzen, dass alle davon profitieren. Aber –wir haben es gehört – diese Regierung hat nicht einmalIdeen, geschweige denn einen Plan, den man umsetzenkönnte .
Ich erteile das Wort dem Kollegen Bernd Westphal für
die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! DerJahreswirtschaftsbericht 2016 ist eine Erfolgsstory . Trotzeines europäischen und globalen Umfelds der Unsicher-heit ist es gelungen – das belegt der Bericht –, dass sichdie Wirtschaft gut entwickelt hat . Einige Kennzahlenhat der Bundeswirtschaftsminister genannt: Beschäfti-gung, gute konjunkturelle Lage und die Einkommen sindgestiegen – alles gute Parameter für eine positive Ent-wicklung . Dieses Ergebnis ist sicherlich Auswirkung derklugen Wirtschaftspolitik unseres WirtschaftsministersSigmar Gabriel, guter Unternehmensführung, aber vorallem ist es das Verdienst von engagierten, motiviertenund gut ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmern in unserem Land .
Diese positive Entwicklung gilt es nun zu erneuern .
Herr Fuchs, Sie haben das Stichwort der Entbürokrati-sierung gebracht . Lassen Sie mich darauf hinweisen, dasswir die Chance haben, in § 6 des Einkommensteuerge-setzes die Grenze für die sofortige Abschreibung gering-wertiger Wirtschaftsgüter von 400 Euro auf 800 Euro zuerhöhen . Wir sollten zusehen, dass mehr direkt bei denUnternehmen ankommt, und entsprechende Regelungenauf den Weg bringen .
Wir brauchen eine Politik für Fortschritt und Gerech-tigkeit . Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor dem digi-talen Wandel . Es ist enormes Potenzial vorhanden . Eingroßer Teil des Jahreswirtschaftsberichts widmet sichdiesem Thema . Stichworte sind „Industrie 4 .0“ und „Ar-beit 4 .0“ . Das Potenzial dieser vierten industriellen Re-volution müssen wir heben . Dafür sind Investitionen undInnovationen notwendig . Nachhaltig erfolgreiche Unter-nehmen zeichnen sich durch ein innovationsfreundlichesUmfeld aus . Bedeutung erlangen dabei vor allen Dingengute Arbeitsbedingungen, Mitbestimmung, starke Ge-werkschaften und eine starke, verlässliche, vertrauens-volle Sozialpartnerschaft . Das sind die Voraussetzungendafür .Deutschland ist von der industriellen Produktion undvom Export abhängig . Industrie, Handwerk, Mittelstandsind Garanten unseres Wohlstands . Sie sorgen für Ein-nahmen bei den Sozialversicherungen und für hohe Steu-ereinnahmen der öffentlichen Hand . Die europäischeIntegration und faire Handelsbedingungen sind dement-sprechend zu gestalten . Wir brauchen in dem Fall mehrEuropa und nicht weniger .
Wir haben einen berechenbaren Kurs bei der Energie-wende . Das Prinzip der Nachhaltigkeit wird dabei deut-lich sichtbar; denn wir haben sinkende CO2-Emissionenund ein steigendes Bruttoinlandsprodukt . Das ist einesehr gute Situation. Global betrachtet findet aber das Ge-genteil davon statt: Da haben wir steigende CO2-Emis-sionen .Wir müssen aber darauf achten, dass wir uns beimAusbau des Bereichs der erneuerbaren Energien an demKorridor orientieren, der im Koalitionsvertrag vereinbartwurde . Vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dassder Netzausbau synchron dazu verläuft .
Derzeit benötigen wir für eine verlässliche Energiever-sorgung auch fossile Energieträger, zumindest so lange,wie PV, Wind, Speicher und Co . nicht ausreichend zurVerfügung stehen . Wir dürfen uns keine unkalkulierbarenAusstiegsszenarien leisten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Anmerkungzum Thema Flüchtlinge: Die aktuelle Situation ist sicher-lich eine Herausforderung, an einigen Stellen aber auchHalina Wawzyniak
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eine Überforderung . Wir wollen Grund- und Menschen-rechte nicht außer Kraft setzen, aber die Integrations-kapazitäten stoßen an ihre Grenzen . Die Probleme sindvielschichtig, sie sind komplex und teilweise auch kom-pliziert . Abgesehen von der Bewältigung des derzeitigenZustroms brauchen wir für die Zukunft ein verlässlichesEinwanderungsgesetz, mit dem genau dieser Zustromgesteuert wird . Deshalb müssen wir uns trotz der gegen-wärtig schwierigen Situation jetzt auf den Weg machen,um so etwas für Deutschland als Einwanderungsland zuvereinbaren .
Herr Hofreiter, Sie haben gesagt, dass Sie das Thema„Nachhaltigkeit“ im Jahreswirtschaftsbericht vermissthaben . Als Mitglied des Parlamentarischen Beirats fürnachhaltige Entwicklung darf ich Sie darauf aufmerk-sam machen, dass der Jahreswirtschaftsbericht ein Ka-pitel enthält, in dem steht, dass die globalen Nachhaltig-keitsziele, die in New York im September letzten Jahresvereinbart worden sind, die Richtschnur für unsere Wirt-schaftspolitik sind . Es ist also nicht so, wie Sie es gesagthaben; denn unsere Wirtschaftspolitik orientiert sich ge-nau an diesen Nachhaltigkeitszielen, und das ist in die-sem Bericht klar zu erkennen .
Wir als SPD stellen die Weichen für ein modernes,weltoffenes und wettbewerbsfähiges Deutschland . Wirkönnen Wirtschaftspolitik!Herzlichen Dank . Glück auf!
Dieter Janecek ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Kollege Pfeiffer,mit dem Bild von der Glücksspirale, das Sie im Zusam-menhang mit der Wirtschaftspolitik der Bundesregierunggezeichnet haben, bin ich ja sehr einverstanden; aber daendet dann schon die Einigkeit .Ich habe eine Frage an den Minister . Sie schreiben inder Großen Koalition ja viele Briefe . Ich weiß nicht, obSie in der Großen Koalition auch noch miteinander re-den .
Diesbezüglich hätte ich gerne eine Stellungnahme vonIhnen zur Flüchtlingspolitik . Herr Minister Dobrindt hatgesagt, dass Grenzschließungen eine gute Sache seien .44 Abgeordnete der CDU sagen, dass Grenzschließungenund verschärfte Grenzkontrollen gut seien . Entsprichtdas der Meinung des Wirtschaftsministers? Sind Sie derMeinung, dass das für eine vernetzte Ökonomie gut ist?Sind Sie der Meinung, dass Staus auf den Autobahneninfolge geschlossener Grenzen für unsere Wirtschaft gutsind? Glauben Sie nicht, dass wir dadurch Milliardenverlieren würden? Dazu hätte ich gerne einmal eine Stel-lungnahme von Ihnen . Sagen Sie hier einmal, ob das, wasHerr Dobrindt sagt, auch Ihrer Position entspricht .
Die Debatte heute stand ja unter der großen Über-schrift: Chancen des digitalen Wandels . Gesprochendazu haben eigentlich ausschließlich die Linken und einbisschen noch Sie . In der einen Minute Redezeit, die mirjetzt verbleibt, versuche ich, das Thema aufzumachen .Was ist dazu zu sagen?
Sie haben ja groß angefangen: die Champions League,die Aufholjagd . Vielleicht waren das auch die Worte vonHerrn Dobrindt . Ich glaube, bei Ihnen nimmt man esdifferenzierter wahr . Aber man muss sich auch um denMarkt, um die Rahmenbedingungen kümmern . Da frageich Sie: Wo waren Sie zum Beispiel beim Thema Netz-neutralität? Sie auf der rechten und Sie auf der linkenSeite, Ihre Parteikollegen haben im Europäischen Parla-ment dagegengestimmt, dass wir faire Wettbewerbsbe-dingungen bekommen . Das kann es ja wohl nicht sein .
Schauen wir uns das Thema Breitband an . Die Auto-bahnen sollen jetzt untertunnelt werden . Das ist ja allesschön . Aber gerade einmal jedes dritte Unternehmen hatmomentan schnelles Internet . Das ist die Realität 2016 .So kommen wir wirklich nicht voran .
Thema E-Government . In Estland braucht man heutekeinen Kugelschreiber mehr . Vertreter des Bundesinnen-ministeriums waren bei uns im Ausschuss Digitale Agen-da . Ich habe sie gefragt: Was machen Sie denn in dennächsten Jahren? – Sie haben geantwortet: Na ja, 2020fangen wir vielleicht einmal an; denn kulturell ist dasmit unseren Behörden, mit unserer Bundesbehörde ganzschwierig . – Wo sind die 45 Milliarden Euro Einsparpo-tenzial, die der Normenkontrollrat im Zusammenhangmit dem E-Government genannt hat? Wo realisieren Siedieses Potenzial? Wo gehen Sie das an? Die Unterneh-men haben 130 Behördengänge pro Jahr . Sie würden dasgern digital machen . Dazu würde ich Ihnen gern ein paarVorschläge mitgeben .Vielen Dank . So weit für heute .
Bernd Westphal
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Nadine Schön fürdie CDU/CSU-Fraktion .
Nadine Schön (CDU/CSU):Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lieber Kollege Janecek, jetzt hätte mich dochinteressiert, welche Vorschläge Sie in Ihren zwei Minu-ten Redezeit zum digitalen Wandel machen .
Dazu haben Sie sich leider keine Zeit mehr genommen .Aber vielleicht sagen Sie in einer der kommenden Debat-ten etwas dazu .
Leistungsfähig, wettbewerbsfähig und zukunftsfä-hig – das sind die drei Schlagworte, die heute immerwieder genannt werden . Dass wir leistungsfähig undwettbewerbsfähig sind, bestätigen, denke ich, dieserWirtschaftsbericht und die Zahlen . Wir haben die ge-ringste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung . Wirhaben ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent . DieLöhne steigen . In diesem Jahr steigen auch die Rentendeutlich . Ich denke, das kann sich sehen lassen . Das istdas Ergebnis von guten politischen und wirtschaftlichenWeichenstellungen in den letzten Jahren .Ob wir zukunftsfähig sind, hängt jetzt von uns ab .Das ist die Aufgabe dieser Regierung in dieser Legisla-turperiode . Sie haben zu Recht angesprochen, dass einFaktor dafür die Digitalisierung ist . Die Digitalisierungwird darüber entscheiden, ob wir auch in Zukunft Ar-beitsplätze in unserem Land haben, ob wir noch Wohl-stand in unserem Land haben und ob wir wirtschaftlichweiterhin erfolgreich sind . Wenn ein soziales Netzwerkinnerhalb von wenigen Jahren mehr wert ist als ein In-dustriekonzern, der jahrzehntelang gewachsen ist, wenndie Wertschöpfung im Bereich des Automobils heute na-hezu komplett aus der Software kommt und eben nichtmehr aus der Hardware, aus der Karosserie, wenn sichinnerhalb von wenigen Monaten ganze Branchen, ganzeWertschöpfungsketten, ganze Geschäftsmodelle ändern,dann spüren wir, dann merken wir, dass sich durch dieDigitalisierung auch die Kräfteverhältnisse im Wirt-schaftsleben komplett ändern .Für uns ist klar: Wir wollen an der Spitze marschieren .Wir wollen dazugehören . Wir wollen das WachstumslandNummer eins in der Welt sein . Wir wollen in der digita-lisierten Welt global genauso wirtschaftlich erfolgreichsein, wie wir es in den letzten Jahren waren .
Dazu braucht es zwei Stoßrichtungen . Zum einen gehtes darum, komplett neue Lösungen und Geschäftsmodel-le mit auf den Weg zu bringen . Es ist ein Drama, dassSAP das einzige große Softwarehaus in Deutschland undEuropa ist und wir nur mit amerikanischen und asiati-schen Konkurrenten im Wettbewerb stehen . Zum ande-ren geht es darum, dass wir die Geschäftsmodelle unsererklassischen Wirtschaft, die uns über all die Jahre erfolg-reich gemacht hat, anpassen, dass sich der Mittelstand,die Industrie, aber eben auch Dienstleistungsunterneh-men, die Energiewirtschaft, Unternehmen im Bereich derMobilität und das Gesundheitswesen auf die Herausfor-derungen der Digitalisierung einstellen .Wir haben gute Voraussetzungen . Wir haben hohe In-vestitionen in Forschung und Entwicklung . Wir habeneine vitale Start-up-Szene . Wir haben Vorzeigeberei-che, mit denen wir im Hinblick auf Industrie 4 .0 schonsehr gut sind, etwa beim Anlagenbau . Wir sind gut inder IT-Sicherheit . Wir haben also wirklich gute Voraus-setzungen . Es gibt aber auch – das muss man ebenfallssagen – Probleme und Herausforderungen . Diese gilt esanzupacken .Es fehlt eine leistungsfähige Breitbandinfrastruktur;das packen wir gerade in dieser Legislaturperiode ge-meinsam an .
Bei Bildung und Ausbildung haben wir Nachholbedarf .Noch sind unsere Schulen in der Kreidezeit verhaftet .Digitalisierung ist in kaum einem Bundesland ein großesThema . Wir als Fraktion haben mit der Strategie „Digita-les Lernen“ ein gutes, kluges Konzept vorgelegt; das giltes gemeinsam umzusetzen .Unsere Verwaltung ist noch in alten Strukturen ver-haftet . Jetzt, in der Flüchtlingskrise, merken wir, dasswir hier an unsere Grenzen kommen . Die große Chancedieser Krise ist, dass wir es schaffen, die Verwaltung zumodernisieren, schneller und flexibler zu werden und alteStrukturen aufzubrechen; denn wir sehen, dass es sichlohnt, alte Strukturen aufzubrechen, neue Formen derZusammenarbeit zu entwickeln und Prozesse zu digita-lisieren . Hier bin ich Minister de Maizière und Staatsse-kretär Fritsche sehr dankbar, dass sie das so entschiedenangehen .
Elementar wichtig ist, dass wir die gesetzlichen Rah-menbedingungen so anpassen, dass sie Innovationenermöglichen . Deshalb, Herr Minister Gabriel, wird esleider nicht reichen, nur zu versuchen, die Großen – Google und Amazon – zu zähmen . Wir müssen auchdafür sorgen, dass die Kleinen, die es in unserem Landbereits gibt, groß werden und die Innovationskraft, diein unserem Land vorhanden ist, gestärkt wird . Wir müs-sen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass wir deninnovativen Köpfen in unserem Land alle Möglichkeitengeben, zu wachsen und mit den Großen zu konkurrieren .
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Hier haben wir noch einiges vor uns, und da ist jeder vonuns gefragt .Reden Sie zum Beispiel mit Ihrem Kollegen Maas!Solange er noch am Dogma der Datensparsamkeit fest-hält, ist es für kleine Start-ups unheimlich schwer, in derdigitalen Welt mit innovativen Geschäftsmodellen er-folgreich zu sein .
Wir sollten lieber auf Verantwortung und Haftung set-zen – das ist der richtige Weg –, statt nur auf Verbote,Beschränkungen und Regulierung .
Reden Sie mit Ihrer Kollegin Nahles! Die Arbeitsstät-tenverordnung, die festschreibt, wie weit der Abstandzwischen Schreibtischkante und Bildschirmtastatur seinmuss, passt leider nicht mehr in Zeiten des mobilen Ar-beitens und des Homeoffice.
Deshalb ist es wichtig, dass wir heute Rahmenbedingun-gen setzen, die Innovationen ermöglichen und Freiheitenschaffen, damit wir die Chance der Digitalisierung, wiees auch im Jahreswirtschaftsbericht heißt, nutzen können .
Frau Kollegin .
Nadine Schön (CDU/CSU):
Denn nur dann sind wir zukunftsfähig, und nur dann
sind wir in Zukunft sowohl wettbewerbsfähig als auch
erfolgreich .
Vielen Dank .
Katharina Dröge ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, das, wasSie – und auch Herr Heil – hier heute gemacht haben, hatmich ein bisschen an Selbstbeschwörung erinnert . DieHälfte Ihrer Redezeit haben Sie darauf verwendet, unsvorzutragen: Uns geht es gut, die Wirtschaft brummt,
wir haben keine Koalitionskrise .
Man hatte den Eindruck, Sie müssen es nur oft genugsagen, damit Sie es auch selbst glauben .
Wenn man bilanziert, stellt man fest: Einen Koaliti-onspartner zu haben, der sich vor den Flüchtlingen fürch-tet, statt die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Po-tenziale zu sehen, ist schon eine Misere . Aber wenn mandann auch noch selbst keine Konzepte hat, weder in derFlüchtlingspolitik noch wirtschaftlich im Hinblick aufdie künftigen Herausforderungen für unser Land, dannist das schon ziemlich blöd, und dann ist Selbstbeschwö-rung wahrscheinlich nötig .
Wenn man sich Ihre Wirtschaftspolitik ansieht, mussman sagen: zu geringe Investitionen in Infrastruktur, er-neuerbare Energien und Bildung, keine koordinierte eu-ropäische Wirtschaftspolitik .
Zur Wettbewerbspolitik, die das Potenzial und die Krea-tivität der Unternehmen im Lande fördern soll, habe ichvon Ihnen in Ihrer Rede heute kein einziges Wort gehört .Dabei ist dies die Grundlage für die Zukunftsfähigkeitunserer Wirtschaft . Es wäre Ihr Job, hier faire Spielregelnzu schaffen . Genau da tun Sie aber nichts, bzw . Sie tundas Gegenteil: Sie fördern einseitig große Unternehmenzum Schaden von vielen kleinen und anderen Unterneh-men in diesem Land .
Das zeigt zum Beispiel Ihre Entscheidung zur Fusionvon Edeka und Tengelmann, die Sie gegen jede Expertiseund jeden Rat durchgedrückt haben .
Sie wird zur Folge haben, dass Edeka eine größereMarktmacht bekommen wird, dass das Unternehmen inder Lage sein wird, die Preise zu drücken und die Kondi-Nadine Schön
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tionen zu diktieren, und kleinere Supermärkte, Herstellerund Bauern in die Ecke gedrängt werden .
Diese Politik, die auf Große setzt und den Wettbewerbschädigt, wird auch an der Entscheidung der Bundesnetz-agentur deutlich, das Telekommonopol im Bereich desKupferkabels auszuweiten . Gestern haben Sie im Wirt-schaftsausschuss gesagt, dass Sie das für eine gute Ent-scheidung halten . Sie begrenzt aber den Glasfaserausbauund stellt die Wettbewerber in die Ecke . So nutzen Sieaus Ihrer Sicht die Chancen der Digitalisierung . Ich kannnur sagen: Damit haben Sie die Reise in die Vergangen-heit angetreten . Wirtschafts- und zukunftsfähig ist dasnicht .
Zum Schluss zum Thema „Digitalisierung und ihreBedeutung für die Wettbewerbspolitik“ . Sie haben jetztendlich gesagt, dass man bei der Fusionskontrolle auchdas Thema Datenmacht berücksichtigen müsse . Auchwir haben eine Brieffreundschaft miteinander . Wir habenschon viele Briefe geschrieben, in denen wir gefragt ha-ben, was Sie eigentlich mit dem Wettbewerbsrecht ma-chen und wie Sie auf die Herausforderungen der Digita-lisierung reagieren wollen .Im Mai vergangenen Jahres war in der FrankfurterAllgemeinen Zeitung zu lesen, dass Sie Google zerschla-gen wollen . Dann ist Ihnen aber aufgefallen, dass dasvielleicht doch etwas schwierig ist und dies deshalb viel-leicht doch eine etwas zu steile These ist . Danach kamlange nichts von Ihnen . Jetzt kommt nun vielleicht eineÄnderung bei der Fusionskontrolle . Hinzu kommen dieThemen AGB, Missbrauchskontrolle, Belastung der Ver-braucher usw . Hierzu fehlen Konzepte von Ihnen . Diesewären aber dringend notwendig; denn wir haben es mitGiganten im Internet zu tun, die Monopolisierungsten-denzen aufweisen .Vor allen Dingen haben wir es beim Thema „digitaleWirtschaft“ nicht mit einem normalen Gut zu tun, son-dern mit einem sehr sensiblen Gut . Dabei geht es auchum Datenschutz, Verbraucherschutz und sehr sensibleInformationen über unser tägliches Leben .Deshalb wäre es besonders wichtig, dass der Wirt-schaftsminister hinschaut . Sie haben aber viel zu langegewartet . Deswegen ist es dringend notwendig, dass Sieendlich handeln .
Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine Poschmann
für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Tatsache ist: Die wirtschaftliche Lage dermeisten kleinen und mittleren Unternehmen ist sehr gut,auch wenn sich das Klima laut ifo etwas eintrübt . VieleBetriebe konnten sich in den zurückliegenden Jahren einansehnliches Polster zulegen . Seit 1999 ist die Eigenka-pitalquote im Mittelstand von 2,6 Prozent auf 25 Prozentgestiegen . Das sind Bestwerte, die vor allem eines signa-lisieren: Unser Mittelstand ist stark und robust .
Leider hat die Medaille auch ihre Kehrseite . Die Be-triebe haben ihre Kapitalkraft gestärkt, dafür aber ihre In-vestitionen zurückgeschraubt . Die KfW hat bereits 2015darauf hingewiesen, dass gerade einmal 28 Prozent derkleinen und mittleren Betriebe in innovative Produkte in-vestieren . Das sollte uns Sorgen machen .Wer auf Innovationen verzichtet, verzichtet auf Wert-schöpfung und Arbeitsplätze . Ich rede nicht von den mit-telständischen Unternehmen, die in der Industrie 4 .0 an-gekommen sind . Ich rede von den kleinen und mittlerenBetrieben, die in der Regel sofort das Heft aus der Handlegen, wenn sie nur die Überschrift „Digitalisierung vonGeschäftsprozessen“ lesen . Ihnen müssen wir uns mehrwidmen .Wir müssen auch dem Handwerker um die Ecke un-ter die Arme greifen und ihm die Chancen aufzeigen, dieihm der digitale Wandel bietet: schnelle und effizienteProzesse, mehr Kunden und am Ende auch mehr Umsatz .Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mittelstand warund ist ein Innovationstreiber und Impulsgeber für dieWirtschaft . Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen,damit er dieser Rolle auch zukünftig gerecht werdenkann .Wir werden aufpassen, dass Unternehmen nicht abge-hängt werden, weil sie zu wenig in Forschung und Ent-wicklung investieren . Innovationsstarke Unternehmensind meist in der Lage, das teils wenig übersichtlicheFördersystem zu durchschauen, Anträge zu formulierenund Projekte umzusetzen . Kleine und mittelständischeUnternehmen, junge Dienstleister und Handwerker ha-ben damit aber Probleme . Sie benötigen ein transparen-tes und niedrigschwelliges Fördersystem, das einfachund unbürokratisch ist . Die Unternehmer wünschen sichzeitnahe Genehmigungen; denn sonst ist die Idee in derschnelllebigen Zeit keine Innovation mehr .Vieles haben wir auf den Weg gebracht . Wir bauenbundesweit 4 .0-Kompetenzzentren auf, mit denen wirauch kleine Betriebe auf den digitalen Wandel vorberei-ten . Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir ein Projektins Leben gerufen, bei dem wir mit Gewerkschaftlern,Wissenschaftlern und Vertretern der Wirtschaft innovati-ve Ideen diskutieren . Wir wollen Investitionen auslösenund über Steuervorteile die Forschung in kleinen undmittleren Unternehmen ankurbeln . Außerdem werdenwir dafür kämpfen, dass wir endlich ein Wagniskapital-Katharina Dröge
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gesetz bekommen, das Investoren ermutigt, innovativeStart-ups mit den nötigen Mitteln zu versorgen .
Wir können nicht länger zusehen, dass ausländische Ka-pitalgeber in diese Lücke springen und das Know-howins Ausland abwandert .Es kommt noch etwas hinzu: Der Mittelstand – ins-besondere das Handwerk – ist ein Eckpfeiler der Ausbil-dung . Viele Betriebe haben Projekte mit jungen Flücht-lingen begonnen, bieten Bewerbungstrainings an undstellen Praktikums- und Ausbildungsplätze zur Verfü-gung . Jeder Meister, jeder Ausbilder, der zusätzlich einenFlüchtling an die Hand nimmt, leistet die beste Integra-tionsarbeit, die wir uns vorstellen können . Dafür meinenherzlichen Dank .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich müssen wirdarauf achten, die Integrationskraft unserer Gesellschaftnicht zu überfordern . Ich sage aber auch: Die Grenzen zuschließen, ist keine Lösung . Im Gegenteil: Das ist kontra-produktiv für ein Land, das von einer exportorientiertenWirtschaft lebt und wie kein anderes vom freien Waren-und Dienstleistungsverkehr profitiert.Was Deutschland benötigt, sind keine Grenzbefesti-gungen und Schranken . Was Deutschland benötigt, istendlich ein modernes und zeitgemäßes Einwanderungs-gesetz, das von einem großen gesellschaftlichen Konsensgetragen wird .Herzlichen Dank .
Für die CDU/CSU-Fraktion ist Andreas Lenz der
nächste Redner .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deut-sche Wirtschaft steht gut da . Das geht einmal mehr ausdem Jahreswirtschaftsbericht hervor .Bei der Präsentation der wirtschaftlichen Zahlen fürDeutschland meinten die Mitarbeiter des StatistischenBundesamtes, die Wissenschaftler hier vor Ort: Es fälltschon ziemlich schwer, hier ein Haar in der Suppe zufinden. – Herr Ernst, Frau Dröge, dass das mit viel Kre-ativität trotzdem geht, merkt man an den Aussagen derOpposition . Herr Ernst, ich erinnere mich an gestern, alsSie meinten, wir müssten jetzt die Steuern vernünftig er-höhen . Was bei Ihnen „vernünftig“ heißt, ist klar, näm-lich „kräftig“ . Dass das der falsche Weg ist, muss unsallen klar sein .
Die deutsche Wirtschaft ist in einem internationalschwierigen Umfeld um real 1,7 Prozent gewachsen . Derwichtigste Wachstumsmotor war der inländische Kon-sum . Das verfügbare Einkommen stieg um 2,8 Prozent .Bei allen Unwägbarkeiten gibt neben der deutschenEntwicklung aber auch die europäische Entwicklung ver-haltenen Anlass zum Optimismus . Nach 1,1 Prozent imvergangenen Jahr wird die Wirtschaft im Euro-Raum um1,7 Prozent wachsen . Bei allen Problemen zeigt das ebenauch, dass die Strukturreformen im Euro-Raum weiter zuforcieren sind .Die Herausforderungen nehmen aber zu . Wir haben esgehört: „Die Wirtschaft blickt erschrocken ins neue Jahr“,sagte ifo-Chef Sinn zum ifo-Geschäftsklimaindex . Dasschwächere Wachstum in China und anderen Schwellen-ländern verursacht Risiken . Auch stellt sich heraus, dassder niedrige Ölpreis Fluch und Segen zugleich ist . In vie-len Schwellenländern verursacht er weitere Stabilitätsri-siken, aber natürlich auch politische Risiken .Trotz dieser internationalen Krisen arbeiten inDeutschland erstmals mehr als 43 Millionen Menschen,so viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepu-blik . Gleichzeitig waren seit der Wiedervereinigung nochnie so wenige Menschen ohne Arbeit . Auf diese Entwick-lung können wir durchaus stolz sein .
Gerade im Hinblick auf die langfristige Wettbewerbs-fähigkeit müssen wir aber die Entwicklung der Lohn-stückkosten genau beobachten . Ich kann mich erinnern:2014 hat das Handelsblatt „Verkehrte Welt“ getitelt, alsWirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf den Zusammen-hang von Lohnentwicklung und Produktivität hinwies .Das hat er heute nicht gemacht . Wir weisen aber gernedarauf hin, dass hier eine maßvolle Entwicklung notwen-dig ist, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu ge-währleisten .Eine auch wirtschaftliche Herausforderung ist die ak-tuelle Flüchtlingskrise . Der Sachverständigenrat schreibtdazu wörtlich:Auf Dauer ist die derzeitige Konzentration derFlüchtlinge auf wenige EU-Mitgliedsländer nichtdurchzuhalten .Eine Begrenzung des Zuzugs ist also auch aus wirtschaft-licher Sicht notwendig – auch, um die Leistungsfähig-keit staatlicher Strukturen aufrechtzuerhalten . Klar ist,dass die jetzige Situation ohne die konsequente Konso-lidierung der öffentlichen Haushalte während der letztenJahre nicht stemmbar wäre . Bund, Länder und Kommu-nen erzielten 2015 einen Finanzüberschuss in Höhe von16,4 Milliarden Euro . Diesen Weg müssen und werdenwir trotz der Flüchtlingskrise fortsetzen .Sabine Poschmann
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Das ifo-Institut geht davon aus, dass sich allein dieKosten für die Asylbewerber im Jahr 2015 auf mindes-tens 10 Milliarden Euro belaufen werden . Außerdem sei-en die Flüchtlinge verständlicherweise ungenügend aufden deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet . Die wenigstenkommen eben mit dem Werkzeugkoffer und stellen sichan die Produktionsstraße . Nur etwa 20 Prozent sind hin-reichend qualifiziert. Es ist eben nicht so einfach, dafürzu sorgen, dass die Flüchtlinge die Rente für die heuti-ge Erwerbsgeneration zahlen, wie dies Herr Oppermannnoch im Sommer formulierte .
Ebenso werden wir das demografische Problem inDeutschland nicht durch die Flüchtlingsströme lösen .Die Integration der Flüchtlinge in den deutschen Ar-beitsmarkt ist eine Mammutaufgabe, und sie wird vielGeld kosten . Keine Integration ist aber langfristig nochteurer . Auch das muss uns klar sein .
Aber auch die Wirtschaft ist gefordert, diejenigen in Ar-beit zu bringen, die eine langfristige Bleibeperspektivebei uns haben . Es geht nicht an, von einem Wirtschafts-wunder 2 .0 zu sprechen, sich aber bei den Integrations-kosten zurückzuhalten .Sprache ist dabei der Schlüssel für Integration . Oftsind wiederum Arbeit und Beschäftigung der Schlüsselzur Sprache . Der Bund hat die Mittel für Sprach- und In-tegrationskurse bewusst erhöht . Bayern leistet beispiels-weise mit dem Integrationspakt einen wesentlichen Bei-trag zur Integration am Arbeitsmarkt . Allein durch diesenPakt der bayerischen Wirtschaft und der Arbeitsagenturwerden bis 2019 60 000 Flüchtlinge in Arbeit gebracht .Ich denke, das wäre ein gutes Beispiel für die Bundes-ebene .Gerade jetzt brauchen wir weiterhin einen flexiblenund aufnahmefähigen Arbeitsmarkt . Beschränkungenbei Zeitarbeit und Werkverträgen passen nicht in diesesAnforderungsprofil. Natürlich muss Missbrauch verhin-dert werden . Aber gerade hinsichtlich der Regelung vonWerkverträgen sind kleinteilige Kriterienkataloge praxis-fremd. Bei den Dokumentationspflichten hinsichtlich desMindestlohns werden wir noch einmal nachhaken . Wirhaben da schon einiges erreicht . Wir waren nie gegen denMindestlohn .
Wir brauchen aber gerade für die Ehrenamtlichen Rechts-sicherheit .Auch der Minijobbereich muss entbürokratisiert wer-den . Wenn beispielsweise nur jeder zweite der 1,1 Mil-lionen Minijobber Bayerns pro Jahr 50 Stundenzettelausfüllt, dann ergibt das aneinandergereiht eine Papier-strecke von München nach Tokio, und das im Zeitalterder Digitalisierung . Ich glaube, dem Bürokratiewahnsinngilt es auch hier ein Ende zu bereiten .
– Für ganz Deutschland müsste diese Strecke wieder zu-rückgegangen werden .Wir brauchen eine mittelstandsfreundliche Ausgestal-tung der Erbschaftsteuer zum Erhalt der Arbeitsplätze .Der Unternehmer ist für uns weiterhin Vorbild und keinFeindbild . Wir investieren in die digitale Infrastruk-tur . Der Breitbandausbau wird von Minister AlexanderDobrindt entschieden vorangetrieben .
Gerade im Bereich der Digitalisierung brauchen wirOffenheit . Wir brauchen Experimentierfelder für neueTechnologien . Wir müssen Freiräume für Kreativität zu-lassen . Ebenso brauchen wir Regeln sowie einen Rah-men, welcher der digitalen Welt gerecht wird . Wir brau-chen noch mehr Raum und Förderung für Forschung undInnovationen, auch für eine nachhaltige Entwicklung . Esgilt also, den Blick in die Zukunft zu richten .Ludwig Erhard sagte dazu: Den Wohlstand zu bewah-ren, ist schwerer, als ihn zu erwerben . – Dieser Satz giltauch und gerade heute . Mit dem Jahreswirtschaftsberichtstellen wir uns den Herausforderungen der Zukunft, umdiese zu meistern .Herzlichen Dank .
Das Wort hat nun der Kollege Matthias Ilgen für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nebenden Herausforderungen, die in dieser Debatte zum Jah-reswirtschaftsbericht sehr deutlich geworden sind, dis-kutieren wir heute auch über die Chancen des digitalenWandels . Wir diskutieren zum Beispiel über neue Mög-lichkeiten für das Arbeiten von zu Hause, weil wir in un-serer Gesellschaft Familie und Beruf besser unter einenHut bringen wollen . Wir diskutieren über neue Chancenzum Beispiel für die dezentrale Energieproduktion, diewir schon sehr stark ausgebaut haben, in intelligenterVernetzung mit Energieversorgungssystemen der Zu-kunft . Und wir sprechen über Bereiche – zu all diesenChancen war allerdings von der Opposition recht wenigzu hören – wie die Telemedizin und die Diagnosemög-lichkeiten der Zukunft, die unsere Gesellschaft und dieArt und Weise, wie wir miteinander leben und wirtschaf-ten, verändern werden .Die Opposition im Haus ignoriert in ihren Schaufens-terreden wie heute sehr gerne, was die Bundesregierungund die Koalitionsfraktionen dazu beitragen, dass wirDr. Andreas Lenz
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einen vernünftigen Weg der Digitalisierung einschlagen .Dazu ist übrigens auch einiges im Etat des Bundeswirt-schaftsministers enthalten . Ich weise zum Beispiel auf dieAufstockung der ERP-Venture-Capital-Dachfondsmitteldes European Angels Funds auf insgesamt 1,7 MilliardenEuro und die Auflage eines neuen ERP-Wachstumsfondsmit einem Volumen von 500 Millionen Euro hin .Auf Fondsfinanzierung und Förderinstrumente setzenwir aber nicht zum Spaß, sondern – das hat der Bundes-wirtschaftsminister klar herausgestellt – damit wir auchin Zukunft weiter Investitionen in unsere Volkswirtschaftbekommen . Diese werden in allererster Linie von denPrivaten getätigt: von den Unternehmerinnen und Un-ternehmern in diesem Lande, die mutig vorangehen undneue Geschäftsideen entwickeln . Darum geht es beim di-gitalen Wandel .
Wir wollen das fortsetzen . Die Koalitionsfraktionenhaben anlässlich der CeBIT 2014 eine gemeinsame Ent-schließung vorgelegt, in der wir der Bundesregierung ei-nen klaren Auftrag erteilt haben . Wir warten alle gemein-sam gespannt auf das, was Finanzminister Schäuble – erist zwar nicht mehr anwesend, aber es ist wichtig, dass erdas weiß – im Bereich Wagniskapital vorlegen wird . DieKollegin Poschmann hat schon darauf hingewiesen . Esist unabdingbar, dass wir in diesem Bereich Fortschrittemachen . Denn wir haben auch innerhalb Europas schonWettbewerbsnachteile, die sich inzwischen zu einer In-vestitions- und auch Innovationsbremse bei Start-upsund beim deutschen Mittelstand entwickeln . Hier werdenwir nachlegen müssen .
Ich will ein konkretes Beispiel einer der Baustellennennen, die diejenigen, die in der Start-up-Szene tätigsind, beschäftigt, damit die Opposition heute auch etwasHandfestes bekommt und nicht sagen kann, wir würdennur wolkige Reden halten . Es geht zum Beispiel darum,im Zusammenhang mit einem Wagniskapitalgesetz auchüber eine Reform des § 8 c des Körperschaftsteuergeset-zes zu reden . Wir haben das Problem, dass junge Unter-nehmer, die mit wenig Kapital an den Start gehen unddann in eine Wachstumsphase kommen, einen Investorsuchen müssen, wenn sie bei den Banken – mangels feh-lender Sicherheiten; das muss man einräumen – nichtweiterkommen . Dabei geht es oft um Millionenbeträge,und der Investor will natürlich eine Gegenleistung . Alsoerwirbt er in der Regel Unternehmensanteile bzw . Betei-ligungen . Wenn diese über 50 Prozent hinausgehen – unddas kann vorkommen –, dann wird Körperschaftsteuerfällig . Das Problem tritt dann auf, wenn der Investor sichaus dem Unternehmen zurückzieht oder die anderen An-teilseigner, also die Unternehmensgründer, wieder mehrAnteile übernehmen. Dann bleibt diese Steuerpflichterhalten . Die Schwierigkeit besteht darin, dass dann oftVerlustvorträge, die vorher angefallen sind – in der Pha-se, in der das Unternehmen noch nicht profitabel war –,nicht erstattet werden können . Das führt im Ergebnisdazu, dass wir fiktive Gewinne besteuern.In der Öffentlichkeit gibt es derzeit viele Diskussio-nen über Erbschaftsteuer und anderes . Dabei geht es auchdarum, mittelständischen Unternehmen keine Steine inden Weg zu legen . Aber diese Diskussionen sind nichtsim Vergleich zu der Debatte über die Wachstumshemm-nisse in unserem Fördersystem und bei der Kapitalbe-schaffung . Deswegen ist es dringend notwendig, dassdie Bundesregierung das Wagniskapitalgesetz angeht .Ich gehe davon aus, dass sich der Finanzminister redlichdarum bemühen wird . Wir brauchen in diesem BereichÄnderungen .
Und wir müssen das mit Blick auf die Wettbewerbsfähig-keit der deutschen Wirtschaft noch in dieser Legislatur-periode schaffen .Vielen Dank .
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Zuschauer!Der vorliegende Jahreswirtschaftsbericht weist sehr wohlauch die Chancen der Digitalisierung aus . Es wird vorallem dargestellt, in welchem Maße die Unternehmen dieDigitalisierung bisher umgesetzt haben . Dabei wird gro-ßer Wert auf die Arbeitswelt gelegt – das ist wichtig –,Stichwort „Arbeit 4 .0“ . Dazu gibt es unterschiedlicheBeurteilungen . Amerikanische Studien sagen voraus,dass sich bis zu 59 Prozent der Berufe verändern werdenund dass 81 Prozent der Beschäftigten davon betroffensein werden . Man kann diese amerikanischen Studiensicherlich nicht eins zu eins auf den deutschen Arbeits-markt übertragen, daher ist es richtig und wichtig, dassdas Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung derBundesagentur für Arbeit erstmals diesbezüglich eineStudie vorgelegt hat . Demnach werden bis 2030 keineBerufe durch den digitalen Wandel verschwinden . Das istkeine Entwarnung; denn innerhalb der Berufsfelder müs-sen wir auf Veränderungen vorbereitet sein . Das kannman sehr einfach in einem Satz zusammenfassen: DieZahl der einfachen Tätigkeiten wird abnehmen, die derkreativen, komplexen Aufgaben zunehmen .Wir müssen den digitalen Wandel so gestalten, dassDeutschland ein attraktiver Innovationsstandort für Ar-beitgeber und Arbeitnehmer bleibt und dass die Folgenaufgrund der geschilderten Entwicklung für Berufe undBranchen berechenbarer werden . Dafür ist eine zielge-richtete Bildungs- und Forschungspolitik wichtig . Wirbrauchen eine verlässliche, auf Innovation gerichteteWirtschaftspolitik und nicht neue Vorschläge für Sub-ventionen . Wir wollen, dass die Wirtschaft überall, nichtnur in großen Unternehmungen und den wirtschaftlichenMatthias Ilgen
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Kraftzentren der Republik, wächst . Wir wollen geradeaus diesem Grund die Innovationskraft des Mittelstandessowie der kleinen und mittleren Unternehmen stärken .
In der digitalen Wirtschaft sind drei Voraussetzungenmaßgeblich . Erstens . Die Branchen müssen sich auf denWeltmärkten behaupten können . Zweitens . Es muss beider Netzinfrastruktur einen Dreiklang aus Breitbandaus-bau, Datenschutz und IT-Sicherheit geben . Drittens . Wirmüssen fortlaufend durch Bildung und Weiterbildung –das ist ganz wichtig – die Mitarbeiterschaft mobilisieren .Zudem gibt es Optimierungspotenziale . Deutschlandliegt hier beim Vergleich führender Volkswirtschaftennur im Mittelfeld . Hier gilt es, das Wachstumspotenzi-al auszuschöpfen; denn wir haben erlebt, dass dort, woMittelstand und Digitalisierung aufeinandertreffen, be-reits große Wachstumspotenziale gehoben wurden . Ichbin mir sicher, dass unser Mittelstand weiterhin solchePotenziale heben wird .
Die Digitalisierung muss vor allem flächendeckenderfolgen . In jeder Branche muss sie zu einem Hauptthe-ma werden . Dabei stellen wir fest, dass sich die Unter-nehmen in drei Cluster aufteilen . Eine Gruppe von Unter-nehmen sieht große Chancen in der Digitalisierung ihrerProzesse und schlägt zukunftsorientiert neue Wege ein .In einer anderen Gruppe ist das weitaus geringer ausge-prägt . Sie wägt eher Chancen und Risiken ab . Zudem gibtes leider einen bedeutenden Anteil an Unternehmen, indenen die Digitalisierung nur schleppend vorankommt .Hier müssen wir Überzeugungsarbeit leisten .Das Bundeswirtschaftsministerium hat vielfältigeFörderprogramme aufgelegt, um die Entwicklung zubeschleunigen . So werden beim Zentralen Innovations-programm Mittelstand, ZIM, digitale Technologieberei-che gerade im Mittelstand gestärkt . Neu ist die Initiative„Mittelstand 4 .0 – Digitale Produktions- und Arbeitspro-zesse“ . Damit werden gezielt Handwerk und Handel un-terstützt . In vielen Bundesländern entstehen Kompetenz-zentren, um das Wissen in den Betrieben rund um dasThema Digitalisierung zu verbessern . Letztendlich hängtder wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens aber voneiner ganzheitlichen Unternehmensstrategie ab . Das istSache der Manager und weniger der Informatiker .Unsere Forschungsministerin Frau Professor Wankahat einen integrierten Ansatz aus Produktion, Dienstleis-tungen und Arbeit gewählt und alles in einem Programmzusammengefasst . Trotz der Kritik, die es von Gewerk-schaften und Arbeitgeberverbänden gegeben hat, ist die-ser integrative Ansatz richtig . Wir wissen heute, dass ge-rade diese Vorgehensweise richtig gewesen ist .
Mittlerweile geben wir 3 Prozent des Bruttoinlandspro-duktes für Forschung und Bildung aus . Wir sollten heuteschon mutig sein und insbesondere mit Blick auf 2017sagen, dass wir das in der nächsten Wahlperiode auf4 Prozent anheben möchten .Die berufliche Bildung könnte in der Praxis durch-lässiger sein, gerade wenn man sie gegenüber der aka-demischen Bildung aufwerten möchte . Wir müssen vorallem im ländlichen Raum Übergänge schaffen, weil dortder Fachkräftebedarf im Handwerk und im Handel be-sonders hoch ist . Vor diesem Hintergrund appelliere ich:Wir brauchen die Berufsschule 4 .0 . Sie richtet die dualeAusbildung auf die Digitalisierung aus . Sie ist mehr als„training on the job“; denn sie vermittelt Theorie undPraxis in der Produktion von Industrie 4 .0, und das auchfür Handwerk und Handel .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssenvor allen Dingen auch auf Verwaltungsebene nachlegen .Wenn Länder wie USA, Großbritannien, Südkorea unsda um einiges voraus sind, dann müssen wir als Bundleistungsfähige IT-Infrastrukturen für die elektronischeKommunikation zwischen Bürgern und Behörden schaf-fen . Und ich frage Sie: Wo ist das denn am weitesten aus-geprägt? Das ist doch in der Kommune . Seit Mitte der90er-Jahre stellen wir Jahr für Jahr auf der CeBIT dievirtuelle Kommune vor . Wir sprechen davon, für Priva-te Leitmärkte im IKT-Bereich zu entwickeln . Aber dannmüssen wir uns auch die Frage gefallen lassen, ob deröffentliche Sektor dabei wirklich so gut aufgestellt ist,wie es bei Unternehmen in gewissen Größenordnungenselbstverständlich ist .Deswegen brauchen wir, sehr geehrter Herr Minister,in jedem Bundesland ein IT-Zentrum und ein einheitli-ches System, das die Dienste von Bund, Ländern undKommunen zusammenführt . Wir brauchen eine neueBund-Länder-Kommission mit dem Schwerpunkt Digi-talisierung und Verwaltung . In den letzten Wochen habenwir mit dem Datenaustauschverbesserungsgesetz zur Be-schleunigung der Asylverfahren gezeigt, wie schnell einGesetz im Bundestag verabschiedet werden kann . Für dieBetreiber von Flüchtlingsheimen, für die Kommunen, fürdie Bundesagentur ist es damit auf einmal, binnen weni-ger Wochen, möglich, auf ein und dieselbe Software zu-zugreifen . Da sage ich: So eine zügige parlamentarischeArbeit wünsche ich mir auch bei vielen anderen Geset-zesvorhaben, insbesondere bei solchen mit Blick auf dieDigitalisierung von Wirtschaft und Arbeit .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Damit schließe ich die Debatte .Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 18/7380, 18/6740 und 18/7368 an diein der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-schlagen . Die Vorlage auf Drucksache 18/7368 – das istder Tagesordnungspunkt 3 d – soll federführend beimAusschuss für Wirtschaft und Energie beraten werden .Die hierfür zuständigen Kollegen sind zwar größtenteilsschon weg, ich frage aber dennoch: Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisungso beschlossen .Axel Knoerig
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Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten CarenLay, Herbert Behrens, Karin Binder, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEFür bezahlbare Mietwohnungen – Moderni-sierungsumlage reduzieren, Luxusmoderni-sierungen einschränkenDrucksache 18/7263Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheitb) Beratung des Antrags der Abgeordneten CarenLay, Heidrun Bluhm, Dr . Dietmar Bartsch, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEMietspiegel – Sozial gerecht und mietpreis-dämpfend erstellenDrucksache 18/5230Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
InnenausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheitNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazukeinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in die-ser Debatte hat Caren Lay von der Fraktion Die Linkedas Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Monatelang ging ein Beispiel aus der Kopenha-gener Straße in Berlin-Prenzlauer Berg durch die Medi-en: Ein Haus wurde vor ein paar Jahren von einer Immo-bilienfirma mit einem blumigen Slogan, der da lautete:„Werte erhalten – Werte schaffen“, gekauft . Das Haussollte saniert werden .Das klingt ja erst einmal gut, aber im Ergebnis dieserSanierung sollte sich die Miete für die Mieterinnen undMieter sage und schreibe verdreifachen . Natürlich sinddie meisten Mieterinnen und Mieter ausgezogen, habensich von der angekündigten Mieterhöhung oder auch vonder Schikane der Vermieter abschrecken lassen . Nur einMieter ist noch übrig geblieben und kämpft tapfer weiter .Meine Damen und Herren, das ist das, was zynischer-weise Entmietung genannt wird und was leider Praxis invielen deutschen Großstädten ist . Das müssen wir end-lich stoppen .
Das ist ein prominentes Beispiel, aber nur eines vonvielen . Denn Luxussanierungen auf Kosten der Mieterin-nen und Mieter verdrängen diese aus ihren Stadtteilen .Das bedeutet Verdrängung, das bedeutet Gentrifizierung.Wir wollen diese stoppen .
Natürlich wollen auch wir als Linke, dass marodeHäuser saniert werden; das ist gar keine Frage . Aber so,wie die Regelungen jetzt sind, sind sie sozial ungerecht .Und das ist das Problem .
Derzeit können die Hausbesitzer 11 Prozent der Moder-nisierungskosten auf die Kaltmiete umlegen, und das un-befristet . Das heißt, die Miete für die Mieterinnen undMieter erhöht sich dauerhaft, zum Teil verdoppelt siesich, und zwar auch dann, wenn die Sanierungskosten,die der Vermieter hatte, längst abbezahlt sind . Das istdoch wirklich völlig absurd, das müssen wir ändern .
So, wie sie jetzt ist, ist diese Modernisierungsumlagevor allen Dingen eines, nämlich eine lukrative Geldan-lage für die Vermieter und ein Motor für die Vertreibungder Mieter . Hier müssen wir ran, diese Regelung müssenwir ändern .
Die ganze Sache wird noch dadurch verschärft, dassdie sanierten Wohnungen von der Mietpreisbremse aus-genommen sind . Das heißt, es ist geradezu eine Einla-dung an die Vermieter, sich dort, wo die Mietpreisbremseüberhaupt gilt, in die Sanierung zu retten .
Das kann so wirklich nicht bleiben .
Wir schlagen vor, dass wir die Modernisierungsumla-ge in einem ersten Schritt zeitlich begrenzen und deutlichauf 5 Prozent absenken . Mittelfristig sollte man, glaubeich, die Vorschläge des Deutschen Mieterbundes, die Sa-nierungskosten in die Bewertung im Mietspiegel einflie-ßen zu lassen, aufnehmen . Da müssen wir perspektivischhinkommen .Die energetische Gebäudesanierung ist sinnvoll . Auchwir sind natürlich für mehr Anstrengungen im Wärmebe-reich . Aber was nicht geht und was ehrlich gesagt auchnicht zur Akzeptanz dieser Maßnahmen beiträgt, ist, dassauch hier die Kosten sehr einseitig von Mieterinnen undMietern getragen werden . Wir sagen: Hier muss die öf-fentliche Hand investieren, hier muss wirklich Geld indie Hand genommen werden . Die 5 Milliarden Euro, diewir seit vielen Jahren in den Haushaltsberatungen fordern
und die auch in der einschlägigen Szene seit Jahren dis-kutiert werden, wären gut angelegtes Geld für Klima-schutz und für bezahlbare Mieten .
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Ein weiteres Problem bezieht sich auf den Mietspie-gel . Dort, wo es ihn gibt, werden die Mieten der letztenvier Jahre als Berechnungsgrundlage genommen . Wasist aber in den letzten vier Jahren eigentlich passiert? Dahilft ein Blick in die Analysen der einschlägigen Internet-portale, wo Neuvertragsmieten angeboten werden . Waskommt dabei heraus? In Berlin hat es in fünf Jahren beiden neu angebotenen Mietverträgen eine Mietenexplosi-on von 56 Prozent gegeben . In München sind es „nur“26 Prozent und in Hamburg 20 Prozent, aber auf einemsehr hohen Niveau . Das können wir doch unmöglich alsBerechnungsgrundlage für den Mietspiegel nehmen . Dasist wirklich völlig absurd .
Das schadet nicht nur den Mieterinnen und Mietern,die umziehen müssen, das wird auch dafür sorgen, dassfür die Altmieter die Miete ganz legal angehoben werdenkann . Das ist Mieterhöhung per Gesetz . Das wollen wirendlich ändern .
Deswegen schlagen wir vor, den Mietspiegel auf breiteFüße zu stellen: Wir wollen alle Mieten in die Berech-nung einfließen lassen. Nur so können wir den perma-nenten Mietenanstieg stoppen .
Natürlich wären viele Mieterinnen und Mieter froh,wenn es überhaupt einen qualifizierten Mietspiegel gäbe.Auch dazu machen wir einen Vorschlag, nämlich einenMietspiegel verbindlich festzuschreiben und die Kom-munen bei der Erstellung zu unterstützen .Lassen Sie mich einen letzten Gedanken sagen: DerMietspiegel muss natürlich auch rechtsverbindlich sein .Wir erleben schon in einigen Städten wie in Berlin undBonn, dass von Vermieterseite gegen die Mietspiegelgeklagt wird, zum Teil mit Erfolg . Das tun sie, weil siedie Mietpreisbremse umgehen wollen . Hier müssen wirRechtsverbindlichkeit schaffen . Die Mieterinnen undMieter brauchen hier wirklich Klarheit .
Ich ahne, dass der eine oder andere Redner von derKoalition sagen wird: Na ja, alles gut und schön, habenwir auf dem Schirm, machen wir alles . – Aber bisher gibtes nur ein Eckpunktepapier des Ministers, in dem aufviele Punkte eingegangen wird, wenn auch nicht in demMaße, wie wir es uns vorstellen würden . Aber es wäreein erster Schritt; das sehe ich . Aber leider habe ich vondem Koalitionspartner der SPD, nämlich von der Union,schon kritische Stimmen gehört: Was in diesem Papiersteht, werden wir so nicht mittragen .Das ist meine Sorge: Es gibt nur ein Eckpunktepa-pier, es gibt noch nicht einmal einen Referentenentwurf .Wenn hier weiter Koalitionsstreit herrscht, dann fürchteich, dass es in dieser Legislatur keine Einbringung in denBundestag geben wird . Da hilft die Opposition, da hilftdie Linke: Wir haben zwei kluge Vorschläge heute aufden Tisch gelegt, und ich hoffe im Interesse der Miete-rinnen und Mieter auf Ihre Zustimmung .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Jan-Marco
Luczak von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich darf zunächst einmal um Nachsicht dafürbitten, dass ich leider ganz unmittelbar nach meiner Rededas Plenum wieder verlassen muss .
Legen Sie mir das bitte nicht als mangelnden Respektvor dem Hohen Haus oder vor Ihnen aus . Sie alle kennendas: In einer Sitzungswoche gibt es manchmal seit lan-gem feststehende Termine, die dringend wahrgenommenwerden müssen .
Ich bedauere das ganz besonders, weil es hier um dasMietrecht geht . Beim Mietrecht gibt es immer besondersspannende Diskussionen, besonders emotionale Debat-ten, die auch ich selber mit großer Leidenschaft und mitviel Herzblut führe . Besonders emotional sind diese De-batten meistens dann, wenn es um Anträge der Linkengeht .
Ich kann jedenfalls für mich sagen: Mein Blutdruck steigtda meistens, und mein Puls fängt an zu rasen .
Das liegt aber nicht daran, dass sie so gut sind, Frau Kol-legin Lay, sondern daran, dass so viel Ideologie und soviel wirtschaftlicher Unverstand in einen Antrag gepresstwerden . Es verwundert mich immer wieder, dass das ge-lingt .
So ist es auch bei diesem Antrag . Es ist ein Schaufens-terantrag, mit dem die Linke wieder einmal versucht, dieVermieter in die Rolle der bösen Kapitalisten zu drängen,die hemmungslos und ohne Rücksicht nach Profit gierenund ihre Mieter ausbeuten . Zugleich versuchen Sie, dieKoalition so darzustellen, als ob wir diese Sorgen undNöte von Mietern nicht ernst nehmen würden, und Siefordern uns zu einer sozialen Mietrechtsnovelle auf .
Beides, meine sehr verehrten Kollegen von den Lin-ken, ist grundfalsch . Mit dieser Schwarz-Weiß-Male-rei – hier der Vermieter, da der Mieter – werden Sie derKomplexität des Wohnungsmarktes und auch der vielenCaren Lay
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Herausforderungen, die sich dort stellen, in keiner Weisegerecht .
Natürlich ist es so, dass es bei den Mieten Exzessegibt, und natürlich gibt es auch Fälle, in denen Mietervon rücksichtslosen Vermietern aus der Wohnung ge-drängt werden . Hier ist völlig klar – das ist unbestritten;darüber besteht völliger Konsens –, dass Politik handelnmuss und dass Mieter in so einem Fall geschützt werdenmüssen . Wir als Union wissen sehr genau, dass das Miet-recht an dieser Stelle sozial ausgewogen gestaltet werdenmuss . Darauf haben wir in der Vergangenheit immer sehrgroßen Wert gelegt . Das werden wir auch dieses Mal tun .Um uns daran zu erinnern, brauchen wir aber nicht dieLinken als pseudosoziales Gewissen .
Diese Ausgewogenheit ist so prägend für das Miet-recht; dennoch lassen Sie sie in Ihren Anträgen wiedereinmal völlig vermissen . Gerade die privaten Kleinver-mieter vernachlässigen Sie in Ihren Anträgen völlig .
Man hat immer den Eindruck, sie würden nach und nachrechtlos gestellt . Sie vernachlässigen in Ihren Anträgenauch, dass die übergroße Mehrheit der Mietverhältnissevöllig reibungslos funktioniert, dass dort fair miteinanderumgegangen wird . Deswegen kann es doch nicht darumgehen, Vermieter und Mieter gegeneinander auszuspie-len, sondern man muss die berechtigten Interessen vonbeiden in den Blick nehmen und miteinander in Einklangbringen .
Wie gesagt, Sie lassen diese Ausgewogenheit in IhrenAnträgen völlig vermissen . Denn was schlagen Sie unsvor? Sie haben es ja gerade dargestellt: die Absenkungder Modernisierungsumlage von 11 auf 5 Prozent . In Ih-rer Begründung klingt es so an, als ob Modernisierungenvermieterseitig massenhaft missbraucht würden, um Be-standsmieter zur Kündigung zu nötigen .
– Natürlich . Es gibt diese Fälle . Sie haben gerade ein Bei-spiel aus Berlin genannt, Frau Lay . Ich bin selber Ber-liner Abgeordneter . Ich kenne diese Fälle .Aber so zu tun, als ob das ein massenhaftes Phänomensei, ohne dafür konkrete Zahlen zu benennen, das wirddem Ernst der Sache nicht gerecht . Ebenso wird demErnst der Sache nicht gerecht, wenn Sie hier pauschaleVorwürfe an Vermieter richten, dass sie Mieter sogar nö-tigen, dass sie also eine Straftat begehen . Das ist absolutfehl am Platz .Klar ist: Wir müssen Missbrauch verhindern, und esdarf auch kein „Herausmodernisieren“ von Mietern ge-ben . Genau das ist auch Inhalt des Koalitionsvertrages .Wir haben uns als Koalition dazu verpflichtet, hierzu et-was vorzulegen .Wenn wir hier von Modernisierungen reden, dann istgenauso klar: Das Ziel und die Funktion von § 559 BGB,nämlich Anreize für Modernisierungen zu schaffen, dür-fen wir selbstverständlich nicht konterkarieren; vielmehrmüssen die Vorschriften, die wir zum Schutz der Mieterbrauchen, immer so ausgestaltet sein, dass Investitionenin den Neubau, in den altersgerechten Umbau und in dieenergetische Sanierung nicht verhindert werden . Dasmuss unverrückbarer Grundsatz aller Regelungen sein,die wir hier miteinander angehen . Darauf werden wir alsUnion ganz besonders achten . Das gilt nicht nur für dieAnträge der Linken, sondern auch für das schon ange-sprochene Grundlinienpapier des BMJV .Selbstverständlich ist es so, dass wir diese Investiti-onen nicht verhindern dürfen und dass wir bezahlbarenWohnraum brauchen . Das muss miteinander in Einklanggebracht werden . Das wird immer so abstrakt daher-gesagt . Das kann man gar nicht richtig einordnen . Ichmache es mal am Beispiel des altersgerechten Umbausdeutlich .Sie müssen sich das ganz konkret vorstellen: Vieleältere Menschen – wir leben in einer älter werdendenGesellschaft – müssen irgendwann ihre Wohnung verlas-sen, weil kein Fahrstuhl da ist oder weil sie das Bad nichtmehr benutzen können . Es ist für einen alten Menscheneine ganz gravierende Situation, wenn das gewohnte Le-bensumfeld verlassen werden muss, wenn man die Nach-barn, mit denen man vielleicht schon Jahrzehnte zusam-mengelebt hat, nicht mehr hat .Deswegen ist der altersgerechte Umbau
nicht irgendetwas Abstraktes . Wir müssen dafür sorgen,dass die rechtlichen Rahmenbedingungen so sind, dasstatsächlich in altersgerechten Umbau investiert werdenkann; denn wir als Union wollen, dass ältere Menschenmöglichst lange in ihrer angestammten Wohnung bleibenkönnen .
Deswegen brauchen wir die richtigen Rahmenbedingun-gen .
Jetzt rufen Sie als Linke natürlich wieder nach demStaat: Wir müssen hier Milliardensummen in die Handnehmen . – Aber wenn Sie sich mal vor Augen führen,welche Summen wir benötigen, ist völlig klar: Das be-kommen wir als Staat allein aus Steuermitteln nicht hin,sondern wir brauchen dafür private Investitionen . Dieseprivaten Investitionen bekommen wir nicht, wenn dieModernisierungskosten nicht in irgendeiner Weise auchwirtschaftlich darstellbar sind . Sie müssen wirtschaftlichtragbar und finanzierbar sein; sonst funktioniert das nicht.Dr. Jan-Marco Luczak
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Das, was Sie uns vorschlagen – eine Absenkung derModernisierungsumlage auf 5 Prozent –, ist völligerHumbug . Weil sich dann keine Modernisierungsmaßnah-me, keine energetische Sanierung, kein altersgerechterUmbau mehr rechnen wird, werden solche Modernisie-rungen unterbleiben . Das geht letztlich zulasten der Mie-ter . Deswegen werden wir das nicht mitmachen .
In gleicher Weise kritisch wie diese Absenkung auf5 Prozent ist eine Änderung bei den Kappungsgrenzen;das ist auch schon vorgeschlagen worden . Da muss mansehr genau aufpassen, dass die gesamtgesellschaftlichenZiele beim Klimaschutz und beim demografischen Wan-del nicht gefährdet werden . Im Gegenteil: Wir müssendiese gesamtgesellschaftlichen Ziele, auf die in § 559BGB Bezug genommen wird, befördern und gleichzeitigdie Mieter schützen . Das muss miteinander in Einklanggebracht werden, und das werden wir in der Koalitionauch tun . Dazu brauchen wir Ihre Anträge ganz bestimmtnicht, meine Kolleginnen und Kollegen von den Linken .
Lassen Sie mich noch etwas zur ortsüblichen Ver-gleichsmiete sagen . Sie schlagen uns jetzt vor, dass alleMietverhältnisse in die Berechnung der ortsüblichen Ver-gleichsmiete einbezogen werden . Ich könnte jetzt einenrechtshistorischen Exkurs darüber machen, wie es sichmit der ortsüblichen Vergleichsmiete verhält, was ei-gentlich deren Funktion ist . Ihre Funktion ist jedenfallsnicht, eine mietpreisbeschränkende Wirkung zu haben .Tatsächlich wurde das Vergleichsmietensystem in den70er-Jahren eingeführt, um die Änderungskündigungauszuschließen . Damals haben Vermieter Mieterhöhun-gen nämlich so gemacht: Lieber Mieter, ich erhöhe dieMiete um soundso viel Prozent . Du kannst bleiben, wenndu dem zustimmst; ansonsten musst du die Wohnungverlassen . – Deswegen hat man seinerzeit die ortsüblicheVergleichsmiete eingeführt .Es war nie ein Instrument, um die Mieten zu senken,sondern es war ein Instrument, um Transparenz auf demWohnungsmarkt herzustellen .
Es geht darum, die Realität auf dem Wohnungsmarkt miteinem Mietspiegel darzustellen . Es soll nicht ein Rück-spiegel in längst vergangene Zeiten sein, sondern einMittel der Transparenz . Deswegen muss der Mietspiegeldiese Funktion behalten . Alle Überlegungen, die dahingehen, den Betrachtungszeitraum von derzeit vier Jahrenauf acht Jahre, zehn Jahre oder gar ganz auszudehnen,sind völlig verfehlt . Deswegen werden wir als Union die-se Verlängerung der Betrachtungszeit nicht mitmachen .
Dann will ich noch sagen, was das zur Folge hätte;dafür bleibt mir jetzt leider nur wenig Zeit . Sie müs-sen bedenken: Was folgt denn daraus, wenn Sie diesenBetrachtungszeitraum so verlängern? Die ortsüblicheVergleichsmiete würde sofort sinken, automatisch, undgleichzeitig auf diesem niedrigen Niveau eingefroren .Nun kann mancher sagen: Das ist genau das, was ichwill . – Aber Sie müssen sich einmal überlegen, was dieFolgen für die Immobilienunternehmen an der Stelle wä-ren: Die Immobilienwerte würden automatisch sinken,der Verschuldungsgrad würde ansteigen, und die Eigen-kapitalquote würde sinken . Dann ist kein Bewegungs-spielraum für Investitionen in Modernisierung oder inNeubau mehr vorhanden . Damit geben Sie den MieternSteine statt Brot . Deswegen kann das nicht sein . Der Be-trachtungszeitraum von vier Jahren muss bleiben, meineDamen und Herren .
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen . Des-
halb will ich auch keine Zwischenfrage erlauben . Die Re-
dezeit war schon überschritten .
Die Redezeit ist schon überschritten – das ist scha-
de –; deswegen muss ich zum Schluss kommen .
Meine Damen und Herren, Sie haben gesehen: Die
Anträge der Linken sind mit Ideologie gespickt .
Sie zeugen auch von wirtschaftlichem Unverstand .
Herr Luczak, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss
kommen .
In diesem Sinne werden wir sie hier natürlich nicht
nur ablehnen, sondern auch eigene gute Vorschläge vor-
legen, die einen ausgewogenen Kompromiss zwischen
den berechtigten Interessen der Mieter und der Vermieter
darstellen .
Vielen Dank, meine Damen und Herren .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn jeder die Re-dezeit um eine Minute überschreitet, summiert es sich .Deswegen bitte ich wirklich darum, sich an die Redezeitzu halten .Als nächster Redner hat Oliver Krischer von der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Dr. Jan-Marco Luczak
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201614912
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir reden hier über ein zentrales sozialpolitisches Thema:Mieten und Wohnungsnot . Wenn ich mir die Regierungs-bank anschaue, dann fällt mir auf: Keiner der zuständi-gen Minister – Herr Maas oder Frau Hendricks – hält esfür nötig, hier zu sein . Das zeigt ja schon, welchen Stel-lenwert dieses Thema ganz offensichtlich hat und dass esnicht so ganz ernst genommen wird . Herr Luczak – ist ernoch da? nein, er ist schon weg – hat das hier gerade mitdem Bild, das er abgegeben hat, bestätigt . Nach seinerRede könnte man ja glauben: Es ist alles gut . Aber, meineDamen und Herren, weshalb haben wir denn steigendeMieten? Wir stehen in den nächsten Jahren vor einer Rie-senherausforderung, weil Hunderttausende Wohnungenin Deutschland fehlen . Das sorgt natürlich für sozialenSprengstoff . Das sorgt für Probleme, und diesen müssenwir uns widmen .
Ich sage ganz deutlich: Das, was sich die Koalitionjetzt mit der steuerlichen Förderung überlegt hat, ist demProblem nicht angemessen . Denn das ist Gießkannen-prinzip . Das bedeutet gerade nicht, dass günstiger Wohn-raum für Menschen mit geringem Einkommen zur Verfü-gung gestellt wird, sondern dass breit gefördert wird . Dasist nicht die notwendige Antwort auf diese Herausforde-rung . Da müssen wir andere Dinge tun . Was wir brau-chen, ist eine Renaissance des sozialen Wohnungsbaus .60 000 Wohnungen fallen pro Jahr aus der Preisbindung,und das ist ein Riesenproblem für Menschen mit gerin-gem Einkommen . Da müssen wir handeln .
Ich sage: Die zentrale Stellschraube ist, dass der Bundhier investieren muss . Wir brauchen 2 Milliarden Eurofür den sozialen Wohnungsbau . Wie ich gerade gelesenhabe, unterstützt ja Frau Hendricks, die leider der De-batte nicht beiwohnt, diese Forderung, 2 Milliarden Eurozur Verfügung zu stellen . Das Problem ist nur, dass dieForderungen von Frau Hendricks in dieser Koalition dieDurchschlagskraft von Wattebällchen haben . Das nütztuns dann überhaupt nichts . Hier wird von dieser Regie-rung nicht angemessen regiert .
Was wir ansonsten brauchen, ist eine neue Wohnungs-gemeinnützigkeit . Das wäre eine angemessene Antwort .Wir haben viele kommunale Wohnungsbaugenossen-schaften . Die könnten hier handeln . Die müssen wir indie Lage versetzen, dass sie günstigen Wohnraum fürMenschen mit geringem Einkommen zur Verfügung stel-len .
Dabei geht es nicht darum – wie manche das jetzt wie-der diskutieren –, irgendwo in Gettos am Stadtrand mitabgesenkten Standards zu bauen . Da sollten wir aus denFehlern des 20 . Jahrhunderts gelernt haben . Guten, preis-werten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, ist eine He-rausforderung für die Bundespolitik . Hier, meine Damenund Herren, müssen Sie endlich handeln .
Aber mit dem Handeln ist das ja so eine Sache . Siehaben mit großem Tamtam eine Mietpreisbremse be-schlossen . Diese galt als großes Innovationsprojekt; je-denfalls sollte sie das sein . Jetzt stellen wir fest: DieseMietpreisbremse ist löchrig wie ein Schweizer Käse . Siewird an allen Ecken und Enden umgangen . Sie tut vieles;sie bewirkt alles Mögliche . Was sie nicht tut, ist, den An-stieg der Mieten zu bremsen . Und das haben wir Ihnenschon vorher gesagt, das haben Ihnen schon die Expertengesagt . Da, meine Damen und Herren, haben Sie versagt .
Sie versagen auch bei den weiteren Baustellen imMietrecht . Sie haben im Koalitionsvertrag und auch nachEinführung der Mietpreisbremse groß angekündigt, dassSie ein zweites Paket vorlegen würden . Dazu gibt es jetztvon Herrn Maas ein Eckpunktepapier . Aber das war esdann schon wieder . Man hört überhaupt nichts mehr .Still ruht jetzt der See . Die Herausforderungen sind rie-sig; aber von dieser Koalition kommt nichts . Ich bin denKollegen von den Linken dankbar, dass sie zwei dieserBaustellen hier zum Thema gemacht haben . Wir brau-chen endlich rechtssichere, qualifizierte Mietspiegel. Dieunklaren Regelungen in diesem Bereich führen unter an-derem auch dazu, dass die Mietpreisbremse wirkungslosist und dass hier nicht vernünftig gehandelt werden kann .Dass es Verträge mit solchen Mietpreissteigerungen gibt,das darf nicht sein .
Die zweite große Baustelle ist die Modernisierungs-umlage – im Moment 11 Prozent –, die auch Luxussa-nierungen ermöglicht, sodass genau das stattfindet, wasbeschrieben worden ist: dass es Entmietungen gibt, dasses teilweise Kostensteigerungen von 1 000 Euro gibt,
um die Menschen aus den Wohnungen zu treiben . MeineDamen und Herren, das darf nicht sein . Wir wollen dieenergetische Gebäudesanierung, aber nicht eine Umlage,die am Ende dazu beiträgt, dass die Menschen aus denWohnungen vertrieben werden . Auch wenn Sie es igno-rieren: Das findet in den Ballungsgebieten überall statt,das ist Realität in unserem Land . Dagegen müssen Sieetwas unternehmen .
Ich sage Ihnen zum Schluss, meine Damen und Her-ren: Angesichts von Wohnungsmangel, explodierendenMietpreisen, steigendem Neubaubedarf und Klimaschutzim Gebäudebereich stehen wir vor riesigen Herausforde-
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rungen . Ich würde mich gerne eines Besseren belehrenlassen; aber bei dem, was ich in dieser Legislaturperio-de wohnungs- und mietenpolitisch von dieser Koalitiongesehen habe, habe ich die große Sorge, dass Sie die-sen Herausforderungen nicht gewachsen sind und es amEnde wieder die Menschen treffen wird, die nicht auf derSonnenseite unserer Gesellschaft stehen . Das spaltet un-sere Gesellschaft weiter . Das können wir uns aus vielenGründen nicht leisten .Ich danke Ihnen .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dennis Rohde
von der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrter Herr Krischer, vorweg eineSache: Hier den Minister Heiko Maas anzugreifen, dasser nicht anwesend ist, obwohl Sie wissen, dass er einenseit vielen Wochen feststehenden Termin in Straßburghat, um ein Abkommen zur Geldwäsche zu unterzeich-nen, ging voll daneben. Ich finde, es ist gut, dass der Mi-nister in Straßburg ist und nicht hier der Beratung einesOppositionsantrags beiwohnt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren dieSituation auf dem Wohnungsmarkt nicht zum ersten Mal .
Wir haben schon öfter festgestellt, dass der Wohnungs-markt aus dem Gleichgewicht geraten ist . Wir haben inländlichen Gebieten die Situation, dass sich Vermieterin-nen und Vermieter freuen, wenn sie überhaupt noch einenMieter finden. In der Stadt treffen wir genau das Gegen-teil an: Die Nachfrage überschreitet das Angebot weit,und die Mieten haben sich in den letzten Jahren explo-sionsartig entwickelt . Das betrifft Studentinnen und Stu-denten, die kleine Wohnungen suchen . Das betrifft Fami-lien, die in eine andere Stadt wechseln und deutlich mehrfür die Miete aufbringen müssen . Das betrifft natürlichauch ältere Menschen, die zum Beispiel nach einer Mo-dernisierung die Miete mit ihrer Rente nicht mehr zahlenkönnen . Wenn wir uns an dieser Stelle ehrlich machen,dann wissen wir auch: Die gegenwärtige Flüchtlings-situation wird den Wohnungsmarkt nicht vereinfachen .Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir als Koalitionhier gegensteuern . Das haben wir getan und werden wirauch weiter tun .Wir haben im vergangenen Jahr bereits zwei Maß-nahmen auf den Weg gebracht, zum Beispiel das Bestel-lerprinzip bei den Immobilienmaklern . Endlich gilt hierauch das marktwirtschaftliche Prinzip: Wer die Leistungbestellt, hat sie auch zu bezahlen . Schluss damit, erst ein-mal Hunderte von Euro auf den Tisch zu legen, bevorman einziehen kann!
Das Bestellerprinzip wirkt und wird angenommen . Ichzitiere die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4 . De-zember 2015 . Dort steht:Ein halbes Jahr nach der Einführung des Bestel-lerprinzips lässt sich mit einiger Gewissheit sagen,dass dies eine gute Regelung ist .Und weiter:Das alles kommt Kunden und Mietern entgegen .Außerdem trägt die Entwicklung dazu bei, das mi-serable Image der Wohnungsmakler zu verbessern .Das war und ist ein gutes Gesetz, liebe Kolleginnen undKollegen .
Wir haben die Mietpreisbremse auf den Weg gebracht .Wir können heute, ein Jahr danach, sagen, dass die Lan-desregierungen dieses Angebot angenommen haben .Wir haben mittlerweile in 292 Städten und Gemeindeneine Mietpreisbremse. Ich finde, an dieser Stelle sollteman noch einmal betonen, dass es wichtig war, dass wiruns als SPD durchgesetzt und die Mietpreisbremse nichtan das Vorhandensein eines Mietspiegels gekoppelt ha-ben . Hätten wir das getan, dann hätten wir heute nicht292 Mietpreisbremsen, sondern lediglich 75 . Hätten wires an das Vorhandensein eines qualifizierten Mietspiegelsgekoppelt, hätten wir nicht 292 Mietpreisbremsen, son-dern 45 . Es war richtig, dass wir diese Koppelung nichtvorgenommen haben, damit auch die anderen 217 Städteund Gemeinden dieses Mittel verwenden können, liebeKolleginnen und Kollegen .
Die Frage, die richtigerweise im Raum steht, ist doch:Warum sind die Kommunen momentan so zurückhaltend,wenn es darum geht, einen Mietspiegel auszubringen?Warum sind die Kommunen momentan so zurückhaltend,wenn es darum geht, einen Mietspiegel herauszubringen,insbesondere einen qualifizierten Mietspiegel? Da ist diejetzige Gesetzeslage eben problematisch, da bei einemqualifizierten Mietspiegel nur die Vertragsabschlüsse derletzten vier Jahre berücksichtigt werden .Wir wissen alle, was in den letzten vier Jahren auf demMietwohnungsmarkt passiert ist . Die Mieten sind gestie-gen, gestiegen und gestiegen . Wenn ich das in einemMietspiegel darstellen würde, dann würde ich eben nichtdarstellen, was in einer Kommune durchschnittlich anOliver Krischer
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Mieten gezahlt wird, sondern ich würde darstellen, wieviel ein Vermieter momentan für sein Objekt bekommenkönnte . Die Angst, die in vielen Kommunen vorherrscht,ist dann auch berechtigt . Dort denkt man nämlich, manerreicht genau das Gegenteil von dem, was man eigent-lich erreichen will . Wir wollen die Mieterinnen und Mie-ter in diesem Land schützen und kein Instrument auswei-sen, das der Renditeoptimierung dient, liebe Kolleginnenund Kollegen .
Deshalb findet sich – bei aller Debatte – ein ganz ent-scheidender Satz im Koalitionsvertrag . Da steht:Wir sorgen dafür, dass im Mietspiegel die ortsübli-che Vergleichsmiete auf eine breitere Basis gestelltund realitätsnäher dargestellt wird .
Nur darum darf es in den kommenden Wochen und Mo-naten gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Eines ist uns ganz wichtig – und das unterscheidet unselementar von dem Antrag der Linken, der uns heute vor-liegt –: Wir wollen das verfassungsrechtlich garantierteSelbstverwaltungsrecht der Kommunen weiterhin obenhalten . Wir wollen keine Zwangsmietspiegel . Wir habengute Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker,wir haben gute Ratsfrauen und Ratsherren, und wir trau-en denen zu, diese Entscheidung zu treffen .
Wir werden uns in den nächsten Wochen und Mona-ten für noch mehr starkmachen . Wir werden uns ganzgenau ansehen, was es zur Folge hat, dass Mietflächeund vereinbarte Mietfläche um 10 Prozent abweichenkönnen, dass man für Phantomflächen Mietgebühren undBetriebskosten zahlt . Hier brauchen wir eine neue Rege-lung, um insbesondere das Vertrauen zwischen Mieternund Vermietern zu stärken .
Es geht um eine vernünftige Lösung für die Moderni-sierungsumlage . Wir wollen nicht, dass Mieterinnen undMieter durch sogenannte Luxussanierungen aus ihremHeim oder aus der Wohnung ausziehen müssen, in de-nen sie viele Jahre gewohnt haben . Wir wissen aber auch,dass wir hier ganz behutsam sein müssen und aufpassenmüssen, welche Regelungen wir treffen; denn wir ha-ben natürlich die Pariser Beschlüsse im Hinterkopf . Wirwissen, dass Barbara Hendricks mit einem sehr gutenErgebnis zurück nach Deutschland gekommen ist, undwir wollen insbesondere die CO2-Ziele einhalten . Dazugehört natürlich die energetische Sanierung . Wir wollenden Weg dafür nicht verbauen, aber wir wollen auch Mie-terinnen und Mieter schützen . Diese Debatte werden wirin den nächsten Wochen führen, damit beides möglichstgut ineinander aufgeht .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Städ-te ändern sich . Sie sind, das zeigt die Entwicklung derletzten Jahre, attraktiv für viele Menschen, für Familienmit Kindern, für Migrantinnen und Migranten, für Be-rufstätige, aber natürlich auch für unsere ältere Genera-tion . Dafür zu sorgen, dass diese lebendige Mischungerhalten bleibt, dass unsere Städte eben nicht nur für eineOligarchie von Betuchten da sind, das ist und bleibt un-sere Aufgabe .Deswegen müssen wir die Missstände angehen, statt –wie in vergangenen Zeiten – in Untätigkeit zu verharren,aber wir wollen das nicht mit Fantastereien . Wir wollendas nicht durch Luftschlösser und mit unüberlegtem Ak-tionismus erreichen, sondern mit guten, tragfähigen undauf Sachverstand bauenden Lösungen . Deshalb: Wartenwir das ab, was derzeit im Bundesministerium der Justizund für Verbraucherschutz entwickelt wird! Wir werdendiesen Vorgang parlamentarisch intensiv begleiten . Wirsind der festen Überzeugung: Am Ende kommt ein gutesGesetz dabei heraus .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Marie-Luise
Dött von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebes Präsidium!Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den kom-menden Jahren müssen circa 350 000 bis 400 000 neueWohnungen pro Jahr gebaut werden . Nur so erhalten alleWohnungssuchenden eine Chance, geeigneten Wohn-raum zu finden. Darüber hinaus muss die Rate bei derGebäudesanierung auf über 2 Prozent gesteigert werden .Die ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen wir sonstnicht .Der deutsche Wohnungsmarkt steht also vor einer histo-rischen Investitionsherausforderung . Neubau und Sanie-rung müssen zeitgleich zur Hochform auflaufen. Aber:Am Ende muss alles bezahlt werden . Kein vernünftigerMensch wird in den Mietwohnungsbau oder in die ener-getische Sanierung von Mietwohnungen investieren,wenn eine Wirtschaftlichkeit nicht erreicht werden kann .Ich verstehe es nun als unsere Aufgabe, die best-möglichen Voraussetzungen für die notwendige Inves-titionsoffensive zu schaffen . Wir müssen die optimalenRahmenbedingungen entwickeln . Die Arbeit daran wirdkontinuierlich fortgesetzt, und sie erreicht hoffentlichheute ein weiteres Etappenziel, nämlich eine politischeVerständigung der Bundesregierung mit den Ministerprä-Dennis Rohde
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sidenten der Länder heute Abend über eine steuerlicheFörderung des Wohnungsneubaus .
Sie wird bei richtiger Ausgestaltung der erfolgverspre-chende Baustein im Reigen der Maßnahmen sein, dievom Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen ent-wickelt worden sind . Dazu nur zwei Stichworte: Woh-nungen für Familien mit mehreren Kindern – auch damitmuss man sich beschäftigen –, richtige Baukostengren-zen .Forderungen nach investitionsfeindlichen Änderun-gen am Mietrecht kann ich nur in einer Form kommen-tieren: eine ausgesprochen schlechte Idee . Wir brauchenkeine Gesetzgebung zur sozialistischen Mangelverwal-tung, sondern Anreize zur marktwirtschaftlichen Ange-botsausweitung .
Das betrifft nicht nur die vorliegenden Anträge der Lin-ken – da habe ich auch nichts anderes erwartet –,
sondern leider auch weite Teile der von BundesministerMaas entwickelten Vorschläge zur Änderung des Miet-rechts .
H
weniger Ideolo-gie, mehr Praxisbezug – dann passt das auch .
Nur vermute ich, dass da am Ende nicht viel von IhrenVorschlägen übrig bleibt . Verständigen wir uns auf das,was im Koalitionsvertrag vereinbart und machbar ist!
Auf die Ausweitung des Bezugszeitraums bei der Er-mittlung der Vergleichsmiete hatte die SPD schon bei denKoalitionsverhandlungen verzichtet . Das wäre nämlichauch nicht bauförderlich . Die rosarote Seifenblase mitAmortisationsregelungen im Modernisierungsmietrechtist ja auch schon seit langem geplatzt .
Die Bundesregierung insgesamt hat sich also auch mitZustimmung des Bundesministers Maas in mehrerenBeschlüssen zum Klimaschutz dazu bekannt, dass Än-derungen am Modernisierungsmietrecht die Anreize zurModernisierung nicht verringern dürfen .
Das ist also der Gradmesser für alle dazu zu entwickeln-den Ideen . Fundamentale Änderungen am Modernisie-rungsmietrecht stehen also überhaupt nicht zur Debatte .
Der populistische Wettbewerb um die niedrigste Prozent-zahl bei der Modernisierungsmieterhöhung geht zulastender Klimaziele, geht zulasten der Umwelt .
Als umwelt- und baupolitische Sprecherin bin ichvom Deutschen Mieterbund enttäuscht .
Er führt eine rufschädigende Debatte um das bestehendeModernisierungsmietrecht: hier der profitorientierte Ver-mieter, auf der anderen Seite der arme Mieter .
Ich kenne keinen investitionsfreundlichen und vor allemumsetzbaren Gegenvorschlag des Mieterbundes, auchnicht der Linken .
Im Gegenteil: Das, was mir vorliegt, bedeutet Verfall derBausubstanz – da gebe ich Ihnen teilweise recht; hier inBerlin kann man das auch sehen – und Sanierungsstauauf ewig .Wer Feuer schürt, sollte auch wissen, wie man es er-folgreich löscht .
Lieber Mieterbund, unser Interesse muss doch sein, eingrößeres Wohnungsangebot zu haben . Ja, es gibt auchschwarze Schafe aufseiten der Vermieter . Richtig ist, dasseinige das bestehende Modernisierungsmietrecht nichtordnungsgemäß anwenden . Sie trennen nicht sauber dieKosten der Instandhaltung von den Kosten der Moderni-sierung . Andere achten nicht auf die Grenze der Zumut-barkeit bzw . der Belastbarkeit der Mieter . Aber das istnicht die Regel . Wir sollten mit der Schwarz-Weiß-Ma-lerei aufhören; Herr Luczak hat schon darauf hingewie-sen . Im Regelfall werden Modernisierungsmaßnahmenordnungsgemäß durchgeführt, und die darauffolgendeModernisierungsmieterhöhung wird als angemessenerPreis für den gestiegenen Wohnwert akzeptiert . All dieordentlich arbeitenden Vermieter sollten wir wegen derwenigen schwarzen Schafe nicht durch schlechtere Rah-menbedingungen bestrafen .
Marie-Luise Dött
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Übrigens kann in vielen Regionen Deutschlands garnicht die maximal mögliche Modernisierungsmieterhö-hung durchgesetzt werden . Der dortige Wohnungsmarktgibt es nicht her . Auch da müssen wir wegen der energe-tischen Sanierung noch einmal genau hinschauen .
So komme ich zu der Schlussfolgerung: Der besteMieterschutz ist die Angebotsausweitung . Es gilt: Bauen,bauen, bauen . Erstens . Die Länder müssen zügig die vomBund bereitgestellten Milliarden in wirksame und kraft-volle Wohnungsbauprogramme umsetzen . Herr Krischer,für den sozialen Wohnungsbau sind die Länder und dieKommunen zuständig, nicht der Bund .
Zweitens . Die Kommunen sind angehalten, deutlichmehr Bauland auszuweisen . Die Länder müssen ihnendafür auch mehr Spiel in den Landesentwicklungsplänengeben .
Drittens . Die geplante steuerliche Förderung des Woh-nungsneubaus muss effektiv und unbürokratisch erfol-gen .Normalerweise gilt: Klasse statt Masse .
Liebe Kollegen von der SPD, hier kommt es auf die Mas-se und nicht auf den Klassenkampf an .
Also: Nicht nur auf den sozialen Wohnungsbau abstellen,sondern auch auf Wohnungen für den Normalverdiener .Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Linkendokumentieren heute mit ihren Anträgen einmal mehrihre populistische Gedankenwelt .
Bei der SPD setze ich noch auf Vernunft und Einsicht .Liebe SPD-Kollegen, laufen Sie den anderen Genossennicht hinterher . Sie können sie nicht links überholen,schon gar nicht beim Mietrecht .
Bleiben Sie bei uns! Wir sind die Mitte und wissen, wasgut für Deutschland ist .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der
Debatte fort . Als nächste Rednerin hat die Kollegin
Halina Wawzyniak von der Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! So eine Koalition scheint eine total fried-volle und nette Veranstaltung zu sein . Vielleicht ziehenSie sich doch einfach in einen Raum zurück und klärendas untereinander . Das schien mir jetzt am Ende docheine sehr populistische Rede zu sein, die auch sehr ideo-logiegeprägt ist .
Ich will zu Beginn auf eine bemerkenswerte Entschei-dung des Bundesgerichtshofes hinweisen . Der hat alslegitimes Regelungsziel akzeptiert, dass in Gebieten mitangespanntem Wohnungsmarkt der Anstieg von Mietengedämpft werden kann . Der BGH sagt klar und deutlich:Die Bestandsgarantie des Eigentums nach dem Grund-gesetz wird nicht dadurch infrage gestellt, dass nichtdie höchstmögliche Rendite aus dem Eigentumsobjektoder nicht die Marktmiete ohne jede Verzögerung undin voller Höhe erzielt werden kann . – Das Bundesver-fassungsgericht sagt in ständiger Rechtsprechung, dassdie Bindung des Eigentumsgebrauchs an das Wohl derAllgemeinheit die Pflicht zur Rücksichtnahme auf dieBelange desjenigen einschließt, der konkret auf die Nut-zung des Eigentumsobjektes angewiesen ist .Warum erzähle ich das alles? Offensichtlich brauchtdie Union ein wenig Nachhilfe in Verfassungsrecht .
Die SPD will ich ein wenig ermuntern und sagen: Es gibtkeine verfassungsrechtlichen Bedenken, Vermieterinnenund Vermieter an ihre soziale Verantwortung zu erinnern .Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken,Vermieterinnen und Vermietern zu untersagen, schnellenund höchsten Profit aus der Vermietung von Wohnraumzu erzielen . Man muss es nur wollen, man kann es auchmachen . Ich befürchte nur: Mit diesem Koalitionspartnerwird das etwas schwierig . Insofern bin ich gespannt, wiees weitergeht .Herr Kelber hat in der Debatte am 2 . Dezember 2015gesagt, es soll im ersten Quartal 2016 einen Referenten-entwurf geben . Spannend wäre, zu wissen, ob der wirk-lich kommt, ob er am Ende sogar durchs Plenum kommt .
Auch da bin ich relativ skeptisch, wenn ich mir so an-schaue, wie der Koalitionsfrieden aussieht . Aber das istnicht mein Problem .Marie-Luise Dött
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Zu dem Eckpunktepapier will ich sagen: Es ist sicher-lich richtig, und der Vorschlag, die Modernisierungsum-lage abzusenken, geht in die richtige Richtung . Auchdie Neuregelung der Kappungsgrenze scheint uns eineMaßnahme zu sein, die in die richtige Richtung geht . Wirwollen natürlich deutlich mehr . Hinsichtlich dessen, wasIhr Koalitionspartner dazu gesagt hat, empfehle ich groß-zügiges Ignorieren der Einwände .
Wir haben bereits im März 2015 – meine KolleginLay hat bereits darauf hingewiesen – einen Vorschlag zurVeränderung des Systems der ortsüblichen Vergleichs-miete unterbreitet . Dieser Antrag liegt Ihnen heute vor .Den Vorschlag von Ihnen, den Zeitraum auf zehn Jahreauszudehnen, finden wir sinnvoll und richtig. Ich kannnur hoffen, dass Sie von der SPD an dieser Stelle stand-haft bleiben . Für eine solche Ausweitung hätten Sie imÜbrigen unsere Stimmen . Wenn die Grünen mitmachten,gäbe es dafür sogar eine Mehrheit .
Sinnvoll ist aus unserer Sicht auch, die Schutzrege-lung bei Zahlungsverzug im Hinblick auf fristlose Kün-digungen auf ordentliche Kündigungen auszudehnen . Eskann einfach nicht sein, dass, wenn zwei Monate nacheiner fristlosen Kündigung gezahlt wird, die ordentlicheKündigung bestehen bleibt .Ich möchte Sie bitten, eine weitere Lücke zu schlie-ßen, die leider nach einem BGH-Urteil eingetreten ist .Der BGH hat nämlich entschieden, dass einer Mieterinoder einem Mieter, die bzw . der auf Sozialleistungen an-gewiesen ist und diese auch rechtzeitig beantragt hat, sieaber zu spät bekommen hat und deshalb die Miete nichtzahlen konnte, gekündigt werden kann. Ich finde, solcheKündigungen müssen wir gesetzlich ausschließen .
Es gibt noch zwei weitere Punkte, die aus meiner Sichtwichtig sind . Es geht um die Regelung zur Eigenbedarfs-kündigung und die Regelung zur Kündigung wegen Hin-derung der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung .Wir bleiben dabei: Eine Kündigung wegen beabsichtigterwirtschaftlicher Verwertung muss ausgeschlossen wer-den, wenn diese für Mieterinnen und Mieter eine unzu-mutbare soziale Härte bedeuten würde . Es muss ein Endehaben, dass Mieterinnen und Mieter mit der Androhungeiner Kündigung wegen wirtschaftlicher Verwertung zurZahlung höherer Mietpreise erpresst werden. Dies findetstatt, und das kann nicht so bleiben .
Der Kündigungsschutz nach Umwandlung in Eigen-tumswohnungen muss bundesgesetzlich nach oben an-geglichen werden . Es gibt in den Ländern Regelungen,die deutlich weiter gehen als die bundesgesetzliche Re-gelung .Kurz und gut: Es gibt in diesem Bereich einiges zutun . Wenn es um die Verbesserung der Situation von Mie-terinnen und Mietern geht, werden wir Sie kritisch, kon-struktiv begleiten . Unsere Beiträge sind übrigens deut-lich gehaltvoller, substanzieller und auch seriöser als das,was wir heute hier von der Union gehört haben .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dirk Wiese
für die SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Gesagt – getan – gerecht! In Deutschland giltdie Mietpreisbremse . Dieses Versprechen hat die SPDgegeben und gehalten . Gut so!
Mein Heimatland, Nordrhein-Westfalen, war einesder ersten drei Bundesländer, die mit gutem Beispiel vo-rangegangen sind . Nordrhein-Westfalen hat gleich Mitteletzten Jahres, am 1 . Juli 2015, die Mietpreisbremse in22 Städten eingeführt . Das ist gut für die Bürgerinnenund Bürger in unserem Land, insbesondere für die Bür-gerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen, ganz be-sonders für die in den Hotspots Düsseldorf, Köln, Bonnoder auch Münster . An dieser Stelle muss man demNRW-Bauminister Mike Groschek danken, der eine her-vorragende Arbeit geleistet hat .
– Herr Kollege Hirte, da ich Ihren Zwischenruf geradegehört habe, diese leichte Bemerkung gegen die Landes-regierung, sage ich: Ich glaube, wenn ein CDU-Landes-vorsitzender es nicht einmal schafft, korrigierte Klau-suren vernünftig zurückzuschicken, sollten Sie lieberkleine Brötchen backen .
Des Weiteren haben wir ganz klar dafür gesorgt, dassdie soziale Marktwirtschaft endlich auch bei den Mak-lern angekommen ist . Wer die Leistungen bestellt, derbezahlt sie mittlerweile auch . Das ist gut . Auch das habenwir versprochen und umgesetzt .Kurzum: Wir haben den Schutz der Mieterinnen undMieter in Deutschland erheblich verbessert . Diesen Wegwerden wir weitergehen . Bei den Maklern werden wirkünftig einen Sachverständigennachweis einführen . Dashalte ich ebenfalls für richtig . Es kann nicht jeder Daher-gelaufene aus dem Import-Export-Geschäft als Maklervon Wohnungen auftreten . Dafür bedarf es einer gewis-Halina Wawzyniak
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201614918
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(D)
sen Ausbildung und eines gewissen Sachverstandes . Die-ses Thema werden wir ebenfalls anpacken .Ich bin Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Frak-tion der Linken, wirklich dankbar dafür, dass Sie unsmit dieser Kernzeitdebatte die Möglichkeit geben, aufbereits bestehende Erfolge hinzuweisen und deutlich zumachen, was wir im Mietrecht noch vorhaben . Ich möch-te noch auf den einen oder anderen Punkt Ihrer Anträgeeingehen, weil mich die Ziele, die Sie mit diesen Anträ-gen verfolgen, ein bisschen wundern . Sie wollen, dassder Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordert,qualifizierte Mietspiegel für bestimmte Städte einzufüh-ren und die Modernisierungsumlage zu begrenzen . Ichhabe mich, ehrlich gesagt, gefragt, ob Sie keine Zeitunglesen und in informationstechnischer Hinsicht etwas ab-geschnitten sind; denn das, wozu Sie die Bundesregie-rung heute auffordern wollen, ist schon längst in Angriffgenommen worden . Das BMJV hat ein Eckpunktepapiervorgelegt . Der Referentenentwurf ist in Arbeit .
Warten Sie doch erst einmal bei diesem einen Punkt ab!
Liebe Frau Kollegin Künast, bei Zwischenrufen istes wie mit dem Posten bei Facebook: Erst nachdenken,dann das Foto posten .
Der Kollege Rohde hat, glaube ich, noch einmal aus-führlich deutlich gemacht – darauf will ich gar nichtmehr eingehen –, dass der Mietspiegel und die Moder-nisierungsumlage wichtige Punkte für uns als Sozialde-mokratie sind . Frau Künast, der Kollege Dr . Ullrich ist jaim Bereich des Facebook-Postens mit Ihnen der Experte .Er wird die Geschichte vielleicht gleich noch einmal er-zählen .
Ich will mich heute auf zwei Punkte beschränken, diewir in der Planung haben .Erstens . Die Abschaffung der Abweichung von dertatsächlichen Wohnfläche bei Mietverträgen. Sie allekennen das Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jah-re 2004, das damals eine zulässige Abweichungsgrenzevon 10 Prozent festsetzte . Mieter hatten faktisch keineChance mehr, gerichtlich gegen Abweichungen in dieserHöhe vorzugehen . Man muss sich das einmal verdeutli-chen: Bei einer 100-Quadratmeter-Wohnung zahlt manim schlimmsten Fall quasi jeden Monat für ein kleinesZimmer, das in Wirklichkeit gar nicht existiert, etwaein kleines Arbeitszimmer von 10 Quadratmetern, flei-ßig mit . An teuren Wohnungsmärkten wie in Düsseldorfund Münster ist das schnell ein sehr teurer Spaß . Überdie Jahre entrichten die Mieter somit hohe Beträge füreigentlich virtuellen Wohnraum, zumal sie nicht nur dieMietkosten zahlen, sondern die Wohnfläche auch bei derBerechnung der Betriebskosten eine Rolle spielt .Der neutrale Zuhörer mag jetzt vielleicht denken, dasssolche Abweichungen nur die absolute Ausnahme sind,doch dem ist mitnichten so . Denn leider muss man sagen,dass das eben genannte Urteil des Bundesgerichtshofsvon unredlichen Vermietern leider wohl auch als Frei-brief verstanden worden ist mit der Folge, dass die Wahr-scheinlichkeit, eine Wohnung zu haben, bei der die tat-sächliche Fläche von der im Mietvertrag ausgewiesenenFläche abweicht, wirklich groß ist . Nach Schätzungendes Deutschen Mieterbundes – diesen möchte ich einmalin Schutz nehmen; der Deutsche Mieterbund macht einenhervorragenden Job; man sollte ihn nicht kritisieren; dasist nicht angemessen –
betrifft das jede zweite oder dritte Wohnung in Deutsch-land . Da werden zu Unrecht Milliardenbeträge für nichtvorhandenen Wohnraum gezahlt, den es nur auf dem Pa-pier gibt . Das ist ein unhaltbarer Zustand, den wir jetztbeseitigen werden .
Ich bin froh, dass wir die Beseitigung dieses Miss-standes in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt haben .Noch einmal: Zwischen Koalitionspartnern gilt der Ko-alitionsvertrag .
Frau Kollegin Dött, ich würde Sie bitten, dort noch ein-mal nachzulesen .
Künftig wird damit bei Mieterhöhungen und bei derUmlage von Betriebskosten nur die tatsächliche Wohn-fläche zählen. Also: Wer 100 Quadratmeter Wohnraumanmietet, der zahlt in Zukunft auch nur für 100 Quadrat-meter – Punkt .Der zweite Punkt, der wichtig ist, ist die Unterstützungvon Klein- und Privatvermietern, denen wir mit unseremzweiten Mietpaket unterstützend unter die Arme greifenwerden . Gerade in ländlichen Räumen – auch in meinemWahlkreis im Sauerland – ist die Vermietung einer klei-nen Wohnung oft ein guter Nebenverdienst, etwa wenndie alte Wohnung der Eltern im Haus vermietet werdensoll . Nach einer Studie des Bundesinstituts für Bau-,Stadt- und Raumforschung gibt es deutschlandweit etwa10,7 Millionen Mietwohnungen von Privateigentümernin Mehrfamilienhäusern . Davon vermieten 57 Prozentnur eine einzige Wohnung . Größere Bestände sind eherdie Ausnahme . Nur 2 Prozent der Vermieter haben mehrals 15 Mietobjekte im Angebot .Kleinvermieter sind aber oftmals – das müssen wirfeststellen – mit der Bürokratie überfordert, wenn es umdie Umlegung von entstandenen Instandhaltungskostenauf die Mieter geht . Deshalb werden wir ein vereinfach-tes Verfahren für Kleinstvermieter einführen . Das ist gutDirk Wiese
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so und schützt die vielen redlichen Kleinvermieter in un-serem Land .
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dierot-schwarze Koalition optimiert auch weiterhin dasMietrecht . Auf diese Verbesserungen warten viele Bür-gerinnen und Bürger in unserem Land,
in Düsseldorf, in Köln, in Münster, aber auch im Wahlbe-zirk Tempelhof-Schöneberg . Denn bei der einen oder an-deren Debatte habe ich manchmal den Eindruck, dass inTempelhof-Schöneberg 99 Prozent der Makler im Landwohnen . Vielleicht sollten die Mieterinnen und Mietereinmal genau hinschauen, wer hier welche Rede hält .
Mieter schützen und Vermieter unterstützen – das ist diePrämisse unseres Handelns .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin spricht Renate
Künast von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habemich in dieser Debatte, ehrlich gesagt, nicht ganz ent-scheiden können, ob die Hauptentwicklung war, dassman sich innerhalb der Koalition gegenseitig Ideologievorwirft, oder ob es großkoalitionäre Autosuggestionwar, wie schön die Situation doch für Mieterinnen undMieter ist . Ich kann mich nicht entscheiden; aber wir ha-ben ja noch ein paar Redner vor uns .Es wurde gesagt: Wir haben Eckpunkte vorgelegt . –Diese Methode kennen wir . Es werden Eckpunkte vor-gelegt, und es wird gesagt: Ab heute ist die Situation fürdie Mieterinnen und Mieter besser . – Danach vergehennoch zwei Jahre, bis das Gesetz kommt, und die Situationist immer noch nicht grundlegend geändert . Das ist dieWahrheit .
Sie geben hier mit Dingen wie zum Beispiel einer neu-en Wohnflächenberechnung an, die Sie natürlich nurdeshalb vornehmen, weil es gerade eine entsprechendeBGH-Rechtsprechung gab .Sehen wir uns doch einmal an, wie die Situation ist .Ich will mit dem Grundgesetz beginnen, weil der BGHvor kurzem eine Entscheidung zur Kappungsgrenze inBerlin – für Frau Dött ist das wahrscheinlich Teufelszeugund sozialistische Ideologie; so habe ich Ihren ruhigen,seriösen, unideologischen Redebeitrag gerade verstan-den – gefällt hat .
Der BGH hat gesagt, dass uns ein Blick ins Grund-gesetz den Satz „Eigentum verpflichtet“ finden lässt. Erverpflichtet aber auch uns, nämlich dazu, den Gedanken,dass Eigentum auch eine soziale Pflicht nach sich zieht,in Recht umzusetzen . Deshalb haben wir das Recht unddie Pflicht, dort, wo Wohnungsmangel herrscht und wodie Mieten nach oben gehen, die Länder zu befähigen,etwas dagegen zu unternehmen, und das Bundesrecht sozu gestalten, dass den Vermietern auch soziale Pflichtenabgerungen werden, sodass sie bei der Miete nicht allesausreizen dürfen .
Das ist ein Stück sozialer Friede, das ist ausbalanciert,und möglicherweise entspricht das ja auch der katholi-schen Soziallehre und damit der Kernklientel der Uni-on – nur Frau Dött wusste das noch nicht .
Meine Damen und Herren, wir warten sehnsüchtig aufdie nächste Mietrechtsnovelle . Aber ich sage Ihnen: Siekönnen auch die letzte ändern . Auch wenn Sie Ihre so-genannte Mietpreisbremse sehr gelobt haben, muss ichIhnen sagen: Sie haben vergessen, eine Bremse zu in-stallieren . Ja, es stimmt: Es gibt jetzt hier und da entspre-chende Einrichtungen . Aber sie sind doch im wahrstenSinne des Wortes minimal . Was bleibt – ich muss daraufhinweisen –, ist eine Rügepflicht der Mieterinnen undMieter, wenn der Vermieter rechtswidrig zu viel Mieteverlangt . Dann müssen die Mieter dies rügen und es ma-teriell nachweisen . Ab dem Zeitpunkt der eingereichten,substantiiert vorgetragenen Rüge kann man eine Rück-zahlung geltend machen . Wenn man das ein, zwei Jahrespäter macht, bleibt das Geld beim Vermieter . Liebe So-zialdemokratinnen und Sozialdemokraten, das ist dochnicht sozial! Aber das steht in Ihrer sogenannten Miet-preisbremse .
Ich fordere Sie auf, das zu verändern . „Eigentum ver-pflichtet.“ Es soll nicht dazu dienen, in die Taschen derMieterinnen und Mieter zu fassen .Auch der Mietspiegel ist ein Thema, das in eurer Vor-lage drin ist . Auch wenn er verschiedentlich als nicht ganzrechtssicher kritisiert wird, sage ich Ihnen: Wir braucheneine ordentliche rechtliche Definition, wie ein qualifizier-ter Mietspiegel auszusehen hat, damit er tatsächlich alsGrundlage taugt und rechtsprechungssicher ist .
Dirk Wiese
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– Das ist ja schon einmal etwas. – Es muss ein qualifi-zierter Mietspiegel sein, der auch Aspekte der Ökologiemit einbezieht .Frau Hendricks ist heute übrigens nicht entschuldigt;ich gebe zu, ich habe nachgesehen .
Mein Zwischenruf vorhin war falsch . Herr Maas ist näm-lich entschuldigt; Frau Hendricks ist es aber nicht . Eshätte mich nicht gestört, wenn er hier wäre .Meine Damen und Herren, wir brauchen einen Miet-spiegel – in Paris hat man sich ja jetzt für den Klima-schutz eingesetzt –, der auch den Klimaschutz beimWohnungsbau berücksichtigt .
Wir brauchen darüber hinaus mehr soziale Kriterien .Ich bin dafür, die Berechnungsgrundlage von vier aufzehn Jahre zu erhöhen, weil „Eigentum verpflichtet“. Wirmüssen auch die Modernisierung angehen . Schade, dassHerr Luczak, mein Kollege aus Tempelhof-Schöneberg –dem Ort aller Immobilienverwalter, wie Herr Wiese sag-te –, jetzt nicht mehr hier ist . Er hat ja eine wunderbareideologische Volte geschlagen, indem er gesagt hat: Wirwollen den altersgerechten Umbau . Wir wollen, dassdie richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden . Wirbekommen nur dann private Investitionen, wenn wir andieser Stelle nicht zu enge Vorgaben machen . Deshalbkann man die 11 Prozent nicht senken. – Das finde ichmateriell falsch . Ich meine, wir müssen diesen Wert re-duzieren, weil die 11 Prozent sonst eine Art Dukateneselsind, wenn man einmal abgeschrieben hat .
– Ja, ja . Meine Damen und Herren, ich habe nichts gegendas Geldverdienen . Aber man würde auch bei 9 Prozentnoch Geld verdienen und nicht verarmen .
Herr Luczak hat immer nur erzählt, dass man die In-vestitionen nicht drücken darf . Aber er hat nicht gesagt,wie er die Vermieter und die Eigentümer dazu bringenmöchte, dann auch Barrierefreiheit für alte Menschenzu schaffen, wie er dafür sorgen will, dass man für seinGeld auch eine Leistung und nicht nur Mieterhöhungenbekommt, und wie er das alles umsetzen will . Selbstwenn Sie die 11 Prozent beibehalten, frage ich Sie: Woist Ihre Regelung, zu sagen: „Zu dulden hat der Mieternur Maßnahmen im Hinblick auf Barrierefreiheit und ef-fektive energetische Sanierung“? Auch da trauen Sie sichnicht heran .
Das ist pure Ideologie, die Sie hier verbreitet haben, mei-ne Damen und Herren .
Meine Damen und Herren, bis hin zum Thema Kap-pungsgrenze gibt es an dieser Stelle viel zu tun . Ich sageIhnen eines: Eine der zentralen sozialen Fragen beziehtsich auf das Thema Miete, an dieser Stelle auch auf dasThema Mieterhöhung .Was wir an dieser Stelle brauchen, ist: Bauen, Bau-en, Bauen . Ferner brauchen wir eine Nachbesserung imRecht, aber auch Baumaßnahmen . Wir brauchen mindes-tens 2 Milliarden Euro pro Jahr . Zudem muss über Bun-des-, Landes- und Kommunalrecht sichergestellt werden,dass bezahlbare Wohnungen gebaut werden . Wir brau-chen nicht nur Modernisierung sowie schicke und schö-ne Wohnungen, sondern auch Otto Normalverbrauchermuss in Deutschland eine Wohnung finden können.
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen .
Das stellen Ihre Programme aber nicht sicher .
Als nächster Redner hat Michael Frieser von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-legen! Sie erlebten großes Theater .
Das ist wirklich wahr . Man muss bei Frau Künast immeraufpassen . Je höher der Tonfall und je intensiver die Ges-tik wird, desto dünner wird der Inhalt .
Da muss der eine oder andere manchmal ein bisschenaufpassen . Egal ob es um die Frage der Barrierefreiheitoder um Ähnliches geht, kann ich nur zu dem sagen, wasSie gerade aufgerufen haben, dass vieles von dem nichtnur in der Mache ist, sondern auch schon Recht und Ge-setz .
Wer versucht, hier den Eindruck zu erwecken, in ganzDeutschland würden durch Modernisierungen die Mieteraus den Wohnungen getrieben, der erzählt einfach nurUnsinn . Das ist nicht der Normalfall in diesem Land .
Renate Künast
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– Frau Künast, ganz ehrlich: Beim Thema Ideologie beu-ge ich mich Ihrem Sachverstand . Auf diesem Gebiet ha-ben Sie viel mehr Erfahrung als ich .
Glauben Sie mir, wir haben den Koalitionsvertragnicht nur gelesen, wir haben ihn sogar gemacht . Alsowissen wir auch, was drinsteht . Wir wissen auch, was derUmsetzung bedarf .Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Linken heuteeinen Antrag stellen, der darauf abzielt, die Vermietungganz abzuschaffen, staatliche Wohnungen zu schaffen,diese zuzuweisen und das Geld direkt zu überweisen;denn das sei mit weniger Bürokratie verbunden, und au-ßerdem könne man sich eine ganze Reihe von diesbezüg-lichen Vorschriften sparen .
Im Blickpunkt stehen doch die Ballungszentren . Esist doch unbestritten, dass es in diesem Land Städte gibt,in denen tatsächlich ein Ungleichgewicht auf dem Woh-nungsmarkt herrscht . Das ist nun wahrlich keine neueErkenntnis .
Berlin ist ein wirklich gutes Beispiel für einen leichtaus der Balance geratenen Wohnungsmarkt . Ich fragemich aber nur, wer dort eine ganze Zeit lang Verantwor-tung getragen hat . Unter der Verantwortung der Linkensind in dieser Stadt 100 000 Sozialwohnungen abgebautworden . Das ist die Wahrheit . Das heißt, dort, wo SieVerantwortungen getragen haben, haben die Menschenkeine Wohnung mehr . So banal ist das .
Wir brauchen mehr als 300 000 zusätzliche Wohnun-gen . Das werden wir nur schaffen, wenn wir die sozialen,die demografischen und die energetischen Herausforde-rung angehen . Außerdem wird die Situation nicht geradeeinfacher durch die vielen Flüchtlinge, die sich bei unsim Land befinden.Die Lösung kann deshalb nur ein Dreiklang sein . Die-ser Dreiklang hat seinen Ursprung in einem ausbalancier-ten und gerechten Mietrecht . Er hat aber natürlich vor al-lem die Komponente eines sozialen Wohnungsbaus, dertatsächlich im Argen liegt . Da brauchen wir die Schuldgar nicht zuzuschieben . Der soziale Wohnungsbau wareinmal das Rückgrat des Aufbaus der Prosperität diesesLandes . Ich glaube, dass wir gut beraten sind, alle mitei-nander daran weiterzuarbeiten .
Wahr ist aber auch die Tatsache, dass nur private In-vestitionen in den Wohnungsmarkt die Voraussetzungenschaffen, diese drei Herausforderungen auch nur annä-hernd anzugehen, damit auch nur annähernd ein eini-germaßen zufriedenstellender Erfolg erreicht wird . Weitmehr als zwei Drittel des privaten Wohnungsmarktes indiesem Land befinden sich in privater Vermieterhand.Es hilft überhaupt nichts, wenn Sie die privaten Ver-mieter einfach an die Wand stellen und pauschal sagen,alle seien unsozial und missbrauchten alle Instrumente,nur um Geld zu verdienen . Bei der Modernisierung istdas aber doch so: Es ist eine banale Wahrheit, dass jeder,der schon einmal modernisiert hat, genau weiß, dass erdie Kosten nicht insgesamt umlegen kann . Beim Vermie-ter bleiben immer auch Dinge hängen, beispielsweise dieFinanzierungskosten .
Deshalb muss ich ganz ehrlich sagen: Wer wirklicheinen sozialen Ausgleich auf dem Wohnungsmarkt will,der muss für einen angemessenen und ausreichendenWohnungsmarkt sorgen .
Egal wie der Wohnungsmarkt aussieht, egal wie auchimmer Sie versuchen, die Mieten künstlich zu deckelnund zu dämpfen, am Ende des Tages wird der sozialSchwächere bei einem angespannten Wohnungsmarktimmer das Nachsehen haben . Genau das ist das Problem .Deshalb werden wir überhaupt keine Alternative haben,als den Wohnungsmarkt mit allem, was wir haben, an-zukurbeln . Dazu gehört auch, das Gift herauszunehmen,das diesen Investitionsmarkt niederhält .
Wir müssen bei der Modernisierung aufpassen . ImAugenblick ist bei Gottlob – na ja, nicht für jeden –niedrigen Energiepreisen natürlich auch die Umlage derModernisierungskosten schwieriger, weil die Amortisati-on niedriger ist . Das Thema Modernisierung macht denMarkt im Augenblick nicht einfacher .Wenn Frau Künast ihren Antrag und ihre Ideologieschon vor 40 Jahren durchgesetzt hätte, hätten wir dieToilette auf dem Flur – die Außentoilette – jetzt tatsäch-lich immer noch als Standard .
Es geht doch nicht nur darum, dass wir Barrierefreiheitherstellen . Das ist zwar wichtig, aber es geht auch darum,dass heutzutage bestimmte Standards notwendig sind,und dabei geht es nicht nur um Luxusmodernisierungen .So leid es mir tut: Das ist tatsächlich ideologischer Bal-last .Wenn wir die Umlagefähigkeit auf 5 Prozent senkenwürden, dann würde sich am Ende sogar die Absurditätergeben, dass man für eine nicht modernisierte Wohnungmehr Miete verlangen dürfte – die Miete dürfte stärkersteigen – als für eine modernisierte Wohnung . Ja, wo sindMichael Frieser
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wir denn? Ich bitte schon, dass man seine Vorschläge zu-mindest logisch zu Ende denkt .
Am Ende will ich noch einmal etwas zum ThemaMietspiegel sagen . Ich habe wirklich lange Jahre bei mirzu Hause im Nürnberger Stadtrat gesessen und viel Zeitmit der Wohnungspolitik verbracht und kann Ihnen nursagen: Gottlob gibt es das Instrument des Mietspiegels .Er entfaltet in Zigtausenden Kommunen eine befrieden-de Wirkung . Alle Seiten – die Mieterbünde zum größtenTeil, die Hausvermietungen und der EigentümerverbandHaus und Grund – wirken daran mit . Die Kommunenstellen ihn auf und tragen am Ende auch die Kosten . Dasist schön .Hier soll nun aber etwas bestellt werden, solange dieZeche von jemand anderem bezahlt wird . Ich frage michschon, ob Sie die Regelungen zum Mietspiegel wirklichauf andere Füße stellen wollen, wodurch Sie Abermilli-onen an Kosten für die Kommunen verursachen würden,die sie nicht haben .Wir haben uns dazu verabredet, im Koalitionsvertragzu sagen: Wir brauchen wissenschaftliche, vereinheitli-chende Standards . Es kann aber nicht sein, dass wir amEnde des Tages dafür sorgen, dass der Mietspiegel diePolitik ersetzt, wenn es um die Mietpreisbildung in derKommune geht . Das wäre absurd . Der Mietspiegel solleine befriedende Wirkung erzielen und eine Orientierungsein, und schon jetzt ist er ein Mittel, um die Mietpreisezu dämpfen . Am Ende des Tages sollte ein Mietspiegelaber nicht ein Spiegel der Politik, sondern ein Spiegelder Realität sein .Ich glaube, dass wir gut beraten sind, wenn wir beiden historischen Herausforderungen, denen sich diesesLand gegenübersieht, nicht so tun, als ob der Mietmarktdas Einfache wäre, an dem wir uns austoben können . Wirbrauchen jeden Euro und jeden Cent, der in den Woh-nungsbau investiert wird . Es heißt, hier möglichst we-nige Barrieren aufzubauen und den Menschen Mut zumachen, dass das einen Sinn hat und dass das eine ge-meinschaftliche Aufgabe in diesem Land ist .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Ulli Nissen
von der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gut, dass wir durch die vorliegenden Anträ-
ge zu so prominenter Zeit über bezahlbaren Wohnraum
sprechen können . Dieser Bereich ist uns als rot-schwar-
zer Regierungskoalition besonders wichtig, wobei ich
mir bei Frau Dött da nicht ganz so sicher bin . Liebe Frau
Dött, ich bin mir ganz sicher, dass Sie hier nicht eine sol-
che Rede gehalten hätten, wenn Düsseldorf Ihr Wahlkreis
wäre und Sie ihn direkt gewinnen wollten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, es ist
klasse, Anträge aus der Opposition heraus zu stellen;
denn man muss sich ja nicht um die Realisierung küm-
mern . Der Mietspiegel ist hierfür ein Beispiel . Sie for-
dern, dass jede Stadt ab 25 000 Einwohner einen quali-
fizierten Mietspiegel erstellen sollte. Der Bund und die
Kommunen sollten die Kosten hälftig tragen .
Die Linke hat im Osten des Landes einige Bürger-
meisterinnen und Bürgermeister . Haben Sie mit denen
darüber gesprochen, ob sie in der Lage sind, ihre meist
geringen Finanzmittel auch dafür zu nutzen, einen qua-
lifizierten Mietspiegel zu erstellen? Wir als Bund planen
konkrete Verbesserungen beim Mietspiegel . Wir wollen
ihn auf eine breitere Basis stellen und unter anderem die
Mieten der letzten zehn Jahre berücksichtigen . Auch bei
Mieterhöhungen nach Modernisierungen soll es Gren-
zen bis zu bestimmten Prozentsätzen des Einkommens
geben .
Der angespannte Wohnungsmarkt steht bei vielen
Kommunen ganz oben auf der Tagesordnung . Ich kom-
me aus Frankfurt am Main und weiß, wovon ich rede .
„Bauen, Mieten und Wohnen“ ist bei uns das bestimmen-
de Thema . Die Vorschläge der Linken helfen da nicht
weiter .
Zurück zu der Realität und zu den Dingen, die wir
auf den Weg gebracht haben und wozu auch Länder und
Kommunen beitragen müssen . Wir als rot-schwarze Re-
gierungskoalition haben zum 1 . Juni 2015 die Mietpreis-
bremse eingeführt . Sie ist ein wichtiges Instrument, das
Symptome bekämpft, nicht die Ursachen; das wissen wir
alle . Manche Länder haben sich mit der Umsetzung viel
Zeit gelassen .
Lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lay zu?
Ja, gerne . Dann habe ich mehr Redezeit, danke .
Frau Lay .
Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfra-ge zulassen . – Sie sind in Ihrer Rede schon mehrfach aufdie Linke eingegangen und haben uns kritisiert . GebenSie mir recht, dass der bisherige Debattenverlauf eherden Eindruck erweckt hat, als seien die Gemeinsamkei-ten zwischen Linker und SPD in dieser Frage deutlichgrößer als die Gemeinsamkeiten zwischen SPD und Uni-on?Geben Sie mir auch recht, dass mindestens zwei derRedner, die heute für die Union gesprochen haben, dem,Michael Frieser
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was Minister Maas von der SPD, also von Ihrer Partei,vorgelegt hat, direkt und frontal widersprochen haben?Zwei der Rednerinnen und Redner haben gesagt, dass dieUnion das, was bei der Absenkung der Modernisierungs-umlage vom Minister geplant ist, und auch das, was ge-plant ist, um den Mietspiegel auf eine breitere Grundlagezu stellen, gar nicht mittragen wird . Was halten Sie dennbitte schön davon?
Liebe Frau Lay, ich bin mir ganz sicher, dass die große
Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU ganz genau Bescheid weiß, wie wichtig es ist, Mie-
terinnen und Mieter zu schützen . Wir arbeiten sehr gut
zusammen . Es ist in jeder Fraktion so – das ist auch bei
Ihnen so –, dass man nicht in allen Themen zu 100 Pro-
zent übereinstimmt . Das ist auch in der CDU/CSU so .
Aber ich sehe hier viele Kolleginnen und Kollegen, bei
denen ich genau weiß, dass ihnen die Mieterinnen und
Mieter wichtig sind . Deshalb bin ich mir ganz sicher,
dass wir das, was in der Koalitionsvereinbarung steht,
umsetzen werden . – Ich danke Ihnen für Ihre Frage .
Ich habe angesprochen, dass wir zum 1 . Juni 2015
die Mietpreisbremse eingeführt haben, aber sich manche
Länder mit der Umsetzung leider Zeit gelassen haben .
Ich muss hier die Grünen ansprechen . Ihr von den Grü-
nen haltet immer tolle Reden . Aber was machen die Grü-
nen in Hessen? Ich werde hier einige Punkte erwähnen,
die mich wirklich erschrecken .
Im schwarz-grünen Hessen wurde die Mietpreisbrem-
se erst Ende November 2015 eingeführt, also etwa sechs
Monate später . Sie wurde in meiner Stadt Frankfurt auch
nicht flächendeckend für alle Stadtteile eingeführt. Das
ist für die Mieterinnen und Mieter ganz schlecht .
Sprechen Sie bitte einmal mit den Kolleginnen und Kol-
legen aus dem Landtag .
– Frau Künast, zuhören bitte .
Natürlich brauchen wir Maßnahmen gegen Luxussanie-
rungen, die allein zur Profitmaximierung, zur Entmietung
und damit zur Vertreibung von Mieterinnen und Mietern
dienen sollen . Dagegen werden wir als Bund Initiativen
ergreifen .
Aber auch Kommunen selbst können durch eine Mi-
lieuschutzsatzung gegen Luxussanierungen vorgehen .
Dann müssten alle geplanten Modernisierungen der
Stadt zur Genehmigung vorgelegt werden . Dies ist lei-
der in Frankfurt-Ostend, dem Stadtteil der EZB, nicht
passiert . Dort gibt es ein über die Stadtgrenzen hinaus
bekanntes negatives Beispiel für die Entmietungsversu-
che eines Miethais, die Wingertstraße 21 . Es ist nur der
großen Solidarität der dortigen Bewohner untereinander
gemeinsam mit der Nachbarschaft zu verdanken, dass
der Miethai mit seinen aus meiner Sicht brutalen Entmie-
tungsversuchen keinen Erfolg hat . Liebe Wingertstra-
ße 21, ihr habt mich weiter kämpferisch auf eurer Seite!
Auch die Länder können viel tun, unter anderem eine
Landesverordnung erlassen, mit der die Umwandlung
von Miet- in Eigentumswohnungen unter Genehmi-
gungsvorbehalt gestellt wird . Dies würde uns in Frankfurt
sehr helfen . Leider gibt es dies unter der schwarz-grünen
Landesregierung Hessen nicht . Außerdem gibt es in Hes-
sen weiterhin das große Problem der Eigenbedarfsklagen
bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnun-
gen . Länder könnten durch eine Rechtsverordnung die
Kündigungssperrfrist auf zehn Jahre verlängern . Unter
Schwarz-Grün in Hessen ist diese Frist bei fünf Jahren
geblieben, so wie das auch unter der CDU- und FDP-Re-
gierung der Fall gewesen ist. Das finde ich sehr erschre-
ckend .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen: Es gibt
viele Punkte, die wir gemeinsam klären können . Auf
Bundesebene, Landesebene und kommunaler Ebene
müssen wir zusammenarbeiten . Ich bin mir ganz sicher –
um noch einmal auf die CDU/CSU einzugehen –, dass
wir das umsetzen werden, was wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben .
Ich danke Ihnen .
Als nächster Redner hat Dr . Volker Ullrich von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wohnen ist ein Grundbedürfnis der Menschen,und wir sollten uns mit diesem Bedürfnis beschäftigenstatt mit uns selbst . Wir haben über Facharbeiter, Poli-zisten, Krankenschwestern, Handwerker, Verwaltungs-angestellte und viele mehr zu sprechen, die in den gro-ßen Städten arbeiten und wesentlich zum Gelingen derStadtgesellschaft beitragen, sich dort aber keine Woh-Caren Lay
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nung bzw . kein Haus für sich und ihre Familien leistenkönnen und gezwungen sind, lange Pendelwege in Kaufzu nehmen .Wir haben zu diskutieren über Wartelisten für Sozi-alwohnungen der Wohnungsbaugesellschaften in denStädten, die schneller wachsen, als neue Wohnungen ent-stehen . Wir müssen aber auch über umsichtige Vermie-ter reden, die über 70 Prozent des Mietbestands in ihremBesitz halten und ein gutes Verhältnis zu ihren Mieternpflegen.Zutreffend ist, dass die Große Koalition mit der Miet-preisbremse ein Gesetz zur Begrenzung des Anstiegs derMiete geschaffen hat . Wahr ist aber auch, dass durch dieRegulierung der Miethöhe allein kein neuer Wohnraumgeschaffen wird . Der Schlüssel zu bezahlbarem Wohnenliegt in einer einzigen Tatsache: dem Neubau von Woh-nungen .
Wir werden und müssen daher mit den uns zur Ver-fügung stehenden Mitteln dafür sorgen, dass neuerWohnraum entsteht . Es ist nicht der Weg der schnellenund kurzfristigen Versprechungen, der zum Erfolg führt,sondern die Schwierigkeiten des Wohnungsmietmarkteserfordern durchdachte Lösungen und eine gute Balancezwischen den Rechten der Mieter und der Investitionsbe-reitschaft der Vermieter . Wir spielen Mieter und Vermie-ter nicht gegeneinander aus, sondern wir versöhnen sieim Interesse der Menschen .
Wir haben uns um unsere Städte und Kommunen zukümmern . Der Schlüssel zum Neubau liegt in den großenStädten und Kommunen . Aber viele Kommunen fragensich zu Recht, weshalb sie über ihre Wohnungsbauge-sellschaften Wohnungen errichten oder Wohngebiete mitSozialbindung ausweisen sollen, wenn sie dann durchdie Kosten der Unterkunft für wirtschaftlich Schwacheim Ergebnis die Miete selbst bezahlen und damit ihreohnehin angespannten Haushalte weiter belasten sollen .
Deswegen hat die Große Koalition ein Paket auf denWeg gebracht, um die Kommunen zu entlasten . Wir müs-sen uns fragen: Was können wir in Sachen Entlastung derKommunen noch weiter tun?Der Wohnungsmietmarkt ist kein Markt wie jeder an-dere . Er ist aus guten Gründen wie der Sozialbindung desEigentums und aus Erwägungen des Gemeinwohls starkreglementiert . Wir können aber trotzdem die Instrumen-te des Marktmechanismus nicht ganz ausblenden . Durchzu tiefe rechtliche Einschränkungen und wirtschaftlicheEinschnitte darf nicht die Situation entstehen, dass Inves-titionen in Wohnungsbestand oder Neubau für Vermieterso unattraktiv werden, dass sie erlahmen oder unterblei-ben und die öffentliche Hand das am Ende durch Pro-gramme retten muss .Wir müssen uns fragen: Wie setzen wir die richtigenAnreize, damit Vermieter in den Wohnungsmarkt inves-tieren?
In den letzten Jahren sind aus guten und politisch eh-renwerten Motiven immer höhere Ansprüche an Bauenund Sanieren gestellt worden . Energieeinsparungsver-ordnung, Kosten für Umweltprüfungen, Barrierefreiheit,Brandschutz, ökologische Ausgleichsmaßnahmen undKlimaschutz: Daran will und darf niemand etwas ändern .Wir müssen uns aber fragen, ob wir die gleichen Zielenicht gleich effektiv durch weniger Vorschriften errei-chen können und damit Baukosten senken . Für die Errei-chung all dieser Ziele sind die Anträge der Linken nichtweiter hilfreich . Sie schaffen keinen neuen Wohnraum .Sie dämpfen nicht die Mietpreisentwicklung,
sondern führen zu mehr Regulierung in einem Marktbe-reich, der vieles benötigt, nur keine neuen Regeln, die In-vestitionen erschweren und damit das Leben der Mieterschwerer machen .
Wir brauchen klare Signale für bezahlbare Mieten undneuen Wohnraum in diesem Land . Dazu gehört:Erstens . Wir brauchen mehr und bessere steuerlicheAnreize, damit neuer Wohnraum entsteht . Das dient nichtnur dazu, dass wir Kapital, das nach einer Investitionsucht, gezielt in den Wohnungsmietmarkt lenken . Viel-mehr wollen wir durch steuerliche Anreize den Neubauvon Wohnungen fördern . Wir sollten uns überlegen, einedegressive Abschreibung für Wohnungsneubauten ein-zuführen . Die Eigenheimzulage, die abgeschafft wurde,wäre für Familien möglicherweise ein gutes Instrument .
Zweitens . Wir müssen über baurechtliche Vorgabenund Standards reden . Wir sollten die Länder ermutigen,in ihren bauordnungsrechtlichen Vorschriften sowie imRahmen der Stellplatzverordnung und der Energieein-sparverordnung Potenziale zu heben; denn diese brau-chen wir, um neue Wohnungen entstehen zu lassen .
Drittens . Wir brauchen eine Förderung des sozialenund genossenschaftlichen Wohnungsbaus, nicht als al-leinseligmachendes Instrument, sondern als Ergänzungin sozialen Städten, um Menschen, die wirtschaftlichschwächer sind, Wohnen in Städten zu erlauben . Wirsollten uns fragen, ob der Bund den sozialen Woh-nungsbau noch stärker unterstützen kann und inwiefernwir durch Rechtsänderungen dem genossenschaftlichenWohnungsbau zu einer Renaissance verhelfen können .Wir sollten auch über Fragen der Gemeinnützigkeit imWohnungsbau nachdenken .Viertens . Wir brauchen ein kluges und ausgewogenesMietrecht . Die Modernisierungsumlage darf nicht dazuDr. Volker Ullrich
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führen, dass Investitionen gänzlich unterbleiben . Abersie darf auch nicht zu einer Situation führen, in der sichVermieter einseitig und zulasten der Mieter bereichern .Wir sollten bei den Regeln, die wir im Koalitionsvertragvereinbart haben, bleiben; denn das sind gute und ausge-wogene Regeln .
Wir müssen auch über die Frage sprechen, wie wir we-sentliche Punkte, die die Rechtsprechung in den letztenJahren geregelt hat und die ebenfalls zu einem Anstiegder Mieten geführt haben – Stichworte „Kappungsgren-ze“ und „Schönheitsreparaturen“ –, rechtlich regeln, umRechtssicherheit zu schaffen, und zwar für Vermieter undMieter . Rechtssicherheit ist im Bereich des Mietrechtsein Wert, den wir nicht hoch genug schätzen können .Wenn wir all diese Punkte beachten und umsetzen –von steuerlichen Vorschriften bis hin zur Entschlackungder Bauvorschriften –, wenn wir klug und besonnen vor-gehen und wenn wir an die Menschen denken, für diegutes Wohnen eine wesentliche Frage ist, dann werdenwir Erfolg haben und die Lebensqualität in den Städtenund Gemeinden für die Menschen erhöhen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kol-lege Ullrich, Sie sind ja ein Versöhner und Brückenbauer .
Sie haben in Ihrer Rede darauf hingewiesen, dass in un-serem Koalitionsvertrag steht, dass wir die Mieter undMieterinnen vor finanzieller Überforderung schützen undden Mietspiegel auf eine breitere Basis stellen wollen .Ich bin gespannt, ob uns das gemeinsam gelingt . Einebreitere Basis bedeutet für mich jedenfalls, dass wir auchüber die Bezugsdauer reden müssen, also darüber, wielange man bei der Erhebung des Mietspiegels zurück-blickt . Es kann nicht sein, dass wir am bisherigen Vier-jahreszeitraum festhalten .
Ich hatte heute schon Angst, dass wir die sozialeMarktwirtschaft als Grundlage unseres Handelns verlas-sen .
Von Ideologie war die Rede . Für mich verhält es sich so:Eigentum verpflichtet, ist aber auch zu schützen. Beidesgehört zusammen . Wir stehen sowohl auf der Seite derkleinen Vermieter, der Vermieter, die mit ihrer Wohnim-mobilie verantwortlich umgehen, als auch auf der Seitedes Deutschen Mieterbundes . Beide müssen zusammen-geführt werden .
Das Beispiel, über das heute auch der Kollege Luczakberichtet hat, nämlich dass Rentner und Rentnerinnenihre Wohnungen verlassen müssen, weil sie nicht in bar-rierefreien Wohnungen wohnen, und dass man deswegenauch die 11 Prozent Modernisierungsumlage ermögli-chen müsse, ist die eine Seite . Es ist richtig: Uns fehlenin Deutschland über 2 Millionen barrierefreie Wohnun-gen . In diesem Umfang müssen in den nächsten JahrenWohnungen barrierefrei modernisiert werden .Die andere Seite ist aber, dass Rentnerinnen und Rent-ner ausziehen müssen, weil modernisiert wurde . Und dasmüssen wir verhindern .
Das müssen wir in Einklang bringen .Wenn Sie den Wohngeldbericht der Bundesregierungstudieren, dann sehen Sie, dass von den Wohngeldemp-fängern und -empfängerinnen fast 50 Prozent Rentnerund Rentnerinnen sind . Es ist eine soziale Tat, dafür zusorgen, dass diese Menschen in ihrem Umfeld bleibenkönnen, dass sie ihre Nachbarschaften weiter nutzenkönnen, dass sie sich darauf verlassen können, eben nichtvertrieben zu werden, weil Luxusmodernisierung statt-findet.
Wir haben vor zwei Jahren versucht, im Koalitions-vertrag die soziale Funktion des Mietrechts zu stärken .Das ist durch das Mietrechtspaket I passiert . Es gibt si-cherlich Dinge, die wir beobachten müssen, die wir eva-luieren müssen . Der Mieterbund weist darauf hin, dassnachfolgende Mieter häufig nicht wissen, wie hoch dieMiete vorher war, weil unter anderem kein Mietspiegelvorhanden war, aber auch deshalb, weil der Vermieterdie Information nicht zur Verfügung stellt und der Mietererst sehr spät erfährt, ob unsere Gesetzgebung auch fürihn dahin gehend greift, einen neuen Mietvertrag nur miteiner Mietsteigerung von bis zu 10 Prozent über der orts-üblichen Vergleichsmiete zu unterschreiben .Dieses zweite Mietrechtspaket, über das heute schonmehrfach gesprochen wurde, ist unbedingt notwendig .
Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht passiert, dassdann, wenn eine Investitionssumme von 20 000 EuroDr. Volker Ullrich
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in die Hand genommen wird, ein Mieter womöglich da-mit belastet werden kann, dass eine Mieterhöhung von180 Euro pro Monat stattfindet, und das dauerhaft.
Das darf nicht passieren . Denn das führt natürlich dazu,dass es zu finanziellen Überforderungen kommt und dassder Mieter gegebenenfalls gezwungen wird, aus seinerWohnung auszuziehen .Also, wir haben zwei Leitplanken gesetzt: das ersteMietrechtspaket und das zweite .Ich will nur noch darauf hinweisen – das wurde heu-te ja mehrfach angesprochen –, dass wir Wohnraumschaffen müssen . Ja – unsere Ministerin hat das deut-lich gemacht –, wir wollen unter anderem die sozialeWohnraumförderung noch einmal ausbauen . Ich hoffe,wir werden uns da einig . Sie hat den Vorschlag gemacht,die Mittel auf 2 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen .Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass wir gera-de unter dem Blickwinkel, dass Menschen mit geringemEinkommen auch in den Gebieten, in denen es teurerwird, wohnen können müssen, mehr sozialen Wohnraumschaffen . Wir müssen uns auch mit den Sozialbindungenaus einandersetzen, wir brauchen dauerhafte Bindungenbei den Wohnungen .Vorhin – ich bin ja fast vom Stuhl gefallen – sagteKollege Ullrich, wir müssten über den Ausbau der Ge-nossenschaften reden, wir müssten über Gemeinnützig-keit reden . Ja, tun wir das, machen wir das,
erreichen wir das noch in dieser Legislatur! Dann sindwir auf einem sehr guten Weg .Herzlichen Dank . Glück auf!
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/7263 und 18/5230 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen auch so beschlossen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zum Tagesordnungspunkt 6:
– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesre-
gierung
Fortsetzung und Erweiterung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an
der Multidimensionalen Integrierten Stabi-
lisierungsmission der Vereinten Nationen
in Mali auf Grundlage der
Resolutionen 2100 , 2164 (2014) und
2227 des Sicherheitsrates der Verein-
ten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni
2014 und 29. Juni 2015
Drucksachen 18/7206, 18/7366
Drucksache 18/7389
Zu der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-
schusses liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussemp-
fehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir später
namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der
Aussprache hat Niels Annen von der SPD-Fraktion das
Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine Kolleginnenund Kollegen! Im Januar 2013, also vor gut drei Jahren,konnte der Vorstoß islamistischer Milizen auf Bamakonur durch das beherzte Eingreifen der französischen Ar-mee gestoppt werden, und man konnte die damals be-setzten Regionen im Norden des Landes und die StädteKidal, Gao und Timbuktu wieder befreien . Seitdem be-müht sich die internationale Gemeinschaft darum, dieLage in dem Land wieder zu stabilisieren .Es geht bei diesem Engagement um den Versöh-nungsprozess in Mali, aber es geht dabei ebenso umeine wirtschaftliche und eine politische Stabilisierungder gesamten Sahelregion, durch die wichtige legale,aber leider – wir wissen es alle – auch sehr viele illega-le Handelsrouten führen, die von Menschen- und Dro-genschmugglern ebenso genutzt werden wie von isla-mistischen Terroristen . Erst vor wenigen Tagen wurdedie bisher von uns als sicher betrachtete Hauptstadt vonBurkina Faso, Ouagadougou, Opfer eines schrecklichenislamistischen Anschlages . Das zeigt, wie fragil die Lagein der Region weiterhin ist .Wenn deswegen, meine sehr verehrten Damen undHerren, die Bundeswehr ihren bisher eher symbolischenBeitrag für die UN-geführte MINUSMA-Operation jetztdeutlich ausweitet, ist dies ein Engagement, das ein sehrklares Zeichen setzen soll: Unser Nachbarkontinent Afrika darf uns nicht egal sein, auch deswegen, weil wirschmerzlich erfahren mussten, dass unsere Sicherheitmiteinander verbunden ist .
Dreh- und Angelpunkt unserer Bemühungen ist dieFriedensvereinbarung vom Juni 2015, die von der ma-lischen Regierung und von verschiedenen Rebellenmili-zen unterzeichnet wurde . So soll aus dem Norden, derMichael Groß
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auch in den letzten Jahrzehnten immer vernachlässigtworden ist, eine prosperierende Gegend werden; es solldort auch ein größerer Teil – bis zu einem Drittel – derSteuereinnahmen investiert werden, und es soll eine Ver-fassungsreform in Mali geben . Wir wissen, dass nichtalle Gruppierungen der Aufständischen diesen Friedens-vertrag unterzeichnet haben . Auch deswegen brauchenwir hier eine robuste Stabilisierung – ich sage das nocheinmal – auf Grundlage eines UN-Mandats .Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist wahr:Der Norden ist unterfinanziert, die staatlichen Struktu-ren sind ausgesprochen schwach, es herrschen dort Ar-beitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Korruption, auch derDrogenhandel hat sich dort festsetzen können . Das trägtzur Destabilisierung Malis bei . Aber wenn Sie sich ein-mal die Handelsrouten in der Sahelregion und durch dieSahara anschauen, dann werden Sie sehr schnell erken-nen können, welche strategische Bedeutung der NordenMalis für die gesamte Region hat .Die letzten Monate haben auch gezeigt – ich willdas an dieser Stelle nicht verschweigen, weil es für dieDebatte auch wichtig ist –, dass wir weiterhin Drucknicht nur auf die Rebellen, die den Vertrag unterzeich-net haben, ausüben müssen, sich an das zu halten, wassie unterzeichnet haben, sondern auch auf die Regierungin Bamako; denn dort hat es so etwas wie ein Sichein-richten in die Situation gegeben . Ich glaube, wir müssendeutlich machen: Es gibt eine große Chance für Mali,aber es gibt sie nur, wenn sich alle Seiten beteiligen .Deswegen muss dieser Druck aufrechterhalten werden .Der Versöhnungsprozess kann nicht nur auf dem Papierstattfinden. Insofern glaube ich, dass die Angebote, diewir mit dem unterbreiten, was hier zur Beschlussfassungvorliegt, nämlich eine Ausweitung unseres Beitrags fürMINUSMA, aber eben auch die zivilen und politischenUnterstützungsmaßnahmen, ganz entscheidend sind .Denn Mali – auch das darf man nicht vergessen – istein Land mit großem Potenzial, gerade im Bereich derLandwirtschaft, das aber nicht ausreichend genutzt wird .Auch im Bereich des Bildungssektors gibt es große De-fizite. Ich könnte das fortsetzen. Deutsche Expertinnenund Experten können und werden dort wichtige Arbeitleisten, um Mali auf seinem Weg weiter zu begleiten .Doch der Friedensprozess – ich habe das angedeu-tet – stockt auch deswegen, weil es in der Hauptstadt Ba-mako, in den dortigen politischen Vereinigungen, nichtgenügend Durchsetzungskraft gibt . Ich will das in einerZeit sagen, in der wir hier in Deutschland über die Neu-regelung der Finanzierung zwischen Bund und Ländernmiteinander diskutieren . In einem Land, in dem etwa90 Prozent der Bevölkerung im Süden leben, ist der An-reiz für die dortige Politik, ein Drittel der Steuereinnah-men im Norden auszugeben, natürlich nicht besondershoch . Deswegen müssen wir auch deutlich machen: Eslohnt sich für diejenigen, die sich in Mali dafür einsetzen,weil wir unterstützen werden .Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich willauch offen sagen: Wenn dieses Parlament der Auswei-tung von MINUSMA zustimmt, wird die Bundeswehreine wichtige Arbeit im Bereich der Lagebilderstellungsowie der Sicherung und des Schutzes der Bevölkerungerledigen – in einer Gegend, die nicht ungefährlich ist .Ich will es ausdrücklich ansprechen: Es ist ein gefährli-cher Einsatz . Aber alle meine Gesprächspartner, sowohlin Bamako als auch in Gao, haben sehr deutlich gemacht:Der Vergleich mit Afghanistan – man hat von „Afghanis-tan 2 .0“ und anderen Dingen in der deutschen Presse abund zu lesen können – ist wirklich sehr weit hergeholt .Man kann die Situation dort nicht mit der in anderen Län-dern vergleichen .
Ich glaube, es ist sehr entscheidend, dass wir die Er-fahrungen aus langjähriger politischer, entwicklungspoli-tischer Zusammenarbeit zwischen Mali und Deutschlandjetzt nutzen, um auch in Gao und in der Region, wo wiruns stärker präsentieren werden, deutlich zu machen: Esgibt eine unmittelbare Verbindung zwischen wirtschaftli-chen Perspektiven für die örtliche Bevölkerung und dem,was wir dort machen .Ich glaube, dass es ein Einsatz ist, den man guten Ge-wissens unterstützen kann . Ich bitte Sie deswegen umZustimmung für das vorliegende Mandat .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Christine
Buchholz von der Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wäh-rend wir hier über das Mandat für den UN-MilitäreinsatzMINUSMA in Mali diskutieren, wohin Sie zusätzlich500 Soldaten schicken wollen, findet in Eutin in Schles-wig-Holstein eine Waffenschau statt .
Heer und Luftwaffe führen Waffen vor, die sie mit nachMali nehmen wollen – unter anderem Drohnen . Eine par-lamentarische Debatte mit einer Waffenschau zu beglei-ten, das geht gar nicht .
Das offenbart auch Ihre Prioritäten . Was Sie, was dieBundesregierung, was Frau von der Leyen hier in Szenesetzen möchten, ist: Sie wollen Deutschland wieder zueiner Militärmacht machen; daher der wahnwitzige Auf-rüstungsplan, innerhalb von 15 Jahren 130 MilliardenEuro in militärische Aufrüstung zu stecken . Was Sie hierNiels Annen
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betreiben, hat nichts mit Friedenssicherung oder Stabili-sierung zu tun .
Sie reden davon, dass das Friedensabkommen vonAlgier gerettet werden muss . Was Sie verschweigen, istnicht nur, dass das Abkommen stockt, sondern auch, dassseit sechs Monaten, seit dem Abschluss des Abkommens,keine der getroffenen Vereinbarungen umgesetzt wurde .Stattdessen ist in den letzten drei Wochen die Gewalt inMali wieder eskaliert . Und Sie rechtfertigen den Bundes-wehreinsatz damit, er solle den Frieden erhalten . Sie ver-schweigen, dass es diesen Frieden nicht gibt . Die Bun-deswehr wird ihn auch nicht herstellen .
Um den Militäreinsatz zu rechtfertigen, präsentierenSie hier einen Konflikt zwischen Gut und Böse; aberdas ist viel zu einfach . Einige Beispiele: In der Nähevon Timbuktu kamen vor zwei Wochen zwei malischeSoldaten bei einem Attentat von Dschihadisten um; ma-lische Soldaten haben am selben Tag ein Lager von Tu-areg-Nomaden überfallen und dort vier Zivilisten getö-tet . MINUSMA selbst hat zwei Berichte veröffentlicht,wonach die malische Armee 2014 blindlings mit Artille-rie auf die Tuareg-Stadt Kidal geschossen hat . In einemanderen Fall haben regierungstreue Milizen 2015 in derRegion Gao sechs Menschen hingerichtet . Die Wahrheitist: Die Regierung in Bamako und ihre Armee sind selbstTeil des Problems .
Was auffällt, Herr Gädechens, Herr Annen – der Punktist klar –, ist, dass die Haltung der malischen Bevölke-rung weder bei der CDU noch bei der SPD Berücksichti-gung findet. Der Grund dafür ist ganz einfach: Viele Ma-lier stehen den Truppen feindlich gegenüber und habenjedes Vertrauen verloren .
Mali-Mètre – das ist der Titel einer Umfrage, die von derFriedrich-Ebert-Stiftung unterstützt wurde – ergab voreinem halben Jahr folgendes Bild: Nur ein Drittel derMalier glaubt, dass MINUSMA ihre Aufgabe zufrieden-stellend oder einigermaßen umsetzt .Die Hälfte der Befragten glaubt nicht, dass MINUSMAsie schützt . Damals wurde das Friedensabkommen gera-de unterzeichnet . Seitdem hat sich die Lage deutlich ver-schlechtert . Diesen Eindruck bestätigen mir auch meineGesprächspartner in Mali . Offensichtlich reden wir mitunterschiedlichen Leuten, Niels Annen .Mit der Ausweitung des deutschen Einsatzes auf Gaobesteht die Gefahr, dass die Bundeswehrpräsenz fürdie Einwohner im Norden Malis immer weniger vomKampfeinsatz der ehemaligen Kolonialmacht Frankreichzu unterscheiden ist . Im Rahmen der Operation Barkha-ne führt die französische Armee abseits jeder Berichter-stattung einen Antiterroreinsatz durch . MINUSMA undBarkhane sind zwar voneinander getrennte Einsätze,aber sie sind miteinander verbunden . Das uns vorlie-gende Mandat sieht für den Notfall sogar ausdrücklichdie Einsatzunterstützung für französische Kampftruppenvon Barkhane vor .Wir, meine Damen und Herren, haben die Antiterror-operationen im Irak, in Afghanistan und anderswo abge-lehnt . Wir lehnen eine solche Operation auch in Mali ab .
Die traurige Bilanz des Antiterrorkriegs in der Region,aber auch in Mali gibt uns recht .Frau von der Leyen wird in der Presse heute zitiert,wir sollten mit Geduld an die neue Aufgabe dieses aus-geweiteten Einsatzes in Mali herangehen, er habe ja ge-rade erst begonnen, und verweist darauf, dass es eine dergefährlichsten Missionen sei . Wir geben ihr an der Stel-le recht . Aber wir sagen auch: Bitte ziehen Sie endlichdie Konsequenzen! Die Beteiligung an MINUSMA istfalsch, sie löst keine Probleme in Mali, und sie setzt auflange Zeit Soldatinnen und Soldaten Gefahren aus, dienicht kalkulierbar sind . Die Linke sagt geschlossen Neinzu MINUSMA .Wir sagen Ihnen auch: Hören Sie auf, Heerschauenund Waffenspektakel zur Begleitung Ihrer Bundeswehr-einsätze zu veranstalten!
Das ist bestenfalls geschmacklos .
Elisabeth Motschmann hat als nächste Rednerin das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich möchte in meiner Rede auf zwei Punkte eingehen,nämlich erstens: Warum wollen wir das Mandat in Malierweitern? Diese Frage ist im Außenverhältnis wichtig,um es denen, die sich nicht täglich mit diesen Problemenbeschäftigen, zu erklären . Zweitens möchte ich mir er-lauben, einmal auf die ethische Begründung für militäri-sche Einsätze der Bundeswehr einzugehen .
– Genau das möchte ich auch zu Ihrer Unterrichtung tun,lieber Herr Gehrcke . – Dahinter steht die Frage: Kannman Frieden schaffen mit Waffen? Das haben Sie ja ebenverneint, Frau Buchholz .
Ich gehe aber zunächst kurz auf den ersten Punkt ein:Die instabile Lage in Mali hat nicht nur Auswirkungenauf die Region, sondern natürlich auch auf Europa; daswissen wir inzwischen . Die Probleme in Mali sind unsereChristine Buchholz
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Probleme; denn wenn sich Flüchtlinge aus Mali auf denWeg nach Europa oder gar Deutschland machen, wissenwir, was geschieht . Wenn es uns nicht gelingt, auch in Afrika erträgliche Lebensbedingungen zu schaffen – da-rauf ist vielfach hingewiesen worden –, werden wir inZukunft mit weiteren Fluchtbewegungen rechnen müs-sen .Wenn wir Mali helfen und stabilisieren wollen, brau-chen wir zwei Dinge: Wir brauchen Geduld, und wirbrauchen Vertrauen .Warum brauchen wir Geduld? Im Rahmen der MINUSMA-Mission haben die Soldaten der VereintenNationen in Mali Rückschläge erfahren . Das wird auchin Zukunft passieren . Das darf aber gar kein Anlass dafürsein, dass wir an unseren Zielen, die der Kollege Anneneben schon klar beschrieben hat, zweifeln . Ein Friedens-prozess bzw . ein Versöhnungsprozess wie der in Malibraucht also viel Zeit . Die Vereinten Nationen habenschon erreicht, dass sich fast alle bewaffneten Gruppenzu Verhandlungen zusammengesetzt und einen Friedens-vertrag ausgehandelt und unterzeichnet haben . Der er-reichte Waffenstillstand ist ein erster wichtiger Schritt indiesem Versöhnungsprozess .Warum brauchen wir Vertrauen? Uns ist durchaus be-wusst, dass es sich bei dieser Mission um einen schwie-rigen Einsatz handelt; darauf ist hingewiesen worden .Schon aus Solidarität mit den Vereinten Nationen, mitFrankreich, mit den Niederlanden ist die Erweiterungdes Einsatzes für uns wichtig . Derzeit trägt Frankreichdie militärische Hauptlast in Mali; und wir sind einer derengsten und wichtigsten Bündnispartner Frankreichs .Das bestätigt eine Umfrage: 82 Prozent der Franzosenbezeichnen Deutschland da als den vertrauenswürdigstenBündnispartner . Da ist das Vertrauen; und andere Ländersetzen ebenfalls auf uns .Die MINUSMA-Mission dient nicht nur der Sicher-heit und Stabilisierung des Landes, sondern auch – daraufist hingewiesen worden – dem Schutz von Zivilpersonen,dem Schutz der Menschen . Noch immer tyrannisierenRebellen die Bewohner des Nordens, sie verfolgen sie,sie töten sie auf grausame Weise .Ich komme zum zweiten Punkt, der ethischen Begrün-dung, die wir auch im Innenverhältnis brauchen . JederEinsatz der Bundeswehr muss ja nicht nur politisch undmilitärisch begründet werden, sondern wir müssen unsauch immer wieder fragen: Sind diese Einsätze ethischverantwortbar? Die Bundeskanzlerin und der Außenmi-nister haben niemals einen Zweifel daran gelassen, dassmilitärische Einsätze immer nur die Ultima Ratio, dasletzte Mittel, sein können . Parallel müssen wir in poli-tischen, diplomatischen Verhandlungen und Prozessennach Lösungen suchen . Und genau das geschieht ja auch .Hier schließt sich aber die Frage an: Können wir nurmit diplomatischen Prozessen Frieden schaffen? Dasage ich ganz klar: leider nicht. Die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann vertritt ja die Ansicht – ich zitiere –:Ich fände es gut, wenn die Bundesrepublik auf eineArmee verzichten könnte …
Welch eine Illusion!
Vor dem Hintergrund dessen, was wir im Augenblick er-leben, ist das hochgradig naiv und unverantwortbar, wasMargot Käßmann sagt .
Unverantwortlich ist auch, Frau Buchholz, wenn Sie voneinem „wahnwitzigen Aufrüstungsplan“ sprechen .
Wir müssen die Bundeswehr vernünftig ausstatten, wennwir sie in diese Einsätze schicken, und erst recht, wennwir sie in gefährliche Einsätze schicken .
Ganz anders sieht es übrigens der ehemaligeEKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber . Dessen Zitatgeht mir immer wieder durch den Kopf, weil ich es wich-tig für uns finde; wir müssen ja nachher eine blaue, roteoder weiße Karte in die Urne werfen .
– Sie können die rote Karte nehmen, aber wir nehmen dieblaue . – Er sagt:Für mich schließt das Gebot „Du sollst nicht töten“auch das Gebot ein: „Du sollst nicht töten lassen“ .Ich wiederhole noch einmal, was Huber sagt: Für michschließt das Gebot „Du sollst nicht töten“ das Gebot „Dusollst nicht töten lassen“ ein .Terroristen, ob in Syrien, dem Irak oder Mali, kannman nicht mit Argumenten begegnen, liebe FrauBuchholz .
Das müssten Sie auch schon einmal bemerkt haben . Wirwollen die Menschen in Mali doch schützen und ihnendie Chance auf ein friedliches Leben geben . In diesemFall müssen wir dies auch mit militärischen Mitteln tun;denn ohne das Militär gibt es keine humanitäre Hilfe,gibt es keinen Friedensprozess .Die Präsidentin mahnt, deshalb schließe ich ab undmöchte den Linken noch ins Stammbuch schreiben, wasRupert Neudeck, ein ausgewiesener Pazifist, erklärt hat –Zitat –:Ich möchte nicht Menschen sterben lassen nur we-gen der Reinheit meiner Philosophie oder meinesPazifismus.Besser kann ich es nicht sagen, und das möchte ich Ihnenins Stammbuch schreiben .Elisabeth Motschmann
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Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat AgnieszkaBrugger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dasWort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn dieMenschen das Wort „Militäreinsatz“ hören, dann denkenaktuell viele an Syrien, an Afghanistan, an den Irak oderan Libyen . Viel weniger im Licht der Aufmerksamkeitstehen die Friedensmissionen der Vereinten Nationen –eindeutig zu Unrecht . Denn im Rahmen dieser Einsätzeleisten zivile Expertinnen und Experten, Polizeiangehö-rige und natürlich vor allem Soldatinnen und SoldatenBeachtliches, um in sehr schwierigen Situationen in denBürgerkriegsregionen und Krisenregionen dieser Weltdie Weichen für einen Weg hin zu weniger Gewalt undzu Frieden und Sicherheit zu stellen .Es gibt für diese Einsätze keine Erfolgsgarantie, undes gibt in der Geschichte auch einige, die gescheitertsind, aber eine Reihe von ihnen hat entscheidend dazubeigetragen, dass Gewaltkonflikte ein Ende gefunden ha-ben. Eine dieser Friedensmissionen findet seit ungefährdrei Jahren in Mali statt . Es ist sicher zu früh, zu sagen,dass sie ein Erfolg wird, aber man kann mit Sicherheitgetrost feststellen, dass sie einen sehr wichtigen Beitragzur Stabilisierung geleistet hat .
Der jahrzehntelange Konflikt zwischen den Bevöl-kerungsgruppen im Süden und im Norden von Mali ist2012 schrecklich eskaliert, und das hat dazu geführt, dasseine unheilvolle Allianz aus Rebellenorganisationen, Un-abhängigkeitsbewegungen, aber eben auch Kriminellenund Islamisten eine Schreckensherrschaft im Norden vonMali errichtet hat und dann versucht hat, auch den Sü-den zu erobern . Infolgedessen kam es zu einem Militär-putsch in der Hauptstadt Bamako, der gleichzeitig auchdie Schwäche der staatlichen Institutionen und der mali-schen Sicherheitskräfte offenbart hat . Nur das Eingreifender Weltgemeinschaft, insbesondere der Franzosen, alsReaktion auf den Hilferuf der malischen Regierung hatdas Schlimmste verhindert .2012 war aber auch klar, dass der Weg hin zu dau-erhaftem Frieden und zu dauerhafter Sicherheit ein sehrlanger und schwieriger, ein sehr brüchiger und gefährli-cher Prozess sein würde . Um die Menschen in Mali dabeizu unterstützen und zu begleiten, haben die Vereinten Na-tionen die Einrichtung der Friedensmission MINUSMAbeschlossen .Heute, vier Jahre später, ist Mali an einer wichtigenWeggabelung; denn die Zukunft Malis wird sich daranentscheiden, ob die große Herausforderung gelingt, dasFriedensabkommen umzusetzen . Genau das ist die Auf-gabe von MINUSMA . Die Mission fordert diesen Frie-densprozess offensiv ein, sie mahnt ihn immer an . Daswar extrem wichtig; denn die Verhandlungen zwischenden Konfliktparteien waren sehr schwierig und hätten nurallzu leicht scheitern können . MINUSMA schafft aberauch als unparteiliche Kraft Transparenz und benennt dieVerstöße gegen die Abmachungen ebenso wie die dafürVerantwortlichen .Dass Frau Buchholz uns vorhin Zahlen präsentierenkonnte, liegt daran, dass MINUSMA die Aufgaben er-füllt .
Die eben zitierte Umfrage kann man natürlich auch solesen – zu den Aufgaben von MINUSMA gehört ja auchder Schutz der Zivilbevölkerung, die Stärkung der Men-schenrechte und der staatlichen Institutionen –, dass sichdie Menschen mehr Schutz und mehr MINUSMA wün-schen . Genau so habe ich auf vielen meiner Reisen diemeisten Gesprächspartner in Mali verstanden .Damit diese Friedensmission diese Aufgaben erfüllenkann – hier sind wir, glaube ich, an dem entscheidendenPunkt –, muss sie personell und materiell gut aufgestelltund ausgestattet sein . Dazu gehören Polizisten ebensowie die technischen Fähigkeiten, um die Einhaltung desFriedensabkommens überwachen und Gefährdungenfrühzeitig feststellen zu können .Einer der Gründe, warum die Friedensmissionender Vereinten Nationen ihre Ziele in der Vergangenheitmanchmal nicht oder nur teilweise erreichen konnten,war – das formuliere ich jetzt einmal sehr freundlich unddiplomatisch – die Haltung der westlichen Staaten, diezwar diese Einsätze im großen Maße finanzieren, sichaber bei der Bereitstellung von Personal und Materialvornehmend zurückgehalten haben,
obwohl die Vereinten Nationen sie seit Jahren händerin-gend um Hilfe bitten, weil nur sie über die entsprechen-den Fähigkeiten verfügen . Nicht nur wir Grüne, sondernauch viele hier im Parlament haben in den letzten Jahreneinen Kurswechsel angemahnt und deutlich gemacht,dass wir auch bereit wären, größere und relevantere Bei-träge für die Friedensmissionen der Vereinten Nationenzu mandatieren .
Nachdem der bisherige deutsche Beitrag zuMINUSMA eher symbolisch und bescheiden war undteilweise nur auf dem Papier bestanden hat, hat die Bun-desregierung mit dem neuen Mandat entschieden, gera-de im Bereich Aufklärung einen substanziellen Beitragzu liefern: von 650 Soldatinnen und Soldaten bis hin zutechnischen Kapazitäten wie Aufklärungsdrohnen . Da-mit kommt die Regierung der Forderung aus dem Bun-destag nach . Und das unterstützen wir ausdrücklich .Elisabeth Motschmann
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Meine Damen und Herren, man darf sich über dieLage in Mali aber auch keine Illusionen machen . DerBegriff „Friedensmission“ darf nicht darüber hinwegtäu-schen, dass es sich gerade im Norden und in der StadtGao um einen hochgefährlichen Einsatz handelt . Die Si-cherheitslage ist fragil . Es kommt immer wieder zu Aus-einandersetzungen und Anschlägen, gerade auch auf diePatrouillen und Camps von MINUSMA, weil einige we-nige terroristische Gruppen bewusst den Friedensprozessfür die vielen Menschen in Mali zerstören wollen . Abergenau das will MINUSMA verhindern .Meine Damen und Herren, nicht nur die Sicherheits-lage ist schwierig, Mali ist eines der ärmsten Länder derWelt . Gleichzeitig habe ich auf meinen Reisen kaum einLand erlebt, in dem die Menschen trotz Armut und allder Rückschläge so lebensfroh, stolz und zuversichtlichin die Zukunft blicken und sie gestalten wollen . Das hatmich immer wieder sehr berührt .Es war eine große Herausforderung, das Friedensab-kommen überhaupt auf den Weg zu bringen . Dabei hatdie Friedensmission der Vereinten Nationen einen unver-zichtbaren und sehr wertvollen Beitrag geleistet .
Noch größer ist aber die Herausforderung, es zügig undnachhaltig umzusetzen, damit Entwicklung, Frieden undSicherheit für die Menschen in Mali nicht nur ein Hoff-nungsstreif am fernen Horizont sind, sondern endlich Re-alität werden können . Deshalb werden wir Grüne heutedem Mandat zustimmen .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Lars Klingbeil
von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir entscheiden heute über die Verlängerung der Stabili-sierungsmission in Mali . Seit Juni 2013 ist Deutschlandbeteiligt, und wir wollen heute über ein Mandat abstim-men, das bis Ende Januar 2017 laufen wird .Zu der bisherigen Mission mit bis zu 150 Soldatenkommen jetzt 500 weitere Soldatinnen und Soldatendazu . Wir weiten diese Mission qualitativ aus . Nachdemwir bisher in den Stäben, in Beratungs- und Führungsauf-gaben aktiv waren, so kommen nun Aufklärung, Raum-überwachung und Objektschutz als Aufgaben dazu, dievon der Bundeswehr übernommen werden . Ja, liebeKolleginnen und Kollegen, wir übernehmen mehr Ver-antwortung in Mali .Wenn man sich die Situation anguckt – der KollegeAnnen hat es vorhin beschrieben –, stellt man fest, dassdie Situation fragil ist . Wir bekommen das immer wiedervor Augen geführt . Aber ich sage Ihnen: Wenn wir über-zeugt sind, dass der Prozess, den die Vereinten Nationenangestoßen haben, richtig ist, dann müssen wir diesenProzess als Deutscher Bundestag auch unterstützen .
Ich sage Ihnen: Dem Weg, dass die Vereinten Nati-onen versuchen, alle Akteure an einen Tisch zu holen,dass man versucht, einen gemeinsamen Fahrplan zu ent-wickeln, dass man dann in einem Vertragstext festlegt,was in Mali passieren soll, zum Beispiel die Entwick-lung dezentraler politischer Strukturen, dass man dieentwicklungspolitische Komponente stärkt und zugleicham Ende sagt, dass man, damit die entwicklungspoliti-schen, die ökonomischen und die zivilen Mittel auch allegreifen können, auch Militär braucht, um einen Rahmenzu schaffen, der das Ganze absichert, stimme ich hier imBundestag mit Überzeugung zu, weil ich ihn wirklich fürrichtig halte .
Wir als SPD-Fraktion wollen – ich glaube, hier sindmehrere Kollegen im Raum, die das unterstützen –, dassder Friedensvertrag von Mai und Juni 2015 gelingt . Alsonoch einmal: Wenn wir das, was die Vereinten Nationenhier auf den Weg gebracht haben, als richtig empfinden,dann können wir uns als Parlament hier nicht vor unsererVerantwortung drücken, liebe Kolleginnen und Kollegen .Wir erweitern die Mission, und wir tun das auf Wunschder Vereinten Nationen, wir tun das auf Wunsch vielerAkteure in Mali – die Regierung ist mit dabei –, und wirtun das auch auf Wunsch unserer französischen Freun-de. Die Debatte fing an nach den furchtbaren Anschlägenin Paris, und ja, wir sind im Rahmen der europäischenSolidarität aufgefordert, unsere Freunde in Frankreich zuunterstützen .Es ist aber auch in unserem Interesse, dass das Landstabilisiert wird . Wir haben in den Reden bei der erstenLesung gehört, wie gefährlich die Situation vor Ort istund welche Auswirkungen das Ganze auf Europa habenkann . Wir müssen den Aussöhnungsprozess unterstützen .Niemand behauptet hier, dass das eine leichte Missionwird . Nein, ich behaupte sogar das Gegenteil . Das wirdeine gefährliche Situation, aber ich sehe wenig Alternati-ven zu dem, was dort passiert .Auch wenn es darum geht, Fluchtursachen zu be-kämpfen, ist es wichtig, dass wir Mali stabilisieren undden Menschen dort eine Perspektive geben . Wenn wir imMandatstext lesen, dass 80 Prozent der Binnenflüchtlingemittlerweile in ihre Heimatorte zurückgekehrt sind, dannist das – das möchte ich jetzt nicht euphorisch beschrei-ben – ein kleiner Erfolg, der dort in Mali zu sehen ist . Wirsollten diesen Weg weitergehen .Die Linke verweise ich hinsichtlich ihrer Behauptung,es sei eine rein militärische Strategie oder militärischeMission, auf den Mandatstext und möchte Ihnen nur eini-Agnieszka Brugger
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ge Beispiele nennen: Wir haben Ausbildungsmissionen,die wir unterstützen .
Wir unterstützen den Aufbau ziviler Sicherheitsstruktu-ren . Wir stellen Mittel für die Krisenprävention bereit .Es sind Nahrungsmittelhilfe, die Unterstützung derBinnenflüchtlinge, die finanzielle Unterstützung desAussöhnungsprozesses, der Aufbau der Landwirtschaft,die Dezentralisierung der Regierungsstrukturen und dieWasserversorgung vorgesehen . Überall hier ist Deutsch-land engagiert . Dafür ein großer Dank auch an unserenAußenminister Frank Steinmeier, der das Ganze voran-getrieben hat .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz all dieser zi-vilen und entwicklungspolitischen Maßnahmen entschei-den wir hier heute über den drittgrößten Auslandseinsatzder Bundeswehr . Nach der Afghanistan-Mission unddem Einsatz auf dem Balkan ist das die drittgrößte Mis-sion, und in einer Stunde wie der heutigen, in der wirentscheiden, sollten wir an diejenigen denken, die wir indiese Auslandseinsätze schicken, die Verantwortung füruns übernehmen, aber auch an deren Familien . Ich willhier noch einmal betonen, dass wir als Parlament wirk-lich eine große Verantwortung sowohl bei der Ausbil-dung, in der Mission selbst, aber auch bei der Nachberei-tung tragen . Ich bin dem Wehrbeauftragten sehr dankbar,dass er in dieser Woche den Finger deutlich in die Wundegelegt hat und klargemacht hat, wo noch Mangel in derBundeswehr besteht und worin unsere Verantwortung alsParlament besteht . Die Ministerin hat das auch deutlichgemacht . Ich wünsche ihr jetzt viel Erfolg bei den Ver-handlungen mit dem Finanzminister, weil ich in der Tatglaube: Wir brauchen eine gut ausgestattete Bundeswehr .Das ist die Verantwortung, die wir als Parlament tragen .Ich selbst habe in der letzten Woche in meinem Wahl-kreis in Munster mit dem Deutschen BundeswehrVer-band eine Veranstaltung zum Weißbuch gemacht . Mansieht: Es gibt dort bei den Soldatinnen und Soldaten einVerantwortungsbewusstsein . Sie wissen, dass in insta-bilen Zeiten ihr Einsatz gefordert ist . Sie erwarten aber,dass wir als Parlament vernünftig mit ihnen umgehen,und sie erwarten, dass wir sie bestmöglich ausstatten . Ichwill betonen: Das ist eine Verantwortung, die wir als Par-lament tragen . Ich hoffe, dass wir dieser Verantwortungim Jahr 2016 gebührend nachkommen .Wir als SPD-Fraktion werden heute mit großer Mehr-heit zustimmen, und ich wünsche mir, dass dies auch vie-le andere Kolleginnen und Kollegen im Parlament tun .Herzlichen Dank .
Nächste Rednerin in der Debatte ist die Abgeordnete
Julia Obermeier, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Mali ist sowohl ein wichtiges Transitland alsauch ein Herkunftsland von Migranten . Im Norden desLandes beginnt eine der drei Hauptrouten für den ge-samten afrikanischen Menschen-, Waffen- und Drogen-schmuggel . Diese Route durch die Sahara ist für viele,die sich nach Europa aufmachen, ein tödlicher Pfad .Sandstürme, große Hitze, Landminen, Überfälle, Ver-gewaltigungen sowie lebensbedrohlicher Hunger undDurst – Abertausende machen sich trotzdem, einge-pfercht im Laderaum klappriger Transporter, auf denWeg, und viele bezahlen das mit ihrem Leben . Somitmacht es einen Unterschied, ob der Zugang zur Saharavon zumindest halbwegs funktionierenden staatlichenStrukturen kontrolliert wird oder ob hier Warlords, Ter-roristen und Schleusern Tür und Tor geöffnet ist . DiesenUnterschied spüren wir auch in Europa und in Deutsch-land . Aber es macht vor allem für die Menschen in Malieinen Unterschied, wie es um ihre Sicherheit bestellt ist .Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt . Auf demHuman Development Index liegt es auf Platz 176 von187 . Fast 2 Millionen der 16 Millionen Einwohner sindmangelernährt . Die dramatische Situation im Land wurde2012 verschärft durch die Tuareg-Rebellion im Nordenund den islamistischen Extremismus . Ein Militärputschhat die Lage weiter verschärft .Wir sind dankbar für das rasche Eingreifen unse-rer französischen Partner, die Schlimmeres verhindernkonnten . Mittlerweile konnte infolge eines Dialog- undVersöhnungsprozesses mit den nichtterroristischenGruppen ein Friedensabkommen unterzeichnet werden .Das Abkommen von Algier ist zweifelsohne ein wichti-ger Schritt in die richtige Richtung . Allerdings müssenwir weiterhin um dessen Umsetzung ringen . Nur dieserpolitische Prozess und die Schaffung von Vertrauen indie malische Regierung können die Lage in Mali stabi-lisieren und die Situation der Bevölkerung nachhaltigverbessern .
Denn die Not treibt die Menschen in die Fänge derDschihadisten und bringt mehr Terror und Gewalt in dasLand . Doch ohne Sicherheit wird es auch keine wirt-schaftliche Entwicklung geben .Um mehr Sicherheit zu schaffen, engagiert sichDeutschland nicht nur diplomatisch im Friedensprozess .Wir verfolgen auch hier einen vernetzten Ansatz, der ne-ben der Diplomatie auch die Entwicklungszusammenar-beit und die Sicherheitspolitik umfasst . Deutschland istder viertgrößte Geldgeber für die Entwicklungszusam-menarbeit mit Mali . Dabei fördern wir vor Ort nicht nurDezentralisierung und gute Regierungsführung, sondernwir helfen vor allem den Menschen: durch die Bereit-Lars Klingbeil
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stellung von Nahrungsmitteln, durch eine bessere Trink-wasserversorgung und durch Bewässerungsprojekte, diedie Erträge der Landwirtschaft steigern . Auch wird dieRückkehrersituation nach Nordmali verbessert .Aber, meine Damen und Herren, all diese Hilfe kannnur ankommen, wenn die Sicherheit vor Ort gewährleis-tet ist . Deshalb beteiligt sich Deutschland an mehrerenMissionen der internationalen Gemeinschaft: an dereuropäischen Ausbildungsmission EUTM Mali, bei derDeutschland gerade die Führungsverantwortung trägt,an der Polizeimission EUCAP Sahel Mali sowie an derVN-geführten Mission MINUSMA, über deren Auswei-tung wir heute abstimmen werden .MINUSMA ist eine große Mission mit 11 000 Solda-tinnen und Soldaten, die den Waffenstillstand überwa-chen sowie Frieden und Aussöhnung unterstützen .Das stärkere Engagement der Bundeswehr setzt genaudort an, wo spezielle Fähigkeiten dringend benötigt wer-den: beim Lufttransport und bei der Luftbetankung, inden Führungsstäben sowie bei der Aufklärung . Wir wer-den mit LUNA-Aufklärungsdrohnen im Einsatz sein undab Herbst voraussichtlich auch mit der Heron 1 . Die hoheZahl von 650 Soldatinnen und Soldaten ist notwendig fürihren eigenen Schutz, der uns ganz besonders am Herzenliegt .
Meine Damen und Herren, der Einsatz in Mali ist zwargefährlich, aber auch besonders wichtig . Mali ist vonstrategischer Bedeutung für die Migrationsbewegungenund die Schleuserkriminalität in Afrika .
Die Sicherheitslage in Mali ist instabil . Durch unserenEinsatz wollen wir den Menschen in Mali Frieden undSicherheit in ihrer Heimat ermöglichen . Daher bitte ichSie um Zustimmung zu diesem Mandat .Vielen Dank .
Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich das
Wort dem Abgeordneten Michael Vietz, CDU/CSU-Frak-
tion .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Republik Mali steht wei-terhin vor einer Herkulesaufgabe . Sicherheit, Stabilität,Frieden – leicht gesagt, schwer getan . Radikale Grup-pierungen versuchen immer wieder, den Friedensprozessdurch heimtückische Anschläge zum Scheitern zu brin-gen . Eine politische Lösung benötigt aber ein stabilesUmfeld . Mali ist auf seinem langen und mühsamen Wegzu Sicherheit, Stabilität und Frieden weiterhin auf Unter-stützung angewiesen; auch in Afrika gibt es nicht einenSchalter, den man nur umlegen muss . Bei dieser Heraus-forderung stehen wir dem Land zuverlässig zur Seite .Wir setzen im Rahmen der Mission auf eine starke undabgestimmte Zusammenarbeit zwischen militärischen,polizeilichen und zivilen Komponenten . Dieser vernetzteAnsatz ist in meinen Augen ein wichtiges Kennzeichnenunserer Außenpolitik .Wir werden mit dem heutigen Beschluss unsereKräfte im Rahmen der Multidimensionalen IntegriertenStabilisierungsmission der Vereinten Nationen, kurz:MINUSMA, erheblich aufstocken . Mit den Fähigkeiten,die wir zur Verfügung stellen, werden wir unserer Verant-wortung gerecht . Warum? Weil wir es leisten können undweil Zuschauen definitiv keine Option ist.Zur Fortführung unseres militärischen Beitrags sollder Einsatz auf maximal 650 deutsche Soldaten erwei-tert werden . Schwerpunkte sind die Sicherung des Frie-denprozesses und die Stabilisierung Malis . Die Eindäm-mung von Terrorismus, organisierter Kriminalität undVerarmung in der Sahelzone liegt in unserem Interesse;einige meiner Vorredner haben darauf hingewiesen . Tagfür Tag erfahren wir erneut, dass Terror und Krise nichtlokal bleiben, sondern irgendwann den Rest der Welt er-reichen . Daher legt Deutschland gerade hier nach: Wirstellen den malischen Kräften unsere Polizisten zur Seite .Gemeinsam werden Kapazitäten und Strukturen aufge-baut, die organisierte Kriminalität und Terrorismus be-kämpfen .Mit der internationalen Gemeinschaft leisten wir imRahmen von MINUSMA einen substanziellen Beitragzur Bewältigung des Konflikts in Mali. Neben unsererBeteiligung an der europäischen AusbildungsmissionEUTM Mali unterstützen wir den Dialog und Versöh-nungsprozess . Der Wiederaufbau, die Versöhnung unddie Festigung von Sicherheitsstrukturen im Norden sindausschlaggebend, um Perspektiven für die vielen Bin-nenflüchtlinge zu schaffen.Wir unterstützen unsere Partner, vor allem Frankreich,weiterhin durch die Bereitstellung von Lufttransport undLuftbetankung . Hinzu kommen nun Objektschutz, Auf-klärung, Logistik sowie Sanitäts- und Stabskräfte . Mitdem neuen Mandat entlasten und ergänzen wir nunmehrauch unsere niederländischen Nachbarn . Das ist insge-samt ein gutes Zeichen für die deutsch-niederländischeKooperation im Speziellen und für die europäische Zu-sammenarbeit im Allgemeinen .
Das unterzeichnete Friedensabkommen zwischen denKonfliktparteien legte das Fundament für eine dauerhafteStabilisierung des Landes . Darauf aufbauend müssen wirgerade im Norden die Umsetzung des Abkommens wei-ter vorantreiben .Seit Beginn der internationalen Mission – auch da-rauf wurde schon hingewiesen – hat sich die humanitäreLage verbessert . Der Zugang zu humanitären Hilfen undEntwicklungszusammenarbeit ist aber noch nicht für alleRegionen sichergestellt .Julia Obermeier
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Unsere weitere und erweiterte Beteiligung anMINUSMA ist richtig und wichtig . Wir senden damitweiterhin ein starkes Signal an unsere Partner auf demafrikanischen Kontinent . Die bisher erreichten Fort-schritte im Versöhnungsprozess sind zu teuer bezahlt, alsdass wir sie nun aufs Spiel setzen dürften .Ohne Frage ist dieser Einsatz unter UN-Flagge einerder gefährlichsten . Ich habe großen Respekt vor dem,was unsere Einsatzkräfte leisten . Ihnen gebührt Dankund Anerkennung .
MINUSMA ist und bleibt ein wichtiger Baustein füreinen dauerhaften Frieden in Mali . Wir sind bereit, die-sen Weg weiterzugehen, damit das Land seiner Bevölke-rung eine Perspektive in Sicherheit, Frieden und Freiheitbieten kann . Ich bitte dieses Hohe Haus, die Menschen inder Region nicht alleinzulassen . Die Unionsfraktion wirddiesem Antrag der Bundesregierung zustimmen . Ich bittedie restlichen Fraktionen, vor allem eine, diesem Vorbildzu folgen .Vielen Dank .
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Erweite-
rung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungs-
mission der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/7366, den Antrag der Bundesregie-
rung auf Drucksache 18/7206 anzunehmen . Wir stimmen
über die Beschlussempfehlung namentlich ab . Ich möch-
te bereits jetzt darauf hinweisen, dass wir zum nachfol-
genden Tagesordnungspunkt 8 in circa 45 Minuten eine
weitere namentliche Abstimmung durchführen werden .
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Ich bitte die
eingeteilten Schriftführer, sich zu den Urnen zu bege-
ben . – Die Abstimmung ist eröffnet .
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall .
Dann schließe ich die Abstimmung . Das Ergebnis wird
später bekannt gegeben .1)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7376 . Wer stimmt für den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der
Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD und der Fraktion Die Linke abgelehnt bei
Zustimmung durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
1) Ergebnis Seite 14936 C
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesre-
gierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsun-
terstützung der Sicherheitskräfte der Re-
gierung der Region Kurdistan-Irak und der
irakischen Streitkräfte
Drucksachen 18/7207, 18/7367
Drucksache 18/7390
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussempfeh-
lung werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat das
Wort Dr . Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Situation im Irak ist in den letzten Wo-chen im Gegensatz zu anderen Schauplätzen im Nahenund Mittleren Osten in der Berichterstattung, in der Auf-merksamkeit etwas in den Hintergrund getreten . Den-noch, glaube ich, ist es wichtig, dass wir uns mit derSituation, mit dem Land, mit den Verhältnissen in derRegion insgesamt befassen; denn genau dort wird überdie Existenz, über die Stärken und Schwächen des „Is-lamischen Staates“ mit entschieden werden . Der IS istim Irak entstanden . Er hat dort seine historische Genese .Er ist dort weiterhin ein Sammelbecken für sunnitischeKämpfer, für alte Gruppen des Baath-Regimes, aber ebenauch immer wieder für Kämpfer aus Europa und leidereben auch aus Deutschland . Aus dieser Situation heraus,aus einer sehr breiten Betrachtung haben wir große Ver-antwortung im Hinblick auf den Irak .
Ich glaube, wir alle hier sind der gleichen Meinung –das erhoffe ich mir zumindest –, dass allein eine mili-tärische Antwort für die Bewältigung dieser Heraus-forderung nicht genügt . Dennoch sind die territorialeZurückdrängung und insbesondere die Begrenzung derRessourcen für den IS ein wesentlicher Bestandteil, umdie Situation dort zu ändern und dafür zu sorgen, dassder Irak und auch die gesamte Region eine Zukunft ohneMichael Vietz
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Krieg, ohne eine militärische Auseinandersetzung habenund dass dort wieder Frieden einkehrt .
Es ist richtig gewesen, dass Deutschland mit Aus-bildung und mit Material dort hilft; denn es sind insbe-sondere – darüber bestand Einigkeit, als wir über dasSyrien-Mandat gesprochen haben; ich glaube, darüberbesteht auch weiterhin Einigkeit – die kurdischen Kräfteund die Peschmerga, aber auch – das sage ich klar – diePYD und in anderen Situationen an anderer Stelle ande-re kurdische Kräfte, die den IS massiv bekämpft haben .Aber politisch – es ist wichtig, auch dies in dieser Debat-te zu betonen – ist es richtig gewesen, dass sich die Bun-desregierung auf diese Region konzentriert hat . Sie hatklargemacht, dass wir am Einheitsstaat Irak ein großesInteresse haben und dass diese Hilfen nur mit Zustim-mung der irakischen Regierung geleistet werden . ÜberBagdad wollen wir mit anderen europäischen Partnerneine Ausbildungs- und Sicherheitssituation herbeiführen,die das Überleben in dieser Region erst möglich macht .Es kommt also darauf an, mit der Regierung in Bag-dad, mit den europäischen Partnern und – das ist immerder dritte Bestandteil dieses Mandats gewesen – in Tran-chen vorzugehen . Wir haben immer wieder überprüft unduns auch rückversichert: Was passiert mit den Dingen,die wir geliefert haben? Denn es geht ja nicht nur umWaffen und Ausbildung, sondern auch um Sanitätsma-terial und Schutzausrüstung; auch dies sind Bestandtei-le des Mandats . Es geht also um militärische Teile, abersehr stark auch um die zivile Komponente .Ich glaube, darüber müssen wir öffentlich diskutieren .Wir sind, weil der Deutsche Bundestag dieses Mandaterteilt, dazu berechtigt, in diesem Zusammenhang auchkritische Fragen zu stellen . Das hat gestern in der Fra-gestunde, aber auch in der Berichterstattung der letztenWochen eine Rolle gespielt, als es darum ging, wie kurdi-sche Kräfte in den Dörfern, die befreit wurden, vorgegan-gen sind. Ich finde es richtig, dass die Bundesregierungmit den Partnern im Nordirak und mit der Regierung inErbil nicht nur darüber spricht, sondern dass auch dieVerantwortung von Erbil deutlich gemacht wird . Wir allehaben die Briefe der Vertretung der Kurden im Nordirakbekommen, in denen klargemacht wurde, dass sie diesenDingen nachgehen will . Das muss getan werden .Ich glaube, es ist eine sehr unübersichtliche Situati-on . Aber entscheidend wird sein, dass es keinen weiterenKonflikt im Irak gibt; ich habe eben über den „Islami-schen Staat“ gesprochen . Es darf nicht erneut zu einemKonflikt zwischen Kämpfern der kurdischen Streitkräfteund möglicherweise arabischen Streitkräften oder sol-chen der irakischen Armee kommen . Es gibt schon ge-nügend Konflikte. Deswegen sind wir angehalten, überdie kritischen Fragen mit den Verantwortlichen in Erbilzu diskutieren .Genauso verhält es sich bezüglich der offensichtlichgeringen Zahl unerlaubter Waffenverkäufe, die in denvergangenen Tagen Aufmerksamkeit bekommen hat . Ichunterstütze das, was die Bundesregierung bzw . der Au-ßenminister gesagt und getan haben . Der Außenministerhat nämlich einen Vertreter der Regierung in Erbil insAuswärtige Amt einbestellt und um Aufklärung gebeten .Wir bitten Sie, Herr Bundesaußenminister, die entspre-chenden Erkenntnisse mit dem Deutschen Bundestag zuteilen .Gerade weil die Bundesregierung die Risiken diesesMandats im letzten Jahr nicht verschwiegen hat – wirwussten um die Risiken –, ist es ein Abwägungspro-zess gewesen, und es ist richtig, dass nach diesem Ab-wägungsprozess, bei dem es um die Vor- und Nachteileder Situation im Irak selbst, aber auch um die Bekämp-fung des „Islamischen Staates“ ging, heute die Mehrheitmeiner Fraktion genau wie die Bundesregierung zu derÜberzeugung gekommen ist, der Verlängerung diesesMandats zuzustimmen . Es ist verantwortbar, und es istverfassungsrechtlich und völkerrechtlich abgefedert . Ichglaube, auch die internationale Gemeinschaft hat ein gro-ßes Interesse daran, dass Deutschland an dieser Kompo-nente mitwirkt .
Wenn wir über dieses Mandat diskutieren, finde ich,gehört zu einer ehrlichen Debatte dazu, auch darauf hin-zuweisen, dass unser Engagement weit darüber hinaus-geht . Es beinhaltet nämlich einen politischen und einenhumanitären Ansatz . Wenn wir in Deutschland und Euro-pa über die Flüchtlingssituation sprechen, sollten wir unsvor Augen führen: 1 Million Flüchtlinge sind im Nord-irak in Flüchtlingslagern, Dörfern und Städten unterge-kommen, und das bei einer Gesamtbevölkerungszahl von5,4 Millionen Menschen, die im Nordirak leben . Was dasfür dieses Land bedeutet, kann sich jeder von uns ausma-len, weil wir eine solche Situation mittlerweile auch inDeutschland kennen .Es ist richtig gewesen, mit diesem Mandat politischund humanitär zu verknüpfen, dass wir mit deutscher Fi-nanzhilfe den UNHCR, das Rote Kreuz, aber auch denRoten Halbmond – wir verschließen nicht die Augenvor den Problemen – in die Lage versetzen, der dortigenAdministration dabei unter die Arme zu greifen, mit derFlüchtlingssituation im Nordirak umzugehen . Deswegenbin ich dankbar, dass der Deutsche Bundestag beschlos-sen hat, dass Deutschland im Hinblick auf den Nordirakder drittgrößte Geber bilateraler Hilfe ist, und zwar mitden Schwerpunkten Ernährung, Wasser, Winterhilfe undGesundheit .Dabei – dieser Punkt gehört genauso zur Debatte –wollen wir uns auf die Gebiete konzentrieren, die vom ISbefreit sind; denn Voraussetzung dafür, dass der IS nichtzurückkehrt, ist, dass die Bevölkerung von einer indirek-ten Unterstützung des IS ablässt . Deswegen ist es richtig,dass im Jahr 2016 das Außenministerium 5 MillionenEuro und das BMZ 10 Millionen Euro für die Unterstüt-zung in die Hand genommen haben . Dennoch könnteich mir vorstellen, dass das BMZ aufgrund der Situationnoch mehr Geld in die Hand nimmt; denn es ist politischentscheidend, dies zu tun .
Dr. Rolf Mützenich
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Weil wir ein Interesse an der Verbesserung der Situati-on haben, müssen wir auch über die politischen Verhält-nisse im Irak insgesamt sprechen . Wir machen uns Sor-gen über das Verhältnis der unterschiedlichen politischenGruppierungen im Nordirak zueinander . Das diskutierenwir nicht nur in Deutschland, sondern auch an andererStelle . Natürlich geht es auch um die Legitimation dernordirakischen Führung. Ich finde, das gehört zu einerehrlichen Debatte . Die Situation in der Hauptstadt Bag-dad bietet keine Aussicht darauf, dass diese Gruppen inden nächsten Wochen und Monaten endlich wieder zu-sammenkommen . Obwohl Ministerpräsident al-Abadialles unternimmt, mehr Gruppen in seine Regierung auf-zunehmen, ist es nicht gelungen, diese Spaltungen ent-lang ethnischer und konfessioneller Grenzen, die sich imParlament und in der Regierung zeigen, zu überwinden .Gleichwohl – das ist mein Eindruck, und ich hoffe, dieBundesregierung sieht das ebenso – wollen die Men-schen diesen Spaltpilz im Irak nicht mehr . Auch dafürmüssen wir politisch eintreten, und auch das ist indirektmit diesem Mandat verbunden, meine Damen und Her-ren .
Ich sage es sehr deutlich: Den politischen Verhältnis-sen in Bagdad muss Aufmerksamkeit geschenkt werden,umso mehr, weil wir immer noch damit konfrontiert sind,dass die dortigen Streitkräfte sehr korrumpierbar sindund viel stärker an einem solchen Zuwachs interessiertsind als an einem Macht- oder Sicherheitszuwachs . Des-wegen lautet mein Appell: Ja, wir sollten die irakischenStreitkräfte ausbilden und in die Lage versetzen, den ein-heitlichen Irak abzubilden . Ich warne aber davor, überweitergehende Material- und insbesondere Militärhilfebereits jetzt zu entscheiden . Das wäre zu früh .Die Situation in Syrien hat gezeigt, dass es auswärtigeMächte wie Saudi-Arabien oder auch der Iran sind, diedieses gebeutelte Land in den vergangenen Jahren immerwieder belastet und leider wenig dazu beigetragen haben,dass eine Versöhnung möglich ist. Ich finde, umso mehrmuss der Westen, muss auch Deutschland daran arbeiten,dass sich eine junge zukunftsversprechende Generationherausbildet, die in Zukunft politische Verantwortungübernimmt und sich von den alten Traditionen des Kon-flikts entfernt.Ich glaube, die Situation im Irak geht uns etwas an .Wir müssen die Entwicklung aufmerksam verfolgen . Ichsage aber auch ganz offen, dass das noch lange Zeit dau-ern wird und wir an dieser Stelle wahrscheinlich nochöfter über den Irak sprechen müssen .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Ich verlese das Protokoll des von den Schriftführe-rinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses dernamentlichen Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag derBundesregierung „Fortsetzung und Erweiterung der Be-teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Mul-tidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission derVereinten Nationen in Mali auf Grundlageder Resolutionen 2100 , 2164 (2014) und 2227
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom
25 . April 2013, 25 . Juni 2014 und 29 . Juni 2015“, Druck-sachen 18/7206 und 18/7366: abgegebene Stimmen 574 .Mit Ja haben gestimmt 502, mit Nein haben gestimmt 66,enthalten haben sich 6 Kolleginnen oder Kollegen . DieBeschlussempfehlung ist damit angenommen .Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 575;davonja: 503nein: 66enthalten: 6JaCDU/CSUStephan AlbaniArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr . Andre BergheggerDr . Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr . Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr . Reinhard BrandlHelmut BrandtDr . Ralf BrauksiepeDr . Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachHermann FärberDr . Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr . Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr . Astrid FreudensteinDr . Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr . Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr . Herlind GundelachFritz GüntzlerDr. Rolf Mützenich
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Olav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr . Stephan HarbarthGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeDr . Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander Hoffmann
Karl HolmeierDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M . HuberHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr . Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr . Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr . Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr . Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr . Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr . Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr . Karl A . LamersAndreas G . LämmelDr . Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerPaul LehriederDr . Katja LeikertDr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr . Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagThomas MahlbergGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzStephan Mayer
Reiner MeierDr . Michael MeisterDr . Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr . h .c . Hans MichelbachDr . Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerVolker MosblechElisabeth Motschmann
Stefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr . Georg NüßleinJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldUlrich PetzoldDr . Joachim PfeifferEckhard PolsThomas RachelAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr . Heinz RiesenhuberDr . Norbert RöttgenErwin RüddelAnita Schäfer
Karl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja SchmittPatrick SchniederNadine Schön
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeCarola StaucheDr . Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr . von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackDr . Peter TauberAntje TillmannDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr . Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr . Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar G . WöhrlHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer Arnold
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201614938
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Heike BaehrensHeinz-Joachim BarchmannDr . Katarina BarleyDr . Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr . Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnDr . Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr . Daniela De RidderDr . Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr . h .c . Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Johannes FechnerDr . Fritz FelgentreuElke FernerChristian FlisekGabriele FograscherDr . Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Marcus HeldWolfgang HellmichDr . Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmDr . Eva HöglMatthias IlgenFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeDr . Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastDr . Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerDetlef Müller
Michelle MünteferingDr . Rolf MützenichUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr . Sascha RaabeDr . Simone RaatzMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDennis RohdeDr . Martin RosemannDr . Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr . Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr . Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr . Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteEwald SchurerAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr . Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsDr . Karin ThissenCarsten TrägerUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk WieseGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr . Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr . Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsOliver KrischerStephan Kühn
Renate KünastSteffi LemkeDr . Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr . Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Manuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr . Gerhard SchickDr . Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr . Wolfgang Strengmann-KuhnDr . Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr . Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr . Valerie Wilms
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 14939
(C)
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NeinSPDUlrike BahrKlaus BarthelDr . Ute Finckh-KrämerWolfgang GunkelCansel KiziltepeHilde MattheisChristian PetryWaltraud Wolff
DIE LINKEJan van AkenDr . Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W . BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr . Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeDr . Andre HahnHeike HänselDr . Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr . Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr . Petra SitteKersten SteinkeDr . Kirsten TackmannFrank TempelDr . Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerDr . Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
EnthaltenSPDMarco BülowPetra Hinz
René RöspelBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMonika LazarCorinna RüfferHans-Christian StröbeleNächster Redner in unserer Debatte ist Jan van Aken,Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LieberHerr Mützenich, vielen Dank für diese Rede . Ich glaube,besser als Sie hätte ich gar nicht begründen können, wa-rum es falsch ist, jetzt 150 Soldatinnen und Soldaten inden Nordirak zu schicken, um dort kurdische Peschmer-ga auszubilden .
Ich meine das ganz im Ernst und komme gleich noch da-rauf zurück .Es gibt zwei sehr gute Gründe, diesen Einsatz abzu-lehnen: Erstens treiben Sie die Spaltung des Irak mit die-sem Militäreinsatz weiter voran . Zweitens ist das Risiko,wie Sie ja auch gesagt haben, sehr hoch, dass die vonIhnen ausgebildeten Peschmerga für ganz und gar un-schöne Dinge eingesetzt werden .Ich fange mit dem ersten Punkt an . Ja, ich bin mirsicher: Mit jeder Stärkung der kurdischen Regionalre-gierung droht der Irak weiter zu zerfallen . Das würdewiederum die Daesh-Terroristen noch stärker machen .Deshalb ist der Einsatz nicht nur falsch, sondern auchrichtiggehend gefährlich, und ich finde, Sie haben dashervorragend hergeleitet .Daesh ist der sogenannte „Islamische Staat“ . Wiralle wissen, warum Daesh in den letzten Jahren im Irakso stark werden konnte . – Hören Sie sich das an, HerrMützenich! – Sie konnten dort nur deswegen so starkwerden, weil die sunnitischen Moslems über Jahre vonder Zentralregierung in Bagdad komplett ausgegrenztworden sind . Alle lukrativen Posten und all das guteÖlgeld gingen an die Schiiten und zum Teil auch an dieKurden . Die sunnitischen Regionen waren davon abervollkommen ausgeschlossen. Alle einflussreichen Pos-ten waren für Sunniten blockiert . Die Sunniten waren dieVerlierer in dem neuen Irak nach der amerikanischen In-vasion . Das ist der Ursprung der Stärke von Daesh .
Es entstand dort natürlich ein extremer Hass bei denSunniten, den wir beide in der Region auch erlebt haben,und das ist doch der Nährboden, auf dem Daesh jetzt sogroß werden konnte . Darum gibt es in der sunnitischenBevölkerung heute eine derart breite Unterstützung fürdiese Terrormiliz .An einem Punkt sind wir alle uns einig: Sie werdenDaesh im Irak nur bekämpfen können, wenn es wiedereine inklusive, ausgewogene und faire Zentralregierungin Bagdad gibt, in der alle Bevölkerungsgruppen – dieSunniten, die Schiiten und die Kurden – gleichberechtigtvertreten sind .Sie machen mit dem Militäreinsatz jetzt genau dasGegenteil und greifen sich die eine Kraft im Irak he raus,die im Moment am lautesten sagt: Wir wollen uns ab-spalten . – Ihr Partner, der Präsident der nordirakischenAutonomieregion, Massud Barzani, sagt doch ganz klar,dass er die Abspaltung und einen eigenen Nationalstaatmöchte .Hier entsteht jetzt Ihr Problem; denn Massud Barzanihat heute schon die wirtschaftlichen und auch die kultu-rellen Voraussetzungen für die Abspaltung . Das Einzige,was ihm noch fehlt, ist die militärische Stärke, und dieseliefern Sie ihm jetzt frei Haus . Sie liefern die Waffen und
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bilden seine Leute aus . Damit machen Sie einen katastro-phalen Fehler .Herr Mützenich, Sie selbst haben gerade gesagt, dasswir alle hier ein großes Interesse an der Einheitsregie-rung haben . Wir haben hier den klassischen Fall, dass Siepolitisch das Richtige wollen, nämlich die Einheitsregie-rung – dafür tun Sie auf der politischen und der diploma-tischen Ebene auch viel –, während Sie Ihre politischenZiele durch die Militäraktion ganz praktisch unterminie-ren . Dieser Militäreinsatz macht alles kaputt, was Sie po-litisch vorhaben und wollen . Deswegen ist das ein Rie-senfehler . Lassen Sie die Finger davon .
Ich komme zum zweiten Problem . Weiß irgendwerhier im Raum, wen genau Sie dort ausbilden? Wissen Sieeigentlich, wo, von wem und wofür diese Peschmergaeingesetzt werden? Auch das haben Sie wunderbar ge-sagt. Es gibt gerade Konflikte zwischen den beiden gro-ßen kurdischen Parteien im Nordirak . Sie waren vor we-nigen Jahren schon einmal in einen blutigen Bürgerkriegverwickelt . Das eskaliert gerade wieder .Können Sie ausschließen, dass die von Ihnen ausge-bildeten Peschmerga in einem neuen Bürgerkrieg wiedereingesetzt werden? Können Sie ausschließen, dass dievon Ihnen ausgebildeten Peschmerga schon heute zurRepression im Inneren von Barzani eingesetzt werden?Können Sie ausschließen, dass sie bei der Folterung vonJournalisten eingesetzt werden? Sie wissen doch genausogut wie ich, dass die Menschenrechtsbilanz von MassudBarzani sehr düster ist . Können Sie eigentlich ausschlie-ßen, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga imMoment bei Kirkuk eingesetzt werden? Kirkuk ist dieStadt, die sich Massud Barzani verfassungswidrig unterden Nagel gerissen hat,
was natürlich massiv dazu beigetragen hat, dass der Kon-flikt mit der Zentralregierung in Bagdad weiter eskaliertist . Denken Sie eigentlich, es gibt irgendeine Garantiedafür, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga beiweiteren Auseinandersetzungen um Territorien im Iraknicht eingesetzt werden?Nichts davon können Sie ausschließen, und vieles da-von ist sogar sehr wahrscheinlich . Einiges ist im Momentschon passiert, und deshalb ist es verantwortungslos,deutsche Soldaten jetzt in diese Mission zu schicken .
Noch ein Wort zu den Waffen – Sie haben das auch er-wähnt –: Wir wissen jetzt, dass Sie keine Garantie dafürhaben, wo die Waffen am Ende landen . Sie werden imMoment auf verschiedenen Schwarzmärkten im Nord-irak zum Verkauf angeboten . Niemand von uns kann sa-gen, wo diese Waffen in den nächsten Jahren von wemgegen wen zum Töten eingesetzt werden . Sie haben da-rüber keine Kontrolle .Deswegen muss ich abschließend sagen: Die Zwi-schenbilanz Ihres Einsatzes im Nordirak ist wirklichverheerend . Den Staatszerfall des Irak haben Sie weitervorangetrieben, die Region mit weiteren 20 000 Sturm-gewehren geflutet und die Peschmerga für alle schmutzi-gen Jobs ausgebildet . Lassen Sie das einfach sein .
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschlandkeine Waffen mehr exportieren sollte, nicht in den Nord-irak, nicht in den Südirak und schon gar nicht in die Tür-kei .Danke schön .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichglaube, Herr van Aken, dass Sie in der Tat die völlig fal-schen Schlussfolgerungen aus der Situation im Nordirakziehen . Natürlich ist es so, dass wir in der Vergangenheithier in diesem Hause über kaum ein anderes Mandat hef-tiger diskutiert haben als über die Waffenlieferungen andie Kurden im Nordirak und die anschließende Ausbil-dungsunterstützungsmission der Bundeswehr .Aber wenn wir heute ein Zwischenresümee ziehenmüssten, dann fiele es ausnahmslos positiv aus. Ange-sichts dieser Rahmenbedingungen kann man an dieserStelle ein positives Resümee ziehen, weil sich all das,was auch vor einem Jahr vorgetragen worden ist – näm-lich dass der Bundeswehreinsatz den IS stärkt, dass dieZerfallskräfte im Irak zunehmen, dass der Einsatz recht-lich nicht legitimierbar ist und dass er politisch falschist –, in der Zwischenzeit nicht bewahrheitet hat .
Ich will etwas zum Rahmen sagen . Es ist richtig, dasswir als Deutsche und auch als Europäer in unserem un-mittelbaren Umfeld Verantwortung übernehmen . Dasstärkt im Übrigen nicht nur die Europäische Union ins-gesamt, sondern auch den europäischen Pfeiler in derNATO, egal ob das ein Einsatz in Mali, in Nordafrikaoder im Nahen und Mittleren Osten ist . Es ist richtig, wiewir uns dort engagieren .Herr Mützenich ist darauf eingegangen, was unmit-telbar vor Ort tatsächlich an Positivem geleistet werdenkonnte . Wenn man in das Spätjahr 2014 geht, dann stelltman fest, dass damals die Peschmerga die einzige Bastiongegen den IS waren . Was haben sie erreicht? Im vergan-genen November haben sie Sindschar zurückerobert . Siehaben beispielsweise die Autobahn 47 zwischen Rakkaund Tikrit zurückerobert, die eine wichtige Logistiktrassezwischen Irak und Syrien ist . Sie haben darüber hinausJan van Aken
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westlich von Kirkuk neue Pufferzonen geschaffen . Alldas war richtig und wichtig .Auch die irakische Zentralregierung hat bedeutendeErfolge erzielt, beispielsweise mit der Rückeroberungvon Tikrit und Ramadi . Auch wenn es illusorisch klingenmag, dass al-Abadi davon spricht, bis Ende des Jahresden IS vollständig vertrieben zu haben, so glaube ichschon, dass es klar ist, dass sich die Kräfteverhältnisseverändert haben . Da wäre es zu kurz gesprungen, nur da-rauf zu gucken, dass in den vergangenen zwölf Monatender IS etwa 15 Prozent seiner Einflusssphäre verloren hat.In dieser Zeit ist auch anderes passiert . 10 000 isla-mistische Terroristen – darunter auch wichtige Köpfedes Terrorkalifats – sind getötet worden . Finanzierungs-quellen werden Stück für Stück ausgetrocknet und Nach-schubwege systematisch abgeschnitten . Das hat auchunmittelbare Erfolge . Man kann ja sehen, dass der IS anSchlagkraft verliert, dass er beispielsweise seinen Be-schäftigten nur noch den halben Sold auszahlen kann,dass er nicht mehr so viele Terrorsöldner akquirierenkann wie in der Vergangenheit . Das Allerwichtigste ist,dass er ein Stück weit seinen Nimbus verliert, nämlichden Nimbus, in der fragilen Region für Stabilität sorgenzu können . Deswegen müssen wir exakt auf diesem Wegweitermachen; davon bin ich überzeugt .
Auf diesem Wege weiterzugehen, ist auch deshalbnotwendig, weil trotz aller Erfolge der IS immer nochden Terrorismus nach Europa exportiert, weil er immernoch unsere Werte, unsere Art, zu leben, angreift undweil er darüber hinaus für immer neue Fluchtursachen inder Region verantwortlich ist . Man kann ganz unmittel-bar sehen, dass das militärische Eingreifen und die Un-terstützung in der Region letztlich verhindert haben, dassweitere Menschen aus dieser Region zu uns nach Euro-pa und nach Deutschland kommen . Das hat im Übrigenauch dazu geführt, dass man die Arbeit des UN-Flücht-lingshilfswerks entsprechend unterstützen und in relati-ver Stabilität Flüchtlingscamps in der Region betreibenkann . Das ist notwendig und wichtig . Deshalb muss mandiesen Weg weitergehen .Ich glaube, dass ein Beitrag sein muss, dem IS dortin der Region die Stirn zu bieten, wo er seine Wurzelnhat . Deshalb ist dieser Einsatz richtig . Das zeigt sich inKobane, wohin die Menschen wieder zurückkehren . Vorgenau einem Jahr haben die syrischen Kurden Kobanezurückerobert . Von den 400 000 Menschen, die dort inder engeren Region leben, sind etwa 200 000 wieder zu-rückgekehrt . Selbst nach Sindschar kehren die Menschenzurück, obwohl die Lage schwierig ist . Das heißt, dassdie Menschen in der Region bleiben, wenn sie eine Per-spektive haben . Diese Perspektive müssen wir auch mitmilitärischen Beiträgen eröffnen und sichere Pufferzonenfür die Zivilbevölkerung schaffen .
Herr Mützenich, Sie haben richtigerweise gesagt, dassdas nur ein Teil des Ganzen ist . Hinzu kommen 100 Mil-lionen Euro an humanitärer Hilfe und 170 MillionenEuro, die wir einsetzen, um die staatlichen Strukturen imIrak zu stärken und letztlich dem IS den Nährboden zuentziehen . Das ist richtig .Man muss auch auf die Probleme in Bezug darauf hin-weisen, was mit den Waffen passiert . Man muss mit derkurdischen Regionalregierung in Erbil und genauso mitder Zentralregierung in Bagdad deutlich sprechen, weiles nicht sein kann, dass internationale Gelder zurückge-halten werden und dass monatelang keine Gehälter ge-zahlt werden; denn damit wird die Grundlage geschaffen,mit diesem Geld Schindluder zu treiben .Ich will einen letzten Punkt ansprechen . Wir müssenden Blick auch etwas weiter in die Zukunft richten, wennes darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen. Ich finde,Minister Müller hat mit seinem Zehn-Punkte-Plan undseinem Programm „Cash for Work“ exakt das Richti-ge getan, um für 500 000 Menschen in der Region dieGrundlage nicht nur für eine Arbeits-, sondern auch füreine Lebensperspektive zu schaffen . Das ist der richtigeWeg .
Es sind viele Punkte, die man zusammenbringenmuss . Wir machen das . Deswegen sollten wir diesen Wegfortsetzen .Herzlichen Dank .
Nächster Redner ist der Abgeordnete Omid Nouripour,
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Be-drohung durch ISIS ist ein Weltproblem . ISIS ist in denletzten zwölf Monaten eher stärker geworden . Sie habenin Libyen Territorium gewonnen . Sie haben das Chaosdes unfassbaren Krieges im Jemen, vor allem von derKoalition um Saudi-Arabien geführt, genutzt, um dortFuß zu fassen . Spätestens seit Paris wissen alle, dass ISISsehr aktiv in Europa netzwerkt und arbeitet .Es gibt aber ein Land, in dem ISIS auf dem Rückzugist . Das ist der Irak . Dazu haben dort sehr viele beige-tragen . Dazu gehören auch die Region Nordirak und diekurdische Regionalregierung, denen man dafür dankenmuss .
Es ist gut, dass Deutschland dort einen Beitrag derHilfe leisten will . Das ist keine Frage . Die Ausbildunghat etwas gebracht . Das bestreitet niemand von uns . DieFrontlinie ist stabilisiert . Das hat auch etwas mit derAusbildung zu tun . Das zeigt sich daran, dass Sindschargerade nach der Ausbildung der jesidischen Selbstvertei-digungskräfte befreit worden ist . Dass es bei den Pesch-merga und den Jesiden deutlich weniger Tote gibt, seitThorsten Frei
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dort Sanitätskräfte ausgebildet worden sind, kann mannur richtig finden. Dafür muss man, finde ich, den deut-schen Soldatinnen und Soldaten, die vor Ort arbeiten,danken .
Die Ausbildung ist wichtig und richtig . Dennoch ha-ben wir Grüne uns letztes Jahr mit großer Mehrheit ent-halten . Dies wird dieses Jahr genauso sein . Dafür gibtes einen zentralen Grund: Es gibt keine richtige Rechts-grundlage . Das war bisher überhaupt kein Thema hier,und das wundert mich ein bisschen . Es ist völkerrechtlichkorrekt, ein solches Mandat einzubringen . Es gibt eineEinladung der Zentralregierung aus dem Irak . Aber dasreicht in Deutschland bekanntermaßen nicht . Wir habendas Grundgesetz, und es gibt eine klare Rechtsprechungaus Karlsruhe, die besagt, dass Einsätze nur im Rahmender Systeme kollektiver Sicherheit erfolgen dürfen .Sie hatten zwölf Monate Zeit, verehrte Bundesregie-rung, eine solche Grundlage zu schaffen, beispielsweisein Form einer EU-Trainingsmission . Sie haben stattdes-sen versucht, eine Rechtsgrundlage herbeizufantasieren .In diesen Tagen gab es im Ausschuss einen Erklärungs-versuch . Es hieß, ein System kollektiver Sicherheit seinicht notwendig, weil es sich gar nicht um einen Ein-satz handele . Dann frage ich mich, warum Sie das man-datieren . Die Antwort ist eindeutig: Es handelt sich umeinen Einsatz von bewaffneten Soldaten und Soldatinnen30 Kilometer hinter der Frontlinie . Deshalb ist es absurd,dass Sie sich nicht um eine Rechtsgrundlage bemüht ha-ben . Das führt dazu, dass wir auch in diesem Jahr mitgroßer Mehrheit nicht zustimmen können .
Gleichzeitig dürfen wir das politische Umfeld nicht ausden Augen verlieren; natürlich müssen wir auch darüberreden . Man muss sehen, dass mit abnehmendem militäri-schem Druck viele alte Gräben innerhalb der kurdischenFraktionen aufbrechen . Es ist teilweise hoch dramatisch .Man darf nicht vergessen, dass der Parlamentspräsidentnicht mehr das Parlament betreten darf, dass vier Minis-ter ausgesperrt wurden, dass Parteien, die große Wahler-folge erzielt haben, aus dem Parlament ausgeschlossenwerden und dass Demonstranten niedergeknüppelt wer-den . Es gibt viele Berichte – nicht nur den aktuellen Be-richt von Amnesty International, sondern auch den vonHuman Rights Watch aus dem letzten Jahr –, in denenklar beschrieben wird, dass die arabische Bevölkerungvon Kurden vertrieben wird . Es werden starke Vorwürfeerhoben, die man ernst nehmen und denen man dringendnachgehen muss .Auch die Pressefreiheit ist sehr stark beschränkt . Ichzitiere aus einer Mail, die ich von einem mir bekanntenJournalisten aus Erbil – er ist dort mittlerweile nichtmehr – bekommen habe:Ich lebe derzeit in einem Asylbewerberlager . Ichhabe vor, in Deutschland zu bleiben und hier Asyl zubeantragen . Die Sicherheitskräfte der KDP griffenmein Büro an und verhafteten mich . Als ich spätereine Todesdrohung erhielt, habe ich Kurdistan-Irakverlassen, und bin, um mein Leben zu retten, nachDeutschland gekommen .Das zeigt das Wagnis auf und verpflichtet uns, über dieMissstände laut und klar zu sprechen .
Das wird derzeit aber nicht gemacht . Viele deutsche Mi-nister sind nach Erbil gefahren . Das war auch richtig,aber ich habe die klare Sprache nicht gehört .Es gibt sehr vieles, worüber man reden müsste . DerKollege Mützenich hat vorhin zum Beispiel die Einbin-dung der Peschmerga in die irakischen Sicherheitskräfteangesprochen . Eine solche Einbindung fehlt noch immer .Wir sind hier nicht weiter als vor zwölf Monaten . Hinzukommen nun noch Berichte darüber, dass seit fünf Mo-naten kein Sold mehr an die Peschmerga gezahlt wurde .Die kurdische Regionalregierung steht unter immensemfinanziellen Druck. Daher ist es umso wichtiger, auf dieSicherheitssektorreform zu achten und zu helfen, aberauch gleichzeitig – weil es sich hier um einen wichtigenPartner im Kampf gegen ISIS handelt – laut und klar an-zusprechen, was dort alles falsch läuft . Es läuft sehr vielfalsch . Darüber muss man sprechen .
Der letzte Punkt, der schon im letzten Jahr zu großenDiskussionen geführt hat, sind die Waffenlieferungen .Wir haben auch innerhalb der Fraktion der Grünen sehrheftig darum gerungen . Das ist bei einer solch zentralenFrage auch richtig . Aber angesichts der vorliegenden Be-richte über einen Schwarzmarkt für Waffen in einer deram meisten proliferationsgefährdeten Gegenden der Weltbrauchen wir Aufklärung . Die Bundesregierung kommtihrer Nachweisverpflichtung allerdings nicht nach. Esreicht nicht, zu sagen: Es gibt eine Endverbleiberklä-rung . – Wir brauchen eine Endverbleibkontrolle . Wirwollen sehen, wo die Waffen geblieben sind, damit wirüber die nächsten Schritte beraten können . Stattdessenverspricht Frau von der Leyen nach jeder Reise weitereWaffenlieferungen . So wird das nicht funktionieren . Ma-chen Sie Ihre Hausaufgaben, wenn Sie wollen, dass wirin zwölf Monaten mit Ihnen gemeinsam zustimmen . Ichbin relativ sicher, dass wir in zwölf Monaten erneut darü-ber beraten müssen .
Herr Kollege .
Es ist nicht fair, ohne Rechtsgrundlage und damit auf
Kosten der Soldatinnen und Soldaten ein solches Mandat
vorzulegen .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Es reißt ein bisschen ein – das hat schon der Vorred-ner gemacht –, dass man den letzten Punkt ankündigt,nachdem die Redezeit abgelaufen ist . Wenn das Präsidi-Omid Nouripour
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um hoffnungsvoll denkt, dass sich der Redner daran hält,dann wird das meistens ein bisschen ausgedehnt . Es isteine Frage der Fairness, dass sich alle an ihre Redezeithalten .Nächster Redner ist der Abgeordnete Henning Otte,CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident, herzlichen Dank . – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Wir verlängern heute das Mandat für die Ausbildungs-mission im Norden Iraks . Warum bilden wir aus? Weilder furchtbare IS-Terror sonst voranschreitet, Menschenumbringt und eine ganze Region destabilisiert . Wen bil-den wir aus und wozu? Wir bilden kurdische Kämpfervor Ort aus, damit sie in die Lage versetzt werden, dieeigene Heimat zu verteidigen . In welchen Bereichen bil-den wir aus? Wir bilden für Sanitätstätigkeiten, Minen-räumung, Kampf und Schutz aus .Meine Damen und Herren, diese Ausbildungsmissionträgt auch dazu bei, die Fluchtursachen dort zu bekämp-fen, wo sie entstehen . Wir müssen gemeinsam einenwichtigen Beitrag im Kampf gegen diesen unmenschli-chen IS-Terror leisten, gegen den sogenannten „Islami-schen Staat“, der im Zentrum Nordiraks und in Syrienwirkt und wie ein Franchisesystem versucht, die Welt zudestabilisieren . Der IS-Terror ist eine Bedrohung für denWeltfrieden, und dem stellen wir uns gemeinsam entge-gen .
Es leiden insbesondere die Jesiden dort vor Ort . Hun-derte, ja Tausende jesidische Männer sind getötet wor-den; Hunderte, ja Tausende Frauen und Mädchen sindverschleppt oder getötet worden . Viele Mädchen sindnoch in den Händen dieser Barbaren . Ich wiederhole:Viele Mädchen sind noch in den Händen dieser Barbaren .Sehr geehrter Herr Kollege van Aken, ich habe Ihnenganz genau zugehört . Sie haben das Leid dieser Men-schen nicht mit einem Wort angesprochen – nicht miteinem Wort –, nur damit Sie Ihre Programmatik hier vondiesem Pult aus vertreten konnten . Das ist keine Verant-wortung, das ist Augenverschließen vor dem Leid vielerMenschen . Das ist nicht zu akzeptieren, meine Damenund Herren .
Genau vor dieser Gewalt fliehen nämlich die Menschen,weil sie keine andere Zuflucht finden. Sie geben ihre Hei-mat auf, sie kommen auch nach Deutschland, weil sieSchutz suchen . Das stellt unsere Gesellschaft vor einegroße Herausforderung .Der IS versucht beispielsweise, in Libyen einen neuenBrückenkopf zu bilden, dort Fuß zu fassen und von dortaus über das Mittelmeer Europa zu destabilisieren . Dasmüssen wir verhindern – auch zum Schutz unseres Lan-des. Wir müssen uns dort engagieren, wo die Konflikteentstehen; wir müssen dort aktiv werden, wo die Konflik-te auch uns bedrohen . Ansonsten werden sich noch mehrMenschen auf die Flucht machen .Ja, es ist ein innerislamischer Konflikt, und die ara-bischen Staaten sind mehr denn je aufgefordert, selbstVerantwortung zu tragen . Ja, es ist ein innerislamischerBürgerkrieg . Aber es liegt auch im europäischen Interes-se und insbesondere im deutschen Interesse, diesen Kon-flikt zu entschärfen und zu verhindern, dass sich die Lageweiter destabilisiert . Es ist vor allem auch eine Frage derMenschlichkeit, meine Damen und Herren, Menschen zuschützen und sie nicht sterben zu lassen . Auch deswegenhelfen wir, auch deswegen erteilen wir dieses Mandat .
Es geht auch darum, dass wir den kurdischen Pesch-merga weiter beistehen, die den IS auf breiter Frontzurückgedrängt haben . Das zeigt, dass diese Strategieerfolgreich ist . Kollege Frei hat es deutlich dargestellt .Deswegen werden wir die Anzahl der im Rahmen dieserMission eingesetzten deutschen Soldatinnen und Solda-ten von 100 auf 150 erhöhen .Dieses Mandat ist rechtlich abgesichert . KollegeMützenich hat es deutlich herausgestellt . Ich sage auchan die Adresse der Grünen: Es gibt immer viele Ausre-den, die man suchen könnte, um einem solchen Mandatnicht zuzustimmen . Aber jetzt eine solche Position zu be-ziehen, das ist nicht verantwortungsvoll .
Wir ertüchtigen die Menschen vor Ort – das ist nachhal-tig –, selbst für Stabilität in der Region zu sorgen . Dasist Nachhaltigkeit und keine Ideologie, die Ihnen passenwürde . Die Verantwortung und die Wahrnehmung derRealität sind Maßstab für uns, meine Damen und Herren .
Wer zu seiner Verantwortung in der Welt steht, der darfsich der Last, die sich daraus ergibt, nicht entziehen . Dasist ein gutes Motto, wie ich finde. Deswegen sage ich:Nicht mit erhobenem Zeigefinger an der Seite stehen,
sondern Verantwortung übernehmen . Wir, die Union,übernehmen Verantwortung mit unserer Bundeskanzle-rin Angela Merkel, mit unserer VerteidigungsministerinUrsula von der Leyen und mit unseren Koalitionspart-nern, allen voran Außenminister Steinmeier . Ich dankediesen Lebensrettern, und ich danke vor allem den Solda-tinnen und Soldaten der Bundeswehr, die oft auch selbstMütter und Väter sind, die einen Beitrag zur Stabilisie-rung leisten und dazu, dass die Menschen nicht vor die-sem Terror fliehen.Es ist auch gut, dass wir unseren Soldaten die notwen-dige Ausrüstung zur Verfügung stellen . 130 MilliardenVizepräsident Peter Hintze
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Euro – so hat es unsere Verteidigungsministerin gesagt –sind notwendig . Wir stellen diese Mittel zur Verfügung .Sie dienen dem Schutz unserer Soldaten . Die Bundes-wehr ist Garant für die Sicherheit . Wir alle haben denAuftrag, den Frieden und die Sicherheit in dieser Weltzum Nutzen der Menschen zu stabilisieren .Herzlichen Dank .
Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich dem
Abgeordneten Dr . Reinhard Brandl, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Im August 2014 hatten wir uns hier in diesem Saal zu
einer Sondersitzung versammelt . Wir waren schockiert
über den Erfolg und die scheinbare Unbesiegbarkeit der
Terrororganisation IS, die damals nach und nach immer
mehr Gebiete im Irak erobert hatte . Ich erinnere mich
gut: Sie stand damals 40 Kilometer vor Erbil, und es
waren die Peschmerga-Kämpfer, die sich ihr entgegen-
gestellt haben und in deren Gebiet damals Zehntausende
Jesiden und Christen geflohen waren.
Wir haben uns damals in einer schwierigen Abwägung
und nach einer sehr intensiven Debatte dafür entschieden,
den Peschmerga im Kampf gegen den IS beizustehen, sie
zuerst auszurüsten und danach auch auszubilden, wohl
wissend, welche Risiken damit verbunden sind, in einen
laufenden Konflikt Waffen zu liefern, und wohl wissend,
was für ein Risiko es auch für den Irak sein kann, wenn
wir eine Gruppe in diesem fragilen Staatsgebilde plötz-
lich direkt unterstützen .
Im Nachhinein war diese Entscheidung richtig . Erbil
konnte gehalten werden . Der Mythos der Unbesiegbar-
keit des IS wurde gebrochen, und nach und nach konnten
die Peschmerga weitere Gebiete zurückerobern, wie zum
Beispiel die Stadt Sindschar im November 2015 . All das
wäre ohne die internationale und insbesondere die deut-
sche Hilfe nicht möglich gewesen .
Ich war im letzten Jahr, wenige Monate später, mit
einigen Kollegen zu Gast in Erbil und habe dort mit Ver-
tretern der kurdischen Regionalregierung, der Peschmer-
ga und auch der Bundeswehr gesprochen . Ich will Ihnen
zwei Beispiele nennen, die zeigen, wie die Hilfe der Bun-
deswehr tatsächlich vor Ort wirkt .
Erstes Beispiel . Der IS hatte damals Lastwagen voll
mit Sprengstoff gepackt und mit Metallplatten notdürf-
tig gepanzert . Selbstmordattentäter haben diese Fahr-
zeuge damals in die kurdischen Dörfer gefahren und an
den Stellungen der Peschmerga explodieren lassen . Die
Peschmerga konnten dem nichts entgegensetzen . Sie wa-
ren dem hilflos ausgeliefert. Mit den Milan-Raketen, mit
denen wir sie unterstützt haben, konnten sie nun erstmals
diese Fahrzeuge auch auf Distanz bekämpfen, was zum
einen die Verteidigungsfähigkeit, zum anderen aber auch
die Moral der Truppe enorm erhöht hat .
Zweites Beispiel: Sanitätsausbildung . Die Peschmer-
ga haben damals sehr viele Kämpfer verloren, weil sie
einfach nicht wussten, wie sie bei Verletzungen handeln
sollen und wie sie bei einem Massenanfall von Verletz-
ten reagieren sollen . Die Sanitätsausbildung der Bundes-
wehr – ganz einfache Dinge wie das Stillen von Blutun-
gen zum Beispiel – hat massiv dazu beigetragen, dass
deutlich weniger Opfer anfallen, und auch das hat die
Verteidigungsfähigkeit erhöht und die Moral der Truppe
gestärkt .
Der Einsatz war ein Erfolg . Er war vor allem wegen
der Kombination von Waffenlieferungen und Ausbildung
ein Erfolg . Ein Element alleine hätte diese Wirkung nicht
gehabt. Auch das können wir für zukünftige Konfliktsitu-
ationen lernen . Aber der Einsatz ist nur ein Mosaikstein;
er ist ein Erfolg, aber isoliert betrachtet ist er keine Lö-
sung .
Meine Damen und Herren, fokussieren wir uns einmal
nur auf den Nordirak . Wir waren dort bei der Regional-
regierung . Diese sagte: Klar, der Kampf gegen den IS ist
eines unserer Probleme, aber wir haben noch zwei viel
größere Probleme . Erstens sind wir praktisch zahlungs-
unfähig . Wir können unsere Kämpfer und unsere Staats-
bediensteten nicht bezahlen . Zweitens wissen wir auch
nicht, wie wir die im Moment 350 000 Flüchtlinge, die
in unserer Region sind, tatsächlich versorgen sollen, vor
allem auf lange Sicht . – Auch dafür braucht der Nordirak
unsere Unterstützung .
Wir haben uns damals auch mit Vertretern von Chris-
ten und Jesiden getroffen . Die haben uns berichtet, dass,
als der IS kam und sie vertrieben wurden, es ihre arabi-
schen Nachbarn waren, die begonnen haben, ihre Häuser
zu plündern .
Meine Damen und Herren, das allein zeigt, was für
eine große Aufgabe die Menschen in der Region im Hin-
blick auf Aussöhnung und Wiederaufbau noch vor sich
haben . Wir sollten jenseits dieses Einsatzes dann, wenn
die Waffen schweigen, wenn der IS besiegt ist, diese
Menschen nicht vergessen . Sie sind auf unsere Hilfe
dringend angewiesen . Ich kann für unsere Fraktion sa-
gen, dass wir diese Menschen nicht vergessen werden
und dass wir ihnen auch dann zur Seite stehen werden .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Ich schließe die Aussprache .Zur gleich folgenden Abstimmung liegen mehrere Er-klärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)1) Anlagen 2 bis 4Henning Otte
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Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-tigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierungzur „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscherStreitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicher-heitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak undder irakischen Streitkräfte“. Der Ausschuss empfiehlt inseiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7367,den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/7207anzunehmen . Wir stimmen über die Beschlussempfeh-lung namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen undSchriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . –Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Ich eröffnedie Abstimmung über die Beschlussempfehlung .Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall .Ich schließe jetzt die Abstimmung und bitte die Schrift-führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-ginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen späterbekannt gegeben .1)Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenauf Drucksache 18/7377 . Wer stimmt für den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-ßungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und derSPD bei Zustimmung durch die Fraktion Die Linke unddie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt .2)Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b sowieden Zusatzpunkt 2 auf:28 a) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Designgesetzes und wei-terer Vorschriften des gewerblichen Rechts-schutzesDrucksache 18/7195Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutzb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenOliver Krischer, Dr . Julia Verlinden, StephanKühn , weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKeine Behinderung des Windenergieaus-baus durch RadaranlagenDrucksache 18/7050Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Wirtschaft und EnergieZP 2 Erste Beratung des von den AbgeordnetenKatja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck
, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung der ZivilprozessordnungDrucksache 18/73591) Ergebnis Seite 14947 C2) Anlage 5Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 h so-wie den Zusatzpunkt 3 auf . Es handelt sich um die Be-schlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Ausspra-che vorgesehen ist .Tagesordnungspunkt 29 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zu dem Abkommen vom 14. November2012 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-land und der Republik Polen über die Zusam-menarbeit im Bereich des Eisenbahnverkehrsüber die deutsch-polnische StaatsgrenzeDrucksache 18/6931Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
Drucksache 18/7256Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastrukturempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 18/7256, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 18/6931 anzunehmen . Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen . – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DerGesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmender CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der FraktionBündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen .Dritte Beratungund Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plät-zen zu erheben . – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linkeangenommen .3)Tagesordnungspunkt 29 b:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des Mess- und Eich-gesetzesDrucksache 18/7194Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Energie
Drucksache 18/73823) Anlage 6Vizepräsident Peter Hintze
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Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehltin seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7382,den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache18/7194 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-setzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion bei Enthaltung derFraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen angenommen .Dritte Beratungund Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzenzu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Keiner . Enthaltun-gen? – Dann ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mitden Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktionbei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der FraktionBündnis 90/Die Grünen angenommen worden .Tagesordnungspunkt 29 c:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-gie zu der Verordnung der Bun-desregierungFünfte Verordnung zur Änderung der Außen-wirtschaftsverordnungDrucksachen 18/6522, 18/6605 Nr. 2,18/7222Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 18/7222, die Aufhebung der Ver-ordnung auf Drucksache 18/6522 nicht zu verlangen .Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, derSPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ohneGegenstimmen bei Enthaltung der Fraktion Die Linkeangenommen worden .Tagesordnungspunkte 29 d bis 29 h . Wir kommen zuden Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses .Tagesordnungspunkt 29 d:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 272 zu PetitionenDrucksache 18/7251Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 272 mit denStimmen aller Fraktionen angenommen worden .Tagesordnungspunkt 29 e:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 273 zu PetitionenDrucksache 18/7252Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 273 ist angenommenworden mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion undder SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke .Tagesordnungspunkt 29 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 274 zu PetitionenDrucksache 18/7253Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 274 mit denStimmen aller Fraktionen angenommen worden .Tagesordnungspunkt 29 g:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 275 zu PetitionenDrucksache 18/7254Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 275 aufDrucksache 18/7254 angenommen mit den Stimmender CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der FraktionBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FraktionDie Linke bei keiner Enthaltung .Tagesordnungspunkt 29 h:Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-onsausschusses
Sammelübersicht 276 zu PetitionenDrucksache 18/7255 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 276 auf Druck-sache 18/7255 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktionund der SPD-Fraktion angenommen gegen die Stimmender Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen bei keiner Enthaltung .Zusatzpunkt 3:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-gie zu der Mitteilung der Kom-mission an das Europäische Parlament, den Rat,den Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus-schuss und den Ausschuss der RegionenDen Binnenmarkt weiter ausbauen: mehrChancen für die Menschen und die Unterneh-menKOM(2015) 550 endg.; Ratsdok. 13370/15hier: Politischer Dialog mit EU-InstitutionenDrucksachen 18/6855 A.5, 18/7395 Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-tung eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Dann ist das mit Zustimmung allerFraktionen so beschlossen .Vizepräsident Peter Hintze
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Menschenrechte undhumanitäre Hilfe
– zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth,Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion DIE LINKERaif Badawi sofort freilassen – Völkerrechts-widrige Strafen in Saudi-Arabien abschaffen– zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Tom Koenigs, Agnieszka Brugger, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENJa zur Meinungsfreiheit, nein zur Folter –Menschenrechte in Saudi-Arabien schützen, Raif Badawi freilassenDrucksachen 18/3832, 18/3835, 18/5450 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Sind Sie damiteinverstanden? – Dann ist das so beschlossen .Bevor ich die Aussprache eröffne, verlese ich noch dasProtokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftfüh-rern ermittelten Ergebnisses der zweiten namentlichenAbstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-wärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierungmit dem Titel „Fortsetzung der Beteiligung bewaffne-ter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützungder Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdi-stan-Irak und der irakischen Streitkräfte“, Drucksachen18/7207 und 18/7367: abgegebene Stimmen 570 . Mit Jahaben gestimmt 441, mit Nein haben gestimmt 81, ent-halten haben sich 48 Kolleginnen und Kollegen . Die Be-schlussempfehlung ist damit angenommen .Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 572;davonja: 442nein: 82enthalten: 48JaCDU/CSUStephan AlbaniArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr . Andre BergheggerDr . Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr . Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr . Reinhard BrandlHelmut BrandtDr . Ralf BrauksiepeDr . Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachHermann FärberDr . Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr . Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr . Astrid FreudensteinDr . Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr . Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr . Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr . Stephan HarbarthGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeDr . Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander Hoffmann
Karl HolmeierDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M . HuberHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr . Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr . Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr . Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr . Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr . Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr . Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr . Karl A . LamersAndreas G . LämmelDr . Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeVizepräsident Peter Hintze
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Barbara LanzingerPaul LehriederDr . Katja LeikertDr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr . Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagThomas MahlbergDr . Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzStephan Mayer
Reiner MeierDr . Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr . h .c . Hans MichelbachDr . Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerVolker MosblechElisabeth Motschmann
Stefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr . Georg NüßleinJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldUlrich PetzoldDr . Joachim PfeifferEckhard PolsThomas RachelAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr . Heinz RiesenhuberDr . Norbert RöttgenErwin RüddelAnita Schäfer
Karl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Ronja SchmittPatrick SchniederNadine Schön
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeCarola StaucheDr . Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr . von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackDr . Peter TauberAntje TillmannDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr . Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr . Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar G . WöhrlHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensHeinz-Joachim BarchmannDr . Katarina BarleyDr . Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr . Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnDr . Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr . Daniela De RidderDr . Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr . h .c . Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Johannes FechnerDr . Fritz FelgentreuChristian FlisekGabriele FograscherDr . Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterAngelika GlöcknerUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Marcus HeldWolfgang HellmichHeidtrud HennGustav HerzogDr . Eva HöglMatthias IlgenFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit Kömpel
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Helga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeDr . Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastDr . Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerDetlef Müller
Michelle MünteferingDr . Rolf MützenichUlli NissenAydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr . Sascha RaabeDr . Simone RaatzMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDennis RohdeDr . Martin RosemannDr . Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelSarah RyglewskiJohann SaathoffAnnette SawadeDr . Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Marianne SchiederUdo SchiefnerDr . Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteEwald SchurerAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr . Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserClaudia TausendMichael ThewsDr . Karin ThissenCarsten TrägerUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalDirk WieseGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDieter JanecekTom KoenigsNeinSPDUlrike BahrKlaus BarthelMarco BülowDr . Ute Finckh-KrämerGabriele Hiller-OhmRalf KapschackCansel KiziltepeHilde MattheisMahmut Özdemir
René RöspelDr . Nina ScheerSwen Schulz
Kerstin Tack
DIE LINKEJan van AkenDr . Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W . BirkwaldChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr . Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeDr . Andre HahnHeike HänselDr . Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr . Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzCornelia MöhringNiema MovassatNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr . Petra SitteKersten SteinkeDr . Kirsten TackmannFrank TempelDr . Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerDr . Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENAnnalena BaerbockUwe KekeritzKatja KeulMonika LazarPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeLisa PausCorinna RüfferDr . Wolfgang Strengmann-KuhnBeate Walter-RosenheimerEnthaltenSPDPetra Hinz
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr . Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr . Anton HofreiterBärbel HöhnSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkOliver KrischerStephan Kühn
Renate KünastSteffi LemkeDr . Tobias LindnerNicole MaischÖzcan Mutlu
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201614950
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Dr . Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Manuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr . Gerhard SchickDr . Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheHans-Christian StröbeleDr . Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr . Julia VerlindenDoris WagnerDr . Valerie WilmsWir kommen nun zur Aussprache . Als Erster in die-ser Aussprache erteile ich das Wort der AbgeordnetenDr . Ute Finckh-Krämer, SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen!Ziemlich genau vor einem Jahr haben wir die beiden An-träge zum ersten Mal diskutiert, und vor etwa zwei Wo-chen das Thema „Menschenrechte in und Rüstungsexpor-te nach Saudi-Arabien“ in Aktuellen Stunden behandelt .Raif Badawi und sein Anwalt Walid Abu al-Chair sindimmer noch in Haft . Dass die Prügelstrafe gegen Badawiweiterhin ausgesetzt ist, ist ein schwacher Trost, auchwenn wir uns darüber freuen . Besorgniserregend sinddagegen die 47 Hinrichtungen Anfang Januar, bei denenmit dem schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr jemandhingerichtet wurde, der sich ausdrücklich für friedlichepolitische Proteste eingesetzt hatte .Es ist daher absolut unpassend, wenn in einem ak-tuellen Hintergrundbericht über Saudi-Arabien in derWirtschaftswoche vom 15 . Januar dieses Jahres versuchtwird, die Hinrichtungen und den Krieg im Jemen folgen-dermaßen zu erklären – ich zitiere –: „Dass Saudi-Arabi-en derzeit so wild um sich schlägt, ist auch ein Zeichenseiner ökonomischen Krise“, und dann kein weiteresWort über die Menschenrechtssituation im Land verlo-ren wird . Denn wir können getrost davon ausgehen, dassdie saudische Regierung nicht nur wahrnimmt, wie imBundestag über ihr Land diskutiert wird, sondern dasssie auch die Berichterstattung in den deutschen Medi-en verfolgt . Die Wirtschaftswoche profitiert hier ganzselbstverständlich von der Pressefreiheit . Wenn in ihremBericht nicht erwähnt wird, wie schlecht es um die Mei-nungs- und Pressefreiheit in Saudi-Arabien bestellt ist,entsteht bei der saudischen Regierung der Eindruck, dassdie wirtschaftlichen Beziehungen wichtiger genommenwerden als zentrale Menschenrechte in ihrem Land . Dasist ein fatales Zeichen .Wir wären wohl alle froh, wenn wir als Bundestagdie Macht hätten, die sofortige Freilassung nicht nur vonRaif Badawi und Walid Abu al-Chair durchzusetzen, son-dern auch die von allen anderen politischen Gefangenenin Saudi-Arabien .
Leider haben wir diese Macht nicht . Also stellt sich dieFrage, was wir als Abgeordnete zur Unterstützung po-litischer Gefangener tun können . Das Berliner GlobalPublic Policy Institute, GPPI, hat sich im letzten Herbstauf einer Fachtagung mit dieser Frage beschäftigt . Dieausführliche Tagungsdokumentation enthält konkreteEmpfehlungen an den Deutschen Bundestag, die ich imFolgenden vorstellen und kommentieren möchte .Erste Empfehlung – Zitat –:Öffentliche Stellungnahmen einzelner Ausschüssezu Fällen politischer Haft sowie Anträge zur Ab-stimmung im Bundestag sollten fraktionsübergrei-fend getragen werden, damit ein deutliches politi-sches Signal an Entscheidungsträger im Auslandgesandt wird .Es ist also schade, dass es vor einem Jahr keine Versu-che gab, einen fraktionsübergreifenden Antrag zustandezu bringen, sondern stattdessen zwei Oppositionsanträgevorgelegt wurden .Zweite Empfehlung – Zitat –:Alle Bundestagsabgeordneten sollten das Pro-gramm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“des Menschenrechtsausschusses unterstützen undmindestens eine Patenschaft übernehmen .
Die Auswahl der Einzelfälle– so die Empfehlung weiter –kann nach eigenen geographischen und inhaltlichenInteressen erfolgen, wobei sich die Abgeordnetenbemühen sollten, besonders gefährdete politischeGefangene zu priorisieren . Dabei muss die wohlin-formierte Einwilligung nach erfolgter Aufklärung
stets gesichert sein .
Derzeit haben von uns 630 Abgeordneten 50 eineoder mehrere Patenschaften für politisch verfolgte Par-lamentsabgeordnete, Journalistinnen bzw . Journalistenoder Menschenrechtsverteidigerinnen bzw . Menschen-rechtsverteidiger übernommen . Wir alle können in un-seren Fraktionen dafür werben, dass diese Zahl deutlichansteigt .Dritte Empfehlung:Auf Auslandsreisen in Länder, in denen politischeHaft systematisch als Machtinstrument eingesetztwird, sollten Bundestagsabgeordnete nicht nur Ein-zelfälle in ihren Gesprächen mit Regierungsver-treterinnen ansprechen . Sie sollten vielmehr auchum Besuchstermine im Gefängnis oder bei unterHausarrest stehenden Personen bitten und bei derÜbernahme einer Patenschaft wenn möglich auchProzessen beiwohnen .
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Das ist sicher nicht immer mit unseren Zeitplänen undReisezielen vereinbar, könnte aber in Einzelfällen hilf-reich sein, gerade dann, wenn politischen Gefangenenandere Besuche verweigert werden .Vierte Empfehlung:Wo erforderlich sollten deutsche Bundestagsabge-ordnete auf eine bessere medizinische Versorgung,die Ermöglichung von Familienbesuchen oder an-dere Hafterleichterungen drängen . Die deutscheBotschaft vor Ort sollte vorab die betroffene Per-son oder ihre Familie nach Bedarf aufklären und dienotwendige Zustimmung einholen .Diese Empfehlung ist fast eine Selbstverständlichkeit:Keine Alleingänge machen, sondern die Betroffenen undihre Familien einbeziehen, die Vor- und Nachteile einesAppells von außen besser abschätzen können als wir, wasallerdings dann schwierig wird, wenn – wie im Fall vonRaif Badawi – Ehefrau und Schwester unterschiedlicheStandpunkte vertreten .Die fünfte Empfehlung bezieht sich darauf, dass auchdas Bundestagspräsidium vor Auslandsreisen überlegensoll, was es zur Unterstützung politischer Gefangener tunkann .Die sechste Empfehlung betrifft wieder uns alle – Zi-tat –:Die Menschenrechtspolitik darf nicht ausschließlichan den Menschenrechtsausschuss delegiert werden .Das unterstütze ich nachdrücklich, ebenso die Forde-rung, vor Auslandsreisen frühzeitig Kontakt zu geeigne-ten Menschenrechtsorganisationen aufzunehmen .Auch der siebte Vorschlag könnte von einigen von unsumgesetzt werden:… Abgeordnete mit … Erfahrungen in der Einzel-fallarbeit sollten parteiübergreifend bei jüngerenBundestagsabgeordneten für ein aktiveres Engage-ment für politische Häftlinge werben, von Erfolgenberichten und, wenn erwünscht, auch individuellesCoaching anbieten .Auch der regelmäßige „Erfahrungsaustausch auf derMitarbeiterebene“ kann unser Engagement für politischeGefangene verstärken .Das alles bezieht sich nicht nur auf politische Gefan-gene in Saudi-Arabien . Viele von uns setzen sich für deniranischen Menschenrechtsanwalt Abdolfattah Soltaniein, der durch die originelle Facebook-Aktion „Kochenfür Soltani“, die von seiner in Nürnberg lebenden Tochterins Leben gerufen wurde, weltweit bekannt geworden ist .Wir freuen uns darüber, dass er eine Woche Hafturlauberhalten hat, denken aber an die vielen politischen Ge-fangenen im Iran, die weniger bekannt sind als er . Wiein Saudi-Arabien gibt es im Iran jährlich Hunderte vonHinrichtungen, darunter auch von zur Tatzeit Minderjäh-rigen . Ähnliches gilt für Ägypten oder Pakistan .Von den Vorschlägen der erwähnten Fachtagung, dieMitglieder der Bundesregierung betreffen, möchte icheinen herausgreifen . Er lautet – Zitat –:In Gesprächen über einzelne politische Gefangenehinter verschlossenen Türen sollte die Bundesregie-rung immer kritischer auftreten als in der Öffent-lichkeit .Außenminister Steinmeier war gestern in der Sitzungdes Menschenrechtsausschusses und hat dabei unter an-derem dargelegt, welche Fälle politischer Gefangener erim vergangenen Jahr in vertraulichen Gesprächen ange-sprochen hat . So verlockend es im Einzelfall sein kann,sich öffentlich zu äußern; oft ist es politisch unklug, weiles eine gesichtswahrende Richtungsänderung der betref-fenden Regierungen erschwert .Ich hoffe, dass Außenminister Steinmeier bei seinerbevorstehenden Reise nach Saudi-Arabien und in denIran die genannten und weitere Fälle ansprechen kann .Meinungs- und Pressefreiheit, das Verbot der Todesstrafeund andere menschenrechtliche Errungenschaften wur-den in der deutschen und in der europäischen Geschichtemühsam erkämpft und sind Teil unserer politischen Kul-tur geworden . Wir können auf ihre Vorteile verweisenund andere ermutigen, unserem Beispiel zu folgen .Danke schön .
Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Inge Höger,
Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Blog-ger und Träger des Sacharow-Preises für Meinungsfrei-heit, Raif Badawi, wurde vor etwas mehr als einem Jahrin Saudi-Arabien zu zehn Jahren Haft und 1 000 Peit-schenhieben verurteilt . Ashraf Fayadh, ein junger Dichtermit palästinensischen Wurzeln, wurde vor zwei Monatenebenfalls in Saudi-Arabien zum Tode verurteilt . Anfangdieses Jahres wurden vom saudischen Regime zeitgleich47 Menschen hingerichtet, unter ihnen ein populärer Pre-diger, der sich mit friedlichen Mitteln für Menschenrech-te und Demokratie einsetzte .Die Todesstrafe steht in Saudi-Arabien nicht nur aufreligiöse Verstöße und schwere Verbrechen, sondernauch auf Homosexualität . Nach Angaben der VereintenNationen wurde die Todesstrafe im Jahr 2015 157-malvollstreckt, gern auch öffentlich . Es ist wirklich unerträg-lich, dass genau dieses Land eines der engsten Partner-länder Deutschlands im arabischen Raum ist .
Dabei wissen Sie es doch besser . Die Homepage desAuswärtigen Amtes ist da sehr klar – Zitat –:Saudi-Arabien ist eine absolute Monarchie … EinParlament gibt es nicht … Kritik am König, derHerrscherfamilie, der Herrschaft der Königsfamiliean sich und an der islamischen Religion saudischerAuslegung stellen … rote Linien dar … Körper-Dr. Ute Finckh-Krämer
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201614952
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strafen wie zum Beispiel Stockhiebe werden regel-mäßig vollzogen, Dissidenten werden inhaftiert,Frauen werden wesentliche Menschenrechte vorent-halten, minderjährige Mädchen zwangsverheiratet, . . . die schiitische Minderheit im Osten des Landeswird diskriminiert, und ausländische Arbeitnehmerkönnen ihre Rechte häufig nicht durchsetzen. DieDefinition der Straftatbestände lässt … die Tür dazuoffen, jedwede Art und Äußerung von Oppositionals „terroristischen“ Straftatbestand zu verfolgenund zu ahnden .So weit das Auswärtige Amt .Sogar der Bundesnachrichtendienst warnte kürzlichvor einer Idealisierung Saudi-Arabiens als außenpoli-tischer Partner der Bundesrepublik . Das Land betreibeeine zunehmend aggressive Außenpolitik . Hören Sie alsoendlich damit auf, dieses Land als strategischen Verbün-deten und Stabilitätsanker zu behandeln!
Die Politik gegenüber Saudi-Arabien scheint wenigervon dem Gedanken an Menschenrechte oder Demokratieals von den Gewinnerwartungen der Industrie bestimmtzu werden . Nach wie vor werden Waffenlieferungen indieses Land genehmigt . Der Krieg im Jemen, das Nie-derschlagen der Demokratiebewegung in Bahrain, dieBeteiligung am Krieg in Syrien, Massenhinrichtungen,Missachtung von Frauenrechten, Entrechtung von Mil-lionen von ausländischen Arbeitskräften – all das sollteGrund genug sein, die enge Kooperation zu beenden .Seit 2009 bilden 30 deutsche Polizisten im LandGrenzschützer aus . Der Einsatz steht im engen Zusam-menhang mit einem Milliardenprojekt des Rüstungskon-zerns EADS, der dort Grenzsicherungsanlagen baut . JörgRadek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, fordertdie Beendigung dieses Einsatzes . Zitat Radek:Das saudi-arabische Königreich hat mit seinem Feu-dalsystem mit unseren Vorstellungen eines Rechts-staats nichts gemein .
Doch die Bundesregierung lässt weiter Waffen liefern .Patrouillenboote sollen es diesmal sein . Das Ganze hatangeblich einen defensiven Charakter . Es geht um 15 Pa-trouillenboote für 1,5 Milliarden Euro . Die Boote sicherndie aggressive Außenpolitik der Saudis ab und werdenzur weiteren Destabilisierung der Region beitragen . DieLieferung von 270 Leopard-Kampfpanzern ist erst ein-mal gestoppt worden, aber der Export von Lizenzen hates ermöglicht, dass das Land sich nun in Spanien mitPanzern versorgen kann . Beenden Sie die Kungelei mitdem saudischen Regime! Schluss mit den Waffenexpor-ten!
210 000 Unterschriften hat Amnesty International fürRaif Badawis Freilassung gesammelt . Kürzlich wurdedie Schwester von Herrn Badawi gemeinsam mit ihrerzwei Jahre alten Tochter ins Gefängnis geworfen, ebensosein Rechtsanwalt . Badawis Ehefrau hat seit Wochen kei-nen Kontakt mehr zu ihm . Er wurde an einen unbekann-ten Ort verlegt . Dort wartet man wohl darauf, dass dieWunden der ersten 50 Peitschenhiebe verheilen, damitihm dann die restlichen 950 verabreicht werden können .Körperlich sowie psychisch sei Badawi bereits vor derVerlegung am Ende gewesen, sagt seine Ehefrau . IhreBitte an die Bundesregierung, mehr für seine Freiheit zutun, kann ich nur aus vollem Herzen unterstützen .Herr Badawi ist inzwischen Teil des parlamentari-schen Schutzprogramms des Bundestages . Jetzt ist dieRegierung dran . Wenden Sie sich endlich öffentlich ge-gen das barbarische Justizsystem in Saudi-Arabien!
Setzen Sie sich für die sofortige Freilassung von Badawiein, und bieten Sie ihm in Deutschland politisches Asylan!
Nächster Redner ist der Abgeordnete Frank Heinrich,
CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! ÜberMenschenrechte zu sprechen, heißt immer auch, überMenschen zu sprechen . Menschenrechte sind Indivi-dualrechte . Sie betreffen einzelne Personen, einzelnegeschichtliche Orte, einzelne Lebensumstände . Wer fürMenschenrechte im Allgemeinen plädiert, ohne das Indi-viduum im Besonderen zu schützen, hat das Prinzip nichtverstanden . Und doch geht unsere Debatte heute weit da-rüber hinaus . Ich bin sehr dankbar, dass Sie die Debattemit Ihren Anträgen mit ausgelöst haben . Wir diskutierendarüber, wie vorhin gesagt wurde, zum zweiten Mal .Das Einzelschicksal steht sehr häufig exemplarischfür eine politische Realität, in der Menschenrechte miss-achtet, eingeschränkt und – wie man in diesem Fall undmanch anderes Mal auch sagen könnte – verhöhnt wer-den . In diesen Fällen kann es nicht nur um den einengehen; wir müssen auch über das System sprechen, daszum Bruch der Rechte der Menschen führt . Angesichtsder gestrigen Gedenkstunde zum 27 . Januar, dem Tag derBefreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, möchteich dazu Bertolt Brecht zitieren:Was sind das für Zeiten, wo Ein Gespräch über Bäu-me fast ein Verbrechen ist . Weil es ein Schweigenüber so viele Untaten einschließt!Dennoch möchte ich zugleich eine Warnung ausspre-chen . Wir dürfen das Schicksal einzelner Menschen nichtinstrumentalisieren, um die eigene politische Ideologievoranzutreiben . Dieser Gedanke kommt mir hin undwieder, wenn ich Ihnen, Frau Höger, zuhöre – auch imInge Höger
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Ausschuss – und von Ihnen kein Aufschrei kommt, wennMenschenrechte in gleicher Weise von kommunistischenRegimen verletzt werden .
Wir dürfen auch nicht außer Acht lassen, dass wir in un-serer Debatte zugleich über die fragile weltpolitische Ge-mengelage sprechen, in welcher ein wesentlicher Beitragzur Sicherung der Menschenrechte in der Befriedung vonKriegsgebieten und in der Beseitigung von Fluchtursa-chen besteht .
Lassen Sie mich drei Punkte ansprechen . Die Debatteheute ist dreierlei: Erstens ist sie eine Debatte über ei-nen Menschen, den Blogger Raif Badawi, der als Sym-bol dafür steht, zweitens führen wir eine Debatte über dieMenschenrechtslage in Saudi-Arabien – das haben Sie zuRecht angesprochen –, und drittens führen wir eine De-batte über Allianzen und Bündnisse im Nahen Osten; hiersind wir unterschiedlicher Meinung .Ich beginne mit dem Menschen Raif Badawi . ImJuni 2012 wurde er wegen Beleidigung des Islam ver-haftet und im November 2014 zu einer zehnjährigenGefängnisstrafe, einer Geldstrafe und den bekannten,vorhin genannten 1 000 Stock- und Peitschenhieben ver-urteilt . Fast genau vor einem Jahr – morgen jährt sichdas – haben wir an gleicher Stelle über die Situation vonRaif Badawi gesprochen . Damals bekam sein Fall eineerschütternde Aktualität; denn am 9 . Januar, also dreiWochen vorher, war eine Einheit von 50 Peitschenhiebenan Badawi öffentlich vollstreckt worden .Was hat sich seither getan? Ein positives Zeichen derSolidarität der Öffentlichkeit mit Badawi war die Verlei-hung des Sacharow-Preises des Europäischen Parlamentsim Dezember letzten Jahres . Stellvertretend für ihren inSaudi-Arabien inhaftierten Ehemann hat Ensaf Haidarin Straßburg diesen Preis entgegengenommen und eineengagierte Rede zur Freiheit gehalten . Einige von unshaben sie hier im Haus treffen dürfen . Ich bin dankbar,diese kleine, aber mutige und taffe Frau erlebt zu haben .Doch die jüngsten Nachrichten sind erneut mehr alsbesorgniserregend . So wurde am 6 . Januar berichtet,der Kontakt des inhaftierten saudischen Bloggers Raif Badawi zu seiner Familie sei abgebrochen . Seit er imDezember in ein anderes Gefängnis verlegt wurde, habeseine Frau nichts mehr von ihm gehört . Seit drei Wochengebe es „überhaupt keinen Kontakt mehr“, und sie ver-mute, dass es ihm schlecht gehe .Am 10 . Dezember 2015 hatte Haidar über Twittermitgeteilt, dass ihr Mann verlegt worden sei, sich imHungerstreik befinde. Nun appellierte sie erneut an dieRegierungen, „mehr für Raifs Freiheit zu tun, mehr zutun, damit er bei uns in Kanada“ – dort lebt sie jetzt imExil – „sein kann“ . Die internationalen Würdigungen sei-en für ihren Mann von großer Bedeutung .Wir fordern hier und heute gemeinsam über die Frak-tionsgrenzen hinweg die Verantwortlichen in Saudi-Ara-bien nachdrücklich auf: Lassen Sie Raif Badawi frei!
Der zweite Punkt: die Lage in Saudi-Arabien . Vor ei-nem Jahr, im Januar 2015, hatte sich Bundestagspräsi-dent Norbert Lammert explizit zu diesem Land hier imHaus geäußert – ich zitierte –:Wem unter den Muslimen über rhetorische Floskelnhinaus tatsächlich an Aufklärung gelegen ist, musssich mit der Frage auseinandersetzen, warum nochimmer im Namen Allahs Menschen verfolgt, drang-saliert und getötet werden . … Auch mit staatlicherAutorität wird im Namen Gottes gegen Mindeststan-dards der Menschlichkeit verstoßen . Saudi-Arabienhat … das Attentat in Paris als „feigen Terrorakt“verurteilt, „der gegen den wahren Islam verstößt“,und zwei Tage später den Blogger Raif Badawi inDschidda öffentlich auspeitschen lassen .Auch hier müssen wir uns fragen: Was ist seitdem pas-siert? Leider müssen wir festhalten: Neben den Verbes-serungen etwa beim Wahlrecht für Frauen hat sich dasmeiste eher verschlimmert . Ein Beispiel – auch das wur-de hier schon gesagt – ist die Anwendung der Todesstra-fe . Die Situation hat sich erheblich verschärft . AmnestyInternational schreibt dazu:Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien hat sichunter dem neuen König Salman im vergangenen Jahrkontinuierlich verschlechtert . So hat Saudi-Arabien2015 mindestens 151 Menschen hingerichtet, eintrauriger Höchstwert seit knapp 20 Jahren .Bereits am 2 . Januar dieses Jahres erreichte die Zahl derHinrichtungen eine weitere Steigerung: 47 Menschenwurden an einem Tag getötet .Uns allen steht auch die Hinrichtung des schiitischenGeistlichen Nimr Baqir al-Nimr vor Augen . Dazu nocheinmal aus dem Bericht von Amnesty International:Bei Scheich Nimr Baqir al-Nimr handelte es sich umeinen gewaltlosen politischen Gefangenen . Al-Nimrwurde unter anderem wegen ‚Ungehorsam gegen-über dem Herrscher‘ zum Tode verurteilt . Dabei hatScheich Nimr Baqir al-Nimr mit seinen Predigtenund Forderungen nach politischen Reformen nurvon seinem Menschenrecht auf freie Meinungsäu-ßerung Gebrauch gemacht .Der Prozess gegen den Scheich . . . war eine Farceund politisch motiviert . Unter anderem wurde ihmder Zugang zu einem Rechtsbeistand in wichtigenProzessphasen verweigert . Dass die saudi-arabischeRegierung ihn trotz der zahlreichen Verfahrensmän-gel hinrichten ließ, ist eine schreckliche Ungerech-tigkeit und ein Beleg für die Fehler in Saudi-Arabi-ens Justizsystem .Dies haben auch Sie, Frau Höger, gerade angesprochen .Diese Hinrichtungen in Saudi-Arabien sind eine mas-sive Verletzung der Menschenrechte, für die es keineRechtfertigung gibt . Ich schließe mich dem stellvertre-tenden Fraktionsvorsitzenden Jung an, der in einer Pres-semitteilung unserer Fraktion Anfang Januar sagte: Wirfordern „Saudi-Arabien eindringlich auf, keine weiterenHinrichtungen durchzuführen – auch mit Blick auf dieFrank Heinrich
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notwendigen Bemühungen um eine Deeskalation der Be-ziehungen zum Iran“ .Mit diesem letzten Satz komme ich zu dem dritten vonmir genannten Punkt, zur Lage im Nahen Osten, in derganzen Region . Wir müssen und werden die Menschen-rechte in Saudi-Arabien anmahnen und ansprechen, undauch in den Ländern im Umfeld, die, wie wir wissen, teil-weise noch höhere Hinrichtungszahlen haben . Aber wirdürfen die Beziehungen zu Saudi-Arabien meiner, unse-rer Überzeugung nach nicht einfach abbrechen . Das wür-de die politische Lage im Nahen Osten meines Erachtenseher noch verschärfen .Schon vor einem Jahr verurteilte AußenministerFrank-Walter Steinmeier den Vollzug der Stockschlägean Raif Badawi, bezeichnete das wahhabitische König-reich aber zugleich als wichtigen Verbündeten gegen dieDschihadisten-Miliz „Islamischer Staat“ . Das ist undbleibt ein politisches Dilemma, aber das ist eben auchpolitische Realität . Dazu zitiere ich noch einmal unserenKollegen Jung:Nach der Hinrichtung des schiitischen Geistlichen . . . verschlechtern sich die Beziehungen zwischenSaudi-Arabien und dem Iran . Deutschland solltedeeskalierend wirken .Wir „müssen jetzt alle Anstrengungen“ unternehmen,„damit beide Länder möglichst umgehend wieder zumDialog zurückkehren“ .Eine Eskalation in den Beziehungen beider Länderwürde die schon erheblichen Spannungen im Nahenund Mittleren Osten weiter verschärfen . . . Ein Ab-bruch der Beziehungen ist deshalb der falsche Weg .Allerdings müssen wir – und wir reden noch lange nichtvon einer heroisierenden Partnerschaft oder von Kunge-lei – alle Einflussmöglichkeiten nutzen. Wenn wir dieHandelsbeziehungen abbrechen, sind diese zunichte .Ich komme zum Ende . Tun wir bitte alles, unter an-derem durch eine Debatte zu einer sehr prominentenStunde, zur Mittagszeit, um diesen Einfluss auszuüben.Dieses Plädoyer muss heute von hier aus an die Regie-rung gehen . Deshalb noch einmal ganz klar zum Schlussan die Adresse Saudi-Arabiens: Lassen Sie Raif Badawifrei! Let this man go! – Und wenn sie diese Sprachennicht verstehen, werde ich es in ihrer Sprache versuchen:Da’a hadha al-radschal yadhhab!Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Tom Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Wenn es einen Indikator für vorauszusehende Insta-bilität gibt, dann sind das Menschenrechtsverletzungen .Menschenrechtsverletzungen in massivem Maße habenunmittelbar Unruhen, oft zunächst friedliche Demonstra-tionen zur Folge, dann Radikalisierungen und schließlichKrieg .Nun hat der Arabische Frühling Saudi-Arabien bisheroffensichtlich nicht erreicht . Das heißt aber nicht, dassSaudi-Arabien nicht eingegriffen hätte, zum Beispiel inBahrain oder im Jemen . Aber jeder, der das Terrorre gimedort sieht, und jeder, der die Bewegungen dort sieht,weiß: Dies ist ein instabiler Staat . Man kann jeden Inves-tor nur warnen, dort zu investieren . Man muss auch allen,die dort Politik machen, sagen: Ihr macht noch genausoPolitik wie vor 10, 20, 30 Jahren, so als wäre das einStabilitätsanker . Von dort wird Radikalismus exportiert .Es gab einmal vor zwei oder drei Jahren eine Umfrage,in der festgestellt wurde: Wenn in Saudi-Arabien heutedirekte und freie Wahlen wären, würde wahrscheinlichOsama Bin Laden gewählt .Alle machen genauso weiter, als wäre das ein demo-kratischer Staat . Die Waffenlieferungen: Panzer wurdenein wenig weniger . Aber was ist mit Schiffen und Fre-gatten? Ja, die machen ja nichts, die spielen nur . Das ge-schieht in einer Situation, in der die Spannung zwischenden dortigen Regionalmächten gewaltig zunimmt, unddie Fregatten natürlich auch bis Iran kommen .Wandel durch Handel . Ja, wie viel Handel muss esdenn noch geben, damit sich da etwas wandelt? Da pas-siert nichts .
Eine Strategie der Bundesregierung, wie mit diesemund solchen Staaten umzugehen ist, gibt es nicht . Ja,manche Sachen geheim verhandeln, ja, nur nichts offensagen . Ja, in Genf muss man verhandeln, auch mit ihnen .Aber die Staatsbesuche mit dem jährlichen Hofknicksder Kanzlerin, muss das denn sein? Das fragt man sich .Der Wirtschaftsminister reist und verteidigt die Ar-beitsplätze in Kassel und Bremen .
Ja, wenn es das denn ist . Aber eine kohärente Strategie,mit so einem Terrorregime umzugehen, gibt es nicht –und das noch dazu, wo diese Macht ja am Rande einermöglichen Atommacht steht, vielleicht mithilfe von Pa-kistan . Wenn die Bundesregierung schon keine Strategiehinbekommt, dann sollte wenigstens der Bundestag Re-solutionen verfassen, damit die dort tätigen, dort aktivenoder verhafteten Menschenrechtsverteidiger wenigstenswissen, wer auf ihrer Seite steht .
Frau Finckh-Krämer hat bei ihren Empfehlungen alsAllererstes gesagt: gemeinsame Resolutionen . Ja, daswäre schön, aber das scheitert – und da sitzt die großeVerhinderin; es liegt an einer einzigen Dame in diesemHohen Hause . Liebe CDU/CSU, ist das eure Menschen-Frank Heinrich
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rechtspolitik? Ihr stimmt doch im Europaparlament denResolutionen zu .
Ihr könnt euch doch nicht so gefangen nehmen lassenvon einzelnen Personen .
Warum geht es nicht, dass wir hier im Parlament eineeinstimmige gemeinsame Resolution zum Fall Badawi,zu den 47 Hinrichtungen und zum Terrorregime in Sau-di-Arabien machen? Warum geht das nicht?Noch eines: das Sicherheitsabkommen . Da fragt jetztschon die Polizeigewerkschaft: Ist das denn wirklich nö-tig? – Welche Sicherheit ist das denn eigentlich, die Sieda verteidigen? Ist es nicht wirklich Zeit, wenigstens da-von Abschied zu nehmen?
Ich sage noch einmal: Es gibt auch eine Verantwor-tung der Unternehmen, die dort investieren, und auch derUnternehmen, die hier produzieren und dorthin expor-tieren . Es gibt eine Unternehmensverantwortung . Es sollkeiner sagen, er hätte davon überhaupt nichts gewusst .Diesen Gestus kennen wir aus Deutschland; wir solltenihn nicht wiederholen .
Jeder, der dort investiert, nimmt ein hohes Risiko inKauf, ein finanzielles, ein wirtschaftliches, aber auch einmoralisches .Vielen Dank .
Letzter Redner in der Aussprache: der Abgeordnete
Michael Brand, CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Lage Saudi-Arabiens wird wie in einem Brennglasin einem besonderen Fall fokussiert, nämlich dem desBloggers und Sacharow-Preisträgers, über den wir hierheute exemplarisch diskutieren: Raif Badawi . Ich binmit seiner tapferen Frau Ensaf Haidar mehrfach zu fürmich sehr beeindruckenden Begegnungen zusammen-getroffen; wir sind auch im Gespräch mit dem Auswär-tigen Amt . Es ist erwähnt worden: Raif Badawi ist imPatenschaftsprogramm PsP des Deutschen Bundestages,so wie im Übrigen Leyla Yunus aus Aserbaidschan, diemit Unterstützung auch aus Deutschland vor einigen Ta-gen freigelassen werden konnte . Unser Ziel hier im Par-lament ist klar: Wir wollen die Freiheit dieses mutigenMannes erreichen, und wir wollen die weitere Vollstre-ckung des mittelalterlichen, schlicht barbarischen Urteilsvon 1 000 Peitschenhieben endgültig stoppen .
Ensaf hat in ihrem Buch Freiheit für Raif Badawi, dieLiebe meines Lebens beschrieben, was sie empfand, alssie die illegal gefilmten Aufnahmen dieser abscheulichenTat sah . Ich will das hier zitieren, um die Barbarei vorAugen zu führen:Wieder war Raifs Rücken zu sehen, der unter derWucht der Hiebe erzitterte, die ihm einer der Sicher-heitsleute verabreichte . Der Mann selbst war aufdem Video nicht zu erkennen . Aber ich sah deutlich,dass er mit voller Gewalt zuschlug . Raifs Kopf hinggebeugt nach unten . In sehr schneller Abfolge kas-sierte er die Hiebe auf dem gesamten hinteren Teilseines Körpers .Sie schreibt weiter:Das war zu viel für mich . Es ist unbeschreiblich, da-bei zuzusehen, wie dem Menschen, den man liebt,so etwas angetan wird . Ich spürte den Schmerz, densie Raif zufügten, als ob er mein eigener sei: Eben-so gut hätten die Männer, die ich im Video gesehenhatte, mich selbst auf einen Platz stellen und aus-peitschen können . Das Schlimmste jedoch war dasGefühl der Hilflosigkeit.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt lebt imJahr 2016 . Aber die Islamisten in Saudi-Arabien – nichtsanderes ist die Sekte der Wahhabiten in Saudi-Arabi-en – leben nicht in unserer Welt . Feudaler Pomp undHightech-Fassade können eben nicht darüber hinwegtäu-schen: Saudi-Arabien lebt politisch, geistig und religiösim Mittelalter .
Aber es ist nun einmal so, und deshalb bleibt es tat-sächlich alternativlos: Es braucht massive Veränderungenam Golf, wenn dauerhaft Frieden auf der von Krieg undauch Genozid geprägten Arabischen Halbinsel einkehrensoll . Ja, dazu braucht es Saudi-Arabien . Dazu brauchtes aber ein modernisiertes Saudi-Arabien . Das Schick-sal von Raif Badawi ist dabei zum Kristallisationspunktgeworden . Der internationale Druck wirkt, auch wenndas Regime dies von sich weist . Ensaf Haidar schreibt zuRecht – auch das zitiere ich –:Raif ist zu einer Art Staatsaffäre geworden . Siemacht eine Fortsetzung des Strafvollzugs heikel .Liebe Kolleginnen und Kollegen, allerdings hat dasfeudal-religiöse Regime in Saudi-Arabien noch immernicht den Ernst der eigenen Lage verstanden . Auch dazumöchte ich die Frau von Raif Badawi zitieren, die for-muliert, was auch ihr inhaftierter Mann in seinen Blogsvielfach betont hat – ich zitiere –:Andererseits fürchtet das Land seine aufmüpfigeJugend – und möchte ihr gegenüber das Signal aus-senden, dass es mit harter Hand gegen Blogger undTom Koenigs
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Andersdenkende vorgeht . Wie dieses interne Rin-gen ausgeht, ist noch nicht abzusehen .Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mit Blickauf Syrien, Irak, Libyen und andere Krisen auf der Ara-bischen Halbinsel gilt: Wer Genozid, die Kriege und diedaraus resultierenden Fluchtbewegungen beenden will,der muss mit allen reden . Das gilt leider auch für ein Re-gime wie das saudische . Dabei gilt aber auch: Saudi-Ara-bien ist sicher kein Freund . Deutschland kann sich keineFreunde leisten, die das, was uns heilig ist, so brutal ver-achten: die Rechte der Menschen, die Menschenrechte .Wenn wir aber diesen Drahtseilakt schon vollführenmüssen, dann kommt es umso mehr darauf an, vorsichtigund umsichtig zu sein . Niemand darf sich missbrauchenlassen; niemand darf diesen Regimen zu distanzlos be-gegnen . Regierungskontakte sind das eine . Sie bleiben infast jeder Lage erforderlich; das weiß doch auch jeder .Darüber hinausgehende Gesten – auch das will ich sa-gen – müssen sorgfältig gewählt werden . Zu hoch bleibtdas Risiko der symbolischen Stärkung brutaler Regime,die Gefahr der Schwächung der Opposition, im Übrigenauch der Preisgabe unserer eigenen Glaubwürdigkeit inSachen Menschenrechte . Realpolitik darf die schlimmeRealität der Menschenrechte in Saudi-Arabien eben nichtausblenden .Natürlich wünschen sich auch die Menschen in Sau-di-Arabien eine Gesellschaft mit menschlichem Gesichtund nicht eine mit sogar öffentlich zur Schau gestellterBarbarei . Raif Badawi ist zum Symbol für ZigtausendeFälle in diesem Land geworden . Sein Fall ist im Übrigenein starker Beleg dafür, dass in Saudi-Arabien keines-wegs ein mittelalterliches Regime als gottgegeben hinge-nommen wird, wie uns manche weismachen wollen, umihre eigenen Interessen zu schützen .Ich zitiere noch einmal Ensaf Haidar:Auch wenn sich die internationale Aufmerksam-keit im Moment stark auf Raif fokussiert, dürfenwir doch nie vergessen, dass er auch stellvertretendfür alle anderen politischen Gefangenen steht, diein Saudi-Arabien unter härtesten Bedingungen imGefängnis sitzen, weil sie auf die eine oder ande-re Weise für Menschenrechte und Meinungsfreiheiteingetreten sind . . . . Aber eigentlich hat Raif immerdafür gearbeitet, etwas am politischen System in un-serem Vaterland zu verändern . Deshalb ist er ja imGefängnis gelandet – und mit ihm noch viele anderemutige Männer und Frauen aus Saudi-Arabien .Liebe Kolleginnen und Kollegen, das saudische Kö-nigshaus bleibt in seinem Bestand gefährdet . Mit mittel-alterlicher Brutalität und Dogma, auch mit Massenexeku-tionen auf die Auswirkungen des Internets zu reagieren,das muss einfach schiefgehen . Ohne eine echte Öffnungund das Beenden der Repression wird das Königshausnicht überleben .Saudi-Arabien hat sich auch international isoliert, hatdurch religiösen Imperialismus und das Sponsern desinternationalen Terrorismus viele Partner verprellt . DieRückkehr des Irans als selbsternannte Schutzmacht derSchiiten auf die politische Weltbühne mit seiner eben-falls hegemonialen Politik bedeutet eine direkte Bedro-hung der mittelalterlichen Wahhabiten auf der anderenSeite des Golfs .Es bleibt enorm wertvoll, wenn Deutschland als ehr-licher Makler versucht, einen echten Beitrag beider Län-der zur Stabilisierung der Lage in Syrien, im Irak undanderswo zu erreichen, so schwer dies auch bleibt . Dasallerdings – ich wiederhole das – darf nicht ohne Um-sicht geschehen . Weil auf außenpolitischem Parkett je-der Schritt auf seine Nebenwirkungen überprüft werdenmuss, gilt dies auch für die Menschenrechte .Der Besuch in Riad und in Teheran ist wichtig undrichtig . Ein Besuch auf Prestigeveranstaltungen für dieRegime, ob in Saudi-Arabien oder im Iran, wäre dabeigrundfalsch . Für Menschenrechte und die Beendigungvon Krieg muss man manche Kröte schlucken . EinenFehler darf man dabei aber nicht begehen, nämlich sichvor den Karren von Regimen spannen zu lassen, um de-ren Brutalität mit dem guten Namen unseres Landes zuverbrämen .Die Welt ist spätestens durch den Fall Badawi auf-gewacht . Die neue saudische Führung braucht klare Si-gnale, dass eine Öffnung auch für sie überlebenswichtigist . Peitsche und Mittelalter bedeuten im 21 . Jahrhundertauch für eine lange Dynastie das baldige Ende .Wir alle hier im Deutschen Bundestag sind uns einigin den Grundwerten der Menschenrechte . Daher lautetdie gemeinsame Forderung an die saudische Führung:Raif Badawi muss sofort aus der Haft befreit werden . Wirerwarten, dass beim Besuch des deutschen Außenminis-ters hierzu eindeutige Signale gesetzt werden . Die saudi-sche Führung muss jetzt diese Zeichen der Öffnung undder Verständigung setzen . Erst dann wird auch vonseitender internationalen Gemeinschaft mehr möglich, um denWeg der Öffnung zu begleiten .Muslime, Christen und andere setzen immer auch aufdas Prinzip Hoffnung . Denn wir glauben an das Gute imMenschen, und zwar auch deshalb, weil wir eben nichtmehr im Mittelalter leben .Ich möchte meine Rede damit beenden, dass ich einerHoffnung Ausdruck verleihe . Es ist die Hoffnung einesKindes, das seinen unschuldig inhaftierten Vater wie-dersehen will . Der kleine Sohn von Raif Badawi, Dodi,hat in Kanada seiner Mutter beschrieben, wie er sich dasvorstellt:Manchmal male ich mir zusammen mit den Kin-dern den Tag aus, an dem wir Raif am Flughafen inMontreal abholen und zu uns nach Hause bringenwerden . Dodi hat mir anvertraut, dass er dann – wieim Film – in Zeitlupe auf ihn zugehen und in seineArme schweben wird .Liebe Kolleginnen und Kollegen, arbeiten wir daran,dass sich der Traum dieses Kindes erfüllt .
Michael Brand
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Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe auf Drucksache 18/5450 . Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/3832 mit dem Titel „Raif
Badawi sofort freilassen – Völkerrechtswidrige Strafen
in Saudi-Arabien abschaffen“ . Wer stimmt für die Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/3835 mit dem Titel „Ja zur Meinungs-
freiheit, nein zur Folter – Menschenrechte in Saudi-Ara-
bien schützen, Raif Badawi freilassen“ . Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Vereinbarte Debatte
zum Arbeitsprogramm der EU-Kommissi-
on 2016
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind
60 Minuten für die Aussprache vorgesehen . – Ich höre
keinen Widerspruch .
Ich eröffne die Aussprache . Erster Redner ist für die
Bundesregierung Staatsminister Michael Roth .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die große Zahl an Flüchtlingen, die derzeit nach Europakommen, die Wirtschaftskrise, die sich vor allem in ei-ner viel zu hohen Jugendarbeitslosigkeit in viel zu vielenMitgliedstaaten der Europäischen Union manifestiert,der Vormarsch von Nationalisten und Populisten, dieKontroverse über die Bedeutung der Grundwerte in derEuropäischen Union, das Referendum über die Zukunftdes Vereinigten Königreichs in oder außerhalb der Euro-päischen Union: Das sind einige Schlaglichter der derzei-tigen Debatte um die Europäische Union, und ich bin mirziemlich sicher, dass ich damit noch nicht alle Krisen undBewährungsproben beschrieben habe .Umso wichtiger ist es, dass die Europäische Kommis-sion die Zeichen der Zeit erkannt hat . „Jetzt ist nicht dieZeit für Business as usual“: Das ist der Titel des Arbeits-programms der Kommission 2016 . Ja, da hat die Kom-mission völlig recht .
Wir haben hier im Deutschen Bundestag schon seitvielen Jahren immer wieder auch über das Arbeits- undLegislativprogramm der EU-Kommission gesprochen .Ich selbst habe mir einmal die eine oder andere Rede an-geschaut, die ich noch als Bundestagsabgeordneter hiergehalten habe,
und ich stellte dabei fest, dass ich sicherlich auch zu den-jenigen hier im Parlament gehörte, die bisweilen sehrhart mit der Europäischen Kommission ins Gericht ge-gangen sind .
Ich war sicherlich nicht der schärfste Kritiker, aber auchich habe deutliche Worte gefunden .
Die EU-Kommission taugt derzeit nicht als Fußabtre-ter der Europäischen Union . Wir haben es nicht mit einerKrise der EU-Institutionen zu tun . Wir haben es mit ei-ner Krise aus einem Mangel an Solidarität und Teamgeistund einem Übermaß an nationalen Egoismen zu tun . Dasist die eigentliche Krise . Deshalb – das sage ich leichtenHerzens und auch dankbar – hat die Kommission auf vie-len Politikfeldern zu liefern gesucht .Juncker versteht sich und seine Kommission vor allemals politischen Impulsgeber und als Antreiber und nichtals bloße Verwaltungsmaschinerie, und die Bundesregie-rung unterstützt die Kommission und ihren politischenGestaltungsanspruch ausdrücklich .Juncker hat vor einigen Monaten gesagt:Es fehlt an Europa in dieser Europäischen Unionund es fehlt an Union in dieser Europäischen Union .Ja, da hat er wohl recht . „Mehr Union“ heißt eben nicht,noch mehr Regelungen im Detail, sondern mehr Gemein-samkeit und Konzentration auf das Wesentliche .Ich will die großen Bewährungsproben, denen wir der-zeit ausgesetzt sind, nur sehr schlaglichtartig beschrei-ben und mit der Flüchtlingspolitik beginnen . Hier ist einKurswechsel nötig . Deutschland leistet viel, Schweden,Österreich und auch Griechenland stoßen an ihre Gren-zen . Aber wir haben mit der EU-Kommission einen Ver-bündeten .Wenn ich mir die derzeitigen Vorschläge zur Stärkungder EU-Außengrenzen und die Vorschläge der Kommis-sion zum erweiterten Mandat von Frontex und zum Aus-bau zu einer Küstenschutz- und Grenzschutzwache vorAugen führe, dann sage ich: Richtig so, aber wir brau-chen eben auch eine breite Mehrheit in der EU, bei un-seren Partnern und Freunden in den EU-Mitgliedstaaten .
Ich bin einmal gespannt, wie die Debatte weitergeht .Demnächst wird die EU-Kommission Vorschläge zurgrundlegenden Reform des Dublin-Systems auf denTisch legen, und ich bin mir ziemlich sicher: Auch hierwerden wir ein hohes Maß an Übereinstimmung mit den
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Vorschlägen der Kommission feststellen . Umso wichti-ger ist es, dass dieses Bündnis zwischen der Kommissionund der Bundesregierung, getragen von vielen Abgeord-neten im Deutschen Bundestag, hält und stabil bleibt .Ich will einen weiteren wichtigen Punkt benennen, deruns hier im Bundestag über viele Jahre hinweg umgetrie-ben hat . Die strategische Agenda der EU-Kommissionliegt genau auf der Linie der Koalitionsfraktionen und –darüber hinaus – auch weiterer Akteure . Wir brauchenin der EU endlich eine Politik für Wachstum und Be-schäftigung, eine Politik, die sich dem Kampf gegen dieMassenarbeitslosigkeit, vor allem der jungen Menschen,entschieden stellt .
Auch hier hat die EU-Kommission eine Reihe von ver-nünftigen, zukunftsweisenden Vorschlägen auf den Tischgelegt .Jeder Jugendliche, der keinen Arbeitsplatz und keinePerspektive hat, ist einer zu viel . Das ist nicht eine reinnationale Aufgabe . Das ist eine gemeinsame Aufgabe,der wir uns in der Europäischen Union stellen können .Wir selbst wissen ja: Mit unserer starken Wirtschaft inEuropa, mit unserem stabilen Sozialstaat haben wir jun-gen Leuten aus anderen Ländern der Europäischen Unioneine Perspektive eröffnet . Aber das kann nicht die einzigeLösung sein . Vielmehr brauchen wir ordentliche Perspek-tiven in den jeweiligen Heimatländern der Jugendlichen .Wir verstehen uns auch nicht, liebe Kolleginnen undKollegen, als der Oberlehrer in der EU, der erst einmalauf die anderen weist . Nein, wir wollen in der Europäi-schen Union ermutigen und ermuntern . Wenn ich mir ein-mal unsere Flüchtlings- und Migrationspolitik anschaue,dann stelle ich fest, dass sie von Mut und Ermunterunggeprägt ist . Wir versuchen, Schengen zu retten . Wir tuneine Menge dafür, dass das, was für die Bürgerinnen undBürger seit vielen Jahrzehnten spürbar und erfolgreichist, auch eine Zukunft hat . Auch hier setze ich auf eineenge Abstimmung zwischen Deutschland und der Kom-mission .Die Krisen erfordern eben nicht einfach ein Weiter-so,sondern ein entschiedenes Handeln . Ich weiß, wie wirmit den vielen Krisen in der Vergangenheit umgegangensind . Die einen sagten: Die EU ist aus den Krisen immergestärkt hervorgegangen . – Daran ist manches richtig .Die anderen wiederum sagten: Es ist noch immer gutgegangen . – Na ja, und da gab es vielleicht auch nochden einen oder anderen, der sich dafür nicht sonderlichinteressiert hat . Ich glaube, jetzt, in dieser dramatischenLage, in der wir uns befinden, hilft es nichts, EU-Bashingzu betreiben .
Was hilft, ist, Europa mit konkretem Handeln wieder fitzu machen . Von Deutschland als stärkstem Land in derMitte der Europäischen Union geht eine ganz besondereVerantwortung aus .Ich stelle mir natürlich folgende Fragen: Wie geht esin dieser immer heterogener werdenden Union weiter?Brauchen wir möglicherweise mehr Differenzierung?Müssen die Staaten, die entschieden in eine Richtunggehen wollen, möglicherweise vorangehen? Meines Er-achtens ist ein solches Europa der Tempomacher mögli-cherweise besser als ein Europa des Stillstands oder gardes Rückschritts . Rückschritt brauchen wir nicht . Diffe-renzierung tut not .Insofern bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,das Arbeitsprogramm der Kommission genauso kritischwie immer, aber auch nicht minder konstruktiv zu beglei-ten . Ich wünsche mir, dass das eine oder andere, was sichim Arbeitsprogramm wiederfindet, vom Deutschen Bun-destag aktiv begleitet werden könnte . Dafür bitte ich Sieum Unterstützung . Ich freue mich jetzt auf die Debatte .Vielen herzlichen Dank .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Alexander Ulrich, Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieEuropäische Union ist gerade dabei, an ihren zum Teilselbst verursachten Krisen zu zerbrechen .
Herr Staatsminister Roth, ich glaube, auch Sie soll-ten langsam anfangen, nicht business as usual zu machenund hier eine Sonntagsrede zu Europa zu halten, sondernSie sollten sich wirklich Gedanken machen, wo die Bun-desregierung Mitverursacher bzw . Hauptverursacher die-ser Krisen ist . Sie organisieren eine Politik mit, die dazuführt, dass die Troika in die südeuropäischen Länder ge-schickt wird, während Sie gleichzeitig hier davon reden:Wir brauchen mehr Wachstum und Beschäftigung . – Siemüssen Ihre Politik verändern und keine Sonntagsrede zuEuropa halten, in der das Gegenteil von dem gesagt wird,was politische Praxis ist .
Zur Flüchtlingspolitik . Wir können uns alle daran er-innern, als in Lampedusa viele Flüchtlinge angekommensind und die Italiener uns gefragt haben, wie wir ihnenhelfen können . Die deutsche Bundesregierung hat damalsdiese Solidarität verweigert und auf Dublin hingewiesen .Deshalb ist das, was jetzt kommt, eine Retourkutsche .Deutschland hat mit dieser unsolidarischen Politik ange-fangen, und jetzt kommt die Retourkutsche von andereneuropäischen Ländern .Schauen wir uns das einmal an: 160 000 Flüchtlingesollen verteilt werden . Seit Monaten ist das im Gespräch .Wissen Sie, wie viele von diesen 160 000 Flüchtlingenbisher verteilt worden sind? 300 . Und was diskutiertdie Bundesregierung? Sie will mal wieder den GriechenStaatsminister Michael Roth
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die Schuld geben, weil sie ihre Außengrenzen scheinbarnicht schützen – nach dem Motto: Die Griechen sindwieder dran schuld .Aber eines ist klar: Mit Zäunen und Grenzkontrollenwird man dieses Problem nicht lösen .
Deshalb braucht die Bundesregierung auch hier eineganz andere Haltung .Aber wir sehen, dass die Bundesregierung auch hierhandlungsunfähig ist und damit als größter Player in derEuropäischen Union ausfällt . Was sich CDU, CSU undSPD in der Flüchtlingsfrage täglich leisten, ist kaumnoch als Regierungsversagen zu beschreiben . Es ist einTotalversagen dieser Bundesregierung .
Es ist aber auch nicht hinnehmbar – auch das sagenwir als Linke ganz deutlich –, dass Länder wie Polen undUngarn auf Totalverweigerung umstellen . Es kann dochnicht sein, dass Länder, die über die EU-Töpfe Solidaritätverlangen, eigene Solidarität verweigern . Deshalb mussdie Bundesregierung sich auf europäischer Ebene dafüreinsetzen, dass diese EU-Töpfe geschlossen bleiben,wenn von diesen Ländern menschliche Hilfe verweigertwird .Und damit auch das klar ist: Wir brauchen eine an-dere Haltung zur Türkei . Es kann nicht sein, dass dieEU-Kommission zu Recht darüber diskutiert, ob das Vor-gehen Polens noch mit den europäischen Werten verein-bar ist, aber gleichzeitig mit der Türkei weitere Beitritts-verhandlungen geführt werden . Eigentlich müssten dieBeitrittsverhandlungen mit der Türkei sofort gestopptund auf Eis gelegt werden .
Herr Kollege, der Kollege Sarrazin würde Ihnen gerne
eine Frage stellen . Darf er das?
Natürlich . Sehr gerne .
Bitte schön .
Herr Ulrich, Sie haben gerade die Forderung aufge-
stellt, dass Mittel aus dem EU-Haushalt nicht an Länder
ausgezahlt werden sollen, die menschliche Hilfe in der
Flüchtlingskrise, der sogenannten, verweigern . Was ge-
nau erfüllt aus Ihrer Sicht den Tatbestand einer Verweige-
rung dieser Hilfe? Was genau muss gegeben sein, damit
aus Ihrer Sicht festzustellen ist, dass kein Geld ausge-
zahlt wird? Haben Sie diese Vorschläge mit dem Minis-
terpräsidenten der Hellenischen Republik abgestimmt,
oder laufen wir Gefahr, dass Sie die Nächsten sind, die
Griechenland damit das Geld absprechen wollen?
Herr Sarrazin, ich glaube, es wird Zeit, dass auch Sieanerkennen müssen, dass Griechenland gemessen ander Einwohnerzahl viel mehr für die Flüchtlinge tut alsDeutschland .
Die Griechen sind die Allerletzten, die man da an denPranger stellen kann . Im Gegenteil: Griechenland würdedavon profitieren, wenn es eine europäische Solidaritätgäbe . Es ist doch genau das Problem, dass viele Ländersich dieser Solidarität verweigern . Das sage ich Ihnenganz deutlich . Länder wie Ungarn oder Polen, die aufTotalverweigerung setzen, dürfen keine finanzielle Hilfevon Europa bekommen .
Das könnte durchgesetzt werden, wenn der politischeWille vorhanden wäre .
Eine andere Krise, die dadurch in den Hintergrundgerückt ist, die Euro- und Finanzkrise, ist aber weiter-hin nicht vorbei . Im Gegenteil: In Italien sind gerade malwieder vier Banken mit 750 Millionen Euro gerettet wor-den, ohne dass man die kleinen Sparguthaben gesicherthat, was schon dazu geführt hat, dass sich in Italien Rent-ner umgebracht haben . Was die EU macht, ist mir schlei-erhaft: Man kehrt zu den Rezepten zurück, die 2007 inden USA zum Beginn des großen Crashs geführt haben .Auch der Umgang mit der Euro-Krise ist ein Totalversa-gen in der Europäischen Union .
Was ist im Arbeitsprogramm der Europäischen Kom-mission auch noch enthalten? Natürlich – richtig! – TTIP .Laut dem Arbeitsprogramm hat TTIP eine Top-Priorität .Deshalb fragt man sich schon: Haben die Damen undHerren in Brüssel und auch in der deutschen Bundesre-gierung immer noch nicht verstanden, dass die Menschenin Europa TTIP ablehnen, weil sie verstanden haben,dass TTIP ein Frontalangriff auf Soziales, Demokratie,Arbeitnehmerrechte und Verbraucherschutz ist?
Alleine in Deutschland ist in den letzten eineinhalb Jah-ren die Zustimmung von 55 Prozent auf 34 Prozent ge-sunken . Im Oktober gab es hier in Berlin eine der größtenDemonstrationen in Deutschland in den letzten zehn Jah-ren . 250 000 Menschen haben in Berlin für „Stop TTIP“demonstriert . Eine ganz tolle Veranstaltung!
Alexander Ulrich
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3,3 Millionen Menschen aus ganz Europa haben den Auf-ruf der Bürgerinitiative gegen TTIP unterschrieben . DieKommission tut aber so, als wäre nichts gewesen . DieBundeskanzlerin hat sich zudem geweigert, einen Terminzu finden, an dem die Unterschriften übergeben werdenkönnen . Auch das zeigt: TTIP soll gegen die Mehrheitder Menschen in Europa durchgesetzt werden .In diesem Zusammenhang möchte ich den Leseraumansprechen, der uns im Wirtschaftsministerium zur Ein-sichtnahme der Dokumente zur Verfügung gestellt wird .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, wie ihrdamit umgeht, aber eigentlich müssen wir alle im Bun-destag sagen: Das spottet jeder Demokratie .
Abgeordnete sind nicht für sich selbst da . Es ist gera-dezu unsere Aufgabe, mit Experten sowie Wählerinnenund Wählern über das, was wir dort lesen können, insGespräch zu kommen . Dass man uns das verweigert, isteigentlich eine Entmachtung des Bundestags, und Siefreuen sich scheinbar darüber . Wir als Linke sagen: Auchmit diesem Leseraum hat man nichts dafür getan, dassTransparenz und Demokratie mit Blick auf TTIP herge-stellt werden .
Last, but not least will die Europäische Kommissioneinmal mehr etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit tun .Ich weiß nicht, zum wievielten Male sich die Kommis-sion dafür lobt, dass 6 Milliarden Euro zur Verfügunggestellt werden, um gegen die Jugendarbeitslosigkeitvorzugehen . Was passiert? Im Euro-Raum liegt die Ju-gendarbeitslosigkeit bei über 20 Prozent . In Griechenlandund Spanien liegt sie bei über 50 Prozent . Die vielfachgepriesene Jugendgarantie hat überhaupt nichts gebracht,weil sie angesichts der Probleme lächerlich klein ist undzugleich durch eine permanente Rezessionspolitik, HerrStaatsminister Roth – genau das ist es nämlich, wennman in der Krise immer weiter die Ausgaben kürzt –,auch noch konterkariert wird . Ich nenne ein Beispiel:Wir haben 1,8 Billionen Euro zur Verfügung gestellt,um die Banken zu retten, aber wir haben nur lächerliche6 Milliarden Euro, um etwas gegen die Jugendarbeitslo-sigkeit in Europa zu tun . Das zeigt, wo die Prioritäten derEU-Kommission und der Bundesregierung liegen .Das vorliegende Arbeitsprogramm der Kommissionist eine Bankrotterklärung . Die gegenwärtige EU-Politikist gegen die Demokratie gewendet, führt zu immer mehrSozialabbau und hat kaum Respekt vor den Menschen-rechten . Als Parlament sollten wir die Bundesregierungauffordern, sich in Brüssel für eine Politik einzusetzen,die dafür sorgt, dass der Druck auf Länder, die sich in derFlüchtlingsfrage verweigern, deutlich erhöht wird,
dass der türkische Terror gegen Kurden nicht auch nochmit EU-Mitteln unterstützt wird und stattdessen dasWelternährungsprogramm massiv ausgebaut wird,
dass die Finanzmärkte endlich geschrumpft und strengreguliert werden durch eine Zerlegung der Großbankenin kleinere Einheiten und eine Besteuerung sämtlicherFinanztransaktionen, dass die Interessen der Menschenendlich Vorrang vor denen der Banken haben – 6 Milliar-den für die Jugend und 1,8 Billionen für die Banken, dasgeht überhaupt nicht –,
dass Reichtum endlich anständig besteuert wird – geradekam heraus, dass 62 Menschen so viel Vermögen besit-zen wie die halbe Weltbevölkerung; Europa liegt da vollim Trend; das muss geändert werden –,
dass die europäischen Steueroasen endlich trockenge-legt werden, dass eine echte soziale Mindestsicherunggeschaffen wird, die allen Menschen in Europa ein ar-mutsfreies Leben garantiert, und nicht zuletzt dass TTIPund CETA endlich abgeblasen werden und eine breiteDebatte über eine Neuausrichtung der EU-Handelspoli-tik initiiert wird .Ich wünsche mir, dass sich Europa und die Bundesre-gierung endlich gegenüber den USA emanzipieren; dennviele Probleme in Europa werden wir nicht gegen Russ-land, sondern nur mit Russland lösen . Deshalb müssendie Sanktionen endlich aufgehoben werden . Das wäreeine vernünftige Politik in diesem Jahr und nicht businessas usual, wie es Herr Staatsminister Roth leider betreibt .Vielen Dank .
Der Kollege Thomas Dörflinger hat für die CDU/CSU
das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „It’s no timefor business as usual“ . Es ist nicht die Zeit, um nur dasgewöhnliche Geschäft zu erledigen . Und ich ergänzenach der eben gehörten Rede: Wenn das die Überschriftüber dem Arbeitsprogramm der Europäischen Kommis-sion ist, dann ist auch „no time for speeches as usual“ .Also: Es ist auch keine Zeit, die üblichen Reden zu hal-ten, meine Damen und Herren .
– Ich habe es gerade übersetzt, Herr Kollege Sarrazin .Herr Staatsminister Roth hat gesagt, wir sollen unswie in den Jahren zuvor kritisch und konstruktiv mit demArbeitsprogramm der Europäischen Kommission ausei-nandersetzen . Nun bin ich völlig unverdächtig, dass ichder Bundesregierung unnötiges Lob zollen würde dort,wo sie es nicht verdient hat . Aber, Herr Kollege Ulrich,so kann man es auch nicht machen: dass man sämtlicheMissstände zwischen Lappland und Gibraltar, die manglaubt erkannt zu haben, aufsummiert und die SchuldAlexander Ulrich
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dann einerseits der Kommission und andererseits derBundesregierung in die Schuhe schiebt . An allen Miss-ständen zwischen Lappland und Gibraltar ist weder dieeine noch die andere Institution schuld . Da machen Siees sich etwas einfach .
Kritische Befassung heißt zum Beispiel, dass wir derKommission auch attestieren, dass sie über die letztenJahre etwas gelernt hat und dass sie sich offenkundighat leiten lassen von einem Wort, das der französischeSchriftsteller Antoine de Saint-Exupéry geprägt hat,wenn er formuliert hat: Perfektion ist nicht dann erreicht,wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn mannichts mehr weglassen kann . – Eine bemerkenswerteFormulierung, der man beim Arbeitsprogramm der Eu-ropäischen Kommission vielleicht nicht in allen Details,aber mindestens bei der Grundstruktur gerecht gewordenist . Zu dem Schluss kommt man, allein wenn man aufden Umfang sieht .Ich sage allerdings kritisch hinzu: Ich wünsche mirschon, dass wir, wenn es an das Abarbeiten der einzel-nen Punkte aus dem Arbeitsprogramm geht, uns nicht imDetail verlieren, sondern dass wir uns tatsächlich auf daskonzentrieren, was in den laufenden zwölf Monaten un-bedingt notwendig und was prioritär ist .Da Detlef Seif und Andrea Lindholz nachfolgend et-was zum Thema Migrationspolitik sagen werden, kon-zentriere ich mich an der Stelle nur auf den einen Punkt:Wenn das Thema Migrationspolitik unter aktuellenVorzeichen sozusagen wie eine imaginäre, unsichtbareÜberschrift über dem Arbeitsprogramm der Kommissi-on steht – zu Recht aus meiner Sicht –, dann heißt dasnotwendigerweise auch, dass wir uns beim Abarbeitennicht nur darauf konzentrieren können, in das Arbeitspro-gramm zusätzlich etwas hineinzuformulieren, sonderndass andere Punkte – abseits dieses Themas – vielleichtbis zum nächsten oder bis zum übernächsten Jahr wartenkönnen .Ich will durchaus anerkennen, dass es in den An-hängen des Arbeitsprogramms, insbesondere in denPunkten IV und V, insgesamt 48 Rechtsakte gibt, vondenen die Kommission sagt: Entweder wir verfolgendiese Rechtsakte nicht weiter, oder wir heben bestehendeRechtsakte auf . – Auch das ist eine Neuerung gegenüberden Arbeitsprogrammen der Kommission in den letztenJahren .Ich sage an dieser Stelle allerdings auch: Ich wünschemir schon, dass dieser Absicht dann nicht anschließendder Gedanke folgt, dass das, was man jetzt nicht wei-terverfolgen oder abschaffen will, dann im Arbeitspro-gramm der Jahre 2017 ff . in einem anderen Gewand wie-der auftaucht . Einmal gestrichen bleibt gestrichen . EinenRelaunch sollte es an dieser Stelle nicht geben, meinesehr verehrten Damen und Herren .
Die Kommission kündigt zu Recht an, mehr Transparenzins Verfahren zu bringen und die verstärkte Zusammen-arbeit auch mit den Mitgliedstaaten und mit dem Rat zusuchen . Der Ansatz ist richtig, aber er muss sich realiterauch beweisen .Ich will das aktuell an der Diskussion um die Einla-gensicherung deutlich machen . Am Vorhaben, am Inhaltder Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten nationale Syste-me zur Einlagensicherung einführen sollen, besteht indiesem Hohen Haus und vermutlich über dieses HoheHaus hinaus kein Zweifel; da sind wir uns alle einig .Fakt ist aber, dass die Frist zur Umsetzung der Richtlinieim Juli des vergangenen Jahres, am 3 . Juli, abgelaufenist . Die Mehrheit der Mitgliedstaaten hat diese Richtliniebislang nicht umgesetzt .Vor diesem Hintergrund, wie es die Kommission am26 . November des vergangenen Jahres getan hat, dieRichtlinie zur europäischen Einlagensicherung auf denWeg zu bringen, macht wenig Sinn, insbesondere wenndie Kommission selbst sagt, dass ihre Vorstellungen zureuropäischen Einlagensicherung darauf fußen, dass zu-vor die Maßnahmen zur nationalen Einlagensicherungergriffen worden sind . Also, die Logik des eigenen Ar-beitens sieht, was die Abfolge der einzelnen Schritte an-geht, anders aus .Ich sage hinzu: Wenn der Ansatz richtig ist, dass dieMitgliedstaaten nationale Einlagensicherungssystemeinstallieren, dann kann man sich durchaus trefflich da-rüber streiten, ob es darüber hinaus einer europäischenEinlagensicherung noch bedarf . Ich sage aus meiner per-sönlichen Sicht: Das ist das Bail-in durch die Hintertür .Deswegen sage ich: Wir wollen dieses europäische Ein-lagensicherungssystem nicht nur nicht jetzt, zum jetzigenZeitpunkt, sondern wir wollen es überhaupt nicht .
Dass Jugendarbeitslosigkeit in Europa, Herr KollegeUlrich, insbesondere wenn ich die südlichen Staaten be-trachte, Spanien beispielsweise, aber auch Portugal undGriechenland, nicht nur aus der Sicht der betroffenenJugendlichen ein Skandal ist, darin sind wir uns einig .Aber die Erfahrung aus Deutschland beispielsweise, wowir die Verhältnisse nachgewiesenermaßen am bestenkennen, aus der Zeit, in der wir auch 5 Millionen undmehr Arbeitslose hatten – nicht nur Jugendliche, aber wirhatten eine wesentlich höhere Jugendarbeitslosigkeit alsheute –, zeigt, dass die Hoffnung und das Verlassen da-rauf, dass ein Programm der Europäischen Kommissiondieses Problem löse, wohl trügerisch sind .Ich bin sehr dafür, dass nationale Anstrengungen ihreBegleitung auch im Arbeitsprogramm der EuropäischenKommission finden, beispielsweise über den Europäi-schen Sozialfonds . Das ist unbestritten . Aber der Ansatzzur Lösung dieser Probleme muss aus den Nationalstaa-ten kommen . Deutschland hat in den vergangenen Jahrenhier Maßnahmen ergriffen . Die Zahlen, auf die wir heutesehen können, auch wenn sie regional etwas differenziertausfallen, sowohl was die Entwicklung der Arbeitslosig-keit insgesamt als auch was die Entwicklung der Jugend-Thomas Dörflinger
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arbeitslosigkeit angeht, zeigen, dass wir an dieser Stelleauf dem richtigen Weg sind .
Die Kommission sagt, sie wolle die Durchsetzung ver-bessern . Deswegen ist es richtig, dass wir nicht nur einenBlick darauf richten, wie denn umgesetzt worden ist, alsowo europäisches in nationales Recht überführt wordenist, sondern dass wir verstärkt den Blick darauf richten,ob der Umsetzung in nationales Recht anschließend auchdie Implementierung gefolgt ist . Das ist nämlich der ent-scheidende Punkt . Papier ist geduldig . Wichtig ist, obdas, was an Möglichkeiten internationalen bzw . nationa-len Rechts vorhanden ist, tatsächlich anschließend auchangewandt wird oder nicht .An dieser Stelle gibt es durchaus einen Nachholbe-darf . Insofern kann ich die Kommission nur bestätigenin ihrer Auffassung, dass die Hüterin der Verträge not-wendigerweise bei der Begleitung des Arbeitsprogrammsder Europäischen Kommission und der Umsetzung des-selben auch eine Kontrollfunktion ausüben wird undausüben muss, was mit der politischen Funktion, die dieKommission zweifelsohne auch hat, nicht zwangsläufigin einem kritischen Verhältnis stehen muss .Letzte Bemerkung . Ich habe gestern im Ausschussbei den Beratungen zum Arbeitsprogramm mit Interesseund Zustimmung gehört, dass der Leiter der Vertretungder Europäischen Kommission hier in Berlin, RichardKühnel, gesagt hat, dass ein Arbeitsprogramm ein ler-nendes System ist, ein System, das so flexibel sein muss,dass wir uns jederzeit in der Lage sehen müssen, auf ak-tuelle Entwicklungen ad hoc und vielleicht auch in Teilenunkonventionell zu reagieren .Ich will zum Schluss an dieser Stelle gern einen Vor-schlag wiederholen, den Bundesminister Gerd Müllervor einigen Wochen im Ausschuss für die Angelegenhei-ten der Europäischen Union unterbreitet hat, was die Pri-oritätensetzung nicht nur in den nächsten zwölf Monatenangeht: Wenn jeder Mitgliedstaat in der EuropäischenUnion nach seiner Leistungsfähigkeit und nach dem, wasihm finanziell und materiell möglich ist, versucht, für dieVerbesserung der Situation in den Herkunftsstaaten derMigranten, die jetzt nicht nur nach Deutschland, sondernnach Zentraleuropa strömen, etwas zu tun, dann bekom-men wir auf der Basis von 28 Mitgliedstaaten tatsächlicheine solche Summe zusammen, um realiter etwas tunzu können . Dazu ist es aber notwendig, dass wir in dennächsten zwölf Monaten die richtigen Schwerpunkte set-zen . Ich freue mich auf die weitere Beratung .Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Über das Arbeitsprogramm der EuropäischenKommission am Beginn eines Jahres zu reden, obwohlwir alle nicht wissen, was am Ende des Jahres hinter unsliegen wird, wie Europa am Jahresende aussehen wird,ist ein bisschen eine absurde Herausforderung .
Wir wissen alle nicht, ob das Referendum im Juni diesesJahres in Großbritannien dafür sorgen wird, dass Euro-pa so oder so ganz schnell ganz anders aussieht . Wir er-leben, dass eine Regierungspartei in Deutschland dazuaufruft, den Schengen-Raum faktisch abzuschaffen . Au-ßerdem befinden wir uns in einer Situation, in der wir diegrößte Zuspitzung einer ökonomischen Krise verdrängtzu haben glauben, die aber durch Unsicherheiten auf-grund externer Effekte, durch Entwicklungen beim Öl-preis, bei den Zinsen oder auch durch Schocks im Welt-wirtschaftssystem sehr schnell zurückkommen könnte .In dieser Lage besprechen wir das Arbeitsprogramm derEU-Kommission .Dazu lässt sich zunächst festhalten, dass es eine be-merkenswerte Entwicklung in der Politik der Bundes-kanzlerin gegeben hat: Jahrelang hat die Bundeskanzlerinseit ihrer Rede in Brügge mit Hinweis auf die sogenannteUnionsmethode das Credo geäußert: Die Nationalstaatenlösen Probleme in Krisen besser, weil die europäischenInstitutionen nicht in der Lage sind, zu liefern . – Jetztzeigt sich in der Flüchtlingssituation, dass das Systemder Nationalstaaten, wo man jeweils zu Hause popu-listisch herumschreit und zum Ausdruck bringt, woranandere schuld sind und was nur für einen selber gilt,versagt . Man merkt plötzlich – wie Herr StaatsministerRoth zu Recht gesagt hat –, wie wichtig eine EuropäischeKommission als strategischer Verbündeter ist, wenn manSchwierigkeiten bewältigen muss .
In dieser Situation, glaube ich, ist es sehr wichtig, dassDeutschland einen klaren Kompass hat und dass wir anden Werten, die in Artikel 2 des EU-Vertrages festgelegtsind, und auch an den Werten, die in den ersten Artikelndes Grundgesetzes niedergeschrieben sind, festhaltenund dass wir bei allem Streit über Maßnahmen, darü-ber, wie man Probleme lösen und was man tun kann, nieaus den Augen verlieren, dass die Würde des MenschenAusgangspunkt von deutscher Politik ist . Ich habe dasGefühl, dass in manchem Streit in der Koalition Artikel 1unseres Grundgesetzes nicht genügend berücksichtigtwird .
Ich möchte aber noch etwas anderes sagen . In dieserSituation, in der keiner mehr glaubt, eine europäischeLösung sei noch erreichbar, bin ich einer derjenigen, dieglauben, es lohne sich noch, an diesem Ziel festzuhal-ten . Es wurde schon aus den Ausschusssitzungen zitiert,Frau Merkel habe im Ausschuss gesagt, man sollte nichtzu früh die Errungenschaften von Schengen aufgeben;Thomas Dörflinger
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sonst würden unsere Kinder in 30 Jahren fragen: Habtihr schon nach einem halben Jahr aufgegeben? Habt ihrschon nach neun Monaten aufgegeben?Noch etwas anderes . Der Einigungsdruck ist dochnicht zu leugnen . Glaubt irgendjemand hier im Saal,dass ein Ja für den Verbleib in der Europäischen Unionbeim Referendum in Großbritannien im Juni dieses Jah-res – dann wird es wahrscheinlich stattfinden – zustandekommt, wenn wir es bis dahin nicht hinbekommen, eineklar erkennbare gemeinsame europäische Politik zumThema Flucht und Migration auf dem Tisch liegen zu ha-ben? Mit dem in Deutschland ausgetragenen Streit, derdiejenigen, die wir eigentlich überwinden müssen, dieKaczynskis und die Orbans, ja nur stärkt, weil ihre Argu-mente von Herrn Seehofer vorgetragen werden, lähmenSie die Europäische Union . Mit dieser Unentschlossen-heit, mit diesem Hickhack wird das Argument „Europaist der Anker für Stabilität“ auch für das Vereinigte Kö-nigreich unterminiert werden .
Deswegen: In schweren Stunden sollte man wissen,wo man steht, und man sollte da stehen, wo die eigenenWerte sind . Ich wünsche mir, dass das Arbeitsprogrammder Europäischen Kommission für alle in diesem HausAnlass ist, sich darüber noch einmal klar zu werden .Vielen Dank .
Die Kollegin Dr . Dorothee Schlegel hat für die
SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Werte Gäste! Auch ich begleite das Arbeitsprogramm derEuropäischen Kommission gerne kritisch und beginnemit drei kritischen Äußerungen .Eigentlich sollte 2016 das Europäische Jahr gegenGewalt an Frauen werden . Dazu ist es leider nicht ge-kommen .Die zweite enttäuschende Nachricht aus Brüssel imvergangenen Jahr betraf das im Primärrecht der EU ver-ankerte Ziel der Gleichstellung von Frauen und Män-nern . Es fehlt also an der Besinnung auf die ureigenstenGrundlagen der EU .Zum Jahreswechsel erlitt noch eine weitere Entschei-dung auf europäischer Ebene im Bereich Gender Equali-ty eine klare Niederlage . So erhielt die Bundesregierungauf der Tagung des Rates im Dezember ihren Prüfvorbe-halt aufrecht, und die EU-Frauenquote scheiterte, nichtzuletzt aufgrund der deutschen Stimmenthaltung .
– Ja . Gott sei Dank nicht aus den Reihen der SPD .
– Auch wahr . – Folglich erzielte der europäische Minis-terrat gegen die Interessen der Frauen und gegen die In-teressen der Wirtschaft keine Mehrheit für einen mindes-tens 40-prozentigen Frauenanteil in den Aufsichtsrätenbörsennotierter Unternehmen . Dabei hatte die vorgelegteEU-Richtlinie von uns nicht mehr verlangt als unsereeigene Quote, mit der wir durchgesetzt haben, dass aufjedem dritten Aufsichtsratsstuhl börsennotierter Unter-nehmen künftig, also ab jetzt, eine Frau zu sitzen hat .Immerhin ist in vielen EU-Mitgliedstaaten seit Beginnder Diskussion um die Quote der Frauenanteil in Auf-sichtsräten gestiegen . Norwegen erreichte bereits 2009 40 Prozent, und in Frankreich sollen diese 40 Prozent bis2017 erreicht werden .Wir alle können es inzwischen rauf- und runterbeten:Es gibt handfeste wirtschaftliche Gründe, Frauen undMänner im Arbeitsleben gleichzustellen . Gleichberech-tigung würde nämlich die Wirtschaft boomen lassen . Zudiesem Ergebnis kommen führende internationale Unter-nehmen, die Europäische Stiftung zur Verbesserung derLebens- und Arbeitsbedingungen und Unternehmens-beratungen, zum Beispiel McKinsey in der Studie „ThePower of Parity“ . Die Steigerung des EU-Bruttosozial-produkts betrüge – ich nenne hier ganz gerne eine Zahl –etwa 325 Milliarden Euro . Das ist deutlich mehr als dieAusgaben des Bundes im vergangenen Jahr . Mein Fazithier ist schon mal: Gleichberechtigung lohnt sich wirt-schaftlich .
Aber im neuen Arbeitsprogramm der EU-Kommis-sion mit dem Titel „Jetzt ist nicht die Zeit für Businessas usual“, das als erste Priorität „neue Impulse für Ar-beitsplätze, Wachstum und Innovationen“ nennt, kommtGleichstellung von Frauen und Männern nicht vor . Auchim Zehn-Punkte-Plan des Kommissionspräsidenten Juncker fehlt sie völlig . Dies ist nicht nur eine Fehlent-scheidung, sondern auch ein Schlag ins Gesicht allerFrauen in der EU . Zur Erinnerung: Das Ziel der Gleich-stellung von Frauen und Männern und die Verpflichtungzu einer aktiven Politik im Sinne des Gender Mainstrea-ming sind im Primärrecht, also dem ranghöchsten Rechtder EU, verankert .Im letzten Sommer hatten sich die zuständigen Minis-terinnen und Minister aus 22 Mitgliedstaaten veranlasstgesehen, die EU-Kommission in einem offenen Briefzur Verabschiedung einer neuen Gleichstellungsstrategieaufzufordern; denn die bisherige ist 2015 ausgelaufen .Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gebenwir uns damit nicht zufrieden . Der SPD-Vorstand for-derte zuletzt im Januar vehement: Diese Strategie mussweitergeführt werden . – Die Kommission hatte nämlichim Dezember lediglich ein internes Arbeitsdokumentvorgelegt, obwohl internationale Frauenrechtsorganisati-onen, das Europäische Parlament und die Mehrheit derMitgliedstaaten eine neue Strategie gefordert haben . Be-reits in der aktuellen Strategie „Europa 2020“ gab es keineigenes Gleichstellungsziel im Bereich BeschäftigungManuel Sarrazin
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mehr . Es fehlt seit den 2000er-Jahren ein festgelegterFinanzierungsrahmen für die Gleichstellung von Frauenund Männern .Meine Damen und Herren, die Kommission betontzwar, dass sie eine Kontinuität ihrer Politik wünsche .Durch die aktuellen Entscheidungen ist jedoch zu be-fürchten, dass die Gleichstellung schleichend von derAgenda und aus den Förderaktivitäten der EU ver-schwindet . Aktuelle Stimmen wie die aus Polen über dieneue Sicht auf Frauenfragen im Land müssen uns daheraufhorchen lassen . Da heißt es: „In puncto Gleichberech-tigung stehen uns harte Zeiten bevor .“ . So formulierte eseine Dozentin für Gesellschaftspolitik an der Universi-tät Warschau . Wir dürfen also – damit möchte ich zumSchluss kommen – nicht genau die Chancen verspielen,die über Jahrzehnte in einem geeinten Europa gewachsensind . Wir nehmen daher Herrn Juncker sehr gerne beimWort: „Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“ . Esheißt ja nicht nur auf Deutsch: Wir brauchen in Europaeine vorwärtsgewandte Frauen- und auch Familienpoli-tik .Herzlichen Dank .
Der Kollege Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn hat fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Europäische Union ist ganz zweifelsohne in einersehr schwierigen Lage . Manche sprechen sogar von Kri-se . Es ist aber, glaube ich, zu einfach – da schaue icheinmal in eine bestimmte Richtung –, die EU als Ganzesanzugreifen und EU-Bashing zu betreiben . Das ist zu un-differenziert, weil es die EU gar nicht gibt . Ich muss demKollegen Michael Roth vollkommen zustimmen, wenner sagt, es seien vor allen Dingen die nationalen Egois-men,
die für die Krise, die wir in der Europäischen Union ge-rade beobachten, verantwortlich sind . Es sind die Nati-onalstaaten, die nationalen Regierungen und wenigerdie Institutionen auf EU-Ebene . Gerade jetzt wären abermehr Zusammenhalt und mehr Solidarität zwischen denNationalstaaten und innerhalb der Europäischen Unionnotwendig . Leider beobachten wir diese nicht . Auch inder Bundesregierung gibt es zu viele nationale Egois-men . Manuel Sarrazin hat schon betont, welche Regie-rungspartei immer wieder nationale und antieuropäischePositionen vertritt .Wenn man sich die Herausforderungen anschaut, vordenen wir stehen, dann muss man sagen: Angesichts glo-baler Herausforderungen wie der Klimakatastrophe, denFragen von sozialer Gerechtigkeit, den Friedensfragen,den Demokratiefragen, den Menschenrechtsfragen – wirhatten gerade eben eine Debatte dazu – braucht es mehrZusammenhalt in der Europäischen Union und eine star-ke europäische Stimme . Natürlich brauchen wir auch fürdie vielen Probleme innerhalb der Europäischen Union,die ja schon angesprochen worden sind, europäische Lö-sungen, weil die nationalen Lösungen alleine nicht tra-gen .Es ist aber ganz wichtig, zu sagen, dass wir nicht nurZusammenhalt und Solidarität zwischen den Staatenbrauchen, sondern dass wir vor allen Dingen auch mehrZusammenhalt und Solidarität zwischen den Menschenin der Europäischen Union brauchen . Auch da gibt es zuviel nationales Denken . Sozial geht es auseinander . Dasstärkt die nationalen Parteien, die rechtsradikalen Partei-en . Das ist überall in Europa zu sehen . Wir brauchen alsoinsgesamt mehr soziales Europa; das ist ein ganz wich-tiger Punkt .
An dieser Stelle ist das Programm leider zu schwach .Es gibt hierzu gerade einmal zwei Punkte in der langenListe: einmal die Stärkung der sozialen Rechte – dieserPunkt ist allerdings noch sehr vage – und zum anderendie Arbeitskräftemobilität . Hier ist eher ein Rückschrittzu erwarten . Wir müssen aber eigentlich wieder dahinkommen, dass die Europäische Union das ist, was sieeigentlich immer war: ein Wohlfahrtsversprechen . Siewar ein Wohlfahrtsversprechen für die Menschen, undeigentlich sind wir – die Älteren können das besser beur-teilen als die Jüngeren – ja auch weit gekommen, wennman vergleicht, wie es heute ist und wie es früher war . Essitzen viele junge Menschen hier auf der Tribüne . Vielevon ihnen wussten bis vor einem Jahr nicht, was Grenz-kontrollen an den deutschen Grenzen sind . Es war eineWohlfahrt für uns alle, dass wir uns frei in der Europäi-schen Union bewegen konnten . Freizügigkeit ist ein ganzzentraler Wert in der Europäischen Union .Im Rahmen der Diskussion über den Brexit und DavidCameron kommt jetzt eine Debatte auf uns zu, die dieAxt an diesen Grundwert legt und dafür sorgen will, dassdiese Freizügigkeit nicht mehr vernünftig sozial abgesi-chert ist . Wir sagen aber: Freizügigkeit muss noch bessersozial abgesichert sein . Zur Freizügigkeit gehört auch,dass man in einem anderen Land in der EuropäischenUnion – für die jungen Leute ist das eine Selbstverständ-lichkeit – eine Arbeit suchen kann . Das heißt, wenn manin einem anderen Land arbeitslos ist, muss man auch diesoziale Unterstützung finden, um dort in den Arbeits-markt integriert werden zu können .
Es ist kein Wunder, dass die CSU David Cameron un-terstützt . Das hat eine lange Tradition . Dass aber auchvon der SPD Unterstützung für diese Position kommt, isterstaunlich . Olaf Scholz hat einen Vorschlag zu Sozial-kürzungen gemacht hat, der in Richtung Cameron geht,und dass die Bundessozialministerin bereit ist, Kürzun-gen für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zu ma-chen, um Cameron entgegenzukommen, ist der falscheWeg . Ich fordere die Kollegen der SPD auf, dass sie aufihre Kollegen einwirken, dass sie mit dem Quatsch nichtweitermachen .
Dr. Dorothee Schlegel
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Herr Kollege .
Wir brauchen also keine Kürzungen der Sozialleis-
tungen in Europa, sondern wir brauchen mehr soziales
Europa . Es ist jetzt wichtig, den sozialen Zusammenhalt
zu stärken und nicht zu schwächen . Das ist jetzt eine zen-
trale Aufgabe .
Vielen Dank .
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Detlef
Seif das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Das Arbeitsprogramm derEU-Kommission 2016 lässt zunächst einmal das erklärteZiel von Jean-Claude Juncker, dem Kommissionspräsi-denten, ganz klar erkennen: Bürokratieabbau, Verschlan-kung, Beschränkung auf das Notwendige . Vergleicht man2010 – da gab es 316 neue Initiativen – mit dem aktuelllaufenden Jahr – da gibt es 23 –, dann erkennt man, dassdas an dieser Stelle ernst gemeint ist . Man kann darüberstreiten, ob die Prioritäten im Einzelnen richtig gesetztsind . Aber eines steht fest: Egal welche Meinung manvertritt, „Business as usual“ ist nicht der Spruch der Zeit .Insoweit ist diese Überschrift des Arbeitsprogramms –ich glaube, da besteht Einigkeit – richtig gewählt .Die Kommission benennt dann Themen, die sie alsHerausforderungen der Europäischen Union sieht . Anerster Stelle steht ganz klar die Flüchtlingskrise, danndie Arbeitslosigkeit nebst Beschäftigungs- und Wachs-tumslücke, die Notwendigkeit einer Vertiefung der Wirt-schafts- und Währungsunion, der Klimawandel, die in-stabile Lage der östlichen und südlichen Partnerschaft,natürlich auch – das ist angesprochen worden – der faireDeal für das Vereinigte Königreich, für Großbritannien .Was ich in dieser Auflistung nicht finde, was aber sicher-lich auch eine besondere Herausforderung ist, ist dieeffektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus .Die gehört für mich ganz klar prioritär nach oben .
Die Flüchtlingskrise – das haben die Beiträge gezeigt –ist aber das Masterthema der Stunde, der Gegenwart:kommunal, regional, national und international . Auchwird diese Krise nur gelöst werden können, wenn wireine europäische Lösung, europäische Regeln im Kon-text mit guten intelligenten nationalen Regelungen undnatürlich auch mit internationalen Rahmenbedingungenfinden. Eine nie dagewesene Anzahl von Flüchtlingenhat zwischenzeitlich den Weg nach Europa gefunden . Imletzten Jahr – man weiß es nicht genau, weil die Regis-trierung nicht hundertprozentig genau funktioniert – sindschätzungsweise 1,4 Millionen Menschen hier angekom-men . Zurzeit kommen täglich 2 000 bis 3 000 Menschenan .Die EU-Kommission legte im vergangenen Jahr eineMigrationsagenda vor, und dann folgten auch Legislativ-vorschläge . Das sah richtig ambitioniert aus . Nach ei-nigen Seiten hat man schon gedacht: Hier ist etwas inBewegung .In der jüngsten Sitzung des Gremiums der EU-Kom-mission am 13 . Januar dieses Jahres – da braucht mangar keinen anderen zu zitieren – lautete die ernüchterndeFeststellung: Keine dieser vorrangigen Maßnahmen istauch nur in irgendeiner Hinsicht zureichend umgesetztworden . Der Kollege Ulrich hat es angesprochen: Es soll-ten 160 000 Flüchtlinge verteilt werden . Die ganz aktu-elle Zahl ist aber immerhin auf 414 gestiegen, und dasnach etlichen Monaten . Von den elf Hotspots sind dreiumgesetzt,
allerdings nicht mit den Mitteln und den Kapazitäten, dievorgesehen waren, und wir wissen alle: Insbesondere dieVisegradländer, also Ungarn, Polen, Tschechien und dieSlowakei, aber auch die baltischen Staaten Estland, Lett-land und Litauen haben große Vorbehalte und stehen derAufnahme von Flüchtlingen sehr kritisch gegenüber .Großbritannien und Irland beteiligen sich nach denVerträgen nicht am Asylsystem . Dänemark hat ein Opt-out, das heißt, es kann sich aussuchen, ob es sich betei-ligt oder nicht . Nur einige wenige Staaten nehmen zurzeittatsächlich Flüchtlinge auf – bis die Belastungen und derinnenpolitische Druck zu hoch werden . Wir haben dieEntwicklungen verfolgt: In Schweden, Dänemark undÖsterreich gibt es strikte Grenzkontrollen, Obergrenzenund massive Verschärfungen des Asylrechts .Jetzt geht es natürlich los . Man wollte etwas tun, näm-lich 160 000 Menschen verteilen . Das funktioniert nicht .Jetzt kommt ein Bashing, und zwar in alle Richtungen,in erster Linie in Richtung der einzelnen Mitgliedstaa-ten . Es gibt Schuldzuweisungen und ganz merkwürdige,rechtsextreme Vorstellungen . Das mag ja sein; aber, mei-ne Damen und Herren, diese Europäische Union, wie siebesteht, ist geprägt durch Vielfalt und Pluralismus – his-torisch, politisch und kulturell . Sie besteht gerade nichtaus gleichen Bürgern in gleichen Staaten, in gleichenRegionen .Man kann hier nicht alle über einen Kamm scheren .Europa konnte bisher doch nicht nur funktionieren,weil alle Länder mit allen anderen Menschen in ande-ren Ländern Europas solidarisch waren, sondern auch,weil jeder Mitgliedstaat für sich große Vorteile gesehenhat . Das ist doch auch der Grund für die Ausnahmevor-schriften in den vielen Protokollen . Wenn man es auf denPunkt bringt, dann könnte man die EU auch mit „Ego-ismus-Union“ übersetzen, aber das war sie doch vonvornherein, das ist doch nichts Neues . Europa konnte nurfunktionieren, weil man auch Rücksicht auf den anderengenommen hat .
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Jetzt muss man Folgendes sehen: Diese ablehnendeHaltung entsteht doch nicht in den einzelnen Regierun-gen und in ihren Gremien . Dort wird doch nicht überlegt:Was tun wir jetzt, wie können wir der EU jetzt dazwi-schenfunken? – „Wir wollen keine Flüchtlinge“: Das isteine gefestigte und verwurzelte Haltung in der jeweiligenBevölkerung; das müssen wir doch zur Kenntnis nehmen .
Jetzt stellt sich die Frage: Setzen wir das EU-Recht mitBrachialgewalt um? Oder nehmen wir im Zuge unsererPolitik auch darauf Rücksicht?Herr Strengmann-Kuhn, Sie haben dazwischengeru-fen, aber ich sage Ihnen eines: Der Rechtsextremismusentsteht nicht, wenn Sie nicht genügend Sozialleistungenzur Verfügung stellen – das kann im Einzelfall einmalso sein –, er entsteht dann, wenn Sie gegen eine Stim-mungslage, gegen Anschauungen in einer Bevölkerungmit Brachialgewalt und rücksichtslos Politik machen undnicht bedenken, welche Auswirkungen das hat . Was mei-nen Sie denn, warum überall in Europa zurzeit die An-zahl der Rechts- und Linksextremen ansteigt? Das liegtnicht an Verwerfungen im Sozialbereich, die sicherlichauch da sind .
Kollege Seif, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung des Kollegen Ulrich?
Ja .
Vielen Dank . – Herr Seif, Sie sind jetzt der vierte
Redner der Regierungskoalition . Schauen Sie sich die
Presselandschaft an, denken Sie an Ihre eigenen Frakti-
onssitzungen der letzten Wochen: Man merkt, die Bun-
deskanzlerin schafft es nur noch, mit dem Thema einer
europäischen Lösung die Regierung zusammenzuhalten,
und ganz Deutschland wartet darauf, was denn die euro-
päische Lösung sein soll .
Sie sind jetzt der vierte Redner der Regierungskoalition,
der keinen einzigen Satz dazu sagt, wie jetzt die europä-
ischen Lösungen aussehen sollen . Finden Sie es verant-
wortbar für die Bundesregierung und für die Fraktionen
der Bundesregierung, dass sie auch in dieser Debatte nur
allgemein business as usual betreiben, oder wären Sie als
einer der letzten Redner vielleicht bereit, jetzt einmal zu
sagen, wie die europäische Lösung der Bundesregierung
aussieht, was die Meinung Ihrer Fraktion ist und was
bei dem EU-Gipfel in drei Wochen herauskommen soll?
Denn mit einem Weiter-so, wie Sie es heute hier vertre-
ten, werden Sie den Rechten in diesem Land weiter Auf-
trieb bescheren .
Vielen Dank, Herr Ulrich . Ich habe auf diese Zwi-schenfrage gewartet, weil ich eigentlich nicht genügendRedezeit habe, um über alle Themen zu reden .
Zunächst einmal eines zur Klarstellung: Die Unions-fraktion ist etwas anderes als das, was Sie in der Öffent-lichkeit sehen können . Wir sind Kollegen, die sehr inten-siv in der Sache um das richtige Ergebnis ringen .
Es gibt unter den Kollegen, die vielleicht einen anderenAnsatz haben – ich habe ja auch an einer Stelle einenweiteren Ansatz – und mit denen ich gesprochen habe,keinen einzigen, der sagt, dass die Bundeskanzlerin nichtdie Richtige wäre, um uns gemeinsam erfolgreich durchdiese Krise zu führen . – Das zunächst einmal als Vorwort .
Herr Ulrich, Sie können stehen bleiben . Ich bin nochnicht im Redetext angekommen . Sonst wird das von mei-ner Zeit abgezogen .
– Sie können mir gleich noch eine Frage stellen .
Man muss auch sehen: Der Druck, den wir in Europahaben, folgt doch aus der hohen Zahl von Flüchtlingen .Die Umsetzung der europäischen Lösung wird in vie-len Bereichen schon angegangen . Ganz wichtig ist dieFluchtursachenbekämpfung .
Da können wir nicht umhin . Ganz wichtig sind dieRückübernahmeabkommen; denn die Rückübernahmefunktioniert nicht . Ganz wichtig sind auch weitere Ein-stufungen als sichere Herkunftsländer; wir reden hierüber die Maghreb-Staaten . Das sind ganz wichtige Maß-nahmen .Wir müssen aber auch – das vermisse ich in der Tat indem Programm; da bin ich dankbar für Ihre Frage – darü-ber nachdenken, ob bei der Schaffung des Asylrechts, daswir in Europa haben, die Entwicklung der heutigen Zeitvorhergesehen wurde . Die Genfer Flüchtlingskonventionwurde nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedet . Daging es um ganz andere Flüchtlinge, um viel weniger;dann hat man das erweitert .
Detlef Seif
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– Es ging jedenfalls nicht um Fluchtbewegungen wiejene, die wir jetzt erwarten können,
bei denen es, wenn man genau hinschaut, um bis zu100 Millionen Flüchtlinge geht . Solche Zahlen hat nie-mand vorhergesehen .Eines ist klar: Bei der europäischen Lösung mussder Flüchtlingsschutz ganz vorne stehen . Aber wo derFlüchtling geschützt wird, wo wir ihm eine Perspekti-ve geben – hier in Deutschland oder heimatnah, wo dasGanze für nur 10 Prozent der Kosten umsetzbar ist undwir viel mehr Menschen helfen können –, ist eine ganzandere Frage .Die europäische Lösung muss auch ganz dringendbei der Anerkennungsrichtlinie ansetzen, die über dieEU-Verträge hinausgeht . Da heißt es nur, dass ein subsi-diärer Schutz bereitgestellt werden muss . Aber wir habenihn in Europa sehr weit ausgeprägt, was es uns, wennBürgerkriegsflüchtlinge zu uns kommen, unmöglichmacht, zu sagen: Bitte schön, wir haben an anderer Stellemit den Vereinten Nationen die Möglichkeit geschaffen,dich sicher unterzubringen und dir eine Perspektive zugeben . – Das ist natürlich auch eine Zukunftsaufgabe .Es ist beschämend, dass die Mittel im Bereich derFluchtursachenbekämpfung in den letzten Jahren immerweniger wurden und im letzten Jahr nicht einmal die Fi-nanzierung des Welternährungsprogramms und der weni-gen Einrichtungen vor Ort, im Libanon, in Jordanien, si-chergestellt wurde . – Herr Ulrich, Sie haben es gemerkt:Ich bin jetzt wieder bei dem Gedanken von vorhin .
– Doch . Wenn Sie zugehört haben: Das war die Antwort .
Jetzt kehren wir zu dem Gedanken zurück, den ich er-wähnt hatte . Der Gedanke ist: Es spielt keine Rolle, dasses schwer ist, bei den Mitgliedsländern, die erheblicheVorbehalte haben, eine andere Politik auf den Weg zubringen; denn man sagt einfach: Wenn du nicht spurst,dann kriegst du eine Vertragsstrafe, dann entziehen wirdir die Finanzleistungen . – Damit wird man Europa nichtzusammenhalten können .In der Sitzung des LIBE-Ausschusses vom 14 . Januarhat Kommissar Avramopoulos ausgeführt, dass zukünf-tig die Reformvorschläge der Kommission zum Dub-lin-System auf dem Prinzip der Solidarität – das hört sichgut an – aufgebaut werden sollen und die Flüchtlinge miteinem festen Schlüssel automatisch den einzelnen Mit-gliedstaaten zugewiesen werden sollen . Meine Damenund Herren, das wird der falsche Weg sein .Wolfgang Schäuble hat letzte Woche in einer Rededarauf hingewiesen, dass eine gute Europapolitik im-mer auch nationale Erfahrungen berücksichtigen muss .Das gilt auch und gerade für die Integrationspolitik;denn nicht alle Gesellschaften durften in gleicher Wei-se die Vorzüge von Offenheit gegenüber Abschottungkennenlernen . Wir Deutsche erinnern uns an die Zeit derWiedervereinigung . Damals haben wir aus genau die-sen Erwägungen heraus die Vorbehalte der Menschen inOstdeutschland berücksichtigt . Wir waren uns einig: Wirmüssen das behutsam regeln, es geht nicht, dass man sichkomplett aus dem System abmeldet; denn in irgendeinerWeise muss eine Kosten- und Lastenteilung stattfinden.Aber wir müssen das Vertrauen gewinnen, wir müssenins Gespräch kommen . – Vorbild für die europäischeFlüchtlingspolitik könnte durchaus das Modell sein, daswir nach der deutschen Wiedervereinigung umgesetzthaben .
Meine Damen und Herren, viele von uns sehen dasRisiko, dass Europa an den großen Herausforderungenscheitern wird . Ich bin der festen Überzeugung: Europakann das schaffen . Europa kann die anstehenden Heraus-forderungen hervorragend bewältigen und geht vielleichtsogar gestärkt daraus hervor . Aber wenn man keine Rück-sicht nimmt, wenn man rücksichtslos an den Mitglied-staaten vorbei agiert und meint, wir könnten von oben,von der Ebene der EU-Kommission durchregieren, dannsehe ich ein großes Risiko, dass dieses Europa scheitert .
Unabhängig von der zunehmenden Kritik war es zumBeispiel unvertretbar, dass der EU-Präsident MartinSchulz Polen bezichtigt hat, eine gelenkte Demokra-tie nach Putins Art zu sein . Das ist eine besonders ge-schmacklose Entgleisung, wenn man die historische undgeografische Situation Polens bedenkt.
Ich komme zum Schluss . – Meine Damen und Herren,„Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“, das istabsolut richtig . Eine einvernehmliche Lösung der Flücht-lingskrise in Europa wird aber nur möglich sein, wenneine intensive und freundschaftliche Kommunikation mitden Ländern geführt werden wird, die Vorbehalte haben .Aber davon ist in der aktuellen Kommissionsarbeit undauch im Arbeitsprogramm 2016 leider nichts zu spüren .
Die Kollegin Andrea Lindholz hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In ihremArbeitsprogramm 2016 betont die Kommission, dassEuropa vor nie dagewesenen Herausforderungen steht .Viele warnen heute schon vor dem Ende Europas, demZerfall des Schengen-Raums und der Euro-Zone . DieseDetlef Seif
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Warnungen haben einen ernsten Hintergrund; denn Eu-ropa steht aktuell nicht nur vor einer, sondern vor vielenKrisen gleichzeitig .Die institutionellen Schwächen der Euro-Zone wur-den bisher nur teilweise beseitigt. Hohe Staatsdefizite, in-stabile Banken und verschleppte Strukturreformen haltendie Euro-Krise virulent . Die hohe Arbeitslosigkeit undauch die wirtschaftliche Schwäche einiger EU-Staatenschwächen zum einen unseren Export und liefern zumanderen den Nährboden für Radikalismus und Nationa-lismus . In Frankreich liegt der Front National bei 28 Pro-zent . Großbritannien droht mit dem EU-Austritt, was füruns ein gewaltiger Verlust wäre .An dieser Stelle möchte ich kurz auf die Anglei-chung von Sozialstandards in der EU eingehen . Ja, siesind richtig, und sie sind wichtig . Allerdings sollten wirdie Kritik der Briten näher betrachten und ganz genauzuhören . Wenn wir gleiche soziale Standards in Europafordern, dann, sehr geehrte Damen und Herren von denGrünen, müssen wir uns auch die Frage gefallen lassen,warum wir als Deutsche für Kinder, die in Rumänien le-ben, das gleiche Kindergeld zahlen wie für Kinder, die inDeutschland leben .
Das darf nicht der Fall sein . Die Reformen müssen daherin beide Richtungen gehen .
Die Kommission hat das Freihandelsabkommen TTIPzur Top-Priorität erklärt . Es soll die Grundlagen für neu-es Wirtschaftswachstum in Europa schaffen . Wir allekennen die Vorbehalte gegen TTIP; wir hören sie undhaben sie zum Teil auch selber . Es ist Aufgabe von unsParlamentariern, diese berechtigten Bedenken zu prüfen .Uns fordern aber auch die Kriege in der Ukraine undin Syrien sowie die Instabilität im arabischen Raum . Dasalles ruft Fanatismus und Terrorismus hervor .Die aktuell größte Bedrohung und größte Herausfor-derung ist allerdings die unkontrollierte Zuwanderungnach Europa, insbesondere nach Deutschland . Das Ver-trauen der Bürgerinnen und Bürger ist erschüttert . Sehrgeehrter Herr Kollege Sarrazin, Europa muss alles da-ransetzen, um auf diese Flüchtlingskrise eine europäi-sche Antwort in Form einer gemeinsamen Asylpolitikzu finden. Das stellt kein Mitglied und keine Fraktion indiesem Haus infrage .
Sehr geehrter Herr Kollege Ulrich, wenn Sie imZusammenhang mit der Asylthematik, obwohl wir inDeutschland über 1 Million Menschen aufgenommenhaben – die Menschen in diesem Land haben Großarti-ges geleistet, und wir im Deutschen Bundestag haben inden letzten Monaten insgesamt sechs Gesetzespakete aufden Weg gebracht, um die Integration zu verbessern, aberauch, um Fehlanreize zu vermeiden und Abschiebehin-dernisse zu reduzieren –, von einem „Totalversagen“ desdeutschen Staates sprechen, dann finde ich das völlig ne-ben der Sache liegend . Ich muss ehrlich sagen: Ich kannverstehen, dass Menschen europa- und politikverdrossensind, wenn wir bei unserer Wortwahl nicht aufpassen,wenn wir nicht aufpassen, wann wir von einem „Total-versagen“ sprechen .
Wenn Sie Ihre Ernsthaftigkeit in Sachen europäischerFlüchtlingspolitik dadurch unter Beweis stellen wollen,dass Sie sagen, wir bekämen gerade von den anderenStaaten eine „Retourkutsche“,
dann muss ich dazu sagen: Auch das ist unangemes-sen und unangebracht angesichts der Leistung, die inDeutschland gerade erbracht wird . Wenn die Politik inEuropa davon bestimmt wird, dass man sich gegensei-tig Retourkutschen verteilt, kann ich verstehen, dassdie Menschen mit der Politik nicht mehr viel anfangenkönnen, dass sie politikverdrossen und europaverdrossensind . Ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Abgeordnete,in unseren Reden darauf hinzuweisen und mit solchenBegriffen vorsichtig umzugehen .
– Ich komme ganz sicher noch auf Herrn Seehofer zusprechen; Sie bieten mir so schöne Vorlagen .
Wir wollen eine gemeinsame Europapolitik . Es nütztnichts, wenn im Programm der Kommission vieles steht:Frontex-Einsätze verstärken, Dublin-Verordnung refor-mieren, Solidaritätsmechanismen einführen . Das sindalles wichtige und richtige Maßnahmen . Wir brauchenauch gemeinsame Kontingente in Europa und eine ge-meinsame Solidaritätsanrechnung, weil es natürlich nichtsein kann, dass es einzelne Länder gibt, die im Rahmendes Dublin-Verfahrens die Hauptlast tragen . Aber Europamuss auch handeln . Es genügt nicht, dass in dem Pro-gramm steht, dass die Kommission bis Ende des JahresVorschläge vorlegt, wie gewisse Dinge überhaupt um-gesetzt werden sollen . Das dauert nämlich zu lang fürDeutschland . Wir können nicht warten, bis man sich inEuropa irgendwie einigt . Auch wir hoffen auf eine Eini-gung in Europa; aber die Beschlüsse, die vereinbart wur-den, wurden bisher noch nicht einmal ansatzweise umge-setzt . 322 Flüchtlinge von 160 000 sind verteilt worden .Wer von Ihnen war schon einmal in Bayern – dasfrage ich in jeder meiner Reden – und hat sich die Ver-hältnisse an der Grenze vor Ort angeschaut? Wer hat mitunseren Bürgermeistern und Landräten gesprochen, undwer weiß, wie es ist, wenn tagtäglich Tausende und Aber-tausende Menschen nach Bayern strömen? Wenn es inEuropa keine zügige, keine zeitnahe und keine vernünfti-ge Lösung gibt, dann hat Horst Seehofer das gute Recht,darauf hinzuweisen,
Andrea Lindholz
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dass beispielsweise Griechenland seiner Verpflichtungzur Außengrenzensicherung nicht nachkommt und einunkoordiniertes Durchleiten von Flüchtlingen bis nachDeutschland bei uns zu Problemen führt und wir des-halb sehr wohl darüber nachdenken müssen – dazu sindwir verpflichtet –, ob wir Grenzkontrollen einführen undstufenweise Zurückweisungen vornehmen, wie das jetztzum Beispiel schon gemacht wird, wenn die Leute klarsagen, dass sie kein Asyl in Deutschland beantragen wol-len .
Kollegin Lindholz, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung?
Ich lasse sie gleich zu . Ich möchte den Gedanken noch
zu Ende führen . Danach gerne . – Wenn es in Europa kei-
ne zügige Lösung gibt, dann müssen wir auch über diese
Maßnahme nachdenken . Wenn wir diese Auffassung ver-
treten, heißt das nicht, dass die CSU oder Horst Seehofer
unsolidarisch ist oder gar eine gegen Europa gerichtete
Politik betreiben möchte .
Jetzt gestatte ich die Zwischenfrage .
Die Kollegin Baerbock wünscht, eine Frage zu stellen
oder eine Bemerkung zu machen . Da Sie es gestattet ha-
ben, hat sie jetzt das Wort .
Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz . – Sie haben an-
gesprochen, dass 160 000 Flüchtlinge aus Griechenland
und Italien umverteilt werden sollen . Sie haben gesagt,
dass alle ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Wie
erklären Sie sich dann – Sie haben die 300 angesprochen,
die bisher umverteilt wurden –, dass Deutschland das zu-
gesagte Kontingent auch nicht umverteilt hat und bisher
erst 27 aufgenommen hat?
Was unternehmen Sie als Regierungsfraktion, damit
wir unserer eigenen Zusage bei der Umverteilung der
160 000 aus Griechenland gerecht werden? Während
zum Beispiel Bulgarien – das haben wir gemeinsam
gestern im Europaausschuss erfahren – sein Kontingent
schon aufgenommen hat, meldet Deutschland hier ein-
fach nicht .
Frau Kollegin, wir haben in Deutschland über 1 Mil-lion Menschen aufgenommen . Das ist weit mehr als indiesem Kontingent . Punkt eins .
Punkt zwei . Ich habe nicht davon gesprochen, dassdiese Flüchtlinge auf Italien und Griechenland aufzutei-len sind .
Ich bin also der Auffassung, dass die Kommission inihrem Programm viele gute und viele richtige Vorschlä-ge unterbreitet hat . Es genügt uns aber nicht, wenn die-se Vorschläge nicht umgesetzt werden, wenn das Dub-lin-Verfahren beispielsweise nicht reformiert wird undVorschläge dazu nicht schnell genug vorgelegt werden .Europa muss in dieser Lage so schnell handeln, wie Eu-ropa in der Lage war, bei der Euro-Krise zu handeln . Daskönnen wir an dieser Stelle auch einfordern .Ich möchte noch einmal betonen: Nicht Deutschlandhat sich in den letzten Monaten einer europäischen Lö-sung verschlossen . Wir haben in den letzten Monatenviele, viele Hunderttausende, ja Millionen von Flüchtlin-gen aufgenommen und auch für die Zukunft die Bereit-schaft erklärt, dass wir uns mit den Leidtragenden derKrisen der Welt solidarisch zeigen . Hierzu gehört auch,dass wir erkennen und begreifen, dass die Entwicklungs-hilfe, die Hilfe vor Ort – wir reden immer wieder da-von – das Mittel ist, das wir verstärkt einsetzen müssen .Wir sind nicht auf einer einsamen Insel . Wir sind auf dieanderen europäischen Staaten angewiesen . Wir sind beider Entwicklungshilfe auch auf die Weltgemeinschaftangewiesen . Da kann man es sich nicht einfach machenund so tun, als ob wir in Deutschland nicht genug zurBewältigung der Krisen beitragen .
Ich möchte mit einem Zitat von Konrad Adenauerschließen . Er hat gesagt:Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen .Sie wurde eine Hoffnung für viele . Sie ist heute eineNotwendigkeit für uns alle .Dieses Zitat hat auch nach 62 Jahren nichts von seinerRelevanz verloren . Ich wünsche mir Einheit in diesemParlament, was die Flüchtlingsfrage angeht, vor allenDingen aber in Europa . Ich wünsche mir eine europäi-sche Antwort auf diese Krise und bin dennoch der festenÜberzeugung, dass wir auch um weitere nationalstaatli-che Maßnahmen nicht herumkommen werden, wenn Eu-ropa in den nächsten Wochen nicht zügig handelt .Andrea Lindholz
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Danke schön .
Ich schließe die Aussprache .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann
, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdi-
gen – Mütterrente anerkennen
Drucksachen 18/6043, 18/6222
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dr . Martin Rosemann für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Seit mittlerweile eineinhalbJahren wird die Kindererziehung für vor 1992 geboreneKinder in Deutschland besser anerkannt . Es werden näm-lich die ersten beiden Jahre berücksichtigt statt früher nurdas erste .
Wer seitdem in Rente gegangen ist und Kinder erzogenhat, dem wird auch die Erziehungsleistung, die er odersie erbracht hat, zugerechnet . Das gilt für das erste Le-bensjahr des Kindes und auch für das zweite . Das giltselbstverständlich auch für Pflege- und Adoptiveltern.Das ist erst einmal eine gute Nachricht für alle Mütterund Väter in unserem Land . Das hat diese Koalition ge-schafft .
Wir haben aber noch etwas anderes geschafft: ImUnterschied zu allen anderen Verbesserungen im Ren-tenrecht profitieren von dieser Neuregelung, von dieserMütterrente, auch Frauen und Männer, die vor Inkrafttre-ten des Gesetzes schon in Rente waren . Auch das ist einegute Nachricht für alle Rentnerinnen und Rentner mit vor1992 geborenen Kindern
Die Voraussetzung dafür, dass wir das so machenkonnten, war aber eine Pauschalregelung . Mütter bzw .Väter, die bereits in Rente waren, bekamen pauschaleinen Entgeltpunkt für das zweite Jahr der Kindererzie-hungszeit zugewiesen . Dabei bekam jeweils die Personden Rentenpunkt, die bereits die Mütterrente für das ersteLebensjahr des Kindes bezog . Anders, meine Damen undHerren, war es schlicht nicht möglich, dies für die Frauenund Männer, die bereits in Rente waren, zu organisieren .Sonst hätten wir Hunderttausende von Versicherungsbio-grafien noch einmal von Hand bearbeiten müssen. DerVerwaltungsaufwand dafür stünde in keinem Verhältniszu den Leistungen, wäre schlichtweg nicht vertretbar ge-wesen .Klar ist, meine Damen und Herren: Durch die gefun-dene pauschale Regelung wird in den meisten Fällen dieRealität abgebildet und damit die Leistung der Kinderer-ziehung an der richtigen Stelle gewürdigt . Aber klar istauch – das soll nicht verschwiegen werden –, dass es inspeziellen Konstellationen zu einer falschen Zuordnungund damit in Einzelfällen zu Ungerechtigkeiten kommenkann . Eine, über die wir heute diskutieren, ist die Prob-lematik bei der Anrechnung der Erziehungsleistung fürAdoptiveltern . Aber das ist eben nicht die einzige, son-dern es gibt noch andere, so beispielsweise dann, wennder Vater ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes dieKindererziehung übernommen hat, die Mutter aber imersten . In diesem Fall bekommt der Vater bei der Pau-schalzuordnung selbstverständlich nicht den zusätzli-chen Rentenpunkt, was vor allem dann ein Problem ist,wenn die Ehe mittlerweile in die Brüche gegangen ist .Ein weiteres Beispiel ist der Fall, dass Eltern ihr Kind imersten Lebensjahr im Ausland erzogen haben . Auch dannkommt es zu Ungerechtigkeiten . Hier bekommt nämlichkeiner den zusätzlichen Rentenpunkt .Umgekehrt gibt es aber auch Beispiele dafür, dass sichdie Pauschalzuordnung positiv auswirkt, beispielsweisedann, wenn durch die pauschale Anrechnung keine Kap-pung an der Beitragsbemessungsgrenze erfolgt, wennsich bestehende Abschläge, beispielsweise aufgrund ei-ner vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente, nichtauf den zusätzlichen, pauschal zugewiesenen Rentenent-geltpunkt auswirken . Das alles zeigt, meine Damen undHerren: Man kann nicht eine Lösung nur für eines dieserProbleme beschließen und die anderen Probleme igno-rieren .
Man kann sich aber auch nicht alle diese Fälle noch ein-mal einzeln anschauen . Damit sind wir ohne Zweifel ineinem Dilemma, in einem Dilemma, in das man aller-dings nur kommt, wenn man, wie wir, Verantwortungübernimmt, regiert und Entscheidungen trifft, anstattsich, wie die Linke, in der Opposition zu gefallen .
Um es noch einmal zu sagen: Die einzige Alternati-ve wäre es also gewesen, die Leute, die zum Zeitpunktder Gesetzesänderung bereits in Rente waren, von derVerbesserung auszunehmen . Nochmals: Das wäre rich-Andrea Lindholz
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tig ungerecht gewesen . Das wollten wir nicht . Deswegenhaben wir das auch nicht gemacht .
Denn wir sehen jetzt schon, dass die Mütterrente ein gro-ßer Erfolg ist . Durch die Mütterrente ist der durchschnitt-liche Zahlbetrag der Rente für Frauen heute um 10 Pro-zent höher, für Frauen mit Kindern sogar um 12 Prozent .Natürlich ist aber auch klar, dass die Anerkennungder Erziehungsleistung in der Rente nie wirklich der Le-bensleistung gerecht wird, die man erbringt, wenn manKinder erzieht . Auch die drei Jahre Erziehungszeit, diefür ab 1992 geborene Kinder angerechnet wird, schaffendas nicht .Deshalb gibt es übrigens im Rentenrecht weitere Ele-mente der Anerkennung von Erziehungsleistungen: vor1992 die Aufwertung von geringen Rentenanwartschaf-ten im Rahmen der Rente nach Mindesteinkommen, ab1992 die Höherwertung niedriger Entgeltpunkte bzw .eine Gutschrift von zusätzlichen Entgeltpunkten im Rah-men der Kinderberücksichtigungszeiten . Bei der Rentefür besonders langjährig Versicherte werden bis zu zehnJahre Kinderberücksichtigungszeiten angerechnet, damitman diese erreicht .Meine Damen und Herren, klar muss aber auch sein:Allein mit der Rente kann eine adäquate Anerkennungder Erziehungsleistung letztlich nicht erreicht werden .Das muss eine gesamtgesellschaftliche Anstrengungsein . Letztlich wird die beste Anerkennung dann gewähr-leistet sein, wenn es in unserem Land selbstverständlichist, dass sich Frauen und Männer die Erziehungsarbeitebenso wie die Erwerbsarbeit partnerschaftlich teilen .Dafür sollten wir als Staat, als Gesellschaft und als Po-litik in den kommenden Jahren die richtigen Rahmenbe-dingungen schaffen .
Das Wort hat der Kollege Matthias W . Birkwald für
die Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen von der Koalition, Ihr Renten-paket ist jetzt eineinhalb Jahre alt . Insofern ist es höchsteZeit, dass wir heute einmal über eine Gruppe sprechen,die von Ihrem Rentenpaket überhaupt nicht profitiert.Ganz im Gegenteil: Diese Mütter und Väter werden mas-siv benachteiligt, Herr Dr . Rosemann; es handelt sich umAdoptivmütter und Adoptivväter .Ich spreche hier von den Adoptivmüttern, die bereitsvor dem 1 . Juli 2014 in Rente waren . Sie gehen bei dersogenannten neuen Mütterrente komplett leer aus, wennsie ihr vor 1992 geborenes Kind erst nach dessen erstemGeburtstag adoptiert haben . Diese Mütter bekommenkeinen Cent Mütterrente . Keinen Cent . Wir Linke sagen:Das ist ungerecht, und das darf nicht so bleiben .
Meine Damen und Herren, hier geht es nicht nur umbares Geld, sondern auch um die gesellschaftliche An-erkennung für die bewundernswerte Entscheidung, sichdauerhaft um ein Kind zu kümmern und es großzuzie-hen, und zwar mit allem, was dazugehört . Das ist nichtselbstverständlich . Darum sage ich hier einmal ein gro-ßes Dankeschön an alle Adoptiveltern für ihr wertvollesEngagement .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,der Verband der Pflege- und Adoptiveltern geht vonsage und schreibe 40 000 Familien aus, denen Sie diesogenannte Mütterrente vorenthalten . Ich sage: Das sind40 000 Betroffene zu viel .
Es gibt doch keinen Grund, die Adoptivmütter beider Mütterrente leer ausgehen zu lassen . Adoptivmüt-ter wechseln genauso die Windeln ihrer Kinder, wie esleibliche Mütter tun . Adoptivväter kochen genauso gutfür ihre Kinder, wie es leibliche Väter tun . Adoptivelternbringen ihre Kinder genauso in die Kita oder zur Schule,wie es die leiblichen Eltern tun . Deswegen sage ich: Hiermuss etwas getan werden, und zwar dringend .
Meine Damen und Herren, am 24 . September habenwir schon einmal über das Thema der Mütterrente auchfür Adoptiveltern debattiert . Damals habe ich an Unionund SPD appelliert, die 40 000 Adoptiveltern nicht imRegen stehen zu lassen . Ich habe es damals gesagt, undich sage es heute: Legen Sie eine gerechte und angemes-sene Lösung auf den Tisch .Liebe CDU, der Kollege Matthias Zimmer hatte jadamals gespottet, die Opposition verlöre sich im kleinenKaro . Das war zwar wie immer sehr poetisch, aber aucheine Frechheit für die 40 000 Betroffenen .
Ihr Hinweis auf die Kostenprobleme ist schlicht unred-lich . Warum? Bei 40 000 Adoptiveltern, die dann ei-nen zusätzlichen Rentenentgeltpunkt, also weniger als30 Euro mehr Rente, erhielten, müsste die Versicher-tengemeinschaft gerade einmal 14 Millionen Euro proJahr aufbringen . In der Rentenkasse sind aktuell mehrals 34 Milliarden Euro . 14 Millionen sind gerade ein-mal 0,04 Prozent davon . Liebe Union, da sage ich: SeienSie mal nicht geiziger als Finanzminister Schäuble . Dasmuss drin sein .
Lieber Kollege Strebl von der CSU – die CSU willich hier ja nicht vergessen –, Sie haben in der ersten Le-Dr. Martin Rosemann
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201614972
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sung noch das Horrorszenario an die Wand gemalt, dass9,5 Millionen Mütterrenten individuell hätten geprüftwerden müssen, wenn die Adoptiveltern gleichbehandeltworden wären . Kollege Rosemann sagte das ja auch . Siehaben sogar behauptet, die sogenannte neue Mütterrentehätte dann gar nicht in Kraft treten können .
Mit Verlaub, Herr Kollege Strebl, das ist nicht mehr alseine rhetorische Nebelkerze,
und die pusten wir jetzt mal aus .
Wenn wir den 40 000 Adoptiveltern die Möglichkeitgäben, einen Antrag auf sogenannte Mütterrente zu stel-len, dann würde das die Deutsche Rentenversicherungin diesem klar umgrenzten Fall nicht überfordern, HerrKollege Strebl . Die Deutsche Rentenversicherung istnämlich sehr leistungsfähig . Sie bearbeitet rund 3,9 Mil-lionen Renten- und Rehaanträge im Jahr . Um das einmalmit Worten zu sagen, die Ihnen besonders bekannt sind:Die schaffen das!
Nun komme ich zur SPD . Liebe Dagmar Schmidt, lie-ber Martin Rosemann, Sie haben in der ersten Lesungund auch gerade immerhin ehrlich zugegeben: Die Rege-lung für Adoptiveltern ist ungerecht . – Kollegin Schmidt,nur zu sagen, man brauche bei einer so großen Reformpauschale Regelungen, wie wir es auch gerade wiedergehört haben, und die könnten nicht jeden Einzelfallberücksichtigten, bedeutet aber doch, sich nur – husch,husch – herauszureden, und vor allem bringt es denAdop tivmüttern keinen einzigen Cent Mütterrente .Liebe SPD, 40 000 Mütter und Väter sind doch keinEinzelfall . Sie füllen ein mittelgroßes Fußballstadion .Sehen Sie das doch endlich einmal ein!
Meine Damen und Herren, die Linke bietet eine um-setzbare Lösung für die Adoptiveltern an:
Adoptivmütter, die ihr Kind nach seinem ersten Geburts-tag adoptiert haben, erhalten auf Antrag die neue Mütter-rente, also einen zusätzlichen Entgeltpunkt . Das war undbleibt unser Vorschlag. Der ist praktikabel, finanzierbarund vor allem auch sozial gerecht .Herzlichen Dank .
Der Kollege Peter Weiß hat für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Die Mütterrente war und ist eine der großen sozi-alpolitischen Veränderungen, die diese Große Koalitionbeschlossen hat . Sie war und ist ein Herzensanliegen,das im Wahlprogramm der Union stand, und wir sindfroh, dass es uns zusammen mit den Sozialdemokratenin dieser Großen Koalition gelungen ist, die Erziehungs-leistungen der Mütter in unserem Land im Rentenrechtendlich deutlich besser anerkennen zu können als in derVergangenheit .
Für das, was am 1 . Juli 2014 in Kraft getreten ist, istein Finanzvolumen von 6,7 Milliarden Euro pro Jahr not-wendig . Wenn Sie sich einmal anschauen, was wir sonstnoch alles beschlossen haben, dann stellen Sie fest: Dasist die größte sozialpolitische Verbesserung in Hellerund Pfennig, in Euro und Cent, die es seit Jahrzehnten inDeutschland gegeben hat . Wir können zu Recht stolz da-rauf sein, dass wir diesen riesigen finanziellen Aufwandgemeinsam mit der Deutschen Rentenversicherung tra-gen, um die Mütter aufgrund ihrer Erziehungszeiten imRentenrecht besserzustellen .
Der Kollege Rosemann hat ausgeführt: Es war uns beidieser Reform wichtig, dass bei der Berechnung der Ren-te künftig nicht nur die Kindererziehungszeiten derjeni-gen besser berücksichtigt werden, die heute im Arbeits-leben stehen, sondern dass wir vor allen Dingen auch den9,5 Millionen Müttern, die bereits Rentnerinnen sind,eine Besserstellung in der Rente gewähren können; dennsie haben ihre Kinder in Zeiten großgezogen, in denen esnoch keine Kitas und kein Elterngeld gab,
und in der Regel hat damals die Frau – manchmal auchder Mann – bei der Geburt des ersten Kindes ganz auf dieBerufstätigkeit verzichtet . Sie haben es besonders nötig,dass sie durch die Kindererziehungszeiten rentenrecht-lich bessergestellt werden . Dieses Gerechtigkeitspro-blem haben wir mit mehr Leistungen durch die Mütter-rente klar und eindeutig beantwortet .
Diese Regelung, bei der wir auch die Bestandsrent-nerinnen und -rentner, wie man so schön sagt, also die-jenigen, die schon in Rente sind, einbezogen haben, hatübrigens dazu geführt, dass durch diese Neuregelung64 000 Frauen zum ersten Mal einen eigenen Rentenan-spruch bekommen . Auch das ist eine großartige Leistung .Wenn man sich die Auszahlung von Rentenleistungenan Frauen anschaut, dann stellt man fest, dass allein dieVerbesserung bei der Mütterrente zu einer rund 10-pro-zentigen Steigerung des Renteneinkommens der Frauengeführt hat . Das zeigt doch: Wir haben hier einen ganzMatthias W. Birkwald
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maßgeblichen Beitrag zu mehr Rentengerechtigkeit fürdie Frauen in unserem Land geleistet .
Weil natürlich auch die Linke weiß, dass man denErfolg dieser rentenpolitischen Innovation der GroßenKoalition eigentlich nicht kaputtreden kann, sucht siekrampfhaft nach irgendeinem Haar in der Suppe .
Das Problem ist nur: Dabei ist sie bereit, die ganze Suppeauszuschütten . Das möchte ich kurz erläutern .Verehrte Kolleginnen und Kollegen, als wir in der Ko-alition mit den Fachleuten, den Experten im Ministeri-um und denen der Deutschen Rentenversicherung, darü-ber gesprochen haben, wie wir es machen können, auchdenjenigen, die bereits in Rente sind, diese Mütterrentezukommen zu lassen, sind wir auf folgende Problematikgestoßen: Wenn die Mitarbeiter der Rentenversicherungwirklich die alten Akten von 9,5 Millionen Menschen,die bereits Rente beziehen, deren Rentenkonto geschlos-sen ist, wie das fachtechnisch heißt, aus dem Keller hät-ten holen müssen, um die gesamte Rentenbiografie nach-zurechnen,
dann hätten die Sachbearbeiter wahrscheinlich über dreiJahre gebraucht – das lässt sich nicht am Computer erle-digen –, um die Arbeit zu erledigen .
Da haben wir gesagt: Wenn wir mit so etwas ins Par-lament gehen, brauchen wir uns in der Öffentlichkeit inDeutschland gar nicht mehr blicken zu lassen, da lachtuns die Bevölkerung aus . Es gibt nur eines: Wenn dieMütterrente am 1 . Juli 2014 in Kraft tritt, dann muss dieMütterrente binnen drei Monaten auch bei den Bestands-rentnerinnen und -rentnern in Deutschland ankommen .Nur das geht .
Deshalb haben wir uns für eine Pauschallösung ent-schlossen . Nur mit einer Pauschallösung war es mög-lich, zu erreichen, dass die Rentnerinnen und Rentner inDeutschland bereits seit Monaten zusätzlich Mütterrentebeziehen können . Das haben wir geschafft, das haben wirgemacht . Es war völlig richtig, es so zu machen, dass dieMütterrente sofort möglich ist und nicht erst in ein paarJahren .
Warum ist das so? Die Linke hält Reden nach demMotto: Hoffentlich kennt niemand das Rentenrecht!
Dann kann man den Leuten alles Mögliche vormachen .Was heißt denn Mütterrente? Mütterrente heißt Anerken-nung von Kindererziehungszeiten in der Rente . Das wirdtechnisch so gemacht: Um zu erreichen, dass es für einJahr Kindererziehungszeit zusätzlich Rente gibt, wirddem Rentenkonto der Frau respektive des Mannes imersten Lebensjahr des Kindes ein Entgeltpunkt – das sindheutzutage rund 28 Euro –
gutgeschrieben . Bei zwei Jahren Kindererziehungszeitwerden diese Punkte im zweiten Lebensjahr des Kindesgutgeschrieben . Sind es drei Jahre – das gilt für alle Kin-der, die ab 1992 geboren sind –, werden diese Punkte imdritten Lebensjahr gutgeschrieben . So kann das jeder aufseiner Renteninformation, die er erhält, nachlesen . Da-rauf ist für jedes Jahr ausgewiesen, wie viel Entgeltpunk-te auf dem Rentenkonto gutgeschrieben werden .Was haben wir gemacht? Wir haben für alle vor 1992geborenen Kinder beschlossen, dass ein solcher Entgelt-punkt, eine zusätzliche Rentenleistung auch im zwei-ten Lebensjahr des Kindes auf dem Rentenkonto gut-geschrieben wird . Und das haben wir für alle gemacht,selbstverständlich auch für die Adoptiveltern . Deswegenist das, was Herr Birkwald hier vorgetragen hat, nämlichdass das die Adoptiveltern nicht betreffe, schlichtwegfalsch . Dieser Entgeltpunkt wird selbstverständlich auchAdoptiveltern gutgeschrieben .Nun ist es so, dass wir für diejenigen, die bereits inRente sind, irgendeinen Ansatzpunkt finden mussten, umherauszufinden, wer von diesen Kinder großgezogen hatund dafür schon für das erste Jahr Kindererziehungszei-ten gutgeschrieben bekommt, um ihnen dann zusätzlicheinen Pauschalbetrag für ein zweites Jahr gutschreiben zukönnen . Da bleibt dann eben nichts anderes übrig, wennman es einfach und per Computer machen will, als zuschauen, ob für den zwölften Monat tatsächlich Kinder-zuschlag auf die Rente ausbezahlt wird . Allen Rentnerin-nen und Rentnern, auf die das zutrifft, wurde dann zum1 . Juli der Pauschalzuschlag gutgeschrieben . So war esmöglich, dass spätestens drei Monate nach Inkrafttretendes Gesetzes wirklich alle Berechtigten in Deutschland,die bereits Rentnerin oder Rentner sind, diesen Zuschlaggutgeschrieben bekommen haben .
Kollege Weiß, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung des Kollegen Birkwald?
Ja, bitte schön .
Lieber Kollege Weiß, danke, dass Sie die Bemerkung
zulassen . Sie haben gerade so schön ausgeführt, wie das
alles funktioniert .
Ja, man muss es ja einmal erklären .Peter Weiß
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Das ist auch in Ordnung . – Sie haben nur den wesent-
lichen Punkt, um den es in dieser Debatte geht, elegant
unter den Tisch fallen lassen .
Wenn beispielsweise eine Frau ein 14 Monate altes
Kind adoptiert hat – gehen wir ausschließlich von einer
Adoptivmutter aus, nicht von Adoptiveltern –, dann hat
diese Adoptivmutter das Kind erzogen, als es 15 oder
20 Monate alt war usw ., bis es zum Beispiel zehn oder elf
war . Also hat sie, nicht die leibliche Mutter, die wesent-
liche Erziehungsleistung erbracht . Weil das Kind erst im
vierzehnten Lebensmonat und nicht im elften, zehnten
oder im vierten adoptiert wurde, bekommt diese Adop-
tivmutter, die die gesamte Erziehungsleistung – hoffent-
lich gemeinsam und gleichberechtigt mit ihrem Mann –
erbracht hat, keinen Cent von Ihrer schönen Mütterrente .
Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen .
Ehe Sie jetzt immer weiter behaupten, das hätte alles
berechnet werden müssen, bitte ich Sie, noch einmal in
unseren Antrag zu schauen . Wir haben vorgeschlagen,
dass das auf Antrag überprüft werden soll, damit die
Rentenversicherung eben nicht alle Akten und Renten-
konten prüfen muss . Das heißt, man müsste die Regelung
beschließen und publikmachen, und dann kämen sukzes-
sive die Anträge herein . Jetzt erklären Sie mir bitte ein-
mal, warum die Rentenversicherung das nicht schaffen
könnte .
Herr Kollege Birkwald, Sie haben schon wieder dasRentensystem falsch erklärt,
oder Sie bauen darauf, dass die Mitbürgerinnen und -bür-ger das Rentenrecht nicht kennen .
Die Kindererziehungsleistung in der Rente wird nichtfür das zehnte oder elfte Lebensjahr bezahlt .
– Doch, doch .
Sie sagten, sie habe dann ja über zehn Jahre hinweg Kin-der erzogen . – Bei der Rente wurde sie bis vor kurzem,vor der Reform, für das erste Lebensjahr des Kindes gut-geschrieben, und nach der Reform wird sie für das zweiteLebensjahr des Kindes gutgeschrieben . Das gilt für alleRentnerinnen und Rentner . Die einzige Frage ist: Machtman eine Pauschalregelung, oder macht man keine Pau-schalregelung?
Der Punkt ist folgender: Wenn Sie eine Pauschalrege-lung machen, dann bedeutet das, dass die große Mehrheitder Leute, die es wirklich betrifft, die zusätzliche Renteerhalten . Ich gebe zu: Es gibt auch Grenzsituationen, beidenen es möglicherweise danebengeht .
Aber wir standen vor der Frage: Pauschalregelung – jaoder nein? Und um es klar und deutlich zu sagen: Fürmich und, wie ich glaube, für uns alle in der Koalitiongalt: Wer schnell hilft, hilft doppelt . Deswegen gibt es einklares Ja zur Pauschalregelung .
Wenn man aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten sagt:„Nein, ich will eine Einzelfallprüfung auf Antrag!“ –Entschuldigung, es gilt doch wohl: entweder Pauschal-regelung oder in allen Fällen Einzelfallprüfung –, dannmuss man auch prüfen, wie der Kollege Rosemann vor-getragen hat, ob da vielleicht jemand die ersten 14 Mona-te im Ausland erzogen worden ist und erst im 15 . Lebens-monat nach Deutschland umgesiedelt ist und, und, und .Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Entwedermacht man eine Pauschalregelung, oder man macht eineEinzelfallprüfung . Wenn wir eine Einzelfallprüfung ein-geführt hätten, hätte wahrscheinlich noch kein Menschin Deutschland die Mütterrente auf seinem Konto . Mitder Pauschalregelung haben die Leute seit Monaten dieMütterrente auf ihrem Konto . Das ist der Erfolg, auf denwir gebaut haben . Das haben wir durchgesetzt .
Ich hätte von Ihnen als Linke eigentlich erwartet, dassSie den ganz besonderen Fall – den kann es auch geben –vorgetragen hätten, dass bei jemandem, der im zweitenLebensjahr seines Kindes bereits wieder voll gearbeitethat, die Beitragsbemessungsgrenze erreicht hat und des-wegen dank Pauschalregelung zu viel Mütterrente be-kam, wieder abkassiert wird . Ich hoffe, dass die Linkedemnächst einen entsprechenden Antrag stellt .
So viel zu den Besonderheiten .Man kann sicherlich zig Haare in der Suppe finden.Die entscheidende Frage lautet aber: Betrifft die Pau-schalregelung cum grano salis insgesamt betrachtet dieallergrößte Zahl der Fälle, in denen die Berechtigung be-steht, für die Erziehungsleistung im zweiten Lebensjahrdes Kindes Mütterrente zu erhalten? Das haben wir ge-schafft . Im Übrigen hat das Sozialgericht Berlin im letz-
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ten Jahr in einem Urteil die Richtigkeit dieses staatlichenHandelns bestätigt .
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss .
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Mütterrenteist ein großartiger Erfolg . Sie hilft denjenigen, die ihreKinder zu Zeiten erzogen haben, in denen Kindererzie-hung oft mit Ausscheiden aus dem Berufsleben gleichzu-setzen war . Wir haben mit der Pauschalregelung, die wirgetroffen haben, eine rechtlich einwandfreie Lösung ge-funden . Wir haben eine Lösung gefunden, die sofort hilft .Was die Linke vorschlägt, ist in Wahrheit eine Vertagungder Mütterrente . Das wollten und wollen wir nicht .Vielen Dank .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
lege Markus Kurth das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren auf den Zuschauertribünen,ich frage mich gerade, ob Sie das jetzt wirklich so nach-vollziehen konnten, was der Kollege Peter Weiß geradeeben von diesem Rednerpult aus dargelegt hat. Ich fin-de, dass das ein sehr gutes Beispiel dafür ist, wie ein ei-gentlich überschaubarer und klarer Sachverhalt, der nachmeiner Einschätzung im Antrag der Fraktion Die Linkeauch übersichtlich dargestellt ist, künstlich vernebelt,verkompliziert und dann auf eher unseriöse Weise dis-kreditiert wird .
– Ich muss hier im Gegenzug auch einmal austeilen undden Kollegen Matthias Birkwald in Schutz nehmen . Mankann, wenn es um rentenpolitische Vorstellungen geht,die das Rentenniveau angehen und Hunderte MilliardenEuro kosten, durchaus unterschiedlicher Meinung sein .Aber eines kann man Herrn Birkwald sicherlich nichtvorwerfen, nämlich die Unkenntnis des Rentenrechts .
– Sie hatten gerade eine solche Bemerkung gemacht,Herr Weiß .
Der Sachverhalt ist jedenfalls überschaubar . Wenneine Mutter oder ein Vater über Jahre ihr bzw . sein Kinderzogen hat, dann haben sie, wenn das Kind zwischendem 13 . und 24 . Monat erzogen wurde, einen Renten-punkt als Anerkennung für diese Leistung verdient; da-rum geht es .
Und unseriös war – Herr Rosemann, Sie haben ja da-zwischengerufen –, dass Sie einen Gegensatz aufgestellthaben und so getan haben, als ob nur Pauschalregelungoder nur Antragsregelung gehen würde . Man kann dasGanze doch sehr wohl mit einer Antragsregelung kom-binieren . Meinethalben nimmt man dann die von Ihnengenannten Spezialfälle wie Zuzug aus dem Ausland unddergleichen dann auch noch auf . Dann gibt es möglicher-weise – wir wissen es nicht genau – mehr Anträge alsdie 40 000 von betroffenen Adoptiveltern . Dann kommensicherlich einige Tausend oder sogar Zehntausend Anträ-ge hinzu . Aber wir werden Lichtjahre von 9,5 Millionenzu prüfenden Bescheiden entfernt sein . So viel Klarheitund Ehrlichkeit in der Debatte können wir uns allen ab-verlangen .
Das können wir eigentlich umso mehr, weil uns endlicheinmal ein Antrag der Fraktion Die Linke vorliegt, des-sen Umsetzung nicht Hunderte Milliarden Euro kostetoder Beitragssätze von 28 Prozent nach sich zieht . Ichhätte gedacht, Herr Birkwald – Sie kommen ja aus Köln,wo die Karnevalstage bevorstehen –, Sie würden nocheinmal ordentlich Kamelle unters Volk bringen .
Jetzt sind wir hier aber beim Schwarzbrot und bei ei-nem ernstzunehmenden Gerechtigkeitsproblem, das jaauch von der Großen Koalition niemand wirklich leug-net . Dass es hier eine Ungerechtigkeit gibt, ist ja auchbei den Beratungen im Ausschuss von allen zugegebenworden . Und weil das so ist, möchte ich Sie in dem Zu-sammenhang auch noch einmal an das erinnern, was Sieam 23 . Mai 2014 bei der Verabschiedung des sogenann-ten Rentenpakets vollmundig vom Redepult aus erklärthaben . Karl Schiewerling sprach bei der Verabschiedungdes Rentenpakets von „mehr Gerechtigkeit für MillionenMütter“ . Andrea Nahles sagte bei der Verabschiedung –Zitat –: „Mit der Mütterrente erkennen wir die großartigeLeistung von Millionen Müttern und auch Vätern an .“Frau Böhmer von der Frauen-Union sagte: „Das ist einDank an die Mütter“ sowie „Heute ist ein Tag der Ge-rechtigkeit .“
Peter Weiß
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Ja was müssen denn die Adoptiveltern, die hier in Redestehen, die ihr Kind erst im 13 . Lebensmonat adoptierthaben, von diesen Aussagen halten? Die müssen sichdoch verschaukelt vorkommen . Für die ist es nur Schallund Rauch .
Übrigens darf ich daran erinnern, dass auch diejeni-gen Mütter, die in der Grundsicherung sind und durchdie Mütterrente nicht über die Grundsicherungsschwellekommen, nichts von dem Rentenpaket haben . Und woich einmal dabei bin, erinnere ich auch gerne an die Zu-sammenhänge, die sich aus der Finanzierung der Müt-terrente als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe aus derRentenkasse ergeben . Das führt nämlich dazu, dass dasRentenniveau niedriger ausfällt, als es ausfallen müsste,und dass der Beitragssatz höher ausfällt, als er eigentlichausfallen müsste. Das heißt also: Das finanzieren die Bei-tragszahlerinnen und Beitragszahler mit statt die Steuer-zahlerinnen und Steuerzahler . Das haben wir von Anfangan diskutiert, und das darf in dem Zusammenhang, wowir von Ungerechtigkeiten beim Rentenpaket reden, gernauch wiederholt und in Erinnerung gebracht werden .
Meine Damen und Herren, heute hätte die Regie-rungskoalition wenigstens signalisieren können, dass sieeine der unzähligen Gerechtigkeitslücken dieses Ren-tenpakets schließen will . Sie verneinen es, wie gesagt,prinzipiell nicht . Dass Sie sich hinter Formalien, hinterangeblich nicht lösbaren Konflikten zwischen Pauschal-regelung und Antragsregelung verstecken, finde ich docheinigermaßen kläglich . Ich rufe Sie auf: Ändern Sie das!Setzen Sie sich auf den Hosenboden, und dann schaffenSie das auch!Danke .
Das Wort hat die Kollegin Dagmar Schmidt für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! HerrDr . Rosemann hat alles dazu gesagt, wie es zu den Un-gerechtigkeiten gegenüber manchen bei der Mütterrentegekommen ist, wie unter anderem bei manchen Adopti-veltern, während wir aber gleichzeitig für 9,5 Millionen,vor allem Frauen, mehr Gerechtigkeit geschaffen haben .Das ist nun einmal einer Stichtags- und Pauschalregelunggeschuldet; die bringt automatisch Ungerechtigkeitenmit sich . Vielleicht haben Sie – ich weiß es nicht – inIhrem Leben auch schon einmal einer Stichtags- oderPauschalregelung zugestimmt .Sie haben gesagt, dass man das ja auf Antrag machenkann . Sie haben es auf die Adoptiveltern bezogen . Wirhaben gesagt, es gibt noch mehr, wo man alles einzelnanpassen müsste . Niemand kann sagen, wie groß dieDimension wirklich ist, die wir der Rentenversicherungdort aufbürden . Ich weiß nicht, ob Sie mit der Rentenver-sicherung einmal darüber gesprochen haben, wie sie dasund alles andere, was wir ihr noch als Aufgaben gegebenhaben, dann in gleicher Art und Weise gut schaffen kann .Wir haben uns entschieden . Damals wäre die Alter-native gewesen, nichts zu machen . Wir haben uns füreine Rentensteigerung bei Frauen von durchschnittlich10 Prozent entschieden . Und das war auch gut so .
Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass sich Adoptivelternals Erziehende zweiter Klasse fühlen oder fühlen müss-ten .
Ich finde, das ist schon harter Tobak. Liebe Kolleginnenund Kollegen von der Partei Die Linke, Sie sind immerganz schnell dabei, wenn es um Skandalisierung geht .Aber wenn man alles zu einem Skandal macht, dannerkennt man irgendwann den wirklichen Skandal nichtmehr, und es gibt auch keine Superlative mehr, um ihndann noch zu beschreiben .
Sie tun so und Sie unterstellen, als würde sich dieseBundesregierung nicht um die Belange der Adoptivel-tern kümmern und als würde die notwendige pauschaleRegelung nur und ausgewählt Adoptiveltern treffen . We-der das eine noch das andere ist der Fall . Die pauschaleRegelung trifft leider genauso Väter, die im zweiten Le-bensjahr des Kindes die Erziehung übernommen haben .
Wenn die einen Eltern zweiter Klasse sind, sind dann dieanderen, die von der Pauschale profitieren, auf einmal diePremiumeltern, diejenigen, die ihr Kind in der Zeit nichtversorgt haben und trotzdem den Entgeltpunkt bekom-men? Hier wird doch schon deutlich, wie absurd der Vor-wurf ist, den Sie gegen uns erheben . Es geht hier nichtdarum, eine Gruppe zu benachteiligen oder zu bevortei-len . Es ging und es geht darum, 9,5 Millionen Mütterneine höhere Rente auszuzahlen .
Alle Adoptiveltern, die noch nicht in Rente sind, wer-den genauso behandelt wie leibliche Eltern . Ich weiß sehrwohl um die besonderen Herausforderungen für Adoptiv-eltern . Oftmals sind es seelisch verletzte Kinder, die nichtnur schöne Erlebnisse in ihrem bisherigen Leben hatten .Die Eltern haben oft vorher lange gelitten, weil sie keineeigenen Kinder bekommen konnten . Hinzu kommt derMarkus Kurth
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langjährige Adoptionsprozess mit Eignungsprüfung usw .usf . Das alles ist eine große Belastung . Umso schöner istes, dass sich Mütter und Väter der Aufgabe stellen undKindern eine neue Familie geben .
Aber vieles am Verfahren und bei der Unterstützungder Eltern und Kinder kann und muss verbessert wer-den . Deswegen ist es gut, dass mit der Einrichtung ei-nes Forschungszentrums für Adoption durch MinisterinSchwesig eine Plattform geschaffen wurde, wo über Pro-bleme im Zusammenhang mit dem Thema Adoption dis-kutiert und geforscht werden kann . Dieses Projekt hat imNovember letzten Jahres die Arbeit aufgenommen undsoll uns, die Politik, beraten . Ich bin mir sicher, dass wirGutes daraus machen werden .
Aber natürlich profitieren Adoptiv- und Pflegeelternauch genauso von all dem, was wir für Familien tun, undzwar für alle; denn drei Dinge brauchen alle Familien:Geld, Zeit und gute Betreuung . Und das haben wir an-gepackt .Mit der Erhöhung des Kinderfreibetrags und desKindergeldes, mit der Erhöhung des steuerlichen Ent-lastungsbetrags für Alleinerziehende und der Erhöhungdes Kinderzuschlags haben wir insgesamt 5,3 MilliardenEuro für Familien mobilisiert .
Mit dem Elterngeld Plus unterstützen wir Familien fürmehr Zeit und Partnerschaftlichkeit .Und das Familienministerium unterstützt mit zahlrei-chen Programmen die Betreuung von Kindern . Insge-samt geben wir in dieser Legislaturperiode 1 MilliardeEuro für den Kitaausbau aus und unterstützen ab nächs-tem Jahr die Kitas mit 100 Millionen Euro jährlich beiden Betriebskosten .Das kann sich wahrlich sehen lassen .
Es gibt für uns keine Eltern erster oder zweiter Klasse .Davon profitieren alle Familien.
Alle Familien brauchen eine passende Unterstützung;denn es gibt keine größere und keine schönere Aufgabe,als Kinder großzuziehen .
Es ist der SPD vollkommen egal, ob die Eltern leiblicheEltern oder Adoptiv- oder Pflegeeltern sind,
ob sie verheiratet sind oder nicht, ob sie als homosexu-elles Paar oder als Mann und Frau ein Kind erziehen, obsie alleine oder zusammen ein Kind großziehen, ob sie inDeutschland großgeworden sind oder früher oder geradeerst zu uns gekommen sind . Alles das macht für uns kei-ne Unterschiede .
„Mit Kindern zusammen zu sein ist Balsam für dieSeele“, sagt der kluge Dostojewski . Es ist ein Glück, mitKindern zusammen zu sein, und es ist unsere Aufgabe,es allen Familien leichter und ein bisschen einfacher zumachen .Glück auf!
Die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Es ist doch gar keine Frage,dass es im Sommer 2014 für Millionen deutscher Frauenrichtig gute Nachrichten gab . Wir hatten die Mütterrenteauf den Weg gebracht, und die Erziehungsleistung vonMillionen Frauen, die wiederum Millionen Kinder groß-gezogen haben, wird seitdem finanziell besser anerkannt.Herr Kollege Birkwald, geben Sie sich einen Ruck! Daswar eine richtig gute Aktion . Das können Sie einfach ein-mal zugeben .
All diese Frauen hatten, als ihre Kinder klein waren,kein Recht auf einen Krippen- oder Kindergartenplatz,sie hatten kein Elterngeld und keine Partnermonate . Siemussten in aller Regel wirklich zurückstecken – vielmehr, als wir das mussten , in vielen Bereichen des Le-bens . Mit dem zusätzlichen Rentenpunkt wird dieseLeistung, die für unseren Generationenvertrag so enormwichtig ist, finanziell mehr als bisher gewürdigt. Auf die-ses Mehr an Gerechtigkeit können wir alle, wie ich mei-ne, wirklich stolz sein . Und auch auf den reibungslosenAblauf und auf die schnelle Umsetzung dieses Projektskönnen wir wirklich stolz sein . Das hat gut und schnellgeklappt .
Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele dafür nennen, wervon unserer „schönen Mütterrente“, wie Sie es bezeich-net haben – es ist nämlich wirklich eine schöne Mütter-rente –, profitiert:Dagmar Schmidt
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Da ist zum Beispiel die 80-jährige Großmutter, diedrei Kinder großgezogen hat; sie ist der Normalfall . Siespürt diesen zusätzlichen Entgeltpunkt pro Kind auf ih-rem Konto recht deutlich . Vielleicht unterstützt sie damitauch schon ihren Enkel, der dann wieder ein Beitrags-zahler wird .In ganz wenigen Fällen haben auch früher schon Vä-ter die Erziehung übernommen . Wenn diese das Kind imersten Lebensjahr erzogen haben, dann bekommen auchdiese Männer die Mütterrente .Freuen kann sich aber zum Beispiel auch das Ehepaar,Ende 70, das zwei Kinder, jeweils im ersten Lebensjahr,adoptiert hat . Auch seine Erziehungsleistung wird mitdem zweiten Entgeltpunkt berücksichtigt .Diese Beispiele bilden die weit mehr als 90 Prozentder Bestandsrentner ab, bei denen das Geld auf jeden Fallan der richtigen Stelle ankommt . Sie konnten sich ab dem1 . Juli 2014 über eine etwas höhere Rente freuen . Dassdie Auszahlung so schnell und reibungslos vonstatten-ging, das war eben tatsächlich nur durch eine Pauschaleund damit auch durch eine einfache Regelung bei denBestandsrenten möglich . Wer schon im ersten Lebens-jahr die Kindererziehungszeit angerechnet bekommenhat, der bekam auch das zweite Jahr angerechnet . In Ein-zelfällen – und es sind wirklich Einzelfälle –
kann dies tatsächlich dazu führen, dass man sich benach-teiligt fühlt . Auch dafür möchte ich Ihnen Beispiele nen-nen:Dazu zählen die von Ihnen von der Linken angespro-chenen Adoptiveltern, die ein Kind erst zwischen dem13 . und dem 24 . Lebensmonat adoptiert haben .
Für sie ist diese Anrechnung nicht mehr möglich . Die-ser Rentenpunkt wird noch der leiblichen Mutter gutge-schrieben . Aber es ist auch völlig klar, dass diese Leis-tung nicht weniger gewürdigt wird .
Dazu zählen auch die Fälle, in denen der Vater imzweiten Jahr die Erziehung von der Mutter übernommenhat, und auch die Fälle, in denen das Kind nach dem ers-ten Jahr in einer Pflegefamilie wieder zur leiblichen Mut-ter zurückgekehrt ist .In all diesen Fällen – da haben Sie recht – kann manmeinen, dass man ungerecht behandelt wurde . Hätte manaber diese Fälle verhindern wollen, hätte man mehr als9 Millionen Frauen anschreiben müssen, um jeweils diefrühe Biografie ihrer Kinder abzufragen: Wer hat wanndas Kind erzogen? Gab es Pflege- oder Adoptiveltern?
Abgesehen davon, dass vermutlich HunderttausendeBriefe gar nicht angekommen oder zurückgekommenwären, hätte es sicher auch sich widersprechende An-gaben gegeben . Diese Fälle hätten dann erst einmal garnicht bearbeitet werden können . Die Überprüfung wäreeine Arbeit für Jahre gewesen . Auch die Auszahlung deszusätzlichen Rentenpunkts hätte sich dann um Jahre ver-zögert . Das hätte eben nicht nur Zeit, sondern auch Geldgekostet – Geld der Beitragszahler, das, wie ich meine,besser in Renten investiert ist als in bürokratische Groß-aktionen .Auch Ihr Vorschlag, die Problematik mit einem An-tragsverfahren zu lösen, würde nicht sehr viel wenigerProbleme hervorrufen .
Auch das bindet selbstverständlich Ressourcen . Auchdort wird es sich widersprechende Angaben geben . Auchdas führt natürlich wieder zu der einen oder anderen Un-gerechtigkeit . Ob es rentenrechtlich überhaupt möglichwäre, sei dahingestellt .Auch deshalb bin ich zurückblickend überzeugt da-von, dass wir vor knapp zwei Jahren hier die richtigeEntscheidung getroffen haben . Für die teilweise ja auchschon sehr alten Frauen dieser Republik war es wichtig,dass eine politische Entscheidung wie die Einführung derMütterrente schnell getroffen worden ist . Wenn ich IhrenZahlen glauben darf, dann ist es so, dass tatsächlich über99 Prozent der Berechtigten von der Mütterrente auchwirklich profitieren. Das halte ich bei einer pauschalenRegelung, die sich schnell und einfach umsetzen ließ, füreine wirklich gute Quote .Die Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren sind unddie nach Sommer 2014 in Rente gegangen sind oder nochgehen werden, erhalten den zusätzlichen Rentenpunktohnehin ganz genau aufgeteilt nach ihrer Erziehungsleis-tung. Da ist es ganz egal, ob es leibliche Eltern, Pflegeel-tern oder Adoptiveltern sind .Ich meine also, die Mütterrente ist ein wirklich gutesProjekt . Stimmen Sie uns einfach zu, Herr Birkwald .Danke schön .
Ich schließe die Aussprache .Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der FraktionDie Linke mit dem Titel „Erziehungsleistung von Adop-tiveltern würdigen – Mütterrente anerkennen“ . Der Aus-schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/6222, den Antrag der Fraktion Die Linkeauf Drucksache 18/6043 abzulehnen . Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen angenommen .Dr. Astrid Freudenstein
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Ich rufe die Zusatzpunkte 4 bis 6 auf:ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPDMenschen- und umweltgerechten Ausbau derRheintalbahn realisierenDrucksache 18/7364ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPDMenschen- und umweltgerechte Realisierungeuropäischer SchienennetzeDrucksache 18/7365ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr und digitaleInfrastruktur zu dem Antrag derAbgeordneten Matthias Gastel, Kerstin Andreae,Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENFinanzierung eines bürgerfreundlichen undumweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahnjetzt sicherstellenDrucksachen 18/6884, 18/7388Zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU undSPD zum Ausbau der Rheintalbahn liegt ein Änderungs-antrag der Fraktion Die Linke vor .Weiterhin liegt zu dem Antrag der Fraktionen derCDU/CSU und SPD zur Realisierung europäischerSchienennetze ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen vor .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich bitte jetzt, die nötigen Umgruppierungen, Verab-schiedungen und Gespräche zügig abzuwickeln .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parla-mentarische Staatssekretär Norbert Barthle für die Bun-desregierung .N
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Meine sehr verehrten Bürgermeisterund Vertreter der Bürgerinitiative auf der Zuschauertri-büne!
Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie leben in einem Hausim Rheintal, an dem vielbefahrenen Schienenweg dort .Dann fährt, die Nachtstunden eingerechnet, alle sechsMinuten ein Güterzug an Ihrem Haus vorbei . Wenn unse-re Verkehrsprognosen stimmen, dann wird in zehn Jahrenalle vier Minuten ein Güterzug an Ihrem Haus vorbeidon-nern . – Daran sehen Sie, glaube ich, meine sehr verehrtenDamen und Herren, wie hoch der Handlungsbedarf istund dass es gilt, eine Lösung für die Lärmproblematik ander meistbefahrenen Schienenstrecke Europas zu finden.Es war eine jahrelange, eine sehr mühsame Arbeit, einRingen um Ausgewogenheit und Interessenausgleich .Umso erfreulicher ist das Ergebnis, das wir jetzt erreichthaben; denn dieses Ergebnis wird der enormen Bedeutungder Rheintalbahn als grenzüberschreitender Schienenma-gistrale in vollem Umfang gerecht . Das ist ein guter Tagfür Deutschland, ein guter Tag für Baden-Württemberg,aber vor allem auch ein guter Tag für das Rheintal .
Meine Damen und Herren, diese Strecke ist Bestand-teil des Güterverkehrskorridors 1 von Zeebrugge—Antwerpen bzw . Rotterdam über Mailand nach Genuaund damit das Herzstück des EU-KernnetzkorridorsRhein-Alpen . Gleichzeitig ist sie Zulaufstrecke zur Neu-en Eisenbahn-Alpentransversale, kurz NEAT genannt, inder Schweiz. Wir kommen somit unserer Verpflichtungnach – das sage ich auch ausdrücklich im Namen derBundesregierung –, diese Trasse viergleisig auszubauen,um damit die Durchgängigkeit herzustellen, auch in un-sere Nachbarländer hinein .Ich will als Allererstes allen danken, die an der Erar-beitung dieser Anträge zum menschen- und umweltge-rechten Ausbau der Rheintalbahn mitgewirkt haben . Al-len voran danke ich Bundesverkehrsminister AlexanderDobrindt . Ich denke, ohne seinen Einsatz am Dienstag-morgen wäre der Knoten nicht durchschlagen worden .Jetzt ist er durchschlagen, und das haben wir auch einStück weit ihm zu verdanken .
Ich will aber auch ausdrücklich den Kolleginnen undKollegen Abgeordneten aus der Region danken, die sichseit Jahren für dieses Projekt eingesetzt haben . Nament-lich nenne ich Armin Schuster, Peter Weiß und Maternvon Marschall .
– Sicherlich gab es da noch mehr Abgeordnete; derenNamen sind mir im Moment allerdings nicht so präsent .
Ich will ausdrücklich aber auch Herrn StaatssekretärOdenwald aus unserem Hause danken, der über langeZeit hinweg die Sitzungen des Projektbeirats Rheintal-bahn moderiert hat, der vor Ort Vertreter des Bundes, desLandes, der Region, der Deutschen Bahn und der Bürger-initiativen um sich versammelt und diesen Prozess zu ei-Vizepräsidentin Petra Pau
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nem glücklichen Ende gebracht hat . So sind die Empfeh-lungen des Projektbeirates entstanden .
– Selbstverständlich . Es waren noch mehr Kollegen mitgroßem Einsatz beteiligt: Uli Lange, Kollege Vaatz, garkeine Frage, auch Kollegen aus der Koalition .
Ich erinnere daran, dass wir bereits in der vergan-genen Legislaturperiode hier im Deutschen BundestagBeschlüsse gefasst und einzelne Empfehlungen des Pro-jektbeirates aufgegriffen haben . Die jetzt vorliegendenEmpfehlungen finden sich in den Anträgen wieder, unddas ist auch gut so . Ich betone ausdrücklich: Es ist schonaußergewöhnlich, dass Empfehlungen eines solchenGremiums direkt in die Entscheidungsfindung des Par-laments einfließen.
Das ist etwas außergewöhnlich – das sage ich ausdrück-lich –; denn damit verschwimmt die Trennung zwischenExekutive und Legislative .
Darüber müssen wir uns im Klaren sein . Aber das ist imvorliegenden Fall nicht zum Schaden, sondern sicherlichzum Vorteil für alle Beteiligten .Es ist eine Lösung entstanden, die im Interesse derBürger entlang dieser Bahnlinie zwischen Karlsruhe undBasel ist . Ganz offensichtlich sind wir zur Realisierungvon großen Infrastrukturprojekten darauf angewiesen,eine Akzeptanz der Menschen vor Ort zu erreichen undsie entsprechend einzubinden . Anders würde es sehrschwierig, überhaupt noch etwas zu realisieren .Wir hören ja oft die Forderung, noch mehr Verkehr,vor allem Schwerlastverkehr, von der Straße auf dieSchiene zu verlagern . Das ist richtig; aber man muss sichdarüber im Klaren sein, dass damit mehr Lärm und dieAnforderung einhergehen, etwas gegen diesen Lärm zumachen . Das heißt, die Lärmfrage muss gelöst werden .Deshalb hat für uns, das BMVI, Lärmschutz hohe Pri-orität . Wir geben erhebliche Summen an Geld aus, umLärm zu mindern, insbesondere durch Lärmschutz ander Quelle, eine Anpassung der rechtlichen Vorschriftenund stationären Lärmschutz . Für diese drei Maßnahmenstehen wir ein, wobei wir der Auffassung sind, dass dieeffizienteste und nachhaltigste Methode, Lärm zu min-dern, die Minderung des Lärms an der Quelle ist – da-rauf konzentrieren wir uns insbesondere –, durch leisereFahrzeuge . Dafür gilt es, lärmarme Bremstechniken zuentwickeln und Güterwagen entsprechend umzurüsten .Wenn es gelingt, die Abrollgeräusche eines Güterwagensum 10 Dezibel zu reduzieren, dann nimmt der Menschdas als Reduzierung der Lautstärke um die Hälfte wahr,und das ist ein wirklich guter Wert . Wir tun alles, um wei-tere Fortschritte zu erreichen, insbesondere was die Re-duktion des Lärms an der Quelle anbelangt . Das ist ausunserer Sicht allemal besser, als in den laufenden Verkehreinzugreifen . Wer Lärm über Tempolimits oder sonstigeMaßnahmen mindert, der geht im Grunde genommenden falschen Weg . Wir müssen an der Quelle ansetzen;denn das ist die nachhaltigste Methode .Abschließend darf ich nochmals erwähnen, dass wireinen Zustand erreicht haben, bei dem wir weit über dasgesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus Geld in die Handnehmen, um die Bürgerinnen und Bürger vor Ort vorLärm zu schützen . Für das Rheintal ist es gut, dass esgelungen ist, so vorzugehen . Das wird in dem einen oderanderen Fall vielleicht auch andernorts noch gelingen .Danke .
Vielen Dank, Kollege Barthle . – Einen schönen Nach-
mittag von meiner Seite Ihnen! Die nächste Rednerin in
der Debatte: Sabine Leidig für die Linke .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste von der Bürgerinitiative! Man könnte diesenTagesordnungspunkt eigentlich mit dem Satz überschrei-ben: Was lange währt, wird endlich gut, aber nicht gutgenug . – Das muss man ganz deutlich sagen .
Herr Barthle, was bei Ihnen in der Koalition los ist, isteigentlich relativ irrelevant . Entscheidend ist, dass sichdie Leute aus den Bürgerinitiativen am Oberrhein seit30 Jahren gegen die unsinnigen Pläne der Bahn zur Wehrsetzen, noch mehr Güterzüge durch eine dicht bebauteRegion mitten durch die Ortschaften zu schicken, anstattAlternativen zu wählen, die von Anfang an vorgeschla-gen worden sind:
die Alternative, einen Tunnel durch Offenburg zu bauen,die Alternative, die Eisenbahn- und die Güterbahntrassean die Autobahn zu legen, wo der Lärmschutz für beideVerkehrswege organisiert werden kann . Das wird jetztbeschlossen; das ist hervorragend . Aber ich möchte ein-mal deutlich sagen: Diese Bürgerinitiativen haben langedafür gekämpft . 5 000 Leute sind Mitglied in diesem Zu-sammenschluss . 48 500 Einwendungen sind geschriebenworden, um auf die Prozesse Einfluss zu nehmen. DieBürgerinitiativen haben viel Geld ausgegeben, um Gut-achten, Lärmmessungen usw . erstellen zu lassen . Es isttoll, dass es hier gelungen ist . Das hat auch damit zu tun,dass in Baden eine widerständige Kompetenz und Tradi-tion vorhanden sind .
Parl. Staatssekretär Norbert Barthle
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Das hat aber auch damit zu tun, dass die Auseinander-setzung mit Stuttgart 21 viele zum Nachdenken gebrachthat .
Es geht doch darum, dass für alle Bürgerinnen und Bür-ger dieses Maß an Beteiligung, dieses Reden über Al-ternativen selbstverständlich wird . Das ist Demokratie,Herr Barthle, und keine Ausnahmeerscheinung .Ich möchte noch einmal deutlich sagen, dass wir alsLinke fordern, dass die Vorschläge von betroffenen Bür-gerinnen und Bürgern in gleicher Weise zurate gezogenwerden wie die Vorschläge der Planer, der Bahn, und esdamit tatsächlich eine echte Bürgerbeteiligung, ein ech-tes Beraten über Alternativen von Anfang an gibt . Dashaben wir übrigens schon 2010 beantragt .Sie haben nun in den Antrag, den Sie vorgelegt ha-ben, um die Vorschläge des Projektbeirates in Gesetzes-form zu gießen, eine Sache eingefügt, die ich überhauptnicht verstehe und der wir widersprechen . Deshalb habenwir einen Änderungsantrag eingebracht . Sie schreibendort, dass der Ausbau der Bestandsstrecken auf 160 bis250 Kilometer pro Stunde erfolgen soll . Sie wissen wahr-scheinlich, was das heißt . Wenn ein ICE 250 Kilometerpro Stunde fahren soll, dann müssen sämtliche Bahnhöfeumgebaut werden . An diesen Strecken muss also unheim-lich viel investiert werden, um die Hochgeschwindigkeitzu realisieren . Die Bahn selber sagt, dass die Züge, wennsie statt mit 230 mit 250 Kilometern pro Stunde rasen,auf dieser Strecke nur 31 Sekunden Zeit einsparen .
Ich bitte Sie: Wenn man geschätzt 300 bis 400 Millio-nen Euro zusätzlich für einen Zeitgewinn von maximal31 Sekunden ausgeben will, dann ist da etwas verkehrt .Wir beantragen also – das sagen übrigens auch die Bür-gerinitiativen –, dass 230 Stundenkilometer genug sind .Damit ist die Bahn schnell genug, und damit könnte manviel Geld sparen .
Ich möchte einen weiteren Punkt anführen . Es ist gut,dass jetzt am Oberrhein und am Hochrhein vernünftigeLösungen gefunden und durchgesetzt worden sind . Aberes ist nicht gut, dass überall anders im Land – nicht nuram Mittelrhein, in Rheinland-Pfalz, in Hessen, sondernauch an der Elbe, im Kinzigtal und überall dort, wo im-mer mehr und immer schwerere und längere Güterzügedurch die Ortschaften fahren – ganz andere Maßstäbe an-gelegt werden. Ich finde, es ist die Verantwortung dieserBundesregierung, mit vernünftigen Lärmschutzmaßnah-men, mit alternativen Trassenführungen für den Schutzder Anwohnerinnen und Anwohner zu sorgen, auch wennes mehr Geld kostet . Das ist das Recht der Bürgerinnenund Bürger, auch dort, wo es keine finanzstarken unddurchsetzungsstarken Bürgerinitiativen gibt, weil es zumBeispiel viele kleine Ortschaften sind, die sich schwervernetzen können .In diesem Sinne haben wir in den letzten Jahren be-reits mehrfach beantragt, dass der Lärmschutz verbes-sert wird, und zwar überall, entlang der Schiene und derStraße, und dass es eine Selbstverständlichkeit sein muss,dass die gesundheitliche Unversehrtheit der Bürgerinnenund Bürger im Mittelpunkt steht und nicht die Kostener-sparnis für den einen oder anderen Verkehrsweg .Vielen Dank .
Vielen Dank, Kollegin Leidig . – Wir haben ein klei-
nes Problem mit der Uhr; deshalb war es hier so unruhig .
Wenn die bei Ihnen nicht rückwärtszählt, dann heißt das
nicht, dass Sie unbegrenzt reden dürfen .
Ich würde Sie bitten, darauf zu achten . Wir arbeiten
jetzt mit den traditionellen Weckern und hoffen, dass das
klappt . – Also, liebe Annette Sawade, Sie haben vier Mi-
nuten . Schauen wir mal, wie Sie das hinkriegen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine lieben Kolleginnen und Kollegenaus dem südbadischen Raum der SPD-Fraktion, ElviraDrobinski-Weiß, Johannes Fechner und unsere Staatsse-kretärin Rita Schwarzelühr-Sutter,
ich danke ganz herzlich, dass Sie alle mitgemacht haben,dass ihr alle mitgemacht habt und dass wir dieses Projektnach vorn gebracht haben . Danken möchte ich an dieserStelle natürlich auch unserer Sprecherin der AG Verkehr,Kirsten Lühmann, die sich heftigst dafür eingesetzt hat,dass wir zu diesem Ergebnis gekommen sind .
– Frau Hagedorn wird erwähnt; sie wird nachher auchnoch reden, keine Sorge .Liebes Publikum auf der Tribüne, liebe IG BOHR, lie-be andere Mitstreiter für dieses große Projekt, eine kleineFrage an Sie alle: Kennen Sie das Märchen vom Frosch-könig oder vom eisernen Heinrich?
Dem eisernen Heinrich sind nämlich vor Freude überdie Rückwandlung seines Chefs in einen Menschen dieeisernen Bänder um sein Herz mit lautem Knall gesprun-gen . Ich glaube, uns allen ging es ein wenig so, als end-lich diese beiden Anträge vor uns lagen, sodass wir heutedarüber beschließen können .Sabine Leidig
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Aber zurück zur Realität; denn zum Glück befindenwir uns nicht im Märchenland, sondern in der Realität derUmsetzung eines wichtigen Verkehrsprojektes . Im letztenJahr stand ich mit meinem Kollegen Johannes Fechner inHerbolzheim. Für die geografisch in Baden-Württembergnicht so ganz Fitten: Das ist ein schönes Städtchen an derRheintalbahnstrecke im südlichen, badischen Teil vonBaden-Württemberg . Ich stand aber nicht nur einfachda, sondern ganz hoch oben auf einer Feuerwehrleiter .Diesen technischen Aufwand haben der Bürgermeisterund die Anwohner extra für mich inszeniert, weil sie mirzeigen wollten, wie hoch die Lärmschutzwände für einenabsoluten Lärmschutz sein müssten, wenn die Gleise 3und 4 der Rheintalbahn für den Güterverkehr gebaut wer-den . Deshalb freue ich mich umso mehr, dass ich heutehier vor Ihnen allen stehe und nicht auf einer Feuerwehr-leiter und zu diesem wichtigen Projekt reden darf .Wir halten ein Ergebnis in den Händen, an dem sehrviele beteiligt waren . Bei diesen vielen möchte ich michausdrücklich bedanken; denn ohne sie, ohne die Bürger-initiativen und ohne die zahlreichen Gespräche – hierschließe ich meine Kollegen in den einzelnen Fraktionenmit ein –, ohne zahlreiche Kompromisse, Verhandlungenund Schulterschlüsse wären der Beschluss des Projekt-beirates und in Folge diese Anträge nicht zustande ge-kommen .
– Herr Strobl, dass das klar ist: Das geht alles zulastenmeiner Redezeit .Es geht beim Ausbau der Rheintalbahn natürlich umviel Geld; aber es geht noch um etwas ganz Entscheiden-des: Es geht darum, dass wir jetzt und in Zukunft eineneue Nachhaltigkeit in der Verkehrspolitik wollen . Ichspreche als Verkehrspolitikerin zu Ihnen, und ich habesehr konkrete Vorstellungen von nachhaltiger Politik imVerkehrsbereich . Ich meine damit: im Prozess mehr Bür-gerbeteiligung in betroffenen Regionen und im Ergebnisdadurch mehr Schutz für Mensch und Umwelt .Ein Kernanliegen der Politik – von uns im Koalitions-vertrag auch so beschlossen – ist: Ja, wir wollen mehrGüter und Verkehr auf die Schiene bekommen . Und werwürde sich einem Lärmschutz, der diesen Namen auchverdient, entgegenstellen? Genau an diesem Punkt, liebeKolleginnen und Kollegen, müssen wir das Paradoxonauflösen. Mehr Züge machen mehr Lärm. Also brauchenwir auch mehr Lärmschutz .
Wir wollen nicht, dass wichtige Verkehrsprojekte ohneRückhalt und Akzeptanz aus der Bevölkerung umgesetztwerden .Beim Ausbau der Rheintalbahn, um den es im erstenAntrag geht, sollen die Anwohnerinnen und AnwohnerLärmschutz über das gesetzliche Maß hinaus erhalten .Das heißt im Klartext: nicht nur Lärmschutz, wie ge-setzlich vorgeschrieben, sondern darüber hinaus . Wirstellen in diesem Fall die haushaltsrechtlichen Vorgabenzur Wirtschaftlichkeit, wie es auf Amtsdeutsch so schönheißt, zurück . Das grün-rote Kabinett und der Landtagvon Baden-Württemberg haben bereits am 1 . Dezemberden Landesbeitrag für die erhöhten Lärmschutzkosten inHöhe von circa 280 Millionen Euro beschlossen .
Nun stehen wir als Bund in der Pflicht.Es ist festzuhalten: Die Rheintalbahnstrecke gehört zuden transeuropäischen Netzen, den TEN . Deutschland istwirtschaftlich stark – der Wirtschaftsminister hat es heuteMorgen in seiner Rede betont –, und es ist ein Transit-land: sechs Korridore von insgesamt neun TEN-Streckendurchkreuzen unser Land . Es muss doch in unser allerInteresse sein, diese Strecken einerseits auszubauen, an-dererseits aber die unmittelbar Betroffenen nicht mit demverstärkten Verkehrslärm alleinzulassen .
Denken Sie an die Redezeit? Sie ist schon deutlich
überschritten .
Ja, ich bin gleich fertig .
Wir dürfen gerade in der Verkehrspolitik das große
Ganze nicht aus den Augen verlieren . Es geht hier nicht
um einzelne autarke Baustellen und Projekte . Nein, wir
brauchen ein funktionierendes Netz, und dafür brauchen
wir ein Gesamtkonzept und vorausschauendes Denken .
Zum Schluss möchte ich die Worte der IG BOHR aus
dem Jahr 2008 aufgreifen – ich zitiere –:
An ALLE, die sich angesprochen fühlen, geht dafür
– für diese Zusammenarbeit –
ein herzliches Dankeschön! Dank für Ihre Geduld
und den Zeitaufwand, Dank für Ihre Offenheit und
Ihr Vertrauen . Und als Fortsetzung wünschen wir
uns: Mögen Sie uns bis zu einem erfolgreichen Ab-
schluss in Berlin begleiten!
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitstreite-
rinnen und Mitstreiter, es sind Jahre vergangen; aber wir
haben es geschafft . Nun schließen wir erfolgreich ab und
unterstützen eine rasche Umsetzung .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Nächster Redner ist
Matthias Gastel für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Sehr gerne hätte ich schon einige Monate früher hier ge-standen und über den Ausbau der Rheintalbahn und ei-Annette Sawade
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nen besseren Lärmschutz gesprochen . Sehr gerne hätteich hier zusammen mit Kolleginnen und Kollegen vonCDU/CSU, SPD und Linken einen gemeinsamen Antragzu diesem Thema vorgestellt .
Leider sieht die Wirklichkeit anders aus . Unsere Bemü-hungen um einen gemeinsamen Antrag wurden von derCDU/CSU abgeblockt .
Stattdessen haben sich Union und SPD viel zu lange umeinen Koalitionsantrag gestritten .Baden-Württemberg kann hier als Vorbild dienen . DerLandtag hat schnell seine Beschlüsse gefasst, und das aufGrundlage eines fraktionsübergreifenden Antrages . Re-gieren ist eben eine Stilfrage .
Der Landtag von Baden-Württemberg hat dies im Geis-te des Projektbeirates getan . Auch dort wurde an einemStrang gezogen . Auch dort wurde gemeinsam nach Lö-sungen gesucht, und es wurden gemeinsame Empfehlun-gen ausgesprochen .
Für diese hervorragende, konstruktive Arbeit des Pro-jektbeirates und das große Engagement von Bürgerinnenund Bürgern sagen wir ein herzliches Dankeschön . Wirdrücken ihnen allen unseren Respekt für die geleistetekonstruktive Arbeit aus .
Nun liegen im Bundestag zwei Anträge zur Rheintal-bahn vor, einer von uns Grünen und einer von den Re-gierungsfraktionen . Beide Anträge sind nahezu inhalts-gleich . Wir werden beiden Anträgen zustimmen;
denn es geht um die Sache und nicht um parteipolitischeSpielchen .
Auf zwei Unterschiede muss ich aber hinweisen . ImAntrag von uns Grünen wird gefordert, dass Öffentlich-keit und Kommunen auch im weiteren Planungsverlaufeng eingebunden werden . Der Geist des Miteinanders,der Offenheit und der Transparenz muss die weiterenProzesse begleiten .
Im Antrag von Union und SPD wird festgeschrieben,dass die Bestandsstrecke zwischen Offenburg und Riegelauf Tempo 250 ausgebaut werden soll . Wir halten diesfür voreilig; denn Hochgeschwindigkeit ist kein Wert ansich . Wir brauchen in Deutschland verlässliche Reiseket-ten . Dafür steht der Deutschland-Takt . Die Infrastruk-tur ist daran anzupassen . Dafür braucht es langfristigeFahrplanberechnungen . Erst dann wissen wir, welcheStrecken auf welche Geschwindigkeit ausgebaut werdenmüssen .
Die Rheintalbahn ist von herausragender Bedeutungfür den Personen- und den Güterverkehr . Sie stellt schonheute einen Engpass dar . Wir als Grüne wollen aus Um-weltgründen höhere Verkehrsanteile für die Schiene .Dazu brauchen wir den Ausbau . Daher gilt es, nun keineweitere Zeit zu verlieren . Wir wollen auch kein weiteresGeld für unsinnige Planungen verlieren . 55 MillionenEuro an Planungskosten wurden bereits vergeudet . Anden Mehrkosten für den zusätzlichen Lärmschutz betei-ligt sich Baden-Württemberg freiwillig .
Das darf nicht zum Standard werden; denn Länder-haushalte sind nicht dafür gemacht, Bundesaufgabenzu übernehmen . Wie viel Lärmschutz für die Menschenumgesetzt wird, darf nicht von der Finanzkraft einzelnerBundesländer abhängen .
Hier muss der Bund seiner Verantwortung für die Men-schen in allen besonders betroffenen Regionen gerechtwerden . Nicht alle Wünsche aus den Regionen entlangder Rheintalstrecke können erfüllt werden; aber die Men-schen in allen betroffenen Regionen werden von verbes-serten Planungen profitieren.Wir Grünen wollen mehr Verkehr auf der Schiene .Dazu braucht es Akzeptanz, und für Akzeptanz brauchtes mehr Anstrengungen in Sachen Lärmschutz; dennLärmschutz ist auch Gesundheitsschutz, und zwar nichtnur entlang der Rheintalbahn, sondern auch andernorts .Daher unterstützen wir Grünen den zweiten heute zurAbstimmung vorgelegten Antrag der Koalition . Damitsoll der Lärmschutz an europäischen Güterverkehrskor-ridoren verbessert werden .
Mehr Geld für den Lärmschutz darf aber nicht dazu füh-ren, dass weniger Geld für den Ausbau der Schienenwe-ge übrigbleibt . Deswegen haben wir einen Änderungsan-trag gestellt .Mein Fazit: Es hat lange gedauert, und ich bedaure,dass kein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen im Bun-destag zustande gekommen ist . In der Sache sind wir unsaber weitgehend einig: Die Weichen werden in Richtungmehr Verkehr auf der Schiene gestellt, und in Lärm-schutzbelangen kommen wir den Menschen im Rheintal,aber auch im Rest der Republik deutlich entgegen . Dasist praktizierter Gesundheitsschutz . Mehr Bahn, wenigerLärm – das setzen wir heute aufs Gleis .
Matthias Gastel
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Vielen Dank, Matthias Gastel . – Der nächste Redner in
der Debatte: Steffen Bilger für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inder Tat: Endlich ist es so weit . Mich selbst beschäftigtdas Thema Rheintalbahn seit meiner Wahl in den Bun-destag im Jahr 2009 . Was war seitdem? Wir haben in dervergangenen Legislaturperiode bereits zwei Beschlüssezur Rheintalbahn im Bundestag gefasst . Ich blicke zu-rück auf zahlreiche Besuche vor Ort mit meinen Bun-destagskollegen Armin Schuster und Peter Weiß, die sichwirklich unermüdlich für die Anliegen der Bürger ihrerWahlkreise eingesetzt haben . Ich blicke zurück auf vieleGespräche mit Kommunalpolitikern und den Bürgeri-nitiativen . Es wurde gerade schon gesagt: Wir konntennicht alle Wünsche erfüllen . Aber ich glaube, insgesamtkonnten wir doch ein gutes Ergebnis erzielen . Auch vonmir gilt: Herzlich willkommen; ich freue mich auf denEmpfang der Bürgerinitiativen nachher .
Die Uhr funktioniert wieder . Sie zeigt seit einer Mi-nute an, dass ich noch sechs Minuten Redezeit habe . Daskann ich nur begrüßen .
Ende Dezember war in der Welt von der Rheintalbahnzu lesen . Die Rheintalbahn wurde erstaunlicherwei-se in einem Artikel mit der Überschrift „Das waren diedümmsten und teuersten Gesetze 2015“ unter „skurrileVerordnungen“ erwähnt . Ich war schon sehr überrascht,ausgerechnet unter solchen Schlagzeilen von der Rhein-talbahn zu lesen . Der einzige korrekte Satz zur Rhein-talbahn lautete: „Es war die CDU, die die Rheintalbahnunbedingt wollte .“ – Das stimmt nun wirklich .
Aber keine Sorge: Ich will gerne zugeben, dass sich auchdie anderen Fraktionen dafür eingesetzt haben .
Ansonsten waren in dem Artikel die üblichen Miss-verständnisse enthalten . Die Gespräche im Projektbeiratwurden zu Absprachen im Hinterzimmer, und Kostenex-plosionen wurden heraufbeschworen . – Lassen Sie michweitere Fehlinterpretationen der vergangenen Woche er-gänzen: mangelnde Transparenz im parlamentarischenVerfahren, obwohl wir bereits seit 2009 im Bundestag,insbesondere im Verkehrs- und im Haushaltsausschussimmer wieder über die Rheintalbahn und die Initiativenaus dem Projektbeirat diskutiert haben, oder auch, eshandele sich um ein teures Geschenk für den WahlkreisSchäuble . Das alles ist falsch . Es zeigt aber, dass wir im-mer wieder erklären müssen, weshalb unsere heutigenBeschlüsse berechtigt, sinnvoll und notwendig sind .Zurück ins Jahr 2009, als der Projektbeirat eingerichtetwurde . Warum wurde damals ein anderer Weg gewählt?Wir mussten erkennen, dass der bisherige Weg der Bür-gerbeteiligung bei solchen Großprojekten nicht mehrpassend war . Es sollte in Baden-Württemberg eben nichtnoch einmal so schwierig werden wie bei Stuttgart 21 .Aus Fehlern bei diesem Projekt wurden Lehren gezogen,die sich nun bei der Rheintalbahn ausgezahlt haben .
Es gibt viele Bürger, die sich mit Sachverstand einbrin-gen, berechtigterweise auf Probleme hinweisen und ge-meinsam mit ihren kommunalen Vertretern den Dialogsuchen . Nicht zuletzt müssen wir die durch mehr Ver-kehr zunehmenden Belastungen so gut wie möglich inGrenzen halten . Deswegen war es konsequent, dass wirbereits in der vergangenen Wahlperiode den Schienenbo-nus, also das Privileg des Schienenverkehrs – ihm wurdemehr Lärm zugestanden –, abgeschafft haben . Ich glau-be, das ist ein Erfolg, auf den man immer wieder hinwei-sen kann; denn das ist im Sinne der betroffenen Bürger .
Für die Einzigartigkeit der Rheintalbahn gibt es vie-le Gründe: Sie ist national wie international notwendig .Sie fungiert als Zubringer für den Gotthard-Basistunnel,und wir haben Verpflichtungen gegenüber der Schweiz.Auf die Auslastung dieser Strecke wurde schon hinge-wiesen – ich will sie trotzdem noch einmal ansprechen –:2025 erwarten wir 335 Güterzüge pro Tag; das sind um-gerechnet 14 Züge pro Stunde . Das ist eine wirklich ge-waltige Dimension .Bereits unter der CDU-geführten Landesregierung hatsich Baden-Württemberg entschlossen, mögliche Mehr-kosten für den zusätzlichen Lärmschutz anteilig zu über-nehmen . Auch deshalb ist es richtig und wichtig, dass wirnun beschließen, einen Teil der Mehrkosten für die Be-schlüsse des Projektbeirats zu übernehmen . Der Offen-burger Tunnel wird uns finanziell einiges abverlangen;aber es gibt keine andere realistische und rechtssichereVariante . Daher stehen wir auch zu diesem Großprojekt .Es geht um viel Geld; das wissen wir alle . Ich möchtedie Kollegen aus den anderen Bundesländern aber beru-higen: Der Ausbau der Rheintalbahn ist für den Steuer-zahler angesichts des enormen Güterverkehrs, der dortjetzt und in Zukunft verkehrt, ein gutes Geschäft; wie be-reits erwähnt, mindert die Beteiligung des Landes an denMehrkosten für zusätzlichen Lärmschutz die Belastungfür den Bundeshaushalt . – Wenn Sie heute zustimmen,tun Sie also genau das Richtige .Bedanken möchte ich mich für die Geduld der An-wohner und der Bürgerinitiativen . Zugegeben, vom Pro-
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jektbeiratsbeschluss im Juni 2015 bis jetzt hat es etwasgedauert; aber nun haben wir alle Klarheit darüber, dassder Kompromiss tatsächlich umgesetzt wird . Ich willauch sagen, dass es durchaus wohltuend war, im Dezem-ber die eine oder andere E-Mail bekommen zu haben, inder BI-Vertreter geschrieben haben, dass sie wegen derzeitlichen Verzögerung zwar in Sorge sind, aber um un-ser Bemühen wissen . Andere haben kräftig auf die Paukegehauen, was in einer so schwierigen Situation wie der,die wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, nichthilfreich und auch nicht erfreulich war .
Genauso wenig erfreulich waren die Störmanöver derGrünen, insbesondere in Form der Pressearbeit zur Frageeines gemeinsamen Antrags .
Lieber Herr Gastel, drei Mails in sechs Tagen – die letzteenthielt bereits die Androhung öffentlicher Anprange-rungen, wenn es nicht zu einem gemeinsamen Antragkommt – waren keine gute Grundlage für Ihr Anliegen,
und das alles in einer Zeit, als wir noch viel Grundsätzli-ches zu klären hatten .
Wie auch immer: Heute freuen wir uns alle über dengemeinsamen Erfolg . Vielen Dank noch einmal an alleBeteiligten, die sich an den verschiedensten Stellen fürdie Rheintalbahn eingesetzt haben .
Vielen Dank, Herr Kollege Bilger . Auch danke dafür,
dass Sie sich an die Redezeit gehalten haben! Nach un-
serer Uhr hätten Sie nämlich noch lange Zeit gehabt . Die
anderen mögen sich bitte ein Beispiel daran nehmen . –
Nächste Rednerin: Bettina Hagedorn für die SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer aus Baden-Württem-berg! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen:Die versprochene Umsetzung der Projektbeirats-forderungen zur Rheintalbahn stand zu keinemZeitpunkt zur Diskussion . Die Große Koalition hatwährend des gesamten Verfahrens klar die Umset-zung der betreffenden Kernforderungen zugesagt .Damit gewährleisten wir den Schutz der Menschenim Rheintal vor dem kommenden Schienenlärm .Dieses Zitat stammt aus einer gemeinsamen Presseer-klärung meines CDU-Kollegen Norbert Brackmannaus dem Haushaltsausschuss und mir vom 8 . Dezember2015 . Damals haben wir über die beiden Anträge, überdie wir heute abstimmen, in der Großen Koalition Einig-keit erzielt . Die SPD-Fraktion hat diese beiden Anträgeschon am 15 . Dezember 2015 einstimmig befürwortet .Nachdem die Union das jetzt am Dienstag auch getan hat,können wir heute darüber abstimmen . Das ist wunderbar .
Diese beiden Anträge sind bemerkenswert . Ich möch-te jetzt einmal, auch aus Respekt vor Ihrem Handeln, dasAugenmerk auf den zweiten Antrag zu den Güterschwer-verkehrstrassen in ganz Deutschland lenken . Ich bin jetztseit fast 14 Jahren in diesem Hause . Es ist das allerersteMal, dass dieser Bundestag eine parlamentarische Ini-tiative von solch einer Dimension unternimmt . Dennes werden nicht nur 1,5 Milliarden Euro zugunsten derRheintalbahn, sondern mit dem zweiten Antrag werdenperspektivisch für die nächsten 15 Jahre
auch Milliarden für andere Güterschwerverkehrstrassenin Deutschland zur Verfügung gestellt: vielleicht für dieBetuwe-Bahn in Nordrhein-Westfalen, für die Y-Trassein Niedersachsen, für die Hinterlandanbindung der Feh-marnbeltquerung oder andere . Unsere Große Koaliti-on tut dies, und zwar die Abgeordneten, lieber NorbertBarthle, und nicht das Verkehrsministerium und auchnicht das Finanzministerium .
Beide Ministerien waren von diesem Antrag nicht sehrbegeistert . Wir Abgeordneten setzen uns aber durch . Wirtun das auf Ihre Initiative hin .Wir nehmen das, was heute für das Rheintal be-schlossen wird, als Blaupause . Wir als Abgeordnetedes Bundestages wollen, dass bundesweit auch andereMenschen, die ebenfalls an Güterschwerverkehrstrassenwohnen, nach diesem Vorbild – natürlich mit Beteiligungder dortigen Länder – künftig mehr Lärmschutz über dasgesetzliche Maß hinaus erreichen können . Damit, liebeKollegin Leidig von den Linken, tun wir genau das, vondem Sie vorhin gesagt haben, dass wir es angeblich nichttun .
Wir nutzen den Antrag zur Rheintalbahn, um bun-desweite Standards an Güterschwerverkehrstrassen zuschaffen. Überall da, wo EU-Fördermittel fließen, wollenwir sie für übergesetzliche Maßnahmen zugunsten derMenschen einsetzen. Ich finde, das ist etwas, auf das dasSteffen Bilger
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201614986
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Parlament insgesamt richtig stolz sein kann . Das habenwir gut gemacht .
Vielen Dank, Bettina Hagedorn . – Nächster Redner:
Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ja, es ist geschafft mit der Rheintalbahn, und auch dieUhr am Rednerpult läuft wieder . Es war – ich sage dasganz offen – ein Schauspiel der ganz eigenen Art, lie-be Kollegin Hagedorn, das jetzt gerade wieder eine un-rühmliche Fortsetzung gefunden hat . Zu dieser Art derLegendenbildung muss ich durchaus noch zwei, drei Sät-ze sagen .
Eines ist klar: Die Rheintalbahn hat nicht nur denMenschen, sondern auch den Politikern den einen oderanderen Nerv gekostet . Ich sage vor allem mit Blick aufdie Menschen: Heute ist ein guter Tag . Denn wir habenuns, liebe Kollegin Hagedorn – Ihrer Legendenbildungmuss ich vorbeugen –, in der Fortsetzung unserer Be-schlüsse der letzten Wahlperiode zunächst mit einemganz konkreten Antrag zur Rheintalbahn befasst .
Sie, die Sie bei anderen Projekten eher ein wandelnderBundesrechnungshof der Wirtschaftlichkeit sind,
wollen jetzt gerade in dem Teil die große Kämpferingewesen sein . Nein, Sie waren Trittbrettfahrerin, und eswar eine Tortur .
– Ich lasse keine Zwischenfrage zu . Sie können nachmeiner Rede eine Anmerkung machen .Hauptsache ist: Lärmschutz an der Rheintalbahnkommt . Ich danke dem Projektbeirat . Ich danke ganz we-sentlich Staatssekretär Odenwald . Ich danke, lieber PeterWeiß, auch dir .
Ich gebe offen zu: Es hat manchmal genervt, wenn ichwieder eine SMS oder einen Anruf bekommen habe: Wirmüssen es doch noch einmal versuchen . – Aber so er-reicht man in all diesen Fällen etwas .Danke schön auch dafür, dass man mir das Rheintalgezeigt hat, lieber Armin Schuster und lieber Peter Weiß,wo ich hätte reden sollen, und zwar direkt an den Glei-sen . Das war natürlich auch so eine Aktion: Wie über-zeugt man einen Politiker, dass er reden soll? Man stelltBierbänke an ein Gleis, wo er nicht zum Reden kommt,weil dort so viel Verkehr ist .
Lieber Peter Bleser, ich habe dir gerade versprochen: Wirwerden für den Mittelrhein einmal den gleichen Versuchmachen . Dann werden wir sehen, ob wir auch hier wei-terkommen .Eines erreichen wir mit unserem zweiten Antrag sehrwohl: Wir eröffnen eine echte Chance für vergleichbarbelastete Strecken .
Ich sage ganz offen: Besonderer Lärmschutz für ver-gleichbar belastete Strecken, das ist Lärmschutz über dasgesetzliche Maß hinaus; das wissen wir .
Aber ich sage in aller Deutlichkeit auch: Es gilt zunächstdas Gesetz, und es gilt der Schienenbonus . Das ist aucheine Frage der Gerechtigkeit . Wir müssen abwägen, woes ganz besondere Gründe gibt, über das Gesetz hinaus-zugehen, und wo wir an unseren derzeit schon hohenStandards festhalten können und müssen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt schon einpaar Parameter, die wir in den zweiten Antrag aufgenom-men haben: Beteiligung der Länder, verfügbare Haus-haltsmittel und eine wirklich ganz besondere Situationim Hinblick auf die Belastung der Bürgerinnen und Bür-ger . In diesen Fällen wollen wir zusätzlichen Lärmschutzgarantieren . Aber ich sage auch ganz offen: Vor dem Ge-setz sind erst einmal alle gleich .
Lärmschutz ist für unsere Koalition ein wichtigesThema . Wir wollen den Schienenlärm bis 2020 halbie-ren . Unterstützen wir unseren Minister in Brüssel! Dasieht man das nämlich noch nicht ganz so .Viel investiert haben wir in die Umrüstung von altenGüterwagen durch Anwendung von innovativer Technikund hohen Standards, die wir in den letzten Jahren ge-schaffen haben . Es geht uns um den Schienengüterverkehrund darum, mehr Güter auf die Schiene zu bekommen .Wir alle wissen – das sagt an diesem Pult hier jeder –:Akzeptanz für den Schienengüterverkehr bekommen wirnur dann, wenn wir die Probleme des Lärmschutzes imSinne der betroffenen Menschen lösen . Deshalb – da binich wieder bei Ihnen, liebe Kollegin Hagedorn –
ist heute ein guter Tag: für das Rheintal, aber auch fürdie Bürgerinnen und Bürger, die in besonderem Maßevon unserem Vorhaben, mehr Verkehr auf die Schiene zuverlagern, betroffen sind und vom dadurch entstehendenLärm geplagt werden . Sie bekommen heute die Chanceauf mehr Schutz . „Rheintalbahn und Lärmschutz“, das istdie wichtige Botschaft des heutigen Tages .Bettina Hagedorn
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Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Kollege Lange . – Das Wort zu einer
Kurzintervention hat die Kollegin Bettina Hagedorn .
Herr Kollege Lange, ich werde nachher im Protokoll
nachlesen, wie Sie mich gerade eben genau tituliert ha-
ben; vielleicht wäre das auch eine Rüge wert gewesen .
In jedem Fall war das ein persönlicher Angriff . Sie haben
mich der Legendenbildung bezichtigt . Das weise ich ent-
schieden von mir. Ich finde, das ist kein guter Umgang in
einer Koalition und kein guter Umgang in einem Parla-
ment . Das gilt erst recht angesichts der Wichtigkeit des
Themas, die ich beschworen habe . Heute sollte eigentlich
ein Freudentag für das ganze Parlament sein . Dies durch
solch nickelige parteipolitische Spielchen zu beflecken –
so will ich es einmal nennen –, finde ich einfach unge-
hörig .
Nun zur Sache . Da Sie gemeint haben, ich würde Le-
gendenbildung betreiben: Ich habe aus einer Presseer-
klärung des von mir sehr geschätzten CDU-Kollegen
Norbert Brackmann zitiert . Wir beide sind die jeweili-
gen Sprecher für Verkehr unserer Fraktionen im Haus-
haltsausschuss . Unsere Fraktionen haben uns beauftragt,
diese beiden Anträge zu einen . Das ist uns Anfang De-
zember erfolgreich gelungen . Wir haben sogar eine ge-
meinsame Presseerklärung herausgegeben, aus der ich
vorgelesen habe . Was soll daran Legendenbildung sein?
Ich bitte Sie!
Wir besprechen heute zwei Anträge . Sie haben für alle
nachvollziehbar noch einmal deutlich gemacht, dass Sie
zwar den Antrag zur Rheintalbahn gut finden, den ande-
ren aber nicht ganz so intensiv lieben .
Herr Kollege Gastel, deshalb ist klar, weshalb Sie so vie-
le Monate lang auf die heutige Beschlussfassung warten
mussten . Das beruht nämlich auf der Tatsache, dass wir
Sozialdemokraten nicht nur einen Antrag, sondern bei-
de Anträge beschließen wollten . Das war ein bisschen
schwierig .
Der zweite Antrag „Menschen- und umweltgerechte
Realisierung europäischer Schienennetze“ ist im Oktober
auf meinem heimischen PC entstanden . Deshalb will ich
hier deutlich sagen: Ich betreibe keine Legendenbildung;
das ist für jedermann klar zu erkennen .
Herr Lange, ich finde, dass wir lieber stolz darauf sein
sollten, dass wir diese Anträge jetzt gemeinsam beschlie-
ßen . Denn diese sind für die Menschen in Deutschland,
die von Lärm geplagt sind, von großer Bedeutung .
Herr Lange, wenn Sie mögen, können sie darauf er-
widern .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will jetzt nicht mehr auf alles eingehen und auch
nicht auf die ganze Historie, liebe Kollegin Hagedorn .
Damit Sie aber eine Begründung für den von mir ver-
wendeten Begriff der Legendenbildung haben: Es war
doch so, dass einige versucht haben – und deswegen sage
ich: Trittbrettfahrer –, ganz konkrete Projekte im zweiten
Antrag zu benennen . Es waren ganz wesentlich Norbert
Brackmann, die Kollegin Lühmann und ich, die versucht
haben, das Ganze auf ein Maß zu bringen, sodass sich
jeder darin wiederfinden kann.
Dort drüben sehe ich den Kollegen Peter Bleser, der
genauso Fragestellungen dazu hat . Da sehe ich die Kolle-
gin Ludwig aus dem Inntal, die zum Brennerzulauf genau
die gleichen Fragestellungen hat . Darüber hinaus sehe
ich den Kollegen Sendker und den Kollegen Wichtel, die
in Nordrhein-Westfalen und in Hessen ebenfalls solche
Fragestellungen haben .
Insofern fanden wir es nicht in Ordnung – das sage
ich Ihnen ganz offen –, einzelne Strecken aufzulisten und
andere nicht . Genau darum ging es . Außerdem ging es
darum, eine Vergleichbarkeit zu schaffen .
Dies haben wir gemacht . Der Antrag zur Rheintalbahn
war am 30 . September fertig, und Ihr Zitat, liebe Kol-
legin Hagedorn, stammte vom 8 . Dezember . Insofern
haben Sie – und niemand anders – uns zunächst in die
Schleife geschickt .
Danke .
Den Abschluss in dieser lebendigen Debatte bildet
Dr . Johannes Fechner von der SPD .
In dieser Jahreszeit ist man geneigt, eine Rede mit„Liebe Närrinnen und Narren!“ zu beginnen .
Das ist aber ein ernstes Thema .Ulrich Lange
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ganz besonders begrüße ich auch die Gäste aus Südba-den auf der Tribüne . Was wir heute beschließen, ist einehistorische Entscheidung für Südbaden . Das verdankenwir den Bürgerinitiativen und den engagierten Kommu-nalpolitikern vor Ort, die seit Jahrzehnten dafür gekämpfthaben, dass wir diesen Lärmschutz endlich bekommen .
Machen Sie keine parteipolitische Nummer daraus . Eswaren die Bürgerinitiativen und die Kommunalpolitiker,die das durchgesetzt haben .Mit unserem heutigen Beschluss geht das klare Sig-nal an die Bahn für eine neue Bahnplanung . Ich freuemich, dass die Bahn auch schon signalisiert hat, die neu-en Planungen aufzunehmen . Deswegen bedeutet der heu-tige Beschluss – das kann man so deutlich sagen – dieBeerdigung der ursprünglichen Bahnpläne . Er ist somitwegweisend für mehr Lärmschutz in Südbaden .
Das ist auch notwendig; denn nirgendwo anders in Eu-ropa fahren so viele Güterzüge wie durch das Rheintal .Ebenso wichtig ist es, dass wir heute nicht nur für dasRheintal mehr Lärmschutz beschließen, sondern mit demzweiten Antrag das klare Signal aussenden, dass wir auchfür andere Strecken in Deutschland mehr Lärmschutz fürdie betroffenen Bürgerinnen und Bürger haben wollen .Es ist also ein gutes Signal für mehr Lärmschutz in ganzDeutschland .
Ich will eine weitere Besonderheit nennen . Das LandBaden-Württemberg beteiligt sich mit 280 MillionenEuro an diesem großen Projekt,
das uns insgesamt 1,8 Milliarden Euro kosten wird . Dasist eine Beteiligung, die deutschlandweit ihresgleichensucht . Auch dieser Beitrag der grün-roten Landesregie-rung hat dazu beigetragen, dass wir heute diesen Be-schluss zur Rheintalbahn fassen können .
Es gibt allerdings auch Gemeinden und Anwohner, dienun neuen Lärmbelästigungen ausgesetzt sein werden . Inder sogenannten „Kappel-Grafenhausener Erklärung“haben diese ihre Forderungen artikuliert . Wir müssennun im weiteren Verfahren sicherstellen, dass auch fürdiese Gemeinden – zum Beispiel Kürzel, Riegel oderMarkgräflerland – Lösungen gefunden werden, damitdie Bürger auch dort den Lärmschutz bekommen, den sieverdienen . Es darf beim Lärmschutz keine Bürger zwei-ter Klasse geben .
Abschließend danke ich allen, die sich hier engagierthaben . Die Herren von der Union wurden genannt . Esschien notwendig zu sein, deren Beitrag noch einmal ex-tra zu erwähnen .
Ich möchte mich auch bei den Machern auf derSPD-Seite bedanken . Vielen Dank an Katja Mast, NilsSchmid, Kirsten Lühmann, Elvira Drobinski-Weiß,Annette Sawade, Bettina Hagedorn, Joachim Poß undganz besonders an Sören Bartol und sein Team . Ohne de-ren großes Engagement hätten wir heute diese Debattenicht .
Ich freue mich sehr, dass wir heute diese historischeEntscheidung für Südbaden treffen können, und ich hoffevor allem, dass wir auch in einem überschaubaren Zeit-raum die Gleise bauen können . Ich habe mir vorgenom-men – das wünsche ich mir –, meinen 60 . Geburtstagin einem Speisewagen feiern zu können, der durch dasschöne Südbaden auf den neuen Gleisen fährt .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Jetzt wollen natürlich alle wissen, wie alt Sie sind . –Vielen herzlichen Dank, lieber Kollege .Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antragder Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-che 18/7364 mit dem Titel „Menschen- und umweltge-rechten Ausbau der Rheintalbahn realisieren“ . Zu diesemAntrag sowie zum Antrag der Koalitionsfraktionen unterZusatzpunkt 5 liegt eine Vielzahl Erklärungen – genaugesagt sind es 50 – zur Abstimmung gemäß § 31 der Ge-schäftsordnung vor .1)Zum Antrag auf Drucksache 18/7364 liegt ein Än-derungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-che 18/7381 vor, über den wir jetzt zuerst abstimmen .Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist bei Zustim-mung von Linken und Bündnis 90/Die Grünen und beiGegenstimmen beider Koalitionsfraktionen abgelehnt .Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD . Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer1) Anlage 7Dr. Johannes Fechner
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stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist da-mit einstimmig angenommen .
Zusatzpunkt 5 . Abstimmung über den Antrag der Frak-tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/7365mit dem Titel „Menschen- und umweltgerechte Reali-sierung europäischer Schienennetze“ . Hierzu liegt einÄnderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenauf Drucksache 18/7379 vor, über den wir jetzt zuerstabstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungs-antrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/DieGrünen und die Linke, abgelehnt haben CDU/CSU undSPD .Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD . Wer stimmt für diesen Antrag? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist auch dieserAntrag einstimmig angenommen .
Zusatzpunkt 6 . Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Antragder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Fi-nanzierung eines bürgerfreundlichen und umweltgerech-ten Ausbaus der Rheintalbahn jetzt sicherstellen“ . DerAusschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/7388, den Antrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6884 abzuleh-nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünenund die Linke . – Gratulation!
Ich verabschiede unsere Gäste auf der Tribüne . Kom-men Sie gut heim .Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten KaiGehring, Annalena Baerbock, Özcan Mutlu,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENFür ein Rahmenprogramm für Klima- undKlimafolgenforschungDrucksache 18/7048Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheitNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an dieserDebatte nicht teilnehmen wollen – warum auch immer –,jetzt den Saal zu verlassen .Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort KaiGehring für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir als grüne Bundestagsfraktion bringen hier und heute,wenige Wochen nach der Weltklimakonferenz von Paris,unseren Antrag zur Stärkung der Klima- und Klimafol-genforschung ein . Die Klimaforschung in Deutschlandhat zu Recht national wie international einen hervorra-genden Ruf – unseren exzellenten Klimaforschungsinsti-tuten sei Dank . Wir müssen diese Kompetenz aber weiterstärken und als Teil einer auf Nachhaltigkeit setzendenForschungsförderpolitik ausbauen; denn valide For-schungsdaten sind Voraussetzung für eine zukunftsorien-tierte Weltklimapolitik .
Die hohe Qualität von Forschungsergebnissen, gebün-delt vom IPCC, ist die eine Seite der Medaille . Die an-dere Seite ist die Frage des politischen Willens, aus wis-senschaftlichen Erkenntnissen richtige Konsequenzenzu ziehen . Während UN-Generalsekretär Ban Ki-moonheute fordert, zur Einhaltung des Pariser Klimaschutz-abkommens die Investitionen in erneuerbare Energienin den nächsten fünf Jahren weltweit zu verdoppeln, istdas Urteil „beratungsresistent“ für die zögerliche Hal-tung dieser Bundesregierung beim Kohleausstieg nochschmeichelhaft .
Das Herumlavieren der ehemaligen Klimakanzle-rin und des Vizekanzlers droht die vereinbarten Klima-schutzziele zu unterhöhlen . Das ist hochproblematisch .
Weil Anspruch und Handeln auseinanderklaffen, wundertmich auch nicht, dass sich die Koalition bei dem ganzenThema verzettelt und bei der Klimaforschung zu keinervorausdenkenden und wegweisenden Strategie findet. Dageht aber deutlich mehr .
Nehmen Sie unseren Antrag daher als Einladung, derKlimafolgenforschung einen deutlichen Schub zu geben;denn eine ambitionierte Forschungs- und Klimapolitikgegen die Überhitzung unseres Planeten ist notwendigerdenn je .Extreme Wetterereignisse häufen sich: 2015 war dasweltweit heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnun-gen . 13 der 15 wärmsten Jahre wurden nach der Jahr-tausendwende registriert . Das hat massive Folgen: Glet-scherschmelzen in Polarregionen und weltweit Dürren,Hitzewellen und Hungersnöte . Es entstehen neue Ar-mutsrisiken, neue Verteilungsfragen und neue Fluchtur-sachen . Diese ökologischen, aber auch die sozialen undVizepräsidentin Claudia Roth
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regionalen Klimafolgen gehören noch intensiver und in-terdisziplinärer erforscht .
Wir schlagen hierfür ein eigenständiges Forschungsrah-menprogramm zur Klima- und Klimafolgenforschungunter Federführung des BMBF vor . Darin lassen sich dieAktivitäten ressortübergreifend bündeln . Sie lassen sichausbauen, weiter gehende Forschungsbedarfe könnenidentifiziert und priorisiert werden.Um die Folgen des Klimawandels beherrschbar zumachen, müssen nämlich auch Gegen- und Anpassungs-strategien wissenschaftlich viel stärker entwickelt wer-den . Dieses transformative Wissen in der Frage, wie wirmit den massiven Klimaveränderungen umgehen, wirddringend zur weltweiten Anwendung gebraucht .Weiterzuentwickeln sind Klimamodellierung und re-gionale Prognosen zu Folgen der Klimaveränderung fürdie Natur und zu Auswirkungen auf die Menschen selbst,die etwa in Megacitys und in Küstenregionen leben . Dieschnelle Anwendung dieses transformativen Wissens undinterdisziplinäre Kooperation sind dringend erforderlich .Das wollen auch immer mehr Forschende .Eine Chance wären integrierte Forschungsansätzeinnerhalb dieses Rahmenprogramms . Das heißt, manbraucht biologische, geologische, ozeanografische, mete-orologische, geophysikalische und chemische Langzeit-messungen sowie gleichzeitig sozial- und geisteswissen-schaftliche Expertise .
Es geht darum, die entwicklungs-, flüchtlings- und wirt-schaftspolitischen Implikationen auch interdisziplinär zuerforschen und zu denken . Denn es ist vieles unklar, zumBeispiel, welche Gesundheits- und Seuchenrisiken durchExtremwetterereignisse und erhöhte Mitteltemperaturenauf dem Globus entstehen . Was bedeutet das für die Re-silienz von Mensch und Natur sowie für die biologischeVielfalt?Wir wissen, dass die Klimakrise uns alle trifft und be-droht . Ihre Auswirkungen können wir nicht allein durchExpertendiskurse in den Griff bekommen, sondern wirmüssen Sensibilisierung und Problembewusstsein in dergesamten Gesellschaft wecken . Gerade in der Klimafol-genforschung müssen Wissenstransfer bzw . die Kommu-nikation mit und Beteiligung der Zivilgesellschaft syste-matisch vorangetrieben werden .Mit einem ambitionierten Forschungsrahmenpro-gramm wollen wir diesen gewaltigen Herausforderungenbeherzt gerecht werden . Sagen Sie Ja zu unserem Ansatzund zu diesem Instrument, um in den nächsten Jahren ei-nen Forschungsschwerpunkt der Bundesregierung daraufzu legen! Lassen Sie uns keine Zeit verlieren . Ich freuemich deshalb auch auf die Beratung im Ausschuss .
Vielen Dank, Kollege Kai Gehring . – Nächste Red-
nerin in der Debatte ist Sybille Benning für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!Sie, meine lieben Kollegen von den Grünen, fordern einneues, eigenständiges Rahmenprogramm zur Klima- undKlimafolgenforschung . Ressortübergreifend soll es seinund alle Förderaktivitäten der Bundesregierung im Be-reich der Klima- und Klimafolgenforschung miteinanderverknüpfen, bündeln, weiterentwickeln und stärken . Dasgibt es doch schon . Es heißt FONA: Forschung für Nach-haltige Entwicklung .
Es ist auch mehr als nur ein Impulsgeber, wie Sie es imAntrag wenigstens anerkennen .Schon 2005 hat die unionsgeführte Bundesregierungdas Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Ent-wicklung“, kurz FONA, ins Leben gerufen,
das im letzten September in der dritten Auflage für weite-re fünf Jahre mit einem Volumen von 2 Milliarden Euroausgestattet wurde .
Dankenswerterweise geben Sie mir heute die Gelegen-heit, im Plenum des Deutschen Bundestages über FONAzu sprechen, um dieses hervorragende Rahmenprogrammbekannter zu machen .
Es ist ein Rahmenprogramm, und die Klimaforschungist dabei eine tragende Säule . Lesen Sie einmal das FONA-Programm!
– Hören Sie doch erst einmal zu!
Hier wird ein besonderer Wert auf einen schnellenWissenstransfer und die Umsetzung der Forschungser-gebnisse gelegt . Verbundforschung ist hier das Schlüs-selwort .FONA3 wurde in einem mehrjährigen Agendaprozessunter Beteiligung zahlreicher Akteure aus Wissenschaft,Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Politik und VerwaltungKai Gehring
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entwickelt . Sie merken: Jetzt sind schon zwei Ihrer For-derungen erfüllt. Ich finde für jede Ihrer weiteren Forde-rungen im Forschungsrahmenprogramm FONA eine Ent-sprechung . Ich kann nur einige wenige Beispiele nennen .Zur Verbesserung der Klimamodellierung wurdeeine halbe Milliarde Euro in die Forschungsflotte undin Großgeräte investiert . Der Hochleistungsrechner zurKlimamodellierung „Mistral“ hat soeben seine Arbeitaufgenommen .
– Jetzt hören Sie doch wenigstens zu!
Er berechnet mit hoher Auflösung Klimamodelle undSimulationen, aus denen Zukunftsszenarien entwickeltwerden können .Internationale Kooperationen, wie Sie sie auch for-dern, im Klima-, Umwelt- und Energiebereich mit Part-nern in Schwellen- und Entwicklungsländern fördertCLIENT II . Vielleicht kennen Sie das auch schon . Auchdie Beteiligung der Gesellschaft bzw . die Bürgerbeteili-gung ist fest in FONA verankert . Das ist unter dem Be-griff „Citizen Science“ bekannt . Als Beispiel dafür nenneich die SenseBox . Mit dieser Box können Bürger undBürgerinnen selbstständig Umweltdaten messen, die au-tomatisch in eine Karte einfließen. Diese gute Idee hatsoeben den Wettbewerb „Bürger schaffen die Zukunfts-stadt“ gewonnen . Da sie in meinem Wahlkreis Münsterentwickelt wurde, macht mich das natürlich froh . DieseIdee ist selbstverständlich auf alle anderen Städte über-tragbar .
Bildungsangebote für Bürgerinnen und Bürger sindunerlässlich . Deshalb ist Bildung für Nachhaltigkeit einwichtiger Baustein von FONA3, das die Eigenverant-wortlichkeit des Handelns heranbildet und unterstützt .Ein weiterer Schwerpunkt von FONA ist die Green Eco-nomy, in der Lösungen für ressourcenschonende Wirt-schaftsprozesse entwickelt werden . Innovations- undUnternehmergeist sind hier treibende Kräfte . Das gehtweit über Technologieförderung hinaus . Forschung fürnachhaltige Entwicklung, zu der auch Klimaforschungzählt, bedeutet selbstverständlich, bezahlbare, nachhalti-ge Energien zu entwickeln . Hier gibt es keinen Wider-spruch zwischen Energie- und Klimaforschung . Das Zielzählt .
Ihre Forderung nach einer ressortübergreifenden Bünde-lung wird übrigens bereits in der Nachhaltigkeitsstrategieder Bundesregierung erfüllt, wie Sie wissen könnten .Was sagt Ihr Antrag eigentlich noch aus? Sie fordernmehr geisteswissenschaftlich motivierte Fragen für For-schungsprojekte . Auch die Umsetzung in gesellschaft-liches Handeln soll intensiviert werden . Forschungser-gebnisse sollen handlungsleitender sein . Wir sind davonüberzeugt, dass unsere angebotsoffenen Programme inFONA3 das alles wirksam behandeln . Denken Sie nur anden Wettbewerb „Zukunftsstadt“, der sich vor Anträgengar nicht retten kann .Die Reaktionen auf Klimaveränderungen sind Pro-zesse, die mithilfe einer Bildung zum Verständnis natur-wissenschaftlicher Zusammenhänge besser verstandenwerden . MINT-Bildung ist hier das Schlüsselwort . Ver-ständnis führt zum Handeln, das erkenntnisgeleitet, ver-antwortungsbewusst und individuell ist und schließlichauch gesellschaftlich wirksam wird . Wir von der CDU/CSU wollen die Menschen befähigen, selber durch Bil-dung und Erkenntnis die notwendigen Entscheidungenmitzutragen . Das ist unser Ziel .
Ihr Vorgehen scheint mir anders motiviert zu sein . Des-halb lehnen wir Ihren Antrag ab .Vielen Dank .
Vielen Dank, Kollegin Benning . – Nächste Rednerin:
Eva Bulling-Schröter für die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dass Politik von der Vernunft geleitet werden muss, Ent-scheidungen also auf der Grundlage von Wissenschaftund Fakten zu treffen hat, muss eigentlich nicht erst er-klärt werden . Das ist eine Binsenweisheit . Gerade beimKlimawandel gibt es aber offensichtlich noch immergroße Wissenslücken . Nach dem Klimaschutzabkommenvon Paris Ende Dezember ist nun der richtige Zeitpunkt,hier darüber zu reden . Die Linke unterstützt diese ver-nünftige Initiative, weil die Linke eine Partei der Ver-nunft und des Klimaschutzes ist .
Eine Kernforderung des Antrags ist die Stärkung vonInterdisziplinarität, also der Verknüpfung von Wissenaus den Teilbereichen Verwaltung, Naturwissenschaften,Gesellschaftswissenschaften und Zivilgesellschaft, alsodort, wo es darum geht, die Ursachen, Wirkungswei-se und Folgen einer Wirtschaftsweise zu verstehen, diezum großen Teil noch immer auf Kohle, Gas und Erdölberuht . Was bedeutet Interdisziplinarität, und warum istdiese so wichtig? Das Gegenteil von Interdisziplinari-tät ist der Tunnelblick . Hier ein Beispiel: Ausgerechnetein Kollege aus dem Ausschuss für Bildung, Forschungund Technikfolgenabschätzung, Herr Lengsfeld von derCDU/CSU, erklärte auf Twitter – ich zitiere –: „JungeMänner/Jugendliche aus #Marokko, #Algerien ‚fliehen‘Sybille Benning
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nicht vor Bürgerkrieg, werden auch nicht vertrieben .Kommen zum Geldverdienen .“
Die Nordafrikaner in Deutschland hätten rein egoistischeGründe, es gehe ihnen um das Geldverdienen .Die Welt ist aber nicht so einfach . Wenn wir in derLage sind, etwas komplexer zu denken, sehen wir dieWelt anders:Der Grund für Migration ist erstens immer egoistisch .Es geht um Selbsterhaltung . Das sagt uns die Biologie .Zweitens sind das Geldverdienen und das Geldaus-geben Grundpfeiler des Kapitalismus . Das sagt uns dieVolkswirtschaft .Es sind drittens in Nordafrika die Männer, die Geldverdienen und es nach Hause in ihre Heimat schickenmüssen . Das sagen uns Soziologie und Ethnologie .Starkes Bevölkerungswachstum, Armut, soziale Un-gleichheit, Jugendarbeitslosigkeit und ein schwacherStaat sorgen viertens für Instabilität . Das sagen uns Poli-tikwissenschaft und Demografie.Und fünftens: Wegen seiner geografischen Besonder-heit und Position im Mittelmeerraum gehört Algerienheute zu den Ländern der Erde, deren Bevölkerung dieKonsequenzen des Klimawandels am meisten zu spürenbekommen . Bei 1 200 Kilometern Küste und einer Flä-che, die zu fast 90 Prozent Wüste ist, sind sowohl dasAnsteigen des Mittelmeeres als auch die Ausdehnungder Sahara ein Problem . Der Klima-Risiko-Index stuftAlgerien darum als Risikoland ein . Das sagen wiederumGeografie und Meereskunde.Der Klimawandel hat einen verstärkenden Effekt, unddie Erderwärmung sorgt für noch mehr Druck, lässt Fel-der verdorren, Böden versalzen . Die Menschen gehen indie Städte, finden keine Arbeit und werden so zu Migran-ten, zu Klimaflüchtlingen.Es ist eben ein bisschen komplizierter, als manche sichdas vorstellen können .
Wenn wir die Welt um uns herum aber nur mit einemTunnelblick anschauen, dann interpretieren wir sie falschund treffen am Ende in der Politik falsche Entscheidun-gen . Wenn dann in der CDU noch Stimmen laut werden,die ein Ende der erfolgreichen Förderung von erneuer-baren Energien fordern und die Verteidiger der Energie-wende als ökologisch getriebene Ideologen abkanzeln,wie es der CDU-Wirtschaftsrat formuliert oder es derEnergiebeauftragte der Union, Kollege Bareiß, sagt, unddie Protestbriefe ans Kanzleramt verfassen, dann kannich nur sagen, dass das Einmaleins der Klimaforschungin der Union noch nicht beherrscht wird .Wir stimmen also dem Antrag zu; er ist dringend not-wendig .Danke schön .
Vielen Dank, Kollegin Bulling-Schröter . – Nächster
Redner: René Röspel für die SPD .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-nen, ich finde die Initiative gut. Es ist immer wichtig, andiesem Ort über Klimaschutz, Klimaforschung und Kli-mawandel zu reden. Aber ich finde es genauso wichtig,zu unterscheiden zwischen Klimaforschung auf der einenSeite und Klimaschutz auf der anderen Seite, weil dasschon ein Unterschied ist .Klimaforschung bedeutet, dass Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler forschen, wie sich die Eismassenauf der Welt verändern, welche Auswirkungen Treib-haus- und Klimagase auf die Versäuerung des Ozeansund der Meere haben und welche Botschaften das für unsund die Politik sind . Das ist Klimaforschung: wissen-schaftliche Fakten zur Verfügung zu stellen . Dazu zähltzum Beispiel, dass jedes Jahr – als neue Erkenntnis –500 Kubikkilometer Landeis verloren gehen, indem sieschmelzen und in das Wasser geraten . Das ist so viel, alswürde man die Fläche von Hamburg mit einer 600 Meterhohen Eisschicht bedecken . Das ist Klimaforschung undKlimafolgenforschung .Der andere Teil ist Klimaschutz . Es besteht eine wis-senschaftliche Verantwortung, Lösungsvorschläge anzu-bieten, aber es besteht in erster Linie eine gesellschaftli-che und politische Verantwortung, mit den Erkenntnissenaus der Klimaforschung umzugehen und eben Hand-lungsoptionen anzubieten . Da hat Barack Obama esauf den Punkt gebracht: Wir alle, die wir hier in diesemRaum sitzen, sind die erste Generation, die den Klima-wandel erleben wird, und wir sind gleichzeitig die letzteGeneration, die ihn aufhalten kann, die ihn noch positivverändern kann . Und das ist eine Anforderung an Politikund an Gesellschaft .
Ich finde es sehr richtig, beides tatsächlich zu trennen:Klimaforschung und Klimaschutz . Klimaforschung istwichtig, wird weiter gefördert werden . Aber wenn wirdie nächsten Jahre nur darauf warten, welche Ergeb-nisse noch kommen, wird es zu spät sein . Unsere Ver-antwortung ist, Klimaschutz zu betreiben . Ich bin sehrüberzeugt – das müssen wir hinkriegen –, dass möglichstviel Kohle, Gas und Erdöl im Boden bleiben müssen undnicht verbrannt werden dürfen . Das müssen wir politischorganisieren .
Eva Bulling-Schröter
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Das, was mir an diesem Antrag wirklich nicht gefällt,ist, dass vieles von beidem durcheinandergeht .
Sie schreiben beispielsweise:Seit Jahrzehnten wird hierzulande Klimaforschungauf internationalem Spitzenniveau betrieben .Das ist richtig, hat Kai Gehring auch gesagt .Einen Satz danach heißt es:Eine führende Rolle beim Klimaschutz hat unserLand dennoch längst eingebüßt .Ich bin sehr überzeugt: Das ist falsch .
Sie haben den Antrag am 16 . Dezember geschrieben .Das war wenige Tage nach der Klimakonferenz in Paris .Ich finde, dort ist ein grandioser Erfolg erzielt worden,vor allem unter deutscher Beteiligung . Dafür hätte ichBarbara Hendricks gedankt, wenn sie hätte hier sein kön-nen, weil Deutschland da eine führende Rolle gespielthat .Das 1,5-Grad-Ziel hätten wir uns vor vielen Jahrennoch nicht träumen lassen . Wir hätten uns vor allen Din-gen nicht träumen lassen, dass 195 Mitgliedstaaten derVereinten Nationen dieses Ziel mittragen . Dazu bedarf eseines einvernehmlichen Beschlusses der UN-Konferenz,und den zu erreichen, ist ganz schwierig .Zweifelsohne hätten wir mehr erreichen wollen, aberes mussten alle 195 Staaten, die völlig unterschiedlicheInteressen haben, zustimmen. Deswegen finde ich, dassdas ein großer Erfolg ist .
Es ist auch national gesehen falsch, wenn Sie schrei-ben, dass unser Land die führende Rolle beim Klima-schutz längst eingebüßt habe. Ich finde, das stellt infrage,was alle Fraktionen in unterschiedlichen Koalitionen inden letzten 15 Jahren auf den Weg gebracht haben .
Man kann sich alles besser vorstellen . Klimaschutzwird auch international funktionieren . Ich erinnere anMatthäus 7, Vers 12: Alles, was ihr von anderen erwar-tet, das tut auch ihnen . – Wir in der BundesrepublikDeutschland müssen gut vorangehen und zeigen, dassdie Bekämpfung des Klimawandels möglich ist und dassdie Energiewende möglich ist. Ich finde auch, dass wir inDeutschland noch längst nicht alles geschafft haben, aberwir haben viel in den letzten 15 Jahren geschafft .Ich weiß nicht, was ich geantwortet hätte, wenn manmich vor 20 Jahren gefragt hätte, wie ich die Lage in denJahren 2015 oder 2016 einschätze . Ich hätte aber sicher-lich nicht zu träumen gewagt, dass wir ein Drittel unseresBruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien zurVerfügung stellen werden . Das ist schon ein gewaltigerErfolg . Wir müssen besser werden; das ist gar keine Fra-ge, und das ist unsere Verantwortung . Das betrifft aberden Klimaschutz, nicht die Klimaforschung .Wenn Sie beispielsweise in dem Grünenantrag das„Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ oder das For-schungsrahmenprogramm „Forschung für NachhaltigeEntwicklung“ als zu wenig forschungsorientiert bewer-ten, dann ist das in großen Teilen tatsächlich richtig . Aberdas sind per se keine Forschungsprogramme, sondern ge-rade das „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ ist einKlimaschutzprogramm, bei dem geschaut wird, wo wiruns in Schulen, Bildungseinrichtungen, an Hochschu-len, in der Wirtschaft, beim Verkehr, beim Städtebau undbeim Bauen tatsächlich klimaschutzdienlich verhaltenkönnen und was wir tun können, damit Klimaschutz tat-sächlich verwirklicht wird .
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung
oder Zwischenfrage?
Wenn ich den Satz in Ruhe lese – –
Ich rede mit Ihnen . Entschuldigen Sie . – Ich wollte Sie
fragen, ob Sie eine Zwischenbemerkung oder Zwischen-
frage der Kollegin Annalena Baerbock erlauben .
Gerne .
Sehr geehrter Herr Kollege Röspel, Sie haben gesagt,man müsse Klimaforschung auf der einen Seite und Kli-maschutz und Klimapolitik auf der anderen Seite tren-nen . Deswegen frage ich Sie: Ist Ihnen bewusst, welcheRolle eigentlich die führenden Klimawissenschaftlergerade auf der Klimakonferenz in Paris gespielt haben?Professor Schellnhuber zum Beispiel war mehrfach Seitean Seite mit der Bundesregierung vor Ort, um die For-schungsergebnisse dort zu präsentieren, zu erklären unddaraus politische Handlungsempfehlungen anzubieten .Ich erinnere auch an den Kollegen Edenhofer, der ausder Klimaforschung abgeleitet hat, was die Erderwär-mung eigentlich bedeutet . Er hat dargestellt, was das fürdie Weltwirtschaft bedeutet . Es ging auch um die Fra-ge des CO2-Zertifikatehandels. Es wurden auch Wirt-schaftsketten, die durch den Klimawandel ausfallen,thematisiert . Diese gesamte Komplexität hat auf derKlimakonferenz deutlich gemacht, dass es einer starkenKlimawissenschaft bedarf . Deswegen machen wir inunserem Antrag deutlich, dass wir einen Bereich zwarRené Röspel
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sehr gut erforscht haben, auf der anderen Seite aber ausder Klimawissenschaft hören, dass wir dieses Zusam-menbringen brauchen; denn jetzt steht die Dekade derTransformation an . Aber gerade diese Transformations-forschung in diesem Bereich haben wir in Deutschlandnicht .Dasselbe gilt für die Klimaanpassung . Auch da stecktdie Forschung in Deutschland noch in den Kinderschu-hen . Es geht um die Frage, wie wir eigentlich mit der Kli-maveränderung umgehen und was diese politisch für unsbedeutet . Wie können Sie das trennen, wenn die Politikauf die wissenschaftlichen Ergebnisse angewiesen ist?
Ich werde nicht so ausführlich antworten . – Vielen
Dank für die Frage, aber Sie haben es nicht geschafft,
einen Widerspruch aufzubauen; denn allein die Tatsa-
che, dass Klimaforschung in Deutschland exzellent ist
und weltweit anerkannt wird, zeigt, dass wir auf einem
richtigen Weg sind . Ich erinnere an das deutsche For-
schungsschiff „Polarstern“, die Stationen in der Antark-
tis und in der Arktis, das Alfred-Wegener-Institut und
die Helmholtz-Institute . All das hat dazu geführt, dass
Schellnhuber, Edenhofer und Mojib Latif genau die Ex-
perten sind, die weltweit Anerkennung genießen . Diese
entfalten über ihre Forschungsbeiträge international gro-
ße Wirkung .
Es besteht die Gefahr – es gibt international immer
wieder entsprechende Bestrebungen –, dass erst noch
fünf Jahre weitergeforscht wird, und dann schaut man
einmal, was passiert . Ich sage ganz deutlich – ich habe es
auch bisher nicht anders getan –: Wir brauchen weiterhin
Klimaforschung; aber es ist unsere Verantwortung, Kli-
maschutz zu betreiben .
Sie vermischen das in Ihrem Antrag . Deswegen, glaube
ich, muss man das sauberer trennen .
Wenn Sie schreiben – das ist ein weiterer Widerspruch
in Ihrem Antrag –, dass die Klimaforschung im Moment
gegenüber der Energieforschung ins Hintertreffen zu
geraten droht, dann bin ich wirklich zwiegespalten . Wir
brauchen Klimaforschung – wir werden sie ausbauen –,
aber wir müssen die Priorität deutlich auf Energiefor-
schung setzen; denn wir wissen – dementsprechend ist
unsere Verantwortung –, dass bereits in dieser Genera-
tion der Großteil der Energiewende geschafft werden
muss . Wenn ich mich für eines entscheiden müsste, wäre
Energieforschung mir wichtiger als Klimaforschung .
Aber wir lassen nicht zu, dass eine solche Entschei-
dung getroffen werden muss . Während der Bundesetat
für Klimaforschung vor zwei Jahren noch bei 81 Milli-
onen Euro lag, liegt er 2016 bei 99 Millionen Euro . Das
heißt, wir haben eine deutliche Steigerung der Mittel im
Klimaforschungsbereich, und das ist auch gut so; denn
wir müssen weiterhin wissen, wie sich die von mir vorhin
genannten Beispiele regional auswirken, was den Klima-
wandel betrifft, und wir müssen im Forschungsbereich
deutlich weiterkommen .
Sie sprechen richtigerweise die Vernetzung an . Das
ist genau der Punkt, an dem ich mich frage, ob ein neu-
es Rahmenforschungsprogramm für Klimaforschung –
nicht für Klimaschutz – eigentlich der richtige Ansatz
ist . An dieser Stelle bin ich wirklich skeptisch . Es gibt
seit 2009 das Deutsche Klima-Konsortium . Darin sind
wirklich alle – auch weltweit – angesehenen deutschen
Forschungseinrichtungen vertreten: Helmholtz-Institute,
Leibniz-Institute, Max-Planck-Institute und auch – ganz
wichtig – Universitäten wie die in Kiel, Bremen und
Hamburg, sogar deutsche Behörden wie der Deutsche
Wetterdienst oder das Umweltbundesamt . Sie betreiben
gemeinsam Klimaforschung . Sie machen sich gemein-
sam auf den Weg, Vorschläge zu entwickeln, wie Klima-
forschung funktionieren muss .
Das Positionspapier – wie ich gesehen habe, hat sich
Kai Gehring einiges aufschreiben lassen –
enthält vieles, was wir im Klimaforschungsbereich ma-
chen müssen, bis hin zur Lösung der Fragen – das unter-
liegt aber der politischen Verantwortung –, wie wir etwas
in die Gesellschaft einführen, wie wichtig die Reaktion
auf Klimawandel ist und wie wir über sozialwissen-
schaftliche Forschung dazu beitragen können, dass deut-
licher kenntlich gemacht wird, wie wichtig es ist, unser
Verhalten zu verändern, energieeffizienter und sparsamer
zu werden sowie auf andere Energien zu setzen .
Vielen Dank .
Vielen Dank, René Röspel . – Der nächste und letzte
Redner in dieser Debatte: Dr . Philipp Lengsfeld für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Kollegin Bulling-Schröter, Sie haben gefühltdie Hälfte Ihrer Redezeit auf mich verwendet . Ich deutees einmal als Ehre . Dass mich die Linkspartei auf demRadar hat, wusste ich immer . Dass Sie mich so intensivbeobachten, ist natürlich auch für mich eine Überra-schung .
Annalena Baerbock
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Wir sollten über das Thema, warum junge Männer ausAlgerien und Marokko nach Deutschland drängen, viel-leicht doch an anderer Stelle debattieren und nicht, wennes um Klimaschutz geht . Aber ich nehme das gerne an .Wenn Sie mich einladen, können wir das in extenso dis-kutieren .
Zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen vomBündnis 90/Die Grünen, haben meine Kollegin SybilleBenning und auch mein Kollege René Röspel schon sehrviel gesagt . Ich will mich deshalb auf die Grundsatzfragekonzentrieren .Ich bin der Meinung, dass die Klimaforschung inDeutschland, aber auch global nicht noch mehr, sonderneher weniger politische Einmischung und Steuerungbraucht . Ich erläutere das einmal anhand eines Beispielsaus Amerika . Kennen Sie Senator Ted Cruz aus Texas?Er ist einer der Bewerber im Feld der Präsidentschafts-kandidaten der Republikaner . Wer ihn heute noch nichtkennt, der wird ihn sicherlich in drei Tagen, nach der ers-ten Vorwahl in Iowa, kennenlernen . Mein Sohn hat michschon vor Monaten auf Ted Cruz aufmerksam gemacht,unter anderem, weil er rhetorisch wirklich beschlagen ist .Ted Cruz ist das, was man hierzulande wohl einen Kli-maskeptiker nennen würde .
Ted Cruz traf Ende letzten Jahres in einem SenateSubcommittee Hearing, in dem es um Auswirkungen vonPräsident Obamas Klimagesetzesinitiativen auf Minori-täten ging, auf den Präsidenten des Sierra Clubs, AaronMair . Der Sierra Club ist die älteste und größte Natur-schutzorganisation der USA . In diesem Hearing kam eszu einem sehr interessanten Wortgefecht über die Kli-maforschung . Man kann sich das Ganze im Internet an-schauen; es ist wirklich sehr lehrreich . Geschlagene neunMinuten duellieren sich die beiden, und am Ende gibt eskeinen Erkenntnisgewinn .Ted Cruz attackiert Aaron Mair wegen der Aussage,die Wissenschaft hinter den Klimaschutzmaßnahmenvon Präsident Obama sei so eindeutig, dass sie – Zitat –nicht mehr diskutiert werden sollte . Um diese These zuerschüttern, fragt Cruz, warum dann die globale Durch-schnittstemperatur während der letzten 20 Jahre nicht si-gnifikant gestiegen ist.
Wie antwortet der Vorsitzende der großen Umweltschut-zorganisation? Statt Senator Cruz darauf zu verweisen,dass er nur einen isolierten Datensatz ins Feld führt,kontert Mair lieber mit einem anderen, ebenfalls völligisolierten Datensatz, und zwar mit der viel zitierten Er-hebung, nach der von einer Gruppe befragter führenderKlimaforscher 97 Prozent der Überzeugung sind, dasses zweifelsfrei einen menschengemachten Klimawandelgibt .Ich will hier gar nicht über diese beiden Datensätzereden oder diskutieren – es gibt zu beiden einiges zu sa-gen –, sondern will nur auf ein tieferes Problem hinwei-sen .
In der Klimaforschung wird viel zu viel politisiert, undes werden zu viele Glaubenssätze aufgestellt . Statt Da-ten, Modelle und Unsicherheiten zu diskutieren und ein-zuordnen, bekriegen sich wie im beschriebenen Beispieldie Kontrahenten lieber mit Einzelpunkten, die isoliertgar nichts beweisen oder gar nichts beweisen können,weder in die eine noch in die andere Richtung, oder eswird gar nicht mehr diskutiert .
Wissenschaft darf kein Spielball der Politik werden,und Wissenschaft darf erst recht nicht zu einer Glaubens-frage werden .
Das gilt natürlich insbesondere in der Klimaforschung .Der medial-politische Rummel um den jährlichen IPCCReport ist aus meiner Sicht an der Stelle nicht hilfreich
– liebe Grüne, das müsst ihr euch mal anhören! –
– nein – und verführt den einen oder anderen Wissen-schaftler zu oft zu Anschärfungen, Überspitzungen undEinfärbung von Daten . Die legendäre Hockeyschlä-ger-Kurve, die jahrelang auf dem IPCC Report prangte,oder – das finde ich noch viel schlimmer – die Eisbä-renromantik, die penetrant in Fachartikeln zur Klimafor-schung vermittelt wird, auch in seriösen Medien, sind fürmich nur zwei krasse negative Beispiele .Klimaforschung – jetzt kommt die Pointe – ist wich-tig; da bin ich voll bei den Grünen . Wie jede Forschungist sie nur gut, wenn sie spitze ist . Wir brauchen Spitzen-forschung auch im Klimabereich in Deutschland; auch dabin ich voll bei Bündnis 90/Die Grünen, selbst wenn Siedas nicht wollen .
Aber um wirklich spitze zu sein und um spitze zu blei-ben, müssen sich die Forscher auf ihre Stärken besin-nen, und das sind Fleiß, auch Ehrgeiz, BeharrlichkeitDr. Philipp Lengsfeld
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und unbedingte wissenschaftliche Schärfe . Es geht ebennicht primär um das Bedienen von irgendwelchen poli-tischen Moden oder um mediale Predigten an das Volk .Nach meiner Überzeugung braucht die Klimaforschungin Deutschland deshalb weniger politischen Einfluss undnicht mehr . Dass der Antrag von Bündnis 90/Die Grü-nen hier wirklich helfen würde, davon bin ich nicht über-zeugt .Vielen Dank .
Vielen Dank, Kollege Dr . Lengsfeld . – Das Wort zu
einer Kurzintervention hat Kai Gehring .
Herr Lengsfeld, Sie haben mich gereizt, den Antrag,
die Initiative jetzt doch noch einmal einzuordnen; denn
in der Debatte ist aus meiner Sicht jetzt leider doch so
einiges durcheinandergeraten .
Es ist interessant, dass Sie sich irgendwie sozusagen
als einer der letzten in der Unionsfraktion verbliebenen
Klimawandelskeptiker oder -kritiker geoutet haben . Das
ist bemerkenswert, weil sich die internationale Wissen-
schaftscommunity absolut einig ist und wir alle miteinan-
der zufrieden sind, dass es bei der Weltklimakonferenz
zu einem Abkommen gekommen ist .
Ich bemerke aber bei den Redebeiträgen der Mitglie-
der der Koalitionsfraktionen ein bestimmtes Phänomen .
Wenn man einen Oppositionsantrag eigentlich sehr gut
findet, muss man irgendwelche Nebenkriegsschauplätze
aufmachen, die mit dem eigentlichen Antrag nicht allzu
viel zu tun haben .
Frau Benning, FONA ist ein tolles Programm .
Wir als Grüne haben es mit erfunden . Dieses FONA-Pro-
gramm für Nachhaltigkeit ist selbstverständlich fort-
zusetzen, weiterzuentwickeln . Es ist ein Programm für
mehr Nachhaltigkeit in der Forschung . – Haken dahinter!
Das Programm „Bildung für Nachhaltige Entwick-
lung“ hat Rot-Grün auf den Weg gebracht; ich erinne-
re an die UN-Dekade . Es war ein Bulmahn- und grünes
Projekt, Bildung für nachhaltige Entwicklung zu fördern .
Auch d’accord; gar kein Dissens; hat aber mit dem An-
trag eigentlich nichts zu tun .
In dem Antrag geht es um das Thema „Klimaforschung
und Klimafolgenforschung“ . Deshalb möchte ich es Ih-
nen noch einmal erklären .
– Ja, aber vielleicht haben Sie das auch nicht verstan-
den . – Ein Forschungsrahmenprogramm ist eine beson-
dere Fördermöglichkeit seitens des BMBF, damit dieser
Bereich in der Wissenschaft noch gestärkt werden kann;
denn Sie wissen ja, dass das Bundesministerium für Bil-
dung und Forschung der größte Drittmittelgeber für For-
schung in dieser Republik ist .
Und wenn man sieht, dass da noch Erkenntnislücken
bestehen und dieses Feld wichtig ist, dann legt man zur
Klimafolgenforschung ein Forschungsrahmenprogramm
auf, damit die Wissenschaft in ihrer völligen Wissen-
schaftsfreiheit uns helfen kann, Erkenntnislücken zu
schließen . Herr Röspel hat richtigerweise gesagt, wie es
sich mit den Erkenntniswünschen, die wir noch haben,
verhält – siehe das Deutsche Klima-Konsortium .
Mit Verlaub, ich bin hier die Präsidentin, und er hat die
Möglichkeit, bis zu drei Minuten eine Kurzintervention
zu machen .
Selbstverständlich hat Dr . Lengsfeld die Möglichkeit,
darauf dann maximal drei Minuten zu antworten . Herr
Gehring hat bisher genau zwei Minuten und zehn Sekun-
den geredet . Seien Sie sich ganz sicher – huch! –, dass
ich aufpasse .
Es ist wichtig, dass wir Erkenntnislücken schließen,die es in der Klimaforschung noch gibt . Wir müssentiefer einsteigen, damit uns die Klimaforschung hierzu-lande und weltweit mehr Erkenntnisse bringt: Wie sinddie regionalen Auswirkungen? Was ist, wenn es in denMegacities im Sommer ein paar Grad wärmer wird? Wiereagieren dann die Menschen darauf? Welche Vorausset-zungen, welche Notwendigkeiten gibt es da? Was sind diesozialen Folgen? Wie sehen Anpassungsstrategien aus?Das sind Kernfragen des Antrags . Das war Kern meinerRede, und ich bitte darum, das zur Kenntnis zu nehmen .Sie haben mir keinen einzigen Grund geliefert, warumDr. Philipp Lengsfeld
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wir kein Forschungsrahmenprogramm für die Stärkungder Klimaforschung in Deutschland auflegen sollten.
Jetzt hat Dr . Lengsfeld im gleichen Rahmen die Mög-
lichkeit, zu antworten .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . Ich versuche
– haha! –, es kurz zu machen . – Herr Gehring, die Hälf-
te der Zeit haben Sie eigentlich meine Kollegin Benning
angesprochen . Vielleicht will sie auch noch antworten .
Nur noch einmal zum Verständnis: Man kann es im Ma-
nuskript nachlesen . Du kannst es auch in der Mediathek
noch einmal anschauen . Ich kann dir auch gerne das Ma-
nuskript geben . Ich habe kein einziges klimaskeptisches
Wort von mir gegeben, kein einziges .
Ich habe nur gesagt, dass auch in der Klimaforschung
wissenschaftliche Standards, wissenschaftliche Schär-
fe vorhanden sein müssen . Dazu gehört, dass man erst
einmal zuhört und versucht, ein Argument zu verstehen,
bevor man versucht, es zu skandalisieren .
Ich habe Ihren Antrag auch nicht rundweg abgelehnt,
sondern ich habe gesagt, dass ich ihn in der Summe für
nicht unbedingt zielführend halte .
Aber ich habe hier kein einziges klimaskeptisches Wort
von mir gegeben, kein einziges, Herr Kollege .
Vielen Dank, Kollege Dr . Lengsfeld . – Damit schließe
ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7048 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Sie sind damit ein-
verstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Hochschulstatistikgesetzes
Drucksache 18/6560
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Drucksache 18/7358
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kolle-
ge Tankred Schipanski, und ich werde selbstverständlich
auf die fünf Minuten Redezeit achten .
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Für die Beschäftigung mit dem Thema Hochschul-statistikgesetz erntet man so manches Lächeln . Über dasThema Statistik zu reden, ist nichts Aufregendes . Es isteben nicht so wie beim großen Thema Klima: Es gibtkeine E-Mail-Aktionen, keine organisierte Empörungvon Campact oder wie sie alle heißen . Niemand wirddeswegen heute eine namentliche Abstimmung beantra-gen oder gar in seinem Wahlkreis einen Bürgerstamm-tisch veranstalten . Fakt ist aber: Sowohl wir Politiker wieauch die Medien unterfüttern jeden gehaltvollen Beitragin einer politischen Debatte mit Zahlen und Daten . Dasist eben Statistik .
Auch im Bereich der Hochschulstatistik haben wirmit Spannung erwartete Zahlen: die Zahl der Studienan-fänger, die Betreuungsrelation, der Frauenanteil, um nureinige Beispiele zu nennen . Es ist also nicht so, dass unsdie Zahlen der Hochschulstatistik nicht interessieren . Esinteressiert uns jedoch recht selten, wer diese Daten aufwelcher Grundlage erhebt und auswertet . Es muss unsaber politisch interessieren, wenn wir Politiker nicht alleInformationen bekommen, die wir brauchen . So wusstenwir bislang nicht gesichert, wie viele Studierende eigent-lich ihr Studium abbrechen . Wir konnten zwar zählen,wie viele ihr Studium begonnen haben, aber wir wusstennicht, ob einfach das Studienfach gewechselt oder dasStudium endgültig aufgegeben wurde .Mit der Einführung der sogenannten Studienver-laufsstatistik bekommen wir künftig Informationen überkomplette Studienverläufe . Wir wissen, wie viele um-steigen und wie viele aussteigen . Wir bekommen valideZahlen zur Übertrittsquote, wie viele nach dem Bache-lorabschluss ein Masterstudium beginnen, wie viele ersteinmal arbeiten, wie viele eine Promotion beginnen . Dasalles erfahren wir über die Verlaufsstatistik .
Da die Linksfraktion die Verlaufsstatistik als Teufels-zeug bezeichnet, darf ich kurz erklären, wie die Verlaufs-statistik erstellt wird . Die Hochschulen erfassen, wiebisher, die Daten und melden diese an das StatistischeLandesamt . Zusätzlich liefern sie vorhandene Daten, so-genannte Hilfsmerkmale, an das Amt wie: Geschlecht,Kai Gehring
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Staatsbürgerschaft, Geburtsdatum . Aus diesen unverän-derlichen Hilfsmerkmalen wird für jeden Studierendeneine individuelle Kennung erstellt . Aus dieser Kennungwird anschließend über ein Hash-Codierungsverfahrenein eindeutiges, aber nicht rückverfolgbares Pseudonymerstellt . Diese Hilfsmerkmale der Kennung der Studie-renden werden anschließend gelöscht . Von daher sehenSie: Das Pseudonymisierungsverfahren ist ein absolutsicheres Verfahren . Das haben uns auch die Datenschutz-beauftragten in der Anhörung bestätigt . Wir erfüllen hier-mit höchste Datenschutzstandards .
Über die Dauer der Speicherfrist haben wir uns intensivGedanken gemacht . Wir wollen zum lebenslangen Ler-nen ermutigen .
– Sehr schön .Wir wollen erfahren, wann ein Ingenieur im Berufist, wann er einen MBA oder einen anderen Weiterbil-dungsstudiengang absolviert . Wir haben festgestellt, dasszwölf Jahre zu wenig sind . Das würde bedeuten, wennjemand mit 18 Jahren ein Studium beginnt, dann hat ermit 21 Jahren einen Abschluss als Bachelor . Zwölf Jah-re Speicherfrist hieße, er würde mit 33 Jahren aus dieserStatistik herausfallen . Das ist nicht lebenslanges Lernen,wie wir uns das vorstellen . Daher unser Antrag, dieseSpeicherfrist auf 18 Jahre zu verlängern .Ausdrücklich danken möchte ich an dieser Stelle denexzellenten Vorarbeiten des Ausschusses für Hochschul-statistik . Auf deren Basis und auf der Empfehlung derAnhörung haben wir diese Novelle gestaltet . Wir habengemeinsam mit dem Koalitionspartner die Änderungsan-träge vorgetragen . Ich hoffe sehr, dass wir den Gesetzent-wurf heute beschließen . Es geht um die Gasthörerstatis-tik, die wir beibehalten . Es geht auch um eine verspäteteEinführung dieser Statistik . Wir haben die Einführungum sechs Monate nach hinten verschoben, damit dieUnis genug Zeit haben, dieses Gesetz entsprechend um-zusetzen . Wir erfassen erstmals auch Promovierende undBerufsakademien . Ich denke, das ist ein Schritt in dierichtige Richtung .
Wir bekommen die Daten auch schneller, weil wireine neue Auswertungsdatenbank aufbauen . Trotz alldieser Verbesserungen darf ich zum Schluss ein fränki-sches Sprichwort mit auf den Weg geben: Vom Wiegenwird das Schwein nicht fett .
Das heißt, die statistischen Daten können die Problemesichtbar machen, aber sie können sie nicht lösen . Sie ge-ben uns aber idealerweise klare und präzise Daten, diewir als Politiker brauchen, um die entsprechenden Ent-scheidungen zu treffen . Von daher bitte ich herzlich umZustimmung zu diesem Gesetzentwurf .Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Schipanski . – Der nächste
Redner ist Ralph Lenkert für die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Die EU fordert zusätzliche Daten-erfassung für Hochschulen zu Auslandssemestern, zuBerufsakademien und zu Promotionen . Die Änderungender Koalition zum Hochschulstatistikgesetz gehen je-doch unerwartet weit über die EU-Vorgaben hinaus . Ichfrage: Warum?
Offensichtlich ist doch, dass die Grundfinanzierung derHochschulen zu knapp ist . Studienzeiten verlängern sich,weil zu viele Studenten bei zu wenigen Lehrkräften ler-nen . Wohnheimplätze und bezahlbare Studentenbudenfehlen . Immer mehr Studenten jobben neben dem Studi-um, weil trotz BAföG-Reform das Geld nicht zum Lebenreicht .
Etliche Wirtschaftsbereiche klagen über Nachwuchssor-gen . All dies ist seit Jahren bekannt . Die Informationenliegen vor: den Hochschulen, den Arbeitsagenturen, denRentenversicherungen und den Industrie- und Handels-kammern . Doch statt konkret die Probleme zu lösen,wollen Union und SPD nun erneut erst einmal Datensammeln als Grundlagen für Entscheidungen . Das nen-nen wir: Probleme aussitzen .
Statt Kosten in Millionenhöhe in Statistiken zu versen-ken, fordert die Linke, dieses Geld für die Grundfinan-zierung der Hochschulen zu nutzen .
Das zweite Problem dieses Gesetzes ist der fehlendeDatenschutz .Die gesammelten Daten werden Begehrlichkeiten beiFirmen und Versicherungen wecken und zu Missbraucheinladen .
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ein Ausschnitt ausdem, was in jeder Studienverlaufsstatistik über jede Stu-dentin und jeden Studenten erfasst wird: Geburtsdatumund Name, wo und wann das Abitur erfolgte, Berufspra-Tankred Schipanski
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xis vor dem Studium, belegte Fächer und abgelegte Prü-fungen mit Ergebnis,
Studienunterbrechungen mit den Gründen der Unterbre-chung, der Vergleich zur Regelstudienzeit, eventuelleDienst- und Beschäftigungsverhältnisse an Hochschulen,vorherige oder parallele Studiengänge . Bis zu 18 Jahrenach der Exmatrikulation werden diese Daten gespei-chert,
– natürlich unter einem absolut sicheren, nicht nachver-folgbaren Pseudonym,
bestehend aus dem Geburtsdatum und den ersten vierBuchstaben des Vornamens; das ist im Gesetz nachzu-lesen .Bei mir wäre das also das Kürzel 09051967RALP . Eswird nicht viele Menschen mit diesem Pseudonym ge-ben, und mit der Kenntnis meines Berufes Werkzeugma-cher – wir waren 1983 rund 60 Lehrlinge bei Carl Zeissin Jena – und meines Fernstudiums findet dann jeder pro-blemlos meinen kompletten Datensatz .
Ihre tolle Verschlüsselung ist ein Witz .
Sie von der Koalition laden mit dieser Verschlüsselungzum Datenmissbrauch ein, das lehnt die Linke ab .
Neue Geschäftsmodelle werden aus diesen DatenprofilenProfite erwirtschaften.Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, warum scheitert zu-künftig Ihre Bewerbung? Sie hatten zweimal die Studi-enrichtung gewechselt und ein Semester Pause eingelegt,die Regelstudienzeit um 50 Prozent überschritten, undschon werden Sie als nicht zielstrebig und unentschlos-sen eingestuft . Pech gehabt .Es wundert Sie vielleicht, dass die neue Lebensversi-cherung viel teurer wird, als im Angebot stand .
Klar, die Versicherung fand heraus, dass Sie Auslandsse-mester in Mexiko, im Kongo und in Pakistan absolvier-ten . Sie gelten jetzt als Risikokunde mit höheren Prämi-en .
Schon heute errechnen Banken über Profile ihre Kre-ditausfallrisiken nach Ihrer Wohnanschrift . Eine falscheAnschrift bedeutet höhere Zinsen . Und wer glaubt, dassDaten sicher auf Zentralservern liegen, ist naiv . Daten-diebstähle fanden selbst im Bundestag statt .
Für die Linke gilt: Meine Daten gehören mir . Auchdeshalb lehnen wir die Datenkrake Hochschulstatistikge-setz ab .
Ziehen Sie den Entwurf zurück .
Stecken Sie die eingesparten Gelder in unsere Hochschu-len, und respektieren Sie den Datenschutz .
Das Wort für eine Zwischenbemerkung hat der Kolle-
ge Schipanski .
– Nein, ich sage jetzt nichts zur Beschlussfähigkeit .
Ich will den Kollegen Lenkert einfach darauf hinweisen,
dass das grob vorsätzlich falsch ist, was er vorgetragen
hat . Ich habe Ihnen gesagt: Wir pseudonymisieren diese
Daten . Wir erfassen die Hilfsmerkmale wie Geburtsda-
tum, Geschlecht und Staatsangehörigkeit . Das haben Sie
genannt . Diese benötigen wir für eine individuelle Ken-
nung . Aus dieser Kennung wird in einem Hash-Codie-
rungsverfahren ein eindeutiges, aber nicht rückverfolg-
bares Pseudonym erstellt .
Die Hilfsmerkmale, von denen Sie gerade gesprochen
haben, werden anschließend gelöscht .
Jetzt wissen Sie wahrscheinlich nicht, was der Hash
ist . Ich darf das kurz erklären: Das ist eine mathemati-
sche Einwegverschlüsselung . Das heißt, ich kann eine
Kennung zu einem Hash kodieren, aber ich kann an-
schließend diesen Hash nicht wieder zurück in eine Ken-
nung dekodieren .
Das heißt: Jeder Studierende hat diesen eigenen Hash,
und nur diese Pseudonyme, diese Hashs, werden in ei-
ner bestimmten Frist gespeichert . Noch einmal: Es gab
keinen einzigen Datenschutzbeauftragten, der in der An-
hörung oder in einer Stellungnahme zu diesem sicheren
Verfahren ein datenschutzrechtliches Bedenken vorgetra-
gen hat .
Herr Lenkert, bitte .Ralph Lenkert
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Sehr geehrter Herr Schipanski, Sie wollen den gesam-
ten Studien- und Bildungsverlauf speichern . Wenn Sie
das machen wollen, können Sie Ihre Codierung erst nach
Abschluss des gesamten Studien- und Bildungsverlaufes
durchführen, denn sonst können Sie die Daten nicht mehr
zuordnen; so wurde es uns dargestellt . Das heißt, Ihre
Codierung findet erst statt, wenn der Studien- und Bil-
dungsverlauf – die Promotion und alles andere – längst
abgeschlossen ist,
wenn der komplette Lebenslauf steht . Damit ist das im-
mer nachvollziehbar . Insofern schaffen Sie hier die Mög-
lichkeit eines Missbrauches, und das ist nicht hinzuneh-
men .
Im Übrigen könnte ich einem einzelnen Verlauf pro-
blemlos den Namen Tankred Schipanski zuordnen; denn
anhand des Verlaufes kann man wunderbar darauf schlie-
ßen .
Vielen Dank, Kollege Lenkert . – Jetzt kommt der
nächste Redner in der Debatte: Oliver Kaczmarek für die
SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Statistik steht ein bisschen zu Unrecht in dem Verdacht,ein Spezialisten- oder Nischenthema zu sein . Vielleichtwar die Debatte jetzt gerade doch ein bisschen sehr inder Nische . Aber Statistiken – das wissen wir – liefernwesentliche Grundlagen für unsere politischen Entschei-dungen . Darüber hinaus sind Statistiken das einzige In-strument, das wir haben, um die Wirksamkeit von Maß-nahmen zu überprüfen . Insofern ist es wichtig, dass wirdie Hochschulstatistik an veränderte Realitäten anpassen .Einige Stichworte sind schon genannt worden: Um-setzung der Bologna-Reformen, Autonomisierung vonHochschulen, neue Aufgaben wie Weiterbildung, Senio-renstudium und Integration von beruflich Qualifizierten.All das sind neue Aufgabenfelder, die im Moment nochnicht in der amtlichen Hochschulstatistik abgebildet wer-den können . Deswegen ist es notwendig, dass wir diesesGesetz verändern und an die Lebensrealitäten annähern .
Ich sage aber auch: Statistik ist nur dann gut, wennsie die Lebenswirklichkeit abbilden kann . Wir verfolgenmit der Novelle konkrete Ziele, die sich aus dem Alltagvon Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowieStudierenden ableiten lassen . Ich will anhand von dreiBeispielen verdeutlichen, wo wir in der Statistik tatsäch-lich einen Schritt weiterkommen .Erstens . Die Studienverläufe haben sich verändert .Mehr als ein Viertel der Bachelorstudierenden haben ihrStudium abgebrochen . Wir wissen jetzt nicht immer, wasdahintersteckt: ein Fachwechsel, ein Studienortwech-sel, vielleicht ein Auslandsaufenthalt . Wir wissen auchnicht, ob Lernunterbrechungen stattfinden, wann jemandwieder ein Studium aufnimmt, weil er lange nach demBachelorabschluss ein Masterstudium aufnehmen will .Diese Dinge werden durch die Studienverlaufsstatistikbesser nachgezeichnet . Sie bringt uns neue Erkenntnis-se: Wo gehen die Studierenden hin? Wie ist ihr Studie-nerfolg? Wir können damit den Anforderungen an daslebensbegleitende Lernen gerecht werden . Ich bin des-halb den Innenpolitikern der Großen Koalition dankbar,dass sie den Weg mitgegangen sind, die Speicherfrist auf18 Jahre zu erhöhen .
Ich will den Disput von vorhin aufgreifen: Das geht na-türlich nur unter hohen Anforderungen an Datensparsam-keit und Datenschutz . Deswegen ist es wichtig, dass wirauch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und derLänder gehört haben und sie im Grundsatz ihre Zustim-mung zu diesem Verfahren gegeben haben .Herr Lenkert, Sie zeichnen in dieser Debatte – ich willdas einmal sagen – ein absurdes Zerrbild von der Nut-zung amtlicher Statistik .
Die Pseudonymisierung von Daten ist notwendig, damitwir sie als Summendaten nutzen können . Niemand willIndividualdaten nutzen, sondern wir werden am EndeSummendaten erstellen . Da ist dieses Verfahren hilfreichund wirksam; es ist an anderen Stellen schon ausprobiertworden . Das Bild, das Sie hier zeichnen, ist ein Bild vonStatistik als staatlichem Repressionsinstrument . Das istabsurd . Wir legen keine Akten an, sondern machen eineStatistik . Deswegen rate ich zu etwas mehr Beruhigungin dieser Debatte .
Zweiter Punkt . Die Datenlage in Bezug auf Promovie-rende an den Hochschulen ist teilweise desaströs .
Wir werden jetzt einen Schritt weiterkommen, indemwir unsere Pflicht zur Lieferung von Daten für die eu-ropäische Statistik erfüllen und dafür die Zahl der Pro-movierenden und die Dauer der Promotionen erheben .Ich will aber gleich einräumen, dass die Datenlage ver-bessert werden könnte, wenn wir zu einem einheitlichenStatus an den Hochschulen – mit Rückmeldeverpflich-tungen – kommen würden . Das liegt aber in der Gesetz-gebungskompetenz der Länder . Das Thema sollte trotzaller Schwierigkeiten zukünftig noch einmal aufgegrif-fen werden .
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Dritter Punkt . Ich bin froh, dass es uns gelungen ist,die Gasthörerstatistik im Gesetzgebungsverfahren zuerhalten . Wir haben in der Anhörung gehört: Die Datensind valide, der Aufwand ist vertretbar . Wir wissen, dassFlüchtlinge teilweise als Gasthörer in die Statistik auf-genommen werden . Wir wissen, dass Seniorenstudenten,ein kleiner Teil an der Hochschule, aber ein wachsen-der Teil mit Blick auf lebensbegleitendes Lernen in derStatistik auftauchen . Deswegen brauchen wir mit Blickauf die zukünftige Entwicklung diese Statistik vorläufignoch, und es ist gut, dass wir sie erhalten haben .
Statistik wird angenähert an die veränderte Realität .Aber allein das Wissen um Veränderung reicht nicht, esmüssen auch die richtigen politischen Schlussfolgerun-gen gezogen werden . Ich möchte deshalb zum Schlusszwei Beispiele nennen, mit denen ich verdeutlichen will,wo wir weitermachen müssen; eines der beiden politi-schen Felder, die ich skizziert habe, haben wir bearbei-tet, das andere müssen wir uns für die nächste Novelleaufheben .Erstens . Ich prognostiziere: Die Studienanfängerzah-len werden hoch bleiben, deutlich höher als es zu Beginndes Hochschulpaktes prognostiziert wurde . Herr Lenkert,auch hier haben wir in dieser Wahlperiode eine Mengegeschafft. Wir haben den Hochschulpakt ausfinanziert.Wir haben den Pakt für Forschung und Innovationdurch die bundesseitige Finanzierung des Aufwuchsesgesichert . Wir werden morgen das Gutachten der Imbo-den-Kommission zur Evaluation der Exzellenzinitiativezur Kenntnis nehmen können und haben jetzt schon dieZusicherung, dass wir 4 Milliarden Euro für die Fortfüh-rung der Exzellenzinitiative bereitstellen plus 1 MilliardeEuro für den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs .
Ich will damit sagen: Durch die vier Pakte unterstützenwir schon jetzt die Hochschulen nachhaltig bei der Be-wältigung der Herausforderungen aufgrund der Verände-rungen in der Hochschullandschaft .
Sie wirken schon jetzt bei der Bewältigung der hohenStudienanfängerzahlen .
Ich will aber auch sagen: Wenn die Zahlen hoch blei-ben, dann müssen wir in der nächsten Wahlperiode zugrundsätzlichen Entscheidungen kommen . Aus meinerSicht ist es sinnvoll, die Verantwortungsgemeinschaft,die Bund und Länder für die Grundfinanzierung derHochschulen eingegangen sind, beispielsweise mit derFinanzierung des Aufwuchses beim Hochschulpakt, zuerhalten . Die Grundgesetzänderung macht es möglich .Deswegen werden wir auch in der nächsten Wahlperiode,wenn die Pakte auslaufen, darüber sprechen müssen, wiewir zumindest einen Teil davon im Interesse der Hoch-schulen verstetigen .
Zum Zweiten – ein Feld, das wir in der Novelle stär-ker hätten aufgreifen müssen; das hätten wir uns ge-wünscht –: Wir brauchen auch ein Bild der sozialen Un-gleichheit an Hochschulen . Nach wie vor ist die größteHerausforderung für die Wissenschaftspolitik die Schaf-fung von Chancengleichheit . Zwei Zahlen – die kennenSie – zeigen den Bedarf: Von 100 Kindern aus Akade-mikerfamilien beginnen über 70 ein Hochschulstudium,und von 100 Kindern aus Nichtakademikerfamilien be-ginnen 24 ein Studium .Das heißt: Ungleichheit ist auch ein Thema für die Wis-senschaftspolitik . Die Hochschule kann diese Problemenicht alleine lösen, da der Bildungstrichter natürlich weitvorher ansetzt .
Aber wir wollen wissen, aus welchen sozialen Milieusdie Studierenden kommen; denn Aufnahme und In-tegration von Studierenden aus Arbeiterfamilien, ausNichtakademikerfamilien ist auch ein Qualitätsmerkmalguter Hochschulpolitik . Deswegen wollen wir auch daserfasst haben und wünschen uns für künftige Erhebungendie Aufnahme weiterer Merkmale .
Das ist ein solide erarbeitetes Gesetz . Dem Dank anden Ausschuss für die Hochschulstatistik schließe ichmich an . Ich freue mich auf viele datengestützte Diskus-sionen und politische Entscheidungen . Ich glaube, mankann dem vorliegenden Gesetzentwurf ruhigen Gewis-sens zustimmen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Kollege Kaczmarek . – Der nächste Red-
ner ist Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Heute geht es in dieser Debatte gar nicht um die sehrwichtige Fragestellung, wie wir die Grundfinanzierungunserer Hochschulen verbessern, sondern es geht darum,dass wir besseres hochschulpolitisches Steuerungswis-sen durch die Änderung der Statistik bekommen .Oliver Kaczmarek
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Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit,das gilt auch für Oppositionspolitik, Herr Lenkert .
Darum war es so überfällig, das Hochschulstatistikgesetzendlich zu überarbeiten . Dafür haben wir als Grüne auchlange geworben; denn das jetzige Gesetz hat die hoch-schulpolitische Realität nicht mehr gut genug abgebildet .
Bund und Länder haben sich viel Zeit gelassen . Aber mitBlick auf diese konkrete Gesetzesnovelle kann ich sagen:Was lange währt, wird tatsächlich mal ganz gut .
Gut ist, dass nach der Anhörung im Deutschen Bun-destag der Gesetzentwurf nachjustiert wurde . Die Hoch-schulen bekommen mehr Zeit für die Umstellung, unddie Gasthörerstatistik bleibt erhalten . Das ist nicht nurwichtig für die vielen Seniorenstudierenden, sondernauch für die vielen Geflüchteten, die jetzt einen Gast-hörerstatus bekommen . Die wachsende Vielfalt der Bil-dungsbiografien kann besser abgebildet werden; denn diepseudonymisierten Daten bleiben länger erhalten . – All-dem können wir zustimmen .Ein wirksamer Datenschutz ist uns extrem wichtig .Darum haben wir den Gesetzentwurf besonders kritischunter die Lupe genommen . Wir haben ihn für unbedenk-lich befunden . Der Vorwurf, dass diese Novelle den glä-sernen Studierenden brächte, mag plakativ sein, hat mitder Realität aber nichts zu tun .
Wenn alle Datenschutzbeauftragten von Bund und Län-dern der Novelle ihren Segen geben und keinen Anlasszur Kritik sehen, dann habe ich keinen Anlass, dieserEinschätzung zu misstrauen . Man sollte hier keinen Po-panz aufbauen . Liebe Linksfraktion, Sie entlarven sichselbst: Sie haben keinen Änderungsantrag zum Gesetz-entwurf eingebracht
und noch nicht einmal einen Entschließungsantrag fabri-ziert . Sie springen echt zu kurz .
Ich sage für uns Grüne: Wenn Union und SPD ausnahms-weise etwas gut machen, und das kommt ja selten genugvor,
dann bricht mir kein Zacken aus der Krone, wenn ich dasanerkenne; denn wir teilen das Ziel, Politik und Verwal-tung bessere Daten zur Verfügung zu stellen, also unsParlamentarierinnen und Parlamentariern und den Minis-terien . Für eine bessere Hochschulpolitik brauchen wirdas .Seit der letzten Novelle 2005 hat sich die Hochschul-landschaft rasant weiterentwickelt, sowohl quantitativals auch qualitativ . Auf Basis dieser Novelle werden wirdie Wirkung der politischen Entscheidungen in der letz-ten Dekade viel besser sichtbar und damit auch besserbewertbar machen . Studienverläufe werden besser nach-vollziehbar sein . Das ist sehr wichtig; denn nur so lüf-tet sich eines der größten Geheimnisse dieser Republik:Wie viele Studienabbrecherinnen und -abbrecher habenwir wirklich? Angesichts der Tatsache, dass Zahlen oftpolitisch instrumentalisiert werden, finde ich es extremwichtig, dass künftig statistisch unterschieden wird, obein Studienortwechsel stattfindet, ob ein Fachrichtungs-wechsel stattfindet oder ob junge Leute aus dem Studiumheraus angeworben werden und deshalb ihr Studium ab-brechen . All das gibt es . Dann wird die Zahl nicht mehrso abenteuerlich hoch sein wie die, die von manchen jetztfür die Akademisierungswahndebatten missbraucht wird .Dann wissen wir endlich: Wer bricht ab? Damit wird einezentrale Wissenslücke geschlossen, und man kann dieZahlen nicht länger politisch instrumentalisieren .
Wir begrüßen, dass der Merkmalskatalog zum wis-senschaftlichen Personal erweitert wird . Ebenso begrü-ßen wir, dass alle Promovierenden aufgeführt werden .Das dürfte dazu führen, dass wir ein noch klareres Bildvon der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchsesin unserem Land bekommen . Wir begrüßen auch, dassmehr Informationen über die Hochschulleitungen erfasstwerden, damit zum Beispiel das Monitoring zur Gleich-stellung von Frauen in der Wissenschaft endlich präzisestattfinden kann. Das ist ein wahnsinnig wichtiges The-ma . Auch das macht die Novelle möglich . Außerdembegrüßen wir, dass der Migrationshintergrund differen-zierter erfasst werden kann, weil das Erhebungsmerkmal„weitere Staatsangehörigkeit“ erstmals eingeführt wird .
Bitte kommen Sie zum Ende .
Ja, Frau Präsidentin . – Es ist wichtig, dass wir dieDoppelstaatlichkeit und damit die gesellschaftliche Re-alität besser abbilden können .Alles in allem: Wir können dieser Novelle zustimmen .Über die Fragen nach der Grundfinanzierung und denWeichenstellungen in der Hochschulpolitik diskutierenwir an anderer Stelle weiter .
Kai Gehring
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Vielen Dank, Kollege Gehring . – Die letzte Rednerin
in dieser Debatte: Dr . Claudia Lücking-Michel für die
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Statistik halten viele für sehr kompliziert und viele an-dere für langweilig . Das Erste scheint sich heute Abendzu bestätigen – für einige ist es zu kompliziert –; aberlangweilig ist es sicherlich nicht .
Hochschulstatistik zeigt uns zudem, wie vielfältig dasStudium ist, und hilft, die richtigen Schlüsse zu ziehen .Beispiele haben wir gehört . Ich will auf die Situationder Promovierenden verweisen, weil sie mir besonderswichtig sind . Ich kann es kurz machen, weil das geradeschon einmal hervorgehoben wurde: Bisher wissen wirtatsächlich noch nicht einmal, wie viele Promovierendewir in Deutschland haben . Wenn auf Basis dieses Geset-zes der Status der Promovierenden, der an den einzelnenHochschulen sehr unterschiedlich ist, endlich einheitlichdefiniert wird und wir sie früh erfassen können, dann istdas ein wichtiger Punkt .Mein zweiter Hinweis bezieht sich auf die Situationdes wissenschaftlichen Nachwuchses, für den wir – da-rüber sind wir uns ja einig – gute Bedingungen schaffenwollen . Wir haben vor kurzem das Wissenschaftszeitver-tragsgesetz geändert, weil wir der missbräuchlichen Be-fristung von Verträgen einen Riegel vorschieben wollen .Wir wollen mit den Ländern ein Tenure-Track-Programmauflegen, das verlässliche Karrierewege hin zur Professureröffnet . Jedem ist klar, wie wichtig es ist, dafür verläss-liche Daten zu haben .
Wir müssen wissen, welche Auswirkungen unsere wis-senschaftspolitischen Entscheidungen haben .Statistik liefert uns, wenn wir auf dem weiten Oze-an namens Wissenschaftssystem unterwegs sind, wieLeuchttürme wichtige Orientierungspunkte . Diese No-velle bringt endlich Licht ins Dunkel der Gründe fürStudienabbrüche . Wir brauchen die Novelle, um fest-zustellen, wie viele Masterstudienplätze nötig sind . Wirbrauchen die Novelle – das ist mir sehr wichtig –, weil siesicherstellt, dass die Leistungen der Hochschulen bun-desweit eingeordnet und miteinander verglichen werdenkönnen .Das alles sind Fragen, die uns als Wissenschaftspoliti-ker und -politikerinnen, als Verantwortliche in den Hoch-schulen und Forschungseinrichtungen dringend umtrei-ben, und zwar nicht, weil wir sie statt unseres Handelnsbrauchen, sondern um daraus die richtigen Schlüsse zuziehen und unser zukünftiges Handeln noch besser jus-tieren zu können .
Es war gut, dass wir noch drei wichtige Veränderun-gen eingebracht haben .Erstens . Die Gasthörerstatistik bleibt erhalten . Daraufwurde schon verwiesen .Zweitens . Die Verlängerung der Erhebung . Die Stu-dienverlaufsstatistik nach zwölf Jahren zu löschen – wirhaben es gehört –, wäre sinnwidrig gewesen . Es ist gut,dass die Erhebung jetzt auf mindestens 18 Jahre verlän-gert wurde .Schließlich . Wenn das Ganze erst 2017 in Kraft tritt,hat keine Hochschule mehr das Argument, sie hätte nichtgenug Zeit gehabt, um ihre Software umzustellen . DasGanze startet dann gleich auf gut geordneten Wegen .Jetzt noch einmal zu Ihnen, liebe Kollegen von derLinken: Sie haben heute Abend, in der Anhörung undauch im Ausschuss immer so getan, als sei das Statisti-sche Bundesamt – gerade haben Sie es noch einmal ge-sagt – eine Datenkrake, die den Studierenden die Luft ab-drückt . In den Entgegnungen wurde schon deutlich, dassdas wirklich lächerlich und an der Sache vorbei ist . Es istauch deutlich geworden, dass Sie lange suchen müssen,um außerhalb Ihrer Fraktion jemanden zu finden, der die-ses Seemannsgarn mit Ihnen weiterspinnen will . Wennselbst die Kollegen von den Grünen im Bundestag keineBedenken haben,
wenn die Datenschutzexperten des Statistischen Bun-desamtes und der Länder in dem Gesetzentwurf keineGefahr für die informationelle Selbstbestimmung vonStudierenden sehen, dann, liebe Linke, haben wir wich-tige Gewährsleute, und Sie müssen, würde ich sagen, zu-rückrudern .
Herr Schipanski hat noch einmal erklärt, wie die Ver-schlüsselung funktioniert . Ich möchte hervorheben, dasses bei zwei Datenbanken bleibt: eine für die Einzeldatenund eine, die die Einzeldaten zusammenführt . Es ist klar,dass die Hochschulen keinen Zugriff auf die Datenbankfür die Einzeldaten erhalten, sondern nur die statistischenÄmter . Das muss man noch einmal hervorheben, um zuzeigen: Die Geheimhaltung individueller Daten ist auchfür uns ein sehr hohes Gut . Wir sehen, dass es mit diesemGesetzentwurf klar geschützt wird .Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie die Kra-ke in der dunklen Tiefsee, wo sie ihren natürlichen Le-bensraum hat . Wir legen hier heute ein modernes undtransparentes Hochschulstatistikgesetz vor . Es ist keinUngeheuer, das den Bürgerrechten der Studierenden anden Kragen will, sondern ein Kompass, mit dem wir denrichtigen Kurs für die zukünftige Hochschul- und Wis-senschaftspolitik setzen .Danke .
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Vielen Dank, Claudia Lücking-Michel . – Damit
schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Hochschulstatistikgesetzes . Der Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/7358, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/6560 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Enthaltungen? – Wer stimmt dagegen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen . Dagegengestimmt hat die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dagegen-
gestimmt haben die Linken .
Damit wechsle ich jetzt den Platz und wünsche Ihnen
noch einen schönen Restabend .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
zu dem Antrag der Abgeordneten
Niema Movassat, Caren Lay, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE sowie der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Claudia Roth , Tom Koenigs, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Herkunft von Konfliktrohstoffen konsequent
offenlegen
Drucksachen 18/5107, 18/6226
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält der Kolle-
ge Klaus Barthel, SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Im Laufe des Tages haben wir heute zum Beispiel überdie Bundeswehrmandate mit Blick auf Mali oder denIrak gesprochen, wir haben die Menschenrechtsdebattegehört, wir haben immer wieder über Flüchtlinge gespro-chen . Bei der Frage nach den Ursachen von Bürgerkrie-gen und Kriegen, von Krisen und Gewalt, von Fluchtund Vertreibung, von Menschenrechtsverletzungen stößtman immer wieder auf dieselbe Frage, nämlich: Woherkommt eigentlich der Treibstoff, woher kommen die fi-nanziellen Ressourcen, woher kommt das Geld für Krieg,für Waffen, für Söldner, für Kindersoldaten, für die Be-gehung von Menschenrechtsverletzungen, und was treibtdiese Spirale der Gewalt letzten Endes immer wieder an?Früher oder später landet man – als einer der Quel-len – bei den Rohstoffkonflikten, egal ob es um Öl, Gold,Diamanten oder bestimmte Metalle geht . Es ist sehrschnell der Ruf danach zu hören, ebendiese Quellen tro-ckenzulegen . Dann sind wir in dieser Debatte, in der esum Konfliktmineralien geht, sehr schnell vom Abstraktenzum Konkreten gekommen. Im Fall der Konfliktminera-lien geht es um bestimmte Metalle und Mineralien, dienachweislich dazu benutzt werden, Kindersoldaten, Waf-fen, Milizen und übelste Menschenrechtsverletzungen zufinanzieren, und um deren Abbau und Weiterverteilunges immer wieder neue Kämpfe und Konflikte gibt.Die EU will genau hier eingreifen . Die Kommissionhat einen Vorschlag für eine verantwortungsvolle Roh-stoffversorgung gemacht . Der Vorschlag der Kommissi-on sieht zwar vor, eine verbindliche Zertifizierung vorzu-nehmen; er umfasst aber nur eine freiwillige Teilnahmean dieser Zertifizierung. Wir müssen leider feststellen,dass die Mehrheit der europäischen Regierungen – mitAusnahme der Bundesrepublik Deutschland und Schwe-dens – bis heute immer noch hinter diesem Vorschlagsteht . In der Sache ist der Vorschlag der Kommission inTeilen auf jeden Fall überholt . Es gibt den Beschluss desEuropäischen Parlaments vom vergangenen Mai, und wiralle wissen aus der Diskussion der letzten Jahre:Erstens . Die Kommission hat recht: Wir brauchen ei-nen weltweiten und keinen regionalen Ansatz, der nurauf den Kongo und seine Umgebung ausgerichtet ist .Zweitens . Anders als die Kommission das sieht, müs-sen wir – egal ob es um Textilien oder um Metalle geht –alle Stufen der Wertschöpfungskette erfassen, wenn wirdie Sache vernünftig regeln wollen .Drittens wissen wir, dass wir keine freiwillige Teil-nahme, sondern verbindliche Regeln brauchen . Wirkennen die vielen Initiativen und freiwilligen Verein-barungen, die es seit vielen Jahren gibt . Nach einer be-stimmten Zeit ist die Zeit aber einfach um . Alle Unter-nehmen und Verbände, die sich darüber beschweren, dasswir Verbindlichkeit fordern, müssen sich halt bei denenbedanken und auf die schauen, die bei den freiwilligenVereinbarungen jahrelang nicht mitgemacht haben . Dashat bei den Konfliktmineralien dazu geführt, dass über80 Prozent dessen, was gehandelt wird, nicht zertifiziertist, obwohl es schon seit vielen Jahren die Chance dazugibt .Deswegen müssen wir jetzt die politischen Konse-quenzen ziehen . Ich glaube, es hat sich ein wichtigerLernprozess vollzogen . Sicher haben das auch die An-tragsteller vorangetrieben .Die Position der SPD war eigentlich von Anfang anklar . Diese habe ich auch schon am 18 . Juni vergangenenJahres vorgetragen . Das ist durch viele Beschlüsse auch
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noch einmal bestätigt worden . Das ist also alles nichtsNeues . Das kennen wir .Aber neu ist seit gestern, dass das nun auch die offi-zielle Position der Bundesregierung ist . Im Jahreswirt-schaftsbericht, der heute auch hier diskutiert wordenist, finden wir nicht nur erstmals ausführliche Sozial-,Nachhaltigkeits- und Handelskapitel sowie Fragen zurWachstumsdiskussion – das ist also eine neue Qualitätdes Jahreswirtschaftsberichts –, sondern wir finden auchBemerkungen über die globale Unternehmensverantwor-tung und über die Umsetzung der UN-Leitprinzipien so-wie ein Kapitel über die Konfliktmineralien. Daraus darfich zitieren:Sie– die Bundesregierung –sieht verbindliche Regelungen für geeignet an,wenn sie verhältnismäßig sind und keine unnötigenbürokratischen Belastungen verursachen . Für kleineund mittlere Unternehmen sind unterstützende Be-gleitmaßnahmen . . . vorgesehen .Letzteres teilen wir uneingeschränkt, was die kleinenund mittleren Unternehmen betrifft . Bürokratie wirddurch mehr Verbindlichkeit abgebaut . Es soll eine Rege-lung statt vieler Zertifikate geben.Zur Verhältnismäßigkeit will ich nur so viel sagen: Esgeht hier um viele Menschenleben; ich glaube, das ist inder Debatte über Konflikte und Flucht deutlich gewor-den . Da muss man die Verhältnismäßigkeit schon sehrdeutlich betonen, wenn es darum geht, wirtschaftlicheFragen verbindlich zu regeln, und zwar so, dass es allenhilft und für alle verbindlich und transparent ist .Vielen Dank .
– Genau . Deswegen hat sich unserer Meinung nach derAntrag erledigt .
Entschuldigung . Das muss ich als Berichterstatter nochsagen: Der Antrag hat sich erledigt . Deswegen müssenwir ihn ablehnen . In der Sache sind wir aber einen erheb-lichen Schritt weitergekommen .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge
Höger, Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Roh-stoffreichtum ist für die meisten Regionen ein Fluch . Eingroßer Teil der Menschen in den Rohstoffexportländernist bitterarm. Sie haben keinen Anteil an den Profiten, diemit Gold, Zinn, Wolfram oder Tantal gemacht werden .Erbärmliche Arbeitsbedingungen sorgen dafür, dassdie Ärmsten im Austausch für einen Hungerlohn mit ih-rer Gesundheit bezahlen . Gleichzeitig sorgt der Abbauviel zu oft für die Zerstörung der Umwelt und für diefinanzielle Unterstützung von Bürgerkriegsfraktionen.Wo liegt nun die Verantwortung für diese Menschen-rechtsverletzungen? Kollege Barthel hat schon viele ge-nannt . Wer allein auf Korruption und Misswirtschaft inden Ursprungsländern verweist, der hat zwar teilweiserecht, macht es sich aber deutlich zu einfach .
Ein wesentlicher Teil der Verantwortung liegt dort, wodie Rohstoffe verbraucht werden, wo die meisten Profitebleiben und wo der Hauptsitz vieler beteiligter Firmenist, also in den Industrienationen des globalen Nordens .Deswegen müssen wir die Politik hierzulande ändern .Die Liste der Rohstoffe, über die wir heute abstim-men – Gold, Zinn, Tantal und Wolfram –, ist eigentlichzu kurz, aber sie ist ein wichtiger Einstieg in den verant-wortungsvollen Umgang mit Rohstoffabbau .In letzter Zeit wird häufig davon geredet, dass es not-wendig sei, Fluchtursachen zu bekämpfen . Ich hoffe, dasist wirklich ernst gemeint . Der sorgfältige Umgang mitRohstoffen ist hier ein ganz wichtiger Schritt .
Es ist schon absurd, dass Unternehmen hierzulandeund in der EU die Konflikte, die dann angeblich mit derBundeswehr entschärft werden sollen, mit anheizen . Se-hen wir einmal davon ab, dass Militär Konflikte häufigverschärft, anstatt sie zu lösen, so ist es doch bemerkens-wert, an welchem Punkt „Verantwortung“ als Anspruchin der gegenwärtigen deutschen Außenpolitik beginnt:nicht bei der wirtschaftlichen Ausbeutung ganzer Konti-nente und nicht bei der systematischen Beihilfe zu Men-schenrechtsverletzungen, sondern erst dann, wenn mili-tärische Stärke demonstriert werden kann . Beenden Siediesen Irrweg!
Wieder einmal wird auf freiwillige Selbstverpflichtun-gen der Unternehmen gesetzt . Das ist so, als würden wirbei der Sicherheit im Straßenverkehr auf Freiwilligkeitbei der Einhaltung von Tempolimits setzen .
Die Konsequenzen sind in jedem Fall absehbar: Schlech-te Beispiele machen Schule . Wer Regeln einhält, ist deroder die Dumme, und schlussendlich wächst das Risikofür alle. Freiwillige Selbstverpflichtungen mögen gutgemeint sein, sie sind jedoch ein Feigenblatt, und dieschwarzen Schafe ignorieren Menschenrechtsverletzun-gen ungeniert weiter . Darum hoffe ich, dass wir uns aufverpflichtende Leitlinien verständigen.
Wenn Sie für fairen Wettbewerb und faire Produk-tionsbedingungen sind, dann setzen Sie sich für ver-bindliche Richtlinien ein – für die gesamte Industrie inDeutschland und Europa .Klaus Barthel
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Übrigens muss das Rad beim verantwortlichen Um-gang mit Rohstoffen nicht neu erfunden werden . DieOECD hat die entsprechenden Leitlinien längst ver-abschiedet, und in den USA ist die Dokumentation fürbestimmte Rohstoffe längst Pflicht. Namhafte Herstellervon Mikroprozessoren und Elektronikkonzerne in denUSA haben mit der Offenlegung ihrer Lieferketten undder Verbesserung der Standards begonnen .Aus diesen Erfahrungen und Untersuchungen derEU-Kommission ist bekannt, dass die Kosten dafür,der Sorgfaltspflicht nachzukommen, überschaubar sind.Selbst für kleine und mittlere Unternehmen wird nur miteinem Aufwand in Höhe von ungefähr 0,01 Prozent desjeweiligen Jahresumsatzes gerechnet . Mit diesem gerin-gen Aufwand könnten wir gemeinsam dafür sorgen, dassdie Arbeits- und Lebensbedingungen in den rohstoffrei-chen Ländern ein wenig verbessert werden . Lassen Sieuns heute damit beginnen .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
Dr . Herlind Gundelach das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, uns allen indiesem Hohen Hause ist daran gelegen, die Finanzierungvon bewaffneten Auseinandersetzungen in Konfliktge-bieten durch die Erlöse aus dem Verkauf von sogenann-ten Konfliktrohstoffen zu unterbinden. Hierbei handeltes sich auch um eine internationale Aufgabe, für die wiraber aktuell zumindest erst einmal eine europäische Re-gelung anstreben .Das Thema ist brisant und auch sehr komplex . Genaudas fordert von uns, sehr sorgfältig mit diesem Themaumzugehen; denn nicht durchdachte Schnellschüsse soll-ten wir vermeiden . Auch sollten wir Gleiches gleich undUngleiches ungleich behandeln; denn eine Generallö-sung für alle Sachverhalte kommt aus unserer Sicht nichtin Betracht . Wir brauchen sinnvolle, praktikable, wir-kungsvolle und vor allem auch nachhaltige Regelungen .Diese Herangehensweise vermisse ich bei dem unsvorliegenden Antrag der Grünen und der Linken . Das istschade; denn es handelt sich wirklich um ein drängendesProblem .Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen undden Linken, Sie fordern beispielsweise, dass wir die De-finition von Konflikt- und Hochrisikogebieten erweitern,nämlich auf „Gebiete, die sich nach Konflikten in einerfragilen Situation befinden“, und auf Gebiete, in denendie „Staatsführung … schwach …“ ist . Da frage ichmich, wer eigentlich entscheidet, ob die Staatsführungstark oder schwach ist .Selbstverständlich fordern Sie ein verbindliches Zer-tifizierungssystem für die gesamte Lieferkette, also fürdie Upstream- und die Downstream-Industrie, und eineOffenlegungspflicht, die mit einer Liste verantwortungs-voller Akteure einhergeht .
In einem nächsten Schritt würden Sie außerdem dieListe der möglichen Konfliktrohstoffe gerne noch erwei-tern . Sie nennen dabei Chrom, Steinkohle, Kupfer, Ko-balt, Seltene Erden und anderes .
Damit stellen Sie Importeure und Exporteure nach unse-rer Auffassung unter Generalverdacht und grundsätzlichin eine Schmuddelecke .
Damit ist nun wirklich niemandem geholfen .
Ich denke, wir sind uns einig: Wir brauchen Rohstoffe,aber sie müssen auf einem verantwortungsvollen Weg zuuns kommen . Ziel der vorgesehenen Verordnung ist esdaher, die Querfinanzierung von Rebellengruppen undKonflikten bei der Rohstoffgewinnung zu unterbinden.Die Europäische Kommission hat dazu den Vorschlagfür ein freiwilliges Selbstzertifizierungssystem für euro-päische Importeure von Zinn, Tantal, Wolfram und Goldals verantwortungsvolle Einführer vorgelegt . DieserVorschlag sieht Sorgfaltspflichten in der Lieferkette vor,die bei der Einfuhr der genannten Materialien einzuhal-ten sind . Die Europäische Kommission hat damit ganzbewusst einen anderen Weg eingeschlagen als die USA .Nach dem dort geltenden Dodd-Frank Act müssen Un-ternehmen, die an der US-Börse notiert sind, angeben,ob Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold in ihren Produktenenthalten ist, welches aus der Konfliktregion der Demo-kratischen Republik Kongo oder ihren Nachbarstaatenkommt .Inzwischen hat sich aber herausgestellt, dass dieseBestimmungen fast einem Embargo gleichkommen, dasich die Lieferketten zum Teil gar nicht nachvollziehenlassen, und das, obwohl auch klar ist, dass nicht das ge-samte Gebiet der Demokratischen Republik Kongo alsKonflikt region eingestuft werden müsste. Aber eine ge-naue Abgrenzung gestaltet sich in der Praxis eben außer-ordentlich schwierig . Deswegen haben sich weder dieKommission noch der federführende Ausschuss für in-ternationalen Handel des Europäischen Parlaments nochdas Europäische Parlament in toto für eine abschließendeListe der Konflikt- und Hochrisikogebiete ausgespro-chen . Eine Länderliste wird von allen kategorisch abge-lehnt .Leider – auch das muss man wissen – hat der Dodd-Frank Act auch zur Folge, dass aufgrund der rück-läufigen Präsenz von amerikanischen und europäischenBetrieben in der Demokratischen Republik Kongo eingrößeres Engagement von Firmen zu beobachten ist, diedie Empfehlungen der OECD zu Sozialstandards beimAbbau von Rohstoffen nicht beachten . Deswegen ist eseinfach falsch, Länder, Regionen, Importeure oder Ex-Inge Höger
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porteure unter Generalverdacht zu stellen; denn es führtam Ende eher zu einer Verschlechterung der Situation vorOrt und nicht zu der von uns allen gewünschten Verbes-serung . So haben übrigens allein in der Region Katangain den letzten Jahren rund 400 000 Menschen aufgrunddes undifferenzierten Vorgehens nach dem Dodd-FrankAct ihren Arbeitsplatz verloren . Das kann ja wohl nichtder Sinn unseres Handelns sein .Im Februar soll nun das Trilogverfahren für dieEU-Verordnung begonnen werden . Nach mehreren Mo-naten der Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaatenwurde zuletzt ein Kompromissvorschlag vorgelegt, derwiederum eine freiwillige Regelung vorsieht . Damit wer-den die Verhandlungen starten . Wir als CDU/CSU – dasbetone ich ganz bewusst – möchten uns an einem Kom-promissvorschlag konstruktiv beteiligen . Das Thema istkomplex . Wir wollen eine Lösung, die den Interessen derZivilgesellschaft und der Wirtschaft gerecht wird . DiePositionen der Mitgliedstaaten sind dabei noch unter-schiedlich; das hat auch der Kollege Barthel schon be-tont . Aber es gibt eine eindeutige Tendenz in Richtungdes ursprünglichen Vorschlags der Kommission .Auch wir sprechen uns für eine Lösung aus, die aufdem Vorschlag der Kommission und den bestehendenfreiwilligen Initiativen europäischer Unternehmen auf-baut . Dabei stützen wir uns ausdrücklich auf die im Ko-alitionsvertrag niedergelegte Vereinbarung, „freiwilligeZertifizierungssysteme“ für den Import von Rohstoffenzu etablieren; denn viele Firmen sind sich ihrer verant-wortlichen Position innerhalb der Wertschöpfungskettesehr bewusst und setzen seit Jahren auf diese freiwilligenInitiativen . Zahlreiche Berichte, unter anderem von derBundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, be-legen, dass das sehr gut funktioniert . Deshalb sollten wirmit unserer Regelung auf diesen bereits bestehenden Un-ternehmensinitiativen und anderen Systemen aufbauen .In diesem Kontext könnte ich mir übrigens eine offe-ne Liste vorstellen, die diejenigen Firmen auflistet, diesich einer solchen freiwilligen Zertifizierung unterwor-fen haben . Dann hat jedes Unternehmen, das die in Redestehenden Rohstoffe verarbeiten will, die Möglichkeit,hierauf zurückzugreifen und sich damit in die Kette derverantwortungsvollen Nutzer einzureihen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Trilogverfah-ren dient gerade dazu, einen Kompromiss zwischen denunterschiedlichen Vorstellungen von Kommission, Parla-ment und Rat zu finden. Die zentrale Frage dabei ist: Hal-ten wir an dem System der Freiwilligkeit fest, oder ma-chen wir den gesamten Prozess verpflichtend, und zwarsowohl im Upstream- als auch im Downstream-Bereich?Hier möchte ich an das anknüpfen, was der KollegeBarthel gesagt hat: Die Einschränkung im Jahreswirt-schaftsbericht, was in diesem Kontext das Thema Bü-rokratie betrifft, bei dem es auch darum geht, was aufdiesem Gebiet überhaupt leistbar ist, ist durchaus zubeachten . Fast alle Handelnden, die in diesem Bereichunterwegs sind, sagen, dass ein effizienter und umfassen-der Nachweis im Downstream-Bereich nahezu nicht zuführen ist, vor allen Dingen, wenn es sich dabei um dieganze Sekundärrohstoffkette handelt . Da ist ein lücken-loser Nachweis schlicht nicht möglich .Diesen Weg hat auch der federführende Ausschuss desEuropäischen Parlaments vorgeschlagen . Genau das istauch eine der Schwachstellen des Dodd-Frank Acts . Des-wegen gibt es dort zwar formal einen Nachweis . Aber inder Regel beruht er darauf, dass man auf einer Liste einenHaken macht, ohne dabei Nachweise zu liefern . Deswe-gen denke ich, dass wir auf diesem Gebiet so fortfahrensollten .Wir könnten uns im Upstream-Bereich, wo man dasrelativ gut nachkontrollieren kann, durchaus eine ver-pflichtende Regelung vorstellen. Ich glaube, das ist auch,was die Konfliktregionen angeht, das Wesentlichere.Aber im Downstream-Bereich sollten wir eine praktika-ble Lösung finden, die sozial und auch tatsächlich um-setzbar ist .Insgesamt – ich glaube, darin sind wir uns einig – ge-hen wir mit dem Verordnungsentwurf in Europa einenneuen Weg mit zum Teil noch unbekannten Größen . Des-wegen schlage ich noch zusätzlich vor, vielleicht nachdrei bis fünf Jahren eine Evaluierung des Ganzen vorzu-nehmen, um dann gegebenenfalls in der Praxis aufgetre-tene Schwierigkeiten der Regelung sachgerecht beseiti-gen zu können .Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-nen und den Linken, mein Fazit zu Ihrem Antrag lautet:Der Antrag ist weder in der Sache hilfreich, noch ist erpraktikabel, und er würde zu mehr statt zu weniger Pro-blemen für die Menschen in den betroffenen Regionenführen . Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Uwe
Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Das Thema Konfliktmineralien bleibt ein heißes Eisenfür die Menschen in den Entwicklungsländern, aber auchin der Koalition, wie die unterschiedliche Darstellungder Thematik durch Herrn Kollegen Barthel oder FrauGundelach eben ganz klar zeigt .Minister Gabriel wollte ganz lange auf europäischerEbene einfach dem Ratsvorschlag folgen, nirgendwo an-ecken und sich einfach durchlavieren . Dann kam unserAntrag . Wir haben auch sehr intensiv mit den Entwick-lungspolitikern der SPD gesprochen, die jetzt sehr spär-lich vertreten sind – das macht aber nichts –,
Dr. Herlind Gundelach
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und dann hat man offensichtlich mit Minister Gabrielgesprochen, der jetzt auch in Brüssel eine etwas anderePosition vertritt .
– Das ist vielleicht auch eine berechtigte Zwischenfrage .Die Bundesregierung unterstützt nun weiter den Kom-missionsvorschlag, wie Herr Barthel richtig formulierthat, der auf Freiwilligkeit basiert, mit dem kleinen Zu-satz: Sofern die Verhältnismäßigkeit gegeben ist, wärenverbindliche Standards gar nicht so schlecht .Ich frage mich: Was ist verhältnismäßig? Wer defi-niert diese Verhältnismäßigkeit? Wir müssen uns dochdarüber klar sein: Um eine wirkliche Chance für Min-deststandards in den Abbaugebieten und auch im Handelzu erhalten, müssen wir Verbindlichkeit einführen . Einefreiwillige Verbindlichkeit hilft dort in keiner Weise wei-ter .
Verbindlichkeit würde keinem Unternehmen, außer denkriminellen, die Handlungsoptionen entziehen . Es wirdauch kein Passepartout – das haben Sie richtig formu-liert – für alle Firmen geben .Nebenbei gesagt: Die OECD hat 2014 die Rohstof-findustrie zum bestechungsanfälligsten Wirtschaftszweigüberhaupt erklärt . In keinem Wirtschaftszweig gibt esso viel kriminelle Energie wie in der Rohstoffindustrie.Wenn man mir dann erklärt, dass man hier mit Freiwil-ligkeit einer Klärung näherkommen kann, dann sage ich:Das ist unrealistisch . Freiwilligkeit – das zeigt uns dieGeschichte – führt hier zu nichts .Der Trilog – das haben Sie richtig gesagt – beginntnächste Woche . Der Vorschlag des Rates basiert auf Frei-willigkeit . Da können Sie noch so schön daherreden:Es ist freiwillig . Damit fällt dieser Vorschlag hinter dieOECD-Standards, die UN-Leitprinzipien, die US-Ge-setzgebung und – was am erstaunlichsten ist; man kannes kaum glauben – auch hinter die chinesische Rohstoff-politik zurück . Das ist schlicht hochnotpeinlich .
Es gibt noch zwei Aspekte, die ich nennen möchte .Wir sind aus Gründen der Fairness dazu verpflichtet, al-les zu tun, damit alle Unternehmen gleiche Bedingungenhaben . Es gibt nämlich Unternehmen, die verbindlicheStandards wollen . Solange Mindeststandards durch frei-willige Regelungen leicht und locker unterlaufen werdenkönnen, tragen wir zur Marktverzerrung bei . Wir stützenverantwortungslose Unternehmen, und wir festigen pre-käre Verhältnisse vor Ort .Der zweite Punkt . Wir reden immer von Fluchtur-sachen . Es ist verdammt leicht, dieses Thema der Ent-wicklungspolitik zuzuschieben . Aber ich kann Ihnen alsleidenschaftlicher Entwicklungspolitiker versichern: DieEntwicklungspolitik kann das nicht leisten . Sie kann esschon zweimal nicht leisten, wenn internationale Struk-turen entwicklungspolitische Ansätze konterkarieren .
Menschen verlassen ihr Land, wenn sie keine Sicher-heit haben, wenn soziales Elend und Perspektivlosigkeitdominieren und wenn die Bedingungen ihre Kinder inkriminelle Gruppen zwingen . Unsere Antwort muss klarund deutlich sein: Fangen wir an, Fluchtursachen durchkohärente und konsequente Politik, also mit verbindli-chen Standards, zu bekämpfen .
Das wäre doch einmal eine tolle Idee für die CSU .Dann könnten Sie nämlich darauf verzichten, Flüchtlingezu bekämpfen . Der Kampf gegen Fluchtursachen würdereichen, wäre effektiver und sinnvoller .
Franz Josef Strauß erklärt uns auch, warum das nichtstattfindet. Er sagt nämlich: Diesen Leuten fehlt es ein-fach an christlich-sozialen Werten der abendländischenKultur . – Darüber sollten Sie einmal nachdenken .Danke schön .
Vielen Dank . – Letzter Redner in dieser Debatte ist der
Kollege Dr . Sascha Raabe, SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Viele von Ihnen haben sich heute mitroter Farbe an den Händen sozusagen verschönert, uman den Red Hand Day, der am 12. Februar stattfindet,zu erinnern . Dieser internationale Gedenktag weist da-rauf hin, dass es 250 000 Kinder auf der Welt gibt, diejährlich als Soldaten missbraucht werden und ihr Lebenaufs Spiel setzen . Selbst wenn sie überleben, werden sieein Leben lang traumatisiert sein . Deswegen ist es gutund richtig, dass wir heute darüber debattieren, wie wirals Konsumenten und Verbraucher in Deutschland undEuropa dazu beitragen können, dass in unseren Smart-phones oder anderen Geräten keine Rohstoffe verarbei-tet werden, bei deren Gewinnung Kinder als Sklaven inMinen gearbeitet haben, die dann von Rebellengruppenmissbraucht werden, um Krieg zu führen . Kinder sollenspielen und nicht schießen .
Ich verstehe, dass zurzeit die Haltung der Bundesre-gierung sowohl den Kollegen Kekeritz von den Grünenals auch die Kollegin von der Union vor Schwierigkei-Uwe Kekeritz
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ten stellt; denn unser Wirtschaftsminister Sigmar Gabrielsagt in Europa und im Rat klar: Deutschland setzt sich füreine verbindliche Regelung ein, um Konfliktmineraliennur dann nach Europa einführen zu lassen, wenn sie nichtaus Regionen stammen, in denen Schindluder mit demdadurch erwirtschafteten Geld getrieben wird und Kinderals Soldaten missbraucht werden . – Das schmerzt natür-lich, lieber Uwe, weil ihr Grünen in eurem Antrag so tut,als hättet ihr einen Wandel in der Regierung erreicht .
Ich habe dir schon im letzten Jahr gesagt, als wir überdiesen Antrag beraten haben, dass dieser durch Regie-rungshandeln erledigt sein wird . Schon damals haben wirgute Gespräche mit dem Wirtschaftsminister geführt . Wirmussten nur noch die Union überzeugen; das wird viel-leicht die Kollegin von der Union schmerzen . Deutsch-land setzt sich gemeinsam mit Schweden im Rat für ver-bindliche Regelungen ein .Verhältnismäßig muss jedes Gesetz sein; das ist imPrinzip nichts Besonderes . Da teile ich das, was derKollege Klaus Barthel gesagt hat: Natürlich ist jede Re-gelung, die dazu dient, Kinderleben zu schützen, undverhindert, dass Kinder als Soldaten kämpfen müssen,verhältnismäßig . Ich bin mir sicher, dass wir in Brüsseleinen guten Beitrag leisten und das unterstützen werden,was das Europäische Parlament auf den Weg gebrachthat . Wir als Sozialdemokraten stehen dazu . Die Bundes-regierung mit dem federführenden WirtschaftsministerSigmar Gabriel steht ebenfalls dazu . Deswegen solltenSie sich freuen, Herr Kekeritz .
Der Antrag Ihrer Fraktion ist im Kern durch Regie-rungshandeln erledigt . Deshalb werden wir ihn ablehnen .Wir nehmen gerne Ihren Dank für die gute Haltung derBundesregierung entgegen .Danke schön .
Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
zu dem Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Herkunft von Konfliktrohstof-
fen konsequent offenlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6226,
den Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/5107 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Schutz von Kindern und Jugendlichen
vor den Gefahren des Konsums von elektroni-
schen Zigaretten und elektronischen Shishas
Drucksachen 18/6858, 18/7205
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Drucksache 18/7394
Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Seni-
oren, Frauen und Jugend auch Änderungen des Dritten
Buches Sozialgesetzbuch .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort für die Bun-
desregierung hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Caren Marks .
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Kinder und Jugendliche brauchenFreiräume . Sie müssen etwas ausprobieren und auch ihreeigenen Erfahrungen machen . Aber dort, wo es nachweis-lich schädlich und auch gefährlich ist, muss es Verbote,und zwar auch in Form von Gesetzen, geben . Dort, woGefahren drohen, müssen Kinder und Jugendliche vonihren Eltern, von der Gesellschaft und auch von der Po-litik geschützt werden . Verbote werden dann akzeptiert,wenn sie gut begründet sind und konsequent umgesetztwerden .Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist gut,dass wir heute mit diesem Gesetz die Abgabe von E-Zi-garetten und E-Shishas an Kinder und Jugendliche ver-bieten und nicht länger damit warten .
Nicht für Erwachsene – wie manche meinen –: Wer E-Zi-garetten dampft, um zum Beispiel vom Rauchen wegzu-kommen, kann natürlich weiterdampfen . Im Wachstum,also für Kinder und Jugendliche, sind diese Produktenachweislich ganz besonders gesundheitsschädlich . Auchwenn sie nach Früchten oder Schokolade schmecken unddamit harmlos wirken: Sie sind nicht harmlos . Genaudeshalb verbieten wir die Abgabe an Kinder und Jugend-liche, und zwar konsequent: im Handel, im Onlinehandelund im Geschäft . Wir werden auch die Werbung dafürauf Filme ab 18 beschränken . Der entsprechende Ge-setzentwurf – federführend beim Bundesministerium fürErnährung und Landwirtschaft – ist bereits bei der Euro-päischen Union zur Notifizierung.Die Ausweitung der Verbote auf konventionelle Was-serpfeifen mit Steinen oder auch Kräutermischungenwerden wir angehen . Ich begrüße den entsprechendenDr. Sascha Raabe
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Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen und findees richtig, dass wir ohne Verzögerungen heute dieses Ge-setz so verabschieden .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich sage aberauch ganz deutlich Folgendes . Wir müssen im Jugend-schutz konsequent bleiben: Verbote nur dann, wenn esnachweislich schädlich und gefährlich ist . Jugendpolitikist nicht zuerst Verbotspolitik . Alles zu verbieten, wobeiErwachsene ein schlechtes Gefühl haben, ist jugendpoli-tisch der falsche Weg .
Richtig und notwendig ist, das zu verbieten, was Kinderund Jugendliche wirklich gefährdet . Wir brauchen kla-re Regeln im Jugendschutz, die gut begründet sind undkonsequent durchgesetzt werden . Mit dem Verbot derAbgabe von E-Zigaretten und E-Shishas an Kinder undJugendliche schließen wir eine Regelungslücke .Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchtemich bei allen bedanken, die hieran mitgewirkt haben –auch dafür, dass wir mit einem Änderungsantrag die drei-jährige Vollfinanzierung von Altenpflegeumschulungendurch die Bundesagentur für Arbeit verlängern . Das istein ganz anderes Thema, aber ich freue mich, dass wirdiese Gelegenheit nutzen . Unser Gesetz zum Schutz vonKindern und Jugendlichen vor E-Zigaretten und E-Shis-has ist der Omnibus, den wir brauchen, um diesen wirk-lich wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung in trocke-ne Tücher zu bringen . Auch das ist wichtig .
Nochmals herzlichen Dank für die gute Zusammenar-beit, auch im Sinne eines guten Jugendschutzes .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Frank
Tempel, Fraktion Die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! In der Drogen- und Suchtpolitik ist es unsergemeinsames Anliegen, gesundheitliche Risiken zu mi-nimieren und dadurch entsprechend auch die Zahl der Er-krankungen und vor allen Dingen der Todesfälle deutlichzu reduzieren . Das gilt natürlich ganz besonders beimSchutz der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen .Insofern ist es erst einmal richtig, ein entsprechendes Ge-setz auch für elektronische Zigaretten und elektronischeShishas vorzulegen .Bevor ich auf die Details des Gesetzentwurfes einge-he, möchte ich aber noch eine kleine Mahnung loswer-den . Regulierung des Verkaufs dieser Produkte ist daseine, wichtiger ist aber eine glaubhafte Aufklärung undeine vor allen Dingen wirkungsvolle Präventionsarbeit .
Prävention heißt nicht zuletzt, zu schauen, warum undwann Jugendliche überhaupt rauchen und wie wir ihnenalternative Lebensweisen anbieten und vermitteln kön-nen . Das kommt in der ganzen Debatte deutlich zu kurz,und die von uns angehörten Sachverständigen haben daszum Teil zu Recht bemängelt . Verbote werden nun ein-mal gerade von Jugendlichen – das sollten wir gelernt ha-ben – wenig akzeptiert und häufig infrage gestellt. Kinderund Jugendliche müssen deshalb in die Präventionsarbeitund Aufklärung verstärkt selbst einbezogen werden .
Dafür muss Aufklärung eben auch glaubhaft sein .Wenn Sie weiter Tabakzigaretten, elektronische Ziga-retten mit Nikotin und elektronische Zigaretten ohneNikotin in einen Topf werfen, nimmt Ihnen das einfachkeiner mehr ab, und Sie setzen sich dem Verdacht aus,im Sinne der Tabakkonzerne elektronische Variantenund Alternativen für die Tabakzigarette kleinhalten zuwollen . Unglaubwürdige Pauschalisierungen – auch dassollten wir gelernt haben – wirken in der Prävention sehroft kontraproduktiv, sie werden als ungerecht und als Be-vormundung verstanden . Ich nehme einmal an, dass auchSie, meine Damen und Herren, entsprechende Briefezahlreicher Bürger in den letzten Tagen reichlich erhal-ten haben .Bei E-Zigaretten entfallen ganz einfach die meistentabakbedingten Folgeschäden, und wenn es dann auchnoch eine E-Zigarette ohne Nikotin ist, dann gibt es ein-fach Unterschiede, die auch im Gesetzgebungsverfahrenbenannt werden müssen . Ich denke, dass gerade das prä-ventive Potenzial der E-Zigarette noch lange nicht ausrei-chend untersucht ist und es einer genaueren Betrachtungbedarf . Nicht wenige Experten sehen beispielsweise dieE-Zigarette als risikoärmere Alternative für langjährigeRaucher . Auch das gehört in die Debatte hinein .
Es mag sein, dass Sie befürchten, dass E-Zigarettenund E-Shishas nicht nur den Ausstieg aus dem Tabakkon-sum fördern, sondern auch den Einstieg in das Rauchen,gewissermaßen als Einstiegsdroge für die Tabakzigaret-te . Aber genau das wird in der Praxis selten beobachtet .Es kommt nur selten vor, dass jemand sagt, die klassischeZigarette sei ihm zu risikoreich, aber mit dem Rauchender elektronischen Zigarette fange er an . Das ist ein sel-ten beobachteter Trend; auch das gehört in die Betrach-tung hinein .Natürlich hat der Konsum von E-Zigaretten undE-Shishas gesundheitliche Risiken, gerade für Jugendli-che . – Ich habe vier Minuten Redezeit, nicht nur zwei . –Im Bereich des Tabakkonsums freuen wir uns seit Jahrenüber einen Rückgang des Rauchens bei Jugendlichen .Das hat natürlich etwas mit den Altersbeschränkungenbeim Verkauf dieser Produkte zu tun . Es macht keinenSinn, wenn der 16-Jährige keine Tabakzigaretten kaufenParl. Staatssekretärin Caren Marks
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darf, aber nikotinhaltige E-Zigaretten . Insofern ist derAnsatz, auch hier eine Altersbeschränkung einzuführen,unterstützenswert . Diesem Teil des Gesetzentwurfs wür-den wir auch zustimmen .Genauso deutlich bekommen Sie unsere Unterstüt-zung bei der Einschränkung von Werbungsmöglichkei-ten . Niemand würde Geld für Werbung investieren, wenndiese nicht einen deutlichen Anstieg des Konsums be-wirken würde . Insofern fordert die Linke durchaus kon-sequente Werbeverbote für Tabakzigaretten, für E-Ziga-retten, genauso aber auch für Alkohol und für Cannabis,wenn es demnächst auch in Deutschland hierfür legaleAbgabeformen geben wird .
Wir können diese Genussmittel nun einmal nicht aus un-serer Gesellschaft verbannen, aber gerade den gesund-heitlichen Risiken und nicht allzu oft auch den tödlichenFolgen können wir mit angemessener Regulierung, in-tensiver Aufklärung und Information entgegentreten .Der Gesetzentwurf enthält durchaus richtige Maßnah-men, ist aber mit fehlerhaften Ansätzen zur Präventionund einer unsachlichen Gleichsetzung von Tabak undE-Zigaretten inkonsequent . Eine Zustimmung ist daherleider nicht möglich .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Markus Koob .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollteich sagen – dem entsprach ja auch der Diskussionsver-lauf nach der ersten Lesung des Gesetzentwurfs –, dasses wahrscheinlich selten einen Gesetzentwurf gab, derso auf fraktionsübergreifende Zustimmung gestoßen ist .Ich war schon etwas überrascht, als die Linke gestern imAusschuss ihre Kritik vorgebracht hat, die sie hier heuteerneuert hat . Natürlich haben Sie recht, dass es keinenSinn macht, dass wir mit Blick auf erwachsene Men-schen E-Zigaretten in dieser Form regulieren . Aber heutegeht es nun einmal darum, dass wir den Jugendschutzanpassen wollen .
Deshalb, so muss ich sagen, habe ich für Ihre Kritik andieser Stelle wirklich kein Verständnis .
– Ja, aber das kam in der Rede nicht wirklich rüber, HerrWunderlich .
Ich glaube, wir sind nach etwas mehr als einem JahrBeratungen, die auch dadurch notwendig geworden sind,dass uns das Bundesverwaltungsgericht mit einem Urteilgezwungen hat, zu erkennen, dass wir hier Handlungs-bedarf haben, an einem Punkt, an dem wir sagen kön-nen: Wir schließen ein Gesetzesvorhaben ab . Ich glaube,wir haben heute einen Tag, an dem wir sagen können,dass der Jugendschutz gestärkt wird . Das ist eine positiveNachricht und eine sehr gute Nachricht für die Kinderund Jugendlichen in unserem Land .
Ich sage auch: Es war richtig, dass das Bundesver-waltungsgericht geurteilt hat, wie es geurteilt hat: dassnikotinhaltige Liquids keine Arzneimittel im Sinne desArzneimittelgesetzes sind, denn sie werden eben nichtals Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung vonKrankheiten vermarktet . Insofern war vorhersehbar,dass wir hier ein solches Urteil dieses Gerichts erhaltenwerden . Es ist auch in dieser Deutlichkeit angemessen .Denn es geht hier um höchst gesundheitsgefährdendeInhaltsstoffe, die als Arzneimittel zu deklarieren wären .Wir sind dabei, gerade mit dem Jugendschutz Kinder undJugendliche vor Krankheiten zu schützen . Das gilt natür-lich auch für den Bereich des Rauchens und Dampfens .Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf ist uns einegute und vor allem kurzfristige Antwort auf die entstan-dene Regelungslücke gelungen . Ich muss in dieser Redenicht noch einmal extra darauf hinweisen, dass wir esmit Krankheiten zu tun haben, die sowohl vom Tabak-konsum als auch von E-Inhalationsprodukten ausgehen .Dass diese Krankheiten umso gravierender verlaufen, jefrüher mit dem Konsum der besagten Produkte begonnenwird, ist rational leicht erschließbar .Der von uns allen sehr geschätzte Helmut Schmidtwar nicht nur aufgrund seines hohen Alters und seinesIntellekts eine Rarität, sondern auch wegen seines hohenTabakkonsums . Den allermeisten Rauchern aber ist die-ses Alter nicht vergönnt . Sie sterben wesentlich früher alsHelmut Schmidt an verschiedenen Krebsarten, Thrombo-sen oder Herzinfarkten .Damit Kinder und Jugendliche längstmöglich vor die-sem Konsum geschützt werden, ändern wir heute das Ju-gendschutzgesetz . Wir verbieten mit diesem Gesetz dasAngebot und die Abgabe von nikotinhaltigen E-Zigaret-ten und E-Shishas, aber auch die Abgabe von nikotinfrei-en E-Zigaretten und E-Shishas an Jugendliche off- undonline .Wichtig ist vor allem die Berücksichtigung nikotin-freier E-Inhalationsprodukte in diesem Gesetzentwurf;denn Nikotin ist nicht der gefährlichste Inhaltsstoff derE-Zigaretten und der E-Shishas . Die Inhalation des Ae-rosols nikotinfreier Zigaretten entspricht der Inhalationeines Chemiecocktails . Kurz zusammengefasst: Es be-finden sich unter anderem Propylenglykol, Glyzerin, Di-acetyl und Schwermetalle im Aerosol der nikotinfreienE-Inhalationsprodukte . Zwar sind Propylenglykol undGlyzerin in flüssiger bzw. fester Form nicht schädlich,inhalativ aufgenommen haben sie allerdings erheblicheSchäden der Lungen zur Folge, gerade in den noch nichtvoll ausgewachsenen Lungen von Kindern und Jugend-lichen .Frank Tempel
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Zweifellos hätten wir uns als CDU/CSU-Bundestags-fraktion bereits jetzt weiter gehende Regelungen für denGesundheitsschutz der Kinder und Jugendlichen in un-serem Land gewünscht . Wir halten es für absolut gebo-ten – nicht nur durch die eindeutigen Aussagen der Sach-verständigen –, auch Dampfsteine, Kräutermischungen,Pilze und Gele, die über konventionelle Wasserpfeifenkonsumiert werden, in das Jugendschutzgesetz aufzu-nehmen .Konventionelle Wasserpfeifen funktionieren ähnlichwie ihre elektronischen Schwestern . Es werden Dampf-steine, Kräutermischungen, Pilze und Gele verbrannt undderen Schadstoffe, die denen der E-Shishas und E-Ziga-retten ähneln, inhalativ aufgenommen . Zu ihnen gehörenunter anderem Kohlenmonoxid, Aldehyde, polyzykli-sche Kohlenwasserstoffe und Schwermetalle . Wenn mandaran denkt, dass eine Wasserpfeifensitzung – auch dashaben uns die Sachverständigen gesagt – dem Rauch von100 Zigaretten entspricht, bekommt man eine Vorstellungvon der Brisanz nikotinfreier Produkte für Wasserpfeifenfür die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen .Angesichts eines notwendigen EU-Notifizierungs-verfahrens bei einer Änderung des Gesetzentwurfs desBundesfamilienministeriums standen wir vor der Wahl,die Beschränkung der E-Zigaretten und E-Shishas umweitere Monate hinauszuzögern oder aber die Beschrän-kung des Angebots und der Abgabe in einem zweiten Ge-setzgebungsverfahren zu regeln . Es war eine schwierigeAbwägung, die unsere Fraktion vorgenommen hat, dawir als CDU/CSU-Fraktion um die Gefahr, die vom Ge-brauch herkömmlicher Wasserpfeifen ausgeht, wissen .Mit der Entschließung, die wir im Ausschuss be-reits verabschiedet haben, fordern die CDU/CSU- undSPD-Vertreterinnen und -Vertreter, umgehend ein weite-res EU-Notifizierungsverfahren für einen Gesetzentwurf,der das Angebot und die Abgabe von nikotinfreien Pro-dukten wie Dampfsteinen, Kräutermischungen, Pilzenund Gelen für die Nutzung konventioneller Wasserpfei-fen für unter 18-Jährige regelt, einzuleiten . Aus meinerSicht ist die existierende Datenlage ausreichend, um imJugendschutzgesetz eine solche Reglementierung fürKinder und Jugendliche vornehmen zu können .
Auch ein explizites Werbeverbot hinsichtlich E-In-halationsprodukten bei Filmveranstaltungen befürwortenwir mit der bereits angesprochenen Entschließung .Wir als Jugendpolitiker werden weiter kämpfen, bisauch nikotinfreie Wasserpfeifenprodukte und das er-wähnte Werbeverbot bei Filmveranstaltungen Aufnahmeim Jugendschutzgesetz gefunden haben und Kinder undJugendliche angemessen geschützt werden . Die umzu-setzende Tabakproduktrichtlinie geht bereits in dieseRichtung .Zigaretten, E-Inhalationsprodukte und konventionelleWasserpfeifen sind unabhängig vom jeweiligen Nikotin-gehalt Suchtmittel, die nicht in die Hände minderjährigerPersonen gehören . Nach dem heutigen Stand der For-schung hat Sucht sehr viel mit dem Angewöhnen unddem Lernen von Ritualen zu tun . Durch explizit kinder-freundliche Aromen werden Kinder mit ihren Geschmä-ckern an die E-Zigaretten herangeführt . Ist der Einstiegin die Sucht erst einmal bereitet und das Dampfverhalteneinstudiert, ist der zu gehende Weg in Richtung Tabak-zigaretten kurz und ohne große Hürden . Der Weg wurdedann bereits durch E-Inhalationsprodukte bereitet . Diepsychische Abhängigkeit ist dann dafür verantwortlich,dass den Konsumenten der Ausstieg aus dem Rauchenmeist sehr schwer fällt .Auch wenn E-Inhalationsprodukte für bereits suchter-krankte Raucherinnen und Raucher ein Ausstiegsmodellsein können, besteht die Gefahr, dass sich dieses Aus-stiegsmodell bei naturgemäß nicht zigarettenaffinen Kin-dern und Jugendlichen zu einem Einstiegsmodell in dendauerhaften Tabak- oder E-Zigarettenkonsum entwickelt .Dies gilt es mit aller Vehemenz zu verhindern . Auch da-für brauchen wir diese Jugendschutzgesetznovelle unddie sehr zeitnah erfolgende Erweiterung der Verbote umDampfsteine, Kräutermischungen, Pilze und Gele, dieüber konventionelle Wasserpfeifen konsumiert werden .Ich möchte meine Rede auch heute wieder, wie be-reits das letzte Mal zu diesem Thema, dem Nichtraucher-oder, wenn Sie so wollen, auch dem Nichtdampferschutzwidmen . Seit 2007 wurde in Deutschland auf diesemGebiet viel erreicht . Das Aufkommen der E-Zigarettenund E-Shishas hat aber Maßnahmen zur Anpassung derbestehenden Nichtraucherschutzgesetze notwendig ge-macht . Ihrer Verantwortung, die Gesundheit ihrer Bürge-rinnen und Bürger vor den Gefahren des Rauchens undDampfens zu schützen, müssen explizit auch die Ländernachkommen .Diesen Appell richte ich ebenfalls an die Verantwort-lichen für die Einhaltung der Nichtraucherschutzgesetze .Gesetze helfen nicht, wenn sie nicht konsequent ange-wendet werden . Dies muss gerade bei E-Inhalationspro-dukten und Wasserpfeifen noch konsequenter geschehen .18 Prozent der E-Dampfer nutzen die E-Inhalations-produkte laut einer Umfrage der Gesellschaft für Kon-sumforschung explizit, um in Nichtraucherbereichendampfen zu können . Das offenbart angesichts der Ge-sundheitsgefährdung, die von diesen Produkten für je-den Einzelnen ausgeht, Handlungsbedarf . Zwar hat jedevolljährige Person in Deutschland das Recht, zu dampfenund zu rauchen – das ist Teil der individuellen Freiheit,die ich sehr begrüße -; klar muss aber sein, dass meineFreiheit als Dampfer und Raucher dort endet, wo durchmein Verhalten die Freiheit meiner nichtrauchenden Mit-menschen eingeschränkt wird .
Rauchen kann töten, Dampfen sehr wahrscheinlichauch . Es geht um Drogen, die die deutsche Gesell-schaft durch Krankheit und Verringerung der Produkti-onsleistung jährlich Milliarden von Euro kosten . Allein13,5 Prozent aller Todesfälle in Deutschland sind direktauf das Rauchen zurückzuführen . Im Vergleich dazu sindnur 3,8 Prozent aller Todesfälle auf eine nicht natürlicheTodesursache wie eine Verletzung, einen Unfall oder eineVergiftung zurückzuführen . Die jährlichen direkten Kos-ten des Rauchens belaufen sich auf 25 Milliarden Euro .Markus Koob
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Ein besonderes Thema, auf das ich vermehrt von Ärz-ten hingewiesen wurde und auf das ich hier aufmerksammachen möchte, ist das Rauchen in der Schwangerschaft .Das Rauchen in der Schwangerschaft ist bedauerlicher-weise kein Randphänomen in unserer Gesellschaft . Je-des achte Kind zwischen null und sechs Jahren ist einOpfer dieser Körperverletzung geworden . Bereits abeiner Zigarette erhöht sich die Wahrscheinlichkeit vonEileiterschwangerschaften, Frühgeburten, pränatalerSterblichkeit, plötzlichen Kindstoden, verringerten Ge-burtsgewichten und -größen und vielem mehr . Wir alsGesellschaft müssen gegensteuern und den künftigenEltern deutlich machen, dass es keine Lappalie ist, inder Schwangerschaft zu rauchen . Zu dieser Aufklärunggehört auch das Informieren darüber, dass vom Rauchenin Autos für Kinder und Jugendliche eine sehr große Ge-sundheitsgefahr ausgeht, weil dort trotz offener FensterKinder und Jugendliche einer sehr konzentrierten Schad-stoffbelastung ausgesetzt sind .
Meiner Ansicht nach sollten Präventionsmaßnahmennicht immer gesetzlicher Natur, sondern vielmehr aufklä-render Natur sein . Wir wollen keine schwer zu kontrollie-renden gesetzlichen Regelungen wie in Großbritannien .Wir wollen, dass alle Eltern auf die Gesundheit ihrer Kin-der achtgeben – ob zu Hause oder im Auto –, und vertrau-en darauf, dass sie es nach erfolgter Aufklärung auch tun .
Herr Kollege Koob, Sie denken an die Zeit?
Jawohl .
Sie haben ja schon so viel Redezeit .
Ja . – Ich komme zum Schluss . Ich freue mich – das ist
die zweite positive Nachricht in der heutigen Debatte –,
dass es uns in relativ kurzer Zeit gelungen ist, die für die
Gesundheit der Kinder und Jugendlichen so gefährliche
Gesetzeslücke zu schließen . Der Weg ist mit der Ver-
abschiedung dieses Gesetzes noch nicht zu Ende, aber
er wurde von uns erfolgreich begonnen . Lassen Sie uns
weitergehen .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . Sie dürfen gleich noch einmal reden;
denn der Kollege Tempel hat um eine Kurzintervention
gebeten . Daher erteile ich Ihnen nachher noch einmal das
Wort . – Bitte schön .
Sehr geehrter Herr Koob, Sie haben sich nicht aus-
schließlich auf den Jugendschutz bezogen, aber ich
möchte trotzdem auf genau diesen zurückkommen . Es
gibt ja nicht nur die Äußerungen der Experten, die Sie
eingeladen haben, sondern auch andere . Wenn Sie ein
bisschen in meine Rede hineingehört haben, haben Sie
auch verstanden, dass ich unter anderem gesagt habe,
dass aus unserer Sicht eine Pauschalisierung und Gleich-
setzung von Tabakzigarette, E-Zigarette mit Nikotin und
E-Zigarette ohne Nikotin unverhältnismäßig ist . Ich habe
auch gesagt, dass wir Altersbeschränkungen beim Ver-
kauf von E-Zigaretten mit Nikotin zustimmen würden .
Das heißt nicht, dass wir die komplette Pauschalisierung,
alle diese Beschränkungen bei E-Zigaretten ohne Nikotin
gleichermaßen mittragen würden . Hier geht es nicht da-
rum, dass wir den Jugendschutz nicht thematisiert haben,
sondern darum, dass tatsächlich ein inhaltlicher Dissens
besteht .
Herr Kollege Koob, bitte schön .
Vielen Dank . – Den Dissens sehe ich auch, aber ich
verstehe ihn nach wie vor nicht . Wir hatten in der Anhö-
rung der Sachverständigen die Situation, dass das, was
wir als CDU/CSU und SPD jetzt zum Thema Dampfstei-
ne und Wasserpfeifen fordern, nicht von allen Sachver-
ständigen explizit gefordert worden ist . Es ist aber von
allen Sachverständigen explizit gesagt worden, dass in
diesem Bereich absoluter Handlungsbedarf besteht und
wir hier eine Gesetzeslücke haben . Noch einmal: Es
geht darum, dass wir hier für Jugendliche und Kinder
Regelungen vornehmen und eben nicht für Erwachsene .
Was diesen Punkt angeht, haben eigentlich alle Sachver-
ständigen durch die Bank weg gesagt, dass dieses Ge-
setz sinnvoll und notwendig ist . Deshalb kann ich den
inhaltlichen Dissens an dieser Stelle nach wie vor nicht
nachvollziehen .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen hat jetzt der Kollege Dr . Harald Terpe das Wort .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jugendschutz hatda seine Berechtigung, wo wir fürchten müssen, dass dieSchutzbefohlenen gesundheitlichen Risiken ausgesetztsind, insbesondere dann, wenn sie gesundheitlichen Ri-siken ausgesetzt sind, die für sie vielleicht stärker sindals für Erwachsene, weil das Gesundheitsrisiko entspre-chend früher im Lebenszyklus einsetzt . Ich gehe auch soweit, zu sagen, dass man, wenn ein solches Risiko nichtexplizit mit starken Argumenten nachweisbar ist, trotz-dem im Jugendschutz Regelungen treffen kann, indemman sagt: Weil das Risiko vielleicht besteht, muss mangesetzliche Regelungen treffen .Markus Koob
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Nun stellt sich die Frage: Ist dieses Gesetz an dieserStelle zielführend? Es ist schon gesagt worden, dasses um den Konsum von elektronischen Zigaretten undE-Shishas geht . Wenn man sich einmal umhört, fragt mansich, ob es zielführend ist, weil damit verschleiert wird,worum es eigentlich geht . Es geht gar nicht um die elek-tronische Zigarette als solche und um die E-Shisha alssolche, sondern um das, was damit verdampft und ver-raucht wird . Es wird Gott sei Dank in der Begründungdeutlich – das wissen wir auch alle –, dass es natürlich inerster Linie um Nikotin geht .Insbesondere in Deutschland war Nikotin als Liquidin der Dosis nicht beschränkt wie jetzt nach der euro-päischen Richtlinie . Nicht nur für Erwachsene, sondernbesonders für Kinder besteht die Gefahr, dass Nikotinnicht erst über den Genuss von Jahren und Jahrzehntenirgendeine krankmachende Funktion hat, nämlich dieAbhängigkeit erzeugt, sondern direkt zum Tode führt .Nikotin ist ein hochtoxischer Stoff und kann direkt zumTode führen . Insofern war natürlich klar, dass sich dieDiskussion zunächst am Nikotin entspann . Nun wirddurch eine Art Umweggesetzgebung – Gesetze, die denTrigger oder den Vektor betreffen, der dieses Nikotinoder andere Liquids als Dampf dem kindlichen oder demjugendlichen Körper aussetzt – vorgenommen . Insofernkann man sagen: Natürlich erreicht man mit diesem Ge-setz, indem man die Vektoren beschränkt, auch das Ziel .Man kann nicht nach der Art vorgehen, indem man sagt:Wir verhindern den Genuss des Eintopfs, indem wir dieTöpfe verbieten . – Aber wir gehen trotzdem mit, weil wirdamit tatsächlich Nikotinliquids und auch die möglicher-weise krankmachenden Inhalate der Ausgangsproduktevon Liquids regulieren .Trotzdem muss man noch einmal darauf hinweisen,dass die Datenlage wesentlich dünner ist als beim Tabak-rauchen . Hier möchte ich dem Kollegen Koob von derCDU noch einmal sagen: Es gibt seit Jahrzehnten Stu-dien zum Tabakrauchen . Auch die Gesetzgebung zumSchutz vor Passivrauchen, bei der ich sozusagen maß-geblich Treiber war, zielte darauf ab, dass Tausende vonPassivrauchern versterben, weil sie passivrauchen . Daist tatsächlich der Satz gerechtfertigt: Die Freiheit desEinzelnen endet da, wo er in die Freiheit eines Dritteneingreift . – Aber die Datenlage – das muss man schon sa-gen – für die Liquids ist bei weitem nicht so . Hier gibt eskeine Studienergebnisse . Deshalb würde ich schon ver-langen, dass wir uns nach wie vor um Studienergebnissebemühen .In dem Gesetzentwurf kommt das Thema der Verhal-tensprävention viel zu kurz . Das Informieren der Konsu-menten über Gefahren müssen wir ausbauen . Hier hat derKollege Tempel völlig recht .Ich denke, in Ihrer Entschließung machen Sie wiederetwas, was bereits bei der Richtlinie gemacht worden ist:Sie gehen bei den Werbeverboten nicht weit genug .
Ich kann nicht verstehen, wieso man immer noch undsogar im Zusammenhang mit Jugendschutz eine Beiß-hemmung für Werbeverbote hat . Das ist mir völlig un-verständlich . Insofern ist dort der Ansatz zur Verhaltens-prävention völlig unterbelichtet oder unterkomplex .
Vielen Dank . – Das war jetzt ein guter Schluss, Herr
Kollege .
Wir stimmen aber dem Gesetz zu, weil der Jugend-
schutz natürlich auch mit diesem Gesetz gestärkt wird .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Ursula Schulte,
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damenund Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Ich bin froh, dass Manuela Schwesig als zustän-dige Bundesministerin bei diesem Gesetzentwurf, denwir heute hier beraten, richtig Gas gegeben hat; denn jeschneller das Gesetz kommt, desto schneller können wirunsere Kinder und Jugendlichen schützen, und darumgeht es doch, liebe Kolleginnen und Kollegen .E-Zigaretten und E-Shishas haben in Kinderhändennichts verloren;
denn der Konsum ist, wie wir mittlerweile wissen, ge-sundheitsschädlich, gerade in der Wachstumsphase . Ichbin froh – das steht jetzt hier –, dass wir uns in diesemPunkt in diesem Hause einig sind . Es ist sehr schade, dassdie Linken nicht mitmachen . Ehrlich gesagt, ich habe Ih-ren Einwurf auch nicht verstanden .
– Ja, das machen wir gleich . – Dass wir mit diesem Ge-setzentwurf auf dem richtigen Weg sind, hat die öffentli-che Anhörung am 11 . Januar doch deutlich gezeigt . AlleExpertinnen und Experten haben das geplante Abgabe-und Konsumverbot von E-Zigaretten und E-Shishas anKinder und Jugendliche ausdrücklich begrüßt .
Ich zitiere in diesem Zusammenhang Dr . MatthiasBrockstedt:Bei einer umfassenden Gesundheitsfolgenabschät-zung werden Kinder und Jugendliche eindeutig als„Gewinner“ eines kompletten Vertriebs- und Ver-kaufsverbotes von E-Zigaretten und E-Shishas da-stehen, …Dr. Harald Terpe
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Das ist eine klare und eindeutige Aussage, die meineFraktion und ich jedenfalls aus vollem Herzen teilen, lie-be Kolleginnen und Kollegen .
Den erwachsenen Konsumenten, das sei Ihnen auchnoch einmal gesagt, Herr Tempel, die sich mit Hundertenvon Mails bei Ihnen und bei mir gemeldet haben, sageich klar und deutlich: Natürlich können Sie immer nochfrei entscheiden, ob Sie rauchen wollen oder nicht . Siekönnen auch entscheiden, was Sie rauchen . Letzteres be-zieht sich, gestatten Sie mir den Einwurf, allerdings aufTabak und E-Produkte . Ich stelle das hier klar, weil ichim deutsch-niederländischen Grenzraum wohne, und daraucht man schon gern einmal das eine oder andere, wasnicht so ganz mit dem Gesetz übereinstimmt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz leistetnicht nur einen wichtigen Beitrag zum Kinder- und Ju-gendschutz, sondern ebenso zum Gesundheits- und Ver-braucherschutz, und den Verbraucherschutz werden wirmit der Tabakproduktrichtlinie noch einmal verstärken .Aber all das ist nur ein Anfang . Wir haben uns in einemweiteren Schritt mit dem Abgabe- und Konsumverbotvon nikotinfreien Erzeugnissen an Kinder und Jugendli-che zu beschäftigen, eben weil es den Verdacht gibt, dassdiese auch gesundheitsschädlich sind . Diese Dinge wer-den ja zum Beispiel durch konventionelle Wasserpfeifeninhaliert . Ich denke da an Kräutermischungen, Zucker-erzeugnisse und die sogenannten Dampfsteine . Geradedie konventionellen Wasserpfeifen und die Dampfsteinewerden zunehmend beworben, und der Fantasie und demErfindungsgeist der Raucherindustrie scheinen dabei kei-ne Grenzen gesetzt zu werden .
Daher müssen wir nicht nur über ein Abgabeverbot nach-denken, sondern auch über ein Werbeverbot, und genaudas tun wir, und das werden wir auch auf den Weg brin-gen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stehe an der Sei-te des Verbandes der deutschen Kinderärzte, wenn dieserfordert, das Rauchen im Auto zu unterlassen, wenn Kin-der anwesend sind . Die Feinstaubbelastung steigt dortum ein Vielfaches, da nützt es auch nichts, wenn man dasFenster öffnet . Es muss Konsens in diesem Land werden,dass im Auto nicht geraucht wird, wenn Kinder an Bordsind . Am besten, man raucht überhaupt nicht in der Nähevon Kindern, das ist dann gelebte Prävention .
Als Berichterstatterin habe ich mich natürlich auchin verschiedenen Dampferforen umgesehen . Es gab dorteine vehemente Kritik an diesem Gesetzentwurf und anunserer politischen Diskussion, vor allem aber auch anunserer Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig .Ich bin froh, dass wir alle dem Druck nicht nachgegebenhaben, und ich danke Manuela Schwesig noch einmalausdrücklich für ihren Einsatz im Sinne des Kinder- undJugendschutzes .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank .Die Aussprache ist damit beendet, und wir kommenzur Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kin-dern und Jugendlichen vor den Gefahren des Konsumsvon elektronischen Zigaretten und elektronischen Shi-shas . Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen undJugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 18/7394, den Gesetzentwurfder Bundesregierung auf den Drucksachen 18/6858 und18/7205 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bittediejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-sung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer istdagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist da-mit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen .Dritte Beratungund Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-entwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD undBündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen .Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/7394 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-schließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmender Koalitionsfraktionen bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken angenommen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten MonikaLazar, Özcan Mutlu, Dr . Konstantin von Notz,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENFür eine weltoffene und vielfältige Sport- undFankultur – Bürgerrechte schützen, Grup-penbezogene Menschenfeindlichkeit effektivbekämpfen, rechte Netzwerke aufdeckenDrucksache 18/6232Überweisungsvorschlag:Sportausschuss
InnenausschussUrsula Schulte
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazukeinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die KolleginMonika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Herbst 2014 randalierten circa 5 000 Hooligans unter
dem Motto „Hooligans gegen Salafisten“ in der Kölner
Innenstadt . Die rechtsextreme Band Kategorie C trat auf;
die rechte Rockerszene und auch einschlägige Neonazis
waren vertreten . Im Nachhinein stellte sich heraus, wie
überfordert die Sicherheitsbehörden im Vorfeld bei der
Einschätzung des Gefahrenpotenzials dieser Veranstal-
tung gewesen waren . Die Teilnehmerzahl wurde unter-
schätzt, und viele wunderten sich, wie kurz der Draht
zwischen rechten Hools, Neonazis und rechten Rockern
war . Und tatsächlich: Der Mobilisierungsgrad innerhalb
der rechten Szene hat auch Kenner der Zivilgesellschaft
überrascht .
Danach wurde es vermeintlich ruhiger um HoGeSa .
Auch die Nachfolgeorganisation zerlegte sich schnell .
Trotzdem versuchen seit einigen Jahren rechtsextreme
Alt-Hools, in die Stadien zurückzudrängen und den oft
antirassistisch eingestellten Ultragruppierungen den
Platz streitig zu machen .
Aber auch außerhalb der Stadien tut sich etwas . Erst
vor kurzem haben wir in meiner Heimatstadt Leipzig
das Gewaltpotenzial der rechten Hooligan-Szene ganz
konkret zu spüren bekommen: Am 11. Januar überfielen
250 vermummte Nazi-Hooligans den alternativen Stadt-
teil Connewitz und verwüsteten einen Straßenzug . Viele
davon kamen aus dem Umfeld des Halleschen FC und
von Lok Leipzig . Aber auch am letzten Samstag über-
fielen vermeintliche Anhänger von Dynamo Dresden im
Anschluss an das Spiel Menschen mit Migrationshinter-
grund am Dresdner Hauptbahnhof . Diese aktuellen Bei-
spiele aus Sachsen zeigen: Auch wenn HoGeSa kaum
noch eine Rolle spielt, wüten rechte Hooligans weiter .
Hier muss Politik reagieren .
Was haben Innenministerien und Polizeibehörden sich
nicht alles ausgedacht, um Gewalt im Fußball einzu-
dämmen! So wird in einigen Fällen das niederländische
Modell praktiziert . Dabei sollen alle Auswärtsfans ihre
Eintrittskarten erst nach der Anreise ausgehändigt be-
kommen . Allerdings ist die Voraussetzung, dass man sich
verpflichtet, zum Beispiel mit Sonderbussen anzureisen,
nachdem man sich registriert hat .
Kaum eine Innenministerkonferenz vergeht, in der das
Thema „Sicherheit im Fußball“ nicht thematisiert wird .
Aber das Problem liegt woanders . Es braucht bei der
Bekämpfung des Rechtsextremismus im Sport wie auch
in anderen gesellschaftlichen Bereichen einen Präventi-
onsansatz . Wir haben in unserem Antrag nicht umsonst
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Fanrech-
te gegenübergestellt . Denn die Fankultur im Fußball ist
vielfältig und gesellschaftlich relevant . Gerade die Ultras
sind Bestandteil dessen, was den Reiz des Fußballs aus-
macht . Wer das kaputtmacht, indem er dafür sorgt, dass
Menschen nur noch unter Preisgabe ihrer Daten und un-
ter Zwang zur Nutzung einer bestimmten Anreiseart zum
Stadion kommen, schneidet sich langfristig ins eigene
Fleisch . Denn so schafft man es, jede Emotion aus dem
Spiel zu nehmen, und Fans werden, bloß weil sie Anhän-
gerinnen und Anhänger eines Vereins sind, als Krawall-
macher stigmatisiert .
Trotz der positiven Entwicklung in den letzten Jahren
sind Rassismus und Rechtsextremismus im Sport wei-
terhin ein Problem . Um die Zivilgesellschaft auch im
Sport zu unterstützten, schlagen wir deshalb ein sport-
bezogenes Bundesprogramm vor . Im Bundesprogramm
„Zusammenhalt durch Teilhabe“ gibt es zwar positive
Beispiele zu dem Thema, nach Gesprächen mit Initiati-
ven, die das jeden Tag aufs Neue erleben, ist uns aber klar
geworden: Es braucht einen gesonderten Sportbezug in
einem Programm, um das Problem wirklich zu lösen . Die
Details sind in unserem Antrag nachzulesen .
Kurz zusammengefasst: Der Schutz vor Diskriminie-
rung und Rassismus im Sport ist zu stärken . Gleichzeitig
ist daran zu erinnern: Vergessen wir die Bürgerrechte von
Fußballfans nicht .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Stephan Mayer,
CDU/CSU-Fraktion .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Mit Verlaub: Das Bes-te an dem vorliegenden Antrag der Grünen „Für eineweltoffene und vielfältige Sport- und Fankultur“ ist dieÜberschrift .
Darüber hinaus kann man wirklich nur sagen, meine lie-be Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Der An-trag ist mit heißer Nadel gestrickt,
und er ist leider über weite Strecken sehr unsubstanziiertund einfach nur als dünne Suppe zu bezeichnen .
Sie bringen Dinge miteinander in Bezug, die nichtsmiteinander zu tun haben . Ich kann insbesondere IhrerForderung nach einem einheitlichen BundesprogrammVizepräsidentin Ulla Schmidt
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gegen Rechtsextremismus im Sport nichts abgewinnen .Ich sage das ganz bewusst nicht, weil ich den Rechts-extremismus im Sport verniedliche . Ganz im Gegenteil:Jede Gewalttat, jede Straftat, die rechtsextremistisch mo-tiviert ist, ist nicht nur unappetitlich, sie ist verabscheu-ungswürdig und in höchstem Maße verwerflich. Aber mitIhrem einheitlichen Bundesprogramm hängen Sie derIdee nach: Man muss nur ein großes Programm auf dieBeine stellen, und damit ist man aller Probleme verlustig .Das Gegenteil ist der Fall .Schauen Sie sich den „Jahresbericht Fußball“ der Zen-tralen Informationsstelle Sporteinsätze genau an . Überdie letzten Jahre hinweg lag der Anteil rechts-, aber auchlinksextremistisch motivierter Straftaten bezogen auf alleStraftaten deutlich unter 5 Prozent . Ich sage noch ein-mal ganz bewusst: Ich verniedliche nichts . Wie gesagt:Jede rechts- oder linksextremistisch motivierte Straftatim Sport ist eine zu viel, und sie muss nachdrücklichverfolgt werden . Ich bin nur der festen Überzeugung, eswäre falsch, der Idee anzuhängen, dass man mit einemgroßen Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus imSport auf einen Schlag sämtliche Probleme löst . Das Ge-genteil ist der Fall .
– Lieber Herr Kollege Mutlu, ich werde Ihnen jetzt dar-stellen, was schon alles erfolgreich umgesetzt wurde .Es gibt die Plattform „Verein(t) gegen Rechtsextre-mismus“, die unter anderem vom Bundesinnenministeri-um als Träger gefördert wird,
auf der sich unterschiedliche Organisationen, Vereini-gungen oder Verbände, die sich im Kampf gegen Rechts-extremismus im Sport engagieren, austauschen bzw . mit-einander in Beziehung gesetzt werden .Ich möchte auch deutlich betonen, dass wir als Bun-deshaushaltsgesetzgeber unsere Hausaufgaben gemachthaben, indem wir das Programm „Integration durchSport“ deutlich aufgewertet haben: von 5,4 MillionenEuro im Jahr 2015 auf 11 Millionen Euro in diesem Jahr .Wir haben hier aus meiner Sicht ein klares Signal gesetzt .Ich gebe Ihnen auch den guten Rat: Sehen Sie sich dieHandreichung „Wir wollen eigentlich nur Sport machen“an, die vom Bundesinnenministerium gefördert wird . Dasist ein Beispiel dafür, wie man abseits von großen Bun-desprogrammen ganz zielgerichtet und praxistauglichVereine und Verbände bei ihrer Präventionsarbeit vor Ortunterstützen kann . Darin sind praktische Beispiele ent-halten, leicht verständlich und anschaulich geschildert .Das ist aus meiner Sicht die beste und eine sinnstiftendePräventionsarbeit im Kampf gegen Rechtsextremismus .
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von denGrünen, ich kann in keiner Weise Ihre Kritik an der Datei„Gewalttäter Sport“ nachvollziehen . Ich sage das auchals Innenpolitiker: Die Datei „Gewalttäter Sport“ ist ausmeiner Sicht sogar ein herausragendes Beispiel für guteKooperation der Sicherheitsbehörden des Bundes mit de-nen der Länder . Sie gibt es schon lange, und sie hat sichaus meiner Sicht auch in vollem Umfang bewährt sowohlim Bereich der Gefahrenabwehr, also wenn es um dieVerhinderung von Gewaltexzessen im und rund um denSport geht, als auch, wenn es darum geht, Straftaten, diesich im Umfeld von sportlichen Großereignissen ereignethaben, aufzuklären .Ich bitte auch zur Kenntnis zu nehmen, dass es den Be-schluss einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom 20 . Ok-tober 2014 gibt . Diese Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatsich zur Aufgabe gemacht, die Datei „Gewalttäter Sport“zu evaluieren, zu überprüfen, um herauszufinden, was zuverbessern ist, und um die Transparenz, die Praktikabili-tät zu erhöhen . Ich kann Sie nur auffordern: Lassen Sieuns doch erst einmal abwarten, was die Bund-Länder-Ar-beitsgruppe zutage fördert, bevor wir sehr schnell mitKonsequenzen und Forderungen nach außen treten, dieaus meiner Sicht wie gesagt nicht ausgegoren und auchnicht substanziiert sind .Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Koordi-nierungsstelle Fanprojekte natürlich Sinn macht, es abernicht allein Aufgabe des Staates, des Bundes ist, dieseFanprojekte mit Steuergeldern zu unterstützen . Ich sehehier gerade den Deutschen Fußballbund als größte Sport-fachorganisation der Welt in der Verantwortung, für zu-sätzliche Stellen zu sorgen .
Der ständige Ruf nach dem Staat spricht aus meiner Sichtfür eine verfehlte Politik . Wir sprechen doch immer sogerne von der Autonomie des Sports . In diesem Zusam-menhang ist der Sport konkret gefordert, insbesondere inForm des Deutschen Fußballbundes .
Der Bund unterstützt die Koordinierungsstelle Fanpro-jekte . Wir geben auch in diesem Jahr wieder einen Zu-schuss von über 250 000 Euro . Wir stehlen uns also nichtaus der Verantwortung, ganz im Gegenteil .Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ichmöchte Ihnen gar nicht den guten Willen absprechen –das sage ich hier ganz bewusst und sehr ernsthaft zumAbschluss –; aber ein derartiger Antrag, in den allesMögliche integriert wird, auch Punkte, die überhauptnichts damit zu tun haben, dient der Sache nicht . Da-bei sind wir uns in der Sache ja einig: Es geht darum,Rechts extremismus in jeder Hinsicht, aber insbesondereim Sport nachdrücklich zu bekämpfen . In diesem Sinnekann man Ihrem Antrag nur eine klare Ablehnung ertei-len .Vielen Dank .
Stephan Mayer
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Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
der Kollege Dr . André Hahn .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern
war der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialis-
mus . Wir haben hier im Bundestag eine bewegende Rede
der 84-jährigen Holocaust-Überlebenden Ruth Klüger
gehört . Aber es gab auch weitere Aktivitäten, zum Bei-
spiel den Aufruf der Initiative „!Nie wieder“ . Durch viel-
fältige Aktionen rund um den 27 . Januar im deutschen
Profi- und Amateurfußball – einheitliche Sprecherdurch-
sagen oder antirassistische Choreografien – soll in den
Stadien ein Zeichen gegen Rechtsextremismus, Rassis-
mus und Antisemitismus im Sport gesetzt werden . Ich
finde, solche Aktivitäten verdienen unser aller Unterstüt-
zung . Herr Kollege Mayer, das ist keine dünne Suppe,
sondern ein wirklich wichtiges Thema .
Was haben die Initiative „!Nie wieder“ und Ruth
Klüger gemeinsam? Beide schlagen die Brücke von den
Verbrechen des faschistischen Deutschlands zur aktu-
ellen Situation in unserem Land, in Europa und welt-
weit . Heute wie damals brauchen Flüchtlinge sowie
Asyl suchende unseren Schutz und unsere aktive Hilfe .
Gleichzeitig müssen die Fluchtursachen, Krieg, Hunger
und nicht zuletzt die zunehmende Schere zwischen Arm
und Reich, endlich wirksam bekämpft werden . Was das
alles mit dem Sport zu tun hat? Die Linke hat hier eine
klare Position: Sport ist keine Spielwiese für Rechts-
extremisten und Gewalttäter und auch nicht für Auslän-
derfeindlichkeit und Rassismus .
Im Gegenteil: Gerade der Sport leistet in diesen Zeiten
einen wichtigen Beitrag zur Integration von Menschen
mit Migrationshintergrund, von Asylbewerbern und
Flüchtlingen . Die diesbezüglichen Aktivitäten müssen
wir noch stärker als bisher unterstützen .
Deshalb begrüßen wir den Antrag der Grünen . Ich
möchte gerne die Gelegenheit nutzen, den vielen Initiati-
ven zur Unterstützung von Flüchtlingen für ihr Engage-
ment ganz herzlich zu danken .
Stellvertretend möchte ich hier den SV Babelsberg 03
nennen, der als erster Verein Deutschlands im Som-
mer 2014 eine Mannschaft in seinen Verein integrierte,
die ausschließlich aus Flüchtlingen besteht . Während
Babelsberg die Infrastruktur bereitstellte, sammelten die
Fans des Vereins Geld, bezahlten die Spielertrikots und
wurden Trikotsponsor . Das Team „Welcome United 03“
wurde im Sommer 2015 über den SV Babelsberg für den
regulären Spielbetrieb angemeldet und kämpft nun in der
Kreisliga um Punkte für seinen Heimatverein .
Positiv hervorheben will ich auch den 1 . FC Union
und den FC St . Pauli, die der bebilderten Zeitung mit den
großen Buchstaben die Stirn geboten haben und sich der
fragwürdigen Aktion „Wir helfen“ verweigerten . Beide
Vereine helfen wirklich, unter anderem durch die Bereit-
stellung ihres Fanhauses als Flüchtlingsunterkunft,
und sie sind seit Jahren dabei, wenn es darum geht, gegen
Rechtsextremismus und Rassismus klar Position zu be-
ziehen . Ich wünschte mir, es mögen viele andere diesem
Beispiel folgen .
Leider sind zunehmende rechtsextreme, ausländer-
feindliche und rassistische Tendenzen nicht nur im Fuß-
ball anzutreffen . Sie betreffen auch andere Sportarten;
aber der Schwerpunkt liegt ohne Zweifel beim Fußball .
Was die 14 Vorschläge und Forderungen der Grünen
im vorliegenden Antrag anbelangt, so sollten wir darü-
ber in den Ausschüssen noch intensiv debattieren, zum
Beispiel darüber, ob es wirklich sinnvoll ist, ein einheitli-
ches, finanziell starkes Bundesprogramm gegen Rechts-
extremismus im Sport statt der bestehenden Vielzahl
von Programmen zu schaffen . Auch zur Datei „Gewalt-
täter Sport“, zur Arbeit der Zentralen Informationsstelle
Sport einsätze sowie zur Finanzierung von Polizeieinsät-
zen – ich nenne hier nur das Stichwort „Bremen“ – haben
wir Linke Diskussionsbedarf .
Ich will auch ein Thema nennen, das heute noch gar
keine Rolle gespielt hat . Ich meine die zunehmende
Unterwanderung von Security-Firmen durch NPD-Leu-
te und andere Rechtsextremisten, die dann auch in den
Stadien zum Einsatz kommen . Hier sind vor allem die
Vereine gefordert, diese Problematik nicht aus dem Auge
zu verlieren .
Abschließend möchte ich noch einen Satz aus dem
Antrag der Grünen zitieren . Dort heißt es:
Fußballaffine Personen mit rechtem Gedankengut
sind kein Problem allein des Fußballs, sondern der
gesamten Gesellschaft .
Ja, das ist richtig . Deshalb ist es aber auch unser aller
Aufgabe, diesem Phänomen entschieden zu begegnen .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die SPD-Fraktionist der Kollege Matthias Schmidt .
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wir reden heute über Sport- und Fankul-tur . Bei meinen Vorrednern wie bei mir geht der erste Ge-danke zum Fußball, bei mir zum Stadion An der AltenFörsterei des 1 . FC Union . Ich sehe die vielen tollen Fuß-ballfans vor mir . Der Antrag geht aber über den Fußballhinaus . Er betrifft den gesamten Sport . Natürlich gibt esauch Fankultur und tolle Fans beim Basketball, beim Eis-hockey, beim Handball und bei anderen Sportarten .Lassen Sie uns – um bei dem Beispiel zu bleiben –den Fußball betrachten und eine Art Bestandsanalysemachen. Was finden wir in den Fußballstadien vor? Wirfinden eine sehr aktive Fankultur vor. Für die einen, zumBeispiel für mich, reicht es, eine Stadionwurst zu essen,vielleicht ein Bier zu trinken und den Vereinsschal um-zuhängen . Andere Fans verbringen ihre gesamte Freizeitmit ihrem Verein. Sie bauen Choreografien. Sie zaubernriesige Bilder und Botschaften in die Stadien . Sie lassendort zum Beispiel bildlich S-Bahn-Züge fahren . Die Vor-bereitung der Choreografien dauert teilweise ein halbesJahr. Da die Heimspiele alle 14 Tage stattfinden, werdendie Choreografien teilweise überlappend vorbereitet. Esgibt eigene Jugend- und Nachwuchsfans, die langsammit herangeführt werden . Letztendlich produzieren dieFans dort sportpolitische Botschaften .
Erinnern Sie sich an die Forderung der Fans, keineMontagsspiele in der zweiten Liga stattfinden zu lassen,oder an die Forderung, dass die Spiele einheitlich um15 .30 Uhr beginnen sollen? Das war ein übergreifendesThema, das alle Fans in allen Stadien parallel choreogra-fiert haben. Teilweise geht es auch nur um die Vereinspo-litik, um die Unterstützung eines erkrankten Spielers, umdie Trainerfrage oder um andere Aspekte . Aber es ste-cken immer Botschaften dahinter .Zusammenfassend kann ich sagen: Die Fankultur istbunt, sie ist vielfältig, sie ist integrativ, und sie ist vorallem eines, sie ist unangepasst . Wenn ich ins Stadiongehe, will ich genau das haben . Wenn wir im Bundestagzu der Erkenntnis kommen, dass die Fankultur gut ist,dann müssen wir uns wirklich fragen, ob es sinnvoll ist,dass wir als Bundestag nun eingreifen . Fragen Sie docheinmal zu Hause Fans, ob sie wollen, dass wir an dieserStelle eingreifen . Die Prognose – sie ist nicht allzu ge-wagt – ist: Sie werden sich zurückhaltend und vorsichtigdazu äußern .Wenn die Fans etwas nicht gut finden, haben sie imStadion den Vorteil, dass sie einfach laut pfeifen können,um damit ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen . Wennwir im Bundestag etwas nicht gut finden, können wirnicht pfeifen, aber wir haben das Wort . Deswegen, liebeKolleginnen und Kollegen von den Grünen, möchte ichmich mit Ihrem Antrag auseinandersetzen .Letztendlich hat Ihr Antrag zwei Hauptzielrichtungen .Erstens . Es geht um die Bekämpfung des Rechtsextre-mismus im Sport . Zu Recht schreiben Sie, dass es um dieVerbindungen einzelner Fußballfans zur rechtsextremenSzene geht . Das ist also, Gott sei Dank, kein Massen-phänomen, aber natürlich ein sehr wichtiges Thema . IhreForderung ist dann, ein einheitliches Bundesprogrammzu schaffen und viele andere zusammenzufassen . Genaudiesen Weg halte ich für falsch .
Nur die Vielzahl der Programme kann der Vielfalt tat-sächlich gerecht werden . Ein einheitliches Programmkönnte dies nicht leisten .Sie schlagen außerdem vor, einen unabhängigen Bei-rat einzusetzen . Auch an dieser Stelle habe ich große Be-denken . Wer soll denn in diesem Beirat Mitglied sein?Etwa wir, wieder nach Fraktionsstärke? Lassen Sie denSport das alleine machen; das ist schon eine sinnvolleSache .Die zweite Zielrichtung Ihres Antrags ist die Überprü-fung der Datei „Gewalttäter Sport“ . Da haben Sie mehre-re Punkte aufgeführt, die ich sehr unterstütze . Sie möch-ten, dass Fälle, in denen Sportfans in ungerechtfertigterWeise, etwa nach einem Freispruch, in die Datei aufge-nommen wurden, überprüft werden . Herr StaatssekretärSchröder – ich denke, wir werden darüber ja noch in zweiAusschüssen miteinander sprechen –, da hätte ich schongerne eine klare Aussage der Bundesregierung, dass sol-che Menschen erst gar nicht in die Datei „GewalttäterSport“ aufgenommen werden bzw . dass sie, wenn siedrin sind, sofort gelöscht werden . Das Gleiche gilt fürMenschen, die nachweislich keine Straftaten begangenhaben; auch sie müssen aus der Datei gelöscht werden .Als weitere Forderung haben Sie eine Art Wider-spruchsmöglichkeit vorgesehen . Da habe ich am Anfanggedacht: Eine Widerspruchsmöglichkeit kann man aufkeinen Fall schaffen; dann funktioniert das System nichtmehr . – Nachdem ich ein bisschen länger darüber nach-gedacht habe, kam ich ins Zweifeln . Darüber sollte manruhig noch einmal reden und auch im Ausschuss darüberdiskutieren .Tatsächlich ist es so: Jemand darf nur dann in dieDatei „Gewalttäter Sport“ eingetragen werden, wenn eseinen konkreten Anfangsverdacht gegen die betreffendePerson gibt . Herr Staatssekretär, auch darüber werdenwir im Ausschuss hoffentlich noch reden .Sie haben zwei weitere Punkte aufgeführt, zu denenich kurz Stellung nehmen möchte:Der erste Aspekt betrifft die Löschungsfristen . Siewollen gerne, dass bei Erwachsenen nach zwölf und beiJugendlichen nach sechs Monaten gelöscht wird . BeiErwachsenen entspräche das allenfalls einer Saison . Ichglaube, dass das viel zu kurz gegriffen ist . Sie selbst ha-ben in Ihrer Rede gesagt, dass die Alt-Hools inzwischenin die Stadien zurückdrängen . Wir brauchen an dieserStelle Repression, und wir brauchen die Datei „Gewalt-täter Sport“ . Die Löschungsfristen sind hier deutlich zukurz .Zweitens wünschen Sie sich auch im Hinblick auf dieDatei „Gewalttäter Sport“ einen Beirat . Da gilt das, wasich eben schon in Bezug auf den anderen Beirat gesagt
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habe: Ich finde, das ist zu viel. Wir sollten das nicht ma-chen . Gleichwohl: Es ist gut, dass wir das in den Aus-schüssen, im Innenausschuss und im Sportausschuss,noch einmal debattieren und dann auch den Sachverstandder Bundesregierung einfließen lassen.Vielen herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt für die CDU/
CSU-Fraktion der Kollege Johannes Steiniger .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn mansich den Sachstandsbericht des Deutschen OlympischenSportbundes anschaut – Stephan Mayer hat ihn vorhinschon angesprochen –, dann relativiert sich das von Ihnenbeschriebene Bild doch stark . Denn der DOSB kommt inseiner Analyse zu dem Ergebnis:Rechtsextremistische Tendenzen liegen in einigenFanszenen an einigen Standorten immer noch mani-fest vor, sie stellen jedoch in Deutschland kein gene-relles standortübergreifendes Problem dar .Fankultur, meine Damen und Herren, beginnt mit derKultur, die in den großen Vereinen gelebt wird . Es wurdeeben angesprochen, dass auch der Sport hier etwas tunmuss . Wenn man sich da ein bisschen einarbeitet, dannsieht man, dass der Sport schon vieles tut . Wenn wir unsbeispielsweise die Fußballbundesligisten anschauen,stellen wir fest: Sie haben mittlerweile hauptberuflicheFanbeauftragte für die erste, zweite und dritte Liga, diesich regelmäßig treffen und sich gemeinsam mit DFB,DFL, Deutscher Bahn und Polizei über die entsprechen-de Lage austauschen . Hier sitzen dann alle relevantenAkteure am Tisch .Wir haben in der öffentlichen Anhörung zum Thema„Sicherer Stadionbesuch“ viel darüber erfahren, wie gutdiese Verzahnung funktioniert und wie reibungslos, je-denfalls gemessen an der großen Zahl von Zuschauernund Fans an einem Wochenende, die vielen Sportereig-nisse Woche für Woche stattfinden.Man muss schon sagen, der Antrag der Grünen er-weckt den Eindruck, dass gerade der Fußball in Deutsch-land ein Sammelbecken für Schläger, Extremisten undRassisten sei .
Man muss schon ein bisschen aufpassen, wie man einensolchen Antrag formuliert . Wenn man Rechtsradikalis-mus und Fußball in einen Topf wirft, baut man einengewissen Generalverdacht auf . An der Stelle muss manschon etwas aufpassen .
Denn das Gegenteil ist der Fall . Der Sport in Deutschlandist der mit Abstand größte und nachhaltig erfolgreichsteIntegrationsmotor in unserem Land .
Rund 2,6 Millionen Menschen mit Migrationshinter-grund sind in den Sportvereinen bundesweit aktiv . Dassind immerhin rund 10 Prozent aller Vereinsmitglieder .Es ist nun einmal ein unumstößlicher Fakt, dass an kei-nem anderen Platz in unserer Gesellschaft Integrationbesser funktioniert als im Sport .Bei der Verleihung der Sterne des Sports am vergan-genen Dienstag haben wir gesehen, welch tolles En-gagement es gibt . Auch noch einmal von dieser Stelleaus einen herzlichen Glückwunsch an alle Preisträger,insbesondere natürlich an den VfL Bad Wildungen, derden ersten Preis geholt hat und beispielsweise ein tollesProjekt im Bereich der Integration von Flüchtlingen ini-tiiert hat . Herzlichen Glückwunsch von hier aus an allePreisträger!
Erkennbar ist allerdings auch, dass wir tatsächlichstrukturelle Defizite besonders in den unteren Ligen inden östlichen Bundesländern bei der Bekämpfung vonRechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung
und leider auch Hooliganszenen haben .
– Herr Mutlu, was wäre eine Rede im Deutschen Bundes-tag, ohne dass Sie die ganze Zeit dazwischenrufen?
Hören Sie mir genau zu, ich will es ausdrücklich sagen:Hier lässt sich nicht der Sport haftbar machen . Denndas, was wir uns etwa in Dresden von Pegida und Co .jede Woche anschauen müssen, ereignet sich eben in derStadt und nicht im Stadion . Die Auseinandersetzung mitdiesem Phänomen muss tatsächlich erfolgen, aber ganz-heitlich .
Deshalb verstehe ich nicht, warum Sie ein ganzheitli-ches Programm im Grunde genommen nach dem Gieß-kannenprinzip auflegen wollen, obwohl wir schon seiteiniger Zeit mit einem subsidiären Ansatz viele verschie-dene Projekte angehen, die auch der Vielfalt Genüge tunund das Engagement zeigen – Stephan Mayer hat daraufMatthias Schmidt
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hingewiesen und einige Projekte genannt –, mit dem derBund hilft . Da ich Mitglied des FC-Bayern-Fanclubs hierim Deutschen Bundestag bin,
möchte ich ein Projekt erwähnen: Die größte Ultra-Grup-pe der Bayern, die Schickeria, ist beispielsweise 2014 fürihr Engagement ausgezeichnet worden . Mit zahlreichenAktionen hatten sie nämlich des ehemaligen PräsidentenKurt Landauer, der durch den Naziterror verfolgt wur-de, gedacht . Aus meiner Sicht ist das eine sehr kluge undtreffsichere Initiative . An dieser Stelle sieht man, dass esda sehr viele Initiativen gibt .
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, esgibt Fangewalt . Diese bekämpfen wir seit vielen Jahrenals Gesetzgeber gemeinsam mit dem organisierten Sportin Deutschland mit zunehmendem und großem Erfolg .Verglichen mit der Situation Mitte der 90er-Jahre hat sichdoch die Lage gerade bei den großen Spielen deutlichund entschieden verbessert . Das sagen uns alle Experten .Die Fans und die über 17 Millionen Stadionbesucher derBundesliga im Jahr fühlen sich jedenfalls nicht dauerhaftbedroht . Wenn Straftaten auftreten, werden diese auchentschieden verfolgt .Für den Hochleistungssport und den Fußball inDeutschland gilt vielmehr, dass der Fußball mit seinergroßen Strahlkraft ja gerade sehr viel für Integration undgegen Extremismus leistet .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/6232 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann haben wirso beschlossen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und desRates vom 23. Juli 2014 zur Änderung derRichtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung derRechts- und Verwaltungsvorschriften betref-fend bestimmte Organismen für gemeinsameAnlagen in Wertpapieren im Hin-blick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, dieVergütungspolitik und SanktionenDrucksache 18/6744Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-ausschusses
Drucksache 18/7393Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen vor .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen dieReden zu Protokoll gegeben werden . – Ich höre keinenWiderspruch . Dann ist so beschlossen .1)Wir kommen zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Um-setzung der Richtlinie 2014/91/EU des EuropäischenParlaments und des Rates zur Änderung der Richtli-nie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Ver-waltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismenfür gemeinsame Anlagen in Wertpapieren im Hinblickauf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspo-litik und Sanktionen. Der Finanzausschuss empfiehlt inseiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7393,den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-che 18/6744 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionangenommen .Dritte Beratungund Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Werist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf istin dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnisangenommen .Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7396 .Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-nen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen beiEnthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrateingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zurÄnderung des Einkommensteuergesetzes zurErhöhung des Lohnsteuereinbehalts in derSeeschifffahrtDrucksache 18/6679Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-ausschusses
Drucksache 18/7268Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionDie Linke vor .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .1) Anlage 9Johannes Steiniger
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Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der KollegeOlav Gutting, CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen und Kol-
legen! Wir debattieren heute hier abschließend über den
Gesetzentwurf, durch den der Lohnsteuereinbehalt der
Arbeitgeber in der Seeschifffahrt von derzeit 40 Prozent
auf 100 Prozent befristet angehoben wird . Dieses Geset-
zesvorhaben ist von großer Bedeutung für die deutsche
maritime Wirtschaft und für die Sicherung des seemänni-
schen Know-how am Standort Deutschland .
Unsere maritime Wirtschaft ist für unser exportorien-
tiertes Land von hoher gesamtwirtschaftlicher Relevanz
und deshalb ein überaus wichtiger Wirtschaftszweig .
Gerade weil fast 95 Prozent des interkontinentalen Wa-
renaustausches über die Seewege erfolgen, haben wir als
führende Exportnation ein überragendes Interesse daran,
eine leistungsstarke, eine international wettbewerbsfähi-
ge deutsche maritime Wirtschaft zu haben .
Unsere umfangreichen Exporte von Autos und Ma-
schinen wären ohne eine schlagkräftige Seeschifffahrt
nicht denkbar . Zudem sichern unsere Häfen einen wich-
tigen Teil der industriellen Rohstoffversorgung . Wir wis-
sen, dass jeder zweite Arbeitsplatz in Deutschland vom
Export abhängt und dass unsere maritime Wirtschaft
bundesweit viele Zehntausende Arbeitsplätze sichert und
mit circa 50 Milliarden Euro Umsatz jährlich wesentlich
zur deutschen Wirtschaftsleistung beiträgt .
Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich unsere Han-
delsflotte in den letzten Jahren stark reduziert. Obwohl
sich knapp 3 000 Handelsschiffe im Eigentum deutscher
Reedereien befinden, fahren nur knapp 360 davon unter
deutscher Flagge . Die Anzahl der unter deutscher Flagge
fahrenden Handelsschiffe hat sich somit in den letzten
Jahren halbiert .
Die Gründe für die zunehmende Ausflaggung und die
damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Be-
schäftigung und Ausbildung von Seeleuten ist leicht zu
erklären: Die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe
sind bei den Lohnkosten und den Lohnnebenkosten dem
internationalen Wettbewerb ausgesetzt . Hier ergeben
sich Mehrkosten für die unter deutscher Flagge fahren-
den Schiffe, die im internationalen Vergleich zunehmend
zu einem Wettbewerbsnachteil führen .
Um diesen Kostendruck für die Reedereien abzu-
mildern und eine weitere Abwanderung der deutschen
Schiffe ins Ausland zu verhindern, müssen wir handeln .
Im Laufe der parlamentarischen Beratungen hat sich be-
stätigt, dass die aktuelle Förderung nicht ausreichend ist,
um den genannten Wettbewerbsnachteil der deutschen
Flagge im Vergleich zu anderen europäischen Flaggen
auszugleichen .
Sicherlich kann man dem 100-prozentigen Lohnsteu-
ereinbehalt in der Seeschifffahrt unter ordnungspoliti-
schen Gesichtspunkten kritisch gegenüberstehen .
In der Diskussion der letzten Tage und Wochen ging es
sogar so weit, dass einige Deutschland mit Griechenland
verglichen haben, auch beim Stichwort „Tonnagesteu-
er“ . Ich will an dieser Stelle festhalten, dass die Tonna-
gebesteuerung, die wir in Deutschland haben, weltweit
an allen wichtigen maritimen Standorten üblich ist und
sich international zum Normalfall gewandelt hat und
dass gerade in den letzten Jahren, in denen aufgrund des
großen Frachtvolumens die Frachtpreise gefallen sind,
durch diese Tonnagesteuer keinerlei Mindereinnahmen
zu erkennen sind .
Wir wollen verhindern, dass die deutsche Seeschiff-
fahrt in Seenot gerät . Ich denke, in der Verfolgung dieses
Ziels dürften wir uns doch hier im Hohen Hause hof-
fentlich alle einig sein . Mit der heute zu beschließenden
Änderung tun wir in einem Rahmen, den die EU expli-
zit zulässt und den andere EU-Staaten im Vergleich zu
Deutschland weitaus mehr ausschöpfen, das, was mög-
lich ist, und das, was notwendig ist
Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen,
darf ich Sie auch als Landratte auffordern, heute diesem
Gesetz zuzustimmen .
Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt die Kollegin Lisa Paus .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-ben schon gehört, worum es in dem vorliegenden Gesetz-entwurf geht: Um Steuerprivilegien für Reeder .
Aber Sie von der Großen Koalition beschließen heutenicht etwa die Abschaffung oder zumindest die Absen-kung dieser Reederprivilegien, obwohl das eigentlichnaheliegt, wenn man sich daran erinnert, dass Unions-abgeordnete, zum Beispiel Wolfgang Bosbach oder Bun-destagsvizepräsident Singhammer oder FraktionsvizeMichael Fuchs, genau das mal laut und mal ganz laut fürgriechische Reeder gefordert haben .
Nein, Sie beschließen heute mit Ihrer großkoalitio-nären Mehrheit die Ausweitung der Steuerprivilegien,und zwar um weitere 50 Millionen Euro . Diese kommenjetzt zu den mindestens 200 Millionen Euro dazu, die diedeutschen Reeder bereits bekommen . Was soll damit pas-sieren? 5 739 Arbeitsplätze sollen unter deutscher Flaggegesichert werden . Das macht rund 9 000 Euro pro Jahrpro Arbeitsplatz . All das kommt zu den zusätzlichen Be-Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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freiungen hinzu, zum Beispiel bei der Versicherungsteueroder den bereits bestehenden drastischen Erleichterun-gen bei der Einkommensteuer .Meine Damen und Herren, Vizepräsident Singhammerhat im Juli 2015 getwittert: Warum soll eine Rentnerinaus München mit ihren Steuer-Euros indirekt dafür haf-ten, dass reiche griechische Reeder zu wenig Steuernzahlen? – Ich frage Sie heute von der Union: Warum solleine Kassiererin aus Gelsenkirchen mit ihren Steuer-Eu-ros dafür aufkommen, dass reiche deutsche Reeder zuwenig Steuern zahlen, meine Damen und Herren?
Außerdem hat die Anhörung gezeigt: Von Arbeits-platzsicherung kann nicht die Rede sein . Der Trend zurAusflaggung ist ungebrochen; das hatten Sie, KollegeGutting, hier ja auch schon eingeräumt . Es gab eben kei-nen Verbandsvertreter, der eine Aussage darüber machenwollte, inwieweit diese Steuersubvention denn nun tat-sächlich Arbeitsplätze sichert . Es gibt wie in den ganzenJahren zuvor wieder keinerlei Arbeitsplatzzusagen derReeder . Im Gegenteil: Mit diesem Gesetz wird sogar diebisher vorgesehene Pflicht, einen Arbeitnehmer mindes-tens 183 Tage zu beschäftigen, um die Subventionen zuerhalten, ersatzlos gestrichen .
Besonders absurd ist die Form der Subvention . DasGeld fließt von den Arbeitnehmern direkt an die Reeder;denn ihre Lohnsteuer fließt nicht mehr ans Finanzamt,sondern an die Reeder . Das heißt, die Seeleute bezahlenden Reeder dafür, dass er sie beschäftigt .Dieses Gesetz widerspricht im Übrigen Ihren eige-nen, gerade einmal ein Jahr alten SubventionspolitischenLeitlinien . Herr Kruse – Sie sprechen ja gleich –, Sie sindja nicht nur Hamburger, sondern auch Mitglied des Haus-haltsausschusses . Deswegen möchte ich Sie noch einmaldaran erinnern: Am 28 . Januar 2015, also genau heutevor einem Jahr, hat die Bundesregierung beschlossen undsich dafür gefeiert, dass Steuervergünstigungen nur nochdann in ganz seltenen Ausnahmefällen zum Einsatz kom-men, wenn sie nachweisbar zielgenauer sind als direkteSubventionen .
Aber in diesem Fall ist das Gegenteil der Fall .
Das hat Ihnen auch der Bundesrechnungshof bestätigt .Aber er hat es noch drastischer und schlimmer formu-liert . Der Bundesrechnungshof nennt die Regelung„verfassungsrechtlich bedenklich“, nicht zielgenau undaußerdem „anfällig für Missbrauch“ . Wer Texte des Bun-desrechnungshofs kennt, weiß: Eine schlimmere Ohrfei-ge kann man sich eigentlich nicht vorstellen .Deswegen, meine Damen und Herren, kann man die-sem Gesetzentwurf nicht zustimmen . Man muss ihn ab-lehnen .
Danke schön . – Nächster Redner ist Dr . Jens Zimmermann,
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-raten heute einen Gesetzentwurf, der auf eine Initiativedes Bundesrates zurückgeht . Wir wollen – das ist schongesagt worden – die deutsche Seeschifffahrt stärken,und wir wollen damit Arbeitsplätze und seemännischesKnow-how sichern .Liebe Frau Kollegin, Sie sind über die 5 000 Arbeits-plätze mit einem Federstrich hinweggegangen . Also ichfinde, 5 000 Arbeitsplätze – das ist schon etwas. Unddenken wir einmal an die Anhörung zurück: An dieserhat ein relativ unverdächtiger Sachverständiger vonVerdi teilgenommen, der die vorgesehene Gesetzesrege-lung ausdrücklich begrüßt hat . Möglicherweise hat dasdaran gelegen, dass es auch um den einen oder anderenArbeitsplatz geht . Die Expertinnen und Experten, die dieOpposition aufgeboten hat, haben letztendlich gesagt: Naja, dann geht diese Branche in Deutschland eben kaputt .Da kann man nichts machen; dann sind die Arbeitsplätzeweg . – Das gehört zur Diskussion eben auch dazu, meineDamen und Herren .
Ich will nicht bestreiten, dass wir mit den beidenMaßnahmen, die wir vorschlagen, nämlich die Anhe-bung des Lohnsteuereinbehalts und der Abschaffung dersogenannten 183-Tage-Regelung ordnungspolitisch aufschwierigem Terrain sind .
Jeder, der das bestreitet, macht sich am Ende etwas vor .Aber das, was angesprochen wurde, zeigt ganz deutlich,dass wir in Deutschland nicht mit einer Maßnahme vo-rangehen; vielmehr ziehen wir nach . Das ist ein Effektdes sogenannten Race to the Bottom . Andere Küstenlän-der in der Europäischen Union haben diese Maßnahmenbereits durchgeführt . Denn genau das ist ja der Grunddafür, dass Schiffe ausgeflaggt werden. Wenn immer diegriechischen Reeder angeführt werden, dann müssen wirauch feststellen: Darauf müssen wir jetzt reagieren .Ich glaube, bei allen Bauchschmerzen, die wir alsSPD-Fraktion mit dieser Maßnahme haben, ist für unsganz wichtig, dass wir auch eine Befristung durchgesetzthaben . Beide Maßnahmen sind auf fünf Jahre befristet .Lisa Paus
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Das gibt uns die Möglichkeit, dann zu untersuchen, wel-che Effekte eingetreten sind .
Denn es ist genau so, wie Sie es gesagt haben: Keinerder Experten konnte genau sagen, was am Ende passiert .Aber das ist kein Argument dafür, dass es nicht funktio-niert . Es kann genauso gut funktionieren .
Fünf Jahre sind unserer Meinung nach ein angemessenerZeitraum . Danach können wir eine Evaluation vorneh-men . Sollte die Regelung nicht geholfen haben, könnenwir sie wieder streichen . Wir müssen sie nicht einmalstreichen; sie läuft nämlich aus . Das ist, glaube ich, einvernünftiger Kompromiss an dieser Stelle .Wir als SPD-Fraktion sagen auch ganz klar: Die Ree-der in Deutschland müssen jetzt auch liefern . Denn zusagen: „Wir brauchen diese Unterstützung“, ist das eine .Aber diese Unterstützung als eine wirtschaftspolitischeMaßnahme zu gewähren – so sehen wir das –, ist danndoch noch etwas anderes .Insofern glauben wir bei allen Bedenken, die wir auchin den Diskussionen zum Ausdruck gebracht haben,dass das alles in allem ein guter Kompromiss und einesinnvolle Maßnahme ist, um die maritime Wirtschaft inDeutschland zu stärken . Wir sind nun einmal eine derstärksten Exportnationen weltweit . Dafür sind eine wett-bewerbsfähige Schifffahrt, das seemännische Know-howund eine maritime Wirtschaft notwendig . Das haben wirals SPD-Bundestagsfraktion erkannt .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Der Kollege Herbert Behrens ist der
nächste Redner für die Linksfraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Eines ist sicher: Der Beschluss heute Abend ist für diedeutschen Reeder fast so etwas wie ein Sechser im Lotto .Es geht um erhebliche Summen, die hier über den Tischgereicht werden, für ein Ergebnis, das wir heute nochnicht kennen und das möglicherweise in fünf Jahren ein-mal evaluiert wird . Dabei wissen wir sehr gut, wie miteiner Regelung umgegangen wird, wenn sie erst einmalJahre in Kraft war, und was daraus folgt . Wir haben dasbeim Schiffserlöspool gesehen . Dieses Instrument wurdeletztendlich zur Dauereinrichtung . Die Lobby der Reederhat ein offenes Ohr beim Finanzminister und auch in derGroßen Koalition gefunden. Das finden wir schlecht.
Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen Reederkünftig null Lohnsteuer an das Finanzamt abführen . Siekönnen sie sich vollständig in die eigene Tasche stecken .Wir haben doch Erfahrungen mit der dauerhaften Sub-ventionierung in den vergangenen Jahren – bald sind esschon Jahrzehnte – gemacht . Wenn wir da Bilanz ziehenund uns ehrlich die Karten legen, dann sehen wir die Fol-gen der Subventionierung . Im Jahr 2000 waren auf Schif-fen unter deutscher Flagge über 12 000 Seeleute beschäf-tigt . 2015 waren – so viel zur Arbeitsplatzsicherheit – nurnoch knapp über 8 000 deutsche und ausländische See-leute auf Schiffen unter deutscher Flagge tätig . Die Zahlder Schiffe sank im gleichen Zeitraum unter die Grenzevon 400 . Wir sind jetzt bei 350 angekommen . Das heißt,nur noch rund die Hälfte der Schiffe, die früher unterdeutscher Flagge gefahren sind, sind heute unter deut-scher Flagge zu finden.Auf den ausgeflaggten Schiffen arbeiten die Seeleu-te zu schlechteren Bedingungen als die Kolleginnen undKollegen auf Schiffen unter deutscher Flagge .
Nur noch 53 der über 300 Reedereien in Deutschland bil-den aus . Dieser Niedergang der deutschen Seeschifffahrtkostet den Bund Milliarden .
Allein bei der Tonnagesteuer sind in den letzten siebenJahren 4,7 Milliarden Euro zur direkten Subventio-nierung der Reeder über den Tisch gegangen . Das Zielwar, Arbeitsplätze zu erhalten, Arbeitsplätze zu sichern .Das wurde nicht erreicht . Das Gegenteil ist eingetreten .In Zukunft sollen die Reeder also nicht nur 40 Prozenteinbehalten können, sondern 100 Prozent – alles in derHoffnung, mehr Arbeitsplätze auf deutschen Schiffen zuerhalten . Aber solche Subventionen haben nicht zu mehr,sondern zu weniger Beschäftigung geführt, wie ich ebengesagt habe .Angeblich sollen mit mehr Geld für die Reeder Wett-bewerbsnachteile abgebaut werden . Ja, Dänemark, Ita-lien, Malta und auch Portugal, wohin sich zunehmenddeutsche Reeder mit Briefkastenfirmen flüchten, ge-währen in der Tat großzügigere Bedingungen . Aber derRest ist Seemannsgarn . Selbst griechische Reeder führen10 Prozent pauschal für ihre Seeleute ab . Das ist skanda-lös wenig, und es macht deutlich, dass hier ein enormerSubventionswettbewerb in Richtung Race to the Bottom,wie eben schon einmal gesagt wurde, auf den Weg ge-bracht worden ist . Das ist augenscheinlich das einzigeZiel, das dahintersteckt . Die Reeder haben das Drehbuchvorgeschrieben . Wir wissen nicht, was noch alles kommt,welche Forderungen noch erfüllt werden sollen . Wir be-fürchten, dass eben nicht das eintritt, was gerade gesagtwurde, nämlich dass die Reeder zuverlässig sagen: Ja,für diese Subventionen wird es künftig mehr Schiffe un-ter deutscher Flagge geben . Es wird mehr Arbeitsplätze,mehr Ausbildungsplätze geben . – Davon ist nichts zuhören . Die Reeder halten sich da bedeckt, kassieren undmachen nichts .Auch die Linksfraktion will das maritime Know-howin unserem Land halten . Deshalb wollen wir eventuellgezahlte Zuschüsse und Subventionen von verbindlichenDr. Jens Zimmermann
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Zusagen abhängig machen . Ausbildungsplätze fördern? –Ja, wenn reale Ausbildungsplätze vorhanden sind .
Aber Steuervorteile dürfen nicht pauschal gewährt wer-den mit dem Ziel, die Reeder weiter zu entlasten . DieLinke fordert also, Steuerbegünstigungen in dieser Formganz fest an Zusagen zu binden .Wenn wir – letzter Satz – das bei anderen Wirtschafts-branchen ähnlich machen wollten, dann hätten wir einrichtiges Problem . Ein Bäckermeister zahlt natürlich –das wurde schon erwähnt – die Lohnsteuer für seine An-gestellten an das Finanzamt – ganz klar . Auch Maschi-nen- und Anlagenbauer, die ins Ausland exportieren undunter internationalem Druck stehen, zahlen sie . Wenn siees nicht tun, nennt man das Steuerhinterziehung . Das,was die Reeder hier machen, ist Steuerhinterziehung un-ter staatlichem Schutz . Das akzeptieren wir nicht . Dasist ein Skandal und ein gefährlicher Präzedenzfall für dieWirtschaftspolitik insgesamt .Vielen Dank .
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Rüdiger
Kruse .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Es ist ja immer ganz nett, wenn man das so dras-tisch hört . Aber kann man Steuern hinterziehen, wenn dieSteuer gar nicht erhoben wird?
– Nein, kann man nicht . Also insofern: Nehmen Sie denBegriff doch einfach heraus!Und wenn Sie immer vom Kassieren sprechen, willich einmal auf die Tonnagesteuer hinweisen: Im Augen-blick ist kein Reeder froh über die Tonnagesteuer . Im Au-genblick würde er lieber seinen Gewinn besteuern lassen;denn er kriegt keinen .
– Ja, Entschuldigung, man muss auch alle Freuden undLeiden betrachten . – Wenn Sie hier als Argument anbrin-gen, die Reeder haben doch die Tonnagesteuer, denengeht es doch gut genug, dann sage ich Ihnen: Nein, denengeht es nicht gut, und die Tonnagesteuer hilft ihnen imAugenblick gar nicht .
Wir reden auch nicht über Gewinnmaximierung .Wenn Sie einen Bulker haben, also um zum Beispiel Erzezu fahren, und für diesen Bulker 40 000 Dollar Charteram Tag brauchen, aber zurzeit nur 4 000 Dollar kriegen:Wo ist da die Gewinnmaximierung? – Sie ist überhauptnicht da .Gut, Sie haben von einem Race to the Bottom gespro-chen . Ja, richtig, wir haben keine Lust, dass der Schiff-fahrtsstandort Deutschland dieses Rennen verliert . Wennin Europa und sonst wo die Bedingungen so gemachtwerden, dass wir unsere Reeder gleichstellen müssen,dann werden wir das eben tun .
Wir haben uns entschieden, dass Schifffahrt für unskeine Romantikveranstaltung ist . Ich würde Ihnen völligrecht geben, wenn wir jetzt sagten, Deutschland sei einReiseziel, und da müssten nur ein paar Schiffe im Hafenliegen . Das könnten wir dann mit unseren Museen ma-chen, und dann reichte es auch, wenn uns einmal eineandere Linie besucht . Wir haben uns entschieden, dass esfür uns wichtig ist, eine Schifffahrtsnation zu sein . Dazugehören Werften, dazu gehören Reedereien und dazu ge-hört nautisches Personal . Wir wissen auch, dass es einWert ist . Es wird ja nicht so sein, dass es keine Reedermehr gibt, wenn es die deutsche Flagge nicht mehr gibt,gar keine Frage. Die gibt es dann natürlich noch; die flag-gen dann halt aus . Aber es gibt dann irgendwann nichtmehr das an Deutschland gebundene Know-how . Dashätte einen großen Nachteil .
Vor dem Hintergrund der Analyse sagen wir uns, dasswir, die wir eine Handels- und Exportnation sind, auchin der Logistikkette Schiffe brauchen . Eine Logistikketteohne Schiffe funktioniert nicht . Selbst die Grünen möch-ten ja nicht, dass alles per Lkw gefahren wird .
Also ist es wohl schon ganz gut, wenn wir auch deutscheReedereien haben .
Von daher haben wir als Koalition bei der Vorbereitunggesagt: Gut, wir fragen jetzt bei jeder Branche, was ge-schehen muss, damit wir eine führende Schifffahrtsnati-on bleiben . Wir haben natürlich auch mit den Reedereienund den Gewerkschaften gesprochen, und wir sind zu derErkenntnis gekommen, dass wir eine Gleichstellung imWettbewerb brauchen .
Da muss man ja gar nicht so weit weg gehen . Auch schonNachbarländer bieten deutlich bessere Konditionen .
Herbert Behrens
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Da ziehen wir jetzt nach, und es wird sich folgenderma-ßen verhalten: Mit jedem Schiff, das umgeflaggt wird –und das wird kommen –, stehen wir besser da, und Siestehen ein bisschen tiefer im Schlick . Zu Recht .Danke .
Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die
Kollegin Dr . Birgit Malecha-Nissen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir neh-
men keine deutschen Seeleute, die sind zu teuer“, diese
Antwort bekommen nautische Hochschulabsolventen
immer öfter bei ihrer Jobsuche zu hören . Das bringt das
Problem auf den Punkt: Die deutsche Seeschifffahrt ist in
Seenot geraten . Von 2 850 Schiffen der deutschen Han-
delsflotte fahren aktuell weniger als 200 international un-
ter deutscher Flagge . Mit jedem Schiff, das Deutschland
verloren geht, verlieren wir auch Arbeitsplätze und damit
langfristig das vorhandene Potenzial, unser Know-how
in einer für uns so wichtigen Zukunftsbranche .
Eines ist völlig klar: Die weitere Ausflaggung deut-
scher Schiffe muss gestoppt werden . Um den Schiff-
fahrtsstandort Deutschland im internationalen Wettbe-
werb zu stärken, hat der Bund in den vergangenen Jahren
bereits viele wichtige Weichen gestellt . Es wurden hier ja
auch schon viele genannt . Leider konnten diese Maßnah-
men den bisherigen Trend zu weiteren Ausflaggungen
nicht aufhalten . Deshalb wird es höchste Zeit, dass auch
wir – wie unsere europäischen Nachbarn – die Möglich-
keiten nutzen, die uns die EU-Kommission in der Bei-
hilfeleitlinie für den Seeverkehr bietet . Und das ist die
Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts von 40 auf 100 Pro-
zent für Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge –
ebenso die Abschaffung der sogenannten 183-Tage-Re-
gelung . Beide Maßnahmen wollen wir bis Ende 2020
zeitlich begrenzen . Dadurch geben wir dem Gesetzgeber
zeitnah die Möglichkeit, eine umfassende Bewertung der
Maßnahmen vorzunehmen .
Damit haben wir geliefert . Jetzt sind auch die Reeder
gefragt . Es braucht klare und verbindliche Zusagen für
Ausbildungsplätze und Beschäftigung, für sozialver-
trägliche und tarifgebundene Arbeitsverträge . Nur so si-
chern wir langfristig die Beschäftigung und das maritime
Know-how am Standort Deutschland .
Nur so bieten wir den jungen Absolventen der Hochschu-
len, den Nautikern, einen erfolgreichen Start ins Berufs-
leben .
Kontraproduktiv in diesem Verfahren sind für mich
auch die Pläne des Ministeriums zur Änderung der
Schiffsbesetzungsverordnung .
Die geplante Reduzierung auf weniger als die Hälfte der
Beschäftigten – hier nenne ich insbesondere den Wegfall
des Schiffsmechanikers – ist nicht zielführend;
denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir brau-
chen, ist die Sicherung von Arbeitsplätzen und nicht den
weiteren Abbau . Deswegen machen wir das heute .
Vielen herzlichen Dank .
Damit schließe ich die Aussprache .Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes-rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Ein-kommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuerein-behalts in der Seeschifffahrt . Dazu liegen mir mehrereErklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 18/7268, den Gesetzentwurfdes Bundesrates auf Drucksache 18/6679 in der Aus-schussfassung anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-ter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und SPDgegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .Wir kommen jetzt zurdritten Beratungund Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand . Der Ge-setzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSUund SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke undder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-che 18/7378 . Wer für diesen Entschließungsantragstimmt, den bitte ich um das Handzeichen . – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan-trag ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU und SPDgegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt .Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur No-vellierung des Rechts der Unterbringung ineinem psychiatrischen Krankenhaus gemäß1) Anlage 8Rüdiger Kruse
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§ 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderunganderer VorschriftenDrucksache 18/7244Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
InnenausschussAusschuss für GesundheitDie Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ichsehe, dass Sie alle damit einverstanden sind .1)Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 18/7244 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .Dann ist die Überweisung so beschlossen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-setzung der prüfungsbezogenen Regelungender Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausfüh-rung der entsprechenden Vorgaben der Ver-ordnung Nr. 537/2014 im Hinblick aufdie Abschlussprüfung bei Unternehmen von
Drucksache 18/7219Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
FinanzausschussAuch hier sollen die Reden zu Protokoll gegebenwerden . – Ich sehe hier allgemeines Einverständnis .Dann verfahren wir so .2)Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 18/7219 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Siedamit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann istdie Überweisung so beschlossen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf – es ist derletzte Tagesordnungspunkt, zu dem heute eine Ausspra-che vorgesehen ist –:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPDUN-Ziele für nachhaltige Entwicklung –2030-Agenda konsequent umsetzenDrucksache 18/7361Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-sicherheitHaushaltsausschuss1) Anlage 102) Anlage 11Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Da ich keinenWiderspruch erkennen kann, gehe ich davon aus, dassSie alle damit einverstanden sind .Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner das Wort für die Bundesregierung dem Parlamentari-schen Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel .
Ha
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass dieser Tages-ordnungspunkt heute zu einer früheren Zeit im Plenumbehandelt wird; denn das, was in New York beschlossenwurde, ist für uns schlichtweg der Weltzukunftsvertrag .Der Inhalt lautet: Milliarden Menschen soll die Chanceauf ein würdiges Leben eröffnet werden, ohne dabei ei-nen ökologischen Kollaps zu provozieren . Daraus erge-ben sich einige Folgerungen:Erstens . Nicht nur die sogenannten Entwicklungslän-der werden sich verändern müssen, sondern auch wir; dieIndustrieländer werden in bestimmter Weise zu Entwick-lungsländern . Der bisherige fossile Entwicklungspfadtaugt nicht für weitere 7, 8 oder 9 Milliarden Menschenauf diesem Globus .Zweitens . Wir müssen zusammendenken, was nurzusammen erreicht werden kann: Armuts- und Hunger-bekämpfung, Umwelt- und Klimaschutz, Gleichberechti-gung, Rechtsstaatlichkeit und vieles mehr . Nur so könnenwir erreichen, dass der Frieden in dieser Welt zunimmt,und das brauchen wir . Wir sehen in der heutigen Zeit tag-täglich, welchen Problemen wir ausgesetzt sind .Deutschland kann hier natürlich einen großen Beitragleisten; denn wir sind ein starkes Land . Unsere Heraus-forderung besteht insbesondere darin, diesen Beitrag zuleisten und gleichzeitig unsere internationale Wettbe-werbsfähigkeit zu erhalten . Nur ein starkes Land kannauf Dauer Leuchttürme bauen und auf diese Weise Vor-bild für andere sein .Wir haben schon im vergangenen Jahr einige Wei-chenstellungen vorgenommen . Ich erinnere an den sehrgelungenen G-7-Gipfel in Elmau . Ich erinnere auch andie anderen großen Konferenzen . Es wurden Beschlüs-se gefasst, von denen man eigentlich gar nicht erwartethat, dass sie in dieser Deutlichkeit ausfallen, beispiels-weise im Hinblick auf Hungerbekämpfung oder Verant-wortung für weltweite Lieferketten, ein neues großesThema auf dem internationalen Parkett, das gerade vonuns sehr stark vorangetrieben wurde . Ich weise auch aufdie Haushaltsentwicklungen – es gab einen historischenHaushaltsaufwuchs – und die Neuausrichtung des BMZals solchem hin .Außerdem verweise ich auf die Politik, die wir nachRana Plaza gemacht haben . Wenn die Kameras ab-schwenken, verschwindet normalerweise das Engage-ment der Politik . Wir aber haben gesagt: Nein, wirVizepräsident Johannes Singhammer
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schmieden ein Textilbündnis . Am Anfang war es etwasholprig . Mittlerweile haben sich nahezu 75 Prozent desgesamten deutschen Textilmarktes diesem Bündnis ange-schlossen . Das ist schlichtweg ein Zeichen, dass so etwasmöglich ist . Das sollte uns auch für viele andere Aufga-ben, die wir miteinander anzugehen haben, Kraft geben .
Wir arbeiten auf drei Ebenen, der innerdeutschen Ebe-ne, der Ebene der Partnerländer und natürlich auch aufder globalen Ebene, wo es um die Gestaltung globalerRegelungen geht . Auf der innerdeutschen Ebene be-trägt das Volumen der öffentlichen Beschaffungen circa300 Milliarden Euro im Jahr . Da ist noch sehr viel Spiel-raum für nachhaltigeres Beschaffen, der jetzt genutztwerden muss . Das ist sehr konkret, meine Damen undHerren .Wir alle im Deutschen Bundestag entscheiden darü-ber, was wir an Geld zur Verfügung stellen können . Esgibt sehr aufmerksame und kritische Beobachter, bei-spielsweise den ehemaligen Bundespräsidenten HorstKöhler, der gesagt hat:Ich bin gespannt, wie stark die deutsche Politik sichdieser Agenda der Vernunft verschreiben wird . Bau-stellen gibt es ja genug .Da hat er natürlich recht .Unser Vorteil in Deutschland ist, dass wir bereits übereine Nachhaltigkeitsstrategie verfügen . Das ist bei wei-tem nicht überall auf der Welt der Fall . Das gibt uns dieChance, jetzt auf dieser Strategie aufzubauen und dieseStrategie entsprechend auszurichten . Wir können uns da-für einsetzen – das ist uns ganz besonders wichtig –, dassmehr „Eine Welt“ in den gesamten Prozess einfließt, undzwar durch Indikatoren, mit denen wir die Folgen unse-res Tuns für die Entwicklungschancen anderer Länderabschätzen können . Das ist neu, und das muss betriebenwerden . Dabei binden wir auch die Bürgerinnen und Bür-ger ein, nicht erst seit heute . Minister Dr . Gerd Müllerhat unmittelbar nach seinem Amtsantritt begonnen, diePolitik in eine andere Richtung zu lenken . Ich erinnerehier nur an die Zukunftscharta, die mit großem Erfolgeingeführt wurde und jetzt durch das ganze Land getra-gen wird . Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei denNGOs dafür bedanken, dass sie an diesen Fragen so kon-struktiv mitgearbeitet haben .
Es gibt kleine und große Dinge . Ich fange einmal mitetwas ganz Kleinem an . Wenn bei uns früher eine Be-suchergruppe fotografiert wurde, sagte man „Cheese“,um ein Lächeln zu bekommen . Wir sagen im BMZ jetzt„SDGs“ . Die Leute fragen „Warum?“, und schon sindwir im Gespräch darüber, dass es den Weltzukunftsver-trag gibt, der von allen mitgetragen und umgesetzt wer-den muss .Ein anderes Beispiel . Wir beginnen, ein Ziel zu ver-wirklichen, das in den SDGs enthalten ist, nämlich dieBeteiligung von Menschen mit Behinderungen . Wir neh-men die Menschen einfach mit auf die Reisen, die wir alsLeitung machen, und geben ihnen damit eine völlig neueChance, ihre Anliegen selbst zu vertreten . Wir zeigen da-mit auch, dass diese Bundesregierung an ihrer Seite steht .Unsere bisherigen Bemühungen auf diesem Gebietsind also außerordentlich erfolgreich . Wir haben auchansonsten genügend Instrumente, die wir einführen undweitertragen können und mit denen wir den anderen gro-ße Hilfestellungen geben können; das wollen wir auchtun .Wir wollen als BMZ, was die Gesamtdiskussion inDeutschland und was die Beteiligung der Ministerien be-trifft, in der ersten Reihe stehen . Das ist unser Anspruch,und darauf werden wir unsere Arbeit ausrichten .
Wir sind auf vielen Gebieten tätig . Ich möchte nochkurz darauf hinweisen, dass wir uns mit den anderen undfür die anderen sehr stark für den Aufbau von Steuersys-temen einsetzen . Das hat eine viel größere Bedeutung,als viele glauben . Wir wollen unser Engagement in die-sem Bereich bis 2020 verdoppeln . Die OECD sagt näm-lich: 1 Dollar, der in Steuersysteme investiert wird, bringt100 Dollar Steuereinnahmen . Das müssen wir jetzt mitei-nander auf den Weg bringen .Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchteauch noch darauf hinweisen, dass wir in viel stärkeremMaße das auf der ganzen Welt vagabundierende Geld fürdie Ziele der Nachhaltigkeit an unsere regionalen Ent-wicklungsbanken binden müssen . Wir brauchen neue Fi-nanzformate und neue Finanzprodukte, um diese Zielezu erreichen .
Wir werden demnächst mit der großen Tagung der Asi-atischen Entwicklungsbank in Frankfurt am Main einenersten, ganz konkreten Anfang machen .Ich darf zum Schluss darum bitten, dass wir eine sach-liche Diskussion miteinander führen, dass wir das Ver-bindende, das bei den Nationen weltweit zum Ausdruckgekommen ist, in unseren Diskussionen im Lande auchspüren lassen . Insoweit sind wir der Überzeugung, dasswir die Chance haben, einen sehr guten Beitrag zu leis-ten . Ich darf Ihnen ganz klar sagen: Diese Koalition istsich ihrer Verantwortung bewusst .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Birgit Menz .
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen undKollegen! Die 2030-Agenda für nachhaltige EntwicklungParl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
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mit ihren 17 Zielen ist auch deshalb ein Erfolg, weil sichdie Länder des globalen Südens in den Diskussionspro-zess stärker einbringen konnten, als dies in der Vergan-genheit der Fall war . Die SDGs sprechen im Gegensatzzu den MDGs auch die gesellschaftlichen Rahmenbe-dingungen von Entwicklung an und nennen mituntersehr klare Umsetzungsmaßnahmen: etwa die Förderungvon Kleinproduzenten – darunter insbesondere Frauen,Indigene, Kleinbauern, Hirten und Fischer –, unter an-derem auch durch die Abschaffung von Exportsubven-tionen, Handelsbeschränkungen und -verzerrungen aufden globalen Agrarmärkten; den Ausbau nachhaltiger In-frastruktur in den Entwicklungsländern, unter anderemdurch den verstärkten Transfer von Umwelttechnologienzu günstigen Bedingungen; den Abbau von Ungleichhei-ten zwischen den und innerhalb der Gesellschaften, zumBeispiel durch die Senkung der Transaktionskosten fürRücküberweisungen, durch eine stärkere Repräsentationder Länder des globalen Südens in den internationalenInstitutionen und durch die Verringerung von Einkom-mensunterschieden; das Erreichen nachhaltiger Pro-duktions- und Konsumweisen unter anderem durch dieRationalisierung ineffektiver Subventionierung fossilerBrennstoffe und eine Umstrukturierung der Besteuerung .Für die konsequente Umsetzung der SDGs, die Siein Ihrem Antrag ganz richtig fordern, muss eine weitereSpezifizierung geleistet werden. Dazu kann ich aber inIhrem Antrag nichts lesen . Stattdessen bekräftigen Sie le-diglich die Ziele, auf die sich Deutschland ohnehin schonverständigt hat, und richten eine Reihe allgemeiner For-derungen an die Bundesregierung, die diese längst selbstals Anspruch an sich formuliert . So fordern Sie die Bun-desregierung auf, ihren politischen Willen, „die globalenZiele für nachhaltige Entwicklung in die breite Politik-gestaltung auf allen Ebenen zu tragen“, deutlich zu for-mulieren und durch entsprechende Maßnahmen zu un-terstützen, ordnen aber diese geforderte Entschlossenheitsofort den „haushalts- und finanzpolitischen Vorgabender Bundesregierung“ unter und damit der propagiertenausteritätspolitischen Alternativlosigkeit, die sich in denletzten Jahren nicht gerade als hilfreich erwiesen hat, umdie Nachhaltigkeit in ihren drei Dimensionen, insbeson-dere auch in ihrer sozialen Dimension, zu fördern .Eine konsequente Umsetzung der SDGs wird aberauch davon abhängen, ob ausreichend finanzielle Mittelbereitgestellt und weitere Ressourcen mobilisiert wer-den, um die Entwicklungsländer dabei zu unterstützen,ihre Verschuldung abzubauen . Die SDGs enthalten dieklare Handlungsaufforderung – auch an die Bundesre-gierung –, die politischen Weichen in der Außen- undinternationalen Wirtschafts- und Handelspolitik neu zustellen . In diesem Zusammenhang stimmten aber schondie Ergebnisse der dritten internationalen Konferenz überEntwicklungsfinanzierung im Juli 2015 wenig hoffnungs-voll . Die reichen Industriestaaten schmetterten Vorstößeder G 77 für eine gerechte soziale Entwicklung ab undzielten stattdessen auf die Eigeninitiative der armen Län-der und einen stärkeren Beitrag privater Unternehmen .Auch in Ihrem Antrag ist an keiner Stelle die Rede voneiner Abschaffung der gerade für Entwicklungsländerextrem schädlichen Subventionen, etwa im Agrarbereich .An keiner Stelle findet sich eine Aussage zur deutschenoder europäischen Handelspolitik oder eine Aussage zueinem gerechten globalen Steuersystem auf der Basisgleichberechtigter Mitbestimmung der Entwicklungs-länder im Kontext der Vereinten Nationen . Das ist keinglaubwürdiges Eintreten gegen Steuerflucht.
Mehr soziale Gerechtigkeit als Grundlage für nach-haltige Entwicklung weltweit wird ohne Umverteilungvon Reichtum und eine Demokratisierung der globalenpolitischen Strukturen nicht möglich sein . Vor allem abermüssen wir die Frage von sozialer Gerechtigkeit gemein-sam mit der Friedensfrage diskutieren . Es waren geradedie Interventionen und Kriege des Westens in den ver-gangenen Jahren, die für Elend und Armut, für Millionenvon Flüchtlingen und verlorene Zukunftsperspektivenverantwortlich sind . Diese Zusammenhänge nicht nur,wie von Ihnen gefordert, zu verdeutlichen, sondern siedurch klare Handlungsaufforderungen in eine kohärenteund verantwortungsvolle Politik zu übersetzen, verlangtmehr Konsequenz, als in Ihrem Antrag zu erkennen ist .Vielen Dank .
Nächste Rednerin ist die Parlamentarische Staatsse-
kretärin Rita Schwarzelühr-Sutter .
Ri
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich bin ein wenig irritiert durch Ihre Rede,Frau Menz . Die 2030-Agenda, die die Staats- und Re-gierungschefs im September letzten Jahres in New Yorkbeschlossen haben – und die G 77 waren dabei –, ist einMeilenstein für einen weltweiten Wandel hin zu einernachhaltigeren Wirtschaftsweise . Es hat in den Verhand-lungen viel Überzeugungskraft gefordert, dass alle mitim Boot sind . Deshalb noch einmal zur Erinnerung: Auchdie G 77 waren dabei .Nachhaltigkeit soll gemäß dieser Agenda zum Grund-prinzip politischer Entscheidungen sowie aller gesell-schaftlichen Handlungen werden; denn beides hängt engzusammen, sowohl in den Entwicklungsländern als auchin den Industrieländern . Die Umsetzung der Agenda er-fordert eine intensive Zusammenarbeit aller gesellschaft-lichen Kräfte . Gemeinsam mit der Wirtschaft, mit denNGOs, mit den Akteuren verfolgt die Bundesregierungunter Federführung von BMUB und BMZ das Ziel ei-ner wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigenEntwicklung in Deutschland selbst und ist bereit, andereLänder hierbei zu unterstützen .Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die dasHerzstück der 2030-Agenda bilden – es gibt auch noch169 Unterziele –, fordern ein Umsteuern aller Staaten hinBirgit Menz
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zu einer umweltverträglicheren, sozial inklusiven Wirt-schaftsweise . Sie fordern menschenwürdige Arbeit füralle, den Schutz von Arbeitnehmer- und Menschenrech-ten und ein verantwortungsvolles, umweltschonendesWirtschaften entlang der Produktions- und Lieferkette .
Die Produktions- und Lieferkette ist das eine, unsereKonsummuster sind das andere . Beides gehört zusam-men, und deshalb ist auch die Gesellschaft gefordert .Deutschland fängt hier nicht bei null an, kann aberinsbesondere im Bereich nachhaltiger Produktions- undKonsummuster noch viel mehr erreichen . Hier ist nochviel Luft nach oben . Deshalb hat sich die Bundesregie-rung zum Ziel gesetzt, die Inanspruchnahme natürlicherRessourcen stärker von der wirtschaftlichen Entwicklungzu entkoppeln, die Effizienz fortlaufend zu steigern unddie Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen weiterzu reduzieren . Wir wollen, dass Deutschland zu einer dereffizientesten und umweltschonendsten Volkswirtschaf-ten weltweit wird . Das ist nicht nur ein Regulatorium .Dadurch sorgen wir auch dafür, dass Deutschland inter-national wettbewerbsfähig bleibt .Ich will hier noch einmal den Blick auf den Konsumwerfen . Wir wollen ein Nationales Programm für Nach-haltigen Konsum Ende Februar im Kabinett verabschie-den . Es ist unser Anliegen, nachhaltigere Lebensstile undetablierte Umweltsiegel, zum Beispiel den Blauen Engel,der ein gutes und etabliertes Siegel ist, zu stärken undweiterzuentwickeln, sodass sich Verbraucher daran ori-entieren und tatsächlich nachhaltig konsumieren können .Die Umsetzung der 2030-Agenda wird aber nur ge-lingen, wenn wir wissen, wo wir stehen und wie dieUmsetzung gelingt . Deswegen sind wir in New York da-für eingetreten, dass wir einen robusten und effizientenÜberprüfungsmechanismus einsetzen . Dieser wird sichin politisch hochrangigen Foren, im HLPF der UN, injedem Jahr angeschaut . Um unseren Anspruch an einensolchen Überprüfungsmechanismus zu unterstreichen,gehen wir mit gutem Beispiel voran . Wir werden im Julibeim nächsten HLPF schon einmal darüber berichten .Wir sind die Ersten . Das heißt, die Welt wird auf unsschauen und darauf, was wir liefern . Wir können nichtnur von anderen die Erfüllung der Ziele einfordern . DieWelt wird sich ansehen, wie wir das meistern und wieerfolgreich wir sind .Mit der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie habenwir ein gutes Instrument, das ein wesentlicher Rahmenfür die Umsetzung der globalen Ziele der Agenda durchDeutschland und in Deutschland ist . Sie wird bis Okto-ber 2016 in einem Dialogprozess weiterentwickelt undsich an den 17 Nachhaltigkeitszielen orientieren .Eines ist klar: 2016 muss mit der Umsetzung derNachhaltigkeitsagenda begonnen werden; denn derKurswechsel, der auf dem Gipfel in New York im ver-gangenen Jahr beschlossen wurde und den wir alle ge-meinsam erreichen wollen, ist überfällig . Wir wollendie extreme Armut beenden sowie die Ungleichheit, dieUngerechtigkeit und auch den Klimawandel bekämpfen .Hierbei war es im vergangenen Jahr durchaus ein wich-tiger Etappenschritt, dass der Klimagipfel in Paris so er-folgreich vonstattenging . Zudem wollen wir nachhaltigeProduktions- und Lebensweisen sowie nachhaltige Kon-summuster durchsetzen .Ich danke herzlich .
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Dr . Valerie Wilms .
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Dieletzten zwei Besucher haben uns auch verlassen . Inso-fern sollten wir nächstes Mal vielleicht einmal schauen,dass wir ein so wichtiges Thema zu einer etwas früherenZeit behandeln, werte Kolleginnen und Kollegen von derGroKo .
Das sehen auch Herr Fuchtel und Frau Schwarzelühr-Sutter so . Also: Ran da!Frau Staatssekretärin, na klar, wir brauchen denKurswechsel, und zwar dringend . Wir müssen uns auchendlich einmal wieder ernsthaft mit der Neufassung derNachhaltigkeitsstrategie beschäftigen; denn darin stehenauch Ziele, die schon abgelaufen sind . Andere enden2020; das ist nicht mehr lange hin . Insofern: Ran, ran,ran!Ich bin glücklich, dass mit diesem Antrag klar gewor-den ist, dass sich auch die Koalition hier im Parlamenteinmal mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigenmuss . Bisher haben Sie das nur über Anträge aus derGrünenfraktion getan; wir haben Ihnen da schon einigesvorgelegt . Die Beschäftigung des gesamten Parlamentszu diesem relativ frühen Zeitpunkt – die Verabschiedungder Ziele ist kaum ein halbes Jahr her – ist wichtig, rich-tig und dringend nötig .
An der Umsetzung der SDGs sind alle Ministerienbeteiligt . Da wäre es ein fatales Signal, wenn sich imParlament nur der Ausschuss für wirtschaftliche Zusam-menarbeit damit befasst . Ich sitze nicht im Ausschuss fürwirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern im Parlamen-tarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung . Insofernhaben wir das jetzt schon etwas weiter gefasst .Werte Kolleginnen und Kollegen, gleich zu Beginnsteht in Ihrem Antrag allerdings ein Absatz, der mir dochsehr zu denken gibt . Sie schreiben über die 2030-Agen-da – ich zitiere –: „Sie ist dementsprechend keine reineEntwicklungsländeragenda“ . Stimmt! Aber was soll unsdas sagen? Natürlich sind die SDGs keine reine Entwick-lungsländeragenda . Auch in Deutschland gibt es auf demWeg zur Nachhaltigkeit noch viel, viel zu tun .Natürlich findet sich im Antrag auch die Forderung,die Fortentwicklung der nationalen Nachhaltigkeitsstra-tegie auf die Umsetzung der SDGs auszurichten . AllesParl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 15031
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andere, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre ja auchabwegig – obwohl man bei dieser GroKo nicht so genauweiß, was da eigentlich läuft . Sie haben ja noch eine Pa-rallelwelt nebenher laufen, „Gut leben in Deutschland“genannt . Was Sie da machen wollen, ist ja auch eine ArtStrategie .Aber so weit zu gehen, nun alle nationalen Nachhal-tigkeitsziele mindestens bis 2030 fortzuschreiben, dastrauen Sie sich in diesem Antrag dann doch nicht . Dabeiwäre ja gerade das essenziell . Es ist doch so, dass es mo-mentan an der konsequenten Fortschreibung aller Zielebis 2030 mangelt .Richtig erkannt hat die Koalition endlich, dass die2030-Agenda einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfungvon Fluchtursachen leisten kann . Nur bricht der An-trag an dieser Stelle leider unvermittelt ab . Wie sollenFluchtursachen wirksam bekämpft werden? Da ist vonIhnen nichts zu lesen . Kleiner Tipp: Lesen Sie doch malunseren Antrag mit der Drucksachennummer 18/7046 .Da finden Sie eine ganze Reihe Hinweise, wie man soetwas machen kann .Werte Kolleginnen und Kollegen, besonders frechfinde ich das Lob für die Bundesregierung bezogen aufden G-7-Gipfel . Da gab es einen Beschluss über die De-karbonisierung der Weltwirtschaft . Dass allerdings direktdanach die geplante Kohleabgabe für Braunkohlekraft-werke wieder einkassiert wurde, wird in Ihrem Antragmit keinem Wort erwähnt . Leider ein typisches Beispielfür die Dialektik Ihrer Politik: heute hü und morgen hott .Nachhaltige Politik sieht anders aus .
Ich bin leider schon am Ende meiner Redezeit . Darumnur noch ein kurzer Hinweis . Ich zitiere noch einmal ausIhrem Antrag . Da steht:Die nationale Umsetzung muss sich in die haus-halts- und finanzpolitischen Vorgaben der Bundes-regierung einfügenWird das wirklich ernst genommen? Dann wären jagrößere Umwälzungen im nächsten Haushalt zu erwar-ten, ja dann stände uns hier im Haus eine kleine Revolu-tion bevor – im Haushaltsausschuss . Toll! Ich sehe hieraber keinen Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, undich halte das für schwer vorstellbar . Nötig wäre es na-türlich . Denn die Haushalts- und Finanzplanung ist, wieSie ja nun endlich selbst erkannt haben, der Schlüssel zueiner mehr oder eben weniger nachhaltigen Politik . AnIhren Versprechungen, werte Kolleginnen und Kollegen,werden wir zukünftig die Haushaltsentwürfe messen .Darauf können Sie sich verlassen .Vielen Dank, dass Sie mir so aufmerksam zugehörthaben .
Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die
Kollegin Bärbel Kofler für die SPD.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Es freut mich, dass ich an einigen Stellen auch von Ih-nen, Frau Wilms, durchaus lobende Töne zu dem Antragvernehmen konnte . Es ist richtig: Dieser Antrag ist einerster Aufschlag . Ich darf daran erinnern: Die Konferenzin New York war im September letzten Jahres, und dieKlimakonferenz in Paris war im November/Dezember .Ich finde, dass wir uns relativ zügig darum bemüht ha-ben, hier erste Ansätze für eine Umsetzung vorzulegen .
Und ich darf Sie auch beruhigen: Es kommt sicher nochmehr . Da brauchen Sie keine Angst zu haben . Wir wer-den vielleicht noch gemeinsam das eine oder andereSpannende erarbeiten .Diese Debatte bietet Gelegenheit, über die Konferen-zen des vergangenen Jahres ein bisschen zu reflektieren:Was waren die wichtigen Punkte? Was waren die Punkte,von denen wir wissen, dass wir nachsteuern müssen undes noch Handlungsbedarf gibt? Bei den SDGs – das istdas Entscheidende – kommt es jetzt auf die Umsetzungan . Es kommt darauf an – das ist nicht trivial –, hineinzu-schreiben, dass wir unsere nationale Nachhaltigkeitsstra-tegie auf internationale Bereiche ausweiten müssen . Ichhabe irgendwann einmal gelernt, dass es das Manko dernationalen Nachhaltigkeitsstrategie ist, dass wir uns vielzu wenig auf die internationale Ebene begeben .Was in den SDGs zu Recht eingefordert wird, ist Uni-versalität . Es geht nicht nur darum, dass wir in Deutsch-land irgendetwas ein bisschen besser machen, sondernauch darum, die Wechselwirkungen zwischen dem, was inDeutschland passieren muss, und dem, was internationalpassieren muss – seien es Handelsfragen, die Fragen derArbeitnehmerrechte, die im Übrigen im Antrag ausführ-lich angesprochen werden, oder die Frage der Einhaltungder ILO-Kernarbeitsnormen –, besser zu berücksichtigenund mehr dafür zu tun, dass wir wirklich vorankommenund die Menschen nachhaltig aus der Armut herausführen .Das ist ein entscheidender, ganz wichtiger Punkt .Ich glaube auch, dass wir bei den Finanzfragen – ichnenne die Konferenz von Addis Abeba – noch nachlegenmüssen; das ist überhaupt keine Frage . Wir haben unsim Zusammenhang mit ODA nicht zu dem verpflichtet,was wirklich ganz schnell zu einem Aufwuchs und zurUnterfütterung dieser Ziele führt . Wir werden noch vieltun müssen .Ich finde es gut, dass es eine Initiative zum Thema„Aufbau der Steuersysteme in den Entwicklungsländern“gibt . Da werden wir eine ganze Menge und noch vielmehr tun müssen . Ich freue mich auf die Debatte im undmit dem Finanzausschuss, wie das Thema Steuervermei-dung und Steuerhinterziehung anzugehen ist . Mittlerwei-le weiß jeder, der sich mit EntwicklungszusammenarbeitDr. Valerie Wilms
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201615032
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beschäftigt und den Mbeki-Bericht gelesen hat, dass denLändern Afrikas jährlich 50 bis 150 Milliarden US-Dol-lar durch Steuervermeidungskonzepte entgehen . Dassind enorme Summen, die bei der Armutsbekämpfungfehlen . Hier ist also noch viel zu tun . Das ist noch einganz großes Handlungsfeld .Ein Punkt ist noch nicht erwähnt worden . In dem vor-liegenden Antrag ist ein Bekenntnis zur Finanztransakti-onsteuer enthalten; das will ich deutlich unterstreichen .Wir fordern die Bundesregierung auf, auf europäischerEbene alles zu tun, damit sie eingeführt wird . Wir vonden Koalitionsfraktionen bekennen uns gemeinsam dazuund sagen, dass auch wir das wollen. Ich finde, das isteine wichtige Aussage .
Wir als Entwicklungspolitiker, aber nicht nur die Ent-wicklungspolitiker, werden noch viel darüber diskutierenmüssen, wie wir die SDGs mit unseren Partnern umset-zen . Es wird in vielen Bereichen zu einem entwicklungs-politischen Paradigmenwechsel kommen müssen . Wirwerden prüfen müssen: Ist das, was wir in den verschie-densten Feldern machen, im Sinne der Nachhaltigkeits-agenda bereits genug? Oder nehmen wir manchmal fal-sche Weichenstellungen vor und müssen daher vielleichteiniges überprüfen und überdenken? Das wird ein wich-tiger Prozess sein .Ich glaube aber auch – und das ist das Entscheiden-de –: Das Thema der Politikkohärenz ist für uns alle dasA und O . Wir werden mit den Kollegen aus den ande-ren Ausschüssen darüber diskutieren müssen, wessenAufgabe es ist, die Nachhaltigkeitsagenda umzusetzen .Sie ist eben auch die Aufgabe der Finanzpolitiker, sieist die Aufgabe der Gesundheitspolitiker – ich denke anviele Verknüpfungen, was den Zugang zu Medikamen-ten und was Patentrechte anbelangt –, sie ist die Aufgabeder Wirtschaftspolitiker, sie ist die Aufgabe der Arbeits-marktpolitiker, wenn es um das Thema „internationaleArbeitsnormen“ geht, und sie ist selbstverständlich dieAufgabe der Umweltpolitiker, wenn es um Klimaschutz,den Zugang zu Wasser und anderen Ressourcen geht .Das ist eine ganz entscheidende Frage . Für all das willund soll die Entwicklungspolitik Motor sein . Dafür ha-ben wir den vorliegenden Antrag geschrieben .
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7361 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Widerspruch erhebt
sich keiner . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe jetzt den letzten Tagesordnungspunkt für heu-
te, nämlich den Tagesordnungspunkt 20, auf:
Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung der Zuständigkeiten von
Bundesbehörden an die Neuordnung der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des
Drucksache 18/7316
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Innenausschuss
Haushaltsausschuss
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe hier ausschließlich Einverständnis . Dann geschieht
das so .1)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/7316 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Auch
hier kann ich nur allgemeines Einverständnis feststellen .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Damit sind wir auch am Schluss unserer Tagesord-
nung angelangt .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 29 . Januar 2016, 9 Uhr, ein .
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend . Kom-
men Sie morgen wieder wohlbehalten und gesund ins
Plenum .
Die Sitzung ist geschlossen .