Protokoll:
18152

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 152

  • date_rangeDatum: 28. Januar 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:39 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/152 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 152. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 28. Januar 2016 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Rainer Spiering und Cajus Caesar . . . 14883 A Wahl des Abgeordneten Jörn Wunderlich als Mitglied des Beirats beim Bundesbeauf- tragten für die Unterlagen des Staatssicher- heitsdienstes der ehemaligen DDR . . . . . . . 14883 B Wahl des Abgeordneten Dr. Matthias Bartke als stellvertretendes Mitglied des Wahlprü- fungsausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14883 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14883 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 27 . . . . 14884 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 14884 B Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Zukunftsfähigkeit sichern – Die Chancen des digitalen Wandels nutzen b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 2016 der Bun- desregierung Drucksache 18/7380 . . . . . . . . . . . . . . . . . 14884 D c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 2015/2016 des Sachver- ständigenrates zur Begutachtung der ge- samtwirtschaftlichen Entwicklung Drucksache 18/6740 . . . . . . . . . . . . . . . . . 14885 A d) Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Oliver Krischer, Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Jahreswohl- standsbericht einführen Drucksache 18/7368 . . . . . . . . . . . . . . . . . 14885 A Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . 14885 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 14889 C Dr . Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 14891 A Dr . Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14892 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 14893 D Dr . Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 14895 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 14897 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 14898 B Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14899 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14900 B Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU) . . . . 14901 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14902 B Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 14903 C Dr . Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 14904 B Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14905 D Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 14906 C Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Für bezahlbare Mietwohnungen – Modernisierungsumlage reduzieren, Luxusmodernisierungen einschränken Drucksache 18/7263 . . . . . . . . . . . . . . . . . 14908 A b) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Heidrun Bluhm, Dr . Dietmar Bartsch, wei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016II terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mietspiegel – Sozial gerecht und mietpreisdämpfend erstellen Drucksache 18/5230 . . . . . . . . . . . . . . . . . 14908 A Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 14908 B Dr . Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 14909 C Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14912 A Dennis Rohde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14913 A Marie-Luise Dött (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 14914 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 14916 C Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14917 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14919 B Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 14920 D Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14922 B Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 14922 D Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 14923 D Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14925 B Tagesordnungspunkt 6: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffne- ter deutscher Streitkräfte an der Mul- tidimensionalen Integrierten Stabilisie- rungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Resolutionen 2100 (2013), 2164 (2014) und 2227 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni 2014 und 29. Juni 2015 Drucksachen 18/7206, 18/7366 . . . . . . . . . 14926 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/7389 . . . . . . . . . . . . . . . . . 14926 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14926 C Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 14927 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 14928 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14930 A Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14931 B Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 14932 C Michael Vietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 14933 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 14934 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14936 C Tagesordnungspunkt 8: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstüt- zung der Sicherheitskräfte der Regie- rung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte Drucksachen 18/7207, 18/7367 . . . . . . . . . 14934 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/7390 . . . . . . . . . . . . . . . . . 14934 C Dr . Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 14934 D Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 14939 B Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 14940 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14941 D Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 14943 A Dr . Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 14944 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 14945 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14947 C Tagesordnungspunkt 28: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Designgesetzes und weiterer Vorschriften des gewerbli- chen Rechtsschutzes Drucksache 18/7195 . . . . . . . . . . . . . . . . . 14945 B b) Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr . Julia Verlinden, Stephan Kühn (Dres- den), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Behinderung des Windenergieausbaus durch Radaranlagen Drucksache 18/7050 . . . . . . . . . . . . . . . . . 14945 B Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung Drucksache 18/7359 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14945 B Tagesordnungspunkt 29: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 III eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. November 2012 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und der Repu- blik Polen über die Zusammenarbeit im Bereich des Eisenbahnverkehrs über die deutsch-polnische Staatsgrenze Drucksachen 18/6931, 18/7256 . . . . . . . . . 14945 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Mess- und Eichgesetzes Drucksachen 18/7194, 18/7382 . . . . . . . . . 14945 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Fünfte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 18/6522, 18/6605 Nr . 2, 18/7222 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14946 A d)–h) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 272, 273, 274, 275 und 276 zu Peti- tionen Drucksachen 18/7251, 18/7252, 18/7253, 18/7254, 18/7255 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14946 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu der Mitteilung der Kommission an das Euro- päische Parlament, den Rat, den Europäi- schen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Den Binnen- markt weiter ausbauen: mehr Chancen für die Menschen und die Unternehmen – KOM(2015) 550 endg.; Ratsdok. 13370/15 hier: Politischer Dialog mit EU-Institutionen Drucksachen 18/6855 A .5, 18/7395 . . . . . . . . 14946 D Tagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe – zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Raif Badawi sofort freilas- sen – Völkerrechtswidrige Strafen in Saudi-Arabien abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Tom Koenigs, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja zur Meinungsfreiheit, nein zur Fol- ter – Menschenrechte in Saudi-Arabien schützen, Raif Badawi freilassen Drucksachen 18/3832, 18/3835, 18/5450 . . . . 14947 C Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 14950 A Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 14951 D Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . . 14952 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14954 B Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 14955 B Tagesordnungspunkt 5: Vereinbarte Debatte: zum Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2016 . . . . . . . . . . . . . . . 14957 A Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 14957 B Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 14958 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14959 B Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 14960 D Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14962 C Dr . Dorothee Schlegel (SPD) . . . . . . . . . . . . . 14963 B Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 14964 B Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 14965 A Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . 14966 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 14967 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14969 B Tagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Erziehungsleistung von Adoptivel- tern würdigen – Mütterrente anerkennen Drucksachen 18/6043, 18/6222 . . . . . . . . . . . 14970 A Dr . Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 14970 A Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 14971 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 14972 C Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 14973 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14975 A Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 14976 B Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 14977 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016IV Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Menschen- und umweltgerechten Aus- bau der Rheintalbahn realisieren Drucksache 18/7364 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14979 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Menschen- und umweltgerechte Rea- lisierung europäischer Schienennetze Drucksache 18/7365 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14979 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr und digitale Infrastruk- tur zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Kerstin Andreae, Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Finanzierung eines bürgerfreundlichen und umweltge- rechten Ausbaus der Rheintalbahn jetzt si- cherstellen Drucksachen 18/6884, 18/7388 . . . . . . . . . . . 14979 A Norbert Barthle, Parl . Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14979 B Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 14980 C Annette Sawade (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14981 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14982 D Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 14984 A Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 14985 B Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 14986 A Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 14987 A Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 14987 C Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 14987 D Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Anna- lena Baerbock, Özcan Mutlu, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für ein Rahmenprogramm für Klima- und Klimafolgenforschung Drucksache 18/7048 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14989 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14989 C Sybille Benning (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 14990 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 14991 D René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14992 C Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14993 D Dr . Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . 14994 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14996 A Dr . Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . 14997 A Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulsta- tistikgesetzes Drucksachen 18/6560, 18/7358 . . . . . . . . . . . 14997 B Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 14997 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 14998 C Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 14999 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15000 A Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 15000 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15001 D Dr . Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . 15003 A Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Caren Lay, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), Tom Koenigs, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Herkunft von Konfliktrohstoffen konsequent offenlegen Drucksachen 18/5107, 18/6226 . . . . . . . . . . . 15004 B Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15004 B Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 15005 B Dr . Herlind Gundelach (CDU/CSU) . . . . . . . . 15006 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15007 D Dr . Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15008 D Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz von Kindern und Ju- gendlichen vor den Gefahren des Konsums Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 V von elektronischen Zigaretten und elektro- nischen Shishas Drucksachen 18/6858, 18/7205, 18/7394 . . . . 15009 C Caren Marks, Parl . Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15009 C Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 15010 B Markus Koob (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15011 B Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 15013 C Markus Koob (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15013 C Dr . Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15013 D Ursula Schulte (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15014 C Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Öz- can Mutlu, Dr . Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Für eine weltoffene und viel- fältige Sport- und Fankultur – Bürgerrech- te schützen, Gruppenbezogene Menschen- feindlichkeit effektiv bekämpfen, rechte Netzwerke aufdecken Drucksache 18/6232 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15015 D Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15016 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 15016 D Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15018 A Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 15019 A Johannes Steiniger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 15020 A Tagesordnungspunkt 14: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Ände- rung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koor- dinierung der Rechts- und Verwaltungsvor- schriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen Drucksachen 18/6744, 18/7393 . . . . . . . . . . . 15021 B Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts in der Seeschifffahrt Drucksachen 18/6679, 18/7268 . . . . . . . . . . . 15021 D Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 15022 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 15022 D Dr . Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 15023 C Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15024 B Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15025 B Dr . Birgit Malecha-Nissen (SPD) . . . . . . . . . . 15026 A Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ge- mäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Än- derung anderer Vorschriften Drucksache 18/7244 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15027 A Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Rege- lungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hin- blick auf die Abschlussprüfung bei Unter- nehmen von öffentlichem Interesse (Ab- schlussprüfungsreformgesetz – AReG) Drucksache 18/7219 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15027 A Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung – 2030-Agenda konsequent umsetzen Drucksache 18/7361 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15027 B Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15027 C Birgit Menz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 15028 D Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretä- rin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15029 D Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15030 C Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15031 C Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bun- desbehörden an die Neuordnung der Was- ser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV-Zuständigkeitsanpassungsgesetz – WSVZuAnpG) Drucksache 18/7316 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15032 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016VI Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15032 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15032 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 15033 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Katja Keul, Peter Meiwald, Uwe Kekeritz, Monika Lazar, Corinna Rüffer, Beate Mül- ler-Gemmeke, Irene Mihalic und Dr . Wolf- gang Strengmann-Kuhn (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbil- dungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte (Tagesordnungspunkt 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15033 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr . Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlus- sempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortset- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte (Tagesordnungspunkt 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15034 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr . Nina Scheer (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräf- te der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte (Tagesordnungspunkt 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15035 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) zu der Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 18/7377) zur Beratung des An- trags der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf- te zur Ausbildungsunterstützung der Sicher- heitskräfte der Regierung der Region Kurdis- tan-Irak und der irakischen Streitkräfte (Tagesordnungspunkt 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15035 C Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14 . November 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Zusammen- arbeit im Bereich des Eisenbahnverkehrs über die deutsch-polnische Staatsgrenze (Tagesordnungspunkt 29 a) . . . . . . . . . . . . . . . 15035 C Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten In- grid Arndt-Brauer, Bärbel Bas, Burkhard Blie- nert, Willi Brase, Marco Bülow, Petra Crone, Bernhard Daldrup, Martin Dörmann, Sieg- mund Ehrmann, Michaela Engelmeier, Dag- mar Freitag, Michael Gerdes, Kerstin Griese, Michael Groß, Ulrich Hampel, Sebastian Hart- mann, Dirk Heidenblut, Wolfgang Hellmich, Dr . Barbara Hendricks, Petra Hinz (Essen), Oliver Kaczmarek, Ralf Kapschack, Ulrich Kelber, Arno Klare, Dr . Hans-Ulrich Krüger, Dr . Karl Lauterbach, Michelle Müntefering, Dr . Rolf Mützenich, Dietmar Nietan, Mah- mut Özdemir (Duisburg), Sabine Poschmann, Joachim Poß, Achim Post (Minden), Andreas Rimkus, Petra Rode-Bosse, René Röspel, Axel Schäfer (Bochum), Udo Schiefner, Ulla Schmidt (Aachen), Elfi Scho-Antwerpes, Ur- sula Schulte, Frank Schwabe, Stefan Schwart- ze, Norbert Spinrath, Peer Steinbrück, Chris- toph Strässer, Michael Thews, Dirk Vöpel, Dirk Wiese und Gülistan Yüksel (alle SPD) zu den Abstimmungen über – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Menschen- und umweltgerech- ten Ausbau der Rheintalbahn realisieren und – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Menschen- und umweltgerechte Realisierung europäischer Schienennetze (Zusatztagesordnungspunkte 4 und 5) . . . . . . 15035 D Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Lothar Binding (Heidelberg), Bernhard Daldrup, Cansel Kiziltepe und Christian Petry (alle SPD) zur Abstimmung über den vom Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 VII Bundesrat eingebrachten Entwurf eines … Ge- setzes zur Änderung des Einkommensteuerge- setzes zur Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts in der Seeschifffahrt (Tagesordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . 15036 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23 . Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungs- vorschriften betreffend bestimmte Organis- men für gemeinsame Anlagen in Wertpapie- ren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen (Tagesordnungspunkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . 15037 A Fritz Güntzler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15037 B Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 15039 A Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15040 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychia- trischen Krankenhaus gemäß § 63 des Straf- gesetzbuches und zur Änderung anderer Vor- schriften (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 15041 A Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15041 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 15042 A Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15043 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 15043 C Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15044 B Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15045 B Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entspre- chenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr . 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprü- fung bei Unternehmen von öffentlichem Inter- esse (Abschlussprüfungsreformgesetz – AReG) (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 15046 A Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15046 B Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15047 B Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15048 A Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15048 D Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15049 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsver- waltung des Bundes (WSV-Zuständigkeitsan- passungsgesetz – WSVZuAnpG) (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 15050 B Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . 15050 C Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15051 B Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15052 B Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15053 A Textrahmenoptionen: 30,5 mm Abstand oben (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 14883 152. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 28. Januar 2016 Beginn: 9 .02 Uhr
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    1) Anlage 12 Berichtigung 151 . Sitzung, Seite 14854 A, letzter Absatz, dritter Satz, ist wie folgt zu lesen: „Zurzeit kann ich nur so viel sagen: Die Bundesregierung prüft aktuell die Einstufung von Marokko und Algerien als sichere Herkunftsstaaten im Sinne von § 29 a des Asylverfahrensgesetzes in Ver- bindung mit dem bekannten Artikel 16 a Absatz 3 unse- res Grundgesetzes .“ Dr. Bärbel Kofler (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 15033 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 28 .01 .2016 Feiler, Uwe CDU/CSU 28 .01 .2016 Fischer (Karlsru- he-Land), Axel E . CDU/CSU 28 .01 .2016 Gleicke, Iris SPD 28 .01 .2016 Gohlke, Nicole DIE LINKE 28 .01 .2016 Groth, Annette DIE LINKE 28 .01 .2016 Hardt, Jürgen CDU/CSU 28 .01 .2016 Hitschler, Thomas SPD 28 .01 .2016 Holzenkamp, Franz- Josef CDU/CSU 28 .01 .2016 Hübinger, Anette CDU/CSU 28 .01 .2016 Jantz, Christina SPD 28 .01 .2016 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 28 .01 .2016 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 28 .01 .2016 Lühmann, Kirsten SPD 28 .01 .2016 Mattfeldt, Andreas CDU/CSU 28 .01 .2016 Müller, Dr . Gerd CDU/CSU 28 .01 .2016 Nahles, Andrea SPD 28 .01 .2016 Nietan, Dietmar SPD 28 .01 .2016 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 28 .01 .2016 Radomski, Kerstin CDU/CSU 28 .01 .2016 Rawert, Mechthild SPD 28 .01 .2016 Röring, Johannes CDU/CSU 28 .01 .2016 Scheuer, Andreas CDU/CSU 28 .01 .2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schlecht, Michael DIE LINKE 28 .01 .2016 Schwabe, Frank SPD 28 .01 .2016 Schwartze, Stefan SPD 28 .01 .2016 Spahn, Jens CDU/CSU 28 .01 .2016 Tank, Azize DIE LINKE 28 .01 .2016 Thönnes, Franz SPD 28 .01 .2016 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 28 .01 .2016 Veit, Rüdiger SPD 28 .01 .2016 Wicklein, Andrea SPD 28 .01 .2016 Woltmann, Barbara CDU/CSU 28 .01 .2016 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Katja Keul, Peter Meiwald, Uwe Kekeritz, Monika Lazar, Corinna Rüffer, Beate Müller-Gemmeke, Irene Mihalic und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschus- ses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Si- cherheitskräfte der Regierung der Region Kurdi- stan-Irak und der irakischen Streitkräfte (Tages- ordnungspunkt 8) Die Ausbildung und Ausrüstung der kurdischen Pe- schmerga erfolgt nach wie vor ohne verfassungsrecht- liche Grundlage außerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit . Diesen Bruch mit unserer Verfassung lehnen wir ab . Die Entwicklung des letzten Jahres hat außerdem un- sere Befürchtungen bestätigt, dass dieser verfassungs- widrige Einsatz auch nicht geeignet ist, Frieden zu för- dern und Menschenleben zu schützen . Die Behauptung, dass yesidische Zivilbevölkerung mit Hilfe deutscher Waffen gerettet worden sei, ist nicht zu halten . Gerettet wurden diese Menschen allenfalls von syrischen Kurdenverbänden, die sich mittlerweile in be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201615034 (A) (C) (B) (D) waffneten Auseinandersetzungen mit den von deutschen Streitkräften unterstützten Verbänden befinden. Es gibt nach wie vor kein einheitliches Kommando über die immer weiter zersplitterten kurdischen Milizen . Innerhalb dieser Milizen gibt es konträr verlaufende In- teressen und Auseinandersetzungen . Die Berichte, nach denen kurdische Gruppierungen sich untereinander bekämpfen, häufen sich . Amnesty International erhebt schwere Vorwürfe ge- gen Peschmergaverbände, die vorsätzlich arabische Dör- fer zerstören, nachdem sie diese vom IS zurückerobert haben . Präsident Barzani regiert seit August 2014 ohne de- mokratische Legitimation . Ein Parlament existiert quasi nicht mehr . Die von Deutschland gelieferten Kleinwaffen werden inzwischen auf regionalen Schwarzmärkten gehandelt . Hinzu kommt die Auseinandersetzung mit der irakischen Zentralregierung in Bagdad, die nach wie vor die ver- fassungsmäßigen Zahlungen an die Regionalregierung in Erbil verweigert, sodass diese kurz vor dem Bankrott steht . In Anbetracht dieser Gesamtgemengelage ist es nicht zu verantworten, weitere Kleinwaffen und Ausbildungs- unterstützung für kämpfende Einheiten in dieser Region zu gewähren . Der Einsatz verstößt gegen unsere Verfassung und wirkt darüber hinaus kontraproduktiv . Wir lehnen diesen Einsatz daher insgesamt ab . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/ CSU) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschus- ses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Si- cherheitskräfte der Regierung der Region Kurdi- stan-Irak und der irakischen Streitkräfte (Tages- ordnungspunkt 8) Der internationale Kampf gegen die Terrororganisati- on IS zeigt auch dank der Lieferung militärischer Aus- rüstung an die Peschmerga und dem Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten zur Ausbildung der kurdischen Sicherheitskräfte und irakischen Streitkräfte Erfolge . Es ist gelungen, Flüchtlinge zu schützen, den IS zurückzu- schlagen und Territorium zurückzugewinnen . Zur Absicherung und Verstetigung dieser Erfolge halte ich die Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicher- heitskräfte der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte aufgrund humanitärer Verantwortung für die in der Region lebenden Menschen und Flüchtlinge, aber auch aus sicherheitspolitischen Gründen für sinnvoll und notwendig . Nachdem der irakische Außenminister alle Mitglied- staaten der Vereinten Nationen um Unterstützung im Kampf gegen die Terrororganisation ISIS auch im Wege militärischer Ausbildung gebeten hat, ist der Einsatz als sogenannte Intervention auf Einladung völkerrechtlich zulässig . Gemäß Artikel 87 a Absatz 2 GG dürfen die Streitkräf- te außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt . Ein Fall, in dem das Grundgesetz den Einsatz zulässt, ist Artikel 24 Absatz 2 GG, auf den die Bundesregierung ihren Antrag stützt . Diese verfassungsrechtliche Begründung über- zeugt mich nicht . Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts kann sich die Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 24 Absatz 2 GG zur Friedenswahrung an Ent- scheidungen einer internationalen Organisation binden . Das umfasst auch die Übernahme der mit der Zugehörig- keit zu einem kollektiven Sicherheitssystem typischer- weise verbundenen Aufgaben und damit auch für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die „im Rah- men und nach den Regeln“ dieses Systems stattfinden. Unzweifelhaft liegt kein spezielles Mandat des VN-Si- cherheitsrates vor, das ausdrücklich die Entsendung von Soldaten zur Friedenssicherung vorsieht und das den Rahmen und die Regeln des Einsatzes bestimmt . Aus diesem Grund bezieht sich die Bundesregierung im Antrag auf die Sicherheitsratsresolution 2170 (2014) vom 15 . August 2014 und die Resolution 2249 (2015) vom 20 . November 2015 sowie auf die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 19 . September 2014 . In der Resolution 2170 (2014) wird die Terrororga- nisation IS als Bedrohung für die internationale Sicher- heit bezeichnet . Zudem werden darin die durch IS be- gangenen Menschenrechtsverletzungen verurteilt sowie Sanktionen gegen einzelne Mitglieder dieser Organisati- on beschlossen . Ein Mandat für den Einsatz von Streit- kräften enthält diese Resolution nicht . Gleiches gilt für die Resolution 2249 (2015) . Auch die Erklärung des Prä- sidenten des Sicherheitsrates vom 19 . September 2014 reicht meines Erachtens nicht aus, weil sie im Kern le- diglich den Aufruf enthält, den Irak zu unterstützen, und es sich dabei zudem im Ergebnis um eine politische Er- klärung handelt . Daher halte ich Artikel 24 Absatz 2 GG nicht für die richtige Rechtsgrundlage . Nach meiner Überzeugung findet der Einsatz der Bun- deswehr aber eine verfassungsmäßig tragfähige Rechts- grundlage in Art . 87 a Absatz 2 1 . alt . GG . Der Begriff der „Verteidigung“ umfasst nach überwiegender Auf- fassung nicht nur die reine Landesverteidigung, sondern auch die sogenannte Drittstaaten-Nothilfe im Sinne von Artikel 51 der VN-Charta . Der Bundeswehreinsatz ist daher als solcher verfassungsgemäß . Weil ich den Einsatz der Bundeswehr in dieser Aus- bildungsmission unabhängig von der seitens der Bundes- regierung gewählten verfassungsrechtlichen Begründung für verfassungsgemäß und politisch geboten halte, stim- me ich dem Einsatz der Bundeswehr zu . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 15035 (A) (C) (B) (D) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Si- cherheitskräfte der Regierung der Region Kurdi- stan-Irak und der irakischen Streitkräfte (Tages- ordnungspunkt 8) Wie bereits der vorangegangene Antrag (Entschlie- ßungsantrag Bundestagsdrucksache 18/2459 vom 1 . September 2014) zur Erteilung eines Bundeswehr- mandats ist auch der heute zur Abstimmung stehende Antrag „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Si- cherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte“ von dem Bestreben ge- tragen, Menschenleben von Verfolgten zu retten, hiermit auch einen Beitrag zum Schutz der Staatlichkeit des Irak sowie für die Stabilität der gesamten Region zu leisten, die angesichts der IS-Terroristen in akuter Gefahr ist . Auch wenn ich dieses Bestreben teile, halte ich es den- noch für unverzichtbar, Maßnahmen zu vermeiden, de- ren Folgewirkungen das friedenschaffende Ziel ihrerseits erschweren können . Das betreffende Bundeswehrmandat umfasst im Zuge der Ausbildungsunterstützung – wie be- reits das vorangegangene – auch Waffenlieferungen an Sicherheitskräfte im Nord-Irak (Peschmerga) . Als Folge von Waffenlieferungen, zumal an regionale Sicherheits- kräfte, sehe ich die Gefahr, dass jene in falsche Hände geraten und somit das Ziel einer zu stärkenden Selbstver- teidigung unterwandert wird . Die heute vorliegenden Informationen lassen vermuten, dass Waffen, auch aus Deutschland, vor Ort auf Märkten verkauft wurden . Zudem konnten bislang Berichte nicht entkräftet werden, dass die Peschmerga massenhafte Zer- störungen von Häusern arabischer Zivilisten vornahmen, um eine mutmaßliche Unterstützung der Bewohner für den IS zu sanktionieren, somit Rache übten . Nach ei- nem Bericht von Amnesty International seien Tausende Häuser mit Planierraupen zerstört, in die Luft gesprengt oder angezündet worden . Der Verdacht von Kriegsver- brechen durch kurdische Kämpfer steht damit wiederholt im Raum . Zudem besteht Unklarheit, wie sich eine – mit Hilfe militärischer Unterstützungsmaßnahmen – gestärkte Peschmerga jenseits des Kampfes gegen den IS gegenüber der Zentralregierung des Irak in Bagdad verhalten wird . Waffenlieferungen der betreffenden Art halte ich vor diesem Hintergrund für nicht geeignet, den erstrebten friedenschaffenden Effekt zu erzielen, ohne hierbei zu- gleich die Gefahr neuer Gewalt und Bedrohung einzuge- hen . Wo militärische Maßnahmen zum Schutz vor dem IS und humanitärer Not notwendig sind, sollte neben den nationalen Streitkräften der betreffenden Staaten auch die Völkergemeinschaft durch UN-Schutztruppen Ver- antwortung übernehmen . Insofern werde ich bei der Abstimmung über die Ver- längerung des Bundeswehrmandats mit Nein stimmen . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) zu der Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 18/7377) zur Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Si- cherheitskräfte der Regierung der Region Kurdi- stan-Irak und der irakischen Streitkräfte (Tages- ordnungspunkt 8) Das Votum der Fraktion DIE LINKE lautet Ableh- nung . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge- setzes zu dem Abkommen vom 14. November 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Zusammenarbeit im Be- reich des Eisenbahnverkehrs über die deutsch-pol- nische Staatsgrenze (Tagesordnungspunkt 29 a) Das Votum der Fraktion DIE LINKE lautet Zustim- mung . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer, Bärbel Bas, Burkhard Blienert, Willi Brase, Marco Bülow, Petra Crone, Bernhard Daldrup, Martin Dörmann, Siegmund Ehrmann, Michaela Engelmeier, Dagmar Freitag, Michael Gerdes, Kerstin Griese, Michael Groß, Ulrich Hampel, Sebastian Hartmann, Dirk Hedenblut, Wolfgang Hellmich, Dr. Barbara Hendricks, Petra Hinz (Essen), Oliver Kaczmarek, Ralf Kapschack, Ulrich Kelber, Arno Klare, Dr. Hans- Ulrich Krüger, Dr. Karl Lauterbach, Michelle Müntefering, Dr. Rolf Mützenich, Dietmar Nietan, Mahmut Özdemir (Duisburg), Sabine Poschmann, Joachim Poß, Achim Post (Minden), Andreas Rimkus, Petra Rode-Bosse, René Röspel, Axel Schäfer (Bochum), Udo Schiefner, Ulla Schmidt (Aa- chen), Elfi Scho-Antwerpes, Ursula Schulte, Frank Schwabe, Stefan Schwartze, Norbert Spinrath, Peer Steinbrück, Christoph Strässer, Michael Thews, Dirk Vöpel, Dirk Wiese und Gülistan Yüksel (alle SPD) zu den Abstimmungen über – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Menschen- und umweltgerechten Ausbau der Rheintalbahn realisieren und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201615036 (A) (C) (B) (D) – den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Menschen- und umweltgerechte Realisierung europäischer Schienennetze (Zusatztagesord- nungspunkte 4 und 5) Der Deutsche Bundestag beschließt heute zwei Anträ- ge zum Schutz von Mensch und Umwelt vor Belastungen, die durch die Realisierung von europäisch bedeutsamen Schienenprojekten entstehen . Mit dieser persönlichen Erklärung möchten wir unser Abstimmungsverhalten zu diesen Anträgen erläutern . Der Antrag „Menschen- und umweltgerechten Ausbau der Rheintalbahn realisieren“ sieht vor, dass der Bund Kosten in Höhe von 1 521,4 Millionen Euro übernimmt, die durch zusätzlichen Lärmschutz an der Ausbaustrecke Karlsruhe—Basel im Abschnitt von Offenburg bis nach Basel entstehen . Wir erkennen die erhebliche bundespo- litische Bedeutung der Strecke im Rahmen des europä- ischen TEN-Kernkorridors, die geleistete konstruktive Arbeit des Projektbeirats Rheintalbahn und das finanzi- elle Engagement des Landes Baden-Württemberg an und stimmen dem Antrag daher gemeinsam mit den Kolle- ginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion zu . Mit der Entscheidung zur Rheintalbahn werden aus unserer Sicht neue Maßstäbe auch für andere Schienen- verkehrsprojekte gesetzt . Anlieger von Bahnanlagen sind in ganz Deutschland gleichermaßen von Schienenlärm betroffen . Der bei der Rheintalbahn angelegte Maßstab sollte daher für alle schutzbedürftigen Bürgerinnen und Bürger gelten . Dieser Erkenntnis folgt der Antrag „Men- schen- und umweltgerechte Realisierung europäischer Schienennetze“ in Ansätzen . Er sieht vor, dass künftig auch in anderen Fällen besonderer regionaler Betroffen- heit durch Schienengüterverkehre ein Schutz von An- wohnern und Umwelt erreicht werden kann, der über das gesetzlich vorgegebene Maß hinausgeht . Wir bedauern sehr, dass die CDU/CSU keine – von uns wiederholt vorgeschlagenen – weitergehenden Beschlüsse mitgetragen hat, die bei anderen bundes- und europaweit bedeutsamen Strecken ein ähnlich hohes Schutzniveau von Mensch und Umwelt wie bei der Rheintalbahn ver- bindlich vorsehen . Zur Vermeidung von zahlreichen Kla- gen und im Sinne eines zügigen Baubeginns halten wir zusätzliche Lärmschutz- und Sicherheitsmaßnahmen – die im Vorfeld mit den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern abgestimmt sind – im laufenden Planfeststellungsverfah- ren des dreigleisigen Ausbaus der Betuwe-Linie zwischen Emmerich und Oberhausen und beim sechsgleisigen Ausbau der Strecke Duisburg—Düsseldorf im Zuge des Rhein-Ruhr-Express für zwingend erforderlich . Darüber hinaus ist der Lärmschutz an der gesamten Mittelrheintal- strecke (Köln—Mainz) deutlich zu verbessern . Schließ- lich wollen wir Kommunen, die an den besonders stark befahrenen europäischen Güterverkehrskorridoren liegen, beim Neubau von Bahnunterführungen stärker als bisher unterstützen, um die Sicherheit zu erhöhen und eine besse- re Verkehrsabwicklung zu ermöglichen . Die heute verabschiedeten Anträge können aus unse- rer Sicht nur ein erster Schritt sein . Die NRW-Landes- gruppe in der SPD-Bundestagsfraktion wird sich dafür einsetzen, im Rahmen weiterer parlamentarischer Ver- fahren einen vergleichbaren Schutz von Mensch und Umwelt vor Schienenverkehrsbelastungen zu erreichen, wie er heute für die Rheintalbahn beschlossen wurde . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), Bernhard Daldrup, Cansel Kiziltepe und Christian Petry (alle SPD) zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines … Geset- zes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts in der Seeschifffahrt (Tagesordnungspunkt 16) Dieses Gesetz ermöglicht eine weitere Subvention der Seeschifffahrtswirtschaft, denn schon heute haben Reeder mit Schiffen unter deutscher Flagge erhebliche Steuervergünstigungen in der Lohnsteuer: 40 Prozent der Lohnsteuer müssen nicht an das zuständige Finanz- amt weiterleitgeleitet werden . Die Lohnsteuer erhält also nicht die Gemeinschaft, sondern der Reeder . Mit die- sem Gesetz wird der bisherige Satz von 40 Prozent auf 100 Prozent erhöht . Die Lohnsteuer entfällt vollständig . Die Subvention der Reedereien erreicht ihr bisheriges Maximum . Diese Subvention soll Beschäftigung und Know-how in der deutschen Seeschifffahrt sichern . Es existiert je- doch keine Verpflichtung, mit den gewonnenen Summen etwa Arbeit und Ausbildung von Seeleuten in Deutsch- land zu fördern . Sie erfolgt faktisch bedingungslos . Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass sich die Erwartungen im Zusammenhang mit Steuergeschenken weder bei der Beschäftigung noch bei der Zahl der Schif- fe unter deutscher Flagge erfüllt haben . Der Lohnsteuereinbehalt ist ein Steuergeschenk: Die jährlichen Steuermindereinnahmen belaufen sich laut Stellungnahme der Bundesregierung auf 50 Millionen Euro . Derartige Subventionen schaden der Akzeptanz des Steuersystems, weil gegen den Grundsatz der Steu- ergerechtigkeit verstoßen wird . Andere Branchen werden ermuntert, Gleichstellung zu verlangen . Die Seeschifffahrt ist eine subventionierte Branche und genießt beispielsweise auch bei der Tonnagebesteue- rung und der ermäßigten Stromsteuer für den Landstrom Vorteile . Auch hier sind die Reeder zu keiner konkreten Gegenleistung verpflichtet. Es ist nicht erkennbar, dass der aktuelle Trend, unter der Flagge von ,,Niedriglohn- ländern‘‘ zu fahren, begrenzt würde . Im Gegenteil: Trotz schon bisheriger Steuersubventionen hat die Zahl der un- ter deutscher Flagge fahrenden Schiffe auf nur etwa 200 abgenommen . Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) be- tont, dass das Ziel der Maßnahme in Einklang mit dem Verständnis der EU-Kommission von staatlichen Bei- hilfen darin liege, „Steuern sowie sonstige Kosten und Belastungen von Reedereien und Seeleuten aus der Ge- meinschaft auf ein Niveau zu senken, das dem allgemei- nen Weltstandard entspricht“ . In die Praxis des Gesetzes Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 15037 (A) (C) (B) (D) übertragen, bedeutet dies: Die bestehende Regel, dass ein Schiff unter deutscher Flagge mindestens vier EU-See- leute an Bord haben muss, soll auf zwei EU-Seeleute abgesenkt werden . Damit widerspricht dieser Geset- zesvorschlag der Zielsetzung der Regierung, deutsches Know-how in der Seeschifffahrt abzusichern . Wenn wir diesen Gedanken beispielsweise in Tarif- bzw . Lohnver- handlungen fortsetzen, begeben wir uns auf eine interna- tional getriebene Abwärtsspirale . Unser Maßstab politischen Handelns ist aber nicht die Beförderung einer Abwärtsspirale von steuer- und arbeitsrechtlichen Standards, sondern im Gegenteil das Streben nach qualifizierten gemeinsamen Standards, fai- ren Löhnen, gerechter und gleichmäßiger Besteuerung . Damit lässt sich fachpolitisch eine Zustimmung zu diesem Gesetz nicht begründen . Wenn wir gleichwohl zustimmen, so nicht deshalb, weil argumentiert wird, an- dernfalls ginge es den Reedern noch schlechter – nein, wir sehen in diesem Gesetz die letzte Möglichkeit, zu be- obachten, ob sich die Hoffnungen des Bundesrates, der dieses Gesetz eingebracht hat, erfüllen, und wir wollen uns nicht dem Vorwurf aussetzen, nicht doch alles ver- sucht zu haben, die deutsche Seeschifffahrt zu stärken . Nun ist es an den Reedern, zu zeigen, dass sie es ver- stehen, die mit den ungewöhnlich hohen Subventionen verknüpften Ziele auch zu erreichen . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parla- ments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Ände- rung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betref- fend bestimmte Organismen für gemeinsame Anla- gen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen (Tagesordnungspunkt 14) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Wir beraten heute ab- schließend den Entwurf des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23 . Juli 2014 zur Änderung der Richtli- nie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Ver- waltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Ver- gütungspolitik und Sanktionen . Mit diesem Gesetzes- vorhaben überführen wir die überarbeitete europäische OGAW-V-Richtlinie in das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB), also in nationales Recht . Für unsere Zuschauer und Gäste auf der Tribüne, die sich vielleicht nicht täglich mit dem Thema Finanz- marktregulierung beschäftigen, sei kurz erklärt: OGAW bedeutet Organismen für gemeinsame Anlagen in Wert- papieren . Dies sind Investmentfonds, die in gesetzlich definierte Arten von Wertpapieren und andere Finanzin- strumente investieren . Die sogenannte OGAW-Richtlinie wurde erstmals am 20 . Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für diese erlassen . Dies hat zu einem Abbau von Wettbewerbsunterschieden innerhalb der EU geführt . Bevor ich auf die Einzelheiten des vor- liegenden Gesetzentwurfs eingehe, lassen Sie mich noch kurz einen Blick zurück auf die Entstehung des KAGB werfen . Seit etwas mehr als zwei Jahren ist das Gesetz nun in Kraft . Es bildet die rechtliche Grundlage für offene und geschlossene Fonds . Mit dem über 300 Paragrafen star- ken KAGB wurden ein verlässlicher Schutz für Anleger und ein einheitlicher rechtlicher Standard für die Branche geschaffen . Ziel ist es, dass kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Finanzmarkt ohne eine ange- messene Regulierung bleiben soll . Heute kann man feststellen, dass dieses Vorhaben ge- lungen ist . Das KAGB bietet Anlegern angemessenen Schutz und findet in der Finanzwirtschaft Akzeptanz. Dies spiegelt sich auch in dem Ergebnis einer Umfrage wider, die eine der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (pwc) gemeinsam mit zwei Wirtschaftsverbänden (ZIA und BSI) erstellt hat . Danach sehen die Rechtsanwender in der Praxis die neuen gesetzlichen Rahmenbedingun- gen vorwiegend als Chance und weniger als Hindernis . Die Befragung aus dem Jahr 2014 ergab allerdings auch, dass noch einige Unklarheiten im KAGB bestan- den . Auf diese Kritik haben wir schon reagiert und das KAGB seit Inkrafttreten immer wieder angepasst und Klarstellungen vorgenommen . Die letzten umfangreiche- ren Änderungen haben wir 2014 mit dem Finanzmarkt- anpassungsgesetz vorgenommen . Heute beraten wir nun eine weitere Novellierung des KAGB . Diese steht unter dem Stichwort „Weitere Erhö- hung des Anlegerschutzes“ . Es geht dabei um drei The- menkomplexe: erstens Verwahrstellenregulierung, zwei- tens Mitarbeitervergütung, drittens Sanktionen . Neben den Maßnahmen zur nationalen Umsetzung der Vorgaben der OGAW-V-Richtlinie schaffen wir auch die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen Alternative Investmentfonds Darlehen vergeben dürfen . Auf dieses Thema komme ich später noch zurück . Die schon an- gesprochene Anhörung hat gezeigt, dass dies ein wich- tiges Anliegen des Mittelstandes, vor allem aber von Start-up-Unternehmen ist . Ich hatte eingangs gesagt, dass wir mit diesem Gesetz den Anlegerschutz stärken . So werden die Vergütungs- systeme von OGAW-Kapitalverwaltungsgesellschaften künftig keine Anreize für das Eingehen übermäßiger Risiken mehr enthalten . Sie werden besser auf die lang- fristigen Interessen der Anleger und das Erreichen der Anlageziele des OGAW abgestimmt sein . Außerdem erweitern wir die Haftung der Verwahr- stellen . Diese haben ja im Wesentlichen zwei Aufga- ben: Zum einen verwahren sie die Vermögenswerte des OGAW . Zum anderen überwachen sie die Verwaltungs- gesellschaften zum Schutze der Anleger . Der Gesetzent- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201615038 (A) (C) (B) (D) wurf sieht vor, dass sich OGAW-Verwahrstellen künftig nicht mehr exkulpieren können, wenn einem von ihnen in Anspruch genommenen sogenannten Unterverwahrer Finanzinstrumente abhandenkommen . Die Sanktionen bei Rechtsverstößen werden insge- samt verschärft und neu strukturiert . Lassen Sie mich auf einige Punkte eingehen, die wir im parlamentarischen Verfahren diskutiert haben . Die Darlehensvergabe durch AIF hatte ich schon an- gesprochen . Mit diesem Gesetz schaffen wir national ei- nen Rahmen für die Darlehensvergabe durch AIF . Durch diese nicht bankgestützte Finanzierungsform schaffen wir einen weiteren Beitrag für die Finanzierung der Re- alwirtschaft . Wir haben dabei sowohl den Mittelstand als auch Start-ups und ihre Investoren, zum Beispiel Wag- niskapitalgeber, im Blick . Gleichzeitig haben wir mit den getroffenen Regelun- gen Vorsorge getroffen, um eine uferlose Darlehensver- gabe zu verhindern (Stichwort: „Schattenbankproblema- tik“), und somit dem Anlegerschutz Rechnung getragen . Künftig dürfen geschlossene Spezial-AIF Gesellschaf- terdarlehen bis zu einem Umfang von 50 Prozent des Fondsvermögens vergeben . Diese Gesellschafterdarle- hen werden ihrer Höhe nach nicht das Zweifache der An- schaffungskosten der jeweiligen Beteiligung überschrei- ten dürfen . Anderes gilt für geschlossene Publikums-AIF . Aus Anlegerschutzgründen soll hier die Vergabe von Gesell- schafterdarlehen nur bis zu einem Umfang von 30 Pro- zent des Fondsvermögens erlaubt sein . Gesellschafter- darlehen sollen bei den geschlossenen Publikums-AIF ihrer Höhe nach auch nicht das Einfache der Anschaf- fungskosten der Beteiligung überschreiten dürfen . Mit Übergangsvorschriften wollen wir sicherstellen, dass bisher rechtmäßig vergebene Darlehen nicht zurück- gefordert werden müssen . Allen AIF, also auch den offenen Spezial-AIF, wird künftig die Restrukturierung und Prolongation (Verwal- tung) von erworbenen Darlehensforderungen erlaubt sein . Diese Flexibilisierung soll, auch wieder im Sinne der Anleger, dazu beitragen, dass es nicht zu vorschnel- len Veräußerungen von Darlehen und den damit einher- gehenden Wertverlusten im Markt kommt . Wir haben ausführlich die Regulierung von darle- hensaufkaufenden Spezial-AIF diskutiert . Wesentlicher Diskussionspunkt war die unterschiedliche Regulierung für aufkaufende Fonds und vergebende Fonds . Darle- hensaufkaufende Spezial-AIF unterfallen nicht den Re- gelungen zur Vergabe von Darlehen durch geschlossene Spezial-AIF . Diese Regelungen sollen Laufzeiteninkon- gruenzen und Run-Risiken verhindern . Die Bundesbank hat in ihrer Stellungnahme gefordert, darlehensaufkaufende Spezial-AIF auch dieser Regulie- rung zu unterwerfen . Wir haben uns diese Forderung sehr genau angeschaut und sind zu dem Ergebnis gekommen, diese nicht umzusetzen . Folgende Gründe haben uns dazu bewogen: Bei der originären Darlehensvergabe durch eine Bank sind alle Anforderungen einzuhalten, auch wenn das ver- gebene Darlehen weiterveräußert wird . Man kann also Regulierungsvorgaben nicht durch den Umweg über eine „Fronting-Bank“ umgehen . Darlehensaufkaufende offene Spezial-AIF existieren bereits . Besondere Risiken sind dabei nicht aufgefallen . Das Millionenkreditmeldeverfahren und Risikoma- nagementvorgaben finden Anwendung. Die Kapitalverwaltungsgesellschaften müssen ein an- gemessenes Liquiditätsmanagement sicherstellen . Das Thema ist auf der Agenda des FSB (financial sta- bility board) . Es ist sinnvoll, die Ergebnisse dieser Arbei- ten abzuwarten, bevor wir national eine Regelung treffen . Die Grünen haben in der Anhörung und im Ausschuss gefordert, auch Zertifikate zu regulieren und möglichst dem OGAW-Regime zu unterwerfen . Darauf zielt auch Ihr Entschließungsantrag ab . Es ist festzuhalten: Zerti- fikate, auch wenn sich ihr Wert beispielsweise an einem Aktienindex orientiert, sind keine OGAW . Es handelt sich um Schuldverschreibungen. Zertifikate sind auch nicht gänzlich unreguliert . Ich nenne hier zum Beispiel das Produktinformationsblatt und das Wertpapierpros- pektgesetz . Wenn Sie also für Veränderungen, Ihrem Antrag nach für Verschärfungen bei der Regulierung von Zertifikaten sind, müssten wir darüber bei einer anderen Gelegenheit sprechen . Wir haben vereinbart, Herr Schick, dass wir uns zu diesem Thema austauschen . Ich möchte an dieser Stelle nur vorwegschicken, dass wir weiterhin bestrebt sind, dafür zu sorgen, dass Finanzprodukte umsichtig re- guliert werden . Wir schaffen Rechtssicherheit für Bürgergenossen- schaften . § 2 Absatz 4 b KAGB soll gestrichen werden . Nach dieser Regelung sind auf Genossenschaften aus- nahmsweise nicht alle KAGB-Regelungen anwendbar . Mit der Streichung dieser Regelung beseitigen wir eine Unklarheit im KAGB . Damit wird deutlich, dass es sich bei Genossenschaften nicht um Investmentvermö- gen im Sinne des KAGB handelt . Wir sind auch in Gesprächen mit der BaFin zu der Auffassung gelangt, dass Genossenschaften Gesellschaf- ten sind, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange zu fördern . Diese zwingende Ausrichtung auf einen besonderen Förderzweck schließt eine im Vordergrund stehende fondstypische reine Ge- winnerzielungsabsicht aus . Die genossenschaftlichen Prüfungsverbände schließen durch ihre regelmäßigen Prüfungen aus, dass es zu Missbrauch kommt . Sollte sich eine Genossenschaft doch zu einem Investmentvermö- gen entwickeln, ist es der BaFin weiterhin unbenommen, einzugreifen . Damit schaffen wir auch Erleichterungen und Rechts- sicherheit für die rund 900 Bürgerenergiegenossenschaf- ten in Deutschland . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 15039 (A) (C) (B) (D) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Der einheitli- che Binnenmarkt in Europa für Investmentfonds schrei- tet mithilfe von OGAW V voran . Hinter der kryptischen Bezeichnung „OGAW“ verbergen sich „Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“, wobei „Orga- nismen“ hier mitnichten etwas mit kleinen krabbelnden Tierchen zu tun haben . Doch damit nicht genug: In dem Gesetzentwurf fin- den sich auch noch AIF; das sind im Gegensatz zu den offenen, jederzeit handelbaren OGAW-Investmentfonds Alternative Investmentfonds wie zum Beispiel Geschlos- sene Fonds, die unter anderem in Immobilien investieren können . Bei den AIF gibt es dann noch Publikums-AIF für die „breite Masse“ sowie Spezial-AIF für Professi- onelle . Diese unterteilen sich jeweils wieder in offene und geschlossene AIF . Vergessen darf man auch nicht die ELTIF, die europäischen langfristigen geschlossenen Investmentfonds, die vor allem Infrastrukturinvestition- en im Blick haben . Wie man merkt, keine ganz einfache Materie . Von Transparenz und Verständlichkeit für einen durchschnittlichen Anleger ganz zu schweigen . Doch ich möchte kurz für die Verbraucherinnen und Verbraucher, für die Menschen außerhalb der Finanzwis- senschaft erläutern, warum diese Investmentfondsregu- lierung keine reine Spaßveranstaltung für Finanz-Nerds ist, sondern durchaus für viele Menschen in diesem Land von Belang ist . Denn viele Menschen wurden ge- zwungen, nachdem die vergangenen Bundesregierungen die gesetzliche Rente Stück für Stück geschleift hatten, privat für ihr Alter vorzusorgen, und dies geschah und geschieht oft in Form von Renten- oder Lebensversiche- rungen, die Kundengelder in Investmentfonds investie- ren (fondsgebundene Renten-/Lebensversicherungen) . Für diese Altersvorsorgeprodukte gilt gerade kein Garan- tiezins wie bei der klassischen Lebensversicherung . Die Verbraucher sind vollends auf die Entwicklung des bzw . der Investmentfonds angewiesen, in die eingezahlt wird . Fahren diese Fonds Verluste ein und stürzen ab, ist ganz schnell auch das angesparte Vermögen fürs Alter futsch . Daneben wurden zahlreiche Verbraucher aufgrund der Warnungen vor der Niedrigzinsphase in angeblich ren- diteträchtigere Anlagen getrieben, wodurch viele Men- schen ihr Geld in geschlossene Investmentfonds, also in der Regel hochriskante unternehmerische Beteiligungen, steckten . Nimmt man dies alles zusammen, ist es für Ver- braucher durchaus von Belang, wie nun die Investment- fonds reguliert werden . Den höheren Bußgeldrahmen sowie die Haftungsver- schärfung für die Verwahrstellen dieser Fonds begrüßen wir ohne Weiteres . Doch wir sehen im Gesetzentwurf auch eine Reihe von Regelungen, die zu Problemen füh- ren können . Beispielsweise ist es bedenklich, dass Alternative Investmentfonds, die AIF, nun großflächiger Kredite vergeben dürfen. Wir finden es falsch, dass sogar Publi- kums-AIF, also Fonds, die auch an Kleinanleger verkauft werden, in großem Maße Kredite vergeben dürfen . Den OGAW ist dies jedenfalls bis jetzt untersagt . Darlehen sollten von Fonds beispielsweise nicht an Beteiligungsunternehmen vergeben werden dürfen . Denn da habe ich die Sorge, dass die AIF davon Gebrauch ma- chen werden, um Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, künstlich am Leben zu erhalten . So kann dezent ein Fehlinvestment vertuscht werden . Dies wollen wir als Linke nicht zulassen . Mit der erweiterten Kreditvergabe holt man sich zu- meist ein unnötiges Risiko ins Boot, das bei einem Ken- tern letztlich nur die Privatanleger als Leichtmatrosen nass werden lässt . Denn wie oben bereits erwähnt: Ge- hen die Fonds in höheres Risiko, winken nicht unbedingt nur höhere Renditen, es drohen auch höhere Verluste, die am Ende voll auf die Altersvorsorge der breiten Bevöl- kerung durchschlagen . Wir sollten wirklich mal weiter- denken, wie es unter anderem die Verbraucherzentralen angeregt haben, ob diese Publikums-AIF, die geschlosse- nen Fonds, überhaupt an Privat-/Kleinanleger vertrieben werden dürfen . Aus linker Sicht sind diese Fonds nicht sinnvoll für die Altersvorsorge . Die Bundesregierung sieht hier wie so oft keinerlei Risiken; Risiken seien noch nicht einmal „bekannt“, wie wir gestern im Finanzausschuss hören mussten . Geschickt will Schwarz-Rot den Eindruck vermitteln, man begrenze allenthalben das Risiko . Da passt es ins Bild, dass regelmäßig betont wird, man will den Schat- tenbankensektor stärker regulieren . Doch bisher ist das nicht mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis . Viel schlim- mer: Durch die Möglichkeiten exzessiver Kreditvergabe werden ohne Not Türen geöffnet für regulatorische Un- gleichgewichte und leider auch für eine weitere Verlage- rung von Geschäften in den Schattenbankbereich . Ein Beispiel für das regulatorische Gefälle ist die un- gleiche Behandlung kreditaufkaufender und kreditver- gebender Fonds, obwohl beide den gleichen Risiken am Markt unterliegen . Stellen Sie sich vor, ein beliebiger Fonds kauft spanische Immobilienanleihen, ausgehend davon, dass der versprochene Wirtschaftsaufschwung endlich – trotz der Troika-Politik – eintritt und die Im- mobilienwerte wieder steigen . Das geschieht aber nicht; die Werte bleiben im Keller, und die Immobilienpapie- re liegen wie Blei in den Regalen . Anleger, die in die- se Fonds investiert haben, werden natürlich in Krisen- situationen schnellstmöglich versuchen, aus diesem Fonds auszusteigen . Ein Wettrennen wird einsetzen, wer seine Schäfchen als Erster ins Trockene bringt . An- dererseits behandelt der Gesetzentwurf kreditvergeben- de Fonds vollkommen anders; dort ist die Vergabe klar begrenzt (30 Prozent), wenn auch nach unserer Ansicht zu schwach . Und ein Wettrennen zum Schafstall ist auch deshalb unwahrscheinlicher, weil die allgemeine Kredit- vergabe geschlossenen Fonds vorbehalten bleibt . Das ist nicht nur eine klare Öffnung von Bankgeschäften für den weniger regulierten Schattenbankenbereich, das ist auch die klare Aufforderung an gewitzte Finanzmarktakteure, hier eine schnelle Mark zu machen . Die schon erwähnten ELTIF befördern die weitere Ge- schäftsverlagerung ins Schattenbanking . Denn was viele nicht wissen: Diese Fonds dürfen auch in Nachrangdarle- hen, stille Beteiligungen, Kredite oder Genussrechte in- vestieren . Das heißt: Diese Fonds dürfen in Produkte des Grauen Kapitalmarkts investieren, die Anlegern bereits massive Verluste in Millionenhöhe beschert haben . Und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201615040 (A) (C) (B) (D) diese Fonds übernehmen zugleich Bereiche des klassi- schen Bankgeschäfts wie das Kreditgeschäft, was weiter in den „Schatten“ führt . Gerade bezüglich des Anlagespektrums und der An- lagemöglichkeiten kann man schon einen Hang zur Dere- gulierung feststellen . Ich hoffe, Sie von der Regierungs- bank gehen dabei nicht dem Überregulierungsgejammer so manches Branchenvertreters auf den Leim . Die Linke möchte riskantes Anlageverhalten in Finanzprodukten für Privatanleger eindämmen, die Finanzmärkte ent- schlacken und transparenter machen, um für mehr Fi- nanzstabilität zu sorgen, und wir wollen Kleinanleger bzw . Altersvorsorgesparer vor Verlusten schützen . Vielleicht gelingt es der Bundesregierung in der nächs- ten OGAW-Runde, bei OGAW VI, auf Regulierungskurs zu bleiben und Verbraucher stärker zu schützen . Dann können wir das nächste Mal dem Gesetzentwurf auch zustimmen . An dieser Stelle geht das für die Linke nicht . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die mit dem vorgelegten Gesetzentwurf erfolgende Um- setzung der europäischen Vorgaben zu Verwahrstellen, Vergütungs- und Sanktionsregeln bei Investmentfonds ist grundsätzlich zu begrüßen . Leider lässt sich jedoch am vorliegenden Gesetzentwurf auch exemplarisch aufzei- gen, wie die Interessen der Finanzbranche die Gesetzge- bung der Bundesregierung negativ beeinflussen. Risiken für die Finanzstabilität und den Anlegerschutz erkennen Sie zwar . Sie beseitigen diese aber nicht wirksam . Das ist unser Hauptkritikpunkt bezüglich des Gesetzentwurfes . Deswegen werden wir dem Gesetz nicht zustimmen . So haben Sie zwar – was grundsätzlich zu begrüßen ist – die Umsetzung der OGAW-V-Richtlinie zum An- lass genommen, die Kreditaufnahme und -vergabe durch Alternative Investmentfonds und damit einen Teil des Schattenbankensektors zu regulieren . Jedoch scheuen Sie eine konsistente Regulierung der Vorschriften für die Kreditvergabe und für den Aufkauf unverbriefter Kreditforderungen . Zukünftig können Kredite nur von geschlossenen Spezial-AIF vergeben werden . Das Kre- ditportfolio muss dabei diversifiziert sein, und die He- belung der Kreditvergabe wird beschränkt . Diese aus Fi- nanzstabilitätssicht sinnvollen Regeln können die Fonds jedoch einfach umgehen . Anstatt einen Kredit zu verge- ben, müssen sie nur unverbriefte Kreditforderungen auf- kaufen . Dann gelten keine vergleichbaren Vorgaben zur Risikostreuung, keine vergleichbaren Vorgaben zur He- belung der Verschuldung . Und den Kreditaufkauf können sie sogar – anders als die Kreditvergabe – auch in offenen Fonds strukturieren . Dabei hatte das Bundesministerium der Finanzen in seinem Referentenentwurf noch zutref- fend darauf hingewiesen, dass die Fristentransformation eine der Hauptwurzeln der Finanzkrise war . Daher sollte nach dem Referentenentwurf der Aufkauf von unver- brieften Kreditforderungen durch offene Spezial-AIF limitiert werden . Auch die Deutsche Bundesbank hat im Rahmen der Anhörung zum Gesetzentwurf deutlich darauf hingewiesen, dass sich darlehensaufkaufende und darlehensvergebende Fonds im Risiko nicht unter- scheiden . Der Rat der Deutschen Bundesbank lautete daher, beide Anlageformen vergleichbar zu regulieren . Von Ihrem eigenen Regulierungsansatz und dem Rat der Deutschen Bundesbank weichen Sie aus einem einzigen Grund ab: Sie schaffen es nicht, dem Druck der Finanz- branche standzuhalten . Auch an anderer Stelle – beim Anlegerschutz – nimmt Ihre Politik zu oft auf Brancheninteressen Rücksicht . So gelingt es der Bundesregierung seit 2008 nicht, bei Zertifikaten ein vergleichbares Schutzniveau wie bei Investmentfonds zu schaffen. Dabei sind Zertifikate in Deutschland in Form der Lehman-Zertifikate zum Sinn- bild für die Finanzkrise des Jahres 2008 geworden . Da- mals hatten unerfahrene Kleinanlegerinnen und Klein- anleger in Zertifikate mit Bezug zur Investmentbank Lehman Brothers investiert . Als diese pleiteging, waren die Ersparnisse und die private Altersvorsorge Tausender Kleinanlegerinnen und Kleinanleger betroffen . Auch hier werfe ich Ihnen nicht vor, dass Sie das Problem nicht er- kennen. Im Gegenteil: Der finanzpolitische Sprecher der CDU, Otto Bernhardt, ließ sich 2009 von der Presse da- mit zitieren, dass das Verbot von bestimmten Zertifikaten geprüft werde . Vorzuwerfen ist Ihnen jedoch, dass Sie bis heute weder für Kleinanlegerinnen und Kleinanleger ungeeignete Zertifikate vom Markt genommen noch eine produktspezifische Regulierung von Zertifikaten vorge- legt haben . Die mit Zertifikaten verbundenen Risiken und Pro- bleme haben sich seit 2008 hingegen nicht wesentlich verändert. Der deutsche Zertifikatemarkt ist mit rund 70 Milliarden Euro weiterhin mit Abstand der größte Zertifikatemarkt in der EU. Die Hälfte des ausstehenden Emissionsvolumens entfällt auf Landesbanken und die Spitzeninstitute des Sparkassen- und Genossenschafts- sektors und damit auf Vertriebsverbünde, die in wesent- lichem Umfang auf Kleinanlegerinnen und Kleinanleger ausgerichtet sind . Auch die Bezeichnungen von Zertifikaten sind zum Teil weiterhin irreführend . So stuft der Deutsche Deri- vate Verband knapp 50 Prozent des Marktvolumens als Anlagezertifikate mit Kapitalgarantie ein. Trotz des da- mit offensichtlichen erheblichen Sicherheitsbedürfnisses der Anleger fallen diese Zertifikate weiterhin weder unter die Einlagensicherung, noch sind sie, ähnlich wie Invest- mentfonds, als Sondervermögen vor der Insolvenz des Emittenten geschützt . Das Versagen Ihres vertriebsbezogenen Regulierungs- ansatzes bei Finanzinstrumenten zeigt sich insbesonde- re auch bei der Produktgestaltung von Zertifikaten. Für Kleinanleger ungeeignete Zertifikatestrukturen sind im- mer noch am Markt verbreitet . So weisen Bonitätsanlei- hen, die bei der Insolvenz von Lehman Brothers zu emp- findlichen Verlusten geführt haben, auch heute noch ein erhebliches Marktvolumen auf . Gleichzeitig besteht mit dem für Investmentfonds geltenden Kapitalanlagegesetzbuch eine Blaupause für die Regulierung von Zertifikaten. Beide Produktgruppen sind bezüglich der Anlageidee in wesentlichen Teilen austauschbar . So kann zum Beispiel die Entwicklung des deutschen Aktienindex DAX sowohl über ein Zertifikat als auch über einen Investmentfonds nachvollzogen wer- den . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 15041 (A) (C) (B) (D) Ihnen ist daher an dieser Stelle auch vorzuwerfen, dass Sie die Novellierung des KAGB nicht genutzt ha- ben, um Zertifikaten endlich den Rahmen zu geben, den der Anlegerschutz gebietet . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychia- trischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetz- buches und zur Änderung anderer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 17) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Der vorliegende Ge- setzentwurf ist keine „Lex Mollath“ . Für das Parlament verbietet es sich geradezu, allein aus Gründen eines Ein- zelfalls gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen . Die Koalition reagiert mit dieser Reform des Maßregelvoll- zugs vielmehr auf eine Vielzahl von berechtigten Mah- nungen aus der Rechtswissenschaft und dem Gesund- heitswesen . Es trifft zu: Immer mehr Menschen werden immer länger gemäß § 63 des Strafgesetzbuchs in die geschlos- sene Psychiatrie eingewiesen . Das sind jetzt keine Mas- senphänomene, aber der Anstieg von rund 4 000 Perso- nen im Jahr 2000 auf heute gut 6 500 Personen ist doch eine beachtliche Steigerung . Deshalb ist der Gesetzgeber jetzt wirklich veranlasst, darüber zu entscheiden, in welcher Weise wir dem Ver- hältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Abwägung zwischen der Schutzpflicht des Staates gegenüber der Allgemein- heit, also potenziellen Opfern, und den Freiheitsrechten der Täter noch stärker als bisher Geltung verschaffen können . Das ist im Kern das Ziel des Gesetzentwurfs . Dabei können wir aufbauen auf den sehr konstrukti- ven Vorschlägen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die im März 2014 gebildet wurde . Die Ziele des Gesetzentwurfs sind die stärkere Be- schränkung der Anordnung der Unterbringung auf gravie- rende Fälle, die zeitliche Begrenzung der Unterbringung bei weniger schwer wiegenden Gefahren und der Ausbau der prozessualen Sicherungen, um unverhältnismäßig lange Unterbringungen zu vermeiden . Die Schwelle der Erheblichkeit wird heraufgesetzt, indem es sich bei den künftig zu erwartenden Taten um solche handeln muss, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheb- lich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird . Al- lerdings verbieten sich hier schematische Lösungen nach dem Motto: Alles, was unter einer Höchststrafe von fünf Jahren liegt, ist nicht erheblich . Auch etwa die perma- nente Bedrohung, man werde jemanden umbringen, kann zu solchen seelischen Belastungen für das Opfer führen, dass es sich um eine erhebliche Tat handelt . Die Gerichte haben nach wie vor auf die besonderen Umstände des Einzelfalls abzustellen . Der Gesetzentwurf bietet inso- fern eine Reihe von Leitplanken, anhand derer sich die Gerichte bei der Beachtung des Verhältnismäßigkeits- grundsatzes orientieren können . Was die Anordnungsvoraussetzungen angeht, sollen zunächst die Voraussetzungen angehoben werden, wenn es nur um die Vermeidung wirtschaftlicher Schäden geht . Der permanente Ladendiebstahl scheint dabei nicht in Betracht zu kommen, wohl aber die fortgesetzte Beschä- digung von Kunstgegenständen, wie wir sie von den so- genannten Säureattentätern kennen . Nicht erforderlich ist hingegen, dass Straftaten zu erwarten sind, durch die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden . Das ist erst für die Fortdauer eines Maßregelvollzugs nach sechs Jahren erforderlich oder einer Unterbringung, die der der Sicherungsverwah- rung nach zehn Jahren entspricht . Neu ist die Einführung einer Darlegungspflicht, die verlangt wird, wenn aus nichterheblichen Anlasstaten auf die Gefahr künftiger erheblicher Gefahren für die Allge- meinheit geschlossen wird . Der Gesetzentwurf sieht vor, dass besondere Umstände vorliegen müssen, die trotz einer nichterheblichen Anlasstat auf eine positive Ge- fährlichkeitsprognose schließen lassen . Die Feststellung dieser besonderen Umstände zwingt das anordnende Ge- richt auch in dieser Hinsicht zu einer besonderen Beach- tung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . Es wird im Ergebnis darauf ankommen, zu prüfen, ob es besondere Anhaltspunkte in der Person des Täters oder den Tatum- ständen gibt, dass er bei nächster Gelegenheit etwa ein deutlich höheres Maß an Gewaltanwendung an den Tag legen würde . In prozessualer Hinsicht geht es darum, dass mit dem Gesetzentwurf die Anforderungen an die jährli- chen Gutachten konkretisiert werden . Wir wollen auch dem Vorwurf der Fließband- oder Gefälligkeitsgutachten entgegenwirken . So wird die zeitliche Frequenz deutlich erhöht, in der externe Gutachter eingeschaltet werden müssen, und auch bei diesen externen Gutachtern soll es öfter als bisher zu einem personellen Wechsel kommen . Im ersten Durchgang im Bundesrat hat der Justizmi- nister des Landes Bayern, der sich bei diesem Thema in besonderer Weise auch schon bei unseren Koalitionsver- handlungen engagiert hat, für eine Beteiligung der Öf- fentlichkeit bei den mündlichen Anhörungen des Unter- gebrachten geworben . Dadurch solle bei diesem Thema vor allem für mehr Transparenz gesorgt werden, um dem Eindruck entgegenzuwirken, hinter den hohen Mauern der psychiatrischen Krankenhäuser seien die Menschen hilflos den Gutachtern und Richtern ausgesetzt. Ich bin dafür, dass wir über den übrigens aus meiner Sicht bisher einzigen gravierenden Kritikpunkt am Ge- setzentwurf in der öffentlichen Anhörung intensiv disku- tieren, weil ich mir schon vorstellen kann, dass es auch zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Untergebrach- ten und möglicherweise auch potenzieller Opfer Argu- mente geben mag, die gegen eine solche Öffnung der Anhörungen sprechen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201615042 (A) (C) (B) (D) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Wir als Gesetz- geber haben, wenn wir heute erstmals über die Novel- lierung des Rechts der Unterbringung in einem psychia- trischen Krankenhaus debattieren, die folgenden beiden Aspekte zu beachten: den Schutz der Öffentlichkeit vor möglichen Gefahren, die von einzelnen untergebrachten Personen ausgehen könnten, aber auch den Schutz des einzelnen Untergebrachten vor eventuellen Fehleinschät- zungen durch Behörden und Gerichte . Die anstehende Gesetzesänderung stärkt die thera- peutischen Erfolgsmöglichkeiten und ermöglicht einen zielgenaueren und effizienteren Einsatz der begrenzten Ressourcen im Bereich der Entziehungseinrichtungen . Ziel der Änderungen der §§ 63 ff . StGB ist es, die stei- genden Zahlen der in einem psychiatrischen Kranken- haus oder einer Entzugsklinik untergebrachten Personen zu senken und die Voraussetzungen einer Unterbringung und ihrer Dauer zu regulieren . Der kontinuierliche Anstieg und die wachsende Dauer der untergebrachten Personen haben den Anlass geboten, eine Gesetzesänderung herbeizuführen: Im Jahr 2000 waren 4 089 Personen in solchen Einrichtungen unter- gebracht; diese Zahl ist bis zum Jahr 2013 um mehr als 50 Prozent auf 6 652 Personen angestiegen . Auch die durchschnittliche Unterbringungsdauer hat sich von 6,2 Jahren in 2008 auf acht Jahre in 2012 erhöht . Für die Unterbringung in einer Entziehungsklinik ist eine hinreichend konkrete Aussicht auf Erfolg erforder- lich . Es ist daher von Bedeutung, dass der Betroffene durch die Behandlung geheilt wird oder über einen er- heblichen Zeitraum von Rückfällen abgehalten wird . Für diese Anordnung ist daher eine präzise Prognose erfor- derlich, wie lange eine solche Unterbringung erforderlich ist . Durch das Anfügen der Frist aus § 67 d I 1 und 3 StGB wird der Therapie eine zeitliche Grenze von zwei Jahren gesetzt, soweit keine Freiheitsstrafe verhängt wurde, da sich der Täter durch seine Sucht in einem schuldunfähi- gen Zustand befand . Dies hat den Zweck, den Streit in der Rechtsprechung über die Dauer solcher Maßnahmen zu beenden . Diese Höchstdauer ist meiner Meinung nach vernünftig, da eine sinnvolle Prognose über die Dauer von drei Jahren nicht wirklich möglich ist . Wurde eine freiheitsentziehende Maßnahme verhängt, kann die Therapiedauer auch auf diese Zeit verlängert werden . Dies ist besonders bei Straftätern, die über die Suchtmittelabhängigkeiten hinaus an weiteren psychi- schen Erkrankungen leiden, erforderlich, da in diesen Fällen eine Entwöhnung durchaus länger dauern kann . Die Behandlungsdauer soll dadurch nicht verlängert wer- den; diese Verlängerung gilt nur für besonders schwieri- ge Fälle . Durch die Erweiterung des § 67 StGB um einen Ab- satz 6 soll eine wichtige Entscheidung des BGH umge- setzt werden, wonach die Zeit des Maßregelvollzugs in Härtefällen auf eine verfahrensfremde Freiheitsstrafe anzurechnen ist . Durch diese Änderung wird bei einer Gesamtstrafe der Maßregelvollzug berücksichtigt . Wie wir wissen, verfolgen Freiheitstrafen und frei- heitsentziehende Maßnahmen unterschiedliche Zwecke, weswegen sie grundsätzlich auch nebeneinander ange- ordnet werden können . Geschieht dies, ist jedoch gebo- ten, sie einander so zuzuordnen, dass die Zwecke bei- der Maßnahmen möglichst weitgehend erreicht werden, ohne dabei in das Freiheitsgrundrecht aus Artikel 2 II 2 GG mehr als notwendig einzugreifen . Diese genannten Vorgaben sind nicht schematisch zu sehen, sondern die- nen nur als Kriterien für die Abwägung im Einzelfall . Im Vordergrund muss immer die Verhältnismäßigkeit zwi- schen dem Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten und dem Maßregelvollzug stehen . Dies setzt eine schonende Anwendung der staatlichen Gewalt gegenüber dem Bür- ger und nur eine Anwendung bei einer wirklichen Dring- lichkeit voraus . Der Vollzug der anderen Freiheitsstrafe muss zu einer unbilligen Härte für den Untergebrachten führen . Ein wesentliches Kriterium dafür sind vor allem der erzielte Therapieerfolg und eine anschließende Ge- fährdung durch eine Vollstreckung der Freiheitsstrafe . Diese Kriterien sind für jeden Fall einzeln abzuwägen und unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu be- leuchten . Dabei spielt auch und vor allem das Verhalten des Untergebrachten während der Therapie eine erhebli- che Rolle . Im vorgelegten Gesetzentwurf gibt es auch ein Regelbeispiel, bei welchem es nicht zu einer Anrechnung der Zeit in der Einrichtung auf die Freiheitsstrafe kom- men soll . Dies soll die präventive Wirkung der Strafan- drohung untermauern . § 67 d VI StGB setzt für die Dauer der Entziehungs- maßnahme eine Höchstfrist von sechs Jahren voraus, welche nur unter besonderen Umständen verlängert wer- den kann . Durch diese Regelung soll auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den Fortdauerentscheidungen gewahrt werden . Eine längere Unterbringung ist daher nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr be- steht, dass durch den Untergebrachten Taten begangen werden, durch die dem Opfer schwere seelische oder körperliche Schädigungen zugefügt werden . Nach zehn Jahren gilt Absatz 3 entsprechend . Diese Vorschrift gilt für § 63 und § 64 StGB gleichermaßen . Diese erhebliche Beeinträchtigung, die gefordert wird, setzt den Rahmen für die Angemessenheit der Fortdauer erheblich höher, um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf das Freiheitsgrundrecht aus Artikel 2 II 2 GG zu wahren . Ob solche erheblichen Straftaten drohen, hat das Gericht nach der Neufassung in einer umfassenden Einzelfall- prüfung und unter Berücksichtigung aller Umstände zu bewerten . Je länger die Unterbringung andauert, desto eingehender hat das zuständige Gericht die einzelnen Umstände zu prüfen und zu würdigen . In § 67 d VI 2 und 3 StGB werden die Verhältnis- mäßigkeitsgrundsätze speziell für die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung dargelegt . Da eine Unterbringung in einer solchen Einrichtung auch „le- benslänglich“ erfolgen kann, sind an die Verhältnismä- ßigkeit große Anforderungen zu stellen . Dabei sind auch wieder die konkret zu erwartenden Straftaten zu beach- ten und in die Abwägung einzubeziehen . Die Vorausset- zungen an die Verhältnismäßigkeit sind umso strenger, je länger der Untergebrachte in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht wurde . Die Fortsetzung der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 15043 (A) (C) (B) (D) Unterbringung wird nach sechs und nach zehn Jahren an erhöhte Voraussetzungen geknüpft . Wir haben hier einen umfangreichen Entwurf vorlie- gen, der die von mir eingangs genannten beiden Aspekte „Schutz der Öffentlichkeit“ und „Schutz der einzelnen untergebrachten Person“ ausreichend würdigt . Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und be- danke mich für die Aufmerksamkeit . Dirk Wiese (SPD): Über die letzten Jahre ist eine stetig steigende Anzahl von Unterbringungen in psychi- atrischen Krankenhäusern gemäß § 63 des Strafgesetz- buches zu verzeichnen . Auch die Unterbringungsdauer selbst ist deutlich gestiegen . Dem entgegen steht die Tatsache, dass es keine kon- kreten Belege für einen parallelen Anstieg der Gefähr- lichkeit der Untergebrachten gibt . Darüber hinaus wur- den durch die Medien Fälle bekannt, die auf Missstände bei der Einweisung und vor allem bei der stetigen Be- gutachtung der Eingewiesenen hinweisen . Dies alles gab Anlass für den heute hier vorliegenden Gesetzentwurf, der dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Un- terbringung nach § 63 StGB eine wesentlich stärkere Be- deutung verleihen wird . Unverhältnismäßige, insbesondere unverhältnismäßig lange Unterbringungen werden hiermit künftig besser vermieden werden können . Hervorheben möchte ich wie meine Vorredner, dass der Gesetzentwurf auf dem Ergeb- nis einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus basiert . Diese wurde in Umsetzung einer Vorgabe des Koalitionsvertrags und einer entsprechen- den Bitte der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eingesetzt und geleitet . Die mit Vertretern der Landesjustizverwaltungen, der AG Psychiatrie der Länder sowie des Bundesministe- riums für Gesundheit besetzte Arbeitsgruppe nahm am 14 . März 2014 ihre Arbeit auf . In insgesamt fünf Sitzun- gen wurde ein Diskussionsentwurf erarbeitet, auf dem der vorliegende Gesetzentwurf basiert . Ich denke, dass dies ein hervorragendes Beispiel für die gute Zusammen- arbeit zwischen Bund und Ländern ist . Der Kollege Christian Lange hat die wichtigsten Punk- te des Entwurfs bereits dargestellt; ich verzichte daher auf Wiederholungen . Lassen Sie mich aber kurz klarstellen, dass wir uns natürlich der Verantwortung gegenüber der Bevölkerung bewusst sind . Die Vermeidung von unver- hältnismäßig langen Unterbringungen hat nicht zwangs- weise eine Senkung des Schutzes der Allgemeinheit vor Straftätern zur Folge . Gewalt- oder Sexualstraftäter, bei denen die Gefahr besteht, dass sie aufgrund ihres Zustan- des auch zukünftig erhebliche Straftaten begehen, durch welche die potenziellen Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, können zum Schutz der All- gemeinheit weiterhin unbefristet untergebracht werden . Es geht vielmehr darum, Fälle zu vermeiden, die wir auch aus den Medien kennen, also Fälle, in denen Men- schen zu wenig rechtliches Gehör geschenkt wird und diese sich womöglich in Unterbringung befinden, ob- wohl kein Grund mehr dazu besteht . Hier bin ich auch schon beim nächsten Thema: Ich möchte mich bei den verschiedenen Verbänden für die bereits jetzt erfolgte Zusendung der Stellungnahmen zum Thema bedanken . Es sei Ihnen versichert, dass wir uns dem Thema mit der gebotenen Sorgfalt annehmen wer- den und selbstverständlich auch Ihre Stellungnahmen in die Arbeit mit einfließen lassen werden. Um zwei Punkte zu nennen, wo ich schon jetzt denke, dass wir sie uns genauer anschauen sollten: Erstens die Bestellung von Pflichtverteidigern. Die- ser Punkt ist mir auch bei diversen Veranstaltungen zum Thema sowohl von ärztlicher als auch von juristischer Seite genannt worden . Zweitens denke ich, dass es auch sinnvoll sein wird, sich das Zusammenspiel von § 63 und § 64 StGB bei der Anrechenbarkeit von Freiheitsstrafen genau anzuschau- en, um zu verhindern, dass Straftäter hier durch Taktieren und beispielsweise vorsätzlichen Verbleib im Maßregel- vollzug Vorteile bei der Haftanrechnung erlangen . Ich freue mich jedenfalls auf die bevorstehende Sach- verständigenanhörung und die Beratungen im Rechtsaus- schuss . Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Wenn wir heute in der ersten Lesung über ein Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB reden, will ich zunächst grundsätzlich werden . Auch das muss manchmal sein . Die Unterbringung in einem psychiatrischen Kran- kenhaus trifft Personen, die eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldfähigkeit oder verminderten Schuld- fähigkeit begangen haben . Eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kommt in Betracht, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge dieses Zustandes erhebliche rechts- widrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die All- gemeinheit gefährlich ist . Es handelt sich also um eine Prognoseentscheidung . Diese ist – wir haben das bei der Sicherungsverwahrung immer wieder diskutiert – immer problematisch, wenn sie am Ende zu einer Freiheitsentziehung führt . Wir Lin- ken haben die Sicherungsverwahrung abgelehnt, und ich verhehle nicht, dass mir Initiativen für die Abschaffung des § 63 StGB durchaus sympathisch sind . Dennoch kann ich mich diesen Initiativen nicht ganz anschließen . Das Problem liegt in der sogenannten Zweispurigkeit im Strafsystem . Im Unterschied zur Sicherungsverwah- rung, die zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe verhängt wird, geht es bei der Unterbringung nach § 63 StGB aber eben gerade um Menschen, die nicht oder nur bedingt un- ter das Strafrecht fallen . Das ist der zentrale Unterschied zum Recht der Sicherungsverwahrung, welche nach der Verbüßung einer Freiheitsstrafe verhängt wird . Wichtig finden wir aber vor diesem Hintergrund – und das ist meine erste Kritik am vorliegenden Gesetz- entwurf –, dass die Unterbringung nach § 63 StGB auf Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201615044 (A) (C) (B) (D) diejenigen Personen beschränkt wird, die schuldunfähig sind . Denn hier handelt es sich um Menschen, die, wenn sie eine Straftat in einem Zustand der Schuldfähigkeit begangen hätten, mit Freiheitsentzug bestraft werden würden . Wir schlagen also konkret vor, die Menschen, die bedingt schuldfähig sind, aus dem Anwendungsbe- reich des § 63 StGB herauszunehmen . Dies würde auch wesentliche Folgeprobleme bei den Regelungen zur Rei- henfolge der Vollstreckung (§ 67 StGB) verhindern . Nun verlangt der § 62 StGB, dass Maßregeln der Bes- serung und Sicherung nur angeordnet werden dürfen, „wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten“ sowie zum Grad der vom Täter ausgehenden Gefahr außer Verhältnis stehen . Und hier komme ich zur zweiten Kritik am Gesetzentwurf: Wir glauben, dass diesem Grundsatz mit dem Gesetzentwurf nicht ganz Rechnung getragen wird . Aus ganz grundsätz- lichen Erwägungen finden wir es falsch, in den Anwen- dungsbereich des § 63 StGB auch Taten aufzunehmen, die schwere wirtschaftliche Schäden anrichten . Am Ende ist eben auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine Freiheitsentziehung, und diese ist aus unserer Sicht unverhältnismäßig, wenn es um wirtschaft- liche Schäden geht, erst recht, wenn es um die Prognose für zukünftige Straftaten geht . Darüber hinaus sind wir wegen des Verhältnismäßig- keitsprinzips für eine Höchstgrenze der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus . Nun sehen auch wir aber auch, dass der Gesetzent- wurf nicht unwesentliche Verbesserungen im Bereich des Rechtes der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus enthält . Jenseits der grundsätzlichen Kritik sehen wir durchaus das Bemühen, Verbesserungen vor- zunehmen, vor allem im Hinblick auf die Vorschläge in der Strafprozessordnung zur Begutachtung durch ärztli- che oder psychologische Sachverständige. Diese finden wir tatsächlich unterstützenswert . Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ich bin froh, dass wir endlich über eine Reform der Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern nach § 63 StGB diskutieren; denn der Änderungsbedarf ist groß und eine Reform schon lange überfällig . Das Schicksal von Gustl Mollath oder von Ilona Haslbauer hat bundesweit für Aufsehen gesorgt . Sie haben deutlich gemacht, dass es strukturelle Defizite im Maßregelvoll- zug gibt, die zu unverhältnismäßigen Eingriffen in die Freiheitsrechte Einzelner führen . Dazu gehören nicht nur eine fälschliche Einstufung als psychisch krank und ge- fährlich, sondern auch, dass vermindert Schuldfähige oft sehr lange und ohne zeitliche Begrenzung festgehalten werden . Die Zahl der Menschen, die auf Grundlage des § 63 StGB in psychiatrischen Krankenhäusern unterge- bracht werden, hat in den letzten Jahren erheblich zuge- nommen . Oft sind sie jahrelang eingesperrt und mit Me- dikamenten „versorgt“, ohne dass ein dementsprechendes Anlassverhalten dies rechtfertigen könnte. Häufig wird ihnen auf entwürdigende Weise viel länger die Freiheit entzogen, als dies bei einer strafrechtlichen Verurteilung wegen derselben Tat der Fall gewesen wäre . Eine Maßre- gel aber darf für den betroffenen Menschen nicht grund- rechtsverletzender sein als eine Kriminalstrafe . Der vorliegende Gesetzentwurf versucht diese Unver- hältnismäßigkeit etwas zu korrigieren . Das ist ein Schritt in die richtige Richtung . Leider ist dieser Schritt aber viel zu kleinteilig . Das sehen auch viele Fachverbände und Juristen so, die befürchten, dass die vorgeschlagenen Änderungen sich kaum auf die Praxis auswirken werden . Die Bundesregierung ist gefragt, ein Gesamtkonzept zum Umgang mit vermindert schuldfähigen oder in Kri- sensituationen gewaltbereiten Patientinnen und Patienten vorzulegen, in dessen Mittelpunkt die individuelle Un- terstützung und Versorgung besonders schwer psychisch kranker Menschen stehen . Der beste Schutz der Allge- meinheit besteht aus frühzeitiger Hilfe, Therapie und Krisenintervention, denn jede psychische Erkrankung, jede Suchterkrankung und jede psychische Auffälligkeit hat eine Vorgeschichte . Dazu gehören stationsersetzende Behandlungsmöglichkeiten, eine flexible und wohnort- nahe Versorgung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung, ausreichend ambulante Krisenintervention und -begleitung sowie die Einbeziehung von Psychothe- rapie und psychosozialer Unterstützung vor Ort . Insge- samt müssen die Angebotsformen sich verstärkt am indi- viduellen Bedarf der Erkrankten und ihrer Angehörigen orientieren . Nach einer forensischen Behandlung braucht es eine gute und intensive in die Gemeindepsychiatrie eingebettete Nachsorge . Im Vergleich zur Allgemeinpsychiatrie hat der Maßre- gelvollzug in den letzten Jahren viel weniger von patien- tenorientierten Reformen profitiert. Daher ist es dringend notwendig, dass wir in diesem Gesetzgebungsverfahren auch über eine Öffnung des § 63 StGB für ambulante Behandlungen und damit die Beachtung des – auch vom Bundesverfassungsgericht betonten – Ultima-Ratio-Ge- bots bezüglich der Unterbringung diskutieren . Es muss möglich sein, dass in jedem Fall weniger einschneiden- de, nicht freiheitsentziehende Maßnahmen geprüft wer- den und, wenn nötig, angeordnet werden . Dafür müssen natürlich auch geeignete ambulante Therapieangebote ausgebaut werden . In dem Eckpunktepapier aus dem BMJ aus dem Jahr 2013 heißt es noch: „erforderlich ist ggf . eine Stärkung der ambulanten Versorgung vor Ort, da eine Unterbringung immer nur das letzte Mittel sein darf .“ Warum dieser Punkt in dem vorliegenden Entwurf völlig ausgeklammert wird, ist unverständlich . Nur so kann wirklich eine ausgewogene Gewichtung zwischen dem Freiheitsentzug des Einzelnen einerseits und dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft andererseits ge- schaffen werden . Es ist jedenfalls wenig hilfreich, wenn die gesetzlichen Änderungen sich darauf beschränken, dass Betroffene zwar ein paar Jahre früher aus der Unter- bringung entlassen werden, sie aber mangels ambulanter Therapieangebote und Unterstützung im Alltag nach kur- zer Zeit in eine geschlossene Abteilung der Allgemein- psychiatrie eingewiesen werden . Wir sehen auch großen Änderungsbedarf hinsichtlich des gesamten Gutachterwesens – dieses muss grundle- gend auf den Prüfstand . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 15045 (A) (C) (B) (D) Der Gesetzentwurf sieht erhöhte Anforderungen an (externe) Sachverständigengutachten bei der Überprü- fung der Unterbringung nach § 67 e StGB vor, die aus un- serer Sicht jedoch nicht ausreichend sind . Insbesondere ist fraglich, ob nichtapprobierte Rechtspsychologen für die notwendige Begutachtung ausreichend Fachkenntnis haben . Die Bundespsychotherapeutenkammer schlägt in- sofern vor, als Sachverständige nur Psychologische Psy- chotherapeuten oder Fachärzte für Psychiatrie bzw . Psy- chosomatische Medizin zuzulassen, die zusätzlich über ausreichend Erfahrung in der forensischen Psychiatrie sowie entsprechende Fachkenntnisse in der Gutachten- erstellung verfügen . Die vorgeschlagene Regelung zur externen Begut- achtung sollte aber aus weiteren Gründen nochmals hinterfragt werden . Insbesondere dahin gehend, ob wir hier mit wenig den Einzelfall berücksichtigenden Rege- lungen hinsichtlich Begutachtungsintervallen sowie der zu benennenden Gutachter tatsächlich unverhältnismä- ßiger Unterbringung entgegenwirken können . Möglich wäre auch, eine flexible Lösung im Gesetz vorzusehen. Diskussionswürdig ist zum Beispiel der Vorschlag, Ver- fahrensbeteiligten die Möglichkeiten einzuräumen, beim Vollstreckungsgericht anlass- und anliegenbezogen die Einleitung eines externen Gutachtens anzuregen . Die Bundesregierung adressiert wichtige Punkte – bleibt aber halbherzig, wenn es konkret wird . Sie benennt engere Anordnungsvoraussetzungen, um die Schwelle zur Unterbringung zu erhöhen . Dabei geht sie jedoch nicht weit genug . Die neuen Voraussetzungen berücksichtigen längst nicht ausreichend den Grundsatz der Verhältnis- mäßigkeit . Taten mit nur wirtschaftlichem Schaden soll- ten keine unbefristete Unterbringung rechtfertigen . Nicht verhältnismäßig ist, dass bei Vorliegen von „besonderen Umständen“ auch leichtere Ausgangstaten für eine Un- terbringung ausreichen sollen . Ich erwarte, dass die Koalitionsfraktionen die vielsei- tige Kritik ernst nehmen und den Gesetzentwurf nach- bessern, um eine verhältnismäßige Gewichtung zwi- schen dem Freiheitsentzug des Einzelnen einerseits und dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft andererseits zu schaffen . Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bun- desminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Die geplante Novellierung des Rechts der Unterbringung ge- mäß § 63 des Strafgesetzbuches soll besser als bislang unverhältnismäßige Unterbringungen vermeiden hel- fen . Denn die Statistiken zeigen uns, dass in den letzten Jahren die Zahl der Untergebrachten und vor allem die Dauer ihrer Unterbringung immer weiter gestiegen sind, ohne dass es zugleich Belege für einen entsprechenden Anstieg der Gefährlichkeit der Untergebrachten gibt . Zu- gleich wollen wir mit dem Entwurf auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Richtigkeit justizieller Entschei- dungen stärken, das nicht zuletzt durch den Fall Mollath in jüngerer Zeit gelitten hat . Lassen Sie mich kurz anhand von drei Punkten auf un- seren Regierungsentwurf eingehen . Wie Sie wissen, sieht er insbesondere folgende Änderungen zur Vermeidung unverhältnismäßiger und vor allem unverhältnismäßig langer Unterbringungen vor: Erstens . Nach dem Entwurf soll § 63 StGB nur noch bei drohenden Taten angeordnet werden können, „durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich ge- schädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird“ . Die blo- ße Gefahr von Vermögensdelikten mit vergleichsweise geringen Schäden soll also nicht mehr ausreichen . Die Zeiten, in denen Schadenswerte von 100 Euro zu Unter- bringungen führten, wären damit vorbei . Zugleich wird durch die genannte Formulierung konkretisiert, wann bei der Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter von erheblichen Straftaten auszugehen ist . Und schließlich soll ausdrücklich normiert werden, dass das Gericht er- höhten Darlegungsanforderungen unterliegt, wenn es aus lediglich nicht erheblichen Anlasstaten dennoch auf die zukünftige Gefahr erheblicher Taten schließen und die Unterbringung daher anordnen will . Zweitens . Für die Fortdauer der Unterbringung sieht der Entwurf vor, dass eine Fortdauer über sechs Jahre in der Regel nur noch möglich sein soll, wenn Taten drohen, durch die die Opfer körperlich oder seelisch „schwer“ ge- schädigt werden oder in die Gefahr einer schweren see- lischen oder körperlichen Schädigung gebracht werden . Die bloße Gefahr rein wirtschaftlicher Schäden soll also für eine Unterbringung über sechs Jahre hinaus grund- sätzlich nicht mehr ausreichen . Die Fortdauer über zehn Jahre hinaus soll – ebenso wie bei der Sicherungsverwahrung – schließlich nur noch möglich sein bei der Gefahr von Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt wer- den . Und schließlich – drittens – sieht unser Entwurf beim Ausbau der prozessualen Sicherungen Neuerungen für die regelmäßige Überprüfung der Fortdauer der Unter- bringung vor . Zum einen soll klargestellt werden, dass es bei jeder jährlichen Überprüfung einer gutachterlichen Stellungnahme der Klinik bedarf . Zum anderen soll die Frequenz für die Notwendigkeit eines externen Gutach- tens von fünf auf drei Jahre und für Unterbringungen ab sechs Jahren auf zwei Jahre erhöht werden . Zudem darf der externe Gutachter in der Regel nicht das jeweils vo- rangegangene Gutachten erstellt haben . Damit soll vor allem der Gefahr sich selbst bestätigender Routinebegut- achtungen begegnet werden . Schließlich ist die zwingen- de mündliche Anhörung des Untergebrachten auch bei der Entscheidung über die Erledigung der Unterbringung vorgesehen . Darüber hinaus sieht der Entwurf zwei weitere Än- derungen vor: Zum einen setzen wir mit ihm eine Ent- scheidung des Bundesverfassungsgerichts um, wonach in Härtefällen Zeiten des Maßregelvollzugs auch auf ver- fahrensfremde Freiheitsstrafe angerechnet werden kön- nen müssen . Zum anderen soll klargestellt werden, dass eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, neben der zugleich eine Freiheitsstrafe verhängt werden soll, auch dann in Betracht kommt, wenn die Behandlung vo- raussichtlich mehr als zwei Jahre in Anspruch nehmen wird . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201615046 (A) (C) (B) (D) Insgesamt schlägt der Ihnen vorliegende Entwurf maßvolle Änderungen vor, um den bereits vom Bundes- verfassungsgericht vorgegebenen Grundsatz der Verhält- nismäßigkeit im Maßregelrecht zu stärken, insbesondere bei der Unterbringung nach § 63 StGB, ohne dabei – und auch dies ist mir wichtig – die berechtigten Sicherheits- interessen der Allgemeinheit vor psychisch gestörten Straftätern zu vernachlässigen . Dass wir hier die grundsätzlich richtige Balance zwischen Freiheits- und Sicherheitsinteressen gefun- den haben, liegt sicher auch daran, dass der Entwurf in einer vom Bundesministerium der Justiz und für Ver- braucherschutz geleiteten Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorbereitet und dabei frühzeitig auch der Sachverstand der Gesundheitsseite einbezogen wurde . Die breite und grundsätzliche Unterstützung, die der Entwurf dort und im Bundesrat gefunden hat, erhoffe und wünsche ich mir natürlich auch in diesem Hohen Haus . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- zung der prüfungsbezogenen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprü- fung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüfungsreformgesetz – AReG) (Tages- ordnungspunkt 18) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Erstens . Der hier zu diskutierende Gesetzentwurf der Bundesregierung will im Wesentlichen zahlreiche Vorschriften des Rechts der Abschlussprüfung geänderten europäischen Vorgaben anpassen . Im Mittelpunkt steht dabei die Umsetzung der prüfungsbezogenen Vorgaben der überarbeiteten Ab- schlussprüferrichtlinie; andere Vorgaben wurden schon durch das inzwischen in Kraft getretene APAReG um- gesetzt . Aber es geht nicht nur um die Anpassung deut- schen Rechnungslegungsrechts an geänderte europäische Richtlinien . Es geht auch darum, nationale Vorschrif- ten so zu gestalten, dass keine Konflikte mit der diesen Bereich regelnden, aber unmittelbar geltenden neuen EU-Verordnung 537/2014 auftreten . Die Bundesregierung hatte zu diesem Gesetz schon vor Monaten einen Referentenentwurf bekannt gemacht, der Gegenstand intensiver Diskussion in Fachkreisen war und den auch wir mit zahlreichen Betroffenen erör- tert haben . Das Ergebnis dieser Überlegungen hatten wir bereits dem Bundesministerium der Justiz und für Ver- braucherschutz mitgeteilt, und ich möchte ausdrücklich Dank sagen dafür, dass das BMJV zahlreiche der in die- ser Phase angesprochenen Kritikpunkte im jetzt vorge- legten Regierungsentwurf bereits berücksichtigt hat . Im europäischen Recht eingeräumte Mitgliedstaatenwahl- rechte werden dabei in weitem Umfang ausgeübt, sodass insgesamt die im deutschen Recht verankerten Grund- prinzipien so weit wie möglich unverändert bleiben kön- nen (Stichwort: Eins-zu-eins-Umsetzung) . Zweitens . Die Abschlussprüfung – das sei vor den weiteren Detailüberlegungen zur Sache betont – spielt eine hervorragende Rolle bei der Überwachung vor allem großer Unternehmen bzw ., worauf zurückzukommen ist, solcher von „öffentlichem Interesse“ . Denn sie versucht in ebendiesem öffentlichen Interesse sicherzustellen, dass die Rechenschaftslegung dieser Unternehmen kor- rekt ist – weil eine fehlerhafte Rechnungslegung nicht nur die Interessen der aktuellen Gesellschafter, Mitarbei- ter und Geschäftspartner berührt, sondern eben auch der zukünftigen . Insoweit stellt sie auch einen Baustein des Kapitalmarktrechts dar . Angesichts dieser zentralen Rolle des Abschlussprü- fers kommen seiner Qualifikation (die nicht Gegenstand dieses Gesetzgebungsverfahrens ist), seiner Auswahl durch die zuständigen Gesellschaftsorgane und der Art und Weise, wie er seine Tätigkeit erbringt, entscheiden- de Bedeutung zu . Im Kern geht es dabei darum, dass er ein bestimmtes Maß an Unabhängigkeit gegenüber den Gesellschaftsorganen aufweisen muss, die ja bei der „gewöhnlichen“ Gesellschaft sonst selbst die entspre- chenden Kontrollen durchführen könnten . Sichergestellt werden soll dies – soweit hier relevant – einerseits da- durch, dass ein Abschlussprüfungsmandat nur eine be- stimmte Höchstlaufzeit haben soll (nach Artikel 17 Ab- satz 1 der erwähnten EU-Verordnung im Grundsatz zehn Jahre), und andererseits durch das Verbot von oder die Offenlegungspflicht in Bezug auf Tätigkeiten, die mit der Prüfungstätigkeit in Konflikt stehen könnten. Allerdings ist Vorsicht geboten: Kürzere Mandatslaufzeiten mögen zwar nach dem Motto „Neue Besen kehren gut“ die Prü- fungsintensität erhöhen; das ist aber nur um den Preis eines erhöhten Einarbeitungsaufwands in das neue Man- dat möglich, der wiederum mit höheren Prüferhonoraren kompensiert werden muss . Drittens . Von daher ist es richtig, wenn der deutsche Gesetzgeber von der durch Artikel 17 Absatz 4 der Ver- ordnung eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen will, die Höchstlaufzeiten des Mandats zu verlängern . Nicht recht einleuchten will dabei aber, dass Banken und Versicherungen nach § 318 Absatz 1 a HGB-RegE nicht von der maximalen Verlängerung der Rotationsdauer profitieren sollen – obwohl doch gerade hier der erwähn- te Einarbeitungsaufwand besonders hoch ist . Was schließlich den Bereich der Vermeidung von Inte- ressenkonflikten angeht, will § 319 a Absatz 1 Nummer 2 HGB-RegE konkretisieren, welche Steuerberatungsleis- tungen neben dem Prüfungsmandat nicht erbracht wer- den dürfen . Abgesehen davon, dass die derzeit gewählte Formulierung nicht wirklich klar ist (geht es um Steuer- beratung oder um Steuerplanung?), dürfte die insoweit vorgesehene Genehmigungspflicht der Erbringung sol- cher Leistungen durch den Aufsichtsrat wohl auch über die EU-Vorgaben hinausgehen . Viertens . Ein anderer Punkt betrifft die in § 171 Ab- satz 2 AktG-RegE vorgeschlagene Berichtspflicht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung, wenn es keinen Prüfungsausschuss gibt . Das ist widersinnig und system- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 15047 (A) (C) (B) (D) fremd – und möglicherweise eine Folge der Orientierung der zugrunde liegenden EU-Richtlinie am (in Deutsch- land nur im Rahmen der Europäischen Aktiengesell- schaft möglichen) monistischen Governance-System (ein Punkt, der möglicherweise auch noch an weiteren Stellen des Entwurfs bei der Auslegung zu berücksichtigen ist) . Fünftens . Nachbesserungsbedarf besteht wohl auch bei der Übergangsregelung, wo die „Kurzläuferproble- matik“ nicht vollständig erfasst ist: Ab wann beginnt hier der Rotationszeitraum zu laufen? Beginnt die Zehnjah- resfrist mit der letzten Bestellung des Abschlussprüfers oder erst mit Inkrafttreten des Gesetzes? Wird es zum Beispiel auch möglich sein, in 2016 die Verlängerungs- option wahrzunehmen, wenn der Abschlussprüfer für 2005 bestellt wurde? Bei der erstmaligen Erstreckung der Regelungen auf nicht kapitalmarktorientierte Banken und Versicherun- gen als „Unternehmen von öffentlichem Interesse“ (Pu- blic Interest Entities – PIE) müsste darüber hinaus noch klargestellt werden, ob der relevante Zeitraum schon ab Inkrafttreten der europäischen Richtlinie läuft, da Deutschland nur eine Ausnahme genutzt hat, oder erst ab Inkrafttreten des AReG . Sechstens . Schließlich und abschließend frage ich mich, ob nach den europäischen Vorgaben (Notwendig- keit „wirksamer“ Sanktionen bei Verstößen gegen euro- päisches Recht) wirklich auch strafrechtliche Sanktionen erforderlich sind . Jedenfalls sollte klargestellt werden, worauf sich die Sanktionierung bezieht – um zu vermei- den, dass auch Einzelheiten der (laufenden) Buchfüh- rung als Grundlage solcher Sanktionen gegenüber dem Abschlussprüfer dienen können . Ich freue mich auf die weiteren Beratungen! Metin Hakverdi (SPD): Die Reform der Abschluss- prüfung ist ein weiterer wichtiger Baustein, um künfti- gen Finanzkrisen vorzubeugen . Die Abschlussprüferin- nen und Abschlussprüfer haben bei der Entstehung der Finanzkrise keine glückliche Rolle gespielt . Ich war Mitglied des Untersuchungsausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft für die HSH Nordbank . Ich habe in meiner Tätigkeit viel über Abschlussprüfer ge- lernt . Zum Beispiel habe ich gelernt, dass eine Prüfungs- gesellschaft der HSH Nordbank hinsichtlich der Bilanz eine Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt hat und dann nur wenige Monate später eine andere Prüfungs- gesellschaft zu einem ganz anderen Ergebnis kam . Die- se zweite Gesellschaft hat in der Bilanz eklatante Fehler festgestellt . Diese Fehler waren mitursächlich dafür, dass die Krise der Bank zu spät erkannt wurde . Fatal war aber auch, dass mit einem falschen Prüfungsergebnis die Auf- sichtsmöglichkeiten des Aufsichtsrates unterlaufen wur- den . Mit dem falschen Prüfungsergebnis trat der Vorstand vor den Aufsichtsrat und sagte, alles sei in Ordnung . Die Aufsichtsratsmitglieder, die wir fragten, warum sie die kommende Krise der HSH Nordbank nicht gese- hen haben, haben sich alle mit Verweis auf die Prüfungs- ergebnisse entschuldigt . Wie hätten sie als Mitglieder des Aufsichtsrates Fehler sehen können, die nicht einmal die Prüfungsgesellschaften aufgedeckt haben? In Zukunft darf uns so etwas nicht noch einmal passie- ren . In diesem Bereich müssen die richtigen Schlüsse aus der Krise gezogen werden . Erstens . Die Zwangsrotation bei den ausgewählten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ist notwendig . Es darf nicht sein, dass zwischen der zu prüfenden Gesellschaft und der Prüfungsgesellschaft eine Partnerschaft auf Lebenszeit entsteht . Ein solches Verhältnis kann – aus welchen Gründen auch immer – blindmachen und dazu führen, dass wichtige Probleme der zu prüfenden Gesell- schaft nicht erkannt werden . Deshalb ist es wichtig, dass in einem angemessenen zeitlichen Abstand andere Ab- schlussprüferinnen und Abschlussprüfer das betroffene Unternehmen auf Fehler und Probleme überprüfen . Wel- che Zeiträume dafür richtig sind, müssen wir noch klären . Ich bin der Meinung, dass hier ein differenzierter Ansatz gerechter ist . Es ist legitim, Banken und Versicherungen, aber auch Schattenbanken, die eine wichtige Rolle in un- serem Finanzsystem spielen, anders zu behandeln als die übrigen Betroffenen . Ich erhoffe mir von der öffentlichen Anhörung mehr Aufschluss zu diesem Punkt . Zweitens . Wichtig ist auch die Frage, in welchem Um- fang wir Prüfungsgesellschaften gestatten wollen, das zu prüfende Unternehmen gleichzeitig steuerlich zu bera- ten . Mag sein, dass Prüfungsgesellschaften ein Interesse an diesem Geschäft haben . Das darf aber am Ende nicht bedeuten, dass Prüfungsgesellschaften die Bilanz prüfen, deren Gestaltung sie durch Steuerberatung bewirkt ha- ben. Der entstehende Interessenkonflikt ist aus meiner Sicht evident . Die eigene Steuerberatungsleistung darf nicht zum Prüfungsgegenstand werden . Auch hier kann die öffentliche Anhörung wichtige Hinweise liefern . Ein dritter wichtiger Punkt betrifft die Rolle der un- ternehmerischen Aufsichtsorgane bei der Begleitung der Abschlussprüfung . Der vorgelegte Gesetzentwurf macht Vorgaben für die Tätigkeit der Aufsichtsräte und Prü- fungsausschüsse in den zu prüfenden Unternehmen . Ver- stöße werden stärker sanktioniert . Ich gehe davon aus, dass die Aufsichtsorgane der Unternehmen hinsichtlich der Prüfung sorgfältiger agieren werden . Die Aufsichts- tätigkeit wird künftig ernster genommen werden müssen . Als Aufsichtsrat wird man sich künftig nicht auf ein- wandfreie Prüfungsergebnisse berufen können, wie wir es im Falle der HSH Nordbank erlebt haben . In Zukunft muss auch der Nachweis geführt werden, dass der Prü- fungsprozess ordnungsgemäß beaufsichtigt wurde . Den Aufsichtsrat hier weiter in die Pflicht zu nehmen, ist rich- tig . Inwieweit wir bezüglich des Regierungsentwurfs Än- derungsbedarf haben, können wir nach der öffentlichen Anhörung besser einschätzen . Für mich steht eines fest: Wir müssen auch in Zukunft wachsam sein für Entwicklungen, die zu großen Verwer- fungen auf dem Finanzmarkt führen können . Wir dürfen nicht den Fehler der Vergangenheit wiederholen und uns zu sicher fühlen . Wir sollten stets kritisch bleiben – bei jedem Gesetz . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201615048 (A) (C) (B) (D) Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss . Richard Pitterle (DIE LINKE): In der Finanzkrise ab 2007 kämpften urplötzlich Unternehmen und Banken mit existenzbedrohenden Verlusten und Risiken, die sich in den Jahresabschlüssen und Lageberichten zuvor nicht oder nicht in diesem Umfang widergespiegelt haben . Da- mit kam auch eine Berufsgruppe in den Fokus der Ursa- chenforschung, die nur selten im Rampenlicht steht: die Abschlussprüfer . Fast ausnahmslos jedes größere Unter- nehmen muss seine Bücher von diesen Spezialisten un- tersuchen lassen . Ziel ist der Bestätigungsvermerk, mit dem der Abschlussprüfer die Einhaltung der kaufmänni- schen Buchführungsregeln und eine richtige Darstellung der Geschäftsentwicklung testiert . Diese Pflicht dient dem Schutz von Gesellschaftern, Gläubigern und auch der Öffentlichkeit . Eine seriöse Kontrolle setzt aber voraus, dass die Untersuchung un- abhängig vom Unternehmen und objektiv erfolgt . Fi- nanzielle und geschäftliche Interessen, die das Urteil der Prüfer beeinflussen können, müssen vermieden werden. Die zunehmende Komplexität der Prüfung bei großen Unternehmen und das dafür erforderliche Maß an Spe- zialisierung haben zu einer Konzentration des Marktes auf wenige global agierenden Prüfungsgesellschaften geführt . In einem milliardenschweren Markt sind Unab- hängigkeit und Objektivität aber rare Güter . Der europäische Gesetzgeber hat nach Konsultation der Öffentlichkeit 2010 mit dem Grünbuch „Weiteres Vorgehen im Bereich der Abschlussprüfung: Lehren aus der Krise“ mit einer reformierten Abschlussprüferrichtli- nie (RL 2014/56/EU) sowie der Abschlussprüferverord- nung (VO 537/2014) reagiert . Nachdem kürzlich mit dem Abschlussprüferauf- sichtsreformgesetz – kurz APAReG – die berufs- und aufsichtsrechtlichen Regelungen verabschiedet wurden, soll mit dem vorliegenden Entwurf eines Abschlussprü- fungsreformgesetzes – kurz AReG – die Umsetzung der europäischen Normen zur Art und Weise der Prüfung er- folgen . Der Entwurf erreicht an wesentlichen Stellen das Ziel einer objektiveren und unabhängigeren Abschlussprü- fung nicht . Dazu nutzt er entgegen der Ankündigung, eine Eins-zu-eins-Umsetzung vorzunehmen, die mit- gliedstaatlichen Spielräume extensiv aus, um den Status quo zu erhalten . So sieht Artikel 17 der Abschlussprüferverordnung vor, dass eine externe Rotation, also der Wechsel der Abschlussprüfer, nach zehn Jahren erfolgen muss . Die Begrenzung ist nachvollziehbar . Bereits die Aussicht auf eine möglichst langfristige, lukrative Geschäftsbezie- hung birgt die Gefahr, den Prüfauftrag nicht allzu kritisch zu erfüllen . Je länger der Prüfauftrag andauert, desto grö- ßer wird die wechselseitige Abhängigkeit . Dabei nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass Fehler und Nachlässig- keiten übersehen werden . Es ist aber gerade der kritische Blick des Unvoreingenommenen, der Fehler erkennt . Der Entwurf nutzt die Möglichkeit, die Höchstdauer auf 24 Jahre auszudehnen, und konterkariert damit den Sinn der Pflichtrotation vollständig. Auch die Erlaubnis, neben der Prüfungstätigkeit an- dere sogenannte Nichtprüfungsleistungen für das Unter- nehmen zu erbringen, schränkt der Entwurf nicht in dem Umfang ein, wie es nach Artikel 5 Absatz 2 der Verord- nung möglich wäre . Stattdessen reizt er auch an dieser Stelle die Grenzen der Verordnung maximal aus . Ein wesentlicher Teil des Entwurfes regelt Straf- und Bußgeldtatbestände für Mitglieder des Prüfungsaus- schusses . Es ist zwar grundsätzlich richtig, auch Fehl- verhalten aufseiten der Unternehmensverantwortlichen bei der Auswahl- und Überwachung der Abschlussprü- fer zu sanktionieren . Ob dafür überhaupt eigenständige Regelungen im Hinblick auf den jüngst reformierten § 299 StGB erforderlich sind, ist schon fraglich . Kon- krete Vorgaben dazu gibt es jedenfalls nicht in den euro- päischen Regelungen . Kritisch ist aber in jedem Fall die Unbestimmtheit der Vorschriften . In der Strafrechtslite- ratur höchst umstrittene Begriffe wie „beharrlich“ zu ver- wenden, ist genauso problematisch, wie die Strafbarkeit einzelner Mitglieder des Prüfungsausschusses aufgrund der Verletzung von Pflichten des gesamten Ausschusses begründen zu wollen, indem undifferenziert ohne klare Tatbestandsdefinition auf Artikel der Verordnung verwie- sen wird . Nicht zuletzt dürfte sich die obligatorische Veröf- fentlichung von Strafurteilen auf der Internetseite der Abschlussprüferaufsichtsstelle nicht im Einklang mit geltendem Datenschutzrecht, dessen Anwendung die Abschlussprüferrichtlinie explizit anmahnt, realisieren lassen . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So sieht ein glatter Sieg der Lobby aus . Gestartet war die Reform der Abschlussprüfung einmal mit richtigen Erkenntnissen und hehren Zielen . Als Lehre aus der Fi- nanzkrise sollte die Reform eigentlich die Unabhängig- keit der Wirtschaftsprüfer verbessern und das Oligopol der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften auf- brechen . Was Sie als Bundesregierung hier vorlegen, ist aber ein Big-Four-Protektionsgesetz . Sie nutzen alle Wahlklauseln, die das EU-Recht zulässt, um die großen Prüfgesellschaften zu schützen . Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise gab es große Einigkeit darüber, dass mangelnde Qualität und fehlen- de Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer erheblich zum Crash beigetragen haben . In der Finanzkrise haben wir nämlich schmerzlich erfahren, dass die gängigen Prüf- vermerke der namenhaften Wirtschaftsprüfer nahezu wertlos waren . Wie konnte es dazu kommen, dass zahl- reiche Banken von 2007 bis 2009 sowohl bei Bilanz- posten als auch bei außerbilanziellen Positionen gewal- tige Verluste verzeichnet haben, obwohl namenhafte Prüfgesellschaften den Banken für diese Zeiträume ein „sauberes“ Prüfsiegel ausgestellt haben? Das war eine entscheidende Frage, die man als Lehre aus der Kri- se angehen wollte . Die unabhängige Abschlussprüfung soll die Nachvollziehbarkeit und Richtigkeit der Bilan- zen sicherstellen, um frühzeitig Fehlentwicklungen und Schieflagen bei einem Unternehmen sichtbar zu machen. Genau dies hat die Abschlussprüfung nicht geleistet; das hat die Finanzkrise uns schonungslos vor Augen geführt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 15049 (A) (C) (B) (D) Ohne eine unabhängige und gute Abschlussprüfung kann der Finanzmarkt nicht funktionieren . Es kommt zu fata- len Fehlallokationen des Kapitals . Am Ende musste und muss der Steuerzahler die Zeche zahlen, auch weil die Abschlussprüfer ihren Job schlecht gemacht haben . Eine unabhängige und solide Abschlussprüfung schützt Eigentümer, Investoren, aber auch die Ge- sellschaft vor zu hohen Kosten einer Insolvenz . Die EU-Kommission veröffentlichte 2010 ein Grünbuch zur Abschlussprüfung, das Lehren aus der Finanzkrise für die Abschlussprüfer zusammenfasste . Jahrzehntelange Prüfmandate ein und derselben Prüfgesellschaft wurden darin als Grundübel der mangelnden Unabhängigkeit der Abschlussprüfer erkannt . Im ersten Verordnungsentwurf der Kommission war deshalb eine maximale Laufzeit der Prüfungsmandate von sechs Jahren vorgesehen; für den Fall des Joint Audits sah der Entwurf eine Obergrenze von neun Jahren vor . Auf EU-Ebene hat der Druck der Lobby offensichtlich dazu geführt, dass die Verordnung als Obergrenze nicht mehr sechs Jahre, sondern zehn Jah- re vorschreibt . Darüber hinaus lässt die Verordnung den Mitgliedstaaten aber das Wahlrecht, die zeitliche Ober- grenze für die Prüfmandate abzusenken oder zu erhöhen . Die Bundesregierung vervielfacht mit ihrem Gesetzent- wurf die maximale Laufzeit auf sage und schreibe 20 bzw . 24 Jahre! Für Banken und Versicherungen bleibt es nach dem Gesetzentwurf zwar bei einer Rotation nach einem Jahrzehnt, auch das ist aber deutlich zu lange . Der von der Kommission ursprünglich vorgeschlagene Zeit- raum von sechs Jahren ist bereits länger als jede Wahl- periode einer Regierung auf Bundes- oder Landeseben und berücksichtigt doch bereits, dass eine gewisse Dauer des Prüfmandats auch zur Qualität der Prüfleistung bei- trägt . Ihre 20 bzw . 24 Jahre sind hingegen nichts ande- res als ein Geschenk an die Big Four . Sie handeln hier gegen den gesunden Menschenverstand; Sie ignorieren die Lehren aus der Finanzkrise! Das Wohlergehen einiger weniger mächtiger Wirtschaftsakteure ist Ihnen offenbar wichtiger als ein stabiler Finanzmarkt . Die zweite wichtige Erkenntnis, die das Grünbuch der Kommission im Jahr 2010 als Lehre der Finanzkrise er- kannte, bezieht sich auf die Nichtprüfungsleistungen der Prüfgesellschaften. Wirtschaftliche Verflechtungen des Abschlussprüfers zum geprüften Unternehmen hebeln die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers aus . Wer sich als Abschlussprüfer eines Unternehmens auch um ande- re Beratungsmandate desselben Unternehmens bewirbt oder sogar selbst Steuerberatungs- und Bewertungsleis- tungen für das zu prüfende Unternehmen erbringt, ist ei- nes gerade nicht: unabhängig . Genau diese fatale Interes- senverquickung ist bei Wirtschaftsprüfern aber bis heute gang und gäbe . Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist einfach: Abschlussprüfer sollten für dasselbe Unterneh- men keine prüfungsfremden Leistungen erbringen dür- fen . Genau dies sieht die EU-Verordnung als Grundregel vor. Leider eröffnet die Verordnung ein Schlupfloch. Mit- gliedstaaten dürfen die klare und notwendige Regel näm- lich abwählen . Genau dies tut die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf . Die Grundregel wird für Deutsch- land weitestgehend außer Kraft gesetzt . Prüfungsfremde Bewertungs- und Steuerberatungsleistungen bleiben in Deutschland bis zum maximal zulässigen Rahmen er- laubt . Lassen Sie uns diese Entscheidung der Koalition als das bezeichnen, was sie ist: Es ist eine Entscheidung gegen die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer und für unheilvolle Interessenkonflikte der Wirtschaftsprüfer. Dasselbe gilt für die Aufweichung der Honorargrenze für prüfungsfremde Leistungen der Prüfgesellschaften . Die Verordnung sieht eine Begrenzung des Gesamthono- rars für anderweitige Beratungsmandate des Abschluss- prüfers beim selben Unternehmen von 70 Prozent vor, bezogen auf das durchschnittliche Abschlussprüfungsho- norar . Auch hier konterkarieren Sie die Wirkung des Gesetzes durch eine Ausnahme: Die Aufsichtsstelle für Abschlussprüfer kann die Schwelle auf Antrag auf 140 Prozent erhöhen . Wir sehen: Die Bundesregierung nutzt alle Umset- zungsspielräum der EU-Verordnung, um das Ziel, die unheilvolle Marktmacht der Big Four zu brechen und die Abschlussprüfungen wirklich unabhängig zu machen, zu torpedieren . Der Gesetzentwurf ist damit ein Musterbei- spiel für die Machtwirtschaft: die Verdrängung des Ge- meinwohlinteresses durch die Lobbyinteressen kleiner einflussreicher Gruppen. Indem die Bundesregierung die notwendige Rotation bei der Abschlussprüfung und ein konsequentes Verbot von prüfungsfremden Beratungsmandaten bis zur Wir- kungslosigkeit verwässert, schreibt sie ein System fort, in dem zwischen Kontrolleuren, kontrollierten Indus- triekonzernen und Banken die notwendige Distanz durch eine symbiotische Beziehung ersetzt wird . Erinnern Sie sich bitte an die Bilanzskandale, die wir in Deutschland gesehen haben . Ob FlowTex, Siemens, HRE, IKB oder Sachsen LB: In all diesen Fällen sind Betrug, Korrupti- on bzw . giftige Kredite auch deshalb nicht rechtzeitig entdeckt worden, weil Wirtschaftsprüfer fehlerhafte Bi- lanzen testiert haben . Auch aktuell bei Volkswagen stellt sich die Frage, ob Wirtschaftsprüfer nicht so genau hin- geschaut haben . Die Abschlussprüfung ist zum Vehikel der großen Wirtschaftsprüfer verkommen, um andere, lukrativere Dienstleistungen für Großkonzerne und Banken zu er- bringen . Die Big Four haben sich zu einer organisierten Steuervermeidungsindustrie entwickelt . Die Abschluss- prüfung verschafft den Zugang und das notwendige Wissen, um transnationale Steuersparmodelle für Groß- konzerne zu entwickeln, mit denen der Fiskus in vielen Ländern geschädigt wird . Das müsste dringend durch harte und klare Regeln für die Laufzeit der Prüfmandate und die Unvereinbarkeit der Abschlussprüfung mit an- derweitigen Beratungsleistungen geändert werden . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung leistet das nicht . Es bleibt zu hoffen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Re- gierungskoalitionen, dass der Gesetzentwurf an diesen Stellen hier im Bundestag substanzielle Veränderungen erfährt und nicht einfach durchgewunken wird . Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bun- desminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Die Abschlussprüfung der Unternehmensabschlüsse ist ein zentrales Element, um das Vertrauen der Finanzmärkte zu stärken . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201615050 (A) (C) (B) (D) Mit dem Gesetzentwurf, der Ihnen jetzt vorliegt, wird die überarbeitete EU-Abschlussprüferrichtlinie in deut- sches Recht umgesetzt . Gleichzeitig wird das deutsche Recht so geändert, dass die unmittelbar geltende Ab- schlussprüferverordnung problemlos ab dem 17 . Juni 2016 angewandt werden kann . Wir nehmen dieses Vorhaben einmal mehr zum An- lass, EU-Vorgaben eins zu eins umzusetzen . Darüber hi- naus nutzen wir weitgehend die Spielräume, die uns das EU-Recht bietet, das heißt dort, wo wir es für sachgerecht halten, um das bewährte deutsche Recht aufrechtzuer- halten . Wir nehmen dabei etwa Rücksicht darauf, dass beispielsweise bei Banken und Versicherungen aufgrund ihrer Bedeutung für den Finanzmarkt strengere Regeln gelten sollen, damit sie ihren Abschlussprüfer häufiger als andere Unternehmen wechseln . Häufig nicht angesprochen wurde bisher in der öffent- lichen Diskussion um die Reform der Abschlussprüfung ein Aspekt, den ich hier besonders hervorheben möchte . Es geht um die stärkere Rolle und Verantwortung, die die Reform dem Aufsichtsrat und dem Prüfungsausschuss etwa in börsennotierten Unternehmen zumisst . Diesen Punkt sollten wir nicht unterschätzen . Die unternehmens- internen Gremien müssen sich in Zukunft noch mehr als bisher mit der Begleitung der Abschlussprüfung und deren Ergebnissen auseinandersetzen . Das begrüße ich sehr, auch weil damit die Corporate Governance der Un- ternehmen gestärkt wird . Mit dem Gesetzentwurf nehmen wir auch die nur punktuelle Kritik am Referentenentwurf auf und geben den bisherigen Grundsatz des sogenannten einheitli- chen Bestätigungsvermerks auf . Heute kennen wir in Deutschland ein einheitliches Konzept dessen, was der Abschlussprüfer bei jeder Abschlussprüfung sagen muss . Das wird sich in Zukunft ändern . Bei Unternehmen von öffentlichem Interesse wird erheblich mehr gesagt wer- den müssen . Wie sich diese neue Berichterstattung ent- wickeln wird, ist sicher „work in progress“ . Wir haben daher vorgeschlagen, die Anwendung der Verordnung zunächst zu beobachten und uns dann erneut mit der Fra- ge des einheitlichen Berichtsformats zu beschäftigen . Wir haben uns bei diesem Gesetzentwurf darauf kon- zentriert, das EU-Recht so eng wie möglich umzusetzen und Entlastungsmöglichkeiten zu nutzen . Ich weiß, dass es noch andere Reformwünsche gibt . Aber es gibt auch eine klare Vorgabe, bis wann wir diese Richtlinie umset- zen müssen . Deshalb sollten wir diesen Gesetzentwurf jetzt zügig beraten . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwal- tung des Bundes (WSV-Zuständigkeitsanpassungs- gesetz – WSVZuAnpG) (Tagesordnungspunkt 20) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung ist auf dem rich- tigen Weg . Das Zuständigkeitsanpassungsgesetz, das wir heute debattieren, ist dabei ein kleiner Baustein . Es schafft rechtliche Klarheit bezüglich der neuen Führungs- struktur in der WSV . Dieses Gesetz bedarf eigentlich kei- ner Debatte bei der ersten Lesung . Deshalb befasst sich die Stellungnahme des Bundesrates auch an keiner Stelle mit dem Gesetzentwurf selbst . Offensichtlich hat aber auch die Opposition grundsätzlichen Redebedarf zur WSV-Reform . Gleich werden wir die altbekannten Argu- mente hören, die uns seit langer Zeit begleiten . Herr Behrens wird über die Anliegen der Beschäftig- ten sprechen . Wie überall im linken Weltbild sollen be- stehende Probleme mit mehr Planstellen gelöst werden . Das ist jedoch kein wirksames Rezept für eine effiziente moderne Verwaltung . Wer glaubt, mit einer Rückkehr zu den Beschäftigtenzahlen von vor 30 Jahren sei die WSV fit für die Zukunft, ist gewaltig auf dem Holzweg. Es stimmt zwar, dass die WSV an einigen Stellen durchaus Personalbedarf hat, insbesondere im Planungsbereich . Bei dieser Frage sind wir jedoch längst aktiv . In den Haushaltsberatungen der vergangenen Jahre hat die Koalition hier bereits wichtige Tatsachen geschaf- fen . Bei den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsaus- schuss, insbesondere bei Eckhardt Rehberg, hat die WSV einen dicken Stein im Brett . Gezielt wurden daher wich- tige Stellen genehmigt, um die WSV zu stärken . Aber linke Personalpolitik mit der Gießkanne hilft der WSV nicht weiter . Das wissen übrigens auch die Beschäftigten der WSV . Denen ist der Reformbedarf durchaus bewusst . Nach al- lem, was ich aus den Gesprächen vor Ort mitnehme, kön- nen die Beschäftigten mit dem aktuellen Reformkurs gut leben . Es ist gelungen, auf die Bedürfnisse der Beschäf- tigten einzugehen und sie bei der Reform zu beteiligen . Viele Bedenken konnten ausgeräumt werden . Natürlich bleiben Differenzen . Aber, Kollege Behrens, bei der Re- form der WSV geht es auch nicht um ein Wunschkonzert der diversen Personalvertreter, sondern darum, die WSV endlich auf Vordermann zu bringen . Die Vorwürfe der Linken laufen daher ins Leere . Ich würde mir von dieser Seite konstruktivere Vorschläge wünschen . Die Kritik der Grünen sieht anders aus . Frau Dr . Wilms dauert alles viel zu lange . Das Ministerium hätte dieses, die GDWS jenes tun müssen . Stünde hingegen sie in der Verantwortung, wäre die WSV längst ein Musterbeispiel an Effizienz, und die Bundeswasserstraßen wären in bes- tem Zustand . Aber das ist Seemannsgarn . Die Wahrheit ist nämlich eine andere . Auch die Grünen haben vor sehr langer Zeit einmal Regierungsverantwortung getragen . In dieser Zeit ist sehr viel über eine Reform der WSV geredet worden . Wir wissen auch, was damals passiert ist – nämlich nichts! Der Zustand der WSV unter grüner Regierungsbeteili- gung wurde zusehends schlechter . Gegenmaßnahmen? Fehlanzeige! Für die WSV waren die Jahre 1998 bis 2005 verlorene Jahre . Fahrt aufgenommen hat die drin- gend notwendige Modernisierung der WSV erst unter den Verkehrsministern Ramsauer und Dobrindt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 15051 (A) (C) (B) (D) Zwar ist es richtig, dass es noch viel zu tun gibt . Ich denke da zum Beispiel an die Frage der Reviergrenzen, die Ausgestaltung der Aufgabenbereiche der Wasser- und Schifffahrtsämter und die Personalstruktur . Ein dicker Pott wie die WSV beschleunigt nun einmal langsamer als ein Sportboot . Außerdem reden wir nicht über ein paar Einzelmaßnahmen . Über die Jahre ist bei der WSV viel Reformbedarf entstanden . Mit einem neuen Anstrich ist es da nicht getan . Schon die Schaffung der Generaldirektion für Wasser- straßen und Schifffahrt ist ein großer Wurf . Bei Beginn der Reform vor einigen Jahren war keinesfalls absehbar, dass eine derart tiefgreifende Reform folgen würde . Die beteiligten Verkehrsminister haben an dieser Stelle Mut bewiesen . Denn es war klar, dass gerade die Zusam- menfassung der Direktionen zu einer Generaldirektion großen Widerspruch ernten würde . Dennoch ist das der richtige Schritt . Schließlich schaffen wir mit dem Gesetz Klarheit . Ex- emplarisch für zahlreiche sinnvolle Gesetzesänderungen nenne ich hier die Anpassungen des Bundeswasserstra- ßengesetzes, des Verkehrsleistungsgesetzes oder auch des Telekommunikationsgesetzes . Durch die Möglichkeiten der modernen Kommunika- tion, insbesondere des digitalen Datenaustauschs, ist es möglich, die Verwaltung zu zentralisieren und zugleich in der Fläche präsent zu sein . Es wäre fahrlässig gewe- sen, nicht an dieser Stelle anzusetzen und die sieben Di- rektionen zusammenzufassen . Diese unnötigen Parallelstrukturen haben nun ein Ende . Die WSV wird straffer organisiert und unabhängi- ger vom Ministerium, das sich künftig auf die zentralen Steuerungsaufgaben konzentrieren kann . Dieser Reform- prozess ist aber noch nicht abgeschlossen . Denn eine über Jahrzehnte gewachsene Struktur umzubauen, geht nicht von heute auf morgen . Schließlich muss die Ar- beitsfähigkeit durchgehend gewährleistet sein . Wir brau- chen eben keinen Schnellschuss, Frau Kollegin Wilms, sondern eine Reform für die kommenden Jahrzehnte . Der Unterstützung durch die Unionsfraktion kann sich unser Minister Alexander Dobrindt dabei sicher sein . Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute mit der Drucksache 18/7316 in erster Lesung den Entwurf ei- nes Gesetzes zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, kurz: WSV-Zustän- digkeitsanpassungsgesetz . Als Kontrapunkt zu diesem unglaublich sperrigen Titel möchte ich den Slogan der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) setzen: „Wir machen Schifffahrt möglich .“ Diese knappe und dabei zutref- fende Selbstbeschreibung möchte ich in den Mittelpunkt meiner Rede stellen, denn das Gesetz an sich bietet außer Gesetzestechnik wenig politischen Inhalt . Als Folge wer- den dabei vor allem Adressen neu zugeordnet, Türschil- der ausgetauscht, Briefköpfe und Visitenkarten neu ge- druckt . Die tatsächlichen Veränderungen erfolgen durch Weisungen des Ministeriums . Daher nutze ich die Gelegenheit, um den vielen Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern der WSV nicht nur für ihren Einsatz und ihr Engagement zu danken, sondern auch da- für, dass sie der WSV und der Schifffahrt in Deutschland nach wie vor treu zur Seite stehen . Der politische Reformwille übt seit vielen Jahren gro- ßen Druck auf die Verwaltung aus; nicht immer war er jedoch stringent ausgerichtet und konstruktiv in der Sa- che . Seit Jahren wird das Personal reduziert, die Ausga- ben vermehrten sich, um dann mit weniger Mitteln mehr Leistung und Projekte durchzusetzen . Der „ganz große Hammer“ erfolgte jedoch im Okto- ber 2010 – dem „Herbst der Entscheidungen“ – , als die schwarz-gelbe Regierungsmehrheit mit Unterstützung der Grünen und Linken aus der 35 . Sitzung des Haus- haltsausschusses heraus die Axt an die WSV gelegt hat . Die Maßgabebeschlüsse des Haushaltsausschusses lassen sich auf einige Punkte zusammenfassen: Personalabbau, Schrumpfung des Netzes durch eine hochumstrittene Kategorisierung, Privatisieren und Ausschreibungsver- pflichtungen selbst ureigener Aufgaben. Hier hat die FDP sich verewigt, und mit den Folgen kämpfen wir noch heute . Mit der Gründung der Generaldirektion Wasser- straßen und Schifffahrt (GDWS) und der Abwicklung der sieben Direktionen wurde die sogenannte Reform mit der Brechstange vorangetrieben, ohne Hinterlegung mit in- haltlichen Strukturen, ohne Mitnahme der Beschäftigten und gegen die im eigenen Hause vorhandene fachliche Kompetenz . Selbst gegen die Wirtschaft und auch gegen alle Bundesländer . Am Ende kam es, wie es kommen muss, wenn man im laufenden Betrieb groben Kies ins Getriebe wirft . Verwaltungsschritte wurden unterbrochen, neue Schnitt- stellen brachten viel Unruhe hinein, die Beschäftigten wurden zum Streik gezwungen, und die WSV hat sich vor allem als Arbeitgeber nicht gerade attraktiv gemacht . Mit der Folge, dass uns heute umso mehr die Ingenieure fehlen, die unsere Investitionsmaßnahmen der Zukunft planen und bauen sollen . Eine knappe Milliarde Euro Mittel im Haushalt für die Wasserstraßen konnten wir in den vergangenen fünf Jahren nicht verbauen, weil nicht ausreichend geplant und verbaut werden konnte . So or- ganisiert man keine Daseinsvorsorge! Die verkehrliche Infrastruktur – gerade die der Wasserstraße – braucht langfristig Verlässlichkeit und Planungssicherheit . Mit dem Koalitionsvertrag haben wir den Dampfer WSV wieder auf Kurs gebracht . Wir konnten als SPD durchsetzen, den weiteren Reformprozess in enger Ab- stimmung mit den Beschäftigten einzuleiten . Nur um eines klarzustellen: Die Beschäftigten und ihre Personal- vertretungen waren nie die Blockierer; sie selber wollten eine Strukturreform, weil die bisherige Struktur von den tatsächlichen Bedingungen und Aufgaben überholt wur- de . Sie wollten nur mit ihrem Know-how mitgenommen werden . Wir wollen die Kompetenz dorthin verlagern, wo sie hingehört; Aufgaben sollen vom Ministerium in die GDWS und von der GDWS in die Reviere abgeschich- tet werden . Wir bauen Personal auf, wo wir es brauchen, um unsere Wasserstraßeninfrastruktur nachhaltig planen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 201615052 (A) (C) (B) (D) und Investitionen zügig umsetzen zu können . Regionale Entscheidungen sollen regional entschieden und Quer- schnittsentscheidungen zentral in der GDWS getroffen werden . Die WSV muss wieder ein attraktiver Arbeitge- ber werden und die hohen Ausbildungsquoten der Ver- gangenheit auch in Zukunft umsetzen . Dazu braucht es attraktive Angebote, die wir mit dem neuen Reformkurs ermöglicht haben . Herrn Minister Dobrindt möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich persönlich danken . Die zügi- ge Umsetzung der Vorgaben des Koalitionsvertrages, die klaren Vorgaben für den 6 . Bericht und damit der dau- erhafte und lebensfähige Erhalt aller Standorte waren ganz wichtige Signale! Nicht nur in die Verwaltung hi- nein wurde damit klar, dass wir einen Kurswechsel vor- genommen haben, sondern auch die Wirtschaft begrüßte das Handeln . Unzufrieden bin ich als Berichterstatter jedoch mit dem weiteren Umsetzungstempo . Der 1 . Fortschrittsbe- richt aus dem Sommer 2015 ist trotz Fristverlängerung mehr eine Sammlung von Dingen, die gemacht werden müssen und weniger ein Bericht, der strukturiert auf- zeigt, was bereits selbstbewusst umgesetzt wurde . Selbst heute liegen weder die konkreten Grenzen der 18 – oder werden es 17? – Reviere vor, noch gibt es die ausgearbeitete und abgestimmte innere Struktur der Äm- terebene auf dem Tisch des Verkehrsausschusses . Das geht mir alles viel zu langsam, und ich erhoffe mir vom Ministerium und der GDWS, dass hier schneller Ergeb- nisse erzielt werden . Hilfreich wäre hier zum Beispiel die ein oder andere Vollzugsmeldung vor Abschluss der zweiten und dritten Lesung! Wobei festzuhalten ist, dass nicht das Parlament für die jüngsten Verzögerungen verantwortlich zeichnet . Mir kam zu Ohren, dass ein aufgeregter Unionsministerprä- sident hier wieder einmal mit eigenen Interessen auf der Bremse stand . Das geht nicht . Es ist eine Bundesverwal- tung, und bei allem Respekt vor den Belangen einzelner Länder: Die Entscheidungen trifft der Bund . Die Länder sind stets aufgefordert und ja auch gerne bereit, den Re- formprozess im konstruktiven Dialog zu begleiten; er darf aber nicht im föderalen Dickicht stecken bleiben . Herbert Behrens (DIE LINKE): Im Mai 2013 wurde offiziell die Bonner Zentrale der neuen Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt eingerichtet . Es musste kurz vor Auslaufen der letzten Wahlperiode wenigstens der Anschein des Fortschritts bei der bereits 20 Jahre an- gekündigten Reform der WSV erweckt werden . Doch zweieinhalb Jahre später wird immer noch daran herumgedoktert, die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt in Gang zu bringen . Offensichtlich läuft in der Bonner Zentrale noch gar nichts . Seit mehr als einem Jahr versucht mein Büro, die Bonner Zentrale telefonisch zu erreichen . Doch niemals hat dort jemand das Telefon abgenommen . Die Generaldirektion in Bonn ist eher eine Art Briefkastenfirma als eine arbeitende Behörde, die in der Lage ist, die ihr übertragenen Aufgaben zu bewerk- stelligen . Also steht die Umsetzung der WSV-Reform immer noch in den Startlöchern . Sieben Berichte hat es bedurft, um über den Stand des WSV-Reformprozesses zu berich- ten . Wir haben mindestens 20 Debatten hier im Plenum und im Ausschuss dazu geführt . Doch im Wesentlichen ist nichts passiert . Die Gewerkschaft Verdi schreibt zu Recht, dass das Verkehrsministerium es nach der Zer- schlagung der Direktionen offenbar nicht mehr eilig hat- te, eine funktionierende Verwaltung aufzubauen . Der eigentliche Grund für den fehlenden Fortschritt ist jedoch, dass frühere Regierungen mit der Reform ganz andere Absichten hatten, als die, die heutzutage aufgeführt werden . Mit dem Auftrag, die WSV umzu- bauen, ist folgende Androhung verbunden gewesen: Wir machen aus der WSV als einer Ausführungsverwaltung eine Gewährleistungsverwaltung . Auf Wunsch der letz- ten schwarz-gelben Regierung sollten nur noch wenige Zuständigkeiten in den Händen der WSV-Beschäftigten bleiben . Die Vergabe von Ausführungsaufgaben sollte einen massiven Personalabbau ermöglichen: Nachdem seit 1993 die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung bereits jede dritte Stelle verlor, sollte zusätzlich jede fünfte Stelle verschwinden . Bei der Planung blieben die Beschäftig- tenvertretungen außen vor . Glücklicherweise haben die Beschäftigten diese Kahlschlagpläne im Jahr 2013 mit ihrem Arbeitskampf weitgehend abwehren können . Die Große Koalition nahm den Umbau zur reinen Auftrags- vergabestelle und den weiteren Personalabbau zurück . Die WSV-Reform wurde im Koalitionsvertrag und dem sechsten Bericht zur reinen Verwaltungsreform umge- tauft . Aus dem Abbau der Schifffahrtsämter wurde eine verpfuschte Verwaltungsreform . Doch die Personalengpässe aufgrund des Abbaus der letzten Jahrzehnte und die damit verbundenen Engpäs- se für die Binnenschifffahrt bleiben . Das bestätigt Eddi Weinert vom Wasser- und Schifffahrtsamt Berlin: „Wenn einer Urlaub hat oder krank wird, können wir nur dicht- machen . Wie soll es anders funktionieren, wenn eine Schleuse nur mit drei Personen besetzt ist, die Schleuse aber im Sommer von 6 bis 20 Uhr geöffnet sein soll? Frü- her waren hier noch sechs Beschäftigte tätig, dann wurde Personal eingespart .“ Tatsächlich waren zur Wende beim Wasser- und Schifffahrtsamt Berlin etwa 900 Beschäftig- te eingestellt . Jetzt sind es nur noch 403 fertig ausgebil- dete Kräfte, die aber die gleiche Arbeit erledigen müssen . Die Folgen des Personalabbaus für den Schiffsverkehr wurden am Beispiel des Berliner Raums im vergangenen Jahr wieder deutlich . Seit dem 1 . April 2015 schließt die WSV die Schleusen Neue Mühle, Kummersdorf, Stor- kow und Wendisch Rietz im Osten Brandenburgs im Sommer schon um 18 Uhr statt wie bisher um 22 Uhr . Morgens fangen die Schichten außerdem erst ab 8 .30 statt ab 7 Uhr an . Da die Schleusen Kummersdorf, Stor- kow und Wendisch Rietz ebenfalls um 18 Uhr schließen, sind Wochenendausflüge für Berufstätige in Berlin nahe- zu unmöglich gemacht worden . Auch fehlen den Neubauämtern etwa 100 Ingenieu- re, die für Erhalt- und Ausbaumaßnahmen an den Was- serstraßen dringend erforderlich sind . Der andauernde Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 152 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 28 . Januar 2016 15053 (A) (C) (B) (D) Mangel an qualifiziertem Personal hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass Hunderte Millionen Euro für an Um- und Ausbaumaßnahmen nicht abgerufen werden konnten . Auch relativ „kleine“ Investitionen mit großer Kapazitätswirkung bleiben auf der Strecke, wie zum Beispiel der Ausbau der Schleusen in Fürstenwalde und Kleinmachnow . Die Bundesregierung hat bis heute nichts unternom- men, um die Personalengpässe, die aufgrund der Alters- struktur der Belegschaft der WSV noch einmal erschwert werden, zu verringern . Herr Minister, es genügt nicht, den Umbau der Was- serstraßen und Schifffahrtsverwaltung auf Papier zu be- schließen und Namen in den Gesetzen und Verordnun- gen zu ändern . Wenn Sie die eigentlichen Engpässe für die Binnenschifffahrt beheben wollen, müssen Sie die Schifffahrtsämter wieder zu attraktiven und verlässlichen Arbeitgebern machen . Fangen Sie endlich damit an . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Reform der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwal- tung (WSV) ist eine nicht enden wollende Geschichte . 1994 im damaligen Koalitionsvertrag erstmals erwähnt, wurden immer wieder neue – leider meist glücklose – Reformversuche gestartet . Es dauerte oft nicht lange, bis sie wieder scheiterten . So erging es auch dem jetzigen Reformvorhaben, das BM Ramsauer 2012 vorstellte . Es geht um die Reform einer verkrusteten Verwaltung, die seit dem Kaiserreich überdauert hat . Bei der Wasser- straßen- und Schifffahrtsverwaltung müssen dringend die Aufgaben überprüft und neue Strukturen geschaffen werden . Nur dann können wir Herausforderungen wie den Abbau des gewaltigen Sanierungsstaus meistern . Deshalb brauchen wir dringend ein Umdenken bei der WSV und die konsequente Fortsetzung der Reform . Kernpunkte der Reform von 2012 sollten sein: – Zusammenführung der bis dahin sieben Direktionen auf nur noch eine Generaldirektion in Bonn; – Kategorisierung der Wasserstraßen, in für den Aus- bau wichtige und weniger wichtige Streckenabschnitte; – Anpassung der Ämterstruktur; – Ermittlung, wie viel Personal benötigt wird; – Einführung bzw . Ausbau von Kosten- und Leis- tungsrechnung und Controllingsystemen; – Zeithorizont damals: bis 2020 . Mit blumigen Worten stellte Herr Ramsauer das Vor- haben der Presse vor: Die Verwaltung werde „schlanker und schlagkräftiger“ . Doch schon kurz danach war die Luft wieder raus: Anscheinend möchte es die heutige Bundesregierung dabei belassen . Denn nur wenig später, mit Herrn Dobrindt, hieß es schon gleich: Das „enorme Reformprojekt“ stünde „kurz vor dem Abschluss“ . Das spricht von geringer Sach- kenntnis des Ministers . Denn mit der großen Stillstands- koalition kam auch eine Verlängerung der inzwischen stark verwässerten Reformschritte bis 2025 . Der Weg scheint also noch weiter und steiniger zu werden – von einem Abschluss der Reform kann keine Rede sein . Die einzelnen Reformziele stehen seit 2012 nur auf dem Papier, aber umgesetzt und gelebt werden sie nicht . Vor allem die Sozialdemokraten haben sich einem Re- formprozess verweigert und sind seit 2013 voll auf die Bremse getreten . Darunter leiden heute die Beschäftigten der WSV . Eigentlich müssten die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter motiviert und für gute Ideen belohnt werden . Aber mit dem Beamtenapparat und den preußischen Verwal- tungsstrukturen bleibt erst einmal alles beim Alten . Was wir dringend brauchen, ist mehr Verantwortung in den Ämtern vor Ort; nur dann kann die WSV ihre Aufgaben auch ordentlich erfüllen . Was wir nicht brauchen, ist eine überbordende neue Verwaltungsebene in der Generaldi- rektion GDWS, die für viel Parallelarbeit verantwortlich ist. Effiziente Verwaltung sieht anders aus. Die Kommunen machen es vor . So ist es sehr sinn- voll, die geschaffenen Werte in einem Anlagevermögen auszuweisen, wie uns das die kommunalen Verwaltun- gen bereits vormachen . Nur dann haben wir auch einen Überblick, wie sich die Werte der Bundeswasserstraßen verändern – und an welchen Stellen Bedarf besteht, Er- satzinvestitionen zu tätigen . Aber, werte Kollegen der Koalition, nachhaltige Investitionspolitik haben Sie noch nicht verstanden . Der vorliegende Gesetzentwurf kommt reichlich spät . Denn schon bei Schwarz-Gelb sollte die Reform in ei- nem Gesetz festgeschrieben werden; aber das hat sich damals niemand getraut . Die große Stillstandskoalition legt jetzt zwar den Ge- setzentwurf endlich vor – aber die wirklich wichtigen Reformschritte bleiben weiter auf der Strecke . Ankündigungsminister Dobrindt, packen Sie die Re- form jetzt endlich an! Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 152. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Regierungserklärung – Chancen des digitalen Wandels und Jahreswirtschaftsbericht 2016 TOP 4 Mietpreisentwicklung TOP 6 Bundeswehreinsatz in Mali (MINUSMA) TOP 8 Bundeswehreinsatz Kurdistan-Irak TOP 28, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 29, ZP 3 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 7 Menschenrechte in Saudi-Arabien TOP 5 Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2016 TOP 9 Erziehungsleistung von Adoptiveltern in der Rente ZP 4 - 6 Ausbau der Rheintalbahn TOP 11 Programm für Klima- und Klimafolgenforschung TOP 10 Änderung des Hochschulstatistikgesetzes TOP 13 Offenlegung der Herkunft von Konfliktrohstoffen TOP 12 Elektronische Zigaretten und Shishas TOP 15 Sport- und Fankultur TOP 14 EU-Richtlinie zur Anlegersicherheit (OGAW-V) TOP 16 Lohnsteuereinbehalt in der Seeschifffahrt TOP 17 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus TOP 18 Abschlussprüfungsreformgesetz TOP 19 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung – 2030-Agenda TOP 20 Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815200000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zu unserer Plenarsitzung .

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Kolle-
gen Rainer Spiering zu seinem gestrigen 60 . Geburtstag


(Beifall)


sowie dem Kollegen Cajus Caesar, der in der vergange-
nen Woche seinen 65 . Geburtstag gefeiert hat, herzlich
gratulieren .


(Beifall)


Alle guten Wünsche im Namen des ganzen Hauses .

Wir müssen noch die Wahl eines Mitglieds des Bei-
rats beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR gemäß
§ 39 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes durchführen . Die
Fraktion Die Linke schlägt vor, für eine weitere Amtszeit
den Kollegen Jörn Wunderlich als Mitglied des Beirats
zu berufen . – Heftiges Nicken bei der Fraktion Die Lin-
ke . Kein erkennbarer Widerspruch aus den Reihen der
anderen Fraktionen . Dann ist das hiermit so beschlos-
sen und der Kollege Wunderlich in den Beirat nach dem
Stasi-Unterlagen-Gesetz gewählt .

Des Weiteren schlägt die SPD-Fraktion vor, als stell-
vertretendes Mitglied des Wahlprüfungsausschusses
gemäß § 3 Absatz 2 des Wahlprüfungsgesetzes den Kol-
legen Dr. Matthias Bartke für die aus dem Gremium
ausscheidende Kollegin Dr . Katarina Barley zu wählen .
Stimmen Sie auch diesem Vorschlag zu? – Das ist offen-
kundig der Fall . Damit ist der Kollege Bartke gewählt .

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages-
ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE

LINKE

Haltung der Bundesregierung zu aktuellen
Armuts- und Reichtumsstudien

(siehe 151 . Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-
fahren

(Ergänzung zu TOP 28)


Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja
Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozess-
ordnung
Drucksache 18/7359
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-
sprache

(Ergänzung zu TOP 29)


Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss) zu der Mitteilung der Kom-
mission an das Europäische Parlament, den Rat,
den Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus-
schuss und den Ausschuss der Regionen

Den Binnenmarkt weiter ausbauen: mehr
Chancen für die Menschen und die Unterneh-
men
KOM(2015) 550 endg.; Ratsdok. 13370/15
hier: Politischer Dialog mit EU-Institutionen
Drucksachen 18/6855 A.5, 18/7395

ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Menschen- und umweltgerechten Ausbau der
Rheintalbahn realisieren
Drucksache 18/7364

ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Menschen- und umweltgerechte Realisierung
europäischer Schienennetze
Drucksache 18/7365






(A) (C)



(B) (D)


ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Kerstin Andreae,
Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Finanzierung eines bürgerfreundlichen und
umweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahn
jetzt sicherstellen

Drucksachen 18/6884, 18/7388

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Krischer, Annalena Baerbock, Dr . Julia Verlinden,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Zukunft des Strommarktes – Mit ökologischem
Flexibilitätsmarkt klimafreundliche Kapazitä-
ten anreizen und Kohleausstieg einleiten

Drucksache 18/7369
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden .

Der Tagesordnungspunkt 27 – da geht es um die Ein-
setzung eines weiteren Untersuchungsausschusses – wird
heute abgesetzt . Darüber hinaus kommt es zu den in der
Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des
Ablaufs .

Ich möchte schließlich noch auf mehrere nachträg-
liche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz-
punkteliste aufmerksam machen:

Der am 15 . Januar 2016 (150 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Arbeit und Soziales (11 . Ausschuss) zur Mit-
beratung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Richtlinie über die Vergleichbarkeit
von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von
Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zah-
lungskonten mit grundlegenden Funktionen

Drucksache 18/7204
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Der am 14 . Januar 2016 (149 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss) zur
Mitberatung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
setzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse
und verwandte Erzeugnisse

Drucksache 18/7218

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit

Die am 18 . Dezember 2015 gemäß § 80 Absatz 3 der
Geschäftsordnung überwiesene nachfolgende Unterrich-

(8 . Ausschuss)


Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Bundesregierung über ÖPP-Pro-
jekte im Betrieb

Drucksachen 18/6898, 18/7116 Nr. 2
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss

Der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgeset-
zes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten von
Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zur
Änderung des Abwasserabgabengesetzes auf Drucksache
18/6986 sowie die dazu vorliegende Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/7288 sollen an den Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

(16 . Ausschuss) zurücküberwiesen werden .


Dazu gibt es offensichtlich Einvernehmen . Also kön-
nen wir so verfahren .

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf:

a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister für Wirtschaft und Energie

Zukunftsfähigkeit sichern – Die Chancen des
digitalen Wandels nutzen

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Jahreswirtschaftsbericht 2016 der Bundesre-
gierung

Drucksache 18/7380
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Jahresgutachten 2015/2016 des Sachverstän-
digenrates zur Begutachtung der gesamtwirt-
schaftlichen Entwicklung

Drucksache 18/6740

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Oliver Krischer, Katharina Dröge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Jahreswohlstandsbericht einführen

Drucksache 18/7368

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 77 Minuten vorgesehen . – Auch das ist offenkundig
unstreitig . Also verfahren wir so .

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Wirtschaft und Energie . – Herr
Gabriel, bitte schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jah-
reswirtschaftsbericht zeigt erneut, dass Deutschland
gerade eine langanhaltende Phase des Wachstums und
der Prosperität erlebt . Der Aufschwung der deutschen
Wirtschaft geht in das dritte Jahr . Nach den Jahren 2012
und 2013 mit nur 0,4 Prozent und 0,3 Prozent hatten wir
2014 1,6 Prozent und 2015 1,7 Prozent Wirtschafts-
wachstum, und 2016 wird mit einem Wachstum in der
gleichen Größenordnung – 1,7 Prozent – gerechnet .
Das zeigt, dass sich die Wachstumsphase fortsetzt . Aber
wichtiger ist: Es setzt sich auch der Aufbau von Beschäf-
tigung in Deutschland zu vernünftigen Löhnen fort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland war noch
nie so hoch . Für 2016 ist prognostiziert, dass wir ei-
nen Beschäftigungsaufbau von 380 000 Personen ha-
ben werden . Für 2017 wird mit knapp 300 000 weite-
ren Beschäftigten gerechnet . Wir erreichen damit im
laufenden Jahr 43,3 Millionen Erwerbstätige und im
Jahr 2017 43,7 Millionen Erwerbstätige . Eine solche
Zahl gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch
nie .

Gleichzeitig sinkt die Arbeitslosigkeit . Wir haben
schon im letzten Jahr die niedrigste Arbeitslosigkeit seit
der Wiedervereinigung verzeichnen können . Besonders
wichtig ist, dass die Zahl sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigungsverhältnisse mit plus 540 000 deutlich zu-
nimmt und ein Rückgang der Zahl geringfügig Beschäf-
tigter um 90 000 Personen zu verzeichnen ist . Löhne
und Gehälter steigen aufgrund der guten Rahmenbedin-
gungen und entsprechender Tarifverhandlungen an: um
2,3 Prozent in 2015, um 2,6 Prozent in 2016 . Aufgrund
des niedrigen Ölpreises sind auch die Realeinkommen
erstmals seit vielen Jahren um durchschnittlich 2,2 Pro-
zent gestiegen . Das heißt, der Wohlstand und das Wachs-
tum kommen bei den Menschen in Deutschland an . Ich
finde, es ist gerade in diesen Zeiten wichtig, auch das
einmal laut und öffentlich zu sagen, meine Damen und
Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Unsere Unternehmen sind wettbewerbsfähig und un-
sere Staatsfinanzen solide. Deutschlands Wirtschaft steht
damit fast allein . Angesichts der geopolitischen Risiken,
die es gibt, der Schwierigkeiten in China und Lateiname-
rika, der Auseinandersetzungen zwischen Russland und
der Ukraine, des Krieges im Nahen Osten und des nur
langsamen Zusammenwachsens Europas ist es doch er-
staunlich – ich finde, das darf dieses Land auch stolz auf
sich selber machen –, was dieses Land in dieser Zeit zu
leisten in der Lage ist und wie gut die wirtschaftliche,
aber auch die soziale Situation in unserem Land ist .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das heißt aber nicht, dass wir so tun, als gäbe es nicht
auch in unserem Lande Probleme und Schwierigkeiten .
Ich erinnere an Alleinerziehende, Familien, Rentnerin-
nen und Rentner, die 40 Jahre gearbeitet haben und am
Ende ihres Arbeitslebens nicht einmal eine Rente auf So-
zialhilfeniveau bekommen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja! Woran liegt’s?)


– Das liegt unter anderem daran, dass wir es noch nicht
geschafft haben – was wir in dieser Koalition aber ma-
chen werden –, eine solidarische Lebensleistungsrente
einzuführen, sodass der, der 40 Jahre gearbeitet hat, mehr
bekommt als derjenige, der nicht gearbeitet hat .


(Beifall bei der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da sind wir aber gespannt!)


– Bei Ihnen darf man nicht einmal mehr auf die Zwi-
schenrufe gespannt sein . Die kann man sich schon vor
der Rede vorstellen .

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Ich sage das nicht ohne Grund; denn es gibt einen
merkwürdigen Widerspruch .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich weiß nicht, ob es Ihnen besser ginge, wenn es dem
Land schlechter ginge . Vielleicht hätten Sie dann bessere
Laune . Das weiß ich aber nicht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich erwähne diese Zahlen deshalb, weil es einen merk-
würdigen Kontrast gibt zwischen einerseits der gefühlten
Stimmung im Land und manchmal auch der politischen
Hysterie, die wir erleben, und andererseits dieser exzel-
lenten wirtschaftlichen und sozialen Situation, die wir in
unserem Land vorfinden. Ja, die Herausforderung, mehr
als 1 Million Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen,
ist riesig . Ja, nicht alles läuft dabei perfekt; ja, manch-
mal machen wir dabei auch Fehler . Manchmal streiten
wir auch . Manchmal sind Dinge auch nicht so schnell ins
Lot zu bringen, wie wir uns das wünschen . Ich hoffe, wir
schaffen am heutigen Tag wieder einen deutlichen Schritt
nach vorn . Man kann aber nun wirklich nicht sagen, dass
dieses Land handlungsunfähig sei,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nur die Regierung!)


dass wir die Kontrolle über das Land verloren hätten und
dass jeden Tag aufs Neue das Chaos ausbreche . Wenn
man die Zeitungen, die Medien und die Briefe, die man
erhält, liest, muss man den Eindruck haben, dass wir in
einem Land leben, das überall funktionsunfähig gewor-
den ist . Das Gegenteil ist der Fall, meine Damen und
Herren: Wir sind eines der am besten aufgestellten Län-
der Europas .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Noch einmal: Nicht alles ist perfekt . Manches ma-
chen wir auch falsch . Das liegt übrigens daran, dass wir
Menschen sind und dass wir nicht vorhersehen konnten,
vor welche Herausforderungen man gestellt wird, wenn
1 Million Zuwanderer im Jahr zu uns kommen . Manch-
mal arbeiten auch die Behörden nicht gut genug . Das
liegt auch daran, dass sie nicht genug Personal haben,
dass wir in der Vergangenheit zu viel auf das Einsparen
von Lehrer- und Polizeistellen gesetzt haben, was wir
jetzt wieder ändern werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf hätte man sich einstellen können!)


Deshalb darf man aber doch nicht eine Krise der Demo-
kratie, der Republik und auch nicht der Koalition herbei-
reden oder herbeischreiben . Das alles gibt es nicht, meine
Damen und Herren . Wir haben ein stabiles Land, eine
stabile Bundesregierung, ein Land, das ungeheuer kräftig
ist und das die Möglichkeiten hat, das zu schaffen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf des Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Herr Krischer, als ich mir überlegt habe, diese Sätze zu
sagen, wusste ich, dass Leute wie Sie darüber lachen und
sagen: Schaut euch doch einmal den Streit in der Bun-
desregierung an . – Ich will Ihnen einmal etwas sagen:
Zur Demokratie gehört auch Streit . Ihre Partei hat einmal
dafür gefochten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihre Partei ist großgeworden mit der Aussage, dass man
unterschiedliche Meinungen auch öffentlich aussprechen
darf . Heute halten Sie das für ein Zeichen von Regie-
rungsunfähigkeit .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Chaos“ sagt der Fraktionsvorsitzende der SPD! Das ist etwas anderes! Wir haben nicht gesagt: Chaos!)


Ich finde es auch nicht belebend, was an mancher Stel-
le der Debatte in der Union stattfindet.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Michael Meister [CDU/CSU]: Und der SPD!)


– Und der SPD . Okay . Nur die anderen beiden sind sich
immer einig; es sei denn, Cem Özdemir sagt etwas zur
Zuwanderung – dann gibt es da auch Ärger –


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


oder Frau Wagenknecht spricht über das Gastrecht .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir müssen aufhören, der Öffentlichkeit vorzumachen,
dass man bei einer der größten Herausforderungen unse-
rer Zeit nicht auch in den Parteien zu unterschiedlichen
Positionen in den Diskussionen kommen kann . Das Pro-
blem ist nicht, dass wir an einzelnen Stellen unterschied-
licher Auffassung sind . Das Problem ist vielmehr, dass
wir dabei ein Bohei daraus machen, als wären wir mitten
in einer Staatskrise . Das sind wir nicht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich sage das deshalb, weil von dieser Art der Debatte,
von der Überzeichnung ganz normaler politischer Dis-
kussionen,


(Zuruf der Abg . Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Halten Sie doch mal die Luft an!)


nur die profitieren, von denen keiner hier im Parlament
will, dass sie demnächst in Parlamenten sitzen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Warum sind sie keine Alternative für Deutschland? Weil
sie diese wirtschaftliche Entwicklung ruinieren würden,
weil das Leute sind, die sich gegen den sozialen Aus-

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


gleich stellen, nicht für den Zusammenhalt der Gesell-
schaft einstehen und sich obendrein auch noch häufig
rassistisch verhalten und übrigens nicht selten das sind,
was wir früher einmal „Feinde der freiheitlich demokra-
tischen Grundordnung“ genannt haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich trete nicht dafür ein, dass wir nicht unterschiedli-
che Auffassungen debattieren .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Das ist notwendig . – Ich weiß, dass es für Sie ganz
schwer ist, eine ernsthafte Debatte zu führen, weil Sie
den Eindruck haben, nur bei hohen Wellen wahrgenom-
men zu werden . Ich sage Ihnen: Das ist nicht so . Sie wer-
den auch wahrgenommen, wenn Sie ernsthaft diskutieren
und handeln .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hochmut kommt vor dem Fall! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht ganz so arrogant!)


– Wenn Sie möchten, kann ich Cem Özdemir auch gerne
einmal wörtlich zitieren . Sie können dann ja hierherkom-
men und sagen, was Sie davon halten .

Ich glaube, unterschiedliche Auffassungen zu haben,
ist nicht das Problem . Wir müssen vielmehr aufpassen,
dass wir nicht ein Zerrbild unseres Landes zeichnen .
Dieses Land wird nicht durch rechtsradikale Brandstifter
gekennzeichnet, auch nicht durch kriminelle Ausländer .
Deutschland ist ein handlungsfähiger Staat, ein sehr star-
kes und sehr stabiles Land, das in der Lage ist, vieles zu
bewältigen, wie kein anderes Land der Erde es in dieser
Weise tun könnte . Das ist das Land, von dem wir reden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Weil man das so schnell vergisst, will ich noch ein-
mal in Erinnerung rufen, was wir schon geschafft haben:
Wir haben den Ländern und Kommunen im letzten Jahr
6 Milliarden Euro zur Bewältigung der Flüchtlingskrise
gegeben, und wir alle ahnen, dass das in Zukunft eher
noch mehr werden wird . Wir haben dafür gesorgt, dass
mit hoher Geschwindigkeit Entscheidungszentren auf-
gebaut wurden . Wir haben das Bundesamt für Migra-
tion und Flüchtlinge in kurzer Zeit nicht nur personell
aufgestockt, sondern auch noch mit der Bundesagentur
für Arbeit verzahnt . Wir haben die ersten Arbeitsmarkt-
programme aufgelegt und uns um die Unterbringung
gekümmert; auch die Kommunen haben Phantastisches
geleistet .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich könnte diese Liste fortsetzen . Denken Sie zum Bei-
spiel daran, wie wir mit der Gesundheitsversorgung um-
gehen .

Natürlich haben wir einige Probleme noch nicht ge-
löst, beispielsweise die Frage, wie wir mit dem Fami-
liennachzug für subsidiär Schutzbedürftige umgehen .
Das sind Menschen, die nicht aus Bürgerkriegsgebieten

kommen, die nicht unmittelbar gefährdet sind, aber die
wir aus humanitären Gründen nicht abschieben . Ich bin
mir ziemlich sicher, dass wir eine gute Chance haben,
das heute zu klären . Angesichts der Zahlen, über die wir
dabei reden, ist das eher eine Randfrage; aber es wird
als Beispiel genutzt, um zu zeigen, wir seien angeblich
handlungsunfähig . Deswegen ist es wichtig, dass wir dies
heute klären .


(Beifall des Abg . Dr . Heinz Riesenhuber [CDU/CSU] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Noch einmal: Es ist nicht alles perfekt; aber wir haben
das Erreichte ohne Verteilungskämpfe in diesem Land
geschafft . Wir haben niemandem etwas weggenommen,
damit wir das schaffen können . Es ist nicht zu sozialen
Auseinandersetzungen gekommen . Im Gegenteil: Wir
legen Wohnungsbauprogramme auf, die allen dienen
werden, die in den Großstädten nach bezahlbaren Woh-
nungen suchen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Keine Verteilungskämpfe, trotzdem solide Finanzen und
eine wirklich exzellente Entwicklung auf dem Arbeits-
markt – ich finde, das kann uns Mut geben für das, was
wir noch schaffen müssen .

Wir haben im letzten Jahr im Wesentlichen über Un-
terbringung geredet . Jetzt ist die Zeit, über Integration
und eine nachhaltige Integrationsstruktur zu sprechen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen soziale Investitionen, und zwar wie-
der nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle, die in
Deutschland beispielsweise auf der Suche nach einem
Ganztagsschulplatz sind oder noch keinen Platz in einer
Kindertagesstätte gefunden haben .

Aber es geht auch darum, dass wir ganz generell über
die Frage sprechen: Was ist nötig, damit sich diese wirt-
schaftliche Entwicklung in den nächsten Jahren fort-
setzt? Die Spannungen in unserem Land sind nämlich
nur dann beherrschbar, wenn wir auch in Zukunft Vertei-
lungskonflikte vermeiden. Dafür sind eine erfolgreiche
wirtschaftliche Entwicklung und ein hoher Beschäfti-
gungsstand von großer Bedeutung . Deswegen schlagen
wir vor, in unserem Hause darüber zu debattieren: Was
können wir tun, um den Schritten, die wir zur Stärkung
der Investitionstätigkeit schon gemacht haben, weitere
folgen zu lassen? Auch da hat die Koalition schon viel
geschafft . Immerhin sind die Investitionen des im letzten
Jahr beschlossenen Haushalts 20 Prozent höher als die im
Jahr 2014; wir liegen da jetzt nahe an 30 Milliarden Euro .
Wir haben den OECD-Durchschnitt, 20 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts zu investieren, inzwischen fast
erreicht . Wir haben die Städte und Gemeinden in dieser
Legislaturperiode um 20 Milliarden Euro entlastet, damit
sie wieder investieren können, weil die Kommunen die
Hauptträger öffentlicher Investitionen sind, nicht Bund
oder Länder . Wir werden Länder und Kommunen bis
2018 um sage und schreibe 45 Milliarden Euro entlasten,

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


ein Riesenschritt zur Verbesserung der kommunalen In-
vestitionstätigkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Also: Wie gehen wir auf diesem Weg weiter? Ein
Thema ist natürlich der Breitbandausbau . Der Kollege
Dobrindt hat das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2018 eine
Übertragungsgeschwindigkeit von 50 Megabit pro Se-
kunde bereitzustellen .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir nicht erreichen!)


Wir alle wissen: Das ist ein wichtiges Ziel . Aber es ist nur
ein Zwischenziel, um zu einem wesentlich schnelleren
Netz in unserem Land zu kommen, weil wir nur so an den
digitalen Geschäftsmodellen teilhaben können .

Wir sind dabei, den digitalen Ordnungsrahmen neu
aufzustellen: in Europa mit der Datenschutz-Grundver-
ordnung und bei uns, indem wir das Gesetz gegen Wett-
bewerbsbeschränkungen novellieren und uns fragen:
Können wir eigentlich zulassen, dass die Giganten auf
den Datenmärkten immer größer werden und marktbe-
herrschende Stellungen erreichen?

Wir kümmern uns um die Frage, wie wir den Mit-
telstand in Deutschland stärker an das Thema Digi-
talisierung heranbringen . Das Ziel sind fünf Kompe-
tenzzentren – plus eines für das Handwerk – für die
Digitalisierung im Mittelstand . Wir digitalisieren auch
die Energiewende . Das heißt, wir sind auch da auf dem
Weg . Klar, wir haben noch eine Menge zu tun . Aber die
Bundesregierung hat hier in den letzten zwei Jahren vie-
les auf den Weg gebracht .

Wir sind auch beim Thema „Start-up und Venture Ca-
pital“ weitergekommen . Es gibt ein vorbörsliches Seg-
ment . Wir haben Eckpunkte für ein Venture-Capital-Ge-
setz erarbeitet . Wir haben 2 Milliarden Euro mehr für
Investitionen in unserem Land zur Verfügung gestellt .
Auf all den Feldern, auf denen wir unterwegs sein müs-
sen, um die Investitionstätigkeit weiter anzuregen, um
Start-ups und Gründerzeit zu fördern und die öffentliche
Infrastruktur zu verbessern, hat die Bundesregierung be-
reits vieles auf den Weg gebracht .

Wir haben ein Bürokratieentlastungsgesetz ver-
abschiedet, das mit einer Einsparung von immerhin
1,4 Milliarden Euro Wirkung zeigt . Wir sind beim Bü-
rokratieindex zum ersten Mal unter dem Ausgangswert
100, also unterhalb des Wertes, bei dem wir gestartet
sind; wir haben die Bürokratie nicht ausgebaut .

Ich finde, wir können auch relativ stolz auf das sein,
was wir im Bereich der Energiemärkte inzwischen ge-
schafft haben . In nur zwei Jahren haben wir die verschie-
denen Teile der Energiewende ineinandergreifen lassen,
die losen Fäden miteinander verknüpft . Wir bringen jetzt
Verlässlichkeit und Planbarkeit in die Energiepolitik in
Deutschland zurück .

Meine Damen und Herren, all das sind Bedingungen,
die dieses Land in den kommenden Jahren nutzen kann,
um seinen wirtschaftlichen Aufschwung fortzusetzen .
Natürlich gibt es auch auf einigen Feldern Beratungsbe-
darf . Wenn wir stolz darauf sind, dass unser Anteil der

Ausgaben für Forschung und Entwicklung bei 3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts liegt, während andere Europä-
er nur einen Anteil von 2 Prozent aufweisen, dann kann
ich nur sagen: Das ist eine optische Täuschung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Unsere Wettbewerber in Südkorea oder Asien haben sich
4 bis 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zum Ziel ge-
setzt . Davon sind übrigens immer 80 Prozent private In-
vestitionen und nicht öffentliche . Das heißt: Was können
wir tun, um gerade im Mittelstand die Investitionen in
Forschung und Entwicklung zu befördern?

Mich hat sehr beunruhigt, dass im letzten Jahr die
Investitionen in Forschung und Entwicklung gerade im
Mittelstand deutlich zurückgegangen sind . Das ist das
Rückgrat der deutschen Wirtschaft . Deswegen wird die
Koalition darüber zu beraten haben, wie wir die Inves-
titionstätigkeit in den kommenden Jahren besser fördern
können . Die Debatte geht zwischen Projektförderung und
steuerlicher Forschungsförderung hin und her . Ich bin
zuversichtlich, dass wir uns da verständigen; denn auf
Dauer können wir uns nachlassende Forschungsinvesti-
tionen gerade im Mittelstand mit Blick auf die Wettbe-
werbsfähigkeit nicht leisten, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch in der Industriepolitik gibt es, glaube ich, viel
zu tun . Wir sind auch in diesem Bereich in der Diskus-
sion, zum Beispiel über die Frage, wie wir in einer so
wichtigen Leitindustrie wie der Automobilindustrie das
Thema Elektromobilität voranbringen können . Wir wer-
den uns ohnehin in den nächsten Jahren sehr stark um
die Systemverknüpfung zwischen erneuerbaren Energien
und dem Mobilitätssektor bemühen müssen . Man muss
sich letztlich entscheiden, ob man an dem Ziel von 1 Mil-
lion Elektroautos bis 2020 festhalten will . Dann brau-
chen wir Markteinführungsprogramme und Investitionen
in Ladeinfrastruktur – ohne sie wird es nicht gehen –,
und wir brauchen auch ein Beschaffungsprogramm von
Bund, Ländern und Gemeinden . Sonst kann man dieses
Ziel von 1 Million nicht erreichen . Aber wir müssen von
der Industrie auch eine Gegenleistung fordern,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ist es!)


und diese muss darin bestehen, dass die industrielle Bat-
terieproduktion nach Deutschland zurückkommen muss .
Das ist es, was wir in diesem Land schaffen müssen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, soziale Investitionen brau-
chen wir insbesondere vor dem Hintergrund der Zuwan-
derung, aber nicht nur deshalb . Wir brauchen soziale
Investitionen in Bildung und Erziehung, in Sprachförde-
rung, Qualifizierung, in den Arbeitsmarkt und übrigens
auch in ein System, in dem die soziale Marktwirtschaft
ihrem Namen gerecht bleibt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich weiß, dass in unserem Land Werkverträge und Leih-
arbeit auch in Zukunft zur ganz normalen Flexibilitäts-

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


option unserer Unternehmen gehören müssen . Es kann
aber nicht sein, dass diese Instrumente von Arbeitgebern
missbraucht werden, um sich aus der Arbeitgeberrolle zu
verabschieden .


(Beifall bei der SPD)


Arbeitgeber sind etwas anderes als Manager . Manager
können sich möglicherweise vorstellen, ihren Betrieb so
zu managen, dass dabei im Wesentlichen andere Unter-
nehmen wie Werkvertragsunternehmen tätig sind . Ein
Arbeitgeber in der sozialen Marktwirtschaft hat über den
Produktionsprozess hinaus Verantwortung, auch für die
soziale Sicherheit seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer . Wir möchten gerne, dass die Werkverträge da,
wo sie Flexibilität für Arbeitgeber herstellen, erhalten
bleiben . Wir können nicht Werkverträge an der Stelle
einschränken .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Aber wir wollen nicht, dass der Ausbau bzw . der Miss-
brauch von Werkverträgen und Leiharbeit weiter fort-
schreitet und damit letztlich die Idee des Arbeitgebers in
einer sozialen Marktwirtschaft immer mehr in den Hin-
tergrund gedrängt wird . Das wollen wir nicht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An dieser Schnittstelle werden wir arbeiten müssen .

Meine Damen und Herren, ich weiß, dass zu der Fra-
ge, wie wir in den kommenden Jahren wettbewerbsfähig
bleiben, noch mehr Themen gehören, beispielsweise auch
die Frage, wie es in Europa weitergeht . Aber mir lag auch
beim Jahreswirtschaftsbericht ein bisschen daran, diese
doch wirklich beeindruckenden Zahlen zu nutzen, um zu
zeigen, dass das Land keine Angst haben muss, dass wir
nicht in einem Land leben, das unsicher über sich selber
wird, dass es auch um Themen wie soziale Ungleichheit
im Land geht, dass wir mehr und bessere Primäreinkom-
men brauchen und dass wir auch über die Steuerpolitik
in diesem Land weiter diskutieren und streiten werden .
Für das alles gibt es ausreichend Raum . Aber wir sollten
bei solchen Debatten unseren Bürgerinnen und Bürgern
im Land auch zeigen: Das ist ein verdammt starkes Land,
das eine Menge kann und auf das die Menschen, die das
erarbeiten, ziemlich stolz sein können .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Anhaltender Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815200100


Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815200200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Lieber Herr Minister, lieber Sigmar, in einem Punkt
bin ich mit dir einer Meinung


(Zurufe von der SPD: Oh!)


– ja, in einem Punkt –: Das ist tatsächlich ein star-
kes Land . Es bewältigt Probleme und sorgt dafür, dass
Flüchtlinge vernünftig aufgenommen und betreut wer-
den . Es gibt aber einen großen Unterschied: Dieses Land
ist handlungsfähig; aber bei dieser Regierung habe ich
inzwischen gravierende Zweifel, was die Handlungsfä-
higkeit in dieser Frage betrifft .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Da will ich gleich einmal auf die Flüchtlingskrise ein-
gehen; du hast sie angesprochen, Sigmar . In der Regie-
rung gibt es eine Bandbreite der Diskussion, die von der
Forderung aus Bayern, die Grenzen zu schließen, bis hin
zur Willkommenskultur reicht . Die Kanzlerin wird von
der eigenen Fraktion angesägt; leider ist sie jetzt nicht
mehr anwesend .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch!)


– Ihr wisst doch selber, was ihr macht . Tut doch nicht
so! – Da ihr in dieser Situation die Kanzlerin ansägt und
wir als Opposition sie auch noch verteidigen müssen,
stellt sich die Frage: Wen hättet ihr denn als Alternative?
Da ist doch weit und breit niemand vorhanden . Deshalb
bin ich froh, dass Frau Merkel Kanzlerin ist und nicht
jemand von euch; das will ich mit aller Klarheit sagen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da machen Sie sich mal keine Sorgen!)


Der Jahreswirtschaftsbericht ist verständlicherweise
nichts anderes als ein Selbstlob; daran kann man nichts
ändern . Aber dass man gravierende Fehlentwicklungen
nicht einmal anspricht, ist wirklich ein Problem . 62 der
reichsten Menschen, darunter auch sechs Deutsche, be-
sitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit . Eine
unglaubliche Zahl! In keinem Euro-Land ist der Reich-
tum so ungerecht verteilt wie in Deutschland .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ach komm!)


– Sich der Realität zu verweigern, ist bei euch nichts
Neues . – Ich will euch eine Zahl nennen . Die Schweizer
Bank UBS hat veröffentlicht, dass in Deutschland allein
im Jahre 2014 das Vermögen derjenigen, die 30 Millio-
nen Euro und mehr besitzen, um mehr als 200 Milliarden
US-Dollar gestiegen ist .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Seit 1 . Januar ist es um 10 Prozent gefallen!)


Das entspricht ungefähr zwei Dritteln des Staatshaus-
halts der Bundesrepublik .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Da ist sicherlich der Putin dabei!)


Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


Wie gesagt, es geht hier um den Zuwachs und nicht um
das Vermögen selber . Zwei Drittel des Staatshaushalts
der Bundesrepublik könnten diese reichen Menschen al-
leine von ihrem Vermögenszuwachs bezahlen .

Im letzten Jahreswirtschaftsbericht heißt es – ich habe
das nachgelesen –:

Nach Auffassung der Bundesregierung lassen sich
effizientes Wirtschaften und gerechte Verteilung in
der sozialen Marktwirtschaft nicht trennen .

Ja, einverstanden! Aber dem aktuellen Jahreswirtschafts-
bericht kann ich entnehmen, dass die Löhne weiterhin
langsamer wachsen als die Gewinne . Die Schere wird
also weiter auseinandergehen . Was ich schlichtweg ver-
misse, ist irgendeine Initiative, die dazu dient, die un-
gerechte Verteilung in dieser Republik anzugehen . Da
macht die Bundesregierung nichts . Das ist Arbeitsver-
weigerung .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was könnten Sie tun? Sie könnten die Leiharbeit und
die Werkverträge vernünftig regeln . Aber was tun Sie?
Sie legen ein Gesetz vor, das weit hinter den Anforderun-
gen zurückbleibt .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dieses unzureichende Gesetz wird von der Kanzlerin
dann auch noch angeschossen . So kann man das Problem
nicht lösen .

Welche Möglichkeit hätten Sie noch? Sie könnten
die Vermögen vernünftig besteuern . Aber auch das ma-
chen Sie nicht . Vielmehr schonen Sie die Vermögen der
Reichen . Sie belassen es bei der ungleichen Verteilung .
Damit haben Sie auch nicht das Geld, das dringend not-
wendig wäre, um die Flüchtlingskrise so anzugehen, wie
es angemessen wäre, nämlich mit mehr Wohnungen und
einer vernünftigen Ausstattung der Kommunen, die mitt-
lerweile nicht mehr wissen, wie sie das alles finanzieren
sollen . Aber nein! Die Arbeitsverweigerung dieser Re-
gierung ist unerträglich .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein weiteres Thema, bei dem Sie sich weigern, es an-
zugehen, sind die Bruttoanlageinvestitionen . Sie reden
dauernd von notwendigen Investitionen . Schaut man aber
Ihr eigenes Zahlenwerk an, Herr Gabriel, lieber Sigmar,
dann stelle ich fest, dass die Investitionen des Staates im
Jahre 2015 im Vergleich zu 2014 um 2,1 Prozent gesun-
ken sind . Sie sind also nicht mehr, sondern weniger ge-
worden . Wo bitte schön ist da die Investitionsinitiative?
Wir wissen, dass jährlich 100 Milliarden Euro fehlen, um
die Infrastruktur – Brücken, Straßen, Schulhäuser – in
Ordnung zu bringen . Wir brauchen genügend Geld für
Kindergärten . Aber die Investitionen gehen zurück . So-
lange ihr die Reichen schont und die schwarze Null wie
eine Monstranz vor euch hertragt, euch hinter ihr versam-
melt und euch an den Händen haltet, so lange wird das
Problem nicht gelöst werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, weil er so
aktuell ist, betrifft die bislang nicht angesprochenen Han-
delsabkommen . Nun dürfen wir Abgeordnete in einem
Leseraum im Wirtschaftsministerium nachschauen, was
über unsere Köpfe hinweg zwischen EU und den Ame-
rikanern vereinbart wurde . Tolle Sache! Wenn man sich
genau anschaut, wie das laufen soll, dann haut es einem
den Vogel hinaus . Frau Malmström hat im Wirtschafts-
ausschuss gesagt, es sei ein Bonbon für die Abgeordne-
ten der nationalen Parlamente, dass sie die Unterlagen
überhaupt ansehen dürften . Die Abgeordneten haben
eigentlich nichts zu melden . Schließlich verhandelt die
Europäische Union mit den Amerikanern . Dass wir die
Unterlagen überhaupt ansehen dürfen, ist sozusagen ein
Entgegenkommen . Dass die amerikanischen Abgeordne-
ten mehr Rechte haben, einen tieferen Einblick nehmen,
ihre Mitarbeiter mitnehmen und darüber diskutieren kön-
nen, was in den Abkommen steht, liegt daran, dass diese
in die Verhandlungen einbezogen sind . Bei uns ist es ein
Entgegenkommen, und deshalb sind die Regelungen für
uns anders .

An welcher Stelle sind jetzt die Regelungen anders?
Die Unterlagen sind ausschließlich in Englisch, man
muss sein Handy abgeben, offensichtlich ist ein Sicher-
heitsbeamter dabei, der einem über die Schulter schaut .
Es wird registriert, was man anguckt; es gibt auch keine
Papiere, sondern alles kann nur am Computer angesehen
werden, meine Damen und Herren . Selbstverständlich ist
alles geheim, und man darf nichts sagen . Die Geheim-
haltung bei diesen Abkommen wird nicht verändert . Die
Bürgerinnen und Bürger werden nach wie vor ausge-
schlossen, meine Damen und Herren .

Der Hammer ist, dass selbst die Regelungen, die jetzt
beschlossen wurden und unter denen wir Abgeordnete
uns die Papiere ansehen dürfen, zur Verschlusssache er-
klärt wurden . Auch darüber dürfen wir nicht sprechen . Ja,
meine Damen und Herren, wo leben wir denn eigentlich?

Ich kann sagen: Ich weiß nicht, ob ich das so auf mir
sitzen lasse, ob ich nicht tatsächlich darüber informiere,
welche Regelungen die Abgeordneten zu beachten ha-
ben, wenn sie das einsehen . Das hat mit Geheimhaltung
nichts zu tun . Das gehört an die Öffentlichkeit; denn da
geht es nicht um die Inhalte von irgendwelchen Verhand-
lungen, sondern da geht es darum, wie die Abgeordneten
gegängelt werden, sodass sie diese Sache nicht ordent-
lich behandeln können .

Ich danke Ihnen für das Zuhören .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815200300


Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1815200400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Flücht-
lingsstrom ist sicherlich eine der größten Herausforde-
rungen, die dieses Land jemals zu bewältigen hatte, und
wir haben erhebliche Mühen, um das Thema in den Griff
zu bekommen . Wenn wir diese Herausforderungen meis-
tern wollen, dann müssen wir allerdings auch wirtschaft-
liche Stärke haben, und wenn wir diese wirtschaftliche
Stärke nicht haben, dann werden wir Probleme bekom-
men .

Gott sei Dank – der Wirtschaftsminister hat das völlig
zu Recht dargestellt – ist unsere Situation gut . Ja, sie ist
sogar sehr gut und war eigentlich nie so gut wie jetzt .
Dass wir auch hinsichtlich der Arbeitslosigkeit so gut
aufgestellt sind wie noch nie, das muss man einfach an-
erkennen . Das ist hervorragend .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber – dieses Aber sollten wir uns merken – wir haben
eine Menge an exogenen Faktoren, die unsere wirtschaft-
liche Großwetterlage positiv beeinflussen, die wir nicht
außer Acht lassen können und die sich auch in kürzester
Zeit verändern können . Ich will einmal folgende Punkte
nennen: Der niedrige Ölpreis ist mit Sicherheit nicht nur
für die Bürgerinnen und Bürger eine erfreuliche Sache,
sondern natürlich auch für die Unternehmen . Die nied-
rigen Zinsen sind es genauso, auch wenn man da schon
Zweifel haben kann, ob sie nicht in dem einen oder ande-
ren Fall eher kontraproduktiv sind . Und wir haben einen
Euro, dessen Kurs gegenüber dem Dollar sehr niedrig ist .
Da gibt es enorme Windfall Profits für unsere Unterneh-
men, die in den Dollar-Bereich hinein exportieren . Das
sollten wir nicht vergessen .

Es ist aber nicht garantiert, dass das unbedingt immer
so bleibt . Im Gegenteil: Das kann sich von heute auf mor-
gen ändern. Darauf haben wir keinerlei Einfluss.

Diese ökonomische Schönwetterlage, die wir momen-
tan haben, ist erfreulich . Aber wir müssen darauf achten,
dass wir diese gute Situation auch weiter nutzen und
nicht anfangen, an irgendwelchen Stellen Veränderungen
vorzunehmen, die die Wirtschaft nicht tragen kann .

Ich habe es für richtig gehalten, Herr Bundesminister,
dass Sie eben über das Thema Werkverträge gesprochen
haben . Aber wir dürfen auf keinen Fall dieses Flexibi-
litätsinstrument, das die Unternehmen brauchen, kaputt-
machen –


(Beifall bei der CDU/CSU)


weder bei den Werkverträgen noch bei der Zeitarbeit .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das hat er doch gesagt!)


Wir sollten auch nicht anfangen, im Bereich der Entgelt-
gleichheit neue Lohnbürokratie aufzubauen . Auch das
muss verhindert werden . Bürokratie haben wir genug .
Ich bin froh, dass Sie die „One in, one out“-Regel ins
Gesetz hineingebracht haben . Das sollten wir auch weiter
beachten .

Wir müssen auch im Umweltbereich aufpassen . Ich
fand es völlig richtig, als die Bundeskanzlerin gesagt
hat: Wir können gerade in der jetzigen Situation nicht
unbedingt jede alte, liebgewonnene Regel beibehalten . –
Nein, wir müssen darüber nachdenken, ob wir da Flexi-
bilisierung hineinbringen .

Sie haben völlig recht: Das Thema Investitionen ist
ein ganz wichtiges . Mir macht es Sorge, dass energiein-
tensive Unternehmen – man kann sich die Statistiken
vom VDMA ansehen – nur noch 80 Prozent ihrer Ab-
schreibungen reinvestieren . Was ist das denn? Das ist
nichts anderes als Desinvestition in Deutschland . Ich
gehe einmal davon aus, dass die Unternehmen weiter
existieren wollen, also auch weiter investieren werden,
aber anscheinend nicht mehr bei uns . Da müssen wir uns
fragen: Warum ist das so? Was ist der Grund dafür, dass
nicht in Deutschland investiert wird? Das halte ich für
einen Trend, den ich schon als dramatisch betrachte . Die
Folgen sehen wir erst in einigen Jahren .

Ein sicher ganz wichtiger Punkt ist der hohe Energie-
preis in Deutschland, der hohe Strompreis . Ich will ein-
mal ein Beispiel nennen: Ein Badener Bürger kam vor
drei Tagen zu mir und sagte: Hier ist meine Stromrech-
nung . Ich habe mir eine Wärmepumpe geleistet und zah-
le jetzt schon 600 Euro pro Jahr für die EEG-Kosten . –
Wenn wir so weitermachen, wird dieser Betrag nicht bei
600 Euro bleiben, sondern in kürzester Zeit weit über die
600 Euro steigen und sich in Richtung 1 000 Euro ent-
wickeln .

Die EEG-Umlage beträgt jetzt schon 6,3 Cent pro Ki-
lowattstunde . Mit Blick auf den enormen, weit über die
Korridore hinausgehenden Windkraftausbau – die Kor-
ridore haben wir uns selbst gegeben – kann man sagen,
dass die EEG-Umlage in kürzester Zeit bei einer Grö-
ßenordnung von 8 Cent, eher 10 Cent liegen wird . Dann
wird dieser Badener Bürger 1 000 Euro pro Jahr allein an
EEG-Kosten zahlen . Das ist Kaufkraft, die abgeschöpft
wird und damit in anderen Bereichen fehlt . Ich möchte
nicht nur dem Badener Bürger helfen, sondern ich möch-
te auch ganz gerne dafür sorgen, dass die Unternehmen,
vor allen Dingen die Mittelständler, nicht so belastet wer-
den, dass es zu Abwanderungstendenzen kommt . Genau
das darf nicht passieren .

Ein Punkt ärgert mich ganz besonders . Wer E wie „Er-
neuerbare“ sagt, der muss auch L wie „Leitungsausbau“
sagen; denn der geschieht in Deutschland nicht . Der Lei-
tungsausbau hinkt hinterher .


(Beifall des Abg . Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie alle kennen EnLAG .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist dafür verantwortlich?)


– Sie .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Fuchs, es ist ja ganz interessant, dass Herr Seehofer jetzt bei uns Mitglied ist!)







(A) (C)



(B) (D)


1 700 Kilometer sollen nach dem EnLAG gebaut wer-
den, davon unter anderem 405 Kilometer in dem schönen
Land Niedersachsen . Herr Minister, das liegt Ihnen nahe .
Nun raten Sie einmal, wie viel davon bis jetzt gebaut
wurde .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn seit zehn Jahren?)


Ich sehe Sie verzweifelt, weil nämlich kein einziger Ki-
lometer gebaut wurde .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn hier?)


Das kann nicht sein . Seit 2003 gibt es das EnLAG, seit
2007 ist es in Kraft . 405 Kilometer sollen in Niedersach-
sen gebaut werden, aber nicht ein einziger Kilometer ist
bis jetzt gebaut worden .

Dafür haben wir aber in der gleichen Zeit 5 700 Wind-
masten aufgestellt, nur in Niedersachsen . Insgesamt sind
es in Deutschland 26 000 . Wenn wir es nicht schaffen,
den Leitungsausbau mit dem Ausbau der erneuerbaren
Energien zu synchronisieren, dann wird genau das pas-
sieren, was uns immer mehr belastet, nämlich dass im-
mer mehr Redispatch-Maßnahmen, also das Abschalten
von Windkraftanlagen in der Nord- und Ostsee und das
Hochfahren von alten Anlagen – das geht bis hin zu al-
ten Ölkraftwerken –, im Südteil der Republik stattfinden.
Das Wirtschaftsministerium hat mir auf Nachfrage mit-
geteilt, dass wir im letzten Jahr bereits 1,2 Milliarden
Euro zusätzliche Ausgaben nur für Redispatch hatten .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja Wahnsinn!)


Das fließt dann in die sogenannten Netzentgelte. Darü-
ber wird sich der Badener Bürger demnächst auch wieder
beschweren .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wenn wir es nicht schaffen, den Windkraftausbau mit
dem Leitungsausbau zu synchronisieren, und wenn wir
es nicht schaffen, den Bürgerinitiativen gegen den Lei-
tungsausbau, die es überall gibt, zu sagen, dass wir die
erneuerbaren Energien nur dann ausbauen können, wenn
wir auch bereit sind, parallel dazu den Leitungsausbau
zu beschleunigen, dann werden Kosten entstehen, die wir
uns nicht leisten können .

Ich würde gerne noch drei Worte zu TTIP sagen .
TTIP ist eine Chance für uns, nicht ein Risiko für uns .
Ich verstehe bis heute nicht, warum dieses Land, das das
exportstärkste Land in Europa und das zweitstärkste Ex-
portland in der Welt ist, meint, wir müssten ausgerechnet
den Freihandel zusätzlich beschränken . Die Amerikaner
haben in vielen Bereichen wesentlich strengere Regu-
lierungen als wir . Herr Ernst, fragen Sie einmal bei VW
nach, wenn Sie es mir nicht glauben . Zum Beispiel darf
ein Dieselfahrzeug in den USA maximal 32 Milligramm
NOx ausstoßen, 80 Milligramm sind es bei uns . Die Um-
weltmaßnahmen in den USA sind somit wesentlich stren-
ger als bei uns . Das müssen wir irgendwo harmonisie-
ren; diese Harmonisierung wollen wir zustande bringen .
Dann haben wir auch die Probleme nicht mehr, die wir in
den letzten Jahren dort sehen konnten .

TTIP ist eine Chance für uns . Wer bei TTIP schläft,
der wird durch die Asiaten bestraft, weil TPP und die da-
mit verbundenen Standards dann nämlich viel schneller
kommen . Das wollen wir gemeinsam verhindern .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815200500

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der

Kollege Anton Hofreiter das Wort .


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815200600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Gabriel, Sie haben
gesagt: Das Land ist handlungsfähig . – Ja, das Land ist
handlungsfähig dank Tausender und Abertausender Eh-
renamtlicher, die sich darum kümmern, dass die Flücht-
linge entsprechend versorgt werden, dass die Flüchtlin-
ge anständig behandelt werden . Außerdem ist das Land
handlungsfähig dank Unmengen aktiver Kommunalpoli-
tiker und dank Unmengen Beamter und Angestellter im
öffentlichen Dienst, die einen ganzen Haufen Überstun-
den schieben . Dadurch ist das Land handlungsfähig . Da
gebe ich Ihnen sogar recht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber wenn ich mir anschaue, wie sich die Große Ko-
alition – die CSU und die SPD sind bekanntermaßen Teil
der Großen Koalition – in den letzten Wochen und Mo-
naten benommen hat – dabei geht es nicht darum, einen
sachlichen Streit zu führen –, dann stelle ich fest, dass
diese Regierung nicht handlungsfähig ist . Denke man
allein an den Herrn Seehofer: Er stellt inzwischen zum
fünften Mal dieser Bundesregierung ein Ultimatum . Er
schreibt inzwischen Briefe und spricht davon, dass er
die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht
verklagen will . Ist dieser Mensch jetzt Teil der Großen
Koalition? Ja oder nein? Er ist es! Also stellen wir fest:
Die Große Koalition ist nicht handlungsfähig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber es klagt doch gar nicht die CSU, sondern die Bayerische Staatsregierung!)


Ich sehe hier die Kollegin und den Kollegen von der
CSU und der SPD sitzen, Frau Hasselfeldt und Herrn
Oppermann . Frau Hasselfeldt hat davon gesprochen, dass
die SPD das Koalitionsklima vergiftet . Herr Oppermann
hat davon gesprochen, dass diese Große Koalition ein
Kasperletheater aufführt .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das war Herr Kauder! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, das war ich! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/ CSU]: Nichts Falsches darlegen!)


Dennoch tun Sie so, als wenn das Ganze ein nüchterner,
sachlicher Streit wäre . Nein, Herr Gabriel, einen nüch-
ternen, sachlichen Streit und eine vernünftige Debatte
würden wir von Ihnen erwarten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Michael Fuchs






(A) (C)



(B) (D)


Wissen Sie, wie eine vernünftige Debatte ausschaut?
Eine vernünftige Debatte, Herr Gabriel, schaut so aus:
Man streitet sich . Man überlegt sich etwas . Man ent-
scheidet, man handelt dann und dreht sich nicht wie ein
Brummkreisel die ganze Zeit im Kreis . Bei so etwas ist
zwar Bewegung drin, aber vorwärts geht dabei überhaupt
nichts .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wissen Sie, Herr Gabriel, was man einfach schlicht-
weg feststellen kann? Ihre Koalition hat hier zwar
80 Prozent der Abgeordneten, und wir haben wirklich
ein hervorragendes Land mit klasse Bürgern; aber dieses
Land wird einfach krass unter Wert regiert, unter ande-
rem von Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich hätte mir von der SPD in dieser Krise erwartet,
dass sie ganz klar für die offene Gesellschaft steht, dass
sie ganz klar erläutert, wie wir das schaffen . Erwartet
hätte ich aber nicht diesen wüsten Zickzackkurs, den die
SPD hier aufführt:


(Matthias Ilgen [SPD]: Unfug!)


mal rechts von der Kanzlerin, mal links von der Kanzle-
rin, und fünf Minuten später weiß man schon nicht mehr,
wo sie steht . Das erklärt auch das seltsame Verhalten der
SPD-Ortsverbände in Essen, wo sie einen Lichtermarsch
gegen neue Flüchtlingsheime geplant haben . Ich meine,
das ist ein Symptom Ihres eigenen Zickzackkurses, den
Sie hier aufführen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was erzählt denn dieser Palmer?)


Vielleicht noch ein paar Bemerkungen zu Ihrem
Jahreswirtschaftsbericht . Wissen Sie, Ihr Jahreswirt-
schaftsbericht ist unvollständig, ebenso wie sämtliche
Jahreswirtschaftsberichte der letzten Jahre unvollständig
waren . Sie stellen hier einen Bericht vor, der ökologisch
blind und sozial gleichgültig ist .


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Es erstaunt uns zwar nicht, dass Sie einen Bericht vor-
stellen, der ökologisch blind ist, aber dass Sie einen Be-
richt vorstellen, der sozial gleichgültig ist, ist, wie ich
finde, für einen SPD-Vorsitzenden und für einen SPD-Vi-
zekanzler schon ziemlich bemerkenswert . Sie verlieren
kein Wort dazu, dass die Einkommensungleichheit in die-
sem Land so groß ist, wie seit 20 Jahren nicht mehr . Sie
unternehmen nichts dagegen, dass die oberen 10 Prozent
inzwischen die Hälfte des Nettovermögens besitzen und
dass die unteren 50 Prozent de facto nichts haben . Sorgen
Sie endlich dafür, dass unser Staat gerechter wird! Dann
empfinden die Leute dieses Land auch wieder als gerech-
ter und identifizieren sich stärker mit diesem Land und
dieser Demokratie .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Gabriel, auch in einer ganzen Reihe von Be-
reichen in der Energiepolitik ist dringend etwas zu tun .
Es ist dringend dafür zu sorgen, dass die Kohlenutzung

endlich ausläuft . Die Folgekosten der Kohleverstromung
sind gigantisch . Sie sind nicht nur ökologisch gigantisch,
sondern auch ökonomisch gigantisch .

Ich gestehe Ihnen zu, dass es in der Energiepolitik mit
Ihrem Koalitionspartner schwierig ist . Herr Fuchs hat
hier wieder ein Beispiel abgeliefert von – ich weiß gar
nicht,


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sie wollen die Realität nicht wahrhaben!)


was man dazu sagen soll, wenn man fachlich Ahnung
hat – vollkommener Unbelecktheit in energiepolitischen
Fragen . Ich will politisch nur eines dazu sagen: Bei allen
Volten, die Herr Seehofer schlägt: Dass Seehofer jetzt zu
uns Grünen gehört, Herr Fuchs, möchte ich wirklich be-
streiten .


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ich weiß gar nicht, wo ich das gesagt habe! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das hat er nie gesagt!)


Da der Hauptfeind des Leitungsausbaus in Deutsch-
land Herr Seehofer ist, würde ich sagen: Fassen Sie sich
da mal an die eigene Nase, und reden Sie mal mit Ihren
Kollegen von der CSU, dass es da endlich vorwärtsgeht!
In einem Punkt hatten Sie nämlich recht: Beim Leitungs-
ausbau muss es vorwärtsgehen . Deshalb: Stellen Sie
Herrn Seehofer mal in den Senkel, und lassen Sie sich
von ihm nicht weiter auf der Nase herumtanzen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE])


Zum Schluss: Ja, unser Land ist stark, unser Land ist
handlungsfähig, aber es wird von dieser Bundesregie-
rung unter Wert regiert . Ändern Sie das endlich; denn es
ist Zeit dafür .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sie sind doch überall die großen Verhinderer!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815200700

Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1815200800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass es richtig ist,
einen realistischen Blick auf die Situation in Deutsch-
land zu werfen, und dieser Jahreswirtschaftsbericht tut
das . Aber ich habe ein bisschen das Gefühl, dass wir in
der Debatte ein Schisma haben, also zwei Arten, mit dem
Befund über die wirtschaftliche Lage umzugehen: Wir
haben Mutmacher in diesem Land, und wir haben Mies-
macher in diesem Parlament .


(Lachen bei der LINKEN)


Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


Die vorige Rede war ein Beleg dafür, meine sehr geehr-
ten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mutmacher und Miesmacher, das stimmt!)


Wenn wir uns die Lage angucken, dann stellen wir
fest – das ist nicht zu leugnen –: Es ist tatsächlich so,
dass dieses Land ein wirtschaftliches Wachstum hat . Wir
sind Wachstumsmotor und Stabilitätsanker in Europa –
trotz aller Schwierigkeiten . Wir haben vor allen Dingen
die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der deutschen Einheit
und die höchste Beschäftigungsquote, auch im Bereich
der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, die
das Land je hatte . Das führt übrigens dazu, dass wir nach
Jahren, meine Damen und Herren, endlich wieder Lohn-
zuwächse haben . Die Löhne sind im vergangenen Jahr
stärker gewachsen als in den letzten 20 Jahren, und auch
in diesem Jahr werden sie weiter wachsen . Das führt üb-
rigens dazu, dass wir in diesem Jahr auch endlich wie-
der kräftige Rentenerhöhungen haben werden . Der Auf-
schwung kommt an bei den Menschen in Deutschland .
Das ist die Nachricht, die man nicht verschweigen darf,
Herr Ernst .


(Beifall bei der SPD)


Wenn man sich die wirtschaftliche Lage anguckt,
stellt man fest: Sie ist im Gegensatz zur Vergangenheit
nicht allein vom Export getragen . Wir sind nach wie vor
wettbewerbsfähig und exportstark – mit Verfahren und
Produkten made in Germany sind wir auf den Märkten
der Welt erfolgreich –, aber wir haben jetzt zudem eine
starke Binnenkaufkraft . Die Binnenwirtschaft – der Kon-
sum, auch der Wohnungsbau – trägt mit dazu bei, dass
wir gerade in diesen weltwirtschaftlich unsicheren Zeiten
eine robuste Nachfrage in Deutschland haben .

Wenn wir an die zum Teil hysterischen Debatten-
beiträge einiger zur Einführung des Mindestlohns vor
einem Jahr denken: Der Mindestlohn – das ist nicht zu
leugnen – hat einen Teil dazu beigetragen, dass die Bin-
nenkaufkraft gestiegen ist . Der Jahreswirtschaftsbericht
macht es deutlich . Alle die Horrorszenarien von der Ver-
nichtung von Arbeitsplätzen durch den Mindestlohn sind
nicht eingetreten; das Gegenteil ist der Fall .


(Beifall bei der SPD)


Aber der Jahreswirtschaftsbericht verschweigt auch
nicht, dass es konjunkturelle Risiken gibt . Es sind vor
allen Dingen weltwirtschaftliche Risiken . Die geopoliti-
sche Lage und das nachlassende Wachstum in Schwel-
lenländern sind angesprochen worden .

Wir haben uns natürlich auch bei uns Sorgen zu machen,
weil wir in Deutschland nicht erst seit gestern, sondern
schon über zehn Jahren zu niedrige Investitionen haben,
vor allen Dingen zu niedrige private Investitionen, Kol-
lege Fuchs . Wir sind uns bewusst, dass wir uns bei die-
sem Thema nicht ausruhen können . Da teile ich auch den
Befund: In einer Situation, in der wir niedrige Ölpreise,
niedrige Zinsen und auch eine günstige Entwicklung der
Wechselkurse haben, wäre es eigentlich an der Zeit, dass
hier privatwirtschaftlich kräftig investiert wird .

Wir dürfen uns nicht auf den Erfolgen der Vergangen-
heit und der Gegenwart ausruhen . Vielmehr müssen wir
uns in diesem Land so einrichten, dass wir in Zukunft
wirtschaftlich erfolgreich sind . Deshalb ist es an der Zeit,
dass wir nicht nur die öffentlichen Investitionen in die
Infrastruktur und die kommunale Investitionskraft in den
Blick nehmen – was diese Bundesregierung tut –, son-
dern in dieser Koalition auch beraten, was wir tun müs-
sen, um privatwirtschaftliche Investitionen anzureizen .

Da gibt es ganz unterschiedliche Bereiche, und es
gibt sektorale Rahmenbedingungen . Sie haben an dieser
Stelle die Energiewirtschaft angesprochen . Hier müssen
wir für angemessene Rahmenbedingungen sorgen . Die
Grünen sagen, wir würden die Erneuerbaren abwürgen .
Teile der Union sagen, wir würden die Erneuerbaren zu
massiv ausbauen . Irgendwo in der Mitte zwischen diesen
Extremen liegt die Wahrheit . Wir werden von einer Preis-
steuerung zu einer Mengensteuerung übergehen müssen,
damit die Erneuerbaren weiter kräftig ausgebaut werden,
aber eben kosteneffizienter und auch systemintegriert.

Wir werden uns neben all diesen Fragen auch die
Frage stellen müssen, was wir tun können und müssen,
um wichtige Leitmärkte in diesem Land zu halten und
zu entwickeln . Die Automobilindustrie ist nach wie vor
einer der stärksten Wirtschaftsbereiche dieses Landes .
Über 750 000 Menschen arbeiten in der Automobilindus-
trie – nicht nur in den Automobilunternehmen, sondern
auch in der Zulieferindustrie .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Verkehrsminister tut alles, um das zu ändern! Oder?)


Deshalb ist es richtig, dass wir uns darüber Gedan-
ken machen, was notwendig ist, damit nicht nur jetzt,
sondern auch in Zukunft Wertschöpfung, Arbeit und Be-
schäftigung in der Automobilindustrie in Deutschland
geschaffen werden . Damit wir nicht den Anschluss an
neue Antriebsarten verpassen, müssen wir die Hindernis-
se aus dem Weg räumen, die in diesem Land die Ausbrei-
tung von Elektromobilität verhindern . Das betrifft drei
Bereiche .

Wir haben erstens immer noch einen Preisunterschied .
Es gibt zwar inzwischen auch im Bereich der Elektro-
mobilität ganz viele deutsche Modelle, aber wir haben
nach wie vor einen Preis-Gap zwischen konventionellen
Antrieben und Elektroantrieben . Wir müssen zweitens
etwas tun für die Ladeinfrastruktur in diesem Land . Und
drittens müssen die Reichweiten – das betrifft den Be-
reich Batterieforschung – erhöht werden, damit die Elek-
tromobilität endlich zum Durchbruch kommt .

Minister Gabriel hat es vorhin deutlich gesagt: Jetzt ist
die Zeit, zu handeln, damit wir das gesetzte Ziel – 1 Mil-
lion Elektrofahrzeuge bis 2020 – tatsächlich erreichen
können und nicht verfehlen .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb müssen wir uns in der Koalition verständigen .
Wir haben Vorschläge für Marktanreizprogramme ge-
macht .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na ja!)


Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


– Herr Kauder, Sie werden sich an dieser Stelle auch
noch korrigieren; das sage ich Ihnen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin ja sehr froh, dass einige in der Union jetzt weiter
sind .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Für Innovationen! Nicht für Subventionen!)


Da will ich ausnahmsweise Frau Aigner und Herrn
Seehofer einmal kräftig loben, die uns in unseren Vor-
stellungen unterstützen, weil sie begriffen haben, wie
wichtig es ist – nicht nur für Bayern, sondern für ganz
Deutschland –, dass wir eine zukunftsfähige Automobil-
industrie in Deutschland haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich füge aber auch hinzu: Wenn wir Anreize geben,
dann erwarten wir von der deutschen Automobilindustrie
eine Gegenleistung . Diese Gegenleistung besteht darin,
dafür zu sorgen, dass wir bei uns die gesamte Wertschöp-
fungskette aufbauen . 40 Prozent der Wertschöpfung im
Bereich der Elektromobilität hat etwas mit Batterietech-
nik zu tun . Da das so ist, wollen wir uns nicht darauf
beschränken, dass in Deutschland Fahrzeuge nur zusam-
mengeschraubt werden, sondern wir wollen, dass die
ganze Wertschöpfungskette aufgebaut wird .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb hat die deutsche Automobilindustrie, wenn wir
Anreize geben, eine Verpflichtung, wieder in die Batte-
rieproduktion in Deutschland einzusteigen . Das ist auch
im Interesse von Beschäftigung in diesem Land .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich kenne viele Regionen in Deutschland wie bei-
spielsweise in Sachsen – da schaue ich zum Kollegen
Kretschmer – oder auch in Niedersachsen, in denen wir
nicht nur Forschung im Bereich der Batterietechnologi-
en, sondern auch wirklich wieder Produktion brauchen .
Wir wollen die Batterietechnik nach Deutschland zu-
rückholen, sonst werden wir in diesem Bereich abge-
hängt, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Michael Kretschmer [CDU/CSU] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Zug ist abgefahren!)


Zum Schluss . Es ist angesprochen worden: Beim The-
ma Flüchtlinge – das hat etwas mit der ökonomischen
Entwicklung dieses Landes zu tun – sind wir im Moment
in der Lage, vieles zu schaffen, weil es wirtschaftlich gut
läuft . Aber umgekehrt müssen wir jetzt auch eine gan-
ze Menge schaffen, damit wir tatsächlich wirtschaftliche
und soziale Integration in diesem Land leisten, damit wir
unsere Gesellschaft zusammenhalten, damit wir diejeni-
gen, die zu uns gekommen sind und die dauerhaft bei
uns bleiben werden, tatsächlich gut integrieren können .
Da geht es um Sprache . Es geht um Schule . Es geht um
berufliche Ausbildung. Es geht um die Integration in Ar-
beit . Es geht auch um Wertevermittlung . Deshalb sind
jetzt neben den privatwirtschaftlichen und infrastruktu-

rellen Investitionen die sozialen Investitionen das Gebot
der Stunde .

Ich will das an einem Aspekt verdeutlichen: Allein
durch die Entwicklung der Flüchtlingszahlen im letzten
Jahr haben wir 300 000 zusätzliche Kinder und Jugendli-
che im schulpflichtigen Alter. Wir brauchen Investitionen
in unsere Schulen, in Bildung und Ausbildung . Ich sage
an dieser Stelle: Da muss auch der Bund mitmachen kön-
nen . Deshalb muss dieses unsinnige Kooperationsverbot
an dieser Stelle endlich weg, sonst erleben wir Unfrieden,


(Beifall bei der SPD)


sonst verschlechtert sich die Unterrichtsqualität für die
Schüler, die schon hier sind, und wir schaffen die Inte-
gration nicht .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815200900

Herr Kollege .


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1815201000

Aber vor allen Dingen – das ist der Zusammenhang

mit der Wirtschaft – hat die Wirtschaft recht .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815201100

Herr Kollege Heil, würden Sie freundlicherweise ge-

legentlich einmal einen Blick auf die Uhr werfen?


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1815201200

Gerne, Herr Präsident . – Oh, da ist ja eine Uhr .


(Heiterkeit)


Deshalb sage ich zum Schluss – mit Verlaub, Herr Prä-
sident, danke für die Erinnerung –: Dieses Land ist ein
starkes Land . Wir haben eine starke Wirtschaft . Wir ha-
ben einen starken, handlungsfähigen Staat, vor allem ha-
ben wir aber eine starke Gesellschaft . Das sind die Vo-
raussetzungen dafür, dass wir es wirtschaftlich und sozial
tatsächlich schaffen können .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815201300

Joachim Pfeiffer ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1815201400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

sprechen heute über den Jahreswirtschaftsbericht und
den Ausblick auf 2016 und 2017 . Der Bericht ist durch-
aus erfreulich; der Wirtschaftsminister hat dies eingangs
vorgetragen .

Das war nicht immer so . Wenn wir zurückblicken:
Vor 12, 13, 14 Jahren – ich bin seit 2002 im Deutschen
Bundestag – war der Jahreswirtschaftsbericht immer un-

Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


erfreulich . Wir hatten damals die Situation, dass die Zahl
der Arbeitslosen zunahm .


(Zuruf des Abg . Dr . Michael Fuchs [CDU/ CSU])


Hunderttausend Menschen mehr in Arbeitslosigkeit sind
ein enormer Kostenfaktor für die öffentliche Hand . Pro
Arbeitslosen sind das im Jahr 18 000 bis 19 000 Euro
plus weitere sekundäre Effekte, also weniger Steuerein-
nahmen und anderes mehr, in einer Größenordnung von
15 000 Euro . Das bedeutet: Wir, die öffentlichen Haus-
halte, hatten 2003 – um einen Zehnjahreszeitraum zu
wählen – direkte und indirekte Ausgaben für die Folgen
der Arbeitslosigkeit in Höhe von 92 Milliarden Euro pro
Jahr: Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosengeld I, Ar-
beitslosengeld II, Zahlungen in die Sozialversicherung
aus den öffentlichen Kassen und weniger Einnahmen bei
den Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen . Umge-
kehrt bedeuten aber Hunderttausend Menschen mehr in
Arbeit allein 1,3 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen
pro Jahr . Das ist der Haupterfolgsgrund, warum es uns in
Deutschland immer noch so gut geht .

Sigmar Gabriel hat vorhin darauf hingewiesen:
43,3 Millionen Menschen in diesem Jahr, wahrscheinlich
43,7 Millionen Menschen im nächsten Jahr in Lohn und
Brot . Um noch einmal die Zahlen von 2003 und 2013
zu vergleichen: 2003 haben wir insgesamt 92 Milliarden
Euro ausgegeben, 2013 nur noch 54 Milliarden Euro .
Rechnet man dieses auf das BIP um, so ist die Quote von
über 4 Prozent auf circa 2 Prozent gesunken . Das macht
deutlich, wo wir einen Spielraum hatten . Diesen Spiel-
raum haben wir für Strukturreformen am Arbeitsmarkt
genutzt, um aus dem Teufelskreis von mehr Arbeitslosen,
weniger Sozialversicherungseinnahmen und weniger
Steuereinnahmen herauszukommen .

Die Agenda 2010 war ein wichtiger Punkt . Diese ist
heute oftmals etwas vater- oder mutterlos .


(Hilde Mattheis [SPD]: Überhaupt nicht!)


Ich glaube, es war genau der richtige Weg . Wir müssen
jetzt aufpassen, dass wir diese zentralen Strukturrefor-
men, die Flexibilisierung am Arbeitsmarkt, nicht wieder
rückgängig machen .

Wir haben sie genutzt, um mehr in Innovationen zu in-
vestieren . Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung
sind heute so hoch wie nie zuvor, und sie werden zielge-
richtet in neue innovative Felder und Sektoren investiert .
Gleichzeitig haben wir die Haushalte konsolidiert . Wir
werden auch in 2016 eine Nullverschuldung haben und
die Konsolidierung weiter vorantreiben . Deutschland ist
eines der wenigen Länder in Europa, in denen die Staats-
verschuldung sinkt . Wir hatten eine Quote von über
83 Prozent auf dem Höhepunkt der Krise . Jetzt liegt sie
bei unter 70 Prozent, und wir gehen in Richtung 60 Pro-
zent, so wie es das Maastricht-Kriterium vorsieht . Das ist
die Folge von Konsolidieren und Investieren .

Diesen Teufelskreis haben wir verlassen . Jetzt sind
wir sozusagen in einer Art Glücksspirale und müssen
diesen Weg weiter fortsetzen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glücksspirale ist Lotterie!)


Glück fällt einem aber nicht einfach nur vor die Füße,
sondern Glück ist auch das Ergebnis harter Arbeit von
Unternehmen und Arbeitnehmern, aber auch von Konso-
lidieren und Investieren . Gerade in die Richtung der Grü-
nen kann ich sagen: Man kann das auch anders machen .
Schauen Sie nach Baden-Württemberg .


(Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da läuft es gut! – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da läuft es richtig, richtig gut!)


In Baden-Württemberg haben Sie es in der Zeit Ihrer
Regierungsverantwortung geschafft, den Haushalt um
30 Prozent aufzublähen und die höchste Verschuldung
in der Geschichte Baden-Württembergs herbeizuführen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das stimmt nicht!)


So ist das, wenn man den Grünen und leider auch den
Sozialdemokraten in Baden-Württemberg die Regierung
überlässt . Wie man das bei gleichen Rahmenbedingun-
gen anders macht, haben wir hier im Bund gezeigt .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Pfeiffer, seien Sie doch einmal ehrlich! Es kann sich kein Mensch vorstellen, dass der Wolf Ministerpräsident wird, und Sie auch nicht!)


Jetzt geht es darum, die Wachstumspotenziale weiter
zu heben . Der Freihandel ist angesprochen worden . Herr
Ernst, es wird immer abstruser . Sie haben keine einzige
Aussage zum Inhalt gemacht . Jetzt haben Sie Zugang zu
entsprechenden Dokumenten, und jetzt ist es auch wieder
nicht recht .


(Zuruf des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


– Melden Sie sich einmal an . Ich habe es getan . Wir spre-
chen uns dann in der nächsten Sitzungswoche und sehen,
welche Dokumente dort sind und welche nicht .

Sie vergleichen hier Amerikaner mit Deutschen .
Aber es ist so, dass die amerikanischen Kolleginnen und
Kollegen – im Gegensatz zu uns – hier federführend
verhandeln, weil die USA mit der Europäischen Union
verhandeln . Wir hingegen haben dieses Mandat übertra-
gen . Die Europäische Union hat von uns ein Mandat zur
Verhandlung bekommen . Die europäischen Kolleginnen
und Kollegen, die in diesem Ausschuss sind, haben die
gleichen Rechte wie die Amerikaner . Insofern lassen Sie
uns über die Sache reden und nicht immer irgendwelche
Scheingefechte austragen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dann gilt es, neue Technologien zu fördern .

Dr. Joachim Pfeiffer






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815201500

Herr Kollege Pfeiffer, darf der Kollege Ernst eine

Zwischenfrage stellen?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1815201600

Unbedingt .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815201700

Herr Pfeiffer, Sie haben sicher zur Kenntnis genom-

men, dass das Thema Transparenz ein zentrales Thema
der TTIP-Debatte ist . Wenn das so passiert, wie Sie es
jetzt sagen, wenn Sie so argumentieren, dann akzeptieren
Sie, dass die europäischen Abgeordneten, die EU, letzt-
endlich verhandeln und zu einem Abschluss kommen und
dass die nationalen Parlamente das Ergebnis nur noch ab-
nicken können . Wir waren immer gemeinsam der Auf-
fassung, dass es sich um ein gemischtes Abkommen han-
delt, dass also auch die Parlamente der nationalen Staaten
mitreden und mit Einfluss nehmen dürfen. Ich habe auch
Herrn Lammert, unseren Bundestagspräsidenten, so ver-
standen, als er sagte, er könne sich eine Zustimmung ei-
gentlich nicht so vorstellen, dass man nur abnickt . Ich
weiß nicht, wie ich Ihre Aussage hier werten soll .

Herr Pfeiffer, schauen Sie sich die Richtlinien an, die
uns zugegangen sind . Fakt ist: Wenn wir diese Räume be-
treten, dann werden wir behandelt, als würden wir einen
Schwerverbrecher in einem Sicherheitsknast besuchen .
Ich bin es nicht gewohnt, dass hinter mir ein Mitarbei-
ter des Sicherheitsdienstes steht, wenn ich irgendwelche
Unterlagen lese . Ich bin es auch nicht gewohnt, dass ich
sozusagen alles abgeben muss . Ich bin es auch nicht ge-
wohnt – und ich wiederhole das noch einmal; denn Sie
haben dazu nichts gesagt –, dass selbst die Regeln, die
wir als Abgeordnete bei der Einsicht in diese Dokumente
beachten müssen, geheim sind . Ja, Herr Pfeiffer, geht es
denn noch? Wollen Sie das wirklich positiv bewerten?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1815201800

Zunächst sage ich: Wie das mit dem Sicherheitsdienst

oder dem Staatssicherheitsdienst funktioniert, das kann
ich nicht beurteilen . Da kenne ich mich nicht aus . Fra-
gen Sie Frau Wagenknecht, die weiß das wahrscheinlich
besser als ich .


(Zurufe von der LINKEN)


Ich kann Ihnen aber gern etwas zum Freihandel und
zu TTIP sagen . Was ist die Vereinbarung? Wir haben im
Lissabon-Vertrag zuletzt das Verhandlungsmandat auf
die Europäische Union übertragen . Wir, und zwar nicht
nur Deutschland, sondern 28 Staaten der Europäischen
Union, haben gesagt: Es gibt einen Verhandlungsrahmen,
innerhalb dessen die Europäische Union verhandelt . Die
Europäische Union informiert uns regelmäßig über den
Stand der Verhandlungen .

In der letzten Sitzungswoche war die zuständige Kom-
missarin Malmström hier bei uns im Ausschuss und hat
uns zum aktuellen Verhandlungsstand in allen Punkten
Rede und Antwort gestanden . Sie waren dabei . Wir wa-
ren im November in Brüssel und haben mit ihr gespro-

chen . Die Chefunterhändler sind ständig hier . Ich kann
überhaupt nicht erkennen, wo es hier in der Sache oder
bei sonst etwas an Transparenz fehlt und wo es bei Ihnen
ein Informationsdefizit gibt. Wo das bei Ihnen besteht,
würde mich mal interessieren . Sie haben heute keinen
einzigen Satz zu der Sache gesagt, um die es geht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Matthias Ilgen [SPD])


Die Vermutung liegt nahe, dass es bei Ihnen nicht um die
Sache geht,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


sondern dass Sie dieses Thema als Monstranz vor sich
hertragen . Sie projizieren alle möglichen Ängste und Be-
fürchtungen auf TTIP und begründen damit, gegen TTIP
zu sein . Das ist, was ich kritisiere .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist es!)


TTIP bietet die letzte Chance, die Globalisierung ge-
meinsam mit den Amerikanern mit unseren Standards,
in unsere Richtung zu gestalten . Sonst werden es andere
tun .

Herr Präsident, ich bin eigentlich immer noch bei der
Beantwortung der Zwischenfrage .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815201900

Ja, ich weiß, dass die Kreativität von Rednern, Zwi-

schenfragen zu einer Verdoppelung der Redezeit zu nut-
zen, nahezu unbegrenzt ist . Dem muss ich mit Blick auf
unser eigenes, beschlossenes Zeitregime widerstehen . –
Bitte schön .


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1815202000

Dann muss ich allerdings mit den Wachstumspotenzi-

alen fortfahren . –


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wachstumspotenziale birgt nicht nur der Freihandel, son-
dern auch der Energiebereich . Es geht darum, dass wir
bezahlbare Energiepreise haben; Kollege Fuchs hat es
ausgeführt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Fuchs hat Unsinn erzählt!)


Um es deutlich zu machen: Wir haben in dieser Koalition
gemeinsam Ausbaupfade bis 2020, 2025 und 2030 verab-
redet . Dem haben auch die Bundesländer – auch die unter
grüner Beteiligung – zugestimmt . Jetzt zeigt sich, dass
der Ausbau schneller vorangeht und wir die Erzeugungs-
mengen des Jahres 2030 wahrscheinlich bereits 2019 er-
reichen, der Netzausbau aber weitaus schleppender und
langsamer vorangeht . Deshalb müssen wir hier korrigie-
ren und die Dinge entsprechend zueinanderbringen .

Ich möchte noch kurz auf das Thema Digitalisierung
eingehen . Es birgt ungeahnte Chancen, dass die physi-
sche mit der digitalen Welt verschmilzt und wir eine neue
Vernetzung von Produktion, Logistik und Kunden errei-
chen, die wir auch in unseren traditionellen industriellen






(A) (C)



(B) (D)


Bereichen nutzen müssen . Ich möchte an dieser Stelle die
Gelegenheit nutzen, darauf hinzuweisen, dass damit auch
Gefahren verbunden sind, denen wir uns stellen müssen,
Stichwort: Cyber Crime und Cybersicherheit . 40 Prozent
aller Branchen waren in den letzten zwei Jahren von Cy-
berkriminalität betroffen; die Zahlen haben sich in den
letzten Jahren erhöht . Bei den Finanzdienstleistern waren
es sogar 55 Prozent . Der Schaden in den Jahren 2013 und
2014 wird auf eine Größenordnung von 50 bis 60 Milli-
arden Euro geschätzt, also mehr als 1 Prozent des Brut-
toinlandsprodukts .

Wir müssen auch darüber sprechen, wie wir das geis-
tige Eigentum insbesondere des Mittelstands schützen
können, wie wir dafür sorgen können, dass die Daten
eines Unternehmens, das an einer Ausschreibung teil-
nimmt, nicht den Wettbewerbern oder anderen Staaten
bekannt werden . Das ist eine Aufgabe, der wir uns im
Rahmen der Digitalisierung widmen müssen .

Wenn es uns gelingt, in der Glücksspirale zu bleiben,
in der wir uns befinden,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Glücksspirale ist eine Lotterie!)


indem wir die wirtschaftliche Entwicklung mit Innova-
tionen, mit Digitalisierung und mit Flexibilisierung am
Arbeitsmarkt und am Gütermarkt befeuern, dann wird
es auch in den nächsten Jahren Grund zur Freude geben,
wenn es gilt, den Jahreswirtschaftsbericht vorzustellen,
dann werden wir weiterhin eine positive Entwicklung
konstatieren können . In diesem Sinne arbeiten wir in die-
sem Jahr daran, dass es im nächsten Jahr so weitergehen
kann .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815202100

Die Kollegin Wawzyniak erhält nun für die Fraktion

Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815202200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Herr Gabriel, Sie haben jetzt in Ihrer 22
Minuten langen Regierungserklärung zum Thema „Zu-
kunftsfähigkeit sichern – Die Chancen des digitalen
Wandels nutzen“ für zwei Minuten vier digitale The-
men angeschnitten . Ich dachte ja eigentlich, heute käme
Digi-Siggi, der Checker des Digitalen . Sie sind aber
Analog-Siggi geblieben .


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das wäre schön gewesen!)


Dieser Umgang mit Chancen des digitalen Wandels ist
ein Problem . Wir brauchen – besser gestern als heute –
Antworten auf die Herausforderungen, die mit der Digi-
talisierung einhergehen, und zwar solche, von denen alle

profitieren können. Wie Sie mit diesem Thema umgehen,
ist wenig zukunftsfähig .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach was!)


Dabei steht doch im Jahreswirtschaftsbericht sogar et-
was zum Digitalen . Ich sage Ihnen gleich etwas zu dem,
was da ab Ziffer 110 steht, nämlich zu Netzneutralität,
Störerhaftung und Breitbandausbau .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wichtige Themen!)


– Ja, diese wichtigen Themen kamen aber leider nicht
vor .

Dass die Störerhaftung beim Betreiben offener
WLAN-Netze das größte Hindernis für die Verbreitung
öffentlicher Funknetze ist, gilt als unbestritten . Und dass
offene Funknetze hilfreich wären, um Menschen mit ge-
ringem Einkommen und Geflüchteten einen Internetzu-
gang zu ermöglichen und innovative Geschäftsideen zu
fördern, liegt auf der Hand .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Doch statt die Störerhaftung abzuschaffen, zementieren
Sie sie . Grüne und Linke haben einen entsprechenden
Gesetzentwurf vorgelegt, dem könnten Sie zustimmen .
Wenn Sie uns nicht vertrauen, dann vertrauen Sie dem
Arbeitskreis Urheberrecht der SPD-Bundestagsfraktion .
Der fordert nämlich, dass WLAN-Anbieter als Zugangs-
anbieter nicht für Rechtsverletzungen ihrer Nutzer haf-
ten, auch nicht im Rahmen der Störerhaftung . Und da hat
der Arbeitskreis Urheberrecht der SPD-Bundestagsfrak-
tion recht .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun soll der Telekom erlaubt werden, DSL-Anschlüs-
se mithilfe des Einsatzes des sogenannten VDSL2-Vec-
toring an den Hauptverteilern zu beschleunigen . Dumm
nur, dass dadurch verhindert wird, dass Konkurrenten der
Telekom ihre Technologie einsetzen können


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das verhindert den Glasfaserausbau!)


und ein neues Quasimonopol der Telekom geschaffen
wird . Kein Wunder, dass die Mitbewerber überlegen, vor
das Bundesverfassungsgericht zu ziehen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na dann: Viel Spaß!)


Sie geben beim Breitbandausbau veralteten Technologi-
en den Vorrang, anstatt den Glasfaserausbau zu unterstüt-
zen . Sie können damit zwar möglicherweise in ein paar
Jahren das Erreichen eines niedrigen Ziels verkünden,
aber in zehn Jahren stehen wir vor demselben Problem .
Sie vertagen die Lösung des Problems und verspielen
eine große Chance .

Sie sagen, Sie wollen Start-ups fördern, um endlich ei-
nen Gegenpol zum Silicon Valley in Kalifornien zu schaf-
fen . Ein Grundpfeiler für Chancengerechtigkeit kleiner
IT-Unternehmen ist aber die Netzneutralität . Doch statt

Dr. Joachim Pfeiffer






(A) (C)



(B) (D)


jetzt tätig zu werden und wenigstens das bisschen Netz-
neutralität aus der EU-Verordnung abzusichern, warten
Sie lieber ab und lassen so die Start-ups im Stich . Han-
deln Sie doch einfach, wie im Antrag der Linken emp-
fohlen . Wenn Sie dann noch etwas für kleine und mittlere
Unternehmen machen wollen, dann setzen Sie doch ein-
fach bei öffentlichen Aufträgen auf Open-Source-Soft-
ware und nicht auf Software großer Konzerne .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Über die Veränderungen der Erwerbsarbeitswelt durch
Digitalisierung wäre noch viel zu sagen . Ich will nur kurz
auf die Situation von Click- und Crowdworkern auf-
merksam machen, die sich von einem schlecht bezahlten
Auftrag zum nächsten hangeln . Der Mindestlohn greift
hier nicht, viele sind selbstständig . Es wäre also an der
Zeit, ein Mindesthonorar einzuführen, das allen prekär
arbeitenden Selbstständigen zugutekäme .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man darüber spricht, die Chancen der Digita-
lisierung zu nutzen, könnte man auch über viele andere
Themen sprechen, nämlich Datenschutz, Urheberrecht,
IT-Sicherheit, Bildung, Weiterbildung, Nachhaltigkeit
und Landwirtschaft . Kluge, konkrete und zügige Maß-
nahmen würden dabei helfen, die Chancen der Digitali-
sierung so zu nutzen, dass alle davon profitieren. Aber –
wir haben es gehört – diese Regierung hat nicht einmal
Ideen, geschweige denn einen Plan, den man umsetzen
könnte .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815202300

Ich erteile das Wort dem Kollegen Bernd Westphal für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1815202400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der
Jahreswirtschaftsbericht 2016 ist eine Erfolgsstory . Trotz
eines europäischen und globalen Umfelds der Unsicher-
heit ist es gelungen – das belegt der Bericht –, dass sich
die Wirtschaft gut entwickelt hat . Einige Kennzahlen
hat der Bundeswirtschaftsminister genannt: Beschäfti-
gung, gute konjunkturelle Lage und die Einkommen sind
gestiegen – alles gute Parameter für eine positive Ent-
wicklung . Dieses Ergebnis ist sicherlich Auswirkung der
klugen Wirtschaftspolitik unseres Wirtschaftsministers
Sigmar Gabriel, guter Unternehmensführung, aber vor
allem ist es das Verdienst von engagierten, motivierten
und gut ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern in unserem Land .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese positive Entwicklung gilt es nun zu erneuern .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Gut so!)


Herr Fuchs, Sie haben das Stichwort der Entbürokrati-
sierung gebracht . Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass
wir die Chance haben, in § 6 des Einkommensteuerge-
setzes die Grenze für die sofortige Abschreibung gering-
wertiger Wirtschaftsgüter von 400 Euro auf 800 Euro zu
erhöhen . Wir sollten zusehen, dass mehr direkt bei den
Unternehmen ankommt, und entsprechende Regelungen
auf den Weg bringen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen eine Politik für Fortschritt und Gerech-
tigkeit . Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor dem digi-
talen Wandel . Es ist enormes Potenzial vorhanden . Ein
großer Teil des Jahreswirtschaftsberichts widmet sich
diesem Thema . Stichworte sind „Industrie 4 .0“ und „Ar-
beit 4 .0“ . Das Potenzial dieser vierten industriellen Re-
volution müssen wir heben . Dafür sind Investitionen und
Innovationen notwendig . Nachhaltig erfolgreiche Unter-
nehmen zeichnen sich durch ein innovationsfreundliches
Umfeld aus . Bedeutung erlangen dabei vor allen Dingen
gute Arbeitsbedingungen, Mitbestimmung, starke Ge-
werkschaften und eine starke, verlässliche, vertrauens-
volle Sozialpartnerschaft . Das sind die Voraussetzungen
dafür .

Deutschland ist von der industriellen Produktion und
vom Export abhängig . Industrie, Handwerk, Mittelstand
sind Garanten unseres Wohlstands . Sie sorgen für Ein-
nahmen bei den Sozialversicherungen und für hohe Steu-
ereinnahmen der öffentlichen Hand . Die europäische
Integration und faire Handelsbedingungen sind dement-
sprechend zu gestalten . Wir brauchen in dem Fall mehr
Europa und nicht weniger .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben einen berechenbaren Kurs bei der Energie-
wende . Das Prinzip der Nachhaltigkeit wird dabei deut-
lich sichtbar; denn wir haben sinkende CO2-Emissionen
und ein steigendes Bruttoinlandsprodukt . Das ist eine
sehr gute Situation. Global betrachtet findet aber das Ge-
genteil davon statt: Da haben wir steigende CO2-Emis-
sionen .

Wir müssen aber darauf achten, dass wir uns beim
Ausbau des Bereichs der erneuerbaren Energien an dem
Korridor orientieren, der im Koalitionsvertrag vereinbart
wurde . Vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dass
der Netzausbau synchron dazu verläuft .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Derzeit benötigen wir für eine verlässliche Energiever-
sorgung auch fossile Energieträger, zumindest so lange,
wie PV, Wind, Speicher und Co . nicht ausreichend zur
Verfügung stehen . Wir dürfen uns keine unkalkulierbaren
Ausstiegsszenarien leisten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Anmerkung
zum Thema Flüchtlinge: Die aktuelle Situation ist sicher-
lich eine Herausforderung, an einigen Stellen aber auch

Halina Wawzyniak






(A) (C)



(B) (D)


eine Überforderung . Wir wollen Grund- und Menschen-
rechte nicht außer Kraft setzen, aber die Integrations-
kapazitäten stoßen an ihre Grenzen . Die Probleme sind
vielschichtig, sie sind komplex und teilweise auch kom-
pliziert . Abgesehen von der Bewältigung des derzeitigen
Zustroms brauchen wir für die Zukunft ein verlässliches
Einwanderungsgesetz, mit dem genau dieser Zustrom
gesteuert wird . Deshalb müssen wir uns trotz der gegen-
wärtig schwierigen Situation jetzt auf den Weg machen,
um so etwas für Deutschland als Einwanderungsland zu
vereinbaren .


(Beifall bei der SPD)


Herr Hofreiter, Sie haben gesagt, dass Sie das Thema
„Nachhaltigkeit“ im Jahreswirtschaftsbericht vermisst
haben . Als Mitglied des Parlamentarischen Beirats für
nachhaltige Entwicklung darf ich Sie darauf aufmerk-
sam machen, dass der Jahreswirtschaftsbericht ein Ka-
pitel enthält, in dem steht, dass die globalen Nachhaltig-
keitsziele, die in New York im September letzten Jahres
vereinbart worden sind, die Richtschnur für unsere Wirt-
schaftspolitik sind . Es ist also nicht so, wie Sie es gesagt
haben; denn unsere Wirtschaftspolitik orientiert sich ge-
nau an diesen Nachhaltigkeitszielen, und das ist in die-
sem Bericht klar zu erkennen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Andreas Lenz [CDU/CSU])


Wir als SPD stellen die Weichen für ein modernes,
weltoffenes und wettbewerbsfähiges Deutschland . Wir
können Wirtschaftspolitik!

Herzlichen Dank . Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815202500

Dieter Janecek ist der nächste Redner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .


Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815202600

Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Kollege Pfeiffer,

mit dem Bild von der Glücksspirale, das Sie im Zusam-
menhang mit der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung
gezeichnet haben, bin ich ja sehr einverstanden; aber da
endet dann schon die Einigkeit .

Ich habe eine Frage an den Minister . Sie schreiben in
der Großen Koalition ja viele Briefe . Ich weiß nicht, ob
Sie in der Großen Koalition auch noch miteinander re-
den .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ununterbrochen! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch, und zwar über die Briefe! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diesbezüglich hätte ich gerne eine Stellungnahme von
Ihnen zur Flüchtlingspolitik . Herr Minister Dobrindt hat
gesagt, dass Grenzschließungen eine gute Sache seien .
44 Abgeordnete der CDU sagen, dass Grenzschließungen
und verschärfte Grenzkontrollen gut seien . Entspricht

das der Meinung des Wirtschaftsministers? Sind Sie der
Meinung, dass das für eine vernetzte Ökonomie gut ist?
Sind Sie der Meinung, dass Staus auf den Autobahnen
infolge geschlossener Grenzen für unsere Wirtschaft gut
sind? Glauben Sie nicht, dass wir dadurch Milliarden
verlieren würden? Dazu hätte ich gerne einmal eine Stel-
lungnahme von Ihnen . Sagen Sie hier einmal, ob das, was
Herr Dobrindt sagt, auch Ihrer Position entspricht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


Die Debatte heute stand ja unter der großen Über-
schrift: Chancen des digitalen Wandels . Gesprochen
dazu haben eigentlich ausschließlich die Linken und ein
bisschen noch Sie . In der einen Minute Redezeit, die mir
jetzt verbleibt, versuche ich, das Thema aufzumachen .
Was ist dazu zu sagen?


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben ja groß angefangen: die Champions League,
die Aufholjagd . Vielleicht waren das auch die Worte von
Herrn Dobrindt . Ich glaube, bei Ihnen nimmt man es
differenzierter wahr . Aber man muss sich auch um den
Markt, um die Rahmenbedingungen kümmern . Da frage
ich Sie: Wo waren Sie zum Beispiel beim Thema Netz-
neutralität? Sie auf der rechten und Sie auf der linken
Seite, Ihre Parteikollegen haben im Europäischen Parla-
ment dagegengestimmt, dass wir faire Wettbewerbsbe-
dingungen bekommen . Das kann es ja wohl nicht sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Trauerspiel!)


Schauen wir uns das Thema Breitband an . Die Auto-
bahnen sollen jetzt untertunnelt werden . Das ist ja alles
schön . Aber gerade einmal jedes dritte Unternehmen hat
momentan schnelles Internet . Das ist die Realität 2016 .
So kommen wir wirklich nicht voran .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Thema E-Government . In Estland braucht man heute
keinen Kugelschreiber mehr . Vertreter des Bundesinnen-
ministeriums waren bei uns im Ausschuss Digitale Agen-
da . Ich habe sie gefragt: Was machen Sie denn in den
nächsten Jahren? – Sie haben geantwortet: Na ja, 2020
fangen wir vielleicht einmal an; denn kulturell ist das
mit unseren Behörden, mit unserer Bundesbehörde ganz
schwierig . – Wo sind die 45 Milliarden Euro Einsparpo-
tenzial, die der Normenkontrollrat im Zusammenhang
mit dem E-Government genannt hat? Wo realisieren Sie
dieses Potenzial? Wo gehen Sie das an? Die Unterneh-
men haben 130 Behördengänge pro Jahr . Sie würden das
gern digital machen . Dazu würde ich Ihnen gern ein paar
Vorschläge mitgeben .

Vielen Dank . So weit für heute .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Bernd Westphal






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815202700

Nächste Rednerin ist die Kollegin Nadine Schön für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Janecek, jetzt hätte mich doch
interessiert, welche Vorschläge Sie in Ihren zwei Minu-
ten Redezeit zum digitalen Wandel machen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie hätten ihm ja Redezeit abgeben können!)


Dazu haben Sie sich leider keine Zeit mehr genommen .
Aber vielleicht sagen Sie in einer der kommenden Debat-
ten etwas dazu .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kritisieren ist einfacher!)


Leistungsfähig, wettbewerbsfähig und zukunftsfä-
hig – das sind die drei Schlagworte, die heute immer
wieder genannt werden . Dass wir leistungsfähig und
wettbewerbsfähig sind, bestätigen, denke ich, dieser
Wirtschaftsbericht und die Zahlen . Wir haben die ge-
ringste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung . Wir
haben ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent . Die
Löhne steigen . In diesem Jahr steigen auch die Renten
deutlich . Ich denke, das kann sich sehen lassen . Das ist
das Ergebnis von guten politischen und wirtschaftlichen
Weichenstellungen in den letzten Jahren .

Ob wir zukunftsfähig sind, hängt jetzt von uns ab .
Das ist die Aufgabe dieser Regierung in dieser Legisla-
turperiode . Sie haben zu Recht angesprochen, dass ein
Faktor dafür die Digitalisierung ist . Die Digitalisierung
wird darüber entscheiden, ob wir auch in Zukunft Ar-
beitsplätze in unserem Land haben, ob wir noch Wohl-
stand in unserem Land haben und ob wir wirtschaftlich
weiterhin erfolgreich sind . Wenn ein soziales Netzwerk
innerhalb von wenigen Jahren mehr wert ist als ein In-
dustriekonzern, der jahrzehntelang gewachsen ist, wenn
die Wertschöpfung im Bereich des Automobils heute na-
hezu komplett aus der Software kommt und eben nicht
mehr aus der Hardware, aus der Karosserie, wenn sich
innerhalb von wenigen Monaten ganze Branchen, ganze
Wertschöpfungsketten, ganze Geschäftsmodelle ändern,
dann spüren wir, dann merken wir, dass sich durch die
Digitalisierung auch die Kräfteverhältnisse im Wirt-
schaftsleben komplett ändern .

Für uns ist klar: Wir wollen an der Spitze marschieren .
Wir wollen dazugehören . Wir wollen das Wachstumsland
Nummer eins in der Welt sein . Wir wollen in der digita-
lisierten Welt global genauso wirtschaftlich erfolgreich
sein, wie wir es in den letzten Jahren waren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu braucht es zwei Stoßrichtungen . Zum einen geht
es darum, komplett neue Lösungen und Geschäftsmodel-
le mit auf den Weg zu bringen . Es ist ein Drama, dass
SAP das einzige große Softwarehaus in Deutschland und

Europa ist und wir nur mit amerikanischen und asiati-
schen Konkurrenten im Wettbewerb stehen . Zum ande-
ren geht es darum, dass wir die Geschäftsmodelle unserer
klassischen Wirtschaft, die uns über all die Jahre erfolg-
reich gemacht hat, anpassen, dass sich der Mittelstand,
die Industrie, aber eben auch Dienstleistungsunterneh-
men, die Energiewirtschaft, Unternehmen im Bereich der
Mobilität und das Gesundheitswesen auf die Herausfor-
derungen der Digitalisierung einstellen .

Wir haben gute Voraussetzungen . Wir haben hohe In-
vestitionen in Forschung und Entwicklung . Wir haben
eine vitale Start-up-Szene . Wir haben Vorzeigeberei-
che, mit denen wir im Hinblick auf Industrie 4 .0 schon
sehr gut sind, etwa beim Anlagenbau . Wir sind gut in
der IT-Sicherheit . Wir haben also wirklich gute Voraus-
setzungen . Es gibt aber auch – das muss man ebenfalls
sagen – Probleme und Herausforderungen . Diese gilt es
anzupacken .

Es fehlt eine leistungsfähige Breitbandinfrastruktur;
das packen wir gerade in dieser Legislaturperiode ge-
meinsam an .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht genug! – Gegenruf des Abg . Matthias Ilgen [SPD]: Das ist ja Fatalismus! – Gegenruf der Abg . Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Realismus!)


Bei Bildung und Ausbildung haben wir Nachholbedarf .
Noch sind unsere Schulen in der Kreidezeit verhaftet .
Digitalisierung ist in kaum einem Bundesland ein großes
Thema . Wir als Fraktion haben mit der Strategie „Digita-
les Lernen“ ein gutes, kluges Konzept vorgelegt; das gilt
es gemeinsam umzusetzen .

Unsere Verwaltung ist noch in alten Strukturen ver-
haftet . Jetzt, in der Flüchtlingskrise, merken wir, dass
wir hier an unsere Grenzen kommen . Die große Chance
dieser Krise ist, dass wir es schaffen, die Verwaltung zu
modernisieren, schneller und flexibler zu werden und alte
Strukturen aufzubrechen; denn wir sehen, dass es sich
lohnt, alte Strukturen aufzubrechen, neue Formen der
Zusammenarbeit zu entwickeln und Prozesse zu digita-
lisieren . Hier bin ich Minister de Maizière und Staatsse-
kretär Fritsche sehr dankbar, dass sie das so entschieden
angehen .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was denn genau?)


Elementar wichtig ist, dass wir die gesetzlichen Rah-
menbedingungen so anpassen, dass sie Innovationen
ermöglichen . Deshalb, Herr Minister Gabriel, wird es
leider nicht reichen, nur zu versuchen, die Großen –
Google und Amazon – zu zähmen . Wir müssen auch
dafür sorgen, dass die Kleinen, die es in unserem Land
bereits gibt, groß werden und die Innovationskraft, die
in unserem Land vorhanden ist, gestärkt wird . Wir müs-
sen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass wir den
innovativen Köpfen in unserem Land alle Möglichkeiten
geben, zu wachsen und mit den Großen zu konkurrieren .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie meinen, dazu ist Minister Dobrindt in der Lage?)







(A) (C)



(B) (D)


Hier haben wir noch einiges vor uns, und da ist jeder von
uns gefragt .

Reden Sie zum Beispiel mit Ihrem Kollegen Maas!
Solange er noch am Dogma der Datensparsamkeit fest-
hält, ist es für kleine Start-ups unheimlich schwer, in der
digitalen Welt mit innovativen Geschäftsmodellen er-
folgreich zu sein .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Heiko ist ein kluger Saarländer!)


Wir sollten lieber auf Verantwortung und Haftung set-
zen – das ist der richtige Weg –, statt nur auf Verbote,
Beschränkungen und Regulierung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Reden Sie mit Ihrer Kollegin Nahles! Die Arbeitsstät-
tenverordnung, die festschreibt, wie weit der Abstand
zwischen Schreibtischkante und Bildschirmtastatur sein
muss, passt leider nicht mehr in Zeiten des mobilen Ar-
beitens und des Homeoffice.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber wir sind doch noch in einer Koalition, oder? – Gegenruf der Abg . Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir haben keine Koalitionskrise, oder?)


Deshalb ist es wichtig, dass wir heute Rahmenbedingun-
gen setzen, die Innovationen ermöglichen und Freiheiten
schaffen, damit wir die Chance der Digitalisierung, wie
es auch im Jahreswirtschaftsbericht heißt, nutzen können .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Schreib doch einen Brief! Oder eine E-Mail! – Heiterkeit des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815202800

Frau Kollegin .

Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU):
Denn nur dann sind wir zukunftsfähig, und nur dann

sind wir in Zukunft sowohl wettbewerbsfähig als auch
erfolgreich .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja zur Abwechslung mal eine E-Mail an die Bundesregierung schreiben! – Christine Lambrecht [SPD]: Genau, die wäre dann auch schneller bei der Presse!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815202900

Katharina Dröge ist die nächste Rednerin für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen .


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815203000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, das, was
Sie – und auch Herr Heil – hier heute gemacht haben, hat
mich ein bisschen an Selbstbeschwörung erinnert . Die

Hälfte Ihrer Redezeit haben Sie darauf verwendet, uns
vorzutragen: Uns geht es gut, die Wirtschaft brummt,


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das stimmt ja auch!)


wir haben keine Koalitionskrise .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias Ilgen [SPD]: Das ist nun mal die Realität!)


Man hatte den Eindruck, Sie müssen es nur oft genug
sagen, damit Sie es auch selbst glauben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


Wenn man bilanziert, stellt man fest: Einen Koaliti-
onspartner zu haben, der sich vor den Flüchtlingen fürch-
tet, statt die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Po-
tenziale zu sehen, ist schon eine Misere . Aber wenn man
dann auch noch selbst keine Konzepte hat, weder in der
Flüchtlingspolitik noch wirtschaftlich im Hinblick auf
die künftigen Herausforderungen für unser Land, dann
ist das schon ziemlich blöd, und dann ist Selbstbeschwö-
rung wahrscheinlich nötig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Quatsch! – Matthias Ilgen [SPD]: Was schlagen Sie vor?)


Wenn man sich Ihre Wirtschaftspolitik ansieht, muss
man sagen: zu geringe Investitionen in Infrastruktur, er-
neuerbare Energien und Bildung, keine koordinierte eu-
ropäische Wirtschaftspolitik .


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: 24 Milliarden Euro jedes Jahr für Erneuerbare sind zu wenig?)


Zur Wettbewerbspolitik, die das Potenzial und die Krea-
tivität der Unternehmen im Lande fördern soll, habe ich
von Ihnen in Ihrer Rede heute kein einziges Wort gehört .
Dabei ist dies die Grundlage für die Zukunftsfähigkeit
unserer Wirtschaft . Es wäre Ihr Job, hier faire Spielregeln
zu schaffen . Genau da tun Sie aber nichts, bzw . Sie tun
das Gegenteil: Sie fördern einseitig große Unternehmen
zum Schaden von vielen kleinen und anderen Unterneh-
men in diesem Land .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Das zeigt zum Beispiel Ihre Entscheidung zur Fusion
von Edeka und Tengelmann, die Sie gegen jede Expertise
und jeden Rat durchgedrückt haben .


(Matthias Ilgen [SPD]: Mit den schärfsten Auflagen, die es jemals gegeben hat!)


Sie wird zur Folge haben, dass Edeka eine größere
Marktmacht bekommen wird, dass das Unternehmen in
der Lage sein wird, die Preise zu drücken und die Kondi-

Nadine Schön (St. Wendel)







(A) (C)



(B) (D)


tionen zu diktieren, und kleinere Supermärkte, Hersteller
und Bauern in die Ecke gedrängt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias Ilgen [SPD]: Die Arbeitsplätze sind Ihnen egal!)


Diese Politik, die auf Große setzt und den Wettbewerb
schädigt, wird auch an der Entscheidung der Bundesnetz-
agentur deutlich, das Telekommonopol im Bereich des
Kupferkabels auszuweiten . Gestern haben Sie im Wirt-
schaftsausschuss gesagt, dass Sie das für eine gute Ent-
scheidung halten . Sie begrenzt aber den Glasfaserausbau
und stellt die Wettbewerber in die Ecke . So nutzen Sie
aus Ihrer Sicht die Chancen der Digitalisierung . Ich kann
nur sagen: Damit haben Sie die Reise in die Vergangen-
heit angetreten . Wirtschafts- und zukunftsfähig ist das
nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zum Schluss zum Thema „Digitalisierung und ihre
Bedeutung für die Wettbewerbspolitik“ . Sie haben jetzt
endlich gesagt, dass man bei der Fusionskontrolle auch
das Thema Datenmacht berücksichtigen müsse . Auch
wir haben eine Brieffreundschaft miteinander . Wir haben
schon viele Briefe geschrieben, in denen wir gefragt ha-
ben, was Sie eigentlich mit dem Wettbewerbsrecht ma-
chen und wie Sie auf die Herausforderungen der Digita-
lisierung reagieren wollen .

Im Mai vergangenen Jahres war in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung zu lesen, dass Sie Google zerschla-
gen wollen . Dann ist Ihnen aber aufgefallen, dass das
vielleicht doch etwas schwierig ist und dies deshalb viel-
leicht doch eine etwas zu steile These ist . Danach kam
lange nichts von Ihnen . Jetzt kommt nun vielleicht eine
Änderung bei der Fusionskontrolle . Hinzu kommen die
Themen AGB, Missbrauchskontrolle, Belastung der Ver-
braucher usw . Hierzu fehlen Konzepte von Ihnen . Diese
wären aber dringend notwendig; denn wir haben es mit
Giganten im Internet zu tun, die Monopolisierungsten-
denzen aufweisen .

Vor allen Dingen haben wir es beim Thema „digitale
Wirtschaft“ nicht mit einem normalen Gut zu tun, son-
dern mit einem sehr sensiblen Gut . Dabei geht es auch
um Datenschutz, Verbraucherschutz und sehr sensible
Informationen über unser tägliches Leben .

Deshalb wäre es besonders wichtig, dass der Wirt-
schaftsminister hinschaut . Sie haben aber viel zu lange
gewartet . Deswegen ist es dringend notwendig, dass Sie
endlich handeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815203100

Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine Poschmann

für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Sabine Poschmann (SPD):
Rede ID: ID1815203200


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Tatsache ist: Die wirtschaftliche Lage der
meisten kleinen und mittleren Unternehmen ist sehr gut,
auch wenn sich das Klima laut ifo etwas eintrübt . Viele
Betriebe konnten sich in den zurückliegenden Jahren ein
ansehnliches Polster zulegen . Seit 1999 ist die Eigenka-
pitalquote im Mittelstand von 2,6 Prozent auf 25 Prozent
gestiegen . Das sind Bestwerte, die vor allem eines signa-
lisieren: Unser Mittelstand ist stark und robust .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Leider hat die Medaille auch ihre Kehrseite . Die Be-
triebe haben ihre Kapitalkraft gestärkt, dafür aber ihre In-
vestitionen zurückgeschraubt . Die KfW hat bereits 2015
darauf hingewiesen, dass gerade einmal 28 Prozent der
kleinen und mittleren Betriebe in innovative Produkte in-
vestieren . Das sollte uns Sorgen machen .

Wer auf Innovationen verzichtet, verzichtet auf Wert-
schöpfung und Arbeitsplätze . Ich rede nicht von den mit-
telständischen Unternehmen, die in der Industrie 4 .0 an-
gekommen sind . Ich rede von den kleinen und mittleren
Betrieben, die in der Regel sofort das Heft aus der Hand
legen, wenn sie nur die Überschrift „Digitalisierung von
Geschäftsprozessen“ lesen . Ihnen müssen wir uns mehr
widmen .

Wir müssen auch dem Handwerker um die Ecke un-
ter die Arme greifen und ihm die Chancen aufzeigen, die
ihm der digitale Wandel bietet: schnelle und effiziente
Prozesse, mehr Kunden und am Ende auch mehr Umsatz .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mittelstand war
und ist ein Innovationstreiber und Impulsgeber für die
Wirtschaft . Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen,
damit er dieser Rolle auch zukünftig gerecht werden
kann .

Wir werden aufpassen, dass Unternehmen nicht abge-
hängt werden, weil sie zu wenig in Forschung und Ent-
wicklung investieren . Innovationsstarke Unternehmen
sind meist in der Lage, das teils wenig übersichtliche
Fördersystem zu durchschauen, Anträge zu formulieren
und Projekte umzusetzen . Kleine und mittelständische
Unternehmen, junge Dienstleister und Handwerker ha-
ben damit aber Probleme . Sie benötigen ein transparen-
tes und niedrigschwelliges Fördersystem, das einfach
und unbürokratisch ist . Die Unternehmer wünschen sich
zeitnahe Genehmigungen; denn sonst ist die Idee in der
schnelllebigen Zeit keine Innovation mehr .

Vieles haben wir auf den Weg gebracht . Wir bauen
bundesweit 4 .0-Kompetenzzentren auf, mit denen wir
auch kleine Betriebe auf den digitalen Wandel vorberei-
ten . Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir ein Projekt
ins Leben gerufen, bei dem wir mit Gewerkschaftlern,
Wissenschaftlern und Vertretern der Wirtschaft innovati-
ve Ideen diskutieren . Wir wollen Investitionen auslösen
und über Steuervorteile die Forschung in kleinen und
mittleren Unternehmen ankurbeln . Außerdem werden
wir dafür kämpfen, dass wir endlich ein Wagniskapital-

Katharina Dröge






(A) (C)



(B) (D)


gesetz bekommen, das Investoren ermutigt, innovative
Start-ups mit den nötigen Mitteln zu versorgen .


(Beifall bei der SPD)


Wir können nicht länger zusehen, dass ausländische Ka-
pitalgeber in diese Lücke springen und das Know-how
ins Ausland abwandert .

Es kommt noch etwas hinzu: Der Mittelstand – ins-
besondere das Handwerk – ist ein Eckpfeiler der Ausbil-
dung . Viele Betriebe haben Projekte mit jungen Flücht-
lingen begonnen, bieten Bewerbungstrainings an und
stellen Praktikums- und Ausbildungsplätze zur Verfü-
gung . Jeder Meister, jeder Ausbilder, der zusätzlich einen
Flüchtling an die Hand nimmt, leistet die beste Integra-
tionsarbeit, die wir uns vorstellen können . Dafür meinen
herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich müssen wir
darauf achten, die Integrationskraft unserer Gesellschaft
nicht zu überfordern . Ich sage aber auch: Die Grenzen zu
schließen, ist keine Lösung . Im Gegenteil: Das ist kontra-
produktiv für ein Land, das von einer exportorientierten
Wirtschaft lebt und wie kein anderes vom freien Waren-
und Dienstleistungsverkehr profitiert.

Was Deutschland benötigt, sind keine Grenzbefesti-
gungen und Schranken . Was Deutschland benötigt, ist
endlich ein modernes und zeitgemäßes Einwanderungs-
gesetz, das von einem großen gesellschaftlichen Konsens
getragen wird .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815203300


Für die CDU/CSU-Fraktion ist Andreas Lenz der
nächste Redner .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1815203400


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deut-
sche Wirtschaft steht gut da . Das geht einmal mehr aus
dem Jahreswirtschaftsbericht hervor .

Bei der Präsentation der wirtschaftlichen Zahlen für
Deutschland meinten die Mitarbeiter des Statistischen
Bundesamtes, die Wissenschaftler hier vor Ort: Es fällt
schon ziemlich schwer, hier ein Haar in der Suppe zu
finden. – Herr Ernst, Frau Dröge, dass das mit viel Kre-
ativität trotzdem geht, merkt man an den Aussagen der
Opposition . Herr Ernst, ich erinnere mich an gestern, als
Sie meinten, wir müssten jetzt die Steuern vernünftig er-
höhen . Was bei Ihnen „vernünftig“ heißt, ist klar, näm-

lich „kräftig“ . Dass das der falsche Weg ist, muss uns
allen klar sein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Dann kann er keinen Porsche mehr fahren!)


Die deutsche Wirtschaft ist in einem international
schwierigen Umfeld um real 1,7 Prozent gewachsen . Der
wichtigste Wachstumsmotor war der inländische Kon-
sum . Das verfügbare Einkommen stieg um 2,8 Prozent .

Bei allen Unwägbarkeiten gibt neben der deutschen
Entwicklung aber auch die europäische Entwicklung ver-
haltenen Anlass zum Optimismus . Nach 1,1 Prozent im
vergangenen Jahr wird die Wirtschaft im Euro-Raum um
1,7 Prozent wachsen . Bei allen Problemen zeigt das eben
auch, dass die Strukturreformen im Euro-Raum weiter zu
forcieren sind .

Die Herausforderungen nehmen aber zu . Wir haben es
gehört: „Die Wirtschaft blickt erschrocken ins neue Jahr“,
sagte ifo-Chef Sinn zum ifo-Geschäftsklimaindex . Das
schwächere Wachstum in China und anderen Schwellen-
ländern verursacht Risiken . Auch stellt sich heraus, dass
der niedrige Ölpreis Fluch und Segen zugleich ist . In vie-
len Schwellenländern verursacht er weitere Stabilitätsri-
siken, aber natürlich auch politische Risiken .

Trotz dieser internationalen Krisen arbeiten in
Deutschland erstmals mehr als 43 Millionen Menschen,
so viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepu-
blik . Gleichzeitig waren seit der Wiedervereinigung noch
nie so wenige Menschen ohne Arbeit . Auf diese Entwick-
lung können wir durchaus stolz sein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gerade im Hinblick auf die langfristige Wettbewerbs-
fähigkeit müssen wir aber die Entwicklung der Lohn-
stückkosten genau beobachten . Ich kann mich erinnern:
2014 hat das Handelsblatt „Verkehrte Welt“ getitelt, als
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf den Zusammen-
hang von Lohnentwicklung und Produktivität hinwies .
Das hat er heute nicht gemacht . Wir weisen aber gerne
darauf hin, dass hier eine maßvolle Entwicklung notwen-
dig ist, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu ge-
währleisten .

Eine auch wirtschaftliche Herausforderung ist die ak-
tuelle Flüchtlingskrise . Der Sachverständigenrat schreibt
dazu wörtlich:

Auf Dauer ist die derzeitige Konzentration der
Flüchtlinge auf wenige EU-Mitgliedsländer nicht
durchzuhalten .

Eine Begrenzung des Zuzugs ist also auch aus wirtschaft-
licher Sicht notwendig – auch, um die Leistungsfähig-
keit staatlicher Strukturen aufrechtzuerhalten . Klar ist,
dass die jetzige Situation ohne die konsequente Konso-
lidierung der öffentlichen Haushalte während der letzten
Jahre nicht stemmbar wäre . Bund, Länder und Kommu-
nen erzielten 2015 einen Finanzüberschuss in Höhe von
16,4 Milliarden Euro . Diesen Weg müssen und werden
wir trotz der Flüchtlingskrise fortsetzen .

Sabine Poschmann






(A) (C)



(B) (D)


Das ifo-Institut geht davon aus, dass sich allein die
Kosten für die Asylbewerber im Jahr 2015 auf mindes-
tens 10 Milliarden Euro belaufen werden . Außerdem sei-
en die Flüchtlinge verständlicherweise ungenügend auf
den deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet . Die wenigsten
kommen eben mit dem Werkzeugkoffer und stellen sich
an die Produktionsstraße . Nur etwa 20 Prozent sind hin-
reichend qualifiziert. Es ist eben nicht so einfach, dafür
zu sorgen, dass die Flüchtlinge die Rente für die heuti-
ge Erwerbsgeneration zahlen, wie dies Herr Oppermann
noch im Sommer formulierte .


(Matthias Ilgen [SPD]: Ja, Integration!)


Ebenso werden wir das demografische Problem in
Deutschland nicht durch die Flüchtlingsströme lösen .

Die Integration der Flüchtlinge in den deutschen Ar-
beitsmarkt ist eine Mammutaufgabe, und sie wird viel
Geld kosten . Keine Integration ist aber langfristig noch
teurer . Auch das muss uns klar sein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Aber auch die Wirtschaft ist gefordert, diejenigen in Ar-
beit zu bringen, die eine langfristige Bleibeperspektive
bei uns haben . Es geht nicht an, von einem Wirtschafts-
wunder 2 .0 zu sprechen, sich aber bei den Integrations-
kosten zurückzuhalten .

Sprache ist dabei der Schlüssel für Integration . Oft
sind wiederum Arbeit und Beschäftigung der Schlüssel
zur Sprache . Der Bund hat die Mittel für Sprach- und In-
tegrationskurse bewusst erhöht . Bayern leistet beispiels-
weise mit dem Integrationspakt einen wesentlichen Bei-
trag zur Integration am Arbeitsmarkt . Allein durch diesen
Pakt der bayerischen Wirtschaft und der Arbeitsagentur
werden bis 2019 60 000 Flüchtlinge in Arbeit gebracht .
Ich denke, das wäre ein gutes Beispiel für die Bundes-
ebene .

Gerade jetzt brauchen wir weiterhin einen flexiblen
und aufnahmefähigen Arbeitsmarkt . Beschränkungen
bei Zeitarbeit und Werkverträgen passen nicht in dieses
Anforderungsprofil. Natürlich muss Missbrauch verhin-
dert werden . Aber gerade hinsichtlich der Regelung von
Werkverträgen sind kleinteilige Kriterienkataloge praxis-
fremd. Bei den Dokumentationspflichten hinsichtlich des
Mindestlohns werden wir noch einmal nachhaken . Wir
haben da schon einiges erreicht . Wir waren nie gegen den
Mindestlohn .


(Matthias Ilgen [SPD]: Ach was! – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir brauchen aber gerade für die Ehrenamtlichen Rechts-
sicherheit .

Auch der Minijobbereich muss entbürokratisiert wer-
den . Wenn beispielsweise nur jeder zweite der 1,1 Mil-
lionen Minijobber Bayerns pro Jahr 50 Stundenzettel
ausfüllt, dann ergibt das aneinandergereiht eine Papier-
strecke von München nach Tokio, und das im Zeitalter

der Digitalisierung . Ich glaube, dem Bürokratiewahnsinn
gilt es auch hier ein Ende zu bereiten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Mit Bierdeckeln sind das noch längere Strecken!)


– Für ganz Deutschland müsste diese Strecke wieder zu-
rückgegangen werden .

Wir brauchen eine mittelstandsfreundliche Ausgestal-
tung der Erbschaftsteuer zum Erhalt der Arbeitsplätze .
Der Unternehmer ist für uns weiterhin Vorbild und kein
Feindbild . Wir investieren in die digitale Infrastruk-
tur . Der Breitbandausbau wird von Minister Alexander
Dobrindt entschieden vorangetrieben .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gerade im Bereich der Digitalisierung brauchen wir
Offenheit . Wir brauchen Experimentierfelder für neue
Technologien . Wir müssen Freiräume für Kreativität zu-
lassen . Ebenso brauchen wir Regeln sowie einen Rah-
men, welcher der digitalen Welt gerecht wird . Wir brau-
chen noch mehr Raum und Förderung für Forschung und
Innovationen, auch für eine nachhaltige Entwicklung . Es
gilt also, den Blick in die Zukunft zu richten .

Ludwig Erhard sagte dazu: Den Wohlstand zu bewah-
ren, ist schwerer, als ihn zu erwerben . – Dieser Satz gilt
auch und gerade heute . Mit dem Jahreswirtschaftsbericht
stellen wir uns den Herausforderungen der Zukunft, um
diese zu meistern .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815203500

Das Wort hat nun der Kollege Matthias Ilgen für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Matthias Ilgen (SPD):
Rede ID: ID1815203600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben

den Herausforderungen, die in dieser Debatte zum Jah-
reswirtschaftsbericht sehr deutlich geworden sind, dis-
kutieren wir heute auch über die Chancen des digitalen
Wandels . Wir diskutieren zum Beispiel über neue Mög-
lichkeiten für das Arbeiten von zu Hause, weil wir in un-
serer Gesellschaft Familie und Beruf besser unter einen
Hut bringen wollen . Wir diskutieren über neue Chancen
zum Beispiel für die dezentrale Energieproduktion, die
wir schon sehr stark ausgebaut haben, in intelligenter
Vernetzung mit Energieversorgungssystemen der Zu-
kunft . Und wir sprechen über Bereiche – zu all diesen
Chancen war allerdings von der Opposition recht wenig
zu hören – wie die Telemedizin und die Diagnosemög-
lichkeiten der Zukunft, die unsere Gesellschaft und die
Art und Weise, wie wir miteinander leben und wirtschaf-
ten, verändern werden .

Die Opposition im Haus ignoriert in ihren Schaufens-
terreden wie heute sehr gerne, was die Bundesregierung
und die Koalitionsfraktionen dazu beitragen, dass wir

Dr. Andreas Lenz






(A) (C)



(B) (D)


einen vernünftigen Weg der Digitalisierung einschlagen .
Dazu ist übrigens auch einiges im Etat des Bundeswirt-
schaftsministers enthalten . Ich weise zum Beispiel auf die
Aufstockung der ERP-Venture-Capital-Dachfondsmittel
des European Angels Funds auf insgesamt 1,7 Milliarden
Euro und die Auflage eines neuen ERP-Wachstumsfonds
mit einem Volumen von 500 Millionen Euro hin .

Auf Fondsfinanzierung und Förderinstrumente setzen
wir aber nicht zum Spaß, sondern – das hat der Bundes-
wirtschaftsminister klar herausgestellt – damit wir auch
in Zukunft weiter Investitionen in unsere Volkswirtschaft
bekommen . Diese werden in allererster Linie von den
Privaten getätigt: von den Unternehmerinnen und Un-
ternehmern in diesem Lande, die mutig vorangehen und
neue Geschäftsideen entwickeln . Darum geht es beim di-
gitalen Wandel .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen das fortsetzen . Die Koalitionsfraktionen
haben anlässlich der CeBIT 2014 eine gemeinsame Ent-
schließung vorgelegt, in der wir der Bundesregierung ei-
nen klaren Auftrag erteilt haben . Wir warten alle gemein-
sam gespannt auf das, was Finanzminister Schäuble – er
ist zwar nicht mehr anwesend, aber es ist wichtig, dass er
das weiß – im Bereich Wagniskapital vorlegen wird . Die
Kollegin Poschmann hat schon darauf hingewiesen . Es
ist unabdingbar, dass wir in diesem Bereich Fortschritte
machen . Denn wir haben auch innerhalb Europas schon
Wettbewerbsnachteile, die sich inzwischen zu einer In-
vestitions- und auch Innovationsbremse bei Start-ups
und beim deutschen Mittelstand entwickeln . Hier werden
wir nachlegen müssen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich will ein konkretes Beispiel einer der Baustellen
nennen, die diejenigen, die in der Start-up-Szene tätig
sind, beschäftigt, damit die Opposition heute auch etwas
Handfestes bekommt und nicht sagen kann, wir würden
nur wolkige Reden halten . Es geht zum Beispiel darum,
im Zusammenhang mit einem Wagniskapitalgesetz auch
über eine Reform des § 8 c des Körperschaftsteuergeset-
zes zu reden . Wir haben das Problem, dass junge Unter-
nehmer, die mit wenig Kapital an den Start gehen und
dann in eine Wachstumsphase kommen, einen Investor
suchen müssen, wenn sie bei den Banken – mangels feh-
lender Sicherheiten; das muss man einräumen – nicht
weiterkommen . Dabei geht es oft um Millionenbeträge,
und der Investor will natürlich eine Gegenleistung . Also
erwirbt er in der Regel Unternehmensanteile bzw . Betei-
ligungen . Wenn diese über 50 Prozent hinausgehen – und
das kann vorkommen –, dann wird Körperschaftsteuer
fällig . Das Problem tritt dann auf, wenn der Investor sich
aus dem Unternehmen zurückzieht oder die anderen An-
teilseigner, also die Unternehmensgründer, wieder mehr
Anteile übernehmen. Dann bleibt diese Steuerpflicht
erhalten . Die Schwierigkeit besteht darin, dass dann oft
Verlustvorträge, die vorher angefallen sind – in der Pha-
se, in der das Unternehmen noch nicht profitabel war –,
nicht erstattet werden können . Das führt im Ergebnis
dazu, dass wir fiktive Gewinne besteuern.

In der Öffentlichkeit gibt es derzeit viele Diskussio-
nen über Erbschaftsteuer und anderes . Dabei geht es auch
darum, mittelständischen Unternehmen keine Steine in
den Weg zu legen . Aber diese Diskussionen sind nichts
im Vergleich zu der Debatte über die Wachstumshemm-
nisse in unserem Fördersystem und bei der Kapitalbe-
schaffung . Deswegen ist es dringend notwendig, dass
die Bundesregierung das Wagniskapitalgesetz angeht .
Ich gehe davon aus, dass sich der Finanzminister redlich
darum bemühen wird . Wir brauchen in diesem Bereich
Änderungen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Und wir müssen das mit Blick auf die Wettbewerbsfähig-
keit der deutschen Wirtschaft noch in dieser Legislatur-
periode schaffen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815203700

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Axel Knoerig (CDU):
Rede ID: ID1815203800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Zuschauer!
Der vorliegende Jahreswirtschaftsbericht weist sehr wohl
auch die Chancen der Digitalisierung aus . Es wird vor
allem dargestellt, in welchem Maße die Unternehmen die
Digitalisierung bisher umgesetzt haben . Dabei wird gro-
ßer Wert auf die Arbeitswelt gelegt – das ist wichtig –,
Stichwort „Arbeit 4 .0“ . Dazu gibt es unterschiedliche
Beurteilungen . Amerikanische Studien sagen voraus,
dass sich bis zu 59 Prozent der Berufe verändern werden
und dass 81 Prozent der Beschäftigten davon betroffen
sein werden . Man kann diese amerikanischen Studien
sicherlich nicht eins zu eins auf den deutschen Arbeits-
markt übertragen, daher ist es richtig und wichtig, dass
das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der
Bundesagentur für Arbeit erstmals diesbezüglich eine
Studie vorgelegt hat . Demnach werden bis 2030 keine
Berufe durch den digitalen Wandel verschwinden . Das ist
keine Entwarnung; denn innerhalb der Berufsfelder müs-
sen wir auf Veränderungen vorbereitet sein . Das kann
man sehr einfach in einem Satz zusammenfassen: Die
Zahl der einfachen Tätigkeiten wird abnehmen, die der
kreativen, komplexen Aufgaben zunehmen .

Wir müssen den digitalen Wandel so gestalten, dass
Deutschland ein attraktiver Innovationsstandort für Ar-
beitgeber und Arbeitnehmer bleibt und dass die Folgen
aufgrund der geschilderten Entwicklung für Berufe und
Branchen berechenbarer werden . Dafür ist eine zielge-
richtete Bildungs- und Forschungspolitik wichtig . Wir
brauchen eine verlässliche, auf Innovation gerichtete
Wirtschaftspolitik und nicht neue Vorschläge für Sub-
ventionen . Wir wollen, dass die Wirtschaft überall, nicht
nur in großen Unternehmungen und den wirtschaftlichen

Matthias Ilgen






(A) (C)



(B) (D)


Kraftzentren der Republik, wächst . Wir wollen gerade
aus diesem Grund die Innovationskraft des Mittelstandes
sowie der kleinen und mittleren Unternehmen stärken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


In der digitalen Wirtschaft sind drei Voraussetzungen
maßgeblich . Erstens . Die Branchen müssen sich auf den
Weltmärkten behaupten können . Zweitens . Es muss bei
der Netzinfrastruktur einen Dreiklang aus Breitbandaus-
bau, Datenschutz und IT-Sicherheit geben . Drittens . Wir
müssen fortlaufend durch Bildung und Weiterbildung –
das ist ganz wichtig – die Mitarbeiterschaft mobilisieren .
Zudem gibt es Optimierungspotenziale . Deutschland
liegt hier beim Vergleich führender Volkswirtschaften
nur im Mittelfeld . Hier gilt es, das Wachstumspotenzi-
al auszuschöpfen; denn wir haben erlebt, dass dort, wo
Mittelstand und Digitalisierung aufeinandertreffen, be-
reits große Wachstumspotenziale gehoben wurden . Ich
bin mir sicher, dass unser Mittelstand weiterhin solche
Potenziale heben wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Digitalisierung muss vor allem flächendeckend
erfolgen . In jeder Branche muss sie zu einem Hauptthe-
ma werden . Dabei stellen wir fest, dass sich die Unter-
nehmen in drei Cluster aufteilen . Eine Gruppe von Unter-
nehmen sieht große Chancen in der Digitalisierung ihrer
Prozesse und schlägt zukunftsorientiert neue Wege ein .
In einer anderen Gruppe ist das weitaus geringer ausge-
prägt . Sie wägt eher Chancen und Risiken ab . Zudem gibt
es leider einen bedeutenden Anteil an Unternehmen, in
denen die Digitalisierung nur schleppend vorankommt .
Hier müssen wir Überzeugungsarbeit leisten .

Das Bundeswirtschaftsministerium hat vielfältige
Förderprogramme aufgelegt, um die Entwicklung zu
beschleunigen . So werden beim Zentralen Innovations-
programm Mittelstand, ZIM, digitale Technologieberei-
che gerade im Mittelstand gestärkt . Neu ist die Initiative
„Mittelstand 4 .0 – Digitale Produktions- und Arbeitspro-
zesse“ . Damit werden gezielt Handwerk und Handel un-
terstützt . In vielen Bundesländern entstehen Kompetenz-
zentren, um das Wissen in den Betrieben rund um das
Thema Digitalisierung zu verbessern . Letztendlich hängt
der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens aber von
einer ganzheitlichen Unternehmensstrategie ab . Das ist
Sache der Manager und weniger der Informatiker .

Unsere Forschungsministerin Frau Professor Wanka
hat einen integrierten Ansatz aus Produktion, Dienstleis-
tungen und Arbeit gewählt und alles in einem Programm
zusammengefasst . Trotz der Kritik, die es von Gewerk-
schaften und Arbeitgeberverbänden gegeben hat, ist die-
ser integrative Ansatz richtig . Wir wissen heute, dass ge-
rade diese Vorgehensweise richtig gewesen ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mittlerweile geben wir 3 Prozent des Bruttoinlandspro-
duktes für Forschung und Bildung aus . Wir sollten heute
schon mutig sein und insbesondere mit Blick auf 2017
sagen, dass wir das in der nächsten Wahlperiode auf
4 Prozent anheben möchten .

Die berufliche Bildung könnte in der Praxis durch-
lässiger sein, gerade wenn man sie gegenüber der aka-
demischen Bildung aufwerten möchte . Wir müssen vor
allem im ländlichen Raum Übergänge schaffen, weil dort
der Fachkräftebedarf im Handwerk und im Handel be-
sonders hoch ist . Vor diesem Hintergrund appelliere ich:
Wir brauchen die Berufsschule 4 .0 . Sie richtet die duale
Ausbildung auf die Digitalisierung aus . Sie ist mehr als
„training on the job“; denn sie vermittelt Theorie und
Praxis in der Produktion von Industrie 4 .0, und das auch
für Handwerk und Handel .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen
vor allen Dingen auch auf Verwaltungsebene nachlegen .
Wenn Länder wie USA, Großbritannien, Südkorea uns
da um einiges voraus sind, dann müssen wir als Bund
leistungsfähige IT-Infrastrukturen für die elektronische
Kommunikation zwischen Bürgern und Behörden schaf-
fen . Und ich frage Sie: Wo ist das denn am weitesten aus-
geprägt? Das ist doch in der Kommune . Seit Mitte der
90er-Jahre stellen wir Jahr für Jahr auf der CeBIT die
virtuelle Kommune vor . Wir sprechen davon, für Priva-
te Leitmärkte im IKT-Bereich zu entwickeln . Aber dann
müssen wir uns auch die Frage gefallen lassen, ob der
öffentliche Sektor dabei wirklich so gut aufgestellt ist,
wie es bei Unternehmen in gewissen Größenordnungen
selbstverständlich ist .

Deswegen brauchen wir, sehr geehrter Herr Minister,
in jedem Bundesland ein IT-Zentrum und ein einheitli-
ches System, das die Dienste von Bund, Ländern und
Kommunen zusammenführt . Wir brauchen eine neue
Bund-Länder-Kommission mit dem Schwerpunkt Digi-
talisierung und Verwaltung . In den letzten Wochen haben
wir mit dem Datenaustauschverbesserungsgesetz zur Be-
schleunigung der Asylverfahren gezeigt, wie schnell ein
Gesetz im Bundestag verabschiedet werden kann . Für die
Betreiber von Flüchtlingsheimen, für die Kommunen, für
die Bundesagentur ist es damit auf einmal, binnen weni-
ger Wochen, möglich, auf ein und dieselbe Software zu-
zugreifen . Da sage ich: So eine zügige parlamentarische
Arbeit wünsche ich mir auch bei vielen anderen Geset-
zesvorhaben, insbesondere bei solchen mit Blick auf die
Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeit .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815203900

Vielen Dank . – Damit schließe ich die Debatte .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/7380, 18/6740 und 18/7368 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . Die Vorlage auf Drucksache 18/7368 – das ist
der Tagesordnungspunkt 3 d – soll federführend beim
Ausschuss für Wirtschaft und Energie beraten werden .
Die hierfür zuständigen Kollegen sind zwar größtenteils
schon weg, ich frage aber dennoch: Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Axel Knoerig






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Für bezahlbare Mietwohnungen – Moderni-
sierungsumlage reduzieren, Luxusmoderni-
sierungen einschränken

Drucksache 18/7263
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Heidrun Bluhm, Dr . Dietmar Bartsch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Mietspiegel – Sozial gerecht und mietpreis-
dämpfend erstellen

Drucksache 18/5230
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in die-
ser Debatte hat Caren Lay von der Fraktion Die Linke
das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815204000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Monatelang ging ein Beispiel aus der Kopenha-
gener Straße in Berlin-Prenzlauer Berg durch die Medi-
en: Ein Haus wurde vor ein paar Jahren von einer Immo-
bilienfirma mit einem blumigen Slogan, der da lautete:
„Werte erhalten – Werte schaffen“, gekauft . Das Haus
sollte saniert werden .

Das klingt ja erst einmal gut, aber im Ergebnis dieser
Sanierung sollte sich die Miete für die Mieterinnen und
Mieter sage und schreibe verdreifachen . Natürlich sind
die meisten Mieterinnen und Mieter ausgezogen, haben
sich von der angekündigten Mieterhöhung oder auch von
der Schikane der Vermieter abschrecken lassen . Nur ein
Mieter ist noch übrig geblieben und kämpft tapfer weiter .

Meine Damen und Herren, das ist das, was zynischer-
weise Entmietung genannt wird und was leider Praxis in
vielen deutschen Großstädten ist . Das müssen wir end-
lich stoppen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist ein prominentes Beispiel, aber nur eines von
vielen . Denn Luxussanierungen auf Kosten der Mieterin-
nen und Mieter verdrängen diese aus ihren Stadtteilen .

Das bedeutet Verdrängung, das bedeutet Gentrifizierung.
Wir wollen diese stoppen .


(Beifall bei der LINKEN)


Natürlich wollen auch wir als Linke, dass marode
Häuser saniert werden; das ist gar keine Frage . Aber so,
wie die Regelungen jetzt sind, sind sie sozial ungerecht .
Und das ist das Problem .


(Beifall bei der LINKEN)


Derzeit können die Hausbesitzer 11 Prozent der Moder-
nisierungskosten auf die Kaltmiete umlegen, und das un-
befristet . Das heißt, die Miete für die Mieterinnen und
Mieter erhöht sich dauerhaft, zum Teil verdoppelt sie
sich, und zwar auch dann, wenn die Sanierungskosten,
die der Vermieter hatte, längst abbezahlt sind . Das ist
doch wirklich völlig absurd, das müssen wir ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


So, wie sie jetzt ist, ist diese Modernisierungsumlage
vor allen Dingen eines, nämlich eine lukrative Geldan-
lage für die Vermieter und ein Motor für die Vertreibung
der Mieter . Hier müssen wir ran, diese Regelung müssen
wir ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Die ganze Sache wird noch dadurch verschärft, dass
die sanierten Wohnungen von der Mietpreisbremse aus-
genommen sind . Das heißt, es ist geradezu eine Einla-
dung an die Vermieter, sich dort, wo die Mietpreisbremse
überhaupt gilt, in die Sanierung zu retten .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Grober wirtschaftlicher Unverstand!)


Das kann so wirklich nicht bleiben .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir schlagen vor, dass wir die Modernisierungsumla-
ge in einem ersten Schritt zeitlich begrenzen und deutlich
auf 5 Prozent absenken . Mittelfristig sollte man, glaube
ich, die Vorschläge des Deutschen Mieterbundes, die Sa-
nierungskosten in die Bewertung im Mietspiegel einflie-
ßen zu lassen, aufnehmen . Da müssen wir perspektivisch
hinkommen .

Die energetische Gebäudesanierung ist sinnvoll . Auch
wir sind natürlich für mehr Anstrengungen im Wärmebe-
reich . Aber was nicht geht und was ehrlich gesagt auch
nicht zur Akzeptanz dieser Maßnahmen beiträgt, ist, dass
auch hier die Kosten sehr einseitig von Mieterinnen und
Mietern getragen werden . Wir sagen: Hier muss die öf-
fentliche Hand investieren, hier muss wirklich Geld in
die Hand genommen werden . Die 5 Milliarden Euro, die
wir seit vielen Jahren in den Haushaltsberatungen fordern


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Milliarden fordern Sie immer!)


und die auch in der einschlägigen Szene seit Jahren dis-
kutiert werden, wären gut angelegtes Geld für Klima-
schutz und für bezahlbare Mieten .


(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Ein weiteres Problem bezieht sich auf den Mietspie-
gel . Dort, wo es ihn gibt, werden die Mieten der letzten
vier Jahre als Berechnungsgrundlage genommen . Was
ist aber in den letzten vier Jahren eigentlich passiert? Da
hilft ein Blick in die Analysen der einschlägigen Internet-
portale, wo Neuvertragsmieten angeboten werden . Was
kommt dabei heraus? In Berlin hat es in fünf Jahren bei
den neu angebotenen Mietverträgen eine Mietenexplosi-
on von 56 Prozent gegeben . In München sind es „nur“
26 Prozent und in Hamburg 20 Prozent, aber auf einem
sehr hohen Niveau . Das können wir doch unmöglich als
Berechnungsgrundlage für den Mietspiegel nehmen . Das
ist wirklich völlig absurd .


(Beifall bei der LINKEN)


Das schadet nicht nur den Mieterinnen und Mietern,
die umziehen müssen, das wird auch dafür sorgen, dass
für die Altmieter die Miete ganz legal angehoben werden
kann . Das ist Mieterhöhung per Gesetz . Das wollen wir
endlich ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen schlagen wir vor, den Mietspiegel auf breite
Füße zu stellen: Wir wollen alle Mieten in die Berech-
nung einfließen lassen. Nur so können wir den perma-
nenten Mietenanstieg stoppen .


(Beifall bei der LINKEN)


Natürlich wären viele Mieterinnen und Mieter froh,
wenn es überhaupt einen qualifizierten Mietspiegel gäbe.
Auch dazu machen wir einen Vorschlag, nämlich einen
Mietspiegel verbindlich festzuschreiben und die Kom-
munen bei der Erstellung zu unterstützen .

Lassen Sie mich einen letzten Gedanken sagen: Der
Mietspiegel muss natürlich auch rechtsverbindlich sein .
Wir erleben schon in einigen Städten wie in Berlin und
Bonn, dass von Vermieterseite gegen die Mietspiegel
geklagt wird, zum Teil mit Erfolg . Das tun sie, weil sie
die Mietpreisbremse umgehen wollen . Hier müssen wir
Rechtsverbindlichkeit schaffen . Die Mieterinnen und
Mieter brauchen hier wirklich Klarheit .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich ahne, dass der eine oder andere Redner von der
Koalition sagen wird: Na ja, alles gut und schön, haben
wir auf dem Schirm, machen wir alles . – Aber bisher gibt
es nur ein Eckpunktepapier des Ministers, in dem auf
viele Punkte eingegangen wird, wenn auch nicht in dem
Maße, wie wir es uns vorstellen würden . Aber es wäre
ein erster Schritt; das sehe ich . Aber leider habe ich von
dem Koalitionspartner der SPD, nämlich von der Union,
schon kritische Stimmen gehört: Was in diesem Papier
steht, werden wir so nicht mittragen .

Das ist meine Sorge: Es gibt nur ein Eckpunktepa-
pier, es gibt noch nicht einmal einen Referentenentwurf .
Wenn hier weiter Koalitionsstreit herrscht, dann fürchte
ich, dass es in dieser Legislatur keine Einbringung in den
Bundestag geben wird . Da hilft die Opposition, da hilft
die Linke: Wir haben zwei kluge Vorschläge heute auf

den Tisch gelegt, und ich hoffe im Interesse der Miete-
rinnen und Mieter auf Ihre Zustimmung .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815204100

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Jan-Marco

Luczak von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1815204200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich darf zunächst einmal um Nachsicht dafür
bitten, dass ich leider ganz unmittelbar nach meiner Rede
das Plenum wieder verlassen muss .


(Ulli Nissen [SPD]: Na, na, na!)


Legen Sie mir das bitte nicht als mangelnden Respekt
vor dem Hohen Haus oder vor Ihnen aus . Sie alle kennen
das: In einer Sitzungswoche gibt es manchmal seit lan-
gem feststehende Termine, die dringend wahrgenommen
werden müssen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie einfach die ganze Rede ausfallen! Wie wäre das?)


Ich bedauere das ganz besonders, weil es hier um das
Mietrecht geht . Beim Mietrecht gibt es immer besonders
spannende Diskussionen, besonders emotionale Debat-
ten, die auch ich selber mit großer Leidenschaft und mit
viel Herzblut führe . Besonders emotional sind diese De-
batten meistens dann, wenn es um Anträge der Linken
geht .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Weil sie gut sind!)


Ich kann jedenfalls für mich sagen: Mein Blutdruck steigt
da meistens, und mein Puls fängt an zu rasen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht aber schnell!)


Das liegt aber nicht daran, dass sie so gut sind, Frau Kol-
legin Lay, sondern daran, dass so viel Ideologie und so
viel wirtschaftlicher Unverstand in einen Antrag gepresst
werden . Es verwundert mich immer wieder, dass das ge-
lingt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


So ist es auch bei diesem Antrag . Es ist ein Schaufens-
terantrag, mit dem die Linke wieder einmal versucht, die
Vermieter in die Rolle der bösen Kapitalisten zu drängen,
die hemmungslos und ohne Rücksicht nach Profit gieren
und ihre Mieter ausbeuten . Zugleich versuchen Sie, die
Koalition so darzustellen, als ob wir diese Sorgen und
Nöte von Mietern nicht ernst nehmen würden, und Sie
fordern uns zu einer sozialen Mietrechtsnovelle auf .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das Erste ist vielleicht Tatsache, Herr Luczak!)


Beides, meine sehr verehrten Kollegen von den Lin-
ken, ist grundfalsch . Mit dieser Schwarz-Weiß-Male-
rei – hier der Vermieter, da der Mieter – werden Sie der
Komplexität des Wohnungsmarktes und auch der vielen

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


Herausforderungen, die sich dort stellen, in keiner Weise
gerecht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Der Klassenstandpunkt!)


Natürlich ist es so, dass es bei den Mieten Exzesse
gibt, und natürlich gibt es auch Fälle, in denen Mieter
von rücksichtslosen Vermietern aus der Wohnung ge-
drängt werden . Hier ist völlig klar – das ist unbestritten;
darüber besteht völliger Konsens –, dass Politik handeln
muss und dass Mieter in so einem Fall geschützt werden
müssen . Wir als Union wissen sehr genau, dass das Miet-
recht an dieser Stelle sozial ausgewogen gestaltet werden
muss . Darauf haben wir in der Vergangenheit immer sehr
großen Wert gelegt . Das werden wir auch dieses Mal tun .
Um uns daran zu erinnern, brauchen wir aber nicht die
Linken als pseudosoziales Gewissen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Ausgewogenheit ist so prägend für das Miet-
recht; dennoch lassen Sie sie in Ihren Anträgen wieder
einmal völlig vermissen . Gerade die privaten Kleinver-
mieter vernachlässigen Sie in Ihren Anträgen völlig .


(Beifall der Abg . Dr . Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU])


Man hat immer den Eindruck, sie würden nach und nach
rechtlos gestellt . Sie vernachlässigen in Ihren Anträgen
auch, dass die übergroße Mehrheit der Mietverhältnisse
völlig reibungslos funktioniert, dass dort fair miteinander
umgegangen wird . Deswegen kann es doch nicht darum
gehen, Vermieter und Mieter gegeneinander auszuspie-
len, sondern man muss die berechtigten Interessen von
beiden in den Blick nehmen und miteinander in Einklang
bringen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Wie gesagt, Sie lassen diese Ausgewogenheit in Ihren
Anträgen völlig vermissen . Denn was schlagen Sie uns
vor? Sie haben es ja gerade dargestellt: die Absenkung
der Modernisierungsumlage von 11 auf 5 Prozent . In Ih-
rer Begründung klingt es so an, als ob Modernisierungen
vermieterseitig massenhaft missbraucht würden, um Be-
standsmieter zur Kündigung zu nötigen .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist doch auch so!)


– Natürlich . Es gibt diese Fälle . Sie haben gerade ein Bei-
spiel aus Berlin genannt, Frau Lay . Ich bin selber Ber-
liner Abgeordneter . Ich kenne diese Fälle .

Aber so zu tun, als ob das ein massenhaftes Phänomen
sei, ohne dafür konkrete Zahlen zu benennen, das wird
dem Ernst der Sache nicht gerecht . Ebenso wird dem
Ernst der Sache nicht gerecht, wenn Sie hier pauschale
Vorwürfe an Vermieter richten, dass sie Mieter sogar nö-
tigen, dass sie also eine Straftat begehen . Das ist absolut
fehl am Platz .

Klar ist: Wir müssen Missbrauch verhindern, und es
darf auch kein „Herausmodernisieren“ von Mietern ge-
ben . Genau das ist auch Inhalt des Koalitionsvertrages .

Wir haben uns als Koalition dazu verpflichtet, hierzu et-
was vorzulegen .

Wenn wir hier von Modernisierungen reden, dann ist
genauso klar: Das Ziel und die Funktion von § 559 BGB,
nämlich Anreize für Modernisierungen zu schaffen, dür-
fen wir selbstverständlich nicht konterkarieren; vielmehr
müssen die Vorschriften, die wir zum Schutz der Mieter
brauchen, immer so ausgestaltet sein, dass Investitionen
in den Neubau, in den altersgerechten Umbau und in die
energetische Sanierung nicht verhindert werden . Das
muss unverrückbarer Grundsatz aller Regelungen sein,
die wir hier miteinander angehen . Darauf werden wir als
Union ganz besonders achten . Das gilt nicht nur für die
Anträge der Linken, sondern auch für das schon ange-
sprochene Grundlinienpapier des BMJV .

Selbstverständlich ist es so, dass wir diese Investiti-
onen nicht verhindern dürfen und dass wir bezahlbaren
Wohnraum brauchen . Das muss miteinander in Einklang
gebracht werden . Das wird immer so abstrakt daher-
gesagt . Das kann man gar nicht richtig einordnen . Ich
mache es mal am Beispiel des altersgerechten Umbaus
deutlich .

Sie müssen sich das ganz konkret vorstellen: Viele
ältere Menschen – wir leben in einer älter werdenden
Gesellschaft – müssen irgendwann ihre Wohnung verlas-
sen, weil kein Fahrstuhl da ist oder weil sie das Bad nicht
mehr benutzen können . Es ist für einen alten Menschen
eine ganz gravierende Situation, wenn das gewohnte Le-
bensumfeld verlassen werden muss, wenn man die Nach-
barn, mit denen man vielleicht schon Jahrzehnte zusam-
mengelebt hat, nicht mehr hat .

Deswegen ist der altersgerechte Umbau


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wo machen Sie den denn?)


nicht irgendetwas Abstraktes . Wir müssen dafür sorgen,
dass die rechtlichen Rahmenbedingungen so sind, dass
tatsächlich in altersgerechten Umbau investiert werden
kann; denn wir als Union wollen, dass ältere Menschen
möglichst lange in ihrer angestammten Wohnung bleiben
können .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen brauchen wir die richtigen Rahmenbedingun-
gen .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das Gesetz müssen wir ändern!)


Jetzt rufen Sie als Linke natürlich wieder nach dem
Staat: Wir müssen hier Milliardensummen in die Hand
nehmen . – Aber wenn Sie sich mal vor Augen führen,
welche Summen wir benötigen, ist völlig klar: Das be-
kommen wir als Staat allein aus Steuermitteln nicht hin,
sondern wir brauchen dafür private Investitionen . Diese
privaten Investitionen bekommen wir nicht, wenn die
Modernisierungskosten nicht in irgendeiner Weise auch
wirtschaftlich darstellbar sind . Sie müssen wirtschaftlich
tragbar und finanzierbar sein; sonst funktioniert das nicht.

Dr. Jan-Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)


Das, was Sie uns vorschlagen – eine Absenkung der
Modernisierungsumlage auf 5 Prozent –, ist völliger
Humbug . Weil sich dann keine Modernisierungsmaßnah-
me, keine energetische Sanierung, kein altersgerechter
Umbau mehr rechnen wird, werden solche Modernisie-
rungen unterbleiben . Das geht letztlich zulasten der Mie-
ter . Deswegen werden wir das nicht mitmachen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


In gleicher Weise kritisch wie diese Absenkung auf
5 Prozent ist eine Änderung bei den Kappungsgrenzen;
das ist auch schon vorgeschlagen worden . Da muss man
sehr genau aufpassen, dass die gesamtgesellschaftlichen
Ziele beim Klimaschutz und beim demografischen Wan-
del nicht gefährdet werden . Im Gegenteil: Wir müssen
diese gesamtgesellschaftlichen Ziele, auf die in § 559
BGB Bezug genommen wird, befördern und gleichzeitig
die Mieter schützen . Das muss miteinander in Einklang
gebracht werden, und das werden wir in der Koalition
auch tun . Dazu brauchen wir Ihre Anträge ganz bestimmt
nicht, meine Kolleginnen und Kollegen von den Linken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch etwas zur ortsüblichen Ver-
gleichsmiete sagen . Sie schlagen uns jetzt vor, dass alle
Mietverhältnisse in die Berechnung der ortsüblichen Ver-
gleichsmiete einbezogen werden . Ich könnte jetzt einen
rechtshistorischen Exkurs darüber machen, wie es sich
mit der ortsüblichen Vergleichsmiete verhält, was ei-
gentlich deren Funktion ist . Ihre Funktion ist jedenfalls
nicht, eine mietpreisbeschränkende Wirkung zu haben .
Tatsächlich wurde das Vergleichsmietensystem in den
70er-Jahren eingeführt, um die Änderungskündigung
auszuschließen . Damals haben Vermieter Mieterhöhun-
gen nämlich so gemacht: Lieber Mieter, ich erhöhe die
Miete um soundso viel Prozent . Du kannst bleiben, wenn
du dem zustimmst; ansonsten musst du die Wohnung
verlassen . – Deswegen hat man seinerzeit die ortsübliche
Vergleichsmiete eingeführt .

Es war nie ein Instrument, um die Mieten zu senken,
sondern es war ein Instrument, um Transparenz auf dem
Wohnungsmarkt herzustellen .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Ein Mieterhöhungsspiegel ist das!)


Es geht darum, die Realität auf dem Wohnungsmarkt mit
einem Mietspiegel darzustellen . Es soll nicht ein Rück-
spiegel in längst vergangene Zeiten sein, sondern ein
Mittel der Transparenz . Deswegen muss der Mietspiegel
diese Funktion behalten . Alle Überlegungen, die dahin
gehen, den Betrachtungszeitraum von derzeit vier Jahren
auf acht Jahre, zehn Jahre oder gar ganz auszudehnen,
sind völlig verfehlt . Deswegen werden wir als Union die-
se Verlängerung der Betrachtungszeit nicht mitmachen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dann will ich noch sagen, was das zur Folge hätte;
dafür bleibt mir jetzt leider nur wenig Zeit . Sie müs-
sen bedenken: Was folgt denn daraus, wenn Sie diesen
Betrachtungszeitraum so verlängern? Die ortsübliche
Vergleichsmiete würde sofort sinken, automatisch, und

gleichzeitig auf diesem niedrigen Niveau eingefroren .
Nun kann mancher sagen: Das ist genau das, was ich
will . – Aber Sie müssen sich einmal überlegen, was die
Folgen für die Immobilienunternehmen an der Stelle wä-
ren: Die Immobilienwerte würden automatisch sinken,
der Verschuldungsgrad würde ansteigen, und die Eigen-
kapitalquote würde sinken . Dann ist kein Bewegungs-
spielraum für Investitionen in Modernisierung oder in
Neubau mehr vorhanden . Damit geben Sie den Mietern
Steine statt Brot . Deswegen kann das nicht sein . Der Be-
trachtungszeitraum von vier Jahren muss bleiben, meine
Damen und Herren .


(Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ CSU])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815204300

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen . Des-

halb will ich auch keine Zwischenfrage erlauben . Die Re-
dezeit war schon überschritten .


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1815204400

Die Redezeit ist schon überschritten – das ist scha-

de –; deswegen muss ich zum Schluss kommen .

Meine Damen und Herren, Sie haben gesehen: Die
Anträge der Linken sind mit Ideologie gespickt .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist nicht wahr! Ablehnend!)


Sie zeugen auch von wirtschaftlichem Unverstand .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815204500

Herr Luczak, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss

kommen .


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1815204600

In diesem Sinne werden wir sie hier natürlich nicht

nur ablehnen, sondern auch eigene gute Vorschläge vor-
legen, die einen ausgewogenen Kompromiss zwischen
den berechtigten Interessen der Mieter und der Vermieter
darstellen .

Vielen Dank, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist eine klare Absage an Maas, was Sie hier machen! Unglaublich!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815204700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn jeder die Re-

dezeit um eine Minute überschreitet, summiert es sich .
Deswegen bitte ich wirklich darum, sich an die Redezeit
zu halten .

Als nächster Redner hat Oliver Krischer von der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Dann nehmen wir die Minute da wieder! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Dr. Jan-Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)



Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815204800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir reden hier über ein zentrales sozialpolitisches Thema:
Mieten und Wohnungsnot . Wenn ich mir die Regierungs-
bank anschaue, dann fällt mir auf: Keiner der zuständi-
gen Minister – Herr Maas oder Frau Hendricks – hält es
für nötig, hier zu sein . Das zeigt ja schon, welchen Stel-
lenwert dieses Thema ganz offensichtlich hat und dass es
nicht so ganz ernst genommen wird . Herr Luczak – ist er
noch da? nein, er ist schon weg – hat das hier gerade mit
dem Bild, das er abgegeben hat, bestätigt . Nach seiner
Rede könnte man ja glauben: Es ist alles gut . Aber, meine
Damen und Herren, weshalb haben wir denn steigende
Mieten? Wir stehen in den nächsten Jahren vor einer Rie-
senherausforderung, weil Hunderttausende Wohnungen
in Deutschland fehlen . Das sorgt natürlich für sozialen
Sprengstoff . Das sorgt für Probleme, und diesen müssen
wir uns widmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich sage ganz deutlich: Das, was sich die Koalition
jetzt mit der steuerlichen Förderung überlegt hat, ist dem
Problem nicht angemessen . Denn das ist Gießkannen-
prinzip . Das bedeutet gerade nicht, dass günstiger Wohn-
raum für Menschen mit geringem Einkommen zur Verfü-
gung gestellt wird, sondern dass breit gefördert wird . Das
ist nicht die notwendige Antwort auf diese Herausforde-
rung . Da müssen wir andere Dinge tun . Was wir brau-
chen, ist eine Renaissance des sozialen Wohnungsbaus .
60 000 Wohnungen fallen pro Jahr aus der Preisbindung,
und das ist ein Riesenproblem für Menschen mit gerin-
gem Einkommen . Da müssen wir handeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich sage: Die zentrale Stellschraube ist, dass der Bund
hier investieren muss . Wir brauchen 2 Milliarden Euro
für den sozialen Wohnungsbau . Wie ich gerade gelesen
habe, unterstützt ja Frau Hendricks, die leider der De-
batte nicht beiwohnt, diese Forderung, 2 Milliarden Euro
zur Verfügung zu stellen . Das Problem ist nur, dass die
Forderungen von Frau Hendricks in dieser Koalition die
Durchschlagskraft von Wattebällchen haben . Das nützt
uns dann überhaupt nichts . Hier wird von dieser Regie-
rung nicht angemessen regiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was wir ansonsten brauchen, ist eine neue Wohnungs-
gemeinnützigkeit . Das wäre eine angemessene Antwort .
Wir haben viele kommunale Wohnungsbaugenossen-
schaften . Die könnten hier handeln . Die müssen wir in
die Lage versetzen, dass sie günstigen Wohnraum für
Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung stel-
len .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Den gibt es jetzt schon! Das können sie jetzt schon!)


Dabei geht es nicht darum – wie manche das jetzt wie-
der diskutieren –, irgendwo in Gettos am Stadtrand mit
abgesenkten Standards zu bauen . Da sollten wir aus den

Fehlern des 20 . Jahrhunderts gelernt haben . Guten, preis-
werten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, ist eine He-
rausforderung für die Bundespolitik . Hier, meine Damen
und Herren, müssen Sie endlich handeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE] – Michael Frieser [CDU/CSU]: Das hat mit uns gar nichts zu tun!)


Aber mit dem Handeln ist das ja so eine Sache . Sie
haben mit großem Tamtam eine Mietpreisbremse be-
schlossen . Diese galt als großes Innovationsprojekt; je-
denfalls sollte sie das sein . Jetzt stellen wir fest: Diese
Mietpreisbremse ist löchrig wie ein Schweizer Käse . Sie
wird an allen Ecken und Enden umgangen . Sie tut vieles;
sie bewirkt alles Mögliche . Was sie nicht tut, ist, den An-
stieg der Mieten zu bremsen . Und das haben wir Ihnen
schon vorher gesagt, das haben Ihnen schon die Experten
gesagt . Da, meine Damen und Herren, haben Sie versagt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie versagen auch bei den weiteren Baustellen im
Mietrecht . Sie haben im Koalitionsvertrag und auch nach
Einführung der Mietpreisbremse groß angekündigt, dass
Sie ein zweites Paket vorlegen würden . Dazu gibt es jetzt
von Herrn Maas ein Eckpunktepapier . Aber das war es
dann schon wieder . Man hört überhaupt nichts mehr .
Still ruht jetzt der See . Die Herausforderungen sind rie-
sig; aber von dieser Koalition kommt nichts . Ich bin den
Kollegen von den Linken dankbar, dass sie zwei dieser
Baustellen hier zum Thema gemacht haben . Wir brau-
chen endlich rechtssichere, qualifizierte Mietspiegel. Die
unklaren Regelungen in diesem Bereich führen unter an-
derem auch dazu, dass die Mietpreisbremse wirkungslos
ist und dass hier nicht vernünftig gehandelt werden kann .
Dass es Verträge mit solchen Mietpreissteigerungen gibt,
das darf nicht sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die zweite große Baustelle ist die Modernisierungs-
umlage – im Moment 11 Prozent –, die auch Luxussa-
nierungen ermöglicht, sodass genau das stattfindet, was
beschrieben worden ist: dass es Entmietungen gibt, dass
es teilweise Kostensteigerungen von 1 000 Euro gibt,


(Michael Frieser [CDU/CSU]: Was?)


um die Menschen aus den Wohnungen zu treiben . Meine
Damen und Herren, das darf nicht sein . Wir wollen die
energetische Gebäudesanierung, aber nicht eine Umlage,
die am Ende dazu beiträgt, dass die Menschen aus den
Wohnungen vertrieben werden . Auch wenn Sie es igno-
rieren: Das findet in den Ballungsgebieten überall statt,
das ist Realität in unserem Land . Dagegen müssen Sie
etwas unternehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen zum Schluss, meine Damen und Her-
ren: Angesichts von Wohnungsmangel, explodierenden
Mietpreisen, steigendem Neubaubedarf und Klimaschutz
im Gebäudebereich stehen wir vor riesigen Herausforde-






(A) (C)



(B) (D)


rungen . Ich würde mich gerne eines Besseren belehren
lassen; aber bei dem, was ich in dieser Legislaturperio-
de wohnungs- und mietenpolitisch von dieser Koalition
gesehen habe, habe ich die große Sorge, dass Sie die-
sen Herausforderungen nicht gewachsen sind und es am
Ende wieder die Menschen treffen wird, die nicht auf der
Sonnenseite unserer Gesellschaft stehen . Das spaltet un-
sere Gesellschaft weiter . Das können wir uns aus vielen
Gründen nicht leisten .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815204900

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dennis Rohde

von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dennis Rohde (SPD):
Rede ID: ID1815205000

Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrter Herr Krischer, vorweg eine
Sache: Hier den Minister Heiko Maas anzugreifen, dass
er nicht anwesend ist, obwohl Sie wissen, dass er einen
seit vielen Wochen feststehenden Termin in Straßburg
hat, um ein Abkommen zur Geldwäsche zu unterzeich-
nen, ging voll daneben. Ich finde, es ist gut, dass der Mi-
nister in Straßburg ist und nicht hier der Beratung eines
Oppositionsantrags beiwohnt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wusste es nicht! Mir hat es keiner gesagt! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wusste es auch nicht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren die
Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht zum ersten Mal .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Frau Hendricks? Bei welchem Abkommen ist sie? – Gegenruf von der CDU/ CSU: Sie arbeitet!)


Wir haben schon öfter festgestellt, dass der Wohnungs-
markt aus dem Gleichgewicht geraten ist . Wir haben in
ländlichen Gebieten die Situation, dass sich Vermieterin-
nen und Vermieter freuen, wenn sie überhaupt noch einen
Mieter finden. In der Stadt treffen wir genau das Gegen-
teil an: Die Nachfrage überschreitet das Angebot weit,
und die Mieten haben sich in den letzten Jahren explo-
sionsartig entwickelt . Das betrifft Studentinnen und Stu-
denten, die kleine Wohnungen suchen . Das betrifft Fami-
lien, die in eine andere Stadt wechseln und deutlich mehr
für die Miete aufbringen müssen . Das betrifft natürlich
auch ältere Menschen, die zum Beispiel nach einer Mo-
dernisierung die Miete mit ihrer Rente nicht mehr zahlen
können . Wenn wir uns an dieser Stelle ehrlich machen,
dann wissen wir auch: Die gegenwärtige Flüchtlings-
situation wird den Wohnungsmarkt nicht vereinfachen .
Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir als Koalition

hier gegensteuern . Das haben wir getan und werden wir
auch weiter tun .

Wir haben im vergangenen Jahr bereits zwei Maß-
nahmen auf den Weg gebracht, zum Beispiel das Bestel-
lerprinzip bei den Immobilienmaklern . Endlich gilt hier
auch das marktwirtschaftliche Prinzip: Wer die Leistung
bestellt, hat sie auch zu bezahlen . Schluss damit, erst ein-
mal Hunderte von Euro auf den Tisch zu legen, bevor
man einziehen kann!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Bestellerprinzip wirkt und wird angenommen . Ich
zitiere die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4 . De-
zember 2015 . Dort steht:

Ein halbes Jahr nach der Einführung des Bestel-
lerprinzips lässt sich mit einiger Gewissheit sagen,
dass dies eine gute Regelung ist .

Und weiter:

Das alles kommt Kunden und Mietern entgegen .
Außerdem trägt die Entwicklung dazu bei, das mi-
serable Image der Wohnungsmakler zu verbessern .

Das war und ist ein gutes Gesetz, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben die Mietpreisbremse auf den Weg gebracht .
Wir können heute, ein Jahr danach, sagen, dass die Lan-
desregierungen dieses Angebot angenommen haben .
Wir haben mittlerweile in 292 Städten und Gemeinden
eine Mietpreisbremse. Ich finde, an dieser Stelle sollte
man noch einmal betonen, dass es wichtig war, dass wir
uns als SPD durchgesetzt und die Mietpreisbremse nicht
an das Vorhandensein eines Mietspiegels gekoppelt ha-
ben . Hätten wir das getan, dann hätten wir heute nicht
292 Mietpreisbremsen, sondern lediglich 75 . Hätten wir
es an das Vorhandensein eines qualifizierten Mietspiegels
gekoppelt, hätten wir nicht 292 Mietpreisbremsen, son-
dern 45 . Es war richtig, dass wir diese Koppelung nicht
vorgenommen haben, damit auch die anderen 217 Städte
und Gemeinden dieses Mittel verwenden können, liebe
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Da haben wir etwas richtig Gutes gemacht!)


Die Frage, die richtigerweise im Raum steht, ist doch:
Warum sind die Kommunen momentan so zurückhaltend,
wenn es darum geht, einen Mietspiegel auszubringen?
Warum sind die Kommunen momentan so zurückhaltend,
wenn es darum geht, einen Mietspiegel herauszubringen,
insbesondere einen qualifizierten Mietspiegel? Da ist die
jetzige Gesetzeslage eben problematisch, da bei einem
qualifizierten Mietspiegel nur die Vertragsabschlüsse der
letzten vier Jahre berücksichtigt werden .

Wir wissen alle, was in den letzten vier Jahren auf dem
Mietwohnungsmarkt passiert ist . Die Mieten sind gestie-
gen, gestiegen und gestiegen . Wenn ich das in einem
Mietspiegel darstellen würde, dann würde ich eben nicht
darstellen, was in einer Kommune durchschnittlich an

Oliver Krischer






(A) (C)



(B) (D)


Mieten gezahlt wird, sondern ich würde darstellen, wie
viel ein Vermieter momentan für sein Objekt bekommen
könnte . Die Angst, die in vielen Kommunen vorherrscht,
ist dann auch berechtigt . Dort denkt man nämlich, man
erreicht genau das Gegenteil von dem, was man eigent-
lich erreichen will . Wir wollen die Mieterinnen und Mie-
ter in diesem Land schützen und kein Instrument auswei-
sen, das der Renditeoptimierung dient, liebe Kolleginnen
und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb findet sich – bei aller Debatte – ein ganz ent-
scheidender Satz im Koalitionsvertrag . Da steht:

Wir sorgen dafür, dass im Mietspiegel die ortsübli-
che Vergleichsmiete auf eine breitere Basis gestellt
und realitätsnäher dargestellt wird .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann denn?)


Nur darum darf es in den kommenden Wochen und Mo-
naten gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erzählen Sie schon seit zwei Jahren!)


Eines ist uns ganz wichtig – und das unterscheidet uns
elementar von dem Antrag der Linken, der uns heute vor-
liegt –: Wir wollen das verfassungsrechtlich garantierte
Selbstverwaltungsrecht der Kommunen weiterhin oben
halten . Wir wollen keine Zwangsmietspiegel . Wir haben
gute Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker,
wir haben gute Ratsfrauen und Ratsherren, und wir trau-
en denen zu, diese Entscheidung zu treffen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden uns in den nächsten Wochen und Mona-
ten für noch mehr starkmachen . Wir werden uns ganz
genau ansehen, was es zur Folge hat, dass Mietfläche
und vereinbarte Mietfläche um 10 Prozent abweichen
können, dass man für Phantomflächen Mietgebühren und
Betriebskosten zahlt . Hier brauchen wir eine neue Rege-
lung, um insbesondere das Vertrauen zwischen Mietern
und Vermietern zu stärken .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat der BGH jetzt auch gesagt!)


Es geht um eine vernünftige Lösung für die Moderni-
sierungsumlage . Wir wollen nicht, dass Mieterinnen und
Mieter durch sogenannte Luxussanierungen aus ihrem
Heim oder aus der Wohnung ausziehen müssen, in de-
nen sie viele Jahre gewohnt haben . Wir wissen aber auch,
dass wir hier ganz behutsam sein müssen und aufpassen
müssen, welche Regelungen wir treffen; denn wir ha-
ben natürlich die Pariser Beschlüsse im Hinterkopf . Wir
wissen, dass Barbara Hendricks mit einem sehr guten
Ergebnis zurück nach Deutschland gekommen ist, und
wir wollen insbesondere die CO2-Ziele einhalten . Dazu
gehört natürlich die energetische Sanierung . Wir wollen
den Weg dafür nicht verbauen, aber wir wollen auch Mie-
terinnen und Mieter schützen . Diese Debatte werden wir

in den nächsten Wochen führen, damit beides möglichst
gut ineinander aufgeht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Städ-
te ändern sich . Sie sind, das zeigt die Entwicklung der
letzten Jahre, attraktiv für viele Menschen, für Familien
mit Kindern, für Migrantinnen und Migranten, für Be-
rufstätige, aber natürlich auch für unsere ältere Genera-
tion . Dafür zu sorgen, dass diese lebendige Mischung
erhalten bleibt, dass unsere Städte eben nicht nur für eine
Oligarchie von Betuchten da sind, das ist und bleibt un-
sere Aufgabe .

Deswegen müssen wir die Missstände angehen, statt –
wie in vergangenen Zeiten – in Untätigkeit zu verharren,
aber wir wollen das nicht mit Fantastereien . Wir wollen
das nicht durch Luftschlösser und mit unüberlegtem Ak-
tionismus erreichen, sondern mit guten, tragfähigen und
auf Sachverstand bauenden Lösungen . Deshalb: Warten
wir das ab, was derzeit im Bundesministerium der Justiz
und für Verbraucherschutz entwickelt wird! Wir werden
diesen Vorgang parlamentarisch intensiv begleiten . Wir
sind der festen Überzeugung: Am Ende kommt ein gutes
Gesetz dabei heraus .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Nur wann?)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815205100

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Marie-Luise

Dött von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marie-Luise Dött (CDU):
Rede ID: ID1815205200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebes Präsidium!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den kom-
menden Jahren müssen circa 350 000 bis 400 000 neue
Wohnungen pro Jahr gebaut werden . Nur so erhalten alle
Wohnungssuchenden eine Chance, geeigneten Wohn-
raum zu finden. Darüber hinaus muss die Rate bei der
Gebäudesanierung auf über 2 Prozent gesteigert werden .
Die ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen wir sonst
nicht .

Der deutsche Wohnungsmarkt steht also vor einer histo-
rischen Investitionsherausforderung . Neubau und Sanie-
rung müssen zeitgleich zur Hochform auflaufen. Aber:
Am Ende muss alles bezahlt werden . Kein vernünftiger
Mensch wird in den Mietwohnungsbau oder in die ener-
getische Sanierung von Mietwohnungen investieren,
wenn eine Wirtschaftlichkeit nicht erreicht werden kann .

Ich verstehe es nun als unsere Aufgabe, die best-
möglichen Voraussetzungen für die notwendige Inves-
titionsoffensive zu schaffen . Wir müssen die optimalen
Rahmenbedingungen entwickeln . Die Arbeit daran wird
kontinuierlich fortgesetzt, und sie erreicht hoffentlich
heute ein weiteres Etappenziel, nämlich eine politische
Verständigung der Bundesregierung mit den Ministerprä-

Dennis Rohde






(A) (C)



(B) (D)


sidenten der Länder heute Abend über eine steuerliche
Förderung des Wohnungsneubaus .


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Wir hoffen, dass die Länder darüber sprechen!)


Sie wird bei richtiger Ausgestaltung der erfolgverspre-
chende Baustein im Reigen der Maßnahmen sein, die
vom Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen ent-
wickelt worden sind . Dazu nur zwei Stichworte: Woh-
nungen für Familien mit mehreren Kindern – auch damit
muss man sich beschäftigen –, richtige Baukostengren-
zen .

Forderungen nach investitionsfeindlichen Änderun-
gen am Mietrecht kann ich nur in einer Form kommen-
tieren: eine ausgesprochen schlechte Idee . Wir brauchen
keine Gesetzgebung zur sozialistischen Mangelverwal-
tung, sondern Anreize zur marktwirtschaftlichen Ange-
botsausweitung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das betrifft nicht nur die vorliegenden Anträge der Lin-
ken – da habe ich auch nichts anderes erwartet –,


(Caren Lay [DIE LINKE]: Wo sind denn Ihre eigentlich?)


sondern leider auch weite Teile der von Bundesminister
Maas entwickelten Vorschläge zur Änderung des Miet-
rechts .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da hören wir, wo das Problem liegt!)


H
Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1815205300
weniger Ideolo-
gie, mehr Praxisbezug – dann passt das auch .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann ist diese Koalition am Ende? Schon längst! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wurde heute Morgen gesagt, es gäbe keine Probleme in dieser Koalition! Wenn das kein Problem ist!)


Nur vermute ich, dass da am Ende nicht viel von Ihren
Vorschlägen übrig bleibt . Verständigen wir uns auf das,
was im Koalitionsvertrag vereinbart und machbar ist!


(Ulli Nissen [SPD]: Was vereinbart ist! Das ist wichtig!)


Auf die Ausweitung des Bezugszeitraums bei der Er-
mittlung der Vergleichsmiete hatte die SPD schon bei den
Koalitionsverhandlungen verzichtet . Das wäre nämlich
auch nicht bauförderlich . Die rosarote Seifenblase mit
Amortisationsregelungen im Modernisierungsmietrecht
ist ja auch schon seit langem geplatzt .


(Ulli Nissen [SPD]: Da brauchen wir ein Geben und ein Nehmen!)


Die Bundesregierung insgesamt hat sich also auch mit
Zustimmung des Bundesministers Maas in mehreren

Beschlüssen zum Klimaschutz dazu bekannt, dass Än-
derungen am Modernisierungsmietrecht die Anreize zur
Modernisierung nicht verringern dürfen .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Im Gegenteil!)


Das ist also der Gradmesser für alle dazu zu entwickeln-
den Ideen . Fundamentale Änderungen am Modernisie-
rungsmietrecht stehen also überhaupt nicht zur Debatte .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Aber selbstverständlich!)


Der populistische Wettbewerb um die niedrigste Prozent-
zahl bei der Modernisierungsmieterhöhung geht zulasten
der Klimaziele, geht zulasten der Umwelt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Als umwelt- und baupolitische Sprecherin bin ich
vom Deutschen Mieterbund enttäuscht .


(Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh!)


Er führt eine rufschädigende Debatte um das bestehende
Modernisierungsmietrecht: hier der profitorientierte Ver-
mieter, auf der anderen Seite der arme Mieter .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für eine verquaste Ideologie!)


Ich kenne keinen investitionsfreundlichen und vor allem
umsetzbaren Gegenvorschlag des Mieterbundes, auch
nicht der Linken .


(Ulli Nissen [SPD]: Was sagen Sie denn den Mietern?)


Im Gegenteil: Das, was mir vorliegt, bedeutet Verfall der
Bausubstanz – da gebe ich Ihnen teilweise recht; hier in
Berlin kann man das auch sehen – und Sanierungsstau
auf ewig .

Wer Feuer schürt, sollte auch wissen, wie man es er-
folgreich löscht .


(Ulli Nissen [SPD]: Ja! Gute Aussage!)


Lieber Mieterbund, unser Interesse muss doch sein, ein
größeres Wohnungsangebot zu haben . Ja, es gibt auch
schwarze Schafe aufseiten der Vermieter . Richtig ist, dass
einige das bestehende Modernisierungsmietrecht nicht
ordnungsgemäß anwenden . Sie trennen nicht sauber die
Kosten der Instandhaltung von den Kosten der Moderni-
sierung . Andere achten nicht auf die Grenze der Zumut-
barkeit bzw . der Belastbarkeit der Mieter . Aber das ist
nicht die Regel . Wir sollten mit der Schwarz-Weiß-Ma-
lerei aufhören; Herr Luczak hat schon darauf hingewie-
sen . Im Regelfall werden Modernisierungsmaßnahmen
ordnungsgemäß durchgeführt, und die darauffolgende
Modernisierungsmieterhöhung wird als angemessener
Preis für den gestiegenen Wohnwert akzeptiert . All die
ordentlich arbeitenden Vermieter sollten wir wegen der
wenigen schwarzen Schafe nicht durch schlechtere Rah-
menbedingungen bestrafen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Wir verbessern doch die Rahmenbedingungen! Sie werden besser!)


Marie-Luise Dött






(A) (C)



(B) (D)


Übrigens kann in vielen Regionen Deutschlands gar
nicht die maximal mögliche Modernisierungsmieterhö-
hung durchgesetzt werden . Der dortige Wohnungsmarkt
gibt es nicht her . Auch da müssen wir wegen der energe-
tischen Sanierung noch einmal genau hinschauen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


So komme ich zu der Schlussfolgerung: Der beste
Mieterschutz ist die Angebotsausweitung . Es gilt: Bauen,
bauen, bauen . Erstens . Die Länder müssen zügig die vom
Bund bereitgestellten Milliarden in wirksame und kraft-
volle Wohnungsbauprogramme umsetzen . Herr Krischer,
für den sozialen Wohnungsbau sind die Länder und die
Kommunen zuständig, nicht der Bund .


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Bund muss das Geld dafür geben!)


Zweitens . Die Kommunen sind angehalten, deutlich
mehr Bauland auszuweisen . Die Länder müssen ihnen
dafür auch mehr Spiel in den Landesentwicklungsplänen
geben .


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


Drittens . Die geplante steuerliche Förderung des Woh-
nungsneubaus muss effektiv und unbürokratisch erfol-
gen .

Normalerweise gilt: Klasse statt Masse .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist geklaut! Jetzt klauen Sie meinen Satz für materiell etwas anderes!)


Liebe Kollegen von der SPD, hier kommt es auf die Mas-
se und nicht auf den Klassenkampf an .


(Widerspruch bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Koalition ist nicht zerstritten! Und die Erde ist eine Scheibe!)


Also: Nicht nur auf den sozialen Wohnungsbau abstellen,
sondern auch auf Wohnungen für den Normalverdiener .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Linken
dokumentieren heute mit ihren Anträgen einmal mehr
ihre populistische Gedankenwelt .


(Widerspruch bei der LINKEN)


Bei der SPD setze ich noch auf Vernunft und Einsicht .
Liebe SPD-Kollegen, laufen Sie den anderen Genossen
nicht hinterher . Sie können sie nicht links überholen,
schon gar nicht beim Mietrecht .


(Ulli Nissen [SPD]: Frau Dött, wir haben eine Koalitionsvereinbarung!)


Bleiben Sie bei uns! Wir sind die Mitte und wissen, was
gut für Deutschland ist .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dennis Rohde [SPD]: Total daneben! – Caren Lay [DIE LINKE]: Helau und Alaaf!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815205400

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der

Debatte fort . Als nächste Rednerin hat die Kollegin
Halina Wawzyniak von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An dieser Stelle würde ich auch gerne reden, Halina!)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815205500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! So eine Koalition scheint eine total fried-
volle und nette Veranstaltung zu sein . Vielleicht ziehen
Sie sich doch einfach in einen Raum zurück und klären
das untereinander . Das schien mir jetzt am Ende doch
eine sehr populistische Rede zu sein, die auch sehr ideo-
logiegeprägt ist .


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU – Michael Frieser [CDU/CSU]: Sachverstand und Ideologie!)


Ich will zu Beginn auf eine bemerkenswerte Entschei-
dung des Bundesgerichtshofes hinweisen . Der hat als
legitimes Regelungsziel akzeptiert, dass in Gebieten mit
angespanntem Wohnungsmarkt der Anstieg von Mieten
gedämpft werden kann . Der BGH sagt klar und deutlich:
Die Bestandsgarantie des Eigentums nach dem Grund-
gesetz wird nicht dadurch infrage gestellt, dass nicht
die höchstmögliche Rendite aus dem Eigentumsobjekt
oder nicht die Marktmiete ohne jede Verzögerung und
in voller Höhe erzielt werden kann . – Das Bundesver-
fassungsgericht sagt in ständiger Rechtsprechung, dass
die Bindung des Eigentumsgebrauchs an das Wohl der
Allgemeinheit die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die
Belange desjenigen einschließt, der konkret auf die Nut-
zung des Eigentumsobjektes angewiesen ist .

Warum erzähle ich das alles? Offensichtlich braucht
die Union ein wenig Nachhilfe in Verfassungsrecht .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Die SPD will ich ein wenig ermuntern und sagen: Es gibt
keine verfassungsrechtlichen Bedenken, Vermieterinnen
und Vermieter an ihre soziale Verantwortung zu erinnern .
Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken,
Vermieterinnen und Vermietern zu untersagen, schnellen
und höchsten Profit aus der Vermietung von Wohnraum
zu erzielen . Man muss es nur wollen, man kann es auch
machen . Ich befürchte nur: Mit diesem Koalitionspartner
wird das etwas schwierig . Insofern bin ich gespannt, wie
es weitergeht .

Herr Kelber hat in der Debatte am 2 . Dezember 2015
gesagt, es soll im ersten Quartal 2016 einen Referenten-
entwurf geben . Spannend wäre, zu wissen, ob der wirk-
lich kommt, ob er am Ende sogar durchs Plenum kommt .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Was drinsteht vor allem!)


Auch da bin ich relativ skeptisch, wenn ich mir so an-
schaue, wie der Koalitionsfrieden aussieht . Aber das ist
nicht mein Problem .

Marie-Luise Dött






(A) (C)



(B) (D)


Zu dem Eckpunktepapier will ich sagen: Es ist sicher-
lich richtig, und der Vorschlag, die Modernisierungsum-
lage abzusenken, geht in die richtige Richtung . Auch
die Neuregelung der Kappungsgrenze scheint uns eine
Maßnahme zu sein, die in die richtige Richtung geht . Wir
wollen natürlich deutlich mehr . Hinsichtlich dessen, was
Ihr Koalitionspartner dazu gesagt hat, empfehle ich groß-
zügiges Ignorieren der Einwände .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben bereits im März 2015 – meine Kollegin
Lay hat bereits darauf hingewiesen – einen Vorschlag zur
Veränderung des Systems der ortsüblichen Vergleichs-
miete unterbreitet . Dieser Antrag liegt Ihnen heute vor .
Den Vorschlag von Ihnen, den Zeitraum auf zehn Jahre
auszudehnen, finden wir sinnvoll und richtig. Ich kann
nur hoffen, dass Sie von der SPD an dieser Stelle stand-
haft bleiben . Für eine solche Ausweitung hätten Sie im
Übrigen unsere Stimmen . Wenn die Grünen mitmachten,
gäbe es dafür sogar eine Mehrheit .


(Beifall bei der LINKEN)


Sinnvoll ist aus unserer Sicht auch, die Schutzrege-
lung bei Zahlungsverzug im Hinblick auf fristlose Kün-
digungen auf ordentliche Kündigungen auszudehnen . Es
kann einfach nicht sein, dass, wenn zwei Monate nach
einer fristlosen Kündigung gezahlt wird, die ordentliche
Kündigung bestehen bleibt .

Ich möchte Sie bitten, eine weitere Lücke zu schlie-
ßen, die leider nach einem BGH-Urteil eingetreten ist .
Der BGH hat nämlich entschieden, dass einer Mieterin
oder einem Mieter, die bzw . der auf Sozialleistungen an-
gewiesen ist und diese auch rechtzeitig beantragt hat, sie
aber zu spät bekommen hat und deshalb die Miete nicht
zahlen konnte, gekündigt werden kann. Ich finde, solche
Kündigungen müssen wir gesetzlich ausschließen .


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt noch zwei weitere Punkte, die aus meiner Sicht
wichtig sind . Es geht um die Regelung zur Eigenbedarfs-
kündigung und die Regelung zur Kündigung wegen Hin-
derung der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung .
Wir bleiben dabei: Eine Kündigung wegen beabsichtigter
wirtschaftlicher Verwertung muss ausgeschlossen wer-
den, wenn diese für Mieterinnen und Mieter eine unzu-
mutbare soziale Härte bedeuten würde . Es muss ein Ende
haben, dass Mieterinnen und Mieter mit der Androhung
einer Kündigung wegen wirtschaftlicher Verwertung zur
Zahlung höherer Mietpreise erpresst werden. Dies findet
statt, und das kann nicht so bleiben .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Kündigungsschutz nach Umwandlung in Eigen-
tumswohnungen muss bundesgesetzlich nach oben an-
geglichen werden . Es gibt in den Ländern Regelungen,
die deutlich weiter gehen als die bundesgesetzliche Re-
gelung .

Kurz und gut: Es gibt in diesem Bereich einiges zu
tun . Wenn es um die Verbesserung der Situation von Mie-
terinnen und Mietern geht, werden wir Sie kritisch, kon-
struktiv begleiten . Unsere Beiträge sind übrigens deut-

lich gehaltvoller, substanzieller und auch seriöser als das,
was wir heute hier von der Union gehört haben .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815205600

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dirk Wiese

für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1815205700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Gesagt – getan – gerecht! In Deutschland gilt
die Mietpreisbremse . Dieses Versprechen hat die SPD
gegeben und gehalten . Gut so!


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bringt überhaupt nichts!)


Mein Heimatland, Nordrhein-Westfalen, war eines
der ersten drei Bundesländer, die mit gutem Beispiel vo-
rangegangen sind . Nordrhein-Westfalen hat gleich Mitte
letzten Jahres, am 1 . Juli 2015, die Mietpreisbremse in
22 Städten eingeführt . Das ist gut für die Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land, insbesondere für die Bür-
gerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen, ganz be-
sonders für die in den Hotspots Düsseldorf, Köln, Bonn
oder auch Münster . An dieser Stelle muss man dem
NRW-Bauminister Mike Groschek danken, der eine her-
vorragende Arbeit geleistet hat .


(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg . Christian Hirte [CDU/CSU])


– Herr Kollege Hirte, da ich Ihren Zwischenruf gerade
gehört habe, diese leichte Bemerkung gegen die Landes-
regierung, sage ich: Ich glaube, wenn ein CDU-Landes-
vorsitzender es nicht einmal schafft, korrigierte Klau-
suren vernünftig zurückzuschicken, sollten Sie lieber
kleine Brötchen backen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja kein Problem der Korrektur! Der hat am Ende nicht einmal seine Klausuren wiedergefunden! – Zuruf von der CDU/CSU: Reden wir lieber über die Polizei in Nordrhein-Westfalen!)


Des Weiteren haben wir ganz klar dafür gesorgt, dass
die soziale Marktwirtschaft endlich auch bei den Mak-
lern angekommen ist . Wer die Leistungen bestellt, der
bezahlt sie mittlerweile auch . Das ist gut . Auch das haben
wir versprochen und umgesetzt .

Kurzum: Wir haben den Schutz der Mieterinnen und
Mieter in Deutschland erheblich verbessert . Diesen Weg
werden wir weitergehen . Bei den Maklern werden wir
künftig einen Sachverständigennachweis einführen . Das
halte ich ebenfalls für richtig . Es kann nicht jeder Daher-
gelaufene aus dem Import-Export-Geschäft als Makler
von Wohnungen auftreten . Dafür bedarf es einer gewis-

Halina Wawzyniak






(A) (C)



(B) (D)


sen Ausbildung und eines gewissen Sachverstandes . Die-
ses Thema werden wir ebenfalls anpacken .

Ich bin Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Frak-
tion der Linken, wirklich dankbar dafür, dass Sie uns
mit dieser Kernzeitdebatte die Möglichkeit geben, auf
bereits bestehende Erfolge hinzuweisen und deutlich zu
machen, was wir im Mietrecht noch vorhaben . Ich möch-
te noch auf den einen oder anderen Punkt Ihrer Anträge
eingehen, weil mich die Ziele, die Sie mit diesen Anträ-
gen verfolgen, ein bisschen wundern . Sie wollen, dass
der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordert,
qualifizierte Mietspiegel für bestimmte Städte einzufüh-
ren und die Modernisierungsumlage zu begrenzen . Ich
habe mich, ehrlich gesagt, gefragt, ob Sie keine Zeitung
lesen und in informationstechnischer Hinsicht etwas ab-
geschnitten sind; denn das, wozu Sie die Bundesregie-
rung heute auffordern wollen, ist schon längst in Angriff
genommen worden . Das BMJV hat ein Eckpunktepapier
vorgelegt . Der Referentenentwurf ist in Arbeit .


(Zurufe von Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Ein Eckpunktepapier! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Eckpunktepapier! Halleluja!)


Warten Sie doch erst einmal bei diesem einen Punkt ab!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Frau Kollegin Künast, bei Zwischenrufen ist
es wie mit dem Posten bei Facebook: Erst nachdenken,
dann das Foto posten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Kollege Rohde hat, glaube ich, noch einmal aus-
führlich deutlich gemacht – darauf will ich gar nicht
mehr eingehen –, dass der Mietspiegel und die Moder-
nisierungsumlage wichtige Punkte für uns als Sozialde-
mokratie sind . Frau Künast, der Kollege Dr . Ullrich ist ja
im Bereich des Facebook-Postens mit Ihnen der Experte .
Er wird die Geschichte vielleicht gleich noch einmal er-
zählen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der war auch bei „George Washington“!)


Ich will mich heute auf zwei Punkte beschränken, die
wir in der Planung haben .

Erstens . Die Abschaffung der Abweichung von der
tatsächlichen Wohnfläche bei Mietverträgen. Sie alle
kennen das Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jah-
re 2004, das damals eine zulässige Abweichungsgrenze
von 10 Prozent festsetzte . Mieter hatten faktisch keine
Chance mehr, gerichtlich gegen Abweichungen in dieser
Höhe vorzugehen . Man muss sich das einmal verdeutli-
chen: Bei einer 100-Quadratmeter-Wohnung zahlt man
im schlimmsten Fall quasi jeden Monat für ein kleines
Zimmer, das in Wirklichkeit gar nicht existiert, etwa
ein kleines Arbeitszimmer von 10 Quadratmetern, flei-
ßig mit . An teuren Wohnungsmärkten wie in Düsseldorf
und Münster ist das schnell ein sehr teurer Spaß . Über

die Jahre entrichten die Mieter somit hohe Beträge für
eigentlich virtuellen Wohnraum, zumal sie nicht nur die
Mietkosten zahlen, sondern die Wohnfläche auch bei der
Berechnung der Betriebskosten eine Rolle spielt .

Der neutrale Zuhörer mag jetzt vielleicht denken, dass
solche Abweichungen nur die absolute Ausnahme sind,
doch dem ist mitnichten so . Denn leider muss man sagen,
dass das eben genannte Urteil des Bundesgerichtshofs
von unredlichen Vermietern leider wohl auch als Frei-
brief verstanden worden ist mit der Folge, dass die Wahr-
scheinlichkeit, eine Wohnung zu haben, bei der die tat-
sächliche Fläche von der im Mietvertrag ausgewiesenen
Fläche abweicht, wirklich groß ist . Nach Schätzungen
des Deutschen Mieterbundes – diesen möchte ich einmal
in Schutz nehmen; der Deutsche Mieterbund macht einen
hervorragenden Job; man sollte ihn nicht kritisieren; das
ist nicht angemessen –


(Beifall bei der SPD)


betrifft das jede zweite oder dritte Wohnung in Deutsch-
land . Da werden zu Unrecht Milliardenbeträge für nicht
vorhandenen Wohnraum gezahlt, den es nur auf dem Pa-
pier gibt . Das ist ein unhaltbarer Zustand, den wir jetzt
beseitigen werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin froh, dass wir die Beseitigung dieses Miss-
standes in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt haben .
Noch einmal: Zwischen Koalitionspartnern gilt der Ko-
alitionsvertrag .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wird aber nichts mehr umgesetzt!)


Frau Kollegin Dött, ich würde Sie bitten, dort noch ein-
mal nachzulesen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Künftig wird damit bei Mieterhöhungen und bei der
Umlage von Betriebskosten nur die tatsächliche Wohn-
fläche zählen. Also: Wer 100 Quadratmeter Wohnraum
anmietet, der zahlt in Zukunft auch nur für 100 Quadrat-
meter – Punkt .

Der zweite Punkt, der wichtig ist, ist die Unterstützung
von Klein- und Privatvermietern, denen wir mit unserem
zweiten Mietpaket unterstützend unter die Arme greifen
werden . Gerade in ländlichen Räumen – auch in meinem
Wahlkreis im Sauerland – ist die Vermietung einer klei-
nen Wohnung oft ein guter Nebenverdienst, etwa wenn
die alte Wohnung der Eltern im Haus vermietet werden
soll . Nach einer Studie des Bundesinstituts für Bau-,
Stadt- und Raumforschung gibt es deutschlandweit etwa
10,7 Millionen Mietwohnungen von Privateigentümern
in Mehrfamilienhäusern . Davon vermieten 57 Prozent
nur eine einzige Wohnung . Größere Bestände sind eher
die Ausnahme . Nur 2 Prozent der Vermieter haben mehr
als 15 Mietobjekte im Angebot .

Kleinvermieter sind aber oftmals – das müssen wir
feststellen – mit der Bürokratie überfordert, wenn es um
die Umlegung von entstandenen Instandhaltungskosten
auf die Mieter geht . Deshalb werden wir ein vereinfach-
tes Verfahren für Kleinstvermieter einführen . Das ist gut

Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


so und schützt die vielen redlichen Kleinvermieter in un-
serem Land .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die
rot-schwarze Koalition optimiert auch weiterhin das
Mietrecht . Auf diese Verbesserungen warten viele Bür-
gerinnen und Bürger in unserem Land,


(Caren Lay [DIE LINKE]: Wie lange noch?)


in Düsseldorf, in Köln, in Münster, aber auch im Wahlbe-
zirk Tempelhof-Schöneberg . Denn bei der einen oder an-
deren Debatte habe ich manchmal den Eindruck, dass in
Tempelhof-Schöneberg 99 Prozent der Makler im Land
wohnen . Vielleicht sollten die Mieterinnen und Mieter
einmal genau hinschauen, wer hier welche Rede hält .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke für die Unterstützung!)


Mieter schützen und Vermieter unterstützen – das ist die
Prämisse unseres Handelns .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815205800

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin spricht Renate

Künast von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815205900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe

mich in dieser Debatte, ehrlich gesagt, nicht ganz ent-
scheiden können, ob die Hauptentwicklung war, dass
man sich innerhalb der Koalition gegenseitig Ideologie
vorwirft, oder ob es großkoalitionäre Autosuggestion
war, wie schön die Situation doch für Mieterinnen und
Mieter ist . Ich kann mich nicht entscheiden; aber wir ha-
ben ja noch ein paar Redner vor uns .

Es wurde gesagt: Wir haben Eckpunkte vorgelegt . –
Diese Methode kennen wir . Es werden Eckpunkte vor-
gelegt, und es wird gesagt: Ab heute ist die Situation für
die Mieterinnen und Mieter besser . – Danach vergehen
noch zwei Jahre, bis das Gesetz kommt, und die Situation
ist immer noch nicht grundlegend geändert . Das ist die
Wahrheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Caren Lay [DIE LINKE]: Das wäre schon schnell!)


Sie geben hier mit Dingen wie zum Beispiel einer neu-
en Wohnflächenberechnung an, die Sie natürlich nur
deshalb vornehmen, weil es gerade eine entsprechende
BGH-Rechtsprechung gab .

Sehen wir uns doch einmal an, wie die Situation ist .
Ich will mit dem Grundgesetz beginnen, weil der BGH
vor kurzem eine Entscheidung zur Kappungsgrenze in
Berlin – für Frau Dött ist das wahrscheinlich Teufelszeug
und sozialistische Ideologie; so habe ich Ihren ruhigen,

seriösen, unideologischen Redebeitrag gerade verstan-
den – gefällt hat .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Das war gut! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja auch Teufelszeug!)


Der BGH hat gesagt, dass uns ein Blick ins Grund-
gesetz den Satz „Eigentum verpflichtet“ finden lässt. Er
verpflichtet aber auch uns, nämlich dazu, den Gedanken,
dass Eigentum auch eine soziale Pflicht nach sich zieht,
in Recht umzusetzen . Deshalb haben wir das Recht und
die Pflicht, dort, wo Wohnungsmangel herrscht und wo
die Mieten nach oben gehen, die Länder zu befähigen,
etwas dagegen zu unternehmen, und das Bundesrecht so
zu gestalten, dass den Vermietern auch soziale Pflichten
abgerungen werden, sodass sie bei der Miete nicht alles
ausreizen dürfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist ein Stück sozialer Friede, das ist ausbalanciert,
und möglicherweise entspricht das ja auch der katholi-
schen Soziallehre und damit der Kernklientel der Uni-
on – nur Frau Dött wusste das noch nicht .


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wir warten sehnsüchtig auf
die nächste Mietrechtsnovelle . Aber ich sage Ihnen: Sie
können auch die letzte ändern . Auch wenn Sie Ihre so-
genannte Mietpreisbremse sehr gelobt haben, muss ich
Ihnen sagen: Sie haben vergessen, eine Bremse zu in-
stallieren . Ja, es stimmt: Es gibt jetzt hier und da entspre-
chende Einrichtungen . Aber sie sind doch im wahrsten
Sinne des Wortes minimal . Was bleibt – ich muss darauf
hinweisen –, ist eine Rügepflicht der Mieterinnen und
Mieter, wenn der Vermieter rechtswidrig zu viel Miete
verlangt . Dann müssen die Mieter dies rügen und es ma-
teriell nachweisen . Ab dem Zeitpunkt der eingereichten,
substantiiert vorgetragenen Rüge kann man eine Rück-
zahlung geltend machen . Wenn man das ein, zwei Jahre
später macht, bleibt das Geld beim Vermieter . Liebe So-
zialdemokratinnen und Sozialdemokraten, das ist doch
nicht sozial! Aber das steht in Ihrer sogenannten Miet-
preisbremse .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich fordere Sie auf, das zu verändern . „Eigentum ver-
pflichtet.“ Es soll nicht dazu dienen, in die Taschen der
Mieterinnen und Mieter zu fassen .

Auch der Mietspiegel ist ein Thema, das in eurer Vor-
lage drin ist . Auch wenn er verschiedentlich als nicht ganz
rechtssicher kritisiert wird, sage ich Ihnen: Wir brauchen
eine ordentliche rechtliche Definition, wie ein qualifizier-
ter Mietspiegel auszusehen hat, damit er tatsächlich als
Grundlage taugt und rechtsprechungssicher ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Na, wunderbar!)


Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


– Das ist ja schon einmal etwas. – Es muss ein qualifi-
zierter Mietspiegel sein, der auch Aspekte der Ökologie
mit einbezieht .

Frau Hendricks ist heute übrigens nicht entschuldigt;
ich gebe zu, ich habe nachgesehen .


(Zuruf von der CDU/CSU: Die arbeitet!)


Mein Zwischenruf vorhin war falsch . Herr Maas ist näm-
lich entschuldigt; Frau Hendricks ist es aber nicht . Es
hätte mich nicht gestört, wenn er hier wäre .

Meine Damen und Herren, wir brauchen einen Miet-
spiegel – in Paris hat man sich ja jetzt für den Klima-
schutz eingesetzt –, der auch den Klimaschutz beim
Wohnungsbau berücksichtigt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen darüber hinaus mehr soziale Kriterien .

Ich bin dafür, die Berechnungsgrundlage von vier auf
zehn Jahre zu erhöhen, weil „Eigentum verpflichtet“. Wir
müssen auch die Modernisierung angehen . Schade, dass
Herr Luczak, mein Kollege aus Tempelhof-Schöneberg –
dem Ort aller Immobilienverwalter, wie Herr Wiese sag-
te –, jetzt nicht mehr hier ist . Er hat ja eine wunderbare
ideologische Volte geschlagen, indem er gesagt hat: Wir
wollen den altersgerechten Umbau . Wir wollen, dass
die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden . Wir
bekommen nur dann private Investitionen, wenn wir an
dieser Stelle nicht zu enge Vorgaben machen . Deshalb
kann man die 11 Prozent nicht senken. – Das finde ich
materiell falsch . Ich meine, wir müssen diesen Wert re-
duzieren, weil die 11 Prozent sonst eine Art Dukatenesel
sind, wenn man einmal abgeschrieben hat .


(Michael Frieser [CDU/CSU]: Wie bitte? Also ehrlich, das ist ja nicht zu glauben!)


– Ja, ja . Meine Damen und Herren, ich habe nichts gegen
das Geldverdienen . Aber man würde auch bei 9 Prozent
noch Geld verdienen und nicht verarmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Luczak hat immer nur erzählt, dass man die In-
vestitionen nicht drücken darf . Aber er hat nicht gesagt,
wie er die Vermieter und die Eigentümer dazu bringen
möchte, dann auch Barrierefreiheit für alte Menschen
zu schaffen, wie er dafür sorgen will, dass man für sein
Geld auch eine Leistung und nicht nur Mieterhöhungen
bekommt, und wie er das alles umsetzen will . Selbst
wenn Sie die 11 Prozent beibehalten, frage ich Sie: Wo
ist Ihre Regelung, zu sagen: „Zu dulden hat der Mieter
nur Maßnahmen im Hinblick auf Barrierefreiheit und ef-
fektive energetische Sanierung“? Auch da trauen Sie sich
nicht heran .


(Michael Frieser [CDU/CSU]: Weil das nicht geht! Weil das nicht reicht!)


Das ist pure Ideologie, die Sie hier verbreitet haben, mei-
ne Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, bis hin zum Thema Kap-
pungsgrenze gibt es an dieser Stelle viel zu tun . Ich sage
Ihnen eines: Eine der zentralen sozialen Fragen bezieht
sich auf das Thema Miete, an dieser Stelle auch auf das
Thema Mieterhöhung .

Was wir an dieser Stelle brauchen, ist: Bauen, Bau-
en, Bauen . Ferner brauchen wir eine Nachbesserung im
Recht, aber auch Baumaßnahmen . Wir brauchen mindes-
tens 2 Milliarden Euro pro Jahr . Zudem muss über Bun-
des-, Landes- und Kommunalrecht sichergestellt werden,
dass bezahlbare Wohnungen gebaut werden . Wir brau-
chen nicht nur Modernisierung sowie schicke und schö-
ne Wohnungen, sondern auch Otto Normalverbraucher
muss in Deutschland eine Wohnung finden können.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815206000

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815206100

Das stellen Ihre Programme aber nicht sicher .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815206200

Als nächster Redner hat Michael Frieser von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1815206300

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Sie erlebten großes Theater .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Das ist wirklich wahr . Man muss bei Frau Künast immer
aufpassen . Je höher der Tonfall und je intensiver die Ges-
tik wird, desto dünner wird der Inhalt .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Keine Argumente haben Sie! Die Gestik!)


Da muss der eine oder andere manchmal ein bisschen
aufpassen . Egal ob es um die Frage der Barrierefreiheit
oder um Ähnliches geht, kann ich nur zu dem sagen, was
Sie gerade aufgerufen haben, dass vieles von dem nicht
nur in der Mache ist, sondern auch schon Recht und Ge-
setz .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nö!)


Wer versucht, hier den Eindruck zu erwecken, in ganz
Deutschland würden durch Modernisierungen die Mieter
aus den Wohnungen getrieben, der erzählt einfach nur
Unsinn . Das ist nicht der Normalfall in diesem Land .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich auch nicht behauptet!)


Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)


– Frau Künast, ganz ehrlich: Beim Thema Ideologie beu-
ge ich mich Ihrem Sachverstand . Auf diesem Gebiet ha-
ben Sie viel mehr Erfahrung als ich .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin etwas!)


Glauben Sie mir, wir haben den Koalitionsvertrag
nicht nur gelesen, wir haben ihn sogar gemacht . Also
wissen wir auch, was drinsteht . Wir wissen auch, was der
Umsetzung bedarf .

Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Linken heute
einen Antrag stellen, der darauf abzielt, die Vermietung
ganz abzuschaffen, staatliche Wohnungen zu schaffen,
diese zuzuweisen und das Geld direkt zu überweisen;
denn das sei mit weniger Bürokratie verbunden, und au-
ßerdem könne man sich eine ganze Reihe von diesbezüg-
lichen Vorschriften sparen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine schöne Rosenmontagsrede! Auch nächsten Mittwoch können Sie die Rede halten: Da ist Aschermittwoch!)


Im Blickpunkt stehen doch die Ballungszentren . Es
ist doch unbestritten, dass es in diesem Land Städte gibt,
in denen tatsächlich ein Ungleichgewicht auf dem Woh-
nungsmarkt herrscht . Das ist nun wahrlich keine neue
Erkenntnis .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen aber nichts dagegen tun!)


Berlin ist ein wirklich gutes Beispiel für einen leicht
aus der Balance geratenen Wohnungsmarkt . Ich frage
mich aber nur, wer dort eine ganze Zeit lang Verantwor-
tung getragen hat . Unter der Verantwortung der Linken
sind in dieser Stadt 100 000 Sozialwohnungen abgebaut
worden . Das ist die Wahrheit . Das heißt, dort, wo Sie
Verantwortungen getragen haben, haben die Menschen
keine Wohnung mehr . So banal ist das .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist in allen Ländern, in denen die CDU Verantwortung trägt!)


Wir brauchen mehr als 300 000 zusätzliche Wohnun-
gen . Das werden wir nur schaffen, wenn wir die sozialen,
die demografischen und die energetischen Herausforde-
rung angehen . Außerdem wird die Situation nicht gerade
einfacher durch die vielen Flüchtlinge, die sich bei uns
im Land befinden.

Die Lösung kann deshalb nur ein Dreiklang sein . Die-
ser Dreiklang hat seinen Ursprung in einem ausbalancier-
ten und gerechten Mietrecht . Er hat aber natürlich vor al-
lem die Komponente eines sozialen Wohnungsbaus, der
tatsächlich im Argen liegt . Da brauchen wir die Schuld
gar nicht zuzuschieben . Der soziale Wohnungsbau war
einmal das Rückgrat des Aufbaus der Prosperität dieses
Landes . Ich glaube, dass wir gut beraten sind, alle mitei-
nander daran weiterzuarbeiten .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Wahr ist aber auch die Tatsache, dass nur private In-
vestitionen in den Wohnungsmarkt die Voraussetzungen
schaffen, diese drei Herausforderungen auch nur annä-
hernd anzugehen, damit auch nur annähernd ein eini-
germaßen zufriedenstellender Erfolg erreicht wird . Weit
mehr als zwei Drittel des privaten Wohnungsmarktes in
diesem Land befinden sich in privater Vermieterhand.

Es hilft überhaupt nichts, wenn Sie die privaten Ver-
mieter einfach an die Wand stellen und pauschal sagen,
alle seien unsozial und missbrauchten alle Instrumente,
nur um Geld zu verdienen . Bei der Modernisierung ist
das aber doch so: Es ist eine banale Wahrheit, dass jeder,
der schon einmal modernisiert hat, genau weiß, dass er
die Kosten nicht insgesamt umlegen kann . Beim Vermie-
ter bleiben immer auch Dinge hängen, beispielsweise die
Finanzierungskosten .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut doch keiner! Tut überhaupt keiner!)


Deshalb muss ich ganz ehrlich sagen: Wer wirklich
einen sozialen Ausgleich auf dem Wohnungsmarkt will,
der muss für einen angemessenen und ausreichenden
Wohnungsmarkt sorgen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seien Sie doch nicht so ideologisch!)


Egal wie der Wohnungsmarkt aussieht, egal wie auch
immer Sie versuchen, die Mieten künstlich zu deckeln
und zu dämpfen, am Ende des Tages wird der sozial
Schwächere bei einem angespannten Wohnungsmarkt
immer das Nachsehen haben . Genau das ist das Problem .
Deshalb werden wir überhaupt keine Alternative haben,
als den Wohnungsmarkt mit allem, was wir haben, an-
zukurbeln . Dazu gehört auch, das Gift herauszunehmen,
das diesen Investitionsmarkt niederhält .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen bei der Modernisierung aufpassen . Im
Augenblick ist bei Gottlob – na ja, nicht für jeden –
niedrigen Energiepreisen natürlich auch die Umlage der
Modernisierungskosten schwieriger, weil die Amortisati-
on niedriger ist . Das Thema Modernisierung macht den
Markt im Augenblick nicht einfacher .

Wenn Frau Künast ihren Antrag und ihre Ideologie
schon vor 40 Jahren durchgesetzt hätte, hätten wir die
Toilette auf dem Flur – die Außentoilette – jetzt tatsäch-
lich immer noch als Standard .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da war ich doch gerade geboren!)


Es geht doch nicht nur darum, dass wir Barrierefreiheit
herstellen . Das ist zwar wichtig, aber es geht auch darum,
dass heutzutage bestimmte Standards notwendig sind,
und dabei geht es nicht nur um Luxusmodernisierungen .
So leid es mir tut: Das ist tatsächlich ideologischer Bal-
last .

Wenn wir die Umlagefähigkeit auf 5 Prozent senken
würden, dann würde sich am Ende sogar die Absurdität
ergeben, dass man für eine nicht modernisierte Wohnung
mehr Miete verlangen dürfte – die Miete dürfte stärker
steigen – als für eine modernisierte Wohnung . Ja, wo sind

Michael Frieser






(A) (C)



(B) (D)


wir denn? Ich bitte schon, dass man seine Vorschläge zu-
mindest logisch zu Ende denkt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Am Ende will ich noch einmal etwas zum Thema
Mietspiegel sagen . Ich habe wirklich lange Jahre bei mir
zu Hause im Nürnberger Stadtrat gesessen und viel Zeit
mit der Wohnungspolitik verbracht und kann Ihnen nur
sagen: Gottlob gibt es das Instrument des Mietspiegels .
Er entfaltet in Zigtausenden Kommunen eine befrieden-
de Wirkung . Alle Seiten – die Mieterbünde zum größten
Teil, die Hausvermietungen und der Eigentümerverband
Haus und Grund – wirken daran mit . Die Kommunen
stellen ihn auf und tragen am Ende auch die Kosten . Das
ist schön .

Hier soll nun aber etwas bestellt werden, solange die
Zeche von jemand anderem bezahlt wird . Ich frage mich
schon, ob Sie die Regelungen zum Mietspiegel wirklich
auf andere Füße stellen wollen, wodurch Sie Abermilli-
onen an Kosten für die Kommunen verursachen würden,
die sie nicht haben .

Wir haben uns dazu verabredet, im Koalitionsvertrag
zu sagen: Wir brauchen wissenschaftliche, vereinheitli-
chende Standards . Es kann aber nicht sein, dass wir am
Ende des Tages dafür sorgen, dass der Mietspiegel die
Politik ersetzt, wenn es um die Mietpreisbildung in der
Kommune geht . Das wäre absurd . Der Mietspiegel soll
eine befriedende Wirkung erzielen und eine Orientierung
sein, und schon jetzt ist er ein Mittel, um die Mietpreise
zu dämpfen . Am Ende des Tages sollte ein Mietspiegel
aber nicht ein Spiegel der Politik, sondern ein Spiegel
der Realität sein .

Ich glaube, dass wir gut beraten sind, wenn wir bei
den historischen Herausforderungen, denen sich dieses
Land gegenübersieht, nicht so tun, als ob der Mietmarkt
das Einfache wäre, an dem wir uns austoben können . Wir
brauchen jeden Euro und jeden Cent, der in den Woh-
nungsbau investiert wird . Es heißt, hier möglichst we-
nige Barrieren aufzubauen und den Menschen Mut zu
machen, dass das einen Sinn hat und dass das eine ge-
meinschaftliche Aufgabe in diesem Land ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815206400

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Ulli Nissen

von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Ulli Nissen (SPD):
Rede ID: ID1815206500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Gut, dass wir durch die vorliegenden Anträ-
ge zu so prominenter Zeit über bezahlbaren Wohnraum
sprechen können . Dieser Bereich ist uns als rot-schwar-
zer Regierungskoalition besonders wichtig, wobei ich
mir bei Frau Dött da nicht ganz so sicher bin . Liebe Frau
Dött, ich bin mir ganz sicher, dass Sie hier nicht eine sol-

che Rede gehalten hätten, wenn Düsseldorf Ihr Wahlkreis
wäre und Sie ihn direkt gewinnen wollten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, dann wäre sie jetzt fertig!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, es ist
klasse, Anträge aus der Opposition heraus zu stellen;
denn man muss sich ja nicht um die Realisierung küm-
mern . Der Mietspiegel ist hierfür ein Beispiel . Sie for-
dern, dass jede Stadt ab 25 000 Einwohner einen quali-
fizierten Mietspiegel erstellen sollte. Der Bund und die
Kommunen sollten die Kosten hälftig tragen .

Die Linke hat im Osten des Landes einige Bürger-
meisterinnen und Bürgermeister . Haben Sie mit denen
darüber gesprochen, ob sie in der Lage sind, ihre meist
geringen Finanzmittel auch dafür zu nutzen, einen qua-
lifizierten Mietspiegel zu erstellen? Wir als Bund planen
konkrete Verbesserungen beim Mietspiegel . Wir wollen
ihn auf eine breitere Basis stellen und unter anderem die
Mieten der letzten zehn Jahre berücksichtigen . Auch bei
Mieterhöhungen nach Modernisierungen soll es Gren-
zen bis zu bestimmten Prozentsätzen des Einkommens
geben .

Der angespannte Wohnungsmarkt steht bei vielen
Kommunen ganz oben auf der Tagesordnung . Ich kom-
me aus Frankfurt am Main und weiß, wovon ich rede .
„Bauen, Mieten und Wohnen“ ist bei uns das bestimmen-
de Thema . Die Vorschläge der Linken helfen da nicht
weiter .

Zurück zu der Realität und zu den Dingen, die wir
auf den Weg gebracht haben und wozu auch Länder und
Kommunen beitragen müssen . Wir als rot-schwarze Re-
gierungskoalition haben zum 1 . Juni 2015 die Mietpreis-
bremse eingeführt . Sie ist ein wichtiges Instrument, das
Symptome bekämpft, nicht die Ursachen; das wissen wir
alle . Manche Länder haben sich mit der Umsetzung viel
Zeit gelassen .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815206600

Lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lay zu?


Ulli Nissen (SPD):
Rede ID: ID1815206700

Ja, gerne . Dann habe ich mehr Redezeit, danke .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815206800

Frau Lay .


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815206900

Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfra-

ge zulassen . – Sie sind in Ihrer Rede schon mehrfach auf
die Linke eingegangen und haben uns kritisiert . Geben
Sie mir recht, dass der bisherige Debattenverlauf eher
den Eindruck erweckt hat, als seien die Gemeinsamkei-
ten zwischen Linker und SPD in dieser Frage deutlich
größer als die Gemeinsamkeiten zwischen SPD und Uni-
on?

Geben Sie mir auch recht, dass mindestens zwei der
Redner, die heute für die Union gesprochen haben, dem,

Michael Frieser






(A) (C)



(B) (D)


was Minister Maas von der SPD, also von Ihrer Partei,
vorgelegt hat, direkt und frontal widersprochen haben?
Zwei der Rednerinnen und Redner haben gesagt, dass die
Union das, was bei der Absenkung der Modernisierungs-
umlage vom Minister geplant ist, und auch das, was ge-
plant ist, um den Mietspiegel auf eine breitere Grundlage
zu stellen, gar nicht mittragen wird . Was halten Sie denn
bitte schön davon?


(Beifall bei der LINKEN – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Vielen Dank für die Frage! – Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Wir halten uns an den Koalitionsvertrag!)



Ulli Nissen (SPD):
Rede ID: ID1815207000

Liebe Frau Lay, ich bin mir ganz sicher, dass die große

Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU ganz genau Bescheid weiß, wie wichtig es ist, Mie-
terinnen und Mieter zu schützen . Wir arbeiten sehr gut
zusammen . Es ist in jeder Fraktion so – das ist auch bei
Ihnen so –, dass man nicht in allen Themen zu 100 Pro-
zent übereinstimmt . Das ist auch in der CDU/CSU so .
Aber ich sehe hier viele Kolleginnen und Kollegen, bei
denen ich genau weiß, dass ihnen die Mieterinnen und
Mieter wichtig sind . Deshalb bin ich mir ganz sicher,
dass wir das, was in der Koalitionsvereinbarung steht,
umsetzen werden . – Ich danke Ihnen für Ihre Frage .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Greift doch die da drüben an! Die machen euch das Leben schwer, nicht wir!)


Ich habe angesprochen, dass wir zum 1 . Juni 2015
die Mietpreisbremse eingeführt haben, aber sich manche
Länder mit der Umsetzung leider Zeit gelassen haben .
Ich muss hier die Grünen ansprechen . Ihr von den Grü-
nen haltet immer tolle Reden . Aber was machen die Grü-
nen in Hessen? Ich werde hier einige Punkte erwähnen,
die mich wirklich erschrecken .

Im schwarz-grünen Hessen wurde die Mietpreisbrem-
se erst Ende November 2015 eingeführt, also etwa sechs
Monate später . Sie wurde in meiner Stadt Frankfurt auch
nicht flächendeckend für alle Stadtteile eingeführt. Das
ist für die Mieterinnen und Mieter ganz schlecht .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guckt euch mal die gesetzlichen Voraussetzungen an! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt ein schlechtes Gesetz gemacht!)


Sprechen Sie bitte einmal mit den Kolleginnen und Kol-
legen aus dem Landtag .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gesetz muss konkretisieren, wo, welcher Stadtteil!)


– Frau Künast, zuhören bitte .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen reagiere ich ja! Sie kennen ja Ihr eigenes Gesetz nicht!)


Natürlich brauchen wir Maßnahmen gegen Luxussanie-
rungen, die allein zur Profitmaximierung, zur Entmietung
und damit zur Vertreibung von Mieterinnen und Mietern
dienen sollen . Dagegen werden wir als Bund Initiativen
ergreifen .

Aber auch Kommunen selbst können durch eine Mi-
lieuschutzsatzung gegen Luxussanierungen vorgehen .
Dann müssten alle geplanten Modernisierungen der
Stadt zur Genehmigung vorgelegt werden . Dies ist lei-
der in Frankfurt-Ostend, dem Stadtteil der EZB, nicht
passiert . Dort gibt es ein über die Stadtgrenzen hinaus
bekanntes negatives Beispiel für die Entmietungsversu-
che eines Miethais, die Wingertstraße 21 . Es ist nur der
großen Solidarität der dortigen Bewohner untereinander
gemeinsam mit der Nachbarschaft zu verdanken, dass
der Miethai mit seinen aus meiner Sicht brutalen Entmie-
tungsversuchen keinen Erfolg hat . Liebe Wingertstra-
ße 21, ihr habt mich weiter kämpferisch auf eurer Seite!


(Beifall des Abg . Klaus Mindrup [SPD])


Auch die Länder können viel tun, unter anderem eine
Landesverordnung erlassen, mit der die Umwandlung
von Miet- in Eigentumswohnungen unter Genehmi-
gungsvorbehalt gestellt wird . Dies würde uns in Frankfurt
sehr helfen . Leider gibt es dies unter der schwarz-grünen
Landesregierung Hessen nicht . Außerdem gibt es in Hes-
sen weiterhin das große Problem der Eigenbedarfsklagen
bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnun-
gen . Länder könnten durch eine Rechtsverordnung die
Kündigungssperrfrist auf zehn Jahre verlängern . Unter
Schwarz-Grün in Hessen ist diese Frist bei fünf Jahren
geblieben, so wie das auch unter der CDU- und FDP-Re-
gierung der Fall gewesen ist. Das finde ich sehr erschre-
ckend .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen: Es gibt
viele Punkte, die wir gemeinsam klären können . Auf
Bundesebene, Landesebene und kommunaler Ebene
müssen wir zusammenarbeiten . Ich bin mir ganz sicher –
um noch einmal auf die CDU/CSU einzugehen –, dass
wir das umsetzen werden, was wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – MarieLuise Dött [CDU/CSU]: Genau das!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815207100

Als nächster Redner hat Dr . Volker Ullrich von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1815207200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wohnen ist ein Grundbedürfnis der Menschen,
und wir sollten uns mit diesem Bedürfnis beschäftigen
statt mit uns selbst . Wir haben über Facharbeiter, Poli-
zisten, Krankenschwestern, Handwerker, Verwaltungs-
angestellte und viele mehr zu sprechen, die in den gro-
ßen Städten arbeiten und wesentlich zum Gelingen der
Stadtgesellschaft beitragen, sich dort aber keine Woh-

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


nung bzw . kein Haus für sich und ihre Familien leisten
können und gezwungen sind, lange Pendelwege in Kauf
zu nehmen .

Wir haben zu diskutieren über Wartelisten für Sozi-
alwohnungen der Wohnungsbaugesellschaften in den
Städten, die schneller wachsen, als neue Wohnungen ent-
stehen . Wir müssen aber auch über umsichtige Vermie-
ter reden, die über 70 Prozent des Mietbestands in ihrem
Besitz halten und ein gutes Verhältnis zu ihren Mietern
pflegen.

Zutreffend ist, dass die Große Koalition mit der Miet-
preisbremse ein Gesetz zur Begrenzung des Anstiegs der
Miete geschaffen hat . Wahr ist aber auch, dass durch die
Regulierung der Miethöhe allein kein neuer Wohnraum
geschaffen wird . Der Schlüssel zu bezahlbarem Wohnen
liegt in einer einzigen Tatsache: dem Neubau von Woh-
nungen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden und müssen daher mit den uns zur Ver-
fügung stehenden Mitteln dafür sorgen, dass neuer
Wohnraum entsteht . Es ist nicht der Weg der schnellen
und kurzfristigen Versprechungen, der zum Erfolg führt,
sondern die Schwierigkeiten des Wohnungsmietmarktes
erfordern durchdachte Lösungen und eine gute Balance
zwischen den Rechten der Mieter und der Investitionsbe-
reitschaft der Vermieter . Wir spielen Mieter und Vermie-
ter nicht gegeneinander aus, sondern wir versöhnen sie
im Interesse der Menschen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben uns um unsere Städte und Kommunen zu
kümmern . Der Schlüssel zum Neubau liegt in den großen
Städten und Kommunen . Aber viele Kommunen fragen
sich zu Recht, weshalb sie über ihre Wohnungsbauge-
sellschaften Wohnungen errichten oder Wohngebiete mit
Sozialbindung ausweisen sollen, wenn sie dann durch
die Kosten der Unterkunft für wirtschaftlich Schwache
im Ergebnis die Miete selbst bezahlen und damit ihre
ohnehin angespannten Haushalte weiter belasten sollen .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


Deswegen hat die Große Koalition ein Paket auf den
Weg gebracht, um die Kommunen zu entlasten . Wir müs-
sen uns fragen: Was können wir in Sachen Entlastung der
Kommunen noch weiter tun?

Der Wohnungsmietmarkt ist kein Markt wie jeder an-
dere . Er ist aus guten Gründen wie der Sozialbindung des
Eigentums und aus Erwägungen des Gemeinwohls stark
reglementiert . Wir können aber trotzdem die Instrumen-
te des Marktmechanismus nicht ganz ausblenden . Durch
zu tiefe rechtliche Einschränkungen und wirtschaftliche
Einschnitte darf nicht die Situation entstehen, dass Inves-
titionen in Wohnungsbestand oder Neubau für Vermieter
so unattraktiv werden, dass sie erlahmen oder unterblei-
ben und die öffentliche Hand das am Ende durch Pro-
gramme retten muss .

Wir müssen uns fragen: Wie setzen wir die richtigen
Anreize, damit Vermieter in den Wohnungsmarkt inves-
tieren?


(Beifall bei der CDU/CSU)


In den letzten Jahren sind aus guten und politisch eh-
renwerten Motiven immer höhere Ansprüche an Bauen
und Sanieren gestellt worden . Energieeinsparungsver-
ordnung, Kosten für Umweltprüfungen, Barrierefreiheit,
Brandschutz, ökologische Ausgleichsmaßnahmen und
Klimaschutz: Daran will und darf niemand etwas ändern .
Wir müssen uns aber fragen, ob wir die gleichen Ziele
nicht gleich effektiv durch weniger Vorschriften errei-
chen können und damit Baukosten senken . Für die Errei-
chung all dieser Ziele sind die Anträge der Linken nicht
weiter hilfreich . Sie schaffen keinen neuen Wohnraum .
Sie dämpfen nicht die Mietpreisentwicklung,


(Caren Lay [DIE LINKE]: Natürlich!)


sondern führen zu mehr Regulierung in einem Marktbe-
reich, der vieles benötigt, nur keine neuen Regeln, die In-
vestitionen erschweren und damit das Leben der Mieter
schwerer machen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Alle unsere Anträge zum Wohnungsbau haben Sie doch auch abgelehnt!)


Wir brauchen klare Signale für bezahlbare Mieten und
neuen Wohnraum in diesem Land . Dazu gehört:

Erstens . Wir brauchen mehr und bessere steuerliche
Anreize, damit neuer Wohnraum entsteht . Das dient nicht
nur dazu, dass wir Kapital, das nach einer Investition
sucht, gezielt in den Wohnungsmietmarkt lenken . Viel-
mehr wollen wir durch steuerliche Anreize den Neubau
von Wohnungen fördern . Wir sollten uns überlegen, eine
degressive Abschreibung für Wohnungsneubauten ein-
zuführen . Die Eigenheimzulage, die abgeschafft wurde,
wäre für Familien möglicherweise ein gutes Instrument .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Da sehen wir, wo es hingeht!)


Zweitens . Wir müssen über baurechtliche Vorgaben
und Standards reden . Wir sollten die Länder ermutigen,
in ihren bauordnungsrechtlichen Vorschriften sowie im
Rahmen der Stellplatzverordnung und der Energieein-
sparverordnung Potenziale zu heben; denn diese brau-
chen wir, um neue Wohnungen entstehen zu lassen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens . Wir brauchen eine Förderung des sozialen
und genossenschaftlichen Wohnungsbaus, nicht als al-
leinseligmachendes Instrument, sondern als Ergänzung
in sozialen Städten, um Menschen, die wirtschaftlich
schwächer sind, Wohnen in Städten zu erlauben . Wir
sollten uns fragen, ob der Bund den sozialen Woh-
nungsbau noch stärker unterstützen kann und inwiefern
wir durch Rechtsänderungen dem genossenschaftlichen
Wohnungsbau zu einer Renaissance verhelfen können .
Wir sollten auch über Fragen der Gemeinnützigkeit im
Wohnungsbau nachdenken .

Viertens . Wir brauchen ein kluges und ausgewogenes
Mietrecht . Die Modernisierungsumlage darf nicht dazu

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


führen, dass Investitionen gänzlich unterbleiben . Aber
sie darf auch nicht zu einer Situation führen, in der sich
Vermieter einseitig und zulasten der Mieter bereichern .
Wir sollten bei den Regeln, die wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben, bleiben; denn das sind gute und ausge-
wogene Regeln .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen auch über die Frage sprechen, wie wir we-
sentliche Punkte, die die Rechtsprechung in den letzten
Jahren geregelt hat und die ebenfalls zu einem Anstieg
der Mieten geführt haben – Stichworte „Kappungsgren-
ze“ und „Schönheitsreparaturen“ –, rechtlich regeln, um
Rechtssicherheit zu schaffen, und zwar für Vermieter und
Mieter . Rechtssicherheit ist im Bereich des Mietrechts
ein Wert, den wir nicht hoch genug schätzen können .

Wenn wir all diese Punkte beachten und umsetzen –
von steuerlichen Vorschriften bis hin zur Entschlackung
der Bauvorschriften –, wenn wir klug und besonnen vor-
gehen und wenn wir an die Menschen denken, für die
gutes Wohnen eine wesentliche Frage ist, dann werden
wir Erfolg haben und die Lebensqualität in den Städten
und Gemeinden für die Menschen erhöhen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815207300

Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte

hat Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1815207400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kol-
lege Ullrich, Sie sind ja ein Versöhner und Brückenbauer .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darf ich mal fragen, von wo nach wo die Brücke geht?)


Sie haben in Ihrer Rede darauf hingewiesen, dass in un-
serem Koalitionsvertrag steht, dass wir die Mieter und
Mieterinnen vor finanzieller Überforderung schützen und
den Mietspiegel auf eine breitere Basis stellen wollen .
Ich bin gespannt, ob uns das gemeinsam gelingt . Eine
breitere Basis bedeutet für mich jedenfalls, dass wir auch
über die Bezugsdauer reden müssen, also darüber, wie
lange man bei der Erhebung des Mietspiegels zurück-
blickt . Es kann nicht sein, dass wir am bisherigen Vier-
jahreszeitraum festhalten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Das steht nicht drin!)


Ich hatte heute schon Angst, dass wir die soziale
Marktwirtschaft als Grundlage unseres Handelns verlas-
sen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Eindruck hatte ich auch!)


Von Ideologie war die Rede . Für mich verhält es sich so:
Eigentum verpflichtet, ist aber auch zu schützen. Beides
gehört zusammen . Wir stehen sowohl auf der Seite der
kleinen Vermieter, der Vermieter, die mit ihrer Wohnim-
mobilie verantwortlich umgehen, als auch auf der Seite
des Deutschen Mieterbundes . Beide müssen zusammen-
geführt werden .


(Beifall bei der SPD)


Das Beispiel, über das heute auch der Kollege Luczak
berichtet hat, nämlich dass Rentner und Rentnerinnen
ihre Wohnungen verlassen müssen, weil sie nicht in bar-
rierefreien Wohnungen wohnen, und dass man deswegen
auch die 11 Prozent Modernisierungsumlage ermögli-
chen müsse, ist die eine Seite . Es ist richtig: Uns fehlen
in Deutschland über 2 Millionen barrierefreie Wohnun-
gen . In diesem Umfang müssen in den nächsten Jahren
Wohnungen barrierefrei modernisiert werden .

Die andere Seite ist aber, dass Rentnerinnen und Rent-
ner ausziehen müssen, weil modernisiert wurde . Und das
müssen wir verhindern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das müssen wir in Einklang bringen .

Wenn Sie den Wohngeldbericht der Bundesregierung
studieren, dann sehen Sie, dass von den Wohngeldemp-
fängern und -empfängerinnen fast 50 Prozent Rentner
und Rentnerinnen sind . Es ist eine soziale Tat, dafür zu
sorgen, dass diese Menschen in ihrem Umfeld bleiben
können, dass sie ihre Nachbarschaften weiter nutzen
können, dass sie sich darauf verlassen können, eben nicht
vertrieben zu werden, weil Luxusmodernisierung statt-
findet.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben vor zwei Jahren versucht, im Koalitions-
vertrag die soziale Funktion des Mietrechts zu stärken .
Das ist durch das Mietrechtspaket I passiert . Es gibt si-
cherlich Dinge, die wir beobachten müssen, die wir eva-
luieren müssen . Der Mieterbund weist darauf hin, dass
nachfolgende Mieter häufig nicht wissen, wie hoch die
Miete vorher war, weil unter anderem kein Mietspiegel
vorhanden war, aber auch deshalb, weil der Vermieter
die Information nicht zur Verfügung stellt und der Mieter
erst sehr spät erfährt, ob unsere Gesetzgebung auch für
ihn dahin gehend greift, einen neuen Mietvertrag nur mit
einer Mietsteigerung von bis zu 10 Prozent über der orts-
üblichen Vergleichsmiete zu unterschreiben .

Dieses zweite Mietrechtspaket, über das heute schon
mehrfach gesprochen wurde, ist unbedingt notwendig .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht passiert, dass
dann, wenn eine Investitionssumme von 20 000 Euro

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


in die Hand genommen wird, ein Mieter womöglich da-
mit belastet werden kann, dass eine Mieterhöhung von
180 Euro pro Monat stattfindet, und das dauerhaft.


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Das darf nicht passieren . Denn das führt natürlich dazu,
dass es zu finanziellen Überforderungen kommt und dass
der Mieter gegebenenfalls gezwungen wird, aus seiner
Wohnung auszuziehen .

Also, wir haben zwei Leitplanken gesetzt: das erste
Mietrechtspaket und das zweite .

Ich will nur noch darauf hinweisen – das wurde heu-
te ja mehrfach angesprochen –, dass wir Wohnraum
schaffen müssen . Ja – unsere Ministerin hat das deut-
lich gemacht –, wir wollen unter anderem die soziale
Wohnraumförderung noch einmal ausbauen . Ich hoffe,
wir werden uns da einig . Sie hat den Vorschlag gemacht,
die Mittel auf 2 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen .
Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass wir gera-
de unter dem Blickwinkel, dass Menschen mit geringem
Einkommen auch in den Gebieten, in denen es teurer
wird, wohnen können müssen, mehr sozialen Wohnraum
schaffen . Wir müssen uns auch mit den Sozialbindungen
aus einandersetzen, wir brauchen dauerhafte Bindungen
bei den Wohnungen .

Vorhin – ich bin ja fast vom Stuhl gefallen – sagte
Kollege Ullrich, wir müssten über den Ausbau der Ge-
nossenschaften reden, wir müssten über Gemeinnützig-
keit reden . Ja, tun wir das, machen wir das,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


erreichen wir das noch in dieser Legislatur! Dann sind
wir auf einem sehr guten Weg .

Herzlichen Dank . Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815207500

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich

schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/7263 und 18/5230 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen auch so beschlossen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zum Tagesordnungspunkt 6:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung und Erweiterung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an
der Multidimensionalen Integrierten Stabi-
lisierungsmission der Vereinten Nationen
in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der
Resolutionen 2100 (2013), 2164 (2014) und
2227 (2015) des Sicherheitsrates der Verein-

ten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni
2014 und 29. Juni 2015

Drucksachen 18/7206, 18/7366


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/7389

Zu der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-
schusses liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussemp-
fehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir später
namentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der
Aussprache hat Niels Annen von der SPD-Fraktion das
Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1815207600

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine Kolleginnen

und Kollegen! Im Januar 2013, also vor gut drei Jahren,
konnte der Vorstoß islamistischer Milizen auf Bamako
nur durch das beherzte Eingreifen der französischen Ar-
mee gestoppt werden, und man konnte die damals be-
setzten Regionen im Norden des Landes und die Städte
Kidal, Gao und Timbuktu wieder befreien . Seitdem be-
müht sich die internationale Gemeinschaft darum, die
Lage in dem Land wieder zu stabilisieren .

Es geht bei diesem Engagement um den Versöh-
nungsprozess in Mali, aber es geht dabei ebenso um
eine wirtschaftliche und eine politische Stabilisierung
der gesamten Sahelregion, durch die wichtige legale,
aber leider – wir wissen es alle – auch sehr viele illega-
le Handelsrouten führen, die von Menschen- und Dro-
genschmugglern ebenso genutzt werden wie von isla-
mistischen Terroristen . Erst vor wenigen Tagen wurde
die bisher von uns als sicher betrachtete Hauptstadt von
Burkina Faso, Ouagadougou, Opfer eines schrecklichen
islamistischen Anschlages . Das zeigt, wie fragil die Lage
in der Region weiterhin ist .

Wenn deswegen, meine sehr verehrten Damen und
Herren, die Bundeswehr ihren bisher eher symbolischen
Beitrag für die UN-geführte MINUSMA-Operation jetzt
deutlich ausweitet, ist dies ein Engagement, das ein sehr
klares Zeichen setzen soll: Unser Nachbarkontinent
Afrika darf uns nicht egal sein, auch deswegen, weil wir
schmerzlich erfahren mussten, dass unsere Sicherheit
miteinander verbunden ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dreh- und Angelpunkt unserer Bemühungen ist die
Friedensvereinbarung vom Juni 2015, die von der ma-
lischen Regierung und von verschiedenen Rebellenmili-
zen unterzeichnet wurde . So soll aus dem Norden, der

Michael Groß






(A) (C)



(B) (D)


auch in den letzten Jahrzehnten immer vernachlässigt
worden ist, eine prosperierende Gegend werden; es soll
dort auch ein größerer Teil – bis zu einem Drittel – der
Steuereinnahmen investiert werden, und es soll eine Ver-
fassungsreform in Mali geben . Wir wissen, dass nicht
alle Gruppierungen der Aufständischen diesen Friedens-
vertrag unterzeichnet haben . Auch deswegen brauchen
wir hier eine robuste Stabilisierung – ich sage das noch
einmal – auf Grundlage eines UN-Mandats .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist wahr:
Der Norden ist unterfinanziert, die staatlichen Struktu-
ren sind ausgesprochen schwach, es herrschen dort Ar-
beitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Korruption, auch der
Drogenhandel hat sich dort festsetzen können . Das trägt
zur Destabilisierung Malis bei . Aber wenn Sie sich ein-
mal die Handelsrouten in der Sahelregion und durch die
Sahara anschauen, dann werden Sie sehr schnell erken-
nen können, welche strategische Bedeutung der Norden
Malis für die gesamte Region hat .

Die letzten Monate haben auch gezeigt – ich will
das an dieser Stelle nicht verschweigen, weil es für die
Debatte auch wichtig ist –, dass wir weiterhin Druck
nicht nur auf die Rebellen, die den Vertrag unterzeich-
net haben, ausüben müssen, sich an das zu halten, was
sie unterzeichnet haben, sondern auch auf die Regierung
in Bamako; denn dort hat es so etwas wie ein Sichein-
richten in die Situation gegeben . Ich glaube, wir müssen
deutlich machen: Es gibt eine große Chance für Mali,
aber es gibt sie nur, wenn sich alle Seiten beteiligen .
Deswegen muss dieser Druck aufrechterhalten werden .
Der Versöhnungsprozess kann nicht nur auf dem Papier
stattfinden. Insofern glaube ich, dass die Angebote, die
wir mit dem unterbreiten, was hier zur Beschlussfassung
vorliegt, nämlich eine Ausweitung unseres Beitrags für
MINUSMA, aber eben auch die zivilen und politischen
Unterstützungsmaßnahmen, ganz entscheidend sind .

Denn Mali – auch das darf man nicht vergessen – ist
ein Land mit großem Potenzial, gerade im Bereich der
Landwirtschaft, das aber nicht ausreichend genutzt wird .
Auch im Bereich des Bildungssektors gibt es große De-
fizite. Ich könnte das fortsetzen. Deutsche Expertinnen
und Experten können und werden dort wichtige Arbeit
leisten, um Mali auf seinem Weg weiter zu begleiten .

Doch der Friedensprozess – ich habe das angedeu-
tet – stockt auch deswegen, weil es in der Hauptstadt Ba-
mako, in den dortigen politischen Vereinigungen, nicht
genügend Durchsetzungskraft gibt . Ich will das in einer
Zeit sagen, in der wir hier in Deutschland über die Neu-
regelung der Finanzierung zwischen Bund und Ländern
miteinander diskutieren . In einem Land, in dem etwa
90 Prozent der Bevölkerung im Süden leben, ist der An-
reiz für die dortige Politik, ein Drittel der Steuereinnah-
men im Norden auszugeben, natürlich nicht besonders
hoch . Deswegen müssen wir auch deutlich machen: Es
lohnt sich für diejenigen, die sich in Mali dafür einsetzen,
weil wir unterstützen werden .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
auch offen sagen: Wenn dieses Parlament der Auswei-
tung von MINUSMA zustimmt, wird die Bundeswehr
eine wichtige Arbeit im Bereich der Lagebilderstellung

sowie der Sicherung und des Schutzes der Bevölkerung
erledigen – in einer Gegend, die nicht ungefährlich ist .
Ich will es ausdrücklich ansprechen: Es ist ein gefährli-
cher Einsatz . Aber alle meine Gesprächspartner, sowohl
in Bamako als auch in Gao, haben sehr deutlich gemacht:
Der Vergleich mit Afghanistan – man hat von „Afghanis-
tan 2 .0“ und anderen Dingen in der deutschen Presse ab
und zu lesen können – ist wirklich sehr weit hergeholt .
Man kann die Situation dort nicht mit der in anderen Län-
dern vergleichen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich glaube, es ist sehr entscheidend, dass wir die Er-
fahrungen aus langjähriger politischer, entwicklungspoli-
tischer Zusammenarbeit zwischen Mali und Deutschland
jetzt nutzen, um auch in Gao und in der Region, wo wir
uns stärker präsentieren werden, deutlich zu machen: Es
gibt eine unmittelbare Verbindung zwischen wirtschaftli-
chen Perspektiven für die örtliche Bevölkerung und dem,
was wir dort machen .

Ich glaube, dass es ein Einsatz ist, den man guten Ge-
wissens unterstützen kann . Ich bitte Sie deswegen um
Zustimmung für das vorliegende Mandat .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815207700

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Christine

Buchholz von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815207800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wäh-

rend wir hier über das Mandat für den UN-Militäreinsatz
MINUSMA in Mali diskutieren, wohin Sie zusätzlich
500 Soldaten schicken wollen, findet in Eutin in Schles-
wig-Holstein eine Waffenschau statt .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: In meinem Wahlkreis!)


Heer und Luftwaffe führen Waffen vor, die sie mit nach
Mali nehmen wollen – unter anderem Drohnen . Eine par-
lamentarische Debatte mit einer Waffenschau zu beglei-
ten, das geht gar nicht .


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das offenbart auch Ihre Prioritäten . Was Sie, was die
Bundesregierung, was Frau von der Leyen hier in Szene
setzen möchten, ist: Sie wollen Deutschland wieder zu
einer Militärmacht machen; daher der wahnwitzige Auf-
rüstungsplan, innerhalb von 15 Jahren 130 Milliarden
Euro in militärische Aufrüstung zu stecken . Was Sie hier

Niels Annen






(A) (C)



(B) (D)


betreiben, hat nichts mit Friedenssicherung oder Stabili-
sierung zu tun .


(Beifall bei der LINKEN – Michaela Noll [CDU/CSU]: Doch! Sehr wohl! – Henning Otte [CDU/CSU]: Aber mit Verantwortung!)


Sie reden davon, dass das Friedensabkommen von
Algier gerettet werden muss . Was Sie verschweigen, ist
nicht nur, dass das Abkommen stockt, sondern auch, dass
seit sechs Monaten, seit dem Abschluss des Abkommens,
keine der getroffenen Vereinbarungen umgesetzt wurde .
Stattdessen ist in den letzten drei Wochen die Gewalt in
Mali wieder eskaliert . Und Sie rechtfertigen den Bundes-
wehreinsatz damit, er solle den Frieden erhalten . Sie ver-
schweigen, dass es diesen Frieden nicht gibt . Die Bun-
deswehr wird ihn auch nicht herstellen .


(Beifall bei der LINKEN)


Um den Militäreinsatz zu rechtfertigen, präsentieren
Sie hier einen Konflikt zwischen Gut und Böse; aber
das ist viel zu einfach . Einige Beispiele: In der Nähe
von Timbuktu kamen vor zwei Wochen zwei malische
Soldaten bei einem Attentat von Dschihadisten um; ma-
lische Soldaten haben am selben Tag ein Lager von Tu-
areg-Nomaden überfallen und dort vier Zivilisten getö-
tet . MINUSMA selbst hat zwei Berichte veröffentlicht,
wonach die malische Armee 2014 blindlings mit Artille-
rie auf die Tuareg-Stadt Kidal geschossen hat . In einem
anderen Fall haben regierungstreue Milizen 2015 in der
Region Gao sechs Menschen hingerichtet . Die Wahrheit
ist: Die Regierung in Bamako und ihre Armee sind selbst
Teil des Problems .


(Beifall bei der LINKEN)


Was auffällt, Herr Gädechens, Herr Annen – der Punkt
ist klar –, ist, dass die Haltung der malischen Bevölke-
rung weder bei der CDU noch bei der SPD Berücksichti-
gung findet. Der Grund dafür ist ganz einfach: Viele Ma-
lier stehen den Truppen feindlich gegenüber und haben
jedes Vertrauen verloren .


(Niels Annen [SPD]: Woher wissen Sie das denn?)


Mali-Mètre – das ist der Titel einer Umfrage, die von der
Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt wurde – ergab vor
einem halben Jahr folgendes Bild: Nur ein Drittel der
Malier glaubt, dass MINUSMA ihre Aufgabe zufrieden-
stellend oder einigermaßen umsetzt .

Die Hälfte der Befragten glaubt nicht, dass MINUSMA
sie schützt . Damals wurde das Friedensabkommen gera-
de unterzeichnet . Seitdem hat sich die Lage deutlich ver-
schlechtert . Diesen Eindruck bestätigen mir auch meine
Gesprächspartner in Mali . Offensichtlich reden wir mit
unterschiedlichen Leuten, Niels Annen .

Mit der Ausweitung des deutschen Einsatzes auf Gao
besteht die Gefahr, dass die Bundeswehrpräsenz für
die Einwohner im Norden Malis immer weniger vom
Kampfeinsatz der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich
zu unterscheiden ist . Im Rahmen der Operation Barkha-
ne führt die französische Armee abseits jeder Berichter-
stattung einen Antiterroreinsatz durch . MINUSMA und
Barkhane sind zwar voneinander getrennte Einsätze,

aber sie sind miteinander verbunden . Das uns vorlie-
gende Mandat sieht für den Notfall sogar ausdrücklich
die Einsatzunterstützung für französische Kampftruppen
von Barkhane vor .

Wir, meine Damen und Herren, haben die Antiterror-
operationen im Irak, in Afghanistan und anderswo abge-
lehnt . Wir lehnen eine solche Operation auch in Mali ab .


(Beifall bei der LINKEN – Niels Annen [SPD]: Welche Überraschung!)


Die traurige Bilanz des Antiterrorkriegs in der Region,
aber auch in Mali gibt uns recht .

Frau von der Leyen wird in der Presse heute zitiert,
wir sollten mit Geduld an die neue Aufgabe dieses aus-
geweiteten Einsatzes in Mali herangehen, er habe ja ge-
rade erst begonnen, und verweist darauf, dass es eine der
gefährlichsten Missionen sei . Wir geben ihr an der Stel-
le recht . Aber wir sagen auch: Bitte ziehen Sie endlich
die Konsequenzen! Die Beteiligung an MINUSMA ist
falsch, sie löst keine Probleme in Mali, und sie setzt auf
lange Zeit Soldatinnen und Soldaten Gefahren aus, die
nicht kalkulierbar sind . Die Linke sagt geschlossen Nein
zu MINUSMA .

Wir sagen Ihnen auch: Hören Sie auf, Heerschauen
und Waffenspektakel zur Begleitung Ihrer Bundeswehr-
einsätze zu veranstalten!


(Dagmar Ziegler [SPD]: Wir?)


Das ist bestenfalls geschmacklos .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815207900

Elisabeth Motschmann hat als nächste Rednerin das

Wort für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1815208000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte in meiner Rede auf zwei Punkte eingehen,
nämlich erstens: Warum wollen wir das Mandat in Mali
erweitern? Diese Frage ist im Außenverhältnis wichtig,
um es denen, die sich nicht täglich mit diesen Problemen
beschäftigen, zu erklären . Zweitens möchte ich mir er-
lauben, einmal auf die ethische Begründung für militäri-
sche Einsätze der Bundeswehr einzugehen .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Darauf bin ich sehr gespannt!)


– Genau das möchte ich auch zu Ihrer Unterrichtung tun,
lieber Herr Gehrcke . – Dahinter steht die Frage: Kann
man Frieden schaffen mit Waffen? Das haben Sie ja eben
verneint, Frau Buchholz .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Frieden schaffen ohne Waffen!)


Ich gehe aber zunächst kurz auf den ersten Punkt ein:
Die instabile Lage in Mali hat nicht nur Auswirkungen
auf die Region, sondern natürlich auch auf Europa; das
wissen wir inzwischen . Die Probleme in Mali sind unsere

Christine Buchholz






(A) (C)



(B) (D)


Probleme; denn wenn sich Flüchtlinge aus Mali auf den
Weg nach Europa oder gar Deutschland machen, wissen
wir, was geschieht . Wenn es uns nicht gelingt, auch in
Afrika erträgliche Lebensbedingungen zu schaffen – da-
rauf ist vielfach hingewiesen worden –, werden wir in
Zukunft mit weiteren Fluchtbewegungen rechnen müs-
sen .

Wenn wir Mali helfen und stabilisieren wollen, brau-
chen wir zwei Dinge: Wir brauchen Geduld, und wir
brauchen Vertrauen .

Warum brauchen wir Geduld? Im Rahmen der
MINUSMA-Mission haben die Soldaten der Vereinten
Nationen in Mali Rückschläge erfahren . Das wird auch
in Zukunft passieren . Das darf aber gar kein Anlass dafür
sein, dass wir an unseren Zielen, die der Kollege Annen
eben schon klar beschrieben hat, zweifeln . Ein Friedens-
prozess bzw . ein Versöhnungsprozess wie der in Mali
braucht also viel Zeit . Die Vereinten Nationen haben
schon erreicht, dass sich fast alle bewaffneten Gruppen
zu Verhandlungen zusammengesetzt und einen Friedens-
vertrag ausgehandelt und unterzeichnet haben . Der er-
reichte Waffenstillstand ist ein erster wichtiger Schritt in
diesem Versöhnungsprozess .

Warum brauchen wir Vertrauen? Uns ist durchaus be-
wusst, dass es sich bei dieser Mission um einen schwie-
rigen Einsatz handelt; darauf ist hingewiesen worden .
Schon aus Solidarität mit den Vereinten Nationen, mit
Frankreich, mit den Niederlanden ist die Erweiterung
des Einsatzes für uns wichtig . Derzeit trägt Frankreich
die militärische Hauptlast in Mali; und wir sind einer der
engsten und wichtigsten Bündnispartner Frankreichs .
Das bestätigt eine Umfrage: 82 Prozent der Franzosen
bezeichnen Deutschland da als den vertrauenswürdigsten
Bündnispartner . Da ist das Vertrauen; und andere Länder
setzen ebenfalls auf uns .

Die MINUSMA-Mission dient nicht nur der Sicher-
heit und Stabilisierung des Landes, sondern auch – darauf
ist hingewiesen worden – dem Schutz von Zivilpersonen,
dem Schutz der Menschen . Noch immer tyrannisieren
Rebellen die Bewohner des Nordens, sie verfolgen sie,
sie töten sie auf grausame Weise .

Ich komme zum zweiten Punkt, der ethischen Begrün-
dung, die wir auch im Innenverhältnis brauchen . Jeder
Einsatz der Bundeswehr muss ja nicht nur politisch und
militärisch begründet werden, sondern wir müssen uns
auch immer wieder fragen: Sind diese Einsätze ethisch
verantwortbar? Die Bundeskanzlerin und der Außenmi-
nister haben niemals einen Zweifel daran gelassen, dass
militärische Einsätze immer nur die Ultima Ratio, das
letzte Mittel, sein können . Parallel müssen wir in poli-
tischen, diplomatischen Verhandlungen und Prozessen
nach Lösungen suchen . Und genau das geschieht ja auch .

Hier schließt sich aber die Frage an: Können wir nur
mit diplomatischen Prozessen Frieden schaffen? Da
sage ich ganz klar: leider nicht. Die ehemalige Bischöfin
Margot Käßmann vertritt ja die Ansicht – ich zitiere –:

Ich fände es gut, wenn die Bundesrepublik auf eine
Armee verzichten könnte …


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Welch eine Illusion!


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)


Vor dem Hintergrund dessen, was wir im Augenblick er-
leben, ist das hochgradig naiv und unverantwortbar, was
Margot Käßmann sagt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unverantwortlich ist auch, Frau Buchholz, wenn Sie von
einem „wahnwitzigen Aufrüstungsplan“ sprechen .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Ist er auch! 130 Milliarden! Das Geld fehlt an anderen Stellen! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Wir müssen die Bundeswehr vernünftig ausstatten, wenn
wir sie in diese Einsätze schicken, und erst recht, wenn
wir sie in gefährliche Einsätze schicken .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ganz anders sieht es übrigens der ehemalige
EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber . Dessen Zitat
geht mir immer wieder durch den Kopf, weil ich es wich-
tig für uns finde; wir müssen ja nachher eine blaue, rote
oder weiße Karte in die Urne werfen .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Nehmen Sie die rote!)


– Sie können die rote Karte nehmen, aber wir nehmen die
blaue . – Er sagt:

Für mich schließt das Gebot „Du sollst nicht töten“
auch das Gebot ein: „Du sollst nicht töten lassen“ .

Ich wiederhole noch einmal, was Huber sagt: Für mich
schließt das Gebot „Du sollst nicht töten“ das Gebot „Du
sollst nicht töten lassen“ ein .

Terroristen, ob in Syrien, dem Irak oder Mali, kann
man nicht mit Argumenten begegnen, liebe Frau
Buchholz .


(Zuruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das müssten Sie auch schon einmal bemerkt haben . Wir
wollen die Menschen in Mali doch schützen und ihnen
die Chance auf ein friedliches Leben geben . In diesem
Fall müssen wir dies auch mit militärischen Mitteln tun;
denn ohne das Militär gibt es keine humanitäre Hilfe,
gibt es keinen Friedensprozess .

Die Präsidentin mahnt, deshalb schließe ich ab und
möchte den Linken noch ins Stammbuch schreiben, was
Rupert Neudeck, ein ausgewiesener Pazifist, erklärt hat –
Zitat –:

Ich möchte nicht Menschen sterben lassen nur we-
gen der Reinheit meiner Philosophie oder meines
Pazifismus.

Besser kann ich es nicht sagen, und das möchte ich Ihnen
ins Stammbuch schreiben .

Elisabeth Motschmann






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815208100

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Agnieszka

Brugger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn die
Menschen das Wort „Militäreinsatz“ hören, dann denken
aktuell viele an Syrien, an Afghanistan, an den Irak oder
an Libyen . Viel weniger im Licht der Aufmerksamkeit
stehen die Friedensmissionen der Vereinten Nationen –
eindeutig zu Unrecht . Denn im Rahmen dieser Einsätze
leisten zivile Expertinnen und Experten, Polizeiangehö-
rige und natürlich vor allem Soldatinnen und Soldaten
Beachtliches, um in sehr schwierigen Situationen in den
Bürgerkriegsregionen und Krisenregionen dieser Welt
die Weichen für einen Weg hin zu weniger Gewalt und
zu Frieden und Sicherheit zu stellen .

Es gibt für diese Einsätze keine Erfolgsgarantie, und
es gibt in der Geschichte auch einige, die gescheitert
sind, aber eine Reihe von ihnen hat entscheidend dazu
beigetragen, dass Gewaltkonflikte ein Ende gefunden ha-
ben. Eine dieser Friedensmissionen findet seit ungefähr
drei Jahren in Mali statt . Es ist sicher zu früh, zu sagen,
dass sie ein Erfolg wird, aber man kann mit Sicherheit
getrost feststellen, dass sie einen sehr wichtigen Beitrag
zur Stabilisierung geleistet hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der jahrzehntelange Konflikt zwischen den Bevöl-
kerungsgruppen im Süden und im Norden von Mali ist
2012 schrecklich eskaliert, und das hat dazu geführt, dass
eine unheilvolle Allianz aus Rebellenorganisationen, Un-
abhängigkeitsbewegungen, aber eben auch Kriminellen
und Islamisten eine Schreckensherrschaft im Norden von
Mali errichtet hat und dann versucht hat, auch den Sü-
den zu erobern . Infolgedessen kam es zu einem Militär-
putsch in der Hauptstadt Bamako, der gleichzeitig auch
die Schwäche der staatlichen Institutionen und der mali-
schen Sicherheitskräfte offenbart hat . Nur das Eingreifen
der Weltgemeinschaft, insbesondere der Franzosen, als
Reaktion auf den Hilferuf der malischen Regierung hat
das Schlimmste verhindert .

2012 war aber auch klar, dass der Weg hin zu dau-
erhaftem Frieden und zu dauerhafter Sicherheit ein sehr
langer und schwieriger, ein sehr brüchiger und gefährli-
cher Prozess sein würde . Um die Menschen in Mali dabei
zu unterstützen und zu begleiten, haben die Vereinten Na-
tionen die Einrichtung der Friedensmission MINUSMA
beschlossen .

Heute, vier Jahre später, ist Mali an einer wichtigen
Weggabelung; denn die Zukunft Malis wird sich daran
entscheiden, ob die große Herausforderung gelingt, das

Friedensabkommen umzusetzen . Genau das ist die Auf-
gabe von MINUSMA . Die Mission fordert diesen Frie-
densprozess offensiv ein, sie mahnt ihn immer an . Das
war extrem wichtig; denn die Verhandlungen zwischen
den Konfliktparteien waren sehr schwierig und hätten nur
allzu leicht scheitern können . MINUSMA schafft aber
auch als unparteiliche Kraft Transparenz und benennt die
Verstöße gegen die Abmachungen ebenso wie die dafür
Verantwortlichen .

Dass Frau Buchholz uns vorhin Zahlen präsentieren
konnte, liegt daran, dass MINUSMA die Aufgaben er-
füllt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die eben zitierte Umfrage kann man natürlich auch so
lesen – zu den Aufgaben von MINUSMA gehört ja auch
der Schutz der Zivilbevölkerung, die Stärkung der Men-
schenrechte und der staatlichen Institutionen –, dass sich
die Menschen mehr Schutz und mehr MINUSMA wün-
schen . Genau so habe ich auf vielen meiner Reisen die
meisten Gesprächspartner in Mali verstanden .

Damit diese Friedensmission diese Aufgaben erfüllen
kann – hier sind wir, glaube ich, an dem entscheidenden
Punkt –, muss sie personell und materiell gut aufgestellt
und ausgestattet sein . Dazu gehören Polizisten ebenso
wie die technischen Fähigkeiten, um die Einhaltung des
Friedensabkommens überwachen und Gefährdungen
frühzeitig feststellen zu können .

Einer der Gründe, warum die Friedensmissionen
der Vereinten Nationen ihre Ziele in der Vergangenheit
manchmal nicht oder nur teilweise erreichen konnten,
war – das formuliere ich jetzt einmal sehr freundlich und
diplomatisch – die Haltung der westlichen Staaten, die
zwar diese Einsätze im großen Maße finanzieren, sich
aber bei der Bereitstellung von Personal und Material
vornehmend zurückgehalten haben,


(Niels Annen [SPD]: Genau so ist es!)


obwohl die Vereinten Nationen sie seit Jahren händerin-
gend um Hilfe bitten, weil nur sie über die entsprechen-
den Fähigkeiten verfügen . Nicht nur wir Grüne, sondern
auch viele hier im Parlament haben in den letzten Jahren
einen Kurswechsel angemahnt und deutlich gemacht,
dass wir auch bereit wären, größere und relevantere Bei-
träge für die Friedensmissionen der Vereinten Nationen
zu mandatieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nachdem der bisherige deutsche Beitrag zu
MINUSMA eher symbolisch und bescheiden war und
teilweise nur auf dem Papier bestanden hat, hat die Bun-
desregierung mit dem neuen Mandat entschieden, gera-
de im Bereich Aufklärung einen substanziellen Beitrag
zu liefern: von 650 Soldatinnen und Soldaten bis hin zu
technischen Kapazitäten wie Aufklärungsdrohnen . Da-
mit kommt die Regierung der Forderung aus dem Bun-
destag nach . Und das unterstützen wir ausdrücklich .

Elisabeth Motschmann






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, man darf sich über die
Lage in Mali aber auch keine Illusionen machen . Der
Begriff „Friedensmission“ darf nicht darüber hinwegtäu-
schen, dass es sich gerade im Norden und in der Stadt
Gao um einen hochgefährlichen Einsatz handelt . Die Si-
cherheitslage ist fragil . Es kommt immer wieder zu Aus-
einandersetzungen und Anschlägen, gerade auch auf die
Patrouillen und Camps von MINUSMA, weil einige we-
nige terroristische Gruppen bewusst den Friedensprozess
für die vielen Menschen in Mali zerstören wollen . Aber
genau das will MINUSMA verhindern .

Meine Damen und Herren, nicht nur die Sicherheits-
lage ist schwierig, Mali ist eines der ärmsten Länder der
Welt . Gleichzeitig habe ich auf meinen Reisen kaum ein
Land erlebt, in dem die Menschen trotz Armut und all
der Rückschläge so lebensfroh, stolz und zuversichtlich
in die Zukunft blicken und sie gestalten wollen . Das hat
mich immer wieder sehr berührt .

Es war eine große Herausforderung, das Friedensab-
kommen überhaupt auf den Weg zu bringen . Dabei hat
die Friedensmission der Vereinten Nationen einen unver-
zichtbaren und sehr wertvollen Beitrag geleistet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Noch größer ist aber die Herausforderung, es zügig und
nachhaltig umzusetzen, damit Entwicklung, Frieden und
Sicherheit für die Menschen in Mali nicht nur ein Hoff-
nungsstreif am fernen Horizont sind, sondern endlich Re-
alität werden können . Deshalb werden wir Grüne heute
dem Mandat zustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815208200

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Lars Klingbeil

von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1815208300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir entscheiden heute über die Verlängerung der Stabili-
sierungsmission in Mali . Seit Juni 2013 ist Deutschland
beteiligt, und wir wollen heute über ein Mandat abstim-
men, das bis Ende Januar 2017 laufen wird .

Zu der bisherigen Mission mit bis zu 150 Soldaten
kommen jetzt 500 weitere Soldatinnen und Soldaten
dazu . Wir weiten diese Mission qualitativ aus . Nachdem
wir bisher in den Stäben, in Beratungs- und Führungsauf-
gaben aktiv waren, so kommen nun Aufklärung, Raum-
überwachung und Objektschutz als Aufgaben dazu, die
von der Bundeswehr übernommen werden . Ja, liebe
Kolleginnen und Kollegen, wir übernehmen mehr Ver-
antwortung in Mali .

Wenn man sich die Situation anguckt – der Kollege
Annen hat es vorhin beschrieben –, stellt man fest, dass
die Situation fragil ist . Wir bekommen das immer wieder

vor Augen geführt . Aber ich sage Ihnen: Wenn wir über-
zeugt sind, dass der Prozess, den die Vereinten Nationen
angestoßen haben, richtig ist, dann müssen wir diesen
Prozess als Deutscher Bundestag auch unterstützen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage Ihnen: Dem Weg, dass die Vereinten Nati-
onen versuchen, alle Akteure an einen Tisch zu holen,
dass man versucht, einen gemeinsamen Fahrplan zu ent-
wickeln, dass man dann in einem Vertragstext festlegt,
was in Mali passieren soll, zum Beispiel die Entwick-
lung dezentraler politischer Strukturen, dass man die
entwicklungspolitische Komponente stärkt und zugleich
am Ende sagt, dass man, damit die entwicklungspoliti-
schen, die ökonomischen und die zivilen Mittel auch alle
greifen können, auch Militär braucht, um einen Rahmen
zu schaffen, der das Ganze absichert, stimme ich hier im
Bundestag mit Überzeugung zu, weil ich ihn wirklich für
richtig halte .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Michael Vietz [CDU/CSU])


Wir als SPD-Fraktion wollen – ich glaube, hier sind
mehrere Kollegen im Raum, die das unterstützen –, dass
der Friedensvertrag von Mai und Juni 2015 gelingt . Also
noch einmal: Wenn wir das, was die Vereinten Nationen
hier auf den Weg gebracht haben, als richtig empfinden,
dann können wir uns als Parlament hier nicht vor unserer
Verantwortung drücken, liebe Kolleginnen und Kollegen .

Wir erweitern die Mission, und wir tun das auf Wunsch
der Vereinten Nationen, wir tun das auf Wunsch vieler
Akteure in Mali – die Regierung ist mit dabei –, und wir
tun das auch auf Wunsch unserer französischen Freun-
de. Die Debatte fing an nach den furchtbaren Anschlägen
in Paris, und ja, wir sind im Rahmen der europäischen
Solidarität aufgefordert, unsere Freunde in Frankreich zu
unterstützen .

Es ist aber auch in unserem Interesse, dass das Land
stabilisiert wird . Wir haben in den Reden bei der ersten
Lesung gehört, wie gefährlich die Situation vor Ort ist
und welche Auswirkungen das Ganze auf Europa haben
kann . Wir müssen den Aussöhnungsprozess unterstützen .
Niemand behauptet hier, dass das eine leichte Mission
wird . Nein, ich behaupte sogar das Gegenteil . Das wird
eine gefährliche Situation, aber ich sehe wenig Alternati-
ven zu dem, was dort passiert .

Auch wenn es darum geht, Fluchtursachen zu be-
kämpfen, ist es wichtig, dass wir Mali stabilisieren und
den Menschen dort eine Perspektive geben . Wenn wir im
Mandatstext lesen, dass 80 Prozent der Binnenflüchtlinge
mittlerweile in ihre Heimatorte zurückgekehrt sind, dann
ist das – das möchte ich jetzt nicht euphorisch beschrei-
ben – ein kleiner Erfolg, der dort in Mali zu sehen ist . Wir
sollten diesen Weg weitergehen .

Die Linke verweise ich hinsichtlich ihrer Behauptung,
es sei eine rein militärische Strategie oder militärische
Mission, auf den Mandatstext und möchte Ihnen nur eini-

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


ge Beispiele nennen: Wir haben Ausbildungsmissionen,
die wir unterstützen .


(Zuruf der Abg . Christine Buchholz [DIE LINKE])


Wir unterstützen den Aufbau ziviler Sicherheitsstruktu-
ren . Wir stellen Mittel für die Krisenprävention bereit .
Es sind Nahrungsmittelhilfe, die Unterstützung der
Binnenflüchtlinge, die finanzielle Unterstützung des
Aussöhnungsprozesses, der Aufbau der Landwirtschaft,
die Dezentralisierung der Regierungsstrukturen und die
Wasserversorgung vorgesehen . Überall hier ist Deutsch-
land engagiert . Dafür ein großer Dank auch an unseren
Außenminister Frank Steinmeier, der das Ganze voran-
getrieben hat .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz all dieser zi-
vilen und entwicklungspolitischen Maßnahmen entschei-
den wir hier heute über den drittgrößten Auslandseinsatz
der Bundeswehr . Nach der Afghanistan-Mission und
dem Einsatz auf dem Balkan ist das die drittgrößte Mis-
sion, und in einer Stunde wie der heutigen, in der wir
entscheiden, sollten wir an diejenigen denken, die wir in
diese Auslandseinsätze schicken, die Verantwortung für
uns übernehmen, aber auch an deren Familien . Ich will
hier noch einmal betonen, dass wir als Parlament wirk-
lich eine große Verantwortung sowohl bei der Ausbil-
dung, in der Mission selbst, aber auch bei der Nachberei-
tung tragen . Ich bin dem Wehrbeauftragten sehr dankbar,
dass er in dieser Woche den Finger deutlich in die Wunde
gelegt hat und klargemacht hat, wo noch Mangel in der
Bundeswehr besteht und worin unsere Verantwortung als
Parlament besteht . Die Ministerin hat das auch deutlich
gemacht . Ich wünsche ihr jetzt viel Erfolg bei den Ver-
handlungen mit dem Finanzminister, weil ich in der Tat
glaube: Wir brauchen eine gut ausgestattete Bundeswehr .
Das ist die Verantwortung, die wir als Parlament tragen .

Ich selbst habe in der letzten Woche in meinem Wahl-
kreis in Munster mit dem Deutschen BundeswehrVer-
band eine Veranstaltung zum Weißbuch gemacht . Man
sieht: Es gibt dort bei den Soldatinnen und Soldaten ein
Verantwortungsbewusstsein . Sie wissen, dass in insta-
bilen Zeiten ihr Einsatz gefordert ist . Sie erwarten aber,
dass wir als Parlament vernünftig mit ihnen umgehen,
und sie erwarten, dass wir sie bestmöglich ausstatten . Ich
will betonen: Das ist eine Verantwortung, die wir als Par-
lament tragen . Ich hoffe, dass wir dieser Verantwortung
im Jahr 2016 gebührend nachkommen .

Wir als SPD-Fraktion werden heute mit großer Mehr-
heit zustimmen, und ich wünsche mir, dass dies auch vie-
le andere Kolleginnen und Kollegen im Parlament tun .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815208400

Nächste Rednerin in der Debatte ist die Abgeordnete

Julia Obermeier, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1815208500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mali ist sowohl ein wichtiges Transitland als
auch ein Herkunftsland von Migranten . Im Norden des
Landes beginnt eine der drei Hauptrouten für den ge-
samten afrikanischen Menschen-, Waffen- und Drogen-
schmuggel . Diese Route durch die Sahara ist für viele,
die sich nach Europa aufmachen, ein tödlicher Pfad .
Sandstürme, große Hitze, Landminen, Überfälle, Ver-
gewaltigungen sowie lebensbedrohlicher Hunger und
Durst – Abertausende machen sich trotzdem, einge-
pfercht im Laderaum klappriger Transporter, auf den
Weg, und viele bezahlen das mit ihrem Leben . Somit
macht es einen Unterschied, ob der Zugang zur Sahara
von zumindest halbwegs funktionierenden staatlichen
Strukturen kontrolliert wird oder ob hier Warlords, Ter-
roristen und Schleusern Tür und Tor geöffnet ist . Diesen
Unterschied spüren wir auch in Europa und in Deutsch-
land . Aber es macht vor allem für die Menschen in Mali
einen Unterschied, wie es um ihre Sicherheit bestellt ist .

Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt . Auf dem
Human Development Index liegt es auf Platz 176 von
187 . Fast 2 Millionen der 16 Millionen Einwohner sind
mangelernährt . Die dramatische Situation im Land wurde
2012 verschärft durch die Tuareg-Rebellion im Norden
und den islamistischen Extremismus . Ein Militärputsch
hat die Lage weiter verschärft .

Wir sind dankbar für das rasche Eingreifen unse-
rer französischen Partner, die Schlimmeres verhindern
konnten . Mittlerweile konnte infolge eines Dialog- und
Versöhnungsprozesses mit den nichtterroristischen
Gruppen ein Friedensabkommen unterzeichnet werden .
Das Abkommen von Algier ist zweifelsohne ein wichti-
ger Schritt in die richtige Richtung . Allerdings müssen
wir weiterhin um dessen Umsetzung ringen . Nur dieser
politische Prozess und die Schaffung von Vertrauen in
die malische Regierung können die Lage in Mali stabi-
lisieren und die Situation der Bevölkerung nachhaltig
verbessern .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Lars Klingbeil [SPD])


Denn die Not treibt die Menschen in die Fänge der
Dschihadisten und bringt mehr Terror und Gewalt in das
Land . Doch ohne Sicherheit wird es auch keine wirt-
schaftliche Entwicklung geben .

Um mehr Sicherheit zu schaffen, engagiert sich
Deutschland nicht nur diplomatisch im Friedensprozess .
Wir verfolgen auch hier einen vernetzten Ansatz, der ne-
ben der Diplomatie auch die Entwicklungszusammenar-
beit und die Sicherheitspolitik umfasst . Deutschland ist
der viertgrößte Geldgeber für die Entwicklungszusam-
menarbeit mit Mali . Dabei fördern wir vor Ort nicht nur
Dezentralisierung und gute Regierungsführung, sondern
wir helfen vor allem den Menschen: durch die Bereit-

Lars Klingbeil






(A) (C)



(B) (D)


stellung von Nahrungsmitteln, durch eine bessere Trink-
wasserversorgung und durch Bewässerungsprojekte, die
die Erträge der Landwirtschaft steigern . Auch wird die
Rückkehrersituation nach Nordmali verbessert .

Aber, meine Damen und Herren, all diese Hilfe kann
nur ankommen, wenn die Sicherheit vor Ort gewährleis-
tet ist . Deshalb beteiligt sich Deutschland an mehreren
Missionen der internationalen Gemeinschaft: an der
europäischen Ausbildungsmission EUTM Mali, bei der
Deutschland gerade die Führungsverantwortung trägt,
an der Polizeimission EUCAP Sahel Mali sowie an der
VN-geführten Mission MINUSMA, über deren Auswei-
tung wir heute abstimmen werden .

MINUSMA ist eine große Mission mit 11 000 Solda-
tinnen und Soldaten, die den Waffenstillstand überwa-
chen sowie Frieden und Aussöhnung unterstützen .

Das stärkere Engagement der Bundeswehr setzt genau
dort an, wo spezielle Fähigkeiten dringend benötigt wer-
den: beim Lufttransport und bei der Luftbetankung, in
den Führungsstäben sowie bei der Aufklärung . Wir wer-
den mit LUNA-Aufklärungsdrohnen im Einsatz sein und
ab Herbst voraussichtlich auch mit der Heron 1 . Die hohe
Zahl von 650 Soldatinnen und Soldaten ist notwendig für
ihren eigenen Schutz, der uns ganz besonders am Herzen
liegt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, der Einsatz in Mali ist zwar
gefährlich, aber auch besonders wichtig . Mali ist von
strategischer Bedeutung für die Migrationsbewegungen
und die Schleuserkriminalität in Afrika .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Ich dachte, es ginge um die Menschen in Mali!)


Die Sicherheitslage in Mali ist instabil . Durch unseren
Einsatz wollen wir den Menschen in Mali Frieden und
Sicherheit in ihrer Heimat ermöglichen . Daher bitte ich
Sie um Zustimmung zu diesem Mandat .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815208600

Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich das

Wort dem Abgeordneten Michael Vietz, CDU/CSU-Frak-
tion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michael Vietz (CDU):
Rede ID: ID1815208700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Die Republik Mali steht wei-
terhin vor einer Herkulesaufgabe . Sicherheit, Stabilität,
Frieden – leicht gesagt, schwer getan . Radikale Grup-
pierungen versuchen immer wieder, den Friedensprozess
durch heimtückische Anschläge zum Scheitern zu brin-
gen . Eine politische Lösung benötigt aber ein stabiles
Umfeld . Mali ist auf seinem langen und mühsamen Weg

zu Sicherheit, Stabilität und Frieden weiterhin auf Unter-
stützung angewiesen; auch in Afrika gibt es nicht einen
Schalter, den man nur umlegen muss . Bei dieser Heraus-
forderung stehen wir dem Land zuverlässig zur Seite .
Wir setzen im Rahmen der Mission auf eine starke und
abgestimmte Zusammenarbeit zwischen militärischen,
polizeilichen und zivilen Komponenten . Dieser vernetzte
Ansatz ist in meinen Augen ein wichtiges Kennzeichnen
unserer Außenpolitik .

Wir werden mit dem heutigen Beschluss unsere
Kräfte im Rahmen der Multidimensionalen Integrierten
Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen, kurz:
MINUSMA, erheblich aufstocken . Mit den Fähigkeiten,
die wir zur Verfügung stellen, werden wir unserer Verant-
wortung gerecht . Warum? Weil wir es leisten können und
weil Zuschauen definitiv keine Option ist.

Zur Fortführung unseres militärischen Beitrags soll
der Einsatz auf maximal 650 deutsche Soldaten erwei-
tert werden . Schwerpunkte sind die Sicherung des Frie-
denprozesses und die Stabilisierung Malis . Die Eindäm-
mung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und
Verarmung in der Sahelzone liegt in unserem Interesse;
einige meiner Vorredner haben darauf hingewiesen . Tag
für Tag erfahren wir erneut, dass Terror und Krise nicht
lokal bleiben, sondern irgendwann den Rest der Welt er-
reichen . Daher legt Deutschland gerade hier nach: Wir
stellen den malischen Kräften unsere Polizisten zur Seite .
Gemeinsam werden Kapazitäten und Strukturen aufge-
baut, die organisierte Kriminalität und Terrorismus be-
kämpfen .

Mit der internationalen Gemeinschaft leisten wir im
Rahmen von MINUSMA einen substanziellen Beitrag
zur Bewältigung des Konflikts in Mali. Neben unserer
Beteiligung an der europäischen Ausbildungsmission
EUTM Mali unterstützen wir den Dialog und Versöh-
nungsprozess . Der Wiederaufbau, die Versöhnung und
die Festigung von Sicherheitsstrukturen im Norden sind
ausschlaggebend, um Perspektiven für die vielen Bin-
nenflüchtlinge zu schaffen.

Wir unterstützen unsere Partner, vor allem Frankreich,
weiterhin durch die Bereitstellung von Lufttransport und
Luftbetankung . Hinzu kommen nun Objektschutz, Auf-
klärung, Logistik sowie Sanitäts- und Stabskräfte . Mit
dem neuen Mandat entlasten und ergänzen wir nunmehr
auch unsere niederländischen Nachbarn . Das ist insge-
samt ein gutes Zeichen für die deutsch-niederländische
Kooperation im Speziellen und für die europäische Zu-
sammenarbeit im Allgemeinen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das unterzeichnete Friedensabkommen zwischen den
Konfliktparteien legte das Fundament für eine dauerhafte
Stabilisierung des Landes . Darauf aufbauend müssen wir
gerade im Norden die Umsetzung des Abkommens wei-
ter vorantreiben .

Seit Beginn der internationalen Mission – auch da-
rauf wurde schon hingewiesen – hat sich die humanitäre
Lage verbessert . Der Zugang zu humanitären Hilfen und
Entwicklungszusammenarbeit ist aber noch nicht für alle
Regionen sichergestellt .

Julia Obermeier






(A) (C)



(B) (D)


Unsere weitere und erweiterte Beteiligung an
MINUSMA ist richtig und wichtig . Wir senden damit
weiterhin ein starkes Signal an unsere Partner auf dem
afrikanischen Kontinent . Die bisher erreichten Fort-
schritte im Versöhnungsprozess sind zu teuer bezahlt, als
dass wir sie nun aufs Spiel setzen dürften .

Ohne Frage ist dieser Einsatz unter UN-Flagge einer
der gefährlichsten . Ich habe großen Respekt vor dem,
was unsere Einsatzkräfte leisten . Ihnen gebührt Dank
und Anerkennung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


MINUSMA ist und bleibt ein wichtiger Baustein für
einen dauerhaften Frieden in Mali . Wir sind bereit, die-
sen Weg weiterzugehen, damit das Land seiner Bevölke-
rung eine Perspektive in Sicherheit, Frieden und Freiheit
bieten kann . Ich bitte dieses Hohe Haus, die Menschen in
der Region nicht alleinzulassen . Die Unionsfraktion wird
diesem Antrag der Bundesregierung zustimmen . Ich bitte
die restlichen Fraktionen, vor allem eine, diesem Vorbild
zu folgen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815208800

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Erweite-
rung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungs-
mission der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/7366, den Antrag der Bundesregie-
rung auf Drucksache 18/7206 anzunehmen . Wir stimmen
über die Beschlussempfehlung namentlich ab . Ich möch-
te bereits jetzt darauf hinweisen, dass wir zum nachfol-
genden Tagesordnungspunkt 8 in circa 45 Minuten eine
weitere namentliche Abstimmung durchführen werden .

Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Ich bitte die
eingeteilten Schriftführer, sich zu den Urnen zu bege-
ben . – Die Abstimmung ist eröffnet .

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall .
Dann schließe ich die Abstimmung . Das Ergebnis wird
später bekannt gegeben .1)

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7376 . Wer stimmt für den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der
Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD und der Fraktion Die Linke abgelehnt bei
Zustimmung durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

1) Ergebnis Seite 14936 C

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsun-
terstützung der Sicherheitskräfte der Re-
gierung der Region Kurdistan-Irak und der
irakischen Streitkräfte

Drucksachen 18/7207, 18/7367


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/7390

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussempfeh-
lung werden wir später namentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat das
Wort Dr . Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1815208900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Situation im Irak ist in den letzten Wo-
chen im Gegensatz zu anderen Schauplätzen im Nahen
und Mittleren Osten in der Berichterstattung, in der Auf-
merksamkeit etwas in den Hintergrund getreten . Den-
noch, glaube ich, ist es wichtig, dass wir uns mit der
Situation, mit dem Land, mit den Verhältnissen in der
Region insgesamt befassen; denn genau dort wird über
die Existenz, über die Stärken und Schwächen des „Is-
lamischen Staates“ mit entschieden werden . Der IS ist
im Irak entstanden . Er hat dort seine historische Genese .
Er ist dort weiterhin ein Sammelbecken für sunnitische
Kämpfer, für alte Gruppen des Baath-Regimes, aber eben
auch immer wieder für Kämpfer aus Europa und leider
eben auch aus Deutschland . Aus dieser Situation heraus,
aus einer sehr breiten Betrachtung haben wir große Ver-
antwortung im Hinblick auf den Irak .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, wir alle hier sind der gleichen Meinung –
das erhoffe ich mir zumindest –, dass allein eine mili-
tärische Antwort für die Bewältigung dieser Heraus-
forderung nicht genügt . Dennoch sind die territoriale
Zurückdrängung und insbesondere die Begrenzung der
Ressourcen für den IS ein wesentlicher Bestandteil, um
die Situation dort zu ändern und dafür zu sorgen, dass
der Irak und auch die gesamte Region eine Zukunft ohne

Michael Vietz






(A) (C)



(B) (D)


Krieg, ohne eine militärische Auseinandersetzung haben
und dass dort wieder Frieden einkehrt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist richtig gewesen, dass Deutschland mit Aus-
bildung und mit Material dort hilft; denn es sind insbe-
sondere – darüber bestand Einigkeit, als wir über das
Syrien-Mandat gesprochen haben; ich glaube, darüber
besteht auch weiterhin Einigkeit – die kurdischen Kräfte
und die Peschmerga, aber auch – das sage ich klar – die
PYD und in anderen Situationen an anderer Stelle ande-
re kurdische Kräfte, die den IS massiv bekämpft haben .
Aber politisch – es ist wichtig, auch dies in dieser Debat-
te zu betonen – ist es richtig gewesen, dass sich die Bun-
desregierung auf diese Region konzentriert hat . Sie hat
klargemacht, dass wir am Einheitsstaat Irak ein großes
Interesse haben und dass diese Hilfen nur mit Zustim-
mung der irakischen Regierung geleistet werden . Über
Bagdad wollen wir mit anderen europäischen Partnern
eine Ausbildungs- und Sicherheitssituation herbeiführen,
die das Überleben in dieser Region erst möglich macht .

Es kommt also darauf an, mit der Regierung in Bag-
dad, mit den europäischen Partnern und – das ist immer
der dritte Bestandteil dieses Mandats gewesen – in Tran-
chen vorzugehen . Wir haben immer wieder überprüft und
uns auch rückversichert: Was passiert mit den Dingen,
die wir geliefert haben? Denn es geht ja nicht nur um
Waffen und Ausbildung, sondern auch um Sanitätsma-
terial und Schutzausrüstung; auch dies sind Bestandtei-
le des Mandats . Es geht also um militärische Teile, aber
sehr stark auch um die zivile Komponente .

Ich glaube, darüber müssen wir öffentlich diskutieren .
Wir sind, weil der Deutsche Bundestag dieses Mandat
erteilt, dazu berechtigt, in diesem Zusammenhang auch
kritische Fragen zu stellen . Das hat gestern in der Fra-
gestunde, aber auch in der Berichterstattung der letzten
Wochen eine Rolle gespielt, als es darum ging, wie kurdi-
sche Kräfte in den Dörfern, die befreit wurden, vorgegan-
gen sind. Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung
mit den Partnern im Nordirak und mit der Regierung in
Erbil nicht nur darüber spricht, sondern dass auch die
Verantwortung von Erbil deutlich gemacht wird . Wir alle
haben die Briefe der Vertretung der Kurden im Nordirak
bekommen, in denen klargemacht wurde, dass sie diesen
Dingen nachgehen will . Das muss getan werden .

Ich glaube, es ist eine sehr unübersichtliche Situati-
on . Aber entscheidend wird sein, dass es keinen weiteren
Konflikt im Irak gibt; ich habe eben über den „Islami-
schen Staat“ gesprochen . Es darf nicht erneut zu einem
Konflikt zwischen Kämpfern der kurdischen Streitkräfte
und möglicherweise arabischen Streitkräften oder sol-
chen der irakischen Armee kommen . Es gibt schon ge-
nügend Konflikte. Deswegen sind wir angehalten, über
die kritischen Fragen mit den Verantwortlichen in Erbil
zu diskutieren .

Genauso verhält es sich bezüglich der offensichtlich
geringen Zahl unerlaubter Waffenverkäufe, die in den
vergangenen Tagen Aufmerksamkeit bekommen hat . Ich
unterstütze das, was die Bundesregierung bzw . der Au-
ßenminister gesagt und getan haben . Der Außenminister

hat nämlich einen Vertreter der Regierung in Erbil ins
Auswärtige Amt einbestellt und um Aufklärung gebeten .
Wir bitten Sie, Herr Bundesaußenminister, die entspre-
chenden Erkenntnisse mit dem Deutschen Bundestag zu
teilen .

Gerade weil die Bundesregierung die Risiken dieses
Mandats im letzten Jahr nicht verschwiegen hat – wir
wussten um die Risiken –, ist es ein Abwägungspro-
zess gewesen, und es ist richtig, dass nach diesem Ab-
wägungsprozess, bei dem es um die Vor- und Nachteile
der Situation im Irak selbst, aber auch um die Bekämp-
fung des „Islamischen Staates“ ging, heute die Mehrheit
meiner Fraktion genau wie die Bundesregierung zu der
Überzeugung gekommen ist, der Verlängerung dieses
Mandats zuzustimmen . Es ist verantwortbar, und es ist
verfassungsrechtlich und völkerrechtlich abgefedert . Ich
glaube, auch die internationale Gemeinschaft hat ein gro-
ßes Interesse daran, dass Deutschland an dieser Kompo-
nente mitwirkt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir über dieses Mandat diskutieren, finde ich,
gehört zu einer ehrlichen Debatte dazu, auch darauf hin-
zuweisen, dass unser Engagement weit darüber hinaus-
geht . Es beinhaltet nämlich einen politischen und einen
humanitären Ansatz . Wenn wir in Deutschland und Euro-
pa über die Flüchtlingssituation sprechen, sollten wir uns
vor Augen führen: 1 Million Flüchtlinge sind im Nord-
irak in Flüchtlingslagern, Dörfern und Städten unterge-
kommen, und das bei einer Gesamtbevölkerungszahl von
5,4 Millionen Menschen, die im Nordirak leben . Was das
für dieses Land bedeutet, kann sich jeder von uns ausma-
len, weil wir eine solche Situation mittlerweile auch in
Deutschland kennen .

Es ist richtig gewesen, mit diesem Mandat politisch
und humanitär zu verknüpfen, dass wir mit deutscher Fi-
nanzhilfe den UNHCR, das Rote Kreuz, aber auch den
Roten Halbmond – wir verschließen nicht die Augen
vor den Problemen – in die Lage versetzen, der dortigen
Administration dabei unter die Arme zu greifen, mit der
Flüchtlingssituation im Nordirak umzugehen . Deswegen
bin ich dankbar, dass der Deutsche Bundestag beschlos-
sen hat, dass Deutschland im Hinblick auf den Nordirak
der drittgrößte Geber bilateraler Hilfe ist, und zwar mit
den Schwerpunkten Ernährung, Wasser, Winterhilfe und
Gesundheit .

Dabei – dieser Punkt gehört genauso zur Debatte –
wollen wir uns auf die Gebiete konzentrieren, die vom IS
befreit sind; denn Voraussetzung dafür, dass der IS nicht
zurückkehrt, ist, dass die Bevölkerung von einer indirek-
ten Unterstützung des IS ablässt . Deswegen ist es richtig,
dass im Jahr 2016 das Außenministerium 5 Millionen
Euro und das BMZ 10 Millionen Euro für die Unterstüt-
zung in die Hand genommen haben . Dennoch könnte
ich mir vorstellen, dass das BMZ aufgrund der Situation
noch mehr Geld in die Hand nimmt; denn es ist politisch
entscheidend, dies zu tun .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Rolf Mützenich






(A) (C)



(B) (D)


Weil wir ein Interesse an der Verbesserung der Situati-
on haben, müssen wir auch über die politischen Verhält-
nisse im Irak insgesamt sprechen . Wir machen uns Sor-
gen über das Verhältnis der unterschiedlichen politischen
Gruppierungen im Nordirak zueinander . Das diskutieren
wir nicht nur in Deutschland, sondern auch an anderer
Stelle . Natürlich geht es auch um die Legitimation der
nordirakischen Führung. Ich finde, das gehört zu einer
ehrlichen Debatte . Die Situation in der Hauptstadt Bag-
dad bietet keine Aussicht darauf, dass diese Gruppen in
den nächsten Wochen und Monaten endlich wieder zu-
sammenkommen . Obwohl Ministerpräsident al-Abadi
alles unternimmt, mehr Gruppen in seine Regierung auf-
zunehmen, ist es nicht gelungen, diese Spaltungen ent-
lang ethnischer und konfessioneller Grenzen, die sich im
Parlament und in der Regierung zeigen, zu überwinden .
Gleichwohl – das ist mein Eindruck, und ich hoffe, die
Bundesregierung sieht das ebenso – wollen die Men-
schen diesen Spaltpilz im Irak nicht mehr . Auch dafür
müssen wir politisch eintreten, und auch das ist indirekt
mit diesem Mandat verbunden, meine Damen und Her-
ren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage es sehr deutlich: Den politischen Verhältnis-
sen in Bagdad muss Aufmerksamkeit geschenkt werden,
umso mehr, weil wir immer noch damit konfrontiert sind,
dass die dortigen Streitkräfte sehr korrumpierbar sind
und viel stärker an einem solchen Zuwachs interessiert
sind als an einem Macht- oder Sicherheitszuwachs . Des-
wegen lautet mein Appell: Ja, wir sollten die irakischen
Streitkräfte ausbilden und in die Lage versetzen, den ein-
heitlichen Irak abzubilden . Ich warne aber davor, über
weitergehende Material- und insbesondere Militärhilfe
bereits jetzt zu entscheiden . Das wäre zu früh .

Die Situation in Syrien hat gezeigt, dass es auswärtige
Mächte wie Saudi-Arabien oder auch der Iran sind, die
dieses gebeutelte Land in den vergangenen Jahren immer
wieder belastet und leider wenig dazu beigetragen haben,
dass eine Versöhnung möglich ist. Ich finde, umso mehr
muss der Westen, muss auch Deutschland daran arbeiten,
dass sich eine junge zukunftsversprechende Generation
herausbildet, die in Zukunft politische Verantwortung
übernimmt und sich von den alten Traditionen des Kon-
flikts entfernt.

Ich glaube, die Situation im Irak geht uns etwas an .
Wir müssen die Entwicklung aufmerksam verfolgen . Ich
sage aber auch ganz offen, dass das noch lange Zeit dau-
ern wird und wir an dieser Stelle wahrscheinlich noch
öfter über den Irak sprechen müssen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815209000

Ich verlese das Protokoll des von den Schriftführe-

rinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der
namentlichen Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der
Bundesregierung „Fortsetzung und Erweiterung der Be-
teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Mul-
tidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der
Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage
der Resolutionen 2100 (2013), 2164 (2014) und 2227

(2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom

25 . April 2013, 25 . Juni 2014 und 29 . Juni 2015“, Druck-
sachen 18/7206 und 18/7366: abgegebene Stimmen 574 .
Mit Ja haben gestimmt 502, mit Nein haben gestimmt 66,
enthalten haben sich 6 Kolleginnen oder Kollegen . Die
Beschlussempfehlung ist damit angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 575;
davon

ja: 503
nein: 66
enthalten: 6

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning

Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann

Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs

Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler

Dr. Rolf Mützenich






(A) (C)



(B) (D)


Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk

Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Dr . Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak

Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Anita Schäfer (Saalstadt)

Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach

Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G . Wöhrl
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold






(A) (C)



(B) (D)


Heike Baehrens
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog

Gabriele Hiller-Ohm
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix

Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae

Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Renate Künast
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms






(A) (C)



(B) (D)


Nein

SPD

Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Dr . Ute Finckh-Krämer
Wolfgang Gunkel
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Christian Petry
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter

Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert

Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold


(Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht

Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


Enthalten

SPD

Marco Bülow
Petra Hinz (Essen)

René Röspel

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Monika Lazar
Corinna Rüffer
Hans-Christian Ströbele

Nächster Redner in unserer Debatte ist Jan van Aken,
Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815209100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber

Herr Mützenich, vielen Dank für diese Rede . Ich glaube,
besser als Sie hätte ich gar nicht begründen können, wa-
rum es falsch ist, jetzt 150 Soldatinnen und Soldaten in
den Nordirak zu schicken, um dort kurdische Peschmer-
ga auszubilden .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich meine das ganz im Ernst und komme gleich noch da-
rauf zurück .

Es gibt zwei sehr gute Gründe, diesen Einsatz abzu-
lehnen: Erstens treiben Sie die Spaltung des Irak mit die-
sem Militäreinsatz weiter voran . Zweitens ist das Risiko,
wie Sie ja auch gesagt haben, sehr hoch, dass die von
Ihnen ausgebildeten Peschmerga für ganz und gar un-
schöne Dinge eingesetzt werden .

Ich fange mit dem ersten Punkt an . Ja, ich bin mir
sicher: Mit jeder Stärkung der kurdischen Regionalre-
gierung droht der Irak weiter zu zerfallen . Das würde
wiederum die Daesh-Terroristen noch stärker machen .
Deshalb ist der Einsatz nicht nur falsch, sondern auch
richtiggehend gefährlich, und ich finde, Sie haben das
hervorragend hergeleitet .

Daesh ist der sogenannte „Islamische Staat“ . Wir
alle wissen, warum Daesh in den letzten Jahren im Irak
so stark werden konnte . – Hören Sie sich das an, Herr
Mützenich! – Sie konnten dort nur deswegen so stark
werden, weil die sunnitischen Moslems über Jahre von
der Zentralregierung in Bagdad komplett ausgegrenzt

worden sind . Alle lukrativen Posten und all das gute
Ölgeld gingen an die Schiiten und zum Teil auch an die
Kurden . Die sunnitischen Regionen waren davon aber
vollkommen ausgeschlossen. Alle einflussreichen Pos-
ten waren für Sunniten blockiert . Die Sunniten waren die
Verlierer in dem neuen Irak nach der amerikanischen In-
vasion . Das ist der Ursprung der Stärke von Daesh .


(Dagmar G . Wöhrl [CDU/CSU]: Das ist nichts Neues!)


Es entstand dort natürlich ein extremer Hass bei den
Sunniten, den wir beide in der Region auch erlebt haben,
und das ist doch der Nährboden, auf dem Daesh jetzt so
groß werden konnte . Darum gibt es in der sunnitischen
Bevölkerung heute eine derart breite Unterstützung für
diese Terrormiliz .

An einem Punkt sind wir alle uns einig: Sie werden
Daesh im Irak nur bekämpfen können, wenn es wieder
eine inklusive, ausgewogene und faire Zentralregierung
in Bagdad gibt, in der alle Bevölkerungsgruppen – die
Sunniten, die Schiiten und die Kurden – gleichberechtigt
vertreten sind .

Sie machen mit dem Militäreinsatz jetzt genau das
Gegenteil und greifen sich die eine Kraft im Irak he raus,
die im Moment am lautesten sagt: Wir wollen uns ab-
spalten . – Ihr Partner, der Präsident der nordirakischen
Autonomieregion, Massud Barzani, sagt doch ganz klar,
dass er die Abspaltung und einen eigenen Nationalstaat
möchte .

Hier entsteht jetzt Ihr Problem; denn Massud Barzani
hat heute schon die wirtschaftlichen und auch die kultu-
rellen Voraussetzungen für die Abspaltung . Das Einzige,
was ihm noch fehlt, ist die militärische Stärke, und diese
liefern Sie ihm jetzt frei Haus . Sie liefern die Waffen und






(A) (C)



(B) (D)


bilden seine Leute aus . Damit machen Sie einen katastro-
phalen Fehler .

Herr Mützenich, Sie selbst haben gerade gesagt, dass
wir alle hier ein großes Interesse an der Einheitsregie-
rung haben . Wir haben hier den klassischen Fall, dass Sie
politisch das Richtige wollen, nämlich die Einheitsregie-
rung – dafür tun Sie auf der politischen und der diploma-
tischen Ebene auch viel –, während Sie Ihre politischen
Ziele durch die Militäraktion ganz praktisch unterminie-
ren . Dieser Militäreinsatz macht alles kaputt, was Sie po-
litisch vorhaben und wollen . Deswegen ist das ein Rie-
senfehler . Lassen Sie die Finger davon .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zum zweiten Problem . Weiß irgendwer
hier im Raum, wen genau Sie dort ausbilden? Wissen Sie
eigentlich, wo, von wem und wofür diese Peschmerga
eingesetzt werden? Auch das haben Sie wunderbar ge-
sagt. Es gibt gerade Konflikte zwischen den beiden gro-
ßen kurdischen Parteien im Nordirak . Sie waren vor we-
nigen Jahren schon einmal in einen blutigen Bürgerkrieg
verwickelt . Das eskaliert gerade wieder .

Können Sie ausschließen, dass die von Ihnen ausge-
bildeten Peschmerga in einem neuen Bürgerkrieg wieder
eingesetzt werden? Können Sie ausschließen, dass die
von Ihnen ausgebildeten Peschmerga schon heute zur
Repression im Inneren von Barzani eingesetzt werden?
Können Sie ausschließen, dass sie bei der Folterung von
Journalisten eingesetzt werden? Sie wissen doch genauso
gut wie ich, dass die Menschenrechtsbilanz von Massud
Barzani sehr düster ist . Können Sie eigentlich ausschlie-
ßen, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga im
Moment bei Kirkuk eingesetzt werden? Kirkuk ist die
Stadt, die sich Massud Barzani verfassungswidrig unter
den Nagel gerissen hat,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, ja!)


was natürlich massiv dazu beigetragen hat, dass der Kon-
flikt mit der Zentralregierung in Bagdad weiter eskaliert
ist . Denken Sie eigentlich, es gibt irgendeine Garantie
dafür, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga bei
weiteren Auseinandersetzungen um Territorien im Irak
nicht eingesetzt werden?

Nichts davon können Sie ausschließen, und vieles da-
von ist sogar sehr wahrscheinlich . Einiges ist im Moment
schon passiert, und deshalb ist es verantwortungslos,
deutsche Soldaten jetzt in diese Mission zu schicken .


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Ihre Rede ist verantwortungslos!)


Noch ein Wort zu den Waffen – Sie haben das auch er-
wähnt –: Wir wissen jetzt, dass Sie keine Garantie dafür
haben, wo die Waffen am Ende landen . Sie werden im
Moment auf verschiedenen Schwarzmärkten im Nord-
irak zum Verkauf angeboten . Niemand von uns kann sa-
gen, wo diese Waffen in den nächsten Jahren von wem
gegen wen zum Töten eingesetzt werden . Sie haben da-
rüber keine Kontrolle .

Deswegen muss ich abschließend sagen: Die Zwi-
schenbilanz Ihres Einsatzes im Nordirak ist wirklich

verheerend . Den Staatszerfall des Irak haben Sie weiter
vorangetrieben, die Region mit weiteren 20 000 Sturm-
gewehren geflutet und die Peschmerga für alle schmutzi-
gen Jobs ausgebildet . Lassen Sie das einfach sein .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Diese Rede können Sie bei den Kurden halten! Mal gucken, was die sagen!)


Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen mehr exportieren sollte, nicht in den Nord-
irak, nicht in den Südirak und schon gar nicht in die Tür-
kei .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815209200

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1815209300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, Herr van Aken, dass Sie in der Tat die völlig fal-
schen Schlussfolgerungen aus der Situation im Nordirak
ziehen . Natürlich ist es so, dass wir in der Vergangenheit
hier in diesem Hause über kaum ein anderes Mandat hef-
tiger diskutiert haben als über die Waffenlieferungen an
die Kurden im Nordirak und die anschließende Ausbil-
dungsunterstützungsmission der Bundeswehr .

Aber wenn wir heute ein Zwischenresümee ziehen
müssten, dann fiele es ausnahmslos positiv aus. Ange-
sichts dieser Rahmenbedingungen kann man an dieser
Stelle ein positives Resümee ziehen, weil sich all das,
was auch vor einem Jahr vorgetragen worden ist – näm-
lich dass der Bundeswehreinsatz den IS stärkt, dass die
Zerfallskräfte im Irak zunehmen, dass der Einsatz recht-
lich nicht legitimierbar ist und dass er politisch falsch
ist –, in der Zwischenzeit nicht bewahrheitet hat .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will etwas zum Rahmen sagen . Es ist richtig, dass
wir als Deutsche und auch als Europäer in unserem un-
mittelbaren Umfeld Verantwortung übernehmen . Das
stärkt im Übrigen nicht nur die Europäische Union ins-
gesamt, sondern auch den europäischen Pfeiler in der
NATO, egal ob das ein Einsatz in Mali, in Nordafrika
oder im Nahen und Mittleren Osten ist . Es ist richtig, wie
wir uns dort engagieren .

Herr Mützenich ist darauf eingegangen, was unmit-
telbar vor Ort tatsächlich an Positivem geleistet werden
konnte . Wenn man in das Spätjahr 2014 geht, dann stellt
man fest, dass damals die Peschmerga die einzige Bastion
gegen den IS waren . Was haben sie erreicht? Im vergan-
genen November haben sie Sindschar zurückerobert . Sie
haben beispielsweise die Autobahn 47 zwischen Rakka
und Tikrit zurückerobert, die eine wichtige Logistiktrasse
zwischen Irak und Syrien ist . Sie haben darüber hinaus

Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


westlich von Kirkuk neue Pufferzonen geschaffen . All
das war richtig und wichtig .

Auch die irakische Zentralregierung hat bedeutende
Erfolge erzielt, beispielsweise mit der Rückeroberung
von Tikrit und Ramadi . Auch wenn es illusorisch klingen
mag, dass al-Abadi davon spricht, bis Ende des Jahres
den IS vollständig vertrieben zu haben, so glaube ich
schon, dass es klar ist, dass sich die Kräfteverhältnisse
verändert haben . Da wäre es zu kurz gesprungen, nur da-
rauf zu gucken, dass in den vergangenen zwölf Monaten
der IS etwa 15 Prozent seiner Einflusssphäre verloren hat.

In dieser Zeit ist auch anderes passiert . 10 000 isla-
mistische Terroristen – darunter auch wichtige Köpfe
des Terrorkalifats – sind getötet worden . Finanzierungs-
quellen werden Stück für Stück ausgetrocknet und Nach-
schubwege systematisch abgeschnitten . Das hat auch
unmittelbare Erfolge . Man kann ja sehen, dass der IS an
Schlagkraft verliert, dass er beispielsweise seinen Be-
schäftigten nur noch den halben Sold auszahlen kann,
dass er nicht mehr so viele Terrorsöldner akquirieren
kann wie in der Vergangenheit . Das Allerwichtigste ist,
dass er ein Stück weit seinen Nimbus verliert, nämlich
den Nimbus, in der fragilen Region für Stabilität sorgen
zu können . Deswegen müssen wir exakt auf diesem Weg
weitermachen; davon bin ich überzeugt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auf diesem Wege weiterzugehen, ist auch deshalb
notwendig, weil trotz aller Erfolge der IS immer noch
den Terrorismus nach Europa exportiert, weil er immer
noch unsere Werte, unsere Art, zu leben, angreift und
weil er darüber hinaus für immer neue Fluchtursachen in
der Region verantwortlich ist . Man kann ganz unmittel-
bar sehen, dass das militärische Eingreifen und die Un-
terstützung in der Region letztlich verhindert haben, dass
weitere Menschen aus dieser Region zu uns nach Euro-
pa und nach Deutschland kommen . Das hat im Übrigen
auch dazu geführt, dass man die Arbeit des UN-Flücht-
lingshilfswerks entsprechend unterstützen und in relati-
ver Stabilität Flüchtlingscamps in der Region betreiben
kann . Das ist notwendig und wichtig . Deshalb muss man
diesen Weg weitergehen .

Ich glaube, dass ein Beitrag sein muss, dem IS dort
in der Region die Stirn zu bieten, wo er seine Wurzeln
hat . Deshalb ist dieser Einsatz richtig . Das zeigt sich in
Kobane, wohin die Menschen wieder zurückkehren . Vor
genau einem Jahr haben die syrischen Kurden Kobane
zurückerobert . Von den 400 000 Menschen, die dort in
der engeren Region leben, sind etwa 200 000 wieder zu-
rückgekehrt . Selbst nach Sindschar kehren die Menschen
zurück, obwohl die Lage schwierig ist . Das heißt, dass
die Menschen in der Region bleiben, wenn sie eine Per-
spektive haben . Diese Perspektive müssen wir auch mit
militärischen Beiträgen eröffnen und sichere Pufferzonen
für die Zivilbevölkerung schaffen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Mützenich, Sie haben richtigerweise gesagt, dass
das nur ein Teil des Ganzen ist . Hinzu kommen 100 Mil-

lionen Euro an humanitärer Hilfe und 170 Millionen
Euro, die wir einsetzen, um die staatlichen Strukturen im
Irak zu stärken und letztlich dem IS den Nährboden zu
entziehen . Das ist richtig .

Man muss auch auf die Probleme in Bezug darauf hin-
weisen, was mit den Waffen passiert . Man muss mit der
kurdischen Regionalregierung in Erbil und genauso mit
der Zentralregierung in Bagdad deutlich sprechen, weil
es nicht sein kann, dass internationale Gelder zurückge-
halten werden und dass monatelang keine Gehälter ge-
zahlt werden; denn damit wird die Grundlage geschaffen,
mit diesem Geld Schindluder zu treiben .

Ich will einen letzten Punkt ansprechen . Wir müssen
den Blick auch etwas weiter in die Zukunft richten, wenn
es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen. Ich finde,
Minister Müller hat mit seinem Zehn-Punkte-Plan und
seinem Programm „Cash for Work“ exakt das Richti-
ge getan, um für 500 000 Menschen in der Region die
Grundlage nicht nur für eine Arbeits-, sondern auch für
eine Lebensperspektive zu schaffen . Das ist der richtige
Weg .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es sind viele Punkte, die man zusammenbringen
muss . Wir machen das . Deswegen sollten wir diesen Weg
fortsetzen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815209400

Nächster Redner ist der Abgeordnete Omid Nouripour,

Bündnis 90/Die Grünen .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815209500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Be-

drohung durch ISIS ist ein Weltproblem . ISIS ist in den
letzten zwölf Monaten eher stärker geworden . Sie haben
in Libyen Territorium gewonnen . Sie haben das Chaos
des unfassbaren Krieges im Jemen, vor allem von der
Koalition um Saudi-Arabien geführt, genutzt, um dort
Fuß zu fassen . Spätestens seit Paris wissen alle, dass ISIS
sehr aktiv in Europa netzwerkt und arbeitet .

Es gibt aber ein Land, in dem ISIS auf dem Rückzug
ist . Das ist der Irak . Dazu haben dort sehr viele beige-
tragen . Dazu gehören auch die Region Nordirak und die
kurdische Regionalregierung, denen man dafür danken
muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist gut, dass Deutschland dort einen Beitrag der
Hilfe leisten will . Das ist keine Frage . Die Ausbildung
hat etwas gebracht . Das bestreitet niemand von uns . Die
Frontlinie ist stabilisiert . Das hat auch etwas mit der
Ausbildung zu tun . Das zeigt sich daran, dass Sindschar
gerade nach der Ausbildung der jesidischen Selbstvertei-
digungskräfte befreit worden ist . Dass es bei den Pesch-
merga und den Jesiden deutlich weniger Tote gibt, seit

Thorsten Frei






(A) (C)



(B) (D)


dort Sanitätskräfte ausgebildet worden sind, kann man
nur richtig finden. Dafür muss man, finde ich, den deut-
schen Soldatinnen und Soldaten, die vor Ort arbeiten,
danken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Ausbildung ist wichtig und richtig . Dennoch ha-
ben wir Grüne uns letztes Jahr mit großer Mehrheit ent-
halten . Dies wird dieses Jahr genauso sein . Dafür gibt
es einen zentralen Grund: Es gibt keine richtige Rechts-
grundlage . Das war bisher überhaupt kein Thema hier,
und das wundert mich ein bisschen . Es ist völkerrechtlich
korrekt, ein solches Mandat einzubringen . Es gibt eine
Einladung der Zentralregierung aus dem Irak . Aber das
reicht in Deutschland bekanntermaßen nicht . Wir haben
das Grundgesetz, und es gibt eine klare Rechtsprechung
aus Karlsruhe, die besagt, dass Einsätze nur im Rahmen
der Systeme kollektiver Sicherheit erfolgen dürfen .

Sie hatten zwölf Monate Zeit, verehrte Bundesregie-
rung, eine solche Grundlage zu schaffen, beispielsweise
in Form einer EU-Trainingsmission . Sie haben stattdes-
sen versucht, eine Rechtsgrundlage herbeizufantasieren .
In diesen Tagen gab es im Ausschuss einen Erklärungs-
versuch . Es hieß, ein System kollektiver Sicherheit sei
nicht notwendig, weil es sich gar nicht um einen Ein-
satz handele . Dann frage ich mich, warum Sie das man-
datieren . Die Antwort ist eindeutig: Es handelt sich um
einen Einsatz von bewaffneten Soldaten und Soldatinnen
30 Kilometer hinter der Frontlinie . Deshalb ist es absurd,
dass Sie sich nicht um eine Rechtsgrundlage bemüht ha-
ben . Das führt dazu, dass wir auch in diesem Jahr mit
großer Mehrheit nicht zustimmen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig dürfen wir das politische Umfeld nicht aus
den Augen verlieren; natürlich müssen wir auch darüber
reden . Man muss sehen, dass mit abnehmendem militäri-
schem Druck viele alte Gräben innerhalb der kurdischen
Fraktionen aufbrechen . Es ist teilweise hoch dramatisch .
Man darf nicht vergessen, dass der Parlamentspräsident
nicht mehr das Parlament betreten darf, dass vier Minis-
ter ausgesperrt wurden, dass Parteien, die große Wahler-
folge erzielt haben, aus dem Parlament ausgeschlossen
werden und dass Demonstranten niedergeknüppelt wer-
den . Es gibt viele Berichte – nicht nur den aktuellen Be-
richt von Amnesty International, sondern auch den von
Human Rights Watch aus dem letzten Jahr –, in denen
klar beschrieben wird, dass die arabische Bevölkerung
von Kurden vertrieben wird . Es werden starke Vorwürfe
erhoben, die man ernst nehmen und denen man dringend
nachgehen muss .

Auch die Pressefreiheit ist sehr stark beschränkt . Ich
zitiere aus einer Mail, die ich von einem mir bekannten
Journalisten aus Erbil – er ist dort mittlerweile nicht
mehr – bekommen habe:

Ich lebe derzeit in einem Asylbewerberlager . Ich
habe vor, in Deutschland zu bleiben und hier Asyl zu
beantragen . Die Sicherheitskräfte der KDP griffen
mein Büro an und verhafteten mich . Als ich später
eine Todesdrohung erhielt, habe ich Kurdistan-Irak

verlassen, und bin, um mein Leben zu retten, nach
Deutschland gekommen .

Das zeigt das Wagnis auf und verpflichtet uns, über die
Missstände laut und klar zu sprechen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das wird derzeit aber nicht gemacht . Viele deutsche Mi-
nister sind nach Erbil gefahren . Das war auch richtig,
aber ich habe die klare Sprache nicht gehört .

Es gibt sehr vieles, worüber man reden müsste . Der
Kollege Mützenich hat vorhin zum Beispiel die Einbin-
dung der Peschmerga in die irakischen Sicherheitskräfte
angesprochen . Eine solche Einbindung fehlt noch immer .
Wir sind hier nicht weiter als vor zwölf Monaten . Hinzu
kommen nun noch Berichte darüber, dass seit fünf Mo-
naten kein Sold mehr an die Peschmerga gezahlt wurde .
Die kurdische Regionalregierung steht unter immensem
finanziellen Druck. Daher ist es umso wichtiger, auf die
Sicherheitssektorreform zu achten und zu helfen, aber
auch gleichzeitig – weil es sich hier um einen wichtigen
Partner im Kampf gegen ISIS handelt – laut und klar an-
zusprechen, was dort alles falsch läuft . Es läuft sehr viel
falsch . Darüber muss man sprechen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der letzte Punkt, der schon im letzten Jahr zu großen
Diskussionen geführt hat, sind die Waffenlieferungen .
Wir haben auch innerhalb der Fraktion der Grünen sehr
heftig darum gerungen . Das ist bei einer solch zentralen
Frage auch richtig . Aber angesichts der vorliegenden Be-
richte über einen Schwarzmarkt für Waffen in einer der
am meisten proliferationsgefährdeten Gegenden der Welt
brauchen wir Aufklärung . Die Bundesregierung kommt
ihrer Nachweisverpflichtung allerdings nicht nach. Es
reicht nicht, zu sagen: Es gibt eine Endverbleiberklä-
rung . – Wir brauchen eine Endverbleibkontrolle . Wir
wollen sehen, wo die Waffen geblieben sind, damit wir
über die nächsten Schritte beraten können . Stattdessen
verspricht Frau von der Leyen nach jeder Reise weitere
Waffenlieferungen . So wird das nicht funktionieren . Ma-
chen Sie Ihre Hausaufgaben, wenn Sie wollen, dass wir
in zwölf Monaten mit Ihnen gemeinsam zustimmen . Ich
bin relativ sicher, dass wir in zwölf Monaten erneut darü-
ber beraten müssen .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815209600

Herr Kollege .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815209700

Es ist nicht fair, ohne Rechtsgrundlage und damit auf

Kosten der Soldatinnen und Soldaten ein solches Mandat
vorzulegen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815209800

Es reißt ein bisschen ein – das hat schon der Vorred-

ner gemacht –, dass man den letzten Punkt ankündigt,
nachdem die Redezeit abgelaufen ist . Wenn das Präsidi-

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


um hoffnungsvoll denkt, dass sich der Redner daran hält,
dann wird das meistens ein bisschen ausgedehnt . Es ist
eine Frage der Fairness, dass sich alle an ihre Redezeit
halten .

Nächster Redner ist der Abgeordnete Henning Otte,
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1815209900

Herr Präsident, herzlichen Dank . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir verlängern heute das Mandat für die Ausbildungs-
mission im Norden Iraks . Warum bilden wir aus? Weil
der furchtbare IS-Terror sonst voranschreitet, Menschen
umbringt und eine ganze Region destabilisiert . Wen bil-
den wir aus und wozu? Wir bilden kurdische Kämpfer
vor Ort aus, damit sie in die Lage versetzt werden, die
eigene Heimat zu verteidigen . In welchen Bereichen bil-
den wir aus? Wir bilden für Sanitätstätigkeiten, Minen-
räumung, Kampf und Schutz aus .

Meine Damen und Herren, diese Ausbildungsmission
trägt auch dazu bei, die Fluchtursachen dort zu bekämp-
fen, wo sie entstehen . Wir müssen gemeinsam einen
wichtigen Beitrag im Kampf gegen diesen unmenschli-
chen IS-Terror leisten, gegen den sogenannten „Islami-
schen Staat“, der im Zentrum Nordiraks und in Syrien
wirkt und wie ein Franchisesystem versucht, die Welt zu
destabilisieren . Der IS-Terror ist eine Bedrohung für den
Weltfrieden, und dem stellen wir uns gemeinsam entge-
gen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es leiden insbesondere die Jesiden dort vor Ort . Hun-
derte, ja Tausende jesidische Männer sind getötet wor-
den; Hunderte, ja Tausende Frauen und Mädchen sind
verschleppt oder getötet worden . Viele Mädchen sind
noch in den Händen dieser Barbaren . Ich wiederhole:
Viele Mädchen sind noch in den Händen dieser Barbaren .

Sehr geehrter Herr Kollege van Aken, ich habe Ihnen
ganz genau zugehört . Sie haben das Leid dieser Men-
schen nicht mit einem Wort angesprochen – nicht mit
einem Wort –, nur damit Sie Ihre Programmatik hier von
diesem Pult aus vertreten konnten . Das ist keine Verant-
wortung, das ist Augenverschließen vor dem Leid vieler
Menschen . Das ist nicht zu akzeptieren, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jan van Aken [DIE LINKE]: Wir haben eine klügere Lösung!)


Genau vor dieser Gewalt fliehen nämlich die Menschen,
weil sie keine andere Zuflucht finden. Sie geben ihre Hei-
mat auf, sie kommen auch nach Deutschland, weil sie
Schutz suchen . Das stellt unsere Gesellschaft vor eine
große Herausforderung .

Der IS versucht beispielsweise, in Libyen einen neuen
Brückenkopf zu bilden, dort Fuß zu fassen und von dort
aus über das Mittelmeer Europa zu destabilisieren . Das
müssen wir verhindern – auch zum Schutz unseres Lan-
des. Wir müssen uns dort engagieren, wo die Konflikte

entstehen; wir müssen dort aktiv werden, wo die Konflik-
te auch uns bedrohen . Ansonsten werden sich noch mehr
Menschen auf die Flucht machen .

Ja, es ist ein innerislamischer Konflikt, und die ara-
bischen Staaten sind mehr denn je aufgefordert, selbst
Verantwortung zu tragen . Ja, es ist ein innerislamischer
Bürgerkrieg . Aber es liegt auch im europäischen Interes-
se und insbesondere im deutschen Interesse, diesen Kon-
flikt zu entschärfen und zu verhindern, dass sich die Lage
weiter destabilisiert . Es ist vor allem auch eine Frage der
Menschlichkeit, meine Damen und Herren, Menschen zu
schützen und sie nicht sterben zu lassen . Auch deswegen
helfen wir, auch deswegen erteilen wir dieses Mandat .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es geht auch darum, dass wir den kurdischen Pesch-
merga weiter beistehen, die den IS auf breiter Front
zurückgedrängt haben . Das zeigt, dass diese Strategie
erfolgreich ist . Kollege Frei hat es deutlich dargestellt .
Deswegen werden wir die Anzahl der im Rahmen dieser
Mission eingesetzten deutschen Soldatinnen und Solda-
ten von 100 auf 150 erhöhen .

Dieses Mandat ist rechtlich abgesichert . Kollege
Mützenich hat es deutlich herausgestellt . Ich sage auch
an die Adresse der Grünen: Es gibt immer viele Ausre-
den, die man suchen könnte, um einem solchen Mandat
nicht zuzustimmen . Aber jetzt eine solche Position zu be-
ziehen, das ist nicht verantwortungsvoll .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir stehen auf dem Boden des Grundgesetzes! Das sollten Sie auch tun!)


Wir ertüchtigen die Menschen vor Ort – das ist nachhal-
tig –, selbst für Stabilität in der Region zu sorgen . Das
ist Nachhaltigkeit und keine Ideologie, die Ihnen passen
würde . Die Verantwortung und die Wahrnehmung der
Realität sind Maßstab für uns, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind Verfassungspatrioten! Was sind Sie denn?)


Wer zu seiner Verantwortung in der Welt steht, der darf
sich der Last, die sich daraus ergibt, nicht entziehen . Das
ist ein gutes Motto, wie ich finde. Deswegen sage ich:
Nicht mit erhobenem Zeigefinger an der Seite stehen,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Grundgesetz!)


sondern Verantwortung übernehmen . Wir, die Union,
übernehmen Verantwortung mit unserer Bundeskanzle-
rin Angela Merkel, mit unserer Verteidigungsministerin
Ursula von der Leyen und mit unseren Koalitionspart-
nern, allen voran Außenminister Steinmeier . Ich danke
diesen Lebensrettern, und ich danke vor allem den Solda-
tinnen und Soldaten der Bundeswehr, die oft auch selbst
Mütter und Väter sind, die einen Beitrag zur Stabilisie-
rung leisten und dazu, dass die Menschen nicht vor die-
sem Terror fliehen.

Es ist auch gut, dass wir unseren Soldaten die notwen-
dige Ausrüstung zur Verfügung stellen . 130 Milliarden

Vizepräsident Peter Hintze






(A) (C)



(B) (D)


Euro – so hat es unsere Verteidigungsministerin gesagt –
sind notwendig . Wir stellen diese Mittel zur Verfügung .
Sie dienen dem Schutz unserer Soldaten . Die Bundes-
wehr ist Garant für die Sicherheit . Wir alle haben den
Auftrag, den Frieden und die Sicherheit in dieser Welt
zum Nutzen der Menschen zu stabilisieren .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815210000

Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich dem

Abgeordneten Dr . Reinhard Brandl, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1815210100

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Im August 2014 hatten wir uns hier in diesem Saal zu
einer Sondersitzung versammelt . Wir waren schockiert
über den Erfolg und die scheinbare Unbesiegbarkeit der
Terrororganisation IS, die damals nach und nach immer
mehr Gebiete im Irak erobert hatte . Ich erinnere mich
gut: Sie stand damals 40 Kilometer vor Erbil, und es
waren die Peschmerga-Kämpfer, die sich ihr entgegen-
gestellt haben und in deren Gebiet damals Zehntausende
Jesiden und Christen geflohen waren.

Wir haben uns damals in einer schwierigen Abwägung
und nach einer sehr intensiven Debatte dafür entschieden,
den Peschmerga im Kampf gegen den IS beizustehen, sie
zuerst auszurüsten und danach auch auszubilden, wohl
wissend, welche Risiken damit verbunden sind, in einen
laufenden Konflikt Waffen zu liefern, und wohl wissend,
was für ein Risiko es auch für den Irak sein kann, wenn
wir eine Gruppe in diesem fragilen Staatsgebilde plötz-
lich direkt unterstützen .

Im Nachhinein war diese Entscheidung richtig . Erbil
konnte gehalten werden . Der Mythos der Unbesiegbar-
keit des IS wurde gebrochen, und nach und nach konnten
die Peschmerga weitere Gebiete zurückerobern, wie zum
Beispiel die Stadt Sindschar im November 2015 . All das
wäre ohne die internationale und insbesondere die deut-
sche Hilfe nicht möglich gewesen .

Ich war im letzten Jahr, wenige Monate später, mit
einigen Kollegen zu Gast in Erbil und habe dort mit Ver-
tretern der kurdischen Regionalregierung, der Peschmer-
ga und auch der Bundeswehr gesprochen . Ich will Ihnen
zwei Beispiele nennen, die zeigen, wie die Hilfe der Bun-
deswehr tatsächlich vor Ort wirkt .

Erstes Beispiel . Der IS hatte damals Lastwagen voll
mit Sprengstoff gepackt und mit Metallplatten notdürf-
tig gepanzert . Selbstmordattentäter haben diese Fahr-
zeuge damals in die kurdischen Dörfer gefahren und an
den Stellungen der Peschmerga explodieren lassen . Die
Peschmerga konnten dem nichts entgegensetzen . Sie wa-
ren dem hilflos ausgeliefert. Mit den Milan-Raketen, mit
denen wir sie unterstützt haben, konnten sie nun erstmals
diese Fahrzeuge auch auf Distanz bekämpfen, was zum

einen die Verteidigungsfähigkeit, zum anderen aber auch
die Moral der Truppe enorm erhöht hat .

Zweites Beispiel: Sanitätsausbildung . Die Peschmer-
ga haben damals sehr viele Kämpfer verloren, weil sie
einfach nicht wussten, wie sie bei Verletzungen handeln
sollen und wie sie bei einem Massenanfall von Verletz-
ten reagieren sollen . Die Sanitätsausbildung der Bundes-
wehr – ganz einfache Dinge wie das Stillen von Blutun-
gen zum Beispiel – hat massiv dazu beigetragen, dass
deutlich weniger Opfer anfallen, und auch das hat die
Verteidigungsfähigkeit erhöht und die Moral der Truppe
gestärkt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Einsatz war ein Erfolg . Er war vor allem wegen
der Kombination von Waffenlieferungen und Ausbildung
ein Erfolg . Ein Element alleine hätte diese Wirkung nicht
gehabt. Auch das können wir für zukünftige Konfliktsitu-
ationen lernen . Aber der Einsatz ist nur ein Mosaikstein;
er ist ein Erfolg, aber isoliert betrachtet ist er keine Lö-
sung .

Meine Damen und Herren, fokussieren wir uns einmal
nur auf den Nordirak . Wir waren dort bei der Regional-
regierung . Diese sagte: Klar, der Kampf gegen den IS ist
eines unserer Probleme, aber wir haben noch zwei viel
größere Probleme . Erstens sind wir praktisch zahlungs-
unfähig . Wir können unsere Kämpfer und unsere Staats-
bediensteten nicht bezahlen . Zweitens wissen wir auch
nicht, wie wir die im Moment 350 000 Flüchtlinge, die
in unserer Region sind, tatsächlich versorgen sollen, vor
allem auf lange Sicht . – Auch dafür braucht der Nordirak
unsere Unterstützung .

Wir haben uns damals auch mit Vertretern von Chris-
ten und Jesiden getroffen . Die haben uns berichtet, dass,
als der IS kam und sie vertrieben wurden, es ihre arabi-
schen Nachbarn waren, die begonnen haben, ihre Häuser
zu plündern .

Meine Damen und Herren, das allein zeigt, was für
eine große Aufgabe die Menschen in der Region im Hin-
blick auf Aussöhnung und Wiederaufbau noch vor sich
haben . Wir sollten jenseits dieses Einsatzes dann, wenn
die Waffen schweigen, wenn der IS besiegt ist, diese
Menschen nicht vergessen . Sie sind auf unsere Hilfe
dringend angewiesen . Ich kann für unsere Fraktion sa-
gen, dass wir diese Menschen nicht vergessen werden
und dass wir ihnen auch dann zur Seite stehen werden .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815210200

Ich schließe die Aussprache .

Zur gleich folgenden Abstimmung liegen mehrere Er-
klärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)

1) Anlagen 2 bis 4

Henning Otte






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung
zur „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicher-
heitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und
der irakischen Streitkräfte“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7367,
den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/7207
anzunehmen . Wir stimmen über die Beschlussempfeh-
lung namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . –
Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Ich eröffne
die Abstimmung über die Beschlussempfehlung .

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall .
Ich schließe jetzt die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben .1)

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7377 . Wer stimmt für den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der
SPD bei Zustimmung durch die Fraktion Die Linke und
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt .2)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b sowie
den Zusatzpunkt 2 auf:

28 a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Designgesetzes und wei-
terer Vorschriften des gewerblichen Rechts-
schutzes

Drucksache 18/7195
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Oliver Krischer, Dr . Julia Verlinden, Stephan
Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Behinderung des Windenergieaus-
baus durch Radaranlagen

Drucksache 18/7050
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

ZP 2 Erste Beratung des von den Abgeordneten
Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck

(Köln), weiteren Abgeordneten und der

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung der Zivilprozessordnung

Drucksache 18/7359

1) Ergebnis Seite 14947 C
2) Anlage 5

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 h so-
wie den Zusatzpunkt 3 auf . Es handelt sich um die Be-
schlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Ausspra-
che vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 29 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 14. November
2012 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Republik Polen über die Zusam-
menarbeit im Bereich des Eisenbahnverkehrs
über die deutsch-polnische Staatsgrenze

Drucksache 18/6931

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/7256

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/7256, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/6931 anzunehmen . Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen . – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plät-
zen zu erheben . – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .3)

Tagesordnungspunkt 29 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Mess- und Eich-
gesetzes

Drucksache 18/7194

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/7382

3) Anlage 6

Vizepräsident Peter Hintze






(A) (C)



(B) (D)


Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7382,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/7194 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Keiner . Enthaltun-
gen? – Dann ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit
den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 29 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss) zu der Verordnung der Bun-
desregierung

Fünfte Verordnung zur Änderung der Außen-
wirtschaftsverordnung

Drucksachen 18/6522, 18/6605 Nr. 2,
18/7222

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/7222, die Aufhebung der Ver-
ordnung auf Drucksache 18/6522 nicht zu verlangen .
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der
SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ohne
Gegenstimmen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen worden .

Tagesordnungspunkte 29 d bis 29 h . Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses .

Tagesordnungspunkt 29 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 272 zu Petitionen

Drucksache 18/7251

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 272 mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 29 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 273 zu Petitionen

Drucksache 18/7252

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 273 ist angenommen
worden mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und

der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke .

Tagesordnungspunkt 29 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 274 zu Petitionen

Drucksache 18/7253

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 274 mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 29 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 275 zu Petitionen

Drucksache 18/7254

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 275 auf
Drucksache 18/7254 angenommen mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei keiner Enthaltung .

Tagesordnungspunkt 29 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 276 zu Petitionen

Drucksache 18/7255

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 276 auf Druck-
sache 18/7255 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion angenommen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei keiner Enthaltung .

Zusatzpunkt 3:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss) zu der Mitteilung der Kom-
mission an das Europäische Parlament, den Rat,
den Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus-
schuss und den Ausschuss der Regionen

Den Binnenmarkt weiter ausbauen: mehr
Chancen für die Menschen und die Unterneh-
men

KOM(2015) 550 endg.; Ratsdok. 13370/15

hier: Politischer Dialog mit EU-Institutionen

Drucksachen 18/6855 A.5, 18/7395

Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-
tung eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Dann ist das mit Zustimmung aller
Fraktionen so beschlossen .

Vizepräsident Peter Hintze






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth,
Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Raif Badawi sofort freilassen – Völkerrechts-
widrige Strafen in Saudi-Arabien abschaffen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Göring-
Eckardt, Tom Koenigs, Agnieszka Brugger, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Ja zur Meinungsfreiheit, nein zur Folter –
Menschenrechte in Saudi-Arabien schützen,
Raif Badawi freilassen

Drucksachen 18/3832, 18/3835, 18/5450

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Sind Sie damit
einverstanden? – Dann ist das so beschlossen .

Bevor ich die Aussprache eröffne, verlese ich noch das
Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rern ermittelten Ergebnisses der zweiten namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung
mit dem Titel „Fortsetzung der Beteiligung bewaffne-
ter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung
der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdi-
stan-Irak und der irakischen Streitkräfte“, Drucksachen
18/7207 und 18/7367: abgegebene Stimmen 570 . Mit Ja
haben gestimmt 441, mit Nein haben gestimmt 81, ent-
halten haben sich 48 Kolleginnen und Kollegen . Die Be-
schlussempfehlung ist damit angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 572;
davon

ja: 442
nein: 82
enthalten: 48

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer

Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen

Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer

Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange

Vizepräsident Peter Hintze






(A) (C)



(B) (D)


Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel

Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Anita Schäfer (Saalstadt)

Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack

Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G . Wöhrl
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone

Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel






(A) (C)



(B) (D)


Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)


Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Dieter Janecek
Tom Koenigs

Nein

SPD

Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Hiller-Ohm
Ralf Kapschack
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Mahmut Özdemir (Duisburg)

René Röspel
Dr . Nina Scheer
Swen Schulz (Spandau)

Kerstin Tack

(Wol mirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich

Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Annalena Baerbock
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Monika Lazar
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Corinna Rüffer
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Beate Walter-Rosenheimer

Enthalten

SPD

Petra Hinz (Essen)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Marieluise Beck


(Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Renate Künast
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Özcan Mutlu






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer

Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws

Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe

Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms

Wir kommen nun zur Aussprache . Als Erster in die-
ser Aussprache erteile ich das Wort der Abgeordneten
Dr . Ute Finckh-Krämer, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU])



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1815210300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen!
Ziemlich genau vor einem Jahr haben wir die beiden An-
träge zum ersten Mal diskutiert, und vor etwa zwei Wo-
chen das Thema „Menschenrechte in und Rüstungsexpor-
te nach Saudi-Arabien“ in Aktuellen Stunden behandelt .
Raif Badawi und sein Anwalt Walid Abu al-Chair sind
immer noch in Haft . Dass die Prügelstrafe gegen Badawi
weiterhin ausgesetzt ist, ist ein schwacher Trost, auch
wenn wir uns darüber freuen . Besorgniserregend sind
dagegen die 47 Hinrichtungen Anfang Januar, bei denen
mit dem schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr jemand
hingerichtet wurde, der sich ausdrücklich für friedliche
politische Proteste eingesetzt hatte .

Es ist daher absolut unpassend, wenn in einem ak-
tuellen Hintergrundbericht über Saudi-Arabien in der
Wirtschaftswoche vom 15 . Januar dieses Jahres versucht
wird, die Hinrichtungen und den Krieg im Jemen folgen-
dermaßen zu erklären – ich zitiere –: „Dass Saudi-Arabi-
en derzeit so wild um sich schlägt, ist auch ein Zeichen
seiner ökonomischen Krise“, und dann kein weiteres
Wort über die Menschenrechtssituation im Land verlo-
ren wird . Denn wir können getrost davon ausgehen, dass
die saudische Regierung nicht nur wahrnimmt, wie im
Bundestag über ihr Land diskutiert wird, sondern dass
sie auch die Berichterstattung in den deutschen Medi-
en verfolgt . Die Wirtschaftswoche profitiert hier ganz
selbstverständlich von der Pressefreiheit . Wenn in ihrem
Bericht nicht erwähnt wird, wie schlecht es um die Mei-
nungs- und Pressefreiheit in Saudi-Arabien bestellt ist,
entsteht bei der saudischen Regierung der Eindruck, dass
die wirtschaftlichen Beziehungen wichtiger genommen
werden als zentrale Menschenrechte in ihrem Land . Das
ist ein fatales Zeichen .

Wir wären wohl alle froh, wenn wir als Bundestag
die Macht hätten, die sofortige Freilassung nicht nur von
Raif Badawi und Walid Abu al-Chair durchzusetzen, son-
dern auch die von allen anderen politischen Gefangenen
in Saudi-Arabien .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Leider haben wir diese Macht nicht . Also stellt sich die
Frage, was wir als Abgeordnete zur Unterstützung po-
litischer Gefangener tun können . Das Berliner Global
Public Policy Institute, GPPI, hat sich im letzten Herbst

auf einer Fachtagung mit dieser Frage beschäftigt . Die
ausführliche Tagungsdokumentation enthält konkrete
Empfehlungen an den Deutschen Bundestag, die ich im
Folgenden vorstellen und kommentieren möchte .

Erste Empfehlung – Zitat –:

Öffentliche Stellungnahmen einzelner Ausschüsse
zu Fällen politischer Haft sowie Anträge zur Ab-
stimmung im Bundestag sollten fraktionsübergrei-
fend getragen werden, damit ein deutliches politi-
sches Signal an Entscheidungsträger im Ausland
gesandt wird .

Es ist also schade, dass es vor einem Jahr keine Versu-
che gab, einen fraktionsübergreifenden Antrag zustande
zu bringen, sondern stattdessen zwei Oppositionsanträge
vorgelegt wurden .

Zweite Empfehlung – Zitat –:

Alle Bundestagsabgeordneten sollten das Pro-
gramm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“
des Menschenrechtsausschusses unterstützen und
mindestens eine Patenschaft übernehmen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Auswahl der Einzelfälle

– so die Empfehlung weiter –

kann nach eigenen geographischen und inhaltlichen
Interessen erfolgen, wobei sich die Abgeordneten
bemühen sollten, besonders gefährdete politische
Gefangene zu priorisieren . Dabei muss die wohlin-
formierte Einwilligung nach erfolgter Aufklärung

(„informed consent“) stets gesichert sein .


Derzeit haben von uns 630 Abgeordneten 50 eine
oder mehrere Patenschaften für politisch verfolgte Par-
lamentsabgeordnete, Journalistinnen bzw . Journalisten
oder Menschenrechtsverteidigerinnen bzw . Menschen-
rechtsverteidiger übernommen . Wir alle können in un-
seren Fraktionen dafür werben, dass diese Zahl deutlich
ansteigt .

Dritte Empfehlung:

Auf Auslandsreisen in Länder, in denen politische
Haft systematisch als Machtinstrument eingesetzt
wird, sollten Bundestagsabgeordnete nicht nur Ein-
zelfälle in ihren Gesprächen mit Regierungsver-
treterinnen ansprechen . Sie sollten vielmehr auch
um Besuchstermine im Gefängnis oder bei unter
Hausarrest stehenden Personen bitten und bei der
Übernahme einer Patenschaft wenn möglich auch
Prozessen beiwohnen .






(A) (C)



(B) (D)


Das ist sicher nicht immer mit unseren Zeitplänen und
Reisezielen vereinbar, könnte aber in Einzelfällen hilf-
reich sein, gerade dann, wenn politischen Gefangenen
andere Besuche verweigert werden .

Vierte Empfehlung:

Wo erforderlich sollten deutsche Bundestagsabge-
ordnete auf eine bessere medizinische Versorgung,
die Ermöglichung von Familienbesuchen oder an-
dere Hafterleichterungen drängen . Die deutsche
Botschaft vor Ort sollte vorab die betroffene Per-
son oder ihre Familie nach Bedarf aufklären und die
notwendige Zustimmung einholen .

Diese Empfehlung ist fast eine Selbstverständlichkeit:
Keine Alleingänge machen, sondern die Betroffenen und
ihre Familien einbeziehen, die Vor- und Nachteile eines
Appells von außen besser abschätzen können als wir, was
allerdings dann schwierig wird, wenn – wie im Fall von
Raif Badawi – Ehefrau und Schwester unterschiedliche
Standpunkte vertreten .

Die fünfte Empfehlung bezieht sich darauf, dass auch
das Bundestagspräsidium vor Auslandsreisen überlegen
soll, was es zur Unterstützung politischer Gefangener tun
kann .

Die sechste Empfehlung betrifft wieder uns alle – Zi-
tat –:

Die Menschenrechtspolitik darf nicht ausschließlich
an den Menschenrechtsausschuss delegiert werden .

Das unterstütze ich nachdrücklich, ebenso die Forde-
rung, vor Auslandsreisen frühzeitig Kontakt zu geeigne-
ten Menschenrechtsorganisationen aufzunehmen .

Auch der siebte Vorschlag könnte von einigen von uns
umgesetzt werden:

… Abgeordnete mit … Erfahrungen in der Einzel-
fallarbeit sollten parteiübergreifend bei jüngeren
Bundestagsabgeordneten für ein aktiveres Engage-
ment für politische Häftlinge werben, von Erfolgen
berichten und, wenn erwünscht, auch individuelles
Coaching anbieten .

Auch der regelmäßige „Erfahrungsaustausch auf der
Mitarbeiterebene“ kann unser Engagement für politische
Gefangene verstärken .

Das alles bezieht sich nicht nur auf politische Gefan-
gene in Saudi-Arabien . Viele von uns setzen sich für den
iranischen Menschenrechtsanwalt Abdolfattah Soltani
ein, der durch die originelle Facebook-Aktion „Kochen
für Soltani“, die von seiner in Nürnberg lebenden Tochter
ins Leben gerufen wurde, weltweit bekannt geworden ist .
Wir freuen uns darüber, dass er eine Woche Hafturlaub
erhalten hat, denken aber an die vielen politischen Ge-
fangenen im Iran, die weniger bekannt sind als er . Wie
in Saudi-Arabien gibt es im Iran jährlich Hunderte von
Hinrichtungen, darunter auch von zur Tatzeit Minderjäh-
rigen . Ähnliches gilt für Ägypten oder Pakistan .

Von den Vorschlägen der erwähnten Fachtagung, die
Mitglieder der Bundesregierung betreffen, möchte ich
einen herausgreifen . Er lautet – Zitat –:

In Gesprächen über einzelne politische Gefangene
hinter verschlossenen Türen sollte die Bundesregie-
rung immer kritischer auftreten als in der Öffent-
lichkeit .

Außenminister Steinmeier war gestern in der Sitzung
des Menschenrechtsausschusses und hat dabei unter an-
derem dargelegt, welche Fälle politischer Gefangener er
im vergangenen Jahr in vertraulichen Gesprächen ange-
sprochen hat . So verlockend es im Einzelfall sein kann,
sich öffentlich zu äußern; oft ist es politisch unklug, weil
es eine gesichtswahrende Richtungsänderung der betref-
fenden Regierungen erschwert .

Ich hoffe, dass Außenminister Steinmeier bei seiner
bevorstehenden Reise nach Saudi-Arabien und in den
Iran die genannten und weitere Fälle ansprechen kann .
Meinungs- und Pressefreiheit, das Verbot der Todesstrafe
und andere menschenrechtliche Errungenschaften wur-
den in der deutschen und in der europäischen Geschichte
mühsam erkämpft und sind Teil unserer politischen Kul-
tur geworden . Wir können auf ihre Vorteile verweisen
und andere ermutigen, unserem Beispiel zu folgen .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815210400

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Inge Höger,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815210500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Blog-

ger und Träger des Sacharow-Preises für Meinungsfrei-
heit, Raif Badawi, wurde vor etwas mehr als einem Jahr
in Saudi-Arabien zu zehn Jahren Haft und 1 000 Peit-
schenhieben verurteilt . Ashraf Fayadh, ein junger Dichter
mit palästinensischen Wurzeln, wurde vor zwei Monaten
ebenfalls in Saudi-Arabien zum Tode verurteilt . Anfang
dieses Jahres wurden vom saudischen Regime zeitgleich
47 Menschen hingerichtet, unter ihnen ein populärer Pre-
diger, der sich mit friedlichen Mitteln für Menschenrech-
te und Demokratie einsetzte .

Die Todesstrafe steht in Saudi-Arabien nicht nur auf
religiöse Verstöße und schwere Verbrechen, sondern
auch auf Homosexualität . Nach Angaben der Vereinten
Nationen wurde die Todesstrafe im Jahr 2015 157-mal
vollstreckt, gern auch öffentlich . Es ist wirklich unerträg-
lich, dass genau dieses Land eines der engsten Partner-
länder Deutschlands im arabischen Raum ist .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei wissen Sie es doch besser . Die Homepage des
Auswärtigen Amtes ist da sehr klar – Zitat –:

Saudi-Arabien ist eine absolute Monarchie … Ein
Parlament gibt es nicht … Kritik am König, der
Herrscherfamilie, der Herrschaft der Königsfamilie
an sich und an der islamischen Religion saudischer
Auslegung stellen … rote Linien dar … Körper-

Dr. Ute Finckh-Krämer






(A) (C)



(B) (D)


strafen wie zum Beispiel Stockhiebe werden regel-
mäßig vollzogen, Dissidenten werden inhaftiert,
Frauen werden wesentliche Menschenrechte vorent-
halten, minderjährige Mädchen zwangsverheiratet,
. . . die schiitische Minderheit im Osten des Landes
wird diskriminiert, und ausländische Arbeitnehmer
können ihre Rechte häufig nicht durchsetzen. Die
Definition der Straftatbestände lässt … die Tür dazu
offen, jedwede Art und Äußerung von Opposition
als „terroristischen“ Straftatbestand zu verfolgen
und zu ahnden .

So weit das Auswärtige Amt .

Sogar der Bundesnachrichtendienst warnte kürzlich
vor einer Idealisierung Saudi-Arabiens als außenpoli-
tischer Partner der Bundesrepublik . Das Land betreibe
eine zunehmend aggressive Außenpolitik . Hören Sie also
endlich damit auf, dieses Land als strategischen Verbün-
deten und Stabilitätsanker zu behandeln!


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Politik gegenüber Saudi-Arabien scheint weniger
von dem Gedanken an Menschenrechte oder Demokratie
als von den Gewinnerwartungen der Industrie bestimmt
zu werden . Nach wie vor werden Waffenlieferungen in
dieses Land genehmigt . Der Krieg im Jemen, das Nie-
derschlagen der Demokratiebewegung in Bahrain, die
Beteiligung am Krieg in Syrien, Massenhinrichtungen,
Missachtung von Frauenrechten, Entrechtung von Mil-
lionen von ausländischen Arbeitskräften – all das sollte
Grund genug sein, die enge Kooperation zu beenden .

Seit 2009 bilden 30 deutsche Polizisten im Land
Grenzschützer aus . Der Einsatz steht im engen Zusam-
menhang mit einem Milliardenprojekt des Rüstungskon-
zerns EADS, der dort Grenzsicherungsanlagen baut . Jörg
Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, fordert
die Beendigung dieses Einsatzes . Zitat Radek:

Das saudi-arabische Königreich hat mit seinem Feu-
dalsystem mit unseren Vorstellungen eines Rechts-
staats nichts gemein .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Doch die Bundesregierung lässt weiter Waffen liefern .
Patrouillenboote sollen es diesmal sein . Das Ganze hat
angeblich einen defensiven Charakter . Es geht um 15 Pa-
trouillenboote für 1,5 Milliarden Euro . Die Boote sichern
die aggressive Außenpolitik der Saudis ab und werden
zur weiteren Destabilisierung der Region beitragen . Die
Lieferung von 270 Leopard-Kampfpanzern ist erst ein-
mal gestoppt worden, aber der Export von Lizenzen hat
es ermöglicht, dass das Land sich nun in Spanien mit
Panzern versorgen kann . Beenden Sie die Kungelei mit
dem saudischen Regime! Schluss mit den Waffenexpor-
ten!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


210 000 Unterschriften hat Amnesty International für
Raif Badawis Freilassung gesammelt . Kürzlich wurde
die Schwester von Herrn Badawi gemeinsam mit ihrer
zwei Jahre alten Tochter ins Gefängnis geworfen, ebenso

sein Rechtsanwalt . Badawis Ehefrau hat seit Wochen kei-
nen Kontakt mehr zu ihm . Er wurde an einen unbekann-
ten Ort verlegt . Dort wartet man wohl darauf, dass die
Wunden der ersten 50 Peitschenhiebe verheilen, damit
ihm dann die restlichen 950 verabreicht werden können .
Körperlich sowie psychisch sei Badawi bereits vor der
Verlegung am Ende gewesen, sagt seine Ehefrau . Ihre
Bitte an die Bundesregierung, mehr für seine Freiheit zu
tun, kann ich nur aus vollem Herzen unterstützen .

Herr Badawi ist inzwischen Teil des parlamentari-
schen Schutzprogramms des Bundestages . Jetzt ist die
Regierung dran . Wenden Sie sich endlich öffentlich ge-
gen das barbarische Justizsystem in Saudi-Arabien!


(Michael Brand [CDU/CSU]: Das macht die Regierung aber auch!)


Setzen Sie sich für die sofortige Freilassung von Badawi
ein, und bieten Sie ihm in Deutschland politisches Asyl
an!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815210600

Nächster Redner ist der Abgeordnete Frank Heinrich,

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1815210700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Über
Menschenrechte zu sprechen, heißt immer auch, über
Menschen zu sprechen . Menschenrechte sind Indivi-
dualrechte . Sie betreffen einzelne Personen, einzelne
geschichtliche Orte, einzelne Lebensumstände . Wer für
Menschenrechte im Allgemeinen plädiert, ohne das Indi-
viduum im Besonderen zu schützen, hat das Prinzip nicht
verstanden . Und doch geht unsere Debatte heute weit da-
rüber hinaus . Ich bin sehr dankbar, dass Sie die Debatte
mit Ihren Anträgen mit ausgelöst haben . Wir diskutieren
darüber, wie vorhin gesagt wurde, zum zweiten Mal .

Das Einzelschicksal steht sehr häufig exemplarisch
für eine politische Realität, in der Menschenrechte miss-
achtet, eingeschränkt und – wie man in diesem Fall und
manch anderes Mal auch sagen könnte – verhöhnt wer-
den . In diesen Fällen kann es nicht nur um den einen
gehen; wir müssen auch über das System sprechen, das
zum Bruch der Rechte der Menschen führt . Angesichts
der gestrigen Gedenkstunde zum 27 . Januar, dem Tag der
Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, möchte
ich dazu Bertolt Brecht zitieren:

Was sind das für Zeiten, wo Ein Gespräch über Bäu-
me fast ein Verbrechen ist . Weil es ein Schweigen
über so viele Untaten einschließt!

Dennoch möchte ich zugleich eine Warnung ausspre-
chen . Wir dürfen das Schicksal einzelner Menschen nicht
instrumentalisieren, um die eigene politische Ideologie
voranzutreiben . Dieser Gedanke kommt mir hin und
wieder, wenn ich Ihnen, Frau Höger, zuhöre – auch im

Inge Höger






(A) (C)



(B) (D)


Ausschuss – und von Ihnen kein Aufschrei kommt, wenn
Menschenrechte in gleicher Weise von kommunistischen
Regimen verletzt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir dürfen auch nicht außer Acht lassen, dass wir in un-
serer Debatte zugleich über die fragile weltpolitische Ge-
mengelage sprechen, in welcher ein wesentlicher Beitrag
zur Sicherung der Menschenrechte in der Befriedung von
Kriegsgebieten und in der Beseitigung von Fluchtursa-
chen besteht .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Lassen Sie mich drei Punkte ansprechen . Die Debatte
heute ist dreierlei: Erstens ist sie eine Debatte über ei-
nen Menschen, den Blogger Raif Badawi, der als Sym-
bol dafür steht, zweitens führen wir eine Debatte über die
Menschenrechtslage in Saudi-Arabien – das haben Sie zu
Recht angesprochen –, und drittens führen wir eine De-
batte über Allianzen und Bündnisse im Nahen Osten; hier
sind wir unterschiedlicher Meinung .

Ich beginne mit dem Menschen Raif Badawi . Im
Juni 2012 wurde er wegen Beleidigung des Islam ver-
haftet und im November 2014 zu einer zehnjährigen
Gefängnisstrafe, einer Geldstrafe und den bekannten,
vorhin genannten 1 000 Stock- und Peitschenhieben ver-
urteilt . Fast genau vor einem Jahr – morgen jährt sich
das – haben wir an gleicher Stelle über die Situation von
Raif Badawi gesprochen . Damals bekam sein Fall eine
erschütternde Aktualität; denn am 9 . Januar, also drei
Wochen vorher, war eine Einheit von 50 Peitschenhieben
an Badawi öffentlich vollstreckt worden .

Was hat sich seither getan? Ein positives Zeichen der
Solidarität der Öffentlichkeit mit Badawi war die Verlei-
hung des Sacharow-Preises des Europäischen Parlaments
im Dezember letzten Jahres . Stellvertretend für ihren in
Saudi-Arabien inhaftierten Ehemann hat Ensaf Haidar
in Straßburg diesen Preis entgegengenommen und eine
engagierte Rede zur Freiheit gehalten . Einige von uns
haben sie hier im Haus treffen dürfen . Ich bin dankbar,
diese kleine, aber mutige und taffe Frau erlebt zu haben .

Doch die jüngsten Nachrichten sind erneut mehr als
besorgniserregend . So wurde am 6 . Januar berichtet,
der Kontakt des inhaftierten saudischen Bloggers Raif
Badawi zu seiner Familie sei abgebrochen . Seit er im
Dezember in ein anderes Gefängnis verlegt wurde, habe
seine Frau nichts mehr von ihm gehört . Seit drei Wochen
gebe es „überhaupt keinen Kontakt mehr“, und sie ver-
mute, dass es ihm schlecht gehe .

Am 10 . Dezember 2015 hatte Haidar über Twitter
mitgeteilt, dass ihr Mann verlegt worden sei, sich im
Hungerstreik befinde. Nun appellierte sie erneut an die
Regierungen, „mehr für Raifs Freiheit zu tun, mehr zu
tun, damit er bei uns in Kanada“ – dort lebt sie jetzt im
Exil – „sein kann“ . Die internationalen Würdigungen sei-
en für ihren Mann von großer Bedeutung .

Wir fordern hier und heute gemeinsam über die Frak-
tionsgrenzen hinweg die Verantwortlichen in Saudi-Ara-
bien nachdrücklich auf: Lassen Sie Raif Badawi frei!


(Beifall im ganzen Hause)


Der zweite Punkt: die Lage in Saudi-Arabien . Vor ei-
nem Jahr, im Januar 2015, hatte sich Bundestagspräsi-
dent Norbert Lammert explizit zu diesem Land hier im
Haus geäußert – ich zitierte –:

Wem unter den Muslimen über rhetorische Floskeln
hinaus tatsächlich an Aufklärung gelegen ist, muss
sich mit der Frage auseinandersetzen, warum noch
immer im Namen Allahs Menschen verfolgt, drang-
saliert und getötet werden . … Auch mit staatlicher
Autorität wird im Namen Gottes gegen Mindeststan-
dards der Menschlichkeit verstoßen . Saudi-Arabien
hat … das Attentat in Paris als „feigen Terrorakt“
verurteilt, „der gegen den wahren Islam verstößt“,
und zwei Tage später den Blogger Raif Badawi in
Dschidda öffentlich auspeitschen lassen .

Auch hier müssen wir uns fragen: Was ist seitdem pas-
siert? Leider müssen wir festhalten: Neben den Verbes-
serungen etwa beim Wahlrecht für Frauen hat sich das
meiste eher verschlimmert . Ein Beispiel – auch das wur-
de hier schon gesagt – ist die Anwendung der Todesstra-
fe . Die Situation hat sich erheblich verschärft . Amnesty
International schreibt dazu:

Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien hat sich
unter dem neuen König Salman im vergangenen Jahr
kontinuierlich verschlechtert . So hat Saudi-Arabien
2015 mindestens 151 Menschen hingerichtet, ein
trauriger Höchstwert seit knapp 20 Jahren .

Bereits am 2 . Januar dieses Jahres erreichte die Zahl der
Hinrichtungen eine weitere Steigerung: 47 Menschen
wurden an einem Tag getötet .

Uns allen steht auch die Hinrichtung des schiitischen
Geistlichen Nimr Baqir al-Nimr vor Augen . Dazu noch
einmal aus dem Bericht von Amnesty International:

Bei Scheich Nimr Baqir al-Nimr handelte es sich um
einen gewaltlosen politischen Gefangenen . Al-Nimr
wurde unter anderem wegen ‚Ungehorsam gegen-
über dem Herrscher‘ zum Tode verurteilt . Dabei hat
Scheich Nimr Baqir al-Nimr mit seinen Predigten
und Forderungen nach politischen Reformen nur
von seinem Menschenrecht auf freie Meinungsäu-
ßerung Gebrauch gemacht .

Der Prozess gegen den Scheich . . . war eine Farce
und politisch motiviert . Unter anderem wurde ihm
der Zugang zu einem Rechtsbeistand in wichtigen
Prozessphasen verweigert . Dass die saudi-arabische
Regierung ihn trotz der zahlreichen Verfahrensmän-
gel hinrichten ließ, ist eine schreckliche Ungerech-
tigkeit und ein Beleg für die Fehler in Saudi-Arabi-
ens Justizsystem .

Dies haben auch Sie, Frau Höger, gerade angesprochen .

Diese Hinrichtungen in Saudi-Arabien sind eine mas-
sive Verletzung der Menschenrechte, für die es keine
Rechtfertigung gibt . Ich schließe mich dem stellvertre-
tenden Fraktionsvorsitzenden Jung an, der in einer Pres-
semitteilung unserer Fraktion Anfang Januar sagte: Wir
fordern „Saudi-Arabien eindringlich auf, keine weiteren
Hinrichtungen durchzuführen – auch mit Blick auf die

Frank Heinrich (Chemnitz)







(A) (C)



(B) (D)


notwendigen Bemühungen um eine Deeskalation der Be-
ziehungen zum Iran“ .

Mit diesem letzten Satz komme ich zu dem dritten von
mir genannten Punkt, zur Lage im Nahen Osten, in der
ganzen Region . Wir müssen und werden die Menschen-
rechte in Saudi-Arabien anmahnen und ansprechen, und
auch in den Ländern im Umfeld, die, wie wir wissen, teil-
weise noch höhere Hinrichtungszahlen haben . Aber wir
dürfen die Beziehungen zu Saudi-Arabien meiner, unse-
rer Überzeugung nach nicht einfach abbrechen . Das wür-
de die politische Lage im Nahen Osten meines Erachtens
eher noch verschärfen .

Schon vor einem Jahr verurteilte Außenminister
Frank-Walter Steinmeier den Vollzug der Stockschläge
an Raif Badawi, bezeichnete das wahhabitische König-
reich aber zugleich als wichtigen Verbündeten gegen die
Dschihadisten-Miliz „Islamischer Staat“ . Das ist und
bleibt ein politisches Dilemma, aber das ist eben auch
politische Realität . Dazu zitiere ich noch einmal unseren
Kollegen Jung:

Nach der Hinrichtung des schiitischen Geistlichen
. . . verschlechtern sich die Beziehungen zwischen
Saudi-Arabien und dem Iran . Deutschland sollte
deeskalierend wirken .

Wir „müssen jetzt alle Anstrengungen“ unternehmen,
„damit beide Länder möglichst umgehend wieder zum
Dialog zurückkehren“ .

Eine Eskalation in den Beziehungen beider Länder
würde die schon erheblichen Spannungen im Nahen
und Mittleren Osten weiter verschärfen . . . Ein Ab-
bruch der Beziehungen ist deshalb der falsche Weg .

Allerdings müssen wir – und wir reden noch lange nicht
von einer heroisierenden Partnerschaft oder von Kunge-
lei – alle Einflussmöglichkeiten nutzen. Wenn wir die
Handelsbeziehungen abbrechen, sind diese zunichte .

Ich komme zum Ende . Tun wir bitte alles, unter an-
derem durch eine Debatte zu einer sehr prominenten
Stunde, zur Mittagszeit, um diesen Einfluss auszuüben.
Dieses Plädoyer muss heute von hier aus an die Regie-
rung gehen . Deshalb noch einmal ganz klar zum Schluss
an die Adresse Saudi-Arabiens: Lassen Sie Raif Badawi
frei! Let this man go! – Und wenn sie diese Sprachen
nicht verstehen, werde ich es in ihrer Sprache versuchen:
Da’a hadha al-radschal yadhhab!

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815210800

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Tom Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen .


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815210900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Wenn es einen Indikator für vorauszusehende Insta-
bilität gibt, dann sind das Menschenrechtsverletzungen .
Menschenrechtsverletzungen in massivem Maße haben

unmittelbar Unruhen, oft zunächst friedliche Demonstra-
tionen zur Folge, dann Radikalisierungen und schließlich
Krieg .

Nun hat der Arabische Frühling Saudi-Arabien bisher
offensichtlich nicht erreicht . Das heißt aber nicht, dass
Saudi-Arabien nicht eingegriffen hätte, zum Beispiel in
Bahrain oder im Jemen . Aber jeder, der das Terrorre gime
dort sieht, und jeder, der die Bewegungen dort sieht,
weiß: Dies ist ein instabiler Staat . Man kann jeden Inves-
tor nur warnen, dort zu investieren . Man muss auch allen,
die dort Politik machen, sagen: Ihr macht noch genauso
Politik wie vor 10, 20, 30 Jahren, so als wäre das ein
Stabilitätsanker . Von dort wird Radikalismus exportiert .
Es gab einmal vor zwei oder drei Jahren eine Umfrage,
in der festgestellt wurde: Wenn in Saudi-Arabien heute
direkte und freie Wahlen wären, würde wahrscheinlich
Osama Bin Laden gewählt .

Alle machen genauso weiter, als wäre das ein demo-
kratischer Staat . Die Waffenlieferungen: Panzer wurden
ein wenig weniger . Aber was ist mit Schiffen und Fre-
gatten? Ja, die machen ja nichts, die spielen nur . Das ge-
schieht in einer Situation, in der die Spannung zwischen
den dortigen Regionalmächten gewaltig zunimmt, und
die Fregatten natürlich auch bis Iran kommen .

Wandel durch Handel . Ja, wie viel Handel muss es
denn noch geben, damit sich da etwas wandelt? Da pas-
siert nichts .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Michael Brand [CDU/CSU])


Eine Strategie der Bundesregierung, wie mit diesem
und solchen Staaten umzugehen ist, gibt es nicht . Ja,
manche Sachen geheim verhandeln, ja, nur nichts offen
sagen . Ja, in Genf muss man verhandeln, auch mit ihnen .
Aber die Staatsbesuche mit dem jährlichen Hofknicks
der Kanzlerin, muss das denn sein? Das fragt man sich .

Der Wirtschaftsminister reist und verteidigt die Ar-
beitsplätze in Kassel und Bremen .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unsinn!)


Ja, wenn es das denn ist . Aber eine kohärente Strategie,
mit so einem Terrorregime umzugehen, gibt es nicht –
und das noch dazu, wo diese Macht ja am Rande einer
möglichen Atommacht steht, vielleicht mithilfe von Pa-
kistan . Wenn die Bundesregierung schon keine Strategie
hinbekommt, dann sollte wenigstens der Bundestag Re-
solutionen verfassen, damit die dort tätigen, dort aktiven
oder verhafteten Menschenrechtsverteidiger wenigstens
wissen, wer auf ihrer Seite steht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Finckh-Krämer hat bei ihren Empfehlungen als
Allererstes gesagt: gemeinsame Resolutionen . Ja, das
wäre schön, aber das scheitert – und da sitzt die große
Verhinderin; es liegt an einer einzigen Dame in diesem
Hohen Hause . Liebe CDU/CSU, ist das eure Menschen-

Frank Heinrich (Chemnitz)







(A) (C)



(B) (D)


rechtspolitik? Ihr stimmt doch im Europaparlament den
Resolutionen zu .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was erzählen Sie denn für einen Unsinn, Herr Kollege? Abenteuerlicher Unsinn!)


Ihr könnt euch doch nicht so gefangen nehmen lassen
von einzelnen Personen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Warum geht es nicht, dass wir hier im Parlament eine
einstimmige gemeinsame Resolution zum Fall Badawi,
zu den 47 Hinrichtungen und zum Terrorregime in Sau-
di-Arabien machen? Warum geht das nicht?

Noch eines: das Sicherheitsabkommen . Da fragt jetzt
schon die Polizeigewerkschaft: Ist das denn wirklich nö-
tig? – Welche Sicherheit ist das denn eigentlich, die Sie
da verteidigen? Ist es nicht wirklich Zeit, wenigstens da-
von Abschied zu nehmen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich sage noch einmal: Es gibt auch eine Verantwor-
tung der Unternehmen, die dort investieren, und auch der
Unternehmen, die hier produzieren und dorthin expor-
tieren . Es gibt eine Unternehmensverantwortung . Es soll
keiner sagen, er hätte davon überhaupt nichts gewusst .
Diesen Gestus kennen wir aus Deutschland; wir sollten
ihn nicht wiederholen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jeder, der dort investiert, nimmt ein hohes Risiko in
Kauf, ein finanzielles, ein wirtschaftliches, aber auch ein
moralisches .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815211000

Letzter Redner in der Aussprache: der Abgeordnete

Michael Brand, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1815211100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Lage Saudi-Arabiens wird wie in einem Brennglas
in einem besonderen Fall fokussiert, nämlich dem des
Bloggers und Sacharow-Preisträgers, über den wir hier
heute exemplarisch diskutieren: Raif Badawi . Ich bin
mit seiner tapferen Frau Ensaf Haidar mehrfach zu für
mich sehr beeindruckenden Begegnungen zusammen-
getroffen; wir sind auch im Gespräch mit dem Auswär-
tigen Amt . Es ist erwähnt worden: Raif Badawi ist im
Patenschaftsprogramm PsP des Deutschen Bundestages,
so wie im Übrigen Leyla Yunus aus Aserbaidschan, die
mit Unterstützung auch aus Deutschland vor einigen Ta-
gen freigelassen werden konnte . Unser Ziel hier im Par-
lament ist klar: Wir wollen die Freiheit dieses mutigen
Mannes erreichen, und wir wollen die weitere Vollstre-

ckung des mittelalterlichen, schlicht barbarischen Urteils
von 1 000 Peitschenhieben endgültig stoppen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ensaf hat in ihrem Buch Freiheit für Raif Badawi, die
Liebe meines Lebens beschrieben, was sie empfand, als
sie die illegal gefilmten Aufnahmen dieser abscheulichen
Tat sah . Ich will das hier zitieren, um die Barbarei vor
Augen zu führen:

Wieder war Raifs Rücken zu sehen, der unter der
Wucht der Hiebe erzitterte, die ihm einer der Sicher-
heitsleute verabreichte . Der Mann selbst war auf
dem Video nicht zu erkennen . Aber ich sah deutlich,
dass er mit voller Gewalt zuschlug . Raifs Kopf hing
gebeugt nach unten . In sehr schneller Abfolge kas-
sierte er die Hiebe auf dem gesamten hinteren Teil
seines Körpers .

Sie schreibt weiter:

Das war zu viel für mich . Es ist unbeschreiblich, da-
bei zuzusehen, wie dem Menschen, den man liebt,
so etwas angetan wird . Ich spürte den Schmerz, den
sie Raif zufügten, als ob er mein eigener sei: Eben-
so gut hätten die Männer, die ich im Video gesehen
hatte, mich selbst auf einen Platz stellen und aus-
peitschen können . Das Schlimmste jedoch war das
Gefühl der Hilflosigkeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt lebt im
Jahr 2016 . Aber die Islamisten in Saudi-Arabien – nichts
anderes ist die Sekte der Wahhabiten in Saudi-Arabi-
en – leben nicht in unserer Welt . Feudaler Pomp und
Hightech-Fassade können eben nicht darüber hinwegtäu-
schen: Saudi-Arabien lebt politisch, geistig und religiös
im Mittelalter .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber es ist nun einmal so, und deshalb bleibt es tat-
sächlich alternativlos: Es braucht massive Veränderungen
am Golf, wenn dauerhaft Frieden auf der von Krieg und
auch Genozid geprägten Arabischen Halbinsel einkehren
soll . Ja, dazu braucht es Saudi-Arabien . Dazu braucht
es aber ein modernisiertes Saudi-Arabien . Das Schick-
sal von Raif Badawi ist dabei zum Kristallisationspunkt
geworden . Der internationale Druck wirkt, auch wenn
das Regime dies von sich weist . Ensaf Haidar schreibt zu
Recht – auch das zitiere ich –:

Raif ist zu einer Art Staatsaffäre geworden . Sie
macht eine Fortsetzung des Strafvollzugs heikel .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, allerdings hat das
feudal-religiöse Regime in Saudi-Arabien noch immer
nicht den Ernst der eigenen Lage verstanden . Auch dazu
möchte ich die Frau von Raif Badawi zitieren, die for-
muliert, was auch ihr inhaftierter Mann in seinen Blogs
vielfach betont hat – ich zitiere –:

Andererseits fürchtet das Land seine aufmüpfige
Jugend – und möchte ihr gegenüber das Signal aus-
senden, dass es mit harter Hand gegen Blogger und

Tom Koenigs






(A) (C)



(B) (D)


Andersdenkende vorgeht . Wie dieses interne Rin-
gen ausgeht, ist noch nicht abzusehen .

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mit Blick
auf Syrien, Irak, Libyen und andere Krisen auf der Ara-
bischen Halbinsel gilt: Wer Genozid, die Kriege und die
daraus resultierenden Fluchtbewegungen beenden will,
der muss mit allen reden . Das gilt leider auch für ein Re-
gime wie das saudische . Dabei gilt aber auch: Saudi-Ara-
bien ist sicher kein Freund . Deutschland kann sich keine
Freunde leisten, die das, was uns heilig ist, so brutal ver-
achten: die Rechte der Menschen, die Menschenrechte .

Wenn wir aber diesen Drahtseilakt schon vollführen
müssen, dann kommt es umso mehr darauf an, vorsichtig
und umsichtig zu sein . Niemand darf sich missbrauchen
lassen; niemand darf diesen Regimen zu distanzlos be-
gegnen . Regierungskontakte sind das eine . Sie bleiben in
fast jeder Lage erforderlich; das weiß doch auch jeder .
Darüber hinausgehende Gesten – auch das will ich sa-
gen – müssen sorgfältig gewählt werden . Zu hoch bleibt
das Risiko der symbolischen Stärkung brutaler Regime,
die Gefahr der Schwächung der Opposition, im Übrigen
auch der Preisgabe unserer eigenen Glaubwürdigkeit in
Sachen Menschenrechte . Realpolitik darf die schlimme
Realität der Menschenrechte in Saudi-Arabien eben nicht
ausblenden .

Natürlich wünschen sich auch die Menschen in Sau-
di-Arabien eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht
und nicht eine mit sogar öffentlich zur Schau gestellter
Barbarei . Raif Badawi ist zum Symbol für Zigtausende
Fälle in diesem Land geworden . Sein Fall ist im Übrigen
ein starker Beleg dafür, dass in Saudi-Arabien keines-
wegs ein mittelalterliches Regime als gottgegeben hinge-
nommen wird, wie uns manche weismachen wollen, um
ihre eigenen Interessen zu schützen .

Ich zitiere noch einmal Ensaf Haidar:

Auch wenn sich die internationale Aufmerksam-
keit im Moment stark auf Raif fokussiert, dürfen
wir doch nie vergessen, dass er auch stellvertretend
für alle anderen politischen Gefangenen steht, die
in Saudi-Arabien unter härtesten Bedingungen im
Gefängnis sitzen, weil sie auf die eine oder ande-
re Weise für Menschenrechte und Meinungsfreiheit
eingetreten sind . . . . Aber eigentlich hat Raif immer
dafür gearbeitet, etwas am politischen System in un-
serem Vaterland zu verändern . Deshalb ist er ja im
Gefängnis gelandet – und mit ihm noch viele andere
mutige Männer und Frauen aus Saudi-Arabien .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das saudische Kö-
nigshaus bleibt in seinem Bestand gefährdet . Mit mittel-
alterlicher Brutalität und Dogma, auch mit Massenexeku-
tionen auf die Auswirkungen des Internets zu reagieren,
das muss einfach schiefgehen . Ohne eine echte Öffnung
und das Beenden der Repression wird das Königshaus
nicht überleben .

Saudi-Arabien hat sich auch international isoliert, hat
durch religiösen Imperialismus und das Sponsern des
internationalen Terrorismus viele Partner verprellt . Die
Rückkehr des Irans als selbsternannte Schutzmacht der
Schiiten auf die politische Weltbühne mit seiner eben-

falls hegemonialen Politik bedeutet eine direkte Bedro-
hung der mittelalterlichen Wahhabiten auf der anderen
Seite des Golfs .

Es bleibt enorm wertvoll, wenn Deutschland als ehr-
licher Makler versucht, einen echten Beitrag beider Län-
der zur Stabilisierung der Lage in Syrien, im Irak und
anderswo zu erreichen, so schwer dies auch bleibt . Das
allerdings – ich wiederhole das – darf nicht ohne Um-
sicht geschehen . Weil auf außenpolitischem Parkett je-
der Schritt auf seine Nebenwirkungen überprüft werden
muss, gilt dies auch für die Menschenrechte .

Der Besuch in Riad und in Teheran ist wichtig und
richtig . Ein Besuch auf Prestigeveranstaltungen für die
Regime, ob in Saudi-Arabien oder im Iran, wäre dabei
grundfalsch . Für Menschenrechte und die Beendigung
von Krieg muss man manche Kröte schlucken . Einen
Fehler darf man dabei aber nicht begehen, nämlich sich
vor den Karren von Regimen spannen zu lassen, um de-
ren Brutalität mit dem guten Namen unseres Landes zu
verbrämen .

Die Welt ist spätestens durch den Fall Badawi auf-
gewacht . Die neue saudische Führung braucht klare Si-
gnale, dass eine Öffnung auch für sie überlebenswichtig
ist . Peitsche und Mittelalter bedeuten im 21 . Jahrhundert
auch für eine lange Dynastie das baldige Ende .

Wir alle hier im Deutschen Bundestag sind uns einig
in den Grundwerten der Menschenrechte . Daher lautet
die gemeinsame Forderung an die saudische Führung:
Raif Badawi muss sofort aus der Haft befreit werden . Wir
erwarten, dass beim Besuch des deutschen Außenminis-
ters hierzu eindeutige Signale gesetzt werden . Die saudi-
sche Führung muss jetzt diese Zeichen der Öffnung und
der Verständigung setzen . Erst dann wird auch vonseiten
der internationalen Gemeinschaft mehr möglich, um den
Weg der Öffnung zu begleiten .

Muslime, Christen und andere setzen immer auch auf
das Prinzip Hoffnung . Denn wir glauben an das Gute im
Menschen, und zwar auch deshalb, weil wir eben nicht
mehr im Mittelalter leben .

Ich möchte meine Rede damit beenden, dass ich einer
Hoffnung Ausdruck verleihe . Es ist die Hoffnung eines
Kindes, das seinen unschuldig inhaftierten Vater wie-
dersehen will . Der kleine Sohn von Raif Badawi, Dodi,
hat in Kanada seiner Mutter beschrieben, wie er sich das
vorstellt:

Manchmal male ich mir zusammen mit den Kin-
dern den Tag aus, an dem wir Raif am Flughafen in
Montreal abholen und zu uns nach Hause bringen
werden . Dodi hat mir anvertraut, dass er dann – wie
im Film – in Zeitlupe auf ihn zugehen und in seine
Arme schweben wird .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, arbeiten wir daran,
dass sich der Traum dieses Kindes erfüllt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Michael Brand






(A) (C)



(B) (D)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815211200

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe auf Drucksache 18/5450 . Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/3832 mit dem Titel „Raif
Badawi sofort freilassen – Völkerrechtswidrige Strafen
in Saudi-Arabien abschaffen“ . Wer stimmt für die Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/3835 mit dem Titel „Ja zur Meinungs-
freiheit, nein zur Folter – Menschenrechte in Saudi-Ara-
bien schützen, Raif Badawi freilassen“ . Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Vereinbarte Debatte

zum Arbeitsprogramm der EU-Kommissi-
on 2016

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind
60 Minuten für die Aussprache vorgesehen . – Ich höre
keinen Widerspruch .

Ich eröffne die Aussprache . Erster Redner ist für die
Bundesregierung Staatsminister Michael Roth .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1815211300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die große Zahl an Flüchtlingen, die derzeit nach Europa
kommen, die Wirtschaftskrise, die sich vor allem in ei-
ner viel zu hohen Jugendarbeitslosigkeit in viel zu vielen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union manifestiert,
der Vormarsch von Nationalisten und Populisten, die
Kontroverse über die Bedeutung der Grundwerte in der
Europäischen Union, das Referendum über die Zukunft
des Vereinigten Königreichs in oder außerhalb der Euro-
päischen Union: Das sind einige Schlaglichter der derzei-
tigen Debatte um die Europäische Union, und ich bin mir
ziemlich sicher, dass ich damit noch nicht alle Krisen und
Bewährungsproben beschrieben habe .

Umso wichtiger ist es, dass die Europäische Kommis-
sion die Zeichen der Zeit erkannt hat . „Jetzt ist nicht die
Zeit für Business as usual“: Das ist der Titel des Arbeits-
programms der Kommission 2016 . Ja, da hat die Kom-
mission völlig recht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben hier im Deutschen Bundestag schon seit
vielen Jahren immer wieder auch über das Arbeits- und
Legislativprogramm der EU-Kommission gesprochen .
Ich selbst habe mir einmal die eine oder andere Rede an-
geschaut, die ich noch als Bundestagsabgeordneter hier
gehalten habe,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bist du immer noch!)


und ich stellte dabei fest, dass ich sicherlich auch zu den-
jenigen hier im Parlament gehörte, die bisweilen sehr
hart mit der Europäischen Kommission ins Gericht ge-
gangen sind .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Zu Recht!)


Ich war sicherlich nicht der schärfste Kritiker, aber auch
ich habe deutliche Worte gefunden .


(Zuruf von der LINKEN: Das hast du nie!)


Die EU-Kommission taugt derzeit nicht als Fußabtre-
ter der Europäischen Union . Wir haben es nicht mit einer
Krise der EU-Institutionen zu tun . Wir haben es mit ei-
ner Krise aus einem Mangel an Solidarität und Teamgeist
und einem Übermaß an nationalen Egoismen zu tun . Das
ist die eigentliche Krise . Deshalb – das sage ich leichten
Herzens und auch dankbar – hat die Kommission auf vie-
len Politikfeldern zu liefern gesucht .

Juncker versteht sich und seine Kommission vor allem
als politischen Impulsgeber und als Antreiber und nicht
als bloße Verwaltungsmaschinerie, und die Bundesregie-
rung unterstützt die Kommission und ihren politischen
Gestaltungsanspruch ausdrücklich .

Juncker hat vor einigen Monaten gesagt:

Es fehlt an Europa in dieser Europäischen Union
und es fehlt an Union in dieser Europäischen Union .

Ja, da hat er wohl recht . „Mehr Union“ heißt eben nicht,
noch mehr Regelungen im Detail, sondern mehr Gemein-
samkeit und Konzentration auf das Wesentliche .

Ich will die großen Bewährungsproben, denen wir der-
zeit ausgesetzt sind, nur sehr schlaglichtartig beschrei-
ben und mit der Flüchtlingspolitik beginnen . Hier ist ein
Kurswechsel nötig . Deutschland leistet viel, Schweden,
Österreich und auch Griechenland stoßen an ihre Gren-
zen . Aber wir haben mit der EU-Kommission einen Ver-
bündeten .

Wenn ich mir die derzeitigen Vorschläge zur Stärkung
der EU-Außengrenzen und die Vorschläge der Kommis-
sion zum erweiterten Mandat von Frontex und zum Aus-
bau zu einer Küstenschutz- und Grenzschutzwache vor
Augen führe, dann sage ich: Richtig so, aber wir brau-
chen eben auch eine breite Mehrheit in der EU, bei un-
seren Partnern und Freunden in den EU-Mitgliedstaaten .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU])


Ich bin einmal gespannt, wie die Debatte weitergeht .
Demnächst wird die EU-Kommission Vorschläge zur
grundlegenden Reform des Dublin-Systems auf den
Tisch legen, und ich bin mir ziemlich sicher: Auch hier
werden wir ein hohes Maß an Übereinstimmung mit den






(A) (C)



(B) (D)


Vorschlägen der Kommission feststellen . Umso wichti-
ger ist es, dass dieses Bündnis zwischen der Kommission
und der Bundesregierung, getragen von vielen Abgeord-
neten im Deutschen Bundestag, hält und stabil bleibt .

Ich will einen weiteren wichtigen Punkt benennen, der
uns hier im Bundestag über viele Jahre hinweg umgetrie-
ben hat . Die strategische Agenda der EU-Kommission
liegt genau auf der Linie der Koalitionsfraktionen und –
darüber hinaus – auch weiterer Akteure . Wir brauchen
in der EU endlich eine Politik für Wachstum und Be-
schäftigung, eine Politik, die sich dem Kampf gegen die
Massenarbeitslosigkeit, vor allem der jungen Menschen,
entschieden stellt .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sagen Sie das mal der Troika!)


Auch hier hat die EU-Kommission eine Reihe von ver-
nünftigen, zukunftsweisenden Vorschlägen auf den Tisch
gelegt .

Jeder Jugendliche, der keinen Arbeitsplatz und keine
Perspektive hat, ist einer zu viel . Das ist nicht eine rein
nationale Aufgabe . Das ist eine gemeinsame Aufgabe,
der wir uns in der Europäischen Union stellen können .
Wir selbst wissen ja: Mit unserer starken Wirtschaft in
Europa, mit unserem stabilen Sozialstaat haben wir jun-
gen Leuten aus anderen Ländern der Europäischen Union
eine Perspektive eröffnet . Aber das kann nicht die einzige
Lösung sein . Vielmehr brauchen wir ordentliche Perspek-
tiven in den jeweiligen Heimatländern der Jugendlichen .

Wir verstehen uns auch nicht, liebe Kolleginnen und
Kollegen, als der Oberlehrer in der EU, der erst einmal
auf die anderen weist . Nein, wir wollen in der Europäi-
schen Union ermutigen und ermuntern . Wenn ich mir ein-
mal unsere Flüchtlings- und Migrationspolitik anschaue,
dann stelle ich fest, dass sie von Mut und Ermunterung
geprägt ist . Wir versuchen, Schengen zu retten . Wir tun
eine Menge dafür, dass das, was für die Bürgerinnen und
Bürger seit vielen Jahrzehnten spürbar und erfolgreich
ist, auch eine Zukunft hat . Auch hier setze ich auf eine
enge Abstimmung zwischen Deutschland und der Kom-
mission .

Die Krisen erfordern eben nicht einfach ein Weiter-so,
sondern ein entschiedenes Handeln . Ich weiß, wie wir
mit den vielen Krisen in der Vergangenheit umgegangen
sind . Die einen sagten: Die EU ist aus den Krisen immer
gestärkt hervorgegangen . – Daran ist manches richtig .
Die anderen wiederum sagten: Es ist noch immer gut
gegangen . – Na ja, und da gab es vielleicht auch noch
den einen oder anderen, der sich dafür nicht sonderlich
interessiert hat . Ich glaube, jetzt, in dieser dramatischen
Lage, in der wir uns befinden, hilft es nichts, EU-Bashing
zu betreiben .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie sind Mitglied der Bundesregierung!)


Was hilft, ist, Europa mit konkretem Handeln wieder fit
zu machen . Von Deutschland als stärkstem Land in der
Mitte der Europäischen Union geht eine ganz besondere
Verantwortung aus .

Ich stelle mir natürlich folgende Fragen: Wie geht es
in dieser immer heterogener werdenden Union weiter?
Brauchen wir möglicherweise mehr Differenzierung?
Müssen die Staaten, die entschieden in eine Richtung
gehen wollen, möglicherweise vorangehen? Meines Er-
achtens ist ein solches Europa der Tempomacher mögli-
cherweise besser als ein Europa des Stillstands oder gar
des Rückschritts . Rückschritt brauchen wir nicht . Diffe-
renzierung tut not .

Insofern bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Arbeitsprogramm der Kommission genauso kritisch
wie immer, aber auch nicht minder konstruktiv zu beglei-
ten . Ich wünsche mir, dass das eine oder andere, was sich
im Arbeitsprogramm wiederfindet, vom Deutschen Bun-
destag aktiv begleitet werden könnte . Dafür bitte ich Sie
um Unterstützung . Ich freue mich jetzt auf die Debatte .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815211400

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Alexander Ulrich, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815211500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Europäische Union ist gerade dabei, an ihren zum Teil
selbst verursachten Krisen zu zerbrechen .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun dagegen, Alexander?)


Herr Staatsminister Roth, ich glaube, auch Sie soll-
ten langsam anfangen, nicht business as usual zu machen
und hier eine Sonntagsrede zu Europa zu halten, sondern
Sie sollten sich wirklich Gedanken machen, wo die Bun-
desregierung Mitverursacher bzw . Hauptverursacher die-
ser Krisen ist . Sie organisieren eine Politik mit, die dazu
führt, dass die Troika in die südeuropäischen Länder ge-
schickt wird, während Sie gleichzeitig hier davon reden:
Wir brauchen mehr Wachstum und Beschäftigung . – Sie
müssen Ihre Politik verändern und keine Sonntagsrede zu
Europa halten, in der das Gegenteil von dem gesagt wird,
was politische Praxis ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Zur Flüchtlingspolitik . Wir können uns alle daran er-
innern, als in Lampedusa viele Flüchtlinge angekommen
sind und die Italiener uns gefragt haben, wie wir ihnen
helfen können . Die deutsche Bundesregierung hat damals
diese Solidarität verweigert und auf Dublin hingewiesen .
Deshalb ist das, was jetzt kommt, eine Retourkutsche .
Deutschland hat mit dieser unsolidarischen Politik ange-
fangen, und jetzt kommt die Retourkutsche von anderen
europäischen Ländern .

Schauen wir uns das einmal an: 160 000 Flüchtlinge
sollen verteilt werden . Seit Monaten ist das im Gespräch .
Wissen Sie, wie viele von diesen 160 000 Flüchtlingen
bisher verteilt worden sind? 300 . Und was diskutiert
die Bundesregierung? Sie will mal wieder den Griechen

Staatsminister Michael Roth






(A) (C)



(B) (D)


die Schuld geben, weil sie ihre Außengrenzen scheinbar
nicht schützen – nach dem Motto: Die Griechen sind
wieder dran schuld .

Aber eines ist klar: Mit Zäunen und Grenzkontrollen
wird man dieses Problem nicht lösen .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb braucht die Bundesregierung auch hier eine
ganz andere Haltung .

Aber wir sehen, dass die Bundesregierung auch hier
handlungsunfähig ist und damit als größter Player in der
Europäischen Union ausfällt . Was sich CDU, CSU und
SPD in der Flüchtlingsfrage täglich leisten, ist kaum
noch als Regierungsversagen zu beschreiben . Es ist ein
Totalversagen dieser Bundesregierung .


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist aber auch nicht hinnehmbar – auch das sagen
wir als Linke ganz deutlich –, dass Länder wie Polen und
Ungarn auf Totalverweigerung umstellen . Es kann doch
nicht sein, dass Länder, die über die EU-Töpfe Solidarität
verlangen, eigene Solidarität verweigern . Deshalb muss
die Bundesregierung sich auf europäischer Ebene dafür
einsetzen, dass diese EU-Töpfe geschlossen bleiben,
wenn von diesen Ländern menschliche Hilfe verweigert
wird .

Und damit auch das klar ist: Wir brauchen eine an-
dere Haltung zur Türkei . Es kann nicht sein, dass die
EU-Kommission zu Recht darüber diskutiert, ob das Vor-
gehen Polens noch mit den europäischen Werten verein-
bar ist, aber gleichzeitig mit der Türkei weitere Beitritts-
verhandlungen geführt werden . Eigentlich müssten die
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sofort gestoppt
und auf Eis gelegt werden .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815211600

Herr Kollege, der Kollege Sarrazin würde Ihnen gerne

eine Frage stellen . Darf er das?


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815211700

Natürlich . Sehr gerne .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1815211800

Bitte schön .


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815211900

Herr Ulrich, Sie haben gerade die Forderung aufge-

stellt, dass Mittel aus dem EU-Haushalt nicht an Länder
ausgezahlt werden sollen, die menschliche Hilfe in der
Flüchtlingskrise, der sogenannten, verweigern . Was ge-
nau erfüllt aus Ihrer Sicht den Tatbestand einer Verweige-
rung dieser Hilfe? Was genau muss gegeben sein, damit
aus Ihrer Sicht festzustellen ist, dass kein Geld ausge-
zahlt wird? Haben Sie diese Vorschläge mit dem Minis-
terpräsidenten der Hellenischen Republik abgestimmt,

oder laufen wir Gefahr, dass Sie die Nächsten sind, die
Griechenland damit das Geld absprechen wollen?


(Zuruf von der CDU/CSU: Gute Frage!)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815212000

Herr Sarrazin, ich glaube, es wird Zeit, dass auch Sie

anerkennen müssen, dass Griechenland gemessen an
der Einwohnerzahl viel mehr für die Flüchtlinge tut als
Deutschland .


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Durchleitung! Ist die Durchleitung auch schon eine Leistung?)


Die Griechen sind die Allerletzten, die man da an den
Pranger stellen kann . Im Gegenteil: Griechenland würde
davon profitieren, wenn es eine europäische Solidarität
gäbe . Es ist doch genau das Problem, dass viele Länder
sich dieser Solidarität verweigern . Das sage ich Ihnen
ganz deutlich . Länder wie Ungarn oder Polen, die auf
Totalverweigerung setzen, dürfen keine finanzielle Hilfe
von Europa bekommen .


(Beifall der Abg . Katja Kipping [DIE LINKE])


Das könnte durchgesetzt werden, wenn der politische
Wille vorhanden wäre .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eine andere Krise, die dadurch in den Hintergrund
gerückt ist, die Euro- und Finanzkrise, ist aber weiter-
hin nicht vorbei . Im Gegenteil: In Italien sind gerade mal
wieder vier Banken mit 750 Millionen Euro gerettet wor-
den, ohne dass man die kleinen Sparguthaben gesichert
hat, was schon dazu geführt hat, dass sich in Italien Rent-
ner umgebracht haben . Was die EU macht, ist mir schlei-
erhaft: Man kehrt zu den Rezepten zurück, die 2007 in
den USA zum Beginn des großen Crashs geführt haben .
Auch der Umgang mit der Euro-Krise ist ein Totalversa-
gen in der Europäischen Union .


(Beifall bei der LINKEN)


Was ist im Arbeitsprogramm der Europäischen Kom-
mission auch noch enthalten? Natürlich – richtig! – TTIP .
Laut dem Arbeitsprogramm hat TTIP eine Top-Priorität .
Deshalb fragt man sich schon: Haben die Damen und
Herren in Brüssel und auch in der deutschen Bundesre-
gierung immer noch nicht verstanden, dass die Menschen
in Europa TTIP ablehnen, weil sie verstanden haben,
dass TTIP ein Frontalangriff auf Soziales, Demokratie,
Arbeitnehmerrechte und Verbraucherschutz ist?


(Beifall bei der LINKEN)


Alleine in Deutschland ist in den letzten eineinhalb Jah-
ren die Zustimmung von 55 Prozent auf 34 Prozent ge-
sunken . Im Oktober gab es hier in Berlin eine der größten
Demonstrationen in Deutschland in den letzten zehn Jah-
ren . 250 000 Menschen haben in Berlin für „Stop TTIP“
demonstriert . Eine ganz tolle Veranstaltung!


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist Vorspiegelung falscher Tatsachen!)


Alexander Ulrich






(A) (C)



(B) (D)


3,3 Millionen Menschen aus ganz Europa haben den Auf-
ruf der Bürgerinitiative gegen TTIP unterschrieben . Die
Kommission tut aber so, als wäre nichts gewesen . Die
Bundeskanzlerin hat sich zudem geweigert, einen Termin
zu finden, an dem die Unterschriften übergeben werden
können . Auch das zeigt: TTIP soll gegen die Mehrheit
der Menschen in Europa durchgesetzt werden .

In diesem Zusammenhang möchte ich den Leseraum
ansprechen, der uns im Wirtschaftsministerium zur Ein-
sichtnahme der Dokumente zur Verfügung gestellt wird .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, wie ihr
damit umgeht, aber eigentlich müssen wir alle im Bun-
destag sagen: Das spottet jeder Demokratie .


(Beifall bei der LINKEN)


Abgeordnete sind nicht für sich selbst da . Es ist gera-
dezu unsere Aufgabe, mit Experten sowie Wählerinnen
und Wählern über das, was wir dort lesen können, ins
Gespräch zu kommen . Dass man uns das verweigert, ist
eigentlich eine Entmachtung des Bundestags, und Sie
freuen sich scheinbar darüber . Wir als Linke sagen: Auch
mit diesem Leseraum hat man nichts dafür getan, dass
Transparenz und Demokratie mit Blick auf TTIP herge-
stellt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Last, but not least will die Europäische Kommission
einmal mehr etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit tun .
Ich weiß nicht, zum wievielten Male sich die Kommis-
sion dafür lobt, dass 6 Milliarden Euro zur Verfügung
gestellt werden, um gegen die Jugendarbeitslosigkeit
vorzugehen . Was passiert? Im Euro-Raum liegt die Ju-
gendarbeitslosigkeit bei über 20 Prozent . In Griechenland
und Spanien liegt sie bei über 50 Prozent . Die vielfach
gepriesene Jugendgarantie hat überhaupt nichts gebracht,
weil sie angesichts der Probleme lächerlich klein ist und
zugleich durch eine permanente Rezessionspolitik, Herr
Staatsminister Roth – genau das ist es nämlich, wenn
man in der Krise immer weiter die Ausgaben kürzt –,
auch noch konterkariert wird . Ich nenne ein Beispiel:
Wir haben 1,8 Billionen Euro zur Verfügung gestellt,
um die Banken zu retten, aber wir haben nur lächerliche
6 Milliarden Euro, um etwas gegen die Jugendarbeitslo-
sigkeit in Europa zu tun . Das zeigt, wo die Prioritäten der
EU-Kommission und der Bundesregierung liegen .

Das vorliegende Arbeitsprogramm der Kommission
ist eine Bankrotterklärung . Die gegenwärtige EU-Politik
ist gegen die Demokratie gewendet, führt zu immer mehr
Sozialabbau und hat kaum Respekt vor den Menschen-
rechten . Als Parlament sollten wir die Bundesregierung
auffordern, sich in Brüssel für eine Politik einzusetzen,
die dafür sorgt, dass der Druck auf Länder, die sich in der
Flüchtlingsfrage verweigern, deutlich erhöht wird,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


dass der türkische Terror gegen Kurden nicht auch noch
mit EU-Mitteln unterstützt wird und stattdessen das
Welternährungsprogramm massiv ausgebaut wird,


(Beifall bei der LINKEN)


dass die Finanzmärkte endlich geschrumpft und streng
reguliert werden durch eine Zerlegung der Großbanken

in kleinere Einheiten und eine Besteuerung sämtlicher
Finanztransaktionen, dass die Interessen der Menschen
endlich Vorrang vor denen der Banken haben – 6 Milliar-
den für die Jugend und 1,8 Billionen für die Banken, das
geht überhaupt nicht –,


(Beifall bei der LINKEN)


dass Reichtum endlich anständig besteuert wird – gerade
kam heraus, dass 62 Menschen so viel Vermögen besit-
zen wie die halbe Weltbevölkerung; Europa liegt da voll
im Trend; das muss geändert werden –,


(Beifall bei der LINKEN)


dass die europäischen Steueroasen endlich trockenge-
legt werden, dass eine echte soziale Mindestsicherung
geschaffen wird, die allen Menschen in Europa ein ar-
mutsfreies Leben garantiert, und nicht zuletzt dass TTIP
und CETA endlich abgeblasen werden und eine breite
Debatte über eine Neuausrichtung der EU-Handelspoli-
tik initiiert wird .

Ich wünsche mir, dass sich Europa und die Bundesre-
gierung endlich gegenüber den USA emanzipieren; denn
viele Probleme in Europa werden wir nicht gegen Russ-
land, sondern nur mit Russland lösen . Deshalb müssen
die Sanktionen endlich aufgehoben werden . Das wäre
eine vernünftige Politik in diesem Jahr und nicht business
as usual, wie es Herr Staatsminister Roth leider betreibt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815212100

Der Kollege Thomas Dörflinger hat für die CDU/CSU

das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1815212200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „It’s no time
for business as usual“ . Es ist nicht die Zeit, um nur das
gewöhnliche Geschäft zu erledigen . Und ich ergänze
nach der eben gehörten Rede: Wenn das die Überschrift
über dem Arbeitsprogramm der Europäischen Kommis-
sion ist, dann ist auch „no time for speeches as usual“ .
Also: Es ist auch keine Zeit, die üblichen Reden zu hal-
ten, meine Damen und Herren .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Deutschen Bundestag wird doch eigentlich immer deutsch geredet!)


– Ich habe es gerade übersetzt, Herr Kollege Sarrazin .

Herr Staatsminister Roth hat gesagt, wir sollen uns
wie in den Jahren zuvor kritisch und konstruktiv mit dem
Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission ausei-
nandersetzen . Nun bin ich völlig unverdächtig, dass ich
der Bundesregierung unnötiges Lob zollen würde dort,
wo sie es nicht verdient hat . Aber, Herr Kollege Ulrich,
so kann man es auch nicht machen: dass man sämtliche
Missstände zwischen Lappland und Gibraltar, die man
glaubt erkannt zu haben, aufsummiert und die Schuld

Alexander Ulrich






(A) (C)



(B) (D)


dann einerseits der Kommission und andererseits der
Bundesregierung in die Schuhe schiebt . An allen Miss-
ständen zwischen Lappland und Gibraltar ist weder die
eine noch die andere Institution schuld . Da machen Sie
es sich etwas einfach .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kapitalismus!)


Kritische Befassung heißt zum Beispiel, dass wir der
Kommission auch attestieren, dass sie über die letzten
Jahre etwas gelernt hat und dass sie sich offenkundig
hat leiten lassen von einem Wort, das der französische
Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry geprägt hat,
wenn er formuliert hat: Perfektion ist nicht dann erreicht,
wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man
nichts mehr weglassen kann . – Eine bemerkenswerte
Formulierung, der man beim Arbeitsprogramm der Eu-
ropäischen Kommission vielleicht nicht in allen Details,
aber mindestens bei der Grundstruktur gerecht geworden
ist . Zu dem Schluss kommt man, allein wenn man auf
den Umfang sieht .

Ich sage allerdings kritisch hinzu: Ich wünsche mir
schon, dass wir, wenn es an das Abarbeiten der einzel-
nen Punkte aus dem Arbeitsprogramm geht, uns nicht im
Detail verlieren, sondern dass wir uns tatsächlich auf das
konzentrieren, was in den laufenden zwölf Monaten un-
bedingt notwendig und was prioritär ist .

Da Detlef Seif und Andrea Lindholz nachfolgend et-
was zum Thema Migrationspolitik sagen werden, kon-
zentriere ich mich an der Stelle nur auf den einen Punkt:
Wenn das Thema Migrationspolitik unter aktuellen
Vorzeichen sozusagen wie eine imaginäre, unsichtbare
Überschrift über dem Arbeitsprogramm der Kommissi-
on steht – zu Recht aus meiner Sicht –, dann heißt das
notwendigerweise auch, dass wir uns beim Abarbeiten
nicht nur darauf konzentrieren können, in das Arbeitspro-
gramm zusätzlich etwas hineinzuformulieren, sondern
dass andere Punkte – abseits dieses Themas – vielleicht
bis zum nächsten oder bis zum übernächsten Jahr warten
können .

Ich will durchaus anerkennen, dass es in den An-
hängen des Arbeitsprogramms, insbesondere in den
Punkten IV und V, insgesamt 48 Rechtsakte gibt, von
denen die Kommission sagt: Entweder wir verfolgen
diese Rechtsakte nicht weiter, oder wir heben bestehende
Rechtsakte auf . – Auch das ist eine Neuerung gegenüber
den Arbeitsprogrammen der Kommission in den letzten
Jahren .

Ich sage an dieser Stelle allerdings auch: Ich wünsche
mir schon, dass dieser Absicht dann nicht anschließend
der Gedanke folgt, dass das, was man jetzt nicht wei-
terverfolgen oder abschaffen will, dann im Arbeitspro-
gramm der Jahre 2017 ff . in einem anderen Gewand wie-
der auftaucht . Einmal gestrichen bleibt gestrichen . Einen
Relaunch sollte es an dieser Stelle nicht geben, meine
sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kommission kündigt zu Recht an, mehr Transparenz
ins Verfahren zu bringen und die verstärkte Zusammen-

arbeit auch mit den Mitgliedstaaten und mit dem Rat zu
suchen . Der Ansatz ist richtig, aber er muss sich realiter
auch beweisen .

Ich will das aktuell an der Diskussion um die Einla-
gensicherung deutlich machen . Am Vorhaben, am Inhalt
der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten nationale Syste-
me zur Einlagensicherung einführen sollen, besteht in
diesem Hohen Haus und vermutlich über dieses Hohe
Haus hinaus kein Zweifel; da sind wir uns alle einig .
Fakt ist aber, dass die Frist zur Umsetzung der Richtlinie
im Juli des vergangenen Jahres, am 3 . Juli, abgelaufen
ist . Die Mehrheit der Mitgliedstaaten hat diese Richtlinie
bislang nicht umgesetzt .

Vor diesem Hintergrund, wie es die Kommission am
26 . November des vergangenen Jahres getan hat, die
Richtlinie zur europäischen Einlagensicherung auf den
Weg zu bringen, macht wenig Sinn, insbesondere wenn
die Kommission selbst sagt, dass ihre Vorstellungen zur
europäischen Einlagensicherung darauf fußen, dass zu-
vor die Maßnahmen zur nationalen Einlagensicherung
ergriffen worden sind . Also, die Logik des eigenen Ar-
beitens sieht, was die Abfolge der einzelnen Schritte an-
geht, anders aus .

Ich sage hinzu: Wenn der Ansatz richtig ist, dass die
Mitgliedstaaten nationale Einlagensicherungssysteme
installieren, dann kann man sich durchaus trefflich da-
rüber streiten, ob es darüber hinaus einer europäischen
Einlagensicherung noch bedarf . Ich sage aus meiner per-
sönlichen Sicht: Das ist das Bail-in durch die Hintertür .
Deswegen sage ich: Wir wollen dieses europäische Ein-
lagensicherungssystem nicht nur nicht jetzt, zum jetzigen
Zeitpunkt, sondern wir wollen es überhaupt nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass Jugendarbeitslosigkeit in Europa, Herr Kollege
Ulrich, insbesondere wenn ich die südlichen Staaten be-
trachte, Spanien beispielsweise, aber auch Portugal und
Griechenland, nicht nur aus der Sicht der betroffenen
Jugendlichen ein Skandal ist, darin sind wir uns einig .
Aber die Erfahrung aus Deutschland beispielsweise, wo
wir die Verhältnisse nachgewiesenermaßen am besten
kennen, aus der Zeit, in der wir auch 5 Millionen und
mehr Arbeitslose hatten – nicht nur Jugendliche, aber wir
hatten eine wesentlich höhere Jugendarbeitslosigkeit als
heute –, zeigt, dass die Hoffnung und das Verlassen da-
rauf, dass ein Programm der Europäischen Kommission
dieses Problem löse, wohl trügerisch sind .

Ich bin sehr dafür, dass nationale Anstrengungen ihre
Begleitung auch im Arbeitsprogramm der Europäischen
Kommission finden, beispielsweise über den Europäi-
schen Sozialfonds . Das ist unbestritten . Aber der Ansatz
zur Lösung dieser Probleme muss aus den Nationalstaa-
ten kommen . Deutschland hat in den vergangenen Jahren
hier Maßnahmen ergriffen . Die Zahlen, auf die wir heute
sehen können, auch wenn sie regional etwas differenziert
ausfallen, sowohl was die Entwicklung der Arbeitslosig-
keit insgesamt als auch was die Entwicklung der Jugend-

Thomas Dörflinger






(A) (C)



(B) (D)


arbeitslosigkeit angeht, zeigen, dass wir an dieser Stelle
auf dem richtigen Weg sind .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wie will man das denn machen, wenn gleichzeitig die Troikapolitik durchgesetzt wird?)


Die Kommission sagt, sie wolle die Durchsetzung ver-
bessern . Deswegen ist es richtig, dass wir nicht nur einen
Blick darauf richten, wie denn umgesetzt worden ist, also
wo europäisches in nationales Recht überführt worden
ist, sondern dass wir verstärkt den Blick darauf richten,
ob der Umsetzung in nationales Recht anschließend auch
die Implementierung gefolgt ist . Das ist nämlich der ent-
scheidende Punkt . Papier ist geduldig . Wichtig ist, ob
das, was an Möglichkeiten internationalen bzw . nationa-
len Rechts vorhanden ist, tatsächlich anschließend auch
angewandt wird oder nicht .

An dieser Stelle gibt es durchaus einen Nachholbe-
darf . Insofern kann ich die Kommission nur bestätigen
in ihrer Auffassung, dass die Hüterin der Verträge not-
wendigerweise bei der Begleitung des Arbeitsprogramms
der Europäischen Kommission und der Umsetzung des-
selben auch eine Kontrollfunktion ausüben wird und
ausüben muss, was mit der politischen Funktion, die die
Kommission zweifelsohne auch hat, nicht zwangsläufig
in einem kritischen Verhältnis stehen muss .

Letzte Bemerkung . Ich habe gestern im Ausschuss
bei den Beratungen zum Arbeitsprogramm mit Interesse
und Zustimmung gehört, dass der Leiter der Vertretung
der Europäischen Kommission hier in Berlin, Richard
Kühnel, gesagt hat, dass ein Arbeitsprogramm ein ler-
nendes System ist, ein System, das so flexibel sein muss,
dass wir uns jederzeit in der Lage sehen müssen, auf ak-
tuelle Entwicklungen ad hoc und vielleicht auch in Teilen
unkonventionell zu reagieren .

Ich will zum Schluss an dieser Stelle gern einen Vor-
schlag wiederholen, den Bundesminister Gerd Müller
vor einigen Wochen im Ausschuss für die Angelegenhei-
ten der Europäischen Union unterbreitet hat, was die Pri-
oritätensetzung nicht nur in den nächsten zwölf Monaten
angeht: Wenn jeder Mitgliedstaat in der Europäischen
Union nach seiner Leistungsfähigkeit und nach dem, was
ihm finanziell und materiell möglich ist, versucht, für die
Verbesserung der Situation in den Herkunftsstaaten der
Migranten, die jetzt nicht nur nach Deutschland, sondern
nach Zentraleuropa strömen, etwas zu tun, dann bekom-
men wir auf der Basis von 28 Mitgliedstaaten tatsächlich
eine solche Summe zusammen, um realiter etwas tun
zu können . Dazu ist es aber notwendig, dass wir in den
nächsten zwölf Monaten die richtigen Schwerpunkte set-
zen . Ich freue mich auf die weitere Beratung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815212300

Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815212400

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Über das Arbeitsprogramm der Europäischen
Kommission am Beginn eines Jahres zu reden, obwohl
wir alle nicht wissen, was am Ende des Jahres hinter uns
liegen wird, wie Europa am Jahresende aussehen wird,
ist ein bisschen eine absurde Herausforderung .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann wäre es kein Arbeitsprogramm! Dann wäre es eine Geschichtsstunde!)


Wir wissen alle nicht, ob das Referendum im Juni dieses
Jahres in Großbritannien dafür sorgen wird, dass Euro-
pa so oder so ganz schnell ganz anders aussieht . Wir er-
leben, dass eine Regierungspartei in Deutschland dazu
aufruft, den Schengen-Raum faktisch abzuschaffen . Au-
ßerdem befinden wir uns in einer Situation, in der wir die
größte Zuspitzung einer ökonomischen Krise verdrängt
zu haben glauben, die aber durch Unsicherheiten auf-
grund externer Effekte, durch Entwicklungen beim Öl-
preis, bei den Zinsen oder auch durch Schocks im Welt-
wirtschaftssystem sehr schnell zurückkommen könnte .
In dieser Lage besprechen wir das Arbeitsprogramm der
EU-Kommission .

Dazu lässt sich zunächst festhalten, dass es eine be-
merkenswerte Entwicklung in der Politik der Bundes-
kanzlerin gegeben hat: Jahrelang hat die Bundeskanzlerin
seit ihrer Rede in Brügge mit Hinweis auf die sogenannte
Unionsmethode das Credo geäußert: Die Nationalstaaten
lösen Probleme in Krisen besser, weil die europäischen
Institutionen nicht in der Lage sind, zu liefern . – Jetzt
zeigt sich in der Flüchtlingssituation, dass das System
der Nationalstaaten, wo man jeweils zu Hause popu-
listisch herumschreit und zum Ausdruck bringt, woran
andere schuld sind und was nur für einen selber gilt,
versagt . Man merkt plötzlich – wie Herr Staatsminister
Roth zu Recht gesagt hat –, wie wichtig eine Europäische
Kommission als strategischer Verbündeter ist, wenn man
Schwierigkeiten bewältigen muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In dieser Situation, glaube ich, ist es sehr wichtig, dass
Deutschland einen klaren Kompass hat und dass wir an
den Werten, die in Artikel 2 des EU-Vertrages festgelegt
sind, und auch an den Werten, die in den ersten Artikeln
des Grundgesetzes niedergeschrieben sind, festhalten
und dass wir bei allem Streit über Maßnahmen, darü-
ber, wie man Probleme lösen und was man tun kann, nie
aus den Augen verlieren, dass die Würde des Menschen
Ausgangspunkt von deutscher Politik ist . Ich habe das
Gefühl, dass in manchem Streit in der Koalition Artikel 1
unseres Grundgesetzes nicht genügend berücksichtigt
wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte aber noch etwas anderes sagen . In dieser
Situation, in der keiner mehr glaubt, eine europäische
Lösung sei noch erreichbar, bin ich einer derjenigen, die
glauben, es lohne sich noch, an diesem Ziel festzuhal-
ten . Es wurde schon aus den Ausschusssitzungen zitiert,
Frau Merkel habe im Ausschuss gesagt, man sollte nicht
zu früh die Errungenschaften von Schengen aufgeben;

Thomas Dörflinger






(A) (C)



(B) (D)


sonst würden unsere Kinder in 30 Jahren fragen: Habt
ihr schon nach einem halben Jahr aufgegeben? Habt ihr
schon nach neun Monaten aufgegeben?

Noch etwas anderes . Der Einigungsdruck ist doch
nicht zu leugnen . Glaubt irgendjemand hier im Saal,
dass ein Ja für den Verbleib in der Europäischen Union
beim Referendum in Großbritannien im Juni dieses Jah-
res – dann wird es wahrscheinlich stattfinden – zustande
kommt, wenn wir es bis dahin nicht hinbekommen, eine
klar erkennbare gemeinsame europäische Politik zum
Thema Flucht und Migration auf dem Tisch liegen zu ha-
ben? Mit dem in Deutschland ausgetragenen Streit, der
diejenigen, die wir eigentlich überwinden müssen, die
Kaczynskis und die Orbans, ja nur stärkt, weil ihre Argu-
mente von Herrn Seehofer vorgetragen werden, lähmen
Sie die Europäische Union . Mit dieser Unentschlossen-
heit, mit diesem Hickhack wird das Argument „Europa
ist der Anker für Stabilität“ auch für das Vereinigte Kö-
nigreich unterminiert werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen: In schweren Stunden sollte man wissen,
wo man steht, und man sollte da stehen, wo die eigenen
Werte sind . Ich wünsche mir, dass das Arbeitsprogramm
der Europäischen Kommission für alle in diesem Haus
Anlass ist, sich darüber noch einmal klar zu werden .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815212500

Die Kollegin Dr . Dorothee Schlegel hat für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Dorothee Schlegel (SPD):
Rede ID: ID1815212600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Werte Gäste! Auch ich begleite das Arbeitsprogramm der
Europäischen Kommission gerne kritisch und beginne
mit drei kritischen Äußerungen .

Eigentlich sollte 2016 das Europäische Jahr gegen
Gewalt an Frauen werden . Dazu ist es leider nicht ge-
kommen .

Die zweite enttäuschende Nachricht aus Brüssel im
vergangenen Jahr betraf das im Primärrecht der EU ver-
ankerte Ziel der Gleichstellung von Frauen und Män-
nern . Es fehlt also an der Besinnung auf die ureigensten
Grundlagen der EU .

Zum Jahreswechsel erlitt noch eine weitere Entschei-
dung auf europäischer Ebene im Bereich Gender Equali-
ty eine klare Niederlage . So erhielt die Bundesregierung
auf der Tagung des Rates im Dezember ihren Prüfvorbe-
halt aufrecht, und die EU-Frauenquote scheiterte, nicht
zuletzt aufgrund der deutschen Stimmenthaltung .


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Leider wahr!)


– Ja . Gott sei Dank nicht aus den Reihen der SPD .


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Auch wahr!)


– Auch wahr . – Folglich erzielte der europäische Minis-
terrat gegen die Interessen der Frauen und gegen die In-
teressen der Wirtschaft keine Mehrheit für einen mindes-
tens 40-prozentigen Frauenanteil in den Aufsichtsräten
börsennotierter Unternehmen . Dabei hatte die vorgelegte
EU-Richtlinie von uns nicht mehr verlangt als unsere
eigene Quote, mit der wir durchgesetzt haben, dass auf
jedem dritten Aufsichtsratsstuhl börsennotierter Unter-
nehmen künftig, also ab jetzt, eine Frau zu sitzen hat .

Immerhin ist in vielen EU-Mitgliedstaaten seit Beginn
der Diskussion um die Quote der Frauenanteil in Auf-
sichtsräten gestiegen . Norwegen erreichte bereits 2009
40 Prozent, und in Frankreich sollen diese 40 Prozent bis
2017 erreicht werden .

Wir alle können es inzwischen rauf- und runterbeten:
Es gibt handfeste wirtschaftliche Gründe, Frauen und
Männer im Arbeitsleben gleichzustellen . Gleichberech-
tigung würde nämlich die Wirtschaft boomen lassen . Zu
diesem Ergebnis kommen führende internationale Unter-
nehmen, die Europäische Stiftung zur Verbesserung der
Lebens- und Arbeitsbedingungen und Unternehmens-
beratungen, zum Beispiel McKinsey in der Studie „The
Power of Parity“ . Die Steigerung des EU-Bruttosozial-
produkts betrüge – ich nenne hier ganz gerne eine Zahl –
etwa 325 Milliarden Euro . Das ist deutlich mehr als die
Ausgaben des Bundes im vergangenen Jahr . Mein Fazit
hier ist schon mal: Gleichberechtigung lohnt sich wirt-
schaftlich .


(Beifall bei der SPD)


Aber im neuen Arbeitsprogramm der EU-Kommis-
sion mit dem Titel „Jetzt ist nicht die Zeit für Business
as usual“, das als erste Priorität „neue Impulse für Ar-
beitsplätze, Wachstum und Innovationen“ nennt, kommt
Gleichstellung von Frauen und Männern nicht vor . Auch
im Zehn-Punkte-Plan des Kommissionspräsidenten
Juncker fehlt sie völlig . Dies ist nicht nur eine Fehlent-
scheidung, sondern auch ein Schlag ins Gesicht aller
Frauen in der EU . Zur Erinnerung: Das Ziel der Gleich-
stellung von Frauen und Männern und die Verpflichtung
zu einer aktiven Politik im Sinne des Gender Mainstrea-
ming sind im Primärrecht, also dem ranghöchsten Recht
der EU, verankert .

Im letzten Sommer hatten sich die zuständigen Minis-
terinnen und Minister aus 22 Mitgliedstaaten veranlasst
gesehen, die EU-Kommission in einem offenen Brief
zur Verabschiedung einer neuen Gleichstellungsstrategie
aufzufordern; denn die bisherige ist 2015 ausgelaufen .
Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geben
wir uns damit nicht zufrieden . Der SPD-Vorstand for-
derte zuletzt im Januar vehement: Diese Strategie muss
weitergeführt werden . – Die Kommission hatte nämlich
im Dezember lediglich ein internes Arbeitsdokument
vorgelegt, obwohl internationale Frauenrechtsorganisati-
onen, das Europäische Parlament und die Mehrheit der
Mitgliedstaaten eine neue Strategie gefordert haben . Be-
reits in der aktuellen Strategie „Europa 2020“ gab es kein
eigenes Gleichstellungsziel im Bereich Beschäftigung

Manuel Sarrazin






(A) (C)



(B) (D)


mehr . Es fehlt seit den 2000er-Jahren ein festgelegter
Finanzierungsrahmen für die Gleichstellung von Frauen
und Männern .

Meine Damen und Herren, die Kommission betont
zwar, dass sie eine Kontinuität ihrer Politik wünsche .
Durch die aktuellen Entscheidungen ist jedoch zu be-
fürchten, dass die Gleichstellung schleichend von der
Agenda und aus den Förderaktivitäten der EU ver-
schwindet . Aktuelle Stimmen wie die aus Polen über die
neue Sicht auf Frauenfragen im Land müssen uns daher
aufhorchen lassen . Da heißt es: „In puncto Gleichberech-
tigung stehen uns harte Zeiten bevor .“ . So formulierte es
eine Dozentin für Gesellschaftspolitik an der Universi-
tät Warschau . Wir dürfen also – damit möchte ich zum
Schluss kommen – nicht genau die Chancen verspielen,
die über Jahrzehnte in einem geeinten Europa gewachsen
sind . Wir nehmen daher Herrn Juncker sehr gerne beim
Wort: „Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“ . Es
heißt ja nicht nur auf Deutsch: Wir brauchen in Europa
eine vorwärtsgewandte Frauen- und auch Familienpoli-
tik .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815212700

Der Kollege Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn hat für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Europäische Union ist ganz zweifelsohne in einer
sehr schwierigen Lage . Manche sprechen sogar von Kri-
se . Es ist aber, glaube ich, zu einfach – da schaue ich
einmal in eine bestimmte Richtung –, die EU als Ganzes
anzugreifen und EU-Bashing zu betreiben . Das ist zu un-
differenziert, weil es die EU gar nicht gibt . Ich muss dem
Kollegen Michael Roth vollkommen zustimmen, wenn
er sagt, es seien vor allen Dingen die nationalen Egois-
men,


(Angelika Glöckner [SPD]: Ja!)


die für die Krise, die wir in der Europäischen Union ge-
rade beobachten, verantwortlich sind . Es sind die Nati-
onalstaaten, die nationalen Regierungen und weniger
die Institutionen auf EU-Ebene . Gerade jetzt wären aber
mehr Zusammenhalt und mehr Solidarität zwischen den
Nationalstaaten und innerhalb der Europäischen Union
notwendig . Leider beobachten wir diese nicht . Auch in
der Bundesregierung gibt es zu viele nationale Egois-
men . Manuel Sarrazin hat schon betont, welche Regie-
rungspartei immer wieder nationale und antieuropäische
Positionen vertritt .

Wenn man sich die Herausforderungen anschaut, vor
denen wir stehen, dann muss man sagen: Angesichts glo-
baler Herausforderungen wie der Klimakatastrophe, den
Fragen von sozialer Gerechtigkeit, den Friedensfragen,
den Demokratiefragen, den Menschenrechtsfragen – wir
hatten gerade eben eine Debatte dazu – braucht es mehr
Zusammenhalt in der Europäischen Union und eine star-

ke europäische Stimme . Natürlich brauchen wir auch für
die vielen Probleme innerhalb der Europäischen Union,
die ja schon angesprochen worden sind, europäische Lö-
sungen, weil die nationalen Lösungen alleine nicht tra-
gen .

Es ist aber ganz wichtig, zu sagen, dass wir nicht nur
Zusammenhalt und Solidarität zwischen den Staaten
brauchen, sondern dass wir vor allen Dingen auch mehr
Zusammenhalt und Solidarität zwischen den Menschen
in der Europäischen Union brauchen . Auch da gibt es zu
viel nationales Denken . Sozial geht es auseinander . Das
stärkt die nationalen Parteien, die rechtsradikalen Partei-
en . Das ist überall in Europa zu sehen . Wir brauchen also
insgesamt mehr soziales Europa; das ist ein ganz wich-
tiger Punkt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle ist das Programm leider zu schwach .
Es gibt hierzu gerade einmal zwei Punkte in der langen
Liste: einmal die Stärkung der sozialen Rechte – dieser
Punkt ist allerdings noch sehr vage – und zum anderen
die Arbeitskräftemobilität . Hier ist eher ein Rückschritt
zu erwarten . Wir müssen aber eigentlich wieder dahin
kommen, dass die Europäische Union das ist, was sie
eigentlich immer war: ein Wohlfahrtsversprechen . Sie
war ein Wohlfahrtsversprechen für die Menschen, und
eigentlich sind wir – die Älteren können das besser beur-
teilen als die Jüngeren – ja auch weit gekommen, wenn
man vergleicht, wie es heute ist und wie es früher war . Es
sitzen viele junge Menschen hier auf der Tribüne . Viele
von ihnen wussten bis vor einem Jahr nicht, was Grenz-
kontrollen an den deutschen Grenzen sind . Es war eine
Wohlfahrt für uns alle, dass wir uns frei in der Europäi-
schen Union bewegen konnten . Freizügigkeit ist ein ganz
zentraler Wert in der Europäischen Union .

Im Rahmen der Diskussion über den Brexit und David
Cameron kommt jetzt eine Debatte auf uns zu, die die
Axt an diesen Grundwert legt und dafür sorgen will, dass
diese Freizügigkeit nicht mehr vernünftig sozial abgesi-
chert ist . Wir sagen aber: Freizügigkeit muss noch besser
sozial abgesichert sein . Zur Freizügigkeit gehört auch,
dass man in einem anderen Land in der Europäischen
Union – für die jungen Leute ist das eine Selbstverständ-
lichkeit – eine Arbeit suchen kann . Das heißt, wenn man
in einem anderen Land arbeitslos ist, muss man auch die
soziale Unterstützung finden, um dort in den Arbeits-
markt integriert werden zu können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist kein Wunder, dass die CSU David Cameron un-
terstützt . Das hat eine lange Tradition . Dass aber auch
von der SPD Unterstützung für diese Position kommt, ist
erstaunlich . Olaf Scholz hat einen Vorschlag zu Sozial-
kürzungen gemacht hat, der in Richtung Cameron geht,
und dass die Bundessozialministerin bereit ist, Kürzun-
gen für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zu ma-
chen, um Cameron entgegenzukommen, ist der falsche
Weg . Ich fordere die Kollegen der SPD auf, dass sie auf
ihre Kollegen einwirken, dass sie mit dem Quatsch nicht
weitermachen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Dorothee Schlegel






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815212800

Herr Kollege .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir brauchen also keine Kürzungen der Sozialleis-
tungen in Europa, sondern wir brauchen mehr soziales
Europa . Es ist jetzt wichtig, den sozialen Zusammenhalt
zu stärken und nicht zu schwächen . Das ist jetzt eine zen-
trale Aufgabe .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815212900

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Detlef

Seif das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1815213000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Das Arbeitsprogramm der
EU-Kommission 2016 lässt zunächst einmal das erklärte
Ziel von Jean-Claude Juncker, dem Kommissionspräsi-
denten, ganz klar erkennen: Bürokratieabbau, Verschlan-
kung, Beschränkung auf das Notwendige . Vergleicht man
2010 – da gab es 316 neue Initiativen – mit dem aktuell
laufenden Jahr – da gibt es 23 –, dann erkennt man, dass
das an dieser Stelle ernst gemeint ist . Man kann darüber
streiten, ob die Prioritäten im Einzelnen richtig gesetzt
sind . Aber eines steht fest: Egal welche Meinung man
vertritt, „Business as usual“ ist nicht der Spruch der Zeit .
Insoweit ist diese Überschrift des Arbeitsprogramms –
ich glaube, da besteht Einigkeit – richtig gewählt .

Die Kommission benennt dann Themen, die sie als
Herausforderungen der Europäischen Union sieht . An
erster Stelle steht ganz klar die Flüchtlingskrise, dann
die Arbeitslosigkeit nebst Beschäftigungs- und Wachs-
tumslücke, die Notwendigkeit einer Vertiefung der Wirt-
schafts- und Währungsunion, der Klimawandel, die in-
stabile Lage der östlichen und südlichen Partnerschaft,
natürlich auch – das ist angesprochen worden – der faire
Deal für das Vereinigte Königreich, für Großbritannien .
Was ich in dieser Auflistung nicht finde, was aber sicher-
lich auch eine besondere Herausforderung ist, ist die
effektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus .
Die gehört für mich ganz klar prioritär nach oben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Flüchtlingskrise – das haben die Beiträge gezeigt –
ist aber das Masterthema der Stunde, der Gegenwart:
kommunal, regional, national und international . Auch
wird diese Krise nur gelöst werden können, wenn wir
eine europäische Lösung, europäische Regeln im Kon-
text mit guten intelligenten nationalen Regelungen und
natürlich auch mit internationalen Rahmenbedingungen
finden. Eine nie dagewesene Anzahl von Flüchtlingen
hat zwischenzeitlich den Weg nach Europa gefunden . Im
letzten Jahr – man weiß es nicht genau, weil die Regis-
trierung nicht hundertprozentig genau funktioniert – sind

schätzungsweise 1,4 Millionen Menschen hier angekom-
men . Zurzeit kommen täglich 2 000 bis 3 000 Menschen
an .

Die EU-Kommission legte im vergangenen Jahr eine
Migrationsagenda vor, und dann folgten auch Legislativ-
vorschläge . Das sah richtig ambitioniert aus . Nach ei-
nigen Seiten hat man schon gedacht: Hier ist etwas in
Bewegung .

In der jüngsten Sitzung des Gremiums der EU-Kom-
mission am 13 . Januar dieses Jahres – da braucht man
gar keinen anderen zu zitieren – lautete die ernüchternde
Feststellung: Keine dieser vorrangigen Maßnahmen ist
auch nur in irgendeiner Hinsicht zureichend umgesetzt
worden . Der Kollege Ulrich hat es angesprochen: Es soll-
ten 160 000 Flüchtlinge verteilt werden . Die ganz aktu-
elle Zahl ist aber immerhin auf 414 gestiegen, und das
nach etlichen Monaten . Von den elf Hotspots sind drei
umgesetzt,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Hat man viel geschafft!)


allerdings nicht mit den Mitteln und den Kapazitäten, die
vorgesehen waren, und wir wissen alle: Insbesondere die
Visegradländer, also Ungarn, Polen, Tschechien und die
Slowakei, aber auch die baltischen Staaten Estland, Lett-
land und Litauen haben große Vorbehalte und stehen der
Aufnahme von Flüchtlingen sehr kritisch gegenüber .

Großbritannien und Irland beteiligen sich nach den
Verträgen nicht am Asylsystem . Dänemark hat ein Opt-
out, das heißt, es kann sich aussuchen, ob es sich betei-
ligt oder nicht . Nur einige wenige Staaten nehmen zurzeit
tatsächlich Flüchtlinge auf – bis die Belastungen und der
innenpolitische Druck zu hoch werden . Wir haben die
Entwicklungen verfolgt: In Schweden, Dänemark und
Österreich gibt es strikte Grenzkontrollen, Obergrenzen
und massive Verschärfungen des Asylrechts .

Jetzt geht es natürlich los . Man wollte etwas tun, näm-
lich 160 000 Menschen verteilen . Das funktioniert nicht .
Jetzt kommt ein Bashing, und zwar in alle Richtungen,
in erster Linie in Richtung der einzelnen Mitgliedstaa-
ten . Es gibt Schuldzuweisungen und ganz merkwürdige,
rechtsextreme Vorstellungen . Das mag ja sein; aber, mei-
ne Damen und Herren, diese Europäische Union, wie sie
besteht, ist geprägt durch Vielfalt und Pluralismus – his-
torisch, politisch und kulturell . Sie besteht gerade nicht
aus gleichen Bürgern in gleichen Staaten, in gleichen
Regionen .

Man kann hier nicht alle über einen Kamm scheren .
Europa konnte bisher doch nicht nur funktionieren,
weil alle Länder mit allen anderen Menschen in ande-
ren Ländern Europas solidarisch waren, sondern auch,
weil jeder Mitgliedstaat für sich große Vorteile gesehen
hat . Das ist doch auch der Grund für die Ausnahmevor-
schriften in den vielen Protokollen . Wenn man es auf den
Punkt bringt, dann könnte man die EU auch mit „Ego-
ismus-Union“ übersetzen, aber das war sie doch von
vornherein, das ist doch nichts Neues . Europa konnte nur
funktionieren, weil man auch Rücksicht auf den anderen
genommen hat .






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt muss man Folgendes sehen: Diese ablehnende
Haltung entsteht doch nicht in den einzelnen Regierun-
gen und in ihren Gremien . Dort wird doch nicht überlegt:
Was tun wir jetzt, wie können wir der EU jetzt dazwi-
schenfunken? – „Wir wollen keine Flüchtlinge“: Das ist
eine gefestigte und verwurzelte Haltung in der jeweiligen
Bevölkerung; das müssen wir doch zur Kenntnis nehmen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht!)


Jetzt stellt sich die Frage: Setzen wir das EU-Recht mit
Brachialgewalt um? Oder nehmen wir im Zuge unserer
Politik auch darauf Rücksicht?

Herr Strengmann-Kuhn, Sie haben dazwischengeru-
fen, aber ich sage Ihnen eines: Der Rechtsextremismus
entsteht nicht, wenn Sie nicht genügend Sozialleistungen
zur Verfügung stellen – das kann im Einzelfall einmal
so sein –, er entsteht dann, wenn Sie gegen eine Stim-
mungslage, gegen Anschauungen in einer Bevölkerung
mit Brachialgewalt und rücksichtslos Politik machen und
nicht bedenken, welche Auswirkungen das hat . Was mei-
nen Sie denn, warum überall in Europa zurzeit die An-
zahl der Rechts- und Linksextremen ansteigt? Das liegt
nicht an Verwerfungen im Sozialbereich, die sicherlich
auch da sind .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815213100

Kollege Seif, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung des Kollegen Ulrich?


Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1815213200

Ja .


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815213300

Vielen Dank . – Herr Seif, Sie sind jetzt der vierte

Redner der Regierungskoalition . Schauen Sie sich die
Presselandschaft an, denken Sie an Ihre eigenen Frakti-
onssitzungen der letzten Wochen: Man merkt, die Bun-
deskanzlerin schafft es nur noch, mit dem Thema einer
europäischen Lösung die Regierung zusammenzuhalten,
und ganz Deutschland wartet darauf, was denn die euro-
päische Lösung sein soll .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Dörflinger hat sich ein bisschen distanziert, glaube ich!)


Sie sind jetzt der vierte Redner der Regierungskoalition,
der keinen einzigen Satz dazu sagt, wie jetzt die europä-
ischen Lösungen aussehen sollen . Finden Sie es verant-
wortbar für die Bundesregierung und für die Fraktionen
der Bundesregierung, dass sie auch in dieser Debatte nur
allgemein business as usual betreiben, oder wären Sie als
einer der letzten Redner vielleicht bereit, jetzt einmal zu
sagen, wie die europäische Lösung der Bundesregierung
aussieht, was die Meinung Ihrer Fraktion ist und was
bei dem EU-Gipfel in drei Wochen herauskommen soll?
Denn mit einem Weiter-so, wie Sie es heute hier vertre-
ten, werden Sie den Rechten in diesem Land weiter Auf-
trieb bescheren .


Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1815213400

Vielen Dank, Herr Ulrich . Ich habe auf diese Zwi-

schenfrage gewartet, weil ich eigentlich nicht genügend
Redezeit habe, um über alle Themen zu reden .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ich habe sie Ihnen organisiert!)


Zunächst einmal eines zur Klarstellung: Die Unions-
fraktion ist etwas anderes als das, was Sie in der Öffent-
lichkeit sehen können . Wir sind Kollegen, die sehr inten-
siv in der Sache um das richtige Ergebnis ringen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das also ist des Pudels Kern!)


Es gibt unter den Kollegen, die vielleicht einen anderen
Ansatz haben – ich habe ja auch an einer Stelle einen
weiteren Ansatz – und mit denen ich gesprochen habe,
keinen einzigen, der sagt, dass die Bundeskanzlerin nicht
die Richtige wäre, um uns gemeinsam erfolgreich durch
diese Krise zu führen . – Das zunächst einmal als Vorwort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Ulrich, Sie können stehen bleiben . Ich bin noch
nicht im Redetext angekommen . Sonst wird das von mei-
ner Zeit abgezogen .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann stelle ich gleich noch eine Frage!)


– Sie können mir gleich noch eine Frage stellen .


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das entscheidet die Präsidentin!)


Man muss auch sehen: Der Druck, den wir in Europa
haben, folgt doch aus der hohen Zahl von Flüchtlingen .
Die Umsetzung der europäischen Lösung wird in vie-
len Bereichen schon angegangen . Ganz wichtig ist die
Fluchtursachenbekämpfung .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Die ist doch das Gegenteil davon!)


Da können wir nicht umhin . Ganz wichtig sind die
Rückübernahmeabkommen; denn die Rückübernahme
funktioniert nicht . Ganz wichtig sind auch weitere Ein-
stufungen als sichere Herkunftsländer; wir reden hier
über die Maghreb-Staaten . Das sind ganz wichtige Maß-
nahmen .

Wir müssen aber auch – das vermisse ich in der Tat in
dem Programm; da bin ich dankbar für Ihre Frage – darü-
ber nachdenken, ob bei der Schaffung des Asylrechts, das
wir in Europa haben, die Entwicklung der heutigen Zeit
vorhergesehen wurde . Die Genfer Flüchtlingskonvention
wurde nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedet . Da
ging es um ganz andere Flüchtlinge, um viel weniger;
dann hat man das erweitert .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel weniger?)


Detlef Seif






(A) (C)



(B) (D)


– Es ging jedenfalls nicht um Fluchtbewegungen wie
jene, die wir jetzt erwarten können,


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Dr . Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber in Europa gab es viel, viel mehr!)


bei denen es, wenn man genau hinschaut, um bis zu
100 Millionen Flüchtlinge geht . Solche Zahlen hat nie-
mand vorhergesehen .

Eines ist klar: Bei der europäischen Lösung muss
der Flüchtlingsschutz ganz vorne stehen . Aber wo der
Flüchtling geschützt wird, wo wir ihm eine Perspekti-
ve geben – hier in Deutschland oder heimatnah, wo das
Ganze für nur 10 Prozent der Kosten umsetzbar ist und
wir viel mehr Menschen helfen können –, ist eine ganz
andere Frage .

Die europäische Lösung muss auch ganz dringend
bei der Anerkennungsrichtlinie ansetzen, die über die
EU-Verträge hinausgeht . Da heißt es nur, dass ein subsi-
diärer Schutz bereitgestellt werden muss . Aber wir haben
ihn in Europa sehr weit ausgeprägt, was es uns, wenn
Bürgerkriegsflüchtlinge zu uns kommen, unmöglich
macht, zu sagen: Bitte schön, wir haben an anderer Stelle
mit den Vereinten Nationen die Möglichkeit geschaffen,
dich sicher unterzubringen und dir eine Perspektive zu
geben . – Das ist natürlich auch eine Zukunftsaufgabe .

Es ist beschämend, dass die Mittel im Bereich der
Fluchtursachenbekämpfung in den letzten Jahren immer
weniger wurden und im letzten Jahr nicht einmal die Fi-
nanzierung des Welternährungsprogramms und der weni-
gen Einrichtungen vor Ort, im Libanon, in Jordanien, si-
chergestellt wurde . – Herr Ulrich, Sie haben es gemerkt:
Ich bin jetzt wieder bei dem Gedanken von vorhin .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie haben keine Antwort gegeben!)


– Doch . Wenn Sie zugehört haben: Das war die Antwort .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Alex, nicht noch eine Frage!)


Jetzt kehren wir zu dem Gedanken zurück, den ich er-
wähnt hatte . Der Gedanke ist: Es spielt keine Rolle, dass
es schwer ist, bei den Mitgliedsländern, die erhebliche
Vorbehalte haben, eine andere Politik auf den Weg zu
bringen; denn man sagt einfach: Wenn du nicht spurst,
dann kriegst du eine Vertragsstrafe, dann entziehen wir
dir die Finanzleistungen . – Damit wird man Europa nicht
zusammenhalten können .

In der Sitzung des LIBE-Ausschusses vom 14 . Januar
hat Kommissar Avramopoulos ausgeführt, dass zukünf-
tig die Reformvorschläge der Kommission zum Dub-
lin-System auf dem Prinzip der Solidarität – das hört sich
gut an – aufgebaut werden sollen und die Flüchtlinge mit
einem festen Schlüssel automatisch den einzelnen Mit-
gliedstaaten zugewiesen werden sollen . Meine Damen
und Herren, das wird der falsche Weg sein .

Wolfgang Schäuble hat letzte Woche in einer Rede
darauf hingewiesen, dass eine gute Europapolitik im-
mer auch nationale Erfahrungen berücksichtigen muss .

Das gilt auch und gerade für die Integrationspolitik;
denn nicht alle Gesellschaften durften in gleicher Wei-
se die Vorzüge von Offenheit gegenüber Abschottung
kennenlernen . Wir Deutsche erinnern uns an die Zeit der
Wiedervereinigung . Damals haben wir aus genau die-
sen Erwägungen heraus die Vorbehalte der Menschen in
Ostdeutschland berücksichtigt . Wir waren uns einig: Wir
müssen das behutsam regeln, es geht nicht, dass man sich
komplett aus dem System abmeldet; denn in irgendeiner
Weise muss eine Kosten- und Lastenteilung stattfinden.
Aber wir müssen das Vertrauen gewinnen, wir müssen
ins Gespräch kommen . – Vorbild für die europäische
Flüchtlingspolitik könnte durchaus das Modell sein, das
wir nach der deutschen Wiedervereinigung umgesetzt
haben .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Begrüßungsgeld?)


Meine Damen und Herren, viele von uns sehen das
Risiko, dass Europa an den großen Herausforderungen
scheitern wird . Ich bin der festen Überzeugung: Europa
kann das schaffen . Europa kann die anstehenden Heraus-
forderungen hervorragend bewältigen und geht vielleicht
sogar gestärkt daraus hervor . Aber wenn man keine Rück-
sicht nimmt, wenn man rücksichtslos an den Mitglied-
staaten vorbei agiert und meint, wir könnten von oben,
von der Ebene der EU-Kommission durchregieren, dann
sehe ich ein großes Risiko, dass dieses Europa scheitert .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sagen Sie das mal Herrn Seehofer!)


Unabhängig von der zunehmenden Kritik war es zum
Beispiel unvertretbar, dass der EU-Präsident Martin
Schulz Polen bezichtigt hat, eine gelenkte Demokra-
tie nach Putins Art zu sein . Das ist eine besonders ge-
schmacklose Entgleisung, wenn man die historische und
geografische Situation Polens bedenkt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme zum Schluss . – Meine Damen und Herren,
„Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“, das ist
absolut richtig . Eine einvernehmliche Lösung der Flücht-
lingskrise in Europa wird aber nur möglich sein, wenn
eine intensive und freundschaftliche Kommunikation mit
den Ländern geführt werden wird, die Vorbehalte haben .
Aber davon ist in der aktuellen Kommissionsarbeit und
auch im Arbeitsprogramm 2016 leider nichts zu spüren .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815213500

Die Kollegin Andrea Lindholz hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1815213600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In ihrem
Arbeitsprogramm 2016 betont die Kommission, dass
Europa vor nie dagewesenen Herausforderungen steht .
Viele warnen heute schon vor dem Ende Europas, dem
Zerfall des Schengen-Raums und der Euro-Zone . Diese

Detlef Seif






(A) (C)



(B) (D)


Warnungen haben einen ernsten Hintergrund; denn Eu-
ropa steht aktuell nicht nur vor einer, sondern vor vielen
Krisen gleichzeitig .

Die institutionellen Schwächen der Euro-Zone wur-
den bisher nur teilweise beseitigt. Hohe Staatsdefizite, in-
stabile Banken und verschleppte Strukturreformen halten
die Euro-Krise virulent . Die hohe Arbeitslosigkeit und
auch die wirtschaftliche Schwäche einiger EU-Staaten
schwächen zum einen unseren Export und liefern zum
anderen den Nährboden für Radikalismus und Nationa-
lismus . In Frankreich liegt der Front National bei 28 Pro-
zent . Großbritannien droht mit dem EU-Austritt, was für
uns ein gewaltiger Verlust wäre .

An dieser Stelle möchte ich kurz auf die Anglei-
chung von Sozialstandards in der EU eingehen . Ja, sie
sind richtig, und sie sind wichtig . Allerdings sollten wir
die Kritik der Briten näher betrachten und ganz genau
zuhören . Wenn wir gleiche soziale Standards in Europa
fordern, dann, sehr geehrte Damen und Herren von den
Grünen, müssen wir uns auch die Frage gefallen lassen,
warum wir als Deutsche für Kinder, die in Rumänien le-
ben, das gleiche Kindergeld zahlen wie für Kinder, die in
Deutschland leben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das darf nicht der Fall sein . Die Reformen müssen daher
in beide Richtungen gehen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Kommission hat das Freihandelsabkommen TTIP
zur Top-Priorität erklärt . Es soll die Grundlagen für neu-
es Wirtschaftswachstum in Europa schaffen . Wir alle
kennen die Vorbehalte gegen TTIP; wir hören sie und
haben sie zum Teil auch selber . Es ist Aufgabe von uns
Parlamentariern, diese berechtigten Bedenken zu prüfen .

Uns fordern aber auch die Kriege in der Ukraine und
in Syrien sowie die Instabilität im arabischen Raum . Das
alles ruft Fanatismus und Terrorismus hervor .

Die aktuell größte Bedrohung und größte Herausfor-
derung ist allerdings die unkontrollierte Zuwanderung
nach Europa, insbesondere nach Deutschland . Das Ver-
trauen der Bürgerinnen und Bürger ist erschüttert . Sehr
geehrter Herr Kollege Sarrazin, Europa muss alles da-
ransetzen, um auf diese Flüchtlingskrise eine europäi-
sche Antwort in Form einer gemeinsamen Asylpolitik
zu finden. Das stellt kein Mitglied und keine Fraktion in
diesem Haus infrage .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sehr geehrter Herr Kollege Ulrich, wenn Sie im
Zusammenhang mit der Asylthematik, obwohl wir in
Deutschland über 1 Million Menschen aufgenommen
haben – die Menschen in diesem Land haben Großarti-
ges geleistet, und wir im Deutschen Bundestag haben in
den letzten Monaten insgesamt sechs Gesetzespakete auf
den Weg gebracht, um die Integration zu verbessern, aber
auch, um Fehlanreize zu vermeiden und Abschiebehin-
dernisse zu reduzieren –, von einem „Totalversagen“ des
deutschen Staates sprechen, dann finde ich das völlig ne-
ben der Sache liegend . Ich muss ehrlich sagen: Ich kann
verstehen, dass Menschen europa- und politikverdrossen

sind, wenn wir bei unserer Wortwahl nicht aufpassen,
wenn wir nicht aufpassen, wann wir von einem „Total-
versagen“ sprechen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn Sie Ihre Ernsthaftigkeit in Sachen europäischer
Flüchtlingspolitik dadurch unter Beweis stellen wollen,
dass Sie sagen, wir bekämen gerade von den anderen
Staaten eine „Retourkutsche“,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das ist doch so!)


dann muss ich dazu sagen: Auch das ist unangemes-
sen und unangebracht angesichts der Leistung, die in
Deutschland gerade erbracht wird . Wenn die Politik in
Europa davon bestimmt wird, dass man sich gegensei-
tig Retourkutschen verteilt, kann ich verstehen, dass
die Menschen mit der Politik nicht mehr viel anfangen
können, dass sie politikverdrossen und europaverdrossen
sind . Ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Abgeordnete,
in unseren Reden darauf hinzuweisen und mit solchen
Begriffen vorsichtig umzugehen .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das müssen Sie der Bundesregierung sagen! Sagen Sie das einmal Herrn Seehofer!)


– Ich komme ganz sicher noch auf Herrn Seehofer zu
sprechen; Sie bieten mir so schöne Vorlagen .


(Lachen des Abg . Alexander Ulrich [DIE LINKE])


Wir wollen eine gemeinsame Europapolitik . Es nützt
nichts, wenn im Programm der Kommission vieles steht:
Frontex-Einsätze verstärken, Dublin-Verordnung refor-
mieren, Solidaritätsmechanismen einführen . Das sind
alles wichtige und richtige Maßnahmen . Wir brauchen
auch gemeinsame Kontingente in Europa und eine ge-
meinsame Solidaritätsanrechnung, weil es natürlich nicht
sein kann, dass es einzelne Länder gibt, die im Rahmen
des Dublin-Verfahrens die Hauptlast tragen . Aber Europa
muss auch handeln . Es genügt nicht, dass in dem Pro-
gramm steht, dass die Kommission bis Ende des Jahres
Vorschläge vorlegt, wie gewisse Dinge überhaupt um-
gesetzt werden sollen . Das dauert nämlich zu lang für
Deutschland . Wir können nicht warten, bis man sich in
Europa irgendwie einigt . Auch wir hoffen auf eine Eini-
gung in Europa; aber die Beschlüsse, die vereinbart wur-
den, wurden bisher noch nicht einmal ansatzweise umge-
setzt . 322 Flüchtlinge von 160 000 sind verteilt worden .

Wer von Ihnen war schon einmal in Bayern – das
frage ich in jeder meiner Reden – und hat sich die Ver-
hältnisse an der Grenze vor Ort angeschaut? Wer hat mit
unseren Bürgermeistern und Landräten gesprochen, und
wer weiß, wie es ist, wenn tagtäglich Tausende und Aber-
tausende Menschen nach Bayern strömen? Wenn es in
Europa keine zügige, keine zeitnahe und keine vernünfti-
ge Lösung gibt, dann hat Horst Seehofer das gute Recht,
darauf hinzuweisen,


(Detlef Müller [Chemnitz] [SPD]: „Hinweisen“ ist etwas anderes! Hinweisen kann er!)


Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


dass beispielsweise Griechenland seiner Verpflichtung
zur Außengrenzensicherung nicht nachkommt und ein
unkoordiniertes Durchleiten von Flüchtlingen bis nach
Deutschland bei uns zu Problemen führt und wir des-
halb sehr wohl darüber nachdenken müssen – dazu sind
wir verpflichtet –, ob wir Grenzkontrollen einführen und
stufenweise Zurückweisungen vornehmen, wie das jetzt
zum Beispiel schon gemacht wird, wenn die Leute klar
sagen, dass sie kein Asyl in Deutschland beantragen wol-
len .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815213700


Kollegin Lindholz, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung?


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1815213800


Ich lasse sie gleich zu . Ich möchte den Gedanken noch
zu Ende führen . Danach gerne . – Wenn es in Europa kei-
ne zügige Lösung gibt, dann müssen wir auch über diese
Maßnahme nachdenken . Wenn wir diese Auffassung ver-
treten, heißt das nicht, dass die CSU oder Horst Seehofer
unsolidarisch ist oder gar eine gegen Europa gerichtete
Politik betreiben möchte .

Jetzt gestatte ich die Zwischenfrage .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815213900


Die Kollegin Baerbock wünscht, eine Frage zu stellen
oder eine Bemerkung zu machen . Da Sie es gestattet ha-
ben, hat sie jetzt das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz . – Sie haben an-
gesprochen, dass 160 000 Flüchtlinge aus Griechenland
und Italien umverteilt werden sollen . Sie haben gesagt,
dass alle ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Wie
erklären Sie sich dann – Sie haben die 300 angesprochen,
die bisher umverteilt wurden –, dass Deutschland das zu-
gesagte Kontingent auch nicht umverteilt hat und bisher
erst 27 aufgenommen hat?


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: 1,4 Millionen! Mein Gott!)


Was unternehmen Sie als Regierungsfraktion, damit
wir unserer eigenen Zusage bei der Umverteilung der
160 000 aus Griechenland gerecht werden? Während
zum Beispiel Bulgarien – das haben wir gemeinsam
gestern im Europaausschuss erfahren – sein Kontingent
schon aufgenommen hat, meldet Deutschland hier ein-
fach nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1815214000

Frau Kollegin, wir haben in Deutschland über 1 Mil-

lion Menschen aufgenommen . Das ist weit mehr als in
diesem Kontingent . Punkt eins .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Dümmer geht es nimmer! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das finden Sie ja falsch! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Brutto, nicht netto! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Da sind Mehrfachmeldungen dabei!)


Punkt zwei . Ich habe nicht davon gesprochen, dass
diese Flüchtlinge auf Italien und Griechenland aufzutei-
len sind .


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ganz schwach!)


Ich bin also der Auffassung, dass die Kommission in
ihrem Programm viele gute und viele richtige Vorschlä-
ge unterbreitet hat . Es genügt uns aber nicht, wenn die-
se Vorschläge nicht umgesetzt werden, wenn das Dub-
lin-Verfahren beispielsweise nicht reformiert wird und
Vorschläge dazu nicht schnell genug vorgelegt werden .
Europa muss in dieser Lage so schnell handeln, wie Eu-
ropa in der Lage war, bei der Euro-Krise zu handeln . Das
können wir an dieser Stelle auch einfordern .

Ich möchte noch einmal betonen: Nicht Deutschland
hat sich in den letzten Monaten einer europäischen Lö-
sung verschlossen . Wir haben in den letzten Monaten
viele, viele Hunderttausende, ja Millionen von Flüchtlin-
gen aufgenommen und auch für die Zukunft die Bereit-
schaft erklärt, dass wir uns mit den Leidtragenden der
Krisen der Welt solidarisch zeigen . Hierzu gehört auch,
dass wir erkennen und begreifen, dass die Entwicklungs-
hilfe, die Hilfe vor Ort – wir reden immer wieder da-
von – das Mittel ist, das wir verstärkt einsetzen müssen .
Wir sind nicht auf einer einsamen Insel . Wir sind auf die
anderen europäischen Staaten angewiesen . Wir sind bei
der Entwicklungshilfe auch auf die Weltgemeinschaft
angewiesen . Da kann man es sich nicht einfach machen
und so tun, als ob wir in Deutschland nicht genug zur
Bewältigung der Krisen beitragen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte mit einem Zitat von Konrad Adenauer
schließen . Er hat gesagt:

Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen .
Sie wurde eine Hoffnung für viele . Sie ist heute eine
Notwendigkeit für uns alle .

Dieses Zitat hat auch nach 62 Jahren nichts von seiner
Relevanz verloren . Ich wünsche mir Einheit in diesem
Parlament, was die Flüchtlingsfrage angeht, vor allen
Dingen aber in Europa . Ich wünsche mir eine europäi-
sche Antwort auf diese Krise und bin dennoch der festen
Überzeugung, dass wir auch um weitere nationalstaatli-
che Maßnahmen nicht herumkommen werden, wenn Eu-
ropa in den nächsten Wochen nicht zügig handelt .

Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was ist das für eine Drohung!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815214100

Ich schließe die Aussprache .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann

(Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter

und der Fraktion DIE LINKE

Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdi-
gen – Mütterrente anerkennen

Drucksachen 18/6043, 18/6222

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dr . Martin Rosemann für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1815214200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Seit mittlerweile eineinhalb
Jahren wird die Kindererziehung für vor 1992 geborene
Kinder in Deutschland besser anerkannt . Es werden näm-
lich die ersten beiden Jahre berücksichtigt statt früher nur
das erste .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer seitdem in Rente gegangen ist und Kinder erzogen
hat, dem wird auch die Erziehungsleistung, die er oder
sie erbracht hat, zugerechnet . Das gilt für das erste Le-
bensjahr des Kindes und auch für das zweite . Das gilt
selbstverständlich auch für Pflege- und Adoptiveltern.
Das ist erst einmal eine gute Nachricht für alle Mütter
und Väter in unserem Land . Das hat diese Koalition ge-
schafft .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben aber noch etwas anderes geschafft: Im
Unterschied zu allen anderen Verbesserungen im Ren-
tenrecht profitieren von dieser Neuregelung, von dieser
Mütterrente, auch Frauen und Männer, die vor Inkrafttre-
ten des Gesetzes schon in Rente waren . Auch das ist eine
gute Nachricht für alle Rentnerinnen und Rentner mit vor
1992 geborenen Kindern


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nicht für alle!)


Die Voraussetzung dafür, dass wir das so machen
konnten, war aber eine Pauschalregelung . Mütter bzw .
Väter, die bereits in Rente waren, bekamen pauschal
einen Entgeltpunkt für das zweite Jahr der Kindererzie-

hungszeit zugewiesen . Dabei bekam jeweils die Person
den Rentenpunkt, die bereits die Mütterrente für das erste
Lebensjahr des Kindes bezog . Anders, meine Damen und
Herren, war es schlicht nicht möglich, dies für die Frauen
und Männer, die bereits in Rente waren, zu organisieren .
Sonst hätten wir Hunderttausende von Versicherungsbio-
grafien noch einmal von Hand bearbeiten müssen. Der
Verwaltungsaufwand dafür stünde in keinem Verhältnis
zu den Leistungen, wäre schlichtweg nicht vertretbar ge-
wesen .

Klar ist, meine Damen und Herren: Durch die gefun-
dene pauschale Regelung wird in den meisten Fällen die
Realität abgebildet und damit die Leistung der Kinderer-
ziehung an der richtigen Stelle gewürdigt . Aber klar ist
auch – das soll nicht verschwiegen werden –, dass es in
speziellen Konstellationen zu einer falschen Zuordnung
und damit in Einzelfällen zu Ungerechtigkeiten kommen
kann . Eine, über die wir heute diskutieren, ist die Prob-
lematik bei der Anrechnung der Erziehungsleistung für
Adoptiveltern . Aber das ist eben nicht die einzige, son-
dern es gibt noch andere, so beispielsweise dann, wenn
der Vater ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes die
Kindererziehung übernommen hat, die Mutter aber im
ersten . In diesem Fall bekommt der Vater bei der Pau-
schalzuordnung selbstverständlich nicht den zusätzli-
chen Rentenpunkt, was vor allem dann ein Problem ist,
wenn die Ehe mittlerweile in die Brüche gegangen ist .
Ein weiteres Beispiel ist der Fall, dass Eltern ihr Kind im
ersten Lebensjahr im Ausland erzogen haben . Auch dann
kommt es zu Ungerechtigkeiten . Hier bekommt nämlich
keiner den zusätzlichen Rentenpunkt .

Umgekehrt gibt es aber auch Beispiele dafür, dass sich
die Pauschalzuordnung positiv auswirkt, beispielsweise
dann, wenn durch die pauschale Anrechnung keine Kap-
pung an der Beitragsbemessungsgrenze erfolgt, wenn
sich bestehende Abschläge, beispielsweise aufgrund ei-
ner vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente, nicht
auf den zusätzlichen, pauschal zugewiesenen Rentenent-
geltpunkt auswirken . Das alles zeigt, meine Damen und
Herren: Man kann nicht eine Lösung nur für eines dieser
Probleme beschließen und die anderen Probleme igno-
rieren .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Dann löst doch alle!)


Man kann sich aber auch nicht alle diese Fälle noch ein-
mal einzeln anschauen . Damit sind wir ohne Zweifel in
einem Dilemma, in einem Dilemma, in das man aller-
dings nur kommt, wenn man, wie wir, Verantwortung
übernimmt, regiert und Entscheidungen trifft, anstatt
sich, wie die Linke, in der Opposition zu gefallen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Da kommt ihr auch wieder hin!)


Um es noch einmal zu sagen: Die einzige Alternati-
ve wäre es also gewesen, die Leute, die zum Zeitpunkt
der Gesetzesänderung bereits in Rente waren, von der
Verbesserung auszunehmen . Nochmals: Das wäre rich-

Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


tig ungerecht gewesen . Das wollten wir nicht . Deswegen
haben wir das auch nicht gemacht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Denn wir sehen jetzt schon, dass die Mütterrente ein gro-
ßer Erfolg ist . Durch die Mütterrente ist der durchschnitt-
liche Zahlbetrag der Rente für Frauen heute um 10 Pro-
zent höher, für Frauen mit Kindern sogar um 12 Prozent .

Natürlich ist aber auch klar, dass die Anerkennung
der Erziehungsleistung in der Rente nie wirklich der Le-
bensleistung gerecht wird, die man erbringt, wenn man
Kinder erzieht . Auch die drei Jahre Erziehungszeit, die
für ab 1992 geborene Kinder angerechnet wird, schaffen
das nicht .

Deshalb gibt es übrigens im Rentenrecht weitere Ele-
mente der Anerkennung von Erziehungsleistungen: vor
1992 die Aufwertung von geringen Rentenanwartschaf-
ten im Rahmen der Rente nach Mindesteinkommen, ab
1992 die Höherwertung niedriger Entgeltpunkte bzw .
eine Gutschrift von zusätzlichen Entgeltpunkten im Rah-
men der Kinderberücksichtigungszeiten . Bei der Rente
für besonders langjährig Versicherte werden bis zu zehn
Jahre Kinderberücksichtigungszeiten angerechnet, damit
man diese erreicht .

Meine Damen und Herren, klar muss aber auch sein:
Allein mit der Rente kann eine adäquate Anerkennung
der Erziehungsleistung letztlich nicht erreicht werden .
Das muss eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung
sein . Letztlich wird die beste Anerkennung dann gewähr-
leistet sein, wenn es in unserem Land selbstverständlich
ist, dass sich Frauen und Männer die Erziehungsarbeit
ebenso wie die Erwerbsarbeit partnerschaftlich teilen .
Dafür sollten wir als Staat, als Gesellschaft und als Po-
litik in den kommenden Jahren die richtigen Rahmenbe-
dingungen schaffen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815214300

Das Wort hat der Kollege Matthias W . Birkwald für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815214400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Ihr Renten-
paket ist jetzt eineinhalb Jahre alt . Insofern ist es höchste
Zeit, dass wir heute einmal über eine Gruppe sprechen,
die von Ihrem Rentenpaket überhaupt nicht profitiert.
Ganz im Gegenteil: Diese Mütter und Väter werden mas-
siv benachteiligt, Herr Dr . Rosemann; es handelt sich um
Adoptivmütter und Adoptivväter .

Ich spreche hier von den Adoptivmüttern, die bereits
vor dem 1 . Juli 2014 in Rente waren . Sie gehen bei der
sogenannten neuen Mütterrente komplett leer aus, wenn
sie ihr vor 1992 geborenes Kind erst nach dessen erstem
Geburtstag adoptiert haben . Diese Mütter bekommen

keinen Cent Mütterrente . Keinen Cent . Wir Linke sagen:
Das ist ungerecht, und das darf nicht so bleiben .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, hier geht es nicht nur um
bares Geld, sondern auch um die gesellschaftliche An-
erkennung für die bewundernswerte Entscheidung, sich
dauerhaft um ein Kind zu kümmern und es großzuzie-
hen, und zwar mit allem, was dazugehört . Das ist nicht
selbstverständlich . Darum sage ich hier einmal ein gro-
ßes Dankeschön an alle Adoptiveltern für ihr wertvolles
Engagement .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
der Verband der Pflege- und Adoptiveltern geht von
sage und schreibe 40 000 Familien aus, denen Sie die
sogenannte Mütterrente vorenthalten . Ich sage: Das sind
40 000 Betroffene zu viel .


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt doch keinen Grund, die Adoptivmütter bei
der Mütterrente leer ausgehen zu lassen . Adoptivmüt-
ter wechseln genauso die Windeln ihrer Kinder, wie es
leibliche Mütter tun . Adoptivväter kochen genauso gut
für ihre Kinder, wie es leibliche Väter tun . Adoptiveltern
bringen ihre Kinder genauso in die Kita oder zur Schule,
wie es die leiblichen Eltern tun . Deswegen sage ich: Hier
muss etwas getan werden, und zwar dringend .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, am 24 . September haben
wir schon einmal über das Thema der Mütterrente auch
für Adoptiveltern debattiert . Damals habe ich an Union
und SPD appelliert, die 40 000 Adoptiveltern nicht im
Regen stehen zu lassen . Ich habe es damals gesagt, und
ich sage es heute: Legen Sie eine gerechte und angemes-
sene Lösung auf den Tisch .

Liebe CDU, der Kollege Matthias Zimmer hatte ja
damals gespottet, die Opposition verlöre sich im kleinen
Karo . Das war zwar wie immer sehr poetisch, aber auch
eine Frechheit für die 40 000 Betroffenen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr Hinweis auf die Kostenprobleme ist schlicht unred-
lich . Warum? Bei 40 000 Adoptiveltern, die dann ei-
nen zusätzlichen Rentenentgeltpunkt, also weniger als
30 Euro mehr Rente, erhielten, müsste die Versicher-
tengemeinschaft gerade einmal 14 Millionen Euro pro
Jahr aufbringen . In der Rentenkasse sind aktuell mehr
als 34 Milliarden Euro . 14 Millionen sind gerade ein-
mal 0,04 Prozent davon . Liebe Union, da sage ich: Seien
Sie mal nicht geiziger als Finanzminister Schäuble . Das
muss drin sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Lieber Kollege Strebl von der CSU – die CSU will
ich hier ja nicht vergessen –, Sie haben in der ersten Le-

Dr. Martin Rosemann






(A) (C)



(B) (D)


sung noch das Horrorszenario an die Wand gemalt, dass
9,5 Millionen Mütterrenten individuell hätten geprüft
werden müssen, wenn die Adoptiveltern gleichbehandelt
worden wären . Kollege Rosemann sagte das ja auch . Sie
haben sogar behauptet, die sogenannte neue Mütterrente
hätte dann gar nicht in Kraft treten können .


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja, stimmt alles!)


Mit Verlaub, Herr Kollege Strebl, das ist nicht mehr als
eine rhetorische Nebelkerze,


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein, so ist es!)


und die pusten wir jetzt mal aus .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir den 40 000 Adoptiveltern die Möglichkeit
gäben, einen Antrag auf sogenannte Mütterrente zu stel-
len, dann würde das die Deutsche Rentenversicherung
in diesem klar umgrenzten Fall nicht überfordern, Herr
Kollege Strebl . Die Deutsche Rentenversicherung ist
nämlich sehr leistungsfähig . Sie bearbeitet rund 3,9 Mil-
lionen Renten- und Rehaanträge im Jahr . Um das einmal
mit Worten zu sagen, die Ihnen besonders bekannt sind:
Die schaffen das!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nun komme ich zur SPD . Liebe Dagmar Schmidt, lie-
ber Martin Rosemann, Sie haben in der ersten Lesung
und auch gerade immerhin ehrlich zugegeben: Die Rege-
lung für Adoptiveltern ist ungerecht . – Kollegin Schmidt,
nur zu sagen, man brauche bei einer so großen Reform
pauschale Regelungen, wie wir es auch gerade wieder
gehört haben, und die könnten nicht jeden Einzelfall
berücksichtigten, bedeutet aber doch, sich nur – husch,
husch – herauszureden, und vor allem bringt es den
Adop tivmüttern keinen einzigen Cent Mütterrente .

Liebe SPD, 40 000 Mütter und Väter sind doch kein
Einzelfall . Sie füllen ein mittelgroßes Fußballstadion .
Sehen Sie das doch endlich einmal ein!


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, die Linke bietet eine um-
setzbare Lösung für die Adoptiveltern an:


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Eben nicht!)


Adoptivmütter, die ihr Kind nach seinem ersten Geburts-
tag adoptiert haben, erhalten auf Antrag die neue Mütter-
rente, also einen zusätzlichen Entgeltpunkt . Das war und
bleibt unser Vorschlag. Der ist praktikabel, finanzierbar
und vor allem auch sozial gerecht .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815214500

Der Kollege Peter Weiß hat für die CDU/CSU-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1815214600

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Die Mütterrente war und ist eine der großen sozi-
alpolitischen Veränderungen, die diese Große Koalition
beschlossen hat . Sie war und ist ein Herzensanliegen,
das im Wahlprogramm der Union stand, und wir sind
froh, dass es uns zusammen mit den Sozialdemokraten
in dieser Großen Koalition gelungen ist, die Erziehungs-
leistungen der Mütter in unserem Land im Rentenrecht
endlich deutlich besser anerkennen zu können als in der
Vergangenheit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Für das, was am 1 . Juli 2014 in Kraft getreten ist, ist
ein Finanzvolumen von 6,7 Milliarden Euro pro Jahr not-
wendig . Wenn Sie sich einmal anschauen, was wir sonst
noch alles beschlossen haben, dann stellen Sie fest: Das
ist die größte sozialpolitische Verbesserung in Heller
und Pfennig, in Euro und Cent, die es seit Jahrzehnten in
Deutschland gegeben hat . Wir können zu Recht stolz da-
rauf sein, dass wir diesen riesigen finanziellen Aufwand
gemeinsam mit der Deutschen Rentenversicherung tra-
gen, um die Mütter aufgrund ihrer Erziehungszeiten im
Rentenrecht besserzustellen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Außer die Adoptivmütter!)


Der Kollege Rosemann hat ausgeführt: Es war uns bei
dieser Reform wichtig, dass bei der Berechnung der Ren-
te künftig nicht nur die Kindererziehungszeiten derjeni-
gen besser berücksichtigt werden, die heute im Arbeits-
leben stehen, sondern dass wir vor allen Dingen auch den
9,5 Millionen Müttern, die bereits Rentnerinnen sind,
eine Besserstellung in der Rente gewähren können; denn
sie haben ihre Kinder in Zeiten großgezogen, in denen es
noch keine Kitas und kein Elterngeld gab,


(Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Kita gab es schon!)


und in der Regel hat damals die Frau – manchmal auch
der Mann – bei der Geburt des ersten Kindes ganz auf die
Berufstätigkeit verzichtet . Sie haben es besonders nötig,
dass sie durch die Kindererziehungszeiten rentenrecht-
lich bessergestellt werden . Dieses Gerechtigkeitspro-
blem haben wir mit mehr Leistungen durch die Mütter-
rente klar und eindeutig beantwortet .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Regelung, bei der wir auch die Bestandsrent-
nerinnen und -rentner, wie man so schön sagt, also die-
jenigen, die schon in Rente sind, einbezogen haben, hat
übrigens dazu geführt, dass durch diese Neuregelung
64 000 Frauen zum ersten Mal einen eigenen Rentenan-
spruch bekommen . Auch das ist eine großartige Leistung .
Wenn man sich die Auszahlung von Rentenleistungen
an Frauen anschaut, dann stellt man fest, dass allein die
Verbesserung bei der Mütterrente zu einer rund 10-pro-
zentigen Steigerung des Renteneinkommens der Frauen
geführt hat . Das zeigt doch: Wir haben hier einen ganz

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


maßgeblichen Beitrag zu mehr Rentengerechtigkeit für
die Frauen in unserem Land geleistet .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Weil natürlich auch die Linke weiß, dass man den
Erfolg dieser rentenpolitischen Innovation der Großen
Koalition eigentlich nicht kaputtreden kann, sucht sie
krampfhaft nach irgendeinem Haar in der Suppe .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Das tun wir nicht! Das tun die Betroffenen!)


Das Problem ist nur: Dabei ist sie bereit, die ganze Suppe
auszuschütten . Das möchte ich kurz erläutern .

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, als wir in der Ko-
alition mit den Fachleuten, den Experten im Ministeri-
um und denen der Deutschen Rentenversicherung, darü-
ber gesprochen haben, wie wir es machen können, auch
denjenigen, die bereits in Rente sind, diese Mütterrente
zukommen zu lassen, sind wir auf folgende Problematik
gestoßen: Wenn die Mitarbeiter der Rentenversicherung
wirklich die alten Akten von 9,5 Millionen Menschen,
die bereits Rente beziehen, deren Rentenkonto geschlos-
sen ist, wie das fachtechnisch heißt, aus dem Keller hät-
ten holen müssen, um die gesamte Rentenbiografie nach-
zurechnen,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Auf Antrag, Herr Weiß, nur auf Antrag!)


dann hätten die Sachbearbeiter wahrscheinlich über drei
Jahre gebraucht – das lässt sich nicht am Computer erle-
digen –, um die Arbeit zu erledigen .


(Zuruf von der LINKEN: So ein Unsinn!)


Da haben wir gesagt: Wenn wir mit so etwas ins Par-
lament gehen, brauchen wir uns in der Öffentlichkeit in
Deutschland gar nicht mehr blicken zu lassen, da lacht
uns die Bevölkerung aus . Es gibt nur eines: Wenn die
Mütterrente am 1 . Juli 2014 in Kraft tritt, dann muss die
Mütterrente binnen drei Monaten auch bei den Bestands-
rentnerinnen und -rentnern in Deutschland ankommen .
Nur das geht .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Es waren dann sechs Monate!)


Deshalb haben wir uns für eine Pauschallösung ent-
schlossen . Nur mit einer Pauschallösung war es mög-
lich, zu erreichen, dass die Rentnerinnen und Rentner in
Deutschland bereits seit Monaten zusätzlich Mütterrente
beziehen können . Das haben wir geschafft, das haben wir
gemacht . Es war völlig richtig, es so zu machen, dass die
Mütterrente sofort möglich ist und nicht erst in ein paar
Jahren .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Warum ist das so? Die Linke hält Reden nach dem
Motto: Hoffentlich kennt niemand das Rentenrecht!


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein, nein! Jetzt aber vorsichtig!)


Dann kann man den Leuten alles Mögliche vormachen .
Was heißt denn Mütterrente? Mütterrente heißt Anerken-

nung von Kindererziehungszeiten in der Rente . Das wird
technisch so gemacht: Um zu erreichen, dass es für ein
Jahr Kindererziehungszeit zusätzlich Rente gibt, wird
dem Rentenkonto der Frau respektive des Mannes im
ersten Lebensjahr des Kindes ein Entgeltpunkt – das sind
heutzutage rund 28 Euro –


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: 29,21 im Westen, 27,05 im Osten! Das müsste der Rentenexperte doch kennen!)


gutgeschrieben . Bei zwei Jahren Kindererziehungszeit
werden diese Punkte im zweiten Lebensjahr des Kindes
gutgeschrieben . Sind es drei Jahre – das gilt für alle Kin-
der, die ab 1992 geboren sind –, werden diese Punkte im
dritten Lebensjahr gutgeschrieben . So kann das jeder auf
seiner Renteninformation, die er erhält, nachlesen . Da-
rauf ist für jedes Jahr ausgewiesen, wie viel Entgeltpunk-
te auf dem Rentenkonto gutgeschrieben werden .

Was haben wir gemacht? Wir haben für alle vor 1992
geborenen Kinder beschlossen, dass ein solcher Entgelt-
punkt, eine zusätzliche Rentenleistung auch im zwei-
ten Lebensjahr des Kindes auf dem Rentenkonto gut-
geschrieben wird . Und das haben wir für alle gemacht,
selbstverständlich auch für die Adoptiveltern . Deswegen
ist das, was Herr Birkwald hier vorgetragen hat, nämlich
dass das die Adoptiveltern nicht betreffe, schlichtweg
falsch . Dieser Entgeltpunkt wird selbstverständlich auch
Adoptiveltern gutgeschrieben .

Nun ist es so, dass wir für diejenigen, die bereits in
Rente sind, irgendeinen Ansatzpunkt finden mussten, um
herauszufinden, wer von diesen Kinder großgezogen hat
und dafür schon für das erste Jahr Kindererziehungszei-
ten gutgeschrieben bekommt, um ihnen dann zusätzlich
einen Pauschalbetrag für ein zweites Jahr gutschreiben zu
können . Da bleibt dann eben nichts anderes übrig, wenn
man es einfach und per Computer machen will, als zu
schauen, ob für den zwölften Monat tatsächlich Kinder-
zuschlag auf die Rente ausbezahlt wird . Allen Rentnerin-
nen und Rentnern, auf die das zutrifft, wurde dann zum
1 . Juli der Pauschalzuschlag gutgeschrieben . So war es
möglich, dass spätestens drei Monate nach Inkrafttreten
des Gesetzes wirklich alle Berechtigten in Deutschland,
die bereits Rentnerin oder Rentner sind, diesen Zuschlag
gutgeschrieben bekommen haben .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815214700

Kollege Weiß, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung des Kollegen Birkwald?


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1815214800

Ja, bitte schön .


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815214900

Lieber Kollege Weiß, danke, dass Sie die Bemerkung

zulassen . Sie haben gerade so schön ausgeführt, wie das
alles funktioniert .


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1815215000

Ja, man muss es ja einmal erklären .

Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815215100

Das ist auch in Ordnung . – Sie haben nur den wesent-

lichen Punkt, um den es in dieser Debatte geht, elegant
unter den Tisch fallen lassen .

Wenn beispielsweise eine Frau ein 14 Monate altes
Kind adoptiert hat – gehen wir ausschließlich von einer
Adoptivmutter aus, nicht von Adoptiveltern –, dann hat
diese Adoptivmutter das Kind erzogen, als es 15 oder
20 Monate alt war usw ., bis es zum Beispiel zehn oder elf
war . Also hat sie, nicht die leibliche Mutter, die wesent-
liche Erziehungsleistung erbracht . Weil das Kind erst im
vierzehnten Lebensmonat und nicht im elften, zehnten
oder im vierten adoptiert wurde, bekommt diese Adop-
tivmutter, die die gesamte Erziehungsleistung – hoffent-
lich gemeinsam und gleichberechtigt mit ihrem Mann –
erbracht hat, keinen Cent von Ihrer schönen Mütterrente .
Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen .

Ehe Sie jetzt immer weiter behaupten, das hätte alles
berechnet werden müssen, bitte ich Sie, noch einmal in
unseren Antrag zu schauen . Wir haben vorgeschlagen,
dass das auf Antrag überprüft werden soll, damit die
Rentenversicherung eben nicht alle Akten und Renten-
konten prüfen muss . Das heißt, man müsste die Regelung
beschließen und publikmachen, und dann kämen sukzes-
sive die Anträge herein . Jetzt erklären Sie mir bitte ein-
mal, warum die Rentenversicherung das nicht schaffen
könnte .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1815215200

Herr Kollege Birkwald, Sie haben schon wieder das

Rentensystem falsch erklärt,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Was heißt denn hier „schon wieder“? – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Was ist denn daran falsch?)


oder Sie bauen darauf, dass die Mitbürgerinnen und -bür-
ger das Rentenrecht nicht kennen .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist doch eine Unterstellung!)


Die Kindererziehungsleistung in der Rente wird nicht
für das zehnte oder elfte Lebensjahr bezahlt .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Das habe ich nicht gesagt! Sie haben nicht richtig zugehört!)


– Doch, doch .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nur das zweite Jahr!)


Sie sagten, sie habe dann ja über zehn Jahre hinweg Kin-
der erzogen . – Bei der Rente wurde sie bis vor kurzem,
vor der Reform, für das erste Lebensjahr des Kindes gut-
geschrieben, und nach der Reform wird sie für das zweite
Lebensjahr des Kindes gutgeschrieben . Das gilt für alle
Rentnerinnen und Rentner . Die einzige Frage ist: Macht

man eine Pauschalregelung, oder macht man keine Pau-
schalregelung?


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Kriegt die Adoptivmutter die Rente?)


Der Punkt ist folgender: Wenn Sie eine Pauschalrege-
lung machen, dann bedeutet das, dass die große Mehrheit
der Leute, die es wirklich betrifft, die zusätzliche Rente
erhalten . Ich gebe zu: Es gibt auch Grenzsituationen, bei
denen es möglicherweise danebengeht .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Aha!)


Aber wir standen vor der Frage: Pauschalregelung – ja
oder nein? Und um es klar und deutlich zu sagen: Für
mich und, wie ich glaube, für uns alle in der Koalition
galt: Wer schnell hilft, hilft doppelt . Deswegen gibt es ein
klares Ja zur Pauschalregelung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Machen Sie es doch jetzt!)


Wenn man aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten sagt:
„Nein, ich will eine Einzelfallprüfung auf Antrag!“ –
Entschuldigung, es gilt doch wohl: entweder Pauschal-
regelung oder in allen Fällen Einzelfallprüfung –, dann
muss man auch prüfen, wie der Kollege Rosemann vor-
getragen hat, ob da vielleicht jemand die ersten 14 Mona-
te im Ausland erzogen worden ist und erst im 15 . Lebens-
monat nach Deutschland umgesiedelt ist und, und, und .
Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Entweder
macht man eine Pauschalregelung, oder man macht eine
Einzelfallprüfung . Wenn wir eine Einzelfallprüfung ein-
geführt hätten, hätte wahrscheinlich noch kein Mensch
in Deutschland die Mütterrente auf seinem Konto . Mit
der Pauschalregelung haben die Leute seit Monaten die
Mütterrente auf ihrem Konto . Das ist der Erfolg, auf den
wir gebaut haben . Das haben wir durchgesetzt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich hätte von Ihnen als Linke eigentlich erwartet, dass
Sie den ganz besonderen Fall – den kann es auch geben –
vorgetragen hätten, dass bei jemandem, der im zweiten
Lebensjahr seines Kindes bereits wieder voll gearbeitet
hat, die Beitragsbemessungsgrenze erreicht hat und des-
wegen dank Pauschalregelung zu viel Mütterrente be-
kam, wieder abkassiert wird . Ich hoffe, dass die Linke
demnächst einen entsprechenden Antrag stellt .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein, ganz bestimmt nicht!)


So viel zu den Besonderheiten .

Man kann sicherlich zig Haare in der Suppe finden.
Die entscheidende Frage lautet aber: Betrifft die Pau-
schalregelung cum grano salis insgesamt betrachtet die
allergrößte Zahl der Fälle, in denen die Berechtigung be-
steht, für die Erziehungsleistung im zweiten Lebensjahr
des Kindes Mütterrente zu erhalten? Das haben wir ge-
schafft . Im Übrigen hat das Sozialgericht Berlin im letz-






(A) (C)



(B) (D)


ten Jahr in einem Urteil die Richtigkeit dieses staatlichen
Handelns bestätigt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Es hat Ihnen aber nicht verboten, es besser zu machen!)


Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Mütterrente
ist ein großartiger Erfolg . Sie hilft denjenigen, die ihre
Kinder zu Zeiten erzogen haben, in denen Kindererzie-
hung oft mit Ausscheiden aus dem Berufsleben gleichzu-
setzen war . Wir haben mit der Pauschalregelung, die wir
getroffen haben, eine rechtlich einwandfreie Lösung ge-
funden . Wir haben eine Lösung gefunden, die sofort hilft .
Was die Linke vorschlägt, ist in Wahrheit eine Vertagung
der Mütterrente . Das wollten und wollen wir nicht .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815215300

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-

lege Markus Kurth das Wort .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815215400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren auf den Zuschauertribünen,
ich frage mich gerade, ob Sie das jetzt wirklich so nach-
vollziehen konnten, was der Kollege Peter Weiß gerade
eben von diesem Rednerpult aus dargelegt hat. Ich fin-
de, dass das ein sehr gutes Beispiel dafür ist, wie ein ei-
gentlich überschaubarer und klarer Sachverhalt, der nach
meiner Einschätzung im Antrag der Fraktion Die Linke
auch übersichtlich dargestellt ist, künstlich vernebelt,
verkompliziert und dann auf eher unseriöse Weise dis-
kreditiert wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD – Dr . Martin Rosemann [SPD]: Ach, komm!)


– Ich muss hier im Gegenzug auch einmal austeilen und
den Kollegen Matthias Birkwald in Schutz nehmen . Man
kann, wenn es um rentenpolitische Vorstellungen geht,
die das Rentenniveau angehen und Hunderte Milliarden
Euro kosten, durchaus unterschiedlicher Meinung sein .
Aber eines kann man Herrn Birkwald sicherlich nicht
vorwerfen, nämlich die Unkenntnis des Rentenrechts .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gemacht!)


– Sie hatten gerade eine solche Bemerkung gemacht,
Herr Weiß .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Das war jetzt unseriös! – Katja Mast [SPD]: Das war unseriös! Diese Erklärung war unseriös! – Gegenruf der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt müssen Sie nicht die Union verteidigen!)


Der Sachverhalt ist jedenfalls überschaubar . Wenn
eine Mutter oder ein Vater über Jahre ihr bzw . sein Kind
erzogen hat, dann haben sie, wenn das Kind zwischen
dem 13 . und 24 . Monat erzogen wurde, einen Renten-
punkt als Anerkennung für diese Leistung verdient; da-
rum geht es .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE] – Zuruf des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])


Und unseriös war – Herr Rosemann, Sie haben ja da-
zwischengerufen –, dass Sie einen Gegensatz aufgestellt
haben und so getan haben, als ob nur Pauschalregelung
oder nur Antragsregelung gehen würde . Man kann das
Ganze doch sehr wohl mit einer Antragsregelung kom-
binieren . Meinethalben nimmt man dann die von Ihnen
genannten Spezialfälle wie Zuzug aus dem Ausland und
dergleichen dann auch noch auf . Dann gibt es möglicher-
weise – wir wissen es nicht genau – mehr Anträge als
die 40 000 von betroffenen Adoptiveltern . Dann kommen
sicherlich einige Tausend oder sogar Zehntausend Anträ-
ge hinzu . Aber wir werden Lichtjahre von 9,5 Millionen
zu prüfenden Bescheiden entfernt sein . So viel Klarheit
und Ehrlichkeit in der Debatte können wir uns allen ab-
verlangen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das können wir eigentlich umso mehr, weil uns endlich
einmal ein Antrag der Fraktion Die Linke vorliegt, des-
sen Umsetzung nicht Hunderte Milliarden Euro kostet
oder Beitragssätze von 28 Prozent nach sich zieht . Ich
hätte gedacht, Herr Birkwald – Sie kommen ja aus Köln,
wo die Karnevalstage bevorstehen –, Sie würden noch
einmal ordentlich Kamelle unters Volk bringen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Dafür sind wir zu seriös!)


Jetzt sind wir hier aber beim Schwarzbrot und bei ei-
nem ernstzunehmenden Gerechtigkeitsproblem, das ja
auch von der Großen Koalition niemand wirklich leug-
net . Dass es hier eine Ungerechtigkeit gibt, ist ja auch
bei den Beratungen im Ausschuss von allen zugegeben
worden . Und weil das so ist, möchte ich Sie in dem Zu-
sammenhang auch noch einmal an das erinnern, was Sie
am 23 . Mai 2014 bei der Verabschiedung des sogenann-
ten Rentenpakets vollmundig vom Redepult aus erklärt
haben . Karl Schiewerling sprach bei der Verabschiedung
des Rentenpakets von „mehr Gerechtigkeit für Millionen
Mütter“ . Andrea Nahles sagte bei der Verabschiedung –
Zitat –: „Mit der Mütterrente erkennen wir die großartige
Leistung von Millionen Müttern und auch Vätern an .“
Frau Böhmer von der Frauen-Union sagte: „Das ist ein
Dank an die Mütter“ sowie „Heute ist ein Tag der Ge-
rechtigkeit .“


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja, das ist ja auch so!)


Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


Ja was müssen denn die Adoptiveltern, die hier in Rede
stehen, die ihr Kind erst im 13 . Lebensmonat adoptiert
haben, von diesen Aussagen halten? Die müssen sich
doch verschaukelt vorkommen . Für die ist es nur Schall
und Rauch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Übrigens darf ich daran erinnern, dass auch diejeni-
gen Mütter, die in der Grundsicherung sind und durch
die Mütterrente nicht über die Grundsicherungsschwelle
kommen, nichts von dem Rentenpaket haben . Und wo
ich einmal dabei bin, erinnere ich auch gerne an die Zu-
sammenhänge, die sich aus der Finanzierung der Müt-
terrente als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe aus der
Rentenkasse ergeben . Das führt nämlich dazu, dass das
Rentenniveau niedriger ausfällt, als es ausfallen müsste,
und dass der Beitragssatz höher ausfällt, als er eigentlich
ausfallen müsste. Das heißt also: Das finanzieren die Bei-
tragszahlerinnen und Beitragszahler mit statt die Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahler . Das haben wir von Anfang
an diskutiert, und das darf in dem Zusammenhang, wo
wir von Ungerechtigkeiten beim Rentenpaket reden, gern
auch wiederholt und in Erinnerung gebracht werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, heute hätte die Regie-
rungskoalition wenigstens signalisieren können, dass sie
eine der unzähligen Gerechtigkeitslücken dieses Ren-
tenpakets schließen will . Sie verneinen es, wie gesagt,
prinzipiell nicht . Dass Sie sich hinter Formalien, hinter
angeblich nicht lösbaren Konflikten zwischen Pauschal-
regelung und Antragsregelung verstecken, finde ich doch
einigermaßen kläglich . Ich rufe Sie auf: Ändern Sie das!
Setzen Sie sich auf den Hosenboden, und dann schaffen
Sie das auch!

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815215500

Das Wort hat die Kollegin Dagmar Schmidt für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815215600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Dr . Rosemann hat alles dazu gesagt, wie es zu den Un-
gerechtigkeiten gegenüber manchen bei der Mütterrente
gekommen ist, wie unter anderem bei manchen Adopti-
veltern, während wir aber gleichzeitig für 9,5 Millionen,
vor allem Frauen, mehr Gerechtigkeit geschaffen haben .
Das ist nun einmal einer Stichtags- und Pauschalregelung
geschuldet; die bringt automatisch Ungerechtigkeiten
mit sich . Vielleicht haben Sie – ich weiß es nicht – in
Ihrem Leben auch schon einmal einer Stichtags- oder
Pauschalregelung zugestimmt .

Sie haben gesagt, dass man das ja auf Antrag machen
kann . Sie haben es auf die Adoptiveltern bezogen . Wir
haben gesagt, es gibt noch mehr, wo man alles einzeln
anpassen müsste . Niemand kann sagen, wie groß die
Dimension wirklich ist, die wir der Rentenversicherung
dort aufbürden . Ich weiß nicht, ob Sie mit der Rentenver-
sicherung einmal darüber gesprochen haben, wie sie das
und alles andere, was wir ihr noch als Aufgaben gegeben
haben, dann in gleicher Art und Weise gut schaffen kann .

Wir haben uns entschieden . Damals wäre die Alter-
native gewesen, nichts zu machen . Wir haben uns für
eine Rentensteigerung bei Frauen von durchschnittlich
10 Prozent entschieden . Und das war auch gut so .


(Beifall bei der SPD)


Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass sich Adoptiveltern
als Erziehende zweiter Klasse fühlen oder fühlen müss-
ten .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein, das sagen sie selber!)


Ich finde, das ist schon harter Tobak. Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Partei Die Linke, Sie sind immer
ganz schnell dabei, wenn es um Skandalisierung geht .
Aber wenn man alles zu einem Skandal macht, dann
erkennt man irgendwann den wirklichen Skandal nicht
mehr, und es gibt auch keine Superlative mehr, um ihn
dann noch zu beschreiben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie tun so und Sie unterstellen, als würde sich diese
Bundesregierung nicht um die Belange der Adoptivel-
tern kümmern und als würde die notwendige pauschale
Regelung nur und ausgewählt Adoptiveltern treffen . We-
der das eine noch das andere ist der Fall . Die pauschale
Regelung trifft leider genauso Väter, die im zweiten Le-
bensjahr des Kindes die Erziehung übernommen haben .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Müssen wir noch ein paar Anträge schreiben! Können wir gerne machen!)


Wenn die einen Eltern zweiter Klasse sind, sind dann die
anderen, die von der Pauschale profitieren, auf einmal die
Premiumeltern, diejenigen, die ihr Kind in der Zeit nicht
versorgt haben und trotzdem den Entgeltpunkt bekom-
men? Hier wird doch schon deutlich, wie absurd der Vor-
wurf ist, den Sie gegen uns erheben . Es geht hier nicht
darum, eine Gruppe zu benachteiligen oder zu bevortei-
len . Es ging und es geht darum, 9,5 Millionen Müttern
eine höhere Rente auszuzahlen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die Gruppe ist trotzdem benachteiligt!)


Alle Adoptiveltern, die noch nicht in Rente sind, wer-
den genauso behandelt wie leibliche Eltern . Ich weiß sehr
wohl um die besonderen Herausforderungen für Adoptiv-
eltern . Oftmals sind es seelisch verletzte Kinder, die nicht
nur schöne Erlebnisse in ihrem bisherigen Leben hatten .
Die Eltern haben oft vorher lange gelitten, weil sie keine
eigenen Kinder bekommen konnten . Hinzu kommt der

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


langjährige Adoptionsprozess mit Eignungsprüfung usw .
usf . Das alles ist eine große Belastung . Umso schöner ist
es, dass sich Mütter und Väter der Aufgabe stellen und
Kindern eine neue Familie geben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Aber vieles am Verfahren und bei der Unterstützung
der Eltern und Kinder kann und muss verbessert wer-
den . Deswegen ist es gut, dass mit der Einrichtung ei-
nes Forschungszentrums für Adoption durch Ministerin
Schwesig eine Plattform geschaffen wurde, wo über Pro-
bleme im Zusammenhang mit dem Thema Adoption dis-
kutiert und geforscht werden kann . Dieses Projekt hat im
November letzten Jahres die Arbeit aufgenommen und
soll uns, die Politik, beraten . Ich bin mir sicher, dass wir
Gutes daraus machen werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber natürlich profitieren Adoptiv- und Pflegeeltern
auch genauso von all dem, was wir für Familien tun, und
zwar für alle; denn drei Dinge brauchen alle Familien:
Geld, Zeit und gute Betreuung . Und das haben wir an-
gepackt .

Mit der Erhöhung des Kinderfreibetrags und des
Kindergeldes, mit der Erhöhung des steuerlichen Ent-
lastungsbetrags für Alleinerziehende und der Erhöhung
des Kinderzuschlags haben wir insgesamt 5,3 Milliarden
Euro für Familien mobilisiert .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem Elterngeld Plus unterstützen wir Familien für
mehr Zeit und Partnerschaftlichkeit .

Und das Familienministerium unterstützt mit zahlrei-
chen Programmen die Betreuung von Kindern . Insge-
samt geben wir in dieser Legislaturperiode 1 Milliarde
Euro für den Kitaausbau aus und unterstützen ab nächs-
tem Jahr die Kitas mit 100 Millionen Euro jährlich bei
den Betriebskosten .

Das kann sich wahrlich sehen lassen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann es sein, dass wir uns in einer rentenpolitischen Debatte befinden?)


Es gibt für uns keine Eltern erster oder zweiter Klasse .
Davon profitieren alle Familien.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alle Familien brauchen eine passende Unterstützung;
denn es gibt keine größere und keine schönere Aufgabe,
als Kinder großzuziehen .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt reden Sie es wieder schön!)


Es ist der SPD vollkommen egal, ob die Eltern leibliche
Eltern oder Adoptiv- oder Pflegeeltern sind,


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außer in der Rente!)


ob sie verheiratet sind oder nicht, ob sie als homosexu-
elles Paar oder als Mann und Frau ein Kind erziehen, ob
sie alleine oder zusammen ein Kind großziehen, ob sie in
Deutschland großgeworden sind oder früher oder gerade
erst zu uns gekommen sind . Alles das macht für uns kei-
ne Unterschiede .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


„Mit Kindern zusammen zu sein ist Balsam für die
Seele“, sagt der kluge Dostojewski . Es ist ein Glück, mit
Kindern zusammen zu sein, und es ist unsere Aufgabe,
es allen Familien leichter und ein bisschen einfacher zu
machen .

Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815215700

Die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1815215800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Es ist doch gar keine Frage,
dass es im Sommer 2014 für Millionen deutscher Frauen
richtig gute Nachrichten gab . Wir hatten die Mütterrente
auf den Weg gebracht, und die Erziehungsleistung von
Millionen Frauen, die wiederum Millionen Kinder groß-
gezogen haben, wird seitdem finanziell besser anerkannt.
Herr Kollege Birkwald, geben Sie sich einen Ruck! Das
war eine richtig gute Aktion . Das können Sie einfach ein-
mal zugeben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben die Anerkennung der Erziehungszeit schon vorher gefordert! Sie haben umgesetzt, was wir gefordert haben!)


All diese Frauen hatten, als ihre Kinder klein waren,
kein Recht auf einen Krippen- oder Kindergartenplatz,
sie hatten kein Elterngeld und keine Partnermonate . Sie
mussten in aller Regel wirklich zurückstecken – viel
mehr, als wir das mussten , in vielen Bereichen des Le-
bens . Mit dem zusätzlichen Rentenpunkt wird diese
Leistung, die für unseren Generationenvertrag so enorm
wichtig ist, finanziell mehr als bisher gewürdigt. Auf die-
ses Mehr an Gerechtigkeit können wir alle, wie ich mei-
ne, wirklich stolz sein . Und auch auf den reibungslosen
Ablauf und auf die schnelle Umsetzung dieses Projekts
können wir wirklich stolz sein . Das hat gut und schnell
geklappt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele dafür nennen, wer
von unserer „schönen Mütterrente“, wie Sie es bezeich-
net haben – es ist nämlich wirklich eine schöne Mütter-
rente –, profitiert:

Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)


Da ist zum Beispiel die 80-jährige Großmutter, die
drei Kinder großgezogen hat; sie ist der Normalfall . Sie
spürt diesen zusätzlichen Entgeltpunkt pro Kind auf ih-
rem Konto recht deutlich . Vielleicht unterstützt sie damit
auch schon ihren Enkel, der dann wieder ein Beitrags-
zahler wird .

In ganz wenigen Fällen haben auch früher schon Vä-
ter die Erziehung übernommen . Wenn diese das Kind im
ersten Lebensjahr erzogen haben, dann bekommen auch
diese Männer die Mütterrente .

Freuen kann sich aber zum Beispiel auch das Ehepaar,
Ende 70, das zwei Kinder, jeweils im ersten Lebensjahr,
adoptiert hat . Auch seine Erziehungsleistung wird mit
dem zweiten Entgeltpunkt berücksichtigt .

Diese Beispiele bilden die weit mehr als 90 Prozent
der Bestandsrentner ab, bei denen das Geld auf jeden Fall
an der richtigen Stelle ankommt . Sie konnten sich ab dem
1 . Juli 2014 über eine etwas höhere Rente freuen . Dass
die Auszahlung so schnell und reibungslos vonstatten-
ging, das war eben tatsächlich nur durch eine Pauschale
und damit auch durch eine einfache Regelung bei den
Bestandsrenten möglich . Wer schon im ersten Lebens-
jahr die Kindererziehungszeit angerechnet bekommen
hat, der bekam auch das zweite Jahr angerechnet . In Ein-
zelfällen – und es sind wirklich Einzelfälle –


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: 40 000 sind keine Einzelfälle!)


kann dies tatsächlich dazu führen, dass man sich benach-
teiligt fühlt . Auch dafür möchte ich Ihnen Beispiele nen-
nen:

Dazu zählen die von Ihnen von der Linken angespro-
chenen Adoptiveltern, die ein Kind erst zwischen dem
13 . und dem 24 . Lebensmonat adoptiert haben .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die fühlen sich nicht benachteiligt! Die sind benachteiligt!)


Für sie ist diese Anrechnung nicht mehr möglich . Die-
ser Rentenpunkt wird noch der leiblichen Mutter gutge-
schrieben . Aber es ist auch völlig klar, dass diese Leis-
tung nicht weniger gewürdigt wird .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja wo denn?)


Dazu zählen auch die Fälle, in denen der Vater im
zweiten Jahr die Erziehung von der Mutter übernommen
hat, und auch die Fälle, in denen das Kind nach dem ers-
ten Jahr in einer Pflegefamilie wieder zur leiblichen Mut-
ter zurückgekehrt ist .

In all diesen Fällen – da haben Sie recht – kann man
meinen, dass man ungerecht behandelt wurde . Hätte man
aber diese Fälle verhindern wollen, hätte man mehr als
9 Millionen Frauen anschreiben müssen, um jeweils die
frühe Biografie ihrer Kinder abzufragen: Wer hat wann
das Kind erzogen? Gab es Pflege- oder Adoptiveltern?


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Aber das ist der Blick zurück! Gucken Sie mal nach vorn!)


Abgesehen davon, dass vermutlich Hunderttausende
Briefe gar nicht angekommen oder zurückgekommen
wären, hätte es sicher auch sich widersprechende An-
gaben gegeben . Diese Fälle hätten dann erst einmal gar
nicht bearbeitet werden können . Die Überprüfung wäre
eine Arbeit für Jahre gewesen . Auch die Auszahlung des
zusätzlichen Rentenpunkts hätte sich dann um Jahre ver-
zögert . Das hätte eben nicht nur Zeit, sondern auch Geld
gekostet – Geld der Beitragszahler, das, wie ich meine,
besser in Renten investiert ist als in bürokratische Groß-
aktionen .

Auch Ihr Vorschlag, die Problematik mit einem An-
tragsverfahren zu lösen, würde nicht sehr viel weniger
Probleme hervorrufen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: 40 000 statt 9 Millionen!)


Auch das bindet selbstverständlich Ressourcen . Auch
dort wird es sich widersprechende Angaben geben . Auch
das führt natürlich wieder zu der einen oder anderen Un-
gerechtigkeit . Ob es rentenrechtlich überhaupt möglich
wäre, sei dahingestellt .

Auch deshalb bin ich zurückblickend überzeugt da-
von, dass wir vor knapp zwei Jahren hier die richtige
Entscheidung getroffen haben . Für die teilweise ja auch
schon sehr alten Frauen dieser Republik war es wichtig,
dass eine politische Entscheidung wie die Einführung der
Mütterrente schnell getroffen worden ist . Wenn ich Ihren
Zahlen glauben darf, dann ist es so, dass tatsächlich über
99 Prozent der Berechtigten von der Mütterrente auch
wirklich profitieren. Das halte ich bei einer pauschalen
Regelung, die sich schnell und einfach umsetzen ließ, für
eine wirklich gute Quote .

Die Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren sind und
die nach Sommer 2014 in Rente gegangen sind oder noch
gehen werden, erhalten den zusätzlichen Rentenpunkt
ohnehin ganz genau aufgeteilt nach ihrer Erziehungsleis-
tung. Da ist es ganz egal, ob es leibliche Eltern, Pflegeel-
tern oder Adoptiveltern sind .

Ich meine also, die Mütterrente ist ein wirklich gutes
Projekt . Stimmen Sie uns einfach zu, Herr Birkwald .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815215900

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Erziehungsleistung von Adop-
tiveltern würdigen – Mütterrente anerkennen“ . Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6222, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/6043 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe die Zusatzpunkte 4 bis 6 auf:

ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Menschen- und umweltgerechten Ausbau der
Rheintalbahn realisieren

Drucksache 18/7364

ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Menschen- und umweltgerechte Realisierung
europäischer Schienennetze

Drucksache 18/7365

ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Kerstin Andreae,
Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Finanzierung eines bürgerfreundlichen und
umweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahn
jetzt sicherstellen

Drucksachen 18/6884, 18/7388

Zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD zum Ausbau der Rheintalbahn liegt ein Änderungs-
antrag der Fraktion Die Linke vor .

Weiterhin liegt zu dem Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD zur Realisierung europäischer
Schienennetze ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte jetzt, die nötigen Umgruppierungen, Verab-
schiedungen und Gespräche zügig abzuwickeln .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Norbert Barthle für die Bun-
desregierung .

N
Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1815216000


Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Meine sehr verehrten Bürgermeister
und Vertreter der Bürgerinitiative auf der Zuschauertri-
büne!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Abgeordnete der SPD winken in Richtung Tribünen)


Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie leben in einem Haus
im Rheintal, an dem vielbefahrenen Schienenweg dort .
Dann fährt, die Nachtstunden eingerechnet, alle sechs
Minuten ein Güterzug an Ihrem Haus vorbei . Wenn unse-
re Verkehrsprognosen stimmen, dann wird in zehn Jahren
alle vier Minuten ein Güterzug an Ihrem Haus vorbeidon-
nern . – Daran sehen Sie, glaube ich, meine sehr verehrten
Damen und Herren, wie hoch der Handlungsbedarf ist

und dass es gilt, eine Lösung für die Lärmproblematik an
der meistbefahrenen Schienenstrecke Europas zu finden.

Es war eine jahrelange, eine sehr mühsame Arbeit, ein
Ringen um Ausgewogenheit und Interessenausgleich .
Umso erfreulicher ist das Ergebnis, das wir jetzt erreicht
haben; denn dieses Ergebnis wird der enormen Bedeutung
der Rheintalbahn als grenzüberschreitender Schienenma-
gistrale in vollem Umfang gerecht . Das ist ein guter Tag
für Deutschland, ein guter Tag für Baden-Württemberg,
aber vor allem auch ein guter Tag für das Rheintal .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, diese Strecke ist Bestand-
teil des Güterverkehrskorridors 1 von Zeebrugge—
Antwerpen bzw . Rotterdam über Mailand nach Genua
und damit das Herzstück des EU-Kernnetzkorridors
Rhein-Alpen . Gleichzeitig ist sie Zulaufstrecke zur Neu-
en Eisenbahn-Alpentransversale, kurz NEAT genannt, in
der Schweiz. Wir kommen somit unserer Verpflichtung
nach – das sage ich auch ausdrücklich im Namen der
Bundesregierung –, diese Trasse viergleisig auszubauen,
um damit die Durchgängigkeit herzustellen, auch in un-
sere Nachbarländer hinein .

Ich will als Allererstes allen danken, die an der Erar-
beitung dieser Anträge zum menschen- und umweltge-
rechten Ausbau der Rheintalbahn mitgewirkt haben . Al-
len voran danke ich Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt . Ich denke, ohne seinen Einsatz am Dienstag-
morgen wäre der Knoten nicht durchschlagen worden .
Jetzt ist er durchschlagen, und das haben wir auch ein
Stück weit ihm zu verdanken .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geschwiegen hat er! – Zuruf des Abg . Gustav Herzog [SPD])


Ich will aber auch ausdrücklich den Kolleginnen und
Kollegen Abgeordneten aus der Region danken, die sich
seit Jahren für dieses Projekt eingesetzt haben . Nament-
lich nenne ich Armin Schuster, Peter Weiß und Matern
von Marschall .


(Lachen der Abg . Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Hallo?! Das kann nicht wahr sein!)


– Sicherlich gab es da noch mehr Abgeordnete; deren
Namen sind mir im Moment allerdings nicht so präsent .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Ich will ausdrücklich aber auch Herrn Staatssekretär
Odenwald aus unserem Hause danken, der über lange
Zeit hinweg die Sitzungen des Projektbeirats Rheintal-
bahn moderiert hat, der vor Ort Vertreter des Bundes, des
Landes, der Region, der Deutschen Bahn und der Bürger-
initiativen um sich versammelt und diesen Prozess zu ei-

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


nem glücklichen Ende gebracht hat . So sind die Empfeh-
lungen des Projektbeirates entstanden .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Unser Kollege Vaatz aus Sachsen war auch sehr hilfreich!)


– Selbstverständlich . Es waren noch mehr Kollegen mit
großem Einsatz beteiligt: Uli Lange, Kollege Vaatz, gar
keine Frage, auch Kollegen aus der Koalition .


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Wie peinlich ist das denn?)


Ich erinnere daran, dass wir bereits in der vergan-
genen Legislaturperiode hier im Deutschen Bundestag
Beschlüsse gefasst und einzelne Empfehlungen des Pro-
jektbeirates aufgegriffen haben . Die jetzt vorliegenden
Empfehlungen finden sich in den Anträgen wieder, und
das ist auch gut so . Ich betone ausdrücklich: Es ist schon
außergewöhnlich, dass Empfehlungen eines solchen
Gremiums direkt in die Entscheidungsfindung des Par-
laments einfließen.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber das ist doch schlimm!)


Das ist etwas außergewöhnlich – das sage ich ausdrück-
lich –; denn damit verschwimmt die Trennung zwischen
Exekutive und Legislative .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist Demokratie!)


Darüber müssen wir uns im Klaren sein . Aber das ist im
vorliegenden Fall nicht zum Schaden, sondern sicherlich
zum Vorteil für alle Beteiligten .

Es ist eine Lösung entstanden, die im Interesse der
Bürger entlang dieser Bahnlinie zwischen Karlsruhe und
Basel ist . Ganz offensichtlich sind wir zur Realisierung
von großen Infrastrukturprojekten darauf angewiesen,
eine Akzeptanz der Menschen vor Ort zu erreichen und
sie entsprechend einzubinden . Anders würde es sehr
schwierig, überhaupt noch etwas zu realisieren .

Wir hören ja oft die Forderung, noch mehr Verkehr,
vor allem Schwerlastverkehr, von der Straße auf die
Schiene zu verlagern . Das ist richtig; aber man muss sich
darüber im Klaren sein, dass damit mehr Lärm und die
Anforderung einhergehen, etwas gegen diesen Lärm zu
machen . Das heißt, die Lärmfrage muss gelöst werden .
Deshalb hat für uns, das BMVI, Lärmschutz hohe Pri-
orität . Wir geben erhebliche Summen an Geld aus, um
Lärm zu mindern, insbesondere durch Lärmschutz an
der Quelle, eine Anpassung der rechtlichen Vorschriften
und stationären Lärmschutz . Für diese drei Maßnahmen
stehen wir ein, wobei wir der Auffassung sind, dass die
effizienteste und nachhaltigste Methode, Lärm zu min-
dern, die Minderung des Lärms an der Quelle ist – da-
rauf konzentrieren wir uns insbesondere –, durch leisere
Fahrzeuge . Dafür gilt es, lärmarme Bremstechniken zu
entwickeln und Güterwagen entsprechend umzurüsten .
Wenn es gelingt, die Abrollgeräusche eines Güterwagens
um 10 Dezibel zu reduzieren, dann nimmt der Mensch
das als Reduzierung der Lautstärke um die Hälfte wahr,
und das ist ein wirklich guter Wert . Wir tun alles, um wei-
tere Fortschritte zu erreichen, insbesondere was die Re-

duktion des Lärms an der Quelle anbelangt . Das ist aus
unserer Sicht allemal besser, als in den laufenden Verkehr
einzugreifen . Wer Lärm über Tempolimits oder sonstige
Maßnahmen mindert, der geht im Grunde genommen
den falschen Weg . Wir müssen an der Quelle ansetzen;
denn das ist die nachhaltigste Methode .

Abschließend darf ich nochmals erwähnen, dass wir
einen Zustand erreicht haben, bei dem wir weit über das
gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus Geld in die Hand
nehmen, um die Bürgerinnen und Bürger vor Ort vor
Lärm zu schützen . Für das Rheintal ist es gut, dass es
gelungen ist, so vorzugehen . Das wird in dem einen oder
anderen Fall vielleicht auch andernorts noch gelingen .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815216100

Vielen Dank, Kollege Barthle . – Einen schönen Nach-

mittag von meiner Seite Ihnen! Die nächste Rednerin in
der Debatte: Sabine Leidig für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815216200

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste von der Bürgerinitiative! Man könnte diesen
Tagesordnungspunkt eigentlich mit dem Satz überschrei-
ben: Was lange währt, wird endlich gut, aber nicht gut
genug . – Das muss man ganz deutlich sagen .


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Herr Barthle, was bei Ihnen in der Koalition los ist, ist
eigentlich relativ irrelevant . Entscheidend ist, dass sich
die Leute aus den Bürgerinitiativen am Oberrhein seit
30 Jahren gegen die unsinnigen Pläne der Bahn zur Wehr
setzen, noch mehr Güterzüge durch eine dicht bebaute
Region mitten durch die Ortschaften zu schicken, anstatt
Alternativen zu wählen, die von Anfang an vorgeschla-
gen worden sind:


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Genau, mit dem Esel!)


die Alternative, einen Tunnel durch Offenburg zu bauen,
die Alternative, die Eisenbahn- und die Güterbahntrasse
an die Autobahn zu legen, wo der Lärmschutz für beide
Verkehrswege organisiert werden kann . Das wird jetzt
beschlossen; das ist hervorragend . Aber ich möchte ein-
mal deutlich sagen: Diese Bürgerinitiativen haben lange
dafür gekämpft . 5 000 Leute sind Mitglied in diesem Zu-
sammenschluss . 48 500 Einwendungen sind geschrieben
worden, um auf die Prozesse Einfluss zu nehmen. Die
Bürgerinitiativen haben viel Geld ausgegeben, um Gut-
achten, Lärmmessungen usw . erstellen zu lassen . Es ist
toll, dass es hier gelungen ist . Das hat auch damit zu tun,
dass in Baden eine widerständige Kompetenz und Tradi-
tion vorhanden sind .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Parl. Staatssekretär Norbert Barthle






(A) (C)



(B) (D)


Das hat aber auch damit zu tun, dass die Auseinander-
setzung mit Stuttgart 21 viele zum Nachdenken gebracht
hat .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das waren aber nicht die Baden mit Stuttgart 21!)


Es geht doch darum, dass für alle Bürgerinnen und Bür-
ger dieses Maß an Beteiligung, dieses Reden über Al-
ternativen selbstverständlich wird . Das ist Demokratie,
Herr Barthle, und keine Ausnahmeerscheinung .

Ich möchte noch einmal deutlich sagen, dass wir als
Linke fordern, dass die Vorschläge von betroffenen Bür-
gerinnen und Bürgern in gleicher Weise zurate gezogen
werden wie die Vorschläge der Planer, der Bahn, und es
damit tatsächlich eine echte Bürgerbeteiligung, ein ech-
tes Beraten über Alternativen von Anfang an gibt . Das
haben wir übrigens schon 2010 beantragt .

Sie haben nun in den Antrag, den Sie vorgelegt ha-
ben, um die Vorschläge des Projektbeirates in Gesetzes-
form zu gießen, eine Sache eingefügt, die ich überhaupt
nicht verstehe und der wir widersprechen . Deshalb haben
wir einen Änderungsantrag eingebracht . Sie schreiben
dort, dass der Ausbau der Bestandsstrecken auf 160 bis
250 Kilometer pro Stunde erfolgen soll . Sie wissen wahr-
scheinlich, was das heißt . Wenn ein ICE 250 Kilometer
pro Stunde fahren soll, dann müssen sämtliche Bahnhöfe
umgebaut werden . An diesen Strecken muss also unheim-
lich viel investiert werden, um die Hochgeschwindigkeit
zu realisieren . Die Bahn selber sagt, dass die Züge, wenn
sie statt mit 230 mit 250 Kilometern pro Stunde rasen,
auf dieser Strecke nur 31 Sekunden Zeit einsparen .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Also doch der Esel! Eselkarren!)


Ich bitte Sie: Wenn man geschätzt 300 bis 400 Millio-
nen Euro zusätzlich für einen Zeitgewinn von maximal
31 Sekunden ausgeben will, dann ist da etwas verkehrt .
Wir beantragen also – das sagen übrigens auch die Bür-
gerinitiativen –, dass 230 Stundenkilometer genug sind .
Damit ist die Bahn schnell genug, und damit könnte man
viel Geld sparen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte einen weiteren Punkt anführen . Es ist gut,
dass jetzt am Oberrhein und am Hochrhein vernünftige
Lösungen gefunden und durchgesetzt worden sind . Aber
es ist nicht gut, dass überall anders im Land – nicht nur
am Mittelrhein, in Rheinland-Pfalz, in Hessen, sondern
auch an der Elbe, im Kinzigtal und überall dort, wo im-
mer mehr und immer schwerere und längere Güterzüge
durch die Ortschaften fahren – ganz andere Maßstäbe an-
gelegt werden. Ich finde, es ist die Verantwortung dieser
Bundesregierung, mit vernünftigen Lärmschutzmaßnah-
men, mit alternativen Trassenführungen für den Schutz
der Anwohnerinnen und Anwohner zu sorgen, auch wenn
es mehr Geld kostet . Das ist das Recht der Bürgerinnen
und Bürger, auch dort, wo es keine finanzstarken und
durchsetzungsstarken Bürgerinitiativen gibt, weil es zum
Beispiel viele kleine Ortschaften sind, die sich schwer
vernetzen können .

In diesem Sinne haben wir in den letzten Jahren be-
reits mehrfach beantragt, dass der Lärmschutz verbes-
sert wird, und zwar überall, entlang der Schiene und der
Straße, und dass es eine Selbstverständlichkeit sein muss,
dass die gesundheitliche Unversehrtheit der Bürgerinnen
und Bürger im Mittelpunkt steht und nicht die Kostener-
sparnis für den einen oder anderen Verkehrsweg .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der CDU/CSU: Stimmen Sie zu oder nicht!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815216300

Vielen Dank, Kollegin Leidig . – Wir haben ein klei-

nes Problem mit der Uhr; deshalb war es hier so unruhig .
Wenn die bei Ihnen nicht rückwärtszählt, dann heißt das
nicht, dass Sie unbegrenzt reden dürfen .


(Heiterkeit)


Ich würde Sie bitten, darauf zu achten . Wir arbeiten
jetzt mit den traditionellen Weckern und hoffen, dass das
klappt . – Also, liebe Annette Sawade, Sie haben vier Mi-
nuten . Schauen wir mal, wie Sie das hinkriegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Annette Sawade (SPD):
Rede ID: ID1815216400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen
aus dem südbadischen Raum der SPD-Fraktion, Elvira
Drobinski-Weiß, Johannes Fechner und unsere Staatsse-
kretärin Rita Schwarzelühr-Sutter,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


ich danke ganz herzlich, dass Sie alle mitgemacht haben,
dass ihr alle mitgemacht habt und dass wir dieses Projekt
nach vorn gebracht haben . Danken möchte ich an dieser
Stelle natürlich auch unserer Sprecherin der AG Verkehr,
Kirsten Lühmann, die sich heftigst dafür eingesetzt hat,
dass wir zu diesem Ergebnis gekommen sind .


(Beifall bei der SPD – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Frau Hagedorn haben Sie vergessen! – Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Trittbrettfahrer!)


– Frau Hagedorn wird erwähnt; sie wird nachher auch
noch reden, keine Sorge .

Liebes Publikum auf der Tribüne, liebe IG BOHR, lie-
be andere Mitstreiter für dieses große Projekt, eine kleine
Frage an Sie alle: Kennen Sie das Märchen vom Frosch-
könig oder vom eisernen Heinrich?


(Zurufe von der SPD: Ja!)


Dem eisernen Heinrich sind nämlich vor Freude über
die Rückwandlung seines Chefs in einen Menschen die
eisernen Bänder um sein Herz mit lautem Knall gesprun-
gen . Ich glaube, uns allen ging es ein wenig so, als end-
lich diese beiden Anträge vor uns lagen, sodass wir heute
darüber beschließen können .

Sabine Leidig






(A) (C)



(B) (D)


Aber zurück zur Realität; denn zum Glück befinden
wir uns nicht im Märchenland, sondern in der Realität der
Umsetzung eines wichtigen Verkehrsprojektes . Im letzten
Jahr stand ich mit meinem Kollegen Johannes Fechner in
Herbolzheim. Für die geografisch in Baden-Württemberg
nicht so ganz Fitten: Das ist ein schönes Städtchen an der
Rheintalbahnstrecke im südlichen, badischen Teil von
Baden-Württemberg . Ich stand aber nicht nur einfach
da, sondern ganz hoch oben auf einer Feuerwehrleiter .
Diesen technischen Aufwand haben der Bürgermeister
und die Anwohner extra für mich inszeniert, weil sie mir
zeigen wollten, wie hoch die Lärmschutzwände für einen
absoluten Lärmschutz sein müssten, wenn die Gleise 3
und 4 der Rheintalbahn für den Güterverkehr gebaut wer-
den . Deshalb freue ich mich umso mehr, dass ich heute
hier vor Ihnen allen stehe und nicht auf einer Feuerwehr-
leiter und zu diesem wichtigen Projekt reden darf .

Wir halten ein Ergebnis in den Händen, an dem sehr
viele beteiligt waren . Bei diesen vielen möchte ich mich
ausdrücklich bedanken; denn ohne sie, ohne die Bürger-
initiativen und ohne die zahlreichen Gespräche – hier
schließe ich meine Kollegen in den einzelnen Fraktionen
mit ein –, ohne zahlreiche Kompromisse, Verhandlungen
und Schulterschlüsse wären der Beschluss des Projekt-
beirates und in Folge diese Anträge nicht zustande ge-
kommen .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie wieder die Frau Hagedorn vergessen!)


– Herr Strobl, dass das klar ist: Das geht alles zulasten
meiner Redezeit .

Es geht beim Ausbau der Rheintalbahn natürlich um
viel Geld; aber es geht noch um etwas ganz Entscheiden-
des: Es geht darum, dass wir jetzt und in Zukunft eine
neue Nachhaltigkeit in der Verkehrspolitik wollen . Ich
spreche als Verkehrspolitikerin zu Ihnen, und ich habe
sehr konkrete Vorstellungen von nachhaltiger Politik im
Verkehrsbereich . Ich meine damit: im Prozess mehr Bür-
gerbeteiligung in betroffenen Regionen und im Ergebnis
dadurch mehr Schutz für Mensch und Umwelt .

Ein Kernanliegen der Politik – von uns im Koalitions-
vertrag auch so beschlossen – ist: Ja, wir wollen mehr
Güter und Verkehr auf die Schiene bekommen . Und wer
würde sich einem Lärmschutz, der diesen Namen auch
verdient, entgegenstellen? Genau an diesem Punkt, liebe
Kolleginnen und Kollegen, müssen wir das Paradoxon
auflösen. Mehr Züge machen mehr Lärm. Also brauchen
wir auch mehr Lärmschutz .


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen nicht, dass wichtige Verkehrsprojekte ohne
Rückhalt und Akzeptanz aus der Bevölkerung umgesetzt
werden .

Beim Ausbau der Rheintalbahn, um den es im ersten
Antrag geht, sollen die Anwohnerinnen und Anwohner
Lärmschutz über das gesetzliche Maß hinaus erhalten .
Das heißt im Klartext: nicht nur Lärmschutz, wie ge-
setzlich vorgeschrieben, sondern darüber hinaus . Wir
stellen in diesem Fall die haushaltsrechtlichen Vorgaben
zur Wirtschaftlichkeit, wie es auf Amtsdeutsch so schön

heißt, zurück . Das grün-rote Kabinett und der Landtag
von Baden-Württemberg haben bereits am 1 . Dezember
den Landesbeitrag für die erhöhten Lärmschutzkosten in
Höhe von circa 280 Millionen Euro beschlossen .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf Grundlage eines fraktionsübergreifenden Antrags! Das muss man dazusagen!)


Nun stehen wir als Bund in der Pflicht.

Es ist festzuhalten: Die Rheintalbahnstrecke gehört zu
den transeuropäischen Netzen, den TEN . Deutschland ist
wirtschaftlich stark – der Wirtschaftsminister hat es heute
Morgen in seiner Rede betont –, und es ist ein Transit-
land: sechs Korridore von insgesamt neun TEN-Strecken
durchkreuzen unser Land . Es muss doch in unser aller
Interesse sein, diese Strecken einerseits auszubauen, an-
dererseits aber die unmittelbar Betroffenen nicht mit dem
verstärkten Verkehrslärm alleinzulassen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815216500

Denken Sie an die Redezeit? Sie ist schon deutlich

überschritten .


Annette Sawade (SPD):
Rede ID: ID1815216600

Ja, ich bin gleich fertig .

Wir dürfen gerade in der Verkehrspolitik das große
Ganze nicht aus den Augen verlieren . Es geht hier nicht
um einzelne autarke Baustellen und Projekte . Nein, wir
brauchen ein funktionierendes Netz, und dafür brauchen
wir ein Gesamtkonzept und vorausschauendes Denken .

Zum Schluss möchte ich die Worte der IG BOHR aus
dem Jahr 2008 aufgreifen – ich zitiere –:

An ALLE, die sich angesprochen fühlen, geht dafür

– für diese Zusammenarbeit –

ein herzliches Dankeschön! Dank für Ihre Geduld
und den Zeitaufwand, Dank für Ihre Offenheit und
Ihr Vertrauen . Und als Fortsetzung wünschen wir
uns: Mögen Sie uns bis zu einem erfolgreichen Ab-
schluss in Berlin begleiten!

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitstreite-
rinnen und Mitstreiter, es sind Jahre vergangen; aber wir
haben es geschafft . Nun schließen wir erfolgreich ab und
unterstützen eine rasche Umsetzung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815216700

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Nächster Redner ist

Matthias Gastel für Bündnis 90/Die Grünen .


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815216800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Sehr gerne hätte ich schon einige Monate früher hier ge-
standen und über den Ausbau der Rheintalbahn und ei-

Annette Sawade






(A) (C)



(B) (D)


nen besseren Lärmschutz gesprochen . Sehr gerne hätte
ich hier zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von
CDU/CSU, SPD und Linken einen gemeinsamen Antrag
zu diesem Thema vorgestellt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Leider sieht die Wirklichkeit anders aus . Unsere Bemü-
hungen um einen gemeinsamen Antrag wurden von der
CDU/CSU abgeblockt .


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Stattdessen haben sich Union und SPD viel zu lange um
einen Koalitionsantrag gestritten .

Baden-Württemberg kann hier als Vorbild dienen . Der
Landtag hat schnell seine Beschlüsse gefasst, und das auf
Grundlage eines fraktionsübergreifenden Antrages . Re-
gieren ist eben eine Stilfrage .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Landtag von Baden-Württemberg hat dies im Geis-
te des Projektbeirates getan . Auch dort wurde an einem
Strang gezogen . Auch dort wurde gemeinsam nach Lö-
sungen gesucht, und es wurden gemeinsame Empfehlun-
gen ausgesprochen .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da gibt es halt auch eine vernünftige Opposition im Landtag!)


Für diese hervorragende, konstruktive Arbeit des Pro-
jektbeirates und das große Engagement von Bürgerinnen
und Bürgern sagen wir ein herzliches Dankeschön . Wir
drücken ihnen allen unseren Respekt für die geleistete
konstruktive Arbeit aus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE])


Nun liegen im Bundestag zwei Anträge zur Rheintal-
bahn vor, einer von uns Grünen und einer von den Re-
gierungsfraktionen . Beide Anträge sind nahezu inhalts-
gleich . Wir werden beiden Anträgen zustimmen;


(Beifall der Abg . Katja Mast [SPD])


denn es geht um die Sache und nicht um parteipolitische
Spielchen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auf zwei Unterschiede muss ich aber hinweisen . Im
Antrag von uns Grünen wird gefordert, dass Öffentlich-
keit und Kommunen auch im weiteren Planungsverlauf
eng eingebunden werden . Der Geist des Miteinanders,
der Offenheit und der Transparenz muss die weiteren
Prozesse begleiten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Antrag von Union und SPD wird festgeschrieben,
dass die Bestandsstrecke zwischen Offenburg und Riegel
auf Tempo 250 ausgebaut werden soll . Wir halten dies
für voreilig; denn Hochgeschwindigkeit ist kein Wert an
sich . Wir brauchen in Deutschland verlässliche Reiseket-
ten . Dafür steht der Deutschland-Takt . Die Infrastruk-

tur ist daran anzupassen . Dafür braucht es langfristige
Fahrplanberechnungen . Erst dann wissen wir, welche
Strecken auf welche Geschwindigkeit ausgebaut werden
müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Rheintalbahn ist von herausragender Bedeutung
für den Personen- und den Güterverkehr . Sie stellt schon
heute einen Engpass dar . Wir als Grüne wollen aus Um-
weltgründen höhere Verkehrsanteile für die Schiene .
Dazu brauchen wir den Ausbau . Daher gilt es, nun keine
weitere Zeit zu verlieren . Wir wollen auch kein weiteres
Geld für unsinnige Planungen verlieren . 55 Millionen
Euro an Planungskosten wurden bereits vergeudet . An
den Mehrkosten für den zusätzlichen Lärmschutz betei-
ligt sich Baden-Württemberg freiwillig .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Regierung!)


Das darf nicht zum Standard werden; denn Länder-
haushalte sind nicht dafür gemacht, Bundesaufgaben
zu übernehmen . Wie viel Lärmschutz für die Menschen
umgesetzt wird, darf nicht von der Finanzkraft einzelner
Bundesländer abhängen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier muss der Bund seiner Verantwortung für die Men-
schen in allen besonders betroffenen Regionen gerecht
werden . Nicht alle Wünsche aus den Regionen entlang
der Rheintalstrecke können erfüllt werden; aber die Men-
schen in allen betroffenen Regionen werden von verbes-
serten Planungen profitieren.

Wir Grünen wollen mehr Verkehr auf der Schiene .
Dazu braucht es Akzeptanz, und für Akzeptanz braucht
es mehr Anstrengungen in Sachen Lärmschutz; denn
Lärmschutz ist auch Gesundheitsschutz, und zwar nicht
nur entlang der Rheintalbahn, sondern auch andernorts .
Daher unterstützen wir Grünen den zweiten heute zur
Abstimmung vorgelegten Antrag der Koalition . Damit
soll der Lärmschutz an europäischen Güterverkehrskor-
ridoren verbessert werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Bettina Hagedorn [SPD])


Mehr Geld für den Lärmschutz darf aber nicht dazu füh-
ren, dass weniger Geld für den Ausbau der Schienenwe-
ge übrigbleibt . Deswegen haben wir einen Änderungsan-
trag gestellt .

Mein Fazit: Es hat lange gedauert, und ich bedaure,
dass kein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen im Bun-
destag zustande gekommen ist . In der Sache sind wir uns
aber weitgehend einig: Die Weichen werden in Richtung
mehr Verkehr auf der Schiene gestellt, und in Lärm-
schutzbelangen kommen wir den Menschen im Rheintal,
aber auch im Rest der Republik deutlich entgegen . Das
ist praktizierter Gesundheitsschutz . Mehr Bahn, weniger
Lärm – das setzen wir heute aufs Gleis .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Matthias Gastel






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815216900

Vielen Dank, Matthias Gastel . – Der nächste Redner in

der Debatte: Steffen Bilger für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1815217000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

der Tat: Endlich ist es so weit . Mich selbst beschäftigt
das Thema Rheintalbahn seit meiner Wahl in den Bun-
destag im Jahr 2009 . Was war seitdem? Wir haben in der
vergangenen Legislaturperiode bereits zwei Beschlüsse
zur Rheintalbahn im Bundestag gefasst . Ich blicke zu-
rück auf zahlreiche Besuche vor Ort mit meinen Bun-
destagskollegen Armin Schuster und Peter Weiß, die sich
wirklich unermüdlich für die Anliegen der Bürger ihrer
Wahlkreise eingesetzt haben . Ich blicke zurück auf viele
Gespräche mit Kommunalpolitikern und den Bürgeri-
nitiativen . Es wurde gerade schon gesagt: Wir konnten
nicht alle Wünsche erfüllen . Aber ich glaube, insgesamt
konnten wir doch ein gutes Ergebnis erzielen . Auch von
mir gilt: Herzlich willkommen; ich freue mich auf den
Empfang der Bürgerinitiativen nachher .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Uhr funktioniert wieder . Sie zeigt seit einer Mi-
nute an, dass ich noch sechs Minuten Redezeit habe . Das
kann ich nur begrüßen .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ausnutzen! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll heißen, Sie haben sechs Minuten überzogen!)


Ende Dezember war in der Welt von der Rheintalbahn
zu lesen . Die Rheintalbahn wurde erstaunlicherwei-
se in einem Artikel mit der Überschrift „Das waren die
dümmsten und teuersten Gesetze 2015“ unter „skurrile
Verordnungen“ erwähnt . Ich war schon sehr überrascht,
ausgerechnet unter solchen Schlagzeilen von der Rhein-
talbahn zu lesen . Der einzige korrekte Satz zur Rhein-
talbahn lautete: „Es war die CDU, die die Rheintalbahn
unbedingt wollte .“ – Das stimmt nun wirklich .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für ein Blödsinn!)


Aber keine Sorge: Ich will gerne zugeben, dass sich auch
die anderen Fraktionen dafür eingesetzt haben .


(Lachen bei der SPD – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so peinlich! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie machen weiter mit parteipolitischen Spielchen! Wie von Anfang an!)


Ansonsten waren in dem Artikel die üblichen Miss-
verständnisse enthalten . Die Gespräche im Projektbeirat
wurden zu Absprachen im Hinterzimmer, und Kostenex-
plosionen wurden heraufbeschworen . – Lassen Sie mich
weitere Fehlinterpretationen der vergangenen Woche er-
gänzen: mangelnde Transparenz im parlamentarischen
Verfahren, obwohl wir bereits seit 2009 im Bundestag,

insbesondere im Verkehrs- und im Haushaltsausschuss
immer wieder über die Rheintalbahn und die Initiativen
aus dem Projektbeirat diskutiert haben, oder auch, es
handele sich um ein teures Geschenk für den Wahlkreis
Schäuble . Das alles ist falsch . Es zeigt aber, dass wir im-
mer wieder erklären müssen, weshalb unsere heutigen
Beschlüsse berechtigt, sinnvoll und notwendig sind .

Zurück ins Jahr 2009, als der Projektbeirat eingerichtet
wurde . Warum wurde damals ein anderer Weg gewählt?
Wir mussten erkennen, dass der bisherige Weg der Bür-
gerbeteiligung bei solchen Großprojekten nicht mehr
passend war . Es sollte in Baden-Württemberg eben nicht
noch einmal so schwierig werden wie bei Stuttgart 21 .
Aus Fehlern bei diesem Projekt wurden Lehren gezogen,
die sich nun bei der Rheintalbahn ausgezahlt haben .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stuttgart 21 ist ein gutes Beispiel, wie man es nicht macht! Das stimmt!)


Es gibt viele Bürger, die sich mit Sachverstand einbrin-
gen, berechtigterweise auf Probleme hinweisen und ge-
meinsam mit ihren kommunalen Vertretern den Dialog
suchen . Nicht zuletzt müssen wir die durch mehr Ver-
kehr zunehmenden Belastungen so gut wie möglich in
Grenzen halten . Deswegen war es konsequent, dass wir
bereits in der vergangenen Wahlperiode den Schienenbo-
nus, also das Privileg des Schienenverkehrs – ihm wurde
mehr Lärm zugestanden –, abgeschafft haben . Ich glau-
be, das ist ein Erfolg, auf den man immer wieder hinwei-
sen kann; denn das ist im Sinne der betroffenen Bürger .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Für die Einzigartigkeit der Rheintalbahn gibt es vie-
le Gründe: Sie ist national wie international notwendig .
Sie fungiert als Zubringer für den Gotthard-Basistunnel,
und wir haben Verpflichtungen gegenüber der Schweiz.
Auf die Auslastung dieser Strecke wurde schon hinge-
wiesen – ich will sie trotzdem noch einmal ansprechen –:
2025 erwarten wir 335 Güterzüge pro Tag; das sind um-
gerechnet 14 Züge pro Stunde . Das ist eine wirklich ge-
waltige Dimension .

Bereits unter der CDU-geführten Landesregierung hat
sich Baden-Württemberg entschlossen, mögliche Mehr-
kosten für den zusätzlichen Lärmschutz anteilig zu über-
nehmen . Auch deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir
nun beschließen, einen Teil der Mehrkosten für die Be-
schlüsse des Projektbeirats zu übernehmen . Der Offen-
burger Tunnel wird uns finanziell einiges abverlangen;
aber es gibt keine andere realistische und rechtssichere
Variante . Daher stehen wir auch zu diesem Großprojekt .

Es geht um viel Geld; das wissen wir alle . Ich möchte
die Kollegen aus den anderen Bundesländern aber beru-
higen: Der Ausbau der Rheintalbahn ist für den Steuer-
zahler angesichts des enormen Güterverkehrs, der dort
jetzt und in Zukunft verkehrt, ein gutes Geschäft; wie be-
reits erwähnt, mindert die Beteiligung des Landes an den
Mehrkosten für zusätzlichen Lärmschutz die Belastung
für den Bundeshaushalt . – Wenn Sie heute zustimmen,
tun Sie also genau das Richtige .

Bedanken möchte ich mich für die Geduld der An-
wohner und der Bürgerinitiativen . Zugegeben, vom Pro-






(A) (C)



(B) (D)


jektbeiratsbeschluss im Juni 2015 bis jetzt hat es etwas
gedauert; aber nun haben wir alle Klarheit darüber, dass
der Kompromiss tatsächlich umgesetzt wird . Ich will
auch sagen, dass es durchaus wohltuend war, im Dezem-
ber die eine oder andere E-Mail bekommen zu haben, in
der BI-Vertreter geschrieben haben, dass sie wegen der
zeitlichen Verzögerung zwar in Sorge sind, aber um un-
ser Bemühen wissen . Andere haben kräftig auf die Pauke
gehauen, was in einer so schwierigen Situation wie der,
die wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, nicht
hilfreich und auch nicht erfreulich war .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)


Genauso wenig erfreulich waren die Störmanöver der
Grünen, insbesondere in Form der Pressearbeit zur Frage
eines gemeinsamen Antrags .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Lieber Herr Gastel, drei Mails in sechs Tagen – die letzte
enthielt bereits die Androhung öffentlicher Anprange-
rungen, wenn es nicht zu einem gemeinsamen Antrag
kommt – waren keine gute Grundlage für Ihr Anliegen,


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten vorher auch persönlich geredet, und Sie hatten mir eine Rückmeldung zugesichert! Die habe ich nie bekommen!)


und das alles in einer Zeit, als wir noch viel Grundsätzli-
ches zu klären hatten .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Jetzt weine ich aber gleich!)


Wie auch immer: Heute freuen wir uns alle über den
gemeinsamen Erfolg . Vielen Dank noch einmal an alle
Beteiligten, die sich an den verschiedensten Stellen für
die Rheintalbahn eingesetzt haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815217100

Vielen Dank, Herr Kollege Bilger . Auch danke dafür,

dass Sie sich an die Redezeit gehalten haben! Nach un-
serer Uhr hätten Sie nämlich noch lange Zeit gehabt . Die
anderen mögen sich bitte ein Beispiel daran nehmen . –
Nächste Rednerin: Bettina Hagedorn für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Bettina Hagedorn (SPD):
Rede ID: ID1815217200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer aus Baden-Württem-
berg! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen:

Die versprochene Umsetzung der Projektbeirats-
forderungen zur Rheintalbahn stand zu keinem
Zeitpunkt zur Diskussion . Die Große Koalition hat
während des gesamten Verfahrens klar die Umset-
zung der betreffenden Kernforderungen zugesagt .
Damit gewährleisten wir den Schutz der Menschen
im Rheintal vor dem kommenden Schienenlärm .

Dieses Zitat stammt aus einer gemeinsamen Presseer-
klärung meines CDU-Kollegen Norbert Brackmann
aus dem Haushaltsausschuss und mir vom 8 . Dezember
2015 . Damals haben wir über die beiden Anträge, über
die wir heute abstimmen, in der Großen Koalition Einig-
keit erzielt . Die SPD-Fraktion hat diese beiden Anträge
schon am 15 . Dezember 2015 einstimmig befürwortet .
Nachdem die Union das jetzt am Dienstag auch getan hat,
können wir heute darüber abstimmen . Das ist wunderbar .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die größte Bremserin!)


Diese beiden Anträge sind bemerkenswert . Ich möch-
te jetzt einmal, auch aus Respekt vor Ihrem Handeln, das
Augenmerk auf den zweiten Antrag zu den Güterschwer-
verkehrstrassen in ganz Deutschland lenken . Ich bin jetzt
seit fast 14 Jahren in diesem Hause . Es ist das allererste
Mal, dass dieser Bundestag eine parlamentarische Ini-
tiative von solch einer Dimension unternimmt . Denn
es werden nicht nur 1,5 Milliarden Euro zugunsten der
Rheintalbahn, sondern mit dem zweiten Antrag werden
perspektivisch für die nächsten 15 Jahre


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Irgendwie freut sie sich nicht richtig!)


auch Milliarden für andere Güterschwerverkehrstrassen
in Deutschland zur Verfügung gestellt: vielleicht für die
Betuwe-Bahn in Nordrhein-Westfalen, für die Y-Trasse
in Niedersachsen, für die Hinterlandanbindung der Feh-
marnbeltquerung oder andere . Unsere Große Koaliti-
on tut dies, und zwar die Abgeordneten, lieber Norbert
Barthle, und nicht das Verkehrsministerium und auch
nicht das Finanzministerium .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Manche machen und manche weniger!)


Beide Ministerien waren von diesem Antrag nicht sehr
begeistert . Wir Abgeordneten setzen uns aber durch . Wir
tun das auf Ihre Initiative hin .

Wir nehmen das, was heute für das Rheintal be-
schlossen wird, als Blaupause . Wir als Abgeordnete
des Bundestages wollen, dass bundesweit auch andere
Menschen, die ebenfalls an Güterschwerverkehrstrassen
wohnen, nach diesem Vorbild – natürlich mit Beteiligung
der dortigen Länder – künftig mehr Lärmschutz über das
gesetzliche Maß hinaus erreichen können . Damit, liebe
Kollegin Leidig von den Linken, tun wir genau das, von
dem Sie vorhin gesagt haben, dass wir es angeblich nicht
tun .


(Zuruf der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE])


Wir nutzen den Antrag zur Rheintalbahn, um bun-
desweite Standards an Güterschwerverkehrstrassen zu
schaffen. Überall da, wo EU-Fördermittel fließen, wollen
wir sie für übergesetzliche Maßnahmen zugunsten der
Menschen einsetzen. Ich finde, das ist etwas, auf das das

Steffen Bilger






(A) (C)



(B) (D)


Parlament insgesamt richtig stolz sein kann . Das haben
wir gut gemacht .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815217300

Vielen Dank, Bettina Hagedorn . – Nächster Redner:

Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1815217400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ja, es ist geschafft mit der Rheintalbahn, und auch die
Uhr am Rednerpult läuft wieder . Es war – ich sage das
ganz offen – ein Schauspiel der ganz eigenen Art, lie-
be Kollegin Hagedorn, das jetzt gerade wieder eine un-
rühmliche Fortsetzung gefunden hat . Zu dieser Art der
Legendenbildung muss ich durchaus noch zwei, drei Sät-
ze sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


Eines ist klar: Die Rheintalbahn hat nicht nur den
Menschen, sondern auch den Politikern den einen oder
anderen Nerv gekostet . Ich sage vor allem mit Blick auf
die Menschen: Heute ist ein guter Tag . Denn wir haben
uns, liebe Kollegin Hagedorn – Ihrer Legendenbildung
muss ich vorbeugen –, in der Fortsetzung unserer Be-
schlüsse der letzten Wahlperiode zunächst mit einem
ganz konkreten Antrag zur Rheintalbahn befasst .


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau!)


Sie, die Sie bei anderen Projekten eher ein wandelnder
Bundesrechnungshof der Wirtschaftlichkeit sind,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


wollen jetzt gerade in dem Teil die große Kämpferin
gewesen sein . Nein, Sie waren Trittbrettfahrerin, und es
war eine Tortur .


(Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Rheinland-Pfalz! Bremserin! Der Rheintalbahnbremsklotz! – Abg . Bettina Hagedorn [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich lasse keine Zwischenfrage zu . Sie können nach
meiner Rede eine Anmerkung machen .

Hauptsache ist: Lärmschutz an der Rheintalbahn
kommt . Ich danke dem Projektbeirat . Ich danke ganz we-
sentlich Staatssekretär Odenwald . Ich danke, lieber Peter
Weiß, auch dir .


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Ich gebe offen zu: Es hat manchmal genervt, wenn ich
wieder eine SMS oder einen Anruf bekommen habe: Wir
müssen es doch noch einmal versuchen . – Aber so er-
reicht man in all diesen Fällen etwas .

Danke schön auch dafür, dass man mir das Rheintal
gezeigt hat, lieber Armin Schuster und lieber Peter Weiß,
wo ich hätte reden sollen, und zwar direkt an den Glei-
sen . Das war natürlich auch so eine Aktion: Wie über-

zeugt man einen Politiker, dass er reden soll? Man stellt
Bierbänke an ein Gleis, wo er nicht zum Reden kommt,
weil dort so viel Verkehr ist .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lieber Peter Bleser, ich habe dir gerade versprochen: Wir
werden für den Mittelrhein einmal den gleichen Versuch
machen . Dann werden wir sehen, ob wir auch hier wei-
terkommen .

Eines erreichen wir mit unserem zweiten Antrag sehr
wohl: Wir eröffnen eine echte Chance für vergleichbar
belastete Strecken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich sage ganz offen: Besonderer Lärmschutz für ver-
gleichbar belastete Strecken, das ist Lärmschutz über das
gesetzliche Maß hinaus; das wissen wir .


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Aber ich sage in aller Deutlichkeit auch: Es gilt zunächst
das Gesetz, und es gilt der Schienenbonus . Das ist auch
eine Frage der Gerechtigkeit . Wir müssen abwägen, wo
es ganz besondere Gründe gibt, über das Gesetz hinaus-
zugehen, und wo wir an unseren derzeit schon hohen
Standards festhalten können und müssen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt schon ein
paar Parameter, die wir in den zweiten Antrag aufgenom-
men haben: Beteiligung der Länder, verfügbare Haus-
haltsmittel und eine wirklich ganz besondere Situation
im Hinblick auf die Belastung der Bürgerinnen und Bür-
ger . In diesen Fällen wollen wir zusätzlichen Lärmschutz
garantieren . Aber ich sage auch ganz offen: Vor dem Ge-
setz sind erst einmal alle gleich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lärmschutz ist für unsere Koalition ein wichtiges
Thema . Wir wollen den Schienenlärm bis 2020 halbie-
ren . Unterstützen wir unseren Minister in Brüssel! Da
sieht man das nämlich noch nicht ganz so .

Viel investiert haben wir in die Umrüstung von alten
Güterwagen durch Anwendung von innovativer Technik
und hohen Standards, die wir in den letzten Jahren ge-
schaffen haben . Es geht uns um den Schienengüterverkehr
und darum, mehr Güter auf die Schiene zu bekommen .
Wir alle wissen – das sagt an diesem Pult hier jeder –:
Akzeptanz für den Schienengüterverkehr bekommen wir
nur dann, wenn wir die Probleme des Lärmschutzes im
Sinne der betroffenen Menschen lösen . Deshalb – da bin
ich wieder bei Ihnen, liebe Kollegin Hagedorn –


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Wie toll! – Annette Sawade [SPD], an die Abg . Bettina Hagedorn [SPD] gewandt: Na, da hast du ja noch mal Glück gehabt!)


ist heute ein guter Tag: für das Rheintal, aber auch für
die Bürgerinnen und Bürger, die in besonderem Maße
von unserem Vorhaben, mehr Verkehr auf die Schiene zu
verlagern, betroffen sind und vom dadurch entstehenden
Lärm geplagt werden . Sie bekommen heute die Chance
auf mehr Schutz . „Rheintalbahn und Lärmschutz“, das ist
die wichtige Botschaft des heutigen Tages .

Bettina Hagedorn






(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815217500

Vielen Dank, Kollege Lange . – Das Wort zu einer

Kurzintervention hat die Kollegin Bettina Hagedorn .


Bettina Hagedorn (SPD):
Rede ID: ID1815217600

Herr Kollege Lange, ich werde nachher im Protokoll

nachlesen, wie Sie mich gerade eben genau tituliert ha-
ben; vielleicht wäre das auch eine Rüge wert gewesen .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wie bitte? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Ui, ui, ui!)


In jedem Fall war das ein persönlicher Angriff . Sie haben
mich der Legendenbildung bezichtigt . Das weise ich ent-
schieden von mir. Ich finde, das ist kein guter Umgang in
einer Koalition und kein guter Umgang in einem Parla-
ment . Das gilt erst recht angesichts der Wichtigkeit des
Themas, die ich beschworen habe . Heute sollte eigentlich
ein Freudentag für das ganze Parlament sein . Dies durch
solch nickelige parteipolitische Spielchen zu beflecken –
so will ich es einmal nennen –, finde ich einfach unge-
hörig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE])


Nun zur Sache . Da Sie gemeint haben, ich würde Le-
gendenbildung betreiben: Ich habe aus einer Presseer-
klärung des von mir sehr geschätzten CDU-Kollegen
Norbert Brackmann zitiert . Wir beide sind die jeweili-
gen Sprecher für Verkehr unserer Fraktionen im Haus-
haltsausschuss . Unsere Fraktionen haben uns beauftragt,
diese beiden Anträge zu einen . Das ist uns Anfang De-
zember erfolgreich gelungen . Wir haben sogar eine ge-
meinsame Presseerklärung herausgegeben, aus der ich
vorgelesen habe . Was soll daran Legendenbildung sein?
Ich bitte Sie!

Wir besprechen heute zwei Anträge . Sie haben für alle
nachvollziehbar noch einmal deutlich gemacht, dass Sie
zwar den Antrag zur Rheintalbahn gut finden, den ande-
ren aber nicht ganz so intensiv lieben .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das Umgekehrte gilt für Sie!)


Herr Kollege Gastel, deshalb ist klar, weshalb Sie so vie-
le Monate lang auf die heutige Beschlussfassung warten
mussten . Das beruht nämlich auf der Tatsache, dass wir
Sozialdemokraten nicht nur einen Antrag, sondern bei-
de Anträge beschließen wollten . Das war ein bisschen
schwierig .

Der zweite Antrag „Menschen- und umweltgerechte
Realisierung europäischer Schienennetze“ ist im Oktober
auf meinem heimischen PC entstanden . Deshalb will ich
hier deutlich sagen: Ich betreibe keine Legendenbildung;
das ist für jedermann klar zu erkennen .

Herr Lange, ich finde, dass wir lieber stolz darauf sein
sollten, dass wir diese Anträge jetzt gemeinsam beschlie-

ßen . Denn diese sind für die Menschen in Deutschland,
die von Lärm geplagt sind, von großer Bedeutung .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815217700

Herr Lange, wenn Sie mögen, können sie darauf er-

widern .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser wäre, nicht zu antworten!)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1815217800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich will jetzt nicht mehr auf alles eingehen und auch
nicht auf die ganze Historie, liebe Kollegin Hagedorn .
Damit Sie aber eine Begründung für den von mir ver-
wendeten Begriff der Legendenbildung haben: Es war
doch so, dass einige versucht haben – und deswegen sage
ich: Trittbrettfahrer –, ganz konkrete Projekte im zweiten
Antrag zu benennen . Es waren ganz wesentlich Norbert
Brackmann, die Kollegin Lühmann und ich, die versucht
haben, das Ganze auf ein Maß zu bringen, sodass sich
jeder darin wiederfinden kann.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Eben!)


Dort drüben sehe ich den Kollegen Peter Bleser, der
genauso Fragestellungen dazu hat . Da sehe ich die Kolle-
gin Ludwig aus dem Inntal, die zum Brennerzulauf genau
die gleichen Fragestellungen hat . Darüber hinaus sehe
ich den Kollegen Sendker und den Kollegen Wichtel, die
in Nordrhein-Westfalen und in Hessen ebenfalls solche
Fragestellungen haben .

Insofern fanden wir es nicht in Ordnung – das sage
ich Ihnen ganz offen –, einzelne Strecken aufzulisten und
andere nicht . Genau darum ging es . Außerdem ging es
darum, eine Vergleichbarkeit zu schaffen .


(Gustav Herzog [SPD]: Das haben Sie falsch verstanden!)


Dies haben wir gemacht . Der Antrag zur Rheintalbahn
war am 30 . September fertig, und Ihr Zitat, liebe Kol-
legin Hagedorn, stammte vom 8 . Dezember . Insofern
haben Sie – und niemand anders – uns zunächst in die
Schleife geschickt .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815217900

Den Abschluss in dieser lebendigen Debatte bildet

Dr . Johannes Fechner von der SPD .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1815218000

In dieser Jahreszeit ist man geneigt, eine Rede mit

„Liebe Närrinnen und Narren!“ zu beginnen .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist aber ein ernstes Thema .

Ulrich Lange






(A) (C)



(B) (D)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ganz besonders begrüße ich auch die Gäste aus Südba-
den auf der Tribüne . Was wir heute beschließen, ist eine
historische Entscheidung für Südbaden . Das verdanken
wir den Bürgerinitiativen und den engagierten Kommu-
nalpolitikern vor Ort, die seit Jahrzehnten dafür gekämpft
haben, dass wir diesen Lärmschutz endlich bekommen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE] und Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Machen Sie keine parteipolitische Nummer daraus . Es
waren die Bürgerinitiativen und die Kommunalpolitiker,
die das durchgesetzt haben .

Mit unserem heutigen Beschluss geht das klare Sig-
nal an die Bahn für eine neue Bahnplanung . Ich freue
mich, dass die Bahn auch schon signalisiert hat, die neu-
en Planungen aufzunehmen . Deswegen bedeutet der heu-
tige Beschluss – das kann man so deutlich sagen – die
Beerdigung der ursprünglichen Bahnpläne . Er ist somit
wegweisend für mehr Lärmschutz in Südbaden .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist auch notwendig; denn nirgendwo anders in Eu-
ropa fahren so viele Güterzüge wie durch das Rheintal .
Ebenso wichtig ist es, dass wir heute nicht nur für das
Rheintal mehr Lärmschutz beschließen, sondern mit dem
zweiten Antrag das klare Signal aussenden, dass wir auch
für andere Strecken in Deutschland mehr Lärmschutz für
die betroffenen Bürgerinnen und Bürger haben wollen .
Es ist also ein gutes Signal für mehr Lärmschutz in ganz
Deutschland .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will eine weitere Besonderheit nennen . Das Land
Baden-Württemberg beteiligt sich mit 280 Millionen
Euro an diesem großen Projekt,


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Regierung!)


das uns insgesamt 1,8 Milliarden Euro kosten wird . Das
ist eine Beteiligung, die deutschlandweit ihresgleichen
sucht . Auch dieser Beitrag der grün-roten Landesregie-
rung hat dazu beigetragen, dass wir heute diesen Be-
schluss zur Rheintalbahn fassen können .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Seien Sie doch nicht so parteipolitisch!)


Es gibt allerdings auch Gemeinden und Anwohner, die
nun neuen Lärmbelästigungen ausgesetzt sein werden . In
der sogenannten „Kappel-Grafenhausener Erklärung“
haben diese ihre Forderungen artikuliert . Wir müssen
nun im weiteren Verfahren sicherstellen, dass auch für
diese Gemeinden – zum Beispiel Kürzel, Riegel oder
Markgräflerland – Lösungen gefunden werden, damit
die Bürger auch dort den Lärmschutz bekommen, den sie

verdienen . Es darf beim Lärmschutz keine Bürger zwei-
ter Klasse geben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend danke ich allen, die sich hier engagiert
haben . Die Herren von der Union wurden genannt . Es
schien notwendig zu sein, deren Beitrag noch einmal ex-
tra zu erwähnen .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Vergessen Sie nicht die Frau Hagedorn!)


Ich möchte mich auch bei den Machern auf der
SPD-Seite bedanken . Vielen Dank an Katja Mast, Nils
Schmid, Kirsten Lühmann, Elvira Drobinski-Weiß,
Annette Sawade, Bettina Hagedorn, Joachim Poß und
ganz besonders an Sören Bartol und sein Team . Ohne de-
ren großes Engagement hätten wir heute diese Debatte
nicht .


(Beifall bei der SPD)


Ich freue mich sehr, dass wir heute diese historische
Entscheidung für Südbaden treffen können, und ich hoffe
vor allem, dass wir auch in einem überschaubaren Zeit-
raum die Gleise bauen können . Ich habe mir vorgenom-
men – das wünsche ich mir –, meinen 60 . Geburtstag
in einem Speisewagen feiern zu können, der durch das
schöne Südbaden auf den neuen Gleisen fährt .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Helau! Wir nehmen die Einladung an!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815218100

Jetzt wollen natürlich alle wissen, wie alt Sie sind . –

Vielen herzlichen Dank, lieber Kollege .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/7364 mit dem Titel „Menschen- und umweltge-
rechten Ausbau der Rheintalbahn realisieren“ . Zu diesem
Antrag sowie zum Antrag der Koalitionsfraktionen unter
Zusatzpunkt 5 liegt eine Vielzahl Erklärungen – genau
gesagt sind es 50 – zur Abstimmung gemäß § 31 der Ge-
schäftsordnung vor .1)

Zum Antrag auf Drucksache 18/7364 liegt ein Än-
derungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/7381 vor, über den wir jetzt zuerst abstimmen .
Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist bei Zustim-
mung von Linken und Bündnis 90/Die Grünen und bei
Gegenstimmen beider Koalitionsfraktionen abgelehnt .

Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD . Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer

1) Anlage 7

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist da-
mit einstimmig angenommen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zusatzpunkt 5 . Abstimmung über den Antrag der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/7365
mit dem Titel „Menschen- und umweltgerechte Reali-
sierung europäischer Schienennetze“ . Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7379 vor, über den wir jetzt zuerst
abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungs-
antrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke, abgelehnt haben CDU/CSU und
SPD .

Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD . Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist auch dieser
Antrag einstimmig angenommen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zusatzpunkt 6 . Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Fi-
nanzierung eines bürgerfreundlichen und umweltgerech-
ten Ausbaus der Rheintalbahn jetzt sicherstellen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7388, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6884 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen
und die Linke . – Gratulation!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich verabschiede unsere Gäste auf der Tribüne . Kom-
men Sie gut heim .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Annalena Baerbock, Özcan Mutlu,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für ein Rahmenprogramm für Klima- und
Klimafolgenforschung

Drucksache 18/7048
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser
Debatte nicht teilnehmen wollen – warum auch immer –,
jetzt den Saal zu verlassen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Kai
Gehring für Bündnis 90/Die Grünen .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815218200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir als grüne Bundestagsfraktion bringen hier und heute,
wenige Wochen nach der Weltklimakonferenz von Paris,
unseren Antrag zur Stärkung der Klima- und Klimafol-
genforschung ein . Die Klimaforschung in Deutschland
hat zu Recht national wie international einen hervorra-
genden Ruf – unseren exzellenten Klimaforschungsinsti-
tuten sei Dank . Wir müssen diese Kompetenz aber weiter
stärken und als Teil einer auf Nachhaltigkeit setzenden
Forschungsförderpolitik ausbauen; denn valide For-
schungsdaten sind Voraussetzung für eine zukunftsorien-
tierte Weltklimapolitik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die hohe Qualität von Forschungsergebnissen, gebün-
delt vom IPCC, ist die eine Seite der Medaille . Die an-
dere Seite ist die Frage des politischen Willens, aus wis-
senschaftlichen Erkenntnissen richtige Konsequenzen
zu ziehen . Während UN-Generalsekretär Ban Ki-moon
heute fordert, zur Einhaltung des Pariser Klimaschutz-
abkommens die Investitionen in erneuerbare Energien
in den nächsten fünf Jahren weltweit zu verdoppeln, ist
das Urteil „beratungsresistent“ für die zögerliche Hal-
tung dieser Bundesregierung beim Kohleausstieg noch
schmeichelhaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Das Herumlavieren der ehemaligen Klimakanzle-
rin und des Vizekanzlers droht die vereinbarten Klima-
schutzziele zu unterhöhlen . Das ist hochproblematisch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weil Anspruch und Handeln auseinanderklaffen, wundert
mich auch nicht, dass sich die Koalition bei dem ganzen
Thema verzettelt und bei der Klimaforschung zu keiner
vorausdenkenden und wegweisenden Strategie findet. Da
geht aber deutlich mehr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nehmen Sie unseren Antrag daher als Einladung, der
Klimafolgenforschung einen deutlichen Schub zu geben;
denn eine ambitionierte Forschungs- und Klimapolitik
gegen die Überhitzung unseres Planeten ist notwendiger
denn je .

Extreme Wetterereignisse häufen sich: 2015 war das
weltweit heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnun-
gen . 13 der 15 wärmsten Jahre wurden nach der Jahr-
tausendwende registriert . Das hat massive Folgen: Glet-
scherschmelzen in Polarregionen und weltweit Dürren,
Hitzewellen und Hungersnöte . Es entstehen neue Ar-
mutsrisiken, neue Verteilungsfragen und neue Fluchtur-
sachen . Diese ökologischen, aber auch die sozialen und

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


regionalen Klimafolgen gehören noch intensiver und in-
terdisziplinärer erforscht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir schlagen hierfür ein eigenständiges Forschungsrah-
menprogramm zur Klima- und Klimafolgenforschung
unter Federführung des BMBF vor . Darin lassen sich die
Aktivitäten ressortübergreifend bündeln . Sie lassen sich
ausbauen, weiter gehende Forschungsbedarfe können
identifiziert und priorisiert werden.

Um die Folgen des Klimawandels beherrschbar zu
machen, müssen nämlich auch Gegen- und Anpassungs-
strategien wissenschaftlich viel stärker entwickelt wer-
den . Dieses transformative Wissen in der Frage, wie wir
mit den massiven Klimaveränderungen umgehen, wird
dringend zur weltweiten Anwendung gebraucht .

Weiterzuentwickeln sind Klimamodellierung und re-
gionale Prognosen zu Folgen der Klimaveränderung für
die Natur und zu Auswirkungen auf die Menschen selbst,
die etwa in Megacitys und in Küstenregionen leben . Die
schnelle Anwendung dieses transformativen Wissens und
interdisziplinäre Kooperation sind dringend erforderlich .
Das wollen auch immer mehr Forschende .

Eine Chance wären integrierte Forschungsansätze
innerhalb dieses Rahmenprogramms . Das heißt, man
braucht biologische, geologische, ozeanografische, mete-
orologische, geophysikalische und chemische Langzeit-
messungen sowie gleichzeitig sozial- und geisteswissen-
schaftliche Expertise .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist ein schöner Satz!)


Es geht darum, die entwicklungs-, flüchtlings- und wirt-
schaftspolitischen Implikationen auch interdisziplinär zu
erforschen und zu denken . Denn es ist vieles unklar, zum
Beispiel, welche Gesundheits- und Seuchenrisiken durch
Extremwetterereignisse und erhöhte Mitteltemperaturen
auf dem Globus entstehen . Was bedeutet das für die Re-
silienz von Mensch und Natur sowie für die biologische
Vielfalt?

Wir wissen, dass die Klimakrise uns alle trifft und be-
droht . Ihre Auswirkungen können wir nicht allein durch
Expertendiskurse in den Griff bekommen, sondern wir
müssen Sensibilisierung und Problembewusstsein in der
gesamten Gesellschaft wecken . Gerade in der Klimafol-
genforschung müssen Wissenstransfer bzw . die Kommu-
nikation mit und Beteiligung der Zivilgesellschaft syste-
matisch vorangetrieben werden .

Mit einem ambitionierten Forschungsrahmenpro-
gramm wollen wir diesen gewaltigen Herausforderungen
beherzt gerecht werden . Sagen Sie Ja zu unserem Ansatz
und zu diesem Instrument, um in den nächsten Jahren ei-
nen Forschungsschwerpunkt der Bundesregierung darauf
zu legen! Lassen Sie uns keine Zeit verlieren . Ich freue
mich deshalb auch auf die Beratung im Ausschuss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815218300

Vielen Dank, Kollege Kai Gehring . – Nächste Red-

nerin in der Debatte ist Sybille Benning für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sybille Benning (CDU):
Rede ID: ID1815218400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Sie, meine lieben Kollegen von den Grünen, fordern ein
neues, eigenständiges Rahmenprogramm zur Klima- und
Klimafolgenforschung . Ressortübergreifend soll es sein
und alle Förderaktivitäten der Bundesregierung im Be-
reich der Klima- und Klimafolgenforschung miteinander
verknüpfen, bündeln, weiterentwickeln und stärken . Das
gibt es doch schon . Es heißt FONA: Forschung für Nach-
haltige Entwicklung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist ja unser Programm! Das ist unsere Idee!)


Es ist auch mehr als nur ein Impulsgeber, wie Sie es im
Antrag wenigstens anerkennen .

Schon 2005 hat die unionsgeführte Bundesregierung
das Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Ent-
wicklung“, kurz FONA, ins Leben gerufen,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht nur Klimaforschung! Du redest jetzt schon am Thema vorbei!)


das im letzten September in der dritten Auflage für weite-
re fünf Jahre mit einem Volumen von 2 Milliarden Euro
ausgestattet wurde .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . René Röspel [SPD])


Dankenswerterweise geben Sie mir heute die Gelegen-
heit, im Plenum des Deutschen Bundestages über FONA
zu sprechen, um dieses hervorragende Rahmenprogramm
bekannter zu machen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie doch erst mal unseren Antrag!)


Es ist ein Rahmenprogramm, und die Klimaforschung
ist dabei eine tragende Säule . Lesen Sie einmal das
FONA-Programm!


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Ahnung habt ihr!)


– Hören Sie doch erst einmal zu!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier wird ein besonderer Wert auf einen schnellen
Wissenstransfer und die Umsetzung der Forschungser-
gebnisse gelegt . Verbundforschung ist hier das Schlüs-
selwort .

FONA3 wurde in einem mehrjährigen Agendaprozess
unter Beteiligung zahlreicher Akteure aus Wissenschaft,
Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


entwickelt . Sie merken: Jetzt sind schon zwei Ihrer For-
derungen erfüllt. Ich finde für jede Ihrer weiteren Forde-
rungen im Forschungsrahmenprogramm FONA eine Ent-
sprechung . Ich kann nur einige wenige Beispiele nennen .

Zur Verbesserung der Klimamodellierung wurde
eine halbe Milliarde Euro in die Forschungsflotte und
in Großgeräte investiert . Der Hochleistungsrechner zur
Klimamodellierung „Mistral“ hat soeben seine Arbeit
aufgenommen .


(Unruhe beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Jetzt hören Sie doch wenigstens zu!


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich rege mich gerade über Ihre Rede auf! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden gar nicht über unseren Antrag!)


Er berechnet mit hoher Auflösung Klimamodelle und
Simulationen, aus denen Zukunftsszenarien entwickelt
werden können .

Internationale Kooperationen, wie Sie sie auch for-
dern, im Klima-, Umwelt- und Energiebereich mit Part-
nern in Schwellen- und Entwicklungsländern fördert
CLIENT II . Vielleicht kennen Sie das auch schon . Auch
die Beteiligung der Gesellschaft bzw . die Bürgerbeteili-
gung ist fest in FONA verankert . Das ist unter dem Be-
griff „Citizen Science“ bekannt . Als Beispiel dafür nenne
ich die SenseBox . Mit dieser Box können Bürger und
Bürgerinnen selbstständig Umweltdaten messen, die au-
tomatisch in eine Karte einfließen. Diese gute Idee hat
soeben den Wettbewerb „Bürger schaffen die Zukunfts-
stadt“ gewonnen . Da sie in meinem Wahlkreis Münster
entwickelt wurde, macht mich das natürlich froh . Diese
Idee ist selbstverständlich auf alle anderen Städte über-
tragbar .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . René Röspel [SPD])


Bildungsangebote für Bürgerinnen und Bürger sind
unerlässlich . Deshalb ist Bildung für Nachhaltigkeit ein
wichtiger Baustein von FONA3, das die Eigenverant-
wortlichkeit des Handelns heranbildet und unterstützt .
Ein weiterer Schwerpunkt von FONA ist die Green Eco-
nomy, in der Lösungen für ressourcenschonende Wirt-
schaftsprozesse entwickelt werden . Innovations- und
Unternehmergeist sind hier treibende Kräfte . Das geht
weit über Technologieförderung hinaus . Forschung für
nachhaltige Entwicklung, zu der auch Klimaforschung
zählt, bedeutet selbstverständlich, bezahlbare, nachhalti-
ge Energien zu entwickeln . Hier gibt es keinen Wider-
spruch zwischen Energie- und Klimaforschung . Das Ziel
zählt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ihre Forderung nach einer ressortübergreifenden Bünde-
lung wird übrigens bereits in der Nachhaltigkeitsstrategie
der Bundesregierung erfüllt, wie Sie wissen könnten .

Was sagt Ihr Antrag eigentlich noch aus? Sie fordern
mehr geisteswissenschaftlich motivierte Fragen für For-

schungsprojekte . Auch die Umsetzung in gesellschaft-
liches Handeln soll intensiviert werden . Forschungser-
gebnisse sollen handlungsleitender sein . Wir sind davon
überzeugt, dass unsere angebotsoffenen Programme in
FONA3 das alles wirksam behandeln . Denken Sie nur an
den Wettbewerb „Zukunftsstadt“, der sich vor Anträgen
gar nicht retten kann .

Die Reaktionen auf Klimaveränderungen sind Pro-
zesse, die mithilfe einer Bildung zum Verständnis natur-
wissenschaftlicher Zusammenhänge besser verstanden
werden . MINT-Bildung ist hier das Schlüsselwort . Ver-
ständnis führt zum Handeln, das erkenntnisgeleitet, ver-
antwortungsbewusst und individuell ist und schließlich
auch gesellschaftlich wirksam wird . Wir von der CDU/
CSU wollen die Menschen befähigen, selber durch Bil-
dung und Erkenntnis die notwendigen Entscheidungen
mitzutragen . Das ist unser Ziel .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ihr Vorgehen scheint mir anders motiviert zu sein . Des-
halb lehnen wir Ihren Antrag ab .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815218500

Vielen Dank, Kollegin Benning . – Nächste Rednerin:

Eva Bulling-Schröter für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815218600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dass Politik von der Vernunft geleitet werden muss, Ent-
scheidungen also auf der Grundlage von Wissenschaft
und Fakten zu treffen hat, muss eigentlich nicht erst er-
klärt werden . Das ist eine Binsenweisheit . Gerade beim
Klimawandel gibt es aber offensichtlich noch immer
große Wissenslücken . Nach dem Klimaschutzabkommen
von Paris Ende Dezember ist nun der richtige Zeitpunkt,
hier darüber zu reden . Die Linke unterstützt diese ver-
nünftige Initiative, weil die Linke eine Partei der Ver-
nunft und des Klimaschutzes ist .


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)


Eine Kernforderung des Antrags ist die Stärkung von
Interdisziplinarität, also der Verknüpfung von Wissen
aus den Teilbereichen Verwaltung, Naturwissenschaften,
Gesellschaftswissenschaften und Zivilgesellschaft, also
dort, wo es darum geht, die Ursachen, Wirkungswei-
se und Folgen einer Wirtschaftsweise zu verstehen, die
zum großen Teil noch immer auf Kohle, Gas und Erdöl
beruht . Was bedeutet Interdisziplinarität, und warum ist
diese so wichtig? Das Gegenteil von Interdisziplinari-
tät ist der Tunnelblick . Hier ein Beispiel: Ausgerechnet
ein Kollege aus dem Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung, Herr Lengsfeld von der
CDU/CSU, erklärte auf Twitter – ich zitiere –: „Junge
Männer/Jugendliche aus #Marokko, #Algerien ‚fliehen‘

Sybille Benning






(A) (C)



(B) (D)


nicht vor Bürgerkrieg, werden auch nicht vertrieben .
Kommen zum Geldverdienen .“


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Das steht da aber nicht! Das ist falsch!)


Die Nordafrikaner in Deutschland hätten rein egoistische
Gründe, es gehe ihnen um das Geldverdienen .

Die Welt ist aber nicht so einfach . Wenn wir in der
Lage sind, etwas komplexer zu denken, sehen wir die
Welt anders:

Der Grund für Migration ist erstens immer egoistisch .
Es geht um Selbsterhaltung . Das sagt uns die Biologie .

Zweitens sind das Geldverdienen und das Geldaus-
geben Grundpfeiler des Kapitalismus . Das sagt uns die
Volkswirtschaft .

Es sind drittens in Nordafrika die Männer, die Geld
verdienen und es nach Hause in ihre Heimat schicken
müssen . Das sagen uns Soziologie und Ethnologie .

Starkes Bevölkerungswachstum, Armut, soziale Un-
gleichheit, Jugendarbeitslosigkeit und ein schwacher
Staat sorgen viertens für Instabilität . Das sagen uns Poli-
tikwissenschaft und Demografie.

Und fünftens: Wegen seiner geografischen Besonder-
heit und Position im Mittelmeerraum gehört Algerien
heute zu den Ländern der Erde, deren Bevölkerung die
Konsequenzen des Klimawandels am meisten zu spüren
bekommen . Bei 1 200 Kilometern Küste und einer Flä-
che, die zu fast 90 Prozent Wüste ist, sind sowohl das
Ansteigen des Mittelmeeres als auch die Ausdehnung
der Sahara ein Problem . Der Klima-Risiko-Index stuft
Algerien darum als Risikoland ein . Das sagen wiederum
Geografie und Meereskunde.

Der Klimawandel hat einen verstärkenden Effekt, und
die Erderwärmung sorgt für noch mehr Druck, lässt Fel-
der verdorren, Böden versalzen . Die Menschen gehen in
die Städte, finden keine Arbeit und werden so zu Migran-
ten, zu Klimaflüchtlingen.

Es ist eben ein bisschen komplizierter, als manche sich
das vorstellen können .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir die Welt um uns herum aber nur mit einem
Tunnelblick anschauen, dann interpretieren wir sie falsch
und treffen am Ende in der Politik falsche Entscheidun-
gen . Wenn dann in der CDU noch Stimmen laut werden,
die ein Ende der erfolgreichen Förderung von erneuer-
baren Energien fordern und die Verteidiger der Energie-
wende als ökologisch getriebene Ideologen abkanzeln,
wie es der CDU-Wirtschaftsrat formuliert oder es der
Energiebeauftragte der Union, Kollege Bareiß, sagt, und
die Protestbriefe ans Kanzleramt verfassen, dann kann
ich nur sagen, dass das Einmaleins der Klimaforschung
in der Union noch nicht beherrscht wird .

Wir stimmen also dem Antrag zu; er ist dringend not-
wendig .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815218700

Vielen Dank, Kollegin Bulling-Schröter . – Nächster

Redner: René Röspel für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1815218800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
nen, ich finde die Initiative gut. Es ist immer wichtig, an
diesem Ort über Klimaschutz, Klimaforschung und Kli-
mawandel zu reden. Aber ich finde es genauso wichtig,
zu unterscheiden zwischen Klimaforschung auf der einen
Seite und Klimaschutz auf der anderen Seite, weil das
schon ein Unterschied ist .

Klimaforschung bedeutet, dass Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler forschen, wie sich die Eismassen
auf der Welt verändern, welche Auswirkungen Treib-
haus- und Klimagase auf die Versäuerung des Ozeans
und der Meere haben und welche Botschaften das für uns
und die Politik sind . Das ist Klimaforschung: wissen-
schaftliche Fakten zur Verfügung zu stellen . Dazu zählt
zum Beispiel, dass jedes Jahr – als neue Erkenntnis –
500 Kubikkilometer Landeis verloren gehen, indem sie
schmelzen und in das Wasser geraten . Das ist so viel, als
würde man die Fläche von Hamburg mit einer 600 Meter
hohen Eisschicht bedecken . Das ist Klimaforschung und
Klimafolgenforschung .

Der andere Teil ist Klimaschutz . Es besteht eine wis-
senschaftliche Verantwortung, Lösungsvorschläge anzu-
bieten, aber es besteht in erster Linie eine gesellschaftli-
che und politische Verantwortung, mit den Erkenntnissen
aus der Klimaforschung umzugehen und eben Hand-
lungsoptionen anzubieten . Da hat Barack Obama es
auf den Punkt gebracht: Wir alle, die wir hier in diesem
Raum sitzen, sind die erste Generation, die den Klima-
wandel erleben wird, und wir sind gleichzeitig die letzte
Generation, die ihn aufhalten kann, die ihn noch positiv
verändern kann . Und das ist eine Anforderung an Politik
und an Gesellschaft .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde es sehr richtig, beides tatsächlich zu trennen:
Klimaforschung und Klimaschutz . Klimaforschung ist
wichtig, wird weiter gefördert werden . Aber wenn wir
die nächsten Jahre nur darauf warten, welche Ergeb-
nisse noch kommen, wird es zu spät sein . Unsere Ver-
antwortung ist, Klimaschutz zu betreiben . Ich bin sehr
überzeugt – das müssen wir hinkriegen –, dass möglichst
viel Kohle, Gas und Erdöl im Boden bleiben müssen und
nicht verbrannt werden dürfen . Das müssen wir politisch
organisieren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Eva Bulling-Schröter






(A) (C)



(B) (D)


Das, was mir an diesem Antrag wirklich nicht gefällt,
ist, dass vieles von beidem durcheinandergeht .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein forschungspolitischer Antrag! Ich glaube, Sie sind durcheinander!)


Sie schreiben beispielsweise:

Seit Jahrzehnten wird hierzulande Klimaforschung
auf internationalem Spitzenniveau betrieben .

Das ist richtig, hat Kai Gehring auch gesagt .

Einen Satz danach heißt es:

Eine führende Rolle beim Klimaschutz hat unser
Land dennoch längst eingebüßt .

Ich bin sehr überzeugt: Das ist falsch .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben den Antrag am 16 . Dezember geschrieben .
Das war wenige Tage nach der Klimakonferenz in Paris .
Ich finde, dort ist ein grandioser Erfolg erzielt worden,
vor allem unter deutscher Beteiligung . Dafür hätte ich
Barbara Hendricks gedankt, wenn sie hätte hier sein kön-
nen, weil Deutschland da eine führende Rolle gespielt
hat .

Das 1,5-Grad-Ziel hätten wir uns vor vielen Jahren
noch nicht träumen lassen . Wir hätten uns vor allen Din-
gen nicht träumen lassen, dass 195 Mitgliedstaaten der
Vereinten Nationen dieses Ziel mittragen . Dazu bedarf es
eines einvernehmlichen Beschlusses der UN-Konferenz,
und den zu erreichen, ist ganz schwierig .

Zweifelsohne hätten wir mehr erreichen wollen, aber
es mussten alle 195 Staaten, die völlig unterschiedliche
Interessen haben, zustimmen. Deswegen finde ich, dass
das ein großer Erfolg ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist auch national gesehen falsch, wenn Sie schrei-
ben, dass unser Land die führende Rolle beim Klima-
schutz längst eingebüßt habe. Ich finde, das stellt infrage,
was alle Fraktionen in unterschiedlichen Koalitionen in
den letzten 15 Jahren auf den Weg gebracht haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Können wir jetzt über Klimaforschung sprechen?)


Man kann sich alles besser vorstellen . Klimaschutz
wird auch international funktionieren . Ich erinnere an
Matthäus 7, Vers 12: Alles, was ihr von anderen erwar-
tet, das tut auch ihnen . – Wir in der Bundesrepublik
Deutschland müssen gut vorangehen und zeigen, dass
die Bekämpfung des Klimawandels möglich ist und dass
die Energiewende möglich ist. Ich finde auch, dass wir in
Deutschland noch längst nicht alles geschafft haben, aber
wir haben viel in den letzten 15 Jahren geschafft .

Ich weiß nicht, was ich geantwortet hätte, wenn man
mich vor 20 Jahren gefragt hätte, wie ich die Lage in den
Jahren 2015 oder 2016 einschätze . Ich hätte aber sicher-
lich nicht zu träumen gewagt, dass wir ein Drittel unseres
Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien zur

Verfügung stellen werden . Das ist schon ein gewaltiger
Erfolg . Wir müssen besser werden; das ist gar keine Fra-
ge, und das ist unsere Verantwortung . Das betrifft aber
den Klimaschutz, nicht die Klimaforschung .

Wenn Sie beispielsweise in dem Grünenantrag das
„Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ oder das For-
schungsrahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige
Entwicklung“ als zu wenig forschungsorientiert bewer-
ten, dann ist das in großen Teilen tatsächlich richtig . Aber
das sind per se keine Forschungsprogramme, sondern ge-
rade das „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ ist ein
Klimaschutzprogramm, bei dem geschaut wird, wo wir
uns in Schulen, Bildungseinrichtungen, an Hochschu-
len, in der Wirtschaft, beim Verkehr, beim Städtebau und
beim Bauen tatsächlich klimaschutzdienlich verhalten
können und was wir tun können, damit Klimaschutz tat-
sächlich verwirklicht wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deshalb brauchen wir ein Rahmenforschungsprogramm!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815218900

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung

oder Zwischenfrage?


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1815219000

Wenn ich den Satz in Ruhe lese – –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815219100

Ich rede mit Ihnen . Entschuldigen Sie . – Ich wollte Sie

fragen, ob Sie eine Zwischenbemerkung oder Zwischen-
frage der Kollegin Annalena Baerbock erlauben .


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1815219200

Gerne .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Kollege Röspel, Sie haben gesagt,
man müsse Klimaforschung auf der einen Seite und Kli-
maschutz und Klimapolitik auf der anderen Seite tren-
nen . Deswegen frage ich Sie: Ist Ihnen bewusst, welche
Rolle eigentlich die führenden Klimawissenschaftler
gerade auf der Klimakonferenz in Paris gespielt haben?
Professor Schellnhuber zum Beispiel war mehrfach Seite
an Seite mit der Bundesregierung vor Ort, um die For-
schungsergebnisse dort zu präsentieren, zu erklären und
daraus politische Handlungsempfehlungen anzubieten .

Ich erinnere auch an den Kollegen Edenhofer, der aus
der Klimaforschung abgeleitet hat, was die Erderwär-
mung eigentlich bedeutet . Er hat dargestellt, was das für
die Weltwirtschaft bedeutet . Es ging auch um die Fra-
ge des CO2-Zertifikatehandels. Es wurden auch Wirt-
schaftsketten, die durch den Klimawandel ausfallen,
thematisiert . Diese gesamte Komplexität hat auf der
Klimakonferenz deutlich gemacht, dass es einer starken
Klimawissenschaft bedarf . Deswegen machen wir in
unserem Antrag deutlich, dass wir einen Bereich zwar

René Röspel






(A) (C)



(B) (D)


sehr gut erforscht haben, auf der anderen Seite aber aus
der Klimawissenschaft hören, dass wir dieses Zusam-
menbringen brauchen; denn jetzt steht die Dekade der
Transformation an . Aber gerade diese Transformations-
forschung in diesem Bereich haben wir in Deutschland
nicht .

Dasselbe gilt für die Klimaanpassung . Auch da steckt
die Forschung in Deutschland noch in den Kinderschu-
hen . Es geht um die Frage, wie wir eigentlich mit der Kli-
maveränderung umgehen und was diese politisch für uns
bedeutet . Wie können Sie das trennen, wenn die Politik
auf die wissenschaftlichen Ergebnisse angewiesen ist?


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1815219300

Ich werde nicht so ausführlich antworten . – Vielen

Dank für die Frage, aber Sie haben es nicht geschafft,
einen Widerspruch aufzubauen; denn allein die Tatsa-
che, dass Klimaforschung in Deutschland exzellent ist
und weltweit anerkannt wird, zeigt, dass wir auf einem
richtigen Weg sind . Ich erinnere an das deutsche For-
schungsschiff „Polarstern“, die Stationen in der Antark-
tis und in der Arktis, das Alfred-Wegener-Institut und
die Helmholtz-Institute . All das hat dazu geführt, dass
Schellnhuber, Edenhofer und Mojib Latif genau die Ex-
perten sind, die weltweit Anerkennung genießen . Diese
entfalten über ihre Forschungsbeiträge international gro-
ße Wirkung .

Es besteht die Gefahr – es gibt international immer
wieder entsprechende Bestrebungen –, dass erst noch
fünf Jahre weitergeforscht wird, und dann schaut man
einmal, was passiert . Ich sage ganz deutlich – ich habe es
auch bisher nicht anders getan –: Wir brauchen weiterhin
Klimaforschung; aber es ist unsere Verantwortung, Kli-
maschutz zu betreiben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Darum geht es nicht! Aber das BMWF kann Klimaforschung besser unterstützen!)


Sie vermischen das in Ihrem Antrag . Deswegen, glaube
ich, muss man das sauberer trennen .

Wenn Sie schreiben – das ist ein weiterer Widerspruch
in Ihrem Antrag –, dass die Klimaforschung im Moment
gegenüber der Energieforschung ins Hintertreffen zu
geraten droht, dann bin ich wirklich zwiegespalten . Wir
brauchen Klimaforschung – wir werden sie ausbauen –,
aber wir müssen die Priorität deutlich auf Energiefor-
schung setzen; denn wir wissen – dementsprechend ist
unsere Verantwortung –, dass bereits in dieser Genera-
tion der Großteil der Energiewende geschafft werden
muss . Wenn ich mich für eines entscheiden müsste, wäre
Energieforschung mir wichtiger als Klimaforschung .

Aber wir lassen nicht zu, dass eine solche Entschei-
dung getroffen werden muss . Während der Bundesetat
für Klimaforschung vor zwei Jahren noch bei 81 Milli-
onen Euro lag, liegt er 2016 bei 99 Millionen Euro . Das
heißt, wir haben eine deutliche Steigerung der Mittel im
Klimaforschungsbereich, und das ist auch gut so; denn
wir müssen weiterhin wissen, wie sich die von mir vorhin

genannten Beispiele regional auswirken, was den Klima-
wandel betrifft, und wir müssen im Forschungsbereich
deutlich weiterkommen .

Sie sprechen richtigerweise die Vernetzung an . Das
ist genau der Punkt, an dem ich mich frage, ob ein neu-
es Rahmenforschungsprogramm für Klimaforschung –
nicht für Klimaschutz – eigentlich der richtige Ansatz
ist . An dieser Stelle bin ich wirklich skeptisch . Es gibt
seit 2009 das Deutsche Klima-Konsortium . Darin sind
wirklich alle – auch weltweit – angesehenen deutschen
Forschungseinrichtungen vertreten: Helmholtz-Institute,
Leibniz-Institute, Max-Planck-Institute und auch – ganz
wichtig – Universitäten wie die in Kiel, Bremen und
Hamburg, sogar deutsche Behörden wie der Deutsche
Wetterdienst oder das Umweltbundesamt . Sie betreiben
gemeinsam Klimaforschung . Sie machen sich gemein-
sam auf den Weg, Vorschläge zu entwickeln, wie Klima-
forschung funktionieren muss .

Das Positionspapier – wie ich gesehen habe, hat sich
Kai Gehring einiges aufschreiben lassen –


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann auch selber schreiben!)


enthält vieles, was wir im Klimaforschungsbereich ma-
chen müssen, bis hin zur Lösung der Fragen – das unter-
liegt aber der politischen Verantwortung –, wie wir etwas
in die Gesellschaft einführen, wie wichtig die Reaktion
auf Klimawandel ist und wie wir über sozialwissen-
schaftliche Forschung dazu beitragen können, dass deut-
licher kenntlich gemacht wird, wie wichtig es ist, unser
Verhalten zu verändern, energieeffizienter und sparsamer
zu werden sowie auf andere Energien zu setzen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815219400

Vielen Dank, René Röspel . – Der nächste und letzte

Redner in dieser Debatte: Dr . Philipp Lengsfeld für die
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die Kanone!)



Dr. Philipp Lengsfeld (CDU):
Rede ID: ID1815219500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Kollegin Bulling-Schröter, Sie haben gefühlt
die Hälfte Ihrer Redezeit auf mich verwendet . Ich deute
es einmal als Ehre . Dass mich die Linkspartei auf dem
Radar hat, wusste ich immer . Dass Sie mich so intensiv
beobachten, ist natürlich auch für mich eine Überra-
schung .


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Nein! Das war eine wissenschaftliche Argumentation! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du bist eine riesige Gefahr für die! Die haben Angst vor dir!)


Annalena Baerbock






(A) (C)



(B) (D)


Wir sollten über das Thema, warum junge Männer aus
Algerien und Marokko nach Deutschland drängen, viel-
leicht doch an anderer Stelle debattieren und nicht, wenn
es um Klimaschutz geht . Aber ich nehme das gerne an .
Wenn Sie mich einladen, können wir das in extenso dis-
kutieren .


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Nach Bayern?)


Zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen vom
Bündnis 90/Die Grünen, haben meine Kollegin Sybille
Benning und auch mein Kollege René Röspel schon sehr
viel gesagt . Ich will mich deshalb auf die Grundsatzfrage
konzentrieren .

Ich bin der Meinung, dass die Klimaforschung in
Deutschland, aber auch global nicht noch mehr, sondern
eher weniger politische Einmischung und Steuerung
braucht . Ich erläutere das einmal anhand eines Beispiels
aus Amerika . Kennen Sie Senator Ted Cruz aus Texas?
Er ist einer der Bewerber im Feld der Präsidentschafts-
kandidaten der Republikaner . Wer ihn heute noch nicht
kennt, der wird ihn sicherlich in drei Tagen, nach der ers-
ten Vorwahl in Iowa, kennenlernen . Mein Sohn hat mich
schon vor Monaten auf Ted Cruz aufmerksam gemacht,
unter anderem, weil er rhetorisch wirklich beschlagen ist .
Ted Cruz ist das, was man hierzulande wohl einen Kli-
maskeptiker nennen würde .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein amerikanischer Lengsfeld!)


Ted Cruz traf Ende letzten Jahres in einem Senate
Subcommittee Hearing, in dem es um Auswirkungen von
Präsident Obamas Klimagesetzesinitiativen auf Minori-
täten ging, auf den Präsidenten des Sierra Clubs, Aaron
Mair . Der Sierra Club ist die älteste und größte Natur-
schutzorganisation der USA . In diesem Hearing kam es
zu einem sehr interessanten Wortgefecht über die Kli-
maforschung . Man kann sich das Ganze im Internet an-
schauen; es ist wirklich sehr lehrreich . Geschlagene neun
Minuten duellieren sich die beiden, und am Ende gibt es
keinen Erkenntnisgewinn .

Ted Cruz attackiert Aaron Mair wegen der Aussage,
die Wissenschaft hinter den Klimaschutzmaßnahmen
von Präsident Obama sei so eindeutig, dass sie – Zitat –
nicht mehr diskutiert werden sollte . Um diese These zu
erschüttern, fragt Cruz, warum dann die globale Durch-
schnittstemperatur während der letzten 20 Jahre nicht si-
gnifikant gestiegen ist.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wird das jetzt eine Grundsatzdiskussion, oder was?)


Wie antwortet der Vorsitzende der großen Umweltschut-
zorganisation? Statt Senator Cruz darauf zu verweisen,
dass er nur einen isolierten Datensatz ins Feld führt,
kontert Mair lieber mit einem anderen, ebenfalls völlig
isolierten Datensatz, und zwar mit der viel zitierten Er-
hebung, nach der von einer Gruppe befragter führender
Klimaforscher 97 Prozent der Überzeugung sind, dass
es zweifelsfrei einen menschengemachten Klimawandel
gibt .

Ich will hier gar nicht über diese beiden Datensätze
reden oder diskutieren – es gibt zu beiden einiges zu sa-
gen –, sondern will nur auf ein tieferes Problem hinwei-
sen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Sie den Klimawandel leugnen! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt es!)


In der Klimaforschung wird viel zu viel politisiert, und
es werden zu viele Glaubenssätze aufgestellt . Statt Da-
ten, Modelle und Unsicherheiten zu diskutieren und ein-
zuordnen, bekriegen sich wie im beschriebenen Beispiel
die Kontrahenten lieber mit Einzelpunkten, die isoliert
gar nichts beweisen oder gar nichts beweisen können,
weder in die eine noch in die andere Richtung, oder es
wird gar nicht mehr diskutiert .


(René Röspel [SPD]: Doch nicht in Deutschland, Herr Lengsfeld! – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie leugnen den Klimawandel, oder? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machst du gerade?)


Wissenschaft darf kein Spielball der Politik werden,
und Wissenschaft darf erst recht nicht zu einer Glaubens-
frage werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das gilt natürlich insbesondere in der Klimaforschung .
Der medial-politische Rummel um den jährlichen IPCC
Report ist aus meiner Sicht an der Stelle nicht hilfreich


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– liebe Grüne, das müsst ihr euch mal anhören! –


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, es kommt nicht schlimmer, aber es ist schlimmer gekommen!)


– nein – und verführt den einen oder anderen Wissen-
schaftler zu oft zu Anschärfungen, Überspitzungen und
Einfärbung von Daten . Die legendäre Hockeyschlä-
ger-Kurve, die jahrelang auf dem IPCC Report prangte,
oder – das finde ich noch viel schlimmer – die Eisbä-
renromantik, die penetrant in Fachartikeln zur Klimafor-
schung vermittelt wird, auch in seriösen Medien, sind für
mich nur zwei krasse negative Beispiele .

Klimaforschung – jetzt kommt die Pointe – ist wich-
tig; da bin ich voll bei den Grünen . Wie jede Forschung
ist sie nur gut, wenn sie spitze ist . Wir brauchen Spitzen-
forschung auch im Klimabereich in Deutschland; auch da
bin ich voll bei Bündnis 90/Die Grünen, selbst wenn Sie
das nicht wollen .


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wirklich nicht! Gut, dass du von uns weggegangen bist!)


Aber um wirklich spitze zu sein und um spitze zu blei-
ben, müssen sich die Forscher auf ihre Stärken besin-
nen, und das sind Fleiß, auch Ehrgeiz, Beharrlichkeit

Dr. Philipp Lengsfeld






(A) (C)



(B) (D)


und unbedingte wissenschaftliche Schärfe . Es geht eben
nicht primär um das Bedienen von irgendwelchen poli-
tischen Moden oder um mediale Predigten an das Volk .
Nach meiner Überzeugung braucht die Klimaforschung
in Deutschland deshalb weniger politischen Einfluss und
nicht mehr . Dass der Antrag von Bündnis 90/Die Grü-
nen hier wirklich helfen würde, davon bin ich nicht über-
zeugt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Martin Rabanus [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815219600


Vielen Dank, Kollege Dr . Lengsfeld . – Das Wort zu
einer Kurzintervention hat Kai Gehring .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Der redet doch nachher noch! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt mal richtig zuhören! Da kann man was lernen!)



Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815219700


Herr Lengsfeld, Sie haben mich gereizt, den Antrag,
die Initiative jetzt doch noch einmal einzuordnen; denn
in der Debatte ist aus meiner Sicht jetzt leider doch so
einiges durcheinandergeraten .

Es ist interessant, dass Sie sich irgendwie sozusagen
als einer der letzten in der Unionsfraktion verbliebenen
Klimawandelskeptiker oder -kritiker geoutet haben . Das
ist bemerkenswert, weil sich die internationale Wissen-
schaftscommunity absolut einig ist und wir alle miteinan-
der zufrieden sind, dass es bei der Weltklimakonferenz
zu einem Abkommen gekommen ist .

Ich bemerke aber bei den Redebeiträgen der Mitglie-
der der Koalitionsfraktionen ein bestimmtes Phänomen .
Wenn man einen Oppositionsantrag eigentlich sehr gut
findet, muss man irgendwelche Nebenkriegsschauplätze
aufmachen, die mit dem eigentlichen Antrag nicht allzu
viel zu tun haben .

Frau Benning, FONA ist ein tolles Programm .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Reden Sie jetzt mit mir oder mit Frau Benning?)


Wir als Grüne haben es mit erfunden . Dieses FONA-Pro-
gramm für Nachhaltigkeit ist selbstverständlich fort-
zusetzen, weiterzuentwickeln . Es ist ein Programm für
mehr Nachhaltigkeit in der Forschung . – Haken dahinter!

Das Programm „Bildung für Nachhaltige Entwick-
lung“ hat Rot-Grün auf den Weg gebracht; ich erinne-
re an die UN-Dekade . Es war ein Bulmahn- und grünes
Projekt, Bildung für nachhaltige Entwicklung zu fördern .
Auch d’accord; gar kein Dissens; hat aber mit dem An-
trag eigentlich nichts zu tun .


(Sybille Benning [CDU/CSU]: Natürlich!)


In dem Antrag geht es um das Thema „Klimaforschung
und Klimafolgenforschung“ . Deshalb möchte ich es Ih-
nen noch einmal erklären .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie haben doch hier schon geredet!)


– Ja, aber vielleicht haben Sie das auch nicht verstan-
den . – Ein Forschungsrahmenprogramm ist eine beson-
dere Fördermöglichkeit seitens des BMBF, damit dieser
Bereich in der Wissenschaft noch gestärkt werden kann;
denn Sie wissen ja, dass das Bundesministerium für Bil-
dung und Forschung der größte Drittmittelgeber für For-
schung in dieser Republik ist .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, würden Sie mal „Huch!“ rufen?)


Und wenn man sieht, dass da noch Erkenntnislücken
bestehen und dieses Feld wichtig ist, dann legt man zur
Klimafolgenforschung ein Forschungsrahmenprogramm
auf, damit die Wissenschaft in ihrer völligen Wissen-
schaftsfreiheit uns helfen kann, Erkenntnislücken zu
schließen . Herr Röspel hat richtigerweise gesagt, wie es
sich mit den Erkenntniswünschen, die wir noch haben,
verhält – siehe das Deutsche Klima-Konsortium .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Sie hatten fünf Minuten Redezeit! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wie viele Minuten geht denn eine Kurzintervention?)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815219800

Mit Verlaub, ich bin hier die Präsidentin, und er hat die

Möglichkeit, bis zu drei Minuten eine Kurzintervention
zu machen .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir sind bei fünf Minuten! – Gegenruf des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie entscheidet das!)


Selbstverständlich hat Dr . Lengsfeld die Möglichkeit,
darauf dann maximal drei Minuten zu antworten . Herr
Gehring hat bisher genau zwei Minuten und zehn Sekun-
den geredet . Seien Sie sich ganz sicher – huch! –, dass
ich aufpasse .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815219900

Es ist wichtig, dass wir Erkenntnislücken schließen,

die es in der Klimaforschung noch gibt . Wir müssen
tiefer einsteigen, damit uns die Klimaforschung hierzu-
lande und weltweit mehr Erkenntnisse bringt: Wie sind
die regionalen Auswirkungen? Was ist, wenn es in den
Megacities im Sommer ein paar Grad wärmer wird? Wie
reagieren dann die Menschen darauf? Welche Vorausset-
zungen, welche Notwendigkeiten gibt es da? Was sind die
sozialen Folgen? Wie sehen Anpassungsstrategien aus?
Das sind Kernfragen des Antrags . Das war Kern meiner
Rede, und ich bitte darum, das zur Kenntnis zu nehmen .
Sie haben mir keinen einzigen Grund geliefert, warum

Dr. Philipp Lengsfeld






(A) (C)



(B) (D)


wir kein Forschungsrahmenprogramm für die Stärkung
der Klimaforschung in Deutschland auflegen sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815220000

Jetzt hat Dr . Lengsfeld im gleichen Rahmen die Mög-

lichkeit, zu antworten .


Dr. Philipp Lengsfeld (CDU):
Rede ID: ID1815220100

Vielen Dank, Frau Präsidentin . Ich versuche


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drei Minuten sind um!)


– haha! –, es kurz zu machen . – Herr Gehring, die Hälf-
te der Zeit haben Sie eigentlich meine Kollegin Benning
angesprochen . Vielleicht will sie auch noch antworten .
Nur noch einmal zum Verständnis: Man kann es im Ma-
nuskript nachlesen . Du kannst es auch in der Mediathek
noch einmal anschauen . Ich kann dir auch gerne das Ma-
nuskript geben . Ich habe kein einziges klimaskeptisches
Wort von mir gegeben, kein einziges .


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe nur gesagt, dass auch in der Klimaforschung
wissenschaftliche Standards, wissenschaftliche Schär-
fe vorhanden sein müssen . Dazu gehört, dass man erst
einmal zuhört und versucht, ein Argument zu verstehen,
bevor man versucht, es zu skandalisieren .


(Zuruf des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich habe Ihren Antrag auch nicht rundweg abgelehnt,
sondern ich habe gesagt, dass ich ihn in der Summe für
nicht unbedingt zielführend halte .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mach doch keinen Rückzieher jetzt!)


Aber ich habe hier kein einziges klimaskeptisches Wort
von mir gegeben, kein einziges, Herr Kollege .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur zitiert, was Ted Cruz hier gesagt hat! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann doch hier keine YouTube-Videos angucken!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815220200

Vielen Dank, Kollege Dr . Lengsfeld . – Damit schließe

ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7048 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Sie sind damit ein-
verstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Hochschulstatistikgesetzes

Drucksache 18/6560

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (18 . Ausschuss)


Drucksache 18/7358

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kolle-
ge Tankred Schipanski, und ich werde selbstverständlich
auf die fünf Minuten Redezeit achten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Dieselben fünf Minuten wie bei Kai Gehring!)



Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1815220300

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Für die Beschäftigung mit dem Thema Hochschul-
statistikgesetz erntet man so manches Lächeln . Über das
Thema Statistik zu reden, ist nichts Aufregendes . Es ist
eben nicht so wie beim großen Thema Klima: Es gibt
keine E-Mail-Aktionen, keine organisierte Empörung
von Campact oder wie sie alle heißen . Niemand wird
deswegen heute eine namentliche Abstimmung beantra-
gen oder gar in seinem Wahlkreis einen Bürgerstamm-
tisch veranstalten . Fakt ist aber: Sowohl wir Politiker wie
auch die Medien unterfüttern jeden gehaltvollen Beitrag
in einer politischen Debatte mit Zahlen und Daten . Das
ist eben Statistik .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch im Bereich der Hochschulstatistik haben wir
mit Spannung erwartete Zahlen: die Zahl der Studienan-
fänger, die Betreuungsrelation, der Frauenanteil, um nur
einige Beispiele zu nennen . Es ist also nicht so, dass uns
die Zahlen der Hochschulstatistik nicht interessieren . Es
interessiert uns jedoch recht selten, wer diese Daten auf
welcher Grundlage erhebt und auswertet . Es muss uns
aber politisch interessieren, wenn wir Politiker nicht alle
Informationen bekommen, die wir brauchen . So wussten
wir bislang nicht gesichert, wie viele Studierende eigent-
lich ihr Studium abbrechen . Wir konnten zwar zählen,
wie viele ihr Studium begonnen haben, aber wir wussten
nicht, ob einfach das Studienfach gewechselt oder das
Studium endgültig aufgegeben wurde .

Mit der Einführung der sogenannten Studienver-
laufsstatistik bekommen wir künftig Informationen über
komplette Studienverläufe . Wir wissen, wie viele um-
steigen und wie viele aussteigen . Wir bekommen valide
Zahlen zur Übertrittsquote, wie viele nach dem Bache-
lorabschluss ein Masterstudium beginnen, wie viele erst
einmal arbeiten, wie viele eine Promotion beginnen . Das
alles erfahren wir über die Verlaufsstatistik .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da die Linksfraktion die Verlaufsstatistik als Teufels-
zeug bezeichnet, darf ich kurz erklären, wie die Verlaufs-
statistik erstellt wird . Die Hochschulen erfassen, wie
bisher, die Daten und melden diese an das Statistische
Landesamt . Zusätzlich liefern sie vorhandene Daten, so-
genannte Hilfsmerkmale, an das Amt wie: Geschlecht,

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


Staatsbürgerschaft, Geburtsdatum . Aus diesen unverän-
derlichen Hilfsmerkmalen wird für jeden Studierenden
eine individuelle Kennung erstellt . Aus dieser Kennung
wird anschließend über ein Hash-Codierungsverfahren
ein eindeutiges, aber nicht rückverfolgbares Pseudonym
erstellt . Diese Hilfsmerkmale der Kennung der Studie-
renden werden anschließend gelöscht . Von daher sehen
Sie: Das Pseudonymisierungsverfahren ist ein absolut
sicheres Verfahren . Das haben uns auch die Datenschutz-
beauftragten in der Anhörung bestätigt . Wir erfüllen hier-
mit höchste Datenschutzstandards .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Über die Dauer der Speicherfrist haben wir uns intensiv
Gedanken gemacht . Wir wollen zum lebenslangen Ler-
nen ermutigen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


– Sehr schön .

Wir wollen erfahren, wann ein Ingenieur im Beruf
ist, wann er einen MBA oder einen anderen Weiterbil-
dungsstudiengang absolviert . Wir haben festgestellt, dass
zwölf Jahre zu wenig sind . Das würde bedeuten, wenn
jemand mit 18 Jahren ein Studium beginnt, dann hat er
mit 21 Jahren einen Abschluss als Bachelor . Zwölf Jah-
re Speicherfrist hieße, er würde mit 33 Jahren aus dieser
Statistik herausfallen . Das ist nicht lebenslanges Lernen,
wie wir uns das vorstellen . Daher unser Antrag, diese
Speicherfrist auf 18 Jahre zu verlängern .

Ausdrücklich danken möchte ich an dieser Stelle den
exzellenten Vorarbeiten des Ausschusses für Hochschul-
statistik . Auf deren Basis und auf der Empfehlung der
Anhörung haben wir diese Novelle gestaltet . Wir haben
gemeinsam mit dem Koalitionspartner die Änderungsan-
träge vorgetragen . Ich hoffe sehr, dass wir den Gesetzent-
wurf heute beschließen . Es geht um die Gasthörerstatis-
tik, die wir beibehalten . Es geht auch um eine verspätete
Einführung dieser Statistik . Wir haben die Einführung
um sechs Monate nach hinten verschoben, damit die
Unis genug Zeit haben, dieses Gesetz entsprechend um-
zusetzen . Wir erfassen erstmals auch Promovierende und
Berufsakademien . Ich denke, das ist ein Schritt in die
richtige Richtung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir bekommen die Daten auch schneller, weil wir
eine neue Auswertungsdatenbank aufbauen . Trotz all
dieser Verbesserungen darf ich zum Schluss ein fränki-
sches Sprichwort mit auf den Weg geben: Vom Wiegen
wird das Schwein nicht fett .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heißt, die statistischen Daten können die Probleme
sichtbar machen, aber sie können sie nicht lösen . Sie ge-
ben uns aber idealerweise klare und präzise Daten, die
wir als Politiker brauchen, um die entsprechenden Ent-
scheidungen zu treffen . Von daher bitte ich herzlich um
Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815220400

Vielen Dank, Herr Kollege Schipanski . – Der nächste

Redner ist Ralph Lenkert für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815220500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Die EU fordert zusätzliche Daten-
erfassung für Hochschulen zu Auslandssemestern, zu
Berufsakademien und zu Promotionen . Die Änderungen
der Koalition zum Hochschulstatistikgesetz gehen je-
doch unerwartet weit über die EU-Vorgaben hinaus . Ich
frage: Warum?


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist doch gut! Oder?)


Offensichtlich ist doch, dass die Grundfinanzierung der
Hochschulen zu knapp ist . Studienzeiten verlängern sich,
weil zu viele Studenten bei zu wenigen Lehrkräften ler-
nen . Wohnheimplätze und bezahlbare Studentenbuden
fehlen . Immer mehr Studenten jobben neben dem Studi-
um, weil trotz BAföG-Reform das Geld nicht zum Leben
reicht .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Da kommen einem die Tränen!)


Etliche Wirtschaftsbereiche klagen über Nachwuchssor-
gen . All dies ist seit Jahren bekannt . Die Informationen
liegen vor: den Hochschulen, den Arbeitsagenturen, den
Rentenversicherungen und den Industrie- und Handels-
kammern . Doch statt konkret die Probleme zu lösen,
wollen Union und SPD nun erneut erst einmal Daten
sammeln als Grundlagen für Entscheidungen . Das nen-
nen wir: Probleme aussitzen .


(Beifall bei der LINKEN)


Statt Kosten in Millionenhöhe in Statistiken zu versen-
ken, fordert die Linke, dieses Geld für die Grundfinan-
zierung der Hochschulen zu nutzen .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Bundesgeld! Noch mehr!)


Das zweite Problem dieses Gesetzes ist der fehlende
Datenschutz .

Die gesammelten Daten werden Begehrlichkeiten bei
Firmen und Versicherungen wecken und zu Missbrauch
einladen .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ich habe Ihnen doch erklärt, dass die das gar nicht erhalten!)


Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ein Ausschnitt aus
dem, was in jeder Studienverlaufsstatistik über jede Stu-
dentin und jeden Studenten erfasst wird: Geburtsdatum
und Name, wo und wann das Abitur erfolgte, Berufspra-

Tankred Schipanski






(A) (C)



(B) (D)


xis vor dem Studium, belegte Fächer und abgelegte Prü-
fungen mit Ergebnis,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Als Pseudonym!)


Studienunterbrechungen mit den Gründen der Unterbre-
chung, der Vergleich zur Regelstudienzeit, eventuelle
Dienst- und Beschäftigungsverhältnisse an Hochschulen,
vorherige oder parallele Studiengänge . Bis zu 18 Jahre
nach der Exmatrikulation werden diese Daten gespei-
chert,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Pseudonymisiert!)


– natürlich unter einem absolut sicheren, nicht nachver-
folgbaren Pseudonym,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


bestehend aus dem Geburtsdatum und den ersten vier
Buchstaben des Vornamens; das ist im Gesetz nachzu-
lesen .

Bei mir wäre das also das Kürzel 09051967RALP . Es
wird nicht viele Menschen mit diesem Pseudonym ge-
ben, und mit der Kenntnis meines Berufes Werkzeugma-
cher – wir waren 1983 rund 60 Lehrlinge bei Carl Zeiss
in Jena – und meines Fernstudiums findet dann jeder pro-
blemlos meinen kompletten Datensatz .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Niemand will Ihre Daten!)


Ihre tolle Verschlüsselung ist ein Witz .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie von der Koalition laden mit dieser Verschlüsselung
zum Datenmissbrauch ein, das lehnt die Linke ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Neue Geschäftsmodelle werden aus diesen Datenprofilen
Profite erwirtschaften.

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, warum scheitert zu-
künftig Ihre Bewerbung? Sie hatten zweimal die Studi-
enrichtung gewechselt und ein Semester Pause eingelegt,
die Regelstudienzeit um 50 Prozent überschritten, und
schon werden Sie als nicht zielstrebig und unentschlos-
sen eingestuft . Pech gehabt .

Es wundert Sie vielleicht, dass die neue Lebensversi-
cherung viel teurer wird, als im Angebot stand .


(Lachen bei der SPD)


Klar, die Versicherung fand heraus, dass Sie Auslandsse-
mester in Mexiko, im Kongo und in Pakistan absolvier-
ten . Sie gelten jetzt als Risikokunde mit höheren Prämi-
en .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Man kann den Teufel an die Wand malen, mein Gott!)


Schon heute errechnen Banken über Profile ihre Kre-
ditausfallrisiken nach Ihrer Wohnanschrift . Eine falsche
Anschrift bedeutet höhere Zinsen . Und wer glaubt, dass

Daten sicher auf Zentralservern liegen, ist naiv . Daten-
diebstähle fanden selbst im Bundestag statt .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Ach was!)


Für die Linke gilt: Meine Daten gehören mir . Auch
deshalb lehnen wir die Datenkrake Hochschulstatistikge-
setz ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Ziehen Sie den Entwurf zurück .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der war gut!)


Stecken Sie die eingesparten Gelder in unsere Hochschu-
len, und respektieren Sie den Datenschutz .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815220600

Das Wort für eine Zwischenbemerkung hat der Kolle-

ge Schipanski .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Der sagt jetzt etwas zur Beschlussfähigkeit!)



Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1815220700

– Nein, ich sage jetzt nichts zur Beschlussfähigkeit .

Ich will den Kollegen Lenkert einfach darauf hinweisen,
dass das grob vorsätzlich falsch ist, was er vorgetragen
hat . Ich habe Ihnen gesagt: Wir pseudonymisieren diese
Daten . Wir erfassen die Hilfsmerkmale wie Geburtsda-
tum, Geschlecht und Staatsangehörigkeit . Das haben Sie
genannt . Diese benötigen wir für eine individuelle Ken-
nung . Aus dieser Kennung wird in einem Hash-Codie-
rungsverfahren ein eindeutiges, aber nicht rückverfolg-
bares Pseudonym erstellt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Hilfsmerkmale, von denen Sie gerade gesprochen
haben, werden anschließend gelöscht .

Jetzt wissen Sie wahrscheinlich nicht, was der Hash
ist . Ich darf das kurz erklären: Das ist eine mathemati-
sche Einwegverschlüsselung . Das heißt, ich kann eine
Kennung zu einem Hash kodieren, aber ich kann an-
schließend diesen Hash nicht wieder zurück in eine Ken-
nung dekodieren .

Das heißt: Jeder Studierende hat diesen eigenen Hash,
und nur diese Pseudonyme, diese Hashs, werden in ei-
ner bestimmten Frist gespeichert . Noch einmal: Es gab
keinen einzigen Datenschutzbeauftragten, der in der An-
hörung oder in einer Stellungnahme zu diesem sicheren
Verfahren ein datenschutzrechtliches Bedenken vorgetra-
gen hat .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815220800

Herr Lenkert, bitte .

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815220900

Sehr geehrter Herr Schipanski, Sie wollen den gesam-

ten Studien- und Bildungsverlauf speichern . Wenn Sie
das machen wollen, können Sie Ihre Codierung erst nach
Abschluss des gesamten Studien- und Bildungsverlaufes
durchführen, denn sonst können Sie die Daten nicht mehr
zuordnen; so wurde es uns dargestellt . Das heißt, Ihre
Codierung findet erst statt, wenn der Studien- und Bil-
dungsverlauf – die Promotion und alles andere – längst
abgeschlossen ist,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nach jedem Semester!)


wenn der komplette Lebenslauf steht . Damit ist das im-
mer nachvollziehbar . Insofern schaffen Sie hier die Mög-
lichkeit eines Missbrauches, und das ist nicht hinzuneh-
men .

Im Übrigen könnte ich einem einzelnen Verlauf pro-
blemlos den Namen Tankred Schipanski zuordnen; denn
anhand des Verlaufes kann man wunderbar darauf schlie-
ßen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815221000

Vielen Dank, Kollege Lenkert . – Jetzt kommt der

nächste Redner in der Debatte: Oliver Kaczmarek für die
SPD .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1815221100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Statistik steht ein bisschen zu Unrecht in dem Verdacht,
ein Spezialisten- oder Nischenthema zu sein . Vielleicht
war die Debatte jetzt gerade doch ein bisschen sehr in
der Nische . Aber Statistiken – das wissen wir – liefern
wesentliche Grundlagen für unsere politischen Entschei-
dungen . Darüber hinaus sind Statistiken das einzige In-
strument, das wir haben, um die Wirksamkeit von Maß-
nahmen zu überprüfen . Insofern ist es wichtig, dass wir
die Hochschulstatistik an veränderte Realitäten anpassen .

Einige Stichworte sind schon genannt worden: Um-
setzung der Bologna-Reformen, Autonomisierung von
Hochschulen, neue Aufgaben wie Weiterbildung, Senio-
renstudium und Integration von beruflich Qualifizierten.
All das sind neue Aufgabenfelder, die im Moment noch
nicht in der amtlichen Hochschulstatistik abgebildet wer-
den können . Deswegen ist es notwendig, dass wir dieses
Gesetz verändern und an die Lebensrealitäten annähern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage aber auch: Statistik ist nur dann gut, wenn
sie die Lebenswirklichkeit abbilden kann . Wir verfolgen
mit der Novelle konkrete Ziele, die sich aus dem Alltag
von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie
Studierenden ableiten lassen . Ich will anhand von drei
Beispielen verdeutlichen, wo wir in der Statistik tatsäch-
lich einen Schritt weiterkommen .

Erstens . Die Studienverläufe haben sich verändert .
Mehr als ein Viertel der Bachelorstudierenden haben ihr
Studium abgebrochen . Wir wissen jetzt nicht immer, was
dahintersteckt: ein Fachwechsel, ein Studienortwech-
sel, vielleicht ein Auslandsaufenthalt . Wir wissen auch
nicht, ob Lernunterbrechungen stattfinden, wann jemand
wieder ein Studium aufnimmt, weil er lange nach dem
Bachelorabschluss ein Masterstudium aufnehmen will .
Diese Dinge werden durch die Studienverlaufsstatistik
besser nachgezeichnet . Sie bringt uns neue Erkenntnis-
se: Wo gehen die Studierenden hin? Wie ist ihr Studie-
nerfolg? Wir können damit den Anforderungen an das
lebensbegleitende Lernen gerecht werden . Ich bin des-
halb den Innenpolitikern der Großen Koalition dankbar,
dass sie den Weg mitgegangen sind, die Speicherfrist auf
18 Jahre zu erhöhen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will den Disput von vorhin aufgreifen: Das geht na-
türlich nur unter hohen Anforderungen an Datensparsam-
keit und Datenschutz . Deswegen ist es wichtig, dass wir
auch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der
Länder gehört haben und sie im Grundsatz ihre Zustim-
mung zu diesem Verfahren gegeben haben .

Herr Lenkert, Sie zeichnen in dieser Debatte – ich will
das einmal sagen – ein absurdes Zerrbild von der Nut-
zung amtlicher Statistik .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Pseudonymisierung von Daten ist notwendig, damit
wir sie als Summendaten nutzen können . Niemand will
Individualdaten nutzen, sondern wir werden am Ende
Summendaten erstellen . Da ist dieses Verfahren hilfreich
und wirksam; es ist an anderen Stellen schon ausprobiert
worden . Das Bild, das Sie hier zeichnen, ist ein Bild von
Statistik als staatlichem Repressionsinstrument . Das ist
absurd . Wir legen keine Akten an, sondern machen eine
Statistik . Deswegen rate ich zu etwas mehr Beruhigung
in dieser Debatte .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Was ist denn der Unterschied zwischen einer Datei und einer Akte?)


Zweiter Punkt . Die Datenlage in Bezug auf Promovie-
rende an den Hochschulen ist teilweise desaströs .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden jetzt einen Schritt weiterkommen, indem
wir unsere Pflicht zur Lieferung von Daten für die eu-
ropäische Statistik erfüllen und dafür die Zahl der Pro-
movierenden und die Dauer der Promotionen erheben .
Ich will aber gleich einräumen, dass die Datenlage ver-
bessert werden könnte, wenn wir zu einem einheitlichen
Status an den Hochschulen – mit Rückmeldeverpflich-
tungen – kommen würden . Das liegt aber in der Gesetz-
gebungskompetenz der Länder . Das Thema sollte trotz
aller Schwierigkeiten zukünftig noch einmal aufgegrif-
fen werden .






(A) (C)



(B) (D)


Dritter Punkt . Ich bin froh, dass es uns gelungen ist,
die Gasthörerstatistik im Gesetzgebungsverfahren zu
erhalten . Wir haben in der Anhörung gehört: Die Daten
sind valide, der Aufwand ist vertretbar . Wir wissen, dass
Flüchtlinge teilweise als Gasthörer in die Statistik auf-
genommen werden . Wir wissen, dass Seniorenstudenten,
ein kleiner Teil an der Hochschule, aber ein wachsen-
der Teil mit Blick auf lebensbegleitendes Lernen in der
Statistik auftauchen . Deswegen brauchen wir mit Blick
auf die zukünftige Entwicklung diese Statistik vorläufig
noch, und es ist gut, dass wir sie erhalten haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Statistik wird angenähert an die veränderte Realität .
Aber allein das Wissen um Veränderung reicht nicht, es
müssen auch die richtigen politischen Schlussfolgerun-
gen gezogen werden . Ich möchte deshalb zum Schluss
zwei Beispiele nennen, mit denen ich verdeutlichen will,
wo wir weitermachen müssen; eines der beiden politi-
schen Felder, die ich skizziert habe, haben wir bearbei-
tet, das andere müssen wir uns für die nächste Novelle
aufheben .

Erstens . Ich prognostiziere: Die Studienanfängerzah-
len werden hoch bleiben, deutlich höher als es zu Beginn
des Hochschulpaktes prognostiziert wurde . Herr Lenkert,
auch hier haben wir in dieser Wahlperiode eine Menge
geschafft. Wir haben den Hochschulpakt ausfinanziert.
Wir haben den Pakt für Forschung und Innovation
durch die bundesseitige Finanzierung des Aufwuchses
gesichert . Wir werden morgen das Gutachten der Imbo-
den-Kommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative
zur Kenntnis nehmen können und haben jetzt schon die
Zusicherung, dass wir 4 Milliarden Euro für die Fortfüh-
rung der Exzellenzinitiative bereitstellen plus 1 Milliarde
Euro für den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Das ist ein Erfolg!)


Ich will damit sagen: Durch die vier Pakte unterstützen
wir schon jetzt die Hochschulen nachhaltig bei der Be-
wältigung der Herausforderungen aufgrund der Verände-
rungen in der Hochschullandschaft .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Richtig!)


Sie wirken schon jetzt bei der Bewältigung der hohen
Studienanfängerzahlen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will aber auch sagen: Wenn die Zahlen hoch blei-
ben, dann müssen wir in der nächsten Wahlperiode zu
grundsätzlichen Entscheidungen kommen . Aus meiner
Sicht ist es sinnvoll, die Verantwortungsgemeinschaft,
die Bund und Länder für die Grundfinanzierung der
Hochschulen eingegangen sind, beispielsweise mit der
Finanzierung des Aufwuchses beim Hochschulpakt, zu
erhalten . Die Grundgesetzänderung macht es möglich .
Deswegen werden wir auch in der nächsten Wahlperiode,
wenn die Pakte auslaufen, darüber sprechen müssen, wie

wir zumindest einen Teil davon im Interesse der Hoch-
schulen verstetigen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Uwe Schummer [CDU/CSU] und Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zum Zweiten – ein Feld, das wir in der Novelle stär-
ker hätten aufgreifen müssen; das hätten wir uns ge-
wünscht –: Wir brauchen auch ein Bild der sozialen Un-
gleichheit an Hochschulen . Nach wie vor ist die größte
Herausforderung für die Wissenschaftspolitik die Schaf-
fung von Chancengleichheit . Zwei Zahlen – die kennen
Sie – zeigen den Bedarf: Von 100 Kindern aus Akade-
mikerfamilien beginnen über 70 ein Hochschulstudium,
und von 100 Kindern aus Nichtakademikerfamilien be-
ginnen 24 ein Studium .

Das heißt: Ungleichheit ist auch ein Thema für die Wis-
senschaftspolitik . Die Hochschule kann diese Probleme
nicht alleine lösen, da der Bildungstrichter natürlich weit
vorher ansetzt .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bildungsgerechtigkeit nennt man das!)


Aber wir wollen wissen, aus welchen sozialen Milieus
die Studierenden kommen; denn Aufnahme und In-
tegration von Studierenden aus Arbeiterfamilien, aus
Nichtakademikerfamilien ist auch ein Qualitätsmerkmal
guter Hochschulpolitik . Deswegen wollen wir auch das
erfasst haben und wünschen uns für künftige Erhebungen
die Aufnahme weiterer Merkmale .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist ein solide erarbeitetes Gesetz . Dem Dank an
den Ausschuss für die Hochschulstatistik schließe ich
mich an . Ich freue mich auf viele datengestützte Diskus-
sionen und politische Entscheidungen . Ich glaube, man
kann dem vorliegenden Gesetzentwurf ruhigen Gewis-
sens zustimmen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815221200

Vielen Dank, Kollege Kaczmarek . – Der nächste Red-

ner ist Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Diversity in Aktion! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN], an den Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Einfach ignorieren!)



Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815221300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute geht es in dieser Debatte gar nicht um die sehr
wichtige Fragestellung, wie wir die Grundfinanzierung
unserer Hochschulen verbessern, sondern es geht darum,
dass wir besseres hochschulpolitisches Steuerungswis-
sen durch die Änderung der Statistik bekommen .

Oliver Kaczmarek






(A) (C)



(B) (D)


Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit,
das gilt auch für Oppositionspolitik, Herr Lenkert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Darum war es so überfällig, das Hochschulstatistikgesetz
endlich zu überarbeiten . Dafür haben wir als Grüne auch
lange geworben; denn das jetzige Gesetz hat die hoch-
schulpolitische Realität nicht mehr gut genug abgebildet .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: So ist es!)


Bund und Länder haben sich viel Zeit gelassen . Aber mit
Blick auf diese konkrete Gesetzesnovelle kann ich sagen:
Was lange währt, wird tatsächlich mal ganz gut .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Gut ist, dass nach der Anhörung im Deutschen Bun-
destag der Gesetzentwurf nachjustiert wurde . Die Hoch-
schulen bekommen mehr Zeit für die Umstellung, und
die Gasthörerstatistik bleibt erhalten . Das ist nicht nur
wichtig für die vielen Seniorenstudierenden, sondern
auch für die vielen Geflüchteten, die jetzt einen Gast-
hörerstatus bekommen . Die wachsende Vielfalt der Bil-
dungsbiografien kann besser abgebildet werden; denn die
pseudonymisierten Daten bleiben länger erhalten . – All-
dem können wir zustimmen .

Ein wirksamer Datenschutz ist uns extrem wichtig .
Darum haben wir den Gesetzentwurf besonders kritisch
unter die Lupe genommen . Wir haben ihn für unbedenk-
lich befunden . Der Vorwurf, dass diese Novelle den glä-
sernen Studierenden brächte, mag plakativ sein, hat mit
der Realität aber nichts zu tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn alle Datenschutzbeauftragten von Bund und Län-
dern der Novelle ihren Segen geben und keinen Anlass
zur Kritik sehen, dann habe ich keinen Anlass, dieser
Einschätzung zu misstrauen . Man sollte hier keinen Po-
panz aufbauen . Liebe Linksfraktion, Sie entlarven sich
selbst: Sie haben keinen Änderungsantrag zum Gesetz-
entwurf eingebracht


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Kein Vorschlag!)


und noch nicht einmal einen Entschließungsantrag fabri-
ziert . Sie springen echt zu kurz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich sage für uns Grüne: Wenn Union und SPD ausnahms-
weise etwas gut machen, und das kommt ja selten genug
vor,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


dann bricht mir kein Zacken aus der Krone, wenn ich das
anerkenne; denn wir teilen das Ziel, Politik und Verwal-
tung bessere Daten zur Verfügung zu stellen, also uns
Parlamentarierinnen und Parlamentariern und den Minis-

terien . Für eine bessere Hochschulpolitik brauchen wir
das .

Seit der letzten Novelle 2005 hat sich die Hochschul-
landschaft rasant weiterentwickelt, sowohl quantitativ
als auch qualitativ . Auf Basis dieser Novelle werden wir
die Wirkung der politischen Entscheidungen in der letz-
ten Dekade viel besser sichtbar und damit auch besser
bewertbar machen . Studienverläufe werden besser nach-
vollziehbar sein . Das ist sehr wichtig; denn nur so lüf-
tet sich eines der größten Geheimnisse dieser Republik:
Wie viele Studienabbrecherinnen und -abbrecher haben
wir wirklich? Angesichts der Tatsache, dass Zahlen oft
politisch instrumentalisiert werden, finde ich es extrem
wichtig, dass künftig statistisch unterschieden wird, ob
ein Studienortwechsel stattfindet, ob ein Fachrichtungs-
wechsel stattfindet oder ob junge Leute aus dem Studium
heraus angeworben werden und deshalb ihr Studium ab-
brechen . All das gibt es . Dann wird die Zahl nicht mehr
so abenteuerlich hoch sein wie die, die von manchen jetzt
für die Akademisierungswahndebatten missbraucht wird .
Dann wissen wir endlich: Wer bricht ab? Damit wird eine
zentrale Wissenslücke geschlossen, und man kann die
Zahlen nicht länger politisch instrumentalisieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir begrüßen, dass der Merkmalskatalog zum wis-
senschaftlichen Personal erweitert wird . Ebenso begrü-
ßen wir, dass alle Promovierenden aufgeführt werden .
Das dürfte dazu führen, dass wir ein noch klareres Bild
von der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses
in unserem Land bekommen . Wir begrüßen auch, dass
mehr Informationen über die Hochschulleitungen erfasst
werden, damit zum Beispiel das Monitoring zur Gleich-
stellung von Frauen in der Wissenschaft endlich präzise
stattfinden kann. Das ist ein wahnsinnig wichtiges The-
ma . Auch das macht die Novelle möglich . Außerdem
begrüßen wir, dass der Migrationshintergrund differen-
zierter erfasst werden kann, weil das Erhebungsmerkmal
„weitere Staatsangehörigkeit“ erstmals eingeführt wird .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815221400


Bitte kommen Sie zum Ende .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815221500


Ja, Frau Präsidentin . – Es ist wichtig, dass wir die
Doppelstaatlichkeit und damit die gesellschaftliche Re-
alität besser abbilden können .

Alles in allem: Wir können dieser Novelle zustimmen .
Über die Fragen nach der Grundfinanzierung und den
Weichenstellungen in der Hochschulpolitik diskutieren
wir an anderer Stelle weiter .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815221600

Vielen Dank, Kollege Gehring . – Die letzte Rednerin

in dieser Debatte: Dr . Claudia Lücking-Michel für die
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU):
Rede ID: ID1815221700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Statistik halten viele für sehr kompliziert und viele an-
dere für langweilig . Das Erste scheint sich heute Abend
zu bestätigen – für einige ist es zu kompliziert –; aber
langweilig ist es sicherlich nicht .


(Beifall des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Hochschulstatistik zeigt uns zudem, wie vielfältig das
Studium ist, und hilft, die richtigen Schlüsse zu ziehen .
Beispiele haben wir gehört . Ich will auf die Situation
der Promovierenden verweisen, weil sie mir besonders
wichtig sind . Ich kann es kurz machen, weil das gerade
schon einmal hervorgehoben wurde: Bisher wissen wir
tatsächlich noch nicht einmal, wie viele Promovierende
wir in Deutschland haben . Wenn auf Basis dieses Geset-
zes der Status der Promovierenden, der an den einzelnen
Hochschulen sehr unterschiedlich ist, endlich einheitlich
definiert wird und wir sie früh erfassen können, dann ist
das ein wichtiger Punkt .

Mein zweiter Hinweis bezieht sich auf die Situation
des wissenschaftlichen Nachwuchses, für den wir – da-
rüber sind wir uns ja einig – gute Bedingungen schaffen
wollen . Wir haben vor kurzem das Wissenschaftszeitver-
tragsgesetz geändert, weil wir der missbräuchlichen Be-
fristung von Verträgen einen Riegel vorschieben wollen .
Wir wollen mit den Ländern ein Tenure-Track-Programm
auflegen, das verlässliche Karrierewege hin zur Professur
eröffnet . Jedem ist klar, wie wichtig es ist, dafür verläss-
liche Daten zu haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen wissen, welche Auswirkungen unsere wis-
senschaftspolitischen Entscheidungen haben .

Statistik liefert uns, wenn wir auf dem weiten Oze-
an namens Wissenschaftssystem unterwegs sind, wie
Leuchttürme wichtige Orientierungspunkte . Diese No-
velle bringt endlich Licht ins Dunkel der Gründe für
Studienabbrüche . Wir brauchen die Novelle, um fest-
zustellen, wie viele Masterstudienplätze nötig sind . Wir
brauchen die Novelle – das ist mir sehr wichtig –, weil sie
sicherstellt, dass die Leistungen der Hochschulen bun-
desweit eingeordnet und miteinander verglichen werden
können .

Das alles sind Fragen, die uns als Wissenschaftspoliti-
ker und -politikerinnen, als Verantwortliche in den Hoch-
schulen und Forschungseinrichtungen dringend umtrei-
ben, und zwar nicht, weil wir sie statt unseres Handelns
brauchen, sondern um daraus die richtigen Schlüsse zu
ziehen und unser zukünftiges Handeln noch besser jus-
tieren zu können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es war gut, dass wir noch drei wichtige Veränderun-
gen eingebracht haben .

Erstens . Die Gasthörerstatistik bleibt erhalten . Darauf
wurde schon verwiesen .

Zweitens . Die Verlängerung der Erhebung . Die Stu-
dienverlaufsstatistik nach zwölf Jahren zu löschen – wir
haben es gehört –, wäre sinnwidrig gewesen . Es ist gut,
dass die Erhebung jetzt auf mindestens 18 Jahre verlän-
gert wurde .

Schließlich . Wenn das Ganze erst 2017 in Kraft tritt,
hat keine Hochschule mehr das Argument, sie hätte nicht
genug Zeit gehabt, um ihre Software umzustellen . Das
Ganze startet dann gleich auf gut geordneten Wegen .

Jetzt noch einmal zu Ihnen, liebe Kollegen von der
Linken: Sie haben heute Abend, in der Anhörung und
auch im Ausschuss immer so getan, als sei das Statisti-
sche Bundesamt – gerade haben Sie es noch einmal ge-
sagt – eine Datenkrake, die den Studierenden die Luft ab-
drückt . In den Entgegnungen wurde schon deutlich, dass
das wirklich lächerlich und an der Sache vorbei ist . Es ist
auch deutlich geworden, dass Sie lange suchen müssen,
um außerhalb Ihrer Fraktion jemanden zu finden, der die-
ses Seemannsgarn mit Ihnen weiterspinnen will . Wenn
selbst die Kollegen von den Grünen im Bundestag keine
Bedenken haben,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll denn das jetzt heißen?)


wenn die Datenschutzexperten des Statistischen Bun-
desamtes und der Länder in dem Gesetzentwurf keine
Gefahr für die informationelle Selbstbestimmung von
Studierenden sehen, dann, liebe Linke, haben wir wich-
tige Gewährsleute, und Sie müssen, würde ich sagen, zu-
rückrudern .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Schipanski hat noch einmal erklärt, wie die Ver-
schlüsselung funktioniert . Ich möchte hervorheben, dass
es bei zwei Datenbanken bleibt: eine für die Einzeldaten
und eine, die die Einzeldaten zusammenführt . Es ist klar,
dass die Hochschulen keinen Zugriff auf die Datenbank
für die Einzeldaten erhalten, sondern nur die statistischen
Ämter . Das muss man noch einmal hervorheben, um zu
zeigen: Die Geheimhaltung individueller Daten ist auch
für uns ein sehr hohes Gut . Wir sehen, dass es mit diesem
Gesetzentwurf klar geschützt wird .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie die Kra-
ke in der dunklen Tiefsee, wo sie ihren natürlichen Le-
bensraum hat . Wir legen hier heute ein modernes und
transparentes Hochschulstatistikgesetz vor . Es ist kein
Ungeheuer, das den Bürgerrechten der Studierenden an
den Kragen will, sondern ein Kompass, mit dem wir den
richtigen Kurs für die zukünftige Hochschul- und Wis-
senschaftspolitik setzen .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815221800

Vielen Dank, Claudia Lücking-Michel . – Damit

schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Hochschulstatistikgesetzes . Der Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/7358, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/6560 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Enthaltungen? – Wer stimmt dagegen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen . Dagegengestimmt hat die Linke .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dagegen-
gestimmt haben die Linken .

Damit wechsle ich jetzt den Platz und wünsche Ihnen
noch einen schönen Restabend .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815221900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-

ordnungspunkt 13 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie

(9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Niema Movassat, Caren Lay, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE sowie der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Claudia Roth (Augsburg), Tom Koenigs, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Herkunft von Konfliktrohstoffen konsequent
offenlegen

Drucksachen 18/5107, 18/6226

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält der Kolle-
ge Klaus Barthel, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1815222000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Im Laufe des Tages haben wir heute zum Beispiel über
die Bundeswehrmandate mit Blick auf Mali oder den
Irak gesprochen, wir haben die Menschenrechtsdebatte
gehört, wir haben immer wieder über Flüchtlinge gespro-
chen . Bei der Frage nach den Ursachen von Bürgerkrie-
gen und Kriegen, von Krisen und Gewalt, von Flucht
und Vertreibung, von Menschenrechtsverletzungen stößt

man immer wieder auf dieselbe Frage, nämlich: Woher
kommt eigentlich der Treibstoff, woher kommen die fi-
nanziellen Ressourcen, woher kommt das Geld für Krieg,
für Waffen, für Söldner, für Kindersoldaten, für die Be-
gehung von Menschenrechtsverletzungen, und was treibt
diese Spirale der Gewalt letzten Endes immer wieder an?

Früher oder später landet man – als einer der Quel-
len – bei den Rohstoffkonflikten, egal ob es um Öl, Gold,
Diamanten oder bestimmte Metalle geht . Es ist sehr
schnell der Ruf danach zu hören, ebendiese Quellen tro-
ckenzulegen . Dann sind wir in dieser Debatte, in der es
um Konfliktmineralien geht, sehr schnell vom Abstrakten
zum Konkreten gekommen. Im Fall der Konfliktminera-
lien geht es um bestimmte Metalle und Mineralien, die
nachweislich dazu benutzt werden, Kindersoldaten, Waf-
fen, Milizen und übelste Menschenrechtsverletzungen zu
finanzieren, und um deren Abbau und Weiterverteilung
es immer wieder neue Kämpfe und Konflikte gibt.

Die EU will genau hier eingreifen . Die Kommission
hat einen Vorschlag für eine verantwortungsvolle Roh-
stoffversorgung gemacht . Der Vorschlag der Kommissi-
on sieht zwar vor, eine verbindliche Zertifizierung vorzu-
nehmen; er umfasst aber nur eine freiwillige Teilnahme
an dieser Zertifizierung. Wir müssen leider feststellen,
dass die Mehrheit der europäischen Regierungen – mit
Ausnahme der Bundesrepublik Deutschland und Schwe-
dens – bis heute immer noch hinter diesem Vorschlag
steht . In der Sache ist der Vorschlag der Kommission in
Teilen auf jeden Fall überholt . Es gibt den Beschluss des
Europäischen Parlaments vom vergangenen Mai, und wir
alle wissen aus der Diskussion der letzten Jahre:

Erstens . Die Kommission hat recht: Wir brauchen ei-
nen weltweiten und keinen regionalen Ansatz, der nur
auf den Kongo und seine Umgebung ausgerichtet ist .

Zweitens . Anders als die Kommission das sieht, müs-
sen wir – egal ob es um Textilien oder um Metalle geht –
alle Stufen der Wertschöpfungskette erfassen, wenn wir
die Sache vernünftig regeln wollen .

Drittens wissen wir, dass wir keine freiwillige Teil-
nahme, sondern verbindliche Regeln brauchen . Wir
kennen die vielen Initiativen und freiwilligen Verein-
barungen, die es seit vielen Jahren gibt . Nach einer be-
stimmten Zeit ist die Zeit aber einfach um . Alle Unter-
nehmen und Verbände, die sich darüber beschweren, dass
wir Verbindlichkeit fordern, müssen sich halt bei denen
bedanken und auf die schauen, die bei den freiwilligen
Vereinbarungen jahrelang nicht mitgemacht haben . Das
hat bei den Konfliktmineralien dazu geführt, dass über
80 Prozent dessen, was gehandelt wird, nicht zertifiziert
ist, obwohl es schon seit vielen Jahren die Chance dazu
gibt .

Deswegen müssen wir jetzt die politischen Konse-
quenzen ziehen . Ich glaube, es hat sich ein wichtiger
Lernprozess vollzogen . Sicher haben das auch die An-
tragsteller vorangetrieben .

Die Position der SPD war eigentlich von Anfang an
klar . Diese habe ich auch schon am 18 . Juni vergangenen
Jahres vorgetragen . Das ist durch viele Beschlüsse auch






(A) (C)



(B) (D)


noch einmal bestätigt worden . Das ist also alles nichts
Neues . Das kennen wir .

Aber neu ist seit gestern, dass das nun auch die offi-
zielle Position der Bundesregierung ist . Im Jahreswirt-
schaftsbericht, der heute auch hier diskutiert worden
ist, finden wir nicht nur erstmals ausführliche Sozial-,
Nachhaltigkeits- und Handelskapitel sowie Fragen zur
Wachstumsdiskussion – das ist also eine neue Qualität
des Jahreswirtschaftsberichts –, sondern wir finden auch
Bemerkungen über die globale Unternehmensverantwor-
tung und über die Umsetzung der UN-Leitprinzipien so-
wie ein Kapitel über die Konfliktmineralien. Daraus darf
ich zitieren:

Sie

– die Bundesregierung –

sieht verbindliche Regelungen für geeignet an,
wenn sie verhältnismäßig sind und keine unnötigen
bürokratischen Belastungen verursachen . Für kleine
und mittlere Unternehmen sind unterstützende Be-
gleitmaßnahmen . . . vorgesehen .

Letzteres teilen wir uneingeschränkt, was die kleinen
und mittleren Unternehmen betrifft . Bürokratie wird
durch mehr Verbindlichkeit abgebaut . Es soll eine Rege-
lung statt vieler Zertifikate geben.

Zur Verhältnismäßigkeit will ich nur so viel sagen: Es
geht hier um viele Menschenleben; ich glaube, das ist in
der Debatte über Konflikte und Flucht deutlich gewor-
den . Da muss man die Verhältnismäßigkeit schon sehr
deutlich betonen, wenn es darum geht, wirtschaftliche
Fragen verbindlich zu regeln, und zwar so, dass es allen
hilft und für alle verbindlich und transparent ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD – Zuruf)


– Genau . Deswegen hat sich unserer Meinung nach der
Antrag erledigt .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Entschuldigung . Das muss ich als Berichterstatter noch
sagen: Der Antrag hat sich erledigt . Deswegen müssen
wir ihn ablehnen . In der Sache sind wir aber einen erheb-
lichen Schritt weitergekommen .


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815222100

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge

Höger, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815222200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Roh-

stoffreichtum ist für die meisten Regionen ein Fluch . Ein
großer Teil der Menschen in den Rohstoffexportländern
ist bitterarm. Sie haben keinen Anteil an den Profiten, die
mit Gold, Zinn, Wolfram oder Tantal gemacht werden .

Erbärmliche Arbeitsbedingungen sorgen dafür, dass
die Ärmsten im Austausch für einen Hungerlohn mit ih-
rer Gesundheit bezahlen . Gleichzeitig sorgt der Abbau
viel zu oft für die Zerstörung der Umwelt und für die
finanzielle Unterstützung von Bürgerkriegsfraktionen.

Wo liegt nun die Verantwortung für diese Menschen-
rechtsverletzungen? Kollege Barthel hat schon viele ge-
nannt . Wer allein auf Korruption und Misswirtschaft in
den Ursprungsländern verweist, der hat zwar teilweise
recht, macht es sich aber deutlich zu einfach .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein wesentlicher Teil der Verantwortung liegt dort, wo
die Rohstoffe verbraucht werden, wo die meisten Profite
bleiben und wo der Hauptsitz vieler beteiligter Firmen
ist, also in den Industrienationen des globalen Nordens .
Deswegen müssen wir die Politik hierzulande ändern .

Die Liste der Rohstoffe, über die wir heute abstim-
men – Gold, Zinn, Tantal und Wolfram –, ist eigentlich
zu kurz, aber sie ist ein wichtiger Einstieg in den verant-
wortungsvollen Umgang mit Rohstoffabbau .

In letzter Zeit wird häufig davon geredet, dass es not-
wendig sei, Fluchtursachen zu bekämpfen . Ich hoffe, das
ist wirklich ernst gemeint . Der sorgfältige Umgang mit
Rohstoffen ist hier ein ganz wichtiger Schritt .


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist schon absurd, dass Unternehmen hierzulande
und in der EU die Konflikte, die dann angeblich mit der
Bundeswehr entschärft werden sollen, mit anheizen . Se-
hen wir einmal davon ab, dass Militär Konflikte häufig
verschärft, anstatt sie zu lösen, so ist es doch bemerkens-
wert, an welchem Punkt „Verantwortung“ als Anspruch
in der gegenwärtigen deutschen Außenpolitik beginnt:
nicht bei der wirtschaftlichen Ausbeutung ganzer Konti-
nente und nicht bei der systematischen Beihilfe zu Men-
schenrechtsverletzungen, sondern erst dann, wenn mili-
tärische Stärke demonstriert werden kann . Beenden Sie
diesen Irrweg!


(Beifall bei der LINKEN)


Wieder einmal wird auf freiwillige Selbstverpflichtun-
gen der Unternehmen gesetzt . Das ist so, als würden wir
bei der Sicherheit im Straßenverkehr auf Freiwilligkeit
bei der Einhaltung von Tempolimits setzen .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja!)


Die Konsequenzen sind in jedem Fall absehbar: Schlech-
te Beispiele machen Schule . Wer Regeln einhält, ist der
oder die Dumme, und schlussendlich wächst das Risiko
für alle. Freiwillige Selbstverpflichtungen mögen gut
gemeint sein, sie sind jedoch ein Feigenblatt, und die
schwarzen Schafe ignorieren Menschenrechtsverletzun-
gen ungeniert weiter . Darum hoffe ich, dass wir uns auf
verpflichtende Leitlinien verständigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie für fairen Wettbewerb und faire Produk-
tionsbedingungen sind, dann setzen Sie sich für ver-
bindliche Richtlinien ein – für die gesamte Industrie in
Deutschland und Europa .

Klaus Barthel






(A) (C)



(B) (D)


Übrigens muss das Rad beim verantwortlichen Um-
gang mit Rohstoffen nicht neu erfunden werden . Die
OECD hat die entsprechenden Leitlinien längst ver-
abschiedet, und in den USA ist die Dokumentation für
bestimmte Rohstoffe längst Pflicht. Namhafte Hersteller
von Mikroprozessoren und Elektronikkonzerne in den
USA haben mit der Offenlegung ihrer Lieferketten und
der Verbesserung der Standards begonnen .

Aus diesen Erfahrungen und Untersuchungen der
EU-Kommission ist bekannt, dass die Kosten dafür,
der Sorgfaltspflicht nachzukommen, überschaubar sind.
Selbst für kleine und mittlere Unternehmen wird nur mit
einem Aufwand in Höhe von ungefähr 0,01 Prozent des
jeweiligen Jahresumsatzes gerechnet . Mit diesem gerin-
gen Aufwand könnten wir gemeinsam dafür sorgen, dass
die Arbeits- und Lebensbedingungen in den rohstoffrei-
chen Ländern ein wenig verbessert werden . Lassen Sie
uns heute damit beginnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815222300

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

Dr . Herlind Gundelach das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Herlind Gundelach (CDU):
Rede ID: ID1815222400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, uns allen in
diesem Hohen Hause ist daran gelegen, die Finanzierung
von bewaffneten Auseinandersetzungen in Konfliktge-
bieten durch die Erlöse aus dem Verkauf von sogenann-
ten Konfliktrohstoffen zu unterbinden. Hierbei handelt
es sich auch um eine internationale Aufgabe, für die wir
aber aktuell zumindest erst einmal eine europäische Re-
gelung anstreben .

Das Thema ist brisant und auch sehr komplex . Genau
das fordert von uns, sehr sorgfältig mit diesem Thema
umzugehen; denn nicht durchdachte Schnellschüsse soll-
ten wir vermeiden . Auch sollten wir Gleiches gleich und
Ungleiches ungleich behandeln; denn eine Generallö-
sung für alle Sachverhalte kommt aus unserer Sicht nicht
in Betracht . Wir brauchen sinnvolle, praktikable, wir-
kungsvolle und vor allem auch nachhaltige Regelungen .

Diese Herangehensweise vermisse ich bei dem uns
vorliegenden Antrag der Grünen und der Linken . Das ist
schade; denn es handelt sich wirklich um ein drängendes
Problem .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und
den Linken, Sie fordern beispielsweise, dass wir die De-
finition von Konflikt- und Hochrisikogebieten erweitern,
nämlich auf „Gebiete, die sich nach Konflikten in einer
fragilen Situation befinden“, und auf Gebiete, in denen
die „Staatsführung … schwach …“ ist . Da frage ich
mich, wer eigentlich entscheidet, ob die Staatsführung
stark oder schwach ist .

Selbstverständlich fordern Sie ein verbindliches Zer-
tifizierungssystem für die gesamte Lieferkette, also für
die Upstream- und die Downstream-Industrie, und eine

Offenlegungspflicht, die mit einer Liste verantwortungs-
voller Akteure einhergeht .


(Beifall des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In einem nächsten Schritt würden Sie außerdem die
Liste der möglichen Konfliktrohstoffe gerne noch erwei-
tern . Sie nennen dabei Chrom, Steinkohle, Kupfer, Ko-
balt, Seltene Erden und anderes .


(Inge Höger [DIE LINKE]: Genau!)


Damit stellen Sie Importeure und Exporteure nach unse-
rer Auffassung unter Generalverdacht und grundsätzlich
in eine Schmuddelecke .


(Lachen des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Damit ist nun wirklich niemandem geholfen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich denke, wir sind uns einig: Wir brauchen Rohstoffe,
aber sie müssen auf einem verantwortungsvollen Weg zu
uns kommen . Ziel der vorgesehenen Verordnung ist es
daher, die Querfinanzierung von Rebellengruppen und
Konflikten bei der Rohstoffgewinnung zu unterbinden.

Die Europäische Kommission hat dazu den Vorschlag
für ein freiwilliges Selbstzertifizierungssystem für euro-
päische Importeure von Zinn, Tantal, Wolfram und Gold
als verantwortungsvolle Einführer vorgelegt . Dieser
Vorschlag sieht Sorgfaltspflichten in der Lieferkette vor,
die bei der Einfuhr der genannten Materialien einzuhal-
ten sind . Die Europäische Kommission hat damit ganz
bewusst einen anderen Weg eingeschlagen als die USA .
Nach dem dort geltenden Dodd-Frank Act müssen Un-
ternehmen, die an der US-Börse notiert sind, angeben,
ob Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold in ihren Produkten
enthalten ist, welches aus der Konfliktregion der Demo-
kratischen Republik Kongo oder ihren Nachbarstaaten
kommt .

Inzwischen hat sich aber herausgestellt, dass diese
Bestimmungen fast einem Embargo gleichkommen, da
sich die Lieferketten zum Teil gar nicht nachvollziehen
lassen, und das, obwohl auch klar ist, dass nicht das ge-
samte Gebiet der Demokratischen Republik Kongo als
Konflikt region eingestuft werden müsste. Aber eine ge-
naue Abgrenzung gestaltet sich in der Praxis eben außer-
ordentlich schwierig . Deswegen haben sich weder die
Kommission noch der federführende Ausschuss für in-
ternationalen Handel des Europäischen Parlaments noch
das Europäische Parlament in toto für eine abschließende
Liste der Konflikt- und Hochrisikogebiete ausgespro-
chen . Eine Länderliste wird von allen kategorisch abge-
lehnt .

Leider – auch das muss man wissen – hat der
Dodd-Frank Act auch zur Folge, dass aufgrund der rück-
läufigen Präsenz von amerikanischen und europäischen
Betrieben in der Demokratischen Republik Kongo ein
größeres Engagement von Firmen zu beobachten ist, die
die Empfehlungen der OECD zu Sozialstandards beim
Abbau von Rohstoffen nicht beachten . Deswegen ist es
einfach falsch, Länder, Regionen, Importeure oder Ex-

Inge Höger






(A) (C)



(B) (D)


porteure unter Generalverdacht zu stellen; denn es führt
am Ende eher zu einer Verschlechterung der Situation vor
Ort und nicht zu der von uns allen gewünschten Verbes-
serung . So haben übrigens allein in der Region Katanga
in den letzten Jahren rund 400 000 Menschen aufgrund
des undifferenzierten Vorgehens nach dem Dodd-Frank
Act ihren Arbeitsplatz verloren . Das kann ja wohl nicht
der Sinn unseres Handelns sein .

Im Februar soll nun das Trilogverfahren für die
EU-Verordnung begonnen werden . Nach mehreren Mo-
naten der Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten
wurde zuletzt ein Kompromissvorschlag vorgelegt, der
wiederum eine freiwillige Regelung vorsieht . Damit wer-
den die Verhandlungen starten . Wir als CDU/CSU – das
betone ich ganz bewusst – möchten uns an einem Kom-
promissvorschlag konstruktiv beteiligen . Das Thema ist
komplex . Wir wollen eine Lösung, die den Interessen der
Zivilgesellschaft und der Wirtschaft gerecht wird . Die
Positionen der Mitgliedstaaten sind dabei noch unter-
schiedlich; das hat auch der Kollege Barthel schon be-
tont . Aber es gibt eine eindeutige Tendenz in Richtung
des ursprünglichen Vorschlags der Kommission .

Auch wir sprechen uns für eine Lösung aus, die auf
dem Vorschlag der Kommission und den bestehenden
freiwilligen Initiativen europäischer Unternehmen auf-
baut . Dabei stützen wir uns ausdrücklich auf die im Ko-
alitionsvertrag niedergelegte Vereinbarung, „freiwillige
Zertifizierungssysteme“ für den Import von Rohstoffen
zu etablieren; denn viele Firmen sind sich ihrer verant-
wortlichen Position innerhalb der Wertschöpfungskette
sehr bewusst und setzen seit Jahren auf diese freiwilligen
Initiativen . Zahlreiche Berichte, unter anderem von der
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, be-
legen, dass das sehr gut funktioniert . Deshalb sollten wir
mit unserer Regelung auf diesen bereits bestehenden Un-
ternehmensinitiativen und anderen Systemen aufbauen .

In diesem Kontext könnte ich mir übrigens eine offe-
ne Liste vorstellen, die diejenigen Firmen auflistet, die
sich einer solchen freiwilligen Zertifizierung unterwor-
fen haben . Dann hat jedes Unternehmen, das die in Rede
stehenden Rohstoffe verarbeiten will, die Möglichkeit,
hierauf zurückzugreifen und sich damit in die Kette der
verantwortungsvollen Nutzer einzureihen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Trilogverfah-
ren dient gerade dazu, einen Kompromiss zwischen den
unterschiedlichen Vorstellungen von Kommission, Parla-
ment und Rat zu finden. Die zentrale Frage dabei ist: Hal-
ten wir an dem System der Freiwilligkeit fest, oder ma-
chen wir den gesamten Prozess verpflichtend, und zwar
sowohl im Upstream- als auch im Downstream-Bereich?

Hier möchte ich an das anknüpfen, was der Kollege
Barthel gesagt hat: Die Einschränkung im Jahreswirt-
schaftsbericht, was in diesem Kontext das Thema Bü-
rokratie betrifft, bei dem es auch darum geht, was auf
diesem Gebiet überhaupt leistbar ist, ist durchaus zu
beachten . Fast alle Handelnden, die in diesem Bereich
unterwegs sind, sagen, dass ein effizienter und umfassen-
der Nachweis im Downstream-Bereich nahezu nicht zu
führen ist, vor allen Dingen, wenn es sich dabei um die

ganze Sekundärrohstoffkette handelt . Da ist ein lücken-
loser Nachweis schlicht nicht möglich .

Diesen Weg hat auch der federführende Ausschuss des
Europäischen Parlaments vorgeschlagen . Genau das ist
auch eine der Schwachstellen des Dodd-Frank Acts . Des-
wegen gibt es dort zwar formal einen Nachweis . Aber in
der Regel beruht er darauf, dass man auf einer Liste einen
Haken macht, ohne dabei Nachweise zu liefern . Deswe-
gen denke ich, dass wir auf diesem Gebiet so fortfahren
sollten .

Wir könnten uns im Upstream-Bereich, wo man das
relativ gut nachkontrollieren kann, durchaus eine ver-
pflichtende Regelung vorstellen. Ich glaube, das ist auch,
was die Konfliktregionen angeht, das Wesentlichere.
Aber im Downstream-Bereich sollten wir eine praktika-
ble Lösung finden, die sozial und auch tatsächlich um-
setzbar ist .

Insgesamt – ich glaube, darin sind wir uns einig – ge-
hen wir mit dem Verordnungsentwurf in Europa einen
neuen Weg mit zum Teil noch unbekannten Größen . Des-
wegen schlage ich noch zusätzlich vor, vielleicht nach
drei bis fünf Jahren eine Evaluierung des Ganzen vorzu-
nehmen, um dann gegebenenfalls in der Praxis aufgetre-
tene Schwierigkeiten der Regelung sachgerecht beseiti-
gen zu können .

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
nen und den Linken, mein Fazit zu Ihrem Antrag lautet:
Der Antrag ist weder in der Sache hilfreich, noch ist er
praktikabel, und er würde zu mehr statt zu weniger Pro-
blemen für die Menschen in den betroffenen Regionen
führen . Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815222500

Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Uwe

Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815222600

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Das Thema Konfliktmineralien bleibt ein heißes Eisen
für die Menschen in den Entwicklungsländern, aber auch
in der Koalition, wie die unterschiedliche Darstellung
der Thematik durch Herrn Kollegen Barthel oder Frau
Gundelach eben ganz klar zeigt .

Minister Gabriel wollte ganz lange auf europäischer
Ebene einfach dem Ratsvorschlag folgen, nirgendwo an-
ecken und sich einfach durchlavieren . Dann kam unser
Antrag . Wir haben auch sehr intensiv mit den Entwick-
lungspolitikern der SPD gesprochen, die jetzt sehr spär-
lich vertreten sind – das macht aber nichts –,


(Dr . Sascha Raabe [SPD]: Wir sind viermal so viele wie bei den Grünen!)


Dr. Herlind Gundelach






(A) (C)



(B) (D)


und dann hat man offensichtlich mit Minister Gabriel
gesprochen, der jetzt auch in Brüssel eine etwas andere
Position vertritt .


(Klaus Barthel [SPD]: Wo seid ihr denn alle, wenn es alles so wichtig ist?)


– Das ist vielleicht auch eine berechtigte Zwischenfrage .

Die Bundesregierung unterstützt nun weiter den Kom-
missionsvorschlag, wie Herr Barthel richtig formuliert
hat, der auf Freiwilligkeit basiert, mit dem kleinen Zu-
satz: Sofern die Verhältnismäßigkeit gegeben ist, wären
verbindliche Standards gar nicht so schlecht .

Ich frage mich: Was ist verhältnismäßig? Wer defi-
niert diese Verhältnismäßigkeit? Wir müssen uns doch
darüber klar sein: Um eine wirkliche Chance für Min-
deststandards in den Abbaugebieten und auch im Handel
zu erhalten, müssen wir Verbindlichkeit einführen . Eine
freiwillige Verbindlichkeit hilft dort in keiner Weise wei-
ter .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Barthel [SPD]: Das steht doch im Jahreswirtschaftsbericht! Du musst einfach mehr lesen!)


Verbindlichkeit würde keinem Unternehmen, außer den
kriminellen, die Handlungsoptionen entziehen . Es wird
auch kein Passepartout – das haben Sie richtig formu-
liert – für alle Firmen geben .

Nebenbei gesagt: Die OECD hat 2014 die Rohstof-
findustrie zum bestechungsanfälligsten Wirtschaftszweig
überhaupt erklärt . In keinem Wirtschaftszweig gibt es
so viel kriminelle Energie wie in der Rohstoffindustrie.
Wenn man mir dann erklärt, dass man hier mit Freiwil-
ligkeit einer Klärung näherkommen kann, dann sage ich:
Das ist unrealistisch . Freiwilligkeit – das zeigt uns die
Geschichte – führt hier zu nichts .

Der Trilog – das haben Sie richtig gesagt – beginnt
nächste Woche . Der Vorschlag des Rates basiert auf Frei-
willigkeit . Da können Sie noch so schön daherreden:
Es ist freiwillig . Damit fällt dieser Vorschlag hinter die
OECD-Standards, die UN-Leitprinzipien, die US-Ge-
setzgebung und – was am erstaunlichsten ist; man kann
es kaum glauben – auch hinter die chinesische Rohstoff-
politik zurück . Das ist schlicht hochnotpeinlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es gibt noch zwei Aspekte, die ich nennen möchte .
Wir sind aus Gründen der Fairness dazu verpflichtet, al-
les zu tun, damit alle Unternehmen gleiche Bedingungen
haben . Es gibt nämlich Unternehmen, die verbindliche
Standards wollen . Solange Mindeststandards durch frei-
willige Regelungen leicht und locker unterlaufen werden
können, tragen wir zur Marktverzerrung bei . Wir stützen
verantwortungslose Unternehmen, und wir festigen pre-
käre Verhältnisse vor Ort .

Der zweite Punkt . Wir reden immer von Fluchtur-
sachen . Es ist verdammt leicht, dieses Thema der Ent-
wicklungspolitik zuzuschieben . Aber ich kann Ihnen als
leidenschaftlicher Entwicklungspolitiker versichern: Die

Entwicklungspolitik kann das nicht leisten . Sie kann es
schon zweimal nicht leisten, wenn internationale Struk-
turen entwicklungspolitische Ansätze konterkarieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Menschen verlassen ihr Land, wenn sie keine Sicher-
heit haben, wenn soziales Elend und Perspektivlosigkeit
dominieren und wenn die Bedingungen ihre Kinder in
kriminelle Gruppen zwingen . Unsere Antwort muss klar
und deutlich sein: Fangen wir an, Fluchtursachen durch
kohärente und konsequente Politik, also mit verbindli-
chen Standards, zu bekämpfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das wäre doch einmal eine tolle Idee für die CSU .
Dann könnten Sie nämlich darauf verzichten, Flüchtlinge
zu bekämpfen . Der Kampf gegen Fluchtursachen würde
reichen, wäre effektiver und sinnvoller .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Franz Josef Strauß erklärt uns auch, warum das nicht
stattfindet. Er sagt nämlich: Diesen Leuten fehlt es ein-
fach an christlich-sozialen Werten der abendländischen
Kultur . – Darüber sollten Sie einmal nachdenken .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815222700

Vielen Dank . – Letzter Redner in dieser Debatte ist der

Kollege Dr . Sascha Raabe, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1815222800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Viele von Ihnen haben sich heute mit
roter Farbe an den Händen sozusagen verschönert, um
an den Red Hand Day, der am 12. Februar stattfindet,
zu erinnern . Dieser internationale Gedenktag weist da-
rauf hin, dass es 250 000 Kinder auf der Welt gibt, die
jährlich als Soldaten missbraucht werden und ihr Leben
aufs Spiel setzen . Selbst wenn sie überleben, werden sie
ein Leben lang traumatisiert sein . Deswegen ist es gut
und richtig, dass wir heute darüber debattieren, wie wir
als Konsumenten und Verbraucher in Deutschland und
Europa dazu beitragen können, dass in unseren Smart-
phones oder anderen Geräten keine Rohstoffe verarbei-
tet werden, bei deren Gewinnung Kinder als Sklaven in
Minen gearbeitet haben, die dann von Rebellengruppen
missbraucht werden, um Krieg zu führen . Kinder sollen
spielen und nicht schießen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich verstehe, dass zurzeit die Haltung der Bundesre-
gierung sowohl den Kollegen Kekeritz von den Grünen
als auch die Kollegin von der Union vor Schwierigkei-

Uwe Kekeritz






(A) (C)



(B) (D)


ten stellt; denn unser Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel
sagt in Europa und im Rat klar: Deutschland setzt sich für
eine verbindliche Regelung ein, um Konfliktmineralien
nur dann nach Europa einführen zu lassen, wenn sie nicht
aus Regionen stammen, in denen Schindluder mit dem
dadurch erwirtschafteten Geld getrieben wird und Kinder
als Soldaten missbraucht werden . – Das schmerzt natür-
lich, lieber Uwe, weil ihr Grünen in eurem Antrag so tut,
als hättet ihr einen Wandel in der Regierung erreicht .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fällt er um oder nicht? Das will ich hören!)


Ich habe dir schon im letzten Jahr gesagt, als wir über
diesen Antrag beraten haben, dass dieser durch Regie-
rungshandeln erledigt sein wird . Schon damals haben wir
gute Gespräche mit dem Wirtschaftsminister geführt . Wir
mussten nur noch die Union überzeugen; das wird viel-
leicht die Kollegin von der Union schmerzen . Deutsch-
land setzt sich gemeinsam mit Schweden im Rat für ver-
bindliche Regelungen ein .

Verhältnismäßig muss jedes Gesetz sein; das ist im
Prinzip nichts Besonderes . Da teile ich das, was der
Kollege Klaus Barthel gesagt hat: Natürlich ist jede Re-
gelung, die dazu dient, Kinderleben zu schützen, und
verhindert, dass Kinder als Soldaten kämpfen müssen,
verhältnismäßig . Ich bin mir sicher, dass wir in Brüssel
einen guten Beitrag leisten und das unterstützen werden,
was das Europäische Parlament auf den Weg gebracht
hat . Wir als Sozialdemokraten stehen dazu . Die Bundes-
regierung mit dem federführenden Wirtschaftsminister
Sigmar Gabriel steht ebenfalls dazu . Deswegen sollten
Sie sich freuen, Herr Kekeritz .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen Sie mir: Ist er schon umgefallen?)


Der Antrag Ihrer Fraktion ist im Kern durch Regie-
rungshandeln erledigt . Deshalb werden wir ihn ablehnen .
Wir nehmen gerne Ihren Dank für die gute Haltung der
Bundesregierung entgegen .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815222900

Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
zu dem Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Herkunft von Konfliktrohstof-
fen konsequent offenlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6226,
den Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/5107 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Schutz von Kindern und Jugendlichen
vor den Gefahren des Konsums von elektroni-
schen Zigaretten und elektronischen Shishas

Drucksachen 18/6858, 18/7205

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13 . Ausschuss)


Drucksache 18/7394

Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Seni-
oren, Frauen und Jugend auch Änderungen des Dritten
Buches Sozialgesetzbuch .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort für die Bun-
desregierung hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Caren Marks .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


C
Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1815223000


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Kinder und Jugendliche brauchen
Freiräume . Sie müssen etwas ausprobieren und auch ihre
eigenen Erfahrungen machen . Aber dort, wo es nachweis-
lich schädlich und auch gefährlich ist, muss es Verbote,
und zwar auch in Form von Gesetzen, geben . Dort, wo
Gefahren drohen, müssen Kinder und Jugendliche von
ihren Eltern, von der Gesellschaft und auch von der Po-
litik geschützt werden . Verbote werden dann akzeptiert,
wenn sie gut begründet sind und konsequent umgesetzt
werden .

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist gut,
dass wir heute mit diesem Gesetz die Abgabe von E-Zi-
garetten und E-Shishas an Kinder und Jugendliche ver-
bieten und nicht länger damit warten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nicht für Erwachsene – wie manche meinen –: Wer E-Zi-
garetten dampft, um zum Beispiel vom Rauchen wegzu-
kommen, kann natürlich weiterdampfen . Im Wachstum,
also für Kinder und Jugendliche, sind diese Produkte
nachweislich ganz besonders gesundheitsschädlich . Auch
wenn sie nach Früchten oder Schokolade schmecken und
damit harmlos wirken: Sie sind nicht harmlos . Genau
deshalb verbieten wir die Abgabe an Kinder und Jugend-
liche, und zwar konsequent: im Handel, im Onlinehandel
und im Geschäft . Wir werden auch die Werbung dafür
auf Filme ab 18 beschränken . Der entsprechende Ge-
setzentwurf – federführend beim Bundesministerium für
Ernährung und Landwirtschaft – ist bereits bei der Euro-
päischen Union zur Notifizierung.

Die Ausweitung der Verbote auf konventionelle Was-
serpfeifen mit Steinen oder auch Kräutermischungen
werden wir angehen . Ich begrüße den entsprechenden

Dr. Sascha Raabe






(A) (C)



(B) (D)


Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen und finde
es richtig, dass wir ohne Verzögerungen heute dieses Ge-
setz so verabschieden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich sage aber
auch ganz deutlich Folgendes . Wir müssen im Jugend-
schutz konsequent bleiben: Verbote nur dann, wenn es
nachweislich schädlich und gefährlich ist . Jugendpolitik
ist nicht zuerst Verbotspolitik . Alles zu verbieten, wobei
Erwachsene ein schlechtes Gefühl haben, ist jugendpoli-
tisch der falsche Weg .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Richtig und notwendig ist, das zu verbieten, was Kinder
und Jugendliche wirklich gefährdet . Wir brauchen kla-
re Regeln im Jugendschutz, die gut begründet sind und
konsequent durchgesetzt werden . Mit dem Verbot der
Abgabe von E-Zigaretten und E-Shishas an Kinder und
Jugendliche schließen wir eine Regelungslücke .

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte
mich bei allen bedanken, die hieran mitgewirkt haben –
auch dafür, dass wir mit einem Änderungsantrag die drei-
jährige Vollfinanzierung von Altenpflegeumschulungen
durch die Bundesagentur für Arbeit verlängern . Das ist
ein ganz anderes Thema, aber ich freue mich, dass wir
diese Gelegenheit nutzen . Unser Gesetz zum Schutz von
Kindern und Jugendlichen vor E-Zigaretten und E-Shis-
has ist der Omnibus, den wir brauchen, um diesen wirk-
lich wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung in trocke-
ne Tücher zu bringen . Auch das ist wichtig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nochmals herzlichen Dank für die gute Zusammenar-
beit, auch im Sinne eines guten Jugendschutzes .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815223100

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Frank

Tempel, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815223200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! In der Drogen- und Suchtpolitik ist es unser
gemeinsames Anliegen, gesundheitliche Risiken zu mi-
nimieren und dadurch entsprechend auch die Zahl der Er-
krankungen und vor allen Dingen der Todesfälle deutlich
zu reduzieren . Das gilt natürlich ganz besonders beim
Schutz der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen .
Insofern ist es erst einmal richtig, ein entsprechendes Ge-
setz auch für elektronische Zigaretten und elektronische
Shishas vorzulegen .

Bevor ich auf die Details des Gesetzentwurfes einge-
he, möchte ich aber noch eine kleine Mahnung loswer-
den . Regulierung des Verkaufs dieser Produkte ist das

eine, wichtiger ist aber eine glaubhafte Aufklärung und
eine vor allen Dingen wirkungsvolle Präventionsarbeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Prävention heißt nicht zuletzt, zu schauen, warum und
wann Jugendliche überhaupt rauchen und wie wir ihnen
alternative Lebensweisen anbieten und vermitteln kön-
nen . Das kommt in der ganzen Debatte deutlich zu kurz,
und die von uns angehörten Sachverständigen haben das
zum Teil zu Recht bemängelt . Verbote werden nun ein-
mal gerade von Jugendlichen – das sollten wir gelernt ha-
ben – wenig akzeptiert und häufig infrage gestellt. Kinder
und Jugendliche müssen deshalb in die Präventionsarbeit
und Aufklärung verstärkt selbst einbezogen werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Dafür muss Aufklärung eben auch glaubhaft sein .
Wenn Sie weiter Tabakzigaretten, elektronische Ziga-
retten mit Nikotin und elektronische Zigaretten ohne
Nikotin in einen Topf werfen, nimmt Ihnen das einfach
keiner mehr ab, und Sie setzen sich dem Verdacht aus,
im Sinne der Tabakkonzerne elektronische Varianten
und Alternativen für die Tabakzigarette kleinhalten zu
wollen . Unglaubwürdige Pauschalisierungen – auch das
sollten wir gelernt haben – wirken in der Prävention sehr
oft kontraproduktiv, sie werden als ungerecht und als Be-
vormundung verstanden . Ich nehme einmal an, dass auch
Sie, meine Damen und Herren, entsprechende Briefe
zahlreicher Bürger in den letzten Tagen reichlich erhal-
ten haben .

Bei E-Zigaretten entfallen ganz einfach die meisten
tabakbedingten Folgeschäden, und wenn es dann auch
noch eine E-Zigarette ohne Nikotin ist, dann gibt es ein-
fach Unterschiede, die auch im Gesetzgebungsverfahren
benannt werden müssen . Ich denke, dass gerade das prä-
ventive Potenzial der E-Zigarette noch lange nicht ausrei-
chend untersucht ist und es einer genaueren Betrachtung
bedarf . Nicht wenige Experten sehen beispielsweise die
E-Zigarette als risikoärmere Alternative für langjährige
Raucher . Auch das gehört in die Debatte hinein .


(Beifall bei der LINKEN)


Es mag sein, dass Sie befürchten, dass E-Zigaretten
und E-Shishas nicht nur den Ausstieg aus dem Tabakkon-
sum fördern, sondern auch den Einstieg in das Rauchen,
gewissermaßen als Einstiegsdroge für die Tabakzigaret-
te . Aber genau das wird in der Praxis selten beobachtet .
Es kommt nur selten vor, dass jemand sagt, die klassische
Zigarette sei ihm zu risikoreich, aber mit dem Rauchen
der elektronischen Zigarette fange er an . Das ist ein sel-
ten beobachteter Trend; auch das gehört in die Betrach-
tung hinein .

Natürlich hat der Konsum von E-Zigaretten und
E-Shishas gesundheitliche Risiken, gerade für Jugendli-
che . – Ich habe vier Minuten Redezeit, nicht nur zwei . –
Im Bereich des Tabakkonsums freuen wir uns seit Jahren
über einen Rückgang des Rauchens bei Jugendlichen .
Das hat natürlich etwas mit den Altersbeschränkungen
beim Verkauf dieser Produkte zu tun . Es macht keinen
Sinn, wenn der 16-Jährige keine Tabakzigaretten kaufen

Parl. Staatssekretärin Caren Marks






(A) (C)



(B) (D)


darf, aber nikotinhaltige E-Zigaretten . Insofern ist der
Ansatz, auch hier eine Altersbeschränkung einzuführen,
unterstützenswert . Diesem Teil des Gesetzentwurfs wür-
den wir auch zustimmen .

Genauso deutlich bekommen Sie unsere Unterstüt-
zung bei der Einschränkung von Werbungsmöglichkei-
ten . Niemand würde Geld für Werbung investieren, wenn
diese nicht einen deutlichen Anstieg des Konsums be-
wirken würde . Insofern fordert die Linke durchaus kon-
sequente Werbeverbote für Tabakzigaretten, für E-Ziga-
retten, genauso aber auch für Alkohol und für Cannabis,
wenn es demnächst auch in Deutschland hierfür legale
Abgabeformen geben wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir können diese Genussmittel nun einmal nicht aus un-
serer Gesellschaft verbannen, aber gerade den gesund-
heitlichen Risiken und nicht allzu oft auch den tödlichen
Folgen können wir mit angemessener Regulierung, in-
tensiver Aufklärung und Information entgegentreten .

Der Gesetzentwurf enthält durchaus richtige Maßnah-
men, ist aber mit fehlerhaften Ansätzen zur Prävention
und einer unsachlichen Gleichsetzung von Tabak und
E-Zigaretten inkonsequent . Eine Zustimmung ist daher
leider nicht möglich .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815223300

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt der Kollege Markus Koob .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Markus Koob (CDU):
Rede ID: ID1815223400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte
ich sagen – dem entsprach ja auch der Diskussionsver-
lauf nach der ersten Lesung des Gesetzentwurfs –, dass
es wahrscheinlich selten einen Gesetzentwurf gab, der
so auf fraktionsübergreifende Zustimmung gestoßen ist .
Ich war schon etwas überrascht, als die Linke gestern im
Ausschuss ihre Kritik vorgebracht hat, die sie hier heute
erneuert hat . Natürlich haben Sie recht, dass es keinen
Sinn macht, dass wir mit Blick auf erwachsene Men-
schen E-Zigaretten in dieser Form regulieren . Aber heute
geht es nun einmal darum, dass wir den Jugendschutz
anpassen wollen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb, so muss ich sagen, habe ich für Ihre Kritik an
dieser Stelle wirklich kein Verständnis .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir sind ja nicht doof! Das haben wir schon begriffen!)


– Ja, aber das kam in der Rede nicht wirklich rüber, Herr
Wunderlich .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Na ja!)


Ich glaube, wir sind nach etwas mehr als einem Jahr
Beratungen, die auch dadurch notwendig geworden sind,
dass uns das Bundesverwaltungsgericht mit einem Urteil

gezwungen hat, zu erkennen, dass wir hier Handlungs-
bedarf haben, an einem Punkt, an dem wir sagen kön-
nen: Wir schließen ein Gesetzesvorhaben ab . Ich glaube,
wir haben heute einen Tag, an dem wir sagen können,
dass der Jugendschutz gestärkt wird . Das ist eine positive
Nachricht und eine sehr gute Nachricht für die Kinder
und Jugendlichen in unserem Land .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich sage auch: Es war richtig, dass das Bundesver-
waltungsgericht geurteilt hat, wie es geurteilt hat: dass
nikotinhaltige Liquids keine Arzneimittel im Sinne des
Arzneimittelgesetzes sind, denn sie werden eben nicht
als Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung von
Krankheiten vermarktet . Insofern war vorhersehbar,
dass wir hier ein solches Urteil dieses Gerichts erhalten
werden . Es ist auch in dieser Deutlichkeit angemessen .
Denn es geht hier um höchst gesundheitsgefährdende
Inhaltsstoffe, die als Arzneimittel zu deklarieren wären .
Wir sind dabei, gerade mit dem Jugendschutz Kinder und
Jugendliche vor Krankheiten zu schützen . Das gilt natür-
lich auch für den Bereich des Rauchens und Dampfens .

Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf ist uns eine
gute und vor allem kurzfristige Antwort auf die entstan-
dene Regelungslücke gelungen . Ich muss in dieser Rede
nicht noch einmal extra darauf hinweisen, dass wir es
mit Krankheiten zu tun haben, die sowohl vom Tabak-
konsum als auch von E-Inhalationsprodukten ausgehen .
Dass diese Krankheiten umso gravierender verlaufen, je
früher mit dem Konsum der besagten Produkte begonnen
wird, ist rational leicht erschließbar .

Der von uns allen sehr geschätzte Helmut Schmidt
war nicht nur aufgrund seines hohen Alters und seines
Intellekts eine Rarität, sondern auch wegen seines hohen
Tabakkonsums . Den allermeisten Rauchern aber ist die-
ses Alter nicht vergönnt . Sie sterben wesentlich früher als
Helmut Schmidt an verschiedenen Krebsarten, Thrombo-
sen oder Herzinfarkten .

Damit Kinder und Jugendliche längstmöglich vor die-
sem Konsum geschützt werden, ändern wir heute das Ju-
gendschutzgesetz . Wir verbieten mit diesem Gesetz das
Angebot und die Abgabe von nikotinhaltigen E-Zigaret-
ten und E-Shishas, aber auch die Abgabe von nikotinfrei-
en E-Zigaretten und E-Shishas an Jugendliche off- und
online .

Wichtig ist vor allem die Berücksichtigung nikotin-
freier E-Inhalationsprodukte in diesem Gesetzentwurf;
denn Nikotin ist nicht der gefährlichste Inhaltsstoff der
E-Zigaretten und der E-Shishas . Die Inhalation des Ae-
rosols nikotinfreier Zigaretten entspricht der Inhalation
eines Chemiecocktails . Kurz zusammengefasst: Es be-
finden sich unter anderem Propylenglykol, Glyzerin, Di-
acetyl und Schwermetalle im Aerosol der nikotinfreien
E-Inhalationsprodukte . Zwar sind Propylenglykol und
Glyzerin in flüssiger bzw. fester Form nicht schädlich,
inhalativ aufgenommen haben sie allerdings erhebliche
Schäden der Lungen zur Folge, gerade in den noch nicht
voll ausgewachsenen Lungen von Kindern und Jugend-
lichen .

Frank Tempel






(A) (C)



(B) (D)


Zweifellos hätten wir uns als CDU/CSU-Bundestags-
fraktion bereits jetzt weiter gehende Regelungen für den
Gesundheitsschutz der Kinder und Jugendlichen in un-
serem Land gewünscht . Wir halten es für absolut gebo-
ten – nicht nur durch die eindeutigen Aussagen der Sach-
verständigen –, auch Dampfsteine, Kräutermischungen,
Pilze und Gele, die über konventionelle Wasserpfeifen
konsumiert werden, in das Jugendschutzgesetz aufzu-
nehmen .

Konventionelle Wasserpfeifen funktionieren ähnlich
wie ihre elektronischen Schwestern . Es werden Dampf-
steine, Kräutermischungen, Pilze und Gele verbrannt und
deren Schadstoffe, die denen der E-Shishas und E-Ziga-
retten ähneln, inhalativ aufgenommen . Zu ihnen gehören
unter anderem Kohlenmonoxid, Aldehyde, polyzykli-
sche Kohlenwasserstoffe und Schwermetalle . Wenn man
daran denkt, dass eine Wasserpfeifensitzung – auch das
haben uns die Sachverständigen gesagt – dem Rauch von
100 Zigaretten entspricht, bekommt man eine Vorstellung
von der Brisanz nikotinfreier Produkte für Wasserpfeifen
für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen .

Angesichts eines notwendigen EU-Notifizierungs-
verfahrens bei einer Änderung des Gesetzentwurfs des
Bundesfamilienministeriums standen wir vor der Wahl,
die Beschränkung der E-Zigaretten und E-Shishas um
weitere Monate hinauszuzögern oder aber die Beschrän-
kung des Angebots und der Abgabe in einem zweiten Ge-
setzgebungsverfahren zu regeln . Es war eine schwierige
Abwägung, die unsere Fraktion vorgenommen hat, da
wir als CDU/CSU-Fraktion um die Gefahr, die vom Ge-
brauch herkömmlicher Wasserpfeifen ausgeht, wissen .

Mit der Entschließung, die wir im Ausschuss be-
reits verabschiedet haben, fordern die CDU/CSU- und
SPD-Vertreterinnen und -Vertreter, umgehend ein weite-
res EU-Notifizierungsverfahren für einen Gesetzentwurf,
der das Angebot und die Abgabe von nikotinfreien Pro-
dukten wie Dampfsteinen, Kräutermischungen, Pilzen
und Gelen für die Nutzung konventioneller Wasserpfei-
fen für unter 18-Jährige regelt, einzuleiten . Aus meiner
Sicht ist die existierende Datenlage ausreichend, um im
Jugendschutzgesetz eine solche Reglementierung für
Kinder und Jugendliche vornehmen zu können .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch ein explizites Werbeverbot hinsichtlich E-In-
halationsprodukten bei Filmveranstaltungen befürworten
wir mit der bereits angesprochenen Entschließung .

Wir als Jugendpolitiker werden weiter kämpfen, bis
auch nikotinfreie Wasserpfeifenprodukte und das er-
wähnte Werbeverbot bei Filmveranstaltungen Aufnahme
im Jugendschutzgesetz gefunden haben und Kinder und
Jugendliche angemessen geschützt werden . Die umzu-
setzende Tabakproduktrichtlinie geht bereits in diese
Richtung .

Zigaretten, E-Inhalationsprodukte und konventionelle
Wasserpfeifen sind unabhängig vom jeweiligen Nikotin-
gehalt Suchtmittel, die nicht in die Hände minderjähriger
Personen gehören . Nach dem heutigen Stand der For-
schung hat Sucht sehr viel mit dem Angewöhnen und

dem Lernen von Ritualen zu tun . Durch explizit kinder-
freundliche Aromen werden Kinder mit ihren Geschmä-
ckern an die E-Zigaretten herangeführt . Ist der Einstieg
in die Sucht erst einmal bereitet und das Dampfverhalten
einstudiert, ist der zu gehende Weg in Richtung Tabak-
zigaretten kurz und ohne große Hürden . Der Weg wurde
dann bereits durch E-Inhalationsprodukte bereitet . Die
psychische Abhängigkeit ist dann dafür verantwortlich,
dass den Konsumenten der Ausstieg aus dem Rauchen
meist sehr schwer fällt .

Auch wenn E-Inhalationsprodukte für bereits suchter-
krankte Raucherinnen und Raucher ein Ausstiegsmodell
sein können, besteht die Gefahr, dass sich dieses Aus-
stiegsmodell bei naturgemäß nicht zigarettenaffinen Kin-
dern und Jugendlichen zu einem Einstiegsmodell in den
dauerhaften Tabak- oder E-Zigarettenkonsum entwickelt .
Dies gilt es mit aller Vehemenz zu verhindern . Auch da-
für brauchen wir diese Jugendschutzgesetznovelle und
die sehr zeitnah erfolgende Erweiterung der Verbote um
Dampfsteine, Kräutermischungen, Pilze und Gele, die
über konventionelle Wasserpfeifen konsumiert werden .

Ich möchte meine Rede auch heute wieder, wie be-
reits das letzte Mal zu diesem Thema, dem Nichtraucher-
oder, wenn Sie so wollen, auch dem Nichtdampferschutz
widmen . Seit 2007 wurde in Deutschland auf diesem
Gebiet viel erreicht . Das Aufkommen der E-Zigaretten
und E-Shishas hat aber Maßnahmen zur Anpassung der
bestehenden Nichtraucherschutzgesetze notwendig ge-
macht . Ihrer Verantwortung, die Gesundheit ihrer Bürge-
rinnen und Bürger vor den Gefahren des Rauchens und
Dampfens zu schützen, müssen explizit auch die Länder
nachkommen .

Diesen Appell richte ich ebenfalls an die Verantwort-
lichen für die Einhaltung der Nichtraucherschutzgesetze .
Gesetze helfen nicht, wenn sie nicht konsequent ange-
wendet werden . Dies muss gerade bei E-Inhalationspro-
dukten und Wasserpfeifen noch konsequenter geschehen .
18 Prozent der E-Dampfer nutzen die E-Inhalations-
produkte laut einer Umfrage der Gesellschaft für Kon-
sumforschung explizit, um in Nichtraucherbereichen
dampfen zu können . Das offenbart angesichts der Ge-
sundheitsgefährdung, die von diesen Produkten für je-
den Einzelnen ausgeht, Handlungsbedarf . Zwar hat jede
volljährige Person in Deutschland das Recht, zu dampfen
und zu rauchen – das ist Teil der individuellen Freiheit,
die ich sehr begrüße -; klar muss aber sein, dass meine
Freiheit als Dampfer und Raucher dort endet, wo durch
mein Verhalten die Freiheit meiner nichtrauchenden Mit-
menschen eingeschränkt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Rauchen kann töten, Dampfen sehr wahrscheinlich
auch . Es geht um Drogen, die die deutsche Gesell-
schaft durch Krankheit und Verringerung der Produkti-
onsleistung jährlich Milliarden von Euro kosten . Allein
13,5 Prozent aller Todesfälle in Deutschland sind direkt
auf das Rauchen zurückzuführen . Im Vergleich dazu sind
nur 3,8 Prozent aller Todesfälle auf eine nicht natürliche
Todesursache wie eine Verletzung, einen Unfall oder eine
Vergiftung zurückzuführen . Die jährlichen direkten Kos-
ten des Rauchens belaufen sich auf 25 Milliarden Euro .

Markus Koob






(A) (C)



(B) (D)


Ein besonderes Thema, auf das ich vermehrt von Ärz-
ten hingewiesen wurde und auf das ich hier aufmerksam
machen möchte, ist das Rauchen in der Schwangerschaft .
Das Rauchen in der Schwangerschaft ist bedauerlicher-
weise kein Randphänomen in unserer Gesellschaft . Je-
des achte Kind zwischen null und sechs Jahren ist ein
Opfer dieser Körperverletzung geworden . Bereits ab
einer Zigarette erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von
Eileiterschwangerschaften, Frühgeburten, pränataler
Sterblichkeit, plötzlichen Kindstoden, verringerten Ge-
burtsgewichten und -größen und vielem mehr . Wir als
Gesellschaft müssen gegensteuern und den künftigen
Eltern deutlich machen, dass es keine Lappalie ist, in
der Schwangerschaft zu rauchen . Zu dieser Aufklärung
gehört auch das Informieren darüber, dass vom Rauchen
in Autos für Kinder und Jugendliche eine sehr große Ge-
sundheitsgefahr ausgeht, weil dort trotz offener Fenster
Kinder und Jugendliche einer sehr konzentrierten Schad-
stoffbelastung ausgesetzt sind .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Meiner Ansicht nach sollten Präventionsmaßnahmen
nicht immer gesetzlicher Natur, sondern vielmehr aufklä-
render Natur sein . Wir wollen keine schwer zu kontrollie-
renden gesetzlichen Regelungen wie in Großbritannien .
Wir wollen, dass alle Eltern auf die Gesundheit ihrer Kin-
der achtgeben – ob zu Hause oder im Auto –, und vertrau-
en darauf, dass sie es nach erfolgter Aufklärung auch tun .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815223500

Herr Kollege Koob, Sie denken an die Zeit?


Markus Koob (CDU):
Rede ID: ID1815223600

Jawohl .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815223700

Sie haben ja schon so viel Redezeit .


Markus Koob (CDU):
Rede ID: ID1815223800

Ja . – Ich komme zum Schluss . Ich freue mich – das ist

die zweite positive Nachricht in der heutigen Debatte –,
dass es uns in relativ kurzer Zeit gelungen ist, die für die
Gesundheit der Kinder und Jugendlichen so gefährliche
Gesetzeslücke zu schließen . Der Weg ist mit der Ver-
abschiedung dieses Gesetzes noch nicht zu Ende, aber
er wurde von uns erfolgreich begonnen . Lassen Sie uns
weitergehen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815223900

Vielen Dank . Sie dürfen gleich noch einmal reden;

denn der Kollege Tempel hat um eine Kurzintervention
gebeten . Daher erteile ich Ihnen nachher noch einmal das
Wort . – Bitte schön .


Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815224000

Sehr geehrter Herr Koob, Sie haben sich nicht aus-

schließlich auf den Jugendschutz bezogen, aber ich
möchte trotzdem auf genau diesen zurückkommen . Es
gibt ja nicht nur die Äußerungen der Experten, die Sie
eingeladen haben, sondern auch andere . Wenn Sie ein
bisschen in meine Rede hineingehört haben, haben Sie
auch verstanden, dass ich unter anderem gesagt habe,
dass aus unserer Sicht eine Pauschalisierung und Gleich-
setzung von Tabakzigarette, E-Zigarette mit Nikotin und
E-Zigarette ohne Nikotin unverhältnismäßig ist . Ich habe
auch gesagt, dass wir Altersbeschränkungen beim Ver-
kauf von E-Zigaretten mit Nikotin zustimmen würden .
Das heißt nicht, dass wir die komplette Pauschalisierung,
alle diese Beschränkungen bei E-Zigaretten ohne Nikotin
gleichermaßen mittragen würden . Hier geht es nicht da-
rum, dass wir den Jugendschutz nicht thematisiert haben,
sondern darum, dass tatsächlich ein inhaltlicher Dissens
besteht .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815224100

Herr Kollege Koob, bitte schön .


Markus Koob (CDU):
Rede ID: ID1815224200

Vielen Dank . – Den Dissens sehe ich auch, aber ich

verstehe ihn nach wie vor nicht . Wir hatten in der Anhö-
rung der Sachverständigen die Situation, dass das, was
wir als CDU/CSU und SPD jetzt zum Thema Dampfstei-
ne und Wasserpfeifen fordern, nicht von allen Sachver-
ständigen explizit gefordert worden ist . Es ist aber von
allen Sachverständigen explizit gesagt worden, dass in
diesem Bereich absoluter Handlungsbedarf besteht und
wir hier eine Gesetzeslücke haben . Noch einmal: Es
geht darum, dass wir hier für Jugendliche und Kinder
Regelungen vornehmen und eben nicht für Erwachsene .
Was diesen Punkt angeht, haben eigentlich alle Sachver-
ständigen durch die Bank weg gesagt, dass dieses Ge-
setz sinnvoll und notwendig ist . Deshalb kann ich den
inhaltlichen Dissens an dieser Stelle nach wie vor nicht
nachvollziehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815224300

Vielen Dank . – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-

nen hat jetzt der Kollege Dr . Harald Terpe das Wort .


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815224400

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jugendschutz hat

da seine Berechtigung, wo wir fürchten müssen, dass die
Schutzbefohlenen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt
sind, insbesondere dann, wenn sie gesundheitlichen Ri-
siken ausgesetzt sind, die für sie vielleicht stärker sind
als für Erwachsene, weil das Gesundheitsrisiko entspre-
chend früher im Lebenszyklus einsetzt . Ich gehe auch so
weit, zu sagen, dass man, wenn ein solches Risiko nicht
explizit mit starken Argumenten nachweisbar ist, trotz-
dem im Jugendschutz Regelungen treffen kann, indem
man sagt: Weil das Risiko vielleicht besteht, muss man
gesetzliche Regelungen treffen .

Markus Koob






(A) (C)



(B) (D)


Nun stellt sich die Frage: Ist dieses Gesetz an dieser
Stelle zielführend? Es ist schon gesagt worden, dass
es um den Konsum von elektronischen Zigaretten und
E-Shishas geht . Wenn man sich einmal umhört, fragt man
sich, ob es zielführend ist, weil damit verschleiert wird,
worum es eigentlich geht . Es geht gar nicht um die elek-
tronische Zigarette als solche und um die E-Shisha als
solche, sondern um das, was damit verdampft und ver-
raucht wird . Es wird Gott sei Dank in der Begründung
deutlich – das wissen wir auch alle –, dass es natürlich in
erster Linie um Nikotin geht .

Insbesondere in Deutschland war Nikotin als Liquid
in der Dosis nicht beschränkt wie jetzt nach der euro-
päischen Richtlinie . Nicht nur für Erwachsene, sondern
besonders für Kinder besteht die Gefahr, dass Nikotin
nicht erst über den Genuss von Jahren und Jahrzehnten
irgendeine krankmachende Funktion hat, nämlich die
Abhängigkeit erzeugt, sondern direkt zum Tode führt .
Nikotin ist ein hochtoxischer Stoff und kann direkt zum
Tode führen . Insofern war natürlich klar, dass sich die
Diskussion zunächst am Nikotin entspann . Nun wird
durch eine Art Umweggesetzgebung – Gesetze, die den
Trigger oder den Vektor betreffen, der dieses Nikotin
oder andere Liquids als Dampf dem kindlichen oder dem
jugendlichen Körper aussetzt – vorgenommen . Insofern
kann man sagen: Natürlich erreicht man mit diesem Ge-
setz, indem man die Vektoren beschränkt, auch das Ziel .
Man kann nicht nach der Art vorgehen, indem man sagt:
Wir verhindern den Genuss des Eintopfs, indem wir die
Töpfe verbieten . – Aber wir gehen trotzdem mit, weil wir
damit tatsächlich Nikotinliquids und auch die möglicher-
weise krankmachenden Inhalate der Ausgangsprodukte
von Liquids regulieren .

Trotzdem muss man noch einmal darauf hinweisen,
dass die Datenlage wesentlich dünner ist als beim Tabak-
rauchen . Hier möchte ich dem Kollegen Koob von der
CDU noch einmal sagen: Es gibt seit Jahrzehnten Stu-
dien zum Tabakrauchen . Auch die Gesetzgebung zum
Schutz vor Passivrauchen, bei der ich sozusagen maß-
geblich Treiber war, zielte darauf ab, dass Tausende von
Passivrauchern versterben, weil sie passivrauchen . Da
ist tatsächlich der Satz gerechtfertigt: Die Freiheit des
Einzelnen endet da, wo er in die Freiheit eines Dritten
eingreift . – Aber die Datenlage – das muss man schon sa-
gen – für die Liquids ist bei weitem nicht so . Hier gibt es
keine Studienergebnisse . Deshalb würde ich schon ver-
langen, dass wir uns nach wie vor um Studienergebnisse
bemühen .

In dem Gesetzentwurf kommt das Thema der Verhal-
tensprävention viel zu kurz . Das Informieren der Konsu-
menten über Gefahren müssen wir ausbauen . Hier hat der
Kollege Tempel völlig recht .

Ich denke, in Ihrer Entschließung machen Sie wieder
etwas, was bereits bei der Richtlinie gemacht worden ist:
Sie gehen bei den Werbeverboten nicht weit genug .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich kann nicht verstehen, wieso man immer noch und
sogar im Zusammenhang mit Jugendschutz eine Beiß-
hemmung für Werbeverbote hat . Das ist mir völlig un-

verständlich . Insofern ist dort der Ansatz zur Verhaltens-
prävention völlig unterbelichtet oder unterkomplex .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815224500

Vielen Dank . – Das war jetzt ein guter Schluss, Herr

Kollege .


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815224600

Wir stimmen aber dem Gesetz zu, weil der Jugend-

schutz natürlich auch mit diesem Gesetz gestärkt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815224700

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Ursula Schulte,

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ursula Schulte (SPD):
Rede ID: ID1815224800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen

und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Ich bin froh, dass Manuela Schwesig als zustän-
dige Bundesministerin bei diesem Gesetzentwurf, den
wir heute hier beraten, richtig Gas gegeben hat; denn je
schneller das Gesetz kommt, desto schneller können wir
unsere Kinder und Jugendlichen schützen, und darum
geht es doch, liebe Kolleginnen und Kollegen .

E-Zigaretten und E-Shishas haben in Kinderhänden
nichts verloren;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


denn der Konsum ist, wie wir mittlerweile wissen, ge-
sundheitsschädlich, gerade in der Wachstumsphase . Ich
bin froh – das steht jetzt hier –, dass wir uns in diesem
Punkt in diesem Hause einig sind . Es ist sehr schade, dass
die Linken nicht mitmachen . Ehrlich gesagt, ich habe Ih-
ren Einwurf auch nicht verstanden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Frank Tempel [DIE LINKE]: Ich kann Ihnen das gleich noch einmal ganz langsam erklären!)


– Ja, das machen wir gleich . – Dass wir mit diesem Ge-
setzentwurf auf dem richtigen Weg sind, hat die öffentli-
che Anhörung am 11 . Januar doch deutlich gezeigt . Alle
Expertinnen und Experten haben das geplante Abgabe-
und Konsumverbot von E-Zigaretten und E-Shishas an
Kinder und Jugendliche ausdrücklich begrüßt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich zitiere in diesem Zusammenhang Dr . Matthias
Brockstedt:

Bei einer umfassenden Gesundheitsfolgenabschät-
zung werden Kinder und Jugendliche eindeutig als
„Gewinner“ eines kompletten Vertriebs- und Ver-
kaufsverbotes von E-Zigaretten und E-Shishas da-
stehen, …

Dr. Harald Terpe






(A) (C)



(B) (D)


Das ist eine klare und eindeutige Aussage, die meine
Fraktion und ich jedenfalls aus vollem Herzen teilen, lie-
be Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Den erwachsenen Konsumenten, das sei Ihnen auch
noch einmal gesagt, Herr Tempel, die sich mit Hunderten
von Mails bei Ihnen und bei mir gemeldet haben, sage
ich klar und deutlich: Natürlich können Sie immer noch
frei entscheiden, ob Sie rauchen wollen oder nicht . Sie
können auch entscheiden, was Sie rauchen . Letzteres be-
zieht sich, gestatten Sie mir den Einwurf, allerdings auf
Tabak und E-Produkte . Ich stelle das hier klar, weil ich
im deutsch-niederländischen Grenzraum wohne, und da
raucht man schon gern einmal das eine oder andere, was
nicht so ganz mit dem Gesetz übereinstimmt .


(Zuruf von der SPD: Was soll das denn heißen? – Sönke Rix [SPD]: Aber nicht du selbst! – Dr . Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus dieser Gegend stammt auch das Sprichwort: Ich rauche dich in der Pfeife!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz leistet
nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Kinder- und Ju-
gendschutz, sondern ebenso zum Gesundheits- und Ver-
braucherschutz, und den Verbraucherschutz werden wir
mit der Tabakproduktrichtlinie noch einmal verstärken .

Aber all das ist nur ein Anfang . Wir haben uns in einem
weiteren Schritt mit dem Abgabe- und Konsumverbot
von nikotinfreien Erzeugnissen an Kinder und Jugendli-
che zu beschäftigen, eben weil es den Verdacht gibt, dass
diese auch gesundheitsschädlich sind . Diese Dinge wer-
den ja zum Beispiel durch konventionelle Wasserpfeifen
inhaliert . Ich denke da an Kräutermischungen, Zucker-
erzeugnisse und die sogenannten Dampfsteine . Gerade
die konventionellen Wasserpfeifen und die Dampfsteine
werden zunehmend beworben, und der Fantasie und dem
Erfindungsgeist der Raucherindustrie scheinen dabei kei-
ne Grenzen gesetzt zu werden .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Machen Sie doch konsequente Werbeverbote!)


Daher müssen wir nicht nur über ein Abgabeverbot nach-
denken, sondern auch über ein Werbeverbot, und genau
das tun wir, und das werden wir auch auf den Weg brin-
gen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stehe an der Sei-
te des Verbandes der deutschen Kinderärzte, wenn dieser
fordert, das Rauchen im Auto zu unterlassen, wenn Kin-
der anwesend sind . Die Feinstaubbelastung steigt dort
um ein Vielfaches, da nützt es auch nichts, wenn man das
Fenster öffnet . Es muss Konsens in diesem Land werden,
dass im Auto nicht geraucht wird, wenn Kinder an Bord
sind . Am besten, man raucht überhaupt nicht in der Nähe
von Kindern, das ist dann gelebte Prävention .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Als Berichterstatterin habe ich mich natürlich auch
in verschiedenen Dampferforen umgesehen . Es gab dort
eine vehemente Kritik an diesem Gesetzentwurf und an
unserer politischen Diskussion, vor allem aber auch an
unserer Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig .
Ich bin froh, dass wir alle dem Druck nicht nachgegeben
haben, und ich danke Manuela Schwesig noch einmal
ausdrücklich für ihren Einsatz im Sinne des Kinder- und
Jugendschutzes .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815224900

Vielen Dank .

Die Aussprache ist damit beendet, und wir kommen
zur Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kin-
dern und Jugendlichen vor den Gefahren des Konsums
von elektronischen Zigaretten und elektronischen Shi-
shas . Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/7394, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/6858 und
18/7205 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer ist
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7394 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-
schließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung von Bündnis 90/
Die Grünen und der Linken angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Özcan Mutlu, Dr . Konstantin von Notz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine weltoffene und vielfältige Sport- und
Fankultur – Bürgerrechte schützen, Grup-
penbezogene Menschenfeindlichkeit effektiv
bekämpfen, rechte Netzwerke aufdecken

Drucksache 18/6232
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Innenausschuss

Ursula Schulte






(A) (C)



(B) (D)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen .


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815225000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Im Herbst 2014 randalierten circa 5 000 Hooligans unter
dem Motto „Hooligans gegen Salafisten“ in der Kölner
Innenstadt . Die rechtsextreme Band Kategorie C trat auf;
die rechte Rockerszene und auch einschlägige Neonazis
waren vertreten . Im Nachhinein stellte sich heraus, wie
überfordert die Sicherheitsbehörden im Vorfeld bei der
Einschätzung des Gefahrenpotenzials dieser Veranstal-
tung gewesen waren . Die Teilnehmerzahl wurde unter-
schätzt, und viele wunderten sich, wie kurz der Draht
zwischen rechten Hools, Neonazis und rechten Rockern
war . Und tatsächlich: Der Mobilisierungsgrad innerhalb
der rechten Szene hat auch Kenner der Zivilgesellschaft
überrascht .

Danach wurde es vermeintlich ruhiger um HoGeSa .
Auch die Nachfolgeorganisation zerlegte sich schnell .
Trotzdem versuchen seit einigen Jahren rechtsextreme
Alt-Hools, in die Stadien zurückzudrängen und den oft
antirassistisch eingestellten Ultragruppierungen den
Platz streitig zu machen .

Aber auch außerhalb der Stadien tut sich etwas . Erst
vor kurzem haben wir in meiner Heimatstadt Leipzig
das Gewaltpotenzial der rechten Hooligan-Szene ganz
konkret zu spüren bekommen: Am 11. Januar überfielen
250 vermummte Nazi-Hooligans den alternativen Stadt-
teil Connewitz und verwüsteten einen Straßenzug . Viele
davon kamen aus dem Umfeld des Halleschen FC und
von Lok Leipzig . Aber auch am letzten Samstag über-
fielen vermeintliche Anhänger von Dynamo Dresden im
Anschluss an das Spiel Menschen mit Migrationshinter-
grund am Dresdner Hauptbahnhof . Diese aktuellen Bei-
spiele aus Sachsen zeigen: Auch wenn HoGeSa kaum
noch eine Rolle spielt, wüten rechte Hooligans weiter .
Hier muss Politik reagieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was haben Innenministerien und Polizeibehörden sich
nicht alles ausgedacht, um Gewalt im Fußball einzu-
dämmen! So wird in einigen Fällen das niederländische
Modell praktiziert . Dabei sollen alle Auswärtsfans ihre
Eintrittskarten erst nach der Anreise ausgehändigt be-
kommen . Allerdings ist die Voraussetzung, dass man sich
verpflichtet, zum Beispiel mit Sonderbussen anzureisen,
nachdem man sich registriert hat .

Kaum eine Innenministerkonferenz vergeht, in der das
Thema „Sicherheit im Fußball“ nicht thematisiert wird .
Aber das Problem liegt woanders . Es braucht bei der
Bekämpfung des Rechtsextremismus im Sport wie auch
in anderen gesellschaftlichen Bereichen einen Präventi-
onsansatz . Wir haben in unserem Antrag nicht umsonst
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Fanrech-
te gegenübergestellt . Denn die Fankultur im Fußball ist

vielfältig und gesellschaftlich relevant . Gerade die Ultras
sind Bestandteil dessen, was den Reiz des Fußballs aus-
macht . Wer das kaputtmacht, indem er dafür sorgt, dass
Menschen nur noch unter Preisgabe ihrer Daten und un-
ter Zwang zur Nutzung einer bestimmten Anreiseart zum
Stadion kommen, schneidet sich langfristig ins eigene
Fleisch . Denn so schafft man es, jede Emotion aus dem
Spiel zu nehmen, und Fans werden, bloß weil sie Anhän-
gerinnen und Anhänger eines Vereins sind, als Krawall-
macher stigmatisiert .

Trotz der positiven Entwicklung in den letzten Jahren
sind Rassismus und Rechtsextremismus im Sport wei-
terhin ein Problem . Um die Zivilgesellschaft auch im
Sport zu unterstützten, schlagen wir deshalb ein sport-
bezogenes Bundesprogramm vor . Im Bundesprogramm
„Zusammenhalt durch Teilhabe“ gibt es zwar positive
Beispiele zu dem Thema, nach Gesprächen mit Initiati-
ven, die das jeden Tag aufs Neue erleben, ist uns aber klar
geworden: Es braucht einen gesonderten Sportbezug in
einem Programm, um das Problem wirklich zu lösen . Die
Details sind in unserem Antrag nachzulesen .

Kurz zusammengefasst: Der Schutz vor Diskriminie-
rung und Rassismus im Sport ist zu stärken . Gleichzeitig
ist daran zu erinnern: Vergessen wir die Bürgerrechte von
Fußballfans nicht .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815225100

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Stephan Mayer,

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1815225200

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Mit Verlaub: Das Bes-
te an dem vorliegenden Antrag der Grünen „Für eine
weltoffene und vielfältige Sport- und Fankultur“ ist die
Überschrift .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, immerhin!)


Darüber hinaus kann man wirklich nur sagen, meine lie-
be Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Der An-
trag ist mit heißer Nadel gestrickt,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


und er ist leider über weite Strecken sehr unsubstanziiert
und einfach nur als dünne Suppe zu bezeichnen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es doch besser, statt zu kritisieren!)


Sie bringen Dinge miteinander in Bezug, die nichts
miteinander zu tun haben . Ich kann insbesondere Ihrer
Forderung nach einem einheitlichen Bundesprogramm

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


gegen Rechtsextremismus im Sport nichts abgewinnen .
Ich sage das ganz bewusst nicht, weil ich den Rechts-
extremismus im Sport verniedliche . Ganz im Gegenteil:
Jede Gewalttat, jede Straftat, die rechtsextremistisch mo-
tiviert ist, ist nicht nur unappetitlich, sie ist verabscheu-
ungswürdig und in höchstem Maße verwerflich. Aber mit
Ihrem einheitlichen Bundesprogramm hängen Sie der
Idee nach: Man muss nur ein großes Programm auf die
Beine stellen, und damit ist man aller Probleme verlustig .
Das Gegenteil ist der Fall .

Schauen Sie sich den „Jahresbericht Fußball“ der Zen-
tralen Informationsstelle Sporteinsätze genau an . Über
die letzten Jahre hinweg lag der Anteil rechts-, aber auch
linksextremistisch motivierter Straftaten bezogen auf alle
Straftaten deutlich unter 5 Prozent . Ich sage noch ein-
mal ganz bewusst: Ich verniedliche nichts . Wie gesagt:
Jede rechts- oder linksextremistisch motivierte Straftat
im Sport ist eine zu viel, und sie muss nachdrücklich
verfolgt werden . Ich bin nur der festen Überzeugung, es
wäre falsch, der Idee anzuhängen, dass man mit einem
großen Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus im
Sport auf einen Schlag sämtliche Probleme löst . Das Ge-
genteil ist der Fall .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sind denn Ihre Programme oder Ihre Lösungen?)


– Lieber Herr Kollege Mutlu, ich werde Ihnen jetzt dar-
stellen, was schon alles erfolgreich umgesetzt wurde .

Es gibt die Plattform „Verein(t) gegen Rechtsextre-
mismus“, die unter anderem vom Bundesinnenministeri-
um als Träger gefördert wird,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die machen eine Fotoausstellung!)


auf der sich unterschiedliche Organisationen, Vereini-
gungen oder Verbände, die sich im Kampf gegen Rechts-
extremismus im Sport engagieren, austauschen bzw . mit-
einander in Beziehung gesetzt werden .

Ich möchte auch deutlich betonen, dass wir als Bun-
deshaushaltsgesetzgeber unsere Hausaufgaben gemacht
haben, indem wir das Programm „Integration durch
Sport“ deutlich aufgewertet haben: von 5,4 Millionen
Euro im Jahr 2015 auf 11 Millionen Euro in diesem Jahr .
Wir haben hier aus meiner Sicht ein klares Signal gesetzt .

Ich gebe Ihnen auch den guten Rat: Sehen Sie sich die
Handreichung „Wir wollen eigentlich nur Sport machen“
an, die vom Bundesinnenministerium gefördert wird . Das
ist ein Beispiel dafür, wie man abseits von großen Bun-
desprogrammen ganz zielgerichtet und praxistauglich
Vereine und Verbände bei ihrer Präventionsarbeit vor Ort
unterstützen kann . Darin sind praktische Beispiele ent-
halten, leicht verständlich und anschaulich geschildert .
Das ist aus meiner Sicht die beste und eine sinnstiftende
Präventionsarbeit im Kampf gegen Rechtsextremismus .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, ich kann in keiner Weise Ihre Kritik an der Datei
„Gewalttäter Sport“ nachvollziehen . Ich sage das auch
als Innenpolitiker: Die Datei „Gewalttäter Sport“ ist aus

meiner Sicht sogar ein herausragendes Beispiel für gute
Kooperation der Sicherheitsbehörden des Bundes mit de-
nen der Länder . Sie gibt es schon lange, und sie hat sich
aus meiner Sicht auch in vollem Umfang bewährt sowohl
im Bereich der Gefahrenabwehr, also wenn es um die
Verhinderung von Gewaltexzessen im und rund um den
Sport geht, als auch, wenn es darum geht, Straftaten, die
sich im Umfeld von sportlichen Großereignissen ereignet
haben, aufzuklären .

Ich bitte auch zur Kenntnis zu nehmen, dass es den Be-
schluss einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom 20 . Ok-
tober 2014 gibt . Diese Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat
sich zur Aufgabe gemacht, die Datei „Gewalttäter Sport“
zu evaluieren, zu überprüfen, um herauszufinden, was zu
verbessern ist, und um die Transparenz, die Praktikabili-
tät zu erhöhen . Ich kann Sie nur auffordern: Lassen Sie
uns doch erst einmal abwarten, was die Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe zutage fördert, bevor wir sehr schnell mit
Konsequenzen und Forderungen nach außen treten, die
aus meiner Sicht wie gesagt nicht ausgegoren und auch
nicht substanziiert sind .

Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Koordi-
nierungsstelle Fanprojekte natürlich Sinn macht, es aber
nicht allein Aufgabe des Staates, des Bundes ist, diese
Fanprojekte mit Steuergeldern zu unterstützen . Ich sehe
hier gerade den Deutschen Fußballbund als größte Sport-
fachorganisation der Welt in der Verantwortung, für zu-
sätzliche Stellen zu sorgen .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die geben doch Geld!)


Der ständige Ruf nach dem Staat spricht aus meiner Sicht
für eine verfehlte Politik . Wir sprechen doch immer so
gerne von der Autonomie des Sports . In diesem Zusam-
menhang ist der Sport konkret gefordert, insbesondere in
Form des Deutschen Fußballbundes .


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die geben doch schon Geld!)


Der Bund unterstützt die Koordinierungsstelle Fanpro-
jekte . Wir geben auch in diesem Jahr wieder einen Zu-
schuss von über 250 000 Euro . Wir stehlen uns also nicht
aus der Verantwortung, ganz im Gegenteil .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
möchte Ihnen gar nicht den guten Willen absprechen –
das sage ich hier ganz bewusst und sehr ernsthaft zum
Abschluss –; aber ein derartiger Antrag, in den alles
Mögliche integriert wird, auch Punkte, die überhaupt
nichts damit zu tun haben, dient der Sache nicht . Da-
bei sind wir uns in der Sache ja einig: Es geht darum,
Rechts extremismus in jeder Hinsicht, aber insbesondere
im Sport nachdrücklich zu bekämpfen . In diesem Sinne
kann man Ihrem Antrag nur eine klare Ablehnung ertei-
len .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade eigentlich!)


Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815225300

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

der Kollege Dr . André Hahn .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815225400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern

war der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialis-
mus . Wir haben hier im Bundestag eine bewegende Rede
der 84-jährigen Holocaust-Überlebenden Ruth Klüger
gehört . Aber es gab auch weitere Aktivitäten, zum Bei-
spiel den Aufruf der Initiative „!Nie wieder“ . Durch viel-
fältige Aktionen rund um den 27 . Januar im deutschen
Profi- und Amateurfußball – einheitliche Sprecherdurch-
sagen oder antirassistische Choreografien – soll in den
Stadien ein Zeichen gegen Rechtsextremismus, Rassis-
mus und Antisemitismus im Sport gesetzt werden . Ich
finde, solche Aktivitäten verdienen unser aller Unterstüt-
zung . Herr Kollege Mayer, das ist keine dünne Suppe,
sondern ein wirklich wichtiges Thema .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was haben die Initiative „!Nie wieder“ und Ruth
Klüger gemeinsam? Beide schlagen die Brücke von den
Verbrechen des faschistischen Deutschlands zur aktu-
ellen Situation in unserem Land, in Europa und welt-
weit . Heute wie damals brauchen Flüchtlinge sowie
Asyl suchende unseren Schutz und unsere aktive Hilfe .
Gleichzeitig müssen die Fluchtursachen, Krieg, Hunger
und nicht zuletzt die zunehmende Schere zwischen Arm
und Reich, endlich wirksam bekämpft werden . Was das
alles mit dem Sport zu tun hat? Die Linke hat hier eine
klare Position: Sport ist keine Spielwiese für Rechts-
extremisten und Gewalttäter und auch nicht für Auslän-
derfeindlichkeit und Rassismus .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dieter Stier [CDU/CSU]: Auch nicht für Linksextremisten!)


Im Gegenteil: Gerade der Sport leistet in diesen Zeiten
einen wichtigen Beitrag zur Integration von Menschen
mit Migrationshintergrund, von Asylbewerbern und
Flüchtlingen . Die diesbezüglichen Aktivitäten müssen
wir noch stärker als bisher unterstützen .

Deshalb begrüßen wir den Antrag der Grünen . Ich
möchte gerne die Gelegenheit nutzen, den vielen Initiati-
ven zur Unterstützung von Flüchtlingen für ihr Engage-
ment ganz herzlich zu danken .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Stellvertretend möchte ich hier den SV Babelsberg 03
nennen, der als erster Verein Deutschlands im Som-
mer 2014 eine Mannschaft in seinen Verein integrierte,
die ausschließlich aus Flüchtlingen besteht . Während
Babelsberg die Infrastruktur bereitstellte, sammelten die
Fans des Vereins Geld, bezahlten die Spielertrikots und

wurden Trikotsponsor . Das Team „Welcome United 03“
wurde im Sommer 2015 über den SV Babelsberg für den
regulären Spielbetrieb angemeldet und kämpft nun in der
Kreisliga um Punkte für seinen Heimatverein .

Positiv hervorheben will ich auch den 1 . FC Union
und den FC St . Pauli, die der bebilderten Zeitung mit den
großen Buchstaben die Stirn geboten haben und sich der
fragwürdigen Aktion „Wir helfen“ verweigerten . Beide
Vereine helfen wirklich, unter anderem durch die Bereit-
stellung ihres Fanhauses als Flüchtlingsunterkunft,


(Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Ja, stimmt!)


und sie sind seit Jahren dabei, wenn es darum geht, gegen
Rechtsextremismus und Rassismus klar Position zu be-
ziehen . Ich wünschte mir, es mögen viele andere diesem
Beispiel folgen .

Leider sind zunehmende rechtsextreme, ausländer-
feindliche und rassistische Tendenzen nicht nur im Fuß-
ball anzutreffen . Sie betreffen auch andere Sportarten;
aber der Schwerpunkt liegt ohne Zweifel beim Fußball .

Was die 14 Vorschläge und Forderungen der Grünen
im vorliegenden Antrag anbelangt, so sollten wir darü-
ber in den Ausschüssen noch intensiv debattieren, zum
Beispiel darüber, ob es wirklich sinnvoll ist, ein einheitli-
ches, finanziell starkes Bundesprogramm gegen Rechts-
extremismus im Sport statt der bestehenden Vielzahl
von Programmen zu schaffen . Auch zur Datei „Gewalt-
täter Sport“, zur Arbeit der Zentralen Informationsstelle
Sport einsätze sowie zur Finanzierung von Polizeieinsät-
zen – ich nenne hier nur das Stichwort „Bremen“ – haben
wir Linke Diskussionsbedarf .

Ich will auch ein Thema nennen, das heute noch gar
keine Rolle gespielt hat . Ich meine die zunehmende
Unterwanderung von Security-Firmen durch NPD-Leu-
te und andere Rechtsextremisten, die dann auch in den
Stadien zum Einsatz kommen . Hier sind vor allem die
Vereine gefordert, diese Problematik nicht aus dem Auge
zu verlieren .

Abschließend möchte ich noch einen Satz aus dem
Antrag der Grünen zitieren . Dort heißt es:

Fußballaffine Personen mit rechtem Gedankengut
sind kein Problem allein des Fußballs, sondern der
gesamten Gesellschaft .

Ja, das ist richtig . Deshalb ist es aber auch unser aller
Aufgabe, diesem Phänomen entschieden zu begegnen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815225500

Vielen Dank . – Nächster Redner für die SPD-Fraktion

ist der Kollege Matthias Schmidt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Matthias Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815225600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir reden heute über Sport- und Fankul-
tur . Bei meinen Vorrednern wie bei mir geht der erste Ge-
danke zum Fußball, bei mir zum Stadion An der Alten
Försterei des 1 . FC Union . Ich sehe die vielen tollen Fuß-
ballfans vor mir . Der Antrag geht aber über den Fußball
hinaus . Er betrifft den gesamten Sport . Natürlich gibt es
auch Fankultur und tolle Fans beim Basketball, beim Eis-
hockey, beim Handball und bei anderen Sportarten .

Lassen Sie uns – um bei dem Beispiel zu bleiben –
den Fußball betrachten und eine Art Bestandsanalyse
machen. Was finden wir in den Fußballstadien vor? Wir
finden eine sehr aktive Fankultur vor. Für die einen, zum
Beispiel für mich, reicht es, eine Stadionwurst zu essen,
vielleicht ein Bier zu trinken und den Vereinsschal um-
zuhängen . Andere Fans verbringen ihre gesamte Freizeit
mit ihrem Verein. Sie bauen Choreografien. Sie zaubern
riesige Bilder und Botschaften in die Stadien . Sie lassen
dort zum Beispiel bildlich S-Bahn-Züge fahren . Die Vor-
bereitung der Choreografien dauert teilweise ein halbes
Jahr. Da die Heimspiele alle 14 Tage stattfinden, werden
die Choreografien teilweise überlappend vorbereitet. Es
gibt eigene Jugend- und Nachwuchsfans, die langsam
mit herangeführt werden . Letztendlich produzieren die
Fans dort sportpolitische Botschaften .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Erinnern Sie sich an die Forderung der Fans, keine
Montagsspiele in der zweiten Liga stattfinden zu lassen,
oder an die Forderung, dass die Spiele einheitlich um
15 .30 Uhr beginnen sollen? Das war ein übergreifendes
Thema, das alle Fans in allen Stadien parallel choreogra-
fiert haben. Teilweise geht es auch nur um die Vereinspo-
litik, um die Unterstützung eines erkrankten Spielers, um
die Trainerfrage oder um andere Aspekte . Aber es ste-
cken immer Botschaften dahinter .

Zusammenfassend kann ich sagen: Die Fankultur ist
bunt, sie ist vielfältig, sie ist integrativ, und sie ist vor
allem eines, sie ist unangepasst . Wenn ich ins Stadion
gehe, will ich genau das haben . Wenn wir im Bundestag
zu der Erkenntnis kommen, dass die Fankultur gut ist,
dann müssen wir uns wirklich fragen, ob es sinnvoll ist,
dass wir als Bundestag nun eingreifen . Fragen Sie doch
einmal zu Hause Fans, ob sie wollen, dass wir an dieser
Stelle eingreifen . Die Prognose – sie ist nicht allzu ge-
wagt – ist: Sie werden sich zurückhaltend und vorsichtig
dazu äußern .

Wenn die Fans etwas nicht gut finden, haben sie im
Stadion den Vorteil, dass sie einfach laut pfeifen können,
um damit ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen . Wenn
wir im Bundestag etwas nicht gut finden, können wir
nicht pfeifen, aber wir haben das Wort . Deswegen, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, möchte ich
mich mit Ihrem Antrag auseinandersetzen .

Letztendlich hat Ihr Antrag zwei Hauptzielrichtungen .

Erstens . Es geht um die Bekämpfung des Rechtsextre-
mismus im Sport . Zu Recht schreiben Sie, dass es um die
Verbindungen einzelner Fußballfans zur rechtsextremen

Szene geht . Das ist also, Gott sei Dank, kein Massen-
phänomen, aber natürlich ein sehr wichtiges Thema . Ihre
Forderung ist dann, ein einheitliches Bundesprogramm
zu schaffen und viele andere zusammenzufassen . Genau
diesen Weg halte ich für falsch .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Nur die Vielzahl der Programme kann der Vielfalt tat-
sächlich gerecht werden . Ein einheitliches Programm
könnte dies nicht leisten .

Sie schlagen außerdem vor, einen unabhängigen Bei-
rat einzusetzen . Auch an dieser Stelle habe ich große Be-
denken . Wer soll denn in diesem Beirat Mitglied sein?
Etwa wir, wieder nach Fraktionsstärke? Lassen Sie den
Sport das alleine machen; das ist schon eine sinnvolle
Sache .

Die zweite Zielrichtung Ihres Antrags ist die Überprü-
fung der Datei „Gewalttäter Sport“ . Da haben Sie mehre-
re Punkte aufgeführt, die ich sehr unterstütze . Sie möch-
ten, dass Fälle, in denen Sportfans in ungerechtfertigter
Weise, etwa nach einem Freispruch, in die Datei aufge-
nommen wurden, überprüft werden . Herr Staatssekretär
Schröder – ich denke, wir werden darüber ja noch in zwei
Ausschüssen miteinander sprechen –, da hätte ich schon
gerne eine klare Aussage der Bundesregierung, dass sol-
che Menschen erst gar nicht in die Datei „Gewalttäter
Sport“ aufgenommen werden bzw . dass sie, wenn sie
drin sind, sofort gelöscht werden . Das Gleiche gilt für
Menschen, die nachweislich keine Straftaten begangen
haben; auch sie müssen aus der Datei gelöscht werden .

Als weitere Forderung haben Sie eine Art Wider-
spruchsmöglichkeit vorgesehen . Da habe ich am Anfang
gedacht: Eine Widerspruchsmöglichkeit kann man auf
keinen Fall schaffen; dann funktioniert das System nicht
mehr . – Nachdem ich ein bisschen länger darüber nach-
gedacht habe, kam ich ins Zweifeln . Darüber sollte man
ruhig noch einmal reden und auch im Ausschuss darüber
diskutieren .

Tatsächlich ist es so: Jemand darf nur dann in die
Datei „Gewalttäter Sport“ eingetragen werden, wenn es
einen konkreten Anfangsverdacht gegen die betreffende
Person gibt . Herr Staatssekretär, auch darüber werden
wir im Ausschuss hoffentlich noch reden .

Sie haben zwei weitere Punkte aufgeführt, zu denen
ich kurz Stellung nehmen möchte:

Der erste Aspekt betrifft die Löschungsfristen . Sie
wollen gerne, dass bei Erwachsenen nach zwölf und bei
Jugendlichen nach sechs Monaten gelöscht wird . Bei
Erwachsenen entspräche das allenfalls einer Saison . Ich
glaube, dass das viel zu kurz gegriffen ist . Sie selbst ha-
ben in Ihrer Rede gesagt, dass die Alt-Hools inzwischen
in die Stadien zurückdrängen . Wir brauchen an dieser
Stelle Repression, und wir brauchen die Datei „Gewalt-
täter Sport“ . Die Löschungsfristen sind hier deutlich zu
kurz .

Zweitens wünschen Sie sich auch im Hinblick auf die
Datei „Gewalttäter Sport“ einen Beirat . Da gilt das, was
ich eben schon in Bezug auf den anderen Beirat gesagt






(A) (C)



(B) (D)


habe: Ich finde, das ist zu viel. Wir sollten das nicht ma-
chen . Gleichwohl: Es ist gut, dass wir das in den Aus-
schüssen, im Innenausschuss und im Sportausschuss,
noch einmal debattieren und dann auch den Sachverstand
der Bundesregierung einfließen lassen.

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815225700

Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt für die CDU/

CSU-Fraktion der Kollege Johannes Steiniger .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])



Johannes Steiniger (CDU):
Rede ID: ID1815225800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn man
sich den Sachstandsbericht des Deutschen Olympischen
Sportbundes anschaut – Stephan Mayer hat ihn vorhin
schon angesprochen –, dann relativiert sich das von Ihnen
beschriebene Bild doch stark . Denn der DOSB kommt in
seiner Analyse zu dem Ergebnis:

Rechtsextremistische Tendenzen liegen in einigen
Fanszenen an einigen Standorten immer noch mani-
fest vor, sie stellen jedoch in Deutschland kein gene-
relles standortübergreifendes Problem dar .

Fankultur, meine Damen und Herren, beginnt mit der
Kultur, die in den großen Vereinen gelebt wird . Es wurde
eben angesprochen, dass auch der Sport hier etwas tun
muss . Wenn man sich da ein bisschen einarbeitet, dann
sieht man, dass der Sport schon vieles tut . Wenn wir uns
beispielsweise die Fußballbundesligisten anschauen,
stellen wir fest: Sie haben mittlerweile hauptberufliche
Fanbeauftragte für die erste, zweite und dritte Liga, die
sich regelmäßig treffen und sich gemeinsam mit DFB,
DFL, Deutscher Bahn und Polizei über die entsprechen-
de Lage austauschen . Hier sitzen dann alle relevanten
Akteure am Tisch .

Wir haben in der öffentlichen Anhörung zum Thema
„Sicherer Stadionbesuch“ viel darüber erfahren, wie gut
diese Verzahnung funktioniert und wie reibungslos, je-
denfalls gemessen an der großen Zahl von Zuschauern
und Fans an einem Wochenende, die vielen Sportereig-
nisse Woche für Woche stattfinden.

Man muss schon sagen, der Antrag der Grünen er-
weckt den Eindruck, dass gerade der Fußball in Deutsch-
land ein Sammelbecken für Schläger, Extremisten und
Rassisten sei .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Komm! Erzähl keinen Blödsinn! Das haben wir nicht gesagt!)


Man muss schon ein bisschen aufpassen, wie man einen
solchen Antrag formuliert . Wenn man Rechtsradikalis-
mus und Fußball in einen Topf wirft, baut man einen

gewissen Generalverdacht auf . An der Stelle muss man
schon etwas aufpassen .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um einen Generalverdacht, sondern um Ernstnehmen!)


Denn das Gegenteil ist der Fall . Der Sport in Deutschland
ist der mit Abstand größte und nachhaltig erfolgreichste
Integrationsmotor in unserem Land .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Rund 2,6 Millionen Menschen mit Migrationshinter-
grund sind in den Sportvereinen bundesweit aktiv . Das
sind immerhin rund 10 Prozent aller Vereinsmitglieder .
Es ist nun einmal ein unumstößlicher Fakt, dass an kei-
nem anderen Platz in unserer Gesellschaft Integration
besser funktioniert als im Sport .

Bei der Verleihung der Sterne des Sports am vergan-
genen Dienstag haben wir gesehen, welch tolles En-
gagement es gibt . Auch noch einmal von dieser Stelle
aus einen herzlichen Glückwunsch an alle Preisträger,
insbesondere natürlich an den VfL Bad Wildungen, der
den ersten Preis geholt hat und beispielsweise ein tolles
Projekt im Bereich der Integration von Flüchtlingen ini-
tiiert hat . Herzlichen Glückwunsch von hier aus an alle
Preisträger!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Erkennbar ist allerdings auch, dass wir tatsächlich
strukturelle Defizite besonders in den unteren Ligen in
den östlichen Bundesländern bei der Bekämpfung von
Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nee! Jetzt plötzlich!)


und leider auch Hooliganszenen haben .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie widersprechen sich doch gerade selbst!)


– Herr Mutlu, was wäre eine Rede im Deutschen Bundes-
tag, ohne dass Sie die ganze Zeit dazwischenrufen?


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwischenrufe gehören dazu!)


Hören Sie mir genau zu, ich will es ausdrücklich sagen:
Hier lässt sich nicht der Sport haftbar machen . Denn
das, was wir uns etwa in Dresden von Pegida und Co .
jede Woche anschauen müssen, ereignet sich eben in der
Stadt und nicht im Stadion . Die Auseinandersetzung mit
diesem Phänomen muss tatsächlich erfolgen, aber ganz-
heitlich .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb ist die Politik gefragt!)


Deshalb verstehe ich nicht, warum Sie ein ganzheitli-
ches Programm im Grunde genommen nach dem Gieß-
kannenprinzip auflegen wollen, obwohl wir schon seit
einiger Zeit mit einem subsidiären Ansatz viele verschie-
dene Projekte angehen, die auch der Vielfalt Genüge tun
und das Engagement zeigen – Stephan Mayer hat darauf

Matthias Schmidt (Berlin)







(A) (C)



(B) (D)


hingewiesen und einige Projekte genannt –, mit dem der
Bund hilft . Da ich Mitglied des FC-Bayern-Fanclubs hier
im Deutschen Bundestag bin,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Jens Zimmermann [SPD]: Oh nein!)


möchte ich ein Projekt erwähnen: Die größte Ultra-Grup-
pe der Bayern, die Schickeria, ist beispielsweise 2014 für
ihr Engagement ausgezeichnet worden . Mit zahlreichen
Aktionen hatten sie nämlich des ehemaligen Präsidenten
Kurt Landauer, der durch den Naziterror verfolgt wur-
de, gedacht . Aus meiner Sicht ist das eine sehr kluge und
treffsichere Initiative . An dieser Stelle sieht man, dass es
da sehr viele Initiativen gibt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, es
gibt Fangewalt . Diese bekämpfen wir seit vielen Jahren
als Gesetzgeber gemeinsam mit dem organisierten Sport
in Deutschland mit zunehmendem und großem Erfolg .
Verglichen mit der Situation Mitte der 90er-Jahre hat sich
doch die Lage gerade bei den großen Spielen deutlich
und entschieden verbessert . Das sagen uns alle Experten .
Die Fans und die über 17 Millionen Stadionbesucher der
Bundesliga im Jahr fühlen sich jedenfalls nicht dauerhaft
bedroht . Wenn Straftaten auftreten, werden diese auch
entschieden verfolgt .

Für den Hochleistungssport und den Fußball in
Deutschland gilt vielmehr, dass der Fußball mit seiner
großen Strahlkraft ja gerade sehr viel für Integration und
gegen Extremismus leistet .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815225900

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6232 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann haben wir
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/
EU des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der
Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der
Rechts- und Verwaltungsvorschriften betref-
fend bestimmte Organismen für gemeinsame
Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hin-
blick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die
Vergütungspolitik und Sanktionen

Drucksache 18/6744

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/7393

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die
Reden zu Protokoll gegeben werden . – Ich höre keinen
Widerspruch . Dann ist so beschlossen .1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Um-
setzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtli-
nie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Ver-
waltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen
für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren im Hinblick
auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspo-
litik und Sanktionen. Der Finanzausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7393,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/6744 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition
angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen .

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7396 .
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes zur
Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts in der
Seeschifffahrt

Drucksache 18/6679

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/7268

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

1) Anlage 9

Johannes Steiniger






(A) (C)



(B) (D)


Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Olav Gutting, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1815226000

Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen und Kol-

legen! Wir debattieren heute hier abschließend über den
Gesetzentwurf, durch den der Lohnsteuereinbehalt der
Arbeitgeber in der Seeschifffahrt von derzeit 40 Prozent
auf 100 Prozent befristet angehoben wird . Dieses Geset-
zesvorhaben ist von großer Bedeutung für die deutsche
maritime Wirtschaft und für die Sicherung des seemänni-
schen Know-how am Standort Deutschland .

Unsere maritime Wirtschaft ist für unser exportorien-
tiertes Land von hoher gesamtwirtschaftlicher Relevanz
und deshalb ein überaus wichtiger Wirtschaftszweig .
Gerade weil fast 95 Prozent des interkontinentalen Wa-
renaustausches über die Seewege erfolgen, haben wir als
führende Exportnation ein überragendes Interesse daran,
eine leistungsstarke, eine international wettbewerbsfähi-
ge deutsche maritime Wirtschaft zu haben .

Unsere umfangreichen Exporte von Autos und Ma-
schinen wären ohne eine schlagkräftige Seeschifffahrt
nicht denkbar . Zudem sichern unsere Häfen einen wich-
tigen Teil der industriellen Rohstoffversorgung . Wir wis-
sen, dass jeder zweite Arbeitsplatz in Deutschland vom
Export abhängt und dass unsere maritime Wirtschaft
bundesweit viele Zehntausende Arbeitsplätze sichert und
mit circa 50 Milliarden Euro Umsatz jährlich wesentlich
zur deutschen Wirtschaftsleistung beiträgt .

Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich unsere Han-
delsflotte in den letzten Jahren stark reduziert. Obwohl
sich knapp 3 000 Handelsschiffe im Eigentum deutscher
Reedereien befinden, fahren nur knapp 360 davon unter
deutscher Flagge . Die Anzahl der unter deutscher Flagge
fahrenden Handelsschiffe hat sich somit in den letzten
Jahren halbiert .

Die Gründe für die zunehmende Ausflaggung und die
damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Be-
schäftigung und Ausbildung von Seeleuten ist leicht zu
erklären: Die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe
sind bei den Lohnkosten und den Lohnnebenkosten dem
internationalen Wettbewerb ausgesetzt . Hier ergeben
sich Mehrkosten für die unter deutscher Flagge fahren-
den Schiffe, die im internationalen Vergleich zunehmend
zu einem Wettbewerbsnachteil führen .

Um diesen Kostendruck für die Reedereien abzu-
mildern und eine weitere Abwanderung der deutschen
Schiffe ins Ausland zu verhindern, müssen wir handeln .
Im Laufe der parlamentarischen Beratungen hat sich be-
stätigt, dass die aktuelle Förderung nicht ausreichend ist,
um den genannten Wettbewerbsnachteil der deutschen
Flagge im Vergleich zu anderen europäischen Flaggen
auszugleichen .


(Zuruf der Abg . Lisa Paus [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Sicherlich kann man dem 100-prozentigen Lohnsteu-
ereinbehalt in der Seeschifffahrt unter ordnungspoliti-
schen Gesichtspunkten kritisch gegenüberstehen .


(Richard Pitterle [DIE LINKE]: Sehr wahr!)


In der Diskussion der letzten Tage und Wochen ging es
sogar so weit, dass einige Deutschland mit Griechenland
verglichen haben, auch beim Stichwort „Tonnagesteu-
er“ . Ich will an dieser Stelle festhalten, dass die Tonna-
gebesteuerung, die wir in Deutschland haben, weltweit
an allen wichtigen maritimen Standorten üblich ist und
sich international zum Normalfall gewandelt hat und
dass gerade in den letzten Jahren, in denen aufgrund des
großen Frachtvolumens die Frachtpreise gefallen sind,
durch diese Tonnagesteuer keinerlei Mindereinnahmen
zu erkennen sind .

Wir wollen verhindern, dass die deutsche Seeschiff-
fahrt in Seenot gerät . Ich denke, in der Verfolgung dieses
Ziels dürften wir uns doch hier im Hohen Hause hof-
fentlich alle einig sein . Mit der heute zu beschließenden
Änderung tun wir in einem Rahmen, den die EU expli-
zit zulässt und den andere EU-Staaten im Vergleich zu
Deutschland weitaus mehr ausschöpfen, das, was mög-
lich ist, und das, was notwendig ist


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen,
darf ich Sie auch als Landratte auffordern, heute diesem
Gesetz zuzustimmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815226100

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt die Kollegin Lisa Paus .


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815226200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-

ben schon gehört, worum es in dem vorliegenden Gesetz-
entwurf geht: Um Steuerprivilegien für Reeder .


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Um den Standort!)


Aber Sie von der Großen Koalition beschließen heute
nicht etwa die Abschaffung oder zumindest die Absen-
kung dieser Reederprivilegien, obwohl das eigentlich
naheliegt, wenn man sich daran erinnert, dass Unions-
abgeordnete, zum Beispiel Wolfgang Bosbach oder Bun-
destagsvizepräsident Singhammer oder Fraktionsvize
Michael Fuchs, genau das mal laut und mal ganz laut für
griechische Reeder gefordert haben .


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Eine Verdrehung ist das!)


Nein, Sie beschließen heute mit Ihrer großkoalitio-
nären Mehrheit die Ausweitung der Steuerprivilegien,
und zwar um weitere 50 Millionen Euro . Diese kommen
jetzt zu den mindestens 200 Millionen Euro dazu, die die
deutschen Reeder bereits bekommen . Was soll damit pas-
sieren? 5 739 Arbeitsplätze sollen unter deutscher Flagge
gesichert werden . Das macht rund 9 000 Euro pro Jahr
pro Arbeitsplatz . All das kommt zu den zusätzlichen Be-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


freiungen hinzu, zum Beispiel bei der Versicherungsteuer
oder den bereits bestehenden drastischen Erleichterun-
gen bei der Einkommensteuer .

Meine Damen und Herren, Vizepräsident Singhammer
hat im Juli 2015 getwittert: Warum soll eine Rentnerin
aus München mit ihren Steuer-Euros indirekt dafür haf-
ten, dass reiche griechische Reeder zu wenig Steuern
zahlen? – Ich frage Sie heute von der Union: Warum soll
eine Kassiererin aus Gelsenkirchen mit ihren Steuer-Eu-
ros dafür aufkommen, dass reiche deutsche Reeder zu
wenig Steuern zahlen, meine Damen und Herren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Außerdem hat die Anhörung gezeigt: Von Arbeits-
platzsicherung kann nicht die Rede sein . Der Trend zur
Ausflaggung ist ungebrochen; das hatten Sie, Kollege
Gutting, hier ja auch schon eingeräumt . Es gab eben kei-
nen Verbandsvertreter, der eine Aussage darüber machen
wollte, inwieweit diese Steuersubvention denn nun tat-
sächlich Arbeitsplätze sichert . Es gibt wie in den ganzen
Jahren zuvor wieder keinerlei Arbeitsplatzzusagen der
Reeder . Im Gegenteil: Mit diesem Gesetz wird sogar die
bisher vorgesehene Pflicht, einen Arbeitnehmer mindes-
tens 183 Tage zu beschäftigen, um die Subventionen zu
erhalten, ersatzlos gestrichen .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerhört!)


Besonders absurd ist die Form der Subvention . Das
Geld fließt von den Arbeitnehmern direkt an die Reeder;
denn ihre Lohnsteuer fließt nicht mehr ans Finanzamt,
sondern an die Reeder . Das heißt, die Seeleute bezahlen
den Reeder dafür, dass er sie beschäftigt .

Dieses Gesetz widerspricht im Übrigen Ihren eige-
nen, gerade einmal ein Jahr alten Subventionspolitischen
Leitlinien . Herr Kruse – Sie sprechen ja gleich –, Sie sind
ja nicht nur Hamburger, sondern auch Mitglied des Haus-
haltsausschusses . Deswegen möchte ich Sie noch einmal
daran erinnern: Am 28 . Januar 2015, also genau heute
vor einem Jahr, hat die Bundesregierung beschlossen und
sich dafür gefeiert, dass Steuervergünstigungen nur noch
dann in ganz seltenen Ausnahmefällen zum Einsatz kom-
men, wenn sie nachweisbar zielgenauer sind als direkte
Subventionen .


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Aber in diesem Fall ist das Gegenteil der Fall .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das hat Ihnen auch der Bundesrechnungshof bestätigt .
Aber er hat es noch drastischer und schlimmer formu-
liert . Der Bundesrechnungshof nennt die Regelung
„verfassungsrechtlich bedenklich“, nicht zielgenau und
außerdem „anfällig für Missbrauch“ . Wer Texte des Bun-
desrechnungshofs kennt, weiß: Eine schlimmere Ohrfei-
ge kann man sich eigentlich nicht vorstellen .

Deswegen, meine Damen und Herren, kann man die-
sem Gesetzentwurf nicht zustimmen . Man muss ihn ab-
lehnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815226300

Danke schön . – Nächster Redner ist Dr . Jens Zimmermann,
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Jens Zimmermann (SPD):
Rede ID: ID1815226400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-

raten heute einen Gesetzentwurf, der auf eine Initiative
des Bundesrates zurückgeht . Wir wollen – das ist schon
gesagt worden – die deutsche Seeschifffahrt stärken,
und wir wollen damit Arbeitsplätze und seemännisches
Know-how sichern .

Liebe Frau Kollegin, Sie sind über die 5 000 Arbeits-
plätze mit einem Federstrich hinweggegangen . Also ich
finde, 5 000 Arbeitsplätze – das ist schon etwas. Und
denken wir einmal an die Anhörung zurück: An dieser
hat ein relativ unverdächtiger Sachverständiger von
Verdi teilgenommen, der die vorgesehene Gesetzesrege-
lung ausdrücklich begrüßt hat . Möglicherweise hat das
daran gelegen, dass es auch um den einen oder anderen
Arbeitsplatz geht . Die Expertinnen und Experten, die die
Opposition aufgeboten hat, haben letztendlich gesagt: Na
ja, dann geht diese Branche in Deutschland eben kaputt .
Da kann man nichts machen; dann sind die Arbeitsplätze
weg . – Das gehört zur Diskussion eben auch dazu, meine
Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will nicht bestreiten, dass wir mit den beiden
Maßnahmen, die wir vorschlagen, nämlich die Anhe-
bung des Lohnsteuereinbehalts und der Abschaffung der
sogenannten 183-Tage-Regelung ordnungspolitisch auf
schwierigem Terrain sind .


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber freundlich ausgedrückt! Auf ganz schwierigem!)


Jeder, der das bestreitet, macht sich am Ende etwas vor .
Aber das, was angesprochen wurde, zeigt ganz deutlich,
dass wir in Deutschland nicht mit einer Maßnahme vo-
rangehen; vielmehr ziehen wir nach . Das ist ein Effekt
des sogenannten Race to the Bottom . Andere Küstenlän-
der in der Europäischen Union haben diese Maßnahmen
bereits durchgeführt . Denn genau das ist ja der Grund
dafür, dass Schiffe ausgeflaggt werden. Wenn immer die
griechischen Reeder angeführt werden, dann müssen wir
auch feststellen: Darauf müssen wir jetzt reagieren .

Ich glaube, bei allen Bauchschmerzen, die wir als
SPD-Fraktion mit dieser Maßnahme haben, ist für uns
ganz wichtig, dass wir auch eine Befristung durchgesetzt
haben . Beide Maßnahmen sind auf fünf Jahre befristet .

Lisa Paus






(A) (C)



(B) (D)


Das gibt uns die Möglichkeit, dann zu untersuchen, wel-
che Effekte eingetreten sind .


(Zuruf des Abg . Herbert Behrens [DIE LINKE])


Denn es ist genau so, wie Sie es gesagt haben: Keiner
der Experten konnte genau sagen, was am Ende passiert .
Aber das ist kein Argument dafür, dass es nicht funktio-
niert . Es kann genauso gut funktionieren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Fünf Jahre sind unserer Meinung nach ein angemessener
Zeitraum . Danach können wir eine Evaluation vorneh-
men . Sollte die Regelung nicht geholfen haben, können
wir sie wieder streichen . Wir müssen sie nicht einmal
streichen; sie läuft nämlich aus . Das ist, glaube ich, ein
vernünftiger Kompromiss an dieser Stelle .

Wir als SPD-Fraktion sagen auch ganz klar: Die Ree-
der in Deutschland müssen jetzt auch liefern . Denn zu
sagen: „Wir brauchen diese Unterstützung“, ist das eine .
Aber diese Unterstützung als eine wirtschaftspolitische
Maßnahme zu gewähren – so sehen wir das –, ist dann
doch noch etwas anderes .

Insofern glauben wir bei allen Bedenken, die wir auch
in den Diskussionen zum Ausdruck gebracht haben,
dass das alles in allem ein guter Kompromiss und eine
sinnvolle Maßnahme ist, um die maritime Wirtschaft in
Deutschland zu stärken . Wir sind nun einmal eine der
stärksten Exportnationen weltweit . Dafür sind eine wett-
bewerbsfähige Schifffahrt, das seemännische Know-how
und eine maritime Wirtschaft notwendig . Das haben wir
als SPD-Bundestagsfraktion erkannt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1815226500

Vielen Dank . – Der Kollege Herbert Behrens ist der

nächste Redner für die Linksfraktion .


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815226600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eines ist sicher: Der Beschluss heute Abend ist für die
deutschen Reeder fast so etwas wie ein Sechser im Lotto .
Es geht um erhebliche Summen, die hier über den Tisch
gereicht werden, für ein Ergebnis, das wir heute noch
nicht kennen und das möglicherweise in fünf Jahren ein-
mal evaluiert wird . Dabei wissen wir sehr gut, wie mit
einer Regelung umgegangen wird, wenn sie erst einmal
Jahre in Kraft war, und was daraus folgt . Wir haben das
beim Schiffserlöspool gesehen . Dieses Instrument wurde
letztendlich zur Dauereinrichtung . Die Lobby der Reeder
hat ein offenes Ohr beim Finanzminister und auch in der
Großen Koalition gefunden. Das finden wir schlecht.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen Reeder
künftig null Lohnsteuer an das Finanzamt abführen . Sie

können sie sich vollständig in die eigene Tasche stecken .
Wir haben doch Erfahrungen mit der dauerhaften Sub-
ventionierung in den vergangenen Jahren – bald sind es
schon Jahrzehnte – gemacht . Wenn wir da Bilanz ziehen
und uns ehrlich die Karten legen, dann sehen wir die Fol-
gen der Subventionierung . Im Jahr 2000 waren auf Schif-
fen unter deutscher Flagge über 12 000 Seeleute beschäf-
tigt . 2015 waren – so viel zur Arbeitsplatzsicherheit – nur
noch knapp über 8 000 deutsche und ausländische See-
leute auf Schiffen unter deutscher Flagge tätig . Die Zahl
der Schiffe sank im gleichen Zeitraum unter die Grenze
von 400 . Wir sind jetzt bei 350 angekommen . Das heißt,
nur noch rund die Hälfte der Schiffe, die früher unter
deutscher Flagge gefahren sind, sind heute unter deut-
scher Flagge zu finden.

Auf den ausgeflaggten Schiffen arbeiten die Seeleu-
te zu schlechteren Bedingungen als die Kolleginnen und
Kollegen auf Schiffen unter deutscher Flagge .


(Dr . Jens Zimmermann [SPD]: Hört! Hört!)


Nur noch 53 der über 300 Reedereien in Deutschland bil-
den aus . Dieser Niedergang der deutschen Seeschifffahrt
kostet den Bund Milliarden .


(Zuruf von der SPD: Den stoppen wir jetzt!)


Allein bei der Tonnagesteuer sind in den letzten sieben
Jahren 4,7 Milliarden Euro zur direkten Subventio-
nierung der Reeder über den Tisch gegangen . Das Ziel
war, Arbeitsplätze zu erhalten, Arbeitsplätze zu sichern .
Das wurde nicht erreicht . Das Gegenteil ist eingetreten .
In Zukunft sollen die Reeder also nicht nur 40 Prozent
einbehalten können, sondern 100 Prozent – alles in der
Hoffnung, mehr Arbeitsplätze auf deutschen Schiffen zu
erhalten . Aber solche Subventionen haben nicht zu mehr,
sondern zu weniger Beschäftigung geführt, wie ich eben
gesagt habe .

Angeblich sollen mit mehr Geld für die Reeder Wett-
bewerbsnachteile abgebaut werden . Ja, Dänemark, Ita-
lien, Malta und auch Portugal, wohin sich zunehmend
deutsche Reeder mit Briefkastenfirmen flüchten, ge-
währen in der Tat großzügigere Bedingungen . Aber der
Rest ist Seemannsgarn . Selbst griechische Reeder führen
10 Prozent pauschal für ihre Seeleute ab . Das ist skanda-
lös wenig, und es macht deutlich, dass hier ein enormer
Subventionswettbewerb in Richtung Race to the Bottom,
wie eben schon einmal gesagt wurde, auf den Weg ge-
bracht worden ist . Das ist augenscheinlich das einzige
Ziel, das dahintersteckt . Die Reeder haben das Drehbuch
vorgeschrieben . Wir wissen nicht, was noch alles kommt,
welche Forderungen noch erfüllt werden sollen . Wir be-
fürchten, dass eben nicht das eintritt, was gerade gesagt
wurde, nämlich dass die Reeder zuverlässig sagen: Ja,
für diese Subventionen wird es künftig mehr Schiffe un-
ter deutscher Flagge geben . Es wird mehr Arbeitsplätze,
mehr Ausbildungsplätze geben . – Davon ist nichts zu
hören . Die Reeder halten sich da bedeckt, kassieren und
machen nichts .

Auch die Linksfraktion will das maritime Know-how
in unserem Land halten . Deshalb wollen wir eventuell
gezahlte Zuschüsse und Subventionen von verbindlichen

Dr. Jens Zimmermann






(A) (C)



(B) (D)


Zusagen abhängig machen . Ausbildungsplätze fördern? –
Ja, wenn reale Ausbildungsplätze vorhanden sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber Steuervorteile dürfen nicht pauschal gewährt wer-
den mit dem Ziel, die Reeder weiter zu entlasten . Die
Linke fordert also, Steuerbegünstigungen in dieser Form
ganz fest an Zusagen zu binden .

Wenn wir – letzter Satz – das bei anderen Wirtschafts-
branchen ähnlich machen wollten, dann hätten wir ein
richtiges Problem . Ein Bäckermeister zahlt natürlich –
das wurde schon erwähnt – die Lohnsteuer für seine An-
gestellten an das Finanzamt – ganz klar . Auch Maschi-
nen- und Anlagenbauer, die ins Ausland exportieren und
unter internationalem Druck stehen, zahlen sie . Wenn sie
es nicht tun, nennt man das Steuerhinterziehung . Das,
was die Reeder hier machen, ist Steuerhinterziehung un-
ter staatlichem Schutz . Das akzeptieren wir nicht . Das
ist ein Skandal und ein gefährlicher Präzedenzfall für die
Wirtschaftspolitik insgesamt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815226700

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Rüdiger

Kruse .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rüdiger Kruse (CDU):
Rede ID: ID1815226800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Es ist ja immer ganz nett, wenn man das so dras-
tisch hört . Aber kann man Steuern hinterziehen, wenn die
Steuer gar nicht erhoben wird?


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wird ja erhoben! – Zuruf von der LINKEN: Natürlich!)


– Nein, kann man nicht . Also insofern: Nehmen Sie den
Begriff doch einfach heraus!

Und wenn Sie immer vom Kassieren sprechen, will
ich einmal auf die Tonnagesteuer hinweisen: Im Augen-
blick ist kein Reeder froh über die Tonnagesteuer . Im Au-
genblick würde er lieber seinen Gewinn besteuern lassen;
denn er kriegt keinen .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: In den letzten zwei Jahren, weil die Frachtpreise im Keller sind!)


– Ja, Entschuldigung, man muss auch alle Freuden und
Leiden betrachten . – Wenn Sie hier als Argument anbrin-
gen, die Reeder haben doch die Tonnagesteuer, denen
geht es doch gut genug, dann sage ich Ihnen: Nein, denen
geht es nicht gut, und die Tonnagesteuer hilft ihnen im
Augenblick gar nicht .


(Richard Pitterle [DIE LINKE]: Ja, die gehen am Bettelstab!)


Wir reden auch nicht über Gewinnmaximierung .
Wenn Sie einen Bulker haben, also um zum Beispiel Erze
zu fahren, und für diesen Bulker 40 000 Dollar Charter
am Tag brauchen, aber zurzeit nur 4 000 Dollar kriegen:
Wo ist da die Gewinnmaximierung? – Sie ist überhaupt
nicht da .

Gut, Sie haben von einem Race to the Bottom gespro-
chen . Ja, richtig, wir haben keine Lust, dass der Schiff-
fahrtsstandort Deutschland dieses Rennen verliert . Wenn
in Europa und sonst wo die Bedingungen so gemacht
werden, dass wir unsere Reeder gleichstellen müssen,
dann werden wir das eben tun .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben uns entschieden, dass Schifffahrt für uns
keine Romantikveranstaltung ist . Ich würde Ihnen völlig
recht geben, wenn wir jetzt sagten, Deutschland sei ein
Reiseziel, und da müssten nur ein paar Schiffe im Hafen
liegen . Das könnten wir dann mit unseren Museen ma-
chen, und dann reichte es auch, wenn uns einmal eine
andere Linie besucht . Wir haben uns entschieden, dass es
für uns wichtig ist, eine Schifffahrtsnation zu sein . Dazu
gehören Werften, dazu gehören Reedereien und dazu ge-
hört nautisches Personal . Wir wissen auch, dass es ein
Wert ist . Es wird ja nicht so sein, dass es keine Reeder
mehr gibt, wenn es die deutsche Flagge nicht mehr gibt,
gar keine Frage. Die gibt es dann natürlich noch; die flag-
gen dann halt aus . Aber es gibt dann irgendwann nicht
mehr das an Deutschland gebundene Know-how . Das
hätte einen großen Nachteil .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vor dem Hintergrund der Analyse sagen wir uns, dass
wir, die wir eine Handels- und Exportnation sind, auch
in der Logistikkette Schiffe brauchen . Eine Logistikkette
ohne Schiffe funktioniert nicht . Selbst die Grünen möch-
ten ja nicht, dass alles per Lkw gefahren wird .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Grünen wollen nur Seeräuber! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Also ist es wohl schon ganz gut, wenn wir auch deutsche
Reedereien haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Von daher haben wir als Koalition bei der Vorbereitung
gesagt: Gut, wir fragen jetzt bei jeder Branche, was ge-
schehen muss, damit wir eine führende Schifffahrtsnati-
on bleiben . Wir haben natürlich auch mit den Reedereien
und den Gewerkschaften gesprochen, und wir sind zu der
Erkenntnis gekommen, dass wir eine Gleichstellung im
Wettbewerb brauchen .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dann sprechen Sie doch mit den Partnern in Europa!)


Da muss man ja gar nicht so weit weg gehen . Auch schon
Nachbarländer bieten deutlich bessere Konditionen .


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann sprechen Sie das doch einmal in Europa an!)


Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


Da ziehen wir jetzt nach, und es wird sich folgenderma-
ßen verhalten: Mit jedem Schiff, das umgeflaggt wird –
und das wird kommen –, stehen wir besser da, und Sie
stehen ein bisschen tiefer im Schlick . Zu Recht .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815226900

Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die

Kollegin Dr . Birgit Malecha-Nissen .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD):
Rede ID: ID1815227000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir neh-
men keine deutschen Seeleute, die sind zu teuer“, diese
Antwort bekommen nautische Hochschulabsolventen
immer öfter bei ihrer Jobsuche zu hören . Das bringt das
Problem auf den Punkt: Die deutsche Seeschifffahrt ist in
Seenot geraten . Von 2 850 Schiffen der deutschen Han-
delsflotte fahren aktuell weniger als 200 international un-
ter deutscher Flagge . Mit jedem Schiff, das Deutschland
verloren geht, verlieren wir auch Arbeitsplätze und damit
langfristig das vorhandene Potenzial, unser Know-how
in einer für uns so wichtigen Zukunftsbranche .

Eines ist völlig klar: Die weitere Ausflaggung deut-
scher Schiffe muss gestoppt werden . Um den Schiff-
fahrtsstandort Deutschland im internationalen Wettbe-
werb zu stärken, hat der Bund in den vergangenen Jahren
bereits viele wichtige Weichen gestellt . Es wurden hier ja
auch schon viele genannt . Leider konnten diese Maßnah-
men den bisherigen Trend zu weiteren Ausflaggungen
nicht aufhalten . Deshalb wird es höchste Zeit, dass auch
wir – wie unsere europäischen Nachbarn – die Möglich-
keiten nutzen, die uns die EU-Kommission in der Bei-
hilfeleitlinie für den Seeverkehr bietet . Und das ist die
Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts von 40 auf 100 Pro-
zent für Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge –
ebenso die Abschaffung der sogenannten 183-Tage-Re-
gelung . Beide Maßnahmen wollen wir bis Ende 2020
zeitlich begrenzen . Dadurch geben wir dem Gesetzgeber
zeitnah die Möglichkeit, eine umfassende Bewertung der
Maßnahmen vorzunehmen .

Damit haben wir geliefert . Jetzt sind auch die Reeder
gefragt . Es braucht klare und verbindliche Zusagen für
Ausbildungsplätze und Beschäftigung, für sozialver-
trägliche und tarifgebundene Arbeitsverträge . Nur so si-
chern wir langfristig die Beschäftigung und das maritime
Know-how am Standort Deutschland .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nur so bieten wir den jungen Absolventen der Hochschu-
len, den Nautikern, einen erfolgreichen Start ins Berufs-
leben .

Kontraproduktiv in diesem Verfahren sind für mich
auch die Pläne des Ministeriums zur Änderung der
Schiffsbesetzungsverordnung .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Allerdings!)


Die geplante Reduzierung auf weniger als die Hälfte der
Beschäftigten – hier nenne ich insbesondere den Wegfall
des Schiffsmechanikers – ist nicht zielführend;


(Beifall bei der SPD)


denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir brau-
chen, ist die Sicherung von Arbeitsplätzen und nicht den
weiteren Abbau . Deswegen machen wir das heute .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815227100

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes-
rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Ein-
kommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuerein-
behalts in der Seeschifffahrt . Dazu liegen mir mehrere
Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/7268, den Gesetzentwurf
des Bundesrates auf Drucksache 18/6679 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand . Der Ge-
setzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/7378 . Wer für diesen Entschließungsantrag
stimmt, den bitte ich um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan-
trag ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur No-
vellierung des Rechts der Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß

1) Anlage 8

Rüdiger Kruse






(A) (C)



(B) (D)


§ 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung
anderer Vorschriften

Drucksache 18/7244
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, dass Sie alle damit einverstanden sind .1)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/7244 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
setzung der prüfungsbezogenen Regelungen
der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausfüh-
rung der entsprechenden Vorgaben der Ver-
ordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf
die Abschlussprüfung bei Unternehmen von

(Abschlussprüfungsreformgesetz – AReG)


Drucksache 18/7219
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe hier allgemeines Einverständnis .
Dann verfahren wir so .2)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/7219 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie
damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf – es ist der
letzte Tagesordnungspunkt, zu dem heute eine Ausspra-
che vorgesehen ist –:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung –
2030-Agenda konsequent umsetzen

Drucksache 18/7361
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Haushaltsausschuss

1) Anlage 10
2) Anlage 11

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Da ich keinen
Widerspruch erkennen kann, gehe ich davon aus, dass
Sie alle damit einverstanden sind .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort für die Bundesregierung dem Parlamentari-
schen Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ha
Hans-Joachim Fuchtel (CDU):
Rede ID: ID1815227200


Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass dieser Tages-
ordnungspunkt heute zu einer früheren Zeit im Plenum
behandelt wird; denn das, was in New York beschlossen
wurde, ist für uns schlichtweg der Weltzukunftsvertrag .
Der Inhalt lautet: Milliarden Menschen soll die Chance
auf ein würdiges Leben eröffnet werden, ohne dabei ei-
nen ökologischen Kollaps zu provozieren . Daraus erge-
ben sich einige Folgerungen:

Erstens . Nicht nur die sogenannten Entwicklungslän-
der werden sich verändern müssen, sondern auch wir; die
Industrieländer werden in bestimmter Weise zu Entwick-
lungsländern . Der bisherige fossile Entwicklungspfad
taugt nicht für weitere 7, 8 oder 9 Milliarden Menschen
auf diesem Globus .

Zweitens . Wir müssen zusammendenken, was nur
zusammen erreicht werden kann: Armuts- und Hunger-
bekämpfung, Umwelt- und Klimaschutz, Gleichberechti-
gung, Rechtsstaatlichkeit und vieles mehr . Nur so können
wir erreichen, dass der Frieden in dieser Welt zunimmt,
und das brauchen wir . Wir sehen in der heutigen Zeit tag-
täglich, welchen Problemen wir ausgesetzt sind .

Deutschland kann hier natürlich einen großen Beitrag
leisten; denn wir sind ein starkes Land . Unsere Heraus-
forderung besteht insbesondere darin, diesen Beitrag zu
leisten und gleichzeitig unsere internationale Wettbe-
werbsfähigkeit zu erhalten . Nur ein starkes Land kann
auf Dauer Leuchttürme bauen und auf diese Weise Vor-
bild für andere sein .

Wir haben schon im vergangenen Jahr einige Wei-
chenstellungen vorgenommen . Ich erinnere an den sehr
gelungenen G-7-Gipfel in Elmau . Ich erinnere auch an
die anderen großen Konferenzen . Es wurden Beschlüs-
se gefasst, von denen man eigentlich gar nicht erwartet
hat, dass sie in dieser Deutlichkeit ausfallen, beispiels-
weise im Hinblick auf Hungerbekämpfung oder Verant-
wortung für weltweite Lieferketten, ein neues großes
Thema auf dem internationalen Parkett, das gerade von
uns sehr stark vorangetrieben wurde . Ich weise auch auf
die Haushaltsentwicklungen – es gab einen historischen
Haushaltsaufwuchs – und die Neuausrichtung des BMZ
als solchem hin .

Außerdem verweise ich auf die Politik, die wir nach
Rana Plaza gemacht haben . Wenn die Kameras ab-
schwenken, verschwindet normalerweise das Engage-
ment der Politik . Wir aber haben gesagt: Nein, wir

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


schmieden ein Textilbündnis . Am Anfang war es etwas
holprig . Mittlerweile haben sich nahezu 75 Prozent des
gesamten deutschen Textilmarktes diesem Bündnis ange-
schlossen . Das ist schlichtweg ein Zeichen, dass so etwas
möglich ist . Das sollte uns auch für viele andere Aufga-
ben, die wir miteinander anzugehen haben, Kraft geben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir arbeiten auf drei Ebenen, der innerdeutschen Ebe-
ne, der Ebene der Partnerländer und natürlich auch auf
der globalen Ebene, wo es um die Gestaltung globaler
Regelungen geht . Auf der innerdeutschen Ebene be-
trägt das Volumen der öffentlichen Beschaffungen circa
300 Milliarden Euro im Jahr . Da ist noch sehr viel Spiel-
raum für nachhaltigeres Beschaffen, der jetzt genutzt
werden muss . Das ist sehr konkret, meine Damen und
Herren .

Wir alle im Deutschen Bundestag entscheiden darü-
ber, was wir an Geld zur Verfügung stellen können . Es
gibt sehr aufmerksame und kritische Beobachter, bei-
spielsweise den ehemaligen Bundespräsidenten Horst
Köhler, der gesagt hat:

Ich bin gespannt, wie stark die deutsche Politik sich
dieser Agenda der Vernunft verschreiben wird . Bau-
stellen gibt es ja genug .

Da hat er natürlich recht .

Unser Vorteil in Deutschland ist, dass wir bereits über
eine Nachhaltigkeitsstrategie verfügen . Das ist bei wei-
tem nicht überall auf der Welt der Fall . Das gibt uns die
Chance, jetzt auf dieser Strategie aufzubauen und diese
Strategie entsprechend auszurichten . Wir können uns da-
für einsetzen – das ist uns ganz besonders wichtig –, dass
mehr „Eine Welt“ in den gesamten Prozess einfließt, und
zwar durch Indikatoren, mit denen wir die Folgen unse-
res Tuns für die Entwicklungschancen anderer Länder
abschätzen können . Das ist neu, und das muss betrieben
werden . Dabei binden wir auch die Bürgerinnen und Bür-
ger ein, nicht erst seit heute . Minister Dr . Gerd Müller
hat unmittelbar nach seinem Amtsantritt begonnen, die
Politik in eine andere Richtung zu lenken . Ich erinnere
hier nur an die Zukunftscharta, die mit großem Erfolg
eingeführt wurde und jetzt durch das ganze Land getra-
gen wird . Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei den
NGOs dafür bedanken, dass sie an diesen Fragen so kon-
struktiv mitgearbeitet haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gibt kleine und große Dinge . Ich fange einmal mit
etwas ganz Kleinem an . Wenn bei uns früher eine Be-
suchergruppe fotografiert wurde, sagte man „Cheese“,
um ein Lächeln zu bekommen . Wir sagen im BMZ jetzt
„SDGs“ . Die Leute fragen „Warum?“, und schon sind
wir im Gespräch darüber, dass es den Weltzukunftsver-
trag gibt, der von allen mitgetragen und umgesetzt wer-
den muss .

Ein anderes Beispiel . Wir beginnen, ein Ziel zu ver-
wirklichen, das in den SDGs enthalten ist, nämlich die
Beteiligung von Menschen mit Behinderungen . Wir neh-
men die Menschen einfach mit auf die Reisen, die wir als
Leitung machen, und geben ihnen damit eine völlig neue

Chance, ihre Anliegen selbst zu vertreten . Wir zeigen da-
mit auch, dass diese Bundesregierung an ihrer Seite steht .

Unsere bisherigen Bemühungen auf diesem Gebiet
sind also außerordentlich erfolgreich . Wir haben auch
ansonsten genügend Instrumente, die wir einführen und
weitertragen können und mit denen wir den anderen gro-
ße Hilfestellungen geben können; das wollen wir auch
tun .

Wir wollen als BMZ, was die Gesamtdiskussion in
Deutschland und was die Beteiligung der Ministerien be-
trifft, in der ersten Reihe stehen . Das ist unser Anspruch,
und darauf werden wir unsere Arbeit ausrichten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind auf vielen Gebieten tätig . Ich möchte noch
kurz darauf hinweisen, dass wir uns mit den anderen und
für die anderen sehr stark für den Aufbau von Steuersys-
temen einsetzen . Das hat eine viel größere Bedeutung,
als viele glauben . Wir wollen unser Engagement in die-
sem Bereich bis 2020 verdoppeln . Die OECD sagt näm-
lich: 1 Dollar, der in Steuersysteme investiert wird, bringt
100 Dollar Steuereinnahmen . Das müssen wir jetzt mitei-
nander auf den Weg bringen .

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte
auch noch darauf hinweisen, dass wir in viel stärkerem
Maße das auf der ganzen Welt vagabundierende Geld für
die Ziele der Nachhaltigkeit an unsere regionalen Ent-
wicklungsbanken binden müssen . Wir brauchen neue Fi-
nanzformate und neue Finanzprodukte, um diese Ziele
zu erreichen .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Finanztransaktionsteuer! – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die denn?)


Wir werden demnächst mit der großen Tagung der Asi-
atischen Entwicklungsbank in Frankfurt am Main einen
ersten, ganz konkreten Anfang machen .

Ich darf zum Schluss darum bitten, dass wir eine sach-
liche Diskussion miteinander führen, dass wir das Ver-
bindende, das bei den Nationen weltweit zum Ausdruck
gekommen ist, in unseren Diskussionen im Lande auch
spüren lassen . Insoweit sind wir der Überzeugung, dass
wir die Chance haben, einen sehr guten Beitrag zu leis-
ten . Ich darf Ihnen ganz klar sagen: Diese Koalition ist
sich ihrer Verantwortung bewusst .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815227300

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin

Birgit Menz .


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Menz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815227400

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung

Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel






(A) (C)



(B) (D)


mit ihren 17 Zielen ist auch deshalb ein Erfolg, weil sich
die Länder des globalen Südens in den Diskussionspro-
zess stärker einbringen konnten, als dies in der Vergan-
genheit der Fall war . Die SDGs sprechen im Gegensatz
zu den MDGs auch die gesellschaftlichen Rahmenbe-
dingungen von Entwicklung an und nennen mitunter
sehr klare Umsetzungsmaßnahmen: etwa die Förderung
von Kleinproduzenten – darunter insbesondere Frauen,
Indigene, Kleinbauern, Hirten und Fischer –, unter an-
derem auch durch die Abschaffung von Exportsubven-
tionen, Handelsbeschränkungen und -verzerrungen auf
den globalen Agrarmärkten; den Ausbau nachhaltiger In-
frastruktur in den Entwicklungsländern, unter anderem
durch den verstärkten Transfer von Umwelttechnologien
zu günstigen Bedingungen; den Abbau von Ungleichhei-
ten zwischen den und innerhalb der Gesellschaften, zum
Beispiel durch die Senkung der Transaktionskosten für
Rücküberweisungen, durch eine stärkere Repräsentation
der Länder des globalen Südens in den internationalen
Institutionen und durch die Verringerung von Einkom-
mensunterschieden; das Erreichen nachhaltiger Pro-
duktions- und Konsumweisen unter anderem durch die
Rationalisierung ineffektiver Subventionierung fossiler
Brennstoffe und eine Umstrukturierung der Besteuerung .

Für die konsequente Umsetzung der SDGs, die Sie
in Ihrem Antrag ganz richtig fordern, muss eine weitere
Spezifizierung geleistet werden. Dazu kann ich aber in
Ihrem Antrag nichts lesen . Stattdessen bekräftigen Sie le-
diglich die Ziele, auf die sich Deutschland ohnehin schon
verständigt hat, und richten eine Reihe allgemeiner For-
derungen an die Bundesregierung, die diese längst selbst
als Anspruch an sich formuliert . So fordern Sie die Bun-
desregierung auf, ihren politischen Willen, „die globalen
Ziele für nachhaltige Entwicklung in die breite Politik-
gestaltung auf allen Ebenen zu tragen“, deutlich zu for-
mulieren und durch entsprechende Maßnahmen zu un-
terstützen, ordnen aber diese geforderte Entschlossenheit
sofort den „haushalts- und finanzpolitischen Vorgaben
der Bundesregierung“ unter und damit der propagierten
austeritätspolitischen Alternativlosigkeit, die sich in den
letzten Jahren nicht gerade als hilfreich erwiesen hat, um
die Nachhaltigkeit in ihren drei Dimensionen, insbeson-
dere auch in ihrer sozialen Dimension, zu fördern .

Eine konsequente Umsetzung der SDGs wird aber
auch davon abhängen, ob ausreichend finanzielle Mittel
bereitgestellt und weitere Ressourcen mobilisiert wer-
den, um die Entwicklungsländer dabei zu unterstützen,
ihre Verschuldung abzubauen . Die SDGs enthalten die
klare Handlungsaufforderung – auch an die Bundesre-
gierung –, die politischen Weichen in der Außen- und
internationalen Wirtschafts- und Handelspolitik neu zu
stellen . In diesem Zusammenhang stimmten aber schon
die Ergebnisse der dritten internationalen Konferenz über
Entwicklungsfinanzierung im Juli 2015 wenig hoffnungs-
voll . Die reichen Industriestaaten schmetterten Vorstöße
der G 77 für eine gerechte soziale Entwicklung ab und
zielten stattdessen auf die Eigeninitiative der armen Län-
der und einen stärkeren Beitrag privater Unternehmen .

Auch in Ihrem Antrag ist an keiner Stelle die Rede von
einer Abschaffung der gerade für Entwicklungsländer
extrem schädlichen Subventionen, etwa im Agrarbereich .

An keiner Stelle findet sich eine Aussage zur deutschen
oder europäischen Handelspolitik oder eine Aussage zu
einem gerechten globalen Steuersystem auf der Basis
gleichberechtigter Mitbestimmung der Entwicklungs-
länder im Kontext der Vereinten Nationen . Das ist kein
glaubwürdiges Eintreten gegen Steuerflucht.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mehr soziale Gerechtigkeit als Grundlage für nach-
haltige Entwicklung weltweit wird ohne Umverteilung
von Reichtum und eine Demokratisierung der globalen
politischen Strukturen nicht möglich sein . Vor allem aber
müssen wir die Frage von sozialer Gerechtigkeit gemein-
sam mit der Friedensfrage diskutieren . Es waren gerade
die Interventionen und Kriege des Westens in den ver-
gangenen Jahren, die für Elend und Armut, für Millionen
von Flüchtlingen und verlorene Zukunftsperspektiven
verantwortlich sind . Diese Zusammenhänge nicht nur,
wie von Ihnen gefordert, zu verdeutlichen, sondern sie
durch klare Handlungsaufforderungen in eine kohärente
und verantwortungsvolle Politik zu übersetzen, verlangt
mehr Konsequenz, als in Ihrem Antrag zu erkennen ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815227500

Nächste Rednerin ist die Parlamentarische Staatsse-

kretärin Rita Schwarzelühr-Sutter .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ri
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1815227600


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin ein wenig irritiert durch Ihre Rede,
Frau Menz . Die 2030-Agenda, die die Staats- und Re-
gierungschefs im September letzten Jahres in New York
beschlossen haben – und die G 77 waren dabei –, ist ein
Meilenstein für einen weltweiten Wandel hin zu einer
nachhaltigeren Wirtschaftsweise . Es hat in den Verhand-
lungen viel Überzeugungskraft gefordert, dass alle mit
im Boot sind . Deshalb noch einmal zur Erinnerung: Auch
die G 77 waren dabei .

Nachhaltigkeit soll gemäß dieser Agenda zum Grund-
prinzip politischer Entscheidungen sowie aller gesell-
schaftlichen Handlungen werden; denn beides hängt eng
zusammen, sowohl in den Entwicklungsländern als auch
in den Industrieländern . Die Umsetzung der Agenda er-
fordert eine intensive Zusammenarbeit aller gesellschaft-
lichen Kräfte . Gemeinsam mit der Wirtschaft, mit den
NGOs, mit den Akteuren verfolgt die Bundesregierung
unter Federführung von BMUB und BMZ das Ziel ei-
ner wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen
Entwicklung in Deutschland selbst und ist bereit, andere
Länder hierbei zu unterstützen .

Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die das
Herzstück der 2030-Agenda bilden – es gibt auch noch
169 Unterziele –, fordern ein Umsteuern aller Staaten hin

Birgit Menz






(A) (C)



(B) (D)


zu einer umweltverträglicheren, sozial inklusiven Wirt-
schaftsweise . Sie fordern menschenwürdige Arbeit für
alle, den Schutz von Arbeitnehmer- und Menschenrech-
ten und ein verantwortungsvolles, umweltschonendes
Wirtschaften entlang der Produktions- und Lieferkette .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Produktions- und Lieferkette ist das eine, unsere
Konsummuster sind das andere . Beides gehört zusam-
men, und deshalb ist auch die Gesellschaft gefordert .

Deutschland fängt hier nicht bei null an, kann aber
insbesondere im Bereich nachhaltiger Produktions- und
Konsummuster noch viel mehr erreichen . Hier ist noch
viel Luft nach oben . Deshalb hat sich die Bundesregie-
rung zum Ziel gesetzt, die Inanspruchnahme natürlicher
Ressourcen stärker von der wirtschaftlichen Entwicklung
zu entkoppeln, die Effizienz fortlaufend zu steigern und
die Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen weiter
zu reduzieren . Wir wollen, dass Deutschland zu einer der
effizientesten und umweltschonendsten Volkswirtschaf-
ten weltweit wird . Das ist nicht nur ein Regulatorium .
Dadurch sorgen wir auch dafür, dass Deutschland inter-
national wettbewerbsfähig bleibt .

Ich will hier noch einmal den Blick auf den Konsum
werfen . Wir wollen ein Nationales Programm für Nach-
haltigen Konsum Ende Februar im Kabinett verabschie-
den . Es ist unser Anliegen, nachhaltigere Lebensstile und
etablierte Umweltsiegel, zum Beispiel den Blauen Engel,
der ein gutes und etabliertes Siegel ist, zu stärken und
weiterzuentwickeln, sodass sich Verbraucher daran ori-
entieren und tatsächlich nachhaltig konsumieren können .

Die Umsetzung der 2030-Agenda wird aber nur ge-
lingen, wenn wir wissen, wo wir stehen und wie die
Umsetzung gelingt . Deswegen sind wir in New York da-
für eingetreten, dass wir einen robusten und effizienten
Überprüfungsmechanismus einsetzen . Dieser wird sich
in politisch hochrangigen Foren, im HLPF der UN, in
jedem Jahr angeschaut . Um unseren Anspruch an einen
solchen Überprüfungsmechanismus zu unterstreichen,
gehen wir mit gutem Beispiel voran . Wir werden im Juli
beim nächsten HLPF schon einmal darüber berichten .
Wir sind die Ersten . Das heißt, die Welt wird auf uns
schauen und darauf, was wir liefern . Wir können nicht
nur von anderen die Erfüllung der Ziele einfordern . Die
Welt wird sich ansehen, wie wir das meistern und wie
erfolgreich wir sind .

Mit der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie haben
wir ein gutes Instrument, das ein wesentlicher Rahmen
für die Umsetzung der globalen Ziele der Agenda durch
Deutschland und in Deutschland ist . Sie wird bis Okto-
ber 2016 in einem Dialogprozess weiterentwickelt und
sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen orientieren .

Eines ist klar: 2016 muss mit der Umsetzung der
Nachhaltigkeitsagenda begonnen werden; denn der
Kurswechsel, der auf dem Gipfel in New York im ver-
gangenen Jahr beschlossen wurde und den wir alle ge-
meinsam erreichen wollen, ist überfällig . Wir wollen
die extreme Armut beenden sowie die Ungleichheit, die
Ungerechtigkeit und auch den Klimawandel bekämpfen .

Hierbei war es im vergangenen Jahr durchaus ein wich-
tiger Etappenschritt, dass der Klimagipfel in Paris so er-
folgreich vonstattenging . Zudem wollen wir nachhaltige
Produktions- und Lebensweisen sowie nachhaltige Kon-
summuster durchsetzen .

Ich danke herzlich .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815227700

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin

Dr . Valerie Wilms .


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815227800

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die

letzten zwei Besucher haben uns auch verlassen . Inso-
fern sollten wir nächstes Mal vielleicht einmal schauen,
dass wir ein so wichtiges Thema zu einer etwas früheren
Zeit behandeln, werte Kolleginnen und Kollegen von der
GroKo .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das sehen auch Herr Fuchtel und Frau Schwarzelühr-
Sutter so . Also: Ran da!

Frau Staatssekretärin, na klar, wir brauchen den
Kurswechsel, und zwar dringend . Wir müssen uns auch
endlich einmal wieder ernsthaft mit der Neufassung der
Nachhaltigkeitsstrategie beschäftigen; denn darin stehen
auch Ziele, die schon abgelaufen sind . Andere enden
2020; das ist nicht mehr lange hin . Insofern: Ran, ran,
ran!

Ich bin glücklich, dass mit diesem Antrag klar gewor-
den ist, dass sich auch die Koalition hier im Parlament
einmal mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen
muss . Bisher haben Sie das nur über Anträge aus der
Grünenfraktion getan; wir haben Ihnen da schon einiges
vorgelegt . Die Beschäftigung des gesamten Parlaments
zu diesem relativ frühen Zeitpunkt – die Verabschiedung
der Ziele ist kaum ein halbes Jahr her – ist wichtig, rich-
tig und dringend nötig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


An der Umsetzung der SDGs sind alle Ministerien
beteiligt . Da wäre es ein fatales Signal, wenn sich im
Parlament nur der Ausschuss für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit damit befasst . Ich sitze nicht im Ausschuss für
wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern im Parlamen-
tarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung . Insofern
haben wir das jetzt schon etwas weiter gefasst .

Werte Kolleginnen und Kollegen, gleich zu Beginn
steht in Ihrem Antrag allerdings ein Absatz, der mir doch
sehr zu denken gibt . Sie schreiben über die 2030-Agen-
da – ich zitiere –: „Sie ist dementsprechend keine reine
Entwicklungsländeragenda“ . Stimmt! Aber was soll uns
das sagen? Natürlich sind die SDGs keine reine Entwick-
lungsländeragenda . Auch in Deutschland gibt es auf dem
Weg zur Nachhaltigkeit noch viel, viel zu tun .

Natürlich findet sich im Antrag auch die Forderung,
die Fortentwicklung der nationalen Nachhaltigkeitsstra-
tegie auf die Umsetzung der SDGs auszurichten . Alles

Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter






(A) (C)



(B) (D)


andere, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre ja auch
abwegig – obwohl man bei dieser GroKo nicht so genau
weiß, was da eigentlich läuft . Sie haben ja noch eine Pa-
rallelwelt nebenher laufen, „Gut leben in Deutschland“
genannt . Was Sie da machen wollen, ist ja auch eine Art
Strategie .

Aber so weit zu gehen, nun alle nationalen Nachhal-
tigkeitsziele mindestens bis 2030 fortzuschreiben, das
trauen Sie sich in diesem Antrag dann doch nicht . Dabei
wäre ja gerade das essenziell . Es ist doch so, dass es mo-
mentan an der konsequenten Fortschreibung aller Ziele
bis 2030 mangelt .

Richtig erkannt hat die Koalition endlich, dass die
2030-Agenda einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung
von Fluchtursachen leisten kann . Nur bricht der An-
trag an dieser Stelle leider unvermittelt ab . Wie sollen
Fluchtursachen wirksam bekämpft werden? Da ist von
Ihnen nichts zu lesen . Kleiner Tipp: Lesen Sie doch mal
unseren Antrag mit der Drucksachennummer 18/7046 .
Da finden Sie eine ganze Reihe Hinweise, wie man so
etwas machen kann .

Werte Kolleginnen und Kollegen, besonders frech
finde ich das Lob für die Bundesregierung bezogen auf
den G-7-Gipfel . Da gab es einen Beschluss über die De-
karbonisierung der Weltwirtschaft . Dass allerdings direkt
danach die geplante Kohleabgabe für Braunkohlekraft-
werke wieder einkassiert wurde, wird in Ihrem Antrag
mit keinem Wort erwähnt . Leider ein typisches Beispiel
für die Dialektik Ihrer Politik: heute hü und morgen hott .
Nachhaltige Politik sieht anders aus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin leider schon am Ende meiner Redezeit . Darum
nur noch ein kurzer Hinweis . Ich zitiere noch einmal aus
Ihrem Antrag . Da steht:

Die nationale Umsetzung muss sich in die haus-
halts- und finanzpolitischen Vorgaben der Bundes-
regierung einfügen

Wird das wirklich ernst genommen? Dann wären ja
größere Umwälzungen im nächsten Haushalt zu erwar-
ten, ja dann stände uns hier im Haus eine kleine Revolu-
tion bevor – im Haushaltsausschuss . Toll! Ich sehe hier
aber keinen Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, und
ich halte das für schwer vorstellbar . Nötig wäre es na-
türlich . Denn die Haushalts- und Finanzplanung ist, wie
Sie ja nun endlich selbst erkannt haben, der Schlüssel zu
einer mehr oder eben weniger nachhaltigen Politik . An
Ihren Versprechungen, werte Kolleginnen und Kollegen,
werden wir zukünftig die Haushaltsentwürfe messen .
Darauf können Sie sich verlassen .

Vielen Dank, dass Sie mir so aufmerksam zugehört
haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815227900

Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die

Kollegin Bärbel Kofler für die SPD.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1815228000

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Es freut mich, dass ich an einigen Stellen auch von Ih-
nen, Frau Wilms, durchaus lobende Töne zu dem Antrag
vernehmen konnte . Es ist richtig: Dieser Antrag ist ein
erster Aufschlag . Ich darf daran erinnern: Die Konferenz
in New York war im September letzten Jahres, und die
Klimakonferenz in Paris war im November/Dezember .
Ich finde, dass wir uns relativ zügig darum bemüht ha-
ben, hier erste Ansätze für eine Umsetzung vorzulegen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr!)


Und ich darf Sie auch beruhigen: Es kommt sicher noch
mehr . Da brauchen Sie keine Angst zu haben . Wir wer-
den vielleicht noch gemeinsam das eine oder andere
Spannende erarbeiten .

Diese Debatte bietet Gelegenheit, über die Konferen-
zen des vergangenen Jahres ein bisschen zu reflektieren:
Was waren die wichtigen Punkte? Was waren die Punkte,
von denen wir wissen, dass wir nachsteuern müssen und
es noch Handlungsbedarf gibt? Bei den SDGs – das ist
das Entscheidende – kommt es jetzt auf die Umsetzung
an . Es kommt darauf an – das ist nicht trivial –, hineinzu-
schreiben, dass wir unsere nationale Nachhaltigkeitsstra-
tegie auf internationale Bereiche ausweiten müssen . Ich
habe irgendwann einmal gelernt, dass es das Manko der
nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ist, dass wir uns viel
zu wenig auf die internationale Ebene begeben .

Was in den SDGs zu Recht eingefordert wird, ist Uni-
versalität . Es geht nicht nur darum, dass wir in Deutsch-
land irgendetwas ein bisschen besser machen, sondern
auch darum, die Wechselwirkungen zwischen dem, was in
Deutschland passieren muss, und dem, was international
passieren muss – seien es Handelsfragen, die Fragen der
Arbeitnehmerrechte, die im Übrigen im Antrag ausführ-
lich angesprochen werden, oder die Frage der Einhaltung
der ILO-Kernarbeitsnormen –, besser zu berücksichtigen
und mehr dafür zu tun, dass wir wirklich vorankommen
und die Menschen nachhaltig aus der Armut herausführen .
Das ist ein entscheidender, ganz wichtiger Punkt .

Ich glaube auch, dass wir bei den Finanzfragen – ich
nenne die Konferenz von Addis Abeba – noch nachlegen
müssen; das ist überhaupt keine Frage . Wir haben uns
im Zusammenhang mit ODA nicht zu dem verpflichtet,
was wirklich ganz schnell zu einem Aufwuchs und zur
Unterfütterung dieser Ziele führt . Wir werden noch viel
tun müssen .

Ich finde es gut, dass es eine Initiative zum Thema
„Aufbau der Steuersysteme in den Entwicklungsländern“
gibt . Da werden wir eine ganze Menge und noch viel
mehr tun müssen . Ich freue mich auf die Debatte im und
mit dem Finanzausschuss, wie das Thema Steuervermei-
dung und Steuerhinterziehung anzugehen ist . Mittlerwei-
le weiß jeder, der sich mit Entwicklungszusammenarbeit

Dr. Valerie Wilms






(A) (C)



(B) (D)


beschäftigt und den Mbeki-Bericht gelesen hat, dass den
Ländern Afrikas jährlich 50 bis 150 Milliarden US-Dol-
lar durch Steuervermeidungskonzepte entgehen . Das
sind enorme Summen, die bei der Armutsbekämpfung
fehlen . Hier ist also noch viel zu tun . Das ist noch ein
ganz großes Handlungsfeld .

Ein Punkt ist noch nicht erwähnt worden . In dem vor-
liegenden Antrag ist ein Bekenntnis zur Finanztransakti-
onsteuer enthalten; das will ich deutlich unterstreichen .
Wir fordern die Bundesregierung auf, auf europäischer
Ebene alles zu tun, damit sie eingeführt wird . Wir von
den Koalitionsfraktionen bekennen uns gemeinsam dazu
und sagen, dass auch wir das wollen. Ich finde, das ist
eine wichtige Aussage .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kommt sie?)


Wir als Entwicklungspolitiker, aber nicht nur die Ent-
wicklungspolitiker, werden noch viel darüber diskutieren
müssen, wie wir die SDGs mit unseren Partnern umset-
zen . Es wird in vielen Bereichen zu einem entwicklungs-
politischen Paradigmenwechsel kommen müssen . Wir
werden prüfen müssen: Ist das, was wir in den verschie-
densten Feldern machen, im Sinne der Nachhaltigkeits-
agenda bereits genug? Oder nehmen wir manchmal fal-
sche Weichenstellungen vor und müssen daher vielleicht
einiges überprüfen und überdenken? Das wird ein wich-
tiger Prozess sein .

Ich glaube aber auch – und das ist das Entscheiden-
de –: Das Thema der Politikkohärenz ist für uns alle das
A und O . Wir werden mit den Kollegen aus den ande-
ren Ausschüssen darüber diskutieren müssen, wessen
Aufgabe es ist, die Nachhaltigkeitsagenda umzusetzen .
Sie ist eben auch die Aufgabe der Finanzpolitiker, sie
ist die Aufgabe der Gesundheitspolitiker – ich denke an
viele Verknüpfungen, was den Zugang zu Medikamen-
ten und was Patentrechte anbelangt –, sie ist die Aufgabe
der Wirtschaftspolitiker, sie ist die Aufgabe der Arbeits-
marktpolitiker, wenn es um das Thema „internationale
Arbeitsnormen“ geht, und sie ist selbstverständlich die
Aufgabe der Umweltpolitiker, wenn es um Klimaschutz,
den Zugang zu Wasser und anderen Ressourcen geht .
Das ist eine ganz entscheidende Frage . Für all das will
und soll die Entwicklungspolitik Motor sein . Dafür ha-
ben wir den vorliegenden Antrag geschrieben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815228100

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7361 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Widerspruch erhebt
sich keiner . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe jetzt den letzten Tagesordnungspunkt für heu-
te, nämlich den Tagesordnungspunkt 20, auf:

Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung der Zuständigkeiten von
Bundesbehörden an die Neuordnung der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des

(WSV-Zuständigkeitsanpassungsgesetz – WSVZuAnpG)


Drucksache 18/7316

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Innenausschuss
Haushaltsausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe hier ausschließlich Einverständnis . Dann geschieht
das so .1)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/7316 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Auch
hier kann ich nur allgemeines Einverständnis feststellen .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Damit sind wir auch am Schluss unserer Tagesord-
nung angelangt .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 29 . Januar 2016, 9 Uhr, ein .

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend . Kom-
men Sie morgen wieder wohlbehalten und gesund ins
Plenum .

Die Sitzung ist geschlossen .