Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sieherzlich .Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungHierzu hat die Bundesregierung als Thema der heuti-gen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Geset-zes zur Erleichterung des Ausbaus digitaler Hochge-schwindigkeitsnetze.Dazu erteile ich das Wort für einen einleitenden Kurz-bericht dem Bundesminister für Verkehr und digitaleInfrastruktur, Alexander Dobrindt . – Bitte schön, HerrMinister .Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir haben heute das DigiNetz-Gesetz im Bundeskabi-nett beschlossen . Wir machen mit diesem Gesetz einengroßen Sprung in Richtung Gigabitgesellschaft . Das Di-giNetz-Gesetz soll den Ausbau digitaler Hochgeschwin-digkeitsnetze erleichtern und beschleunigen sowie dieKosten senken . Das heißt, wir verleihen dem Breitband-ausbau mit diesem Gesetz zusätzlichen Schwung . Wirschaffen das, indem wir für neue Transparenzen sorgen,was die bestehende klassische Infrastruktur betrifft . Wirräumen Mitnutzungsrechte bei der bestehenden Infra-struktur ein und regeln Ausbauverpflichtungen neu.Im Einzelnen bedeutet das: Wir öffnen die bestehen-de klassische Infrastruktur und regeln die Mitnutzungder Rohrleitungen von Energie- und Abwassernetzen anStraßen und Schienen . Überall dort, wo freie Kapazitätenbestehen, wird zukünftig Telekommunikationsunterneh-men die Möglichkeit gegeben, Breitbandkabel mit zuverlegen . Das sorgt natürlich für Synergien und verbes-sert die Koordinierung von Bauarbeiten . Das Ganze steu-ern wir über eine zentrale Informationsstelle, die bei derBNetzA angesiedelt ist . Diese Stelle kann beurteilen, obein faires Entgelt berechnet wird .Der zweite bedeutende Punkt ist, dass zukünftig Glas-faserkabel in Neubaugebieten direkt mit verlegt werdenmüssen . Es spielt keine Rolle, ob es sich dabei um Wohn-gebiete oder Gewerbegebiete handelt . Selbst heutzutagewerden bei Neubauten teilweise noch immer Kupfer-kabel verlegt . Das ist nicht zukunftsfähig; denn damitverbunden ist die Herausforderung des Nachrüstens unddes Umbaus . Das kann nicht das Ziel sein . Wir wollen,dass Glasfaserkabel sofort mit verlegt werden, um dasschnelle Internet überall zu ermöglichen . Das betrifft dieVerkehrswege des Bundes übrigens genauso .Wir haben uns drittens vorgenommen, bei Moderni-sierung und Neubau unserer Verkehrswege sofort Glasfa-serkabel mit verlegen zu lassen . Das heißt, wo zukünftigder Bund Bundesstraßen oder Autobahnen baut, werdenGlasfaserkabel mitverlegt . Das Gleiche gilt auch für dieLänder und die Städte, bis hin zu Radwegen . Wo der Bo-den aufgerissen wird und man dementsprechend in dieLage versetzt wird, Glasfaserkabel zu verlegen, soll eszukünftig auch gemacht werden .Tiefbauarbeiten sind ein wesentlicher Faktor der Kos-ten . 80 Prozent der Kosten beim Glasfaserausbau werdendurch den Tiefbau verursacht . Mit dieser Maßnahme derverpflichtenden Mitverlegung von Glasfaserkabeln beiStraßenbaumaßnahmen wird dafür gesorgt, dass dieseKosten erheblich reduziert werden . Zukünftig gilt: JedeBaustelle bringt Bandbreite .Wir sparen damit Milliarden . Die Schätzungen sindsehr unterschiedlich, aber man kann sagen, dass wir zu-künftig durch die Synergien einen Milliardenbetrag ein-sparen werden . Wir sorgen auch dafür, dass wir schnel-ler die Infrastruktur der Breitbandtechnologie umsetzen .Wir können das auch in unsere Gesamtstrategie gut ein-ordnen, die aus drei Säulen besteht: zum Ersten Markt,zum Zweiten Förderung, zum Dritten Beschleunigung .Sie wissen, dass wir mit der „Netzallianz DigitalesDeutschland“ im letzten Jahr erfolgreich den weiterenAusbau der Breitbandinfrastruktur befördert haben . Wirhaben allein für dieses Jahr wieder eine Vereinbarung mitder „Netzallianz Digitales Deutschland“ getroffen, dassmarktgetrieben von den Unternehmen 8 Milliarden Euro
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in den Ausbau des schnellen Breitbandnetzes investiertwerden .Die zweite Säule ist die Förderung . Wir haben imNovember vergangenen Jahres unser Bundesförderpro-gramm für den schnellen Breitbandausbau gestartet . Eshandelt sich um 2,7 Milliarden Euro, die sich in 2 Milli-arden Euro für das Förderprogramm und über 600 Millio-nen Euro für die Länder, die wir direkt an diese ausgezahlthaben, aufteilen . Das wird sehr gut angenommen . Es gibtbisher rund 200 Anträge für dieses Förderprogramm, fürdie wir laufend entsprechende Bescheide herausgeben .Man merkt schon an der Zahl von 200 Anträgen in derkurzen Zeit, dass auf dieses Programm in erheblichemMaße vonseiten der Kommunen reagiert wird . Damithaben wir Schwung in den Breitbandausbau bekommen .Die dritte Säule ist die Beschleunigung, die ich geradedargestellt habe, durch das DigiNetz-Gesetz .Wenn man das zusammenfasst und bewertet – daskann man auch in dem aktuellen Wirtschafts-Digital-index nachlesen –, dann kann man sagen: Wir haben jetztschon eine Vorwärtsbewegung gemacht . Denn laut Wirt-schafts-Digitalindex ist Deutschland bei der Infrastrukturauf Platz 4 vorgerutscht und befindet sich jetzt vor denUSA, vor Japan und vor Spanien . Das zeigt die hohe Dy-namik, die wir in Deutschland inzwischen beim Ausbauerzeugt haben . Das gibt uns allen Anlass, mit digitalemSelbstbewusstsein in die Zukunft zu gehen, wobei wirauch darauf hinweisen: Jede Maßnahme kann ein Zwi-schenschritt hin zu einer noch moderneren Infrastruktursein .
Herr Minister .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Wir haben uns bis 2018 50 Mbit vorgenommen . –
Herr Präsident .
Nicht 50 Minuten .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Ich dachte, ich darf es umfänglich darstellen .
Nein, eben nicht .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Dann warte ich darauf, dass mir die Fragen die Ge-
legenheit dazu geben . Wir haben uns 50 Mbit bis 2018
vorgenommen . Das wird ein Zwischenschritt sein, den
wir aber auf jeden Fall gehen werden .
Danke schön, Herr Präsident .
Ich bedanke mich auch . – Es ist immer das gleiche
Problem, dass man in diesen fünf Minuten nicht alles
vortragen kann, was es zum Thema zu sagen gibt . Aber
die Fragen werden sicher Gelegenheit bieten, noch er-
gänzende Informationen nachzuliefern .
Wir beginnen mit Frau Rößner .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Vielen Dank, Herr Mi-
nister, für die Vorstellung des Gesetzentwurfs . Ich denke,
es ist richtig, dass wir die EU-Richtlinie möglichst bald
umsetzen, damit der Breitbandausbau insgesamt voran-
kommt .
Der erste Entwurf dieses Gesetzes wurde am 11 . Sep-
tember vergangenen Jahres veröffentlicht . Es erfolgten,
soweit ich weiß, sehr viele Stellungnahmen . Meine Fra-
ge – der aktuelle Text des Gesetzentwurfs liegt uns noch
nicht vor –: Wo haben Sie diese Stellungnahmen berück-
sichtigt? An welchen Stellen haben Sie etwas geändert,
weil Sie auf Hinweise der Verbände eingegangen sind?
Herr Minister .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Sehr geehrte Frau Rößner, dieses Gesetzespaket zeich-
net sich auch durch seinen Umfang aus .
Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, die viele
Rechte anderer betreffen, vor allem im Bereich der Mit-
nutzung . Die Verbände haben sich umfangreich zur Fra-
ge der Mitnutzung der klassischen Infrastruktur geäußert .
Es hat im Prozess der Erstellung des Gesetzentwurfs eine
Diskussion gegeben . Eine Synopse darüber, wieweit die
einzelnen Vorschläge vonseiten der Verbände Berück-
sichtigung gefunden haben, liegt mir nicht vor .
Klar ist aber, dass es bei der Mitnutzung nicht nur ei-
gene Rechte gibt, sondern auch Rechte anderer, die zu
berücksichtigen sind, was auch dazu führt, dass es Aus-
schlusskriterien für die Mitbenutzung der klassischen In-
frastruktur gibt . Diese Kriterien sind im Prozess der Er-
stellung des Gesetzentwurfs durchaus verschärft worden .
Frau Esken .
Herr Minister, dieser Gesetzentwurf ist ein großerSchritt für die Umsetzung der Digitalen Agenda derBundesregierung und auch für die Überwindung der re-Bundesminister Alexander Dobrindt
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gionalen digitalen Spaltung in Deutschland . Ein weitererwichtiger Grund für den Digital Gap in der Bevölkerungist die unterschiedliche Ausprägung der digitalen Kom-petenz und digitalen Souveränität .Ein anderes wichtiges Ziel der Digitalen Agenda derBundesregierung ist die Entwicklung einer Strategie „di-gitales Lernen“, der Ausbau der digitalen Bildung . Inso-fern meine Frage in diesem Zusammenhang: Inwieweitspielen in diesem Gesetzentwurf und in der bisherigenFörderstrategie der Bundesregierung der Breitbandan-schluss für Schulen und andere Bildungseinrichtungeneine besondere Rolle?Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Sehr geehrte Frau Kollegin, richtig ist, dass es über dieFrage der Teilhabegerechtigkeit eine Diskussion in un-serem Land gibt und dass vieles davon abhängt, ob manZugang zu den modernen Technologien hat oder nicht, obman die neuen Chancen ergreifen kann oder nicht . DieseDiskussion findet im ganzen Land statt. Wir wissen, dassmarktgetrieben der Breitbandausbau in den Städten stär-ker voranschreitet als zum Beispiel in den ländlichen Re-gionen . Genau das erklärt unser Ziel: einen Gleichklangder Entwicklung zustande zu bringen . Gerade dazu dientdas Breitbandförderprogramm, wie wir es im letzten Jahrvorgestellt haben .Ich habe allen Kommunen, Gemeinden und Land-kreisen die Bitte übermittelt, sich an diesem Programmzu beteiligen, weil es nicht nur die Chance bietet, das50-Mbit-Ziel kommunal umzusetzen, sondern auch dieMöglichkeit eröffnet, beim Umbau hin zu einer Gigabit-gesellschaft deutlich voranzukommen . Das hat natürlichauch etwas mit dem Anschluss von Gewerbegebietenund natürlich auch von Schulen zu tun . Wir müssen bei-des im Blick haben: die berufliche Bildung genauso wiedie schulische Bildung .Ich kann jetzt nur sagen, dass wir es mit einer hohenAkzeptanz dieses Programms zu tun haben . Wir werdensehen, inwieweit sich dies vor Ort in den einzelnen Be-reichen umsetzen lässt . Unser Ziel ist es natürlich, dasses im Bereich aller Schulen und Bildungsstätten zu ei-nem schnellen Breitbandausbau kommt .
Kollege Behrens .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Minister, Sie ha-
ben darauf hingewiesen, dass es jetzt darauf ankommt,
dem Breitbandausbau neuen Schub zu verleihen . Wir be-
grüßen es sehr, wenn Sie sagen: Künftig muss bei Neu-
baugebieten die digitale Infrastruktur mitgeplant werden .
Ebenso soll es bei den bundeseigenen Verkehrswegen
sein .
Wer wird der Betreiber dieses Netzes sein? Es kann
ja nicht sein, dass man sagt: „Ihr müsst bauen“, wenn
man gar keinen Vertragspartner hat . Wird die Frage, wer
sich dort als Ausbauträger präsentiert, mit in die Planung
einbezogen? Das zu erfahren, wäre für mich aus kommu-
nalpolitischer Sicht wichtig .
Nun haben wir gerade die Schulen und bestimmte
Prioritäten als Thema gehabt . Ich denke, es ist notwen-
dig, dass man in diesem Gesetz Prioritäten setzt und bei-
spielsweise solche Einrichtungen besonders fördert, da-
mit man da vorankommen kann . Hier auf den Tribünen
sitzen viele junge Leute; für die treffen wir quasi diese
Entscheidung . Von daher bitte noch einmal eine konkre-
te Aussage zu den Schulen und deren Anbindung an das
schnelle Internet!
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Herr Kollege Behrens, die Infrastruktur, wie wir sie
jetzt aufbauen werden – beispielsweise werden Glasfa-
serkabel unter Bundesstraßen verlegt –, ist eine Infra-
struktur, die erst einmal allen zur Nutzung zur Verfügung
steht . Das heißt, der Bund betreibt keine eigenen Inhalte,
die er auf dieser Infrastruktur transportiert . Wir geben je-
dem die Möglichkeit, am Schluss diese Infrastruktur zu
benutzen . Das ist das Ziel, das dahintersteht . Von daher
ist in jeder Situation spezifisch zu klären, ob es zu die-
sem Zeitpunkt oder zu einem späteren Zeitpunkt einen
Interessenten gibt und zu welchen Bedingungen er diese
Infrastruktur nutzen will .
Wir gehen davon aus, dass es bei der Mehrzahl der
Straßen, die wir heute bauen, sinnvoll ist, diese Infra-
struktur zu hinterlegen, und dass der Großteil der Nut-
zungsmöglichkeiten sich erst zu einem späteren Zeit-
punkt ergeben wird .
Der Anschluss der Schulen ist Teil eines Förderpro-
gramms, nämlich des Bundesförderprogramms für den
Breitbandausbau . Das heißt, die Kommunen, die nach
unserem Förderprogramm eigene Projekte definieren
können – das kann auch Teilbereiche betreffen –, können
sich über dieses Bundesförderprogramm Quellen für den
Ausbau der Infrastruktur an Schulen erschließen .
Ich erinnere noch einmal an die Minutenregel . – Die
nächste Frage hat der Kollege Viesehon .
Herr Präsident! Herr Bundesminister! Was mich inte-ressieren würde – neben dem Glasfaserausbau, der aufdem Weg zur Gigabitgesellschaft längerfristig wirkt – ist,ob es noch weitere konkrete Maßnahmen zur Beschleuni-gung gibt, auch zur kurzfristigen praktischen Umsetzung,um das, was Sie schon gesagt haben, gesetzlich und vonBundesseite her zu hinterlegen .Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Lieber Kollege, ein wesentlicher Teil der Beschleuni-gung wird sich dadurch ergeben, dass die Investoren beider Bundesnetzagentur Einsicht darin bekommen kön-nen, wo klassische Infrastruktur besteht, die zur Mitnut-zung in Betracht kommt .Saskia Esken
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In der Vergangenheit – um es einfach einmal darzu-stellen – war die Situation die, dass ein Betreiber vonInfrastruktur oder ein Telekommunikationsunternehmenmit Ausbauplänen für eine eigene Infrastruktur eine ent-sprechende Verlegung beantragen musste . Das ist relativaufwendig, wie wir wissen . Es müssen Straßen aufgeris-sen werden, es müssen Bauarbeiten stattfinden und vielesmehr .Zukünftig wird das Erste sein, bei der Bundesnetz-agentur einen Blick in den konsolidierten Atlas der klas-sischen Infrastruktur zu werfen, um festzustellen: Hiergibt es Möglichkeiten, Breitbandkabel in bestehendenRohrsystemen zu verlegen und damit eine erhebliche Be-schleunigung des Ausbaus zu erzielen, weil man sich dieTiefbauarbeiten komplett sparen kann .
Florian Oßner .
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister,
Sie haben gerade in Ihren Ausführungen eindrucksvoll
beschrieben, dass auf den Tiefbaubereich 80 Prozent der
Kosten anfallen . Ich denke, das ist ein ganz wichtiger
Punkt des DigiNetz-Gesetzes . Für mich stellt sich die
Frage, welche konkreten Maßnahmen dieses Gesetz vor-
sieht, um exakt diese Kosteneinsparungen dann auch im
Konkreten zu bewerkstelligen .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Sehr geehrter Herr Kollege, die Diskussion darüber,
wie hoch das Einsparpotenzial ist, richtet sich sehr stark
daran aus, wie hoch der Anteil an Tiefbauarbeiten ist, der
künftig eingespart werden kann . Sie haben selbst darauf
hingewiesen, dass 80 Prozent der Ausbaukosten Tiefbau-
kosten sind .
Jetzt kann man unterstellen, dass ein kompletter Glas-
faserausbau in Deutschland – so sagen es zumindest
die Institute, die Schätzungen abgegeben haben – um
die 80 Milliarden Euro kosten wird . Wenn man davon
80 Prozent nimmt, dann wären es 64 Milliarden Euro an
Kosten für Tiefbauarbeiten . Ein Gutachten geht davon
aus, dass 30 Prozent davon mit den von uns jetzt vor-
gestellten Maßnahmen eingespart werden können . Das
heißt, man könnte von einem zweistelligen Milliardenbe-
trag reden, der eingespart würde, wenn man den Ausbau
über dieses Gesetz vorantreibt .
Ich weise allerdings darauf hin, dass diese Zahlen
sich auf einen kompletten Glasfaserausbau beziehen .
Das ist aber nicht die aktuelle Situation, weil wir einen
Technologiemix haben . Das heißt, wir sind von diesen
Zahlen entfernt; momentan investieren wir bis 2018
nicht 80 Milliarden Euro, sondern eine deutlich geringe-
re Summe .
Frau Rößner .
Vielen Dank . – Eine Vorbemerkung: Wenn man ein
Gesetz macht, das sehr stark in den Infrastrukturwettbe-
werb eingreift bzw . diesen regeln soll, dann sollte man
wissen, welche Stellungnahmen die einzelnen Unterneh-
men, die betroffen sind, abgegeben haben und wie die
Verbände darüber denken . Von daher ist es wichtig, ein
Gesetz auch im Hinblick darauf zu bewerten .
Man will die Potenziale für die Mitnutzung bestmög-
lich ausschöpfen . Daher frage ich Sie, warum unbeschal-
tete Glasfaserkabel, die sogenannten Dark Fibre, die sich
insbesondere im Besitz der Deutschen Telekom befinden,
nicht in die Definition der passiven Netzinfrastruktur ein-
geschlossen sind, außen vorgelassen werden und somit
nicht genutzt werden können, sodass sich der Platzhirsch
wieder durchsetzen kann . Das ist die erste Frage .
Die zweite Frage schließt an die Frage von Herrn
Behrens an: Wer ist derjenige, der bei Neubauten die
Glasfaser verlegt? Wer bezahlt das Ganze, und wer ko-
ordiniert das?
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Die Aufgabe, die Glasfaserkabel zu verlegen, liegt
bei demjenigen, der beispielsweise die Straßen baut, um
einen Bereich der klassischen Infrastruktur zu nennen .
Dieser wird die digitale Infrastruktur mitverlegen . Das
ist Ziel dieses Gesetzes .
Es hat in der Tat eine Diskussion darüber gegeben, ob
man darunter lediglich die Leerrohre versteht, die verlegt
werden sollen, damit die Unternehmen selbst die Glas-
faser installieren können, oder ob man davon ausgeht,
dass die Glasfaserkabel gleich mit zur Verfügung gestellt
werden .
Wenn man den Ausbau möglichst schnell vorantreiben
will, dann sollte man die Glasfaser gleich mitverlegen .
Dazu haben wir uns entschlossen . Das ist ein Kostenfak-
tor, der in diesem Fall vom Bund als Träger der Baumaß-
nahmen entsprechend mitzutragen ist und ein Teil der
Aus- oder Neubaumaßnahme der Straße wird .
Ansonsten wird es zu den Details hinsichtlich der Fra-
ge, was an Mitnutzung der Infrastruktur zukünftig mög-
lich ist oder nicht, eine Beratung im Bundestag geben .
Ich bin sicher, dass Sie eine Abschätzung darüber, wel-
che Infrastrukturmaßnahmen richtigerweise mit dabei
sind, in den Ausschüssen treffen werden .
Kollege Behrens .
Herr Minister, nun werden die Stadtwerke in gewisserWeise in die Pflicht genommen, ihre Infrastruktur zu öff-nen . Sie machen in dem Gesetz aber keine Vorgaben, wasden Preis anbetrifft . Ich kann mir vorstellen, dass dies einStück weit zum Pokern vonseiten der Stadtwerke einlädtund nicht zur Beschleunigung des Ausbaus führt, indemgesagt wird: Der eine Betreiber bietet mir so viel, einanderer Betreiber, den ich möglichweise noch gar nichtBundesminister Alexander Dobrindt
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kenne, könnte am nächsten Tag ein höheres Angebot vor-legen .Was war der Grund für Sie, nicht einen entsprechen-den Rahmen vorzugeben, in dem sich die Gebühren zubefinden haben, um dieses Verhalten zu verhindern?Eine zweite Frage in diesem Zusammenhang: Waspassiert, wenn die Stadtwerke meinen, dass sie die In-frastruktur nicht nur einmal vermarkten können, sondernauch ein zweites Mal? Das kann unter Umständen dazuführen, dass sich die Dinge sozusagen kannibalisieren .Es ist eigentlich nur sinnvoll, eine Infrastruktur zu schaf-fen . Die Förderung von anderen Geschäftsmodellen istmit dem Gesetzentwurf wohl nicht gemeint .Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Vielen Dank . – Bezüglich der Gebührensituation ha-ben wir uns für folgendes Vorgehen entschlossen: Esgeht darum, faire Gebühren zu erheben . Faire Gebührenmüssen zwischen den Vertragspartnern ermittelt werden .Sie können durchaus in unterschiedlichen Regionen eineunterschiedliche Ausprägung haben . Damit sie wirklichfair sind und nicht durch eine unangemessene Höhe eineBarriere bilden und einen Zugang verhindern, haben wirsowohl eine Streitbeilegungsstelle als auch eine Informa-tionsstelle in der BNetzA geschaffen . Die BNetzA wirdin dem Fall, dass man sich über ein faires Entgelt nichteinig wird, tätig werden . So kennen wir dies auch in an-deren Bereichen . Die BNetzA erfüllt genau diese Funkti-on beim digitalen Ausbau .Sie haben das Kannibalisieren von Infrastruktur an-gesprochen . Wir achten sehr genau darauf, dass mit die-sem Gesetz kein Überbau von bestehender Breitband-infrastruktur entsteht . Das heißt, dort, wo versucht wird,einen vermeintlich günstigen Überbau über eine heutebestehende Infrastruktur zu organisieren, ist auch wiederdie BNetzA gefragt . Sie kann dann diese Mitbenutzungder klassischen Infrastruktur für einen offensichtlichenÜberbau einer digitalen Infrastruktur untersagen .
Vielen Dank . – Weitere Fragen hierzu liegen mir nicht
vor .
– Der Kollege Jarzombek hat also noch eine Frage zu
diesem Bereich . Danach kommen wir zu den sonstigen
Fragen an die Bundesregierung .
Herr Präsident, danke für die Gelegenheit, hier noch
eine Frage zu stellen . – Wir reden derzeit sehr viel über
das Thema Gigabitgesellschaft, den Ausbau von 5G-Net-
zen und die notwendige Infrastruktur . Ich möchte daher
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Inwieweit ist auch das
Teil der Überlegung der Bundesregierung bei diesem Ge-
setzentwurf gewesen? Wie ist die Position der Bundesre-
gierung dazu?
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Das Thema Gigabitgesellschaft findet sich natürlich
in diesem Entwurf wieder, allein schon deswegen, weil
in Neubaugebieten keine Kupferleitungen mehr verlegt
werden dürfen, sondern nur noch Glasfaserkabel . Das ist
der Weg hin zur Gigabitgesellschaft . Von daher werden
Sie aufgrund der Herausforderungen bezüglich der In-
vestitionen, die sich ergeben, feststellen, dass das jetzige
Vorgehen, nämlich das permanente Nachrüsten an ver-
schiedenen Stellen, in Zukunft nicht mehr in Neubauge-
bieten angewandt wird .
Die 5G-Frage hängt entscheidend damit zusammen,
das Echtzeitinternet auch in Deutschland zu etablieren .
Diese Frage betrifft zurzeit eher die Forschung als die
Installation, weil 5G als Anwendung noch nicht zur Ver-
fügung steht . Wir unterstützen allerdings die Erforschung
dieser Maßnahme und der entsprechenden Entwicklun-
gen . Dies geschieht beispielsweise bei unserem digitalen
Testfeld Autobahn . An der A9 haben wir mit Unterneh-
men in Teilbereichen eine Technologie installiert, die der
5G-Technologie nahekommt . Wir wollen, wenn es um
5G geht, Marktführer werden . Wir sind dort im Wettbe-
werb mit asiatischen Ländern . Wir legen aber Wert auf
die Feststellung, dass sich die Entwicklung dieser Tech-
nologie in Deutschland zurzeit auf einem sehr hohen
Stand befindet und sie weiter ausgebaut wird.
Jetzt rufe ich, wie angekündigt, sonstige Fragen an
die Bundesregierung auf . Dazu haben folgende Kollegen
bereits Fragen bei mir angemeldet: Herr Krischer, Herr
Gastel, Frau Wilms und Frau Mihalic – in dieser Reihen-
folge . Dann nehme ich den Kollegen Beck gerne dazu,
Frau Haßelmann vielleicht auch .
Wir schauen, ob wir das in dem Zeitrahmen bewältigen
können, der zur Verfügung steht . – Bitte schön, Herr Kol-
lege Krischer .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . – Herr MinisterDobrindt, ich habe eine Frage an Sie . Sie sind in dieserWoche wörtlich so zitiert worden:Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir umGrenzschließungen nicht herumkommen .Ich finde eine solche Äußerung eines Bundesverkehrs-ministers sehr interessant . Ich persönlich hätte es nichtfür möglich gehalten, das im 21 . Jahrhundert zu hören .
Aber es ist ja offensichtlich so gesagt worden .Da Sie davon sprechen, dass Sie sich darauf „vorbe-reiten“, habe ich folgende Frage an den Bundesverkehrs-minister: Mit welchen konkreten Auswirkungen der vonIhnen geforderten Grenzschließungen auf den Warenver-kehr und den Freihandel – wir sind ja ein exportorientier-Herbert Behrens
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tes Land, das insbesondere im europäischen Binnenhan-del extrem stark ist – rechnen Sie?Als Bewohner einer Grenzregion, der StädteregionAachen, fragen mich jetzt viele der Zehntausenden Pend-ler, die dort über die Grenzen wechseln: Wie stellt sichHerr Minister Dobrindt das in Zukunft vor? Wie ist ineinem zusammengewachsenen Europa eine Grenzschlie-ßung umzusetzen? Ich würde Sie bitten, mir hier überIhre Vorbereitung dieser Grenzschließungen und darüber,wie Sie sich damit auseinandergesetzt haben, Auskunftzu geben .
Bitte .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Der erste Hinweis, Herr Krischer: Wir haben darüber
heute im Bundeskabinett nicht gesprochen .
Das ist ja auch eine sonstige Frage .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Das Zweite ist: Ich freue mich ausdrücklich, dass Sie
Interviews von mir lesen, weil Sie da etwas dazulernen
können .
Dass dies jetzt hier zu einer Diskussion führt, ist viel-
leicht durchaus hilfreich, weil die von mir in diesem – –
– Darf ich jetzt erklären, oder wollen Sie eine weitere
Frage stellen?
– Sie wollen ja offensichtlich eine weitere Frage stellen .
Ich gebe Ihnen den Hinweis, dass ich in diesem Inter-
view, das Sie sich vielleicht einmal detaillierter anschau-
en sollten, nicht auf die Frage des Warenverkehrs Bezug
nehme, sondern auf eine andere Situation, die wir zurzeit
in Deutschland erleben . Somit ist eine Auswirkung auf
den Warenverkehr nicht gegeben .
Nächster Fragesteller ist Herr Abgeordneter Gastel,
Bündnis 90/Die Grünen . Bitte .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Minister, ich
habe eine ganz andere Frage . Der bundeseigene Konzern
Deutsche Bahn AG befindet sich in schwierigem Fahr-
wasser . Die Verschuldung steigt . Der Investitionsbedarf
ist sehr hoch . Es muss in die Infrastruktur investiert wer-
den . Die LuFV-Mittel, die Mittel nach der Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung, reichen nicht und hängen ja
auch von der Dividende ab, die der Konzern momentan
gar nicht erwirtschaften kann . Auch in den Fuhrpark
muss investiert werden . Die DB überlegt, sich von zwei
Konzerntöchtern, DB Arriva und DB Schenker Logistics,
zumindest in Teilen zu trennen . Es gibt aber einen Betei-
ligungsvertrag aus dem Jahr 2008, der vorsieht, dass der
Bund einen Großteil der entsprechenden Erlöse bekäme,
wenn sich die DB AG dazu entscheiden sollte . Neben der
Antwort auf die Frage, wie Sie den Zustand der DB all-
gemein bewerten, möchte ich von Ihnen wissen, ob die
Bundesregierung plant, den Beteiligungsvertrag mit der
DB AG durch einen neuen Beteiligungsvertrag abzulö-
sen, damit der Erlös tatsächlich der DB und damit der
Schiene zugutekäme .
Herr Minister .Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Erstens, Herr Gastel, sei darauf hingewiesen, dass wirmit der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mitder Deutschen Bahn eine Rekordsumme an Investitionenzur Verfügung gestellt haben, die es in früheren Zeiten sonie gegeben hat; jetzt ist es deutlich mehr .
Die Gesamtsumme von 28 Milliarden Euro ist nichtper se, so wie Sie es formulieren, zu wenig oder nichtausreichend, um die Deckung des Bedarfs an Investiti-onen in das bestehende Schienennetz zu garantieren .Nach unserer Ansicht sind die enormen Investitionen indas bestehende Schienennetz durch die Leistungs- undFinanzierungsvereinbarung gesichert .Nichtsdestotrotz – das ist eine andere Situation, derBereich der Schiene ist das eine; ich glaube, Sie wissensehr genau, wie der integrierte Konzern funktioniert –geht es bei der DB darum, dass wir den Bereich desPersonenverkehrs und des Güterverkehrs zukunftsfähigausrichten . Dazu können zusätzliche Investitionen erfor-derlich sein . Der Konzern überlegt, eigene Mittel durchUmstrukturierung zur Verfügung zu stellen . Das halte ichOliver Krischer
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für richtig und positiv, und ich begleite dies auch positiv .Ob dafür rechtliche Änderungen nötig sind, wird mansehen .
Schönen Dank . – Frau Dr . Wilms, Bündnis 90/Die
Grünen . Bitte .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . – Ich möchte eine
Frage zu einem Thema stellen, Herr Bundesminister
Dobrindt, das heute garantiert nicht Thema Ihrer Kabi-
nettssitzung war . Es geht um das Arbeitsprogramm der
Kommission 2016 . Darin sind durchaus interessante
Äußerungen zu Mautsystemen enthalten. Zu diesem Ar-
beitsprogramm hat die Bundesregierung am 8 . Dezember
2015 Stellung genommen . In der Stellungnahme heißt
es, dass die Bundesregierung die Kommission bei der
Einführung diskriminierungsfreier Straßenbenutzungs-
gebühren unterstützt . Ich frage Sie, Herr Bundesminis-
ter Dobrindt: Wie bewerten Sie als Bundesminister für
Verkehr und digitale Infrastruktur die Stellungnahme der
Bundesregierung zum Arbeitsprogramm?
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Wir haben gegenüber der Kommission klar Stellung
bezogen und gesagt, dass es in unserem Interesse ist, ein
barrierefreies Lkw-Mautsystem zu haben, das heißt, ein
System, das es ermöglicht, mit der gleichen technischen
Einrichtung in ganz Europa Mautgebühren zu entrichten .
Des Weiteren – ich weiß ja, auf was Sie anspielen – habe
ich der Kommission mitgeteilt: Falls vonseiten der Kom-
mission Vorschläge kommen sollten – bisher sind sie eher
als Andeutungen zu verstehen –, ein Pkw-Mautsystem in
Europa einzuführen, das die deutschen Autofahrer zu-
sätzlich belastet, weil es so gedacht ist, dass jeder Kilo-
meter Autobahn extra bezahlt werden soll von denen, die
bereits durch Kfz-Steuer und Mineralölsteuer die Straßen
hier finanzieren, dann kann die Kommission das knicken.
Das findet keine Zustimmung der Bundesregierung.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Mihalic
von Bündnis 90/Die Grünen . Bitte .
Vielen Dank . – Ich möchte zu einem ganz anderen
Thema fragen, und zwar zu den Ereignissen in der Sil-
vesternacht in Köln . Die Bundesregierung hat eine ziem-
lich schnelle Bewertung insbesondere der polizeilichen
Situation in Köln vorgenommen . Ich fand es schon er-
staunlich, dass der Bundesinnenminister schon sehr bald
jegliche Verantwortung seines Zuständigkeitsbereichs
brüsk von sich gewiesen hat und die Verantwortung für
die Eskalation der Lage einzig und allein bei der Kölner
Polizei gesucht hat, und das, obwohl bereits ein Einsatz-
erfahrungsbericht der Bundespolizei vorgelegen hat, in
welchem die personelle Überforderung der Bundespo-
lizei sehr eindrucksvoll geschildert wurde . Deswegen
möchte ich fragen, ob es zutrifft, dass der Bundesinnen-
minister bzw . die Hausleitung des BMI diesen Einsatz-
erfahrungsbericht der Bundespolizei bereits kannte, als
der Bundesinnenminister die Arbeit der Kölner Polizei
so scharf kritisiert hat mit den Worten – Zitat –: „So kann
Polizei nicht arbeiten .“
Wer antwortet für die Bundesregierung? – Staats-
sekretär Krings, bitte .
D
Frau Kollegin Mihalic, vielen Dank für diese Frage .
Ich glaube, es macht Sinn, wenn ich sie für das Ressort
beantworte . Sie haben ja bereits versucht, diese Frage als
dringliche Frage zu stellen . Das Präsidium hat sie aber
zurückgewiesen . Ich bin trotzdem gerne bereit, hierzu
etwas zu sagen . Ich möchte mich aber beim Präsidium
dafür entschuldigen, dass ich dadurch indirekt die Ent-
scheidung des Präsidiums konterkariere . – Ihnen zuliebe
mache ich das aber gerne .
Ich kann das aufklären: Es gab, nachdem die ersten
Berichte in der Öffentlichkeit waren, von der zuständi-
gen Fachabteilung, dem zuständigen Fachreferat unseres
Hauses die Bitte an das Präsidium der Bundespolizei, zu
berichten . Diese Berichtsbitte ist am 4 . Januar formuliert
worden, am 5 . Januar noch einmal wiederholt worden,
und am 5 . Januar, nachmittags, gab es einen Bericht des
Präsidiums der Bundespolizei . Das ist vor dem von Ihnen
angesprochenen Interview . Allerdings lag dem Fachrefe-
rat dieser von Ihnen auch angesprochene Erfahrungsbe-
richt eines einzelnen Bundespolizisten, eines Einsatzfüh-
rers eines Teils der Bundespolizei, die dort unterwegs
war, nicht vor . Insofern hatte der Minister in der Tat den
Bericht des Präsidiums der Bundespolizei . Daraus ergab
sich unter anderem, wenn ich das richtig erinnere – ich
habe ihn jetzt nicht vorliegen –, dass man mehr Kräfte als
im Vorjahr eingesetzt hat, also durchaus noch einmal ei-
nen Aufwuchs bei den Kräften hatte . Dieser konkrete Be-
richt, dieser Erfahrungsbericht eines Oberkommissars,
lag dem Fachreferat und folglich auch dem Minister zu
dem Zeitpunkt dieses Interviews im Fernsehen nicht vor .
Noch einmal zur Aufklärung: Es darf alles gefragt
werden, ob es als dringliche Frage anerkannt wurde oder
nicht . Jeder darf alles fragen, und die Regierung gibt
dann immer eine gute Antwort, wie wir das ja eben ge-
hört haben .
Als Nächster ist Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen,
mit einer Frage dran .
Herr Krings, es wäre natürlich schön, wenn das Ple-num auch eine Antwort auf die Frage erhalten würde,wann die Hausleitung davon Kenntnis erlangt hat .Aber ich habe eine Frage an BundesverkehrsministerDobrindt zu seinen Ausführungen bezüglich der Grenz-Bundesminister Alexander Dobrindt
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schließungen . Wenn die Grenzen geschlossen werdenund alles kontrolliert wird, dann werden selbstverständ-lich die Waren, Güter und Dienstleistungen genauso wiedie Personen kontrolliert, weil man einem Lastwagennicht von vornherein ansieht, ob Personen darin sind . Aufjeden Fall sitzen im Führerhäuschen Personen als Fahrer .Insofern können Sie das gar nicht trennen . Deshalb frageich Sie als Verkehrsminister, der auch für das Transport-gewerbe zuständig ist, welche zusätzlichen Kosten aufdas Transportgewerbe zukämen, wenn wir in Deutsch-land wieder Grenzkontrollen an unseren Außengrenzeneinführen würden . Das muss man ja beziffern können;denn die Wartezeiten an der Grenze sind ja Arbeitszeiten,die die Transportunternehmen entsprechend bezahlenmüssten, ohne dass sie in dieser Zeit eine Transportleis-tung erbringen können . Ich bitte Sie, uns als zuständi-ger Ressortminister die Äußerung des AbgeordnetenDobrindt im Interview hinsichtlich der Auswirkungenauf die deutsche Wirtschaft genauer zu erläutern .
Herr Minister .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Ich habe meinen Ausführungen zu dem Interview des
Abgeordneten Dobrindt nichts weiter hinzuzufügen .
Ich kann nur noch einmal ergänzen, dass es in diesem
Interview ganz offensichtlich nicht um die Frage des Wa-
renverkehrs geht .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns da-
rauf achten, dass wir uns an die Regeln des Hauses hal-
ten .
Als Nächste ist Frau Haßelmann, Bündnis 90/Die Grü-
nen, mit einer Frage dran .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Ich stelle die Frage
deshalb an das Kanzleramt .
– Vielen Dank . – Herr Präsident, ich hatte gesagt: Das
Schlimme ist, dass Minister Dobrindt noch nicht einmal
merkt, wie peinlich das ist .
Vielleicht gehen Sie an ein anderes Mikrofon . An-
scheinend gibt es einen Wackelkontakt im Mikrofon;
denn das kommt akustisch hier nicht an .
Vielen Dank für den Hinweis; denn ich habe es nicht
bemerkt . – Vielen Dank, Herr Präsident . – Ich frage mich,
wie lange es noch dauert, bis Herr Dobrindt merkt, wie
peinlich solche Einlassungen gegenüber dem Parlament
sind .
Ich stelle meine Frage jetzt an das Kanzleramt, weil
ich nicht die Erwartung habe, dass der Kollege Dobrindt
noch antwortet . Von daher, Herr Braun, würde ich von
Ihnen gerne wissen, wie Sie innerhalb der Bundesregie-
rung damit umgehen . Bundesminister Dobrindt – so lässt
er sich im Interview dauernd anreden; das kann man im
Münchner Merkur und auch in der FAS nachlesen – gibt
ein Interview, in dem er die Flüchtlingspolitik massiv
infrage und zur Disposition stellt . Gleichzeitig macht er
Ankündigungen hinsichtlich Grenzschließungen . Meine
Kollegen Krischer und Beck haben versucht, danach zu
fragen, was das aus Sicht des Verkehrsministeriums für
das Transportgewerbe bedeuten würde. Ich finde, dass
das Parlament die Erwartung äußern kann, dass es darauf
eine seriöse Antwort gibt,
die nicht gespickt ist mit Eitelkeiten von Einzelpersonen .
Deshalb frage ich Sie zum einen nach der Richtlinien-
kompetenz und zum anderen danach, wann ich mit einer
Antwort zum konkreten Thema „Auswirkungen auf das
Transportgewerbe“ rechnen kann . Das Transportgewerbe
kann das genau beziffern; sie haben sich öffentlich schon
dazu eingelassen .
D
Liebe Frau Haßelmann, die Tatsache, dass sich Bun-desminister in ihren Eigenschaften und Rollen, die sie ineiner Partei oder auch als Abgeordnete wahrnehmen, öf-fentlich äußern, ist kein neuer Vorgang, sondern das gabes schon immer . Das ist völlig normal .Darüber hinaus arbeitet die Bundesregierung geradebeim Thema Flüchtlinge vertrauensvoll zusammen . AlleVolker Beck
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Beschlüsse dazu, die wir Ihnen als Bundestag vorgelegthaben, haben wir einmütig getroffen .
Unsere vertrauensvolle Zusammenarbeit wird dadurchimmer wieder deutlich . Die Bundesregierung wird hiervon der Opposition häufig als nicht handlungsfähig dar-gestellt .
Ich glaube, die Tatsache, dass wir das erste Asylpaketsehr schnell beschlossen haben, die Tatsache, dass wir,was die Auswirkungen der Geschehnisse in Köln angeht,heute im Kabinett Beschlüsse gefasst haben,
und die Tatsache, dass sich abzeichnet, dass noch indieser Woche das Datenaustauschgesetz in Kraft tretenkann, zeigen, dass wir an der Stelle in der Bundesregie-rung sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten .
Nächster ist der Kollege Gehrcke, Fraktion Die Linke .
Ich wollte gerne einen Sprung in einen anderen Be-
reich machen. Aber auch ich finde, es wäre angemessen,
dass die Bundesregierung Fragen, die gestellt werden,
auch beantwortet . Ich hoffe, dass meine Fragen beant-
wortet werden .
Ich möchte wissen, ob die Bundesregierung auf ihrer
Sitzung über die Bürgerkriegssituation in der Türkei ge-
sprochen hat . Es ist ja bekannt, dass in der Türkei in den
kurdischen Gebieten ein wirklicher Krieg herrscht, Men-
schen getötet werden, Straßen abgeriegelt werden und
Ausgangssperren bestehen . Das alles hat natürlich auch
Einfluss auf die Debatten über Syrien. Ich möchte gerne
wissen, ob die Bundesregierung ihrem Bündnispartner
klipp und klar gesagt hat, dass ein solches Vorgehen eine
Kooperation unmöglich macht und dass das beendet wer-
den muss .
Das wäre eigentlich eine Frage für die vorherige Run-
de gewesen, aber wir lassen sie einmal zu . Wer möchte
darauf antworten? – Frau Staatsministerin .
D
Herr Kollege, der Punkt, den Sie ansprechen, ist auch
Gegenstand von Fragen, die nachher gestellt werden .
Aber ich nehme gerne dazu Stellung . – Sie wissen, dass
die deutsch-türkischen Konsultationen stattgefunden ha-
ben . Die Bundesregierung hat die Lage in den kurdischen
Gebieten immer wieder angesprochen . Wir wissen: Die
türkische Regierung ist gehalten, die Bevölkerung vor
terroristischen Anschlägen zu schützen . Auf der anderen
Seite dringen wir immer wieder darauf, dass der Frie-
densprozess, der unterbrochen worden ist, wieder aufge-
nommen wird; denn es geht darum, dass in diesem Land
alle miteinander auskommen .
Danke schön . – Letzte Frage: Herr Krischer, Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Herr Dobrindt, ich muss noch einmal auf Ihr Zitat zu-
rückkommen . Von einem Bundesverkehrsminister, der
sagt: „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir um
Grenzschließungen nicht herumkommen“, erwarte ich,
dass er dann auch konkret sagt, wie das geschehen soll .
Ich bitte Sie, mir zu erläutern, wie Sie in einem Land wie
Deutschland mit Blick auf den Warenverkehr – die Gren-
ze wird ja üblicherweise mit Fahrzeugen überschritten –
Grenzen schließen wollen . Woran wollen Sie bei Lkws
erkennen, ob da Güter oder Menschen drin sind? Woran
wollen Sie das bei Pkws erkennen? Ich bitte um eine kon-
krete Erläuterung, wie Sie sich das vorstellen, nachdem
Sie öffentlich eine solche Äußerung getan haben, die eine
zentrale Säule unserer Wirtschaft infrage stellt .
Ich kann Ihre Äußerung, der Güterverkehr sei davon
nicht betroffen, ja auch so interpretieren, dass der Per-
sonenverkehr sehr wohl davon betroffen ist . Dann bitte
ich Sie, mir zu erläutern, wie beispielsweise im Drei-
ländereck Deutschland-Belgien-Niederlande bzw . in der
Region Aachen mit Zehntausenden Menschen, die jeden
Tag über die Grenze pendeln, nach Ihren Vorstellungen
in Zukunft Grenzschließungen – auf die Sie sich ja vor-
bereiten, wie Sie selber sagen – funktionieren sollen .
Wenn Sie das hier nicht erläutern können, dann haben
Sie – wenn nicht sowieso schon – Ihre Aufgabe als Bun-
desverkehrsminister vollkommen verfehlt .
Herr Minister, bitte .Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Herr Krischer, ich bedaure ja fast, dass ich Ihre Erwar-tungen nicht erfüllen kann .
Staatsminister Dr. Helge Braun
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Aber es wird dabei bleiben, dass ich Sie darauf hinweise,dass in dem Interview, das Sie immer wieder erwähnen,zur Frage des Warenverkehrs keine Auskünfte gegebenwurden und es sich darauf auch nicht bezogen hat . Ichempfehle deswegen eindringlich, es noch einmal zu stu-dieren . Vielleicht verstehen Sie dann auch den Sinn derZeilen, die da stehen .
Ich beende die Befragung der Bundesregierung . Es
gibt parlamentarisch sicherlich noch Gelegenheit, diesen
Fragen in anderem Zusammenhang weiter nachzugehen;
aber für heute ist die Befragung der Bundesregierung da-
mit beendet .
– Erstens . Bitte keine Kritik am Präsidenten!
Zweitens weise ich darauf hin, dass ich all die Fragen
über die Zeit hinaus, die wir vereinbart haben, noch zu-
gelassen habe . Das haben Sie vielleicht nicht so mitbe-
kommen; aber diejenigen, die das verfolgt haben, werden
es wissen . Das ist, glaube ich, schon ein fairer Umgang
untereinander . Jedenfalls beende ich jetzt die Befragung
der Bundesregierung .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/7330
Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sich da-
rauf verständigt, dass die Aktuelle Stunde pünktlich um
15 .45 Uhr aufgerufen wird . Die Fragestunde wird sich
dann entsprechend verkürzen .
Ich rufe die mündlichen Fragen auf Drucksa-
che 18/7330 in der üblichen Reihenfolge auf .
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswär-
tigen Amtes . Zur Beantwortung steht Frau Staatsministe-
rin Professor Dr . Maria Böhmer bereit .
Wir beginnen mit Frage 1 des Abgeordneten Andrej
Hunko, Fraktion Die Linke . Er ist nicht da . Es wird ver-
fahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen .
Wir kommen direkt zur Frage 2 des Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke:
Ist die Bundesregierung bereit, entsprechend der in einem
Appell von 120 humanitären Organisationen vorwiegend aus
dem UNO-Umfeld für ein Ende der syrischen Tragödie und
an all jene richtet, die die syrische Tragödie beenden könnten,
sowohl mit den maßgeblichen Verantwortlichen der Oppo-
sition als auch mit der Regierung des syrischen Präsidenten
Baschar al-Assad über Waffenstillstände und die Gewährung
bzw . Leistung humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung in
den belagerten Städten Syriens zu verhandeln?
D
Herr Präsident! Herr Kollege, ich beantworte die
Frage wie folgt: Die Bundesregierung ist an der inter-
nationalen Unterstützergruppe für Syrien aktiv beteiligt .
Deutschland nimmt in diesem Rahmen zusammen mit
16 anderen Staaten sowie der EU, der Arabischen Liga
und den Vereinten Nationen direkt an den Verhandlungen
über eine politische Lösung des Syrien-Konflikts teil.
Am 18 . Dezember 2015 konnte auf Basis dieser Ver-
handlungen die Resolution 2254 des VN-Sicherheitsra-
tes verabschiedet werden . Darin werden insbesondere
die Verbesserung des Zugangs für humanitäre Hilfsorga-
nisationen und die Versorgung der Zivilbevölkerung in
belagerten Gebieten gefordert . Sowohl diese Forderung
als auch der Aufruf zur Verhandlung von Waffenstillstän-
den richten sich primär an die direkt am Kampfgesche-
hen beteiligten Kriegsparteien, vor allem auch an das
Assad-Regime selbst .
Kollege Gehrcke, eine Zusatzfrage?
Schönen Dank, Herr Präsident . – Ich hoffe sehr, Frau
Staatsministerin, dass die Verhandlungen, die ja, was
auch Sie wissen dürften, ins Stocken geraten sind, so fort-
gesetzt werden, dass die Konfliktparteien an einem Tisch
sitzen und sich die syrischen Kräfte auf eine gemeinsa-
me Verhandlungsgrundlage einigen können . Meinen Sie
nicht auch, es wäre zum Vorteil für diese Verhandlungen,
wenn die EU und auch Deutschland die Sanktionen ge-
gen den Staat Syrien aufheben würden, sodass die Bevöl-
kerung besser versorgt werden könnte? Sie hungert und
leidet in diesem Land unendlich .
Frau Ministerin .
D
Herr Kollege Gehrcke, ich möchte an dieser Stel-le klarstellen, dass Deutschland Syrien und die Nach-barländer in großem Umfang unterstützt; seit 2012 mit1,34 Milliarden Euro, davon 659 Millionen Euro an hu-manitärer Hilfe .Wir haben uns auch immer wieder mit aller Kraft da-für eingesetzt, dass überall in Syrien Zugang zu der hu-manitären Hilfe besteht . Sie wissen ganz genau, wo dieSchwierigkeiten liegen . Das, was wir tun und was die EUBundesminister Alexander Dobrindthttps://medium.com/@UNICEF/an-appeal-to-end-the-suffering-in-syria-44d803e494b#.yd5eju59fhttps://medium.com/@UNICEF/an-appeal-to-end-the-suffering-in-syria-44d803e494b#.yd5eju59fhttps://medium.com/@UNICEF/an-appeal-to-end-the-suffering-in-syria-44d803e494b#.yd5eju59f
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(D)
tut, ist keine Frage dessen, was Sie aufgeworfen haben,sondern wir leisten nach besten Kräften aktive Unterstüt-zung, um den Menschen zu helfen .
Mögen Sie eine Zusatzfrage stellen? – Bitte, Herr Ab-
geordneter .
Ich würde Ihnen gern glauben, nur sprechen die Tat-
sachen teilweise gegen Sie . Ich weiß, dass Deutschland
in vielen Fragen eine vernünftige Rolle gespielt hat . Ich
bin ein absoluter Unterstützer der Ergebnisse der Wiener
Verhandlungen; sie müssen erhalten bleiben . Humanitäre
Hilfe muss aber unabhängig von der politischen Einstel-
lung geleistet werden, und es ist nicht damit getan, nur in
Gebieten Hilfe zu leisten, die von den sogenannten Auf-
ständischen besetzt sind . Ich möchte humanitäre Hilfe in
allen Bereichen der syrischen Gesellschaft, auch in den
kurdischen Bereichen .
D
Herr Kollege, ich glaube, ich habe das eben sehr deut-
lich gemacht: Es gibt von unserer Seite keinen Zweifel
daran, dass wir uns dafür einsetzen, dass der Zugang zu
humanitärer Hilfe überall möglich ist . Es war für uns er-
schreckend – ich nehme an, für Sie und jeden in diesem
Hohen Hause genauso –, als uns die Nachrichten über
die Belagerung von Madaja erreichten . Aber man muss
auch sehen, dass in der Nachbarschaft – in Fua und Kaf-
raja – humanitäre Hilfe blockiert wurde . Durch intensive
Verhandlungen wurde das dann durchbrochen, aber Sie
wissen genauso gut wie ich, dass diese Öffnungen nicht
von Dauer sind . Das ist erschreckend; denn die Bevölke-
rung leidet darunter . Deshalb sage ich: Das, was wir tun
können, tun wir mit aller Kraft und Intensität .
Die nächste Frage stellt Kollegin Hänsel von der Frak-
tion Die Linke . Dann folgt Herr Ströbele .
Danke schön, Herr Präsident . – Frau Staatsministerin,
ich möchte bei der Aussage nachhaken, dass Sie alles
in Ihrem Ermessen Stehende täten . UNICEF-Direktorin
Hanna Singer war Ende letzten Jahres im Ausschuss für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und
hat sich auch noch einmal ausdrücklich für ein Ende
der Sanktionen ausgesprochen, da diese massiv zur Ver-
schlechterung der Gesamtlage, der Versorgungslage der
Bevölkerung beitragen . Sie können solche Stimmen der
Vereinten Nationen doch nicht einfach ignorieren und sa-
gen: Wir machen so weiter .
Wenn wir eine Friedenslösung für Syrien wollen,
müssen wir alles Mögliche tun, um auch in der Bevöl-
kerung das Gefühl zu erzeugen, dass es eine Hoffnung,
eine Zukunft gibt . Sie sprechen doch immer davon, die
Fluchtursachen bekämpfen zu wollen . Perspektivlosig-
keit in diesem Land, die durch die Sanktionen verstärkt
wird, ist da völlig kontraproduktiv . Sie müssen die Rich-
tung Ihrer Politik ändern, wenn Sie merken, dass Sie da-
mit in eine ganz falsche Richtung laufen .
D
Frau Kollegin, ich glaube, wenn es darum geht, Kon-
flikte zu beseitigen, dann ist der Weg, der über die Wiener
Verhandlungen beschritten worden ist, die jetzt in inner-
syrische Verhandlungen münden, der einzig tragfähige .
Ihn begleiten und unterstützen wir mit aller Intensität .
Wir wissen, es wird keine schnellen Lösungen geben .
Deshalb wird es auch in Zukunft notwendig sein, huma-
nitäre Hilfe zu leisten und den Aufbau von Strukturen in
diesen Regionen voranzutreiben . Dafür wird Deutsch-
land immer bereitstehen .
Der Abgeordnete Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Staatsministerin, gilt die Antwort, die Sie gera-
de gegeben haben, auch für die Gebiete im Norden von
Syrien, an der Grenze zur Türkei, die unter der Kontrolle
der Kurden stehen, und ist der Bundesregierung bekannt,
dass unser NATO- und inzwischen auch wieder sonstiger
Partner, die Türkei, die Einfuhr humanitärer Güter und
vor allen Dingen auch von Aufbauhilfsgütern, die über
die türkisch-syrische Grenze ins Land gebracht werden
sollen – die Menschen dort leiden immer noch –, an der
Grenze unterbindet, selbst wenn diese Hilfe aus Europa
kommt? Was unternimmt die Bundesregierung, um die-
sem Missstand abzuhelfen?
D
Herr Ströbele, ich glaube, die schwierige Situation in
Syrien, die Tatsache, dass in den jeweiligen Gebieten die
stärkste Kraft das Sagen hat, und die dortigen Abschot-
tungen treiben uns alle um . Das ist auch die Motivation
für uns, zu sagen: Wir wollen, dass die Menschen überall
Zugang zur humanitären Hilfe haben .
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke auf:
Welche Ziele strebt die Bundesregierung bei den in der
Woche vom 25 . bis 29 . Januar 2016 beginnenden weiteren
Verhandlungen zur Beendigung des syrischen Konfliktes an,
und mit welcher Konzeption agiert die Bundesregierung bei
diesen Verhandlungen?
Frau Staatsministerin .
D
Herr Kollege Gehrcke, am 25 . Januar 2016 kündigteder VN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura,bei einer Pressekonferenz in Genf an, dass die VN-ge-führten innersyrischen Gespräche am 29 . Januar 2016 be-Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
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(D)
ginnen sollen . – Ich sehe an Ihrem Kopfnicken, dass Siedas genauso wissen . – Diese sollen sechs Monate dauernund zunächst in Form von Proximity-Talks stattfinden.Die Bundesregierung wird an diesen innersyrischen Ge-sprächen nicht direkt beteiligt sein . Sie unterstützt jedochdie Delegation des Hohen Verhandlungskomitees der sy-rischen Opposition logistisch .
Ich vermute, Sie haben eine Zusatzfrage . – Bitte
schön, Herr Kollege .
Herr Präsident, Ihre Vermutung trifft messerscharf zu .
Herzlichen Dank . – Ich möchte gerne wissen: Wie agiert
die Bundesregierung bei dem Versuch, möglichst viele
relevante Verhandlungspartner an einen Tisch zu bekom-
men?
Es ist bekannt, dass sich die Türkei und Saudi-Arabien
bislang weigern, die kurdischen Vertretungen aus Roja-
va, Kobane, zuzulassen, und dass sie angekündigt haben,
dass sie, wenn diese ebenfalls am Verhandlungstisch sit-
zen, nicht an den Verhandlungen teilnehmen werden, was
ich für einen schweren Fehler halte . Umgekehrt besteht
die russische Vertretung darauf, dass auch die kurdische
Vertretung aus Syrien teilnehmen kann, weil sie der Mei-
nung ist, dass ohne sie ein Friedensschluss nicht vollstän-
dig ist .
Welche Position bezieht die Bundesregierung in die-
ser Frage?
D
Ich nehme an, dass auch Sie die Äußerung von Bun-
desaußenminister Steinmeier in der Frankfurter Allge-
meinen Sonntagszeitung gelesen haben oder zumindest
kennen . Sie ist ja auch weiter durch die Presse gegangen .
Ihr ist unter anderem zu entnehmen – das darf ich hier
noch einmal sagen –, dass es der syrischen Opposition
selbst überlassen bleiben sollte, durch wen sie in den
Verhandlungen mit dem Assad-Regime vertreten sein
möchte .
Wir haben immer gesagt, dass auch andere Parteien
und Gruppen – in diesem Fall die kurdische Partei PYD –
in geeigneter Form ebenfalls an den Gesprächen beteiligt
werden sollten, und ich füge hinzu: Auch zivilgesell-
schaftliche Organisationen und Frauenrechtsvereinigun-
gen sollte man mit hinzuziehen . Ich glaube aber, in dieser
schwierigen Situation sollte die Entscheidung darüber
von demjenigen getroffen werden, der sie treffen muss,
nämlich vom Beauftragten der Vereinten Nationen .
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? – Bitte .
Danke sehr. – Ich lese ja nicht nur die Äußerungen des
Außenministers, sondern auch die des UNO-Sonderbe-
auftragten de Mistura, der ausdrücklich Wert darauf legt,
dass alle Konfliktparteien von Relevanz an dem Verhand-
lungstisch versammelt sind . Es geht hier ja nicht um eine
Versammlung meiner Freunde oder Ähnliches.
Ich möchte gerne mehr darüber wissen, ob Deutsch-
land bezüglich der Konfliktparteien auf die Verhandler
einwirkt . Ansonsten macht es ja gar keinen Sinn, dass
hier immer gesagt wird, wir hätten das Ganze mit beför-
dert .
Zu diesen Konfliktparteien, die verhandeln müssen,
gehört auch die nicht gewaltsame Opposition in Syrien .
Das haben Sie auch angesprochen, und das kann ich sehr
begrüßen . Die Kurdinnen und Kurden gehören aber auch
dazu . Man kann doch nicht zuschauen, wie in der Türkei
die Kurdinnen und Kurden abgeschlachtet werden, und
gleichzeitig freundlich an einem Tisch miteinander re-
den . Man muss also darauf einwirken . Ich möchte gerne
wissen, ob die Bundesregierung diese Einwirkung leistet
und wie sie das macht .
D
Herr Kollege Gehrcke, es ist schade, dass Sie genau
diese Passage in meiner Antwort überhört haben . Aber
sie steht Ihnen über das Protokoll zur Verfügung .
Die nächste Frage stellt Frau Abgeordnete Hänsel,
ebenfalls Fraktion Die Linke .
Danke schön, Herr Präsident . – Wir haben vom Au-
ßenminister gehört, dass die Deutsche Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit ein Delegationsbüro für
die Opposition aufbauen soll . Da interessiert mich: Wo
soll dieses Büro eingerichtet werden? Sind auch Vertrete-
rinnen und Vertreter der PYD dabei? Haben sie die Mög-
lichkeit, diese Anlaufstelle, die über die Deutsche Gesell-
schaft für Internationale Zusammenarbeit mit deutschen
Steuergeldern finanziert wird, zu nutzen?
D
Diese Anlaufstelle soll der Delegation der syrischen
Opposition zur Verfügung stehen . Es ist dann die Ent-
scheidung dieser Gruppierung, wer als Mitglied dieser
Delegation anzusehen ist .
Ich glaube, die Entscheidung, die wir getroffen haben,
war wichtig . Die Unterstützung geschieht nicht nur durch
Deutschland, auch andere Staaten beteiligen sich finanzi-
ell . Es geht darum, dass die Verhandlungen auf Augen-
höhe möglich sein sollen . Ich schätze, wir sind uns einig,
dass das ein wichtiger Schritt ist .
– Genf .
Wir kommen zur Frage 4 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen:Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
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(C)
(D)
Welche Angaben macht die Bundesregierung zur Unab-hängigkeit der Parlamentsabgeordneten und Regierungsmit-glieder beider Seiten in Libyen von ausländischen Einflüssen,die das vom UN-Sonderbeauftragten Martin Kobler ausgehan-delte Waffenstillstands- und Friedensabkommen unterzeichnethaben und mittragen, und welche Erkenntnisse hat die Bun-desregierung über Vorwürfe gegen diese Personen und zur Ak-zeptanz der Vereinbarung zur Bildung einer Einheitsregierungin der Bevölkerung Libyens?Frau Staatsministerin .D
Herr Kollege Ströbele, das politische Abkommen
wurde 2015 unter Vermittlung des Sondergesandten des
Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Léon, im liby-
schen Dialog genannten Format erarbeitet und unter dem
neuen VN-Gesandten Martin Kobler finalisiert. Es wurde
am 17 . Dezember 2015 von Mitgliedern des libyschen
Dialogs in Skhirat/Marokko unterzeichnet .
Für die Verhandlungsführung und, damit verbunden,
die Einladung der Teilnehmer stützt sich der VN-Ge-
sandte auf ein Mandat des VN-Sicherheitsrates . Mitglie-
der der verschiedenen Delegationen haben während der
von den VN geleiteten Verhandlungen regelmäßig Kon-
takt zu den Vertretern vieler Staaten unterhalten . In dem
von Konflikten geprägten Umfeld in Libyen gibt es eine
Vielzahl von gegenseitigen Vorwürfen .
Nach Einschätzung der VN, die von der Bundesre-
gierung geteilt wird, wünscht die libysche Bevölkerung
ein Ende der Gewalt und die Wiederherstellung eines
sicheren und stabilen Lebensumfeldes . Vor diesem Hin-
tergrund sind die Reaktionen der Bevölkerung zum liby-
schen Abkommen nach Kenntnis der Bundesregierung
ganz überwiegend positiv .
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter
Ströbele?
Ja, danke . – Frau Staatsministerin, ich habe nicht nach
der Geschichte dieses Abkommens gefragt . Diese kann
ich nachlesen, darüber bin ich auch informiert . Ich möch-
te von Ihnen konkret wissen, warum die Annahme im
Augenblick gescheitert ist . Sie erzählen hier nur schöne
Dinge . Warum ist die Annahme dieses Abkommens im
Parlament, und zwar in dem vom Westen unterstützten
Parlament, gescheitert?
Kann es sein, dass es gegen die Verhandler, also die
Abgeordneten und die Regierungsmitglieder von beiden
Seiten – dem vom Westen anerkannten und dem vom
Westen nicht anerkannten Parlament –, Vorwürfe gibt,
zum Beispiel den, dass sie aus dem Ausland finanziel-
le Zuwendungen erhalten und Ähnliches, welche sie so
diskreditieren, dass man dieses Abkommen nicht akzep-
tiert?
D
Herr Kollege Ströbele, ich kann gut nachvollziehen,
was Sie umtreibt. Ähnliche Fragen stellt sich, glaube ich,
jeder . Sie wissen genauso wie ich und auch jeder ande-
re hier, wie schwierig das Zusammentreffen der Kon-
fliktparteien in Libyen ist.
Dass es eine Vielzahl von Vorwürfen gibt, habe ich
eben in meiner Antwort gesagt . Sie war nicht nur eine
Darstellung der Entwicklung und der einzelnen Schritte,
vielmehr habe ich ganz bewusst gesagt: Es gibt eine Viel-
zahl von gegenseitigen Vorwürfen .
Sie wissen aber auch – das macht die Sache noch
schwieriger –, dass es Personen gibt – wir sprechen hier
von sogenannten Hardlinern –, die dieses Aufeinander-
zugehen und die Umsetzung des Abkommens zu verhin-
dern trachten . Ich habe mich deshalb noch einmal danach
erkundigt, wie die Entscheidung im Parlament ausgefal-
len ist: In der ersten Sitzung haben von 104 Anwesenden
97 für das VN-vermittelte Abkommen gestimmt, aller-
dings mit einem Vorbehalt gegen Artikel 8 . 89 Abgeord-
nete haben die vom Präsidialrat vorgelegte Kabinettsliste
abgelehnt und die Vorlage einer neuen, kürzeren Liste
binnen zehn Tagen gefordert . Das ist der Stand . Es war
also keine völlige Ablehnung, aber es zeigt, wie schwie-
rig der Prozess ist, und wir wissen, dass von Tag zu Tag
und von Stunde zu Stunde immer wieder um ein Auf-
einanderzugehen einer nationalen Regierung der Einheit
gerungen wird .
Noch eine Zusatzfrage? – Bitte schön .
Frau Staatsministerin, ich stelle solche Fragen nichtaus dem Blauen heraus, sondern weil es Informationengibt . Kann es sein, dass Sie – die Bundesregierung undder Vermittler, vielleicht auch die UN – mindestens zumTeil die falschen Verhandlungspartner haben, dass essich dabei um diskreditierte Personen handelt? Deshalbist meine ganz konkrete Frage: In welchem Maße sindbeispielsweise Stammesführer, die in Libyen eine ganzbesondere Rolle spielen, in solche Verhandlungen einbe-zogen? Denn wenn die Vereinbarung akzeptiert werdensoll – und ich stimme Ihnen zu: die Bevölkerung willFrieden und ein Ende des Waffenganges –, dann mussman ein Angebot machen, das von vertrauenswürdigenLeuten, die nicht solchen Vorwürfen ausgesetzt sind, aus-gehandelt wird . Sonst ist das von Anfang an bemakeltund wird nicht angenommen .Deshalb ist meine klare Frage: Was ist zum Beispielmit den Stammesführern, und ist die BundesregierungVorwürfen nachgegangen, dass es Leute gibt, zum Bei-spiel einzelne Abgeordnete, die finanzielle Zuwendun-gen aus dem Ausland beziehen?Vizepräsident Peter Hintze
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D
Im Detail kann ich Ihnen das jetzt nicht beantworten .
Aber ich will darauf hinweisen – das wissen Sie auch,
Herr Ströbele –, dass es für den VN-Sondergesandten
Martin Kobler keine einfache Situation ist und dass er
sich, wie wir alle auch, Tag für Tag genau diese Frage
stellt . Er trifft sich mit einer Vielzahl von Vertretern bis
hin zu den sogenannten Hardlinern, um Bewegung in die
Sache zu bringen und um sie voranzubringen . Davon,
dass Vorwürfe in den Raum gestellt werden, die sich zum
Teil erhärten, muss man in dieser Situation ausgehen .
Aber ich habe ein deutliches Vertrauen in Herrn Kobler,
dass er sich mit seiner Erfahrung dieser Situation sehr
dezidiert stellt .
Zusatzfrage von Frau Abgeordnete Dağdelen, Frakti-
on Die Linke .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Staatsministe-
rin Böhmer, ich möchte gerne an die Fragen von Herrn
Ströbele zum Thema Libyen Folgendes anschließen: Wir
als Abgeordnete waren letztens etwas verwundert, dass
Verteidigungsministerin von der Leyen aufgrund der
vereinbarten engeren Kooperation zwischen den Terror-
milizen Boko Haram und „Islamischer Staat“ auf einmal
gesagt hat, um dieses Zusammentreffen der Terrormili-
zen zu verhindern, bräuchte man eventuell einen Bun-
deswehreinsatz in Libyen . Insofern würde ich gerne von
Ihnen wissen: Wann, wie und in welchem Umfang wurde
in der Regierung über einen möglichen Bundeswehrein-
satz in Libyen diskutiert und eventuell sogar eine Vor-
entscheidung getroffen, auch vor dem Hintergrund, dass
Herr Staatsminister Roth in der letzten Sitzungswoche
auf meine Frage zu dieser Kooperation zwischen Boko
Haram und „Islamischer Staat“ und den möglichen Fol-
gen noch erklärt hat, dass es aufgrund der großen geo-
grafischen Entfernung zwischen den Operationsgebieten
von Boko Haram und „Islamischer Staat“ beispielsweise
bei dem Mali-Einsatz nur um die Stabilisierung Malis
ginge und dass die Kooperation keine Auswirkungen ha-
ben wird?
D
Frau Dağdelen, es ist bekannt, dass der IS verstärkt
dort präsent ist . Das strahlt aus . Wir setzen jetzt auf den
politischen Prozess . Das möchte ich in aller Deutlichkeit
sagen . Nachher wird noch eine Frage an das Bundesver-
teidigungsministerium aufgerufen, die in eine ähnliche
Richtung geht . Dann wird sicherlich der Kollege noch
dazu Stellung nehmen .
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf eine Äu-
ßerung von Frau von der Leyen, die gesagt hat, Deutsch-
land müsse einen Beitrag dazu leisten, das Land zu
stabilisieren . Damit übereinstimmend hat sich auch der
Bundesaußenminister geäußert . Wir haben zugesagt,
dass Deutschland bereit ist, eine neue libysche Regierung
beim Wiederaufbau staatlicher Strukturen zu unterstüt-
zen .
Ich glaube, angesichts dessen, dass wir mit einem
totalen Zusammenbruch der Strukturen in Libyen kon-
frontiert sind, müssen wir, wenn einmal eine Regierung
stehen wird, Unterstützung geben . Ich vermute, dass Sie
dem auch zustimmen würden .
Frau Abgeordnete Hänsel, Fraktion Die Linke .
Danke schön . – Frau Staatsministerin, Sie haben jetzt
versucht, die Frage bei Ihrer Antwort zu umschiffen, in-
dem Sie hier von „Beitrag“ und anderem sprachen . Es
ging aber dezidiert um die Entsendung von Bundes-
wehrsoldaten. Das war auch die Äußerung von Frau von
der Leyen . Deshalb noch einmal die Nachfrage: Wurde
im Kabinett ein möglicher militärischer Einsatz in Li-
byen diskutiert im Zusammenhang mit der Bekämpfung
von Boko Haram und IS? – Es geht mir um diesen Zu-
sammenhang, nicht um die dritte Stufe von EUNAVFOR
MED . Wurde ansatzweise über die Entsendung von Bun-
deswehrsoldaten im Zusammenhang mit der Bekämp-
fung von Boko Haram und IS diskutiert? Ich rede nicht
von irgendwie gearteter Aufbauhilfe .
Frau Staatsministerin .
D
Frau Kollegin, ich bin im Kabinett nicht teilnehmend,
aber ich gehe einmal davon aus, dass das nicht der Fall
war .
Frage 5 der Abgeordneten Heike Hänsel, Fraktion Die
Linke:
Wie bewertet die Bundesregierung die für Lateinamerika
höchste Anzahl von 54 ermordeten Menschenrechtsverteidige-
rinnen und -verteidigern in Kolumbien im Jahr 2015 laut Be-
richt von Front Line Defenders, angesichts der Tatsache, dass
die meisten Morde im Zusammenhang mit der Verteidigung
der Landrechte der indigenen Völker und der Afrokolum-
bianer stehen, und welche Konsequenzen zieht die Bundes-
regierung daraus in der politischen Zusammenarbeit mit der
D
Die hohe Zahl ermordeter Menschenrechtsverteidige-rinnen und -verteidiger in Kolumbien ist besorgniserre-gend . Sie zeigt eines der Hauptprobleme des bewaffnetenBinnenkonflikts auf, die Defizite staatlicher Präsenz inder Fläche, insbesondere in den vom Konflikt am stärks-http://www.contagioradio.com/54-defensores-de-derechos-humanos-fueron-asesinados-en-colombia-durante-2015-articulo-19057/http://www.contagioradio.com/54-defensores-de-derechos-humanos-fueron-asesinados-en-colombia-durante-2015-articulo-19057/http://www.contagioradio.com/54-defensores-de-derechos-humanos-fueron-asesinados-en-colombia-durante-2015-articulo-19057/
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ten betroffenen ländlichen Gebieten . Indigene Völkerund Afrokolumbianer gehören zu den am stärksten be-troffenen Gruppen .Die kolumbianische Regierung hat ihre Bemühungenzum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und-verteidigern seit dem Amtsantritt von Präsident Santos2010 auf legislativer Ebene und durch institutionelle Ver-ankerung des Themas Menschenrechte in ihrer Adminis-tration erheblich intensiviert . Gleichwohl bestehen wei-terhin Defizite in der Umsetzung des effektiven Schutzesvon Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigernund anderen Menschenrechtsaktivisten .Die Bundesregierung berät Kolumbien intensiv beimAufbau bzw . der Stärkung staatlicher Strukturen vorallem im ländlichen Raum . Sie unterstützt Menschen-rechtsorganisationen und leistet Hilfe bei der Umsetzungdes Gesetzes über Landrückgabe und über Opferentschä-digung . Die Menschenrechtslage ist fester Bestandteildes politischen Dialogs mit der kolumbianischen Regie-rung sowohl auf bilateraler als auch auf internationalerEbene, insbesondere auf EU-Ebene . Die strukturierte Er-örterung von Menschenrechtsfragen in den bestehendenGremien und Formaten hat sich bewährt und soll künftigfortgesetzt werden .Herr Präsident, ich danke Ihnen, dass ich etwas mehrZeit hatte .
Alles gut . – Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hänsel? –
Bitte .
Danke schön, Herr Präsident . – Nun besteht zwischen
der Bundesregierung und der kolumbianischen Regie-
rung eine umfassende Entwicklungszusammenarbeit,
gerade im Bereich der Begleitung des Friedensprozesses .
Die Grundvoraussetzungen, dass ein Friedensprozess
gelingt, sind ja Sicherheitsgarantien für die Menschen
in den Regionen und natürlich auch in erster Linie für
Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger . Hier
wird die Situation ja nicht besser, sondern schlechter .
Zum Beispiel wurden vonseiten der Regierung die Mittel
und der Personalumfang für den Schutz von bedrohten
Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern ge-
kürzt . Das heißt, es wird weniger Schutz angeboten . Das
betrifft sowohl die Menschen in den ländlichen Regionen
als auch die Menschen in Bogota, zum Beispiel die Men-
schenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger von der
Organisation Justicia y Paz, Gerechtigkeit und Frieden .
Alle, die sich dort engagieren, erhalten systematische To-
desdrohungen und können teilweise ihre Arbeit nur unter
Einsatz ihres Lebens durchführen .
Ich frage Sie: Gibt es eine Reaktion vonseiten der
Bundesregierung auf die kolumbianische Entscheidung,
die Mittel für die angesprochene Schutzeinheit zu kür-
zen?
Frau Staatsministerin .
D
Ich möchte das sehr grundsätzlich beantworten, Frau
Hänsel, weil ich keinen Zweifel daran lassen will, dass
uns – genauso wie Sie – die in Kolumbien vorhandenen
Gefährdungen der Menschenrechtsverteidigerinnen und
-verteidiger umtreiben . Wir sind uns sicherlich einig,
dass vieles nicht schnell genug geschieht, was die Sicher-
heit gerade in den ländlichen Räumen betrifft . Aber als
ich mich auf die Beantwortung Ihrer Frage vorbereitet
habe, ist mir ins Blickfeld gerückt, dass sich Kolumbien
sehr problembewusst zeigt und – anders als andere la-
teinamerikanische Staaten – bewusst auf solche Defizite
eingeht . Wir stehen sicherlich vor einer sehr schwierigen
Situation . Aber wir werden von deutscher Seite alles tun,
was getan werden kann . Ich bin sehr froh, dass wir mit
Tom Koenigs einen sehr erfahrenen Beauftragten zur Un-
terstützung des Friedensprozesses in Kolumbien haben .
Noch eine Zusatzfrage? – Bitte .
Danke schön . – Das alles mag so richtig sein, Frau
Staatsministerin Böhmer . Trotzdem steht auch die Bun-
desregierung hier in der Verantwortung und muss da-
rauf achten, dass sich die Menschenrechtssituation in
Kolumbien real verbessert . Ich frage Sie: Wie stellen
Sie sich das vor? Wie soll der Friedensprozess real von-
stattengehen? Wird es zum Beispiel eine Verschränkung
mit einem Menschenrechtsmechanismus geben? Setzen
Sie sich für eine Beobachtermission ein, die ganz genau
darauf achtet, dass es eine enge Kooperation mit denje-
nigen, die sich für den Schutz von Menschenrechtsakti-
visten einsetzen, und damit Sicherheitsgarantien für die
Menschen gibt?
Zur Motivation bei der Landrückgabe – das wird die
Schlüsselfrage des Friedensprozesses in Kolumbien
sein – kann ich nur feststellen: Es gibt zwar viele Geset-
ze, aber nur wenige werden real umgesetzt . Von 6 Milli-
onen Hektar illegal angeeignetem Land sind bisher nur
wenige Tausend Hektar real zurückgegeben worden . Das
ist eine schreiende Ungerechtigkeit . Deshalb frage ich
noch einmal nach: Wie positionieren Sie sich gegenüber
der kolumbianischen Regierung, und was tun Sie, damit
die Gesetze real umgesetzt werden?
D
Frau Hänsel, wir sind auf vielen Ebenen tätig . WieSie wissen, setzen wir uns dafür ein, dass die Menschen-rechtsfrage in den dafür eingerichteten Dialogformatenangesprochen wird . Auch wir sehen eine sehr enge Ver-bindung zwischen dem Friedensprozess und den Men-schenrechten; das gehört einfach zusammen . In dieserEinschätzung liegen wir überhaupt nicht auseinander .Aber ich fand es beachtlich – das ist vielleicht der Un-terschied zu anderen Regionen in Lateinamerika, wo dieMenschenrechtsfrage ebenfalls eine große Rolle spielt –,dass es zu einer Verabschiedung der Resolution 2261 desSicherheitsrats der Vereinten Nationen gekommen ist,Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
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die – damit sind Sie sicherlich bestens vertraut – der Ein-richtung einer Monitoringmission in Kolumbien dient .Der kolumbianische Staatspräsident und die FARC ha-ben sich darauf verständigt . Nun geht es in der Tat darum,das umzusetzen . Die Länder in der Region stehen bereit,hier entsprechende Unterstützung zu geben . Ich sage inaller Deutlichkeit: Sollte seitens der Vereinten Nationenund der Konfliktparteien zusätzlich der Wunsch vorhan-den sein, dass sich auch die deutsche Seite hier einbringt,dann werden wir das sicherlich wohlwollend prüfen .
Dann kommen wir zu Frage 6 der Abgeordneten Heike
Hänsel, Fraktion Die Linke:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
anhaltenden Repression der türkischen Regierung gegen An-
dersdenkende, so zum Beispiel gegen 1 128 Wissenschaftler,
die einen Friedensappell gegen die militärische Gewalt in den
Kurdengebieten unterzeichnet haben und nun mit Festnahmen
sich die Bundesregierung für die Wiederaufnahme des Frie-
densprozesses zwischen türkischer Regierung und kurdischer
Arbeiterpartei ein?
Frau Staatsministerin .
D
Frau Kollegin Hänsel, die Bundesregierung verfolgt
die innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei sehr
aufmerksam . Beide Themen, sowohl die Verhaftung von
Wissenschaftlern und das Vorgehen gegen Andersden-
kende als auch der bewaffnete Konflikt mit der PKK,
wurden bei den deutsch-türkischen Regierungskonsul-
tationen am 22 . Januar 2016, also vor wenigen Tagen,
angesprochen . Auch bei früheren Gelegenheiten hat die
Bundesregierung diese Themen angesprochen und an die
türkische Regierung appelliert, eine weitere Eskalation
zu vermeiden, verhältnismäßig zu agieren und den Frie-
densprozess wieder aufzunehmen .
Zusatzfrage?
Danke schön . – Das ist doch sehr allgemein ange-
sichts dieser dramatischen Situation . Man muss sich das
einmal vorstellen: Über 1 000 Wissenschaftler und Wis-
senschaftlerinnen wenden sich mit einem Friedensappell
an die Regierung, um zu einem Ende dieser wirklich
brutalen Auseinandersetzung im Südosten der Türkei zu
kommen, zu einem Ende dieses Kriegs gegen die Kurdin-
nen und Kurden, und dann werden sie des Terrorismus
verdächtigt . Erdogan hetzt diesen Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern die Polizei auf den Hals; zahlrei-
che sind verhaftet worden, viele sind entlassen bzw . von
ihren Posten an den Universitäten suspendiert worden .
Ich frage Sie: Teilen Sie die Position des Präsidenten
Erdogan, dass solche Initiativen, die sich für den Frieden
in der Türkei aussprechen, terroristische Aktivitäten un-
terstützen?
D
Frau Kollegin, ich glaube, ich habe eben deutlich ge-
macht und auch bei der vorhergehenden Frage schon an-
gesprochen, dass wir immer wieder für Meinungsfreiheit
und Pressefreiheit eintreten . Damit ist die Position der
Bundesregierung sehr klar an dieser Stelle . Das werden
wir auch gegenüber der türkischen Seite immer wieder
zur Sprache bringen .
Frau Hänsel .
Wie erklären Sie sich eigentlich, dass es nach diesen
Ereignissen, nach der anhaltenden brutalen Umzingelung
von kurdischen Städten, nach der Bombardierung von
kurdischen Städten und der Ermordung von Zivilisten
die Entscheidung des Entwicklungsministeriums gibt,
50 Millionen Euro mehr Entwicklungshilfe in die Türkei
zu schicken, wohingegen wir bei vielen anderen Ländern
der Erde erleben, zum Beispiel im Fall von Nicaragua,
anderen Staaten Lateinamerikas, aber auch etlichen an-
deren Ländern, dass man sich anders entscheidet, weil
man sagt, die Menschenrechtssituation sei dort schlech-
ter, und deswegen die Entwicklungszusammenarbeit ein-
stellt?
Wie kann es sein, dass es nach diesem brutalen Vor-
gehen der Armee und dem Vorgehen gegen die Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler die Entscheidung
gibt, mehr Entwicklungshilfegelder an die Türkei zu ge-
ben? Wie kommen Sie eigentlich dazu?
D
Frau Kollegin Hänsel, es geht um die Unterstützung
von Menschen, die auf der Flucht sind und die in der
Türkei Zuflucht gefunden haben. Wer mit der Situation
der Menschen dort vertraut ist, der weiß, dass sich der
kleinere Teil in Flüchtlingslagern aufhält und dort gut
versorgt ist . Ich habe mir das selbst angeschaut . Aber ein
größerer Teil ist eben nicht in den Flüchtlingslagern . Hier
stellt sich die Frage des Schulbesuchs und der medizini-
schen Versorgung in vielfältiger Art und Weise . Wollen
Sie diese Menschen alleinlassen?
Die nächste Frage dazu hat Kollegin Dağdelen, Frak-
tion Die Linke .
Frau Staatsministerin, ich habe eine Frage bezüglichdes Rechtsstaatsverständnisses der Bundesregierung .Halten Sie es für verhältnismäßig, dass die türkischeRegierung im Südosten des Landes gegen die Kurden inden Städten Panzer auffahren lässt, Städte mit Panzernbeschießt, über Menschen Kollektivstrafen verhängt,Staatsministerin Dr. Maria Böhmerhttp://www.spiegel.de/politik/ausland/polizei-nimmt-intellektuelle-wegen-terrorpropaganda-fest-a-1072195.htmlhttp://www.spiegel.de/politik/ausland/polizei-nimmt-intellektuelle-wegen-terrorpropaganda-fest-a-1072195.htmlhttp://www.spiegel.de/politik/ausland/polizei-nimmt-intellektuelle-wegen-terrorpropaganda-fest-a-1072195.html
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indem sie in mehreren Städten Ausgangssperren ver-hängt – das dauert schon fast zwei Monate in manchenGebieten –, dass Menschen in ihren Häusern ausharrenmüssen, auch verwundete Zivilisten, und zwar tagelang,die dann ihren Verletzungen erliegen, weil sie beispiels-weise keinen Krankenwagen rufen können oder weil siewegen der Ausgangssperren nicht zum Krankenhaus ge-fahren werden können, außer sie nehmen es in Kauf, vonScharfschützen erschossen zu werden?Halten Sie es für verhältnismäßig, dass die Massakerder türkischen Sicherheitskräfte laut Angaben des Aus-wärtigen Amts schon über 200 tote Zivilisten zur Folgehaben? Staatssekretär Ederer hat im Auswärtigen Aus-schuss gesagt, dass in diesen Auseinandersetzungen über200 Zivilisten durch die Operationen der türkischen Si-cherheitskräfte gestorben sind . Halten Sie es zum Zwe-cke der Flüchtlingsabwehr für zielführend, dass es jetztschon 200 000 Kurden sind, die aufgrund dieser militäri-schen Operationen auf der Flucht sind? Ist die Kumpaneimit der Regierung von Erdogan und Davutoglu zielfüh-rend, und ist es richtig, zu diesen Verbrechen wegen derFlüchtlingsabwehr zu schweigen, wobei die türkischeRegierung aber letztendlich Flüchtlinge produziert?Ist das verhältnismäßig und zielführend Ihrer Meinungnach?D
Frau Kollegin Dağdelen, ich möchte zunächst den
Begriff der Kumpanei zurückweisen . Wir haben mit der
Türkei eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die über
die Jahre gewachsen ist . Aber ich möchte an dieser Stelle
auch daran erinnern, dass es sich bei der PKK um eine
gelistete Terrororganisation handelt . Wenn irgendwo Ter-
ror stattfindet, dann muss man dagegen angehen. Wir als
Bundesregierung haben immer wieder gesagt – daraus
machen wir keinen Hehl, weder in der Vergangenheit
noch in der Gegenwart oder in der Zukunft –, dass die
Auseinandersetzung verhältnismäßig sein muss und dass
der Friedensprozess so schnell wie möglich wieder auf-
genommen werden soll .
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Zdebel,
ebenfalls Fraktion Die Linke .
Frau Staatsministerin Böhmer, ich habe eine Frage
zur Pressefreiheit in der Türkei . Sie wissen ja, dass der
Chefredakteur von Cumhuriyet Can Dündar schon seit
mehr als zwei Monaten deswegen in Haft ist, weil er
seine Arbeit verrichtet hat und über die Zustände in der
Türkei und über bestimmte Verwicklungen dort berichtet
hat . Er ist sicherlich kein Einzelfall; auch mehrere andere
Journalisten sitzen schon seit längerer Zeit in Haft . Was
hat die deutsche Regierung bezüglich der Inhaftierungen
von Journalistinnen und Journalisten in der Türkei kon-
kret unternommen? Wie bewerten Sie dieses Vorgehen
der türkischen Regierung?
Frau Staatsministerin .
D
Gerne . – Wir haben diesen Punkt stets angesprochen .
Wir finden es besorgniserregend; denn Presse- und Mei-
nungsfreiheit sind, wie Sie wissen, ein hohes Gut, und es
muss gewahrt werden . Das ist bei jeder Begegnung mit
türkischen Vertretern Gegenstand der Erörterung, auch
zuletzt bei den Regierungskonsultationen .
Die Frage 7 des Abgeordneten Nouripour wird schrift-
lich beantwortet .
Ich rufe die Frage 8 der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Fraktion Die Linke, auf:
Inwieweit bedeutet die Antwort der Bundesregierung zu
ration Inherent Resolve durch die Gruppe von Staaten, die
an Luftoperationen teilnehmen , ein
gemeinsamer Informationsraum betrieben“ wird, sodass al-
les, „was Aufklärungswert hat . . . an alle Partner weitergege-
ben“ wird, das heißt, alles, „was von Nutzen ist, wird in die
Datenbank der Anti-IS-Koalition eingespeist“, und es „gibt
keinen Grund dafür, dass die Türkei bestimmte Bilder nicht
nicht definitiv ausschließen kann, dass Staaten wie die Tür-
kei und Saudi-Arabien die Erkenntnisse aus dieser Datenbank
gegen ihnen nicht genehme Gruppen, wie die der kurdischen
Volksschutzeinheiten und die kurdische Arbeiterpartei
, nutzen (www.sz-online.de/nachrichten/tornados-flie-
gen-ueber-syrien-3292761 .html), und kann die Bundesregie-
rung nach ihrer Kenntnis ausschließen, dass Erkenntnisse aus
dieser Datenbank an von ihnen unterstützte Terrormilizen, wie
der Ahrar al-Scham, in Syrien zur Bekämpfung syrischer Re-
gierungstruppen und kurdischer Volksschutzeinheiten weiter-
gegeben werden?
Frau Staatsministerin, bitte .
D
Gerne. – Frau Dağdelen, die Mitglieder der Allianzteilen das Ziel, die IS-Terrorherrschaft in Syrien und imIrak zu beenden . Zur Gewährleistung der Mandatskon-formität des Einsatzes deutscher Tornados ist ein deut-scher Stabsoffizier, ein sogenannter Red Card Holder, imHauptquartier in al-Udeid, Katar, eingesetzt . Dieser hatein Vetorecht bei der Beauftragung deutscher Tornados,um so den mandatskonformen Einsatz, das heißt die Auf-klärung von IS-Zielen zu deren Bekämpfung und zumSchutz von ziviler Infrastruktur, sicherzustellen .Alle Aufklärungsergebnisse bedürfen zudem einer na-tionalen Auswertung und einer anschließenden Freigabe .So wird gewährleistet, dass die Weitergabe von Erkennt-nissen ausschließlich der Bekämpfung des IS sowie demSchutz von Zivilpersonen und -einrichtungen dient . DieBundesregierung geht davon aus, dass die zu diesemSevim Dağdelenhttp://www.sz-online.de/nachrichten/tornados-fliegen-ueber-syrien-3292761.htmlhttp://www.sz-online.de/nachrichten/tornados-fliegen-ueber-syrien-3292761.htmlhttp://www.sz-online.de/nachrichten/tornados-fliegen-ueber-syrien-3292761.htmlhttp://www.sz-online.de/nachrichten/tornados-fliegen-ueber-syrien-3292761.html
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Zweck gesammelten Aufklärungsergebnisse ausschließ-lich dafür verwendet werden .
Zusatzfrage? – Bitte schön .
Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident . – Frau Staats-
ministerin, laut Berichten hat der IS bei seinem Angriff
auf die syrische Stadt Deir al-Sor letzte Woche erstaun-
lich genaue Informationen über die Stellungen der syri-
schen Regierungsarmee gehabt . Der IS soll Frauen, Kin-
der und auch Soldaten verschleppt haben .
Sie haben gerade gesagt: Wir, die Bundesregierung,
gehen davon aus, dass die zu diesem Zweck gesammel-
ten Aufklärungsergebnisse nur für die genannten Ziele
und nicht für etwas anderes benutzt werden . – Ich möchte
gerne wissen, wie Sie das verifizieren. Habe ich es rich-
tig verstanden, dass Sie als Bundesregierung nicht aus-
schließen können, dass diese Daten auch anders verwen-
det werden können, zumal der Sprecher der Bundeswehr
sagt, dass es natürlich keinen Grund dafür gebe, dass die
Türkei bestimmte Bilder nicht sehen dürfe? Das, was von
Nutzen ist, wird in die Datenbank der Anti-IS-Koalition
eingespeist . Das heißt, laut dem Sprecher der Bundes-
wehr werden alle Daten, die die Tornados aufnehmen,
auch an den NATO-Partner Türkei weitergegeben .
Frau Staatsministerin .
D
Frau Kollegin Dağdelen, ich hatte es schon erläutert,
und Sie haben auch eine Kleine Anfrage dazu gestellt;
die Antwort ist Ihnen am 14 . Januar zugegangen . Wir
haben darin sehr deutlich das gesagt, was ich eben auch
gesagt habe, nämlich dass die Datenverwendung man-
datskonform geschieht .
Noch eine Zusatzfrage? – Bitte .
„Mandatskonform“ schließt nicht aus, dass die Türkei
die Daten, die über die deutschen Tornado-Einsätze ge-
wonnen werden, auch in ihrem Kampf gegen die Kurden
im Irak oder in Syrien benutzen kann .
D
Frau Kollegin, ich wiederhole das gern, aber ich schät-
ze: Es wird auch weiterhin so sein, dass Sie diese Frage
stellen, nicht nur heute, sondern auch beim nächsten Mal
und beim übernächsten Mal, weil Ihnen eine bestimmte
Antwort vorschwebt . – Ich muss Ihnen sagen: Wir haben
das durch diese Mandatsbezogenheit gewährleistet und
stellen es damit auch sicher .
Danke schön . – Im letzten Moment noch; ausnahms-
weise, Frau Hänsel .
– Ich habe Sie nicht gesehen . Das stimmt . Ich wurde ab-
gelenkt .
Frau Hänsel, noch eine Frage .
Danke schön . – Ich möchte dazu einfach noch ein-
mal nachfragen, Frau Staatsministerin; denn es gibt Ge-
heimdienstinformationen, auf deutscher Seite, aber auch
Veröffentlichungen in der Türkei darüber, dass die Re-
gierung Erdogan auch den IS und andere islamistische
Terrorgruppen in Syrien unterstützt .
Zu Waffenlieferungen gibt es mittlerweile öffentliche
Berichte . Journalisten sind in der Türkei ins Gefängnis
gekommen, weil sie es veröffentlicht haben .
Deswegen meine Nachfrage: Können Sie hiermit aus-
schließen, dass Aufklärungsbilder an den NATO-Partner
Türkei gehen, der auch islamistische Terrorgruppen in
Syrien unterstützt und mit diesen Bildern dazu beitragen
kann, dass diese Gruppen militärisch gestärkt werden?
Frau Staatsministerin .
D
Frau Kollegin Hänsel, ich bleibe dabei: Die Mandats-
konformität ist gegeben .
Dann kommen wir zur Frage 9 des Abgeordneten
Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen:
Werden nach Kenntnis bzw . Einschätzung der Bundesre-
gierung Frauen in Algerien, Marokko und Tunesien hinrei-
chend vor sexueller Gewalt geschützt, und inwiefern hält die
Bundesregierung den Vorschlag, diese Staaten zu sicheren
Herkunftsstaaten zu bestimmen, für geeignet, schutzsuchende
Frauen aus diesen Staaten effektiv vor geschlechtsspezifischer
Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure in diesen Staaten zu
schützen?
Frau Staatsministerin, bitte .
D
Gern . – Herr Kollege Beck, nach Erkenntnissen derBundesregierung werden in allen drei Ländern FrauenStaatsministerin Dr. Maria Böhmer
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(D)
grundsätzlich vor sexueller Gewalt geschützt . Dass esdennoch zu Übergriffen kommt, ist nicht auszuschlie-ßen . Beim individuellen Schutz von Frauen, vor allemvor nichtstaatlichen Akteuren, gibt es Raum für Verbes-serungen .Physische und psychische Gewalt einschließlich se-xueller Gewalt kann ein Verfolgungshandeln im Sinnedes Asylgesetzes sein und das Recht auf Asyl begründen .Dies gilt auch für Frauen aus Marokko, Algerien undTunesien – unabhängig von einer möglichen Einstufungdieser Länder als sichere Herkunftsstaaten .Entscheidend ist, dass im Asylverfahren die Existenzvon Verfolgungsgründen im Einzelfall nachgewiesenwird . Bei Asylverfahren von Antragstellern aus siche-ren Herkunftsstaaten wird geprüft, ob die angegebenenTatsachen oder Beweismittel die Annahme begründen,dass dem Antragsteller/der Antragstellerin abweichendvon der allgemeinen Lage im Herkunftsland politischeVerfolgung droht . Dabei wird eine etwaige Verfolgungdurch nichtstaatliche Akteure berücksichtigt; ebensowerden mögliche Akteure berücksichtigt, die Schutz vorVerfolgung bieten können . Ob dann eine vorgetragenegeschlechtsspezifische Verfolgung zu einer entsprechen-den Schutzanerkennung führt, kann nur im Rahmen einerEinzelfallprüfung festgestellt werden .
Zusatzfrage? – Herr Beck .
Vorausschicken möchte ich: Voraussetzung für die
Einstufung als sicheres Herkunftsland ist laut Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass keine
gruppenspezifische Verfolgung – bezogen auf keine so-
ziale Gruppe – vorhanden ist . Frauen sind eine soziale
Gruppe wie Journalisten, religiöse Minderheiten usw . Es
hilft nichts, dass Sie sagen: Hinterher kann man trotzdem
noch individuell prüfen . – Vorher müssen Sie prüfen, ob
diese Einstufung von der Menschenrechtslage her ange-
messen ist .
Ich will Ihnen die Chance geben, darauf einzuge-
hen – unter Einbeziehung eines weiteren Aspektes,
einer weiteren Gruppe, bezogen auf Marokko . Die
Friedrich-Naumann-Stiftung sagt, sie habe ihre Büro-
leiterin abgezogen, um ihre Mitarbeiterin und deren Fa-
milie zu schützen, da sich das marokkanische Büro der
Friedrich-Naumann-Stiftung „erdreistet“ hat, einem ma-
rokkanischen Journalisten einen Journalistenpreis zuzu-
erkennen, was auf den Unwillen der dortigen Regierung
gestoßen ist . Wenn eine deutsche Stiftung also sagt: „Wir
müssen die Mitarbeiterin und ihre Familie rausholen, um
sie zu schützen“, sagt das einiges über die Situation in
dem Land und vor allen Dingen über die Situation der
Journalisten in diesem Land . Würden Sie meine Auffas-
sung teilen – und wenn nicht, warum nicht –, dass vor
diesem Hintergrund eine Einstufung Marokkos als siche-
res Herkunftsland nicht infrage kommen kann?
Frau Staatsministerin .
D
Ja, gern . – Herr Kollege Beck, ich habe mir die An-
erkennungsquoten für Algerien, Marokko und Tunesien
angeschaut . Wir haben bei Algerien eine Anerkennungs-
quote von 0,8 Prozent, bei Marokko von 3,7 Prozent und
bei Tunesien von 0,2 Prozent .
Wir alle wissen, was der Begriff „sicherer Herkunfts-
staat“ bedeutet . „Sicherer Herkunftsstaat“ heißt nicht,
dass es deswegen keine Einzelfallprüfung mehr gibt .
Das, was Ihnen ein Anliegen ist – und ich darf Ihnen ver-
sichern: das gilt für mich genauso –, ist: Dort, wo Frauen
von sexueller Gewalt betroffen sind und Schutz suchen,
muss auch eine Schutzmöglichkeit gegeben sein . Dies ist
über die Einzelfallprüfung möglich .
Sie haben zwar schon einen ganzen Schwung an Fra-
gen gestellt, aber Sie dürfen noch ein letztes Mal fragen .
Ja, so sieht das die Geschäftsordnung vor .
Nein, wenn Sie in einer Frage mehrere Fragen stellen,
dann könnte ich auch sagen: Das war es . – Aber stellen
Sie Ihre nächste Frage .
Es geht darum, dass bei einem sicheren Herkunfts-
staat die Verfolgungssituation erst einmal verneint wird .
Wenn wir ein Land als sicheres Herkunftsland bezeich-
nen, heißt das, wir stellen auch einen Persilschein für die
Menschenrechtslage aus . Wir dürfen das nicht nur im
Hinblick auf die Rückwirkungen auf das Asylverfahren
hier sehen, sondern auch im Hinblick darauf, was das für
das Land heißt .
Würden Sie mir zustimmen, dass deshalb die Aner-
kennungsquote nicht wirklich etwas aussagt, sondern
dass die ausschlaggebende Frage sein muss: Wie ist die
Menschenrechtslage in dem Land? Die Menschenrechts-
lage ist für Frauen und Journalisten in diesen Ländern
nicht so, dass sie eine Einstufung dieser Länder als siche-
re Herkunftsländer rechtfertigt . Oder welche anderen Er-
kenntnisse über die Menschenrechtslage haben Sie hier?
Frau Staatsministerin .
D
Ja, gern . – Herr Kollege Beck, wir kennen uns jetztschon lange genug . Wir beide wissen, dass wir jeweilsvehement für Menschenrechte eintreten . Dass mit derEinstufung als sicheres Herkunftsland ein Freischeinausgestellt würde, ist mitnichten der Fall . Das wissen SieStaatsministerin Dr. Maria Böhmer
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(D)
genauso gut wie ich . Ich weise das auch in aller Deutlich-keit zurück .
– Herr Beck, jetzt darf ich Sie daran erinnern: Sie sindKölner . In Köln haben wir erlebt, dass Übergriffe aufFrauen stattfinden. Wir haben jetzt weit über 880 Mel-dungen . Das ist erschreckend, und ich glaube, vor die-sem Hintergrund muss man alles tun, um gegen sexuelleGewalt vorzugehen . Frauen, die in Einzelfällen diesenSchutz brauchen, werden ihn auch erhalten .
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern . Zur Beantwortung steht
bereit der Parlamentarische Staatssekretär Professor
Dr . Günter Krings .
Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Volker
Beck:
Inwiefern hält es die Bundesregierung für migrations- und
sicherheitspolitisch angezeigt und rechtssystematisch kohä-
rent, aus einer positiven Sozialprognose, die Voraussetzung
weitere Aufenthalt eines Ausländers eine Gefahr für die öf-
strafe unter Umständen ein Ausweisungsinteresse begründet?
Herr Staatssekretär, bitte .
Dr. Günter Krings, Parl . Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Lieber Herr Kollege Beck, nach § 56 Absatz 1 des
Strafgesetzbuchs setzt das Gericht bei der Verurteilung
zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr
die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn
zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verur-
teilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne
die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr
begehen wird .
Diese Wertung nach dem Strafgesetzbuch ist aber nicht
ohne Weiteres auf das Recht der Ausweisung zu übertra-
gen; denn die im Aufenthaltsgesetz geregelten Auswei-
sungen und die Bewährung nach dem Strafgesetzbuch
verfolgen unterschiedliche Zwecke . Die Ausweisung
dient der Gefahrenabwehr und kann grundsätzlich auch
auf generalpräventiven Erwägungen beruhen . Das heißt,
selbst wenn von dem Ausländer individuell nicht mehr
die Gefahr weiterer Straftaten ausgeht, kann die Auswei-
sung notwendig sein, um andere von der Begehung von
Straftaten abzuhalten .
Im Übrigen beruht die Ausweisung nach § 53 Aufent-
haltsgesetz immer auf einer umfassenden Abwägung von
Ausweisungs- und Bleibeinteressen im Einzelfall . Selbst
wenn also ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1
oder 2 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt, besteht kein Au-
tomatismus, dass letztlich auch die Ausweisung ergehen
wird .
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Beck?
Ich habe versucht, nach der Denklogik der verschiede-
nen Rechtsfolgen zu fragen . Wir haben also einen Täter .
Hier sagt das Strafgericht: Wir setzen die Strafe zur Be-
währung aus, weil wir auf eine positive Sozialprognose
setzen . Das dürften wir sonst nicht tun . – Dann sagt das
Ausländeramt: Das nehmen wir als Grundlage für die
Behauptung, diese Person stelle eine Gefahr für die öf-
fentliche Sicherheit und Ordnung dar . – Das widerspricht
eigentlich der Entscheidung des Strafgerichtes . Hier
muss man sagen: Hü oder hott . Entweder ist diese Person
eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung –
dann ist die Erkennung auf eine Bewährungsstrafe eine
falsche Entscheidung –, oder sie ist eben keine Gefahr für
die öffentliche Sicherheit und Ordnung . Dann sind die
Voraussetzungen für eine Ausweisung nicht mit diesem
Automatismus gegeben . Deshalb würde mich interessie-
ren, welchen Sinn es hat – mit Bewährungsstrafen sind
Bewährungsauflagen verbunden –, dass die Bewährung
überprüft wird, wenn wir jemanden in dieser Zeit ab-
schieben . Das heißt dann auch, dass er seinen Bewäh-
rungsauflagen entgeht. Damit wird dem strafrechtlichen
Ziel der Besserung nicht hinreichend Rechnung getra-
gen. Wie wollen Sie diese Widersprüche auflösen?
Herr Staatssekretär .
D
Vielen Dank . – Herr Beck, Sie sind ja kein Jurist, aberSie versuchen, uns juristisch immer ein wenig auf dasGlatteis zu führen .
Sie sind vielleicht Erfahrungsjurist . Ich kenne ohnehinnur zwei Erfahrungsjuristen: Der andere ist Ministerprä-sident in Bayern . Ich will gerne versuchen, juristisch et-was Licht in die Sache zu bringen, lieber Kollege Beck .Wir haben zwei unterschiedliche Rechtskreise . Daseine ist das Strafrecht, das andere das Ordnungsrecht .Das Ausländerrecht ist ein besonderes Ordnungsrecht .Von daher gibt es andere Maßstäbe und eine andereSchwelle, ab der eine bestimmte Folge eintreten kann .Insofern ist das kein Widerspruch . Vielmehr hat dasStrafrecht sehr viel strengere Maßstäbe . Gerade die In-Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
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haftierung, das Wegsperren eines Menschen, ist an ganzbesondere Voraussetzungen gebunden, während das Aus-länderrecht heute von einem besonderen Ordnungsrechtausgeht – früher haben wir von Polizeirecht gesprochen .Die Frage, die Sie angesprochen haben, finde ich ab-solut berechtigt . Nimmt man dem Strafrecht und seinemAnspruch bezüglich der Bewährungsauflagen nicht etwasweg? Nein, das macht man im Ergebnis nicht . Im Schen-gen-Raum gibt es ein klares europarechtliches Rechts-prinzip: Die Rückführung aus dem Schengen-Raum hatimmer Vorrang vor dem nationalen Strafanspruch . Inso-fern handeln wir hier konsequent bei der Klarstellung derKriterien, was das Ausweisungsinteresse anlangt .
Noch eine Zusatzfrage? – Bitte .
Wir reden jetzt über Köln und die Folgen . Aber wir
machen allgemeine Gesetze, die nicht nur für Algerier
und Marokkaner auf Bahnhofsvorplätzen gelten, sondern
die insgesamt stimmen müssen . Vielleicht können Sie
mir das noch einmal an einem anderen Beispiel erklären .
Wie muss man es sich bei einem assoziationsberechtig-
ten Türken vorstellen, wenn in § 53 Absatz 3 Aufent-
haltsgesetz auf eine schwerwiegende Gefahr abgestellt
wird und in § 56 StGB von der Perspektive ausgegangen
wird, dass diese Person keine Straftaten mehr begehen
wird? Trotzdem ist eine Entscheidung nach § 56 StGB
hinterher Grundlage, um die schwerwiegende Gefahr
dennoch zu bejahen . Können Sie erläutern, wie man sich
dies denklogisch vorzustellen hat?
D
Ich werde mit Erlaubnis des Präsidenten versuchen,
Ihnen dies näherzubringen .
Noch einmal ein Hinweis auf die beiden verschie-
denen Rechtskreise . Im Ausländerrecht gibt es auch
generalpräventive Erwägungen . – Ich will noch einmal
darauf hinweisen, dass ich mit keinem Wort Köln und
die nordafrikanischen Staaten erwähnt habe . Vielleicht
haben Sie Ihre letzte Frage noch im Gedächtnis .
– Sie haben mich gefragt, und ich antworte Ihnen natür-
lich .
Ich stimme Ihnen zu, dass wir Gesetze so machen
müssen, dass sie generell und immer passen . Es ist üb-
rigens auch nicht so, dass das zum ersten Mal passiert .
Auch nach geltender Rechtslage, durch Gerichte bestä-
tigt, gibt es schon Konstellationen, dass jemanden nach
einer Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe die Aus-
weisung ereilt . Insofern ist das im Prinzip nichts Neu-
es . Wir haben die Kriterien – die Abwägung zwischen
Ausweisungs- und Bleibeinteressen – durch diesen Ge-
setzentwurf noch einmal nachgeschärft . Wir haben aber
in die deutsche Rechtsordnung im Prinzip nichts Neues
eingeführt .
Zusatzfrage des Abgeordneten Wunderlich, Fraktion
Die Linke .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Ich bin Praxisabgeord-
neter, war zwölf Jahre Strafrichter, habe etliche Vollstre-
ckungen zur Bewährung ausgesetzt, mit entsprechenden
Bewährungsauflagen. Ich habe das, was Herr Kollege
Beck hier gesagt hat, auch schon im Rechtsausschuss ge-
sagt: Die Regelungen beißen sich .
Man bekommt auf der einen Seite von einem Gericht
eine günstige Legal- und Sozialprognose, die die Vo-
raussetzung dafür ist, eine Vollstreckung zur Bewährung
auszusetzen; jetzt ist der Zeitrahmen dafür ein Jahr . Man
sagt also: Dieser Täter ist in einem gesicherten sozialen
Umfeld und wird keine Straftaten mehr begehen . – Auf
der anderen Seite sagt ein Mitarbeiter der Ausländerbe-
hörde: Von dem geht eine Gefährlichkeit aus, deswegen
wird er ausgewiesen . – Dabei heißt Ausweisung noch
nicht, dass derjenige draußen ist; auch da wird den Leu-
ten Sand in die Augen gestreut .
Ich habe auch ein Problem damit: Was ist mit den fak-
tischen Inländern, die bereits seit 25 oder 30 Jahren hier
in Deutschland wohnen, aber keinen deutschen Pass ha-
ben, den türkischen Gastarbeitern, die mit der ersten Wel-
le gekommen sind? Sie gehen heute auf eine Demonstra-
tion gegen Erdogan, was man nachvollziehen kann . Die
Regierungskoalition hat vor kurzem die Strafandrohung
bei Widerstand gegen die Staatsgewalt auf zwei Jahre he-
raufgesetzt, was nach Überzeugung der Opposition völli-
ger Quatsch war . Wie schnell ist bei solch einer Demons-
tration der Straftatbestand der Widerstandshandlung
erfüllt, wie schnell riskiert man ein Jahr Freiheitsstrafe
auf Bewährung! In einem solchen Fall droht einem als
faktischer Inländer die Abschiebung in ein Land, zu dem
man überhaupt keinen Bezug mehr hat, in dem keiner aus
der Familie mehr lebt, in dem die eigene Familie mögli-
cherweise nie war . Sehen Sie das als rechtsstaatskonform
an?
D
Ich kann nur wiederholen: Wir machen hier ein gene-
rell-abstraktes Gesetz, und die Rechtsfigur des faktischen
Inländers ist der deutschen Rechtsordnung nicht bekannt .
Herzlichen Dank . – Die Frage 11 der KolleginDağdelen wird schriftlich beantwortet, ebenso die Fra-gen 12 und 13 der Kollegin Jelpke und die Frage 14 desKollegen von Notz .Dann kommen wir zur Frage 15 der AbgeordnetenDr . Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen:Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
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Aufgrund welcher neuen Erkenntnisse gelangt die Bundes-regierung zu der Einschätzung, dass Algerien und Marokkojetzt als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden können
Bundesregierung die Warnungen unter anderem von Pro Asyl
Herr Staatssekretär, bitte .D
Vielen Dank . – Das war bereits im Geschäftsbereich
des Auswärtigen Amtes Thema . Zurzeit kann ich nur
so viel sagen: Die Bundesregierung prüft aktuell die
Einstufung von Marokko und Algerien als sichere Her-
kunftsstaaten im Sinne von § 29 a des Asylgesetzes in
Verbindung mit dem bekannten Artikel 16 a Absatz 3 un-
seres Grundgesetzes . Die fachliche Prüfung, ob die Vo-
raussetzungen für die Einstufung der genannten Staaten
als sichere Herkunftsstaaten erfüllt sind, ist noch nicht
abgeschlossen . Die Bundesregierung verspricht sich von
einer solchen Einstufung, wenn sie denn erfolgen sollte,
dass Asylanträge von Staatsangehörigen aus diesen Län-
dern schneller bearbeitet und Rückführungen im Falle ei-
ner Ablehnung schneller durchgeführt werden, wenn die
individuelle Prüfung des Antrags keinen Anspruch auf
Asyl ergibt . Ich darf betonen, dass es nach wie vor eine
individuelle Prüfung gibt, aber die ganze Prüfung dann
schneller erfolgen kann .
Ihre Zusatzfrage, Frau Dr . Brantner .
Uns hat die Zuordnung dieser Frage zu diesem Ge-
schäftsbereich auch gewundert . – Sie haben gesagt,
dieser Prozess sei noch nicht abgeschlossen . Kann ich
daraus rückschließen, dass es neue Lageeinschätzungen
gibt?
D
Ich habe jetzt keinen exakten Zeitplan, gehe aber da-
von aus, dass wir kurz vor dem Abschluss sind . Ich will
jetzt nicht sagen, dass das alles noch Wochen dauert,
will hier also keine falschen Vorstellungen wecken . Das
Ganze funktioniert so: Das Auswärtige Amt macht eine
Analyse zu den inneren Verhältnissen des betroffenen
Landes, also zur Rechtslage, aber auch zur Rechtsan-
wendung – allein die Tatsache, dass ein Gesetz im Buch
steht, ist noch nicht entscheidend – und zu den politi-
schen Verhältnissen . Diese Analyse wird vom Auswär-
tigen Amt – da können Sie sicher sein – sehr sorgfältig
vorgenommen . Das Ergebnis lassen wir wiederum in
eine abschließende Bewertung einfließen. Das geht dann
in die gesetzgeberische Arbeit ein. Wir befinden uns in
diesem Prozess . Die aktuellsten dem Auswärtigen Amt
verfügbaren Erkenntnisse fließen darin ein.
Zusatzfrage? – Bitte schön .
Danke schön . – Ich möchte gern auf die Ausreise der
Büroleiterin der Friedrich-Naumann-Stiftung aus Ma-
rokko eingehen, die aus Gründen der persönlichen Si-
cherheit bevorzugt, das Land zu verlassen, und möchte
Sie fragen, inwieweit Sie glauben, dass ein Land sicher
sein kann, aus dem eine Vertreterin aus dem Ausland be-
vorzugt auszureisen, weil sie sich nicht sicher fühlt .
D
Ich kann zu dem konkreten Einzelfall nichts sagen;
aber auch dieser Einzelfall wird in die Abwägungen und
die Analyse des Auswärtigen Amtes mit eingeflossen
sein . Ich zögere ein wenig, es so zu sagen, aber trotz-
dem will ich darauf hinweisen: Streng genommen geht
es natürlich um die Sicherheit der Menschen aus diesem
Land, also derjenigen, die für Asylanträge in Betracht
kommen . Man wird diesen Fall in die Analyse einbezie-
hen; aber er wird nicht das endgültige und nicht weiter zu
hinterfragende Kriterium sein . Es ist ein Punkt, der in die
Abwägung einfließt, aber es gibt viele weitere Punkte.
Eben hat die Kollegin aus dem Auswärtigen Amt auf die
sehr niedrige Anerkennungsquote hingewiesen . Dies ist
ein Anhaltspunkt bei der Klärung der Frage, ob es sich
um ein sicheres Herkunftsland handelt; aber es geht eben
auch um die Rechtslage, die Rechtsanwendung und die
politischen Verhältnisse im jeweiligen Land . Das ist na-
türlich für jedes Land getrennt zu beurteilen .
Ich rufe die Frage 16 der Abgeordneten Martina
Renner, Fraktion Die Linke, auf:
Anders Breivik im Rahmen einer Kontrolle nahe Wetzlar im
Jahr 2011 weder Anders Breivik in Gewahrsam genommen
noch der Kontakt zu norwegischen Behörden in dieser Ange-
legenheit gesucht?
Herr Staatssekretär, bitte .
D
Mit Erlaubnis des Präsidenten und auch mit Ihrer
Erlaubnis, Frau Abgeordnete, würde ich gerne die Fra-
gen 16 und 17 zusammen beantworten .
Das können wir machen .Dann rufe ich auch Frage 17 der AbgeordnetenMartina Renner, Fraktion Die Linke, auf:Welche Behörden wurden von welchen Stellen in dieserAngelegenheit unterrichtet ?Dann haben Sie vier Zusatzfragen, Frau Abgeordnete .Vizepräsident Peter Hintzehttp://www.proasyl.de/de/news/detail/news/wir_machen_uns_die_welt_wie_sie_uns_gefaellt_die_ganze_welt_ein_sicherer_herkunftsstaahttp://www.proasyl.de/de/news/detail/news/wir_machen_uns_die_welt_wie_sie_uns_gefaellt_die_ganze_welt_ein_sicherer_herkunftsstaahttp://www.proasyl.de/de/news/detail/news/wir_machen_uns_die_welt_wie_sie_uns_gefaellt_die_ganze_welt_ein_sicherer_herkunftsstaahttp://hessenschau.de/politik/massenmoerder-breivik-vor-tat-bei-wetzlar-kontrolliert-,breivik-102.htmlhttp://hessenschau.de/politik/massenmoerder-breivik-vor-tat-bei-wetzlar-kontrolliert-,breivik-102.htmlhttp://hessenschau.de/politik/massenmoerder-breivik-vor-tat-bei-wetzlar-kontrolliert-,breivik-102.html
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D
Genau, dann haben Sie vier Zusatzfragen . Ich fürch-
te allerdings – das kann man absehen –, dass Sie auch
mit vier Zusatzfragen nicht viel weiterkommen, weil ich
Ihnen nur Folgendes antworten kann: Der Bundesregie-
rung liegen keine Informationen über eine Kontrolle des
Anders Breivik nahe Wetzlar im Jahr 2011 vor . Ich darf
zur Erläuterung ergänzen: Es geht wohl um den Bericht
eines Journalisten auf Arte, der auch schon als Autor
von Spielfilmen aktiv war. Er hat das Thema „Waffenex-
porte“ journalistisch wie auch in Form von Spielfilmen
behandelt . Er hat eine Aussage gemacht, die wiederum
von der Hessenschau aufgegriffen worden ist . Uns liegen
auch nach Abfrage – das müssen wir streng genommen
gar nicht tun, wir haben es aber selbstverständlich ge-
macht – bei den in Betracht kommenden Landessicher-
heitsbehörden keine Erkenntnisse über eine solche Kon-
trolle in dem genannten Jahr 2011 vor .
Haben Sie eine Zusatzfrage? – Nein . – In Ordnung,
gut . Dann sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums des Innern .
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Finanzen, die Fragen 18 und 19 des Abge-
ordneten Uwe Kekeritz sowie die Fragen 20 und 21 der
Abgeordneten Katrin Kunert, werden schriftlich beant-
wortet .
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Arbeit und Soziales, die Fragen 22 und 23 des
Abgeordneten Dr . André Hahn sowie die Frage 24 der
Abgeordneten Brigitte Pothmer, werden auch schriftlich
beantwortet .
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Ernährung und Landwirtschaft, die Fragen 25
und 26 der Abgeordneten Bärbel Höhn, werden auch
schriftlich beantwortet .
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Verteidigung . Zur Beantwortung
steht bereit der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Ralf
Brauksiepe .
Ich rufe die Frage 27 der Abgeordneten Dr . Franziska
Brantner, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Sieht die Bundesregierung nach dem Zustandekommen ei-
ner Einheitsregierung in Libyen die Voraussetzungen erfüllt,
um die von der Bundesministerin der Verteidigung, Dr . Ursula
von der Leyen, geäußerten Pläne für einen Einsatz der Bun-
deswehr in Libyen voranzutreiben ,
und für welche der konkurrierenden libyschen Streitkräfte
würde die Bundeswehr Aufbauhilfe leisten?
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Frau Kollegin Brantner, ich antworte Ihnen wie folgt:
Der fragile innerlibysche Verhandlungs- und Entschei-
dungsprozess zur Etablierung einer Einheitsregierung
ist noch nicht abgeschlossen . Damit gibt es noch keine
Einheitsregierung .
Während das Parlament in Tobruk am 25 . Januar trotz
Vorbehalten das Friedensabkommen mehrheitlich mit
97 von 104 der anwesenden Abgeordneten bestätigt hat,
hat es zugleich mit 89 von 104 Stimmen die durch den
Präsidialrat vorgelegte Kabinettsliste einer zukünftigen
libyschen Einheitsregierung abgelehnt . Hier gilt es, den
weiteren politischen Prozess abzuwarten . Die Bundes-
regierung begrüßt gleichwohl den durch die Vereinten
Nationen begleiteten Friedensprozess und die weitere
Umsetzung des Friedensabkommens in Libyen .
An der Bildung einer libyschen Einheitsregierung
im Rahmen des VN-vermittelten Friedensplans hat die
Bundesregierung ein hohes Interesse und unterstützt
den politischen Prozess . Erst nach der Bildung einer li-
byschen Einheitsregierung könnte diese eine formelle,
völkerrechtlich legitime Unterstützungsanfrage an die
internationale Gemeinschaft richten . Im Bereich der Si-
cherheit würde dann zunächst die Aufstellung von zur
Einheitsregierung loyalen Sicherheitskräften, den künf-
tigen libyschen Streitkräften, abzuwarten sein . Das wür-
de voraussichtlich noch einige Zeit nach der Einführung
einer Einheitsregierung in Anspruch nehmen . Nach dem
erfolgreichen Abschluss eines solchen Prozesses wäre
deutsche Ausbildungsunterstützung eine denkbare Opti-
on .
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete
Dr . Brantner?
Wohl wissend, dass die Verhandlungen sehr schwierig
sind – Sie haben es gerade erwähnt – und dass einer der
Gründe, warum die Verhandlungen schwer vorankom-
men, die Angst oder die Befürchtung einzelner Akteu-
re ist, dass es einen Druck gibt, zu einer gemeinsamen
Regierung zu kommen, um danach militärisch in Libyen
aktiv zu sein, und dass viele sagen: Das ist von außen
aufgesetzt, der Druck ist sehr groß, und am Ende will
die internationale Gemeinschaft nur ISIS militärisch
bekämpfen – halten Sie es vor diesem Hintergrund für
hilfreich, dass Frau Ministerin von der Leyen diese An-
kündigung gemacht hat?
D
Ja .
Okay . – Haben Sie zu dieser überraschenden Antwortnoch eine Zusatzfrage, Frau Dr . Brantner?
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Wenn Sie sagen: „Ja“, dann würde ich gerne von Ih-nen wissen: Warum?
Herr Staatssekretär .
D
Frau Kollegin Brantner, ich habe Ihnen den Prozess
aufgezeigt, der erforderlich ist, damit es überhaupt eine
Ausbildungsunterstützung geben könnte . Ich denke, es
ist für uns alle von großem Interesse, dass Libyen wie-
der eine handlungsfähige und international legitimierte
Regierung bekommt . An diesem Thema arbeiten viele
Länder, und daran arbeitet auch die Bundesregierung
intensiv . Das ist im Interesse der Menschen in Libyen
und natürlich auch im Interesse der Stabilität der gesam-
ten Region, einer Region, die nicht weit von uns ent-
fernt liegt . Vor diesem Hintergrund, denke ich, könnte
sich Deutschland, wenn es möglich wäre, einen solchen
Prozess zu unterstützen und positiv zu begleiten, dieser
Möglichkeit nicht von vornherein entziehen .
Die Frage 28 des Abgeordneten Hans-Christian
Ströbele und die Frage 29 der Abgeordneten Höger wer-
den schriftlich beantwortet .
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums der Verteidigung .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Gesundheit . Zur Beantwortung steht die Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-
Mauz bereit .
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Hubertus
Zdebel, Fraktion Die Linke, auf:
Was wird die Bundesregierung unternehmen, um die in
einem Offenen Brief vom Oktober 2015 von 212 Rotenbur-
ger Ärztinnen und Ärzten an die niedersächsische Ministerin
für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, Cornelia Rundt,
forschung bezüglich der in den letzten Jahren im Landkreis
Rotenburg erfolgten Zunahme von Krebserkran-
kungen durch die rasche Bereitstellung ausreichender finanzi-
eller Mittel für die unbedingt notwendigen wissenschaftlichen
Frau Staatssekretärin, bitte .
A
Herr Präsident! Herr Abgeordneter, die Aufklärung
der Ursachen von statistisch auffällig hohen Zahlen von
Krebserkrankungen in bestimmten Regionen liegt in der
Zuständigkeit der jeweiligen Landesbehörden . Die Ursa-
chenerforschung wegen erhöhter Krebserkrankungszah-
len im Landkreis Rotenburg erfolgt derzeit
durch den zuständigen Landkreis, unterstützt von ver-
schiedenen Behörden des Landes Niedersachsen, unter
anderem des Landesgesundheitsamtes sowie des Epi-
demiologischen Krebsregisters Niedersachsen . Zurzeit
läuft dort die Auswertung einer Befragung sämtlicher
Bewohner der Samtgemeinde Bothel . Circa 7 000 Frage-
bögen wurden verschickt, circa 5 000 sind zurückgekom-
men und werden derzeit geprüft und ausgewertet .
Auf der Grundlage der Informationen aus der Befra-
gung wird versucht werden, die Ursache für die vermehr-
ten Krebserkrankungen zu identifizieren. Zusätzlich hat
das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesund-
heit und Gleichstellung eine Literaturstudie zu den Ri-
sikofaktoren des in diesem Zusammenhang gehäuft auf-
tretenden multiplen Myeloms in Auftrag gegeben . Deren
Ergebnisse werden in der zweiten Jahreshälfte erwartet .
Sie sollen mit den Ergebnissen aus der Befragung abge-
glichen werden, um daraus gegebenenfalls auf Landes-
oder kommunaler Ebene weitere Schritte abzuleiten .
Zusatzfrage? – Bitte schön .
Danke schön, Herr Präsident . – Frau Parlamentarische
Staatssekretärin, erst einmal mein Dankeschön für die
ausführliche Antwort . Ich habe trotzdem eine Nachfrage .
Ein Appell von 200 Ärzten ist ja keine Selbstverständ-
lichkeit, sondern ein außergewöhnlicher Vorgang . Ich
kann mir gut vorstellen, dass sich die Bevölkerung in
Niedersachsen sehr große Sorgen macht . Es ist ja relativ
klar – das ist das absehbare Ergebnis, auch wenn das noch
nicht komplett erforscht ist; eigentlich bin ich auch kein
Freund von Analogieschlüssen –, dass möglicherweise
ein Zusammenhang mit der seit Jahrzehnten laufenden
intensiven Gasförderung im Land Niedersachsen beste-
hen könnte, um es einmal vorsichtig auszudrücken . Es
gibt ja durchaus Hinweise darauf, dass das so sein kann .
Deswegen noch einmal eine grundsätzliche Frage: In
der Öffentlichkeit wird schon darüber diskutiert, ob es
nicht sinnvoll sein könnte, einen öffentlich verwalteten
Fonds einzurichten, um eine umfassende Studie über die
gesundheitsbezogenen Folgen von 70 Jahren Erdgas-
und Erdölförderung in Niedersachsen zu erstellen . Wür-
de sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass Gelder
für einen solchen zu gründenden öffentlich verwalteten
Fonds von der Industrie bereitgestellt werden, alternativ
dazu vom Bund oder dem Land Niedersachsen? Wie ste-
hen Sie zu einem solchen Fonds?
Frau Staatssekretärin .
A
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich glaube, zunächsteinmal ist es wichtig, die Ergebnisse der Umfrage unddie Literaturstudie abzuwarten; denn nur so kann mandie Ursächlichkeit klären, nur so kann man klären, obhttp://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/bothel144.pdfhttp://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/bothel144.pdfhttp://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Krebsfaelle-in-Bothel-Hilferuf-von-200-Aerzten,bothel142.htmlhttp://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Krebsfaelle-in-Bothel-Hilferuf-von-200-Aerzten,bothel142.htmlhttp://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Krebsfaelle-in-Bothel-Hilferuf-von-200-Aerzten,bothel142.html
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ein Zusammenhang zwischen der Erdgasförderung inder Region und den Erkrankungen besteht . Wenn dieseErgebnisse vorliegen, dann wird zu entscheiden sein, obund welche weiter gehenden Untersuchungen durchzu-führen sind . Wir warten sehr gespannt auf die Ergebnisseder Befragung und die Studie .
Noch eine Zusatzfrage?
Ich habe noch eine Zusatzfrage in diesem Zusammen-
hang .
Bitte .
Aktuell wird sehr intensiv über die Frage der inten-
siven Gasförderung in Deutschland diskutiert . Herr
Kümpel von der BGR hat in einem aufsehenerregenden
Aufsatz für den Tagesspiegel sogar die These aufgestellt,
dass die Gefahren, zum Beispiel die Erdbebengefahr, bei
einer intensiven Gasförderung herkömmlicher Art größer
sind als die Gefahren, die möglicherweise durch Fra-
cking hervorgerufen werden könnten . Wie bewerten Sie
denn solche Aussagen? Wäre es vor diesem Hintergrund
nicht tatsächlich sinnvoll, sich noch einmal viel genauer
mit den Ursachen und Folgen intensiver Gasförderung,
insbesondere im Land Niedersachsen, auseinanderzuset-
zen?
A
Zunächst einmal: Das Bundesgesundheitsministerium
ist an den gesundheitlichen Auswirkungen interessiert,
die sich gegebenenfalls aus verschiedenen Förderungen
ergeben können . Dafür haben wir bisher keine belast-
baren Daten . Diese werden derzeit ermittelt . Wenn es
darüber hinausgehende Thesen gibt, die in andere Res-
sorts der Bundesregierung fallen, wird sich die Bundes-
regierung auch damit auseinandersetzen . Aber ich bitte
um Nachsicht, dass das Bundesgesundheitsministerium
zunächst natürlich die gesundheitlichen Auswirkungen
besonders im Blick hat . Dazu brauchen wir valide Kennt-
nisse . Diese sind erst Mitte des Jahres nach der Auswer-
tung zu erwarten .
Danke schön .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Die
Fragen 31 und 32 des Kollegen Matthias Gastel, die Fra-
ge 33 des Kollegen Oliver Krischer sowie die Fragen 34
und 35 des Kollegen Herbert Behrens werden schriftlich
beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit . Die Fragen 36 und 37 der Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung . Zur Beantwor-
tung steht der Parlamentarische Staatssekretär Stefan
Müller bereit .
Ich rufe Frage 38 des Abgeordneten Hubertus Zdebel
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die offenbar weiterhin
im Forschungszentrum Jülich stattfindenden Vorbereitungen
eines Exports der 152 Castorbehälter mit hochradioaktiven
Brennelementen aus Jülich in die USA entsprechend der jetzt
beziehung auch der bestrahlten Brennelemente des THTR
Hamm-Uentrop vor dem Hintergrund einer intensiven Dis-
kussion und einem konsensualen Beschluss der Endlagerkom-
mission vom 2 . Oktober 2015 für ein Exportverbot für hoch-
radioaktive Brennelemente, insbesondere auch für Jülicher
Brennelemente, an dessen Erarbeitung auch das Bundesum-
weltministerium maßgeblich beteiligt war, und in welcher
Weise will die Bundesregierung der von der Endlagerkommis-
sion beschlossenen Exportverbotsempfehlung nachkommen
Herr Staatssekretär, bitte .
S
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Kollege, Sie
fragen ja insbesondere vor dem Hintergrund der Um-
weltverträglichkeitsprüfung, die in den USA angestellt
wird . Ich will noch einmal die Ausgangslage in Erinne-
rung rufen . Das nordrhein-westfälische Ministerium für
Wirtschaft und Energie hatte am 2 . Juli 2014 angeordnet,
dass das Lager in Jülich unverzüglich zu räumen ist . Die
Verantwortung hierfür und für den Verbleib der Brenn-
elemente trägt seit dem 1 . September 2015 die Jülicher
Entsorgungsgesellschaft, die jetzt in Abstimmung mit der
atomrechtlichen Behörde drei Optionen zu prüfen hat,
nämlich die Verbringung der Brennelemente in die USA,
die Verbringung in das Transportbehälterlager Ahaus und
den Bau eines neuen Zwischenlagers am Standort Jülich .
Zur Prüfung der technischen Möglichkeiten der
USA-Option – ich nenne es einmal verkürzt so – gab es
eine Vereinbarung zwischen dem Forschungszentrum
Jülich und dem Department of Energy . Dementsprechend
wird diese Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt .
Das Verfahren dauert entgegen anderslautender Presse-
berichte allerdings noch an . Es gibt lediglich einen Ent-
wurf, und so gibt es jetzt ein Verfahren, um die Öffent-
lichkeit zu beteiligen . Insofern ist dieses Verfahren noch
nicht abgeschlossen .
Ich will ausdrücklich dazusagen, dass die Durchfüh-
rung dieser Umweltverträglichkeitsprüfung ein Schritt
bei der Prüfung dieser sogenannten USA-Option ist, der
bei einer Priorisierung innerhalb der drei Optionen si-
cherlich berücksichtigt wird; aber es ist nicht der einzige
Schritt . Es ist Aufgabe der Jülicher Entsorgungsgesell-
schaft, in Abstimmung mit der atomrechtlichen Behörde,
Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
//energy.gov/sites/prod/files/2016/01/f28/Draft%20DOE%20EA%201977_FOR%20PUBLIC.pdfhttp://energy.gov/sites/prod/files/2016/01/f28/Draft%20DOE%20EA%201977_FOR%20PUBLIC.pdfhttp://energy.gov/sites/prod/files/2016/01/f28/Draft%20DOE%20EA%201977_FOR%20PUBLIC.pdfhttp://www.bundestag.de/blob/390810/6ea047d665800493f63f4f1b6a3e6f78/drs_131-neu-data.pdfhttp://www.bundestag.de/blob/390810/6ea047d665800493f63f4f1b6a3e6f78/drs_131-neu-data.pdf
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 151 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 27 . Januar 201614858
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also dem Ministerium für Wirtschaft und Energie, diePriorisierung entsprechend vorzunehmen .
Zusatzfrage, Herr Kollege? – Bitte .
Danke, Herr Präsident . – Ich habe folgende Zusatz-
frage an Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär: Wie
erklären Sie sich denn, dass in dem Genehmigungsan-
trag bzw . in dieser Umweltverträglichkeitsstudie aus den
USA plötzlich die Abfälle aus Hamm-Uentrop auftau-
chen? Meines Wissens ist es so, dass bisher, zumindest
was den Export von Deutschland angeht, vonseiten der
Bundesregierung gesagt worden ist, dass das überhaupt
nicht zur Diskussion steht und dass diese Abfälle, die
sich ja im Moment in Ahaus befinden, weiterhin in der
Bundesrepublik Deutschland entsorgt werden sollen .
S
Das ist korrekt . All das, was bisher in Antworten auf
schriftliche und mündliche Fragen sowie auf Kleine An-
fragen seitens der Bundesregierung bezüglich der Brenn-
elemente aus dem Reaktor in Hamm-Uentrop ausgeführt
worden ist, gilt nach wie vor . Sie sind nicht Gegenstand
der Verhandlungen mit dem Department of Energy .
Noch eine Frage? – Bitte .
Herr Müller, Sie hatten ja gerade die Varianten ange-
sprochen, die im Moment in der Diskussion sind, was,
grob vereinfachend gesagt, die Entsorgung der Jülicher
Atomabfälle angeht . Der Neubau eines Zwischenlagers
in Jülich ist Variante eins, der Transport in das Zwischen-
lager in Ahaus ist Variante zwei, und der Export in die
USA ist Variante drei . Welche dieser drei Varianten ist
denn aus Sicht der Bundesregierung nach bisheriger Ein-
schätzung der Gesamtsituation die beste?
S
Dazu kann es zum jetzigen Zeitpunkt keine Einschät-
zung der Bundesregierung geben . Im Übrigen ist das Sa-
che der Jülicher Entsorgungsgesellschaft in Abstimmung
mit der atomrechtlichen Behörde, nämlich dem nord-
rhein-westfälischen Wirtschafts- und Energieministeri-
um . Diese drei Optionen werden ergebnisoffen geprüft .
Bislang liegt aber noch kein Ergebnis der Prüfung vor .
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanz-
lerin und des Bundeskanzleramtes . Die Frage 39 des Ab-
geordneten Andrej Hunko wird schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Wirtschaft und Energie . Die Frage 40 des
Abgeordneten Oliver Krischer und die Fragen 41 und 42
der Abgeordneten Dr . Julia Verlinden werden schriftlich
beantwortet .
Wir sind damit am Ende der Fragestunde .
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 .45 Uhr, also bis
zum Beginn der Aktuellen Stunde in fünf Minuten .
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet .
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zu aktuellen
Armuts- und Reichtumsstudien
Erster Redner dieser Aktuellen Stunde ist der Abge-
ordnete Dr . Dietmar Bartsch, Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hattenin der letzten Woche diverse Berichte zu einem Thema,das uns – alle leider offensichtlich nicht ganz so – inter-essieren sollte: Armut und Vermögensungleichheit in un-serem Land . Ich will insbesondere auf die Oxfam-Studieeingehen, die einige Zahlen hervorgebracht hat, die unsmehr als nachdenklich stimmen sollten .Sie haben alle zur Kenntnis genommen, dass 62 Men-schen – 53 Männer und 9 Frauen – zusammen genausoviel besitzen wie 3,6 Milliarden Menschen auf dieserWelt . Vor einem Jahr waren es sogar noch 80 Menschen;es sind also noch weniger geworden . Die Vermögen die-ser 62 sind in den letzten fünf Jahren noch einmal um44 Prozent auf 1,76 Billionen Dollar gestiegen; das sindsechs Bundeshaushalte . Das, meine Damen und Herren,ist asozialer Reichtum,
zumal das Vermögen der 3,6 Milliarden Menschen, diegenauso viel besitzen, im selben Zeitraum um 41 Prozentzurückgegangen ist . Das ist ungerecht, und das ist un-menschlich . Das hat im Übrigen mit dem Thema, das wirhier nahezu täglich besprechen, nämlich dem der Flücht-linge, sehr viel zu tun . Diese Zahlen sollten uns alle, undzwar fraktionsübergreifend, aufrütteln . Es ist Aufgabeder Politik, das zu ändern .
Diese weltweite Ungerechtigkeit und ihre Folgen sindnicht gottgewollt, sondern Ergebnis falscher Politik, mei-ne Damen und Herren . Das hat mit dem Wirtschaftssys-tem zu tun, und das hat mit den Machtverhältnissen zutun, und die müssen geändert werden . Jedenfalls ist dasdie Position der Linken .
Parl. Staatssekretär Stefan Müller
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Wir sind uns mit Sicherheit einig, dass wir nicht zu-lassen dürfen, dass auf dieser Welt Kinder verhungern .Wir müssen das gemeinsam verhindern . Deshalb ist esdie Aufgabe, hier einzuschreiten .Die größte Vermögensungleichheit innerhalb derEuro-Zone besteht, wie der Bericht feststellt, bei uns,in Deutschland: Die 10 reichsten Prozent der Haushal-te besitzen 63 Prozent des Gesamtvermögens, und dergrößte Anteil – das ist der eigentliche Skandal – entstehtdurch Erbschaften und Schenkungen; auch das ist imBericht nachzulesen . Wenn die 500 reichsten Familienin Deutschland ein Vermögen von 615 Milliarden Eurobesitzen, dann ist im Lande etwas nicht in Ordnung, unddann sind wir gefordert, meine Damen und Herren .
Mit dem Reichtum in Deutschland muss mehr getanwerden, um auch die Probleme in der Welt zu lösen .Wenn wir endlich 0,7 Prozent unseres Bruttoinlandspro-dukts für Entwicklungspolitik ausgeben würden, was seitJahren von unterschiedlichen Bundesregierungen postu-liert wird, wären wir wirklich einen Schritt weiter .
Hunger und Durst – egal was deren Ursachen sind – sindimmer grausam und unmenschlich; da sind wir uns einig .Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, sind eben auch Bot-schafter des Elends auf dieser Welt, meine Damen undHerren .
Wenn wir dafür mitverantwortlich sind – deutsche Poli-tik ist mitverantwortlich dafür –, dass jährlich weltweitüber 1 500 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegebenwerden, dass Rüstungskonzerne blutige Profite machen –und es ist nichts anderes – und auf der anderen Seite demUNHCR die Mittel fehlen, um die Lager auszustatten,dann ist etwas völlig nicht in Ordnung, dann muss ge-handelt werden .
Deshalb muss Schluss sein mit dem Diskussionstabuder Regierungsparteien, wenn es um eine gerechte Steu-erpolitik in unserem Land, in Europa und in der Weltgeht . Warum ist es denn so unmöglich, eine europaweiteMillionärssteuer einzuführen, durch die diejenigen, dievon all den Krisen profitiert haben, zur Kasse gebetenwerden?
Es muss doch bei hohen Freibeträgen möglich sein, hieretwas abzuholen, um die Armut in der Gesellschaft zuüberwinden .Genauso ist es im Übrigen auch mit der Erbschaftsteu-er . Wir brauchen eine andere Reform und nicht das Pil-lepalle, das Sie hier vorschlagen . In den nächsten Jahrenwerden über 3 Billionen Euro vererbt . Hier muss mehrabgeholt werden, damit die Probleme, die in dem Berichtvon Oxfam ausgewiesen sind, wirklich angegangen wer-den .Nicht zuletzt wurde auch zu den Steueroasen um-fangreich etwas gesagt . Es ist festgehalten, dass reicheEinzelpersonen rund 7,6 Billionen Euro in Steueroasenangelegt haben . In den Heimatländern gehen damit über190 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen verloren, diefür Bildung, Krankenversorgung und Investitionen feh-len . Das ist doch inakzeptabel .Die Koalitionspartner fetzen sich über die Flüchtlings-zahlen . Wir sagen: Es gibt in dieser Regierung leider kei-ne moralische Obergrenze, sodass die Milliardenvermö-gen immer mehr steigen können, und das darf man nichtzulassen .
Es ist genug Geld da, um weltweit Hunger, Durst undmedizinische Unterversorgung zu überwinden . Das gehtaber nicht, wenn man keine entschlossene Umverteilunganstrebt . Keiner der Multimilliardäre auf dieser Welt –auch keiner in Deutschland – würde dadurch verarmen,und das ist eben keine Neiddebatte .Es bleibt dabei: Die teuersten Flüchtlinge sind dieSteuerflüchtlinge, und wir in diesem Haus haben hier zuhandeln .Herzlichen Dank .
Es gibt jedenfalls für die Redezeit in der Aktuellen
Stunde eine Obergrenze von fünf Minuten . Diese wurden
gerade ein bisschen überschritten, aber in Zukunft wollen
wir sie einhalten .
Als nächster Redner hat Dr . Matthias Zimmer, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-lege Bartsch, wir sollten uns davor hüten, hier falscheFrontstellungen aufzubauen . Ich glaube, es gibt einenKonsens in diesem Haus, dass die Entwicklungshilfe, dieODA-Mittel, angehoben werden – das ist wichtig undrichtig – und die UNHCR-Mittel fließen müssen.
Dr. Dietmar Bartsch
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Keiner tut dafür mehr als unsere Bundeskanzlerin, undich freue mich, dass das in diesem Haus auch weitgehendunterstützt wird .
Herr Kollege Bartsch, Sie haben Steueroasen und dieFinanztransaktionsteuer angesprochen . Wir haben dieBeschlusslage, die Steueroasen auszutrocknen und eineFinanztransaktionsteuer einzuführen . Nichts lieber alsdas! Natürlich, selbstverständlich!
Frau Kollegin Andreae, lieber Herr Kollege Bartsch, dasfunktioniert aber eben nicht par ordre du mufti – „leider“muss man hier vielleicht sagen –, sondern man muss danneben auch die Kolleginnen und Kollegen in den andereneuropäischen Ländern davon überzeugen, dass es gut undwichtig und im Interesse aller in Europa und in der Weltist, Steueroasen auszutrocknen und eine Finanztransak-tionsteuer einzuführen . Dann wird etwas daraus . So wieSie sich das vorstellen,
dass nämlich die deutsche Bundesregierung hier einfacheine Ordre gibt, kann das Geschäft natürlich nicht funk-tionieren . Das unterscheidet unseren Politikstil auch vonIhrem .
Meine Damen und Herren, wir diskutieren über dasThema „Armut und Reichtum“ an diesem Tag vor demHintergrund der Veröffentlichung des Jahreswirtschafts-berichts 2016 der Bundesregierung in diesen Minuten .Der Jahreswirtschaftsbericht 2016 lässt einiges Positiveerahnen und erhoffen . In ihm wird zum Beispiel ausge-wiesen, dass die Wachstumsrate im Jahr 2016 vermutlich1,7 Prozent betragen wird .
Ich glaube, das ist doch die ganz entscheidende Bot-schaft:
Der beste Weg, Armut zu beseitigen, ist ein vernünftigesWachstum . Genau dafür sorgt diese Bundesregierung,sorgen die Bundeskanzlerin und der Bundeswirtschafts-minister .
Ich sage aber auch, weil das in dem Gutachten an-klingt und weil es an diesem Tag vielleicht einmal gesagtwerden sollte: Dem Vorschlag der Wirtschaftsweisen,den Mindestlohn für die Flüchtlinge zu suspendieren,werden wir nicht folgen .
Ich finde es schädlich, ich finde es falsch, ich finde esvor allen Dingen nicht richtig, die Flüchtlinge gegen dieNiedrigverdiener auszuspielen . Das entspricht nicht un-serem Menschenbild .
Der Markt, meine Damen und Herren, ist nicht alles, son-dern der Mensch steht über dem Markt .
Das ist die Maxime, die wir als christliche Demokratenhaben .
Vielleicht noch ein Wort zu dem Oxfam-Bericht . Auchich habe ihn gelesen . Darin gibt es natürlich eine ganzeReihe von statistischen Verzerrungen, aber gut .
– Na ja . Die Wissenschaftler von den Linken haben ge-sagt: Das stimmt nicht . – Deswegen glaube ich das . Dasist in Ordnung .
– Der Glaube spielt bei uns eine große Rolle . Das istwohl wahr . Aber auch das Wissen spielt eine große Rol-le . Man muss den Unterschied kennen, gnädige Frau . Dieentscheidende Frage ist: Ist Ungleichheit – darauf läuftder Dissens mit den Linken hinaus – schädlich oder nichtschädlich für Gesellschaften?
Die Antwort darauf ist weder ein einfaches Ja noch eineinfaches Nein . Bei Matthäus zum Beispiel lesen wirsehr deutlich, dass eine Gesellschaft, die in sich selbstgespalten ist, keinen Bestand hat . Das gilt natürlich auchfür ökonomische Ungleichheit .Gleichzeitig ist aber ein gewisses Maß an Ungleich-heit auch ein Maß an Freiheit und ein Maß, das uns In-novation und Wachstum ermöglicht . Das wollen wir alschristliche Demokraten haben . Das entspricht ebenfallsunserem Menschenbild . Unserem Menschenbild ent-spricht es eben nicht, die Gleichheit zugunsten der Frei-heit überzubetonen .
Ein letzter Gedanke, Herr Kollege Bartsch, was dieEntwicklung der Ungleichheit angeht: Wenn man beiDr. Matthias Zimmer
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Thomas Piketty in seinem Buch Das Kapital im 21. Jahr-hundert nachliest, dann stellt man fest, dass die Entwick-lung der Ungleichheit in den westlichen Demokratien inden letzten 80 Jahren deutlich abgenommen hat, um dannin den letzten 20 Jahren moderat zu steigen . Ich glaube,das ist kein Grund für Alarmismus, wie Sie uns das hiervormachen wollen, sondern das ist Grund für eine nüch-terne Betrachtung dessen, was wir unter sozialer Markt-wirtschaft verstehen: mit einem Ausgleich von Gleich-heit und Freiheit .Herzlichen Dank .
Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Kerstin
Andreae, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Zimmer, jetzt haben Sie mich an einer Stelle echtenttäuscht .
Dieser Jahreswirtschaftsbericht und die Betonung aufdem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent: Mein Gott,der Jahreswirtschaftsbericht ist nicht nur ökologischblind, sondern er ist auch sozial gleichgültig, weil ein-fach nicht dargestellt wird, wie sich der Wohlstand indieser Gesellschaft verteilt .
Ein Streit über die Frage, ob jetzt die Statistik der Ox-fam-Studie richtig gerechnet ist oder nicht: Mein Gott, sowhat! Fakt ist, dass die Schere zwischen Arm und Reichnational und global auseinandergeht .
Es ist eine Aufgabe für uns alle, dagegen etwas zu tun .
Natürlich gibt es eindeutig Probleme am unteren Endeder Einkommens- und Vermögensskala; das ist doch of-fensichtlich . Viel zu viele Menschen haben viel zu we-nig . Gleichzeitig verfestigt sich Armut . Dieses Ausein-anderdriften schadet einer Gesellschaft . Es schadet demZusammenhalt einer Gesellschaft . Es schadet dem Ge-fühl, dabei zu sein . Es schadet dem Gefühl, an der gesell-schaftlichen Entwicklung teilzuhaben .Es ist auch wirtschaftlich schädlich . Ich stelle jetztnicht die Frage, was es heißt, wenn große Konzerne im-mer mehr Einfluss auf die Politik nehmen. Das ist viel-leicht einmal ein Thema für eine andere Debatte . AberExistenzängste schaden der Kreativität . Sie schaden derInnovation . Wie sollen sich Menschen, die sich Sorgenmachen, ob sie auch noch morgen ihre Existenz sichernkönnen und ob es ihren Kindern gut geht, kreativ entfal-ten? Deswegen sind dieses Auseinanderdriften und dieseVerfestigung von Armut bei den unteren Einkommens-schichten einfach auch wirtschaftlich schädlich . Es stün-de Ihnen gut an, dies anzuerkennen .
Als Erstes müssen wir am Arbeitsmarkt ansetzen . Dasheißt, wir müssen Menschen mit geringem Einkommenin den Blick nehmen .Was Sie in den letzten Monaten bzw . in dieser Legis-laturperiode im Gesundheitsbereich und bei den Rentengemacht haben, hat doch faktisch zur Folge gehabt, dassdie Sozialkassen belastet wurden .
Wenn wir fixe Sozialabgaben haben, dann trifft das vorallem Menschen im unteren Einkommensbereich, weilsich 20 Prozent bei einem geringeren Einkommen stär-ker auswirken als bei hohen Einkommen . Das heißt, Siehaben mit Ihrer Politik Menschen mit geringem Einkom-men überproportional belastet . Auch das hat dazu ge-führt, dass es ihnen jetzt schlechter geht .
Ja, der Mindestlohn war absolut richtig . Aber wir ha-ben neue Entwicklungen . Wir erleben eine Digitalisie-rung am Arbeitsmarkt, die zu den sogenannten Crowd-,Cloud- und Click-Workern führt .
Faktisch ist das die Entwicklung einer prekären Arbeits-schicht, die Sie in den Blick nehmen müssen . Darübermüssen Sie sich Gedanken machen . Neue Herausforde-rungen brauchen neue Antworten . Reden wir doch ein-mal über Mindesthonorare für diese Gruppen . Reden Siedarüber! Ich fordere im Übrigen auch die Gewerkschaf-ten auf, sich darüber Gedanken zu machen .
Sehenden Auges laufen wir in die Situation, dass eseine neue prekäre Arbeitsschicht gibt . Machen Sie sichdarüber Gedanken! Das stünde tatsächlich an .
In der Steuerpolitik ist ohne Zweifel viel zu tun . Es istein absolutes Unding, dass es bisher nicht gelungen ist,die Abgeltungsteuer abzuschaffen . Warum im Himmelwerden Lohneinkommen und Kapitaleinkommen unter-schiedlich besteuert? Wir haben den Informationsaus-tausch . Ihr Argument, wir wüssten nicht, wo die Kapital-einkommen anfallen, weswegen wir die Abgeltungsteuervon 25 Prozent brauchen, ist hinfällig . Schaffen Sie sieab!
Dann gehen Sie tatsächlich an die hohen Einkommen he-ran . Denn die Abgeltungsteuer ist für Menschen mit ho-Dr. Matthias Zimmer
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hen Einkommen, die noch richtig Geld anlegen können,interessant . Aber leider beträgt sie nur 25 Prozent; es gibtkeine progressive Besteuerung . Macht das doch endlich!Das sagen im Übrigen alle – ihr sagt es; der Finanzminis-ter sagt es –: Die Abgeltungsteuer kann weg .Letzter Punkt: die Kinderarmut . Sie ist viel zu hoch .Es ist nach wie vor so: Wenn Sie alleinerziehend sindoder eine kinderreiche Familie haben, dann stehen IhreChancen gut, dass es Ihnen schlecht geht . Dass Kinder inDeutschland nach wie vor ein Armutsrisiko sind, ist einabsolutes Unding .
Was das für die Kinder in Bezug auf Teilnahme, Teilha-be, Stigmatisierung, aber auch die Verfestigung von Ar-mut bedeutet, ist hochproblematisch .Die Ganztagsbetreuung, den Ausbau von Kitaplätzenund die Durchlässigkeit im Bildungssystem haben wirrauf- und runterdiskutiert .
Aber wissen Sie, was mich wahnsinnig ärgert? Das be-trifft das Kindergeld . Meine Kinder sind 240 Euro wert,und zwar jedes Kind . Im mittleren Einkommensbereichbekommt man 190 Euro, und bei einer Hartz-IV-Emp-fängerin wird das Kindergeld voll angerechnet . Mit demSatz, dass jedes Kind gleich viel wert ist, hat das über-haupt nichts zu tun . Das ist zutiefst ungerecht . MachenSie etwas dagegen!
Und schließlich die Erbschaftsteuer .
Frau Kollegin, denken Sie an die Zeit .
Ich sehe es . Noch ein Punkt . – Einigt euch endlich bei
der Erbschaftsteuer! Die Erbschaftsteuer ist eine Gerech-
tigkeitssteuer . Wer mit dem goldenen Löffel im Mund
geboren wird, dem geht es besser als jemandem, dessen
Eltern wenig Geld haben . Diese Gerechtigkeitssteuer
müssen Sie in Angriff nehmen . Da müssen Sie etwas tun .
Wir haben das Problem der Abgrenzung zwischen Pri-
vat- und Betriebsvermögen . Dieses Problem sehen wir .
Aber das Finanzministerium ist gefordert, eine Balance
zu finden. Wirtschaftlich vernünftige Vermögensbesteue-
rung, wirtschaftlich vernünftige Erbschaftsteuer und die
Beteiligung von großen Vermögen und Erbschaften an
der Finanzierung des Gemeinwesens – das wäre Ihr Job .
Frau Kollegin Andreae .
Dazu warte ich auf eine Antwort . Da kommt nichts .
Danke schön .
Nächste Rednerin ist für die SPD-Fraktion Daniela
Kolbe .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wenn so unterschiedliche Organisationenwie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds,aber auch der DGB, die OECD und sogar das Weltwirt-schaftsforum das Gleiche sagen, dann ist das zunächsteinmal irritierend . Es lässt einen stutzen und ins Grübelnkommen . Es zeigt aber auch, dass es sich lohnt, genau-er hinzuschauen . Denn alle gemeinsam sagen, dass diewachsende globale Ungleichheit ein Riesenproblem fürunsere Welt ist, das wir dringend angehen müssen . Dassage ich auch Ihnen, Herr Dr . Zimmer, weil Sie geradevon akzeptabler Ungleichheit gesprochen haben . Das,was wir weltweit sehen, ist vollkommen inakzeptabel .
Diese Ungleichheit ist in vielerlei Hinsicht ein Pro-blem: zunächst einmal für die Betroffenen, für die Ärms-ten in den Gesellschaften, die nach den Studien nicht nurrelativ, sondern auch in absoluten Zahlen ärmer werden .In manchen Ländern geht es da ums nackte Überleben .Aber auch in Deutschland geht es für die Betroffenen umLebenschancen, um Teilhabe . Es ist aber auch ein Pro-blem für ganze Volkswirtschaften . Studien der OECDbesagen glasklar: Einkommensungleichheit ist eineWachstumsbremse – auch in Deutschland . Insofern wi-derspreche ich Ihnen da ganz klar, was das Akzeptierenangeht .
– Wir führen die Debatte vielleicht an anderer Stelle wei-ter . Ich habe leider nur fünf Minuten Zeit, und Zwischen-fragen kann ich jetzt leider auch nicht zulassen .Ungleichheit ist aber auch an anderen Stellen negativ,nicht nur für die Ärmsten und für die Volkswirtschaft,sondern für alle Betroffenen der jeweiligen Gesellschaft .Kerstin Andreae
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Das ist unterhaltsam, aber auch sehr erschreckend nach-zulesen in dem Buch Gleichheit ist Glück; es ist schonetwas länger auf dem Markt und macht ganz deutlich:In Gesellschaften mit hoher Ungleichheit sind die Men-schen unzufriedener, sie fühlen sich unsicherer, und auchdas Bildungsniveau nimmt ab . Der Bildungserfolg derKinder in diesen Gesellschaften nimmt ab .Ich möchte mich hier gar nicht in einzelne Zahlen oderStudien verlieren . Fakt ist doch: Die Schere zwischenArm und Reich klafft auch in Deutschland aus unsererSicht zu weit auseinander, und sie schließt sich nicht so,wie wir uns das wünschen .
Für uns Sozialdemokraten ist es ein Ansporn, und wirsagen selbstbewusst: Wir haben auch schon jede Mengegetan . Zur guten Arbeitsmarktsituation in Deutschlandsagen wir selbstbewusst: Das haben Sozialdemokratenorganisiert .
Wenn wir uns die Primärverteilung anschauen, alsodie Einkommensverteilung vor Steuern und Sozialabga-ben, dann sagen wir Sozialdemokraten – das ist für unsein ganz aktuelles, wichtiges Thema –: Wir haben denMindestlohn umgesetzt und durchgekämpft, wir habendie Tarifbindung gestärkt und werden das weiter tun, undwir regulieren Leiharbeit und Werkverträge .
Auch für die sekundäre Verteilung – zum Beispiel imSozialsystem – haben wir einiges getan . Wir sind die Si-tuation von Alleinerziehenden endlich angegangen; denndie sind besonders von Armut bedroht . Wir haben dasThema Langzeitarbeitslosigkeit auf der Agenda . AndreaNahles hat hier Programme aufgelegt, und wir werdenweiter dafür streiten . Und: Wir streiten für eine solida-rische Lebensleistungsrente . Die haben wir in den Ko-alitionsvertrag hineingekämpft, und die muss jetzt auchkommen, um Altersarmut abzumildern .
Wir wollen auch mehr Steuergerechtigkeit . Ich freuemich, dass wir bei der Finanztransaktionsteuer einerMeinung sind . Wir hatten uns auch andere Dinge vorge-stellt, wir haben es nicht im Koalitionsvertrag verhandelnkönnen .
Aber es bleibt richtig, dass sehr reiche Menschen, dasssehr breite Schultern auch mehr tragen können und müs-sen . Das gilt insbesondere für Kapitalerträge und für sehrgroße Erbschaften . Ich rede hier von Villen und nicht vonOmas kleinem Häuschen . Aber bei den 25 Prozent habenwir uns an dieser Stelle nicht durchsetzen können . Wermehr Steuergerechtigkeit durchsetzen möchte, der mussdas Kreuz auch an der richtigen Stelle machen .
Meine Beispiele zeigen auch: Steuern sind wichtig,aber der Staat kann eben auch an vielen anderen Stellenfür die Verteilung vieles erreichen . Und wir tun das auch .Zentral ist auch, wie man mit der Verteilungsfra-ge mental umgeht . Wir Sozialdemokraten sagen: Nichtkleinreden, nicht wegschauen . Wir schauen genau hin .Deswegen haben wir auch den Armuts- und Reichtums-bericht initiiert; dieser wird im Sommer zum fünften Malvorgelegt werden mit Schwerpunkten wie beispielsweiseatypische Beschäftigung, Kinderarmut und auch Reich-tum, über den wir in Deutschland erschreckend wenigwissen. Die Beratung findet sehr transparent statt. Siekönnen sich schon jetzt im Internet informieren . Und ichfreue mich auf die wichtigen Debatten zu diesem Berichtnoch in diesem Jahr. Denn ich finde, es ist eine ganz zen-trale Debatte – nicht, um sich unbedingt zu profilieren,sondern um das Thema anzugehen und zu mehr Vertei-lungsgerechtigkeit in unserem Land zu kommen .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Carsten
Linnemann, CDU/CSU-Fraktion .
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Herr Bartsch, Sie haben ein wichtigesThema angesprochen: die internationale Steuerverschie-bung in Steueroasen . Wir haben nicht erst seit Jahren,sondern seit Jahrzehnten auf globaler Ebene Problemedamit, dass das Geld nicht dort versteuert wird, wo dieBruttowertschöpfung stattfindet. Interessant ist festzu-stellen: Obwohl wir seit Jahren darüber reden, erwähnenSie nicht, dass wir endlich nach einer langen Debattedurch das Engagement von Wolfgang Schäuble erstenseinen G-20-Beschluss und zweitens einen OECD-Planhaben, der vorsieht, dass wir das Thema angehen, sowiedrittens schon die ersten Erfolge sehen . Das sollte mannicht negieren . Vielmehr sollte man Herrn Schäuble unddie Bundesregierung bei ihren Bestrebungen unterstüt-zen .
Interessant ist ebenfalls – das muss man objektivsagen –, dass bei den Statistiken über die Vermögens-verteilung – das gilt auch für die aktuellen Daten desStatistischen Bundesamts – der Referenzwert bzw . dasBasisjahr bei der Interpretation entscheidend ist . Wennich 2003 mit 2013 vergleiche, dann erkenne ich, dassder entsprechende Wert gestiegen ist . Wenn ich aber alsReferenzjahr 2008 nehme, muss ich konstatieren, dasses nicht nur einen stabilen, sondern einen rückläufigenTrend gibt . Das heißt, die Vermögensunterschiede habenam Rand abgenommen . Ich will mich aber nicht über dieTechnik und die Quellen streiten . Interessant ist aber aus-weislich aller Studien und Statistiken die Tatsache, dassdie Vermögensbildung insgesamt, also nicht nur in denDaniela Kolbe
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unteren Schichten, sondern auch in der Mittelschicht,abnimmt . Einige erklären das mit dem niedrigen Zins-niveau . Trotzdem ist das eine interessante Tatsache . Wirmüssen uns die Frage stellen: Was können wir tun, damites Vermögensbildung auch in den unteren Schichten so-wie in der Mittelschicht gibt?Die Wohneigentumsquote in der Europäischen Unionsollte uns allen zu denken geben . In Ländern wie Kro-atien, Ungarn und Norwegen liegt die Wohneigentums-quote bei 80 bis 90 Prozent . In Frankreich liegt sie bei65 Prozent und im Vereinigten Königreich bei 64 Pro-zent . In Deutschland ist nur jede zweite Wohnung selbstbewohntes Eigentum . Damit müssen wir uns befassen .
Frau Nahles, das Arbeitsministerium sagen zu Recht:Das liegt daran, dass in Deutschland im Vergleich zumeuropäischen Ausland die jungen Leute eher von zu Hau-se ausziehen, dann Miete zahlen und weniger die Mög-lichkeit nutzen, Vermögen aufzubauen . Es liegt sicher-lich auch am Niedrigzinsumfeld . Nach der Taylor-Regelmüssten wir aufgrund der konjunkturellen Situation inDeutschland – das sagen alle Volkswirte – eigentlicheinen Zinssatz von 2 Prozent, 2,5 Prozent oder sogar2,7 Prozent haben . Einen solchen Zinssatz haben wirnicht, weil der EZB aufgrund der bekannten Situation inSüdeuropa die Hände gebunden sind .
So lautet jedenfalls die Argumentation der EZB .
Ich habe eine andere Meinung . Nicht trotz, sondernwegen des Niedrigzinsumfeldes müssen wir uns mit demVermögensaufbau mehr befassen . Wie können wir pri-vates Wohneigentum mehr fördern? Wie können wir diebetriebliche und private Altersvorsorge voranbringen?Angesichts des Niedrigzinsumfeldes geht es hier umAkzeptanz . Auch hier sollten wir Herrn Schäuble unter-stützen, der das zusammen mit dem Arbeitsministeriumfederführend macht . Wenn das entsprechende Gutachtenvorliegt, reden wir darüber, wie wir die betriebliche undprivate Altersvorsorge stützen und stärken können; dasist wichtig . Spätestens wenn der Bericht vorliegt, werdenwir über die entsprechenden Fragen diskutieren .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Sabine
Zimmermann, Fraktion Die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Eigentlich sollte ich entsetzt sein über das, wasich von Ihnen zu Arm und Reich in unserem Land undauf der Welt gehört habe . Aber ehrlich gesagt, ich habenichts anderes erwartet . Sie leugnen die himmelschrei-enden Unterschiede zwischen obszönem Reichtum aufder einen Seite und bitterer Armut auf der anderen Seitein diesem Land . Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dassArmut nicht nur auf der Welt, sondern auch in unseremLand vorhanden ist . Aber das tun Sie nicht .
Worum geht es? 10 Prozent gehört mehr als die Hälftedes Gesamtvermögens, und das sind nur Ihre offiziellenDaten .
– Hören Sie mir bitte zu! Dann werden Sie die Lage inDeutschland vielleicht ein bisschen besser verstehen .
Wie gesagt, das sind nur die offiziellen Daten Ihrer-seits . Ich zitiere einmal die taz:In Wahrheit dürften die obersten 10 Prozent übermindestens 62 Prozent des Volksvermögens verfü-gen . Genaues weiß man nicht: Reichtum ist anonymin Deutschland .Aber letztendlich ist es auch egal, ob den reichsten10 Prozent mehr als 2,5 Billionen oder 3,1 BillionenEuro gehören . Ich will einmal plastisch darlegen, wieviel Geld das ist . 2,5 Billionen sind 2 500 mal 1 Milliar-de . Was macht man mit so viel Geld?Armut ist kein Thema, auch wenn sie zu sehen istund wenn sie zunimmt . Man braucht nur hinzuschauen .Man sieht sie jeden Tag in den Kindertagesstätten, in denSchulen, in den Jobcentern, aber auch an den Tafeln . Dascheinen Sie, Herr Zimmer, nie zu sein . Ich will Ihneneine Zahl nennen, die ich herausgesucht habe . Wir hatten1994 4 Tafeln in Deutschland . Im Jahr 2003 haben wir320 Tafeln gehabt . Diese Zahl hat sich seit 2003 verdrei-facht . Wir haben über 900 Tafeln . Das ist die Realität inDeutschland . Nehmen Sie die endlich zur Kenntnis . Dasist beschämend .
Ich selbst – das muss ich Ihnen sagen – bin oft beiden Tafeln. Ich finde es sehr traurig, wenn ich sehe, wiedie Kinder in der Schlange stehen und dort ihr Essen ab-holen, wenn ich sehe, wie Kinder in der Suppenküchestehen, um eine warme Mahlzeit zu erhalten, aber auchwenn ich sie in der Kleiderkammer sehe, wo sie sich einewarme Jacke abholen . Das ist die Realität . Sie könnendie Armut nicht verstecken . Sie ist da, und man sieht sie;sie ist sichtbar .Auf der Homepage des Sozialministeriums findet sichder folgende, sehr richtige Satz: „EinkommensreichtumDr. Carsten Linnemann
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bedeutet … ein hohes Maß an Gestaltungs- und Verwirk-lichungschancen .“ Das gilt aber auch umgekehrt . Armutan Einkommen und Vermögen bedeutet auch, dass mansein eigenes Leben nicht mehr gestalten kann . Es bedeu-tet, dass man seinen Wohnsitz nicht mehr frei wählenkann, weil die Mieten so hoch sind . Es bedeutet, dassman nicht mehr alles essen kann, was man gern möchte .Biokost ist völlig unbezahlbar .Man kann sich aber auch nicht so kleiden, wie manes gern möchte . Es bedeutet auch einen Ausschluss vonsozialen Aktivitäten. So finden zum Beispiel die Besuchevon Kino oder Tierpark bei Familien, die im Hartz-IV-Bezug sind, nicht mehr statt . Das betrifft aber auch El-tern, die im Niedriglohnbereich arbeiten . Das bedeutet,dass man seinen Kindern nicht mehr das kaufen kann,was sie sich wünschen oder was sie brauchen . Das ist Re-alität . Schauen Sie sich dort einmal um . Das betrifft auch1 Million Langzeiterwerbslose, die von der Zunahme derBeschäftigung, die Sie immer so schön darstellen – Siesprechen immer von Boom –, überhaupt nicht profitieren.Aber wir sehen das auch bei Menschen, die arbeiten undvon ihrem Lohn nicht leben und ihre Familien nicht er-nähren können . Das wird auch nicht besser .Nun sagen Herr Linnemann und auch das Sozialminis-terium, dass die Kluft zwischen den reichsten Menschenim Lande und der unteren Hälfte in den letzten Jahrenstatistisch kleiner geworden ist . Ja, aber das liegt daran,dass im Zuge der Wirtschaftskrise Aktien und Wertpapie-re an Wert verloren haben . Es hat sich aber nichts darangeändert, dass 30 Prozent bei uns in Deutschland statis-tisch kein Vermögen, sondern Schulden haben . Daran hatsich nichts geändert . Diese 30 Prozent arbeiten auch imNiedriglohnbereich, und diese 30 Prozent gehen nichtwählen . Diejenigen, die abgehängt sind oder die sich zu-mindest so fühlen, suchen natürlich nach Schuldigen fürihre Lage . Die AfD, die nicht einmal weiß, wie das Wort„sozial“ geschrieben wird, liefert ihnen die Sündenbö-cke .Gerade junge Menschen sehen oft keine Perspektivemehr, sie haben das Gefühl, dass für sie nichts getan wirdoder dass sie gar nicht mehr zählen . Da ist die Gefahrvon rechts besonders groß . Wir brauchen uns bloß diedeutsche Geschichte oder den bedenklichen Rechtsruckin ganz Europa anzuschauen .Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . Es reichteinfach nicht, wegzusehen, wenn Reiche immer reicherwerden . Tun Sie endlich das, was auch das Sozialstaats-gebot im Grundgesetz von Ihnen verlangt . Tun Sie end-lich etwas gegen die extreme Spaltung in unserer Gesell-schaft .
Führen Sie endlich die Millionärssteuer ein .Danke schön .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat Kerstin Griese für die
SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir sehen nicht weg . Im Gegenteil: Wir diskutieren übereine ganz wichtige Grundsatzfrage, mit der wir uns imAusschuss für Arbeit und Soziales oft beschäftigen unddie für uns in der SPD ganz zentral ist . In der Tat: Es gibtkeine Argumente für eine so große globale Ungleichver-teilung von Ressourcen und Vermögen . Es ist ein Skan-dal, dass weltweit immer noch 1 Milliarde Menschen inextremer Armut lebt . Deshalb geht es auch darum, euro-paweit und auch weltweit gerechte Arbeits- und Lebens-bedingungen zu fordern .
Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialeswaren in Asien und haben sich vor Ort über die unglaub-liche Tragödie des Einsturzes des Rana-Plaza-Gebäu-des in Bangladesch informiert und haben an die über1 100 Menschen, die ihr Leben verloren haben, und andie 2 000 Menschen, die verletzt wurden, erinnert . Inso-fern geht es auch um weltweite Regeln für gute Arbeits-bedingungen .
Wenn wir auf den Rahmen schauen, den wir hier inDeutschland gestalten können, wenn wir auf das schau-en, was wir hier regulieren können, erkennt man: Manmuss die Lage sehr differenziert sehen . Ich will dreiPunkte nennen, bei denen man ansetzen kann .Erstens . Es war ein rot-grünes Projekt – ich betone esnoch einmal –, die Armuts- und Reichtumsberichterstat-tung als ständige Aufgabe mit Berichtspflicht zu imple-mentieren. Das war ein guter Schritt. Ich finde es sehrgut, dass das Bundesministerium für Arbeit und Sozialesden Prozess jetzt so transparent gestaltet, dass daran allemitwirken können – es hat extra ärmere Menschen an derAuswertung beteiligt – und dass auch der Reichtum ge-nauer untersucht werden soll . Wir sind auf die Ergebnissedes nächsten Armuts- und Reichtumsberichts gespannt .
Zweitens . Wenn wir die Ursachen von Armut konkretuntersuchen, dann können wir an der richtigen Stelle an-setzen . Es geht um Vermögensentwicklung und Vermö-gensspreizung – darüber ist schon gesprochen worden –;aber es geht eben auch um Einkommensentwicklung undEinkommensspreizung . Da kann die Politik sehr direktetwas tun .Interessant ist, dass der letzte Armuts- und Reichtums-bericht ergeben hat, dass bis 2005 die sogenannte quali-fikatorische Lohnspreizung zugenommen hatte, dass dieSabine Zimmermann
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Arbeitslosigkeit angestiegen war und dass die Arbeitslo-sigkeit für eine zunehmende Einkommensspreizung ver-antwortlich war . Aber seit 2005 hat sich das gedreht undleicht gebessert . Die positive Entwicklung auf dem Ar-beitsmarkt, die wir jetzt zu verzeichnen haben, der Rück-gang der Arbeitslosigkeit, all das ist ein wesentliches undentscheidendes Moment, um Armut zu verhindern .
– Danke schön, Herr Kollege .Übrigens haben wir die strukturellen Reformen amArbeitsmarkt gemeinsam durchgesetzt, deren Ziel es jawar, viel mehr Menschen die Chance zu geben, durchArbeit ihr Leben selbstständig zu gestalten und integriertzu werden .
Das war notwendig, es war im Grundsatz richtig, und eshatte – das ist wichtig für unser Thema – eine positiveBeschäftigungsentwicklung zur Folge .
Wegen der Schieflage im unteren Einkommensbe-reich haben wir zusätzlich den Mindestlohn eingeführt .Sie von den Linken hätten ja dafürstimmen können – daswäre eine gute Idee gewesen –; dann hätten wir das Min-destlohngesetz in diesem Haus einstimmig verabschie-den können .
Die Linksfraktion hat das leider unterlassen . Wir habenalso den flächendeckenden Mindestlohn eingeführt, undalle Horrorszenarien, die von verschiedenen Seiten ge-zeichnet wurden, haben sich nicht bewahrheitet . Dasheißt ganz klar: Aktive Arbeitsmarktpolitik, Arbeits-marktreformen, Lohnpolitik, die Einführung des Min-destlohns sind ein Mittel gegen Einkommensspreizungund damit gegen Armut .
Noch etwas gehört zu diesem Punkt: Wir haben un-ter anderem mit der Einführung des Mindestlohns dieTarifbindung unterstützt . Wir konnten mehr Branchenmotivieren, Tarifverträge abzuschließen . Wir haben dieAllgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen verbes-sert, und wir werden im Bereich der Werkverträge undder Leiharbeit so agieren, dass wir da besonders unter-stützen, wo Tarifverträge abgeschlossen werden . DurchTarifbindung kann die Einkommensverteilung positivgestaltet werden . Deshalb ist mehr Tarifbindung gut fürmehr Gerechtigkeit .
Drittens – dieser Punkt liegt mir sehr am Herzen –:Armutsbekämpfung muss sich wesentlich der Schwächs-ten annehmen, nämlich der Kinder; denn die Zahl derKinder, die in Familien geboren werden, in denen es soetwas wie vererbte Armut gibt, ist leider groß, und siewird auch größer . Es gibt Kinder, die schon in der Schuleauf die Frage nach ihrem Berufsziel antworten, sie woll-ten „Hartzer“ werden . Die Chancen dieser Kinder, ein-mal ein selbstbestimmtes, das heißt ein selbstfinanziertesLeben zu führen, sind, das wissen wir, leider nicht gut .Deshalb ist es so wichtig, dass wir noch mehr in eine guteund leistungsfähige Infrastruktur für Kinder investieren .Wir haben schon viel getan . Beim Ausbau der Kinder-tageseinrichtungen und der Ganztagsschulen sind wir inden letzten Jahren einen Riesenschritt vorangekommen .In diesem Zusammenhang danke ich den Familienminis-terinnen, angefangen bei Renate Schmidt und ChristineBergmann bis hin zu Manuela Schwesig .
– Frau von der Leyen hat unsere Politik wunderbar um-gesetzt;
dafür waren wir ihr sehr dankbar . Der Ausbau der Kin-derbetreuung war in der letzten Großen Koalition einesder Gewinnerthemen .Besonders benachteiligt sind weiterhin die alleinerzie-henden Mütter . Deshalb muss für sie mehr getan werden .Ich denke an Angebote zur vorschulischen und schuli-schen Bildung, die Müttern den Einstieg in Erwerbsar-beit ermöglichen, und daran, Kinderbetreuung flexibelzu gestalten . All das ist konkrete Politik gegen Armut,damit sich Armut nicht vererbt, damit jedes Kind guteBildungschancen hat und einen geregelten Tagesablauferleben kann und damit jeder Mensch die Chance hat,gegen Armut selbst anzugehen .
Mein letzter Punkt . Interessant ist, dass alle Studienbetonen, dass soziale Ungleichheit auch der wirtschaft-lichen Entwicklung schadet; wir haben es heute schongehört . Es gibt also einen Grund mehr dafür, dass wiruns nicht ausruhen, sondern für die soziale Teilhabe allerMenschen, für die Teilhabe an Arbeit und ganz besondersfür gute Chancen für alle Kinder kämpfen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetztder Kollege Wolfgang Strengmann-Kuhn das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe das Gefühl,dass vielen Rednerinnen und Rednern, gerade von derKerstin Griese
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Großen Koalition, die Brisanz der Lage nicht wirklichklar ist .
Wir haben eine Situation, in der der soziale Zusammen-halt in Deutschland tatsächlich bedroht ist . Gerade heutegab es in der FAZ eine Umfrage von Allensbach zu lesen,nach der die Menschen Existenzängste haben, und dieseExistenzängste drücken sich in fehlender Wahlbeteili-gung aus, drücken sich auch aus in 13 Prozent für dieAfD; so gestern in der Umfrage von INSA nachzulesen .Die Menschen haben Angst, und der soziale Zusammen-halt ist bedroht . Dagegen müssen wir gemeinsam etwastun .
Es wird immer viel über die Zahlen gestritten . Abereindeutig ist: Die Armut in Deutschland ist viel zu hoch .Es sind 15 Prozent der Menschen in Deutschland von Ar-mut betroffen . Das kann man über die Grundsicherungberechnen; das kann man über Armutsquoten berechnen .Das ist die Größenordnung, und es sind definitiv zu viele:12 Millionen Menschen .Wenn man sich die Zahlen anguckt, stellt man fest:Daran hat auch die gute ökonomische Situation nichtsgeändert . Die Arbeitslosenzahlen gehen runter, aber dieArmutsquote bleibt mindestens konstant .Ein Ergebnis ist, dass wir zunehmend mehr erwerbstä-tige Arme in Deutschland haben, und das ist ein Skandal,den wir dringend bekämpfen müssen .
Es kann nicht sein, dass Menschen, die den ganzen Tagarbeiten, nicht viel mehr haben als Leute, die wenigerarbeiten .
– Jetzt kommt der Mindestlohn als Antwort .
Ich bin jemand, der mindestens 20 Jahre für den Mindest-lohn gestritten hat .
Der Mindestlohn war eine gute Sache, eine der wenigenguten Sachen, die die Große Koalition gemacht hat .
Aber was das Thema Armut angeht, hat der Mindest-lohn fast keine Wirkung . Es gibt jetzt die ersten Zahlen zuden Aufstockern; die haben wir im Ausschuss behandelt .Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigtenErwerbstätigen, die aufstocken, ist sogar gestiegen . Dasheißt, trotz Mindestlohn haben wir einen Anstieg von Ar-mut bei Erwerbsarbeit . Das war für mich als jemand, derdarüber seine Doktorarbeit geschrieben hat, auch nichtüberraschend, weil die Ursachen von Armut trotz Er-werbstätigkeit vielfältig sind . Es sind nicht nur die Löh-ne – das ist ein Grund –; ein wesentlicher Grund ist, dassErwerbstätige Kinder haben, und im Hinblick daraufnützt auch der Mindestlohn nichts . Das heißt, an dieserStelle müssen wir ansetzen, dass Familien mit Kindern inDeutschland nicht mehr von Armut bedroht sind .
Das heißt, wir müssen definitiv noch einmal das ThemaKindergrundsicherung angehen . Die Kollegin KerstinAndreae hat schon gesagt: Wir müssen dahin kommen,dass uns wirklich jedes Kind gleich viel wert ist . – Dasist ein wesentlicher Punkt .Wir haben, was den sozialen Zusammenhalt angeht,auch ein Problem am oberen Teil der Einkommens- oderWohlfahrtsverteilung . Wir haben eine wachsende Grup-pe von Vermögenden, die von der Gesellschaft abgespal-ten ist und ihrer solidarischen Verpflichtung nicht mehrnachkommt .
Es sind viele Statistiken genannt worden . Der KollegeLinnemann hat die EVS angesprochen . Dazu muss ich alsStatistiker sagen: Da fehlen die ganz Reichen . Es gibt daeine Abschneidegrenze; die liegt bei einem Einkommenvon 18 000 Euro im Monat . Das ist nicht wenig Geld .Die wirklich Reichen sind nicht in dieser Statistik . Wennman sich nicht nur Piketty anguckt, sondern auch seineMitstreiter Anthony Atkinson und andere, stellt man fest,dass Einkommen und Vermögen der oberen 1 Prozent –die sind gar nicht in der EVS – ganz stark gestiegen sind,auch in Deutschland .
– Es ist europaweit gestiegen, aber in Deutschland beson-ders stark . In der Euro-Zone ist die Vermögensverteilungin Deutschland am ungleichsten . Auch das müssen wirangehen . Wir müssen wieder mehr Vermögensgleichheithinkriegen . Aus sozialen Gründen, aber auch aus ökono-mischen Gründen müssen wir darangehen .
Die Vermögensverteilung ist nicht nur in Deutschlandund in Europa oder in der Euro-Zone ein Problem, son-dern auch weltweit . Die Zahlen von Oxfam sind genanntworden . Man kann sich über die Methode streiten, aberdeutlich ist, dass die Zahl der Menschen, die so viel Ver-mögen haben wie die untere Hälfte auf der Welt, sogarsinkt . Auch an dieser Stelle ist zu sagen: Der Reichtumder einen ist die Armut der anderen . Ganz deutlich mussman sagen: Wenn wir nicht an den Reichtum dieser Ver-mögenden herangehen, werden wir die großen globalenProbleme – das geht von globaler Armut bis hin zumKlimawandel oder zur Klimakatastrophe – nicht bewäl-tigen . Auch das sind Fragen der sozialen Gerechtigkeit .Das müssen wir unbedingt zusammendenken . Nur wennwir das anpacken, kriegen wir es auch hin, insgesamtDr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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in der Welt, in Europa und in Deutschland den sozialenZusammenhalt wieder herzustellen . Da müssen wir allegemeinsam ran .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
die Kollegin Antje Lezius das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieserAktuellen Stunde reden wir über die jüngsten Studienzur Vermögensverteilung . Die Organisation Oxfam – siewurde ja schon häufig genannt – hat beispielsweise mitihrer neuesten Studie viel Aufmerksamkeit erregt . Was insolchen Berichten gemessen wird, ist die Verteilung vonEinkommen, aber nicht von Armut .Eine gerechte Welt ohne Armut: Wer wollte das nicht,meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen? LautStatistischem Bundesamt sind diejenigen in Deutschlandvon Armut bedroht, die mit weniger als 60 Prozent desmittleren Einkommens der gesamten Bevölkerung aus-kommen müssen . Die Hilfsorganisation World Visiondefiniert den Begriff der Armut auf drei Arten: Die abso-lute Armut ist existenzbedrohend; weltweit sind 1,2 Mil-liarden Menschen betroffen, weil sie nicht in der Lagesind, ihre lebenswichtigen Grundbedürfnisse zu decken .In Deutschland haben wir es im Regelfall mit den beidenanderen Arten der Armut zu tun . Neben der gefühltenArmut, die sich einstellt, wenn sich Menschen aufgrundihrer wirtschaftlichen Situation diskriminiert fühlen,bezeichnet die relative Armut eine Unterversorgung anmateriellen und immateriellen Gütern im Vergleich zumWohlstand der jeweiligen Gesellschaft, in der sie leben .Wir müssen diese Arten der Armut voneinander unter-scheiden, um den Betroffenen gerecht zu werden und an-gemessen helfen zu können .Wir haben das große Glück, in Deutschland ein funk-tionierendes soziales Sicherungssystem zu haben, dasgarantiert, dass niemand lebensbedrohlicher Armut aus-gesetzt ist .
Darüber hinaus haben wir eines der besten Gesundheits-systeme der Welt, das die Heilung von Krankheit ebennicht von der individuellen finanziellen Lage abhängigmacht .
Darauf können wir stolz sein .
Unterversorgung kann allerdings auch emotional ge-geben sein oder aus kultureller Armut bzw . Bildungsar-mut bestehen . Hier ergeben sich Ansatzpunkte, wie wirdie am meisten von Armut Betroffenen – Alleinerziehen-de, Kinder oder Langzeitarbeitslose; das wurde schonangesprochen – erreichen können .Die beste Armutsbekämpfung ist die Bekämpfungungleicher Chancen zur Teilhabe am gesellschaftlichenLeben . Alleinerziehende Frauen sind zum Beispiel aufEinkommen angewiesen . Aber auch Frauen mit Partnernund Kindern arbeiten zu 40 Prozent wegen der familiärenVerpflichtungen nicht. Hieran müssen wir arbeiten; hiersind Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Fa-milie entscheidend . Hierzu zählen nicht nur Maßnahmenzur Kinderbetreuung, sondern auch die Arbeitszeitflexi-bilisierung. Durch den demografischen Wandel wird sichauch die Arbeitswelt verändern . Mit dem Dialog „Arbei-ten 4 .0“ werden wir in diesem Jahr gemeinsam mit demBMAS auf politischer Ebene die Leitplanken setzen, umdie Rahmenbedingungen für weiterhin gute Arbeit zuschaffen .
Zur Debatte über Armut und die Bekämpfung von Ar-mut gehört aber auch die Debatte über Reichtum . DasBild, das die Kolleginnen und Kollegen von den Linkenin uns wachrufen wollen, ist das des milliardenschwerenKonzernchefs. Darüber werden häufig diejenigen verges-sen, die mit ihrer Leistungsbereitschaft und ihrem Un-ternehmergeist den Wohlstand unseres Landes zu einemgroßen Teil miterwirtschaften .
Hierbei handelt es sich nicht um den sprichwörtlichenKrösus mit Konten in den Steuerparadiesen dieser Welt,sondern häufig um mittelständische Unternehmen, die99,6 Prozent aller privatwirtschaftlichen Unternehmenin Deutschland ausmachen und 59,4 Prozent aller sozi-alversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in diesem Landschaffen . Ohne Arbeitsplätze auch kein Einkommen!
Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaftund der Wohlstand dieses Landes hängen außerdem ent-scheidend von gut ausgebildeten Arbeitnehmern ab . Soist Bildung nicht nur von zentraler Bedeutung, um durchErwerbstätigkeit Armut zu durchbrechen, sondern auchder Stellenwert von Bildung an sich ist nicht zu unter-schätzen; denn je mehr Bildung vorhanden ist, destomehr sind Menschen in der Lage, für sich selbst zu sor-gen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ehrliche, verantwor-tungsbewusste Politik ist das Gegenteil von Sozialfolklo-re . Sie kümmert sich um die Menschen, die Hilfe benöti-gen . In unserer Gesellschaft ist der Begriff der Solidaritätmit dem Schwächeren keine Worthülse . Ich glaube, indiesen Tagen können wir das auch daran sehen, was dieKanzlerin alles leistet .Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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Wir haben das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft .Wir setzen darauf, Wettbewerb und wirtschaftliche Leis-tung mit sozialem Ausgleich und ökonomischer undsozialer Teilhabe zu verbinden . Wir bieten keinen all-umfassenden und allversorgenden Staat, aber Hilfe zurSelbsthilfe für mündige Bürger .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächster hat der Kollege Ralf
Kapschack, SPD-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuschauer! Ich nehme Sie mal kurz mit auf eineZeitreise in das Jahr 1980 .
Da gab es eine Diplomarbeit eines jungen, hoffnungs-vollen Wirtschaftswissenschaftlers an der Uni Bochum .Das Thema war: Ökonomische Aspekte der Diskussionüber die neue soziale Frage – Armut in der Bundesrepu-blik . Neue soziale Frage – das war damals ein politischerKampfbegriff, unter anderem von Heiner Geißler, demGeneralsekretär der CDU .
– Ich komme gleich noch einmal darauf zurück . – Neuesoziale Frage, weil die alte, nämlich der Konflikt zwi-schen Arbeit und Kapital, angeblich erledigt war und sichneue Probleme ergeben hätten . Neue Probleme, weil be-stimmte Gruppen nicht mehr ausreichend vertreten wur-den .Das Ergebnis der Diplomarbeit war: Vor allem Ar-beitslose, kinderreiche Familien, ältere alleinstehendeFrauen waren von Armut bedroht, und das hatte – wenigüberraschend – auch etwas mit dem sozialen Status zutun . Insofern war die alte Frage nicht beantwortet . Dasist jetzt mehr als 30 Jahre her . Doch an den Armutsrisikenfür diese Gruppen hat sich wenig geändert . Andere sinddazugekommen, wie zum Beispiel Solo-Selbstständige –zugegeben . Das hat auch mit unserem System der sozia-len Sicherung zu tun . Es ist differenzierter geworden, ja,komplizierter auch und an der einen oder anderen Stellebestimmt gerechter . Viele beneiden uns um dieses Sys-tem; aber ich finde, es ist noch Luft nach oben.Altersarmut zum Beispiel, meinen ja einige, sei eigent-lich gar kein Thema, weil deutlich weniger ältere Men-schen Grundsicherung beziehen als der Durchschnitt derBevölkerung . Das stimmt . Das stimmt, allerdings steigtdie Zahl der Menschen, die als Rentner Grundsicherungbeziehen, ständig an . Das hat auch damit zu tun, dassRentnerinnen und Rentner künftig immer weniger aufeine ununterbrochene lange und gut bezahlte Erwerbstä-tigkeit zurückblicken können, eine Erwerbstätigkeit, dieein gesichertes Alterseinkommen sicherstellen soll . Auchda ist, wie man feststellt, wenn man sich das ansieht, dasRisiko sehr ungleich verteilt . Rente ist ein Spiegel derErwerbsbiografie. Wer, wie überwiegend Frauen, wenig,in Teilzeit oder in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet hat,bekommt im Alter die Quittung dafür und kann darannichts mehr ändern .Deshalb ist alles, was qualifizierte Erwerbstätigkeitfördert und notwendige Familienzeiten für die Rente ab-sichert, gut gegen weibliche Altersarmut . Deshalb brau-chen wir Möglichkeiten für Frauen, Familie und Berufunter einen Hut zu bringen – wir arbeiten daran . Deshalbbrauchen wir ein Entgeltgleichheitsgesetz, das die Dis-kriminierung von Frauen beendet – wir arbeiten daran .
Deshalb brauchen wir auch – das ist schon angesprochenworden – eine Solidarrente, meinetwegen auch eine soli-darische Lebensleistungsrente .
Von dieser Rente würde zum Beispiel auch meine Mut-ter profitieren, die nach der Ausbildung früh geheiratethat und sich dann um Familie und vier Kinder kümmer-te . Sie hat jahrzehntelang kleinere Jobs auf Steuerkartegemacht . Das Ergebnis sind 500 Euro Rente . 500 EuroRente für ein Leben voller Arbeit – und das ist ja nunwirklich kein Einzelfall . Das ist ungerecht, und deshalbwollen wir das ändern – wir arbeiten daran .
Natürlich werden wir uns auch damit beschäftigenmüssen, wie die Alterssicherung insgesamt stabilisiertund verbessert werden kann . Und das kostet Geld, völligklar . Aber damit eines klar ist: Auch die Wohlhabendenprofitieren langfristig davon, wenn es gerechter zugeht.Das ist nicht meine Erkenntnis, sondern zum Beispiel dievon Klaus Engel, dem Chef des Energiekonzerns Evo-nik . Sozialer Frieden ist ein Standortfaktor, der nicht zuunterschätzen ist .
Um diesen sozialen Frieden zu sichern, braucht der StaatGeld, auch, um Armut bekämpfen zu können . Die stärke-re Besteuerung hoher und höchster Einkommen und Ver-mögen bleibt deshalb für mich auf der Tagesordnung –trotz sprudelnder Steuereinnahmen . Ich würde da nichtallein auf Wachstum setzen .
Zum Schluss noch zwei Bemerkungen . Heiner Geißlerist mir heute deutlich sympathischer als vor 30 Jahren;Antje Lezius
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ich habe den Eindruck, in den eigenen Reihen ist dasnicht so .
Ganz zum Schluss: Armut ist keine Schande; aber das istdas einzig Gute, was man darüber sagen kann .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Matthäus
Strebl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen undKollegen! Reichtum und Armut zu thematisieren, bietetzweifelsfrei Raum für eine emotionale Debatte . Bereitsim Juni und im Oktober letzten Jahres haben wir hier imPlenum über den zukünftigen Armuts- und Reichtums-bericht diskutiert . Der neue Bericht liegt zwar immernoch nicht vor, aber wir widmen uns erneut weiteren Ar-muts- und Reichtumsstudien . Vorgestellt wurden sowohldie neue Einkommens- und Verbrauchsstichprobe desStatistischen Bundesamtes als auch die Oxfam-Studie .Natürlich werden die Zahlen der Einkommens- und Ver-brauchsstichprobe auch in den Armuts- und Reichtums-bericht einfließen.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ne-ben Themen wie „potenzielles Armutsrisiko“ oder auch„soziale Sicherheit“ wird sich der Bericht auch mit neuenFragestellungen befassen, ja befassen müssen . Konkretmeine ich damit – erstens – die Auswirkungen atypischerBeschäftigungsformen und – zweitens – das Armutsrisi-ko von jungen Erwachsenen . Ich kann nur begrüßen, dasswir neben den allgemeinen Themen diese zwei zusätzlichin den Fokus nehmen . Und wir wollen erreichen, dassinsbesondere junge Menschen gute Startmöglichkeitenhaben. Eine fehlende berufliche Ausbildung oder Quali-fikation kann dazu führen, dass ein sozialer Aufstieg er-schwert wird oder schneller ein Arbeitsplatzverlust droht .Deshalb wollen wir erreichen, dass immer mehr jüngereMenschen eine Ausbildung absolvieren, statt Hilfstätig-keiten auszuüben .
Werte Kolleginnen und Kollegen, ein weiterer Be-richt, der in den letzten Tagen ausführlich in den Medienthematisiert wurde, ist die Oxfam-Studie . Diese Studie,die zweifelsfrei auch in Deutschland sehr umstritten ist,stellt die These auf, dass wenigen Reichen die halbe Weltgehört . Es ist natürlich unstreitig, dass es in DeutschlandMenschen gibt, die ein erhebliches Vermögen haben . Ichmöchte aber in dieser Debatte ausdrücklich darauf hin-weisen: Was dabei oft vergessen wird, ist, dass die meis-ten reichen Menschen durch ihre Unternehmen vielenBeschäftigten Arbeitsplätze sichern – gute Arbeitsplätzesichern, Ausbildungsplätze sichern . Und das muss auchin dieser Debatte einmal gesagt werden .Ein unschlagbares Werkzeug gegen Armut und sozia-len Abstieg sind eine gut funktionierende Wirtschaft undin erster Linie ein Arbeitsplatz .
Durch den von der Großen Koalition beschlossenen Min-destlohn – es wurde schon gesagt – haben wir einen wei-teren Schritt zur Stärkung der sozialen Sicherheit getan .Seit der Einführung des Mindestlohns ist die Anzahl dersozialversicherungspflichtig Beschäftigten gestiegen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalbfreue ich mich – alle sollten sich freuen – über die auchim europäischen Vergleich guten Zahlen zum Arbeits-markt:Die Arbeitslosigkeit ist 2015 erneut gesunken . Sie lagim letzten Jahr bei 6,4 Prozent und ist damit im Vergleichzum Vorjahr um 0,3 Prozentpunkte gesunken .Die Nachfrage nach neuen Mitarbeitern ist gestiegen .Im Dezember 2015 waren 93 000 offene Stellen mehr beider Bundesagentur für Arbeit gemeldet als im Vorjahr .2015 waren so wenige Menschen arbeitslos wie imJahr 1991 . Die Zahl der Erwerbstätigen erreichte im Jah-resdurchschnitt 43 Millionen und damit den höchstenStand seit der Wiedervereinigung .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind dieErgebnisse der Arbeitsmarktpolitik dieser Koalition .Bei der ganzen Diskussion über Indikatoren wie so-ziale Sicherheit, Einkommensverteilung und Investitio-nen in soziale Bildung dürfen wir nicht vergessen, dasses eine Gleichheit in der Gesellschaft, im Arbeitslebenund beim Vermögen nicht gibt . Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer haben unterschiedliche Fähigkeiten, Er-wartungen und auch Motivationen .
Sie bewerten Ihre Ziele im Leben unterschiedlich, alsowas Sie erreichen wollen und können, und auch, wie vielZeit und wie viel Engagement sie in ihre Bildung undWeiterbildung investieren wollen . Hier lautet das Stich-wort – das dürfen wir bei der ganzen Diskussion nichtvergessen; auch darüber müssen wir hier reden –: Chan-cengerechtigkeit . Das sollten wir uns vor Augen halten .Letztendlich sind wir von der Großen Koalition ge-nauso an dem Armuts- und Reichtumsbericht interessiertwie die Opposition . Ich hoffe, dass bei unserer nächstenDiskussion zu diesem Thema im Plenum der Berichtdann vorliegt .Ralf Kapschack
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Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tages-
ordnungspunkt ist der Kollege Kai Whittaker, CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Wenn ich mir dieReden der Opposition so anhöre, komme ich nur zu ei-nem Fazit: Je komplizierter die Lage, desto einfacher ha-ben es die schrecklichen Vereinfacher .
Liebe Frau Kollegin Zimmermann, Sie haben hier dieFrage gestellt, was man mit 2 oder 3 Billionen Euro ei-gentlich anfängt . Es ist doch nicht so, dass die wie beiDagobert Duck in irgendwelchen Geldspeichern liegen,sondern sie sind investiert in Firmen, in Anlagekapitalund in Produktionskapital, womit viele Millionen Men-schen in diesem Land ihr tägliches Brot erarbeiten .
Ich möchte zwei Studien ansprechen, die in den letz-ten Monaten diskutiert worden sind . Da ist zum einen derArmutsbericht 2014 . Darüber schreibt der ParitätischeWohlfahrtsverband Folgendes:Noch nie war die Armut in Deutschland so hoch undnoch nie war die regionale Zerrissenheit so tief wieheute . Deutschland ist … eine … zerklüftete Repu-blik .
Die Oxfam-Studie hat vor kurzem nachgelegt; sie wird inder Zeit wie folgt zusammengefasst – Zitat –:Die reichsten 62 Personen des Planeten besitzen zu-sammen 1,76 Billionen Dollar – ebenso viel wie dieärmere Hälfte der Menschheit, rund 3,5 MilliardenPersonen .
Aber bei aller Liebe zur Lust am Untergang, meineDamen und Herren: Bevor man schreit, dass das Schiffsinkt, sollte man erst einmal nachschauen, ob es ein Leckhat . Schauen wir uns die Zahlen doch einmal an: Die Ox-fam-Studie nutzt Daten der Credit Suisse, bei denen esum das Nettovermögen geht, also das Vermögen minusdie Schulden . So kann man wirklich absurde Fälle vonArmut kreieren . Ein Beispiel: Eine Familie – Vater, Mut-ter, zwei Kinder – erbt ein Haus und nimmt einen großenKredit auf, um es zu renovieren . Diese Familie ist lautStatistik nach dem Erbfall ärmer, als sie es vorher war,aber objektiv ist sie es nicht, weil sie in ihren eigenenvier Wänden lebt .
Die Statistik ist darüber hinaus wirklich wenig stich-haltig . Das stellt man fest, wenn man sich anschaut, wolaut dieser Statistik die ärmsten 10 Prozent der Menschenleben . Auf Platz eins liegt Indien mit einem Anteil von16 Prozent – so weit, so gut . Auf Platz zwei mit 7,5 Pro-zent, sehr überraschend, liegen die USA, gefolgt vonBangladesch und Pakistan . China taucht in der Statistikübrigens überhaupt nicht auf . Es gibt keine armen Chi-nesen; das liegt wahrscheinlich am erfolgreichen Kom-munismus in China . – Das sollte doch zu denken geben .Beim Armutsbericht sieht die Sache etwas anders aus .Da muss man genau hinschauen, wie man die Zahlen in-terpretiert . Armut droht bei einem Einkommen von unter60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens; inDeutschland sind das ungefähr 890 Euro . Wenn ein Stu-dent bei seiner Familie daheim wohnt, dann gehört er zurMittelschicht . Aber wenn derselbe Student am nächstenTag auszieht und von seinen Eltern nun 750 Euro im Mo-nat bekommt, dann ist er statistisch über Nacht verarmt .
Ich persönlich sehe das anders . Es ist für mich ein Zei-chen von Wohlstand, dass immer mehr junge Menschenstudieren gehen und in ihren eigenen vier Wänden lebenkönnen .
Damit will ich nicht sagen, dass es keine armen Studen-ten gibt, die zwei Jobs brauchen, um sich über Wasserhalten zu können . Aber diese Statistik schert beide Stu-denten über einen Kamm; sie erfasst die tatsächliche Ar-mut in diesem Land nicht .
Schauen wir uns die regionalen Armutsstudien an . InBayern liegt das Armutsrisiko bei 11,5 Prozent, in Thü-ringen bei 17,8 Prozent . Ich bin schon einmal von Bayernnach Thüringen gefahren, und ich hatte nicht das Gefühl,dass ich aus dem Paradies vertrieben und ins Elend hi-neingetrieben wurde .
Der Grund ist auch ein ganz einfacher, Herr Kollege:Mit 800 Euro kommt man in München nicht sehr weit,aber in Schmalkalden kommt man damit schon etwasweiter . Der Zauber ist der Kaufkraftunterschied . Denmuss man berücksichtigen . Wenn man ihn berücksich-tigt, dann schmilzt der Unterschied auf 1 Prozent . MitMatthäus Strebl
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anderen Worten: In Thüringen ist die Armut nicht vielgrößer als in Bayern .
Zumindest war das bis 2014 so . Ob es so bleibt, liebeLinke, werden wir spätestens bei der nächsten Landtags-wahl merken .Ich könnte weitere ähnliche Beispiele bringen . Fakt istjedoch: Die Angstüberschriften passen nicht zur Lebens-wirklichkeit der Menschen in diesem Land . Wir habendie geringste Arbeitslosenquote seit 1990; wir haben soviele Erwerbstätige wie noch nie; die Reallöhne steigenseit sieben Jahren konstant an; die Sozialabgaben sindstabil – das ist die konkrete Wahrheit in diesem Land .
Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich dachte eigentlich, dassSie von den Linken der Wahrheit sehr nahe stehen . AuchLenin hat ja erkannt, dass die Wahrheit immer konkretist; aber das scheint ja heute in dieser Aktuellen Stunderelativ wenige von Ihnen zu interessieren .
Wenn wir Einkommens- und Vermögensunterschiedewirklich bekämpfen wollen, dann durch Arbeitsplätzeund gute Wirtschaft .
Das lehrt die Geschichte; denn ebenso wie die Arbeits-losigkeit in diesem Land unter Rot-Grün bis 2005 kon-tinuierlich angestiegen ist, hat auch die Einkommensun-gleichheit zugenommen; seit 2005, seitdem wir in derBundesregierung sind, geht die Einkommensungleich-heit zurück .
Diesen Erfolg wollen wir fortsetzen,
indem wir es den Menschen ermöglichen, endlich wiederVermögen aufzubauen, statt es ihnen sofort wieder weg-zunehmen, wie Sie es wollen, liebe Linke .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Die Aktuelle Stunde ist beendet .
Wir sind gleichzeitig am Schluss unserer heutigen Ta-
gesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf
morgen, Donnerstag, den 28 . Januar 2016, 9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen .