Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich und gratuliere vor Eintritt in die Tagesordnung
nachträglich der Kollegin Birgit Wöllert zu ihrem
65 . Geburtstag und der Kollegin Renate Künast zu ih-
rem 60 . Geburtstag .
Alle in den letzten Tagen schriftlich und mündlich
mehrfach vorgetragenen guten Wünsche werden hiermit
noch einmal ausdrücklich bekräftigt und im Protokoll des
Bundestages festgehalten . Das begründet beinahe einen
Rechtsanspruch auf die Einlösung der Wünsche, die Ih-
nen bereits vorgetragen worden sind .
Als heimlichen Höhepunkt des auslaufenden par-
lamentarischen Jahres müssen wir jetzt zunächst noch
drei neue Schriftführer wählen . Die CDU/CSU-Frakti-
on schlägt vor, die Kollegin Bettina Kudla anstelle der
Kollegin Maria Michalk, die Kollegin Gudrun Zollner
für den Kollegen Alexander Hoffmann und den Kollegen
Tobias Zech für den Kollegen Dr. Wolfgang Stefinger als
Schriftführer zu wählen . Könnten Sie sich ohne Vorstel-
lung und Befragung mit diesen gerade Vorgeschlagenen
einverstanden erklären?
– Zögernd, aber am Ende doch .
Ich bedanke mich für die einmütige Zustimmung zu
diesen Vorschlägen und beglückwünsche die Kolleginnen
Bettina Kudla und Gudrun Zollner sowie den Kollegen
Tobias Zech zu ihren neuen Aufgaben als Schriftführer .
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-
nung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punk-
te zu erweitern:
ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Gastel, Kerstin Andreae, Dr . Valerie Wilms, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Finanzierung eines bürgerfreundlichen und
umweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahn
jetzt sicherstellen
Drucksache 18/6884
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Dr . Valerie Wilms, Lisa Paus, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Ressourcenverschwendung stoppen – Natio-
nales Ressourceneffizienzprogramm zukunfts-
fähig ausgestalten
Drucksache 18/7047
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 267 zu Petitionen
Drucksache 18/7063
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 268 zu Petitionen
Drucksache 18/7064
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 269 zu Petitionen
Drucksache 18/7065
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514336
(C)
(D)
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 270 zu Petitionen
Drucksache 18/7066
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 271 zu Petitionen
Drucksache 18/7067
ZP 3 Wahl der Mitglieder des Beirates der Stiftung
Datenschutz
Drucksache 18/7060
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:
Ergebnisse der UN-Klimakonferenz in Paris
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Dietmar Bartsch, Dr . Sahra Wagenknecht,
Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Antrag auf NPD-Verbot jetzt unterstützen
Drucksache 18/7040
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden .
Der Tagesordnungspunkt 14 – hier geht es um den
Antrag zur Ausgestaltung der Patientenberatung – wird
heute abgesetzt .
Auch hier würde ich gerne Ihr Einvernehmen feststel-
len . – Das ist der Fall . Dann haben wir die veränderte
Tagesordnung so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Gutachten zu Forschung, Innovation und
technologischer Leistungsfähigkeit Deutsch-
lands 2015
Drucksache 18/4310
hier: Stellungnahme der Bundesregierung
Drucksache 18/6830
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Gutachten zu Forschung, Innovation und
technologischer Leistungsfähigkeit Deutsch-
lands 2015
Drucksache 18/4310
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Auch das stößt
erkennbar nicht auf Widerspruch . Also können wir so
verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Dr . Stefan Kaufmann für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! In einer Woche ist Weihnach-
ten, und deshalb könnte man schon einmal fragen, was
Weihnachten mit dem Thema unserer heutigen Debatte
zu Forschung und Innovation verbindet .
Beides lebt von der Neugier . Denn was wäre Weih-
nachten ohne die kindliche Neugier, und was wäre For-
schung ohne Neugier?
„Forschung aus Neugier ist am produktivsten“, heißt es .
Ohne Neugier keine Entdeckung Amerikas, kein wahr-
gewordener Menschheitstraum vom Fliegen und kein
Mann auf dem Mond . „Neugier ist der Anfang von al-
lem“, stellte schon Platon fest, und Albert Einstein sagte:
Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin
nur leidenschaftlich neugierig .
Deshalb muss auch die Politik alles dafür tun, Neugier
zu fördern und zu beflügeln – beginnend in der Kita und
in der Schule und später an unseren Hochschulen und bei
der Setzung von Rahmenbedingungen für Forschung und
Innovation .
Wodurch wird Neugier gespeist? Durch drei Faktoren:
Neues, Komplexität und Überraschung . Wir müssen also
Neuartiges zulassen, indem wir zum Beispiel die Grund-
lagenforschung starkmachen und Technologieoffenheit
fördern . Wir müssen Komplexität schaffen und ordnen,
beispielsweise durch fächerübergreifendes Lernen, Clus-
Präsident Dr. Norbert Lammert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14337
(C)
(D)
terbildung und Forschungsverbünde . Wir müssen Über-
raschungen im Lern- und Forschungsprozess als Chance
betrachten . Man könnte auch von disruptiver Innovation
sprechen .
In der Hoffnung, Sie etwas neugierig gemacht zu ha-
ben, komme ich nun zum Kern dieser Debatte, zur Frage,
was die Politik getan hat und was sie tun kann . Klar ist,
dass wir noch mehr als bisher für unsere Innovationsfä-
higkeit, Forschungsförderung und Wettbewerbsfähigkeit
tun müssen . Zwar sieht es so schlecht in Deutschland
natürlich nicht aus . Wir als Koalition haben viel getan;
das bestätigt auch das EFI-Gutachten, über das wir heute
hier zur Primetime diskutieren, so wie es sich für dieses
wichtige Thema gehört .
Das Gutachten liest sich in seiner Bewertung der deut-
schen Forschungs- und Innovationslandschaft fast wie
eine vorweihnachtliche Bescherung .
Zu verdanken ist das aber nicht dem Weihnachtsmann,
sondern vor allem dem BMBF und uns, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, dem Bundestag als Haushaltsgesetz-
geber . Allein im zu Ende gehenden Jahr hat die Politik
folgende zentrale Weichenstellungen vorgenommen, die
im Gutachten ausdrücklich gelobt werden: erstens die
Aufhebung des Kooperationsverbots im Hochschulbe-
reich,
zweitens die Übernahme der Finanzierung des BAföG
durch den Bund, drittens die Weiterführung des Hoch-
schulpaktes und der DFG-Programmpauschale und vier-
tens die Fortführung des Paktes für Forschung und Inno-
vation .
Allein die drei zuletzt genannten Bund-Länder-Pro-
gramme, meine Damen und Herren, umfassen bis 2020
ein zusätzliches Finanzvolumen von sage und schreibe
25,3 Milliarden Euro . Weiterhin begrüßen die Exper-
ten im EFI-Gutachten die Aufsetzung der neuen High-
tech-Strategie und die Einführung der Digitalen Agenda .
Im Haushalt setzen wir zudem eine klare Priorität für
Bildung und Forschung . Der Aufwuchs in 2016 beträgt
7 Prozent oder 1,1 Milliarden Euro . Damit beläuft sich
der Etat dann auf 16,4 Milliarden Euro . Sie wissen: Das
ist eine Verdopplung in den letzten zehn Jahren .
Doch wie wirken sich unsere Bemühungen auf die
Innovationsindikatoren aus? Die Forschungs- und Ent-
wicklungsintensität in Deutschland, also das Verhältnis
von FuE-Ausgaben zum Bruttoinlandsprodukt, lag 2013
bei 2,85 Prozent und damit deutlich über dem EU-Durch-
schnitt von 2,02 Prozent . Möchte Deutschland allerdings
langfristig zu den führenden Innovationsnationen auf-
schließen, müssen wir für das Jahr 2020 etwa 3,5 Prozent
des BIP für Forschung und Entwicklung anpeilen . Fakt
ist: Wir müssen hart daran arbeiten, nicht den Anschluss
zu den Innovationssupermächten Israel, USA und Südko-
rea zu verlieren .
Dabei ist das Potenzial in unserem Land vorhanden .
Ein Beispiel: Nur in Japan und in den USA werden mehr
Patente angemeldet als hier . Aber wir müssen dieses Po-
tenzial auch nutzen . Hans-Jörg Bullinger, der ehemalige
Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, hat einmal tref-
fend gesagt:
Erfinden allein nützt nichts. Wir haben in Deutsch-
land viel erfunden, aber nichts daraus gemacht .
Der MP3-Player ist dafür nur eines von vielen Beispie-
len . Zwar verdient die Fraunhofer-Gesellschaft heute gut
an den Lizenzen. Produktion und Wertschöpfung finden
jedoch anderswo statt .
Was also sollen und was können wir tun, meine Da-
men und Herren? Die EFI-Gutachter haben die zentra-
len Herausforderungen benannt . Beispiel Wagniskapital:
Wagniskapital ist eine wichtige Finanzierungsquelle für
junge, innovative Unternehmen, insbesondere wenn die
Start-up-Phase vorbei ist und es darum geht, zu wach-
sen, also die sogenannte Seed-Finanzierung bis hin zum
Prototyp .
Natürlich ist es nicht damit getan, die gesetzlichen
Rahmenbedingungen zu ändern, und auf einmal wird
aus einem kleinen Berliner Start-up Facebook oder Goo-
gle . Aber um Ihnen eine Größenordnung zu geben: Die
fünf mit Wagniskapital finanzierten IT-Unternehmen
Amazon, Facebook, Google, Apple und Microsoft haben
zusammen eine größere Marktkapitalisierung als alle 30
DAX-Unternehmen zusammen . Während bei uns rund
0,02 Prozent des BIP als Wagniskapital zur Verfügung
stehen, ist es in den USA mit 0,17 Prozent fast das Zehn-
fache und in Israel sogar fast das 20-Fache unseres Wer-
tes . Das heißt, meine Damen und Herren: Wir vergeben
wichtige Wachstums- und Produktivitätspotenziale .
Die diversen Maßnahmen der Bundesregierung, um
neue Potenziale zu heben, sind daher aus meiner Sicht
ausdrücklich zu begrüßen, beispielsweise die Steuer-
freistellung des INVEST-Zuschusses für Wagniskapital
oder die Verbesserung der EXIST-Förderung für Grün-
derteams aus Hochschulen . Ähnlich erfolgreiche Instru-
mente wie das EXIST-Programm sollten wir übrigens
auch für Existenzgründer aus der Wirtschaft entwickeln .
Ausdrücklich begrüßen will ich auch das aktuelle
Vorhaben der Bundesregierung, über den Europäischen
Investitionsfonds einen Fonds für die Wachstumsfinan-
zierung deutscher Start-ups in Höhe von 500 Millionen
Euro aufzulegen . Dieser Fonds soll nächste Woche end-
gültig beschlossen werden .
Weitere denkbare Instrumente sind die Möglichkeit,
Verluste bei gescheiterten Investitionen steuerlich abzu-
schreiben, Mezzanine-Finanzierungen über Geschäftsan-
teile auszuweiten oder die Erleichterung der Start-up-Fi-
nanzierung über Versicherungen und Pensionsfonds .
Auch die Berücksichtigung von Start-up-Firmen bei
der öffentlichen Auftragsvergabe könnte das Gründen
attraktiver machen und den Anfang erleichtern . Dazu
müssen wir aber unser striktes Vergaberecht angehen .
Dr. Stefan Kaufmann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514338
(C)
(D)
Das sind übrigens alles Punkte, die ich gestern bei einem
Besuch im sehr beeindruckenden Charlottenburg Inno-
vation Centre am Ernst-Reuter-Platz mit Start-up-Unter-
nehmen diskutiert habe .
Ich will aber auch eines deutlich sagen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen: Unser Weg in Deutschland kann
keine Kopie des Silicon Valley sein . Dort geht es den vie-
len Risikokapitalgebern in einer riesigen Investorenland-
schaft vor allem darum, Start-ups zu fördern, die nach
möglichst kurzer Zeit Gewinn machen und dann verkauft
werden können . Unsere Stärke in Deutschland ist der in-
novative Mittelstand, der Start-ups als langfristige Part-
ner im B2B-Bereich sieht und nicht auf einen schnellen
Verkauf der Start-up-Unternehmen aus ist .
Deshalb ist unsere wichtigste und vornehmste Aufgabe
auch in der Politik, diese Partner zusammenzubringen,
um Start-up-Center, Hubs und Acceleratoren zu unter-
stützen .
Und noch eines: Wir sollten uns bei der Start-up-För-
derung auf regionale Stärken fokussieren . Es macht kei-
nen Sinn, an jedem Ort in Deutschland jedes Start-up-
Thema zu finanzieren.
Was ist noch zu tun? Der im Rahmen der Digitalen
Agenda geplante Ausbau der digitalen Infrastruktur wird
für Wirtschaft und Forschung dringend benötigt, Stich-
wort „Big Data“. Deshalb muss die flächendeckende Ver-
sorgung mit Bandbreiten von mindestens 50 Megabit re-
alisiert und zeitnah sichergestellt werden . Ich hoffe, dass
wir damit zeitnah ein ganzes Stück vorankommen . Dabei
sollte vor allem die Digitalisierung der Leitindustrien im
Vordergrund stehen .
Ich hatte ganz zu Beginn von der Technologieoffenheit
gesprochen . Erinnern Sie sich an die folgenden Worte?
Innovationsfähigkeit fängt im Kopf an, bei unse-
rer Einstellung zu neuen Techniken, zu neuen Ar-
beits- und Ausbildungsformen, bei unserer Haltung
zur Veränderung schlechthin . Ich meine sogar: Die
mentale und die intellektuelle Verfassung des Stand-
orts Deutschland ist heute schon wichtiger als der
Rang des Finanzstandorts oder die Höhe der Lohn-
nebenkosten . Die Fähigkeit zur Innovation entschei-
det über unser Schicksal .
Dies sind nicht meine Worte; es ist ein Zitat des ehema-
ligen Bundespräsidenten Roman Herzog aus seiner be-
rühmten Ruck-Rede 1997 .
Genau dies trifft einen besonderen Punkt: Wie kön-
nen wir Mut zum Risiko, Mut zur Veränderung, Mut
zum neuen Ausprobieren fördern? Wie können wir noch
mehr Begeisterung für Forschung auslösen? Warum wird
Forschung nicht öfter im Fernsehen debattiert? Dass For-
schung heute hier um 9 Uhr als Tagesordnungspunkt 1
debattiert wird, ist vor diesem Hintergrund außerordent-
lich zu begrüßen . Ich werte es als vorgezogenes Weih-
nachtsgeschenk der Fraktionsführungen an uns For-
schungspolitiker .
Aber ein solches Geschenk würde ich mir noch öfter
wünschen .
Herr Kollege Kaufmann, über die Tagesordnung ent-
scheiden der Ältestenrat und das Plenum . Insofern sind
Dank und Adressen an die Fraktionsführungen zwar im-
mer zulässig, aber ein bisschen übertrieben .
Ein solches Geschenk des Präsidiums würde ich mir
natürlich öfter wünschen; denn die Forschung – das wie-
derhole ich gerne – ist zentral für unsere Wettbewerbsfä-
higkeit und damit auch für unseren künftigen Wohlstand .
Das müssen wir auch in der politischen und medialen
Kommunikation noch deutlicher machen .
Auch die Exzellenzinitiative ist für mich ein ganz
wichtiger Baustein für den Innovationsstandort Deutsch-
land . Nur mit internationaler Ausstrahlungskraft werden
wir dauerhaft erfolgreich die besten Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler der Welt anlocken können . Ne-
ben einer soliden Grundfinanzierung unserer Hochschu-
len gehört für mich dazu insbesondere die internationale
Strahlkraft unseres Standorts . Wir brauchen Aushänge-
schilder .
Lassen Sie mich auch das noch sagen: Internationale
Sichtbarkeit bekommen wir nicht, wenn wir 300 Fächer
oder Cluster mit Bundesgeldern fördern, und auch nicht,
wenn wir 98 ganze Universitäten mit je 500 000 Euro
fördern . Exzellenz bedeutet in der Spitzengruppe vier bis
fünf Standorte, die von Weltrang sind und damit sozu-
sagen Leuchttürme der deutschen Forschungs- und Wis-
senschaftslandschaft .
Als Fazit möchte ich drei zentrale Maßnahmen vor-
schlagen:
Erstens: bessere Rahmenbedingungen für Wagniska-
pital, Forschungsförderung und exzellente Universitäten
und vor allem schnellere Entscheidungen, um ein güns-
tiges Umfeld für Innovationen zu schaffen . Wir müssen
schneller werden; das war auch das zentrale Ergebnis ei-
nes CDU/CSU-Fraktionskongresses zur Innovation vor-
letzten Monat .
Herr Kollege .
Zweitens: ein Bekenntnis zum Innovationsstandort .
Technikbegeisterung fängt in der Politik an . Deshalb
TOP 1 für Forschung: So kann es weitergehen .
Dr. Stefan Kaufmann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14339
(C)
(D)
Drittens: mehr Geld . Angesichts von 4 Prozent
FuE-Investitionen in Südkorea und sogar über 5 Prozent
in Baden-Württemberg sollten wir der EFI-Kommission
folgen und 3,5 Prozent als FuE-Ziel anpeilen .
Auf meiner Wunschliste für einen nächsten Koalitions-
vertrag steht es auf jeden Fall . Das wäre etwas für die
internationale Strahlkraft des Hightech- und Innovati-
onssuperstandortes Deutschland: 3,5 Prozent des BIP für
Forschung und Innovation .
Herr Kollege .
Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihnen
allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine gesegnete
Weihnachtszeit und weiterhin viel Neugier .
Es wäre schön, wenn die Begeisterung der For-
schungspolitiker jetzt nicht regelmäßig mit einer beson-
ders großzügig selbst bemessenen Redezeit zum Aus-
druck gebracht werden müsste .
Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert für die
Fraktion Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Herr Dr . Kaufmann, es ist schön, dass
Sie so loben, dass wir darüber zur Primetime diskutie-
ren . Forschung ist wichtig . Deswegen hat die Bundes-
regierung wohl zehn Monate gebraucht, um sich eine
Meinung über das Expertengutachten zu bilden . Das traf
nämlich schon im Februar ein . Im Ausschuss wurde es
am 25 . Februar dieses Jahres vorgestellt, und schon nach
zehn Monaten debattieren wir im Bundestag .
Im Schneckentempo ging es vorwärts . Plötzlich, holter-
diepolter, setzen Sie dieses Thema zur besten Debatten-
zeit kurz vor Weihnachten auf die Tagesordnung . Warum
wohl?
Seit Jahren steht das Wissenschaftszeitvertragsgesetz
in der Kritik . 80 Prozent der jungen Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler arbeiten mit befristeten Verträ-
gen . Die Hälfte der Verträge ist kürzer als ein Jahr . Das
Wichtigste für Forschung und Innovation sind aber unse-
re Nachwuchswissenschaftler .
Geringe Verdienste in Teilzeit und unsichere Zukunfts-
aussichten wegen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
machten aus dem Traumjob Wissenschaft oft einen Alp-
traum . Im Frühjahr, zur GEW-Konferenz, versprachen
alle im Bundestag vertretenen Parteien, dieses Gesetz zu
verbessern . Betroffene, GEW, Verdi und die Linke for-
dern drei Jahre Mindestvertragslaufzeit für Doktoranden,
zwei Jahre Mindestlaufzeit für sonstige Befristungen,
mehr Familienfreundlichkeit und vor allem garantierte
Arbeitszeitanteile für die Qualifikation. Diese Forderun-
gen sind gut und richtig .
Hunderttausende Betroffene warten sehnsüchtig auf die
Korrektur des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes .
SPD und Union versprachen Besserung . Versprochen,
gebrochen! Heute Abend gegen 20 Uhr werden Sie in
25 Minuten Ihre peinliche Änderung durchpeitschen, die
im besten Fall den Missbrauch erschwert . Sie sind zu fei-
ge, sich in einer echten Debatte und zu diesem Zeitpunkt
unseren Argumenten und Ihrem Versagen beim Wissen-
schaftszeitvertragsgesetz zu stellen .
Deshalb haben Sie den Tagesordnungspunkt zum Exper-
tengutachten aufgesetzt . Wie erbärmlich!
Nun zum Bericht der Bundesregierung . Forschung
und Innovation sind unbestritten wichtig . Das Exper-
tengutachten beschreibt Erfolge und Defizite. Letzteres
fehlt rein zufällig im Bericht der Bundesregierung . Der
Anteil der Forschungsausgaben am Umsatz kleiner und
mittlerer Unternehmen sinkt seit Jahren . Wenn wir über
den Mittelstand sprechen, dann reden Sie davon, dass er
das Rückgrat unserer Wirtschaft ist . Aber an dieser Stelle
haben Sie versagt . Das muss sich wieder ändern . Deswe-
gen muss das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand
deutlich mehr Geld erhalten . Die Forschungskooperati-
onen mit Fachhochschulen müssen deutlich ausgebaut
werden . Man darf sich nicht wie Sie nur auf die Spitzen-
forschung konzentrieren .
Dr. Stefan Kaufmann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514340
(C)
(D)
Die Regierung schwärmt von Industrie 4 .0 und der
digitalen Vernetzung der Gesellschaft . Cyberkriminel-
le verursachen unserer heimischen Wirtschaft jährlich
Schäden von mehr als 50 Milliarden Euro . Die Verluste
der Firmen kosten gleichzeitig Millionen an Steuergel-
dern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere ohne
Namensnennung aus einer von vielen Mails der letzten
Monate:
Sollten Sie heute von der E-Mail-Adresse . . . @gmail .
com eine Mail erhalten, bitten wir Sie, diese zu lö-
schen . Es handelt sich um einen Spamaccount .
Mit freundlichen Grüßen
Mitarbeiter im Abgeordnetenbüro
Platz der Republik 1
Der Bundestag war im Frühsommer Ziel eines Cyber-
angriffs . Ein Trojaner killt Daten öffentlicher Behörden
in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern .
Im Expertenbericht wird dieses Problem benannt . Und
die Reaktion der Bundesregierung? Ganze 36 Millionen
von 15 Milliarden Euro Forschungsmitteln geben Sie für
IT-Sicherheitsforschung aus . Folgen Sie den Empfehlun-
gen Ihrer Experten: Mehr Geld für zivile Datensicher-
heit!
Das hilft den Unternehmen und bringt auch mehr Steu-
ermittel .
Gleich im ersten Punkt fordert das Expertengutachten
eine bessere und gleichmäßigere Forschungsförderung .
Recht haben die Experten . Die Vergabe von Forschungs-
mitteln nach Exzellenzinitiativen ist ungerecht . Als Tech-
niker rechne ich gern nach: Baden-Württemberg erhält
pro Jahr 120 Millionen Euro Exzellenzmittel; das macht
11 Euro je Einwohner . Rheinland-Pfalz erhält 4 Millio-
nen Euro; das macht 1 Euro je Einwohner . Meine Heimat
Thüringen erhält 1,9 Millionen Euro; das macht 0,8 Euro
je Einwohner . Ihre Heimat, Frau Ministerin Wanka,
Sachsen-Anhalt bekommt gar nichts . Ihre Exzellenziniti-
ative stärkt die Starken und schwächt den Rest . Das geht
schief, wie es schiefgeht in einem Ruderboot mit zwei
Ruderern, in dem der eine doppelte Ration bekommt und
der andere hungert: Irgendwann rudert einer allein .
Zusammen zu rudern, wäre für beide besser .
Deshalb fordert die Linke ein Ende der Exzellenz-
initiativen und eine höhere Grundfinanzierung für For-
schungseinrichtungen und Hochschulen in allen Bundes-
ländern .
Sollten Sie jetzt die Vorschläge Ihrer eigenen Kommissi-
on und die meiner Fraktion aufnehmen,
dann wäre diese Debatte doch nicht umsonst gewesen .
Frohe Weihnachten .
René Röspel ist der nächste Redner für die SPD-Frak-
tion .
Guten Morgen! – Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Den Weihnachtswunsch, lieber
Kollege von den Linken, nehme ich gerne an . Nächste
Woche um diese Zeit ist Heiligabend . Ich wünsche den
Linken, dass sie Kinder haben, die sich nicht so beneh-
men wie Sie, wenn Sie hier Oppositionsarbeit machen;
denn sonst geht der Heiligabend so aus, dass sich die
Kinder beschweren, dass erst um 8 Uhr abends Besche-
rung ist, die Geschenke viel zu wenige sind, der Tannen-
baum zu klein ist und überhaupt alles schlecht ist .
Ich habe selten einen so verfehlten Beitrag erlebt .
Ich will ausdrücklich sagen: Heute Abend ist Besche-
rung, nämlich dann, wenn es um das Wissenschaftszeit-
vertragsgesetz geht .
Es waren diese und die vorherige Große Koalition, die
tatsächlich Verbesserungen zustande gebracht haben . In
der Bilanz der Linken wird am Ende der Legislaturpe-
riode stehen: Auch in diesem Feld nichts geschafft, nur
immer genörgelt .
Von daher: Schon heute fröhliche Weihnachten! Ich hof-
fe, es geht für Sie persönlich nächste Woche besser aus .
Dass das EFI-Gutachten um diese Zeit debattiert wird,
also zur Kernzeit, ist eigentlich ein gutes Zeichen . Das
haben wir in den letzten Jahren übrigens häufiger ge-
macht . Es ist ganz anders, als Sie, Herr Kollege Lenkert,
berichten: Ein solches Gutachten ist ein Ansatzpunkt für
Kritik, für Selbstreflexion und auch für das, was die Po-
litik, insbesondere die Bundesregierung, gemacht hat .
Man hat für die letzten Jahre den Spiegel vorgehalten
bekommen . Einerseits hat man Handlungsempfehlungen
erhalten, andererseits wurde Kritik an dem geübt, wo
Forschungspolitik nicht so gelaufen ist, wie es sich die
unabhängige Expertenkommission Forschung und Inno-
vation vorgestellt hat . Es ist doch gut, dass wir zur Kern-
zeit auch einmal selbstkritisch einen Bericht diskutieren .
Ralph Lenkert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14341
(C)
(D)
Sie hätten zehn Monate Zeit gehabt, dieses Gutachten zu
lesen und etwas dazu zu sagen . Das wäre auch im Hin-
blick auf diesen Tagesordnungspunkt spannend gewesen .
Ich will versuchen, mit ein paar Punkten darauf ein-
zugehen:
Wenn man sich dieses Gutachten anschaut – das hät-
ten Sie durchaus machen können –, dann wird man gleich
am Anfang einen Satz lesen, der uns zu denken geben
muss . Dort steht nämlich, dass die Innovationsfähigkeit
der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland
langfristig abgenommen hat . Man wird sehen müssen,
was dafür wirklich die Ursache ist . Die Kommission hat
angekündigt, sich zum nächsten Bericht – den lesen Sie
dann hoffentlich auch –
dieses Themas anzunehmen und sich wirklich einmal an-
zuschauen, welche Empfehlungen der Bundesregierung
gegeben werden können, damit die Innovationsfähigkeit
von kleinen und mittleren Unternehmen verbessert wer-
den kann .
Eines der Themen, die das EFI-Gutachten aufgreift,
sind die sogenannten Spitzencluster . Wir haben 2007
den Spitzencluster-Wettbewerb auf den Weg gebracht .
Zur Teilnahme daran können sich Regionen bewerben .
Zur Teilnahme daran können sich Wissenschaft und
Wirtschaft, etwa Großunternehmen, außeruniversitäre
Einrichtungen und Hochschulen, zu Kooperationen zu-
sammenschließen – übrigens mit kleinen und mittleren
Unternehmen –, um themenorientiert leistungsfähig zu
arbeiten . So gibt es zum Beispiel ein Spitzencluster Elek-
tromobilität . Es gibt in meiner Region den Spitzencluster
LogistikRuhr zu unterschiedlichen Themen .
Ich finde diese Spitzencluster sehr wohl gelungen; das
muss ich sagen . Ich halte die Ergebnisse eigentlich für
ganz gut . Interessanterweise schlägt die Expertenkom-
mission Forschung und Entwicklung vor, dass sie keine
dritte Förderlinie im Spitzencluster-Bereich auflegen
würde .
Sie begründet das damit, dass die Ergebnisse des Spit-
zenclusters nicht klar abschätzbar sind . Das fand ich
durchaus erstaunlich. Ich finde, das muss einmal hinter-
fragt werden . Das Ganze setzt an einem Punkt an, der
sich durch das gesamte EFI-Gutachten zieht: Es geht um
die Frage, wie Fördermaßnahmen und Forschungspro-
gramme evaluiert werden. Da findet sich in vielen Hand-
lungsfeldern die Aufforderung der Expertenkommission,
bei Fördermaßnahmen oder Forschungsprogrammen von
Beginn an zu implementieren, wie die Evaluation, also
die Bewertung eines solchen Programms, am Ende aus-
sehen kann; denn da gibt es offenbar Schwächen . Ich hät-
te das so nicht gesehen, aber vielleicht ist das ein Hand-
lungsauftrag an die Bundesregierung, sich des Themas
Evaluation tatsächlich anzunehmen; denn man braucht
am Ende eine Bewertung, um sagen zu können, ob man
ein Förderprogramm weiterführt oder es eben nicht tut .
Sehr beiläufig und oberflächlich ist ein Thema von
EFI erwähnt worden, was die Kommission als Innovation
im Bildungsbereich darstellt . Das sind die sogenannten
Massiv Open Online Courses, also Onlinevorlesungen an
Hochschulen . Das fand ich sehr spannend . Ich würde mir
wünschen, das weiter zu vertiefen . Es wird als einer der
Vorteile angesehen, dass die MOOCs, also die Online-
vorlesungen, Freiräume für inhaltsnahe Forschungsdis-
kussionen in kleinen diskursiven Präsenzveranstaltungen
schaffen .
Ich fand es spannend, dass eine Onlinevorlesung ge-
halten wird und die Hochschule dadurch einen Freiraum
gewinnt, um doch eine Präsenzveranstaltung in Form
eines Seminars in Kontakt mit den Studierenden zu ma-
chen. Dazu findet sich zu wenig im Gutachten. Ich hätte
mir eher gewünscht, dass dargestellt wird, was der pä-
dagogische Wert solcher Onlinevorlesungen ist und wie
man sie anders gestalten kann . Aber die Schlussfolge-
rung des Gutachtens halte ich doch für zu kurz gegriffen .
Zu Recht positiv bewertet wird, wie ich finde, die
Hightech-Strategie in ihrer Gesamtheit und in ihrem Ver-
lauf . Als sie 2007 durch die letzte Große Koalition auf
den Weg gebracht worden ist, haben wir Sozialdemokra-
tinnen und Sozialdemokraten immer kritisiert, dass die-
ser ursprüngliche Ansatz, technikorientierte Leitmärkte
und Schlüsseltechnologien zu fördern, für uns zu kurz
gegriffen ist und man diese Strategie an großen Heraus-
forderungen messen muss. Das ist in der zweiten Auflage
der Hightech-Strategie unter Schwarz-Gelb auch pas-
siert . Wir haben es als richtig empfunden, dass die gro-
ßen gesellschaftlichen Herausforderungen Gesundheit,
Energie, Umwelt und Klima stärker in den Mittelpunkt
gerückt werden .
Jetzt begrüßt EFI auch, dass es richtig ist, den Innova-
tionsbegriff um die sozialen Innovationen zu erweitern .
Auch das ist etwas, was wir seit langem gefordert haben .
Es kann bei der gesellschaftlichen Veränderung nicht
nur um Technik gehen, sondern es müssen auch soziale
Innovationen und soziale Veränderungen aufgenommen
werden, und das ist gut so .
Wir freuen uns, dass von EFI auch ausdrücklich
begrüßt wird, dass im Zusammenhang mit der High-
tech-Strategie die Partizipation und die Transparenz er-
höht werden sollen . Das heißt, die Beteiligung von Bür-
gern an Prozessen, wie Forschung gestaltet wird, ist für
uns ein wichtiger Schritt. Wir finden es richtig, dass EFI
die Haltung der Bundesregierung unterstützt, da mehr zu
tun .
Abschließend will ich noch ein Kernthema, das ich
ganz spannend finde, beleuchten, weil es ein industriepo-
litisches Thema ist . Es handelt sich um die sogenannte
Additive Fertigung, auch 3-D-Druck genannt . Jeder von
uns weiß, dass man mit Computern schreiben und aus-
drucken kann, was man am Computer geschrieben hat .
3-D-Druck bedeutet, dass man Produkte dreidimensional
René Röspel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514342
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ausdrucken kann . Das ist nicht nur künftig der Fall, son-
dern das wird heute schon gemacht .
Wenn Sie ein Hörgerät brauchen, dann wird dieses
individuell vermessen und im 3-D-Drucker ausgedruckt,
damit es wirklich passgenau ist . Dieses Verfahren hat
große ökonomische und ökologische Zukunftschancen .
Es bietet die Möglichkeit, wieder eine Einzelproduktion
zu fertigen . Das nennt man im Mittelstand Losgröße 1 .
Das Verfahren bietet die Möglichkeit, wieder Arbeits-
plätze zurückzuholen, weil die Nähe zum Kunden eine
größere Bedeutung gewinnt .
Die EFI formuliert aber auch offene Fragen, wem bei-
spielsweise die Designdaten gehören, die CAD-Daten,
wie die Produktsicherheit gewährleistet ist, also wenn
jemand zum Beispiel eine Tasse ausdruckt und daraus
ein Problem oder gar ein Unfall entsteht, oder welche
Haftungsfragen sich stellen . Das sind Fragen, die 2013
von einer lebhaften Opposition – nicht von Ihnen, son-
dern von der SPD – in einer Kleinen Anfrage zum Thema
3-D-Druck gestellt wurden .
Ich finde, dass diese Fragen nun endlich beantwortet
werden müssen . Die damalige Aufforderung der SPD,
nämlich dass eine gezielte Forschungsförderung im Be-
reich der Additiven Fertigung im Sinne einer Industrie-
entwicklung wichtig ist, sei ein Appell an uns alle bzw .
ein Appell, der an die Bundesregierung gerichtet ist . Das
ist ein großer Zukunftsbereich . Vielen Dank der EFI für
ein spannendes Gutachten .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Das Wort hat nun der Kollege Kai Gehring für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
fange jetzt nicht mit Weihnachtsvergleichen an, vielmehr
möchte ich mit der Weltklimakonferenz anfangen . Die
Weltklimakonferenz in Paris hat uns einmal mehr vor
Augen geführt: Wenn wir unseren Planeten retten und al-
len Menschen eine lebenswerte Zukunft sichern wollen,
dann müssen wir auch unser Wissenschafts- und Innova-
tionssystem dringend weiterentwickeln .
Es ist allerhöchste Zeit, es gezielt auf die Bewältigung
der großen Herausforderungen und die Schaffung einer
Green Economy auszurichten; denn ein anderes Wirt-
schaften setzt ein anderes Forschen voraus . Wir brauchen
vielfältigere Formen der Wissensproduktion und mehr
transformatives Wissen für eine soziale, eine ökologi-
sche, eine digitale Modernisierung unserer Wirtschafts-
weise . Kurzum: Unser Ziel ist, Deutschland zu einem
Pionierland für grüne Innovationen zu machen .
Für diesen Modernisierungsschub brauchen wir die vielen
Pioniere des Wandels in Universitäten, Fachhochschulen,
Forschungseinrichtungen, Unternehmen und in der Zivil-
gesellschaft . Sie alle müssen von der Forschungsförde-
rung über den Wissenstransfer bis zur Gründungskultur
endlich besser unterstützt werden .
Doch gerade auf diesen Gebieten belegt das EFI-Gut-
achten gravierende Defizite. Die Forschungs- und Ent-
wicklungsleistungen von kleinen und mittleren Unter-
nehmen sind seit Jahren rückläufig. Deswegen fordern
alle Experten unbürokratischere Rahmenbedingungen;
und deswegen wollen wir bei KMU mehr Kreativität und
Erfindergeist entfachen, unter anderem durch eine steuer-
liche Forschungsförderung .
Denn von den bestehenden Programmen werden die
Kleinsten kaum erreicht, obwohl sie das Rückgrat un-
serer Wirtschaft sind . Wir können es uns nicht länger
erlauben, Potenziale der anwendungsorientierten For-
schung des Mittelstands brachliegen zu lassen . So sind
Techniken zur Ressourceneinsparung, die gerade im mit-
telständisch geprägten Handwerk Anwendung finden, ein
Exportschlager, von dem Wirtschaft und Umwelt glei-
chermaßen profitieren. Diese grünen Wettbewerbsvortei-
le müssen wir ausbauen .
Wir brauchen mehr Forschung für nachhaltige Lösun-
gen und eine höhere Lebensqualität . Forscherinnen und
Forscher müssen sich daher noch stärker an Wissens-
feldern und Problemen statt an Disziplinen ausrichten .
Große Herausforderungen wie Klimakrise, Ressour-
cenknappheit, Demografie und Terrorismus machen
nicht an Fachgrenzen halt . Daher brauchen wir mehr
Anreize zur Zusammenarbeit und für interdisziplinäre
Brückenschläge, vor allem zwischen MINT und Geistes-
wissenschaften .
Nur mit einer Pluralität im Denken, mit einer Vielfalt der
Akteure und auch mit Ansätzen jenseits des forschungs-
politischen Mainstreams kommen wir auf neue Ideen
und damit weiter voran . Wir wollen fairen Zugang sowie
mehr Offenheit und Flexibilität bei Bundesforschungs-
programmen . Wir wollen mehr Forschung für den Wan-
del . Hier haben sich nicht zuletzt unabhängige ökologi-
sche Forschungsinstitute als erfolgreiche Pioniere des
Wandels entpuppt . Deswegen ist es so wichtig, der Nach-
haltigkeits- und Transformationsforschung bundesweit
zum Durchbruch zu verhelfen .
Die EFI-Experten halten es für dringend geboten, den
Innovationsbegriff der Hightech-Strategie zu präzisieren .
Da haben sie recht . Doch dazu schweigt sich die Stel-
lungnahme der Regierung, die heute auch Gegenstand
der Debatte ist, leider völlig aus . Ich bin davon überzeugt,
dass wir ein neues, ein breiteres Innovationsverständnis
René Röspel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14343
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brauchen; denn Technikgläubigkeit und das bloße Durch-
zählen von Patenten reichen nicht, um eine lebenswerte
Zukunft bauen zu können .
Wir müssen viel mehr auf soziale Innovationen setzen
und sie mit technischen Ansätzen zusammenbringen .
Eine reine Industriefixierung hilft nicht, um Gemein-
wohlorientierung, Ethik und Nachhaltigkeit sicherzustel-
len . Deswegen ist ein Wandel notwendig .
Weil soziale Innovationen so wichtig sind, muss For-
schung die Gesellschaft stärker mit ins Boot holen .
Das geht mit mehr Transparenz, mit einer verlässlichen
Technikfolgenabschätzung und mit Bürgerbeteiligung .
Bundesforschungsprogramme brauchen keine Showver-
anstaltung und keine Scheinbeteiligung an ihrem Ende,
sondern von Anfang an verbindliche Formate der Partizi-
pation von Wissenschaft und Zivilgesellschaft, Projekte
der Bürgerwissenschaften und so erfolgreiche Modelle
wie die Reallabore in Baden-Württemberg – diese sind
beispielgebend .
Die Freiheit und Innovationskraft der Wissenschaft
fußt auf ihrer verlässlichen Finanzierung . Daher, liebe
Koalition: Sorgen Sie endlich für eine bessere Grund-
finanzierung der Hochschulen! Das Grundgesetz er-
möglicht mehr, als immer wieder kurzzeitige Pakte
aneinanderzureihen . Sorgen Sie für ambitioniertere Zie-
le! Nehmen Sie endlich, wie EFI Ihnen seit Jahren ins
Stammbuch schreibt, Kurs auf das Ziel, 3,5 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Entwicklung
zu investieren .
Sie sollen sich nicht selbst beweihräuchern, sondern
Deutschland endlich in die Spitzengruppe der Innovati-
onsländer führen!
Forschung und Entwicklung brauchen kreative Köpfe
und Forscherinnen und Forscher gute Arbeitsbedingun-
gen . Das lässt sich gar nicht voneinander trennen . Des-
halb ist der Brückenschlag zur Debatte heute Abend rich-
tig . Denn planbare Karrieren und verlässliche Verträge
für Talente sind hierzulande Mangelware . Das muss sich
endlich ändern .
Um Wissenschaft als Beruf fairer und attraktiver zu
gestalten, reicht Ihre Novellierung zu Wissenschaftszeit-
verträgen nicht aus . Wir brauchen jetzt ein bundesweites
Programm für mindestens 10 000 feste Nachwuchsstel-
len an Hochschulen . Denn Neugier und Kreativität brau-
chen Sicherheit .
Wenn Sie von der Koalition unser Land innovativer
machen wollen, dann hören Sie auf die Ratschläge von
EFI und auf die der Opposition . Sie, Frau Wanka, wollen
offensichtlich so weitermachen wie bisher .
Wir wollen klare Ziele setzen: anders forschen für den
Wandel und raus aus dem finanziellen Mittelmaß.
Das Wort erhält nun die Bundesministerin Frau Pro-
fessor Wanka .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemals
zuvor in der langen Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland wurde so viel Geld für Forschung und Ent-
wicklung ausgegeben wie in den letzten Jahren und wie
in diesem Jahr . Das ist ein absoluter Höchststand .
Mit Ausgaben in Höhe von etwa 80 Milliarden Euro
liegen wir ganz nah am 3-Prozent-Ziel . Dieses Ziel ist
wichtig . Man kann sich nun die Situation schönreden und
sagen, dass es eine ganze Reihe von Nationen gibt, die
weniger als 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für For-
schung und Entwicklung ausgeben . Dazu gehören zum
Beispiel die großen USA, die zwar nicht schlecht daste-
hen, aber weniger ausgeben . Auch China mit seinen In-
novationssprüngen gibt ebenfalls viel weniger Geld aus .
Vom EU-Durchschnitt will ich erst gar nicht reden .
Ich denke, es ist richtig, sich an denen zu orientieren,
die mehr machen . Aber man muss da genau hinschauen .
Der Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlands-
produkt ist ein Indikator . Er ist einfach zu berechnen .
Damit wird aber nicht alles erfasst; dieses komplexe Ge-
schehen wird damit nicht vollständig abgebildet .
Schauen wir uns mal die Länder an, die mehr machen,
zum Beispiel Japan . Da ist der Anteil höher als 3 Pro-
zent, aber Japan hat eine Staatsverschuldung von über
200 Prozent. Das heißt, es wird über Schulden finanziert.
Die langfristigen Folgen kann man nicht einfach wegre-
den .
Ein weiteres Beispiel ist Israel . Dort schwankt der An-
teil um 4 Prozent, mal ist er höher, mal niedriger . Aber
zwei Drittel der Investitionen in Israel werden mit aus-
ländischem Geld getätigt . Das ist keine Situation, die mit
unserer vergleichbar ist . Ein anderes Beispiel ist Korea .
Dort wird das Bruttoinlandsprodukt zu einem hohen An-
teil – mehr als die Hälfte – von zwei, drei Firmen getra-
gen . Wenn Samsung einmal nicht mehr so gut dasteht,
dann kracht es aber .
Kai Gehring
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514344
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Daher sage ich, dass der Anteil von 3 Prozent nur ein
Indikator ist . Wenn man aber noch Kriterien wie verläss-
liche Haushaltsführung und das Vermeiden von neuen
Schulden hinzunimmt, dann sind wir langfristig richtig
gut und solide aufgestellt .
Nun spricht das EFI-Gutachten von 3,5 Prozent in
2020 . Ich bin entschieden der Meinung, dass wir jedes
Jahr diesen Anteil steigern müssen . Wir müssen uns
wirklich ehrgeizige Ziele setzen . Alle haben von 3,5 Pro-
zent gesprochen, auch Stefan Kaufmann . Hat sich aber
mal einer gefragt, was das bedeuten würde und ob das
eigentlich realistisch ist?
Ich will die Situation beschreiben: Jetzt geben wir
80 Milliarden Euro aus, im Jahr 2020 müssten wir
125 Milliarden Euro ausgeben . Bund und Länder müss-
ten mindestens 5 Milliarden Euro mehr ausgeben – das
ist vielleicht noch zu stemmen; wir müssten allerdings
unsere gesamte Planung ändern –, aber die Wirtschaft,
die jetzt 60 Milliarden Euro ausgibt, müsste dann 25 Mil-
liarden Euro zusätzlich ausgeben . Es ist also im Moment
nicht vorstellbar, wie das realisierbar ist . Wir gehen da-
von aus, dass der Gradient nach oben gehen muss .
Die BAföG-Mittel wurden erwähnt . Vonseiten der EFI
wurde gefordert – darüber habe ich mich sehr gefreut –,
die BAföG-Mittel in diesem Bereich einzusetzen . Da Sie,
Herr Gehring, forderten, das 3,5-Prozent-Ziel anzustre-
ben – die Länder müssten dann mindestens 5 Milliarden
Euro drauflegen –, wäre es ganz gut, wenn Sie zum Bei-
spiel mal individuell Ihrer grünen Ministerin
oder Ihrer rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen
vorschlagen würden, wenigstens einen Euro von den
110 Millionen Euro, die wir zur Verfügung gestellt ha-
ben, in diesen Bereich zu geben .
Außerdem: Die 1,2 Milliarden Euro reichen für mehr als
10 000 Stellen . Dass sie nicht dafür eingesetzt werden,
finde ich auch schade; aber das Geld ist da. Das haben
wir jetzt schon auf den Tisch gelegt .
Meine Damen und Herren, wenn wir diese Zahlen
steigern wollen, dann halte ich Politikerreden, die ich in
letzter Zeit gehört habe und in denen gesagt wird: „Wir
wollen die 3,5 Prozent bis 2017 erreichen“, für töricht .
Ich denke, wir zeichnen uns dadurch aus, dass wir rea-
listisch sind, dass wir Pläne haben, aber dass wir auch
ein Stückchen Bodenhaftung haben, um die Pläne um-
zusetzen .
Im Bericht der EFI wurde die Hightech-Strategie der
Bundesregierung diesmal genauer angeschaut und ana-
lysiert . Zum Beispiel wurden die Spitzencluster – Herr
Röspel hat es erwähnt – gelobt und diesbezüglich der
Vorschlag gemacht, stärker auf Impulse nach außen zu
setzen . Genau das haben wir gemacht . Ich habe schon
in den Koalitionsverhandlungen dafür gekämpft, dass
wir nicht sagen: Das ist ein klasse Instrument, und das
machen wir jetzt noch mal und noch mal und noch mal . –
Dann wäre die Wirkung weg . Es geht um Weltmarktfüh-
rer, um wirkliche Spitzenleistung . Die kann man nicht
einfach multiplikativ, additiv immer wieder neu dazuer-
finden.
Industrie 4 .0 . Forderung der EFI: Wir brauchen eine Re-
ferenzarchitektur . Das läuft . Wir haben ein Programm für
eine Referenzarchitektur im IT-Bereich, im Bereich In-
dustrie 4 .0 und werden das im nächsten Jahr vorstellen .
Aber was ich bei der EFI an dieser Stelle vermisse, ist das
zentrale Thema für Industrie 4 .0 . Das zentrale Thema ist
Sicherheit, Datensicherheit und IT-Sicherheit . Sie müs-
sen richtig lesen . Es geht nicht nur um die Kompetenz-
zentren für IT-Sicherheit, für die wir nicht 16 Millionen,
sondern fast 40 Millionen Euro ausgeben .
– Ja, ja, aber IT-Sicherheit ist nur ein Punkt . Es geht um
das große Programm . Für uns ist das ein Schwerpunkt .
Worauf ich ganz besonders stolz bin – die Fraunho-
fer-Gesellschaft hat das angeregt, wir haben auch po-
litisch dafür gekämpft und sind jetzt praktisch auf der
Zielgeraden –, ist die „Initiative Industrial Data Space“,
weil das der Wettbewerbsvorteil sein wird – nicht nur für
Deutschland . Oettinger will sie nach Europa holen . Das
wird der Wettbewerbsvorteil sein, und dann können wir
aus Industrie 4 .0 richtig was machen, was diesem Stand-
ort nutzt .
EFI sagt: Wir brauchen eine Wissenschaftsschranke .
Ich sage: Wir brauchen nicht nur eine Wissenschafts-
schranke, sondern wir brauchen auch eine Bildungs- und
Wissenschaftsschranke sowie eine totale Veränderung des
Urheberrechts . Ich habe gerade vorgestern einen Brief der
Allianz bekommen . Das muss jetzt erfolgen . Das muss
schnell erfolgen . Da muss ich wirklich sagen: Ich bin
nicht federführend, aber die Bundesregierung muss jetzt
endlich diesen Punkt bearbeiten . Der ist zentral .
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14345
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– Wir haben etwas gemacht, auf jeden Fall .
Die MOOCs, Herr Röspel: Da fand ich das EFI-Gut-
achten ein bisschen hinter der Zeit . Das war der erste
Hype in den USA . Das ist schon längst wieder abgeklun-
gen, das ist kein Geschäftsmodell .
Aber die Grundidee „Wie macht man interaktiv Lehre?
Wie erreicht man Menschen auf der ganzen Welt?“ ist
wichtig . Wir versuchen mit unserer Plattform „Digitali-
sierung in Bildung und Wissenschaft“, diese Idee umzu-
setzen, und wir haben einzelne Hochschulen in der Bun-
desrepublik,
die richtig gut sind in diesem Bereich, aber wir brauchen
dieses Medium in sehr viel stärkerem Maße, also nicht
über MOOCs, sondern in modernen Formen, in denen
dann auch die Studierenden untereinander kommunizie-
ren . Das ist ein großer Vorteil, den wir so vor 10 oder
15 Jahren noch nicht hatten .
Zum Thema KMU muss ich sagen: Stimmt, wir haben
in der Bundesregierung Jahr für Jahr mehr Geld ausgege-
ben – aktuell über 1,4 Milliarden Euro pro Jahr – für In-
novation im KMU-Bereich . Die Ergebnisse waren nicht
zufriedenstellend: Es gab keine Steigerung, sondern eine
Stagnation . Die Ausgaben sinken zum Teil sogar . Des-
wegen ist es zum Beispiel falsch – was immer wieder
gemacht wird –, dass die Wirksamkeit eines Programms
einfach evaluiert wird nach dem Motto „Da ist eine gro-
ße Nachfrage . Das Programm ist toll, das müssen wir
aufstocken“ . Das ist überhaupt kein Kriterium . Ein Pro-
gramm kann gerade auch deshalb nachgefragt werden,
weil man auf diesem Wege einfach an Geld kommt . Die
Kriterien für Evaluationen sind wirklich wichtig . Das ist
ein Prozess, mit dem wir uns im Hause intensiv beschäf-
tigen, und wir glauben auch, dass wir da noch Verbesse-
rungsbedarf haben .
Die EFI hat gesagt: Hinsichtlich der KMU muss man
analysieren, was man besser machen kann . Wir sind da-
bei, und wir müssen es wirklich neu sortieren . Das ist
aber der feste Anspruch .
Ich denke auch, dass soziale Innovationen ganz klar in
den Blick genommen werden müssen . Ich habe das schon
oft angesprochen, aber man ist hier unbelehrbar. Das fing
nicht vor ein oder zwei Jahren an, gucken Sie sich unsere
Projekte von vor fünf Jahren in der Hightech-Strategie
im Gesundheitsbereich an . Das sind soziale Innovatio-
nen . Dort geht es um diese Themenbereiche, nicht um
harte Technik oder irgendein neues Gerät oder ein neues
Produkt . Das ist einfach Unfug . Deswegen bin ich auch
nicht dafür, dort den Innovationsbegriff einzuschränken;
denn es ist ein breitgefächerter Begriff, der noch in drei,
vier Jahren aktuell sein wird .
Jetzt mein letzter Punkt: Nachhaltigkeit . Wir haben
gerade über den Weltklimagipfel in Paris gesprochen . Es
ist doch klar, dass wir hier etwas machen müssen . Sie
erwähnen dieses Thema gern öfter .
Was haben Sie in der Zeit, als Sie an der Regierung wa-
ren, für Nachhaltigkeit getan? Ich habe mir einmal die
Zahlen in meinem Ministerium angesehen .
– Ja, das ist schon ein bisschen länger her, aber es zeigt
trotzdem etwas .
Da haben Sie im Schnitt ungefähr 230 Millionen Euro
für den Bereich Nachhaltigkeit ausgegeben . Wir sind
jetzt bei etwa 400 Millionen Euro . Wir wollen allein bei
meinem Etat auf 570 Millionen kommen, nicht von der
gesamten Bundesregierung .
– Ja, völlig klar . Herr Schulz vom Haushaltsausschuss
ist begeistert: aus unserem gemeinsamen Etat 570 Mil-
lionen Euro .
Heute macht auch die SPD mit, wenn die CDU/CSU
für Nachhaltigkeit ist .
Das war damals nicht der Fall .
Wenn Sie sich anschauen, was wir im Bereich Nachhal-
tigkeit machen, dann stellen Sie fest, dass das breitge-
fächert ist . Dabei geht es auch um Technologie . Wir ha-
ben einen Weltmarktanteil von 14 Prozent bezüglich der
Umwelttechnologie . Wir sind also ganz weit vorne . Aber
dort geht es auch um Stadtentwicklung . Es geht um The-
men wie Integration und Migration, auch da gibt es For-
schungsaufträge . Es geht nicht nur darum, dass wir hier
in Deutschland Geld für Forschung ausgeben, sondern es
geht auch darum, was wir zum Beispiel mit unseren Zen-
tren in Afrika, in Südafrika und in Westafrika, machen,
wenn es um Klimaschutz geht . In diesem Jahr fand hier
in Deutschland die Konferenz des WASCAL statt . Wir
haben es zum ersten Mal geschafft, dass die westafrikani-
schen Staaten eine gemeinsame Strategie hatten und dass
sie selber Geld einsetzen – nicht nur unseres –, weil wir
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514346
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auf Augenhöhe kooperieren . Das heißt, das Thema Nach-
haltigkeit ist bei uns bestens aufgestellt .
Die Energiewende wird nicht funktionieren, wenn
nicht entsprechende Forschungsergebnisse erzielt wer-
den . Deshalb glaube ich: Beim Thema Nachhaltigkeit
ist es ganz entscheidend, dass wir Prioritäten gesetzt
haben in den Bereichen der Energieforschung: Koperni-
kus-Projekte, vier große Projekte über zehn Jahre . Wenn
die nicht zur Lösung führen, dann sieht es schwarz aus,
also dunkel .
– „Schwarz“ war nicht so gut .
Die Kopernikus-Projekte sind eine große Leistung, die
es so nirgendwo auf der Welt gibt . Wir haben gemeinsam
mit den Naturschützern, mit den Umweltverbänden, mit
den Wirtschaftsunternehmen und mit der Wissenschaft
diskutiert . Ich kann Ihnen sagen: Es war mühevoll . Wir
haben anderthalb Jahre diskutiert, bis wir ein Ergebnis
erreicht haben, das uns richtig voranbringen wird . Wir
setzen für dieses Thema strategisch Geld ein, nicht nur
für heute und morgen, sondern für die nächsten zehn Jah-
re .
Meine Damen und Herren, ich denke, dass Bildung
und Forschung Schlüsselbegriffe für Wettbewerbsfähig-
keit sind, ist uns allen klar . Wir sind gut aufgestellt . Wir
müssen aber am Ball bleiben, wenn wir wirtschaftlich
stark bleiben wollen . Als Herr Kaufmann von Weih-
nachten sprach, dachte ich, er wünscht sich Geschenke
wie Innovationen und Geld, um in diesem Land gute
Lebensbedingungen zu haben . Ich bin ganz fest davon
überzeugt, dass nur ein starkes Land, ein wirtschaftlich
starkes Land, ein Land mit einem guten Zusammenhalt
genug Selbstvertrauen und Offenheit hat, um die riesen-
großen Herausforderungen, die vor uns liegen – zum
Beispiel Globalisierung, Digitalisierung, Integration –,
anzugehen . Dazu wünsche ich mir von Ihnen Unterstüt-
zung und Gemeinsamkeit .
Danke .
Für die Fraktion Die Linke erhält nun die Kollegin
Rosemarie Hein das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
gebe zu, ich war vom diesjährigen Gutachten zu For-
schung und Innovation enttäuscht .
Noch im Gutachten des Jahres 2011 war zu lesen, dass
Innovation nicht nur eine angemessene Forschungsför-
derung braucht, sondern auch Menschen, die gut gebildet
sind und ihre Potenziale entfalten können . Nach Ansicht
der Expertenkommission – ich zitiere – „hat der Weg-
fall der Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung Folgen,
die dem Aufbau eines leistungsfähigen Bildungssystems
abträglich sind .“ Darum empfahl man damals – ich zitie-
re wieder – „die Rücknahme des Kooperationsverbots“
zwischen Bund und Ländern .
Nun ist seit Anfang des Jahres Artikel 91 b des Grund-
gesetzes bezüglich der Zusammenarbeit im Hochschul-
bereich – aber auch nur dort – gelockert . Die Zusammen-
arbeit zwischen Bund und Ländern ist in diesem Bereich
wieder möglich . Das wertet die Kommission als großen
Erfolg der Wissenschaftspolitik . In der übrigen Bildungs-
politik ist eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern
aber nach wie vor nicht möglich . Darum kann ich ehrlich
gesagt die Zufriedenheit der Kommission nicht verste-
hen .
Wie sollen denn die Berufsschulen ausgerüstet wer-
den, die Fachkräfte für die Fertigung in der Industrie 4 .0
ausbilden? Die technische Ausstattung solcher Schulen
ist immens aufwendig und kostet unglaublich viel Geld .
Für die Ausstattung der berufsbildenden Schulen sind die
Kommunen zuständig . Diese Aufgabe werden sie nicht
stemmen können, auch die Länder nicht . Baden-Würt-
temberg fördert jetzt acht solcher Schulen . Wir haben
aber knapp 300 berufsbildende Teilzeitschulen . Das ist
ein Maßstab, den man den Ländern nicht mehr alleine
zumuten kann, zumal das nicht die einzige Aufgabe ist,
die im Bildungsbereich zu stemmen ist . Es geht vielmehr
auch um Digitalisierung, um Inklusion, um Integration,
um Schulsozialarbeit, nur um über soziale Innovation zu
sprechen .
Doch da darf der Bund nicht mitfinanzieren, auch bei den
Berufsschulen nicht . Selbst hinsichtlich der Realisierung
der Eliteschulen IT/Digital von der Wunschliste des Ko-
alitionsvertrages können Sie nur Appelle an die Länder
richten, tätig zu werden. Ich finde, das ist einfach nicht
mehr zeitgemäß .
Doch bleiben wir bei der erreichten Grundgesetzän-
derung, die sich auf die Hochschulen bezieht . Die Ex-
pertenkommission erhofft sich davon neue Gestaltungs-
möglichkeiten . Was wir bisher allerdings erleben, ist vor
allem die Anwendung der alten Instrumente . Dafür hätte
man die Grundgesetzänderung nicht gebraucht .
Vor allem scheint es Ihnen um die Exzellenzinitiative zu
gehen; da sind Sie sich ja mit den Ländern auch schon
einig geworden .
Doch damit verlässlich Spitzenleistungen entstehen,
bedarf es einer breiten soliden Basis .
Darum die Frage: Was ist denn mit der Verstetigung des
Hochschulpaktes? Was ist mit dem Hochschulbau? Was
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ist mit dem Bau von Wohnheimen für Studierende? Was
ist mit der Grundfinanzierung der Hochschulen, was mit
der Lehrerbildung, was mit der Stärkung der Fachhoch-
schulen, was mit der geforderten Aufstockung der Pro-
grammpauschalen? Dort setzen Sie entweder weiterhin
auf befristete Programme, oder Sie gehen das Problem
überhaupt nicht an . Aber da gäbe es Gestaltungsmöglich-
keiten .
Ich denke, es ist falsch, wenn man sich vonseiten des
Bundes vor allem auf die Sahnehäubchen konzentriert
und die Kärrnerarbeit den Ländern überlässt . Da reicht
auch nicht der ständige Verweis auf die Erhöhung der
BAföG-Mittel . Da reicht es auch nicht aus, dass man
ständig nur die guten Zahlen vor sich herträgt . Sicher,
der Hochschulpakt ist kein Sahnehäubchen; das will ich
nicht behaupten . Aber er soll eben nicht verstetigt wer-
den, und aufgestockt werden soll er auch nicht, ansonsten
hätten Sie unseren Anträgen zugestimmt .
Ich finde, es ist an der Zeit, die Wirkungen von Arti-
kel 91 b des Grundgesetzes in einem Fachgespräch mit
den Hochschulen im Ausschuss zu überprüfen, aber da
möchte die Koalition bislang nicht ran . Vielleicht ändert
sich das ja, wenn wir im Januar einen Antrag vorlegen,
in dem wir wieder die Aufhebung des Kooperationsver-
botes fordern, und die Debatte kommt neu in Gang . Viel-
leicht sind Sie dann bereit, darüber zu reden, was hier
bewirkt wurde . Ich glaube, dass die Hochschulen etwas
anderes erwartet haben und dass sie inzwischen langsam
enttäuscht sind . Wenn nicht, gut, dann müssen wir uns
belehren lassen, wenn aber doch, dann sollten Sie überle-
gen, wie es besser geht .
Herr Röspel, ich muss Ihnen schon sagen: Es ist er-
staunlich, wie man, wenn man in Regierungsfunktion ist,
bei der Äußerung von Kritik, die Sie früher immer hat-
ten, plötzlich so abgeschliffen wird . Ich kenne das schon .
Ich glaube, Ihre Schimpftirade vorhin war lediglich ein
Ausdruck Ihres eigenen Unbehagens .
Vielen Dank .
Simone Raatz hat nun das Wort für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich in
meinen Beitrag einsteige: Herr Lenkert, Sie dürfen heute
Abend wohl nicht mehr sprechen, da Sie Ihren Redebei-
trag schon vorweggenommen haben . Oder haben Sie die
Rede verwechselt? Ich war mir zwischenzeitlich nicht
sicher .
Auch die Redebausteine – es gibt bei den Linken ja sol-
che Redebausteine – passen nicht immer . Das wollte ich
nur sagen .
Ab und zu wäre es schön, wenn Sie zum Thema sprechen
würden .
Ich möchte das tun . Mein Kollege René Röspel hat
einen Satz aus dem EFI-Bericht erwähnt, den ich zitieren
möchte:
Die langfristige Entwicklung der Innovationsaktivi-
täten in deutschen KMU gibt Anlass zur Sorge . …
Zudem sind die Innovationsaufwendungen … deut-
lich gesunken .
Die Innovationsfähigkeit nimmt ab . Das ist ein Alarmsig-
nal für uns alle . Die Bewertung der Innovationsintensität
der KMU im vorliegenden EFI-Bericht zeigt, dass sich
der Anteil an Innovationsausgaben am Unternehmens-
umsatz von 1995 bis 2012 von 2,7 Prozent auf 1,6 Pro-
zent nahezu halbiert hat .
Frau Hein, Sie haben eben etwas zum Thema Kritik-
fähigkeit gesagt . Auch wir sehen die kritischen Punkte .
Auch wir sehen, dass die Schere zwischen kontinuierlich
forschenden Unternehmen und nur sporadisch bzw . an-
lassbezogen innovierenden Unternehmen immer weiter
auseinandergeht, und das insbesondere in strukturschwa-
chen Regionen . Ich glaube schon, dass wir unseren Fokus
darauf richten müssen . Wie ich schon sagte: Die Zahlen
sind ein Alarmsignal, auf das wir reagieren müssen; denn
Innovationen sind die Basis für unseren individuellen
und gesellschaftlichen Wohlstand und damit auch für den
sozialen Fortschritt .
Politisches Handeln muss sich daher sowohl an den Stär-
ken – meine Vorredner haben schon einige benannt – als
auch an den Schwächen unseres deutschen Innovations-
systems orientieren . Vorausgehen muss dem eine kriti-
sche Sicht auf die seit Jahren eingeübten Muster inno-
vationspolitischer Fördermaßnahmen . Geld alleine tut es
hier eben nicht .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verfügen mit
unseren Hochschulen und außeruniversitären For-
schungseinrichtungen über ein sehr gutes Bildungs- und
Wissenschaftssystem, das jedes Jahr eine Vielzahl an
exzellenten Forschungsergebnissen hervorbringt . Das ist
eindeutig eine Stärke . Doch es gelingt uns nur unzurei-
chend, diese wissenschaftlichen Ergebnisse in innovative
und marktfähige Produkte zu transferieren . Hier existiert
eine Lücke zwischen erkenntnisorientierter Forschung
und Produktinnovation, und diese Lücke sollte zügig ge-
schlossen werden .
Dr. Rosemarie Hein
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514348
(C)
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Genau hier setzt die im September ins Leben gerufene
Projektgruppe „Neue Erfolge – Vorsprung durch Inno-
vation“ der SPD-Bundestagsfraktion an . Es geht uns
darum, die Rahmenbedingungen für den Technologie-
transfer und letztlich für die Innovationsfähigkeit von
kleinen und mittelständischen Unternehmen deutlich zu
verbessern und herauszuarbeiten, wie diese Verbesserung
gelingen kann . Ein erstes Dialogpapier dazu liegt bereits
auf dem Tisch .
Herr Lenkert, wir brauchen keine zehn Monate, um
über den vorliegenden Bericht zu debattieren . Wir haben
bereits entsprechende Papiere auf den Tisch gelegt, die
auf der Grundlage des EFI-Berichts erstellt wurden .
Wir führen Expertenrunden durch, wir führen Gespräche .
Von Ihnen habe ich bisher noch kein Ergebnis gesehen .
Ich möchte kurz einen Punkt aus unserem Dialogpa-
pier herausgreifen . In diesem geht es um die verbesserte
Zusammenarbeit von KMU mit Hochschulen für an-
gewandte Wissenschaften und außeruniversitären For-
schungseinrichtungen . Fachhochschulen haben sich in
den vergangenen Jahrzehnten zu einem wichtigen Ele-
ment in unserem differenzierten Wissenschaftssystem
entwickelt . Sie spielen insbesondere für den Mittelstand
eine wichtige Rolle . Fachhochschulförderung ist deshalb
für uns auch immer Mittelstandsförderung . Als regional
stark verankerte Ausbildungsorte wollen wir sie in ihrer
Funktion für das Wissenschafts- und Innovationssystem
weiter stärken . Denn Fachhochschulen verfügen über ein
bisher noch nicht ausgeschöpftes Potenzial beispielswei-
se bei der anwendungsorientierten Forschung und bei der
Kooperation mit kleinen und mittelständischen Unter-
nehmen .
Die Frage, die sich uns stellt, ist: Wie kann das Po-
tenzial besser als bisher gehoben werden? Das Potenzial
kann zum Beispiel besser gehoben werden, indem wir
erstens den bedarfsorientierten Technologietransfer mehr
als bisher in den Fokus rücken und indem wir zweitens
die Verstetigung des Personalaustauschs bei Berufungen
und über langfristige Stiftungsprofessuren ermöglichen .
Hierzu gehören, wie schon erwähnt, insgesamt bessere
Zukunftsaussichten für Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler; denn nur so gelingen langfristige Beziehun-
gen zu Netzwerkpartnern . Aber ich denke, darüber wird
heute noch gesprochen . Deswegen an dieser Stelle nur
so viel dazu . Drittens sollten sowohl Fraunhofer-Institute
mit ihren Anwendungszentren als auch die AiF als leis-
tungsfähige Forschungsplattform in Kooperationen mit
Fachhochschulen zielgerichtet einbezogen werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir neh-
men die Ergebnisse des EFI-Berichtes ernst, und wir ma-
chen etwas daraus . Mit unserem Dialogpapier eröffnen
wir die Möglichkeit, Lösungsansätze mit Interessierten
zu diskutieren und das Papier auf dieser Basis weiter zu
qualifizieren. Ich freue mich auf die daraus folgenden po-
litischen Initiativen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Dieter Janecek das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Ich glaube, für For-
schung und Entwicklung könnten die Zeiten spannender
nicht sein . Schauen wir einmal auf den letzten Samstag,
auf die Weltklimakonferenz: 195 Staaten haben gemein-
sam beschlossen, dass wir in den nächsten Jahrzehnten
den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter planen und um-
setzen . Dafür brauchen wir starke Forschung und Ent-
wicklung . Deswegen, Frau Wanka, ist es wichtig, dass
wir uns darum bemühen, mehr für Forschung und Ent-
wicklung auszugeben . Wir müssen die entsprechenden
Ziele verfolgen und sagen: Es reicht uns nicht, bei 3 Pro-
zent stehen zu bleiben . 3,5 Prozent ist das richtige Ziel .
Lassen Sie uns dafür gemeinsam kämpfen .
Ein zweiter Megatrend ist die Digitalisierung . 2020
wird es 50 Milliarden Endgeräte geben, die miteinander
interagieren . Digitale Vernetzung heißt die neue Stra-
tegie, die das BMWi gemeinsam mit Ihrem Haus, Frau
Wanka, aufsetzt . Das ist richtig . Die Frage ist nur: Wel-
che Richtung verfolgen Sie mit der Digitalen Agenda bis-
lang? Dabei geht es nicht nur um Forschung und Tech-
nik, sondern auch um die Rahmenbedingungen .
Ich erinnere an das Thema Netzneutralität: Brauchen wir
ein Zwei-Klassen-Internet? Das brauchen wir nicht . Wir
brauchen eines auf einer Schiene, ein Internet für alle .
Die Rahmenbedingungen dafür haben Sie aber nicht ge-
schaffen .
Übrigens: Die EU-Datenschutz-Grundverordnung,
die wir seit zwei Tagen haben, ist etwas Tolles, auch für
Wirtschaft, Forschung und Technik . Jetzt haben wir end-
lich einheitliche Rahmenbedingungen; jetzt haben wir
endlich Rechtssicherheit . Also: All das gehört zusammen
und muss zusammen gedacht werden .
In diesem Zusammenhang ist natürlich auch die Fra-
ge zu stellen: Warum sinken die Innovationsaufwendun-
gen der kleinen und mittleren Unternehmen? Sie haben
zu Recht gesagt: Das liegt nicht daran, dass wir wenig
Geld hineingegeben haben . – Das ist völlig korrekt . Aber
wir müssen schon evaluieren, woran das liegt . Als Ge-
genmaßnahme schlagen wir Ihnen die steuerliche For-
schungsförderung vor .
Dr. Simone Raatz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14349
(C)
(D)
Dieses Instrument sollte in diesem Bereich endlich ein-
geführt werden . Ich weiß, dass Herr Riesenhuber, der
nach mir redet, ein großer Fan davon ist . Vielleicht kom-
men wir da ja doch noch mal zusammen .
Die sogenannten Massive Open Online Courses,
MOOCs genannt, sind ein spannendes Thema . Wenn ich
dieses Thema unter dem Schlagwort „Diversity“ betrach-
te oder auch mit Blick auf die vielen Flüchtlinge, die jetzt
zu uns kommen, dann frage ich mich – wir sind ja auch
hier, um ein paar Ideen zu entwickeln –, warum wir es
eigentlich nicht schaffen, den vielen Menschen, die jetzt
zu uns kommen, einen Zugang zu diesem Instrument zu
ermöglichen . Vielleicht wären ein entsprechendes Hoch-
schulprogramm oder eine Anschubfinanzierung für den
Erwerb von Laptops möglich . Dieses Instrument bietet
doch die Möglichkeit, dass Flüchtlinge gezielte Bil-
dungsangebote wahrnehmen können .
Auch bezüglich des Wagniskapitals müssen die Rah-
menbedingungen verbessert werden; das ist klar . Ferner
muss die Additive Fertigung, der 3D-Druck, stärker ge-
fördert und genutzt werden . Ich habe einige Unterneh-
men bei uns in Bayern, die in diesem Bereich Weltmarkt-
führer sind, besucht . Diese Unternehmen werden jetzt
übrigens von Airbus und anderen gezielt aufgekauft . Das
ist gut . Die Vision ist, am Ende in der Losgruppe 1 zu
sein . Das ist eine gute Vision . Die Frage ist aber: Was ist
der Forschungsaspekt dahinter? Inwiefern führt uns das
zu einer Ökonomie, die stärker auf dezentrale Strukturen
setzt? Auch das muss, glaube ich, betont und in so ein
Programm hineingeschrieben werden .
Wenn man das alles zusammenbringen will, dann
muss man auch über die Standards nachdenken: Open
Source, Open Data . Das gilt übrigens auch für die öffent-
liche Verwaltung. Wir haben große Defizite im Bereich
E-Government . Der Normenkontrollrat sagt, dass wir
in diesem Bereich ein Einsparpotenzial von 45 Prozent
haben . Warum kriegen wir das nicht umgesetzt? Warum
kommen wir da nicht voran? Warum schaffen wir kei-
ne Offenheit über Schnittstellen und entsprechende Pro-
gramme?
Ich komme zurück zu meinem ersten Thema, zu den
ökologischen Innovationen, was Sie nicht überraschen
wird: Wer in die Zukunft investieren will, der darf nicht in
fossile Energien investieren, sondern muss in erneuerba-
re Energien und in Effizienzstrukturen investieren. Dafür
brauchen wir auf dem Markt aber Rahmenbedingungen,
die das befördern, zum Beispiel ein Top-Runner-Pro-
gramm, mit dem ökologische Innovationen unterstützt
und Anreize für Material- und Rohstoffeffizienz gesetzt
werden . Auch hier können wir noch viel mehr tun als bis-
her . Wir können auch ein Wertstoffgesetz einführen, wel-
ches Anreize für eine ökologische Produktverantwortung
setzt und entsprechende Innovationen hervorruft .
Mein letzter Punkt ist die öffentliche Beschaffung:
„Green by IT“ und „Green IT“ sind nicht nur Schlagwör-
ter, die man in Sonntagsreden verwenden kann . Diese
Prinzipien müssen festgeschrieben und umgesetzt wer-
den, damit sie in Sachen Ökologie ein Innovationsmotor
werden .
Wenn wir das alles zusammen hinbekommen, dann
wird es bald gut; wenn nicht, wird es ein bisschen länger
dauern .
Vielen Dank .
Das Wort erhält nun der Kollege Heinz Riesenhuber
für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen! Es ist in der
Tat so, dass die Diskussion über den EFI-Bericht für
die Forschungspolitiker ein Hochfest im Jahr ist . Herr
Röspel hat darauf hingewiesen, dass dabei durchaus vie-
le große und wichtige Bereiche mit einem herzlichen Lob
bedacht werden . Er hat aber auch darauf hingewiesen,
dass der interessantere Teil der Diskussion sich um die
Frage dreht: Wo gibt es noch Anregungen, Kritik, Beden-
ken, Hoffnungen, Meinungen, Beschwerden, Vorwürfe
oder ähnliche grundsätzliche Dinge?
Das heißt, wir sprechen jetzt nicht mehr über all die
glanzvollen Erfolge . Wir sprechen nicht über die gewalti-
ge Steigerung des Forschungshaushalts des Bundes . Seit
2005 sind es über 65 Prozent, und die Wirtschaft hat mit-
gezogen, und sie war auf den Weltmärkten erfolgreich .
Unsere Wirtschaft liefert etwa 12 Prozent – wahrschein-
lich inzwischen etwas mehr – der forschungsintensiven
Produkte auf den Weltmärkten . Das heißt, die Strategie
ist richtig .
Wir sprechen jetzt nicht darüber, dass die Grundla-
genforschung stetig und solide finanziert wird, dass sie
damit die Freiheit hat, ihre Arbeit aus der eigenen Kre-
ativität heraus zu gestalten . Wir sprechen nicht über die
Grundgesetzänderungen im Hochschulbereich und die
Chancen, die daraus entstanden sind . Wir sprechen nicht
darüber, dass wir bei den Forschungsausgaben bei nahe-
zu 3 Prozent des BIP liegen, na, vielleicht sprechen wir
ja doch darüber .
Aber zwei, drei Punkte sind hier immer wieder an-
gesprochen worden. Ich finde folgende Frage sehr inte-
ressant: Warum sind die Innovationsaufwendungen der
mittelständischen Unternehmen nicht entsprechend den
wachsenden Umsätzen gestiegen? Sie lagen einmal bei
2,7 Prozent der Umsätze . Sie sind jetzt im Durchschnitt
Dieter Janecek
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514350
(C)
(D)
gesunken auf 1,6 Prozent . EFI ist bis jetzt noch ratlos .
Wenn kluge Leute ratlos sind, soll man nicht entschei-
den . Dann soll man erst einmal denken, bevor man tut,
was man soll; denn man sollte wissen, was man tut, bevor
man beginnt .
Insofern warten wir voller Neugier auf den nächsten
EFI-Bericht; denn EFI hat uns versprochen – das sind ja
die Experten, die sich in Freiheit ihre Themen wählen –,
dass sie sagt, was die Gründe dafür sind, dass kleine und
mittlere Unternehmen – KMU – weniger in Forschung
investieren, und vielleicht auch, was die Abhilfen sind .
Da mag man jetzt nach unterschiedlichen Zeiten diffe-
renzieren, da mag man nach Zahlen differenzieren – ge-
legentlich forschen 20 000 KMU, regelmäßig forschen
über 30 000 KMU –, aber wenn wir sehen, dass unser
größtes Programm, das ZIM, mit über 500 Millionen
Euro pro Jahr von 1,4 Milliarden Euro für mittelständi-
sche Forschung allenfalls 4 000 Unternehmen pro Jahr
erreicht, sind das bezogen auf die 30 000 noch keine qua-
lifizierte Mehrheit.
Wir wollen die Breite haben . Ich freue mich sehr über
die leidenschaftliche Unterstützung der Grünen und auch
der SPD . Ich erinnere mich an die letzte Diskussion hier
im Plenum, in der Frau Wicklein über die steuerliche
Forschungsförderung gesprochen hat . Ich freue mich
über die leidenschaftliche Unterstützung für ein Instru-
ment, das alle forschenden Unternehmen erreicht, das
in die Breite geht und das unbürokratisch ist . Ich weiß
schon, dass wir es in dieser Legislaturperiode nicht hin-
bekommen;
denn in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode arbei-
ten alle Parteien an ihrem Wahlprogramm . Da kommen
die Erleuchtungen . Ich habe zwar eine Vorstellung, wie
in der nächsten Legislaturperiode die Koalition bzw . die
Regierung aussehen wird,
aber vielleicht bekommen wir Koalitionen, auf die wir
uns noch nicht eingestellt haben . Wenn Sie alle die steu-
erliche Forschungsförderung jetzt majestätisch in Ihre
Programme schreiben, dann bekommen wir eine Vor-
aussetzung dafür, dass sich die Wirklichkeit ändert, dass
wir in die Breite gehen mit einem fröhlichen Unterneh-
mungsgeist, den die Wirtschaft aufnimmt . Etwas anderes
kann nicht sein .
Die Forschungsförderprogramme, die wir haben, sind
prima . Sie sind gezielt . Sie sind zum großen Teil technik-
offen . Sie sind ordentlich . Aber manche Mittelständler
sind bei der Eroberung der Märkte und bei Innovationen
halt besser als bei der Stellung von Anträgen . Auch die-
se Menschen brauchen wir für die Forschung; denn die
Hälfte der Hidden Champions auf dem Weltmarkt sind
deutsche Mittelständler .
Da gibt es einen Einwand, den ich wohl kenne . Er
lautet: Das kostet zu viel . – Freunde, das EFI-Gutachten
sagt: 3,5 Prozent sollten wir von unserem BIP in 2020 für
die Forschung ausgeben . – Herr Kaufmann sagt als auf-
strebender Forschungspolitiker ebenfalls: 3,5 Prozent . –
Auch die Fratzscher-Kommission sagt: 3,5 Prozent .
Herr Gabriel, der immer wieder mit besonderer Dynamik
in neue Zukünfte aufbricht,
hat gesagt, wir sollten in 2025 über 4,5 Prozent haben,
also so viel, wie Südkorea schon jetzt hat .
Freunde, lassen Sie uns hohe Ziele setzen . Als wir
angefangen haben, die Mittel des Forschungshaushalts
zu steigern, sagten uns die klugen Leute: Dann wird es
mehr Staatsfinanzierung geben, weil die Wirtschaft nicht
mitzieht . – Sie ist mitgezogen . Die großen Unternehmen
haben ihre Innovationsausgaben ständig gesteigert: von
3 Prozent ihrer Umsätze im Jahr 1985 auf 4,5 Prozent
ihrer Umsätze im Jahr 2013 . Wenn wir hier auch bei den
Mittelständlern einsteigen und vorangehen, dann be-
kommen wir das auch hin . Frau Wanka, ich bin mit Ihrer
Aussage uneingeschränkt einverstanden: Das gelingt nur,
wenn es in eine solide Gesamtstrategie eingebettet ist –
eine der Stärken dieser vorzüglichen Koalition, die wir
alle bewundern .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hatten
einen CDU-Parteitag, wie vielleicht einige von Ihnen
wissen . Wolfgang Schäuble hat gesagt: Es ist wichtig,
dass Deutschland bei der Forschung an der Spitze liegt . –
Freunde, wir folgen unserem Finanzminister mit Begeis-
Dr. Heinz Riesenhuber
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14351
(C)
(D)
terung und in dem Vertrauen, dass wir es gemeinsam mit
ihm in eine gute Zukunft schaffen .
Es ist hier angekündigt worden, dass wir in die Weih-
nachtspause gehen .
Das ist die Zeit zum Denken . Manchmal ist es wichtig,
zu denken; ich habe bescheiden darauf hingewiesen . So
wünsche ich ein gedankenreiches Weihnachtsfest, und
dass wir mit dem Entschluss zum Handeln in ein neues
Jahr aufbrechen . Das ist mein Wunsch für dieses groß-
artige Parlament in seiner Vielfalt, mit seinen führenden
Ideen, mit seiner Prägekraft für Wissenschaft und Wirt-
schaft und vor allem mit seiner Begeisterung für das
Neue, das wir zu schaffen helfen . Das wird das sein, was
Deutschland in eine gute Zukunft führt .
Herr Kollege Riesenhuber, mindestens die beschwö-
rend guten Worte zum Weihnachtsfest dürfen als per Ak-
klamation angenommen gelten .
Und nun hat die Kollegin Saskia Esken für die
SPD-Fraktion das Wort .
Herr Präsident, vielen Dank für diese Überleitung; es
wird nicht ganz einfach sein, nach dieser Rede zu spre-
chen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehr-
ten Damen und Herren! Zahlreiche Aspekte des aktuellen
EFI-Gutachtens und der Stellungnahme der Bundesregie-
rung wurden schon angesprochen . Ich will mich zum ei-
nen auf den freien Zugang zu öffentlich gefördertem Wis-
sen, also auf Open Access, und auf die Modernisierung
des Urheberrechts im Sinne von Bildung und Wissen-
schaft beziehen . Als Mitglied unseres Digital-Ausschus-
ses äußere ich mich außerdem gerne zum Monitoring der
Digitalen Agenda, wie es der Bericht vorschlägt .
Wie wir arbeiten, wie wir forschen, wie wir lehren
und lernen, wie wir leben, meine sehr verehrten Damen
und Herren, das alles wird sich durch die Digitalisierung
und Vernetzung sehr stark verändern, und zwar nicht nur,
aber insbesondere auch durch den freien Zugang zum
Wissen dieser Welt und durch Kommunikation und Zu-
sammenarbeit über Grenzen hinweg .
Damit sich die Potenziale der Digitalisierung gut, im
Sinne einer offenen und freien Gesellschaft, auch im Sin-
ne der Menschen, entfalten können – das gilt natürlich
auch für die Bereiche Bildung, Wissenschaft und For-
schung –, sind wir als Politik aufgerufen, die notwendi-
gen Rahmenbedingungen zu schaffen . Dem Urheberrecht
und seiner Weiterentwicklung für das digitale Zeitalter
kommt dabei eine besondere Bedeutung zu . Nicht ohne
Grund hat sich das EFI-Gutachten damit ausführlich aus-
einandergesetzt .
Die Koalition hat mit der Entfristung der Wissen-
schaftsschranke im Urheberrecht im vergangenen Jahr
einen ersten wichtigen Schritt getan . Die immer wieder
verlängerte Befristung des § 52 a des Urheberrechtsge-
setzes – der Erlaubnis, kleine Teile eines urheberrechtlich
geschützten Werkes für Lehrveranstaltungen elektronisch
zu nutzen – hat Hochschulen und andere Bildungsein-
richtungen verunsichert und bei der Entwicklung einer
digitalen Lehr- und Lernkultur gebremst .
Die endgültige Entfristung hat den Einrichtungen end-
lich eine gewisse Planungssicherheit gegeben . Rechtssi-
cherheit und Rechtsklarheit sind damit aber noch nicht
erreicht worden . Deshalb muss bei der Entwicklung ei-
nes modernen Urheberrechts nicht nur die Abwägung des
gesellschaftlichen Interesses mit den Belangen der Urhe-
ber unser Ziel sein . Für seine Akzeptanz, Anwendbarkeit
und Durchsetzungsfähigkeit ist es vor allem wichtig, dass
dieses moderne Urheberrecht auch klar und verständlich
ist .
Es ist wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger eben-
so wie Unternehmen, aber vor allem auch Lehrende
und Lernende urheberrechtsgeschützte digitale Inhalte
rechtssicher nutzen können . Für Letztere benötigen wir –
so auch die Empfehlung des EFI-Gutachtens – eine allge-
meine Bildungs- und Wissenschaftsschranke .
Im Koalitionsvertrag haben wir dazu bereits verein-
bart, das Urheberrecht an die Erfordernisse und Heraus-
forderungen des digitalen Zeitalters anzupassen, und mit
der Digitalen Agenda der Bundesregierung wurde dieses
Vorhaben nochmals bekräftigt und bestätigt . Wir dürfen
jetzt erwarten, dass die Bundesregierung im Jahr 2016
einen Gesetzentwurf vorlegt .
Für den freien Zugang zum Wissen dieser Welt, für
seine Qualität, für den Informationsfluss und für die Ver-
netzung von wissenschaftlicher Arbeit spielt es zudem
eine wichtige Rolle, in welchem Rahmen und mit wel-
chen Lizenzen vor allem wissenschaftliche Daten und
Ergebnisse veröffentlicht werden . Publikationen und
Daten, die aus überwiegend öffentlicher Förderung ent-
standen sind, müssen, so meinen wir, auch der Öffent-
lichkeit frei zugänglich sein . Wir diskutieren das unter
dem Begriff „Open Access“ und arbeiten dazu an einer
umfassenden Strategie . Erst vor kurzem hatten wir in der
Fraktion ein sehr aufschlussreiches Fachgespräch dazu .
Die Bundesregierung nennt in ihrer Stellungnahme
zahlreiche weitere Vorhaben und Maßnahmen der Digi-
talen Agenda, die die Innovation und die Forschung im
digitalen Bereich fördern . Das EFI-Gutachten macht aber
eines zu Recht deutlich: Die schönsten politischen Vor-
haben sind nur dann etwas wert, wenn ihre Umsetzung
begleitet und überprüft werden kann . „Monitoring“ nennt
Dr. Heinz Riesenhuber
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514352
(C)
(D)
man das wohl auf Neudeutsch . Ich kann das nur unter-
streichen .
Die Information der Öffentlichkeit, der öffentliche
Diskurs und auch ein Monitoring für die Digitale Agenda
sind zum einen deshalb unentbehrlich, weil nahezu jedes
ihrer Handlungsfelder und ihrer Maßnahmen zahlreiche
Lebensbereiche und deshalb eine Vielzahl von politi-
schen Ressorts und meist auch mehrere politische Ebe-
nen betrifft . Zudem schreitet die technologische Innova-
tion gerade in den Handlungsfeldern der Digitalisierung
stetig und mit riesiger Geschwindigkeit voran .
Aber die gesellschaftlichen Implikationen dieser tech-
nologischen Entwicklungen stellen sich erst nach und
nach heraus . Auch deshalb ist es durchaus sinnvoll, die
Maßnahmen der Digitalen Agenda und ihre Fortschritte
der Öffentlichkeit bekannt zu machen und zur Diskussi-
on zu stellen .
Ich muss aber auch sagen: Das Monitoring der Arbeit
der Regierung ist die Aufgabe des Parlaments . So oder so
ähnlich steht es, glaube ich, in der Verfassung . Insofern
ist es ganz richtig, dass der Ausschuss „Digitale Agen-
da“, dem ich neben dem Bildungsausschuss angehöre,
den Prozess der Digitalen Agenda der Bundesregierung
begleitet und die Fortschrittsberichte der Regierung auch
regelmäßig diskutiert . Diese Fortschrittsberichte liegen
der Öffentlichkeit übrigens vor, aber ich muss einräu-
men: Ihre Lesbarkeit und ihre Eignung für ein professio-
nelles Monitoring sind entwicklungsfähig .
Dazu kommt, dass unsere Beratungen dieser Fort-
schrittsberichte nach wie vor unter Ausschluss der Öf-
fentlichkeit stattfinden, was wir von der SPD-Fraktion
sehr bedauern – und das nicht nur, aber auch, weil sich
die Fortschritte der Digitalen Agenda der Bundesregie-
rung durchaus nicht zu verstecken brauchen .
Vielen Dank .
Philipp Lengsfeld erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein
Teil der Debatte war mir ein bisschen zu negativ; denn
insgesamt steht Deutschland als Forschungsland sehr gut
da .
Das bestätigt uns die EFI-Analyse ausdrücklich, und das
hat viel mit der Politik der Bundesregierung zu tun, die
seit nunmehr zehn Jahren einen klaren Schwerpunkt auf
Forschung und Innovation setzt . Dafür mein ausdrückli-
cher Dank!
Als Unionspolitiker möchte ich heute hier in dieser
Bildungsdebatte – das ist ja nicht immer so – auch Positi-
ves über die Bundesländer sagen; denn auch auf Länder-
ebene setzt sich das gute Bild fort. Ich empfinde es je-
denfalls so . Nicht nur in den traditionell industriestarken
südlichen Bundesländern, sondern zum Beispiel auch in
meinem Land, hier in Berlin, haben wir starke Daten . Bei
der Hauptkennzahl, dem Anteil der Ausgaben für For-
schung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt von
3,5 Prozent, liegt Berlin direkt hinter Baden-Württem-
berg auf Platz zwei . Damit haben wir das 3-Prozent- oder
sogar das 3,5-Prozent-Ziel im Rahmen der Strategie Eu-
ropa 2020 schon erreicht . Der föderale Wettbewerb stärkt
das System; denn exzellente Forschung und Innovation
sind nicht nur gute Wirtschaftsförderung, sondern sehr
oft auch gute PR . Darauf achten die Länder natürlich
ganz besonders stark . Deshalb trage ich heute in dieser
Debatte den Schlips des Naturkundemuseums Berlin und
des Instituts der Leibniz-Gemeinschaft,
wo gestern die Präsentation des sensationellen T-Rex
„Tristan Otto“, eines Forschungsobjektes, eröffnet wur-
de .
Deutschland steht gut da . Trotzdem müssen wir unser
Forschungsportfolio ständig überprüfen; da bin ich ganz
bei den Grünen . Ich ziehe aber andere Schlussfolge-
rungen; denn für mich ist eine exzellente Plasmaphysik
natürlich Teil unseres Forschungsportfolios . Wir haben
tolle Nachrichten von unserem Großexperiment Wendel-
stein 7-X bekommen, einem Gemeinschaftsprojekt von
Max-Planck-Institut und Helmholtz-Gemeinschaft .
Liebe grüne Innovationsskeptiker, Plasmaphysik ist ja
nicht nur Fusionsenergie . Plasmaphysik ist mehr als Fu-
sionsenergie . Wichtig ist nicht, lieber Herr Gehring, dass
man anders forscht; das kann auch gut sein . Wichtig ist,
dass man wirklich Weltspitze ist, und das ist der Wendel-
stein 7-X ohne jede Frage .
Um arbiträr ein weiteres Beispiel zu nennen: Eine ex-
zellente Astronomie gehört für mich auch dazu, insbe-
sondere wenn sie fachübergreifend das Thema Big Data
beinhaltet .
– Astronomie .
Saskia Esken
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14353
(C)
(D)
– Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, von welchem Pro-
jekt ich rede . Kümmern Sie sich mal ein bisschen um die
Forschungslandschaft in diesem Land; dann wüssten Sie
das .
Stichwort „fächerübergreifend“ und Stichwort „gutes
Portfolio“: Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Ab-
geordnete mit manchen ausgewählten Projekten intensi-
ver beschäftigen . Man kann aber am konkreten Beispiel
einiges lernen . Ich habe mich in den letzten zwei Jahren
sehr intensiv mit dem Projekt „Virtuelle Rekonstruktion“
des Fraunhofer IPK hier in Berlin beschäftigt, eine echte
Weltinnovation; ein Projekt, das seinen Ursprung in der
Erinnerungsarbeit, der Rekonstruktion handzerrissener
Akten des Ministeriums für Staatssicherheit hat, welches
aber in seiner Qualität und Bedeutung mittlerweile weit
über den Ursprungsauftrag hinausragt . Das ist übrigens
auch ein Zeichen einer echten Innovation . Leider ist nach
erfolgreichem Proof of Concept die zweite Projektpha-
se nicht vollständig ausfinanziert; ein Fehler, den wir
in Deutschland übrigens häufiger machen. Wir machen
den ersten Schritt . Dann gehen wir leider nicht weiter
und fahren auch nicht den Erfolg ein . Ich sage aber ganz
deutlich, dass wir, die Unterstützer dieses wichtigen und
hochinteressanten Projekts, weiterhin für eine Fortfüh-
rung kämpfen werden . Ich bin optimistisch, dass wir eine
Lösung finden.
Dies ist letztendlich auch eine übergreifende For-
schungserkenntnis: Echte Innovationen kommen nicht
von selber oder werden einfach mal so in Auftrag gege-
ben, sondern müssen oft gegen hartnäckige Widerstände
oder Desinteresse durchgesetzt werden . Die Geschichte
unseres Nobelpreisträger Stefan Hell ist ja hier sehr ein-
drücklich . Dies sollten wir in Deutschland – Stichwort
„Forschungsfreiheit“ – nie vergessen .
Lassen Sie mich ein Wort zum internationalen Wett-
bewerb sagen; denn die Konkurrenz – das klang heute
schon an – schläft nicht . Wir dürfen uns nicht auf Er-
folgen ausruhen . Schauen wir also auf den für die For-
schung überragend wichtigen Indikator, nämlich die
Fachpublikationen, die im EFI-Gutachten ausführlich
beschrieben sind . Hier ist zunächst festzustellen, dass bei
den Fachpublikationen der deutsche Anteil im Zeitraum
2003 bis 2013 weltweit gesunken ist . So bedauerlich dies
ist, so nachvollziehbar ist aber dieser Trend angesichts
massiver Bemühungen aus China, aber auch Brasilien,
Indien und anderen aufstrebenden Ländern, ihre eigene
Sichtbarkeit in der Fachwelt zu erhöhen . Aber sehr er-
freulich ist ein anderer Wert: Die Qualität der deutschen
Publikationen, gemessen am Indikator „internationale
Akzeptanz“, hat nämlich im ähnlichen Zeitraum deutlich
zugenommen und ist aus dem negativen in den positiven
Bereich gerückt. Ein sehr wichtiges Signal; das finde ich
sehr gut .
In dem EFI-Gutachten wird aber bei Fachpublikati-
onen – das gehört zur Ehrlichkeit dazu – trotzdem von
einem insgesamt gemischten Bild gesprochen, da sich
ein weiterer Qualitätsindex, die zeitschriftenspezifische
Beachtung, etwas verschlechtert hat . Wir sehen also, dass
wir es mit komplexen Vorgängen zu tun haben, wo es
nicht immer die eine einfache Antwort gibt, liebe Grüne .
Gerade wegen dieser Vielschichtigkeit der Bewertung
langfristiger Trends finde ich solche detaillierten Gutach-
ten wie das EFI-Gutachten so wichtig, damit wir unseren
Kurs permanent überprüfen und verbessern können .
Zum Abschluss möchte ich mit Blick auf Deutschland
eine Zahl wiederholen; denn das ist mir ein bisschen zu
locker-flockig erledigt worden: Seit 2005 sind die Inves-
titionen des Bundes in Forschung und Entwicklung um
fast 6 Milliarden Euro gestiegen .
Das ist ein Zuwachs um 65 Prozent, und das ist mehr als
beachtlich . Das war richtig und wichtig, und diesen Weg
müssen wir weitergehen . Die internationalen Vergleiche
zeigen aber auch, dass andere Länder nicht nachstehen .
Es geht nicht nur um Geld – das klang heute auch an –,
sondern es geht auch um gesellschaftliche Wertschät-
zung . Die Union als die Forschungspartei Deutschlands
hat wichtige und notwendige Weichenstellungen vorge-
nommen .
Für den Erhalt und die Stärkung unserer Innovationskraft
und unseres Wohlstands müssen wir diesen Trend aber
gemeinsam auch in den kommenden Jahren fortsetzen .
Dafür werbe ich .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Rainer Spiering ist für die SPD-Fraktion der letzte
Redner in der Diskussion zu diesem Tagesordnungs-
punkt .
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Vorab:
Herr Riesenhuber, haben Sie Dank, dass ich an Ihrer
Rede teilhaben konnte . Das war wirklich ein Erlebnis .
Wenn wir den EFI-Bericht nüchtern lesen, dann haben
wir vorab festzustellen, dass fast 3 Prozent des BIP für
Forschung und Entwicklung ausgegeben werden . Ange-
sichts der absoluten Zahlen bedeuten 3 Prozent des BIP
der Bundesrepublik Deutschland eine unglaublich große
Menge Geld für Forschung und Entwicklung. Ich finde,
dieses Land kann sich freuen, dass die Möglichkeiten da-
für gegeben sind, und im EFI-Gutachten wird bei aller
Dr. Philipp Lengsfeld
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514354
(C)
(D)
möglichen Kritik auch deutlich, dass das eine gewaltige
Leistung ist .
Ich möchte eine Stelle aus dem EFI-Gutachten zitie-
ren, in dem es unter dem Stichwort „Additive Fertigung
im Bildungssystem verankern“ heißt:
Kompetenzen für die Nutzung von AF sollten im
gesamten Ausbildungssystem vermittelt werden .
AF-Technologien sollten nicht nur an Hochschulen,
sondern auch in der beruflichen Ausbildung und an
Schulen flächendeckend eingesetzt werden.
Bevor jetzt der geneigte Zuhörer oder die geneigte Zuhö-
rerin auf die Idee kommt, das sei Länderangelegenheit,
sei gleich gesagt: Das ist falsch . Die Ausstattung und
Einrichtung der Schulen ist rein kommunale Angelegen-
heit . Querverweise auf Länder sind nicht gestattet, weil
sachlich falsch .
Dahin zielt jetzt meine Aufforderung: Wenn wir in
Deutschland die Schnittstelle zwischen Forschung und
Entwicklung – und das ist die Schnittstelle zwischen be-
ruflicher Anwendung und beruflicher Ausbildung – auf
die Anforderungen des Systems einstellen wollen – sie
sind Ihnen alle bekannt: Smart Mobilities, Smart Buil-
dings, Smart Products, Smart Factory, Smart Logistics –,
müssen wir wissen: Alle diese Schlagworte sind in
Deutschland immer elementar mit dem dualen Berufs-
ausbildungssystem verbunden . Daraus ergibt sich auch
der weltwirtschaftliche Erfolg, den wir haben .
Wenn wir diese Schnittstelle erhalten und das System,
das nicht nachgelagert zur Hochschule besteht, sondern
sozusagen zugelagert, ernst nehmen, dann werden wir
auch im beruflichen Ausbildungssystem die Aktivität
steigern müssen, eine Aktivität, die wir an den Hoch-
schulen bereits gezeigt haben .
Noch einmal: Querverweise auf die Länder sind sach-
lich falsch . Wir werden uns also als Bundesgesetzgeber
darüber Gedanken machen müssen, wie wir über Ein-
flussnahme auf das Berufsbildungsgesetz, aber auch über
Stärkung der Kommunen dafür Sorge tragen, dass die
berufsbildenden Schulen in Zukunft in die Lage versetzt
werden, diese unendlich große Aufgabe zu erfüllen .
Was brauchen wir an den zukünftigen berufsbildenden
Schulen, damit wir den Technologieumsatz leisten kön-
nen? Wir brauchen hochleistungsfähige CAD/CAM-Sys-
teme . Wir brauchen hochleistungsfähige Softwaresyste-
me, um all das, was wir für die Programmierung von
Werkzeugmaschinen direkt an die Schülerinnen und
Schüler bringen müssen, leisten zu können . Wir werden
die Lehrerinnen und Lehrer an den Hochschulen entspre-
chend ausbilden müssen, damit sie pädagogisch in die
Lage versetzt werden, das zu transferieren . Wir werden
also im Bereich der Hochschulausbildung der Lehrer
deutlich mehr tun müssen, und ich glaube, wir wollen
das auch tun .
Wir als Deutsche haben eine riesige Chance durch In-
dustrie 4 .0 . Das EFI-Gutachten beschreibt das mithilfe
des Begriffs „Additive Fertigung“ exemplarisch . René
Röspel hat den Bereich der Einzelteilfertigung sehr gut
beschrieben . Aber dann muss man auch entsprechende
Leute vor Ort haben, die das unter Nutzung vorhande-
ner Systeme handwerklich umsetzen können . Deswegen
kann ich dieses Hohe Haus nur dazu auffordern, der be-
ruflichen Bildung sowohl an den Schulen als auch an den
Hochschulen deutlich mehr Aufmerksamkeit zu schen-
ken . Dann wird Industrie 4 .0 für Deutschland – darin bin
ich mir sicher – eine große Erfolgsgeschichte .
Frohe Weihnachten .
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/6830 und 18/4310 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . – Ich stelle dazu Ihr Einverständnis fest . Dann sind
die Überweisungen so beschlossen .
Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 5:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz
Resolute Support für die Ausbildung, Beratung
und Unterstützung der afghanischen nationalen
Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afgha-
nistan
Drucksachen 18/6743, 18/6946
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/7079
Hierzu liegt jeweils ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor . Über die Beschlussempfehlung werden wir
später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Niels Annen für die SPD-Fraktion .
Rainer Spiering
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14355
(C)
(D)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Die Tatsache, dass wir heute den Bundeswehreinsatz
Resolute Support verlängern werden,
ist sicherlich keine gute Nachricht .
Das ist kein Grund zur Freude, weil sich Afghanistan in
den letzten Jahren nicht so entwickelt hat, wie wir uns
alle das erhofft haben . Wir alle haben hart für den Er-
folg gearbeitet . Dass er nicht wie erwünscht ausgefallen
ist, ist vor allem für die Menschen in Afghanistan eine
bedrückende Situation . Dennoch ist die Lage nicht nur
schwarz-weiß . Deswegen ist es zumindest für die Mehr-
heit in diesem Hause keine Option, die Fortschritte, die
es auch in Afghanistan gegeben hat, einfach zu ignorie-
ren .
Es ist für uns keine Option, das Land einfach seinem
Schicksal zu überlassen .
Die Verlängerung und die Aufstockung von Resolute
Support, die wir heute beschließen werden, sollen aus
meiner Sicht zwei deutliche Botschaften transportieren .
Die erste Botschaft lautet: Wir stehen zu unserer Ver-
antwortung in Afghanistan . Vor allem lassen wir die
Menschen in Afghanistan in dieser schwierigen Situation
nicht allein .
Die zweite Botschaft ist mir genauso wichtig . Wir
wissen, dass die gegenwärtige Instabilität nicht nur etwas
mit den Aktivitäten der Taliban zu tun hat . Sie hat auch
etwas mit der Instabilität der afghanischen Regierung zu
tun . Deshalb richtet sich die zweite Botschaft auch an
den Präsidenten und den CEO in Afghanistan: Legt end-
lich eure internen Streitigkeiten bei! Denn auch das hat
zur Instabilität beigetragen .
Der Fall von Kunduz war auch für uns ein Schock;
denn die Bundeswehr und die deutsche Entwicklungszu-
sammenarbeit waren in dieser Region ganz besonders ak-
tiv . Es war vor allem für die Menschen in Afghanistan ein
Schock, weil es das erste Mal war, dass eine Großstadt
zwischenzeitlich an die Taliban gefallen ist . Ich will ver-
suchen, diese Entwicklung in den Kontext zu stellen . Je-
dem war doch klar, dass es mit dem Ende des Kampfein-
satzes der internationalen Gemeinschaft, mit dem Ende
von ISAF, eine Offensive der Taliban geben würde . Das
war quasi eine Einladung zu einem bestimmten Datum
und war in gewisser Weise absehbar .
Obwohl es Rückschläge gegeben hat, muss man an
dieser Stelle sagen: Die afghanischen Sicherheitskräfte,
vor allem die afghanische Polizei, die afghanischen Ar-
meeangehörigen, sind in den letzten Jahren und auch in
diesem schwierigen Jahr in der Lage gewesen, diese An-
griffe abzuwehren und für die Sicherheit in Afghanistan
zu sorgen . Ja, es gibt die negativen Bilder – wir haben
darüber häufig diskutiert –; aber es gibt eben auch Grund
zur Hoffnung, weil sich die afghanischen Sicherheits-
kräfte bewährt haben, vor allem aber, weil es in Afgha-
nistan selbst Fortschritte gibt .
Es geht mir nicht darum, dass wir nach so vielen Jah-
ren, in denen es in diesem Haus – seien wir ganz ehr-
lich – manchmal ritualisierte Debatten gab, zu dem Er-
gebnis kommen, dass wir uns alle einig darüber sind, was
in der Vergangenheit richtig und was in der Vergangen-
heit falsch war . Die Diskussion darüber ist legitim . Aber
meine Bitte ist, dass wir auch wegen der Menschen in Af-
ghanistan, die die Diskussion hier über die sozialen Me-
dien verfolgen, dazu kommen, uns ein bisschen ehrlicher
auch über die wichtigen Fortschritte zu unterhalten . Das
jedenfalls ist mein Appell an die Teile der Opposition, die
diesem Einsatz nicht zustimmen werden .
Herr Kollege Annen, darf der Kollege Ströbele eine
Zwischenfrage stellen oder eine Zwischenbemerkung
machen?
Das darf der Kollege Ströbele gerne tun .
Bitte, Herr Ströbele .
Herr Kollege Annen, ich kann Ihnen nicht folgen,
wenn Sie behaupten, dass die Rückeroberung von Kun-
duz ein Beweis dafür ist, wie stark und funktionsbereit
die afghanischen Kräfte sind . Können Sie mir bestätigen,
dass diese Rückeroberung überhaupt nur gelungen ist
durch einen massiven Einsatz von US-Sondereinheiten
und durch massive Bombardierungen, unter anderem des
dortigen Krankenhauses von Ärzte ohne Grenzen, mit
unendlich vielen zivilen Opfern? Können Sie bestätigen,
dass das der Grund für die Rückeroberung von Kunduz
war und dass das kein Beweis dafür ist, dass die afgha-
nische Armee und die afghanische Polizei in der Lage
sind, zu kämpfen?
Nehmen Sie des Weiteren zur Kenntnis, dass sie nicht
mehr kämpfen wollen, weil die afghanischen Kräfte
kriegsmüde sind, dass jedes Jahr zwischen 20 und 30 Pro-
zent von ihnen, unter anderem auch solche, die von Deut-
schen ausgebildet worden sind, weglaufen? Sie laufen
zu den Taliban über, bleiben einfach zu Hause, fliehen
nach Europa oder machen sonst etwas . Wollen Sie das
zur Kenntnis nehmen, oder wollen Sie auch die nächsten
14 Jahre die Situation in Afghanistan schönreden? Der
Krieg dort ist verloren . Wollen Sie der Bundesregierung
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514356
(C)
(D)
nicht endlich den Auftrag geben, sich dort einmal dafür
einzusetzen, dass substanzielle Verhandlungen in Gang
kommen, statt sich immer nur auf die militärische Lö-
sung zu konzentrieren? Jetzt kündigt die Ministerin auch
noch an, dass der verstärkte Einsatz in Afghanistan lange
dauern wird . Werden es weitere 14 Jahre sein oder doch
weniger?
Herr Kollege .
Können Sie das beantworten?
Lieber Herr Kollege Ströbele, ich bin nicht so ganz
sicher angesichts der Frage, die Sie an mich richten, ob
Sie meiner Rede zugehört haben .
Von „schönreden“ kann überhaupt nicht die Rede sein .
Ich habe im ersten Satz meiner Rede gesagt, dass es kei-
nen Grund gibt, zufrieden zu sein . Ich habe darauf hin-
gewiesen, dass es eigentlich ein trauriger Anlass ist, dass
wir uns im Moment in der Lage sehen, darüber entschei-
den zu müssen, den Einsatz fortzusetzen, statt ihn, wie
wir es uns gewünscht haben, zu beenden .
Ein zweiter Punkt . Ich frage mich, woher Sie die Fes-
tigkeit in Ihrem Urteil nehmen . Ich habe ja nicht über
Kunduz gesprochen, sondern darüber, dass es absehbar
war, dass es mit dem Ende von ISAF eine große Offensi-
ve der Taliban und übrigens auch anderer oppositioneller
Kräfte geben werde; sie hat auch stattgefunden . Diese
Offensive hat aber nicht nur in Kunduz stattgefunden,
sondern in vielen Provinzen Afghanistans . Dort hat es,
wie in Kunduz, an der einen oder anderen Stelle Rück-
schläge gegeben . Das habe ich erwähnt . Insofern ist Ihr
Vorwurf des Schönredens nicht aufrechtzuerhalten . Ins-
gesamt sind die Sicherheitskräfte in der Lage gewesen,
die Kontrolle über das von der Regierung gehaltene Ter-
ritorium zu behalten . Das wäre nicht gelungen, wenn die
afghanischen Sicherheitskräfte nicht selber gekämpft
hätten .
Das, was Sie erwähnt haben als weitere Unterstützung,
ist nur für absolute Notfälle vorgesehen, und das ist ein
absoluter Notfall gewesen . Es gibt keine Kampfoperati-
onen der internationalen Gemeinschaft mehr, weder der
Bundeswehr noch der amerikanischen Kräfte . Dass Sie
jetzt indirekt unterstellen, die tragische Bombardierung
eines Krankenhauses in Kunduz habe dazu beigetragen,
die Stadt zurückzugewinnen, dem kann ich, ehrlich ge-
sagt, intellektuell nicht folgen . Das ist ein tragischer Un-
fall gewesen,
den wir alle miteinander verurteilt haben . Sie haben die
Hoffnung, die ich vorhin ausgedrückt habe, enttäuscht,
dass wir ein bisschen realistischer und angemessener und
vor allem im Sinne der Menschen über Afghanistan dis-
kutieren .
Ich möchte in der verbleibenden Zeit noch einen wei-
teren Aspekt in die Debatte einbringen . Wir haben we-
gen der Flüchtlingssituation in Deutschland auch eine
Afghanistan-Debatte gehabt, die sich wiederum nicht an
den Menschen in Afghanistan orientiert hat . Ich habe die
Sicherheitslage angesprochen . Es stimmt, es gibt einige
Regionen in Afghanistan, in denen die Lage glücklicher-
weise besser ist . Aber die Vorstellung, die es gegeben
hat, man könnte jetzt in großem Rahmen Rückführungen
von Flüchtlingen nach Afghanistan vornehmen, halte ich
auch nach den Lageberichten unserer eigenen Botschaft
für unrealistisch .
Deswegen unterstützen wir die Botschaft, dass wir
Afghanistan nicht alleine lassen – dafür bin ich der Bun-
desregierung dankbar –, auch durch eine intensive Infor-
mationskampagne in Afghanistan selber, indem wir über
die Risiken dieser gefährlichen Flucht aufklären und da-
rüber, dass viele der Versprechungen, die von kriminellen
Schleuserbanden in Afghanistan verbreitet werden, eben
nicht der Wahrheit entsprechen . Das verbinden wir mit
dem Versprechen, dieses Land nicht alleine zu lassen .
Dafür brauchen wir funktionierende Sicherheitskräfte,
nicht nur die Armee, sondern auch die Polizei . Wir brau-
chen auch das psychologische Element, dass wir nach so
vielen Jahren des Einsatzes in Afghanistan gerade dann,
wenn es schwierig wird, diese Regierung nicht alleine
lassen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, leicht fällt
mir die Entscheidung nicht – ich glaube, das gilt für je-
den von uns –, weil sie ein Stück Eingeständnis ist, dass
wir nicht so weit gekommen sind, wie wir kommen woll-
ten . Aber wenn Sie sich alleine anschauen, wie viele jun-
ge Mädchen und Jungen heute in Afghanistan zur Schule
gehen, oder die erste Generation von Absolventen von
Schulen und Hochschulen betrachten, die das Land heute
schon verändert haben und die nicht akzeptieren werden,
dass dieses Land in das Mittelalter der Taliban-Herr-
schaft zurückkehrt, dann erkennen Sie, dass es einen gu-
ten Grund gibt, diesem verantwortungsvoll formulierten
Mandat zuzustimmen .
Hans-Christian Ströbele
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14357
(C)
(D)
Ich danke für die Aufmerksamkeit und bitte Sie um
Zustimmung für dieses Mandat .
Christine Buchholz ist die nächste Rednerin für die
Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Niels Annen, das war echt schwach .
Seit 14 Jahren ist die Bundeswehr nun im Afghanis-
tan-Krieg . Laut der Ärzteorganisation IPPNW sind in Af-
ghanistan seit 2001 über 200 000 Menschen getötet wor-
den, in der Mehrzahl Zivilisten . 55 Bundeswehrsoldaten
starben in diesem Einsatz . Allein der deutsche Militärein-
satz verschlang viele Milliarden Euro . Der afghanische
Soldat Bakhtullah sagte kürzlich – ich zitiere aus einem
Interview im Deutschlandfunk –:
Als die Welt vor 14 Jahren nach Afghanistan kam,
hieß es, dass sie uns den Frieden bringen . Aber es
herrscht Krieg .
Meine Damen und Herren, der NATO-geführte Krieg in
Afghanistan ist gescheitert .
Vor einem Jahr versprach die Bundesregierung, dass
die Bundeswehr 2016 aus Afghanistan abzieht . Davon ist
keine Rede mehr . Nun sagt Frau von der Leyen, es sei ein
Fehler gewesen, sich überhaupt auf einen Abzugszeit-
punkt festzulegen . Nein, der Fehler war, dass überhaupt
jemals Bundeswehrtruppen nach Afghanistan entsandt
worden sind .
Vor einem Jahr hieß es, bei dem neuen Afghanis-
tan-Mandat gehe es nur noch um Ausbildung . Das Man-
dat sah keine Begleitung von afghanischen Truppen im
Einsatz vor . Das sieht nun anders aus . Mit diesem Man-
dat werden deutsche Soldaten die afghanische Armee im
Einsatz begleiten . Plastisch können wir uns vorstellen,
wie das aussieht, beispielsweise anhand der Rückerobe-
rung von Kunduz im Oktober . Sie nennen das Beratung;
wir nennen das Beteiligung am Krieg .
– Der Applaus meiner Fraktion ist absolut ausreichend .
Schauen wir nach Afghanistan . Im Oktober übernah-
men die Taliban kurzzeitig Kunduz . Das war ein Schock,
aber kein Einzelfall . Im Laufe der letzten Woche stürmten
Aufständische mitten in Kabul die spanische Botschaft .
Sie griffen den Flughafen von Kandahar an und brachten
einen weiteren Distrikt in Helmand unter ihre Kontrolle .
Ich sage Ihnen: Frieden und Demokratie kann man nicht
von außen erzwingen .
Diese Verhältnisse finden ihre Erklärung auch darin,
dass die Bundesregierung eine korrupte afghanische Re-
gierung im Amt hält . In einigen Regionen haben War-
lords das Sagen, die selbst nicht besser sind als die Ta-
liban . Dementsprechend sind die Methoden, mit denen
gekämpft wird . Human Rights Watch berichtete im Juni
davon, dass führende afghanische Offiziere den Befehl
erteilt haben, Gefangene hinzurichten statt festzuhal-
ten . Der Oberkommandierende der Afghanischen Na-
tionalarmee, General Schahim, hat vor dem im Norden
kämpfenden 209 . Armeekorps gesagt, es gebe keine Ver-
bote mehr, was nächtliche Razzien angeht, es gebe keine
Verbote mehr, was den Gebrauch der Artillerie angeht . Es
kann nicht angehen, dass unter dem neuen Mandat deut-
sche Truppen zu Mittätern solcher Praktiken gemacht
werden .
Die Rückeroberung von Kunduz hat gezeigt, dass auch
die amerikanischen Verbündeten Kriegsverbrechen bege-
hen . US-Streitkräfte haben ein Krankenhaus von Ärzte
ohne Grenzen angegriffen . 30 Patienten und Ärzte star-
ben . Lieber Niels Annen, das war eben kein tragischer
Unfall . Wir fordern hier eine unabhängige internationale
Untersuchungskommission . Die Bundesregierung sollte
sich auch dafür einsetzen und nicht nur glauben, was das
Pentagon selbst aufklärt .
Warum schicken Sie die Bundeswehr nach Afghanis-
tan? Weil Sie Deutschland als militärische Führungs-
macht etablieren wollen . Wenn Sie sich das Scheitern in
Afghanistan eingestehen würden, würden Sie das, was
Sie unter Glaubwürdigkeit verstehen, infrage stellen .
Außerdem geht es Ihnen um den Einfluss Deutschlands.
Reden Sie nicht drum herum; denn so ist es .
Die Linke sagt: Dafür dürfen das Leben und die Gesund-
heit weder von Afghaninnen und Afghanen noch von
deutschen Soldatinnen und Soldaten riskiert werden .
Derzeit fliehen viele Menschen aus Afghanistan. Sie
haben die Hoffnung auf Frieden und eine sichere Zukunft
verloren . Ich habe in den letzten Wochen viel mit afgha-
nischen Flüchtlingen hier in Deutschland gesprochen .
Alle sind in Sorge, dass sie von der Regierung trotz der
unsicheren Situation in Afghanistan zurückgeschoben
werden . Und was sagt Innenminister de Maizière? Deut-
sche Soldaten würden das Land sicherer machen . Des-
Niels Annen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514358
(C)
(D)
halb könne man erwarten, dass die Afghanen in ihrem
Land bleiben . – Das ist zynisch, meine Damen und Her-
ren .
Die Linke sagt Nein zu einer Beteiligung am Endlos-
krieg in Afghanistan . Ziehen Sie endlich die Konsequen-
zen aus dem Scheitern der Bundeswehr in Afghanistan,
und holen Sie die Soldatinnen und Soldaten zurück!
Vielen Dank .
Das Wort erhält nun die Bundesverteidigungsministerin .
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der
Verteidigung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich war vergangene Woche im Camp Marmal bei
Masar-i-Scharif und habe dort auch mit afghanischen
Studentinnen und Studenten gesprochen . Liebe Frau
Buchholz, ich hätte gewünscht, Sie hätten als Linke die
Einladung nicht ausgeschlagen, mit nach Afghanistan zu
fliegen.
Wenn Sie mit diesen jungen Studentinnen und Studenten
gesprochen hätten und Sie gehört hätten, mit welchem
Enthusiasmus, mit welcher Energie sie ihr Land aufbau-
en wollen, dann hätten Sie nicht so eine hoffnungslose
Rede gehalten, sondern würden mir zustimmen, dass es
sich lohnt, in dieses Land und die dort lebenden jungen
Menschen zu investieren .
Es ist richtig: Wir dürfen nichts schönreden . Das tun
wir auch nicht . Das Jahr 2015 ist ein hartes Jahr für Af-
ghanistan gewesen . Die Streitkräfte haben zum ersten
Mal alleine die Verantwortung für die Sicherheit im Land
gehabt . Wir, die NATO und unsere Partner, haben uns
Anfang 2015 bewusst aus dem Kampfeinsatz zurückge-
zogen und nur noch im Hintergrund beraten und unter-
stützt . Man muss deutlich sagen, dass die ursprüngliche
Ankündigung der internationalen Partner, dass wir uns
im nächsten Jahr aus der Fläche zurückziehen und uns
ausschließlich auf Kabul konzentrieren würden, nicht
ohne Wirkung geblieben ist . Das hat nämlich – das muss
man sagen – die afghanischen Regierungstruppen teil-
weise entmutigt und die Taliban ermutigt . Deshalb halte
ich es für richtig, dass wir jetzt die reine Orientierung auf
Zeitlinien korrigieren und stattdessen zu dem Kriterium
zurückkehren, dass wir allein anhand des Fortschrittes im
Land unsere Präsenz bemessen .
Was sind die Lektionen, die wir gelernt haben aus die-
sem ersten Jahr Ausbildungs- und Beratungsmission?
Erstens . Wir brauchen eine ungeschminkte Lagebe-
urteilung . Der ursprüngliche Plan war zu ehrgeizig; das
war zu schnell . Im vergangenen Jahr hat es viele, zu viele
Anschläge der Taliban mit einer hohen Zahl von Opfern
gegeben, gerade erst wieder in der vergangenen Woche in
Kandahar . Aber es zeigt sich: Obwohl die Taliban über-
all im Land punktuell zuschlagen können – das haben
wir ja in den vergangenen Monaten erlebt –, bedeutet
dies nicht – das hat Herr Annen schon zu Recht gesagt –,
dass es keine stabileren Regionen in Afghanistan gibt, in
denen die Menschen nach afghanischen Verhältnissen
einen weitgehend normalen Alltag leben können . Das
heißt, den Taliban ist es nicht gelungen, ihre Ziele durch-
zusetzen . Sie haben es nicht geschafft, das Terrain, das
sie erobert haben, auf Dauer zu halten . Vielmehr ist es
den afghanischen Streitkräften gelungen, ihre Stellungen
zurückzuerobern . Das hat sich letzte Woche in Kandahar
gezeigt, wo sie es alleine geschafft haben . Da haben die
afghanischen Streitkräfte ihr Ziel erreicht . Dafür ist ih-
nen Respekt zu zollen .
Zweitens. Aus der ungeschminkten Analyse der Defi-
zite müssen Konsequenzen gezogen werden; das ist rich-
tig . Das heißt konkret für den Norden: Das dort ansässige
209 . Korps war überdehnt, weil es an zu vielen verschie-
denen Punkten gleichzeitig eingesetzt wurde . Insofern ist
es richtig, dass die afghanische Regierung plant, dort eine
Division aufzubauen . Die afghanischen Sicherheitskräfte
brauchen mehr Flexibilität, sie brauchen mehr Professio-
nalität . Genau darauf werden wir unsere Ausbildung und
Beratung im kommenden Jahr auch zuspitzen: Wir brau-
chen eine bessere Aufklärung . Wenn man Erkenntnisse
hat, müssen wir die Fähigkeit haben, diese zu einem Bild
zusammenzusetzen und danach zu handeln . Wir müssen
das Führungsverhalten verbessern . Die Ereignisse von
Kunduz sind vor allem aufgrund eines mangelhaften
Führungsverhaltens geschehen . Außerdem muss es ein
besseres Zusammenwirken von Polizei und afghanischen
Streitkräften geben . Dafür werden wir unser Kontingent
erhöhen, wie es in diesem Mandat vorgesehen ist .
Drittens . Unsere Botschaft „Wir bleiben länger“ ist
kein Blankoscheck für Afghanistan, sondern ist mit ei-
ner klaren Erwartung an die Regierung verbunden . Die
Regierung in Kabul muss die besprochenen und verspro-
chenen Reformen in der Politik, zum Beispiel die Wahl-
reform, aber auch in der Wirtschaft endlich konsequent
umsetzen . Ich habe diese Erwartung in meinen Gesprä-
chen in der letzten Woche mit Präsident Ghani und dem
CEO Abdullah Abdullah sehr deutlich formuliert . Es
kann in der Tat nicht sein, dass wir unsere Soldatinnen
und Soldaten über Jahre nach Afghanistan schicken, um
zu stabilisieren und Schritt für Schritt die Eigenstän-
digkeit Afghanistans wiederherzustellen, und gleichzei-
tig die ausgebildeten und wohlhabenden Afghanen das
Land verlassen, weil sie keine Perspektive sehen . Nein,
die Stabilisierung in Afghanistan muss aus der Mitte des
Landes von den Afghanen selber geleistet werden . Das
ist unsere Erwartung an das Land .
Christine Buchholz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14359
(C)
(D)
Viertens . Wir dürfen in der wirtschaftlichen Aufbauar-
beit und in der Entwicklungszusammenarbeit in Afgha-
nistan nicht nachlassen, gerade weil wir uns militärisch
weiter zurückziehen und nur noch im Hintergrund agie-
ren . Jeder dritte Flüchtling aus Afghanistan, der nach Eu-
ropa kommt, war vorher Binnenflüchtling in Afghanistan.
Das zeigt, dass die Menschen weiter nach Europa ziehen
werden, wenn ihnen die Perspektive im Land fehlt . Für
uns heißt das: Wir müssen die Hilfsorganisationen in Af-
ghanistan finanziell besser ausstatten und dort ansetzen.
Deshalb ist es gut, dass es im Februar des kommenden
Jahres eine Geberkonferenz geben wird . Es ist allemal
klüger, die Hilfsorganisationen und die Entwicklungszu-
sammenarbeit finanziell so auszustatten, dass die Men-
schen in Afghanistan tatsächlich eine Perspektive sehen,
als dass sie ihr letztes Hab und Gut den Schleppern und
Schleusern anvertrauen und wir steigende Flüchtlings-
zahlen hier in Europa haben . Die Arbeit in Afghanistan
muss finanziell so ausgestattet sein, dass die Menschen
dort tatsächlich eine Perspektive haben .
Fünftens . Die Nachbarn Afghanistans müssen sich
mit Nachdruck und konstruktiv einbringen, vor allem
Pakistan . Hier gibt es erste Schritte, die hoffnungsvoll
stimmen . In der vergangenen Woche hat sich der afgha-
nische Präsident mit dem pakistanischen Premier getrof-
fen – Präsident Ghani ist nach Pakistan, nach Islamabad,
gefahren –, und sie haben beide versichert, dass sie den
Kampf gegen den Terror gemeinsam intensivieren wol-
len . Auch Pakistan weiß um seine Schlüsselrolle bei der
Versöhnung . Sowohl Premier Sharif als auch der Armee-
chef haben mir gegenüber betont, dass sie wissen, dass
jetzt der geeignete Moment gekommen ist, mehr zusam-
menzuarbeiten und mit den Taliban, die gesprächsbereit
sind – das sind nicht alle; aber es gibt gesprächsbereite
Taliban –, die Versöhnungsarbeit zu beginnen .
Wir sollten Afghanistan und Pakistan an diesem Punkt
mit aller Kraft unterstützen; denn, meine Damen und
Herren, wenn es etwas gibt, was uns Afghanistan in den
vergangenen 14 Jahren gelehrt hat, dann ist es die Tatsa-
che, dass Sicherheit, der wirtschaftliche Aufbauprozess
und vor allem die Versöhnungsarbeit untrennbar mitei-
nander verbunden sind . Deshalb ist es richtig, dass wir
dieses Mandat verlängern . Ich bitte um Ihre Zustimmung .
Danke schön .
Das Wort erhält die Kollegin Agnieszka Brugger für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns alle
hier verbindet trotz großer Kontroversen der Gedanke,
dass wir für die Menschen in Afghanistan eine besondere
Verantwortung tragen und sie nicht alleine lassen dürfen .
Daher plädiert hier auch niemand dafür, den zivilen und
politischen Wiederaufbau oder die Entwicklungszusam-
menarbeit einzuschränken oder gar zu beenden, und das
ist gut und richtig so .
Trotz der zahlreichen schlechten Nachrichten aus dem
vergangenen Jahr gibt es auch positive Entwicklungen
in Afghanistan . Beispielsweise wäre ohne die jahrelange
internationale Unterstützung für viele junge Menschen
in Afghanistan, insbesondere für Mädchen, der Zugang
zu Bildung nicht möglich . Immer wieder erreichen mich
Geschichten, dass auch in Regionen, wo die Taliban wie-
der stärker werden, die Schulen wegen des Engagements
mutiger Menschen vor Ort geöffnet bleiben . Diesen Fort-
schritt können auch rückwärtsgewandte Taliban nicht
mehr zerstören .
So gibt es mittlerweile eine ziemlich große Gruppe von
jungen, gut ausgebildeten Menschen, die trotz aller
Rückschläge daran glauben und vor allem dafür arbeiten,
dass ihr Land eine bessere Zukunft haben soll . Sie sind
nicht nur die Hoffnung Afghanistans, sondern auch unse-
re wichtigsten Partner .
Meine Damen und Herren, die Sicherheitslage hat sich
im letzten Jahr nicht zum Besseren entwickelt . Die Ta-
liban und andere aufständische Gruppen verüben weiter
ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung grausame
Attentate und Attacken . Sie schlagen gezielt zu in Kun-
duz, in Kabul, in Kandahar . Es ist in den letzten 14 Jah-
ren nicht gelungen, die Taliban militärisch zu besiegen,
auch nicht mit immer mehr NATO-Soldaten und immer
offensiveren Strategien . Im Gegenteil: Dieses Ziel konn-
te durch den Kampfeinsatz in Afghanistan nicht erreicht
werden . Er war sogar in einigen Punkten kontraproduk-
tiv . Da denke ich vor allem an die zahlreichen Luftangrif-
fe, Drohnenschläge und Night-Raids der US-Streitkräfte,
denen auch Zivilistinnen und Zivilisten zum Opfer gefal-
len sind . Daher war es richtig, dass die NATO beschlos-
sen hat, den ISAF-Einsatz in Afghanistan zu beenden .
Während die Bundesregierung beteuert, dass die
Nachfolgemission Resolute Support doch nur eine Aus-
bildungsmission ist, gibt es für die USA diesen Unter-
schied nicht . Ursprünglich sollte diese Mission im kom-
menden Jahr nur noch in Kabul stattfinden und danach
beendet werden . Diese Pläne sind nun mit dem neuen
Mandat hinfällig . Die Bundeswehr soll auch im nächsten
Jahr im Norden bleiben; es sollen wieder mehr deutsche
Soldatinnen und Soldaten sein . Der vollständige Abzug
ist nicht mehr in Sicht und wird auf eine ferne Zukunft
vertagt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie empört Sie
vor einem Jahr waren, als wir Grüne gesagt haben, dass
Sie länger in Afghanistan bleiben wollen . Nun verteidi-
gen Sie im Brustton der Überzeugung, dass es richtig ist,
diesen Militäreinsatz auf unbestimmte Zeit zu verlän-
gern . Auf die Frage aber, wie lange denn insgesamt die
Mission dauern soll und anhand welcher Ziele und Kri-
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514360
(C)
(D)
terien Sie sie zum Ende und zum Erfolg bringen wollen,
hat niemand von Ihnen eine Antwort . Diese Unklarheit
birgt Gefahren für die Zukunft .
Die öffentliche Debatte, dass es wieder zurück zum
aktiven Kampf gehen müsse, hat schon längst begonnen .
Zwar beteuert die Bundesregierung, dass sie das nicht
machen will und wird . Aber Sie verändern schon jetzt
das Mandat in diese Richtung, indem die Bundeswehr
die afghanische Armee bei Operationen stärker begleiten
soll . Wahrscheinlich sind Sie jetzt wieder empört, wenn
wir Grünen sagen, dass hier ein gefährlicher Rutschbahn-
effekt droht . Aber woher soll ich den Glauben nehmen,
dass es auch hier nicht wieder anders kommt, als Sie es
uns heute versichern?
Sie versuchen auch, uns und der Öffentlichkeit weis-
zumachen, dass die etwas intensivere und längere Aus-
bildung der Sicherheitskräfte sich unmittelbar positiv
auf die Sicherheitslage auswirken würde . Das ist aber
eine Illusion; denn die Wirkung – hier unterstelle ich den
bestmöglichen Fall – ist doch höchstens langfristig und
begrenzt .
Meine Damen und Herren, groß war die Hoffnung
nach den erfolgreichen Wahlen im letzten Jahr . Umso
schwerer wiegt nun die Enttäuschung bei den Menschen
in Afghanistan über ihre Regierung . Statt den Afghan-
innen und Afghanen wirtschaftliche Perspektiven zu
geben, statt für mehr Sicherheit zu sorgen, statt den Ver-
handlungsprozess mit den bewaffneten Gruppen voran-
zutreiben, statt endlich einen besseren Staat aufzubauen,
treiben die Akteure das alte Spiel der Machtkämpfe, der
Klientelpolitik und der Korruption weiter . Diese Art der
schlechten Regierungsführung ist seit Jahrzehnten eines
der zentralen Probleme und auch ein Grund, warum die
Situation heute so düster ist .
Es ist doch höchste Zeit, dass sich diese Regierung
endlich zum Wohle der Menschen in Afghanistan zusam-
menrauft, anstatt immer nur ihre eigenen Interessen zu
verfolgen . Auch hier, meine Damen und Herren, muss
man sich die Frage stellen: Wie kann unter solchen Be-
dingungen Ihr militärisches Engagement zum Erfolg füh-
ren?
Das alles sind einige der Gründe, weshalb wir Grüne
dem vorgelegten Mandat mehrheitlich nicht zustimmen
werden . Sie wissen aber, es ist für meine Fraktion immer
eine schwierige und emotionale Frage in den letzten Jah-
ren gewesen . Dieses Mal hat sich eine größere Gruppe in
unserer Fraktion entschieden, in der Sache Ja zu sagen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
auf der einen Seite wollen Sie diesen Einsatz auf unbe-
stimmte Zeit verlängern mit der Begründung, dass die
Sicherheitslage in Afghanistan so schlecht ist . Auf der
anderen Seite allerdings schwadroniert – man kann das
nicht anders nennen – Ihr Kanzleramtsminister Altmaier
von angeblich sicheren Zonen in Afghanistan, in die Sie
dann Flüchtlinge aus Deutschland so schnell wie mög-
lich abschieben wollen . Wo diese Zonen sind und wer sie
sichern soll, bleibt dabei sein persönliches Geheimnis .
Das passt nicht nur vorne und hinten nicht zusammen,
sondern das ist höchst zynisch .
Vielleicht ist die Wahrheit am Ende so bitter wie trau-
rig: Wir können keinen absoluten Frieden in Afghanistan
schaffen. Wir können die Konflikte dort mit einem Mili-
täreinsatz nicht lösen .
Vielleicht ist doch der wertvollste Beitrag neben der
Wiederaufbauhilfe, dass wir in Deutschland den Men-
schen, die in Afghanistan wegen Gewalt und Perspektiv-
losigkeit keine Zukunft mehr haben, hier ein neues Zu-
hause schenken können .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Jürgen Hardt .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir werden heute zum 15 . Mal seit dem 22 . September
2001 im Deutschen Bundestag über den Einsatz deut-
scher Soldaten in Afghanistan abstimmen .
Die Bundesregierung bittet um die Verlängerung des
RSM-Mandats . Die CDU/CSU-Fraktion wird dem zu-
stimmen . Das Mandat hat im Wesentlichen den gleichen
Auftrag wie das Mandat für 2015 . Eigentlich war vor-
gesehen, dass wir uns Ende 2015 aus der Fläche in Af-
ghanistan zurückziehen, aus Masar-i-Scharif weggehen
und uns auf die sogenannte Nabe konzentrieren, auf die
Hauptstadt Kabul . Es ist klug und richtig, dass wir nun
von diesem Zeitplan abweichen . Ich möchte auch an die
Adresse von Frau Brugger sagen: Wir haben im letzten
Jahr in allen Reden gesagt, dass wir das so planen, dass
wir das aber nur dann machen, wenn es die Lage erlaubt .
Wir haben diesen Vorbehalt immer gemacht . Wir haben
damals gehofft, dass es möglich sein könnte . Aber Sie
wissen alle, was dazu geführt hat, dass wir der Meinung
sind, dass das Mandat in der Fläche in Masar-i-Scharif
bleiben sollte und dass es um einige Soldaten aufgestockt
wird, insbesondere weil wir uns im Bereich der Fernmel-
detätigkeit entsprechend besser aufstellen .
Nach 14 Jahren Afghanistan liegt die Frage auf dem
Tisch: Was hat uns der Einsatz gebracht?
Agnieszka Brugger
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14361
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Einig sind wir uns alle, dass die hochgesteckten Ziele
und Erwartungen, die mit dem Afghanistan-Einsatz 2001
verbunden waren, nicht erfüllt sind;
denn niemand hätte gedacht, dass wir dort 14 Jahre im
Einsatz bleiben müssen .
Andererseits war der Einsatz in vielen Punkten auch ein
Erfolg . Die Kollegin Brugger von den Grünen hat einige
dieser Erfolge schon erwähnt, deswegen möchte ich das
nicht wiederholen .
Ich möchte einen Punkt herausgreifen . Viele Hundert-
tausend Afghanen haben in der Hochzeit des Terrorismus
in Afghanistan das Land verlassen, sind in Nachbarlän-
der geflohen. Viele Hunderttausend Afghanen sind in
den letzten Jahren angesichts der Verbesserung der Si-
cherheitslage in ihr Land zurückgekehrt . Es ist ein großer
Erfolg auch des Engagements zunächst im Rahmen des
ISAF-Einsatzes und jetzt des RSM-Einsatzes, dass es ge-
lungen ist, zu verhindern, dass die Menschen dauerhaft
im Ausland leben müssen, und dass sie in ihre Heimat
zurückkommen können . Ich glaube, das ist auch das gro-
ße Ziel dessen, was wir jetzt machen .
Mit Blick auf die Herausforderungen hat das Jahr 2015
gezeigt, dass die Taliban, möglicherweise auch mit dem
kommunikativen Rückenwind, dass andere terroristische
Gruppen wie der IS in der Welt erfolgreicher sind, als
es die Taliban heutzutage sind, symbolische Angriffe auf
Kunduz, aber auch in Kabul unternehmen . Es hat sich
gezeigt, dass die afghanischen Streitkräfte und die afgha-
nische Polizei noch nicht in der Lage waren, angemessen
auf diese Dinge zu reagieren, dass es dort Schwächen
in der Führung und Schwächen in der Umsetzung der
Operationen gibt, dass es Leichtfertigkeiten und Fehlein-
schätzungen gibt . Hier muss die afghanische Regierung
dringend für Abhilfe sorgen .
Insbesondere glaube ich, dass die Bürger Afghanistans
nach ihrem großen, starken Votum für den neuen Präsi-
denten, für die neue Regierung erwartet haben, dass die
politischen Kräfte, die dort an die Macht gewählt wor-
den sind, schneller zueinandergefunden hätten, schneller
zu einer guten und arbeitsfähigen Regierung gefunden
hätten . Dies alles haben wir im Übrigen beim Besuch
des afghanischen Präsidenten vorletzte Woche hier in
Deutschland und beim Besuch des Außenministers an-
gesprochen; die Obleute des Auswärtigen Ausschusses
haben die Gelegenheit gehabt, mit ihm zu sprechen .
Die Situation in Afghanistan ist nach wie vor nicht
so, dass wir auf den Einsatz verzichten können . Aller-
dings muss man auch feststellen, dass in Afghanistan an
vielen Orten Lebensmöglichkeiten und Lebensperspek-
tiven vorhanden sind, die es erlauben, dass Afghanen,
die keine individuellen Gründe für Asyl in Deutschland
und Europa haben, in ihre Heimat zurückkehren können .
Ich begrüße, dass die Innenminister der Länder von we-
nigen Tagen entschieden haben, dass die Entscheidung,
generell niemanden nach Afghanistan zurückzuführen,
zugunsten einer individuellen Prüfung aufgehoben wird .
Ich erwarte von der afghanischen Regierung, dass sie ih-
rer völkerrechtlichen Verpflichtung, afghanische Staats-
bürger aufzunehmen, auch nachkommt . Die deutsche
Bundesregierung hat bei der afghanischen Regierung
entsprechend interveniert . Jetzt kommt es darauf an, dass
ganz konkret einzelne Bundesländer diesen Weg gehen .
Das halte ich für eine logische Konsequenz unserer An-
strengungen in Afghanistan und ein gewünschtes Ergeb-
nis unseres Einsatzes dort .
Zum Schluss meiner Rede möchte ich es nicht versäu-
men, im Namen der CDU/CSU-Fraktion den 3 200 Sol-
datinnen und Soldaten der Bundeswehr, die den Weih-
nachtsabend nicht zu Hause verbringen können, sondern
im Einsatzgebiet verbringen müssen, für ihren Einsatz
herzlich zu danken, ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest
zu wünschen und eine glückliche Heimkehr zu ihren Fa-
milien in Deutschland .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank .
Nächster Redner ist Lars Klingbeil, SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Annen hatte es vorhin gesagt: Das ist keine Dis-
kussion und keine Entscheidung, die wir uns heute hier
im Parlament gewünscht haben . Wir alle hatten gehofft,
dass der Weg in Afghanistan ein anderer ist und dass wir
heute im Deutschen Bundestag nicht erneut über eine
Verlängerung des Mandates entscheiden müssen .
Wenn wir uns die afghanische Geschichte anschau-
en, dann sehen wir, dass sie von Höhen und von Tiefen
geprägt ist . Wenn wir uns an die Anschläge von 9/11
zurückerinnern – manche waren damals schon im Par-
lament –, dann ist festzustellen: Wir alle hätten damals
nicht gedacht, dass der Einsatz, dass das Engagement in
Afghanistan so viel Kraft und auch Kopfzerbrechen kos-
ten wird . Ich glaube, wir alle haben auf dieser Strecke
viel gelernt, auch für zukünftige Einsätze der Bundes-
wehr und für die Fragen internationaler Politik .
Ich sage Ihnen aber: Bei aller Kritik und bei allem,
was wir verbessern wollen, bleibt es richtig, dass wir die-
jenigen in Afghanistan, die an einem friedlichen Aufbau
des Landes interessiert sind, nicht im Stich lassen . Des-
wegen ist es richtig, dass wir heute hier im Parlament der
Mandatsverlängerung mit großer Mehrheit zustimmen
werden .
Es ist richtig, dass wir über die Verlängerung des Man-
dats nicht glücklich sind, aber wir sehen aufgrund der
Prozesse in Afghanistan eine Notwendigkeit darin . Es ist
Jürgen Hardt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514362
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auch richtig, dass wir flexibel reagieren. Wir stellen heute
fest, dass es in Afghanistan noch viel zu tun gibt .
Am 1 . Januar 2015 haben die Afghanen selbst die
Verantwortung für die Sicherheit in ihrem Land über-
nommen . Angesichts der Zahl der afghanischen Sicher-
heitskräfte – es sind knapp 350 000, davon 150 000 Poli-
zistinnen und Polizisten und 200 000 Soldaten – können
wir heute feststellen, dass sie in der Lage sind, selbst an
vielen Stellen in Afghanistan für Sicherheit zu sorgen .
Wir sehen, dass Wahlen stattgefunden haben, dass
Großveranstaltungen stattfinden können. Es gibt vie-
le Regionen in Afghanistan, in denen es Stabilität gibt .
Aber gerade in den letzten Monaten sehen wir eben auch,
dass es Rückschläge hinsichtlich der Stabilität und der
Sicherheit im Land gibt . Der Anschlag auf den Flughafen
in Kandahar und der Fall von Kunduz seien als aktuelle
Beispiele genannt . Wir dürfen das an dieser Stelle nicht
schönreden .
Aber was ist die Konsequenz, die wir daraus ziehen,
wenn wir sehen, dass in Afghanistan nicht alles so läuft,
wie wir uns das erhofft haben? Die Linken sagen: „Raus
aus Afghanistan“, aber ich glaube, liebe Kolleginnen und
Kollegen, das ist der falsche Weg . Wir müssen uns fra-
gen: Wie können wir das Mandat anpassen? Wie können
wir unseren Freunden in Afghanistan helfen? Deswegen
ist es richtig, dass wir das Mandat heute um ein Jahr ver-
längern .
Wir müssen die afghanischen Sicherheitskräfte in ih-
rer Ausbildung stärken . Wir sehen an vielen Stellen, dass
es gut funktioniert . Aber die Präsenz in der Fläche und
auch viele taktische und strategische Fähigkeiten sind bei
den afghanischen Sicherheitskräften nicht vorhanden .
Deswegen muss es dort zu einem Mehr an Ausbildung
kommen .
Wir werden das Mandat heute um ein Jahr bis zum
Ende des Jahres 2016 verlängern . Die Mandatsobergren-
ze wird moderat auf 980 Soldatinnen und Soldaten er-
höht . Der Schwerpunkt dieses Mandates liegt – ich will
es noch einmal wiederholen, damit nichts Falsches im
Raum steht – in der Ausbildung, Beratung und Unterstüt-
zung der afghanischen Sicherheitskräfte . Zudem werden
wir auch NATO-Personal und zivile Helfer sichern . Auch
der Verwundetenlufttransport ist im Mandat enthalten .
Niemand hier im Raum kann, glaube ich, etwas dagegen
haben, wenn wir in Afghanistan Verwundeten und Men-
schen, die bedroht werden, helfen .
Der NATO-Einsatz insgesamt umfasst 12 000 Sol-
datinnen und Soldaten . Wir sind mit 14 Partnernationen
vor Ort . Es ist also kein nationaler Alleingang . Das Gan-
ze – auch das will ich noch einmal betonen – erfolgt auf
Wunsch der afghanischen Regierung .
Es ist mir wichtig, zu betonen: Wir verfolgen dort
keine militärische Strategie . In der Diskussion entsteht
manchmal der Eindruck, wir würden uns auf dem Mili-
tärischen ausruhen . Nein, wir sehen, dass hier eine Ge-
samtstrategie verfolgt wird . Allein im kommenden Jahr
werden 400 Millionen Euro in den Wiederaufbau, in
die Stabilisierung und in die Entwicklungshilfe fließen.
Wir sehen, dass der Außenminister und das Auswärtige
Amt viel Energie in politische Prozesse, in Prozesse der
Regierungsführung steckt . Hier ein großer Dank an die
Bundesregierung dafür, dass sie sagt: Wir verfolgen eine
Gesamtstrategie in Afghanistan und wollen das Land so
zum Erfolg führen .
Am Ende will ich noch sagen: Es gibt auch deutliche
Erwartungen an die afghanische Regierung . Die Vertei-
digungsministerin hat es angesprochen: Wir wollen dort
mehr Reformprozess, wir wollen dort mehr Bekämpfung
der Korruption . Das sind unsere Erwartungen an die af-
ghanische Regierung .
Ganz am Ende möchte ich meine Rede nutzen, um
denjenigen, die in Afghanistan, aber auch in anderen
Auslandseinsätzen sind – egal ob als Entwicklungshelfer,
als Zivilbeschäftigte bei der Bundeswehr oder als Sol-
datinnen und Soldaten –, im Namen der SPD-Fraktion
und, ich hoffe, auch im Namen des ganzen Parlamentes
Danke zu sagen, ihnen alles Gute zu wünschen . Es ist
schwierig, in der Weihnachtszeit nicht bei der Familie zu
sein . Unsere Gedanken sind bei denen, die ihren Dienst
für Deutschland im Ausland leisten . Ihnen alles Gute .
Wir hoffen auf eine gesunde und glückliche Rückkehr
nach Deutschland .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, be-
vor ich jetzt dem letzten Redner in der Debatte das Wort
gebe, bitte ich Sie alle noch einmal, das Abholen der
Stimmkarten so geräuscharm wie möglich zu gestalten,
damit auch der letzte Redner genügend Aufmerksamkeit
hat, und das ist jetzt der Kollege Florian Hahn, CDU/
CSU-Fraktion . – Bitte schön .
Sehr geehrte Frau Präsidentin, herzlichen Dank . –
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Entschei-
dung der NATO-Außenminister vom 2 . Dezember 2015,
die Phase 1 der Mission Resolute Support aufrechtzu-
erhalten, stellt eine notwendige Kurskorrektur dar . Wir
haben erkannt, dass die öffentliche Abzugsdebatte von
2011 ein gravierender Fehler war . Sie hat den Taliban
ein wichtiges strategisches Gut in die Hände gespielt,
den Faktor Zeit . Mit der Verlängerung setzen wir eine
klare Botschaft: Die NATO-Ausbildungsmission wird
nicht mehr strikt an starren Zeitspannen oder Personal-
obergrenzen ausgerichtet; wir passen unseren Einsatz in
Zukunft an die Sicherheitsrealitäten im Land an . Zeit ist
kein strategischer Vorteil der Taliban mehr .
Lars Klingbeil
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14363
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Für uns heißt das: Deutsche Soldatinnen und Soldaten
werden die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheits-
kräfte in Kabul und in der Speiche Nord auch 2016 aus-
bilden, beraten und unterstützen . Zusätzlich ermöglicht
die vorgesehene Anhebung der Personalobergrenze mehr
Flexibilität hinsichtlich unserer Auftragserfüllung .
Mit einer Verlängerung der Phase 1 nehmen wir auch
die afghanische Regierung stärker in die Pflicht. Der Re-
formprozess, beispielsweise die Wahlrechtsreform, muss
weiter angekurbelt werden und die Korruption noch
stärker bekämpft werden . Noch immer fehlt es an einem
designierten Verteidigungsminister . Das ist ein fatales
Zeichen angesichts der volatilen Sicherheitslage in Af-
ghanistan . Die Rechnung ist ganz einfach: Die Taliban
sind so stark, wie die Regierung schwach ist .
Im Rückblick muss man sagen, dass 2015 kein leichtes
Jahr für Afghanistan war . Trotzdem dürfen wir nicht dazu
neigen, zu schnell zu urteilen . Wir dürfen das Land nicht
an den Kategorien unseres europäischen Sicherheits-
verständnisses messen . Wir haben in Afghanistan viel
erreicht: Heute ist Afghanistan kein Hinterhof mehr für
islamistische Terroristen, die das Land als Ausgangsbasis
für Anschläge gegen die freie westliche Welt nutzten; zu-
dem hat ein kultureller Wandel in Afghanistan eingesetzt;
es gab freie Wahlen; ein Großteil der Bevölkerung hat
Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung und
zu Strom; 7 Millionen junge Afghaninnen und Afghanen
gehen in Schulen .
Die Kontinuität des NATO-Engagements ist daher
auch ein Appell an die Afghanen, die heute ihr Land ver-
lassen: Wir werden Afghanistan nicht im Stich lassen,
aber das Land braucht gerade jetzt die zahlreichen jungen
Afghaninnen und Afghanen, die in der Posttalibanzeit
eine erste Bildung genießen konnten . Sie sind diejenigen,
die das Land mit aufbauen müssen .
Ich hatte neulich erst eine Begegnung, ein Gespräch,
das mich sehr nachdenklich gemacht hat . Ich war in der
sogenannten Wartezone Erding . An diesem alten Luft-
waffenstandort, wo früher Tornados gestartet sind, hat
die Bundeswehr zusammen mit dem Technischen Hilfs-
werk innerhalb kürzester Zeit die Hangars der Tornados
zu Flüchtlingsunterkünften umgebaut . 5 000 Betten ste-
hen dort .
Mich hat ein junger Hauptmann angesprochen . Er hat ge-
sagt: Herr Abgeordneter, ich war dreimal im ISAF-Ein-
satz . Ich bin Patrouille gefahren . Ich habe über 50 Ka-
meraden in Afghanistan verloren . Heute verteile ich
Handtücher und gebe Essen aus an junge, gesunde Af-
ghanen . War dieser Einsatz umsonst? Haben wir unsere
Arbeit nicht richtig gemacht? – Ein Soldat, der frustriert
ist .
Die Situation ist ganz offensichtlich nicht in Ordnung .
Allein im Oktober sind 31 000 Afghanen nach Deutsch-
land gekommen . Die ganz überwiegende Zahl sind jun-
ge, gesunde Männer . Präsident Ghani sprach während
seines Besuchs in Deutschland Anfang Dezember von
„Push- und Pullfaktoren“ und warnte vor einem Massen-
exodus . Mögliche Migrationswillige würden aktiv rekru-
tiert, Fehlinformationen würden gezielt gestreut, und die
Schleuserkriminalität verfestige sich .
Wir können nicht alle aufnehmen . Die Voraussetzung
für Asyl als Grundrecht ist eine Einzelfallprüfung . Asyl
bleibt ein Individualrecht . Es ist kein Recht, auf das sich
ganze Völker berufen können . Sonst müssten wir uns
fragen, ob wir auch ein pauschales Bleiberecht beispiels-
weise für Asylbewerber aus Mali oder Nigeria einrichten .
Insgesamt leben weltweit rund 1 Milliarde Menschen in
Konfliktgebieten wie diesen. Es kann daher kein pau-
schales Bleiberecht für alle geben .
Abschließend: Wir können die Zeit nicht zurückdre-
hen, aber wir können aus Fehlentscheidungen lernen . So
richtig die Kurskorrektur jetzt ist, so kritisch müssen wir
auch ihre Umsetzung evaluieren . Wir dürfen nicht noch
einmal aufgrund einer zu früh versiegenden strategischen
Geduld oder aufgrund innenpolitischen Drucks zu halben
Lösungen tendieren .
Unser Engagement beispielsweise im Kosovo zeigt,
wie wichtig es ist, einen langen Atem zu haben . Präsident
Ashraf Ghani brachte in einem Zeitungsinterview den zu
gehenden Weg sehr prägnant auf den Punkt: „Die Afgha-
nen wollen Frieden, das bedarf Hartnäckigkeit .“
Die Verlängerung des Mandats ist daher richtig, und
ich bitte Sie alle um Ihre Zustimmung .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Bevor wir jetzt zur Abstimmung
schreiten, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass zu
diesem Punkt mehrere Erklärungen nach § 31 unserer
Geschäftsordnung schriftlich vorliegen . Die Kollegin
Marieluise Beck hat um das Wort gebeten .
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, dass Sie
gerne schnell nach Hause möchten .
– Oh, Entschuldigung . Ich weiß, dass Sie gerne schnell
an Ihre Schreibtische oder zu anderen Verpflichtungen
zurückkehren möchten .
Dennoch möchte ich gerne, weil ich anders als die Mehr-
heit meiner Fraktion mit Ja stimmen möchte, das hier im
Haus begründen .
Viele von Ihnen kennen noch den Kollegen Winni
Nachtwei, der sich wie kaum ein anderer von uns in
Afghanistan umgetan hat und auch mit sich gerungen
hat, weil für ihn der Einsatz des Militärs tatsächlich die
letzte Option war . Aber er hat gesehen, dass es immer
Florian Hahn
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514364
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(D)
wieder eine Gemeinsamkeit von zivilem Aufbau und mi-
litärischem Engagement geben muss . Denn das Militär
muss manchmal die Voraussetzungen für ziviles Arbeiten
schaffen .
Er hat uns gestern einen Brief geschrieben, in dem steht:
„Nicht nur nach meiner Einschätzung ist die Art des la-
geunabhängigen terminfixierten ISAF-Abzugs mitver-
antwortlich für die extremen Opferzahlen unter der Zi-
vilbevölkerung .“ Er hat auch geschrieben: „Es war ein
Abzug ohne Rücksicht auf die Afghanen .“
Es ist mir wichtig, festzuhalten, dass der Eindruck, der
hier entstanden ist, die 200 000 zivilen Opfer in Afgha-
nistan seien die Opfer der westlichen Intervention gewe-
sen, falsch ist .
Man kann die Zeit nicht zurückdrehen . Wir wissen aber,
dass die große Zahl der Opfer Opfer der Taliban gewesen
sind .
Niemand kann sagen, wie viele Hunderttausende Op-
fer es gegeben hätte, wenn wir dem Treiben der Taliban
nicht Einhalt geboten hätten . Das sehen wir in der Tat
jetzt in Syrien an dem Treiben des brutalen IS .
Ich möchte einen zweiten Gedanken aufnehmen, der
immer wieder hier im Raum geäußert wird: Ein Land
könne sich nur von innen heraus befreien. Ich finde, dass
das, in Deutschland gesprochen, ein sehr problemati-
scher Blick auf unsere eigene Geschichte ist .
Dass der radikale Pazifismus die einzig ethische und mo-
ralische Antwort auf den deutschen Nationalsozialismus
sein muss, kann eine individuelle Entscheidung sein .
Aber die Befreiung vom Nationalsozialismus hat durch
den militärischen und legitimen Widerstand der Polen,
der Franzosen, der Belgier und auch der Roten Armee
stattgefunden .
Daran sollten wir uns erinnern .
Insofern gibt uns unsere Geschichte auf, diese Verant-
wortung anzunehmen . Wir haben diese Lektion gelernt .
Wir lassen keine aggressiven militärischen Akte von die-
sem Boden ausgehen, sondern wir reihen uns ein, wenn
es darum geht, brutalen, menschenverachtenden Genozid
oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübenden
Kräften in der Welt in den Arm zu fallen . Deswegen stim-
me ich mit Ja .
Schönen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin Beck . – Wir kommen zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Sup-
port für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der
afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheits-
kräfte in Afghanistan. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6946, den An-
trag der Bundesregierung auf Drucksache 18/6743 anzu-
nehmen .
Wir stimmen über die Beschlussempfehlung nament-
lich ab .1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind
die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist jetzt der Fall .
Dann eröffne ich die Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung .
Haben alle Mitglieder des Hauses jetzt die Stimmkar-
ten abgegeben? – Ich sehe, das ist der Fall . Ich schließe
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Er-
gebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später
bekanntgegeben .2)
Ich bitte Sie alle, jetzt wieder Platz zu nehmen . Wir
haben nämlich eine Reihe von Abstimmungen vorzuneh-
men .
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge .
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/7083 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt .
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/7084 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung
1) Anlagen 2 bis 5
2) Ergebnis Seite 14367 C
Marieluise Beck
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14365
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Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der NATO-geführten Ope-
ration ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer
Drucksachen 18/6742, 18/6945
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/7080
Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre hier
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat der Kol-
lege Matthias Ilgen, SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-
ben heute über die Verlängerung des Mandates für die
Operation Active Endeavour zu entscheiden, eines Ein-
satzes, der unter Rot-Grün vor nunmehr 13 Jahren unter
dem Eindruck der Anschläge des 11 . September seinen
Ursprung genommen hat . Entgegen der gewohnten Pra-
xis geht es heute jedoch nicht um ein Mandat für ein vol-
les Jahr . Konkret beschließen wir heute eine Mandats-
verlängerung für lediglich sechs Monate . Die berechtigte
Frage lautet: Weshalb nur für ein halbes Jahr?
Als es im letzten Dezember darum ging, dem Ein-
satz für ein weiteres Jahr das Mandat zu erteilen, hat es
mein Kollege Herr Brunner bereits angesprochen: Die
Anschläge vom 11 . September waren seinerzeit Anlass,
diesen Einsatz zu beginnen, doch können sie nicht auf
ewig als Begründung für diese Operation gelten, zumal
die Situation, die zu der ursprünglichen Ausrichtung des
Einsatzes führte, mit der heutigen Situation nicht mehr
viel gemein hat .
Die Bedrohung durch den im Mittelmeer vorhandenen
maritimen Terrorismus wird als abstrakt bewertet, nicht
zuletzt gerade deshalb, weil die Mission einen präventi-
ven Charakter hat . Mittlerweile beschränkt sich die Ope-
ration Active Endeavour größtenteils auf das Element
Luftraumüberwachung . Deshalb sollte aber niemand
den Fehler begehen, zu denken, man könne diese Mis-
sion einfach mir nichts, dir nichts beenden . Es wäre ein
gefährlicher Trugschluss, sich nur deshalb in Sicherheit
zu wiegen, weil von einer abstrakten Bedrohungslage die
Rede ist . Dafür, wie schnell aus einer solchen Lage den-
noch sehr schnell eine konkrete Situation entstehen kann,
gibt es in der jüngsten Vergangenheit allzu viele traurige
Beispiele .
Nach wie vor liefert die Operation Active Endeavour
in vielerlei Hinsicht einen vielseitigen Beitrag zur mari-
timen Sicherheit im Mittelmeerraum . Zum einen besteht
durch die dortige Überwachung ein präventives Element,
welches durch Abschreckung mögliche Aktionen unter-
bindet, zum anderen haben wir in dieser Operation ein
Forum für Kooperation mit den anderen Mittelmeeran-
rainerstaaten, und das trägt zur gegenseitigen Vertrauens-
bildung erheblich bei .
Was wir Sozialdemokraten schon seit längerem gesagt
haben, konnte dieses Jahr nicht zuletzt dank der Bemü-
hungen des Außenministers Frank-Walter Steinmeier er-
reicht werden . Anfang Juli dieses Jahres hat man sich auf
NATO-Ebene darauf verständigt, die Operation Active
Endeavour von Artikel 5 des NATO-Vertrages loszulö-
sen, auf dem NATO-Gipfel in Warschau im kommenden
Juli weiterzuentwickeln und auf neue Füße zu stellen .
Auch damit betritt die NATO ein Stück Neuland . Erst-
mals wird damit eine Mission von Artikel 5 wieder abge-
koppelt und der Bündnisfall somit in Teilen aufgehoben .
Verzichten können wir auf dieses sicherheits- und
ordnungsschaffende Element jedoch nicht – insbeson-
dere nicht in Zeiten, in denen die Bedrohungsszenarien
im Mittelmeer durch die organisierte Kriminalität viel-
schichtiger geworden sind und werden .
Fest steht: Der Wert dieses Einsatzes ist ungebrochen,
auch wenn sich die Rahmenbedingungen, unter denen er
einst ins Leben gerufen wurde, geändert haben . Diesem
Umstand wird auf dem NATO-Gipfel im kommenden
Juli in Warschau Rechnung getragen werden . Wie und
in welcher Form dann zu gegebenem Zeitpunkt hier im
Parlament wieder entschieden werden muss, werden wir
dann besprechen .
Die maritime Strategie der NATO von 2011 zeichnet
einen guten Weg vor . Bis dahin gilt, dass wir in Verant-
wortung gegenüber unseren Partnern diesen Einsatz um
ebendieses halbe Jahr verlängern müssen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen . Man beginnt nicht gemeinsam einen
Einsatz und steigt dann einseitig aus .
Das würde unsere Isolation in der Außenpolitik bedeuten .
Den Einsatz jetzt einseitig zu beenden und dann in
einem halben Jahr einfach wieder neu aufzunehmen, ist
weder sinnvoll noch zielführend . Es ist zudem für die
maritime Sicherheit wichtig, diesen Einsatz fortzusetzen .
Es geht um eines der auch für den Seehandel wichtigsten
Gewässer, nämlich das Mittelmeer . Deshalb plädieren
wir, die SPD-Bundestagsfraktion, für die in dieser Form
letztmalige Verlängerung des Einsatzes .
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, auch ich
möchte die Gelegenheit nutzen, allen Soldatinnen und
Soldaten zu danken, insbesondere denen, die in diesen
Tagen im Auslandseinsatz sind . Letztlich geschieht dies
immer auf Geheiß dieses Parlamentes . Die Opfer, die die
Angehörigen und Familien der Soldatinnen und Solda-
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514366
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ten gerade in diesen Tagen durch unsere Entscheidung
erbringen, verdienen unseren tiefsten Respekt und unsere
Anerkennung .
Ich wünsche ihnen allen im Namen meiner Fraktion fro-
he Weihnachten .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist für die Fraktion
Die Linke Stefan Liebich .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Apropos Weihnachten – in der Vorweihnachtszeit kann
man es ja sagen –: Alle Jahre wieder diskutieren wir über
diesen Einsatz . Alle Jahre wieder stimmen wir über eine
Verlängerung dieses Einsatzes ab . Sie haben es eben ge-
sagt: Der Einsatz hat seine Begründung eigentlich ver-
loren .
Die SPD hat ihre Position zu diesem Einsatz so oft
gewechselt und sich so oft um sich selbst gedreht, dass
Ihnen schon ganz schwindlig sein müsste . Schauen wir
einmal zurück: Es war Außenminister Steinmeier, der
2008 gesagt hat: Dieser Einsatz ist ohne jede Alternative .
Er ist ein Signal der Solidarität mit den Alliierten . Die
„politische Rückendeckung“ für unsere Soldaten sollten
wir damals hier durch einen Beschluss des Bundestages
gewährleisten .
Dann kam die schwarz-gelbe Regierung . Die Fraktion
der SPD hat gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und
unserer Fraktion diesen Einsatz abgelehnt . Auch Frank-
Walter Steinmeier hat damals in namentlicher Abstim-
mung am 13 . Dezember 2012 – ich habe extra im Proto-
koll nachgeschaut – mit Nein gestimmt .
Der Kollege Bartels, unser heutiger Wehrbeauftragter,
der wie immer ganz ordentlich unseren Debatten zu die-
sem Thema lauscht, hat argumentiert, warum es richtig
war, diesen Einsatz zu beenden, Herr Ilgen . Ich will Ih-
nen das in Erinnerung rufen . Der Kollege Bartels sagte:
Ansonsten ist Terrorismus überall auf der Welt
durch die Polizei zu bekämpfen, insbesondere durch
die internationale Zusammenarbeit der Polizei . Er
ist dort zu bekämpfen, wo er droht, aber nicht in ers-
ter, zweiter oder dritter Linie durch ein NATO-Ge-
schwader im Mittelmeer .
Da hat er recht .
Dann kam die Große Koalition zurück, und die SPD
musste eine Begründung finden, warum sie zu diesem
Einsatz jetzt wieder Ja sagt . Am 16 . Januar 2014 sagte
Frank-Walter Steinmeier, nun wieder Außenminister:
Wir haben die Laufzeit auf elf Monate gekürzt, um
auf diese Weise deutlich zu machen, dass das so et-
was wie ein Übergangsmandat sein soll .
Dann waren die elf Monate um . Der Kollege Brunner –
Sie haben eben darauf hingewiesen – sagte: Hoffentlich
ist es das letzte Mal . – Jetzt sitzen wir wieder hier, und
Sie lassen den Bundestag erneut abstimmen . Wieder sa-
gen Sie: Hoffentlich letztmalig . – Wenn Sie dann noch
erklären, es gehe Ihnen gar nicht mehr darum, den Ein-
satz zu beenden, sondern vom Bündnisfall zu entkop-
peln, dann sind Sie auf ganzer Linie gescheitert .
Es geht einfach darum, dieses überflüssige Mandat auch
im kommenden Jahr wieder zu verlängern, dann aller-
dings unter neuem Namen . Das ist der komplett falsche
Weg .
Eines wird an diesen Vorgängen deutlich – das haben
wir hier schon in der ersten Lesung diskutiert; mein Kol-
lege Dr . Neu kam darauf zu sprechen –: Wir geraten rela-
tiv schnell in Bundeswehreinsätze hinein . Heute erleben
Sie, wie schwer es ist, aus Bundeswehreinsätzen heraus-
zukommen . Denken Sie an die Debatte, die wir eben zu
Afghanistan hatten . Eigentlich wollten Sie diesen Einsatz
beenden . Jetzt wird er verlängert, und die Zahl der Sol-
daten wird wieder aufgestockt . Denken Sie auch an den
Einsatz der Bundeswehr in Syrien, den Sie in der letzten
Sitzungswoche beschlossen haben . Sie ziehen ohne Plan,
ohne Ziel in Einsätze . Sie wissen nicht, wie Sie die Sol-
datinnen und Soldaten wieder nach Hause bringen .
Sie ignorieren sogar – das war bei dem Syrien-Einsatz
der Fall –, dass es kein korrektes Mandat der Vereinten
Nationen gibt . Sie nehmen sich nicht ausreichend Zeit,
um in diesem Hause die Pläne zu diskutieren, sondern
Sie verkürzen die Verfahren . Schnell, schnell, schnell
muss es gehen . Wahrscheinlich ist das der einzige Weg,
wie Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Regie-
rungsfraktionen überhaupt noch zu einem Ja zu solchen
Himmelfahrtskommandos bewegen können .
Wie man dem internationalen Terrorismus begegnet,
ist in der Tat eine schwierige Frage . Das wird auch bei
uns intensiv und manchmal auch kontrovers diskutiert .
Dabei geht es um Ursachen, den Nährboden, die Finan-
zierung und den Zustrom von Kämpfern .
Ich persönlich und auch einige andere bei uns schlie-
ßen den Einsatz militärischer Gewalt gegenüber Terro-
risten nicht aus. Ich finde es gut, dass die Kämpferinnen
und Kämpfer der Kurden die letzte Verteidigungslinie
Matthias Ilgen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14367
(C)
(D)
gegenüber dem „Islamischen Staat“ bilden . Ich sehe eine
Verantwortung der UNO für den internationalen Frieden .
Aber das, was Sie in der letzten Woche beschlossen
haben, unterstützt bei uns niemand, weil es mehr schadet,
als es nützt .
Sie gefährden das Leben von Zivilisten und Soldaten,
und am Ende wird der IS stärker statt schwächer . Diese
Leute danken für jede Bombe des Westens .
Der Einsatz von Fregatten im Mittelmeer wird dage-
gen ebenso wenig helfen wie die Bombardierung von
Rakka . Lernen Sie endlich aus Afghanistan, Irak und Li-
byen! Machen Sie heute einen ersten Schritt, und been-
den Sie zumindest diesen sinnlosen Einsatz .
Danke schön .
Vielen Dank . – Ich gebe Ihnen jetzt das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung über die Fortset-
zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
am NATO-geführten Einsatz Resolute Support bekannt:
abgegebene Stimmen 602 . Mit Ja haben gestimmt 480,
mit Nein haben gestimmt 112, enthalten haben sich
10 Kollegen . Damit ist die Beschlussempfehlung ange-
nommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 602;
davon
ja: 480
nein: 112
enthalten: 10
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer
Axel E . Fischer
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Peter Hintze
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Stefan Liebich
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514368
(C)
(D)
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Dr . Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding
Burkhard Blienert
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
Dirk Heidenblut
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14369
(C)
(D)
Hubertus Heil
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir
Aydan Özoğuz
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck
Dr . Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Dr . Thomas Gambke
Anja Hajduk
Dieter Janecek
Tom Koenigs
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Manuel Sarrazin
Kordula Schulz-Asche
Markus Tressel
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Norbert Schindler
SPD
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr . Ute Finckh-Krämer
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz
Ralf Kapschack
Cansel Kiziltepe
Daniela Kolbe
Hilde Mattheis
Markus Paschke
Christian Petry
Dr . Wilhelm Priesmeier
Kerstin Tack
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514370
(C)
(D)
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn
Christian Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Lisa Paus
Claudia Roth
Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Dr . Julia Verlinden
Enthalten
CDU/CSU
Veronika Bellmann
SPD
Burkhard Lischka
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Oliver Krischer
Dr . Konstantin von Notz
Elisabeth Scharfenberg
Nächster Redner ist jetzt für die CDU/CSU-Fraktion
der Kollege Dr . Andreas Nick .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Liebich, dass Ihre Fraktion außen- und si-
cherheitspolitisch in der Regel auf Irrwegen unterwegs
ist, ist nichts Neues . Aber mittlerweile haben Sie sich
offensichtlich auch schon beim Tagesordnungspunkt ver-
irrt, könnte man meinen, wenn man Ihrer Rede zugehört
hat . Denn zu Active Endeavour haben Sie recht wenig
gesagt .
Als Reaktion auf die Terroranschläge in den USA
am 11 . September 2001 war die Mission Active Endea-
vour, die wir im Rahmen des Artikel 5 Nordatlantikver-
trag gemeinsam mit unseren Verbündeten in der NATO
beschlossen haben, eine angemessene Maßnahme . Als
Frühwarnsystem war und ist es ihre Aufgabe, im Mittel-
meerraum einen Beitrag zur maritimen Terrorismusab-
wehr zu leisten . Dieser vorbeugende Sicherheitsbeitrag
war erfolgreich . Es ist weder zu einem terroristischen
Angriff im Mittelmeer gekommen, noch hat sich bisher
aus der weiterhin bestehenden abstrakten Bedrohungsla-
ge eine konkrete oder akute Bedrohung durch maritimen
Terrorismus entwickelt . Unser besonderer Dank gilt da-
her zunächst einmal unseren Soldatinnen und Soldaten
der Bundeswehr, insbesondere der Bundesmarine, für
ihren engagierten Einsatz .
Es ist richtig: Die Lage im Mittelmeerraum hat sich
seit 2001 verändert . Zurzeit beschränkt sich die Opera-
tion daher vorrangig auf die Seeraumüberwachung und
den Lagebildaustausch auf und über See . Es ist angespro-
chen worden: Bereits seit 2012 setzt sich Deutschland in
der NATO deshalb für eine Weiterentwicklung des Ein-
satzprofils der Mission ein, das nicht mehr an Artikel 5
des Nordatlantikvertrages gekoppelt ist, sondern die
Operation Active Endeavour soll eine umfassende ma-
ritime Sicherheitsoperation unter Erfüllung aller sieben
Aufgaben der maritimen Strategie der NATO werden .
Dazu gehören insbesondere die Seeraumüberwachung
und Bekämpfung des Terrorismus und die Aufrechter-
haltung der Freiheit der Meere und der Schutz kritischer
maritimer Infrastruktur .
Herr Kollege Nick, ich muss Sie kurz unterbrechen .
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Neu der
Fraktion Die Linke?
Ich möchte jetzt im Zusammenhang vortragen .
Bitte schön .
Der Atlantikrat hat die deutschen Empfehlungen
als einen konstruktiven Vorschlag aufgenommen . Im
Juli 2016 werden die NATO-Mitgliedstaaten beim Gipfel
in Warschau über die neuen Einsatzgrundlagen entschei-
den . Sollte der Operationsplan bereits im Laufe des Man-
datszeitraumes bis zum 15 . Juli 2016 verändert werden,
wird natürlich eine umgehende Überprüfung der rechtli-
chen und politischen Einsatzgrundlagen einer deutschen
Beteiligung an der Mission erforderlich werden .
Schaut man auf das Erreichte, wird deutlich: Bereits
heute ist die Operation Active Endeavour weit mehr als
ein Beitrag zur maritimen Terrorismusabwehr im Mittel-
meer . Sie ist vielmehr ein gelungenes Beispiel für erfolg-
reiche internationale Zusammenarbeit, die maßgeblich
zur Aufrechterhaltung der Freiheit der Meere beiträgt .
Die Präsenz der Einsatzverbände hat sich zu einem prä-
ventiven Ordnungsfaktor im gesamten Mittelmeer entwi-
ckelt, gerade auch für die zivile Schifffahrt .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14371
(C)
(D)
Zu den konkreten Aufgaben zählen die Erfassung
und Dokumentation des zivilen Seeverkehrs und der da-
ran teilnehmenden Handelsschiffe . Die erfassten Daten
bilden die Grundlage für präventive Sicherungs- und
Schutzmaßnahmen gegen terroristische Aktivitäten . Sie
werden zugleich aber auch für andere Marineeinsätze
im Mittelmeer, zum Beispiel für den multinationalen
Einsatz UNIFIL vor der Küste des Libanon, genutzt . Ins-
gesamt wurden bisher mehr als 122 000 Handelsschiffe
überprüft und 166 Schiffe an Bord durchsucht . Seit 2003
wurden über 450 Handelsschiffe durch die Straße von
Gibraltar eskortiert, um die stark befahrene Meeresenge
vor möglichen terroristischen Anschlägen zu schützen .
Abgesehen von der unmittelbaren operativen Leistung
kommt Active Endeavour als Kooperationsplattform und
bedeutendem Konsultationsforum zudem eine wichtige
vertrauensbildende Frühwarnfunktion zu .
Gemeinsam haben sich die NATO-Staaten mit verschie-
denen Partnern über Jahre hinweg für die Sicherung des
Mittelmeerraumes eingesetzt . Neben Russland und der
Ukraine haben sieben Mittelmeeranrainer, darunter Ma-
rokko, Israel, Tunesien, Algerien und Ägypten, Informa-
tionen über verdächtigen Schiffsverkehr in ihren Küsten-
gewässern an die Operation geliefert .
Im 19 . Jahrhundert galt noch, dass Britannien die Wel-
len beherrscht . Das britische Empire knüpfte eine Perlen-
kette der Stützpunkte von Gibraltar über Malta und Zy-
pern, Suez und Aden bis nach Singapur und Hongkong .
Eine Seemacht wurde dadurch zur Weltmacht, die auch
den globalen Handel beherrschte . Durch die Globalisie-
rung sind heute alle Staaten weltweit über Handels- und
Datenströme miteinander vernetzt . Keine Weltmacht,
kein Imperium kann und wird im 21 . Jahrhundert uni-
lateral die maritime Sicherheit globaler Handelswege
sicherstellen können . Aber internationale Seehandelswe-
ge sind neben dem Luft- und Weltraum und zunehmend
auch dem Cyberspace eines der zentralen globalen Ge-
meinschaftsgüter, eine der Lebensadern der Globalisie-
rung . Als weltweit führende Exportnation ist Deutsch-
land in besonderer Weise darauf angewiesen, dass diese
Gemeinschaftsgüter effektiv geschützt werden . Ich habe
deshalb mit der Konrad-Adenauer-Stiftung eine Studien-
gruppe etabliert, die sich konkret mit der Aufgabenstel-
lung zur Sicherung dieser globalen Gemeinschaftsgüter,
der Global Commons, befasst . Die Gruppe wird ihre Ar-
beit im nächsten Jahr abschließen .
Durch seine Offenheit und Verflechtung in weltweiten
Handels-, Transport- und Kommunikationsnetzwerken
ist unser Land besonders abhängig vom globalen Aus-
tausch . Damit ist Deutschland auch anfällig und ver-
wundbar für alles, was diese Netzwerke stört . Umgekehrt
gilt: Abschottung wäre hier keine realistische Option;
denn das hieße, unseren eigenen Lebensnerv zu kappen .
Der Anteil von Im- und Exporten am Bruttoinlandspro-
dukt unseres Landes liegt bei knapp 70 Prozent .
Fast jeder vierte Arbeitsplatz in der Bundesrepublik ist
abhängig vom Export . 80 Prozent der Güter werden über
die hohe See ein- und ausgeführt .
Die Verwundbarkeit der Lieferketten auf den Ozeanen
wird im Mittelmeer besonders deutlich . Das Mittelmeer
ist eines der weltweiten Nadelöhre des Warenaustauschs .
Die Region zählt weltweit zu den wichtigsten maritimen
Transportkorridoren . Ein Drittel aller über See transpor-
tierten Güter und ein Viertel aller Öltransporte werden
durch das Mittelmeer geleitet . Jährlich passieren circa
220 000 Handelsschiffe dieses Gebiet . Natürlich geht
die Bedeutung des Mittelmeerraums weit über den rei-
nen Transportkorridor hinaus . Nicht zuletzt beteiligen
wir uns seit Juni 2015 zusammen mit 21 anderen Nati-
onen an der EUNAVFOR MED Operation Sophia, bei
der deutsche Marinesoldaten über 9 500 Flüchtlinge aus
Seenot gerettet haben und darüber hinaus das Ziel verfol-
gen, zwischen der italienischen und libyschen Küste vor
allem gegen Schlepperbanden vorzugehen .
Deutschland profitiert wie kaum ein anderes Land
von der Globalisierung und der friedlichen, offenen und
freien Weltordnung, die sie ermöglicht . Gleichzeitig ist
Deutschland aber auch in besonderer Weise abhängig
vom Funktionieren dieser Ordnung . Es ist damit in be-
sonderer Weise verwundbar und anfällig für die Folgen
von Störungen in diesem System . Mit einem fortgesetzten
Beitrag zu Active Endeavour tragen wir im NATO-Rah-
men zur Sicherung eines wichtigen Global Common bei .
Eine Weiterführung und zukünftige Fortentwicklung der
Operation Active Endeavour liegen im deutschen Inte-
resse . Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Antrag der
Bundesregierung zu .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Das Wort zu einer Kurzintervention
hat jetzt der Kollege Neu . Die Betonung liegt auf „kurz“ .
Herr Dr . Nick, wir sind ja beide promovierte Polito-
logen .
Ich habe zwei Fragen, die ich als Politologe für mich
noch nicht beantworten konnte; die Bundesregierung
konnte es auch nicht . Vielleicht können Sie sie als pro-
movierter Politologe beantworten .
Erste Frage . Wenn das Mandat nach Artikel 5 des
Nordatlantikvertrags demnächst ausläuft, wird es dann
weiter Anträge der Bundesregierung zur OAE geben
oder nicht?
Zweite Frage . Im Verteidigungsausschuss erklärte uns
der Vertreter der Bundesregierung, das Mandat nach Ar-
tikel 5 des Nordatlantikvertrags ende zwar höchstwahr-
scheinlich im Sommer nächsten Jahres, es werde aber
auch weiterlaufen . Ich habe einmal nachgefragt, wie
ich das verstehen müsse . Der Vertreter des Auswärtigen
Dr. Andreas Nick
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514372
(C)
(D)
Amtes hat seine Aussage wiederholt und war nicht in der
Lage, das zu explizieren . Da Sie ja ein promovierter Po-
litologe sind, gehe ich davon aus, dass Sie in der Lage
sind, zu erklären, wie das funktionieren soll .
Danke .
Herr Kollege Nick, bitte schön . Sie haben das Wort
zur Erwiderung .
Herr Dr . Neu ist offensichtlich genauso verwirrt wie
seine ganze Fraktion .
Auch das verwundert mich nicht . Er kann nicht einmal
im Kürschner richtig nachlesen: Ich bin promovierter
Ökonom .
Vielleicht lösen Sie Ihre Verwirrung unter dem Weih-
nachtsbaum besinnlich auf . Ich habe zwar wenig Hoff-
nung, aber man soll die Hoffnung ja nie aufgeben .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen ist Dr . Frithjof Schmidt .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon fast ein Ritual: Seit vielen Jahren diskutie-
ren wir regelmäßig einmal im Jahr über die Operation
Active Endeavour im Mittelmeer . Aber seit wenigstens
zwei Jahren sind wir uns alle in diesem Parlament in ei-
ner Hinsicht einig: Die Begründung dieses Einsatzes mit
dem Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags
ist völkerrechtlich hoch problematisch, zumindest jedoch
schon lange überholt .
14 Jahre nach dem schrecklichen Anschlag auf das
World Trade Center in New York einen Einsatz im Mit-
telmeer mit der amerikanischen Verteidigung gegen den
Terror zu begründen, das ist nicht nur anachronistisch,
das ist absurd .
Aber das wissen Sie ja auch: Die Bundesregierung
strebt zu Recht eine Entkopplung dieses Einsatzes von
Artikel 5 des Nordatlantikvertrags an und beschreibt die
konkrete Bedrohungslage, auf die reagiert werden soll,
in der Begründung des Mandates als „abstrakt“ . Das ist
wohl ein anderes Wort für „nicht konkret vorhanden“ .
Sie drängt entsprechend auch auf eine Veränderung des
Operationsplanes . Das ist alles richtig .
Aber die NATO-Partner haben Ihnen jetzt mehrere
Jahre hintereinander eine Abfuhr erteilt . Mit all diesen
Forderungen konnten Sie sich in der NATO bisher nicht
durchsetzen . Was ist jetzt Ihre Lösung? Sie wollen erneut
eine Verlängerung dieses Mandates beschließen, das Sie
selbst so schlecht finden. Dafür wollen Sie weiter bis zu
500 Soldatinnen und Soldaten abkommandieren . Das ist
nicht nur anachronistisch, sondern auch politisch unsin-
nig .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
wenn Sie die völkerrechtliche Grundlage für überholt
halten, wenn Sie die Bedrohungslage nicht konkret er-
kennen können und wenn Sie den Operationsplan in
wichtigen Punkten für falsch halten, dann dürfen Sie die
Bundeswehr nicht in einen solchen Einsatz schicken,
auch nicht für ein halbes Jahr .
Damit diskreditieren Sie nämlich alles, was wir sonst ge-
meinsam über Mandatsklarheit sagen .
Auch ganz praktisch macht das alles überhaupt kei-
nen Sinn; denn das, was da im Rahmen dieses Mandates
wirklich gemacht wird, das sind die Seeraumüberwa-
chung und die Erstellung eines Lagebildes . Das sind al-
les Routineaufgaben, die die NATO im Mittelmeerraum
im Normalfall sowieso durchführt . Dazu bedarf es keiner
Sondermission .
Sie versprechen sich und uns jetzt, dass dies in einem
halben Jahr anders wird . Ich kann nur sagen: Dann soll-
ten Sie die Beteiligung an dieser Sondermission ausset-
zen – das haben Sie übrigens 2013 schon einmal einen
Monat lang gemacht –, bis die NATO in einem halben
Jahr auf ihrem Gipfel endlich die von Ihnen und auch von
uns geforderten Korrekturen beschließt .
Sie sollten sich selbst und Ihre Kritik an diesem Man-
dat ernst nehmen .
Vermutlich würden Sie damit mehr politischen Druck
entfalten als mit allem anderen, was Sie bisher versucht
haben und was ja nichts genützt hat .
Wir fordern Sie auf, endlich praktische Konsequen-
zen aus Ihren Einsichten zu ziehen . Es ist falsch, einem
Mandat, das man selbst schlecht findet und das praktisch
Dr. Alexander S. Neu
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14373
(C)
(D)
überflüssig ist, zuzustimmen. Meine Fraktion wird das
Mandat deshalb auch diesmal ablehnen .
Danke für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Dr . Fritz Felgentreu .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-
ben heute wieder einmal viel darüber gehört, dass die
SPD als Regierungspartei mit dem NATO-Einsatz im
Mittelmeer angeblich so ganz anders umgeht als in der
letzten Legislaturperiode, als wir noch in der Opposition
waren .
Der oberflächliche Eindruck scheint zu stimmen.
In der Opposition haben wir gegen die Verlängerung von
Active Endeavour gestimmt, jetzt stimmen wir dafür .
Trotzdem darf ich hier mit großem Selbstvertrauen fest-
stellen: Erstens hat die SPD-Fraktion, haben wir unsere
Haltung zu Active Endeavour nicht verändert .
Das hat der Kollege eben auch deutlich gesagt . Zweitens
ist die Politik der SPD von Erfolg gekrönt . Verändert hat
sich allerdings unser Abstimmungsverhalten, und zwar
deswegen, weil eine Oppositionsfraktion manchmal an-
dere Mittel anwenden muss, um ihre Ziele zu erreichen,
als eine Regierungsfraktion .
Da brauchen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Linken, gar nicht unruhig zu werden . Sie können
sich so einen Methodenwechsel bisher nicht vorstellen .
Sie stecken so tief in Ihren ideologischen Gräben, dass
Sie deswegen die Verweigerung von Verantwortung auf
Bundesebene betreiben . Lassen Sie sich das doch einmal
vom Kollegen Liebich erklären . Er weiß, was es bedeu-
tet, auf Regierungsebene Verantwortung zu übernehmen
und dass man als Regierungspartei andere Mittel zur Er-
reichung der gleichen Ziele anwendet als vorher in der
Opposition .
In der Opposition ging es für uns darum, unseren Ar-
gumenten möglichst wirkungsvoll Gehör zu verschaffen .
Active Endeavour hat vor 14 Jahren begonnen, um Ter-
rorismus zur See abzuwehren . Der Einsatz war eine von
vielen Reaktionen der NATO auf 9/11 . Der Bündnisfall
nach Artikel 5 des NATO-Vertrags lieferte und liefert
noch immer die Begründung . Die SPD sagt jetzt seit Jah-
ren völlig unverändert – Sie haben es eben noch einmal
bestätigt –: Mit dem Bündnisfall können wir Active En-
deavour nicht mehr vernünftig begründen . Der Ansatz an
sich ist gut und sinnvoll .
Wir halten weiterhin viel von dem Einsatz, aber er ist
Routine geworden . Luftüberwachung und Aufklärung ist
etwas, was die NATO auch ohne Bündnisfall im Mittel-
meer tun kann und muss . Wir wollen wissen, was da los
ist .
Der Bündnisfall ist zur Begründung allerdings nicht
nur entbehrlich, er ist in gewisser Weise sogar eine Belas-
tung geworden, genau wegen der Debatte, die wir heute
führen . Active Endeavour muss aus Sicht der SPD zu ei-
nem Beispiel dafür werden, mit welchem Entscheidungs-
prozess die NATO den einmal festgestellten Bündnisfall
irgendwann auch wieder beendet .
Als Oppositionsfraktion wollten wir die Regierung
treiben; diplomatisch aktiv sollte sie werden, damit die
NATO Active Endeavour entsprechend umgestaltet . Das
ging am besten durch entschiedene Zuspitzung und eben
die Ablehnung des Mandats .
Deswegen machen Sie es heute auch noch so . Genau
das, was die Grünen heute machen, haben wir damals ge-
tan, und zwar mit der gleichen Zielsetzung . Seit die SPD
selbst den Außenminister stellt, setzt sich diese Bundes-
regierung aktiv für dieses Ziel ein . Wir stehen jetzt kurz
vor dem Erfolg .
Nur deshalb kann es sich die Bundesregierung über-
haupt leisten, die wahrscheinlich letzte Verlängerung
des Mandats nur noch für ein halbes Jahr, eben bis zum
15 . Juli, zu beantragen . Die Zeit bis zum NATO-Gipfel
in Warschau Anfang Juli müssen wir jetzt nutzen, um für
den NATO-Einsatz im Mittelmeer eine neue Grundlage
zu definieren. Auftrag und Operationsplan werden aus
der maritimen Strategie der NATO abzuleiten sein und in
jedem Fall weiterhin Aufklärung und die Erstellung von
Lagebildern sowie die internationale Zusammenarbeit,
insbesondere mit den südlichen Mittelmeeranrainern,
umfassen .
Das ist die Politik, die die SPD-Fraktion seit Jahren
anstrebt . Dass wir als Koalitionsfraktion die Diploma-
tie dieser Bundesregierung unterstützen, ist doch eine
Selbstverständlichkeit .
Dr. Frithjof Schmidt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514374
(C)
(D)
Dazu gehört, dass Deutschland den NATO-Konsens
nicht einseitig aufkündigt – deutsche Sonderwege gehen
wir nicht –, sondern dass Deutschland auf eine Änderung
dieses Konsenses hinwirkt . Das dauert dann in der Regel
ein bisschen länger; aber die Geduld lohnt sich . Vertrau-
en und Solidarität sind die Früchte dieser Geduld . Genau
diese Früchte ernten wir gerade, dank der klaren Haltung
der SPD,
die seit zwei Jahren auch im tätigen Handeln der Bundes-
regierung und in der erfolgreichen Arbeit unseres Außen-
ministers ihren Niederschlag findet.
In diesem Bewusstsein stimmen wir dem Antrag der
Bundesregierung zu . Wir danken den Soldatinnen und
Soldaten, die wir erneut in den Einsatz schicken, für
ihren Beitrag, und wir wünschen ihnen eine glückliche
Heimkehr .
Danke schön .
Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt die Kollegin
Elisabeth Motschmann, CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die letzten Wochen und Monate haben uns gezeigt, wie
fragil die Sicherheitslage nicht nur im Nahen und Mitt-
leren Osten, sondern auch bei uns in Europa ist und wie
schnell sich ein Lagebild verändern kann . Zum Abschluss
eines so ereignisreichen Jahres beschäftigen wir uns da-
her noch einmal mit unserer Sicherheit, mit dem interna-
tionalen Terrorismus und mit den Gefahren, die von ihm
ausgehen . Denn eines steht fest: Die Bedrohung ist in den
letzten Jahren immer näher an uns herangerückt . Davor
kann niemand die Augen verschließen . Die Einzigen, die
davor die Augen verschließen, sind die Linken .
Lieber Herr Dr . Neu, ich will Ihnen einmal vortragen,
was Sie zu diesem Mandat gesagt haben . Da frage ich
mich, was Sie in Ihrem Studium – Sie sind ja so stolz auf
Ihre Promotion – eigentlich gelernt haben .
In einer Ihrer Reden hieß es:
Der Terroranschlag 2001 hat nicht im Mittelmeer
stattgefunden . . . er hat in New York stattgefunden .
Die räumliche Verteidigung viele Tausend Kilome-
ter vom Anschlagsort entfernt ist mehr als fragwür-
dig .
Vielleicht hat sich auch bis zu Ihnen herumgespro-
chen, dass der Terror nicht zu lokalisieren ist, sondern
dass er überall ist, dass er sehr nah an uns herangerückt
ist . Sie müssten deshalb dem vorliegenden Antrag ei-
gentlich zustimmen, wenn Ihre Logik stimmt; aber das
ist eben ein bisschen fraglich .
Ich könnte noch einen dummen – Entschuldigung –
Spruch von Ihnen wiederholen . Sie haben nämlich auch
gesagt, dieser Einsatz diene dem Schutz des Kapitals .
Sind Sie noch ein Alt-68er, oder haben Sie gar nichts da-
zugelernt? Solche Äußerungen sind mehr als fragwürdig,
zumal für einen promovierten Politologen . Da erwartet
man eigentlich mehr .
Wie es in der Flüchtlingskrise keinen Schalter gibt,
den man umlegen und dadurch alle Probleme auf einmal
lösen kann, so gibt es auch für die Gefahren, die der inter-
nationalen Gemeinschaft durch den Terrorismus drohen,
keine einfache Lösung . Es kann nur viele verschiedene
Einsätze geben, die dem Ziel dienen, den Terrorismus zu-
rückzudrängen bzw . zu verhindern .
Die Mission Active Endeavour im Mittelmeer spielt
gerade auch angesichts der Flüchtlingsströme der letzten
Monate und angesichts der Ursachen dieser Flüchtlings-
ströme in diesem Zusammenhang eben doch eine wich-
tige Rolle, eine Rolle, die allerdings ursprünglich nicht
vorgesehen war . Wir haben schon mehrfach gehört, dass
diese Mission eine Reaktion auf die Terroranschläge in
New York im September 2001 war . Ursprünglich ging es
darum, Handelsschiffen im Mittelmeer Begleitschutz zu
leisten, verdächtige Schiffe zu kontrollieren und das Mit-
telmeer zu überwachen . Die Ziele waren Abschreckung
und aktive Terrorabwehr .
Weil sich die Bedrohung verändert hat – auch das ist
in den Beiträgen meiner Vorrednerinnen und Vorredner
schon angeklungen –, hat sich Active Endeavour immer
mehr zu einer reinen Aufklärungsmission gewandelt . Sie
soll in einem halben Jahr auch eine neue Grundlage be-
kommen und von Artikel 5 Nordatlantikvertrag abgekop-
pelt werden .
Die Einsätze beschränken sich auf die Seeraumüber-
wachung und den sogenannten Lagebildaustausch . Die
Präsenz der NATO in der Region wird derzeit vor allem
als präventive Ordnungsmaßnahme angesehen – auch
das halte ich für wichtig –, oder anders gesagt als ein
Garant, also nicht ausschließlich gemeint, der maritimen
Sicherheit im Mittelmeerraum .
Die Anforderungen, die sich an die Operation stellen,
haben sich aber grundlegend geändert . Unser langfristi-
ges Ziel ist es deshalb, diese Operation mit einem neuen
Auftrag auszustatten, einem Auftrag, der die neuen He-
rausforderungen in den Blick nimmt und ihnen gerecht
wird . Über die veränderte Ausgestaltung dieses so wich-
tigen Auftrages wird die NATO aber erst im Sommer
kommenden Jahres entscheiden . Deshalb entscheiden
wir heute darüber, ob wir diese Operation im Rahmen
eines Übergangsmandats bis dahin fortführen . Ich halte
das für völlig berechtigt und richtig . Ein Mandat, Herr
Schmidt, erst auslaufen und dann wieder aufleben zu las-
Dr. Fritz Felgentreu
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14375
(C)
(D)
sen, ist viel mühsamer . Das Mandat ist richtig, es hat sich
bewährt, und es bekommt eine neue Begründung . Des-
halb setzen wir das Mandat fort .
Active Endeavour ist also ein Stützpfeiler unserer ge-
meinsamen Sicherheit . Die Operation dient aber nicht
nur unseren eigenen Interessen und unserer eigenen Si-
cherheit, sie schützt nicht nur unsere westliche Wertege-
meinschaft und unsere Freiheit insgesamt: Die aktuellen
Herausforderungen zeigen uns sehr deutlich, wie wichtig
und wie stabilisierend allein die Anwesenheit der NATO
im Mittelmeer ist . Die neuen Herausforderungen zeigen
aber auch, wie wichtig es ist, dass wir die Operation Ac-
tive Endeavour weiterentwickeln . So sinnvoll es im Jahr
2001 zunächst war, den Schwerpunkt auf die Terrorab-
wehr zu legen, so sinnvoll ist es heute, dieses Mandat neu
zu begründen . Nur wenn dies gelingt, wird die NATO
ihre Operation weiterhin effektiv und erfolgreich durch-
führen können .
Es ist sinnvoll, Active Endeavour zu einer langfris-
tigen Sicherheitsoperation mit verschiedenen Aufgaben
zu erweitern . Es ist sinnvoll, dass Active Endeavour
Aufgaben der Aufklärung und der Lagebilderstellung
wahrnimmt . Es ist auch sinnvoll, Active Endeavour für
Nichtmitglieder der NATO zu öffnen und dadurch engere
Kooperationen anzustreben und möglich zu machen .
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . – Das
Mandat ist richtig . Wir setzen es fort . Ich bitte um Ihre
Zustimmung .
Ich wünsche Ihnen und auch allen Soldaten, die für
uns im Einsatz sind, frohe Weihnachten .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Wir sind damit am Ende der Ausspra-
che und kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-ge-
führten Operation Active Endeavour im Mittelmeer . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6945, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 18/6742 anzunehmen .
Wir stimmen über die Beschlussempfehlung nament-
lich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind die Plätze
an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Ich eröffne die
Abstimmung .
Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre
Stimmkarte abgegeben? – Ich sehe, das ist der Fall . Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben .1)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia
Roth , Omid Nouripour, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen
Drucksache 18/7046
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Heike Hänsel, Niema Movassat, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Fluchtursachen bekämpfen
Drucksache 18/7039
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich bitte jetzt die Kolleginnen und Kollegen, die Plät-
ze einzunehmen, damit wir mit der Aussprache beginnen
können .
Auch die Kolleginnen und Kollegen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und CDU/CSU bitte ich: Wer unbe-
dingt noch Gespräche führen muss, macht das bitte au-
ßerhalb des Plenarsaals, der Kollege Wiese auch .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen .
Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir im Bundestag über das Thema Flucht und ge-
flüchtete Menschen debattieren, dann befällt einige von
uns eine sonderbare Schicksalsergebenheit, gerade so,
als würden uns die Menschen, die hier bei uns in Euro-
pa und in Deutschland Schutz suchen, von einer höheren
Macht geschickt . Aber diese Menschen kommen nicht
1) Ergebnis Seite 14377 C
Elisabeth Motschmann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514376
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(D)
einfach so . Sie kommen nicht ohne Grund . Sie kommen
auch nicht aus böser Absicht oder wegen der Aussicht auf
ein bisschen Taschengeld . Sie kommen, weil ihnen das
Überleben in ihrem Heimatland unmöglich ist oder weil
das Leben dort unerträglich geworden ist .
Dennoch diskutieren einige über Flucht, also über
das erzwungene Verlassen der Heimat, so, als ob das mit
uns in Europa gar nichts zu tun habe, und tun so, als ob
wir als Europäer dafür keinerlei Verantwortung trügen .
Stattdessen werden in der Debatte vor allem Maßnahmen
ins Spiel gebracht, die nicht die Ursachen der Flucht in
den Vordergrund rücken, weil wir vermeintlich da nichts
tun könnten, und hagelt es täglich Vorschläge, die rein
auf Abschreckung, Abschottung und Grenzschließung
setzen . Schauen wir uns nur einmal an, wie lange sich
die Debatten um die Themen Obergrenze, Aussetzung
des Familiennachzuges oder Transitzonen schon ziehen .
Oder denken wir an den Kotau vor einer Regierung in
Ankara, die tagtäglich die Menschenrechte mit Füßen
tritt, die die Pressefreiheit hinter Gitter sperrt, die de fac-
to einen Bürgerkrieg in kurdischen Städten führt . Oder
denken wir an die militärische Abschottung im Mittel-
meer, vielleicht bald auch auf libyschem Boden . Oder
denken wir an Valletta, wo eine Kooperation mit Un-
rechtsregimen wie Eritrea diskutiert und sogar auf den
Weg gebracht worden ist .
Einmal mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird
deutlich: Wenn aus innenpolitischen Erwägungen außen-
politische Entscheidungen getroffen werden, bei denen
Abschottung das Richtmaß ist, dann ist es auch nur lo-
gisch, wenn mit dem Etikett „sicherer Herkunftsstaat“
Realität politisch umdefiniert wird, sogar im Hinblick auf
Länder wie Afghanistan, der Türkei oder dem Kosovo .
Es steht zu befürchten, dass auch heute beim Europäi-
schen Rat diese Logik nicht durchbrochen wird . Doch ein
Europa der Zäune, ein Europa der Mauern ist kein Euro-
pa, das ich mir vorstellen mag . Es ist ein Europa, das wir
vor 25 Jahren hinter uns gelassen haben und zu dem wir
niemals wieder zurückkehren wollen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Abschottungs-
politik ist im Kern nichts anderes als das Gegenteil ei-
nes – ich zitiere – humanitären Imperativs, der uns in Eu-
ropa doch leiten sollte . Nein, die Flüchtlinge sind doch
nicht aus der Welt, nur weil wir sie abfangen lassen . Ihr
Leid wird doch nicht erträglicher, nur weil wir sie durch
einen Zaun betrachten . Egal wie viele Patrouillenboote
wir ins Mittelmeer verlegen, egal wie hoch wir die Mau-
ern der Festung Europa noch ziehen – diese Maßnahmen
werden uns nicht vor unserer eigenen Verantwortung
schützen .
Diese Verantwortung bedeutet, die Fluchtursachen
und nicht die Flüchtlinge zu bekämpfen . Aber, liebe
Kolleginnen und Kollegen, dann darf es auch nicht bei
Sonntagsreden bleiben, dann müssen wir an die Wurzeln
gehen, anstatt weiter nur an den Symptomen herumzu-
doktern . Genau da setzen wir mit unserem Antrag zu den
Fluchtursachen an . Wir legen einen umfassenden Text
vor, der in allen relevanten Politikbereichen aufzeigt,
was sich tatsächlich ändern muss, wie sich die europä-
ische Politik ändern muss und wie auch wir selbst uns
ändern müssen, wenn wir verhindern wollen, dass im-
mer mehr Menschen aus ihrer bisherigen Heimat fliehen
müssen – in einer Welt, in der es keine Inseln der Glück-
seligkeit mehr gibt, weil die Krisen global sind und weil
die Auswirkungen dieser Krisen inzwischen auch bei uns
ankommen .
Wir definieren mit diesem Antrag unsere eigene Ver-
antwortung für das globale Flüchtlingsdrama und liefern
damit den aufrichtigen Versuch einer wirksamen Be-
kämpfung von Fluchtursachen: im Bereich Krieg und
Unterdrückung, bei Diskriminierung, Repressionen und
Ausgrenzung, gegen Armut und Zukunftslosigkeit, im
Bereich Umwelt und Klima, im Bereich der humanitären
Hilfe und, indem wir einen Weg hin zur legalen Einwan-
derung aufzeigen . Das heißt dann sehr konkret: Schluss
mit der derzeitigen Rüstungsexportpolitik,
die weltweit gerade auch die Länder mit Waffen versorgt,
die mit die Hauptverursacher von Flucht sind, wie zum
Beispiel Saudi-Arabien, diesen Exporteur der Wahhabis-
mus-Ideologie, aus der sich der islamistische Fundamen-
talismus speist, oder wie Katar, das Daesh aufpäppelt,
dem wir aber immer noch den roten Teppich ausrollen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Fluchtursachen
bekämpfen heißt für uns aber auch, keinen unfairen
Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA zuzustim-
men,
die die Menschen in Afrika ausgrenzen, die sie noch wei-
ter abhängen und ihre Entwicklungsmöglichkeiten hem-
men,
es heißt, keine europäischen Billighähnchenschlegel auf
die Märkte von Ghana, keine Fischtrawler vor den Küs-
ten Senegals, es heißt, gegen das Land Grabbing interna-
tionaler Konzerne endlich wirkungsvoll vorzugehen,
Vizepräsidentin Claudia Roth
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14377
(C)
(D)
weil es im wahrsten Sinne des Wortes Lebensraum zer-
stört und den Menschen ihre Heimat raubt, es heißt, die
Finanzierungsversprechen im Bereich globale Gerech-
tigkeit endlich einzuhalten, es heißt, die systematische
Diskriminierung von Minderheiten wie den Roma zu
beenden, und es heißt vor allem auch, Ernst zu machen
mit echtem Klimaschutz statt eine Rolle rückwärts in die
Kohlegrube .
Die Beschlüsse von Paris machen Mut . Doch wenn
es uns nicht gelingt, liebe Kolleginnen und Kollegen,
den Anstieg der Erderwärmung unter 1,5 Grad zu hal-
ten, dann werden global in einem Ausmaß Lebensräume
zerstört, und die Folgen werden mit den heutigen Ursa-
chen für Fluchtbewegungen überhaupt nicht vergleich-
bar sein. Das Thema Klimaflucht macht wie unter einem
Brennglas sichtbar, was unser Lebenswandel in der in-
dustrialisierten Welt global anrichten kann oder bereits
anrichtet . Diese Gefahr bedroht uns nicht erst in fernen
Zeiten . Wir können es doch schon heute sehen, wenn wir
nach Bangladesch blicken oder auf die pazifischen Inseln
schauen .
Eines noch, liebe Kolleginnen und Kollegen . Es darf
doch nicht sein, dass offenbar Milliarden dafür ausgege-
ben werden, um die Regierungen Afrikas für Rückfüh-
rungen zu ködern und Schiffe im Mittelmeer zu versen-
ken, während dem Welternährungsprogramm und dem
UNHCR die Gelder fehlen . Deshalb müssen die Auf-
nahme- und Transitländer bei der Unterbringung und bei
der Versorgung der Geflüchteten viel stärker unterstützt
werden .
Neben der Beantwortung der humanitären Fragen und
neben der Schaffung sicherer Fluchtwege über humani-
täre Visa und großzügigere Resettlement-Kontingente ist
schließlich auch längst überfällig, legale Migration über
ein Einwanderungsgesetz zu ermöglichen . Doch dafür
muss man dem Bundestag ein entsprechendes Gesetz
vorlegen, liebe Kollegen von CDU und SPD, anstatt sie
nur in Parteitagsbeschlüsse zu schreiben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Antrag
wollen wir die Fluchtursachen nicht nur bereden, sondern
wirklich beheben, und wir wollen sofort damit anfangen;
denn die Menschen in Not können nicht länger warten .
Ich danke Ihnen .
Vielen Dank . – Ich gebe Ihnen jetzt das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung zur Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
NATO-geführten Operation Active Endeavour bekannt:
abgegebene Stimmen 601 . Mit Ja haben gestimmt 467,
mit Nein haben gestimmt 133, Enthaltungen 1 . Damit ist
die Beschlussempfehlung angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 601;
davon
ja: 467
nein: 133
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer
Axel E . Fischer
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Vizepräsidentin Claudia Roth
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514378
(C)
(D)
Frank Heinrich
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Dr . Peter Ramsauer
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14379
(C)
(D)
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding
Burkhard Blienert
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
SPD
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Hiller-Ohm
Ralf Kapschack
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Christian Petry
René Röspel
Swen Schulz
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514380
(C)
(D)
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn
Christian Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
SPD
Petra Hinz
Das Wort hat jetzt der Kollege Roderich Kiesewetter,
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den letzten
beiden Jahren hat die Gleichzeitigkeit von Krisen zu bei-
spiellosen Schicksalen und millionenfacher Flucht ge-
führt . Wir werden kurz- und mittelfristig die eine oder
andere Herausforderung in der Ukraine oder – das ist
jetzt ganz frisch – auch in Libyen sicherlich mit diploma-
tischen Mitteln lösen können . Aber angesichts der milli-
onenfachen Flucht weltweit müssen wir uns darüber im
Klaren sein, dass es sich hierbei um eine Generationen-
aufgabe handelt, die von den beiden Anträgen, die wir
heute hier beraten, nur teilweise behandelt wird .
Ich möchte das anhand von vier Trends aufzeigen, die
eine erhebliche Rolle bei den Fluchtursachen spielen:
Erstens der demografische Wandel. Ich nenne hier nur
das Stichwort „Afrika“ . Wir erwarten eine Verdoppelung
der afrikanischen Bevölkerung bis zum Jahr 2050, also
binnen einer Generation . Zurzeit sind dort bereits rund
17 Millionen Menschen auf der Flucht .
Zweitens nenne ich die zunehmende Intensivierung
von Religionskriegen, beispielhaft hier der Streit zwi-
schen Schiiten und Sunniten, der blutig ausgetragen
wird, auch in Stellvertreterkriegen . Das ist etwas, was
unbedingt in den Regionen vor Ort gelöst werden muss;
trotzdem sind wir unmittelbar davon betroffen .
Drittens erleben wir den Klimawandel . Darüber hat
die Kollegin Roth eben gesprochen .
Viertens . Die Kluft zwischen reichen und armen Staa-
ten nimmt nicht ab .
Gleichwohl hat die Weltbank in der vergangenen Woche
sehr deutlich gemacht, was sich in den letzten 25 Jah-
ren dank Globalisierung und Entwicklungszusammenar-
beit getan hat: Der Anteil der ärmsten Menschen auf der
Welt ist von etwa 30 Prozent im Jahr 1990 auf jetzt etwa
10 Prozent gesunken . Das darf aber nicht unseren Blick
verstellen; denn immer noch zählen 800 Millionen Men-
schen zu den Ärmsten dieser Weltgemeinschaft . Hier ha-
ben wir viel zu tun .
Vielfach habe ich den Eindruck – der Wissenschaftler
Herfried Münkler hat das in den letzten Wochen immer
wieder deutlich gemacht –, dass wir an den sozialen Fol-
gen dieser Entwicklungen arbeiten, aber wenig tun, um
die Entwicklungen selbst zu gestalten . Ich glaube, unsere
Aufgabe als Bundesrepublik Deutschland und als Euro-
päische Union ist es, hier mitzuwirken . Wir müssen sel-
ber aktiv werden, damit wir nicht gestaltet werden . Wir
dürfen nicht immer nur an den Folgen arbeiten .
Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung – das gilt
insbesondere für das Auswärtige Amt – an der Bekämp-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14381
(C)
(D)
fung der Fluchtursachen arbeitet, auch durch Präventi-
onsmaßnahmen. Diesbezüglich findet im Auswärtigen
Amt eine Umorientierung statt . Auch deshalb ist es gut,
dass die Bundesregierung in den Bereichen Entwick-
lungszusammenarbeit, Außen- und Sicherheitspolitik ei-
nen verzahnten Ansatz verfolgt . Wir merken ja sehr deut-
lich, wie eng Außen- und Innenpolitik zusammenhängen .
Ich möchte vor diesem Hintergrund gerne vier Bereiche
der Fluchtursachenbekämpfung aufzeigen, um die wir
uns intensiver kümmern müssen .
Erstens geht es aus meiner Sicht darum, die illegale
Migration nach Europa zu begrenzen . Der Historiker
Heinrich August Winkler hat unlängst, im Sommer, deut-
lich gemacht, dass es ein legitimes deutsches Interesse
ist, die illegale Migration zu begrenzen . Ich möchte sa-
gen: Es ist im Interesse Europas, die illegale Migration
zu bekämpfen, um uns stärker um diejenigen kümmern
zu können, die Asylgründe haben, um uns stärker um die-
jenigen kümmern zu können, die schutzbedürftig sind .
Wir müssen die illegale Migration auch bekämpfen, um
den Schleppern das Handwerk zu legen .
Deshalb bin ich sehr froh, dass in Valletta nicht nur die
Fluchtursachenbekämpfung angesprochen worden ist,
sondern auch sehr deutlich Möglichkeiten der legalen
Migration nach Europa .
Mein zweiter Punkt: Wenn wir, liebe Kolleginnen
und Kollegen, aber vermeiden wollen, dass Europa zur
Festung wird – Frau Roth hat ja den Begriff „Festung
Europa“ gebraucht –, dann brauchen wir innerhalb un-
serer europäischen Gesellschaften die Bereitschaft zur
Aufnahme von Flüchtlingen . Dann brauchen wir die
Bereitschaft, Ursachen zu bekämpfen, die Bereitschaft,
humanitäre Hilfe zu leisten, die Bereitschaft, darüber
nachzudenken, wie eine gemeinsame Lösung angestrebt
werden kann .
Drittens . Wir müssen die Renationalisierungsbestre-
bungen in unseren Nachbarländern, die wir mit Sorge
beobachten,
massiv angehen, ganz klar ansprechen und konstruktive
Vorschläge unterbreiten . Das Ziel ist sicherlich, die Auf-
nahmebereitschaft in Europa zu verbessern . Das ist ein
schwieriger Weg . Das muss aber innerhalb des nächsten
Jahres gelingen; denn die Flüchtlinge werden nicht war-
ten, bis wir Europäer uns geeinigt haben .
Viertens . Parallel sollten wir alles dafür tun – das wird
die einen oder anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union an der Peripherie Europas sicherlich überzeugen –,
dass die Flüchtlinge in den Ländern, die unmittelbar an
die Krisenzonen angrenzen, bessere Lebensbedingungen
haben. Das bedarf hoher finanzieller und hoher fachli-
cher Unterstützung . Wir werden uns darauf einstellen
müssen, in der Entwicklungszusammenarbeit, in der Ge-
sundheitsversorgung, in der Betreuung und auch in der
psychosozialen Beratung viel stärker in diesen Regionen
aktiv zu sein .
Deshalb finde ich es sehr gut, wenn ich das sagen darf,
dass auf dem Bundesparteitag der CDU in dieser Woche
nicht nur über die Begrenzung der Flüchtlingszahlen
gesprochen wurde, sondern auch ein Aufruf an die Ge-
sellschaft zu mehr Bereitschaft zum Freiwilligendienst
einstimmig entschieden wurde .
400 000 junge Menschen sollen sich im Freiwilligen-
dienst für Betreuung, für Unterstützung und für den Zu-
sammenhalt unserer Gesellschaft einbringen .
Herr Kollege Kiesewetter, darf ich Sie kurz unterbre-
chen? Die Kollegin Hänsel hat darum gebeten, Ihnen
eine Zwischenfrage stellen zu dürfen .
Es wäre ja eine Überraschung, wenn es keine Zwi-
schenfrage gegeben hätte . – Ja .
Bitte schön, Frau Kollegin Hänsel .
Danke schön, Frau Präsidentin . – Herr Kiesewetter,
ich möchte jetzt wirklich noch einmal bei Ihnen nach-
fragen . Denn Sie betreiben jetzt wieder genau das üble
Spiel, das wir hier die ganze Zeit von Ihrer Fraktion er-
leben . Wir sprechen hier über Fluchtursachen, und wir
sprechen über Menschen, die auf der Flucht sind . Sie
sprechen jetzt von illegaler Migration . Jetzt sagen Sie
mir einmal bitte: Welche legalen Einreisewege in die
Europäische Union haben diese Menschen, die auf der
Flucht sind?
Wenn ich auf der Flucht bin, fliehe ich und muss mich in
ein anderes Land retten und stelle dort einen Antrag auf
Asyl . Das steht in unserem Grundgesetz .
Sie führen hier ständig dieses Wort der illegalen
Migration, der irregulären Migration an, anstatt sich mit
Fluchtursachen zu beschäftigen . Sie bekämpfen damit ei-
gentlich wie immer Flüchtlinge und Fluchtoptionen .
Roderich Kiesewetter
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514382
(C)
(D)
Deswegen lautet meine Frage: Was haben Sie für Men-
schen auf der Flucht anzubieten?
Wir erleben, dass Tausende im Mittelmeer ertrinken, weil
es keine legalen Einreisewege gibt .
Das ist genau der Punkt . Genau deshalb müssen wir
der illegalen Migration das Handwerk legen, insbeson-
dere den Schleppern .
Erstens wollen wir große Aufnahmezentren – ich
mag den Begriff „Hotspots“ nicht so sehr –, in denen die
Flüchtlinge legal aufgenommen werden können .
Zweitens wollen wir den Schleppern schlichtweg das
Handwerk legen, indem wir ihre Netzwerke aufklären .
Drittens wollen wir – das ist in La Valletta sehr deut-
lich geworden; im Übrigen hat sich die Bundesregierung
dort sehr stark dafür eingesetzt –, dass wir legale Ein-
wanderung für Menschen mit entsprechendem Hinter-
grund nach Europa ermöglichen .
Wir wollen doch gerade verhindern, dass die Men-
schen nur über den Weg Asyl nach Europa kommen .
Vielmehr sollen sie qualifiziert und auf sicheren Wegen
kommen, damit es eben nicht auf Dauer dieses Milliar-
denhandwerk gibt, das zusätzlich noch den Terror von IS
und anderen gewaltbereiten Terrororganisationen unter-
stützt . Darum geht es .
Das führt mich zu einem weiteren Punkt . Wenn es uns
also gelingt, die Aufnahmebereitschaft innerhalb der Eu-
ropäischen Union auszugleichen, wenn es uns gelingt,
ein Klima der Hilfsbereitschaft zu schaffen, wenn es uns
gelingt, das, was in Deutschland beispielhaft im Ehren-
amt geleistet wird, zu verstetigen und den Freiwilligen-
dienst in dieser Richtung auszubauen, dann sind wir in
diesem Bereich nicht nur Vorbild für andere Staaten in
der Europäischen Union, sondern wir zeigen damit auch
die Solidarität, die notwendig ist . Auf der anderen Seite
zeigen wir Staaten, die mit Flüchtlingen innerhalb der
EU weniger aufgeschlossen umgehen, wie man es anders
machen kann . Deshalb sage ich: Wir brauchen eine ge-
meinsame Anstrengung .
Dann haben wir – das führt mich jetzt zu den eigent-
lichen Aspekten der Fluchtursachenbekämpfung – auch
die Chance, dass die Europäische Union stärker mit den
Vereinten Nationen zusammenarbeitet und dass wir bei
der Gestaltung der Außengrenzen aktiv mitwirken kön-
nen . Denn wo wären wir in Afghanistan, wenn wir dem
Antrag der Linken folgen würden? Dann würden dort
noch die Taliban regieren . Wo wären wir in Serbien?
Dann würde Milosevic dort noch regieren .
Wo wären wir mit Blick auf die Peschmerga? Dann wä-
ren die Jesiden längst schon im Völkermord untergegan-
gen . Wir müssen also auch aktiv eingreifen .
Eine Kollegin hat heute in einer besonderen Stellungnah-
me sehr gut dargestellt, dass es notwendig ist, einzugrei-
fen .
Deshalb brauchen wir in der Europäischen Union et-
was mehr Mut, nicht nur an den sozialen Folgen von Ent-
wicklungen zu wirken, sondern auch mitzugestalten . Das
geht – das spreche ich ganz offen an – bis hin zu Fragen
eines notwendigen Regimewechsels, wenn Regime Völ-
kermord unterstützen, Minderheiten unterdrücken und
mit Gewalt ihre eigene Bevölkerung unterjochen, wie
wir es beispielsweise in Syrien bitter erleben, liebe Kol-
leginnen und Kollegen .
Herr Kollege Kiesewetter, ich möchte Ihnen noch
eine Chance zu einer Pause geben . Die Kollegin Renate
Künast hat um eine Zwischenfrage gebeten . Gestatten
Sie sie?
Wir wollen ja eine lebhafte Debatte; gerne .
Herr Kiesewetter, da wir gerade über Fluchtursachen
reden, will ich sagen, dass meiner Meinung nach so et-
was wie der Bundesfreiwilligendienst keine Fluchtursa-
che ist . Deshalb würde ich Sie gerne fragen, ob Sie auch
noch zu einem anderen Thema kommen, und Sie bitten,
inhaltlich etwas dazu zu sagen .
Ich persönlich halte zum Beispiel die europäische
und internationale Fischerei- und Agrarpolitik für eine
Fluchtursache, also den Raubbau und das Land Grab-
bing .
Das Ackerland gehört nicht mehr den Menschen, die dort
leben . Es werden Futtermittel und Gemüse angebaut, da-
mit sie in Europa ganzjährig zur Verfügung stehen,
sodass das gute Ackerland nicht für die Sicherstellung der
Ernährung der Menschen vor Ort genutzt werden kann .
Ein anderes Beispiel ist, dass die großen Fischtrawler an
den Küsten Westafrikas die Meere leerfischen, sodass die
Fischer ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie gar
nicht mehr durch Fischerei sichern können . Ich dachte
eigentlich, dass das Fluchtursachen sind .
Heike Hänsel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14383
(C)
(D)
Sind Sie bereit, neben dem Bundesfreiwilligendienst
und ähnlichen Dingen auch darüber zu diskutieren bzw .
die Frage zu stellen, ob wir vielleicht auch unsere Art,
uns zu ernähren und Fischerei- und Agrarpolitik zu be-
treiben, verändern müssen, um im Hinblick auf die zen-
tralen Ursachen der Flucht, nämlich Hunger und fehlen-
de Lebensperspektiven, etwas zu tun? Ich glaube, dass
das der Ausgangspunkt ist .
Ich glaube, Frau Kollegin Künast, Sie haben mich sehr
wohl verstanden . Ich habe klargestellt, dass auch gesell-
schaftliche Voraussetzungen für eine größere Aufnah-
me- und Hilfsbereitschaft erfüllt sein müssen . Deswegen
gehe ich auf Ihre Frage nicht weiter ein .
Wir wollen unserer Bevölkerung nicht vorschreiben,
wie man leben soll – damit sind Sie ja im letzten Bundes-
tagswahlkampf gescheitert –,
sondern wir wollen erreichen, dass das aus Einsicht ge-
schieht .
– Wirklich .
Sie haben mir da eine Brücke gebaut, Frau Künast –
insofern danke ich Ihnen; denn das führt mich zu einem
weiteren Punkt –: Uns muss es darum gehen, dass wir um
Europa herum einen Ring stabiler Staaten haben, die in
der Lage sind, die Flüchtlinge in den unterschiedlichen
Regionen aufzunehmen .
Wir müssen uns dort engagieren, um Wertschöpfungsket-
ten zu schaffen .
Wir müssen unsere Agrarmärkte öffnen, um die Entwick-
lung der Agrarwirtschaft im nördlichen Afrika zu beflü-
geln – da bin ich mit Ihnen völlig d’accord –, und unsere
Fördermittel so gestalten, dass landwirtschaftliche Ent-
wicklungen im nördlichen Afrika nicht im Keim erstickt
werden . Da sind wir uns, wie gesagt, völlig einig . Das
bedeutet auch eine Änderung unserer Agrarpolitik im
nördlichen Afrika – eindeutig .
Letztlich – Sie hatten eben die Gelegenheit – geht es
um drei Dinge:
Erstens . Die Europäische Union muss stärker mit den
Vereinten Nationen zusammenarbeiten . Die Europäische
Union muss in ihrem Umfeld für Stabilität sorgen . Das
ist insbesondere an guten Beispielen der Entwicklungs-
zusammenarbeit deutlich geworden . Gerade das BMZ
unterstützt Bildungsprojekte im Libanon, in Jordanien,
in Syrien und in der Türkei .
Zweitens müssen wir uns ganz stark in den Ländern
um Syrien herum engagieren, insbesondere im Libanon
und in Jordanien .
Drittens sollten wir das Engagement der Bundes-
regierung gerade bei den Verhandlungen in Wien und
Rom – dabei geht es um den Vorschlag einer libyschen
Einheitsregierung und um eine Entwicklung, die alle
Konfliktparteien in Syrien und im Irak an einen Tisch
bringt – massiv unterstützen . Ein richtiger Beitrag zur
Fluchtursachenbekämpfung wäre in jedem Falle die
Schaffung eines stabilen Umfelds um Europa herum und
die Bereitschaft, dort, wo die Europäische Union mehr
leisten kann als andere, im Auftrag der Vereinten Natio-
nen zu helfen .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
die Kollegin Katja Kipping .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kiesewetter, wenn Sie dem sogenannten Schlepperwesen
wirklich die Geschäftsgrundlage entziehen wollen, gibt
es ein ganz einfaches Mittel: Schaffen Sie einfach lega-
le Flucht- und Einreisemöglichkeiten! Ich sage: Fähren
statt Frontex .
Zum Thema Fluchtursachen . Wer Waffen in alle Welt
verkauft, braucht sich nicht zu wundern, wenn diese Waf-
fen anderswo Menschen in die Flucht treiben . Ja, Waf-
fenexporte sind Fluchtursachen made in Germany, und
damit müssen wir aufhören .
Sie werden nun womöglich einwenden, dass Deutsch-
land gar keine Waffen direkt in die Länder verkauft hat,
aus denen gerade besonders viele Menschen fliehen. Ja,
die Wege der Waffengeschäfte sind oft verschlungen . Es
gibt weltweit einen Schwarzmarkt für Waffen, und der
größte Teil der Waffen, die dort gehandelt werden, be-
steht aus einst legalen Waffen . Im Laufe der Jahre wur-
den sie aber – sei es durch Korruption, durch Diebstahl,
durch politische Umbrüche oder anderes – illegale Waf-
fen, und sie kamen auf den Schwarzmarkt . So fanden sie
ihren Weg in die verschiedenen Kriegsgebiete .
Die einzige Möglichkeit, diesen Schwarzmarkt für
Waffen auszutrocknen, besteht darin, die ursprüngliche
Quelle trockenzulegen, nämlich den legalen Waffen-
handel, und deswegen sagen wir als Linke ganz klar:
Renate Künast
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514384
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(D)
Fluchtursachen bekämpfen heißt auch, alle Rüstungsex-
porte sofort zu stoppen .
Wir reden über Fluchtursachen und wissen, dass es
Bereiche gibt, in denen wir mehr Geld in die Hand neh-
men müssen, zum Beispiel für die Flüchtlingscamps der
UN .
Fluchtursachen bekämpfen heißt aber auch, das Fal-
sche, das für die Entwicklungsländer Schädliche, zu
unterlassen, zum Beispiel Land Grabbing . Der Begriff
„Land Grabbing“ beschreibt eine sehr fragwürdige Praxis
der Landaneignung . Lokale Machthaber verkaufen Land
an internationale Konzerne, Banken und Fonds – aller-
dings ohne Rücksicht auf die Familien zu nehmen, die
auf diesem Land seit Jahren leben und es bewirtschaf-
ten . Und wir reden hier nicht über eine kleine Dimen-
sion, sondern Schätzungen zufolge hat Land Grabbing
eine Größenordnung von 50 bis 220 Millionen Hektar .
Nur einmal zum Vergleich: Die gesamte EU verfügt über
Ackerland in einer Größenordnung von 180 Millionen
Hektar . Wir reden hier also über eine große Dimension .
Infolge von Land Grabbing, von Landraub, verlieren
Familien ihre Lebensgrundlage, und sie haben oft nur die
Wahl zwischen einem Leben in Slums oder der lebens-
gefährlichen Flucht . Wenn wir uns also dafür einsetzen,
deutschen und europäischen Unternehmen und Banken
die Beteiligung an dieser Form von Landraub zu verbie-
ten, dann tun wir etwas Richtiges, um die Not in anderen
Ländern abzubauen .
Der Flüchtling Jan aus dem Kongo, dessen Familie
selbst Opfer von Landraub wurde, hat die Situation in
seiner Heimat für einen Dokumentarfilm, wie ich finde,
sehr treffend auf den Punkt gebracht . Er sagt – ich zi-
tiere –: Ihr nehmt uns unsere Lebensgrundlage, weil ihr
unsere Rohstoffe ausbeutet, und unsere Regierungen
nehmen uns unsere Zukunft, weil sie nicht auf Bildung
setzen, sondern Raffgier vorleben. – Ich finde, das ist eine
sehr treffende Beschreibung für die Komplizenschaft von
westlichen Konzernen mit Machthabern vor Ort .
Nun gibt es ganz konkrete Schritte, die wir gehen kön-
nen, um Fluchtursachen abzubauen . Wir schreiben darü-
ber in unserem Antrag. Ich finde aber auch, dass wir die
Augen vor einer Tatsache grundsätzlich nicht verschlie-
ßen können: Unser Wohlstand hier basiert auf einer Aus-
beutung dort. – Wer flüchtet denn schon freiwillig?
Frau Kollegin Kipping, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Huber?
Mit Vergnügen .
Frau Kollegin Kipping, ich fühle mich geehrt . – Sie
haben von Landraub und im Zusammenhang damit unter
anderem über das Engagement von Rohstoffkonzernen
in Afrika gesprochen . Daneben haben Sie auch in Bezug
auf den Kongo von Rohstoffausbeutung gesprochen .
Vielen Dank für die Zusammenfassung .
In diesem Kontext haben Sie einen Antrag für die
verbindliche Zertifizierung von Rohstoffen in den Aus-
schuss eingebracht .
Bis dahin ist alles richtig .
Ich bin jüngst im Kongo gewesen und habe mich dort
mit Bergbauarbeitern unterhalten . Es gibt ein Äquivalent
zu dem Antrag, den Sie eingereicht haben; das ist der
Dodd-Frank Act, Artikel 1502 .
Es ist folgendermaßen: Wenn Sie nach dem Prin-
zip Lessons Learned gehandelt hätten, dann hätten Sie
feststellen müssen, dass allein in der Region Katanga
400 000 Minenarbeiter – also kleine Bergbauarbeiter –
ihren Arbeitsplatz zugunsten von multinationalen Kon-
zernen verloren haben .
Mir erschließt sich hier die Logik nicht . Auf der einen
Seite wollen Sie das Kleinbergbauerntum unterstützen,
die Fluchtursachen bekämpfen und dafür sorgen, dass
die Leute ihre Arbeitsplätze behalten, und auf der an-
deren Seite unterstützen Sie – gewollt oder nicht – eine
Strategie der multinationalen Konzerne, damit die Leute
ihr Land und ihre Arbeitsplätze verlieren . Jetzt frage ich
mich, wie diese Logik zustande kommt .
Dasselbe lässt sich natürlich auch übertragen . Ich den-
ke hier daran, dass Sie immer eine Diskussion über die
Kleinbauern anregen .
Herr Kollege Huber . Eine kurze Frage, bitte .
Meine Frage, genau formuliert: Welches ist die Logik,
die Sie uns versuchen zu offenbaren, wenn Sie sagen, Sie
unterstützen im Prinzip den kleinen Mann,
obwohl Sie in der praktischen Auswirkung indirekt die
multinationalen Konzerne unterstützen? Haben Sie das
genau evaluiert?
Sehr geehrter Herr Huber, ich bin Ihnen sehr dankbar
für Ihre Frage, weil ich in meinen vier Minuten Rede-
zeit das Handeln der Bundesregierung nicht so kritisch
im Detail würdigen konnte, wie Sie das getan haben . Sie
sind ja Mitglied der Regierungsfraktionen . Sie wissen,
dass in der Außenpolitik der Einsatz für entsprechende
Katja Kipping
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14385
(C)
(D)
bilaterale und internationale Abkommen, zum Beispiel
um die Beteiligung an Land Grabbing zu verbieten, in
den Händen der Bundesregierung liegt, auf die Sie wo-
möglich sogar Einfluss haben. Bisher hat die Regierung
hier nichts gemacht .
Ich will auch darauf hinweisen, dass sich beispiels-
weise meine Fraktion im Entwicklungsausschuss dafür
eingesetzt hat, dass die Praxis der DEG, der Deutschen
Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, einer kriti-
schen Würdigung unterzogen wird, weil sie im Kongo
multinationale Konzerne beim Land Grabbing unter-
stützt hat, was dazu geführt hat, dass Familien ihre Le-
bensgrundlage verloren haben . Ich sehe also Ihre Frage
eher als eine Kritik an der bisherigen Politik der Bundes-
regierung . Vielen Dank .
Noch einmal: Unser Wohlstand hier basiert auf einer
Ausbeutung dort . Ich fand, dass die Losung der Refu-
gee-Bewegung dies gut auf den Punkt gebracht hat: „Wir
sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört .“ Die vielen
Menschen, die Grenzen unter Lebensgefahr überwinden,
führen uns damit die Begrenztheit unserer Sichtweise auf
unsere Art, zu wirtschaften, und unsere Art, Handel zu
treiben, vor Augen . Insofern trägt die Fluchtbewegung
eine Botschaft nach Europa: So, wie wir wirtschaften,
wie wir konsumieren und wie wir Handel betreiben, so
kann es nicht weitergehen .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kol-
legin Dr . Ute Finckh-Krämer das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen!
Als ich die beiden Anträge, über die wir jetzt hier dis-
kutieren, gelesen habe, hatte ich das Gefühl, ich habe es
kurz vor Weihnachten mit Wunschzetteln ohne Priorisie-
rung und ohne Überlegungen dazu zu tun,
wie sich die verschiedenen Forderungen eigentlich zuei-
nander verhalten und wie sie in endlicher Zeit umsetzbar
sind . Aus meiner Sicht wäre weniger mehr gewesen .
Ich möchte mit einer Situation beginnen, die uns allen
vertraut klingt: eine gescheiterte Revolution in mehreren
nebeneinander liegenden Ländern . Die Regierungen set-
zen Militär gegen die Revolutionäre ein . Viele von ihnen
fliehen in Nachbarländer, um einer politischen Verfol-
gung zu entgehen, und dann, als die Repression in ih-
ren Heimatländern anhält, weiter in ein Land, das seine
Grenzen für diese Menschen weit öffnet . Viele von ihnen
sind akademisch gebildet, stammen aus wohlhabenden
Familien und integrieren sich schnell in die aufnehmende
Gesellschaft . „Wo Freiheit ist, ist Heimat“ ist ihr Grund-
satz . Wer die Staatsbürgerschaft des neuen Heimatlandes
erhält, mischt sich als Demokrat kräftig in die Politik ein .
Einer von ihnen wird Innenminister .
Spätestens hier ist klar, dass es nicht um den Arabi-
schen Frühling geht, sondern um ein historisches Bei-
spiel . Die Rede ist von der gescheiterten Revolution
1848 in Deutschland . Das Zielland waren die USA . Der
bekannteste 48er, wie sie bis heute genannt werden, der
Innenminister wurde, war Carl Schurz . Wenn man Tex-
te über ihn liest, wird er nicht als Flüchtling, sondern
aus deutscher Perspektive als „Auswanderer“ oder aus
US-amerikanischer Perspektive als „Einwanderer“ be-
zeichnet . Nach heutigen Kriterien wären die 48er eindeu-
tig politische Flüchtlinge . Einen Teil des demokratischen
Denkens, das sie mit in die USA genommen haben, ha-
ben wir im 20 . Jahrhundert im Dialog mit den USA zu-
rückbekommen .
Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik hat
gerade eine kompakte Stellungnahme dazu vorgelegt,
was Entwicklungspolitik zur Bekämpfung von Fluchtur-
sachen beitragen kann . Dabei wird – das ist für unsere
Diskussion wichtig – folgende Definition von Flucht zu-
grunde gelegt . Danach
ist Flucht eine Reaktion auf eine Bedrohung der
physischen oder psychischen Integrität, die durch
Krieg und Bürgerkrieg, Terror, Gewalt, Repression,
Nahrungsmangel oder Naturkatastrophen verur-
sacht werden kann .
Der Begriff wird gegen den Begriff der Migration oder
der Aus- und Einwanderung, wie es früher hieß, abge-
grenzt:
Auch wenn die Abgrenzung zu Flucht nicht immer
eindeutig ist, sollte man von Migration sprechen,
wenn Menschen gezielt außerhalb ihrer Heimat
nach Möglichkeiten suchen, um ihre sozioökonomi-
schen Lebensbedingungen zu verbessern .
Ich bin dem Deutschen Institut für Entwicklungspoli-
tik außerordentlich dankbar dafür, dass es eine klare De-
finition von Flucht in die aktuelle Debatte um Fluchtursa-
chen einbringt . Denn leider vermischen die vorliegenden
Anträge Flucht und Migration und damit auch die Frage
nach Flucht- und Migrationsgründen .
Unsere Debatte darüber, wie wir kurz-, mittel- und lang-
fristig die Zahl der Flüchtlinge, aber nicht unbedingt die
Zahl der Migranten weltweit verringern können, gewinnt
an Schärfe und wird erschwert, wenn wir die Begriffe
nicht klar definieren.
Die meisten Flüchtlinge und intern vertriebenen Men-
schen kommen aus Regionen, in denen Krieg und Bür-
gerkrieg herrschen . Sie hoffen auf ein Ende der Gewalt
Katja Kipping
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514386
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(D)
und eine Rückkehr in ihre Heimat . Daher bleiben die
meisten im eigenen Land oder in der Region . Um ihnen
kurzfristig zu helfen, gibt es drei wichtige Ansätze, und
dabei spielt Außenpolitik eine große Rolle .
Ein Ansatz ist die Unterstützung von Waffenstill-
stands- und Friedensprozessen . In der Ukraine und in
Libyen ist Deutschland sehr aktiv dabei, solche Waffen-
stillstandsprozesse als Voraussetzung für Friedenspro-
zesse zu unterstützen . Auch in Syrien und im Irak spielt
Deutschland zumindest auch eine wichtige diplomati-
sche Rolle, unabhängig davon, wie der einzelne oder die
einzelne von uns über die Militäreinsätze und die Unter-
stützung durch Waffenlieferungen in den Irak denkt .
Der zweite wichtige Punkt – das ist schon ange-
sprochen worden und kommt auch in beiden Anträgen
vor – ist die humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge . Da hat
Deutschland nicht nur die eigenen Mittel im Bundes-
haushalt 2016 deutlich erhöht, sondern Deutschland ist
auch immer wieder Gastgeber für Geberkonferenzen und
bemüht sich darum, dass andere Staaten oder die EU un-
serem Beispiel folgen .
Die Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung
der Aufnahmeregionen in einer Form, die den Flüchtlin-
gen und den Aufnahmegemeinden gleichermaßen zugu-
tekommt, wird wiederum nicht nur von der Bundesregie-
rung, also überwiegend vom BMZ, betrieben, sondern
auch Kulturinstitutionen, Nichtregierungsorganisationen
oder Landesregierungen sind dort aktiv, ganz aktuell die
baden-württembergische Landesregierung mit einem
Projekt für die Region Dohuk im Nordirak oder das Deut-
sche Archäologische Institut, das in Zusammenarbeit mit
jordanischen Einrichtungen Qualifizierungsmaßnahmen
für syrische Flüchtlinge in den Bereichen Restaurierung
und Konservierung anbietet, und zwar in Zusammenar-
beit mit jordanischen Handwerkern . Dieses Projekt wird
aus Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziert.
Mittelfristig brauchen wir keine Liste von Einzelmaß-
nahmen, sondern einen umfassenden Neuansatz für die
Regionen, aus denen Flüchtlinge stammen . Dazu bedarf
es eines internationalen Ansatzes, in dem alle, die irgend-
etwas dazu beitragen können – von internationalen Orga-
nisationen bis zur Zivilgesellschaft in den entsprechen-
den Ländern –, beteiligt werden . Es werden aber nicht
nur demokratische und aus unserer Sicht vollakzeptable
Gesprächspartner dabei sein können, sondern wir werden
auch mit Regimen wie dem von Saudi-Arabien und des
Iran verhandeln müssen – im Interesse der Menschen, die
von Krieg und Bürgerkrieg betroffen sind .
Danke .
Vielen Dank . – Nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion ist der Kollege Dr . Bernd Fabritius .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Humanität und Menschenrechte sind Herzstücke unseres
Wertekanons . Von diesen Werten haben wir uns in den
vergangenen Monaten bei der Aufnahme einer großen
Anzahl von Kriegsflüchtlingen leiten lassen, und das
bleibt selbstverständlich auch in Zukunft so .
Bereits der Titel des Grünenantrags und die vorherige
linke Zwischenfrage insinuieren allerdings allen Ernstes,
die Bundesregierung würde „Flüchtlinge bekämpfen“ .
Meine Damen und Herren, das ist infam, eine Unterstel-
lung, populistisch und unseriös .
Mich besorgt zudem die auch in diesen Anträgen er-
neut offenkundige Vermengung der Themen „Flucht“
und „Vertreibung“ mit Fragen der einfachen, schlichten
Migration . Es sollte aber gerade die Aufgabe verantwort-
licher Politiker sein, hier zu differenzieren und deutlich
zu trennen . Unser Asylrecht beschränkt sich nicht ohne
Grund auf eine klar definierte Personengruppe, nämlich
diejenige, die tatsächlich unseren Schutz benötigt, weil
sie verfolgt wird . Wann wollen Sie diese Ziele unserer
menschenrechtlichen Schutzregularien endlich verinner-
lichen?
Viele Menschen entscheiden sich aus rein wirtschaft-
lichen Gründen für eine Migration .
Grüne und Linke erkennen das sogar und sprechen es in
ihren Anträgen mehrfach an . Die Gründe dieser Men-
schen, ihre Heimat zu verlassen, sind oft nachvollzieh-
bar; das bestreitet doch keiner . Niemand verlässt ohne
Grund seine Heimat oder seine Familie . Dennoch ist es
unerlässlich, dass diejenigen Menschen, die eine frei-
willige Migrationsentscheidung treffen, sich nicht auf
unsere Schutzmechanismen für Verfolgte berufen, son-
dern einen der vielen legalen Einwanderungswege nach
Deutschland beschreiten, wenn diese für sie zutreffend
sind .
Davon gibt es im Aufenthaltsrecht ganze 41 offene Tore;
diese kann man gerne nutzen .
Ich stimme Ihnen ja zu, wenn Sie in Ihrem Antrag sa-
gen, dass Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung
bekämpft werden müssen . Darin sind wir uns alle doch
einig . Wenn Sie jedoch einen Mangel in diesem Bereich
innerhalb der Europäischen Union als Grund für die
Flüchtlingsströme nach Europa ausmachen, dann hat das
wirklich nichts mehr mit seriöser Politik oder Analysefä-
higkeit zu tun .
Dr. Ute Finckh-Krämer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14387
(C)
(D)
Kommen denn die Menschen aus Syrien oder aus Eritrea
vielleicht zu uns, weil bei uns die Menschenrechtslage so
schlecht ist? Hierüber würde ich doch noch einmal nach-
denken .
Die Grünen fordern in ihrem Antrag eine Solidarität
aller europäischen Mitgliedstaaten . Das hört sich gut
an . Wir fordern die Solidarität unserer Nachbarn schon
lange, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied .
Wir tun dies in dem Wissen, dass wir nicht alle Menschen
aufnehmen können, die zu uns kommen wollen . Mit die-
ser realistischen Einschätzung lässt sich die europäische
Solidarität viel eher gewinnen als mit Utopien . Solche
verstärken nur die bedauerliche Abwehrhaltung einiger
europäischer Nachbarn . Das ist schade und trägt nicht zur
Problemlösung bei . Wir müssen Vernunft walten lassen
und akzeptieren, dass auch unsere Möglichkeiten nicht
unendlich sind .
Ein weiterer Punkt in Ihrem Gebaren ist immer wie-
der verwunderlich . Sie scheinen, von bedauerlichen In-
dividualschicksalen beeindruckt, die Herkunftsregionen
und deren notwendigen Wiederaufbau in Zukunft völlig
auszublenden .
Man könnte Ihnen schon fast egoistische Interessen zu-
lasten dieser Regionen unterstellen . Geradezu drama-
tisch ist es, dass der Exodus ganzer Generationen eine
künftige Entwicklung in den Herkunftsregionen unmög-
lich macht . Diese und im Übrigen auch die Heimatver-
bliebenen verlieren am Ende noch die letzte Perspektive,
wenn dort gerade junge und leistungsfähige Menschen
fehlen, weil Sie diese partout auf Dauer in Deutschland
haben wollen .
Ihre thematische Verbindung des Fluchtelends mit un-
seren demografischen Problemen ist unredlich. Das gilt
für Kriegsgebiete genauso wie für wirtschaftsschwache
Länder . Daher muss, soweit es die Sicherheitslage er-
möglicht, der Bleibe- und Wiederaufbauwille der Men-
schen in den betroffenen Gebieten gestärkt und eine spä-
tere Rückkehrbereitschaft der bereits Geflüchteten erhöht
werden .
Das gilt gerade auch für den großen Teil der syrischen
Flüchtlinge im Libanon, in Jordanien oder in der Tür-
kei . Hier müssen wir vernünftige Bedingungen schaffen .
1000 Kalorien pro Tag und 14 Dollar pro Monat für einen
Flüchtling sind absolut unzureichend; darin sind wir uns
doch einig . Das Problem muss aber von der Staatenge-
meinschaft menschenrechtskonform vor Ort und nicht
durch Sekundärmigration nach Deutschland gelöst wer-
den .
Humanitäre Hilfe in ihrer traditionellen Definition
reicht für die Bekämpfung von Fluchtursachen nicht
aus . Neben der klassischen humanitären Hilfe brauchen
wir Hilfe für Humanität durch Bildung und Kultur . Über
80 Prozent der hier ankommenden Flüchtlinge kommen
nicht direkt aus den Krisengebieten, sondern aus primä-
ren Zufluchtsregionen, aus den Flüchtlingslagern der
umgebenden Länder . Es entstehen sekundäre Wander-
bewegungen, wenn die Menschen ihre Lebenssituation
vor Ort als nicht mehr tragbar empfinden. Es muss die
allererste Pflicht der gesamten Staatengemeinschaft sein,
die notwendigsten Bedürfnisse der Menschen in den
Flüchtlingslagern, etwa in Jordanien, in der Türkei oder
im Libanon, zu stillen, also für ausreichend Nahrung,
Schlafplätze und ärztliche Versorgung zu sorgen .
Gleich danach sind es aber doch Bildungsangebote,
die für die oftmals traumatisierten Menschen eine Hil-
fe sind . Sie schaffen Zukunftsperspektiven und bessere
Ausgangsvoraussetzungen für einen Neustart in den Hei-
matregionen . Kulturelle Angebote können daneben die
Auswirkungen von Flucht und Vertreibung lindern und
eine große Hilfe sein .
Fluchtursachen und Sekundärmigration bekämpfen
heißt Perspektiven vor Ort schaffen . Der Zugang zu Bil-
dung legt hierbei den Grundstein für den Erfolg dieser
Strategie . In herkömmlichen Schulen und in temporären
Schuleinrichtungen in der Türkei werden derzeit rund
265 000 syrische Flüchtlingskinder beschult .
Bis zum Ende des laufenden Schuljahres strebt die Tür-
kei sogar eine Erhöhung dieser Kapazität auf insgesamt
450 000 Schüler an . Das ist eine starke Leistung, und da-
für gebührt der Türkei eine große Anerkennung .
Klar ist aber auch, dass die Türkei wie auch Jordani-
en oder der Libanon diese Aufgabe nicht allein stemmen
können . In sehr kurzer Zeit wird eine viel größere Anzahl
neuer Schulen und neuer Lehrer gebraucht . Bei 450 000
zu beschulenden Kinder komme ich schnell auf einen ge-
schätzten Bedarf von 20 000 weiteren Stellen . Im Zuge
des Migrationsdialoges mit der Türkei wurde deshalb zu
Recht der kurz- und mittelfristigen Hilfe bei Schul-, Aus-
und Weiterbildung eine hohe Priorität eingeräumt .
Bereits jetzt sorgt die Bundesregierung im Rahmen
der Entwicklungszusammenarbeit, unter anderem im
Libanon, für die Weiterbildung von 500 Mitarbeitern
staatlicher Schulbehörden . Im Irak werden Schulen
für 2 900 Schüler neu errichtet . Kapazitäten für weite-
re 2 500 werden derzeit geschaffen . In Jordanien geben
wir Millionen Euro für Projekte der beruflichen Bildung
aus . Insgesamt stellt das BMZ im Libanon, in Jordanien,
in den palästinensischen Gebieten, in der Türkei und im
Irak Bildungsangebote für weit über eine halbe Millionen
Dr. Bernd Fabritius
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514388
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(D)
Kinder bereit . Hier gebührt Bundesminister Gerd Müller
ganz besonderer Dank .
Es mag zwischen den politischen Parteien unterschied-
liche Ansätze und Strategien zur Fluchtursachenbekämp-
fung geben . Doch ohne außen- und entwicklungspoliti-
sche Bildungsarbeit geht es nicht . Bei einigen ist diese
Erkenntnis offenbar noch nicht angekommen . Das Wort
„Bildung“ kommt weder im Antrag der Linken noch im
Antrag der Grünen auch nur ein einziges Mal vor .
Wie wollen Sie denn Fluchtursachen bekämpfen,
ohne den Grundstein für ein einigermaßen erfolgreiches
selbstbestimmtes Leben ganzer Generationen in oder
nahe der Heimat zu legen? Wie wollen Sie verhindern,
dass Islamisten das Bildungsvakuum nutzen, um ihre
menschenverachtende Ideologie in die Köpfe der Jugend
zu pflanzen und so immer wieder von neuem Flucht und
Vertreibung durch Terror und Gewalt auszulösen? Nicht
nur Kindern, auch Jugendlichen und Erwachsenen wird
durch Krieg und Terror ein großer Teil ihrer Chancen im
Leben verbaut . Wir müssen durch die eben beschriebe-
nen Maßnahmen neue Chancen und Bleibeperspektiven
in den heimatnahen Regionen schaffen . Nur so können
Fluchtursachen tatsächlich bekämpft werden .
Danke .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Sevim
Dağdelen von der Fraktion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Die
Bundesregierung redet viel davon, die Fluchtursachen zu
bekämpfen . Wenn wir uns aber anschauen, was sie wirk-
lich tut, muss man feststellen: Es geht der Union – leider
aber eben auch der SPD – allein um die Einschränkung
von Fluchtmöglichkeiten .
Wo es eine Landgrenze gibt, wie zwischen Griechen-
land und der Türkei, werden auch auf Wunsch der Bun-
desregierung regelrechte Sperranlagen gebaut
oder die bestehenden erhöht . Mit militärischen Maß-
nahmen auf See werden Flüchtlinge gezwungen, immer
gefährlichere und damit auch lebensgefährliche Wege in
Kauf zu nehmen . Insofern ist die Aussage in der gestri-
gen Rede der Bundeskanzlerin, dass Abschottungspolitik
keinen Platz im 21 . Jahrhundert habe, schlicht die Un-
wahrheit .
Diese Aussage von ihr ist unehrlich .
Deshalb sagen wir Linke auch: Bekämpfen Sie tat-
sächlich die Fluchtursachen, nicht die Flüchtlinge und
auch nicht die Fluchtmöglichkeiten . Hören Sie auf mit
Ihrem Festungsbau . Versuchen Sie auch nicht, den Leu-
ten einzureden, dass sich mit Abschiebungen von Roma
in das Kosovo oder von Kriegsflüchtlingen nach Afgha-
nistan mitten im Winter das Problem lösen würde .
Das ist eine menschenverachtende Abschiebepolitik .
Sie soll suggerieren, dass dadurch weniger Flüchtlinge
nach Deutschland oder Europa kommen würden . Aber
auch das stimmt eben nicht . Das wissen Sie . Deshalb ist
es auch eine menschenrechtliche Bankrotterklärung .
Die Bundesregierung redet viel von der Bekämpfung
von Fluchtursachen und schafft allein durch ihre militä-
rische Außenpolitik jeden Tag neue . Sie liefern weiter
Waffen an das saudische Königreich, das im Jemen mit
verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung bombar-
diert . Sie haben damit Deutschland indirekt zur Kriegs-
partei im Jemen gemacht .
Ich sage Ihnen: Sie tragen auch Mitverantwortung da-
für, wenn die 5 Millionen Binnenflüchtlinge im Jemen,
die es jetzt schon gibt, sich aufgrund dieses Krieges auf
den Weg nach Europa machen . Deshalb müssen Sie end-
lich aufhören, die Diktaturen am Golf wie Saudi-Arabi-
en, die Emirate oder auch Katar mit Waffen zu beliefern,
die mit eben diesen Waffen in der Region Kriege führen .
Beenden Sie auch Ihre Politik des Sturzes von unlieb-
samen Regierungen an der Seite der USA .
Das schafft jeden Tag wieder Fluchtgründe, ebenso
wie Ihre Rüstungsexporte in die Region. Ich finde, wer
Fluchtursachen ernsthaft und seriös bekämpfen möch-
te – also das Gegenteil von dem, was Sie machen –, der
muss sich für eine friedliche Wende in der Außenpolitik
einsetzen .
Sonst ist alles nur Gerede, um die Öffentlichkeit hinters
Licht zu führen .
Dr. Bernd Fabritius
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14389
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(D)
Dazu passt auch: Während wir hier debattieren, lässt
der türkische Präsident Erdogan, Ihr Partner, im Osten
der Türkei Panzer auffahren .
Ganze Regionen werden dort belagert, es gibt Ausgangs-
sperren . Ich habe mit der von der Zentralregierung abge-
setzten Oberbürgermeisterin Leyla Imret, die eigentlich
aus Deutschland kommt, in Cizre telefoniert .
Sie sagt: Wir haben Angst, dort lebend herauszukom-
men . – Das macht Präsident Erdogan, der Präsident, der
seit Jahren den IS und andere islamistische Terrormilizen
wie Ahrar al-Scham in Syrien mit Waffen beliefert . Das
wissen Sie .
Was macht die Bundesregierung? Erdogan führt einen
Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung, und Sie
schließen mit diesem Mann einen Pakt zur Flüchtlings-
abwehr, mit einem Mann, der jeden Tag aufs Neue Men-
schen dazu zwingt, ihre Heimat zu verlassen .
Sie schließen einen Pakt mit dem Mann, der Flüchtlin-
ge wieder nach Syrien und in den Irak abschiebt oder in
Haftlager sperrt. Ich finde, das zeigt nur, dass Sie gar kei-
nen moralischen Kompass mehr haben . Diese Politik ist
einfach nur beschämend und schändlich .
Jeder vernünftige Mensch muss gegen diese Politik
aufstehen . Ich bitte Sie nur um eines am Schluss: Wenn
am Ende infolge Ihrer Politik Tausende vor dem Krieg in
der Türkei fliehen, dann vergießen Sie keine Krokodils-
tränen darüber, dass die Flüchtlinge nach Deutschland
kommen; denn mit Ihrer Unterstützung für Erdogan ha-
ben Sie selbst mit auf die Kurden angelegt, meine Damen
und Herren . Das müssen Sie mitnehmen .
Als nächster Redner spricht Dr . Karamba Diaby .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Dağdelen, wenn man Ihnen zuhört, hat man den
Eindruck: In diesem Land haben alle geschlafen, nur Sie
waren wach .
Es hat sich so viel in diesem Bereich bewegt . Die Au-
ßenpolitik der Bundesregierung hätten Sie zumindest mit
einem Satz erwähnen sollen, aber Sie tun so, als ob alles
schlimm wäre. Das ist nicht fair. Ich finde, das gehört
wirklich nicht zu einer anständigen Politik .
Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht .
Die Zahl hat sich in unsere Köpfe regelrecht eingebrannt .
Denn kein anderes Thema hat unsere Arbeit in den letz-
ten Monaten mehr bestimmt als das Thema Flucht . Allein
in unserem Land wurden in diesem Jahr über 1 Million
Geflüchtete registriert. Das zeigt: Die globalen Kri-
sen klopfen an unsere Haustür . Es ist deshalb richtig,
dass wir uns stärker mit dem Thema „Bekämpfung von
Fluchtursachen“ befassen . Die Gründe für die Flucht sind
bekanntlich vielfältig: Bürgerkriege, Terror, Menschen-
rechtsverletzungen, Vertreibungen von Menschen und
viele andere . Ebenso sind extreme Armut und Knappheit
von Ressourcen Ursachen von Flucht .
Relativ neu hinzugekommen ist das Thema Klimawandel
mit seinen Auswirkungen: extreme Trockenheit, Über-
schwemmungen und nicht zuletzt Anstieg des Meeres-
spiegels .
Wir müssen uns der Tatsache bewusst sein: Solange
es ein starkes wirtschaftliches Gefälle zwischen den Län-
dern des globalen Nordens und des Südens gibt, wird es
auch immer Menschen geben, die sich auf den Weg in
eine bessere Zukunft machen . Mit anderen Worten: Auch
die besten Maßnahmen zur Bekämpfung von Fluchtursa-
chen werden nur wenig bewirken, wenn es uns nicht ge-
lingt, die extreme Ungleichheit zwischen den Regionen
der Welt abzubauen .
Das heißt im Klartext Folgendes, meine Damen und
Herren: Ob in Freihandelsabkommen, in bilateralen Han-
delsverträgen oder in Fischereiabkommen – ein solches
Abkommen gibt es zum Beispiel mit dem Senegal, dem
Land, in dem ich aufgewachsen bin –: Wir haben die Ver-
antwortung, darauf zu achten, dass die Bedingungen für
alle fair sind .
Sonst wird es auch künftig viele Menschen geben, die
ihrem Land den Rücken kehren . Unsere Aufmerksamkeit
richtet sich momentan zu Recht besonders auf Syrien
und den Nahen Osten . Dabei darf nicht vergessen wer-
den, dass die Krisen in einigen Staaten Subsahara-Afri-
kas nach wie vor viele Menschen zur Flucht zwingen . In
Mali, der Demokratischen Republik Kongo, Sudan, Süd-
sudan, Somalia und in der Zentralafrikanischen Republik
sind aktuell 12 Millionen Binnenflüchtlinge unterwegs.
Verschlechtert sich die Lage vor Ort weiter, wird es auch
mehr Menschen geben, die aus diesen Regionen fliehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen und der
Linken, Ihre Anträge sind ein guter Anlass, dass wir uns
Sevim Dağdelen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514390
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mit dem Thema auseinandersetzen und darüber diskutie-
ren . Aber mehr auch nicht .
Sie verkennen, dass die Bundesregierung bereits intensiv
dabei ist, auf die schwierigen Fragen Antworten zu fin-
den . Ich habe bereits die Aktivitäten unseres Außenmi-
nisters erwähnt . Liebe Claudia Roth, ich bin enttäuscht,
dass nicht einmal Sie sie erwähnt haben; denn man muss
erst einmal die Erfolge festhalten . Das ist nicht gesche-
hen . In Ihrem Antrag sehen wir davon keine Spur . Das
finde ich schade; denn nur, wenn wir auch die Erfolge
erwähnen, können wir in diesem Prozess fortfahren .
Auch eine Zusammenarbeit mit den Ländern auf Au-
genhöhe ist wichtig; denn die von den Fluchtbewegun-
gen betroffenen Herkunfts- und Transitländer müssen in
einem gleichberechtigten Dialog eingebunden sein . Die
diplomatischen Bemühungen unseres Außenministers
Frank-Walter Steinmeier und der Valletta-Gipfel zeigen
deutlich:
Wir brauchen den Dreiklang von kluger Diplomatie,
gemeinsamer Sicherheitspolitik und zielgerichteter Ent-
wicklungspolitik . Nur so können wir die Ursachen von
Flucht nachhaltig bekämpfen . Wir sind bei der Bewer-
tung der Ergebnisse des Valletta-Gipfels sicherlich unter-
schiedlicher Meinung; aber das ist okay .
Valletta gibt uns erste Antworten . Es wurden ein Ak-
tionsplan und ein Treuhandfonds für Afrika beschlossen .
1,8 Milliarden Euro stehen zur Verfügung . Der Fonds
soll helfen, den Menschen vor Ort eine wirtschaftliche
Perspektive zu bieten. Sie sollen in ihrer beruflichen
und unternehmerischen Entwicklung unterstützt wer-
den . Dazu gehört unter anderem die Unterstützung von
Projekten zur Sicherung von Nahrung, Gesundheit und
Bildung . Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag, um
grundlegende Menschenrechte zu wahren . Dazu gehört
auch eine stärkere Förderung des Studierenden- und
Wissenschaftleraustausches . Dieser Punkt ist mir als Bil-
dungspolitiker sehr wichtig .
Nicht zuletzt muss es eine Förderung des Aufbaus von
Staats- und Verwaltungsstrukturen geben . Sie sind die
Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung dieser
Länder .
Frau Präsidentin, ich komme langsam zum Ende . –
Nun ist die EU gefordert . Geld und Taten müssen folgen;
denn das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit . Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, wir müssen alles Menschenmög-
liche tun, um die Krisenregionen zu stabilisieren und die
wirtschaftliche Ungleichheit abzumildern . Der Vallet-
ta-Gipfel fand erstmals in dieser Form statt . Das verdeut-
licht erstens, wie angespannt die Lage ist, und zweitens,
dass Europa und Afrika aufeinander angewiesen sind .
Lassen Sie uns gemeinsam den Perspektivwechsel
fördern und für eine faire Zusammenarbeit mit den Län-
dern auf Augenhöhe eintreten .
Danke schön .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Claudia
Lücking-Michel von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Viele von Ihnen kennen bestimmt den BBC-Spielfilm
Der Marsch von 1990 . Er zeigt ein beklemmendes Sze-
nario . Er erzählt von einer Gruppe hungernder Afrikaner,
die sich auf die Flucht nach Europa begeben . Die Verant-
wortlichen in Brüssel sind hilflos, während der Anführer
des Marsches seine Botschaft in Richtung Europa ver-
kündet . Er sagt: Wir werden sowieso sterben; aber wir
wollen, dass ihr uns dabei zuseht . – Als die Afrikaner
schließlich mit ihren Booten die spanische Küste errei-
chen, treffen sie auf schwerbewaffnete Soldaten . Sie sind
angekommen in der Festung Europa . – So weit der Film .
Heute ist „Flüchtling“ Wort des Jahres . Der Film von
1990 könnte ein Beitrag in den Tagesschauen von 2015
sein . Das Anliegen, man wolle und man müsse Fluchtur-
sachen bekämpfen, ist zu Recht in aller Munde . Wenn
Sie allerdings einen Antrag mit dem Titel „Fluchtursa-
chen statt Flüchtlinge bekämpfen“ einbringen, dann ist
das – bei aller Liebe – ziemlich unverfroren .
Sie tun so, als ob das die Wirklichkeit in unserem Land
widerspiegeln würde .
Was sagt die Kanzlerin, was bestimmt ihre Politik, und
was ist Richtschnur für das Handeln dieser Bundesregie-
rung? Es kommen keine Menschenmassen, sondern es
kommen einzelne Menschen zu uns . Wie verhalten sich
die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land? Jeden Tag
treffen die Flüchtlinge auf großes Mitgefühl und Hilfs-
bereitschaft . Die Kommunen, die Kirchen und die vielen
Ehrenamtlichen leisten unter schwierigsten Bedingungen
Herausragendes . Aber Sie sprechen im Antragstitel da-
von, dass man hier Flüchtlinge bekämpft .
Dr. Karamba Diaby
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14391
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Da habe ich mich gefragt: Wo leben Sie eigentlich?
Lassen Sie uns über die Gründe für die Flucht reden .
Wir haben heute Mittag schon vieles dazu gehört . Wir
haben erfahren, dass es ganz unterschiedliche Gruppen
von Gründen gibt: Kriege, militärische Konflikte und
Verfolgung, das ist die erste Gruppe von Gründen . Die
zweite Gruppe bilden Folgen des Klimawandels, Über-
schwemmungen und Dürren . Die dritte Gruppe umfasst
die strukturellen Ursachen wie schlechtes Regierungs-
handeln, Armut, Ressourcenknappheit und das Versagen
der verantwortlichen Eliten vor Ort . Eine weitere Gruppe
von Ursachen – ja, da haben Sie recht – ist begründet in
den Folgen der globalen Handelspolitik . Und da tragen
wir Mitverantwortung .
Wenn wir jetzt darüber reden, wie man die Ursachen
bekämpfen soll, dann gehört es eigentlich dazu, dass man
auf die unterschiedlichen Ursachen mit unterschiedli-
chen Antworten und Strategien reagiert . Aber eines gilt
aus meiner Sicht immer: Wer nachhaltig und sinnvoll
Fluchtursachen bekämpfen will, der muss gute Entwick-
lungspolitik machen, und zwar immer und nicht nur in
Krisenjahren . Und auch das ist zum Glück Richtschnur
der Bundesregierung .
Wir haben heute Mittag viel darüber gehört, was nicht
gut läuft . Aber lassen Sie mich auch einmal anhand eini-
ger Zahlen zeigen, was tatsächlich läuft . Wir haben den
höchsten Etat in der Geschichte des BMZ, die stärkste
Steigerung der ODA-Quote . Wir setzen damit Prioritäten .
Damit wird deutlich: Es geht darum, in wirtschaftliche
und gesellschaftliche Entwicklung vor Ort zu investieren,
um Perspektiven für die Menschen in den Krisengebieten
möglich zu machen . Die gesamte Entwicklungszusam-
menarbeit mit einem Etat von jetzt 7,4 Milliarden Euro
für 2016 arbeitet in diesem Sinne am Erhalt von Lebens-
perspektiven und an der Schaffung von Zukunftsperspek-
tiven . Mehr als 1 Milliarde Euro stellt das BMZ allein für
direkte Flüchtlingshilfe zur Verfügung . Der Großteil geht
in die Nachbarländer Syriens und nach Afrika . Insgesamt
mehr als 12 Milliarden Euro werden voraussichtlich in
dieser Legislaturperiode in Maßnahmen zur strukturellen
Fluchtursachenbekämpfung angelegt worden sein . Geld
allein ist zwar nicht alles, aber ohne Geld geht es auch
nicht . Wir brauchen zusätzlich auch gute Konzepte . Es
war sehr vorausschauend von unserem Bundesentwick-
lungshilfeminister, schon sehr früh drei Sonderinitiativen
aufzulegen und darin einen Titel mit Fluchtursachenbe-
kämpfung prominent zu benennen .
Aber – wir haben es gehört – es kommt auch darauf
an, langfristig zu handeln . Dazu dienen zum Beispiel ein
Infrastrukturprogramm in Nahost, Nordafrika, Westafri-
ka und der Ukraine mit weiteren 1,7 Milliarden Euro, ein
Sonderprogramm „Gesundheit in Afrika“ mit 55 Millio-
nen Euro und insgesamt weitere 600 Millionen Euro bis
2019 für die Entwicklung des Gesundheitssystems in Af-
rika .
Wir haben schon mehrfach gehört: Klima- und Ent-
wicklungspolitik hängen zusammen, natürlich . Das brau-
che ich hier nicht weiter zu entwickeln; das kennen wir
alle. Deshalb finanziert das BMZ den Großteil der in
Paris vereinbarten Verdopplung von Klimaschutzmaß-
nahmen auf 4 Milliarden Euro jährlich bis 2020 . Außer
diesem finanziellen Einsatz – ich habe es deutlich ge-
macht – bedarf es dann auch guter entwicklungspoliti-
scher Konzepte, und auch da hat das BMZ, haben wir
aktuell vieles zu bieten .
Wer unterschiedliche Ursachengruppen benennt und
auf unterschiedlichen Ebenen reagieren will, der kommt
dann auch zu internationaler Verantwortung, zu Handels-
fragen und Weiterem . Wenn ich mir dann aber angesichts
all dieser Anstrengungen den Antrag der Linken anse-
he und feststelle, dass Sie eigentlich nichts Besseres zu
tun haben, als die Abscheu gegenüber den USA und die
grundsätzliche Ablehnung gegenüber TTIP relativ undif-
ferenziert in einem großen Textblock zu verrühren, dann
muss ich sagen: Das ist mir doch zu sehr ideologisch und
weltanschaulich geprägter Mischmasch .
Meine Damen und Herren, die überwältigende Mehr-
heit der Flüchtlinge sucht Schutz in Nachbarländern .
90 Prozent von ihnen landen in Staaten, die ihrerseits
instabil sind, und einen weiteren großen Block der
Maßnahmen könnte man eigentlich am besten unter die
Überschrift „Fluchtfolgenbekämpfung“ stellen . Denn
es kommt darauf an, die Situation in den Flüchtlingsla-
gern der direkten Nachbarstaaten von Syrien und dem
Irak zu verbessern und – ganz wichtig – auch die Lage
in den Staaten insgesamt zu stabilisieren . Auch hier ist
das BMZ nicht untätig . Es entstehen Ausbildungs- und
Arbeitsplätze . Wir haben über die Bedeutung von Bil-
dung insgesamt gerade schon einiges gehört . Wir können
verweisen auf die Versorgung mit Trinkwasser, Abwas-
serinfrastrukturmaßnahmen, Beschulungsmöglichkeiten
für Kinder oder auch auf die Tatsache, dass mindestens
15 000 Menschen im Irak wieder nachhaltig in Beschäfti-
gungsstrukturen gekommen sind und eine Chance haben,
für sich selber zu sorgen . Hier entstehen neue Lebens-
perspektiven . Aber: Während wir über Infrastruktur-
maßnahmen und Bildung für Flüchtlinge in den Lagern
reden – da stimme ich den Anträgen vollkommen zu –,
herrscht dort Hunger, weil das World Food Programme
nicht ausreichend finanziert ist. Das ist zugegebenerma-
ßen ein echter Skandal .
Es ist gut, dass die Bundesregierung ihren Anteil
übernommen hat, und es ist auch gut, dass sich die Bun-
Dr. Claudia Lücking-Michel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514392
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deskanzlerin jetzt mit dem britischen Premier David
Cameron in Brüssel dafür einsetzen will,
die finanziellen Mittel für die Flüchtlingshilfe insgesamt
wieder aufzustocken .
Meine Damen und Herren, im Film Der Marsch bleibt
das weitere Schicksal der Afrikaner am Ende offen . Die
letzte Szene: Die Gewehre der europäischen Soldaten
sind auf die Ankömmlinge gerichtet . – Und in der Re-
alität?
Der Bundesentwicklungsminister hat uns zugesagt,
die so wichtigen Sonderinitiativen gegen Fluchtursachen
zu verstetigen . Er hat deutlich gemacht, dass es eine Po-
litik der Abschottung nicht geben darf und sie auch nicht
sinnvoll und effektiv sein kann .
Es ist noch einmal zu betonen: Die Basis für die Bekämp-
fung von Fluchtursachen ist, dass wir uns insgesamt glo-
bal für mehr Gerechtigkeit einsetzen .
Auch wenn jetzt Weihnachten vor der Tür steht, die
Zeiten, als Wünschen noch geholfen hat, sind vorbei .
Aber weil Weihnachten vor der Tür steht, soll am Schluss
der Hinweis erlaubt sein, dass es zwar nicht in unserer
Macht steht, alle Probleme zu lösen, aber wir verantwort-
lich dafür sind, alles zu tun, was in unserer Macht steht .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Sascha
Raabe von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Es ist heute schon oft angesprochen worden, dass
neben Krieg und Bürgerkrieg vor allem Hunger und
Armut die Menschen dazu zwingen, ihre Familien zu
verlassen und meistens in benachbarten Entwicklungs-
ländern unterzukommen . Aber sie riskieren zum Teil
auch ihr Leben, um nach Europa zu reisen . „Zu reisen“
ist zu schön ausgedrückt; denn sie riskieren in elenden
Schlauchbooten von kriminellen Schleppern ihr Leben .
Wir Entwicklungspolitiker haben schon vor vielen
Jahren gefordert, mehr Mittel zu investieren, um den
Menschen Zukunftsperspektiven in ihren eigenen Län-
dern zu bieten . Ein afrikanisches Sprichwort besagt:
„Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20
Jahren . Die nächstbeste Zeit ist jetzt .“ Deswegen sage
ich: Es wäre sicher gut und richtig gewesen, wir hätten
das 0,7-Prozent-Ziel für Entwicklungszusammenarbeit
schon längst erreicht . Hätte man auf uns gehört, wäre den
Flüchtlingen viel Elend erspart geblieben . Das können
wir Entwicklungspolitiker auch einmal selbstbewusst
hier sagen .
Aber ein Blick zurück hilft natürlich nicht . Deswegen
ist es gut, dass jetzt endlich Konsequenzen gezogen wor-
den sind und wir mit einem Aufwuchs von 1,6 Milliarden
Euro im nächsten Jahr für humanitäre Hilfe und Entwick-
lungszusammenarbeit den nächsten Baum pflanzen. Das
alles braucht Zeit . Entwicklungszusammenarbeit ist kei-
ne Feuerwehr, die schnell einen Brand löscht; denn wir
legen langfristig Grundlagen für Perspektiven . Ich glau-
be, es ist gut, wenn sich jetzt alle einig sind, dass hier
mehr getan werden muss .
Es ist aber nicht nur eine Frage des Geldes, sondern
auch eine Frage von gerechtem und fairem Handel . Der
Kollege von der Union – er hat seinen Fernsehauftritt
von zwei Minuten gehabt, er ist jetzt nicht mehr hier –
hat vorhin gesagt, dass die Konfliktmineralien im Kon-
go nicht das Problem seien, dass man dort keine Zerti-
fizierungen bräuchte. Das erzählt er im Ausschuss auch
immer . Ich glaube, er hat vieles falsch verstanden . 125
Bischöfe weltweit und Misereor beklagen eindringlich,
dass im Kongo Kinder in den Minen schuften müssen,
Kinder als Soldaten versklavt werden, damit die Mine-
ralien in unsere Smartphones und Handys kommen . Ich
sage: Es kann nicht sein, dass an unseren Handys Blut
klebt . Wir müssen dafür sorgen, dass das aufhört .
Wir haben in diesem Hause schon oft über die Ar-
beitsbedingungen in der Textilindustrie gesprochen, zum
Beispiel über die Näherinnen in Bangladesch, die bei
Fabrikeinstürzen zu Tode gekommen sind . Unsere Han-
delsvereinbarung spielt dabei natürlich eine große Rolle .
Die Frage, wie man gute Regierungsführung gegenüber
Entwicklungsländern durchsetzen kann, ist nicht ganz
einfach zu beantworten . Ich bin froh, dass das Thema
im Antrag der Grünen auftaucht . Bei den Linken wird
das ganz ausgeblendet . Gute Regierungsführung ist ein
wesentlicher Aspekt, damit vor Ort gerechte und gute Le-
bensbedingungen und Zukunftsperspektiven herrschen .
Wenn, wie in Bangladesch, ein Großteil der Regierung
und des Parlaments mit der Textilindustrie im wahrsten
Sinne des Wortes verwoben ist, dann hat es nur geholfen,
dass die EU und die USA angedroht haben, die Zollf-
reiheit für die Produkte aufzuheben . Auf einmal sind die
Behörden dort in die Gänge gekommen und haben die
Gebäudesicherheit kontrolliert und weitere Maßnahmen
unternommen .
Deswegen ist es so wichtig, dass wir in den Verhand-
lungen über die Handelsabkommen, die wir jetzt ab-
schließen – von TTIP angefangen über CETA bis hin zu
den Abkommen mit Indien –, deutlich machen: Die Ein-
haltung menschenrechtlicher, ökologischer und sozialer
Standards, zum Beispiel aller acht ILO-Kernarbeitsnor-
men, der Arbeitnehmerrechte, sind für uns Vorausset-
zung dafür, dass Produkte nach Europa geliefert werden
Dr. Claudia Lücking-Michel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14393
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dürfen . Es kann doch nicht sein, dass wir das immer nur
von technischen Standards abhängig machen, davon, ob
etwa die Blinkerfarbe die richtige ist, die Schraube oder
die Banane die richtige Größe haben . Genauso wichtig
ist es doch, darauf zu achten, wie die Produkte hergestellt
worden sind, und zwar ohne Kinderarbeit, mit fairer Be-
zahlung und nicht durch Ausbeutung von Arbeitern und
Umwelt .
Wenn wir etwas ändern wollen – und wir wissen, dass
der Handel, wie er jetzt ist, nun einmal nicht fair ist, liebe
Kollegen von den Linken –, dann müssen wir die Chan-
cen nutzen, die sich jetzt mit diesen Handelsabkommen
bieten, um Globalisierung gerecht zu gestalten .
Wir ziehen rote Linien; wir haben das auf dem Partei-
tag gemacht . Wir haben nicht gesagt: „Wir stimmen TTIP
oder CETA zu“, sondern wir haben gesagt: Wir stimmen
nur dann zu, wenn es dabei hilft, dass überall auf der
Welt die Menschenrechte, die Arbeitnehmerrechte und
die Umweltstandards eingehalten werden .
Wir ziehen rote Linien, Sie hingegen ziehen Gräben,
die keinen Spielraum für einen erfolgreichen Abschluss
lassen .
– Da Sie mir schon wieder widersprechen,
versuche ich, es so zu erklären, dass Sie es verstehen,
liebe Kollegen von den Linken: Die Globalisierung in ih-
rem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf .
Wer jetzt die Chance nicht nutzt, die Globalisierung ge-
recht zu gestalten, den bestraft die Zukunft . Das ist genau
der Punkt, über den Sie mal nachdenken müssten .
Es reicht nicht, alle Handelsabkommen von vornhe-
rein abzulehnen . Als Politiker muss ich doch den An-
spruch haben, die Globalisierung zu gestalten, und zwar
gerecht zu gestalten .
Wenn man das mit fairem Handel schaffen kann, dann
sage ich: Wir brauchen Fairhandel statt Freihandel . Wir
können nicht immer vor allem die Augen verschließen
und sagen: Wenn alles so bleibt, wie es ist, dann lege ich
mich mit gutem Gewissen ins Bett . – Damit mache ich
mir die Arbeit zu leicht .
Zum Abschluss möchte ich auf ein Beispiel hinweisen .
Wenn Sie zu Weihnachten Schokolade und Süßigkeiten
verschenken, denken Sie daran: 2,3 Millionen Kinder
arbeiten auf Kakaoplantagen in Ghana und an der El-
fenbeinküste . Die Schokoladenpreise sind in den letzten
20, 30 Jahren gleich geblieben . Auch das ist ein Skandal .
Durch die Abkommen müssen wir auch dafür sorgen,
dass keine durch Kinderarbeit erzeugte Schokolade aus
Afrika zu uns kommt und dass die Arbeitsbedingungen
dort endlich gerecht gestaltet werden; denn Weihnachten
soll das Fest der Kinder sein und nicht der Kinderarbeit .
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen schon heute fai-
re Weihnachten und ein gutes, neues und friedliches Jahr .
Danke .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/7046 und 18/7039 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Die Vorlagen sollen federführend beim Auswärtigen
Ausschuss beraten werden . Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so
beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b sowie
die Zusatzpunkte 1 a und 1 b auf:
27 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 14. November 2012
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Republik Polen über die Zusam-
menarbeit im Bereich des Eisenbahnver-
kehrs über die deutsch-polnische Staats-
grenze
Drucksache 18/6931
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes
zur Einführung von Grundsätzen für die
Kosten von Wasserdienstleistungen und
Wassernutzungen sowie zur Änderung des
Abwasserabgabengesetzes
Drucksache 18/6986
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
ZP 1 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Matthias Gastel, Kerstin Andreae, Dr . Valerie
Wilms, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Finanzierung eines bürgerfreundlichen
und umweltgerechten Ausbaus der Rhein-
talbahn jetzt sicherstellen
Drucksache 18/6884
Dr. Sascha Raabe
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514394
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Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Dr . Valerie Wilms, Lisa Paus, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Ressourcenverschwendung stoppen – Na-
tionales Ressourceneffizienzprogramm
zukunftsfähig ausgestalten
Drucksache 18/7047
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 i so-
wie Zusatzpunkte 2 a bis 2 e auf . Es handelt sich hier
ebenfalls um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkt 28 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Den Lebensstart von Kindern in Entwick-
lungs- und Schwellenländern verbessern –
Grundlagen für stabile Gesellschaften schaf-
fen
Drucksachen 18/6329, 18/6849
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/6849, den Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6329 anzu-
nehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 28 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie zu der Verordnung der Bun-
desregierung
Verordnung zur Änderung der Verordnung
über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten
Drucksachen 18/6867, 18/6933 Nr. 2,
18/7088
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/7088, der Verordnung auf
Drucksache 18/6867 zuzustimmen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
angenommen .
Tagesordnungspunkte 28 c bis 28 i sowie Zusatz-
punkte 2 a bis 2 e; das sind Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses .
Tagesordnungspunkt 28 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 260 zu Petitionen
Drucksache 18/6891
Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Dann ist diese Sammelübersicht von
allen Fraktionen angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 28 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 261 zu Petitionen
Drucksache 18/6892
Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Damit ist auch die Sammelüber-
sicht 261 einstimmig angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 28 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 262 zu Petitionen
Drucksache 18/6893
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält
sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 262 mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 28 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 263 zu Petitionen
Drucksache 18/6894
Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 263
einstimmig angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 28 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 264 zu Petitionen
Drucksache 18/6895
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält
sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 264 mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14395
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gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen worden .
Tagesordnungspunkt 28 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 265 zu Petitionen
Drucksache 18/6896
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält
sich jemand? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Sam-
melübersicht 265 auf Drucksache 18/6896 mit den Stim-
men der Koalition und des Bündnisses 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen
worden .
Tagesordnungspunkt 28 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 266 zu Petitionen
Drucksache 18/6897
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Sammel-
übersicht 266 mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden .
Zusatzpunkt 2 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 267 zu Petitionen
Drucksache 18/7063
Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 267
einstimmig angenommen worden .
Zusatzpunkt 2 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 268 zu Petitionen
Drucksache 18/7064
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält
sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 268 mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen worden .
Zusatzpunkt 2 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 269 zu Petitionen
Drucksache 18/7065
Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent-
hält sich jemand? – Das ist nicht der Fall . Damit ist die
Sammelübersicht 269 einstimmig angenommen worden .
Zusatzpunkt 2 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 270 zu Petitionen
Drucksache 18/7066
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 270 mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen worden .
Zusatzpunkt 2 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses
Sammelübersicht 271 zu Petitionen
Drucksache 18/7067
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 271 mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on angenommen worden .
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Wahl der Mitglieder des Beirates der Stiftung
Datenschutz
Drucksache 18/7060
Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/7060? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Wahlvorschlag mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen worden .
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Ergebnisse der UN-Klimakonferenz in Paris
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze
einzunehmen . Das ist ein wichtiges Thema, auch gerade
vor dem Hintergrund der Debatte, die wir gerade hatten .
Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin hat für
die Bundesregierung Dr . Barbara Hendricks, die Minis-
terin, das Wort .
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe es auch an anderer Stelle schon gesagt: Ich nei-
ge nicht zu großen Worten, aber dieser 12 . Dezember des
Jahres 2015 wird uns in Erinnerung bleiben . Es ist ein
historisches Datum, an dem wir erreicht haben, dass sich
alle Länder der Welt dazu verpflichtet haben, dem Klima-
wandel zu begegnen . Dies ist so über mehr als 20 Jahre
bisher nicht gelungen .
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514396
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Daran haben viele mitgewirkt, auch aus diesem Haus
und über verschiedene Bundesregierungen und über ver-
schiedene parteipolitische Färbungen hinweg . Wir waren
jetzt in der glücklichen Lage, mit all der Anstrengung,
die nicht zuletzt auch aus meinem Ministerium über vie-
le Jahre geleistet worden ist, die Ernte einer langen Vor-
bereitungszeit einzufahren und dieses Abkommen jetzt
nach Hause zu bringen .
Das gibt der Welt ein Hoffnungszeichen . Wir haben es
in der Tat mit sehr vielen durchaus großen Herausforde-
rungen in der Welt zu tun . Beim Tagesordnungspunkt zu-
vor haben wir über die Bekämpfung von Fluchtursachen
gesprochen . Auch die Bekämpfung des Klimawandels ist
eine Bekämpfung von Fluchtursachen; das möchte ich in
diesem Zusammenhang deutlich sagen .
Es ist jetzt trotz dieser großen und zahlreichen He-
rausforderungen und der vielen Unsicherheiten, mit de-
nen wir es in der Welt zu tun haben, gelungen, dass sich
die Weltgemeinschaft auf ein großes Vorhaben geeinigt
hat, nämlich dafür zu sorgen, dass es uns gelingt, bis
spätestens zum Ende des Jahrhunderts keinesfalls mehr,
sondern deutlich weniger als 2 Grad Erderwärmung zu
haben . Außerdem gibt es das Bestreben, es sogar besser
zu machen und es noch nicht einmal mehr als 1,5 Grad
werden zu lassen . Das war in der Tat eine neue Heraus-
forderung, die wir auch angenommen haben . Ich weiß,
es ist schwer . Unter 2 Grad zu bleiben, ist eine völker-
rechtlich verbindliche Zusage, die alle Länder der Welt
eingegangen sind, auch wir . Wir alle haben auch – aber
ohne völkerrechtliche Bindung – gesagt: Wir wollen uns
gleichwohl noch mehr anstrengen und dafür sorgen, dass
es sogar bei nur – in Anführungszeichen – 1,5 Grad Erd-
erwärmung bleibt .
Wir haben – das sieht man an diesem Beispiel, aber
auch an den anderen Beispielen, die ich noch nennen
werde – tatsächlich alle Ziele erreicht, die wir in den Ver-
handlungen erreichen wollten . Wir haben, wie ich gerade
ausgeführt habe, dieses Langfristziel völkerrechtlich ver-
bindlich festgelegt . Es war nicht selbstverständlich, dass
sich alle 195 Staaten der Erde, die ja höchst unterschied-
liche Interessen vertreten, diesem Ziel würden verpflich-
ten wollen und können . Dies ist geschehen .
Wir haben festgelegt, dass wir alle fünf Jahre überprü-
fen, wie wir denn noch besser werden können, wie wir
noch ehrgeiziger werden können . Wir haben im Zusam-
menhang mit dem vereinbarten Ambitionsmechanismus
versprochen, dass wir – auch vor dem Hintergrund von
technologischer Entwicklung – auf jeden Fall besser wer-
den können . Wir wollen einander alle fünf Jahre gegen-
seitig dartun, wie es denn gelingt, noch besser zu werden .
Wir werden übrigens auch die Jahre bis 2020 – dann
wird dieses Abkommen formal in Kraft treten – nicht
einfach verstreichen lassen, sondern wir haben uns ge-
genseitig zugesagt, dass wir auch in den Jahren bis dahin
besser, ehrgeiziger werden . Wir haben dies hier auf der
deutschen Ebene durch den Aktionsplan Klimaschutz in
die Wege geleitet . Wir als Deutschland sind da nicht säu-
mig, sondern – im Gegenteil – wir sind gut aufgestellt
und können das, was wir jetzt in Paris zugesagt haben,
mit den Maßnahmen, die wir schon eingeleitet haben,
auch tatsächlich voranbringen . Wir können immer noch
besser werden, aber wir sind auf dem richtigen Weg .
Wir haben klare Transparenzregeln eingezogen . Es
war uns ganz besonders wichtig, dass gegenseitig über-
prüfbar ist, was die einzelnen Länder tun . Das, was die
Länder vorgelegt haben, sind ja im Prinzip nationale
Klimaschutzpläne . Diese nationalen Klimaschutzpläne
werden wir, wiederum alle fünf Jahre, transparent und
aggregiert überprüfen und feststellen: Haben wir das ein-
gehalten, was wir zugesagt haben?
Es ist zugleich auch bestimmt worden, dass man kei-
nesfalls schlechter werden darf, sondern immer nur bes-
ser werden muss . Wenn es einem nicht gelingt, besser
zu werden, dann muss man mindestens genauso gut sein,
wie man es versprochen hatte . Schlechter werden darf
man also nicht . Auch das ist völkerrechtlich verbindlich
festgelegt worden .
Insgesamt ist es ein faires Abkommen, das auch die
Verantwortung der Industrieländer in besonderer Weise
hervorhebt . Es war uns klar, dass wir aufgrund der histo-
rischen Emissionen, die wir als Industrieländer haben –
seit Beginn der Industrialisierung haben wir dem Kli-
mawandel ja sozusagen Vorschub geleistet –, natürlich
weiterhin eine besondere Verpflichtung haben. Das gilt
zum einen für den Technologietransfer, den wir für die
Länder des Südens leisten wollen und müssen, und das
gilt zum anderen natürlich auch für unsere finanziellen
Verpflichtungen, die dazu dienen, dem Klimawandel zu
begegnen, auch in den Ländern des Südens, und insbe-
sondere den Ländern des Südens dabei zu helfen, sich an
den ja stattfindenden Klimawandel anzupassen. Das war
eine der wichtigen Voraussetzungen dafür, dass wir Ver-
trauen gewinnen konnten, sodass es möglich war, dass
wirklich alle Länder dem Abkommen zugestimmt haben .
Zugleich ist es uns gelungen, den jahrzehntelangen
Antagonismus zu überwinden, bei dem auf der einen Sei-
te die Verantwortung der Industrieländer dargetan wurde
und sich auf der anderen Seite alle anderen Länder – so
war es ja auch noch im Kioto-Protokoll, das wir 2020
ablösen werden – gleichsam selber als Entwicklungslän-
der bezeichnet haben, die mit nichts etwas zu tun haben,
um es einmal etwas salopp auszudrücken . Diese ande-
ren Länder unterscheiden sich natürlich sehr . So ist zum
Beispiel ein armes afrikanisches Land nicht mit, sagen
wir einmal, Singapur gleichzusetzen . Selbstverständlich
kann auch Saudi-Arabien mehr leisten als zum Beispiel
Chile. Rein finanziell betrachtet gibt es da große Unter-
schiede .
Es ist jetzt tatsächlich zum ersten Mal gelungen, die-
sen alten Antagonismus aufzubrechen und dafür zu sor-
gen, dass sich die anderen Länder nicht mehr hinter den
allerärmsten verstecken können und deswegen keinerlei
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14397
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Ehrgeiz entwickeln müssen . Im Gegenteil: Alle sind ver-
pflichtet, dem Klimawandel nach ihren Möglichkeiten zu
begegnen . Es ist auch zum ersten Mal eine Differenzie-
rung der Finanzverantwortung in den Vertrag aufgenom-
men worden .
Ja, ich weiß: Das ist noch nicht verpflichtend. Aber die
Länder werden aufgefordert, nach ihren Möglichkeiten
auch einen finanziellen Beitrag zu leisten, zum Beispiel,
wie es heißt, im Rahmen der Süd-Süd-Kooperation . Hier
wird beispielsweise von China schon ein Beitrag geleis-
tet, wenngleich auf freiwilliger Basis und nicht auf der
Basis eines bindenden Vertrages . Es war bis jetzt noch
nicht möglich, dies im Rahmen eines bindenden Vertra-
ges zu regeln . Aber die Finanzverantwortung als solche
wird von den wohlhabenderen Schwellenländern nicht
mehr prinzipiell zurückgewiesen . Es ist zwar noch keine
völkerrechtlich bindende Verantwortung, aber sie wird
nicht mehr prinzipiell zurückgewiesen; auch das ist ein
Schritt nach vorne .
Wir haben in diesem Zusammenhang sehr zu danken:
insbesondere meinem Kollegen Gerd Müller und dem
ganzen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung,
meinem Kollegen Frank-Walter Steinmeier und dem
Auswärtigen Amt
und auch Ihnen allen . Dieses Hohe Haus hat uns bei der
Arbeit, die wir hier geleistet haben, ja durchaus unter-
stützt,
und ich war auch sehr dankbar für die Anwesenheit von
einigen Kolleginnen und Kollegen in Paris .
Das Abkommen gibt uns Rückenwind für die Ar-
beit, die wir vor uns haben . Für uns ist das eigentlich
keine neue Verpflichtung. Wir haben nämlich schon im
Jahr 2007 gesagt, dass wir bis zum Jahr 2050 eine Redu-
zierung des CO2-Ausstoßes von mindestens 80 Prozent,
eher aber 95 Prozent im Vergleich zu 1990 erreichen wol-
len . Dies ist auch schon bindendes europäisches Recht
für uns in Deutschland . Die Zusage, die wir jetzt gegeben
haben, nämlich für die Treibhausgasneutralität bis zur
Mitte des Jahrhunderts zu sorgen, ist damit umfasst . Für
uns ist das also keine neue Verpflichtung.
In den 35 Jahren, die jetzt vor uns liegen, haben wir
eine spannende Aufgabe . Ich sage Ihnen: Es wird eine
Jahrhundertaufgabe sein – unsere Jahrhundertaufgabe –,
die Wirtschaft und die Gesellschaft hin zu Klimaneutrali-
tät zu transformieren .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin spricht Eva
Bulling-Schröter für die Linke .
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Das Abkommen von Paris kann historisch
werden – und ich betone: kann –; denn die Arbeit fängt ja
jetzt erst richtig an . Wir haben nun einen globalen Rah-
men, der den Wandel unterstützen kann, auch wenn sich
viele von uns ein wesentlich weitreichenderes Abkom-
men gewünscht hätten .
Trotzdem ist das Abkommen bedeutungsvoll, weil
sich die Staatenwelt zum ersten Mal im Konsens darauf
geeinigt hat, die Erderwärmung deutlich unter 2 Grad zu
halten . Zum ersten Mal werden im Vertrag konkrete Zah-
len dazu genannt, wie viel Treibhausgas die Menschheit
noch ausstoßen darf . Ich denke, es ist eine allgemeine
Deklaration der Klimarechte des Planeten und nicht zu
unterschätzen .
Zu unterschätzen ist aber auf der anderen Seite auch
nicht, dass die derzeitige Summe der Selbstverpflich-
tungen der Staaten zu gering ist; sie würde zu einer Er-
wärmung von über 3 Grad führen . Und es wird sich erst
zeigen, ob der Mechanismus, der mit seinen Überprü-
fungen und Zielanschärfungen für immer mehr Ehrgeiz
sorgen soll, tatsächlich etwas taugt . Das Rad dreht sich
eben nicht automatisch in Richtung deutlich mehr Klima-
schutz . Aber genau dafür sind die gemeinsame Einigung
auf ein Ziel von unter 2 Grad und die Einbindung aller
Staaten wichtig .
Ähnlich wie wir von den Linken werden künftig Men-
schen überall auf der Welt den Mächtigen bei jeder Ge-
legenheit diese Deklaration um die Ohren schlagen, und
ich kann Ihnen sagen: Darauf können Sie sich verlassen .
Die Industrieländer erkennen ihre Hauptschuld am
Klimawandel an und untersetzen dies mit Zahlungen an
den globalen Süden . Auch hier werden wir Linken im-
mer wieder den Finger in die Wunde legen, zum Beispiel,
wenn der Finanzminister wieder keine neuen Mittel für
Entwicklungszusammenarbeit und Klimafinanzierung
freigeben will oder wenn sich profitable private Invest-
ments plötzlich in Klimafinanzierung verwandeln.
Das Abkommen von Paris setzt auch eine Zäsur,
weil sich zum ersten Mal das 1,5-Grad-Limit in einem
Abkommen findet – leider aber nur in abgeschwächter
Form –, und das darf nicht nur symbolisch gemeint sein,
sondern es muss gehandelt werden, um ein Überschreiten
dieser roten Linie zu verhindern . Wer mit Klimazeugen
aus Afrika oder Asien spricht, der weiß: Das sind nicht
nur abstrakte Zahlenspiele, sondern es geht hier in der
Tat um Leben und Tod .
Klimaschutz wird nicht einfach von oben verordnet,
sondern von unten erkämpft und gelebt .
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514398
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Ich denke unter anderem an symbolische Baggerbeset-
zungen, an Millionen von Bürgerenergieanlagen und an
den jahrzehntelangen Kampf von vielfältigsten NGOs
und Forschungseinrichtungen gegen die Interessen von
Großkonzernen . Das sind aber auch kluge Gesetze wie
das EEG, die einen Technologiewandel in eine erneuer-
bare Welt erst möglich machen . Ohne diesen Wandel von
unten, der sich noch verstärken muss, ist Klimaschutz
zweifellos undenkbar .
Ich sage Ihnen: Ein globales Problem braucht globale
Antworten . Deshalb brauchen wir staatenübergreifend
verbindliche Übereinkünfte über Ziele, Finanzströme
und Überprüfungssysteme . Ansonsten können wir eine
weltweite Dekarbonisierung wirklich gleich vergessen .
Wir wissen, wie schwer das alles ist . Völkerrecht
kann dabei immer nur einen Minimalkonsens zustande
bringen, auch wenn mich das sehr schmerzt . Darum ha-
ben wir jetzt kein Bilderbuchabkommen, sondern einen
Rahmen, der gefüllt werden kann und muss . Auf keinen
Fall dürfen dabei aber CCS, neue Atomkraftwerke und
andere falsche Lösungen eine Rolle spielen . Gerade weil
auf internationaler Ebene echte Verbindlichkeiten nicht
zu machen sind, brauchen wir in Deutschland ein Klima-
schutzgesetz . Klimaschutzziele müssen verbindlich sein .
Da reicht ein wackeliger Klimaschutzplan, liebe Frau
Ministerin Hendricks, eben nicht aus . Darum fordert die
Linke ein Kohleausstiegsgesetz, damit bis 2035 der letzte
Meiler vom Netz geht .
Schon für die Zeit davor fordern wir: Ende Gelände für
KfW-Kredite für neue Kohlekraftwerke im Ausland . Der
Export von Kohlekraft muss endlich aufhören .
Danke .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Andreas Jung
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich, dass heute diese Aktuelle Stunde zu Pa-
ris stattfindet. Diese Aktuelle Stunde knüpft in der Tat an
eine historische Stunde an . Was haben wir hier im Deut-
schen Bundestag nach den Klimakonferenzen in Nairobi,
Bali, Kopenhagen und Cancún debattiert! Immer wieder
wurden diese Konferenzen kritisiert und manchmal auch
belächelt . Zuweilen wurde dieser ganze Prozess unter
dem Dach der Vereinten Nationen infrage gestellt . Heute
können wir sagen: Dieser Prozess hat doch Erfolg ge-
habt. Am Ende haben nicht die Zweifler recht behalten,
sondern die Optimisten . Deshalb freuen wir uns gemein-
sam über diesen Abschluss in Paris .
Die Ministerin hat dargestellt, was in diesem Vertrag
steht; das will ich nicht wiederholen . Aber klar ist: In die-
sem Vertrag werden wichtige Leitplanken festgehalten,
etwa die Erreichung des 2-Grad-Ziels, verbunden mit
dem Ansporn, 1,5 Grad zu erzielen . Es wurde auch die
besondere Verantwortung der Industriestaaten unterstri-
chen . Aber gleichzeitig wurde zum ersten Mal die Auf-
spaltung der Welt in Industrienationen, Schwellenländer
und Entwicklungsländer überwunden .
Mit Paris knüpfen wir an die Nachhaltigkeitskonfe-
renz in New York im September dieses Jahres an, auf
der sich die Weltgemeinschaft auf globale Nachhaltig-
keitsziele geeinigt hat, auf einen Weltzukunftsvertrag .
Damit, denke ich, können wir sagen: Das Jahr 2015 ist
ein bedeutendes Jahr . Wir lösen mit diesem Vertrag das
Versprechen, das 1992 in Rio de Janeiro gegeben wur-
de, ein Stück weit ein . Wir konkretisieren es durch diese
Verträge . Es ist unsere Aufgabe, diese jetzt mit Leben zu
erfüllen .
Klar ist: Nach Paris kann es nicht genauso weiterge-
hen wie vor Paris . Auf die Freude über dieses Abkommen
müssen jetzt ganz konkrete Taten folgen . Da ist jeder an
seinem Platz und auf seiner Ebene gefragt . Das gilt für
alle Staaten weltweit . Es müssen jetzt alle draufsatteln,
sonst verfehlen wir das 2-Grad-Ziel .
Diese Forderung richtet sich auch an die Europäische
Union . Wir als Bundesregierung haben mit dafür gesorgt,
dass bei der Formulierung des Klimaziels für 2030 das
Wort „mindestens“ eingefügt wurde . Um mindestens
40 Prozent will die Europäische Union die Treibhausga-
semissionen senken . Wir haben gesagt: Wenn es ein sol-
ches Abkommen gibt, dann heißt „mindestens“, dass wir
draufsatteln und verschärfen . Die Voraussetzung ist jetzt
erfüllt . Deshalb muss die EU verschärfen . Die Bundesre-
gierung muss und wird sich dafür einsetzen . Das ist jetzt
das Gebot der Stunde .
Das gilt auch für die Dinge, die wir in Berlin tun . Die
Bundesregierung war in Paris Mitglied von HAC, der
„High Ambition Coalition“ . Das ist die Koalition der
Staaten, die besonders ambitioniert vorangehen wollten
und auch besonders ehrgeizig vorangegangen sind .
„HAC“ ist auch das Motto der Koalition in Berlin .
Wir übersetzen das auf Deutsch mit einer hohen Ambi-
tion für den Klimaschutz, und wir übersetzen das vor
allem in Taten . Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass
die Umweltministerin angekündigt hat, vor der Som-
Eva Bulling-Schröter
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14399
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merpause im nächsten Jahr einen Klimaschutzplan 2050
vorzulegen, mit dem konkretisiert werden soll, wie der
Pfad zur Dekarbonisierung – das heißt, der Pfad weg von
Kohle, Öl und Gas – beschritten wird . Das ist notwendig;
denn das ist ein Ergebnis der Konferenz in Paris . Das geht
nicht von heute auf morgen . Die Umsetzung muss ambi-
tioniert sein und stufenweise erfolgen . Für die Wirtschaft
ist Planbarkeit wichtig . Es geht um einen Strukturwan-
del und die Beantwortung der sozialen Fragen . Aber, wie
gesagt, HAC heißt: hohe Ambition für den Klimaschutz .
Das gilt auch für ein weiteres Feld, für die nach-
haltige Mobilität . Wir kämpfen für den Fortschritt der
Elektromobilität . Ich meine, wir müssen die Ergebnisse
der Konferenz zum Anlass nehmen, in diesem Bereich
mit einer ganz konkreten Förderung noch eine Schippe
draufzulegen . Damit zeigen wir, dass wir die Elektromo-
bilität nicht nur durch Forschung und Entwicklung, Mo-
dellregionen und andere Anreize unterstützen, sondern
dass wir diesen Bereich auch ganz konkret mit zusätzli-
chen Mitteln fördern . Ich würde mir wünschen, dass wir
die Diskussion sehr schnell zum Abschluss bringen und
auch in diesem Bereich ein klares Signal setzen können .
Ich setze auf die Zusammenarbeit in der Großen Ko-
alition . Erfolg hat immer viele Mütter und Väter . Ich
schließe mich der Aufzählung der Bundesumweltminis-
terin an . Wir wollen uns bei Ihnen wie auch beim Ent-
wicklungshilfeminister Gerd Müller und beim Außenmi-
nister herzlich bedanken . Ich will noch ergänzen: Dieser
Prozess ist nicht über Wochen und Monate, sondern über
Jahre vorangetrieben worden, und dies in besonderer
Weise auch von unserer Kanzlerin . Es gibt eine direkte
Linie vom Strandkorb in Heiligendamm über die Alm in
Elmau zu dem Erfolg in Paris . Deshalb sagen wir auch:
Danke, Angela Merkel .
Ambition erwarten wir jetzt auch von den Ländern .
Wenn die USA, China und Saudi-Arabien einem Kli-
maabkommen zustimmen, dann erwarten wir auch von
Kretschmann, Kraft und Co ., dass sie ihren Widerstand
gegen die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung
aufgeben und ihr zustimmen .
Energieeffizienz wird ein entscheidender Schlüssel sein.
Der Bund hat ein Angebot vorgelegt; wir haben es hier
beschlossen .
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .
Jetzt müssen alle Länder und alle Ministerpräsidenten
mit ins Boot . Das heißt: gemeinsame Verantwortung für
den Klimaschutz .
Herzlichen Dank .
Als nächster Redner hat Dr . Anton Hofreiter für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ja, was in Paris zustande gebracht worden ist,
war ein großer Erfolg . Die Weltgemeinschaft hat gezeigt,
dass 195 Staaten in der Lage sind, sich auf einen Vertrag
mit starken Zielen zu einigen; bei den Maßnahmen ist
er eher schwach . Wir brauchen auch einen Vertrag mit
starken Zielen; denn alles andere als eine Reduktion der
Klimaerwärmung deutlich unter 2 Grad bedeutet für die
kleinen Inselstaaten, dass sie untergehen . Dann müssten
wir für 2,4 Millionen Menschen eine neue Heimat su-
chen . Sie wären aber keine Flüchtlinge . Vielmehr bräuch-
ten wir einen neuen Standort für eine ganze Reihe von
Staaten . Das wäre schwierig durchzusetzen . Aber auch
auf dem übrigen Planeten wird es zu starken Verwerfun-
gen kommen, wenn es uns nicht gelingt, die Klimaerwär-
mung zu begrenzen . Die Weltbank rechnet in diesem Fall
mit über 100 Millionen zusätzlichen Klimaflüchtlingen.
Frau Hendricks, ich bin froh, dass Sie und nicht je-
mand anderes aus der Bundesregierung verhandelt ha-
ben . Was die Ministerien angeht, die für die Umsetzung
verantwortlich sind, von der Sie eben gesprochen haben,
Herr Jung, sieht es nämlich ziemlich traurig aus .
Schauen wir uns zum Beispiel das Energieministeri-
um, das Ministerium von Herrn Gabriel, an . Herr Gabriel
ist in relevanter Weise verantwortlich für die Umsetzung
der Energiewende .
Was findet in diesem Ministerium statt? Wir erleben ein
völliges Abwürgen der Photovoltaik . Der Ausbau der
erneuerbaren Energien ist vom Pfad abgekommen und
findet nicht mehr in ausreichendem Maße statt. Wir er-
leben, dass aus einer Kohleabgabe, die dazu beitragen
sollte, den Boom der Kohlekraft in Deutschland zu been-
den, eine Subvention für die Kohlekraftwerke geworden
ist . Damit ist also im ersten Umsetzungsministerium das
glatte Gegenteil erreicht worden .
Schauen wir uns das nächste Umsetzungsministerium
an . Das ist das Verkehrsministerium . Der Verkehr ist für
einen erheblichen Teil der Klimaabgase in Deutschland
verantwortlich . Was stellen wir da fest, wenn wir einfach
nüchtern auf die Zahlen schauen? Wir stellen fest, dass
in den letzten Jahren der CO2-Ausstoß gestiegen ist . Das
bedeutet, dass wir hier eine Änderung der Politik brau-
chen; denn es genügt nicht – wenn die Klimaschützer
und die Mitglieder des Umweltausschusses unter sich
sind –, zu fordern: Wir brauchen jetzt Taten . – Ja, natür-
lich brauchen wir Taten . Aber die Bundesregierung muss
hier auch konkrete Taten folgen lassen . Das muss sich
Andreas Jung
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514400
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im konkreten Handeln der Ministerien zeigen . Was sehen
wir beispielhaft beim Verkehrsministerium? Steigende
CO2-Werte! Es gibt keine einzige Handlung gegen diesen
Trend . Stattdessen sehen wir ein Ministerium, das zu fei-
ge ist, den Unternehmen, insbesondere den Autokonzer-
nen, die beim Schummeln extrem innovativ sind, Einhalt
zu gebieten . Inzwischen geht es nicht nur um VW . Zah-
len belegen, dass auch BMW- und Mercedes-Fahrzeuge
unerklärlich hohe Abgaswerte aufweisen . Was macht das
Ministerium? Das Ministerium ist noch nicht einmal in
der Lage, zu sagen, wer in seiner Untersuchungskom-
mission sitzt . Machen Sie doch einmal diesem Minister
Dampf! Sie sind doch Regierungspartei .
Schauen wir uns ein anderes Ministerium an, das für
die Umsetzung verantwortlich ist . Das ist das Landwirt-
schaftsministerium . Ich war vor kurzem in Brasilien und
habe mir dort insbesondere die Regionen angeschaut,
von denen wir einen Großteil unserer Futtermittel be-
ziehen . In diesen riesigen Regionen sieht man bis zum
Horizont nur gerodeten Regenwald . Nicht nur, dass die
Kleinbauern und die indigene Bevölkerung entweder
ermordet oder vertrieben worden sind, um dieses Land
zu gewinnen . Vielmehr ist der ganze Regenwald zerstört
worden . Das trägt erheblich zum Klimawandel bei . Und
was sehen wir beim zuständigen Landwirtschaftsminis-
ter? Absolute Untätigkeit!
Wenn Sie Ihre eigenen Worte ernst meinen, Frau Mi-
nisterin und Sie, die Vertreter der Großen Koalition, dann
sorgen Sie endlich dafür, dass in den relevanten Minis-
terien, also im Energieministerium, im Verkehrsminis-
terium und im Landwirtschaftsministerium, nicht weiter
blockiert, verzögert sowie auf die Lobbyisten und die
Innovationsbremser von IG BCE und BDI gehört wird,
sondern dass endlich Taten folgen .
Frau Ministerin, wenn ich von Ihnen höre, dass es nun
insbesondere um das Jahr 2050 geht, dann mache ich mir,
ehrlich gesagt, Sorgen . Sie haben absolut recht: Bis zum
Jahr 2050 müssen wir im Idealfall den CO2-Ausstoß um
90 Prozent reduziert haben . Aber bis dahin ist es noch
sehr lange hin . Ich glaube, niemand, der hier sitzt, wird
im Jahr 2050 noch politische Verantwortung tragen . Es
kann also eine sehr billige Ausrede sein, ständig auf das
Jahr 2050 zu verweisen . Es kommt nun entscheidend da-
rauf an, wie der Pfad in den nächsten 35 Jahren gestaltet
wird, um im Jahr 2050 auf minus 90 Prozent zu kom-
men . Um das zu schaffen, müssen wir jetzt mit den Taten
beginnen . Deshalb ist es ganz entscheidend, ob es uns
gelingt, als erste Zwischenetappe das 2020-Ziel zu er-
reichen . Ihre eigenen Regierungsexperten haben festge-
stellt, dass wir die Anstrengungen verdreifachen müssen,
um dieses Ziel zu erreichen . Sorgen Sie als Erstes dafür,
dass dieses Ziel erreicht wird . Dann haben wir auch eine
Chance, das 2050-Ziel zu erreichen und den nun ausge-
handelten guten Weltklimavertrag mit Leben zu erfüllen .
Danke .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Matthias
Miersch für die SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt fast kein größeres Lob als das von Toni Hofreiter .
Aber ich will darauf noch einmal hinweisen, weil die
Bundesumweltministerin hier vornehm zurückhaltend
war . Liebe Barbara Hendricks, das, was in den letzten
Stunden in Paris geleistet wurde, ist vor allen Dingen
dir und deinem Team zu verdanken . Deswegen an dieser
Stelle: Vielen Dank dafür!
Es ist berechtigt, dass die Opposition schaut, wie es
weitergehen soll, und mit dem einen oder anderen hadert .
Wir können die Redeversatzstücke immer wieder anein-
anderreihen, lieber Toni Hofreiter; aber das Entscheiden-
de ist – das hat Paris sehr deutlich gezeigt –,
dass nach wie vor die Bundesrepublik Deutschland als
eines der Vorbilder im internationalen Vergleich gilt .
Deswegen lohnt es sich nicht, aufeinander herumzutram-
peln . Vielmehr sollte man stolz sein auf das, was wir hier
machen .
Du hast vom Abwürgen der Erneuerbaren gesprochen .
Wir sind im Diskurs, was den Wert der Photovoltaik
angeht, unter Umständen durchaus ganz nah beieinan-
der . Aber wir dürfen nicht verschweigen, dass wir zum
Beispiel im Bereich Windkraft Rekordzuwächse haben .
Auch das muss in einer solchen Debatte gesagt werden .
In diese Debatte gehört außerdem, darauf hinzuwei-
sen, dass du noch vor wenigen Monaten hier gesagt hast:
Kein einziges Kohlekraftwerk wird abgeschaltet . – Ja,
wir können uns darüber unterhalten, ob es richtig ist, Prä-
mien zu zahlen . Aber wir werden erleben, dass bis 2020
Kohlemeiler vom Netz gehen . Auch das ist ein Verdienst
dieser Bundesregierung .
Es ist richtig und wichtig, darauf hinzuweisen –
auch das ist, wie ich finde, ein Verdienst von Barbara
Hendricks und anderen –, dass wir als Parlament erst-
mals in die Lage versetzt werden, zu schauen, ob die
Ziele erreicht werden . Natürlich ist nicht nur das Ziel
für 2050 entscheidend . Die Umweltministerin hat darauf
hingewiesen, dass das erste Mal ein Aktionsplan Klima-
schutz 2020 aufgelegt worden ist . Es ist richtig, dass sich
Dr. Anton Hofreiter
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14401
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Sachverständige damit augenblicklich kritisch auseinan-
dersetzen . Aber es ist ein großes Verdienst von Barbara
Hendricks und dieser Bundesregierung, dass wir in den
nächsten Monaten und Jahren in der Lage sind, zu sagen:
Wir müssen da nachjustieren; sonst erreichen wir unsere
Ziele nicht .
Daran mitzuwirken, sind in der Tat alle, auch alle Res-
sorts, aufgerufen .
Reflexartig sind nicht nur die Reaktionen der Grünen,
sondern auch die des BDI . In einer Presseerklärung nach
der Pariser Konferenz wurde mehr oder weniger der Un-
tergang des Abendlandes prophezeit . Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich glaube, das Neue und Beflügelnde der
Ergebnisse dieser Konferenz ist: Wer heute noch meint,
dass sich Klimaschutz und Wirtschaft ausschließen, der
gerät ganz schnell aufs Abstellgleis .
Deswegen sage ich herzlichen Glückwunsch an die
Allianz von großen Unternehmen, die sich zur Initia-
tive „2 Grad“ – diese Bezeichnung müssten sie wahr-
scheinlich ändern; denn in der Pariser Vereinbarung sind
1,5 Grad festgeschrieben – zusammengeschlossen haben
und sagen: Es ist ein Mehrwert für uns Großunterneh-
men, wenn wir auf Klimaschutz, wenn wir auf Effizienz,
wenn wir auf Energieeinsparung setzen; denn wir werden
diejenigen sein, die Technologien entwickeln, die mor-
gen gefragt sind und nicht von gestern sind .
Lieber Peter Bleser, ich glaube, das Landwirtschafts-
ministerium könnte sich vom Entwicklungshilfeministe-
rium noch das eine oder andere abschauen;
denn wenn es um die Landwirtschaft der Zukunft, um
elementare Gerechtigkeitsfragen, um Klimaschutz geht,
dann müssen wir in Deutschland im Bereich der Land-
wirtschaft noch unsere Hausaufgaben machen . Deswe-
gen bitte ich euch, diesen Schwung mitzunehmen und
ebenfalls einen Beitrag zu leisten . Ebenso bitte ich im
Übrigen auch das Verkehrsministerium, sich die Pläne
sehr genau anzuschauen . Ich sage ganz bewusst, Toni
Hofreiter: Hier sitzen nicht nur die Umweltpolitiker, son-
dern auch die Verkehrspolitiker der SPD-Fraktion, da es
uns wichtig ist, Klimaschutz ganzheitlich zu denken und
nicht nur ressortbezogen .
Wenn wir das erreichen, im Parlament, aber auch in
dieser Bundesregierung, dann ist Paris – da bin ich mir
sehr sicher – ein wichtiger Schritt auf einem Weg, der
soziale Gerechtigkeit, ökologische Vernunft und ökono-
mische Weitsicht verbindet .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin spricht Sabine
Leidig für die Fraktion Die Linke .
Werte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege
Miersch, es wäre toll, wenn dieser Klimavertrag wirklich
soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz zusammenbrin-
gen würde, wie Sie es gerade ein bisschen euphorisch
dargestellt haben . Aber die weltweite Klimagerechtig-
keitsbewegung – sie besteht aus vielen sozialen Bewe-
gungen aus aller Welt – schätzt das Ergebnis dieser Ver-
handlungen ganz anders ein . Sie sagt mit Recht: Es gibt
überhaupt keinen Grund, zu feiern; denn das, was hier als
Erfolg gepriesen wird,
ist in Wirklichkeit sehr fragil . Es gibt keine verbindli-
chen Regelungen, es gibt überhaupt keine Verabredung
über Sanktionen, wenn die Klimaschutzziele nicht ein-
gehalten werden . Die von den Ländern angemeldeten
Ziele liegen ohnehin weit unter dem, was man brauchte,
um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen . Zudem
besteht die große Gefahr, dass man mit dem Setzen auf
marktwirtschaftliche Instrumente und Technologien neue
Ungerechtigkeiten erzeugt .
Ich will das an einer Passage aus den Klimaverträgen
deutlich machen . Es wird davon gesprochen, dass in der
zweiten Jahrhunderthälfte – das ist sehr vage; das kann
auch 2099 sein – ein Gleichgewicht zwischen Emissions-
ausstoß und Emissionsbindung erreicht werden soll . Es
bleibt völlig offen und unkonkret, ob das den Ausstieg
aus fossilen Brennstoffen bedeutet .
Im Gegenteil: Es ist durchaus denkbar und wahrschein-
lich, dass an einem Ende der Welt weiterhin Öl und Koh-
le verbrannt werden, während am anderen Ende der Welt
CO2 in Wäldern, in Böden, in gentechnisch manipulier-
ten Pflanzen oder mit anderen riskanten Technologien, an
denen eifrig geforscht wird, gespeichert wird . Das heißt,
dass die Länder, die solche Technologien einsetzen kön-
nen und in der Lage sind, ihre Interessen durchzusetzen,
weiterhin Öl und Kohle verbrennen, während Länder im
globalen Süden – so ist es normalerweise –, in denen
die Wälder von transnationalen Konsortien zertifiziert
werden, ihre Bevölkerung unter Druck setzen oder sie
vertreiben . Dort werden große Staudämme gebaut, um
regenerative Energien zu gewinnen, Dörfer und ganze
Landstriche unbewohnbar gemacht, und die armen Leu-
Dr. Matthias Miersch
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te, die heute dort leben, werden vertrieben . Das ist der
Mechanismus, der in diesem Klimavertrag steckt und
den viele soziale Bewegungen dieser Welt mit großer
Sorge sehen .
Das Zweite ist, dass, um dieses 1,5-Grad-Ziel zu errei-
chen, über 80 Prozent der fossilen Energieträger, Öl- und
Kohlereserven, in der Erde bleiben müssten .
Dieses gigantische Volumen entspricht einem Kapital-
wert von 35 000 Milliarden Dollar . Natürlich – da braucht
man sich doch nichts vorzumachen – gibt es gigantische
Verwertungsinteressen . Die Konzerne dieser Welt lassen
sich doch ein solches Geschäft nicht entgehen .
Umso notwendiger ist es, dass die Regierungen dafür
sorgen, dass die Politik nicht den Verwertungsinteressen
entsprechend organisiert wird .
– Nein, das haben Sie nicht erreicht; das ist alles völlig
offen . – Es gibt überhaupt keine konkrete Festlegung zu
den fossilen Rohstoffen . Es gibt überhaupt keine Festle-
gung zur Verringerung von transnationalen Handelsströ-
men, obwohl der transnationale Handel ein Viertel aller
CO2-Emissionen ausmacht . Die Europäische Union or-
ganisiert über das Bestehende hinaus im Moment an ver-
schiedenen Stellen mit TTIP und CETA Handelsabkom-
men, die dafür sorgen, dass es noch mehr internationale
Handelsströme und damit verbunden einen noch höheren
CO2-Ausstoß gibt, anstatt konkrete politische Konzepte
zu entwickeln, wie man regionale Wirtschaftskreisläufe
fördert, wie man dafür sorgen kann, dass nicht irrsinnig
viel um den halben Globus transportiert wird, wie man
dafür sorgen kann, dass nicht weiter Öl verbrannt wird
und nicht durch Ersatzrohstoffe dem globalen Süden die
Lebensmittel und der Lebensraum streitig gemacht wer-
den .
Kurz: Dieses Abkommen gibt keine Antwort darauf,
wie unsere sozialen Verhältnisse verändert werden müs-
sen, um die globalen ökologischen Ziele zu erreichen .
Das ist die große Schwäche . Ich glaube, das wird die
Herausforderung sein, die uns in den nächsten Jahren,
in wenigen Jahren beschäftigen muss . Es geht darum,
wie wir mit weniger Ressourcenverbrauch, mit weniger
Wachstum und mit weniger Kapitalverwertung trotzdem
ein gutes Leben für alle Menschen organisieren können .
Als nächste Rednerin hat Dr . Anja Weisgerber von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! In den letzten Wochen und Monaten haben wir
hier im Deutschen Bundestag viele Debatten über unsere
Erwartungshaltung bezüglich der Klimaverhandlungen
in Paris geführt . Wir haben auch Anträge formuliert . Wir
alle haben unsere Hoffnung zum Ausdruck gebracht,
dass ein umfassendes, ambitioniertes, völkerrechtlich
verbindliches Abkommen zustande kommt . Heute sind
wir hier wieder zusammengekommen und können sa-
gen: Wir haben das geschafft . – Am Samstag um circa
19.30 Uhr fiel der Hammer, und – man kann es wirklich
so formulieren – es wurde Klimageschichte geschrieben,
meine Damen und Herren .
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz besonders und
ganz herzlich bei Ministerin Barbara Hendricks und
ihrem sehr engagierten Team bedanken . Das ist eine
Leistung, auf die Sie zu Recht stolz sein können . Vielen
Dank!
Viele Kommentatoren bezeichnen dieses Abkommen
als historisch . Ich möchte anhand von drei Punkten dar-
legen, warum dieses Abkommen aus meiner Sicht histo-
risch ist .
Zum Ersten . Erstmals haben sich knapp 200 Staaten
der Welt auf ein ambitioniertes Klimaabkommen geei-
nigt . Am Ende der Verhandlungen über die zweite Ver-
pflichtungsperiode des Kioto-Protokolls waren nur noch
37 Staaten mit an Bord . Jetzt sind wieder alle Staaten der
Welt dabei . Das allein ist schon ein Riesenerfolg .
Alle Staaten haben an einem Strang gezogen, ob große
oder kleine Staaten, ob arme oder reiche Staaten . Alle
haben sich dazu verpflichtet, die globale Erderwärmung
auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen . Darüber hinaus
hat man eine starke Formulierung zum 1,5-Grad-Ziel in
den Text hineinverhandelt . Demnach müssen sich die
Vertragsstaaten anstrengen, die globale Erderwärmung
auf nur 1,5 Grad zu begrenzen . Das war ein wichtiges
Signal an die Inselstaaten, die vom Untergehen bedroht
sind und darauf gewartet haben, dass ein solches Signal
von Paris ausgeht .
Dass es gelungen ist, das 1,5-Grad-Ziel im Text zu
verankern, ist zum einen auch ein Verdienst von Bundes-
kanzlerin Angela Merkel, die auf Empfehlung von Frau
Hendricks zu Beginn der Klimaverhandlungen in Paris
als eine der wenigen, wenn nicht sogar als einzige der
Staats- und Regierungschefs das 1,5-Grad-Ziel deutlich
erwähnt hat . Dieses Signal hat aufhorchen lassen . Zum
anderen war die Aufnahme des 1,5-Grad-Ziels auch da-
durch möglich geworden, dass die Umweltministerin es
geschafft hat, dass sich die Koalition der Ambitionierten
gebildet hat . Deutschland war hier an vorderster Front
dabei . Mit dieser Koalition wurden das althergebrachte
Denken und die Trennung zwischen den Industrieländern
und den Entwicklungsländern aufgebrochen . Die EU,
die USA, Brasilien und Mexiko waren mit an Bord, aber
Sabine Leidig
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14403
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zum Beispiel auch die Marshallinseln . Ich kann mir vor-
stellen, dass es ein emotionaler Moment war, als sie Seit‘
an Seit‘ vereint in den Saal gegangen sind und das Signal
ausgesandt haben: Wir wollen, dass die Ambition im Text
deutlich verankert wird . – Das war der erste Grund, wa-
rum dieses Abkommen historisch ist .
Der zweite Grund hierfür besteht darin, dass der völ-
kerrechtliche Überprüfungsmechanismus, den wir hier
in sehr vielen Plenarreden eingefordert haben, jetzt im
Abkommen steht – ich weiß nicht, wie viele dessen Auf-
nahme in den Text wirklich für möglich gehalten haben –
und seine Einhaltung regelmäßig, alle fünf Jahre, über-
prüft wird . Überprüft wird zum Ersten, ob die einzelnen
Vertragsstaaten ihre nationalen Verpflichtungen einhal-
ten . Zum Zweiten wird regelmäßig Bilanz gezogen, wie
weit man vom globalen Ziel entfernt ist und inwieweit
man noch nachschärfen muss .
Der dritte Grund, weshalb das Abkommen aus meiner
Sicht historisch ist, besteht darin, dass die Klimafinanzie-
rung zustande gekommen ist . Wir haben immer gesagt:
Wir können den Klimawandel nicht alleine bekämpfen .
Wir brauchen dafür alle Staaten der Welt, auch die Ent-
wicklungs- und Schwellenländer; aber diese brauchen
unsere Unterstützung . – Die Industrieländer haben sich
verpflichtet, von 2020 an 100 Milliarden US-Dollar für
sie zur Verfügung zu stellen . Auch bei dieser Verein-
barung hat Deutschland Signale ausgesandt . Entwick-
lungsminister Müller, dem ich hier ausdrücklich danken
möchte, hat während der Konferenz zum Ausdruck ge-
bracht, dass zusätzlich 3 Milliarden Euro für die Nutzung
erneuerbarer Energien in Afrika zur Verfügung gestellt
werden .
All das hat dazu geführt, dass wir Klimageschichte
geschrieben haben .
Eine letzte Bemerkung, wenn die Präsidentin mir das
erlaubt: Ich möchte, dass dieses Abkommen von der
Wirtschaft als Chance begriffen wird . Ökonomie und
Ökologie sind keine Gegensätze . Wenn wir Deutsche uns
jetzt an die Spitze der Entwicklung von Umweltinnova-
tionen und von CO2-armen Technologien stellen, dann
kann die Eindämmung des Klimawandels gleichzeitig
ein wichtiger Baustein für Wachstum und Arbeitsplätze
sein .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Annalena
Baerbock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau
Hendricks, auch von unserer Seite einen ganz herzlichen
Dank an Sie persönlich, an die Staatssekretäre und an Ihr
Team, das zum Teil hier anwesend ist . Das ist wirklich
ein historischer Vertrag, der in Paris geschlossen wurde .
Diesem Dank kann man aus unserer Sicht am besten
gerecht werden, indem man den Vertrag jetzt mit Leben
erfüllt . Wer in Paris gesagt hat „Raus aus den Fossilen“,
der muss das auch im Deutschen Bundestag sagen .
Daher gilt jetzt: Butter bei die Fische . Wenn wir die Ver-
einbarungen umsetzen und mit Leben erfüllen wollen –
Andreas Jung, Sie sprechen von der High Ambition Co-
alition; HAC hört sich für mich eher wie eine Droge an,
aber sei’s drum –,
dann brauchen wir einen Klimaschutzplan, ein Klima-
schutzgesetz .
Der erste Punkt . Frau Hendricks, mich hat schon sehr
verwundert, dass Sie sagen, dass sich aus dem Vertrag
eigentlich keine neuen Verpflichtungen für uns ergeben.
Natürlich ergeben sich daraus für uns Verpflichtungen.
Sie haben es doch selber erwähnt: Dieser Klimavertrag
wird alle fünf Jahre daraufhin überprüft, ob die nationalen
Beiträge umgesetzt werden . Diese Frage muss sich auch
die Europäische Union stellen . Unser nationaler Beitrag,
mit dem wir nach Paris gefahren sind, liegt deutlich über
dem 2-Grad-Pfad . Das heißt, die erste Hausaufgabe hier
in Deutschland und in Europa ist, das europäische Ziel
nachzuschärfen .
Der zweite Punkt . Es muss ein Klimaschutzplan, am
besten ein Klimaschutzgesetz, vorgelegt werden, damit
wir diese Aufgabe in Deutschland meistern können . Es
reicht nicht, von einer Jahrhundertaufgabe mit Blick auf
das Jahr 2050 zu sprechen . Die dringlichste Aufgabe
ist vielmehr, dafür zu sorgen, dass das deutsche Klima-
schutzziel für das Jahr 2020 erreicht wird . Das bedeutet
eine Reduktion um 40 Prozent .
Um dieses Ziel zu erreichen, ist der Kohleausstieg in
Deutschland einfach unerlässlich . Diesen Fakt haben Sie
als Ministerin immer wieder angesprochen . Aber hier,
lieber Matthias Miersch, kommen wir zum entscheiden-
den Punkt . Da reicht es eben nicht, liebe Frau Hendricks,
dass man sagt – ich habe gestern im Ausschuss genau
hingehört –, es sei in den nächsten 20 bis 25 Jahren mög-
lich, ohne Strukturbrüche aus der Kohle auszusteigen,
aber nötig sei es nur bis 2050 . Nein, Sie sind die Mi-
Dr. Anja Weisgerber
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514404
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nisterin, und die Bundesregierung trägt hier die Verant-
wortung . Es reicht nicht, zu sagen, was man für möglich
hält, sondern Sie müssen mit entsprechenden Gesetzen
dieses Ziel verfolgen . Das ist Ihre Aufgabe als Bundes-
regierung .
Es kann aber nicht nur um den Kohleausstieg in
Deutschland gehen; es geht auch um den Ausstieg aus
der internationalen Kohlefinanzierung. Ja, liebe Frau
Weisgerber, wir haben darüber oftmals gesprochen . Ja,
Matthias Miersch, es sind lediglich 3 Milliarden Euro,
die an Finanzhilfen fließen. In Paris haben Sie sich für
eine Initiative in Afrika für erneuerbare Energien stark
engagiert . Aber diese Initiative wird konterkariert, wenn
es zeitgleich nicht nur KfW IPEX, sondern auch Hermes-
bürgschaften für Kohleprojekte gibt . Es gibt Zusagen an
Australien, Russland, die Ukraine und Südafrika . Man
kann nicht aus den Fossilen rausgehen, wenn man wei-
terhin in diesen Bereich investiert . So ist das nun einmal .
Der dritte Punkt umfasst das Divestment . Frau
Hendricks, Sie haben in Paris völlig zu Recht gesagt – da
stimmen wir Ihnen zu –, wir sähen das Ende des Zeital-
ters von Kohle und Öl, und das sei ein sehr klares Sig-
nal an die Investoren . Etliche Investoren haben sich auch
schon aufgemacht, ihre Strategie zu ändern . Das ist gut
und richtig . Aber es ist auch ein Signal an die Bundes-
republik Deutschland, weil wir ebenfalls Geld in diesen
Bereich investieren . Der Bund legt 100 Millionen Euro
in fossile Anlagen an als Rücklagen für die Beamten-
pensionen . Wenn Sie also von Divestment für Investoren
reden, dann reden Sie auch von Divestment im Bundes-
haushalt, dann geben Sie diese Anlagen in fossile Energi-
en auf, meine Damen und Herren!
Hier hat die Bundesregierung auch wirklich die Mög-
lichkeit – es wurde ja über Vorreiter gesprochen; wir sind
ganz bei Ihnen: wir wollen wieder Vorreiter werden –,
zum Vorreiter zu werden . Sie müssen sich nur schleu-
nigst beeilen . Die Kommunen haben sich hier schon auf
den Weg gemacht . Münster ist die erste Stadt, die nicht
mehr in fossile Energien investiert . Andere Kommunen
werden folgen . Machen Sie sich also auf die Socken, da-
mit Sie hier hinterherkommen!
Der fünfte Punkt ist der Verkehr . Es ist einfach so:
Wenn wir sagen: „Wir steigen aus den fossilen Energi-
en aus“, dann müssen wir das auch im Verkehrsbereich
tun . Deswegen ist die Ansage von Paris: Die Tage des
Verbrennungsmotors sind gezählt .
Wenn wir nicht aufpassen, dann werden wir auch hier
kein Vorreiter sein; denn China macht sich auf den Weg .
Es wird nur noch ein paar Jahre dauern, bis man in Chi-
na sagen wird: Keine Verbrennungsmotoren mehr in
den großen Städten wegen der Luftreinheit . – Beispiel
Norwegen: Dort liegt der Anteil der Elektroautos bei den
Erstzulassungen bei 17 Prozent . So sehen Vorbilder aus .
Zum Abschluss, meine Damen und Herren, möchte
ich sagen: Wir haben in Paris wahrlich Geschichte ge-
schrieben . Wir sollten das zum Anlass nehmen, auch in
Deutschland Geschichte zu schreiben . Lassen Sie der
Energiewende eine Klimawende folgen . Um es mit den
Worten von François Hollande zu sagen: „Vive la planè-
te, vive l‘humanité et vive la vie!“
In diesem Sinne: Eine schöne Weihnachtszeit und vie-
len Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Klaus Mindrup
für die SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Es gibt Momente
im Leben, die vergisst man nicht . Für mich gehören die
Tage in Paris dazu . Das waren die Gespräche mit den Kli-
mazeugen, mit den Bewohnern der pazifischen Inseln, die
Sorge haben, dass sie ihre Heimat verlieren und dass sie
umgesiedelt werden müssen, aber auch mit den Bauern
aus Afrika, die nicht mehr wissen, wann sie säen sollen,
weil sie nicht mehr wissen, wann der Regen kommt . Das
hat deutlich gemacht, dass das Thema des Klimaschutzes
ein Thema ist, das wirklich an die Existenz der Menschen
geht . Im Gedächtnis werden bei mir aber auch die letz-
ten Minuten dieser Konferenz bleiben, in denen wir nicht
wussten, ob es am Ende ein Abkommen geben würde
oder nicht, und in denen Laurent Fabius noch nicht im
Saal war . Als er am Ende dann doch kam und mit dem
grünen Hammer die Einigung vollzogen hat, gab es einen
beispiellosen Jubel, dass dieser Vertrag zustande gekom-
men ist .
Es ist daher auch für mich an dieser Stelle Zeit, Dank
zu sagen, Dank an die deutsche Delegation, Dank vor al-
len Dingen auch an Barbara Hendricks für ihre Arbeit .
Ohne diese deutsche Delegation wäre das nicht zustande
gekommen. Ich hoffe, dass Sie bald Ihr Schlafdefizit aus-
gleichen können .
Die Rolle Deutschlands – da muss ich der Kollegin
Annalena Baerbock widersprechen – ist ja nicht nur die,
dass wir dort verhandelt haben, sondern wir werden inter-
national auch als glaubwürdiger Partner gesehen mit der
internationalen Klimafinanzierung. Es ist eben so, dass
95 Prozent unserer Gelder nicht in fossile Energien ge-
Annalena Baerbock
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14405
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hen, sondern in die Wende zu den erneuerbaren Energien,
dass die Internationale Klimaschutzinitiative vorbildlich
ist für die ganze Welt und dass wir dort Vorreiter sind .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt noch eine
andere Botschaft, die von dieser Konferenz ausgeht: 195
Staaten haben sich auf ein verbindliches Ziel geeinigt .
Das heißt für uns: Die Vereinten Nationen sind wieder
da . Die Vereinten Nationen sind wieder ein handelnder
Akteur, und das ist etwas ganz Wichtiges für alle die, die
erklärt haben, der Multilateralismus sei tot . Wir müssen
diese Vereinten Nationen stärken und weiter auf sie bau-
en .
Das Abkommen hat eine Tür zu einer besseren Welt
geöffnet . Jetzt müssen wir durch diese Tür gehen . Das
ist der Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Linken: Wenn Sie nicht verstehen, dass diese Tür eine
Chance ist, und sagen, dass man da nicht durchgehen
kann, dann ist das wirklich eine Form von Blindheit, die
man kaum noch ertragen kann .
Wir sind hier an zwei Stellen gefordert – da hoffe ich
auch auf einen Konsens –: Das Erste ist, dass wir natür-
lich zur Ratifizierung unsere Zustimmung geben müssen.
Das Zweite ist, dass ich natürlich davon ausgehe, dass wir
hier in diesem Haus dafür sorgen, dass diese Ziele einge-
halten werden . Das gilt in erster Linie für die 2020-Ziele,
und das werden wir mit dem Aktionsprogramm Klima-
schutz 2020 auch schaffen . Es ist doch nur gut, dass wir
uns hier ehrlich machen und dass wir sagen, was zu tun
ist . Das haben wir auch schon vor einigen Wochen getan .
Wir wissen doch alle, dass die Minderungsbeiträge, die
die Staaten eingereicht haben, nicht ausreichen, um das
1,5-Grad-Ziel zu erreichen, noch nicht einmal, um das
2-Grad-Ziel zu erreichen . Deswegen gilt auch für uns:
Klimaschutz muss Vorrang haben . Das gilt für alle Po-
litikfelder, insbesondere für die Landwirtschaft und den
Verkehr .
Wenn wir allerdings hören, dass die Kollegin
Annalena Baerbock das Ende des Verbrennungsmotors
ausruft, gebe ich ihr, wenn er fossil betrieben ist, recht .
Aber einen Verbrennungsmotor kann man auch mit Was-
serstoff betreiben, und am Ende kommt Wasser heraus .
Es kommt doch darauf an, dass es erneuerbar ist, dass
es klimaverträglich ist . An dieser Stelle sollten wir die
Technologien öffnen .
Es geht aber im Kern – das ist vereinbart worden – um
eine grundsätzlich andere Form der Wirtschaftsweise .
Wir müssen mit der Natur anders umgehen . Wir müssen
im Einklang mit der Natur leben; denn sonst wird dieser
Planet nicht überleben . Wir müssen in erster Linie die
natürlichen Kohlenstoffsenken, wie Wälder und Moore,
erhalten, auch in Deutschland . Es ist schwierig, wenn
man in Deutschland Moore abbaut und dann erklärt,
man muss tropische Regenwälder erhalten . Hier sind
wir nicht glaubwürdig . Das muss anders werden . Aber –
das ist eben angeklungen – die fossilen Rohstoffe, das
fossile Kohlendioxid, was wir in der Erde haben, wird
überwiegend in der Erde bleiben müssen . Das ist ein dra-
matischer Paradigmenwechsel . Das wird unsere gesamte
Rechtskultur verändern müssen . Nicht mehr der Abbau
von Rohstoffen ist wichtig für den Erhalt der Erde, son-
dern dass sie in der Erde bleiben . Dafür müssen wir ge-
meinsam streiten .
Für Deutschland gilt, dass wir im Jahr 2050 eine Voll-
versorgung aus erneuerbaren Energien brauchen . Das ist
vollkommen klar; denn sonst können wir die Klimaziele
nicht einhalten . Wir brauchen einen Stufenplan . Die-
ser Stufenplan muss so gemacht werden, dass wir die
Menschen in den betroffenen Regionen mitnehmen . Es
ist eine Chance für den Strukturwandel, auch für neue
Industrien . Wenn ich die Stellungnahme des BDI höre,
dann kann ich nur sagen: Sorry, das ist strukturkonserva-
tiv, das wird uns allen nicht helfen .
Meine Damen und Herren, die Steinzeit ist nicht aus
einem Mangel an Steinen zu Ende gegangen . Das fos-
sile Zeitalter wird auch nicht an einem Mangel an Öl,
Gas und Kohle zu Ende gehen . Insofern ist das eine
optimistische Botschaft . Ich wünsche Ihnen allen frohe
Weihnachten und ein gutes neues Jahr . Wir werden dann
gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Klimaabkommen
hier in Deutschland dazu führt, dass wir uns weiter ver-
bessern und dass wir unseren Beitrag leisten, diese Erde
zu schützen .
Danke schön .
Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Dr . Thomas
Gebhart für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Einigung in Paris war historisch . Nach 20
Jahren Verhandlungen haben sich 195 Länder auf ein
verbindliches, weltweites Abkommen verständigt . Erst-
mals bekennen sich alle zum Klimaschutz, und erstmals
übernehmen alle Länder konkrete Verpflichtungen.
Ich war in den letzten Jahren bei den Konferenzen da-
bei . Wer beispielsweise Kopenhagen, Lima oder Durban
erlebt hat, weiß, wie unglaublich schwierig es ist, auf
dieser Ebene zu einer Einigung zu kommen: 195 Länder,
unterschiedliche Interessen, und es gilt das Einstimmig-
Klaus Mindrup
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514406
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(D)
keitsprinzip . Das macht diesen ganzen Prozess unglaub-
lich zäh . Das erklärt auch, warum in den vergangenen
Jahren der internationale Klimaschutz leider nur in einem
Schneckentempo vorangekommen ist .
Auf der Konferenz in Paris konnten wir nun spüren,
dass die Zeit für einen Durchbruch reif war . Wir konnten
spüren, dass es einen weitverbreiteten Willen gab, sich
endlich zu einigen – übrigens: auch der Handlungsdruck
ist in der Zwischenzeit gestiegen; der Klimawandel
schreitet voran –, und wir konnten erleben, dass viele Ak-
teure, insbesondere Staaten, vorangegangen sind, dass sie
den Druck erhöht haben . Dazu gehört auch Deutschland .
Deutschland hat eine sehr ambitionierte, aktive und vor
allem glaubwürdige Rolle gespielt . Auch bei den vielen
Gesprächen, die wir mit anderen Delegationen in Paris
wieder führen konnten, wurde uns bestätigt: Deutschland
hat ein hohes Ansehen im Bereich der internationalen
Klimaschutzpolitik .
Paris ist ein großer Fortschritt im Kampf gegen den
Klimawandel . Alle bekennen sich dazu, die Erderwär-
mung auf unter 2 Grad zu begrenzen . Staaten machen
Minderungszusagen . Es gibt eine regelmäßige Überprü-
fung, und Hilfen für die Entwicklungsländer sind zuge-
sagt . Jetzt könnte man einwenden: Vieles von dem, was
in den 29 Artikeln aufgeschrieben ist, ist vielleicht vage
oder weich formuliert . In der Tat, das ist so . Das zeigt
einmal mehr das, was wir hier schon oft gesagt haben:
Es gibt natürlich Grenzen dessen, was dieser einstimmi-
ge Verhandlungsprozess leisten kann . Ja, dieser Vertrag
alleine – so notwendig und wichtig er auch ist – löst die
Probleme selbstverständlich nicht . Aber – das ist der ent-
scheidende Fortschritt, das ist der Kern des Mehrwerts
des Abkommens von Paris – dieser Vertrag macht die
Richtung für die kommenden Jahre klar . Das ist der ei-
gentliche Gewinn .
Wir haben hier im Deutschen Bundestag vor zwei
Wochen gesagt: Paris ist nicht der Endpunkt, sondern ein
wichtiger Zwischenschritt . Heute stellt sich die Frage:
Was kommt nach Paris? Zunächst steht dieser Vertrag
nur auf dem Papier. Er muss jetzt zügig ratifiziert und
umgesetzt werden . Die Staaten müssen Maßnahmen er-
greifen, um die vereinbarten Ziele zu erreichen . Das wird
kein Selbstläufer . Ich bin überzeugt, das wird am ehesten
und umso besser gelingen, desto mehr wir es schaffen,
Klimaschutz und wirtschaftliche Prosperität in Einklang
zu bringen . Ambitionierter Klimaschutz und eine star-
ke Wirtschaft dürfen eben keine Gegensätze sein . Der
Schlüssel dazu liegt in neuen Technologien: erneuerba-
re Energien, Effizienztechnologien, eine moderne und
nachhaltige Landwirtschaft – hier ist Deutschland übri-
gens beispielgebend –,
neue Technologien, die es ermöglichen, aus Abfällen
wieder Rohstoffe zu machen, und mehr Recycling . Das
spart CO2 und schafft Arbeitsplätze .
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns also bit-
te nicht rückwärtsgewandt diskutierten im Sinne von
Verzichten, Einschränken oder gar Deindustrialisieren .
Nein, meine Damen und Herren, lassen Sie uns nach
vorne gerichtet diskutieren im Sinne von Fortschritt und
Entwicklung . Setzen wir auf Innovation, Forschung und
Entwicklung . Das ist doch gerade für Deutschland mit all
den Ingenieuren und Entwicklern, mit den Forschungs-
einrichtungen, mit den vielen kleinen, mittleren und gro-
ßen Unternehmen, mit all der Innovationskraft, die wir in
unserem Land haben, die ganz große Chance . Nutzen wir
die Chancen, die in dem Abkommen von Paris liegen .
Setzen wir genau dafür einen klugen politischen Rahmen .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Arno Klare
von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wis-
sen, dass Wissenschaftler, zumal Naturwissenschaftler,
nicht zu verbaler Pathetik und großem emotionalem En-
thusiasmus neigen . Wenn dann aber Forscher des Pots-
dam-Instituts für Klimafolgenforschung auf ihrer Inter-
netseite schreiben: „Das“ – sie meinen den Vertrag von
Paris – „ist ein Wendepunkt, an dem die große Transfor-
mation zur Nachhaltigkeit beginnt“, dann ist das immer
noch nicht die große Pathetik, zu der ein Pfarrer zum Bei-
spiel in der Lage wäre,
aber das macht deutlich, welch ein Riesenerfolg Paris
war .
Ich erinnere mich: Als die Umweltdebatte Ende der
70er-Jahre wirklich Fahrt aufnahm, haben uns einige
Leute, zum Beispiel Frederic Vester und andere, gelehrt,
dass wir systemisch zu denken haben . Das war den meis-
ten von uns damals völlig fremd . Ich fand es immer sehr
faszinierend, über Wirkungsketten, über Rückkopplungs-
schleifen und Regelkreise nachzudenken, also sozusagen
kybernetisch zu denken . Dass dieses Paradigma im Ver-
trag von Paris völkerrechtlich verbindlich geworden ist,
das ist ein unglaublicher Erfolg .
Matthias Miersch hat es eben angesprochen: Der Sek-
tor Verkehrspolitik, für den ich spreche, ist in der Tat ein
bisschen das Sorgenkind der Klimapolitik .
Dr. Thomas Gebhart
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14407
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– Ja, das war jetzt ein bisschen untertrieben; ich weiß ja,
wovon ich spreche .
Die Anzahl der Personenkilometer nimmt weltweit dra-
matisch zu . Gleichwohl ist es uns technisch gelungen,
den CO2-Ausstoß, den Treibhausgasausstoß pro Perso-
nenkilometer deutlich zu senken . Wenn die absolute Zahl
aber steigt – und die steigt; das ist so –, dann werden na-
türlich keine substanziellen Werte eingespart . Das ist ein
riesiges Problem . Deshalb ist das, was Barbara Hendricks
hier eben gesagt hat, richtig: Nach diesem Vertrag dür-
fen wir nicht aufhören . Ab heute müssen wir richtig hart
dafür arbeiten, dass die Werte sinken . Wir müssen welt-
weit eine Mobilität organisieren, die CO2-neutral und
THG-neutral funktioniert . Das ist das große Ziel .
Mir fallen ein paar kleine Beispiele ein, die ich auf-
grund der Kürze meiner Redezeit nur anreißen kann .
In den nächsten Jahren wird im Rahmen der interna-
tionalen Luftfahrtorganisation, ICAO, zu überlegen sein,
wie ein Offsettingsystem aussehen kann, wie man ein
karbonneutrales Wachstum hinbekommen kann . Ich bin
guter Hoffnung, dass das vor dem Hintergrund des Pa-
riser Abkommens – das ist die richtige Basis – gelingen
kann . Die Bundesregierung ist aufgefordert, dabei mas-
siv aufzutreten und genau das zu fordern .
Auf der Seite der Seeschifffahrt brauchen wir ein ganz
ähnliches Verfahren . IMO heißt die zuständige Organi-
sation . Das, was bei der Seeschifffahrt verfeuert wird,
sozusagen der Rest, den keiner mehr haben will, nämlich
Schweröl, ist mit das Schlimmste, was man überhaupt
verfeuern kann . Es wäre gut, wenn es gelingen würde,
auf dieser Ebene ein ähnliches Verfahren wie auf der
ICAO-Ebene anzustoßen . Das wäre eine ganz wichtige
Initiative .
Hier vor Ort müssen wir es schaffen, dass die einge-
fleischten Automenschen in den Umweltverbund einstei-
gen und davon begeistert sind . Dafür muss der Umwelt-
verbund natürlich komfortabler werden . Ich nenne Ihnen
ein paar etwas exotische Beispiele .
Es muss so etwas geben wie ein E-Ticket von Gar-
misch-Partenkirchen bis Herne-Baukau . Jetzt weiß kei-
ner, wo Herne-Baukau liegt . Ich weiß das, und einige
andere werden das auch wissen . Es gibt andere Orte, wo
es auch schön ist .
Wir brauchen wirkliche Tür-zu-Tür-Verbindungen im öf-
fentlichen Personennahverkehr . Die müssen wir organi-
sieren . In diesem Zusammenhang ist Carsharing ein ganz
wichtiges Stichwort . Wir müssen in der Stadtplanung die
Raumplanung, die Verkehrsplanung und die Mobilitäts-
planung zusammen denken .
Wir müssen in der Stadt der Zukunft Arbeiten und Woh-
nen wieder zusammenbringen .
Wir brauchen eine Stadt der kurzen Wege, damit Ziele
fußläufig erreichbar sind.
Das alles sind Aufgaben, die weit über das hinauswei-
sen, was in dem Pariser Vertrag steht . Das sind neue Zie-
le . Ich bin relativ sicher, dass wir all diese Ziele verfolgen
werden und dafür Sorge tragen werden, dass irgendwann
nach mir irgendwelche Menschen hier stehen werden
und sagen können: Genau das ist erreicht worden .
Danke schön .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Peter Stein für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! 150 Jahre Industrialisierung haben ihre Spuren
hinterlassen . 150 Jahre Industrialisierung haben in die
Erde Narben geschlagen und Löcher in die Atmosphä-
re . Wir haben nicht weitere 150 Jahre Zeit, daran etwas
zu ändern . Seit etwa 20 Jahren haben wir Erkenntnisse,
die wir vorher nicht hatten . Vor 20 Jahren, im Jahr 1995,
fand hier in Berlin die erste Weltklimakonferenz statt .
Die damalige Umweltministerin der deutschen Bundes-
regierung hieß Angela Merkel . Sie war eine der treiben-
den Kräfte . Sie hat schon damals, vor 20 Jahren, darum
gekämpft, dass verbindliche Ziele, verbindliche Zahlen
in diese Verträge aufgenommen werden . Das wirkt zum
Glück bis heute, bis zu dem Ergebnis von Paris, nach .
Heute ist Angela Merkel unsere Bundeskanzlerin . 20
Jahre danach können wir sagen, dass der Klimaschutz für
sie zu einer politischen Lebensaufgabe geworden ist . Ich
glaube, wir können uns an dieser Stelle bei ihr dafür be-
danken . Wir können uns aber auch bei allen anderen Um-
weltministern der deutschen Bundesregierungen danach,
bis hin zu Barbara Hendricks, dafür bedanken, dass sie in
dieser Tradition stehend immer unsere Position, unsere
Technologieführerschaft, aber auch unsere Ideale stark
eingebracht haben . Das waren maßgebliche Beiträge, die
dazu geführt haben, dass wir diese guten Ergebnisse in
Paris erreichen konnten .
Eingangs der Konferenz hat Barack Obama zwei Sät-
ze gesagt, die ich sehr einprägsam fand . Er hat gesagt:
Wir sind die erste Generation, die jetzt erleben muss, wie
mit den Folgen klargekommen werden muss . Aber wir
Arno Klare
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514408
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(D)
sind auch die letzte Generation, die daran noch etwas
ändern kann . – Ich glaube, das gilt nicht nur für die Kli-
mafragen, die jetzt zur Debatte standen und verhandelt
wurden, sondern das gilt für vieles, was wir derzeit auf
unserem Globus erleben .
Das Jahr 2050 ist in diesem Zusammenhang schon ge-
nannt worden . Es ist das Ziel, bis zu dem eine bestimm-
te Grenze von CO2-Ausstoß nicht überschritten werden
darf . 2050 ist nicht mehr lange hin . Das werde ich hof-
fentlich noch erleben; dann werde ich 82 sein . Viele von
Ihnen werden es auch erleben . Ich wünsche auch vielen,
gerade den Jüngeren, dass sie es auch politisch noch er-
leben werden, diese Rendite einzufahren . Wenn ich von
Rendite spreche, möchte ich darauf hinweisen, dass die
deutsche Bundesregierung gerade den Klimafinanzie-
rungsbeitrag von 2 Milliarden auf 4 Milliarden Euro
verdoppelt . Die deutsche Bundesregierung hat zugesagt,
bis zum Jahre 2020 10 Milliarden Dollar bereitzustellen .
Das sind im Rahmen der internationalen Zusagen 10 Pro-
zent allein aus Deutschland . Ich glaube, das ist es allemal
wert, hervorgehoben zu werden .
Die Botschaft, die von Paris ausgeht, ist vielleicht
ganz platt gesagt: Wir müssen da jetzt durch . Das ist
vereinbart . Wir wissen, wohin die Reise gehen muss und
wohin sie gehen wird, wenn wir den verabredeten Weg
nicht gehen . – Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass es
eine Querschnittsaufgabe ist . Es ist nicht nur die Aufgabe
eines einzelnen Ministeriums, einer einzelnen Regierung
oder eines einzelnen Staates, sondern es ist, so wie es
vereinbart worden ist, Aufgabe von allen 196 Staaten
dieser Erde .
Unser Beitrag dazu kann nicht nur das Zahlenwerk
sein, das wir liefern, sondern, ich glaube, auch das, was
wir beispielsweise im Bereich des Technologietransfers
liefern können, ist deutlich hervorzuheben . Es wurde
heute schon mehrfach angesprochen: Der Mehrwert, der
entsteht, ist nicht nur auf der ökologischen und der Kli-
maschutzseite zu suchen, sondern durchaus auch auf der
ökonomischen Seite . Es ist ja nicht verwunderlich, dass
wir sehen, dass erste Versicherungen und erste Pensi-
onsfonds aus Finanzierungsprogrammen aussteigen, die
sich ausschließlich mit fossilen Rohstoffen beschäftigen,
und in Finanzierungsprogramme einsteigen, die sich mit
nachhaltiger und erneuerbarer Energie befassen .
Ich glaube, der Einstieg und auch die Mitnahme un-
serer Wirtschaft sind wichtig . Das ist vielleicht etwas
anderes als das, was sich die Linke vorstellt . Wir müs-
sen unsere Wirtschaft mitnehmen, die übrigens schon in
Teilen auf einem besonderen Weg ist . Diesen Schwung,
diese Dynamik mitzunehmen, das ist unser aller Anlie-
gen . Das müssen wir unterstützen, und das unterstützen
wir . Die Bundesregierung hat viele Programme gefahren,
auch querschnittsorientiert und in vielen Häusern . Auch
das ist nicht nur in einem Haus angesiedelt . Ich glaube,
das ist der Weg, den wir als Parlament begleiten wollen
und werden . Wir werden auch in vielen Ausschüssen da-
rüber debattieren .
Noch ganz kurz – ich komme an das Ende meiner Re-
dezeit –: Als Obergrenze der weiteren Erwärmung sind
1,5 Grad vereinbart . Draußen haben wir im Moment
17 Grad, 15 Grad, und das am 17 . Dezember . Ich glaube,
all denjenigen, die heute noch über Verschwörungstheo-
rien sprechen, wenn es um den Klimawandel geht, muss
gesagt sein: Es gehört eigentlich verboten, über den Kli-
mawandel noch so zu reden, als würde er nicht stattfin-
den. Er findet statt. Ich muss nur in meinen Garten schau-
en, um das zu sehen . Es ist der dritte Winter in Folge, in
dem im Dezember die Apfelbäume ihre Knospen tragen .
Ich glaube, das sagt alles .
Ich wünsche uns eine hoffentlich nicht nur grüne
Weihnachtszeit – vielleicht gibt es doch noch eine weiße
Weihnacht, wie wir alle es uns wünschen – und ein ge-
segnetes Fest .
Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Matern von Marschall für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort .
Verehrte Frau Präsidentin, vielen herzlichen Dank!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluss dieser
Debatte habe ich natürlich jetzt auch die Gelegenheit, auf
einige Punkte einzugehen, die mir nicht so gut gefallen .
Verehrte Kollegin Leidig, Ihre geradezu apokalyptische
Bewertung dieses Vertrages teile ich natürlich nicht, und
zwar insbesondere deswegen nicht, weil schon in Arti-
kel 2 „eradicate poverty“ als ein Grundsatz genannt ist,
dem dieser ganze Vertrag dienen soll . Die Einbettung
dieses Vertrages in die globale Nachhaltigkeitsstrate-
gie, die erst wenige Wochen zuvor in New York von den
Vereinten Nationen angenommen worden ist, zeigt doch
das Wesen dieses Vertrages . Er steht nicht außerhalb und
schaut etwa nur operativ auf Reduktionsziele, sondern
bindet sich insgesamt in die globale Nachhaltigkeitsstra-
tegie, die sogenannten Sustainable Developement Goals,
ein .
Da danke ich gerade dem Ministerium für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit sehr herzlich, weil es, zusammen
mit Ministerin Hendricks, auch und gerade diesen As-
pekt in die Verhandlungen eingebracht hat und weil im
Aufwuchs der Mittel des BMZ auch nennenswerte Auf-
wuchsmittel für den Klimaschutz und zur Anpassung an
den Klimawandel enthalten sind . Insofern ist dieses Kon-
zept schlüssig und sozial, wirtschaftlich und ökologisch
sehr gut ausbalanciert .
Ich denke, wir sollten außerdem – ganz wichtig – die
Rolle der Europäischen Kommission in diesem Zusam-
menhang betrachten . Vielleicht waren nicht alle von uns
von Anfang an überzeugt, dass Kommissar Cañete hier
eine beherzte Verhandlung führen würde . Aber ich glau-
be, die Kolleginnen und Kollegen, die beim Briefing der
Kommission dabei waren, haben den Kommissar dort als
Peter Stein
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14409
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außerordentlich energisch und durchsetzungsstark erlebt .
Das ist ja ganz beachtlich .
Wir werden die diesbezügliche Arbeit der Kommis-
sion natürlich auch und gerade jetzt mit Blick auf die
Zukunft sehr genau im Auge behalten . Auf dem Europäi-
schen Rat, zu dem die Bundeskanzlerin heute gereist ist,
wird morgen unter, ich glaube, Punkt 7 die Zukunft der
Energieunion – wörtlich – mit einer „zukunftsorientier-
ten Klimapolitik“ verknüpft .
Die Kommission soll bis März des kommenden Jahres
Pläne vorlegen, wie dies miteinander verbunden werden
kann .
Ich bin ziemlich sicher, dass in diesem Zusammen-
hang die Wirtschaftspolitik eine maßgebliche Rolle spie-
len wird, das heißt eine Wirtschaftspolitik, die saubere
Technologien befördert, die forschungsbasiert ist, die
technologieoffen ist und die in Zukunft nicht nur die
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, sondern auch die
Wettbewerbsfähigkeit anderer europäischer Länder wird
stärken können .
Insofern ist auch das ein nicht unbeachtlicher Beitrag zur
Nachhaltigkeit, auch bei uns .
Ich möchte zum Schluss noch auf einen Punkt einge-
hen . Der BDI ist hier für Äußerungen im Zusammenhang
mit dem Klimavertrag kritisiert worden . Wir waren auf
Einladung des deutschen Botschafters im wunderbaren
Palais Beauharnais in Paris; der Empfang dort ist ja zu-
sammen mit dem BDI ausgerichtet worden . Ich habe mit
einem Manager von Siemens gesprochen . Wenn Sie sich
einmal die Geschäftsfelder und die Strategie von Sie-
mens ansehen, stellen Sie fest: Das ist ein fast nur auf
Nachhaltigkeit ausgerichtetes Portfolio, also eine im We-
sentlichen auf die Zukunft der sauberen Technologien
und eines CO2-armen und schließlich -freien Zeitalters,
in das wir mit diesem Vertrag eintreten, ausgerichtete
Strategie .
Ich glaube, die Versöhnung zwischen Wissenschaft,
Wirtschaft und dem ethischen Ansatz, dem ja auch die
SDGs folgen – ich erinnere an die diesbezüglich sehr
lesenswerte Enzyklika „Laudato si…“ des Papstes –, ist
sehr gut gelungen . Insofern gibt es keine Gräben zwi-
schen der Wirtschaft und sozialen Aspekten, auch wenn
sie von der linken Seite des Parlaments gelegentlich
aufgerissen bzw . zumindest nicht zugeschüttet werden .
Wenn ich an die Adventszeit denke, sehe ich, dass hier in
der Tat nicht ein Türchen, sondern ein Tor in eine gute,
CO2-freie Zukunft geöffnet wird .
Danke sehr .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, die
Aktuelle Stunde ist beendet .
Da wir über ein wirklich historisches Abkommen dis-
kutiert haben, war die Präsidentin bei der Redezeit etwas
großzügig . So großzügig werden wir bei den folgenden
Debatten nicht mehr sein können . Ich sage das gleich von
Anfang an . Aber ich denke, das wurde dem Thema ge-
recht .
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast alle
Plätze sind getauscht . Ich bitte die Klimaschützerinnen
und -schützer, sich entweder hinzusetzen und zuzuhören
oder ihre Gespräche woanders fortzusetzen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung
des Rechts der Syndikusanwälte
Drucksache 18/5201
– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der
Syndikusanwälte
Drucksache 18/5563
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
Drucksache 18/6915
Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz auch Änderungen der Finanzgerichtsord-
nung .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Niemand wi-
derspricht . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe zuerst Christian
Flisek für die SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegin-
nen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für die über
40 000 Syndikusanwälte in Deutschland; denn heute re-
geln wir nicht nur erstmals das Berufsbild dieser Perso-
nengruppe, sondern heute stellen wir auch die Altersver-
sorgung dieser Unternehmens- und Verbandsanwälte auf
eine sichere und planbare Grundlage .
Anlass für das heutige Gesetzgebungsverfahren waren
Urteile des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2014 .
Diese Urteile waren ein gewaltiger Paukenschlag, wurde
doch die über Jahre bewährte Befreiungspraxis der ge-
setzlichen Rentenversicherung von einem Tag auf den
Matern von Marschall
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514410
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nächsten für unzulässig erklärt . Diese Große Koalition
hat hieraufhin in einer intensiven, aber zügigen Debatte
eine Lösung erarbeitet, die diese Unsicherheiten besei-
tigt .
Meine Damen und Herren, ich möchte es hier auch
in aller Deutlichkeit sagen: Es war der Bundesminister
der Justiz, Heiko Maas, der mit seinem vor knapp ei-
nem Jahr vorgelegten Eckpunktepapier von Anfang an
die Weichen richtig gestellt hat . Die von einigen Seiten
geforderte große sozialrechtliche Lösung wäre weit über
das Ziel hinausgeschossen, und sie hätte damit auch ein
Fass ohne Boden aufgemacht . Ich traue mich auch, zu sa-
gen: Wir würden hier heute einen solchen Gesetzentwurf
mit Sicherheit nicht in zweiter und dritter Lesung beraten
können, wären wir diesen Weg gegangen .
Nein, es war gut, dass wir uns auf das beschränkt ha-
ben, was die Urteile unbedingt erforderten, nämlich eine
Regelung im Berufsrecht der Rechtsanwälte selbst . Nur
so konnte sichergestellt werden, dass dieses Gesetz auch
zum nächstmöglichen Termin, nämlich am 1 . Januar
2016, in Kraft treten kann, vorausgesetzt, der Bundesrat
stimmt ihm in seiner morgigen Sitzung unverändert zu .
Als Berichterstatter der SPD möchte ich daher die
Gelegenheit nutzen, mich beim Bundesministerium der
Justiz und für Verbraucherschutz für die hervorragende
Zusammenarbeit von Anfang an zu bedanken . Nur so
konnten wir in kurzer Zeit zu einer Lösung kommen,
die auf die Zustimmung der Vertreter der Bundesrechts-
anwaltskammer, des Deutschen Anwaltvereins und der
Deutschen Rentenversicherung trifft .
Mein ausdrücklicher Dank gilt auch dem Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales . Sie haben mit Ih-
rer konstruktiven Haltung einen großen Anteil daran,
dass wir nun zu einer so guten Lösung gekommen sind,
und ich möchte in meinen Dank ausdrücklich auch die
Parlamentarischen Staatssekretäre der beiden Häuser,
Herrn Staatssekretär Lange und Frau Staatssekretärin
Lösekrug-Möller, einbeziehen .
Drei Dinge aus dem Gesetzentwurf möchte ich her-
vorheben:
Erstens . Mit einer großzügigen Übergangsregelung
von 36 Monaten haben wir den über 45-jährigen Syn-
dikusanwälten eine Brücke gebaut, um sich gegebenen-
falls rückwirkend von der Pflicht zur Versicherung in
der Rentenversicherung befreien zu lassen . Das ist keine
Selbstverständlichkeit; denn grundsätzlich ist das kein
Problem des Bundesgesetzgebers, sondern diese Art der
Altersdiskriminierung – man muss es so nennen – muss
in den Statuten der Versorgungswerke angegangen wer-
den . Gleichwohl haben wir darauf gedrängt, die über
45-Jährigen nicht ins kalte Wasser fallen zu lassen, und
ich glaube, das ist auch sehr gut gelungen .
Zweitens . Damit verbunden ist auch, dass wir voraus-
schauend eine Evaluierung drei Jahre nach Inkrafttreten
dieses Gesetzes eingefordert haben . Wir werden das Zu-
sammenspiel der Kammern, der Versorgungswerke und
der Rentenversicherung mit Augenmaß beobachten und
hier nach Ablauf von drei Jahren notfalls weitere Schlüs-
se ziehen .
Drittens. Auf das Erfordernis einer Berufshaftpflicht-
versicherung für die Tätigkeit der Syndikusanwälte wird
verzichtet . Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass Syn-
dikusanwälte in Unternehmen im Gegensatz zu sonstigen
Anwälten in der Regel nur ihre Arbeitgeber beraten .
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss .
Wir beschließen heute ein in jeder Hinsicht gelungenes
Gesetz . Ein positiver Nebeneffekt dieser Debatte ist, dass
durch die Reihen der Syndikusanwälte ein Ruck gegan-
gen ist und sie jetzt endlich erkannt haben, dass sie sich
in den Kammern der anwaltlichen Selbstverwaltung ver-
stärkt engagieren müssen . Ich glaube, auch dieser Effekt
ist zu begrüßen .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Christian Flisek . – Der nächste Redner:
Harald Petzold für die Linke .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zum zweiten Mal in diesem Jahr diskutieren wir
heute die Neuregelung des Rechts für Syndikusanwälte .
Syndikusanwälte, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren auf den Besuchertribünen, sind Rechtsanwälte, die
bei Unternehmen abhängig beschäftigt sind,
sich rechtlich also in einem ganz normalen Arbeitsver-
hältnis befinden.
Viele von ihnen haben in der Vergangenheit in die so-
genannten Rechtsanwaltsversorgungswerke eingezahlt,
wenn sie Rentenansprüche erwerben wollten . Die Deut-
sche Rentenversicherung, also die gesetzliche Rentenver-
sicherung, hat von ihnen dann verlangt, dass sie als ganz
normale Arbeitnehmer in die gesetzliche Rentenversi-
cherung einzuzahlen haben, so wie das wahrscheinlich
die Mehrzahl von Ihnen tut . Das hat natürlich zu Streit
geführt, und es gab Gerichtsverfahren . Das Bundessozi-
algericht hat geurteilt, dass ganz normale Arbeitnehmer
in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen ha-
ben. Ich finde, das ist ein normaler Vorgang, und er findet
auch die Unterstützung der Linken .
Die Rechtsanwaltsversorgungswerke waren damit
natürlich nicht einverstanden, weil ihnen dadurch eine
ganze Menge an Beitragszahlern verloren gegangen sind .
Sie hätten erleben müssen, was dann an Lobbytätigkeit
passiert ist! Auf fast jedem Fachkongress, bei dem es
um Rechtsfragen ging, sind dort Vertreter dieser Versor-
gungswerke aufgetaucht und haben auf dort anwesende
Bundestagsabgeordnete Einfluss genommen, unter an-
Christian Flisek
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14411
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derem auch auf anwesende Anwaltsvertreter, und haben
gesagt: Das muss dringend geändert werden .
Mit ihrem Anliegen sind sie bei der Großen Koalition
auf offene Ohren gestoßen . Die Große Koalition hat also
einen Gesetzentwurf vorgelegt, parallel dazu hat auch
die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt .
Dreimal dürfen Sie raten, was in diesen Gesetzentwür-
fen vorgeschlagen worden ist – der Kollege Flisek hat
es uns gerade referiert –: Richtig, Bingo! Ab sofort – es
gibt natürlich Übergangslösungen – wird wieder in die
Rechtsanwaltsversorgungswerke eingezahlt .
Der Vertreter der sozialdemokratischen Bundestags-
fraktion spricht vom kalten Wasser und meint damit of-
fensichtlich die gesetzliche Rentenversicherung . – Wir
können uns sicher sein: Damit werden der gesetzlichen
Rentenversicherung eine ganze Reihe gutverdienender
Beitragszahler entzogen .
Das nennt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion
einen guten Tag . Ich kann nur sagen: Das ist ein schlech-
ter Tag für die gesetzliche Rentenversicherung .
Die Linke sagt: Wir lehnen diese Privilegierung ein-
zelner Berufsgruppen ganz konsequent ab . Wir fordern
eine solidarische Erwerbstätigenversicherung für alle,
auch für Selbstständige, für Anwälte, für Ärzte, für Bun-
destagsabgeordnete, für Politiker . Wir wollen, dass es
eine starke solidarische Gemeinschaft gibt und die soli-
darische Beitragsgemeinschaft eine breite Basis hat .
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Herrn Flisek?
Jederzeit, natürlich .
Vielen Dank, Herr Kollege Petzold . – Weil Sie hier
immer von einer Privilegierung sprechen, möchte ich
Sie fragen: Ist Ihnen bewusst, dass der historische Hin-
tergrund dieser Versorgungswerke für die freien Berufe
nicht der ist, dass man irgendwelche Privilegien schaffen
wollte, sondern dass das eine Art Nothilfe der freien Be-
rufe war? Man hat ihnen nämlich über Jahre verwehrt, in
die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen .
Sie haben das in Ihrer Frage schon richtig angelegt:
Das ist ein Vorgang aus der Vergangenheit . Wir sagen:
Wir haben eine neue Zeit, und wir haben eine Entwick-
lung, die es erfordert und auch möglich macht, dass wir
eine gemeinsame Rentenversicherung für alle haben . Das
ist unser Anspruch, und dabei bleiben wir .
Ich kann Ihnen wiederum nur sagen: Ich bin befrem-
det davon, dass das ausgerechnet von der sozialdemokra-
tischen Bundestagsfraktion und ihrem Berichterstatter zu
diesem Gesetzentwurf als guter Tag für die Syndikusan-
wälte bezeichnet wird . Dem kann ich nicht folgen .
Der zweite Grund, warum wir gegen den Gesetzent-
wurf sind, ist, dass die geplante Vertretungsverbotsrege-
lung, die früher eine konsequente Verbotsregelung war,
dies in Zukunft nicht mehr wirklich sein wird . Jetzt wer-
den sich die Besucherinnen und Besucher wahrschein-
lich wieder fragen, was das ist . Es ist gesetzlich geregelt,
dass ein Syndikusanwalt, also ein Anwalt, der in einem
Unternehmen angestellt ist, nicht auch noch die Rechts-
vertretung vor einem Gericht übernehmen darf .
Nun wird die Koalition sicherlich sagen, dass sie das
geregelt hat, weil sie in den Gesetzentwurf aufgenommen
hat, dass nicht beides durch die gleiche Person wahrge-
nommen werden darf . Das wird auch möglicherweise so
sein . Aber für viele sind die Arbeitsrechtsverhältnisse so
geregelt, dass sie zum Beispiel 30 Stunden als Syndikus-
anwalt in einem Unternehmen beschäftigt sind und dort
tagsüber einen Schriftsatz für das Unternehmen erstellen,
und dann gehen sie in ihre eigene Anwaltskanzlei und
setzen unter den Schriftsatz, der vor Gericht sozusagen
die Grundlage für die Rechtsposition des Unternehmens
bildet, den Stempel ihrer Anwaltskanzlei, und dann wird
doch wieder alles von der gleichen Person gemacht .
Insofern sagen wir: Das, was Sie in Ihrem Gesetzent-
wurf vorgesehen haben, wird keine Vertretungsverbots-
regelung mehr sein . Sie werden den Stempelanwalt wie-
der einführen . Deswegen lehnen wir den Gesetzentwurf
ab und sagen: Das Vertretungsverbot muss nach der bis-
herigen Regelung dringend fortgeführt werden .
Ich komme zum Schluss . Wie gesagt, wir haben im
Juni die erste Beratung des Gesetzentwurfs durchge-
führt . Sie haben sehr viel Energie in die Umsetzung
dieser gesetzlichen Regelungen gesteckt . Ich hätte mir
zumindest von der SPD-Fraktion gewünscht, dass we-
nigstens der gleiche Eifer, die gleiche Energie und die
gleiche Kraft angewendet würden, um beispielsweise das
in der 17 . Wahlperiode verschärfte Prozesskostenhilfe-
und Rechtsberatungsrecht wieder zu entschärfen, damit
normale Bürgerinnen und Bürger, um die es eigentlich
auch gehen sollte – wenigstens auch –, zu ihrem Recht
kommen, statt sie mit bürokratischen Hürden zu konfron-
tieren, die sie davon abhalten, ihr Recht wahrnehmen zu
können . Damit würden wir tatsächlich eine Leistung
vollbringen . In diesem Sinne werden wir den Gesetzent-
wurf ablehnen .
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
Harald Petzold
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514412
(C)
(D)
Vielen Dank, Kollege Petzold . – Nächste Rednerin:
Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Frak-
tion .
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Lieber Herr Petzold, Sie haben eben einiges in einen
Topf geworfen, was wirklich nicht zusammengehört . Ich
kenne kein Land – das muss ich ausdrücklich sagen –, in
dem der Zugang zum Gericht und zum Recht für jeden
Bürger so einfach gestaltet und so offen ist wie bei uns .
Davon ist vor allem dann die Rede, wenn wir über andere
Länder reden und Kollege Ströbele immer die Zustände
in Deutschland lobt . Dass es da irgendeinen Nachhol-
bedarf für Deutschland gäbe, können Sie wirklich nicht
behaupten .
Das hat mit dem Gesetzentwurf gar nichts zu tun .
Wir verabschieden heute eine Regelung zur Altersver-
sorgung von Syndikusanwälten und zu ihrer Stellung
insgesamt . Das betrifft nicht nur die 40 000 Anwälte, die
zum Beispiel in Unternehmen, Verbänden, kommunalen
Organisationen oder Gesellschaften oder auch in Ge-
werkschaften tätig sind, sondern es geht darüber hinaus
um den Wirtschaftsstandort Deutschland . Es geht darum,
dass diese Syndizi eine ganz wesentliche Funktion für
das Gelingen bzw . für ein gutes Wirtschaften und vor
allem dafür haben, dass das Recht in die Unternehmen
getragen wird .
Sie sind ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Es
ist gerade der Unterschied zu einem normalen Arbeitneh-
mer, Herr Petzold, dass sie nicht allein in der Hierarchie
ihres Unternehmens ihren Platz haben, sondern dass sie
darüber hinaus bei ihrer Rechtsanwaltskammer einen Eid
geschworen haben, dass sie für die Durchsetzung des
Rechtes sorgen . Sie sind also nicht nur einem Arbeitge-
ber zur Treue verpflichtet, sondern darüber hinaus auch
selbstständig und in einem besonderen Maße unabhän-
gig . Gerade das macht auch ihren Wert aus, gerade jetzt,
in einer Zeit, in der wir immer höhere Anforderungen
an die Unternehmen stellen, etwa was Selbstkontrolle,
Good Governance oder Compliance betrifft . Wir ver-
schärfen die Regeln betreffend Korruption, Vergaberecht
und Datenschutz . All das muss nachvollzogen werden .
Dafür braucht man dann den Sachverstand der Syndikus-
anwälte in den Unternehmen .
Ein weiterer Vorteil der Syndizi ist, dass sie typi-
scherweise in ihrem beruflichen Werdegang wechseln,
von der Arbeit in einer Kanzlei zu einer Tätigkeit in der
Wirtschaft; dass sie auch in der Wirtschaft wechselnde
Positionen einnehmen und dann wieder rein anwaltliche
Tätigkeiten ausüben . Das hat einen Mehrwert, der darin
besteht, dass die Betreffenden besondere Erfahrungen
haben . Sie kennen die Materie nicht nur aus einer Rich-
tung, sondern wissen auch um die Zusammenhänge . Das
ist ein besonderer Vorteil gerade dieses Berufsstands .
Wesentlich für den Berufsverlauf eines Syndikusan-
waltes ist ebenfalls, dass es zu einer bruchlosen Altersver-
sorgung kommen kann . Die Syndizi sind genauso wie
andere Arbeitnehmer darauf angewiesen, in ihrer aktiven
Berufsphase die Grundlage für eine gute Altersversor-
gung zu legen . In der Vergangenheit wurde dies dadurch
gewährleistet, dass die Syndizi, die in ihren Versorgungs-
werken versichert sind, dann, wenn sie in eine abhän-
gige Beschäftigung wechselten, von der Zahlung von
Rentenversicherungsbeiträgen befreit wurden, wenn sie
bestimmte Kriterien erfüllten . Rechtsberatung, Rechts-
gestaltung, Rechtsentscheidung und Rechtsvermittlung
waren die sogenannten vier Kriterien, die die Tätigkeit
kennzeichneten . Wenn diese erfüllt wurden, konnten
die Rechtsanwälte weiterhin in ihrem Versorgungswerk
versichert sein und so ihre Altersversorgung ohne Bruch
fortsetzen, eine bewährte und anerkannte Praxis . Deshalb
war es in der Tat sehr überraschend und traf diesen Be-
rufsstand geradezu ins Mark, als das Bundessozialgericht
das anders entschieden hat . Das hatte erhebliche Nach-
teile für die Betroffenen . Für diese war der zwangsweise
Wechsel in die Rentenversicherung verbunden mit einem
Wegfall der Berufsunfähigkeitsversicherung und neuen
Wartefristen . Es ist nicht so einfach, mitten in der be-
ruflichen Karriere und im besten Alter neu anzufangen
und Altersversorgungsansprüche aufzubauen . Das ist ein
Nachteil . Ich wundere mich, dass Sie das hätten in Kauf
nehmen wollen .
– Bestandsschutz gibt es nur dann, wenn man nicht wech-
selt, wenn man in seiner Funktion bleibt . Wechselt man
aber – das ist typisch für das Berufsbild –, dann muss
neu entschieden werden . Wir erleben zurzeit, dass es nie-
mand mehr wagt, zu wechseln . Viele Stellen bleiben un-
besetzt . Optionen werden nicht genutzt . Genau das, was
positiv ist, kommt zum Stillstand .
Ich bin vor diesem Hintergrund sehr froh, dass wir nun
die zur Abstimmung stehende Regelung in Kraft setzen .
Sie schafft Rechtssicherheit für 40 000 Syndikusanwäl-
te, die Versorgungswerke und insbesondere für dieje-
nigen, die schon Ansprüche erworben haben . Man darf
nicht vergessen, dass die bestehenden Ansprüche durch
das gedeckt werden müssen, was andere einzahlen . Zu-
gleich wird die Stellung des Syndikus im Unternehmen
gestärkt . Es wird klargestellt, dass er auch in seiner Tä-
tigkeit als Syndikus Rechtsanwalt ist und nicht nur dann,
wenn er nach Feierabend sonstige rechtsanwaltliche Tä-
tigkeiten ausübt . Auch die Arbeit in einem Unternehmen
entspricht der eines Rechtsanwalts .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14413
(C)
(D)
Uns, der Union, waren einige Punkte besonders wich-
tig .
Das hat zu erheblichen Abweichungen vom Regierungs-
entwurf geführt,
mit dem wir nicht in allen Punkten einverstanden waren .
Insofern muss ich das Lob, das Kollege Flisek ausge-
sprochen hat, ein bisschen relativieren . Aber das, was
wir heute verabschieden, ist jedenfalls gut . Damit kön-
nen wir zufrieden sein . Uns ist wichtig, dass die Rechts-
anwaltskammern entscheiden, ob die Voraussetzungen
einer anwaltlichen Tätigkeit vorhanden sind, und nicht
die Rentenversicherung, die dazu weniger berufen ist .
Die Rentenversicherung kann aber im internen Verfahren
ihre Bedenken geltend machen . Dass die Rechtsanwalts-
kammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts hier
allzu großzügig sind, möchte ich nach den Erfahrungen
in diesem Gesetzgebungsverfahren ausschließen . Hier
brauchen wir uns keine Sorgen zu machen . Das wird ob-
jektiv und nach Recht und Gesetz entschieden werden .
Für uns ist des Weiteren wichtig, dass es keine Än-
derungen im Vergleich zum Status quo ante bei Haftung
und Pflichtversicherung der Syndizi geben wird. Genau
diesen Punkt haben wir gegenüber dem Regierungsent-
wurf geändert . Wir haben lange überlegt, wo hier unge-
deckte Haftungsrisiken sind: Wir haben keine gefunden .
Wir gehen davon aus, dass die bewährte Praxis fortge-
setzt werden kann .
Wer fordert, dass hier Haftung und Versicherung zu-
sätzlich angeordnet werden müssen, der übersieht einige
Dinge: Es geht ja nur darum, dass der eigene Arbeitge-
ber vertreten werden muss . Anders als bei den Gebühren
eines unabhängigen Rechtsanwalts sind hier die Kosten
einer Versicherung gar nicht eingepreist . Wir hätten hier
also zwei Möglichkeiten: Entweder wir machen mit einer
zusätzlichen Belastung für Versicherungen den Berufs-
stand wieder unattraktiv – dann hätten wir uns das Gan-
ze ja auch sparen können –, oder aber der Arbeitgeber
müsste diesen Zusatzaufwand selber bezahlen, das heißt,
er müsste die Versicherung seiner Schäden eins zu eins
selber bezahlen . Auch das macht keinen Sinn .
Daher ist es doch konsequent, es gleich bei seiner eige-
nen Versicherung zu belassen .
Einige hatten das Bedenken, dass hier die Syndikus-
anwälte gegenüber den niedergelassenen Anwälten im
Wettbewerb bevorzugt werden . Ich glaube, umgekehrt
wird ein Schuh daraus: Gerade dann, wenn der Arbeitge-
ber in einem riskanten Verfahren eine zusätzliche Sicher-
heit haben will, wird das ein Wettbewerbsvorteil für den
unabhängigen niedergelassenen Rechtsanwalt sein, der
neben einer zweiten Meinung eben auch die unabhängi-
ge zusätzliche Versicherung einbringt . Wir haben deshalb
den Gesetzentwurf der Bundesregierung entsprechend
geändert .
Ein weiteres wichtiges Thema war die Frage, wie wir
mit dem Erfordernis des § 6 SGB VI umgehen, der das
Vorliegen einer Pflichtmitgliedschaft in einem Versor-
gungswerk voraussetzt . Das war ein bisschen kompli-
ziert; denn diese Pflichtmitgliedschaft endet in vielen
Ländern bei der Altersgrenze von 45 Jahren; die Versor-
gungswerke sind nach Ländern organisiert . Hier haben
wir den Ball jetzt an die Versorgungswerke der Länder
zurückgespielt . Ihnen obliegt jetzt die Aufgabe, diese
Grenze abzubauen . Wir halten diese Grenze in diesem
Zusammenhang für eine Altersdiskriminierung, die auch
europarechtswidrig ist . Auch das haben wir in die Be-
gründung ausdrücklich hineingeschrieben . Die Versor-
gungswerke und die Landesgesetzgeber haben jetzt drei
Jahre Zeit, um das zu korrigieren .
Sie haben keine Zeit mehr .
Ich habe keine Zeit mehr . – Ich habe aber noch die
Zeit, mir zu wünschen, dass wir uns diesen Ansatz zum
Vorbild für die anderen freien Berufe nehmen,
bei denen sich die gleichen Probleme abzeichnen . Für
sie sollten im Berufsrecht der jeweiligen Branchen gute
Lösungen gefunden werden . Ich denke, unsere Lösung
bietet sich hier als gutes Beispiel an .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker . –
Nächste Rednerin in der Debatte: Katja Keul für Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dieses Gesetzgebungsverfahren ist wieder
einmal symptomatisch für diese Große Koalition:
Elisabeth Winkelmeier-Becker
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514414
(C)
(D)
Im Sommer sind sich alle einig . Das Justizministerium
sagt: Daran wird nichts mehr geändert . Dann passiert lan-
ge gar nichts mehr, und am Ende wurde irgendein Deal
gemacht, weswegen ich meine Rede – ich hatte sie schon
vorbereitet – neu schreiben musste .
– Sie hätten die Zustimmung haben können; aber Sie ha-
ben die Chance verpasst .
Worum geht es? Wir wollten den Unternehmensjuris-
ten trotz des Urteils des Bundessozialgerichts den Weg
in die Versorgungswerke erhalten, soweit sie in ihrem
Unternehmen wirklich anwaltlich tätig sind . Bislang galt
nach der sogenannten Doppelberufstheorie – wir haben
es eben schon gehört –: Syndikusanwälte sind tagsüber
Angestellte und nur am Feierabend Anwälte, wenn sie
dafür bei der Kammer zugelassen sind . Deswegen hat das
Bundessozialgericht im April letzten Jahres entschieden,
dass für alle Syndikusanwälte künftig Beiträge zur ge-
setzlichen Rentenversicherung gezahlt werden müssen,
auch für diejenigen, die lange Jahre in ihrem Versor-
gungswerk versichert waren .
Dieser abrupte Rausschmiss war dann selbst aus grü-
ner Sicht kein angemessener Einstieg in das, was wir uns
unter einer Bürgerversicherung vorstellen .
Die Lösung war aber keineswegs trivial: Die Befreiung
sämtlicher verkammerten Anwälte im Sozialgesetzbuch
hätte keine Mehrheit bei den Sozialpolitikern gefunden,
und der Weg über das Berufsrecht war von Anfang an
nie völlig konsistent . Künftig soll es also so laufen, dass
sich die Kammern den Arbeitsvertrag bei der Zulassung
vorlegen lassen und prüfen, ob die Tätigkeit als Syndikus
eine anwaltliche ist oder nicht . Wo das nicht der Fall ist,
gibt es auch künftig keine Befreiung von der gesetzlichen
Versicherungspflicht. Klar ist auch: Nicht jede Sachbe-
arbeitung in einem Versicherungsunternehmen ist gleich
eine anwaltliche Tätigkeit . Entscheidend ist vielmehr, ob
jemand rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsgestal-
tend und rechtsvermittelnd tätig ist .
Unschön bleibt dabei jetzt allerdings, dass es künftig
zwei getrennte Zulassungen geben soll . Entweder man
ist als Syndikusanwältin oder als freiberufliche Anwäl-
tin zugelassen . Wer beides machen möchte, braucht zwei
gesonderte Zulassungen . Das hätte ich mir anders ge-
wünscht .
Dann ist da noch die Sache mit dem Vertretungsver-
bot . Die Syndikusanwältin darf ihren Arbeitgeber nicht
im Anwaltsprozess vertreten, damit der Prozessgegner
nicht benachteiligt wird, der sich nämlich erst eine An-
wältin auf dem freien Markt suchen und diese beauftra-
gen muss . Wenn sie aber eine zweite Zulassung als frei-
berufliche Anwältin hat, dann kann sie ihren Arbeitgeber
nach Feierabend und an freien Tagen vertreten . Ein ein-
heitliches und ausdrückliches Vertretungsverbot hätte für
mehr Klarheit gesorgt .
Trotz dieser Bedenken hätten wir Ihrem Gesetzent-
wurf vom Sommer noch unsere Zustimmung erteilt, da-
mit endlich Frieden und Rechtssicherheit hinsichtlich der
Altersversorgung einkehren können . Aber dann kommen
Sie nach vier Monaten, kurz vor der letzten Ausschuss-
sitzung, mit einem 27-seitigen Änderungsantrag um die
Ecke und regen sich auch noch auf, dass wir, die Oppo-
sition, nicht sofort Fristverzicht erklären und das Gesetz
verabschieden . Wenn Sie uns schon nicht in Ihre Ver-
handlungen einbeziehen, dann müssen Sie damit leben,
dass wir Ihre Gesetzentwürfe wenigstens einmal lesen,
bevor wir darüber abstimmen .
Was finden wir in den Änderungen? Einen Verzicht
auf die Berufshaftpflichtversicherung. Da muss man sich
schon die Augen reiben . Auf Wunsch der Syndikusan-
wälte soll deren Tätigkeit im Unternehmen künftig als
anwaltliche Tätigkeit eingestuft werden, damit der Weg
in die Versorgungswerke offen bleibt . Aber das Kernele-
ment anwaltlicher Tätigkeit, nämlich das anwaltliche
Haftungsrisiko, das will man dann jetzt doch lieber nicht
haben . Da wird plötzlich argumentiert, es sollten doch
die Privilegien der Arbeitnehmerhaftung gelten . Schließ-
lich sei man doch Arbeitnehmer, und bisher habe man
doch auch keine Versicherungspflicht getragen. – Ja, ge-
nau . Bislang war auch die Tätigkeit der Syndikusanwälte
gerade keine anwaltliche Tätigkeit, und genau das soll
geändert werden .
Alle Kolleginnen und Kollegen, die sich draußen auf
dem rauen Rechtsberatungsmarkt behaupten, wissen,
was diese Kehrseite der Unabhängigkeit der anwaltli-
chen Beratung bedeutet . Für jede Auskunft, die sie ge-
ben, und für jeden Satz, den sie unterschreiben, stehen
und haften sie mit ihrem persönlichen Vermögen und
mit ihrer beruflichen Existenz. Das gilt im Übrigen auch
für angestellte Rechtsanwältinnen in Anwaltskanzleien .
Das ist das Qualitätsmerkmal und gleichzeitig auch die
unabdingbare Kehrseite der Unabhängigkeit der Anwalt-
schaft . Das soll jetzt für Syndikusanwälte unzumutbar
sein? Diese Einstellung kann man nur noch als Rosinen-
picken bezeichnen .
Dass die Haftungssummen angeblich so viel höher
lägen, ist auch schlichter Humbug . Ob ein Konzern bei
einem Milliardendeal von einer unabhängigen Kanzlei
oder von seinem eigenen Syndikusanwalt beraten wird,
ändert überhaupt nichts an der Haftungssumme . Die Bei-
träge müssen eben aus der Vergütung heraus getragen
werden . Das gilt für den Mandanten als Auftraggeber
genauso wie für den Arbeitgeber . Für mich sind das alles
Katja Keul
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14415
(C)
(D)
keine überzeugenden Argumente . Wer kein Haftungsrisi-
ko tragen will, braucht sich auch nicht als Anwältin zuzu-
lassen . Es wird doch niemand dazu gezwungen .
Wer aber unabhängiges Organ der Rechtspflege sein will,
muss auch mit den Konsequenzen leben können . Ihren
Gesetzentwurf lehnen wir deshalb ab .
Vielen Dank .
Danke, Katja Keul . – Nächster Redner in der Debatte:
der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange für
die Bundesregierung .
C
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der für
die Anwaltschaft insgesamt und für viele Anwältinnen
und Anwälte von großer Bedeutung ist . Syndikusanwäl-
te kennen wir seit langem . Ihr rechtlicher Status – wir
haben es hier in der Debatte gemerkt – wurde seit jeher
kontrovers diskutiert . Nach geltendem Recht haben Syn-
dizi im Unternehmen nicht die Stellung eines Rechtsan-
walts . Das soll sich nun ändern .
Die sogenannte Doppelberufstheorie geben wir mit
dem neuen Recht auf . Künftig haben Syndikusanwälte
auch im Unternehmen die Stellung eines Rechtsanwalts
und anwaltliche Rechte und Pflichten. Das ist ein gro-
ßer Schritt für das Berufsrecht . Doch das Verhältnis
zwischen dem Syndikus und seinem Dienstherrn, bei
dem er angestellt ist, von dem er bezahlt wird und den
er rechtlich berät, unterscheidet sich tatsächlich, wenn
überhaupt, nicht so wesentlich von dem klassischen Ver-
hältnis zwischen Anwalt und Mandant, dass eine grund-
sätzlich unterschiedliche berufsrechtliche Ausgestaltung
erforderlich oder angezeigt wäre .
Syndikustätigkeit soll deshalb künftig Anwaltstätig-
keit sein . Die erforderliche Unabhängigkeit, die auch
hier schon erwähnt wurde und an deren ungeschmälerter
Bedeutung kein Zweifel entstehen darf, sichert das neue
Recht ausdrücklich . Die fachliche Unabhängigkeit der
Berufsausübung des Syndikusrechtsanwalts muss ver-
traglich und tatsächlich gewährleistet werden .
Meine Damen und Herren, die Neuordnung des Rechts
der Syndizi hat unmittelbare Bedeutung für die Altersver-
sorgung besagter 40 000 Berufsangehöriger . Denn mit
dem Gesetzgebungsvorhaben lösen wir das Problem, das
in der Anwaltschaft – der Kollege Flisek hat zu Recht da-
rauf hingewiesen – für große Unruhe gesorgt hat . Mit den
besagten Urteilen hat das Bundessozialgericht im April
vergangenen Jahres entschieden, dass Syndikusanwälte
nicht mehr von der gesetzlichen Rentenversicherung be-
freit werden können . Dies hat zu den schon genannten
Brüchen in den Versorgungsbiografien geführt. Deshalb
wurde fraktionsübergreifend Handlungsbedarf erkannt .
Mein Haus, das Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz, hat deshalb sehr zügig einen
Gesetzentwurf auf der Basis der sogenannten kleinen
berufsrechtlichen Lösung erarbeitet . Der beim nichtan-
waltlichen Arbeitgeber angestellte Syndikus wird, wenn
er anwaltlich und nicht etwa als bloßer juristischer Sach-
bearbeiter im Unternehmen tätig ist und dabei – ich
habe darauf schon hingewiesen – seine Unabhängigkeit
gewährleistet ist, statusrechtlich als Rechtsanwalt aner-
kannt . Der Syndikusanwalt erhält also grundsätzlich die
anwaltlichen Rechte und Pflichten.
Die Neuregelung ermöglicht, dass Syndikusanwälte wie
bisher, unter bestimmten Voraussetzungen auch rückwir-
kend, von der Rentenversicherungspflicht befreit und in
den anwaltlichen Versorgungswerken verbleiben dürfen .
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf ist in
den Fachkreisen und auch bei der Anhörung im Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz grundsätzlich
begrüßt worden . Auf zwei Änderungen möchte ich hier
freilich doch eingehen .
Die im Regierungsentwurf vorgeschlagene Pflichthaft-
pflichtversicherung für Syndikusanwälte soll, wie es von
einigen Sachverständigen gefordert worden ist, entfallen .
Das kann ich angesichts des Umstands, dass die Rechts-
beratungsbefugnis des Syndikusanwalts im Regelfall auf
die Beratung seines Arbeitgebers beschränkt ist, als eine
vertretbare Lösung mittragen, zumal der Gesetzentwurf
nicht die Haftung als solche regelt und im Verhältnis zum
Arbeitgeber die Anwendbarkeit der Grundsätze der Ar-
beitnehmerhaftung unberührt bleibt .
Im Gesetz wurde zudem ein Anreiz geschaffen, die
noch bestehende Altersgrenze von 45 Jahren in den Ver-
sorgungswerken abzuschaffen . Das Argument der Euro-
parechtswidrigkeit ist schon erwähnt worden . Wir stellen
jetzt sicher, dass es nicht mehr aufgegriffen werden kann .
Meine Damen und Herren, am Schluss noch drei Wor-
te des Dankes . Mein erster Dank gilt den Koalitionsfrak-
tionen, die sich auf die kleine berufsrechtliche Lösung
eingelassen haben . Ich weiß, dass das den Kolleginnen
und Kollegen der CDU/CSU besonders schwer gefallen
ist . Mein zweiter Dank gilt dem Bundesministerium für
Arbeit und Soziales, insbesondere Ihnen, Frau Kollegin
Lösekrug-Möller . Ohne unser gemeinsames Vorgehen
hätten wir diese Lösung heute sicher nicht . Mein dritter
Katja Keul
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514416
(C)
(D)
Dank gilt schließlich dem Bundesrat, der sicherstellt,
dass am 1 . Januar 2016 dieses Gesetz in Kraft tritt .
Herzlichen Dank .
Mein Dank gilt Christian Lange . – Der nächste Redner
ist Dr . Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Petzold, dass Sie an dieser Stel-
le von einem schlechten Tag sprechen, die Sozialkeule
hervorholen und fordern: Nein, wir müssen wieder alles
gleichmachen und brauchen am besten eine Einheitsver-
sicherung – das wundert mich nicht . Sie verkennen dabei
vollkommen, dass die berufsständische Altersversorgung
gerade kein Privileg war, sondern dass sie sich aus der
Historie entwickelt hat, mit allen Chancen, aber eben
auch mit allen Risiken . Sie werden dem überhaupt nicht
gerecht, indem Sie alles gleichmachen wollen . Ich kann
hier nur feststellen: Es ist gut, dass die Union hier regiert
und nicht Sie hier auf der Regierungsbank sitzen . Heute
wäre dann nämlich ein schlechter Tag für Deutschland
gewesen .
Wir haben jetzt den Entwurf eines Gesetzes vorgelegt,
das in der Tat für die 40 000 Syndikusanwälte in unserem
Land gut ist . Es ist aber nicht nur für die Syndikusan-
wälte gut, sondern es ist für die gesamte Anwaltschaft
gut . Es ist auch für die Unternehmen in unserem Land
gut und damit auch für den gesamten Rechtsstandort
Deutschland .
Warum ist das gut? Es kommt ganz entscheidend da-
rauf an, dass wir eine hohe Qualität der Inhouse-Rechts-
beratung in den Unternehmen gewährleisten . In den
Rechtsabteilungen sollen gute Leute arbeiten, die quali-
fizierten Rechtsrat erteilen können. Das ist in diesen Zei-
ten unglaublich schwer und kompliziert . Das liegt an den
Anforderungen an Compliance und Corporate Governan-
ce, die der Gesetzgeber den Unternehmen auferlegt – wir
haben das vorhin schon gehört –; hinzu kommen neue
Korruptionstatbestände . Deswegen brauchen die Unter-
nehmen gute Leute .
Gute Leute bekommen die Unternehmen in aller Re-
gel von den Anwaltskanzleien . Die Anwälte erwerben
dort über viele Jahre anwaltliche Expertise und sagen ir-
gendwann: Jetzt möchte ich ganz gerne in die Rechtsab-
teilung eines Unternehmens . Wenn Sie diesen Anwälten
nun sagen müssen: „Das kannst du zwar machen, aber
dann verlierst du deine Ansprüche bzw . kannst dich nicht
weiter im Versorgungswerk versichern“,
dann wird es natürlich unattraktiv, diesen Weg einzu-
schlagen . Dadurch kommt der personelle Austausch zwi-
schen Kanzlei und Unternehmen zum Erliegen .
Damit gibt es eben auch keinen fachlichen Austausch der
Expertise mehr, die in einer Kanzlei bzw . in einem Unter-
nehmen erworben worden ist . Das wäre nicht nur für die
Individuen, sondern auch für die Unternehmen und damit
für den Rechtsstandort Deutschland schlecht gewesen .
Deswegen korrigieren wir diese Urteile des Bundessozi-
algerichts . Das ist gut so .
Wir als Union haben von Anfang an gesagt, dass wir
diese Urteile dringend korrigieren müssen, weil es eben
Handlungsbedarf gibt .
Ich bin sehr froh, dass wir das heute tatsächlich machen
können . Das war gar nicht selbstverständlich . Es sah
nämlich am Anfang gar nicht so aus, dass wir das in die-
ser Weise korrigieren könnten . Es waren, wie hier zum
Teil schon angesprochen wurde, sehr lange und sehr zähe
Verhandlungen, die wir geführt haben . Ich bin daher sehr
froh, dass wir den gordischen Knoten am Ende zerschla-
gen konnten .
Der gordische Knoten bestand nicht allein darin, dass
es hier komplexe berufsrechtliche und sozialrechtliche
Fragestellungen gab . Es war durchaus auch so, dass am
Anfang nicht von allen Seiten Handlungsbedarf gesehen
wurde . Auch die Verbände waren sich zum Teil uneins, in
welche Richtung man hier gehen sollte . Es gab auch – so
will ich einmal sagen – gewisse unterschiedliche Nuan-
cierungen innerhalb der Bundesregierung zwischen dem
Bundesministerium der Justiz und dem BMAS hinsicht-
lich der Frage, in welche Richtung man da gehen sollte .
So gab es anfänglich einen Referentenentwurf, mit dem
man das Ziel, nämlich den Status quo vor den Urteilen des
Bundessozialgerichts wiederherzustellen, nicht erreicht
hätte . Ich bin sehr froh – da darf ich mich dem Dank an
die Kollegen der SPD-Fraktion und an die Ministerien
anschließen –, dass im parlamentarischen Verfahren die
wesentlichen Forderungen, die wir von der Union erho-
ben haben, umgesetzt werden konnten . Unter dem Strich
haben wir jetzt ein Gesetz, mit dem tatsächlich das Ziel
erreicht wird, den Status quo ante wiederherzustellen . Es
ist gut, dass wir das hingekriegt haben .
Parl. Staatssekretär Christian Lange
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14417
(C)
(D)
Für uns war in der Tat ganz entscheidend, dass die
Entscheidung über die Zulassung als Syndikusanwalt bei
den Kammern und nicht bei der Deutschen Rentenversi-
cherung liegt; denn die Kammern sind natürlich diejeni-
gen, die das anwaltliche Berufsbild kennen und die die
Änderungen beim Berufsbild nachverfolgen . Deswegen
war es für uns ganz wichtig, dass die Entscheidungsho-
heit bei den Kammern liegt und nicht hinterher infrage
gestellt werden kann .
Wir haben im parlamentarischen Verfahren auch dafür
gesorgt – das ist ein ganz wichtiger Punkt –, dass es bei
den Zulassungskriterien keinen bundesweiten Flicken-
teppich gibt, dass also nicht die eine Kammer so und die
andere Kammer so entscheidet, dass man in Stuttgart
als Syndikusanwalt vielleicht zugelassen werden kann,
aber in Berlin nicht . Wir haben daher klargestellt, dass
die Vier-Kriterien-Theorie, die in der Vergangenheit
zwischen allen Beteiligten entwickelt worden ist, im
Übrigen unter Einschluss der Deutschen Rentenversiche-
rung, fortbesteht . Es gibt also keine inhaltlichen Ände-
rungen, sondern sie wird eins zu eins mit diesem Gesetz
umgesetzt . Das haben wir auch noch einmal sprachlich
klargestellt . Es gab da ja einige Irritationen bei dem
Kriterium Vertretungsbefugnis nach außen . Das haben
einzelne Kammern schon so ausgelegt, dass es hier ei-
ner Handlungsvollmacht, einer Prokura, bedürfe . Das ist
ausdrücklich nicht der Fall . Das haben wir klargestellt,
indem wir gesagt haben: Es reicht die Befugnis, nach au-
ßen verantwortlich auftreten zu dürfen, um als Syndikus-
anwalt zugelassen zu werden .
Für uns war immer ganz entscheidend, dass die At-
traktivität des Berufsbildes Syndikusanwalt wegen des
Erfordernisses des Wechsels von Kanzleien in entspre-
chende Abteilungen der Unternehmen erhalten bleibt .
Daher war auch das Erfordernis der Berufshaftpflichtver-
sicherung so ein entscheidendes Momentum . Was wäre
denn passiert? Wenn ein Syndikusanwalt sich pflicht-
versichern müsste, dann würde sich die Prämie, die er
zahlen müsste, an dem Risiko bemessen, das mit seiner
Tätigkeit verbunden ist .
Man muss sich einmal anschauen, was die Rechtsabtei-
lungen von Unternehmen machen . Wenn es um große
Transaktionen geht, reden wir häufig von Millionen- und
zum Teil von Milliardenbeträgen . Man kann sich also
ganz schnell ausrechnen, dass die Versicherungsprämie
so hoch gewesen wäre, dass es unter keinen Umständen
wirtschaftlich mehr tragbar gewesen wäre .
Wir haben deswegen gesagt: Das wollen wir nicht;
denn sonst wäre sozusagen hintenherum die Attraktivität
eingeschränkt worden, und es hätte sich tatsächlich nie-
mand mehr um eine Zulassung bemüht . Es war gut, dass
wir die Streichung dieses Erfordernisses im parlamenta-
rischen Verfahren erreicht haben . Dies ist auch deswegen
in Ordnung, weil es ansonsten eine Schlechterstellung
der Syndikusanwälte gegenüber den angestellten Anwäl-
ten in den Kanzleien gegeben hätte . Diese haben nämlich
auch keine Berufshaftpflichtversicherung im Innenver-
hältnis zu ihrem Arbeitgeber . Nach außen zu Dritten ist
es etwas anderes . Aber im Innenverhältnis zu ihrem Ar-
beitgeber sind sie eben Arbeitnehmer . Auch da gelten die
Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung – glasklar an dieser
Stelle –, und deswegen brauchen sie auch keine Berufs-
haftpflichtversicherung. Es ist gut, dass wir als Union
das im parlamentarischen Verfahren haben durchsetzen
können .
Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen, das ist
die Frage der Unabhängigkeit . Es ist ja hier schon ge-
sagt worden: Natürlich sind Syndikusanwälte Organe der
Rechtspflege, und deswegen müssen sie unabhängig sein.
Wir haben aber jetzt noch einmal gesagt, dass diese Un-
abhängigkeit selbstverständlich auch keinen strengeren
Anforderungen unterliegt als beispielweise die der nie-
dergelassenen Anwälte gegenüber ihren Mandanten .
Deswegen ist es so, dass eine Weisung, die etwa ein Ar-
beitgeber seinem Syndikusanwalt erteilt, natürlich nicht
dessen fachliche Unabhängigkeit infrage stellt . Natürlich
ist an der Stelle auch klar: Der berufsrechtliche Rahmen
muss eingehalten werden . Ein Arbeitgeber kann also
nicht berufsrechtswidrige Weisungen erteilen, aber nor-
male Weisungen,
wie man ein Mandat zu führen hat, wie man beispiels-
weise einen Vergleich abschließt . Das ist in einem nor-
malen Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant
völlig üblich, ganz normal . Das stellt auch nicht die Un-
abhängigkeit infrage, und nichts anderes wollen wir jetzt
auch bei den Syndikusanwälten .
Klar ist: Es dürfen natürlich auch keine arbeitsrechtli-
chen Konsequenzen daraus folgen . Es ist ganz wichtig,
dass wir das tatsächlich so umgesetzt haben .
Zur 45-Jahre-Regelung kann ich jetzt aus Zeitgründen
nicht mehr viel sagen . Die ist europarechtswidrig . Wir
haben die Landesgesetzgeber jetzt noch einmal klar auf-
gefordert, diese abzuschaffen . Das ist gut so .
Dr. Jan-Marco Luczak
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514418
(C)
(D)
Ich kann mich nur anschließen: Wir wollen hoffen,
dass das Gesetz zum 1 . Januar 2016 in Kraft treten kann .
Das liegt am Bundesrat, aber ein Stück weit auch am
Bundespräsidenten . Ich hoffe, er hat ein paar erholsame
Feiertage und geht dann mit Kraft in die letzten Tage vor
Silvester und kann dann noch unterschreiben .
Wir nehmen dieses Gesetz zum Anlass, auch die ande-
ren freien Berufe noch einmal in den Blick zu nehmen .
Wir haben jetzt ein Gesetz, das den Syndikusanwälten
hilft . Aber auch die anderen freien Berufe – die Ärzte, die
Apotheker, die Architekten – haben Probleme mit ihrer
Befreiung . Das vorliegende Gesetz, denke ich, nehmen
wir jetzt als Grundlage, um hier ein neues gesetzgebe-
risches Ziel in Angriff zu nehmen, damit wir auch an
dieser Stelle eine vernünftige sozialrechtliche Lösung
bekommen und die anderen freien Berufe nicht im Re-
gen stehen lassen .
Vielen Dank .
Durchatmen! Danke schön, lieber Kollege . – Der letz-
te Redner in der sehr lebendigen Debatte: Dr . Johannes
Fechner für die SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! 40 000 Syndikusan-
wältinnen und -anwälte standen nach den Urteilen des
Bundessozialgerichtes in der Tat vor der Frage, wie es
mit ihrer Altersversorgung weitergeht . Deshalb haben
auch wir uns als SPD dafür eingesetzt, diesen betrof-
fenen Anwälten Rechtssicherheit für ihre bewährte Al-
tersvorsorge in den Versorgungswerken zu geben, und
haben zugleich die Urteile zum Anlass genommen, den
Status der Syndikusanwälte grundlegend zu regeln . Für
diese – zugegeben – Sonderbehandlung der Juristen im
Vergleich zu anderen Arbeitnehmern gibt es aus unserer
Sicht Gründe .
Die Syndikusanwälte hatten auf ihre Altersvorsorge
bei den Versorgungswerken vertraut und sich darauf ein-
gestellt .
Die Versorgungswerke haben auf diese Versicherten-
gruppe gesetzt, die ihnen ja Einnahmen sichert .
Und schließlich gibt es viele sinnvolle Berufswechsel
bei Juristen aus Anwaltskanzleien in Unternehmen und
Verbände, und diese Wechsel hätten wir behindert, wenn
wir es so geregelt hätten, dass damit immer ein Wechsel
des Altersvorsorgesystems verbunden gewesen wäre .
Aus diesen Gründen wollen wir für die Syndikusan-
wälte Rechtssicherheit schaffen, und genau das tun wir
mit diesem Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Und wir regeln den Status des Syndikusanwaltes ge-
setzlich, zum Beispiel, dass ein Syndikusanwalt in be-
stimmten Verfahren seinen Arbeitgeber nicht vertreten
darf, etwa in Verfahren vor dem Landgericht . Das ist ein
Gebot der Fairness, um ein Ungleichgewicht zwischen
den Prozessparteien zu verhindern . Denn große Unter-
nehmen, die eine Rechtsabteilung haben und sich dort
durch ihren eigenen Syndikusanwalt vertreten lassen
können, haben ein geringeres Prozessrisiko und damit
ein geringeres Kostenrisiko als eine Einzelperson oder
kleinere Unternehmen, die einen externen Rechtsanwalt
bezahlen müssen .
Eine verpflichtende Berufshaftpflichtversicherung ha-
ben wir in der Tat intensiv diskutiert, aber letztlich davon
abgesehen, obwohl es sicherlich Gründe dafür gegeben
hätte im Sinne des Grundsatzes „Gleichheit für alle“ .
Aber wir haben in vielen Gesprächen den Eindruck ge-
wonnen, dass es gar nicht so viele Konstellationen gibt,
in denen für einen Syndikusanwalt eine Haftungsgefahr
besteht, und insbesondere weil die Verbände und die Be-
troffenen selber diese Haftpflichtversicherung gar nicht
wollten, haben wir gesagt: Wir können hierauf verzich-
ten . – Dass die Union uns in einem für uns sehr wichtigen
Punkt bei dem Gesetzgebungsvorhaben entgegengekom-
men ist, war dann auch ein wichtiger Grund für uns, hier
diesen Verzicht zu erklären .
Und schließlich – das war uns als Sozialdemokraten
ganz wichtig –: Die Syndikusanwälte bekommen keine
strafprozessualen Privilegien, haben also kein Zeugnis-
verweigerungsrecht im Hinblick auf das, was ihnen im
Unternehmen anvertraut worden oder sonst bekannt ge-
worden ist . Beschlagnahmen und Telefonüberwachungen
sind möglich . Das ist auch gut so; denn alle Beschäftigten
in einem Unternehmen sind bei strafrechtlichen Ermitt-
lungen als Zeugen zu Aussagen verpflichtet. Das muss
auch für die Mitarbeiter in den Rechtsabteilungen dieser
Unternehmen gelten . Wir wollen, dass Wirtschaftskrimi-
nalität effektiv verfolgt werden kann . Deshalb müssen
Staatsanwaltschaften auch in Rechtsabteilungen in Un-
ternehmen ermitteln können, meine sehr geehrten Damen
und Herren .
Kurzum: Mit diesem Gesetz schaffen wir Rechtssi-
cherheit für die Syndikusanwälte, die nun gesichert in
den Versorgungswerken bleiben können, und wir schaf-
fen klare gesetzliche Regelungen für deren Status und
deren Befugnisse . Deshalb ist es ein gutes Gesetz, dem
wir heute hier im Bundestag zustimmen sollten und dem
morgen auch der Bundesrat zustimmen sollte, damit die-
ses Gesetz zum 1 . Januar 2016 in Kraft treten kann .
Vielen Dank .
Dr. Jan-Marco Luczak
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14419
(C)
(D)
Vielen Dank, Kollege Fechner . – Ich schließe die Aus-
sprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von
den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Neuordnung des Rechts der Syndi-
kusanwälte . Es liegt eine Erklärung nach § 31 unserer
Geschäftsordnung zu der Abstimmung über den Gesetz-
entwurf vor .1)
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6915, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5201 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grü-
nen und die Linke .
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz zum Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/6915, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5563
für erledigt zu erklären . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Stimmt irgendjemand dagegen? – Enthält
sich jemand? – Niemand . Die Beschlussempfehlung ist
damit einstimmig angenommen .
Ich hoffe, Herr Luczak, Sie bleiben bei der weiteren
Debatte hier, und so lebendig, wie Sie eben waren, müss-
ten Sie eigentlich klatschen . Aber gut .
Es ist interessant, wie viel ein Berliner in acht Minuten
sagen kann . Ich habe gerade umgerechnet, wie lange wir
Schwaben dazu bräuchten – aber egal .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Modernisierung des Vergabe-
Drucksache 18/6281
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
Drucksache 18/7086
1) Anlage 6
Drucksache 18/7087
Hierzu liegen ein Änderungsantrag und ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke sowie zwei Ent-
schließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor .
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu neh-
men .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Kein Wider-
spruch dazu . Dann ist das so beschlossen .
Ich warte noch, bis die SPD Platz genommen hat .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Marcus Held
für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute setzen wir
nach langen und intensiven Beratungen die EU-Verord-
nung um und modernisieren das Vergaberecht . Ein guter
Tag für alle öffentlichen Auftraggeber und Gesellschaften,
wenn sie Aufträge im Wert von mehr als 207 000 Euro, in
Bausachen von mehr als 5 Millionen Euro vergeben wol-
len . Zum Verständnis muss deshalb an dieser Stelle klar
betont werden, dass bei allen anderen Vergaben weiter-
hin die Landesvergabegesetze gelten . Somit haben wir in
Deutschland nach wie vor insgesamt 17 Vergaberechte .
Das sollte vielleicht ein Ansporn für die Zukunft sein,
diese zu vereinheitlichen .
Wir hoffen, dass mit der Änderung des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen auch die Länder animiert
werden, in einem ersten Schritt wenigstens ihre Gesetze
anzupassen, das heißt, benutzerfreundlicher zu machen
und für mehr Flexibilität zu sorgen . Mit einer entspre-
chenden Anpassung würde dafür gesorgt werden, dass
Unternehmen, die Angebote abgeben, sich nicht ständig
umstellen müssen, je nachdem in welchem Bundesland
die ausschreibende Stelle ihren Sitz hat .
Konkret bedeuten die im heute vorliegenden Gesetz
verankerten Änderungen, dass Auftraggeber künftig
wählen können, welches Verfahren sie bei der Ausschrei-
bung nutzen . Denn neben dem sogenannten offenen
Verfahren stehen das nichtoffene Verfahren, das Ver-
handlungsverfahren und der sogenannte wettbewerbliche
Dialog zur Verfügung – Verfahrensarten, meine Damen
und Herren, die das Vergaberecht bisher nur unter sehr
engen Voraussetzungen zuließ und die daher leider viel
zu selten zur Anwendung kamen . Das alles schafft insge-
samt mehr Flexibilität; denn der Auftraggeber ist in der
Lage, zu entscheiden, wie er ausschreibt, um das für ihn
beste Ergebnis zu bekommen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514420
(C)
(D)
Aber auch qualitative Merkmale können künftig be-
sondere Bedeutung erlangen, nämlich dann, wenn der
Auftraggeber definiert, welche Kriterien zu welchen
Anteilen bei der Vergabeentscheidung Berücksichtigung
finden sollen. Soziale Kriterien und Umweltkriterien
können dabei besondere Berücksichtigung finden, was
ein absolutes Novum im Vergaberecht ist .
Wir haben darüber hinaus im Ausschuss in entspre-
chenden Protokollnotizen und im Entwurf der Verord-
nung zu diesem Gesetz konkretisiert, dass wir diese und
weitere Kriterien in der Praxis künftig gestärkt sehen wol-
len, nämlich eine nachhaltige und verantwortungsvolle
Beschaffung sowie die Einhaltung der ILO-Kernarbeits-
normen, beispielsweise zur Beseitigung der Zwangsar-
beit, aber auch zur Bekämpfung der Kinderarbeit .
Um in Erfahrung zu bringen, ob die vereinbarten Ziele
auch erreicht wurden, werden wir spätestens nach drei
Jahren prüfen, ob es zu Verbesserungen in der Praxis ge-
kommen ist und ob sich die Änderungen im Vergaberecht
tatsächlich positiv ausgewirkt haben .
Für Menschen mit Behinderungen und gesundheit-
lichen Einschränkungen ist es uns als SPD besonders
wichtig, qualitativ hochwertige Leistungen der berufli-
chen und medizinischen Rehabilitation zu haben . Des-
halb haben wir klargestellt, dass zahlreiche Vergaben
in diesem Bereich auch in Zukunft nicht der Ausschrei-
bungspflicht unterliegen werden.
Es ist aber dringend erforderlich, meine Damen und
Herren, dass unsere großen bundeseigenen Gesellschaf-
ten, wie etwa die BA oder auch die Rentenversicherung
Bund, mit gutem Beispiel vorangehen und auf entspre-
chende soziale Kriterien bei der Vergabe pochen .
All die von mir genannten Veränderungen im Verga-
berecht sind ein großer Fortschritt; denn bisher durfte bei
allen Vergaben immer nur der günstige Bieter den Zu-
schlag erhalten .
Das Vergaberecht, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
in Bewegung, und es wird auch in Zukunft in Bewegung
bleiben, allein schon, weil sich die Rechtsprechung re-
gelmäßig verändert . Auch deshalb werden wir die weite-
ren Details in einer Verordnung regeln . Wenn ich „wir“
sage, dann deshalb, weil wir heute beschließen wollen,
dass diese Verordnung dem Parlamentsvorbehalt unter-
liegt . Wir können deshalb im Hause regelmäßig kontrol-
lieren, ob es durch die entsprechenden Vorgaben zu Ver-
änderungen kommt .
Zum Abschluss möchte ich meiner Freude Ausdruck
verleihen, dass künftig nicht mehr die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer darunter leiden müssen, wenn im
Eisenbahnverkehr öffentliche Aufträge an andere Dienst-
leister vergeben werden . Auf Forderung des Bundesrates
und der SPD-Bundestagsfraktion konnte sichergestellte
werden, dass mit der Sollregelung das Personal für die
jeweilige Strecke tatsächlich auch übernommen wird .
Meine Damen und Herren, ein ganzes Stück Arbeit
in den letzten Monaten liegt hinter uns . Vielen Dank an
alle, die zu diesem guten Ergebnis beigetragen haben . Es
ist ein gutes Ergebnis für die Auftraggeber, für die Auf-
tragnehmer, für die Qualität, für die sozialen und für die
Umweltstandards hier in Deutschland, aber auch überall
dort in der Welt, wo wir als Deutsche einkaufen .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Marcus Held . – Nächster Redner in der
Debatte: Michael Schlecht für die Linke .
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Die EU-Richtlinien zur öffentlichen Auf-
tragsvergabe ermöglichen im Grundsatz, soziale, ökolo-
gische und vor allem auch beschäftigungspolitische Ziele
als vergaberelevant zu behandeln und bei Kostenerwä-
gungen gleichberechtigt heranzuziehen . Leider wird dies
in dem vorliegenden Gesetzentwurf vollkommen unge-
nügend getan . Dies ist ein Gesetzentwurf des „Könnte“,
bestenfalls des „Sollte“ . Das „Sollte“ gilt übrigens auch
für die von Ihnen vorhin so lobend erwähnte Regelung
beim Schienenpersonenverkehr . Dadurch ist in keiner
Weise sichergestellt, dass die Arbeitsplätze gesichert
sind . Das ist eine kleine, graduelle Verbesserung, aber
mehr nicht . Für zwingende Regelungen gilt in diesem
Gesetz: Fehlanzeige!
Die öffentliche Vergabe in Deutschland hat ein Volu-
men von circa 400 Milliarden Euro im Jahr . Das sind im-
merhin 17 Prozent des deutschen Sozialproduktes . Damit
kann man Steuerungswirkung entfalten; denn damit las-
sen sich ganz erhebliche Anreize für die Unternehmen in
diesem Land setzen . Welche Anreize müssten mit einem
Vergabegesetz vor allem gesetzt werden? Aus meiner
und unserer Sicht müsste, um die Durchsetzung sozialer
Ziele abzusichern, vor allen Dingen klar geregelt werden,
dass öffentliche Aufträge in Zukunft nur noch an Auf-
tragnehmer, die der Tarifbindung unterliegen, vergeben
werden dürfen, und zwar zwingend .
Dies ist deshalb so bedeutsam, weil heute nur noch
50 Prozent der Beschäftigten in unserem Land unter dem
Schutz eines Flächentarifvertrages arbeiten . Gerade auch
bei Auftragnehmern von öffentlichen Aufträgen ist das
nicht der Fall .
Weil viel zu viele Beschäftigte wie im Frühkapitalis-
mus ihren Lohn vom Chef diktiert bekommen, liegen die
Reallöhne je Beschäftigten im Vergleich zum Jahr 2000
Marcus Held
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14421
(C)
(D)
kaum höher als damals . Das ist in einem Land wie
Deutschland wirklich ein Skandal .
Was wir brauchen, ist eine Umkehr . Mit der Neuordnung
der Vergabe wäre ein wichtiger Schritt möglich gewesen .
Hier hätte eben der Grundsatz festgeschrieben werden
müssen: Kein öffentlicher Auftrag an Unternehmen ohne
Tarifbindung!
Es kann doch nicht sein, dass Beschäftigte, die mittels
öffentlicher Aufträge zur öffentlichen Daseinsvorsorge
beitragen, nicht selten selbst zu einem Fall für die öffent-
liche Daseinsvorsorge werden . Schauen Sie sich doch
einfach einmal die vielen Fälle an, zum Beispiel die de-
saströsen Löhne der Dozenten von Integrationskursen .
Es gibt noch viele andere Fälle; ich kann sie hier gar
nicht alle aufzählen .
Ich weiß, dass jetzt der Einwand kommt, dass diese
Koppelung an die Tarifbindung bei der Vergabe nicht mit
dem EU-Recht vereinbar sei . Jedoch: Der Europäische
Gerichtshof wendete sich jüngst selbst von seiner rest-
riktiven Rechtsprechung in dem unseligen Rüffert-Urteil,
das vor Jahren ergangen ist, ab . Er tut dies gerade auch
im Geist der mittlerweile in Kraft getretenen EU-Richtli-
nie über die Auftragsvergabe . Im jüngsten Urteil zur Re-
gio Post bestätigt der EuGH, dass der vergabespezifische
Mindestlohn von 8,70 Euro im rheinland-pfälzischen
Tariftreuegesetz europarechtskonform ist . Das sind mi-
nimale Fortschritte, die man zumindest lobend erwähnen
muss .
Das Problem ist natürlich, dass das nicht ausreichen wür-
de, um eine allgemeine Tarifbindung europarechtlich
durchzusetzen .
Die deutsche Bundesregierung hat in Europa aber
sehr viel bewegt . Sie hat eine solche Durchsetzungs-
kraft . Mir ist aber nicht zu Ohren gekommen, dass diese
Bundesregierung in den letzten fünf, sechs, sieben Jah-
ren irgendwann einmal versucht habe, auf europäischer
Ebene dieses unsoziale Urteil, dieses Rüffert-Urteil, in
dem die Tarifbindung sozusagen als europarechtswidrig
hingestellt wurde, durch entsprechende politische Pro-
zesse in Europa zu korrigieren . Ich sage Ihnen: Sie hat
das nicht getan, weil sie das nicht will; sie will eher, dass
europarechtspolitische Regelungen dazu führen, dass wir
in Deutschland einen Niedriglohnsektor haben; und das
finde ich wirklich verwerflich.
Ob in Zukunft tatsächlich mehr beschäftigungspoliti-
sche, soziale und ökologische Kriterien in die Auftrags-
bedingungen aufgenommen werden, wird dem Willen
oder Unwillen der jeweiligen Entscheidungsträger vor
Ort überlassen . Wenn es dann doch einmal diese schönen
Kriterien in einem Auftragstext geben sollte, bleibt offen,
ob ihre Einhaltung am Ende überhaupt kontrolliert wird .
Es gäbe viele Details, die man jetzt erwähnen könnte,
zum Beispiel die Frage der Kontrolle bei Auftragsweiter-
gabe . Es müsste zum Beispiel sichergestellt sein, dass,
wenn Subunternehmer eingeschaltet werden, von denen
auch die Kriterien für die Auftragsvergabe eingehalten
werden . Diesbezüglich sind in diesem Gesetzentwurf
keine hinreichenden Kontrollen vorgesehen. Ich finde es
auch merkwürdig, dass, obwohl hier zum Teil das Hohe-
lied der Gleichstellung von Frauen gesungen wird, zum
Beispiel, wenn es um Aufsichtsräte geht, dieser Gesetz-
entwurf zum Vergaberecht keinerlei Impulse zur Förde-
rung der Gleichstellung von Frauen und Männern enthält .
Danke schön .
Vielen Dank, Kollege Schlecht . – Nächste Rednerin
in der Debatte: Dr . Herlind Gundelach für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bereits in der ersten Lesung habe ich in meiner Rede
festgehalten, dass ich den Regierungsentwurf insgesamt
als sehr gelungen empfinde. Komplimente liegen einem
gebürtigen Schwaben ja eigentlich nicht, aber ich möchte
es hier trotzdem noch einmal ausdrücklich wiederholen .
So war es uns als Abgeordneten des Deutschen Bun-
destages möglich, sehr präzise und sorgfältig an De-
tailfragen zu arbeiten . In dem Zusammenhang möchte
ich mich auch ganz ausdrücklich beim Koalitionspartner
bedanken . Ich denke, wir haben bei diesem Gesetzent-
wurf sehr gut, sehr nüchtern und sachlich zusammenge-
arbeitet .
Einige der wichtigsten Punkte waren und sind für
mich auch die Inhalte dessen, was wir unter interkom-
munaler Zusammenarbeit verstehen; denn der eigentli-
che Zweck des Vergaberechts ist es ja, sicherzustellen,
dass öffentliche Aufträge möglichst wettbewerblich und
damit transparent vergeben werden . Die Kooperation
von zwei oder mehreren Kommunen zur gemeinsamen
Erbringung einer öffentlichen Leistung fällt wie bisher
nicht unter das Vergaberecht . § 108 des Gesetzentwurfes
definiert auf Grundlage von Artikel 12 der Europäischen
Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe hier eine
Anwendungsausnahme . Daraus folgt, dass Kommunen,
die nach einem kooperativen Konzept zusammenarbei-
ten, die öffentliche Leistung, die erbracht werden soll,
nicht nur nicht ausschreiben müssen, sondern dass dies
der Öffentlichkeit in der Regel auch gar nicht bekannt
wird .
Michael Schlecht
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514422
(C)
(D)
Weil es sich dabei aber oftmals um Aufträge mit teil-
weise erheblichem Volumen handelt, an denen selbstver-
ständlich auch Private ein Interesse hätten, steht diese
Form der Zusammenarbeit zwischen Kommunen immer
wieder in der Kritik und wird auch von der privaten Wirt-
schaft zu Recht hinterfragt . So beschäftigte sich auch
bereits das OLG Koblenz noch vor unserer nationalen
Umsetzung mit der Definition von Zusammenarbeit bei
interkommunalen Kooperationen .
Auch wir haben uns deswegen in unseren Beratungen
intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt . Denn in
der Begründung zu § 108 Absatz 6 Nummer 1 wird da-
rauf verwiesen, dass sich die Anforderungen an die Zu-
sammenarbeit zwischen den öffentlichen Auftraggebern
aus Artikel 12 sowie Erwägungsgrund 33 der Richtlinie
ergeben und dass diese Zusammenarbeit grundsätzlich
auf einem kooperativen Konzept beruhen muss . Leider
enthalten weder Artikel 12 noch der Erwägungsgrund 33
weitergehende Definitionen des Begriffs „Zusammenar-
beit“ .
Deshalb haben wir uns in der Koalition nach einem
intensiven Beratungsprozess auf eine Protokollnotiz ver-
ständigt, die auch Grundlage der Beschlussempfehlung
des federführenden Ausschusses ist . Ich möchte daraus
zitieren:
So weist der Erwägungsgrund 33 der Richtli-
nie 2014/24/EU darauf hin, dass die von den ver-
schiedenen teilnehmenden Stellen erbrachten
Dienstleistungen nicht notwendigerweise identisch
sein müssen, sondern sich auch ergänzen können .
Allerdings sollte die Zusammenarbeit auf einem
kooperativen Konzept beruhen, in dem sich die
Teilnehmer verpflichtet haben, einen Beitrag zur ge-
meinsamen Ausführung der öffentlichen Dienstleis-
tung zu leisten; dazu kann als Teil auch ein etwaiger
Finanztransfer zwischen den teilnehmenden öffent-
lichen Auftraggebern gehören .
Ich denke, diese Protokollnotiz kann einen wichtigen
Beitrag zur sachgerechten Ausführung des § 108 leisten .
Im Übrigen erwarten wir im kommenden Jahr auch noch
ein Urteil des EuGH, das hoffentlich weiteren Aufschluss
geben wird .
Diese Ausführungen zur interkommunalen Zusam-
menarbeit machen klar, dass der Teufel wie so oft im De-
tail steckt . Hinzu kommt, dass wir bei der Novellierung
des Vergaberechts eine Strukturreform vollziehen . Denn
viele Details des Vergabeverfahrens im Oberschwellen-
bereich – und nur dafür ist ja der Bund zuständig – wer-
den ihren Niederschlag in der Vergabeverordnung, der
Sektorenverordnung, der Verordnung über die Vergabe in
den Bereichen Verteidigung und Sicherheit sowie in der
Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen finden.
VOL und VOF wurden aufgegeben . Sie wurden zum Teil
in das Gesetz integriert bzw . sollen in die erst im Entwurf
vorliegende Verordnung integriert werden .
Dabei handelt es sich keineswegs nur um Verfahrens-
fragen, sondern durchaus auch um materielle Inhalte, wie
unsere Diskussionen ergeben haben; denn, wie gesagt,
wir betreten mit der jetzigen Struktur Neuland . Deshalb
haben wir uns auch dazu entschieden – der Kollege Held
hat schon darauf hingewiesen –, einen sogenannten Zu-
stimmungsvorbehalt für die Verordnung im Gesetz zu
verankern . Konkret haben wir es so geregelt, dass die
Verordnung dem Bundestag nach der Verabschiedung im
Kabinett zugeleitet werden muss und dass der Bundestag
dann drei Sitzungswochen Zeit hat, darüber zu entschei-
den, ob die vorgesehenen Änderungen eine Beschäfti-
gung des Bundestages erforderlich machen . Wenn nicht,
läuft das Verfahren wie üblich weiter .
Auch haben wir die Bundesregierung gebeten, uns
nach drei Jahren einen aussagefähigen Bericht zuzulei-
ten, ob sich die neue Struktur bewährt hat und ob gege-
benenfalls Änderungen vorgenommen werden müssen .
Unser Änderungsantrag enthält neben diesem Parla-
mentsvorbehalt eine weitere, entscheidende Änderung,
mit der der Deutsche Bundestag einer Anregung des
Bundesrats nachkommt – auch darauf hat der Kolle-
ge Held schon hingewiesen –: Bei der Vergabe von öf-
fentlichen Aufträgen über Personenverkehrsleistungen
im Eisenbahnverkehr ändern wir die Kannbestimmung
des Regierungsentwurfs zur Übernahme von Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern, die beim bisherigen
Betreiber beschäftigt waren, in eine Sollbestimmung .
Dadurch werden den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern ausdrücklich die Rechte gewährt, auf die sie An-
spruch hätten, wenn ein Übergang des Betreibers gemäß
§ 613 a BGB erfolgen würde .
Wir erreichen durch die von uns gefundene Regelung,
dass in verantwortungsvoller Weise ein Gleichgewicht
zwischen den Belangen der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer, dem Erhalt von Wettbewerb sowie effizien-
ten Verkehrsdienstleistungen erhalten bleibt . Um dies ge-
währleisten zu können, haben wir festgehalten, dass die
Übernahme auf diejenigen Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer beschränkt sein soll, die für die Erbringung
der übergehenden Verkehrsdienstleistungen unmittelbar
erforderlich sind .
Außerdem – auch das möchte ich betonen – bleibt es
grundsätzlich möglich, dass ein öffentlicher Auftragge-
ber von der Anordnung zum Personalübergang abweicht .
Dafür müssen allerdings nachvollziehbare und vor allen
Dingen justiziable Gründe vorliegen . Ein solcher Fall
kann zum Beispiel darin liegen, dass der Zuschnitt des
Personenverkehrsnetzes in Bezug auf Bedarf und Quali-
fikation ganz erheblich vom Status quo des Bestandsnet-
zes abweicht .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Novellierung des
Vergaberechts ist ein wichtiger Schritt zu mehr Transpa-
renz, weniger Bürokratie und mehr Anwenderfreundlich-
keit . Wir geben den öffentlichen Auftraggebern in vielen
Bereichen Rechtssicherheit, beispielsweise wenn sie im
Sinne der Nachhaltigkeit mit Vorbildcharakter vorange-
hen wollen . Das Gesetz geht, wie ich bereits sagte, in die
richtige Richtung . Aber vor allem in Bezug auf Transpa-
renz, eine größere Anwenderfreundlichkeit und weniger
Bürokratie geht sicherlich noch etwas mehr .
Wir vollziehen eine Strukturreform, aber keinen Sys-
temwechsel; denn das Kaskadensystem bleibt bestehen .
Teile der Verordnungen sind ins Gesetz gezogen worden .
Aber bei Bauleistungen werden wesentliche Details wei-
Dr. Herlind Gundelach
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14423
(C)
(D)
ter in der VOB, der Vergabe- und Vertragsordnung für
Bauleistungen, geregelt . Ich hoffe, dass die nächste No-
vellierung des Vergaberechts den Systemwechsel dann
vielleicht in Gänze vollziehen wird .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, enden möchte ich
mit einem Punkt, den ich ebenfalls in der ersten Lesung
angesprochen habe und auf den Kollege Held auch schon
eingegangen ist . Wir haben in Deutschland 15 Län-
der-Vergabegesetze mit durchaus unterschiedlichen Re-
gelungen . Bayern ist das einzige Bundesland, das kein
eigenes Gesetz dazu hat; das glaubt man kaum .
Im Hinblick auf mehr Anwenderfreundlichkeit und
weniger Bürokratie wäre es schön, irgendwann nur noch
ein Vergabegesetz zu haben, an dem sich Bund und
Länder gemeinsam orientieren, und zwar für die Ver-
gabe im Oberschwellenbereich wie für die Vergabe im
Unterschwellenbereich, die ja den Löwenanteil der öf-
fentlichen Vergaben darstellt . Die zunehmende und vom
EU-Recht auch geforderte elektronische Vergabe könnte
hierfür einen Anreiz bieten . Dann hätte man statt 16 ver-
schiedener Masken und Softwarelösungen nur noch eine
einzige . Für die Anbieter gibt es nämlich keine Bundes-
ländergrenzen .
Ich bedanke mich herzlich .
Vielen Dank, Frau Dr . Gundelach . – Nächste Redne-
rin in der Debatte: Katharina Dröge für Bündnis 90/Die
Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Union und der SPD! Bei der Re-
form des Vergaberechts, die Sie hier heute beschließen
wollen, hätten Sie eine wirklich große Chance gehabt .
Bei der Vergabepolitik hätten Sie die Chance gehabt, ein
Stück mehr zu gestalten, wie die Wirtschaft in Deutsch-
land funktioniert . Sie hätten die Chance gehabt, mit der
Vergabepolitik eine Wirtschaft zu fördern, die auf Um-
weltschutz, auf Nachhaltigkeit und auf faire und soziale
Arbeitsbedingungen setzt . Diese Chance hat Ihnen die
Europäische Union mit ihren Richtlinien explizit einge-
räumt . Sie hat an vielen Stellen Möglichkeiten geschaf-
fen, dass die Mitgliedstaaten in ihren Vergabegesetzen
ökologische, soziale oder menschenrechtliche Kriterien
stärken .
Sie hätten die Chance gehabt, Unternehmen stärker zu
fördern, die auf Qualität und nicht einfach auf den nied-
rigsten Preis setzen . Doch ich muss heute feststellen –
das finde ich wirklich traurig –: Sie haben diese Chance
nicht genutzt .
Noch schlimmer: Sie haben diese Chance wider bes-
seres Wissen nicht genutzt . Denn wenn Sie den Experten
zugehört hätten, die wir hier im Deutschen Bundestag
im Rahmen einer Anhörung befragt haben – spätestens
dann –, hätte Ihnen klar werden müssen, wie viel Nach-
besserungsbedarf es in Bezug auf Ihren Gesetzentwurf
noch gegeben hätte .
Ich möchte Ihnen nur einige Beispiele aus der Anhö-
rung nennen: Sie hätten zum Beispiel bei den sozialen
Dienstleistungen nachbessern müssen . Hier geht um ein
sensibles Beziehungsverhältnis zwischen den Mitarbei-
tern bei den sozialen Dienstleistern auf der einen Seite
und ihren Klienten auf der anderen Seite . Es kommt hier
elementar auf die Qualität der Betreuung und auf die
Kompetenz sowie die Erfahrungen der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter an . Sie hätten die Chance gehabt, mit
Ihrer Vergabepolitik stärker auf die Qualität und weni-
ger auf Preiswettbewerb und damit auf Lohndumping zu
setzen .
Ich frage mich ganz ehrlich: Wie stark muss die Rück-
meldung der Expertinnen und Experten in der Breite
eigentlich sein, damit Sie sich endlich bewegen? Vom
DGB über die Caritas, die Diakonie und die AWO bis
zu den kommunalen Vertretern: Sie alle haben Ihnen zu
diesem Gesetzentwurf einen Nachbesserungsbedarf auf-
geschrieben, doch von Ihnen kommt nichts .
Sie hätten bei den ökologischen und sozialen Krite-
rien, bei den zwingenden Ausschlussgründen, bei der
interkommunalen Zusammenarbeit und bei den Wehr-
dienstleistungen nachbessern müssen .
Doch überall kommt von Ihnen nichts .
Zwei meiner Vorredner haben hier noch einmal das
Thema Landesvergabepolitik erwähnt . Es ging um die
Möglichkeit, eigene Landesvergabegesetze zu entwi-
ckeln . Auch hier schränken Sie den Spielraum der Lan-
desgesetzgeber ein, obwohl die rot-grüne Landesregie-
rung von Nordrhein-Westfalen einen eigenen Antrag im
Bundesrat eingebracht hat und einer der Vorreiter war .
Ihre Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat das noch
gefeiert, Ihr Arbeitsminister Guntram Schneider hat ein
Dr. Herlind Gundelach
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514424
(C)
(D)
eigenes Tariftreue- und Vergabegesetz in NRW zu sei-
nem Projekt gemacht, und Sie als SPD schränken hier
in diesem Entwurf des Vergaberechtsmodernisierungsge-
setzes den Spielraum der Länder wieder ein .
Dass ich mit dieser Kritik recht habe, bestätigen Sie
doch eigentlich selbst . Sie haben nämlich im Ausschuss
mit großem Brimborium eine Protokollnotiz vorgelesen,
mit der Sie versuchen, klarzustellen, was Sie mit diesem
Gesetzentwurf eigentlich gemeint haben .
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn Sie selbst schon
Zweifel haben, wie der Gesetzentwurf zu verstehen ist,
dann ändern Sie ihn und dann lesen Sie nicht irgendeine
Protokollnotiz im Wirtschaftsausschuss vor, die mit ins
Plenum überwiesen, aber mit Sicherheit keine Rechtsver-
bindlichkeit haben wird . Das ist nur eine Beruhigungspil-
le für die Zweiflerinnen und Zweifler aus den eigenen
Fraktionen – mehr nicht .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und
SPD, ich kann Ihnen nur sagen: Angesichts der Tragwei-
te dieses Gesetzentwurfs, angesichts der Milliardensum-
men, um die es bei der öffentlichen Vergabe geht, und
angesichts der Chancen, die die Europäische Union Ih-
nen explizit eröffnet hat, muss ich feststellen: Ihr Gesetz-
entwurf ist unzureichend und lückenhaft . Er ist mutlos,
und Sie haben die Chance verpasst, auf ökologische, so-
ziale und faire Vergabekriterien zu setzen . Das ist nicht
die Politik, die Sie hier machen sollten . Vielleicht nutzen
Sie in ein paar Jahren die Chance, sich selbst zu korri-
gieren .
Vielen Dank, Katharina Dröge . – Jetzt hat für die Bun-
desregierung der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer das Wort .
U
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der eine redet von Frühkapitalismus, und die an-
dere versucht, diesen Gesetzentwurf, der für Deutschland
wirklich wesentlich ist, durch eine besondere und
– lassen Sie mich doch bitte ausreden – vielleicht etwas
schiefe Wahrnehmung der Situation in einen Schrank zu
stellen, in den er nicht gehört .
Dieser Gesetzentwurf ist ausgewogen und nachhaltig,
und er ordnet in Deutschland etwas, was dringend geord-
net werden muss .
Er ordnet eine gute Vergaberechtspolitik, bei der es im-
merhin um etwa 12 Prozent unseres Bruttoinlandpro-
duktes geht . In Deutschland werden jährlich öffentliche
Aufträge im Umfang von circa 300 Milliarden Euro ver-
geben . Dafür brauchen wir klare und eindeutige Regeln .
Frau Dröge, diese Regeln haben wir mit diesem Gesetz-
entwurf .
Wir wollen, dass das Vergaberecht in Deutschland ein-
facher und anwenderfreundlich wird und dass vergleich-
bare Sachverhalte, die bisher mehrfach unterschiedlich
geregelt worden sind, einheitlich geregelt werden . In-
sofern ist die Modernisierung dieses Vergaberechts für
öffentliche Auftraggeber und Unternehmen ein richtiger
Weg, um mehr Flexibilität bei der Vergabe öffentlicher
Aufträge zu erreichen .
Natürlich sind die Struktur und der Inhalt des deut-
schen Vergaberechts in der Vergangenheit schon immer
sehr komplex gewesen . Wer sagt das nicht! Aber diese
Reform – das sage ich noch einmal – ist ausgewogen .
Dieser Gesetzentwurf findet überwiegend sehr positive
Resonanz .
Dies ist umso bemerkenswerter, als die Beteiligten in
diesen Prozess zum Teil sehr unterschiedliche Positionen
eingebracht haben .
Auch die Vertreter des Bundesrates, liebe Frau Dröge,
haben die wesentlichen Inhalte dieses Regierungsent-
wurfes bestätigt und werden über den Entwurf morgen
abschließend beraten . Wir werden sehen, mit welchem
Erfolg .
Zu diesem neuen Vergaberecht ist aber auch zu erwäh-
nen, dass die Reform wegweisend ist . Sie ist besonders
im Hinblick auf die neue Struktur des Vergaberechtes
wegweisend . Alle wesentlichen Regelungen der neuen
EU-Vergaberichtlinie werden künftig in einem Gesetz,
dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, ver-
ankert . Damit wird erstmals der Ablauf des gesamten
Vergabeverfahrens im Gesetz klar und deutlich vorge-
zeichnet . Ich bin sehr zuversichtlich, dass der Bund den
Ländern mit diesem Gesamtpaket aus Gesetz und Ver-
ordnung ein Vorbild sein wird .
Katharina Dröge
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14425
(C)
(D)
Diese Reform ist nachhaltig . Im Vergabeverfahren
finden sich soziale, ökologische und innovative Aspekte,
die bei der Vergabe öffentlicher Aufträge künftig stärker
Berücksichtigung finden werden. Welche Nachhaltig-
keitskriterien verlangt werden, darüber entscheidet, mei-
ne sehr geehrten Damen und Herren, der Auftraggeber;
denn je strenger die Vorgaben im Hinblick auf eine nach-
haltige Beschaffung ausfallen, desto bürokratischer wer-
den natürlich in der Tendenz die Regelungen und desto
schwieriger die Kontrolle .
Ich komme zum Schluss . Diese Reform ist auch so-
zial – das, was der Kollege Held, vorgetragen hat, ist
richtig –: Wir haben erreicht, dass es bei einem Betrei-
berwechsel im Schienenpersonenverkehr keine Proble-
me gibt, und wir haben das Ganze auf einen guten Weg
gebracht . Auch da gibt es endlich Klarheit .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Kollege Beckmeyer . – Die nächste Red-
nerin: Barbara Lanzinger für die CSU/CDU-Fraktion .
– Aber Frau Lanzinger kommt aus Bayern .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-
legen! Sehr geehrte Damen und Herren, auch wenn nicht
mehr sehr viele da sind! Wie wichtig das Vergaberecht
für die Wirtschaft und die öffentlichen Auftraggeber ist,
haben die sehr intensiven Beratungen mit Vertretern der
Verbände gezeigt . Auch innerhalb der Koalition waren
sehr viele Gespräche notwendig . Ich denke, sie waren
sehr konstruktiv .
Noch einmal zum Hintergrund . Wir mussten das
Vergaberecht im Oberschwellenbereich überarbeiten .
Grundlage hierfür ist das EU-Richtlinienpaket zur Mo-
dernisierung des Vergaberechts, das im April letzten Jah-
res in Kraft getreten ist und innerhalb von zwei Jahren
umgesetzt werden muss . Die EU-Reform und dement-
sprechend auch die deutsche Umsetzung zielen darauf ab,
das Vergaberecht innerhalb der EU stärker zu vereinheit-
lichen. Die Vergabeverfahren sollen insgesamt effizien-
ter, anwenderfreundlicher und flexibler werden. Ich den-
ke, wir haben es in den intensiven Beratungen der letzten
Monate geschafft, gute und ausgewogene Ergebnisse zu
erzielen . Wichtig war uns vor allem, dass wir so weit wie
möglich eine Eins-zu-eins-Umsetzung vornehmen, damit
wir eine größtmögliche Vereinheitlichung haben .
Viele Punkte wurden schon genannt . Deshalb gehe ich
jetzt nur noch kurz auf die Aspekte ein, die von besonde-
rer Bedeutung für den Mittelstand, das Architektenwe-
sen und die Bauwirtschaft sind . § 97 des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen, sprich: GWB, regelt die
Grundsätze der Vergabe . Öffentliche Aufträge und Kon-
zessionen werden unter Beachtung der Grundsätze der
Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im Wett-
bewerb und transparent vergeben . Aspekte der Qualität,
Innovation sowie soziale und umweltbezogene Kriteri-
en – das wurde schon erwähnt, aber ich erwähne es noch
einmal, Frau Dröge und auch Herr Schlecht – können
bei der Vergabe berücksichtigt werden . Das steht alles
in § 128 GWB: Auftragsausführung . Ich kann es Ihnen
gerne vorlesen, wenn Sie das möchten; ich habe es dabei .
Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass man den
Aspekt der Qualität vielleicht noch stärker betont . Das
ist leider nicht möglich gewesen . Dabei kommt es letzt-
endlich – auch das wurde schon ausgeführt – auf die
Ausschreibung an, also wie genau die Ausschreibung
formuliert wird . Das heißt, der öffentliche Auftraggeber
hat es in der Hand, die Kriterien so zu gestalten, dass
letztendlich die Qualitätskriterien ausschlaggebend für
den Zuschlag sein können und sogar sollten .
– Natürlich .
Die Leistungsbeschreibung gibt die Wertungsmaßstä-
be vor, auf deren Grundlage der Zuschlag erteilt wird .
Man muss dazusagen: Bisher war im GWB die Leis-
tungsbeschreibung nicht explizit enthalten . Sie ist jetzt
neu darin aufgenommen worden . Bisher war sie nur in
der VOB enthalten .
Zurück zum § 97 GWB: „Mittelständische Interessen
sind … vornehmlich zu berücksichtigen“, heißt es darin .
„Leistungen sind in der Menge aufgeteilt“ und in Form
von Fachlosen zu vergeben . Eine Zusammenfassung der
Lose kann und darf erfolgen, wenn wirtschaftliche oder
technische Gründe dies erfordern, zum Beispiel bei einer
offensichtlich nicht sinnvoll reduzierbaren Komplexität
des Gesamtauftrags, einem nachweisbar deutlich erhöh-
ten Mängelrisiko bei einer Teil- oder Fachlosvergabe
sowie einer nachweislich erhöhten Gefahr, dass der Ge-
samtauftrag bei einer Teil- oder Fachlosvergabe insge-
samt nicht sachgerecht ausgeführt werden kann .
Frau Lanzinger, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung vom Kollegen Klaus Ernst?
Ja, wenn er will .
Danke, Frau Lanzinger . Er will .
Frau Lanzinger, ich habe noch einmal nachgeschaut:
Ihr habt 25 Minuten Redezeit in dieser Debatte .
Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514426
(C)
(D)
Ich habe jetzt nur 4 Minuten .
Ich meine insgesamt . Meine Bitte wäre: Ist es Ihnen
möglich, in Ihrer verbleibenden Redezeit auf die Argu-
mente einzugehen, die zum Beispiel von Frau Dröge oder
auch von meinem Kollegen Schlecht in diese Debatte
eingebracht wurden?
Denn das, was Sie jetzt sagen, ist bekannt .
Weil offensichtlich die Kollegen von der SPD die Fra-
gen nicht mehr im Kopf haben, was ich verstehen kann –
es ist schließlich der vorletzte Tag dieser Sitzungswo-
che –, möchte ich sie wiederholen . Ich hätte erstens gerne
von Ihnen gewusst, warum es in dieser Koalition nicht
möglich war, zum Beispiel die Frage der Frauenquote
als einem wichtigen sozialen Fortschritt in diesem Lan-
de in das Vergaberecht mit einzubauen . Man hätte zum
Beispiel regeln können – das wäre möglich gewesen –:
Wenn öffentliche Aufträge vergeben werden, dann wird
darauf geachtet, ob das Unternehmen die Richtlinien, die
wir im Bundestag beschlossen haben, einhält . Und wenn
es sie nicht einhält, dann bekommt es den Auftrag nicht .
Zweitens frage ich Sie noch einmal ganz bewusst –
weil Ihnen diese Frage auch nicht mehr geläufig ist und
weil ich einen Gewerkschafter sehe, der den Kopf schüt-
telt –, warum es nicht möglich war, zum Beispiel die
Tarifbindung zwingend in den Gesetzentwurf aufzuneh-
men . Dann würde bei der Vergabe eines Auftrages darauf
geachtet, ob die Tarifbindung eingehalten wird .
Wir diskutieren im Bundestag die Stärkung der Tarif-
autonomie hoch und runter . Das wäre wirklich einmal ein
Akt der Stärkung der Tarifautonomie gewesen, die fast
17 Prozent Auftragsvolumen in dieser Republik dazu zu
nutzen, die Tarifautonomie, wenn wir sie politisch wol-
len, zu stärken .
Das alles machen Sie nicht . Jetzt hätte ich gerne die
Antworten auf diese Fragen; denn Sie haben noch genug
Redezeit .
Frau Lanzinger, bitte .
Vielen Dank für Ihre Fragen, Herr Ernst . Wenn Sie
genau zugehört hätten, wüssten Sie, dass ich vorhin auf
§ 128 – Auftragsausführung – eingegangen bin . Dabei
geht es um die sozialen und umweltbezogenen Kriterien
bei der Vergabe sowie um die Qualität . Das habe ich be-
antwortet .
– Warum denn zwingend? Wenn Sie alles zwingend vor-
schreiben, glauben Sie, dass es dann noch Wettbewerb
und freie Auswahl gibt?
Ich will weder Dirigismus noch Sozialismus, sondern ich
will freie Marktwirtschaft . Das ist der Punkt .
Zweitens . Sie haben nach der Frauenquote gefragt .
Dazu sage ich Ihnen deutlich – ich habe das schon in
meiner letzten Rede deutlich gemacht –: Eine Frauen-
quote hat nichts mit Leistungserbringung zu tun . Man
kann doch nicht die Firmen mit einer Frauenquote unter
dem Siegel der Leistungserbringung gängeln . Das hat
damit überhaupt nichts zu tun . Ich bin nicht dafür . Es ist
nicht richtig, so etwas einzuführen .
Sie haben drittens nach den Protokollnotizen und nach
vielen anderen Dingen gefragt . Ich habe die ganzen Un-
terlagen dabei und kann Ihnen das vorlesen .
Viertens und abschließend zu Ihrer Frage: Dass Sie
immer auf alle Forderungen eingehen würden, die wir
stellen, und alle Fragen beantworten, würde ich mir auch
wünschen .
Danke schön .
– Ich bin auch eine Nette – solange Sie mich nicht ärgern .
Mittelständische Interessen sind, wie gesagt, vor-
nehmlich zu berücksichtigen . Wir haben das Ganze in
Protokollnotizen festgehalten, die sehr wohl verbindlich
sind . Wir haben das gestern beschlossen . Sie dürfen mich
auch dazu gerne fragen; denn ich habe alle Protokollno-
tizen dabei und kann sie Ihnen vorlesen, wenn Sie das
wünschen .
– Fragen Sie mich ruhig . Dann habe ich mehr Redezeit .
Das können wir machen .
Die vorrangige Berücksichtigung mittelständischer In-
teressen bei der Losvergabe ist ein wichtiger Punkt . Dazu
kamen sehr viele Schreiben unterschiedlicher Verbände .
Wir können festhalten, dass wir beides gleich gewichtet
haben . So werden die kleinen und mittelständischen Un-
ternehmen bei der Losvergabe vornehmlich berücksich-
tigt, ohne dass wir die Komplexität des Gesamtauftrags
für größere Unternehmen aus den Augen verlieren . Das
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14427
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(D)
bedeutet ausgewogene Flexibilität für die Auftraggeber
und dient gleichzeitig der Wahrung der Interessen des
Mittelstandes .
Wir verschlanken die Struktur des Vergaberechts, in-
dem wir handhabbarere, flexible Regeln schaffen. Auch
die Wahlfreiheit wurde schon erwähnt . Ich sage es noch
einmal, weil Sie es vielleicht nicht verstanden haben: Of-
fenes und nicht offenes Verfahren stehen nun gleichran-
gig nebeneinander . Damit können Ausschreibungen noch
besser an die spezifischen Anforderungen des jeweiligen
Auftrags angepasst werden . Diese Wahlfreiheit hat auch
Vorteile für die Bieter . Die Angebotserstellung beim
nicht offenen Verfahren ist einfacher . Die Unternehmen
können ihre Ressourcen schonen und entscheiden, ob sie
teilnehmen oder nicht . Gleichwohl sind Transparenz und
Chancengleichheit gegeben; denn jedem nicht offenen
Verfahren ist ein öffentlicher Teilnahmewettbewerb vor-
geschaltet; das ist ein wichtiger Punkt .
Daneben gibt es eine neue Verfahrensart – das wurde
noch nicht erwähnt –, die sogenannte Innovationspart-
nerschaft . Hierbei handelt es sich um ein besonderes Ver-
gabeverfahren zur Entwicklung und zum anschließenden
Erwerb innovativer Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen,
wenn der bestehende Bedarf nicht durch bereits auf dem
Markt verfügbare Lösungen gedeckt werden kann . Öf-
fentliche Auftraggeber können so langfristige Innova-
tionspartnerschaften eingehen . Eines möchte ich dabei
betonen: Die EU-Vergaberichtlinie wird hinsichtlich
wesentlicher Regelungen in diesem Gesetzentwurf nur in
Grundzügen geregelt . Der Teufel steckt im Detail, wie
Kollegin Gundelach bereits gesagt hat .
Wir werden in der Vergabeverordnung einiges regeln .
Ich danke hier unserem Koalitionspartner, dass er beim
Parlamentsvorbehalt mitgegangen ist . So haben wir im
Parlament noch die Möglichkeit, darüber zu reden, wie
künftig die Vergabeverordnung ausgestaltet werden soll .
Das Wirtschaftsministerium wird sicherlich noch einen
Vorschlag bezüglich des Schwellenwertes bei der Auf-
tragsvergabe im Zusammenhang mit Architekten- und
Ingenieursleistungen unterbreiten . Hier müssen wir den
funktionalen Zusammenhang klären . Geht es hier nur um
Leistungen, die zur Herstellung eines Gebäudes dienen,
oder sollen alle Architekten- und Ingenieursleistungen
einbezogen werden? Hier müssen wir ganz genau hin-
schauen; denn wenn wir das zusammenfassen würden,
käme das einer Absenkung des Schwellenwertes gleich .
Das wollen wir auf gar keinen Fall . Ich denke, darin sind
wir uns einig; denn dies wäre ein im Vergleich zur jet-
zigen Gesetzeslage negativer Paradigmenwechsel . Es ist
wichtig, dass wir all diese Zusammenhänge aufgenom-
men haben .
Ich fasse zusammen: Wir stärken mit dem vorliegen-
den Gesetz Qualität und Wettbewerb bei der öffentli-
chen Auftragsvergabe . Eine Frauenquote hat nichts mit
der Leistungserbringung zu tun . Herr Ernst, Sie wollen
Zwang ausüben . Ich sage dagegen ganz deutlich: Kann-
und Sollbestimmungen lassen der Wirtschaft Luft zum
Atmen .
– Herr Ernst, da können Sie ruhig lachen . Das ist aber im
Wirtschaftsbereich sehr wichtig .
Ich möchte – genauso wie beim letzten Mal – mit ei-
nem Zitat des kürzlich verstorbenen Altkanzlers Helmut
Schmidt enden: „Märkte sind wie Fallschirme, sie funk-
tionieren nur, wenn sie sich öffnen .“
Ich bedanke mich noch einmal für die gute Zusam-
menarbeit und das gute Miteinander . Ich wünsche Ihnen
alles Gute .
Danke, Frau Lanzinger . – Letzter Redner in der Debat-
te: Dr . Matthias Bartke für die SPD .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
wir uns den vorliegenden Gesetzentwurf ansehen, so stel-
len wir fest, dass wir einen ziemlich dicken Stapel Papier
vor uns haben. In all den Seiten findet sich aber nur ein
einziger Paragraf zu Arbeitsmarkt- und Sozialdienstleis-
tungen, nämlich § 130 . Dieser Paragraf hat es jedoch in
sich, und deshalb haben wir Arbeits- und Sozialpolitiker
von Anfang an bei diesem Gesetzentwurf mitgeredet . Ich
freue mich, dass ich als Mitglied des Arbeits- und Sozial-
ausschusses zu diesem für uns wichtigen Gesetzentwurf
hier sprechen darf .
Die wichtige Funktion von Arbeitsmarktdienstleis-
tungen und die Monopolstellung der Bundesagentur für
Arbeit machen die große Bedeutung des Vergaberechts
für den Arbeitsmarkt unmittelbar deutlich . Daher habe
ich kürzlich ein Regionales Einkaufszentrum der Bun-
desagentur für Arbeit besucht, ein sogenanntes REZ .
Die Regionalen Einkaufszentren führen im Auftrag der
Arbeitsagenturen und Jobcenter Vergabeverfahren durch .
Wir kamen dabei schnell auf das Thema Qualität zu
sprechen . Es wurde deutlich, dass auch die Bundesagen-
tur für Arbeit den ausdrücklichen Wunsch hat, an quali-
tativ erfolgreiche Träger zu vergeben . Sie hat daher mit
großer Zufriedenheit aufgenommen, dass die Gewich-
tung der Qualität künftig nicht mehr auf 25 Prozent be-
schränkt sein wird . Dazu gehört auch, dass künftig Erfolg
und Qualität bereits erbrachter Leistungen berücksichtigt
werden; Frau Lanzinger hat bereits zum Thema Qualität
gesprochen . Das Ergebnis von Arbeitsmarktdienstleis-
tungen ist eben nicht materieller Natur . Stattdessen ist
die Mitwirkung aller Beteiligten ganz wichtig . Wir haben
es dabei mit einem hohen Maß an Individualität zu tun .
Es wäre daher schlicht dumm, das Angebot eines Trägers
allein am Preis zu messen . Wer billig zahlt, zahlt doppelt .
Liebe Frau Dröge, liebe Grüne, in Ihrem Entschlie-
ßungsantrag beziehen Sie sich weitgehend auf die Forde-
rung des Vergabebündnisses . Ich sage Ihnen: Wir haben
uns mehrfach mit dem Bündnis getroffen, und wir ha-
Barbara Lanzinger
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514428
(C)
(D)
ben seine Forderungen verstanden . Das aktuellste Papier
des Vergabebündnisses fordert die Aufnahme von sechs
Qualitätskriterien in die Vergabeverordnung . Sie haben
richtig gehört: in die Verordnung, nicht ins Gesetz . In die
Verordnung werden wir sie auch einbringen . Das stellt
insbesondere wegen des vereinbarten Parlamentsvorbe-
halts, über den bereits gesprochen wurde, eine klare Ver-
besserung dar .
Wir werden in die Verordnung konkrete Qualitätskri-
terien einbauen . Dazu gehören Integrationsquoten, Ab-
bruchquoten, Bildungsabschlüsse und die Zufriedenheit
des Auftraggebers . Damit greifen wir die Forderungen
des Bündnisses unmittelbar auf . Die Bundesagentur für
Arbeit begrüßt diese Ergänzung . Endlich kann sie rechts-
sicher Qualität berücksichtigen .
Meine Damen und Herren, lieber Herr Schlecht, lieber
Klaus Ernst, lassen Sie mich eins einmal ganz deutlich
sagen: Das Vergaberecht regelt das Vergaberecht . Mit
dem Vergaberecht lassen sich tarif- und sozialpolitische
Missstände nicht beseitigen und lässt sich auch die Frau-
enquote nicht einführen . Aber die Botschaft ist klar: Die
Modernisierung des Vergaberechts bietet die Chance, die
Qualität der Arbeitsmarktdienstleistungen zu verbessern .
Das heute von uns zu beschließende Vergaberechtsmo-
dernisierungsgesetz ist ein ausgezeichnetes Gesetz . Nun
muss es durch die Bundesagentur für Arbeit gelebt und
ausgefüllt werden .
Meine Damen und Herren, das ist meine letzte Rede
in diesem Jahr, ich wünsche Ihnen frohe Feiertage und
einen guten Rutsch .
Danke .
Vielen Dank . Das wünschen wir Ihnen natürlich
auch . – Ich schließe damit die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Modernisierung des Vergaberechts . Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/7086, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 18/6281 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Hierzu liegt ein Änderungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7089
vor, über den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für
diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zuge-
stimmt hat die Linke . Abgelehnt haben CDU/CSU, SPD
und Bündnis 90/Die Grünen .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Zustim-
mung von CDU/CSU und SPD und Gegenstimmen von
Bündnis 90/Die Grünen und Linken angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Zugestimmt
haben CDU/CSU und SPD . Dagegengestimmt haben die
Linken und Bündnis 90/Die Grünen . Der Gesetzentwurf
ist angenommen .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge . Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/7090 . Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt hat die Linke, dagegengestimmt haben alle
anderen .
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/7091 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Lin-
ke, abgelehnt haben ihn CDU/CSU und SPD .
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/7092 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt hat Bündnis 90/Die Grünen . Dagegenge-
stimmt haben CDU/CSU und SPD . Enthalten hat sich die
Linke .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
zu dem Antrag der Abgeordneten
Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Dr . Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Stromsperren gesetzlich verbieten
Drucksachen 18/3408, 18/3751
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache wieder mit Marcus Held
für die SPD .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Im Jahr 2014 wurde in Deutschland bei
352 000 Haushalten eine sogenannte Stromunterbre-
chung vorgenommen . Das ist ein trauriger Rekord . Wir
beschäftigen uns seit vielen Monaten hier im Plenum des
Deutschen Bundestags und in den Fachausschüssen mit
diesem Problem .
Dr. Matthias Bartke
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14429
(C)
(D)
Leider ist Ihr Antrag heute zu diesem Thema aber sehr
kontraproduktiv .
Wir müssen vielmehr das Ziel definieren, solche Ver-
sorgungsunterbrechungen infolge der Nichtzahlung der
Stromrechnung im Interesse der Betroffenen zu vermei-
den . Wie dies geschehen könnte, prüft das BMWi in einer
Arbeitsgruppe mit den Ländern seit mehreren Monaten .
Dabei stellt sich insbesondere die Frage: Können Pre-
paidstromzähler dazu beitragen, das Problem ein Stück
weit einzudämmen? Wir als SPD-Fraktion möchten die
Arbeitsgruppe höflich bitten, die Ergebnisse so schnell
wie möglich vorzulegen .
Sie als Linke-Fraktion fordern allerdings in Ihrem An-
trag, Stromsperren grundsätzlich gesetzlich zu verbieten .
Dass das nicht geht, wissen Sie natürlich selbst; denn
eine solche Regelung könnte jeden dazu einladen, sei-
ne Stromrechnung gar nicht erst zu bezahlen . Aber auch
die Frage, wer den Stromkonzernen bzw . den Anbietern
den Schaden ersetzt, wurde leider in Ihrem Antrag bisher
nicht beantwortet . Vielleicht tun Sie es heute; denn ein
Geschäft zulasten Dritter ohne entsprechenden Ausgleich
infolge eines Gesetzes wäre wohl kaum verfassungskon-
form .
Zumindest ist mir das bisher nicht bekannt .
Wir brauchen vielmehr Verbesserungen in dieser Fra-
ge, aber mit Maß und Ziel; denn schon heute muss nach
§ 19 Absatz 2 Stromgrundversorgungsverordnung die
Unterbrechung der Elektro- oder Gasversorgung ver-
hältnismäßig sein . Eine Sperre ist nicht möglich, wenn
der Betroffene das Versorgungsunternehmen und seinen
Sozialleistungsträger über das Zahlungsproblem infor-
miert hat . Eine denkbare Möglichkeit ist es deshalb, eine
gesetzliche Mitteilungspflicht für den Energiedienstleis-
ter einzuführen, sodass dieser eine Information an die
zuständige Sozialbehörde weitergeben muss, wenn sich
entsprechende Zahlungsrückstände abzeichnen .
Es wäre aber auch denkbar, dass die Abschläge für
die Stromrechnung direkt vom Sozialleistungsträger an
die Energieversorger überwiesen werden . Das ist heute
schon möglich . Allerdings ist dies für den Betroffenen,
der Leistungen vom Jobcenter oder auch vom Sozialamt
bezieht, nur fakultativ . Die Verbraucherzentralen emp-
fehlen deshalb das Vorgehen der Abtretung schon seit
langer Zeit gerade sozial schwachen Stromkunden, damit
dieses Problem erst gar nicht entsteht .
Warum machen wir diese Abtretung nicht einfach zur
Pflicht, was eine Lösung wäre? Wenn wir argumentieren,
dass die Versorgung mit Strom und Gas „Grundvoraus-
setzung für ein menschenwürdiges Wohnen und die Teil-
habe am gesellschaftlichen Leben“ ist, wie es in Ihrem
Antrag wörtlich heißt
– das teilen auch wir –, dann müssen doch die Sozialhil-
feträger diese Kosten zuerst tragen .
Meine Damen und Herren, flankierend brauchen wir
aber auch weitere Hilfe und Unterstützung für Menschen,
die von sich aus das Thema Energiesparen nicht so sehr
im Fokus haben, vielleicht weil sie es als Luxusproblem
sehen und Luxus in ihrem Leben aufgrund der Rahmen-
bedingungen leider keine große Rolle spielen kann . Des-
halb sollten wir den Austausch alter Kühlschränke gegen
neue weiterhin fördern . Wir sollten Energieberatungen
auch und gerade für einkommensschwache Haushalte
zur Pflicht machen, und zwar in Zusammenarbeit mit den
Sozialhilfebehörden .
Hier gibt es schon sehr positive Beispiele, etwa in
Jena, wo die Caritas einen Stromspar-Check anbietet, der
von den Stadtwerken unterstützt wird . Haushalten, die
von Arbeitslosengeld oder Grundsicherung leben, wird
eine Energieberatung angeboten, und die Stromfresser
im jeweiligen Haushalt werden gemeinsam ermittelt . Als
Soforthilfen gibt es in Jena Zeitschaltuhren oder Ener-
gielampen im Wert von 70 Euro pro Beratung und ei-
nen Zuschuss von 150 Euro für die Anschaffung eines
stromsparenden Kühlschranks .
Das knappe Gut Wohnraum in Deutschland, meine
Damen und Herren, wird durch die Stromsperren zusätz-
lich vor Probleme gestellt . Denn eine Stromabschaltung
ist nicht nur für den Mieter ein Problem . Auch der Ei-
gentümer der Wohnung muss bei einer Stromabschal-
tung Schäden an seinem Eigentum befürchten, besonders
wenn eine Stromheizung in der Wohnung vorhanden ist
und die Wohnung bei einer Sperre dauerhaft auskühlt,
sodass Schäden an der Substanz die Folge sein könnten .
Wir können die hohe Anzahl an Stromsperren in
Deutschland dauerhaft nicht hinnehmen . Zu den etwa
350 000 Haushalten, die 2014 von Stromsperren be-
troffen waren, kommen rund 7 Millionen Haushalte in
Deutschland hinzu, die 2014 angemahnt wurden bzw .
denen eine Stromsperre angedroht wurde . Deshalb soll-
ten wir gemeinsam als nächste Schritte anstreben, dass
die Schwelle zur Abschaltung von jetzt 100 Euro erhöht
wird . Die Kilowattstunde ist in den letzten Jahren näm-
lich bedeutend teurer geworden .
Auch müssen wir bereits jetzt berücksichtigen, dass für
das neue Jahr 2016 weitere Preiserhöhungen der Strom-
versorger angekündigt sind und dies zu einer Zuspitzung
des Problems führen kann .
Marcus Held
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514430
(C)
(D)
Die weiteren Kriterien für eine Stromsperre sind
bekanntermaßen glücklicherweise recht eng . Die
Stromsperre muss schon heute vier Wochen vorher ange-
droht werden . Der Vollzug der Sperre ist drei Werktage
vorher anzukündigen und nur in dem Fall möglich und
rechtlich umsetzbar, wenn der Verbraucher dem Versor-
ger nicht in Aussicht stellen konnte, dass er seinen Zah-
lungspflichten mittel- und langfristig nachkommt. Au-
ßerdem muss die Sperre verhältnismäßig sein . Das lässt
sich in der Rechtsprechung weit auslegen .
Glauben Sie mir, als Vorsitzender einer ehrenamtli-
chen Tafel, die mehrere Tausend Bedürftige versorgt, und
als aktiver Kommunalpolitiker habe ich regelmäßig mit
diesem Problem zu tun . Sehr selten geht die Maßnahme
darauf zurück, dass das Geld vom Sozialhilfeträger nicht
hätte fließen können. Vielmehr haben sich die Betroffe-
nen leider selten der Sache frühzeitig angenommen, und
die Petenten kommen mit einem Haufen ungeöffneter
Briefe in die Sprechstunde .
Deshalb: Wir müssen gemeinsam etwas tun, damit
Strom und Gas fließen können und alle Menschen men-
schenwürdig leben können . Ihr Antrag befasst sich aller-
dings leider nicht sachlich mit dem Thema, sondern so,
wie wir es von Ihnen allzu sehr gewohnt sind: Er ver-
sucht, dieses Thema unsachlich zu behandeln und popu-
listisch zu nutzen . Daher müssen wir den Antrag heute
leider ablehnen .
Vielen Dank, Kollege Held . – Die nächste Rednerin in
der Debatte: Caren Lay für die Linke .
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Richtig ist, dass wir zum wiederholten Male in diesem
Hohen Hause über das Thema Stromsperren sprechen .
Aber leider haben Sie unterschlagen, dass wir zum wie-
derholten Male auf Antrag der Linken über dieses Thema
sprechen .
Alle Jahre wieder argumentieren Sie: Das ist ein po-
pulistischer Antrag . Was die Linken da vorschlagen, das
geht ja gar nicht . – Da frage ich Sie: Wo ist denn Ihr An-
trag? Legen Sie doch endlich einmal eigene Vorschläge
auf den Tisch! Die sind bis jetzt ausgeblieben .
Alle Jahre wieder erscheint auch der Monitoringbe-
richt der Bundesregierung . Er enthält aber alles andere
als eine frohe Botschaft . Die Zahl der Stromsperren ist
nämlich auch in diesem Jahr wieder erheblich gestie-
gen . Vor drei Jahren waren noch 40 000 Haushalte we-
niger betroffen . Jetzt sind wir bei sage und schreibe
352 000 Haushalten in Deutschland, denen der Strom
abgestellt wurde, sodass die Menschen buchstäblich im
Dunkeln saßen .
Man muss sich einmal vorstellen, was das für diese
Menschen ganz konkret bedeutet .
Das bedeutet nämlich, dass man sich keinen Tee und kei-
ne Suppe kochen kann, dass es in der Wohnung dunkel
ist, wenn man um diese Uhrzeit nach Hause kommt . All
das, was wir für normal halten, nämlich fernsehen, den
Rechner anstellen und das Handy aufladen, geht nicht.
Wir als Linke sagen: Das ist eine soziale Katastrophe .
Hier können wir nicht länger tatenlos zusehen .
– Auch Sie sollten dieses Thema einmal ernst nehmen und
sich Ihre zynischen Kommentare an dieser Stelle sparen .
Wir können gerne darüber sprechen, wer das Geld geben
soll und welche energiepolitischen Entscheidungen wir
an anderer Stelle hier getroffen haben . Ich lade Sie sehr
gerne dazu ein, mit mir darüber zu diskutieren .
Wir haben in der Tat steigende Strompreise . Das ist für
arme Leute ein Problem, weil die Löhne nicht im glei-
chen Umfang gestiegen sind . Zwischen 2000 und 2013
hat sich der Strompreis für Privatkunden verdoppelt .
Aber die Löhne sind nicht im gleichen Maße gestiegen .
Deswegen gibt es hier objektiv ein Problem . Das sollten
Sie einmal anerkennen .
Dies gilt wohlgemerkt für Privathaushalte . Für die In-
dustrie sieht das völlig anders aus . Die Regierung und
auch die Große Koalition waren sehr großzügig und ha-
ben kreative Lösungen gefunden, um den Anstieg der
Strompreise für die energieintensive Industrie zu mini-
mieren . Sie haben die tolle Lösung gefunden, dass wir,
die anderen Stromkunden, und wir, die Steuerzahler, die-
se Rabatte für die energieintensive Industrie mitbezah-
len . Aber wenn es um arme Leute geht, dann sagen Sie,
es sei kein Geld da. Entschuldigung, das finde ich völlig
absurd .
Stromsperren sind ein Zeichen dafür, dass wir es
mit Energiearmut zu tun haben . Wenn man die gängi-
ge Definition anlegt, sind fast 7 Millionen Haushalte in
Deutschland betroffen . Wenn man davon ausgeht, dass
einem Haushalt im Durchschnitt zwei bis drei Personen
angehören, dann liegen wir schon bei 14 bis 21 Millionen
betroffenen Menschen in Deutschland . Das ist eine hohe
Marcus Held
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14431
(C)
(D)
Zahl . Ich würde sie selbst kaum glauben, wenn es nicht
die Zahl der Bundesregierung wäre .
Auch die Schuldnerberatungsstellen bestätigen diesen
Trend . 2006 kam nur jeder Zehnte in die Schuldnerbera-
tungsstellen, um sich wegen Energieschulden beraten zu
lassen . Heute ist es schon jeder Dritte . Die Energieschul-
den, die Menschen zu tragen haben, sind deutlich ange-
stiegen .
Ministerin Hendricks hatte hier beispielsweise ange-
kündigt, dass der Heizkostenzuschuss im ALG II wieder
vollständig eingeführt werden sollte . Die Union hat ihr
leider einen Strich durch die Rechnung gemacht . Das
wäre mal ein guter Vorschlag gewesen .
Stromsperren sind eine soziale Katastrophe . Wir als
Linke fordern deswegen ganz konsequent: Stromsperren
müssen verboten werden .
Obwohl es in anderen europäischen Ländern geht, be-
haupten Sie, das sei nicht umsetzbar . Warum ist es in Bel-
gien und in Frankreich zumindest im Winter verboten,
den Strom abzustellen? Die Bundesregierung hat noch
nicht einmal die Richtlinie der Europäischen Union rich-
tig umgesetzt, die nämlich bestimmte Personengruppen
vor einer Abklemmung schützt . Auch auf diese Umset-
zung warten wir in Deutschland seit vielen Jahren . Dafür
fehlt mir, ehrlich gesagt, jedes Verständnis .
Meine Damen und Herren, die Versorgung mit Ener-
gie ist für uns als Linke ein Grundrecht, das wir besser
schützen müssen .
Viele von uns werden in den nächsten Tagen, am Heili-
gen Abend in erleuchteten Stuben sitzen, andere nicht .
Sie sitzen im Dunkeln . Machen Sie doch diesen armen
Menschen wenigstens ein Weihnachtsgeschenk, und
stimmen Sie heute unserem Antrag zu .
Vielen Dank .
Danke, Frau Kollegin Lay . – Der nächste Redner in
der Debatte ist Jens Koeppen für die CDU/CSU-Frak-
tion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist Weihnachtszeit, und alle Jahre wieder kommt nicht
nur das Christuskind, sondern auch dieser Antrag .
Ich glaube, wir haben diesen Antrag schon fünfmal hier
im Plenum behandelt – in der vergangenen Legislaturpe-
riode zweimal, dieses Jahr schon einmal –, wir haben in
den Ausschüssen darüber gesprochen .
Man sieht doch Ihre Hilflosigkeit,
Ihre Einfallslosigkeit,
dass Sie diese olle Kamelle immer wieder bringen .
Ich bin es leid und verstehe es auch, ehrlich gesagt,
gar nicht . Sie haben so wenig Redezeit – das beklagen
Sie immer –, und dann kommen Sie immer mit dieser
ollen Kamelle und bringen diesen Antrag immer wieder
ein .
Das ist für mich unverständlich .
Dann muss ich sagen: Dass das eine kommunistische
oder eine sozialistische Partei macht, kann ich ja noch
verstehen . Aber dafür, dass die Grünen bei so einem Un-
fug als selbsternannte Bürgerrechtspartei mit aufsprin-
gen, fehlt mir jedes Verständnis .
Ich muss auch sagen: Den Antrag „Stromsperren gesetz-
lich verbieten“
müsste man verbieten . Aber das können wir ja leider
nicht machen, sonst hätten wir das schon gemacht .
Meine Damen und Herren, wer ist denn eigentlich von
solchen Stromsperren betroffen? Betroffen sind Men-
Caren Lay
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514432
(C)
(D)
schen, die aus verschiedenen Gründen nicht bezahlen
können .
– Es sind auch manche darunter, die nicht bezahlen wol-
len . – Es sind einige darunter, die mit der Situation über-
fordert sind . Es gibt laut Studien auch einige psychisch
Kranke, die nicht mit der Situation umzugehen wissen .
Aber warum zähle ich das auf? Für diese Menschen gibt
es ganz viele – ich komme nachher noch im Einzelnen
dazu – Sozialleistungen in unserem Sozialstaat . Da geht
es nicht darum, irgendetwas gesetzlich zu verbieten . Was
Sie wollen, ist nichts anderes, als unter dem Verweis auf
die Daseinsvorsorge in das Eigentum einzugreifen .
Meine Damen und Herren, jeder, der eine Dienstleis-
tung erbringt, jeder, der ein Produkt herstellt und einen
Vertrag mit einem Kunden eingeht, hat das Recht auf Be-
zahlung und den Schutz des Rechtsstaates . Das wollen
Sie angreifen . Das ist mit uns überhaupt nicht zu machen .
Sie müssen das Ganze auch zu Ende denken .
Das fällt Ihnen ja schwer, ich weiß . Aber wenn Sie das
wirklich durchsetzen würden, würde das ja nicht nur die
vier bösen großen Energieversorger betreffen, sondern
auch Stadtwerke . Wenn man noch weiter denkt, würde
eine solche gesetzliche Festlegung zum Beispiel auch
dazu führen, dass jemand, der bei einem Dienstleister
im Internet eine Leistung bestellt, nicht dazu verpflich-
tet ist, diese zu bezahlen, oder dass jemand, der in einen
Laden geht, sich Mantel, Mütze, Schal und Hose nimmt
und sagt: „Es ist kalt draußen . Das ist Daseinsvorsorge“,
rausgehen könnte, ohne zu bezahlen,
und der Inhaber des Ladens überhaupt nicht die Mög-
lichkeit hätte, das zu verhindern . Ich meine, das ist völlig
unlogisch, abwegig, absurd .
Das ist doch auch ein Anreiz für andere, sich unmora-
lisch zu verhalten . Denn überlegen Sie mal, was passie-
ren würde, wenn jeder rational denkende Mensch sagen
würde: Wenn das unter dem Deckmantel der Daseinsvor-
sorge geht, dann brauche ich ja nicht mehr zu bezahlen,
dann ist alles gut . – Das wäre doch völlig absurd .
Ich will Ihnen noch etwas sagen . Sie haben gerade von
sozialer Katastrophe in Deutschland gesprochen . Ich darf
Ihnen mal die soziale Katastrophe deklinieren . Wir haben
42 Prozent der Mittel im Bundeshaushalt 2014 für Sozi-
alleistungen ausgegeben .
– Keine Zwischenfragen; ich will das nicht noch ver-
längern . – Das sind 122 Milliarden Euro . Wir sehen die
Grundsicherung im SGB II vor . Da gibt es einen Regel-
satz von rund 400 Euro .
Darin sind 30 Euro Stromkosten eingerechnet .
Dann – das muss ich dazusagen – gibt es die Kosten der
Unterkunft obendrauf . Darin sind Heizkosten, Warmwas-
ser eingerechnet .
Irgendjemand hatte gesagt: Man kann Kühlschränke,
Waschmaschinen und Fernsehapparate bestellen, wenn
man sozial schwach ist .
Die Krankenversicherung ist darin enthalten . Bildung
und Teilhabe sind mit drin .
– Das ist kein Schwachsinn . Das sind Realitäten in
Deutschland: 122 Milliarden Euro . Dazu kommen noch
die Eingliederungsleistungen . Da reden Sie von Armut
per Gesetz .
Sie müssen in der Weihnachtszeit einmal gucken, ob Sie
noch alle Nadeln an der Weihnachtstanne haben . Es ist
völlig absurd, was Sie sagen .
Jens Koeppen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14433
(C)
(D)
Niemand muss in Deutschland im Dunkeln sitzen . Jeder
hat das Recht auf Sozialleistungen .
– Sie brauchen gar nicht so zu krähen, Sie sind doch noch
dran .
Meine Damen und Herren, es ist natürlich klar, dass
Sozialleistungen eine Holpflicht sind. Es muss also wirk-
lich jemand aktiv werden, um diese Leistungen des So-
zialstaates zu beantragen. Ich finde das völlig gerecht-
fertigt .
Jetzt komme ich zu den Stromsperren . Sie schreiben
in Ihrem Antrag, Stromsperren seien gesetzlich über-
haupt nicht geregelt . Das ist natürlich völlig absurd; denn
die Rechtsgrundlage – das wurde schon gesagt – ist § 19
der Stromgrundversorgungsverordnung .
Dort gibt es vier wesentliche Voraussetzungen .
Erstens . Man muss einen Zahlungsverzug von min-
destens 100 Euro haben, damit eine Stromsperre über-
haupt verhängt werden kann . Ansonsten darf das Ener-
gieversorgungsunternehmen gar nicht aktiv werden .
Zweitens . Die Verhältnismäßigkeit muss gegeben sein .
Jeder Kranke, jede Familie mit Kindern, jede schwache
Familie ist erst einmal per se ausgenommen, wenn beim
Sozialamt entsprechende Nachweise vorgelegt wurden .
Drittens . Wenn eine absehbare Einigung oder eine
Zahlungsabsicht vorhanden ist, dann wird auch nicht
abgesperrt . Auch die Sperrandrohung – darüber wurde
schon gesprochen – muss mindestens vier Wochen vor-
her schriftlich beim Kunden, also dem Vertragspartner,
eingehen .
Viertens . Eine weitere Ankündigung der Sperrung mit
dem konkreten Datum muss beim Kunden schriftlich ein-
gehen .
Das sind ganz konkrete rechtliche Regelungen .
Was ist weiterhin noch möglich? Es wird immer mehr
draufgesattelt . Irgendwann muss es auch einmal gut sein;
denn die Menschen, die Strom abnehmen, müssen den
Strom selbstverständlich bezahlen .
Was wollen Sie denn den Menschen, den Steuerzahlern,
erklären, die arbeiten, ihre Leistungen erbringen und ihre
Steuern zahlen? Es ist doch völlig absurd, wenn andere
den Strom nicht mehr zu bezahlen bräuchten .
Was gibt es für eine weitere Unterstützung? Es gibt
Unterstützung vom Jobcenter, indem Darlehen gegeben
werden . Kein Energieversorger hat irgendein Interesse
daran, den Strom zu sperren . Auf ihren Internetseiten
haben die Energieversorger Beratungsangebote aufge-
führt, die dabei helfen, aus der Situation herauszukom-
men, beispielsweise kann man eine Teilzahlung verein-
baren . Es gibt auch zwischen dem Energieversorger und
dem Jobcenter ein Frühwarnsystem . Wenn man weiß,
dass Familien in kritischen Situationen sind, gibt es ein
Frühwarnsystem, damit der Energieversorger den Strom
nicht abschaltet . Sowohl das Jobcenter als auch die Ener-
gieversorger sind daran interessiert, Stromsperren abzu-
wehren .
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es möglich
ist, einen Prepaidzähler einzubauen . Das ist eine gute
Maßnahme, damit kann man versuchen, Planbarkeit zu
schaffen . Man kann lernen, mit einem Budget umzuge-
hen . Man kann die Kontrolle über den Stromverbrauch
wiedergewinnen . Die Leute lernen, mit dem Geld, das
zur Verfügung steht – ich habe aufgezählt, was sie alles
haben, auch wenn sie selbst nichts verdienen –, zu haus-
halten .
Also, es muss keine Stromsperren geben, auch heute
nicht . Es gibt Hilfe zur Selbsthilfe . Das, was Sie machen,
ist völlige Effekthascherei . Es gibt in Deutschland eine
große starke Solidarität mit den Schwachen . Das, was Sie
machen, ist purer Populismus .
Da es um Strom geht, muss ich Ihnen sagen, Frau Künast,
dass Ihr Antrag und der von den Linken reine Energiever-
schwendung sind .
Vielen Dank, Jens Koeppen . – Das Wort zu einer
Kurzintervention hat Sabine Leidig .
Herr Koeppen, ich hätte Ihnen gerne die Frage ge-
stellt – Sie haben gesagt, irgendwann müsse es genug
sein und die Leute sollten lernen, mit ihrem Geld umzu-
gehen –, wie Sie zu der Tatsache stehen, dass diejenigen,
die nicht zu wenig haben, sondern eher zu viel, durch die
geltenden Strompreistarife enorm bevorzugt werden .
Das gilt für die energieintensiven Industrien – das ist
besonders schlimm, weil sie zugleich klimaschädlich
sind –, aber es gilt auch für private Haushalte .
Jens Koeppen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514434
(C)
(D)
Ein Bekannter von mir lebt in einer Villa mit Swim-
mingpool und Sauna im Keller .
Er zahlt die Hälfte von dem, was ich für meine kleine
Wohnung pro Kilowattstunde zahle, weil es Mengenra-
batt für Stromverschwender gibt .
Das ist amoralisch . Das können wir uns in unserer Ge-
sellschaft nicht leisten .
Herr Koeppen möchte nicht antworten . Dann hat jetzt
das Wort Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn für Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Koeppen, lassen Sie sich von der Diakonie, von der
Caritas und von den Menschen, die hier in Deutschland
mit Armut zu tun haben, ein bisschen Nachhilfe beim
Thema Armut geben .
Ihre Argumentation war wirklich unterirdisch und hat mit
christlichen Werten überhaupt nichts, aber auch gar nichts
mehr zu tun . Wenn es nach Ihnen ginge, dann dürfte es
Stromsperren in Deutschland eigentlich gar nicht geben,
weil nicht sein kann, was nicht sein darf . Es gibt aber
über 350 000 Stromsperren, und es gibt zusätzlich – das
darf man nicht vergessen – auch noch fast 50 000 Gas-
sperren . Das ist für dieses reiche Land ein Armutszeug-
nis . Das müssen wir ändern .
Man muss vor allen Dingen an die Ursachen range-
hen . Eine wesentliche Ursache ist, dass die Hartz-IV-Re-
gelsätze zu niedrig sind . Die Hartz-IV-Regelsätze müs-
sen angehoben werden, damit sie existenzsichernd sind
und damit die Menschen Preisschwankungen in einzel-
nen Gütergruppen durch Einsparungen an anderer Stelle
ausgleichen können . So, wie Sie die Regelsätze berech-
net haben, ist das nicht möglich . Das müssen wir bei der
nächsten Regelsatzberechnung korrigieren .
Just heute gab es eine Pressemeldung – wir Sozialpo-
litiker wurden schon letzte Woche darüber informiert –,
dass die Caritas eine Studie zu Stromkosten von Men-
schen mit geringem Einkommen beim Zentrum für Eu-
ropäische Wirtschaftsforschung in Auftrag gegeben hat .
In der Studie wurde nachgewiesen, dass die Stromkosten
von Menschen mit geringem Einkommen deutlich höher
sind als die im Regelsatz vorgesehenen Stromkosten .
Das heißt, an dieser Stelle brauchen wir eine Änderung .
Die Ursache dafür, dass die Menschen mit geringerem
Einkommen höhere Kosten haben als jene mit höherem
Einkommen, die sogenannte Referenzgruppe bei der
Regelsatzberechnung, ist, dass sie sich eben nicht die
stromsparenden Geräte leisten können . Es gibt auch noch
viele andere Gründe . Das heißt, wir müssen die Strom-
kosten für die Hartz-IV-Bezieher anders berechnen als
bisher . Wir müssen bei der nächsten Regelsatzberech-
nung die notwendige Korrektur durchführen, die uns
übrigens auch das Bundesverfassungsgericht ins Stamm-
buch geschrieben hat . Das sollten wir dann auch tun .
Die Thematik beinhaltet zwei Aspekte, die man zu-
sammendenken muss . Es gibt den ökologischen Aspekt
auf der einen Seite – wir müssen nämlich auch dafür
sorgen, dass die Menschen weniger Strom und Energie
verbrauchen –, und es gibt auf der anderen Seite den so-
zialen Aspekt; das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass
die Menschen die Stromkosten bzw . die Energiekosten
auch bezahlen können . Dazu möchte ich zwei Vorschläge
zur Diskussion stellen .
Mein erster Vorschlag ist, die Stromkosten bei der Re-
gelsatzberechnung herauszunehmen, getrennt zu berech-
nen – ich habe eben schon begründet, warum das sinnvoll
sein kann – und dann die Pauschale für die Stromkosten
jährlich anzupassen . Das würde zu mehr Transparenz für
die Betroffenen und auch für die Jobcenter führen . Man
könnte für diejenigen Menschen, die höhere Stromkos-
ten haben, zielgenaue Beratungen durchführen, damit
sie ihre Kosten senken . Für diejenigen, die tatsächlich
Stromkosten einsparen, ergäbe sich ein positiver Effekt .
Das wäre tatsächlich ein Anreiz zum Stromsparen . Das
wäre eine zielgenaue Möglichkeit, die Stromkosten für
Menschen im SGB-II-Bezug zu reduzieren .
Mein zweiter Vorschlag – weil es nicht nur um Men-
schen im Hartz-IV-Bezug geht, sondern um Menschen,
die vielleicht keine Sozialleistungen beziehen, aber de-
ren Einkommen gering ist –: Vor dem Hintergrund der
Ergebnisse des Klimagipfels von Paris müssen wir den
CO2-Ausstoß reduzieren . Wir müssen dafür sorgen, dass
unsere Energiepreise endlich die Wahrheit sagen . Des-
wegen müssen wir den CO2-Ausstoß verteuern, zum
Beispiel durch Verbesserungen beim Emissionshandel
oder durch eine CO2-Steuer . Das wird die Preise für fos-
sile Energien erhöhen, was insbesondere für Menschen
mit geringem Einkommen ein Problem sein kann, weil
sie möglicherweise nicht so schnell wie wir, die wir ein
etwas höheres Einkommen haben, auf energiesparende
Möglichkeiten zurückgreifen können .
Es wäre eine Idee, dass man die Einnahmen, die man
durch solche Maßnahmen zusätzlich erzielt, der Bevöl-
kerung zurückgibt, dass man umverteilt . Das wäre eine
Sabine Leidig
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14435
(C)
(D)
Möglichkeit, um dafür zu sorgen, dass Menschen mit
geringem und mittlerem Einkommen die kurzfristig
höheren Preise für Energie stemmen können . Wenn wir
auf erneuerbare Energien umsteuern, werden die Preise
langfristig wieder sinken; kurzfristig müsste es aber eine
finanzielle Unterstützung geben. Das wäre eine Möglich-
keit, um ökologische und soziale Probleme gleichzeitig
zu lösen . Das wäre eine Antwort auf die ökologische und
die soziale Frage .
Da meine Redezeit jetzt tatsächlich abgelaufen ist,
sage ich nur noch kurz: Wir brauchen viel mehr Ideen,
wie wir diese Fragen beantworten können . Aus unserer
Sicht reicht es nicht aus, nur an den Symptomen zu krat-
zen, was die Linke mit ihrem Antrag tut . Weswegen wir
dem Antrag nicht zustimmen, sondern uns enthalten . Das
Problem ist relevant, aber wir müssen an die Ursachen
ran, gleichzeitig an die ökologischen und die sozialen
Probleme .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die
Kollegin Sabine Poschmann .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren von der Linken, zu-
gegeben, Ihr Antrag fühlt sich sozialpolitisch verlockend
an . Man könnte ihn aber auch – und dabei bleibe ich –
populistisch nennen: Keine Stromsperren für bedürftige
Haushalte, stattdessen eine Grundversorgung für alle, die
nicht gekappt werden darf . – Gut gebrüllt, Löwe! Lei-
der lässt Ihr Papier offen, wer die Zeche zahlen soll . Im
Zweifel – das wissen Sie sehr genau – sind das die zah-
lenden Kunden; denn die Kosten werden von den Ener-
gieversorgern auf die Strompreise umgelegt .
Sie wollen also säumige Kunden aus der Pflicht entlas-
sen und Verbraucher, die ihren Zahlungsverpflichtungen
nachkommen, zusätzlich in die Pflicht nehmen. Halten
Sie das für sozial gerecht? Ich nicht .
In Ihrem Antrag sprechen Sie von einer „stillen so-
zialen Katastrophe“ . Es ist doch keine Frage: Eine
Stromsperre ist ein erheblicher Eingriff für jeden Haus-
halt, und jeder einzelne Fall ist einer zu viel . Dennoch
sollten wir die Kirche im Dorf lassen . Sie erwecken den
Eindruck, als würden die vielen kleinen und mittleren
örtlichen Energieversorger mutwillig jeden Kunden vom
Stromnetz nehmen, der seine Rechnung nicht bezahlt hat .
Das ist natürlich Quatsch . Dagegen sprechen sogar die
Zahlen, die Sie in Ihrem Antrag selbst verwendet haben .
Sie verweisen darauf, dass 2013 fast 7 Millionen Haus-
halten eine Stromsperre angedroht wurde, und schreiben,
dass die Sperrung bei knapp 344 000 Haushalten tatsäch-
lich vollzogen wurde, also bei einem Bruchteil .
Das zeigt: Es gibt offenbar andere Lösungen . Wir alle
wissen, dass eine Stromsperre immer eine Vorgeschichte
hat . Hinzu kommt, dass zwischen der ersten Mahnung
und einer Sperre rund 30 Tage liegen . Zudem erhalten
die Betroffenen mindestens drei Tage vorher einen letz-
ten Hinweis auf die bevorstehende Maßnahme . Mancher-
orts kommt die Info sogar eine Woche vorher . Bis zuletzt
bleibt eine Einigung möglich . Mir persönlich ist kein Fall
bekannt, in dem sich ein Versorger einer tragfähigen Lö-
sung mutwillig widersetzt hat .
In Ihrem Antrag heben Sie darauf ab, dass insbeson-
dere Menschen betroffen seien, die Hartz-IV-Leistungen
beziehen . Sie tun so, als gäbe es einen Automatismus, der
quasi nicht abzuwenden ist . Dem ist nicht so . In meiner
Heimatstadt Dortmund liegt die Arbeitslosenquote leider
bei mehr als 12 Prozent; rund 85 Prozent der Menschen
beziehen Sozialleistungen . Die Zahl der Stromsperren
beträgt aber weniger als 1 Prozent . In vielen Städten
gibt es, wie in Dortmund, heute schon eine funktionie-
rende Zusammenarbeit zwischen Energieversorgern und
örtlichen Sozialleistungsträgern, um Energiesperren zu
vermeiden . Wenn Sie allerdings der Meinung sein soll-
ten, dass vielmehr die Regelsätze des ALG II angehoben
werden müssten, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Linken, müssen Sie eine sozialpolitische Diskussion
führen, und zwar in den zuständigen Fachausschüssen .
Ihrem Antrag hier und heute wird die SPD-Fraktion aus
den vorgenannten Gründen nicht zustimmen .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Barbara Lanzinger, CDU/CSU-Frak-
tion, ist jetzt die letzte Rednerin zu diesem Tagesord-
nungspunkt .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-
legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ihre Anträge
wiederholen sich regelmäßig .
Aber solange Sie immer wieder das Falsche wiederholen,
sagen wir Ihnen ganz deutlich: Ihr Antrag ist weiterhin
inhaltlich falsch, und daher werden wir ihn ablehnen .
Ich erläutere Ihnen gerne noch einmal, warum . Sie
sprechen in Ihrem Antrag wieder von einer „stillen so-
zialen Katastrophe stromloser Haushalte“ . Das hört sich
fürchterlich an,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514436
(C)
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so, als ob mehr als der Hälfte der Haushalte in Deutsch-
land ständig der Strom abgestellt werden würde .
Lassen wir doch die Kirche im Dorf . Sie kennen die
Zahlen; auch von meinen Vorrednern wurden sie schon
erwähnt . Laut Monitoringbericht der Bundesnetzagentur
aus 2014 gibt es einen leichten Anstieg von 23 000 Haus-
halten auf circa 345 000, denen der Strom gesperrt wur-
de . Das klingt zunächst nach viel .
Aber ins richtige Verhältnis gesetzt zeigen die Zahlen,
dass bei 40 Millionen Haushalten, die wir in Deutsch-
land haben, gerade mal 0,8 Prozent der Haushalte von
Stromsperren betroffen sind . Ich denke, das muss man
festhalten .
Warum Sie da von einer stillen Katastrophe stromlo-
ser Haushalte sprechen, ist mir schleierhaft . Es sollte im-
mer um das richtige Maß gehen, auch bei der Wortwahl .
Fakt ist: Wir alle wissen nicht, warum der Strom gesperrt
wird . Fakt ist auch, dass selbst bei rund 4 Millionen Leis-
tungsempfängern die Stromsperren lediglich 9 Prozent
ausmachen . Ich gebe Ihnen in einem recht: Jeder ist im-
mer einer zu viel .
– Endlich mal ein Beifall von den Grünen .
Aber daraus zu schließen, dass wir in Deutschland eine
Energiearmut haben, halte ich für sehr überzogen .
Stromlieferverträge sind ganz normale schuldrechtli-
che Vertragsverhältnisse; das alles wurde schon ausge-
führt . Es ist im BGB geregelt . Dazu gehören mehrere
Mahnungen und eine Androhungsfrist von mindestens
vier Wochen . Ich wiederhole das jetzt nicht alles noch
einmal . Es ist wirklich sichergestellt, dass jedem Bürger
ausreichend Zeit bleibt, um die Sozialhilfeträger um eine
Kostenübernahme zu bitten und damit die Liefersperre
abzuwenden . Um soziale Härten zu vermeiden, besteht
für sozial schwache Kunden sogar die Möglichkeit, die
Kosten der Stromlieferung im Rahmen der Grundsiche-
rung abzudecken .
Ich gebe Ihnen in einem recht: Sie haben vorhin den
Vorschlag gemacht, darüber nachzudenken, ob es nicht
sinnvoll wäre, die Stromkosten bei den Leistungen her-
auszurechnen und direkt zu überweisen .
Aber darüber müssen wir nicht hier diskutieren, sondern
im Ausschuss .
Der Vorschlag ist sicherlich richtig; denn die Menschen
können mit ihrem Geld manchmal nicht wirklich richtig
haushalten und umgehen .
Stromsperren sind die Ultima Ratio der möglichen
Maßnahmen bei zahlungsunwilligen Kunden – auch die-
se gibt es – oder bei Kunden, die nicht zahlen können .
Aber jeder Bürger, der sich in einer sozialen Notlage
befindet, hat die Möglichkeit, eine Liefersperre zu ver-
hindern . Ich möchte Ihnen aus meiner Praxis berichten –
ich habe einen richtigen Beruf gelernt: ich bin von Beruf
Sozialpädagogin –: Ich habe früher im Rahmen der offe-
nen Arbeit viel mit solchen Menschen zu tun gehabt . Ich
kann mich gut erinnern, wie mich meistens am Freitag-
nachmittag Mütter mit kleinen Kindern angerufen haben:
Frau Lanzinger, mir wird der Strom gesperrt, ich habe
die Rechnung nicht bezahlt . Helfen Sie mir bitte, dass der
Strom weiter geliefert wird . – Meistens ist mir das auch
gelungen, eigentlich immer .
Es ist sehr wichtig, mit den Menschen zu reden: Wie
kann man das verhindern? Wie kann man Vorsorge be-
treiben?
Wie kann ich die davon überzeugen, zu sparen? Natür-
lich geht es auch darum . Ich denke, es ist wichtig, dass
es eine soziale Unterstützung gibt, um die Menschen ent-
sprechend zu begleiten .
Ein völliges Verbot von Stromsperren würde einseitig
zulasten der meist kommunalen Energieversorger und
der anderen Kunden gehen . Wenn Stromsperren gesetz-
lich verboten würden, wo läge dann überhaupt noch der
Anreiz, die Rechnungen zu bezahlen? Grundsätzlich zu
sagen: „Strom gibt es bis zu einem bestimmten Maß für
alle; dafür braucht man nicht zu bezahlen“, das kann man
nicht machen . Das geht nicht .
Wer würde dann noch seine Rechnungen bezahlen? Wo
wäre dann überhaupt der Anreiz, die Rechnungen zu be-
zahlen? Man kann nicht einfach sagen: „Ich zahle irgend-
wann, wenn es mir passt“, und man kann nicht einfach
sagen: Stromsperren werden gesetzlich verboten . – Das
geht nicht .
Ich sage auch ganz bewusst: Wir können unsere
Rechtsstaatlichkeit nicht einfach so mal außer Kraft set-
zen, weil 0,8 Prozent der Haushalte ihre Stromrechnun-
gen nicht bezahlen können . Es ist nicht gemeinwirtschaft-
lich, wie Sie schreiben, die Kosten einer Minderheit auf
die Mehrheit der Bevölkerung abzuwälzen . Mit Ihren
Klassenkampfparolen – das sage ich ganz bewusst – hel-
fen Sie den Menschen definitiv nicht weiter.
Barbara Lanzinger
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14437
(C)
(D)
Zahlende Bürger können die nichtzahlenden Bürger nicht
mitfinanzieren. Das geht nicht, auf jeden Fall nicht mit
uns .
Im Übrigen gibt es eine interessante Antwort der Bun-
desregierung vom 4 . Dezember 2015 auf eine Anfrage
der Grünen zu diesem Thema . Darin steht – ich zitiere
jetzt daraus, allerdings nicht alles –:
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass der
pauschalierte Regelbedarf insgesamt so ausreichend
bemessen ist, dass . . . aus ihm auch die als regelbe-
darfsrelevant anerkannten Bedarfe für Energie ge-
deckt werden können . Anhaltspunkte dafür, dass . . .
insgesamt die Gefahr von Bedarfsunterdeckungen
bestand, liegen nicht vor .
Weiter heißt es, dass es bei Strom zuletzt keine deut-
lichen Preissteigerungen gegeben habe . Die Strompreise
für Haushaltskunden lägen 2015 etwa auf dem Niveau
des Jahres 2013 . Daher bestehe kein aktueller Hand-
lungsbedarf, so die Bundesregierung .
Das zeigt wieder einmal, dass alle Ihre energiewirtschaft-
lichen Forderungen einer Verstaatlichung der Energie-
versorgung durch die Hintertür gleichkommen . Das wol-
len wir nicht, und das werden wir nicht unterstützen .
Ich halte es durchaus für richtig – auch das wurde
schon angeregt –, dass wir über Prepaid-Tarife, Smart
Grids und Smart Meter Überprüfungen durchführen und
eine gewisse Vorsorge betreiben können . Aber ich möch-
te zum Schluss ganz deutlich sagen: Wir müssen bei al-
len Diskussionen auch unsere Einstellung insgesamt zu
Strom, Energie und Energieverbrauch konsequent in den
Blick nehmen und sie überdenken, auch was die Strom-
einsparung betrifft . Wir müssen uns das Gut Strom und
das Gut Energie bewusst machen und lernen, es richtig
zu gebrauchen .
Wir werden Ihren Antrag ablehnen .
Danke schön fürs Zuhören .
Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Frak-
tion Die Linke mit dem Titel „Stromsperren gesetzlich
verbieten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/3751, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3408 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Ent-
haltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen
Durchsetzung von verbraucherschützenden
Vorschriften des Datenschutzrechts
Drucksache 18/4631
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
Drucksache 18/6916
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre hierzu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Für die Bundesregierung
hat der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kelber
das Wort .
U
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Das ist ein Meilenstein für mehr Verbraucherschutz
im Internet . Endlich bekommen Verbraucherver-
bände das notwendige Instrument, um die Rech-
te der Verbraucher zum Schutz ihrer persönlichen
Daten effektiv durchzusetzen . Datenschutzverstöße
werden sich für Unternehmen künftig nicht mehr
lohnen .
Das ist nicht etwa das Eigenlob der Bundesregierung
oder der Koalitionsfraktionen, sondern so bilanziert der
oberste unabhängige Verbraucherschützer der Bundes-
republik, der Vorsitzende des Verbraucherzentrale Bun-
desverbandes, Klaus Müller, den Gesetzentwurf, den wir
heute hoffentlich zum Gesetz machen .
– Frau Künast, weil Sie einen Zwischenruf gemacht ha-
ben: Ich glaube, Herr Müller ist ein Parteifreund von Ih-
nen .
Er war grüner Minister und ist nicht verdächtig, etwas
schönzureden, was wir tun .
In Zeiten des Internets und der digitalen Welt hat der
Umgang mit Daten explosionsartig zugenommen . Viele
Geschäftsmodelle basieren auf der Verarbeitung von Ver-
braucherdaten . Verbraucherinnen und Verbraucher kön-
Barbara Lanzinger
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514438
(C)
(D)
nen aber nicht jedes Mal überblicken, was mit ihren Da-
ten passiert, und sie können erst recht nicht einschätzen,
ob diese Datennutzungen rechtmäßig sind oder nicht .
Suchmaschinenanbieter, Betreiber sozialer Netzwer-
ke und Anbieter mobiler Apps sammeln verschiedenste
Daten . Wenn sie sie verknüpfen, entstehen regelmäßig
umfassende Persönlichkeits- und Bewegungsprofile. Da-
durch werden die Persönlichkeitsrechte von Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern in besonderer Weise gefährdet .
Von gleicher Augenhöhe zwischen Anbietern und Ver-
braucherinnen und Verbrauchern kann heute auf keinen
Fall die Rede sein .
Das Datenschutzrecht enthält gute Schutzvorschriften
für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber, ja, wir
haben in der digitalen Welt Defizite bei der Rechtsdurch-
setzung . Die Datenschutzbehörden leisten wichtige und
gute Arbeit . Mit der Zahl der Fälle, die sie eigentlich ver-
folgen müssten, sind sie aber natürlich überfordert .
Auch einzelne Verbraucherinnen und Verbraucher
sind oft nicht in der Lage, ihre Rechte gegenüber großen
Anbietern, wie Amazon, Google oder Facebook, durch-
zusetzen, also zivilrechtlich geltend zu machen . Grün-
de dafür sind ein Kostenrisiko, ein großer Zeitaufwand
und – zum Beispiel bei Hintergrundprozessen, um die es
oft bei der Nutzung von Daten geht – ein Mangel an Ex-
pertenwissen .
Wir wollen es daher Verbraucherverbänden, Wirt-
schaftsverbänden und Kammern ermöglichen, in Zukunft
bei einem Verstoß gegen die Datenschutzrechte der Ver-
braucher mit Abmahnungen und Unterlassungsklagen für
Abhilfe zu sorgen . Wir ergänzen damit die bestehenden
Rechtsinstrumente .
Der Gesetzentwurf stellt eine ausgewogene Lösung
dar, um die Rechtsdurchsetzung zu stärken . Insbesonde-
re der Missbrauch von Abmahnungen – das hat der eine
oder andere vielleicht auch schon selbst erfahren – ist
ausgeschlossen . Wir ermöglichen es eben nicht, einfach
Abmahnkosten einzustreichen und das eigentliche Ziel
gar nicht zu verfolgen .
Der Gesetzentwurf bürdet den Unternehmen auch kei-
ne neuen, zusätzlichen datenschutzrechtlichen Pflichten
auf, aber er setzt durch, dass die bestehenden Pflichten
auch eingehalten werden, und zwar von allen gleicher-
maßen. Das ist heute ja das große Defizit. Wir sorgen also
für einen fairen Wettbewerb, damit die unseriösen Anbie-
ter – die, die sich nicht an den Datenschutz halten – kei-
nen Wettbewerbsvorteil vor den anderen Anbieterinnen
und Anbietern haben .
Neben der Einführung dieser Verbandsklage ver-
bessert der Gesetzentwurf auch an einer anderen Stelle
die Rechtslage für Verbraucherinnen und Verbraucher .
Anbieter haben in der Vergangenheit versucht, die Ver-
braucherinnen und Verbraucher glauben zu lassen, dass
Kündigungen – das gilt auch für andere Erklärungen –
nur durch einen unterschriebenen Brief an eine sorgfältig
ausgewählte postalische Adresse und nicht, wie oft der
Vertragsabschluss, per E-Mail erfolgen konnten . Diese
sogenannten Schriftformklauseln in den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen werden in Zukunft ungültig und
unwirksam sein, wenn sie etwas anderes als die reine
Textform vorschreiben . Eine Ausnahme wird es nur noch
für die Verträge geben, für die im Gesetz eine notarielle
Beurkundung vorgeschrieben ist .
Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Gesetzent-
wurf – und wenn Sie zustimmen: das Gesetz – die Durch-
setzung des Datenschutzes wesentlich verbessern wird .
Die Einschätzung derjenigen, die es anwenden sollen,
habe ich am Anfang vorgetragen .
Daher bitte ich Sie um die Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf . Die Verbraucherinnen und Verbraucher
haben diese Verbesserung bei der Durchsetzung ihrer
Rechte verdient .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt
Caren Lay das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ja, was haben wir eigentlich gemacht, bevor
es Internet, bevor es Handys gab? Wir können uns heu-
te manchmal gar nicht mehr vorstellen, wie das Leben
damals, also vor ein paar Jahren, funktioniert hat . Der
Klassiker in diesen Tagen ist natürlich der Onlineeinkauf
für Weihnachten im Internet . Der Anteil an Waren, die
im Internet, also online, geshoppt werden, steigt von Jahr
zu Jahr .
So schön und praktisch das natürlich alles ist: Wir
hinterlassen überall unsere Daten, ob bewusst, ob halb
bewusst, ob über Cookies, die unser Suchverhalten auf
den jeweiligen Seiten ausspähen . Man bekommt ungebe-
tene Post, ungebetene Mails . Man bekommt beim nächs-
ten Besuch auf einer Internetseite plötzlich Werbung, die
scheinbar zufällig unseren Interessen entsprechen könn-
te . Das ist für viele Verbraucherinnen und Verbraucher
inzwischen zu einem Ärgernis geworden .
Nicht nur Onlineshopping ist eine Datenkrake . Man
lädt sich beispielsweise eine Taschenlampen-App he-
runter . Diese spendet dann nicht nur Licht . Vielmehr
hat der Entwickler diese App so programmiert, dass sie
unbemerkt viele interessante Einblicke in unser Smart-
phoneverhalten, in unser Surfverhalten weitergibt .
Oder ein anderes Beispiel, das in der Anhörung eine
Rolle gespielt hat und unser Sachverständiger padeluun
eingebracht hat: Facebook . Ja, Facebook rühmt sich da-
mit, kostenlos zu sein . Aber auf der anderen Seite zahlen
wir gewissermaßen mit unseren Daten; denn Daten sind
für Unternehmen sehr viel wert . Deswegen gehen viele
Unternehmen nicht nur legale, sondern auch halblega-
le, zum Teil auch illegale Wege, um an unsere Daten zu
Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14439
(C)
(D)
kommen . Hier brauchen wir tatsächlich einen besseren
Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher .
Natürlich: Man kann jetzt auch schon klagen . Aber wir
müssen feststellen, dass Verbraucherinnen und Verbrau-
cher mit den Unternehmen nicht auf Augenhöhe sind . Sie
fühlen sich machtlos und verstehen die AGBs nicht etc .
pp . Auch die Hürden für Einzelklagen sind viel zu hoch,
oder die Einzelfälle erscheinen zu banal . Deswegen sa-
gen auch wir als Linke: Wir müssen dieser Datenabzocke
Einhalt gebieten und die Klagerechte für die Verbände an
dieser Stelle deutlich verbessern .
Deswegen begrüßen wir den Gesetzentwurf prinzipiell,
weil auch wir finden, dass die kollektiven Klagerechte
nicht nur im Verbraucherschutz im Allgemeinen, sondern
ganz konkret im Verbraucherdatenschutz verbessert wer-
den müssen .
Wir müssen hier im Interesse der Internetnutzer tatsäch-
lich ein Stück weit in der digitalen Realität ankommen .
Was wir allerdings nicht verstehen und bedauerlich
finden, ist, dass die Bundesregierung den Unternehmen
doch noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten offen-
lässt, damit sie die Daten von Verbraucherinnen und
Verbrauchern weiter munter nutzen können . Was wir
überhaupt nicht nachvollziehen können, ist, warum das
Klagerecht der Verbände inkonsequenterweise nur an
Daten mit kommerzieller Zweckbindung gebunden ist .
Keine Anwendung findet der Gesetzentwurf bei soge-
nannten vertraglichen Zwecken . Das betrifft nach unserer
Befürchtung einen nicht unerheblichen Teil der Daten .
Vor allen Dingen wird es die Verbände in die Situation
bringen, dass sie immer wieder nachweisen müssen,
dass es sich an der Stelle nicht um kommerzielle Zwe-
cke handelt . Das macht die Regelung unklar . Das wird zu
langen Rechtsstreitigkeiten führen . Wir haben für diese
Einschränkung gar kein Verständnis .
Es wurde von der Union geltend gemacht, dass vor
allen Dingen kleine Firmen mit Klagen überzogen wer-
den könnten . Da frage ich mich ein bisschen, welches
Bild die Union von kleinen Firmen hat . Ich gehe davon
aus, dass seriöse Unternehmen auf Datenklau verzichten .
Aber ich finde auch: Wenn Datenmissbrauch vorliegt,
dann muss er beklagbar sein, und zwar unabhängig da-
von, ob es sich um einen Riesenkonzern oder um ein
Zwei-Mann-Start-up handelt . Verbraucherdaten müssen
geschützt werden . Da können wir keine Rücksicht auf die
Unternehmensgröße nehmen .
Auch an anderer Stelle – das will ich in diesem Zu-
sammenhang zumindest kurz erwähnen – hat sich die
Bundesregierung mehr damit hervorgetan, die Interessen
der Unternehmen zu schützen, als damit, die Daten der
Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen, nämlich
bei der seit langem diskutierten EU-Datenschutz-Grund-
verordnung . Auf diese warten wir schon lange . Es war
ausgerechnet Deutschland, das dieses Verfahren sehr lan-
ge blockiert hat . Es war auch Deutschland, das die meis-
ten Änderungsanträge aller Mitgliedstaaten vorgelegt
hat, aber nicht etwa im Interesse der Verbraucherinnen
und Verbraucher und ihrer Daten, sondern im Interesse
der Unternehmen . Mit diesem Vorgehen hat es die Bun-
desregierung sogar in die heute-show geschafft . Auch ich
finde, das war wirklich keine Meisterleistung der Koali-
tion .
Meine Damen und Herren, es hätte so schön sein kön-
nen . Schade, dass die Koalition auf halber Strecke ste-
hen geblieben ist und den Unternehmen immer noch zu
viele Schlupflöcher lässt, statt die Verbraucherdaten zu
schützen . Deswegen können wir uns an dieser Stelle nur
enthalten .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Stefan Heck,
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem Gesetz, das hier im Entwurf vorliegt, setzt die
Große Koalition ein wichtiges Anliegen aus dem Koa-
litionsvertrag im Bereich des Datenschutzes um . Wir
wollen Verbrauchern eine effektive Möglichkeit geben,
gegen datenschutzrechtliche Verstöße von Unternehmen
gerichtlich vorzugehen .
Wir haben in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs
im April dieses Jahres schon sehr intensiv darüber ge-
sprochen, und wir haben Ihnen damals gesagt, dass der
Entwurf, der damals vorlag, aus unserer Sicht noch nicht
zustimmungsfähig ist . Deswegen bin ich sehr dankbar,
dass es uns in den letzten Wochen und Monaten gelungen
ist, in den Verhandlungen ein ganzes Stück voranzukom-
men .
Für uns waren vor allem zwei Punkte sehr wichtig .
Erstens wollten wir vermeiden, dass die Möglichkeit
bloßer Verdachtsklagen ins Blaue hinein geschaffen
wird . Zweitens wollten wir vermeiden, dass es zu einem
unkontrollierten Nebeneinander von zivilrechtlichen
Instrumenten auf der einen Seite und den datenschutz-
rechtlichen Vorschriften im öffentlichen Recht auf der
anderen Seite kommt . Ich glaube, dass wir in den Be-
richterstattergesprächen und im Ausschuss in den letzten
Wochen insgesamt zu zufriedenstellenden Ergebnissen
gekommen sind .
Zur Vermeidung von Verdachtsklagen: Wir haben in
der Koalition Einigkeit darüber erzielt, dass wir mit die-
sem Gesetz einem Missbrauch des Verbandsklagerechts
vorbeugen wollen und auch müssen . Frau Lay, ich glau-
be, dass wir kleine Unternehmen und Start-ups besonders
Caren Lay
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514440
(C)
(D)
davor schützen müssen . Es war viel von gleicher Au-
genhöhe zwischen Verbrauchern und Unternehmen die
Rede . Wir müssen aber auch vermeiden, dass ein neues
Ungleichgewicht zwischen den großen Verbraucherver-
bänden mit großen Rechtsabteilungen auf der einen Seite
und den kleinen Start-ups, die in der Regel gar keinen
eigenen Juristen im Hause haben, auf der anderen Seite
entsteht .
Unser Ziel ist die Schaffung von Waffengleichheit
statt einer neuen Waffenungleichheit zuungunsten vor
allem kleiner Unternehmer .
Wir haben deshalb in § 2 Unterlassungsklagengesetz
eine Einschränkung des Verbandsklagerechts vorgese-
hen . Wir haben klargestellt, dass eine Datenverarbeitung
zu einem vergleichbaren kommerziellen Zweck gerade
dann nicht vorliegt, wenn – Sie haben es angesprochen –
personenbezogene Verbraucherdaten ausschließlich zur
Begründung, Durchführung oder Beendigung eines Ver-
trags mit dem Verbraucher erhoben und genutzt werden .
Es wäre völlig unangemessen, wenn sich Unternehmen
im Verbandsklageverfahren dafür rechtfertigen müssten,
dass sie diejenigen Daten speichern, die notwendig sind,
um das Schuldverhältnis abzuwickeln . Dem Verbraucher
wäre nicht geholfen, wenn er demnächst keine Ware
mehr bekommt, weil ein übereifriger Verbraucherver-
band schon das Speichern der Lieferadresse für einen
Datenschutzverstoß hält . Wir sollten uns deshalb auch
davor hüten, die Datenspeicherung durch Unternehmen
generell zu verteufeln . Dass man sich beispielsweise die
Adresse und Telefonnummer eines Kunden notiert, um
bei Problemen Rücksprache halten zu können, ist eher
Kundenservice als ein Verstoß gegen Datenschutzbe-
stimmungen .
Außerdem halten wir es für eine gute Regelung im
Gesetzentwurf, dass die qualifizierten Einrichtungen
dem Bundesamt für Justiz einen Bericht über die Anzahl
von Abmahnungen und Klagen bei Verstößen gegen das
Datenschutzrecht vorlegen müssen . So können wir als
Gesetzgeber überprüfen, ob das, was wir hier auf den
Weg gebracht haben, in die richtige Richtung geht, und
gegebenenfalls frühzeitig gegensteuern .
Ich komme zum zweiten Aspekt, der uns wichtig ist .
Wir wollten auf jeden Fall vermeiden, dass mit dem,
was wir hier auf den Weg bringen, ein Nebeneinander
öffentlich-rechtlicher Vorschriften auf der einen und zi-
vilrechtlicher Vorschriften auf der anderen Seite geschaf-
fen wird . Man kann gar nicht oft genug betonen, dass
sich an der materiellen Gesetzeslage durch das, was wir
heute beschließen, überhaupt nichts ändert . Sie bleibt so
wie bislang . Was künftig vor den Zivilgerichten verhan-
delt wird, ist in der Sache nichts anderes, als was schon
bisher der Aufsicht durch die Landesdatenschutzbeauf-
tragten unterlag . Die Botschaft an die Unternehmen lau-
tet daher: Wer sich bisher rechtmäßig verhalten hat, hat
auch in Zukunft nichts zu befürchten . Am Ende wird es
zu einem Nebeneinander der Tätigkeit der Landesdaten-
schutzbeauftragten und dem Verbandsklagerecht, das wir
heute einführen, kommen .
Ich bin sehr dafür, dass wir als Gesetzgeber dieses Ver-
fahren heute beschließen, aber in den nächsten Monaten
auch sehr genau beobachten, wie sich das, was wir hier
beschließen, in der Praxis auswirkt . Aus Sicht meiner
Fraktion müssen wir im Auge behalten, dass nicht einzel-
ne Verbraucherverbände mit im Ergebnis überzogenen
und unbegründeten Klagen eine ganze Branche verunsi-
chern . Wir alle haben, glaube ich, das Anliegen, dass die
großen Internetriesen sorgfältiger mit den Daten umge-
hen, als das bislang der Fall ist . Es gibt aber auch kleine
und mittelgroße Unternehmen, für die solche juristischen
Störfeuer am Ende existenzbedrohend sein können . Es
liegt jetzt an den Verbraucherverbänden . Diesen möchte
ich von dieser Stelle aus zurufen: Zeigen Sie durch eine
Handhabung mit Augenmaß, dass das Verbandsklage-
recht bei Ihnen in die richtigen Hände gelegt wird .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt Renate Künast,
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Alle reden von den Chancen durch Big Data und davon,
welche wirtschaftlichen Beteiligungsmöglichkeiten da-
durch eröffnet werden . Wir wissen, dass die Chancen
bei Big Data durch die Verknüpfung und die Auswer-
tung von Daten wirklich enorm sind . Aber gleichzeitig
steigt auch das Missbrauchspotenzial . Wer Informatio-
nen und persönliche Daten hat, hat Macht und weiß zum
Beispiel, was jemand möchte, bevor der Betreffende es
selber weiß . Man bekommt aufgrund der Analyse eines
alten Surfverhaltens Angebote . Das gilt insbesondere
für junge Leute, um deren Schutz wir uns in verstärktem
Maße kümmern müssen . Wer einmal nach bestimmten
Kleidungsstücken gesucht hat, bekommt sie oder Ähn-
liches immer wieder angeboten . Wer einmal nach einer
bestimmten Band gesurft hat, bekommt die Kleidung, die
die Band trägt, immer wieder angeboten .
Alle sind dabei und spielen mit dem neuen Goldbar-
ren „Information und Daten“ . Alle sind dabei, die NSA
sowieso, aber auch Facebook und Amazon . Wir Verbrau-
cher zahlen immer, entweder mit Geld oder mit Informa-
tionen . Ich meine, dass daraus etwas anderes erwächst,
als mancher Redner glauben machen will . Herr Heck,
nachdem das Gesetz schon so ausgehöhlt wurde, enden
Sie noch mit dem Satz, die Verbraucherverbände sollten
mit Augenmaß und Zurückhaltung von der neuen Klage-
möglichkeit Gebrauch machen. Das finde ich irgendwie
putzig . Gibt es nun ein Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung oder nicht?
Dr. Stefan Heck
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14441
(C)
(D)
Sie bitten gleich bei der Einführung eines kleinen, be-
grenzten Verbandsklagerechts darum, es erst gar nicht zu
nutzen .
– Ich habe es etwas übertrieben dargestellt . Sie haben
von Augenmaß gesprochen, aber nicht gesagt: Es ist Ihr
gutes Recht . Sie leben in einer Demokratie . Also nutzen
Sie es, wenn es nötig ist .
Es ist auch putzig, den Verbraucherverbänden zu un-
terstellen, dass sie gegen jeden klagen werden . So viel
Geld haben diese auch nicht, um jedes Prozessrisiko ein-
zugehen . Ihnen geht es wie allen anderen: Sie werden
sich überlegen, was sie tun .
Im Bereich der Datenerhebung gibt es Chancen für
Wohlstand und Entwicklung, aber auch ein Einfallstor
für die Gier nach immer mehr Daten . Was wir hier si-
cherstellen müssen, ist nichts anderes, als den Kern des
Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung,
genauso wie es das Bundesverfassungsgericht definiert
hat, zu erhalten und zu beschützen . Das tut dieses Gesetz
meines Erachtens nicht .
Überlegen Sie einmal, wo überall Daten anfallen . Ich
nehme einmal ein Beispiel, das uns betreffen könnte . Im
November dieses Jahres gab es vier Sitzungswochen .
Womöglich hat jemand von Ihnen nach diesen Wochen
eine Diät-App aus dem Internet heruntergeladen, weil er
meint, dass nach vier Wochen bewegungsarmer Zeit und
allerhand Keksen zwischendurch Diät nottut . Wer von
Ihnen wäre eigentlich in der Lage, herauszufinden, ob der
Anbieter dieser Diät-App am Ende Ihre Daten wirklich
gelöscht hat? Wer von Ihnen wüsste, wie man rechtlich
den entsprechenden Weg beschreitet? Fakt ist doch: Wir
reden von Datensouveränität; aber die Kontrolle und die
Umsetzung sind für den Einzelnen gar nicht möglich,
weil man den Missbrauch teilweise gar nicht erkennt .
Dahinter stehen ein wirtschaftlicher Missbrauch und
zum Teil auch organisierte Datenkriminalität . Wir haben
eine totale Schieflage, und zwar bei den ganz großen in-
ternationalen Konzernen, die die Weltkonzerne werden
wollen und am Ende am liebsten so viele Daten haben
wollen, dass sie in jedem Wirtschaftszweig alles anbieten
können . Natürlich gibt es auch ein paar kleine Anbieter .
Bei allen stellt sich aber die Frage: Wie können die ein-
zelnen Kunden ihr Recht durchsetzen?
Es gibt Individualklagerechte gegenüber Unterneh-
men, zum Beispiel das Recht auf Löschung der Daten,
das aber extrem schwierig umzusetzen ist . Es gibt Da-
tenschutzbehörden, die die Aufsicht auszuüben haben .
Schauen Sie sich einmal an, wie sich der Hamburgische
Datenschutzbeauftragte mit Facebook abmühte . Selbst
der Minister hat nicht das geliefert, was er zu liefern an-
gekündigt hat . Angesichts dessen wissen wir, dass die
Individualklagerechte und die Datenschutzbehörden al-
lein nicht ausreichen . Wir brauchen, um Waffengleich-
heit herzustellen, ein Verbandsklagerecht, und zwar ein
umfängliches .
Das beste Recht macht ja keinen Sinn, wenn man es am
Ende nicht umsetzen kann .
Ich sage Ihnen: Der Ansatz in diesem Gesetzentwurf
war gut; aber im Rahmen der Beratungen ist der Entwurf
immer schlechter geworden . Das Struck’sche Gesetz hat
schon Geltung erlangt, bevor der Gesetzentwurf, lieber
Kollege Fechner, überhaupt das Licht des Bundestages
erblickt hat, und Sie sind auch nicht zur Fassung des
Referentenentwurfs zurückgegangen; die Kollegin Lay
hat das vorhin in aller Klarheit dargestellt . Sie sehen be-
stimmte begrenzte Klagemöglichkeiten bei Erhebung,
Verarbeitung und Nutzung vor; aber bezüglich der Be-
nachrichtigungen über das, was überhaupt gespeichert
ist, bezüglich Auskunftsrechten und Löschungspflichten
haben Sie diese Klagemöglichkeit nicht vorgesehen .
Wenn Herr Kelber hier Klaus Müller lobt – den kann
man auch loben –, dann frage ich, warum man so viel
Misstrauen gegenüber den Verbraucherzentralen hat . Ge-
währen Sie ihnen doch an dieser Stelle ein umfassendes
Klagerecht . Das tun Sie aber nicht .
Es fehlen weitere Punkte .
Aber dafür ist jetzt keine Zeit mehr, Frau Künast .
Ich komme zum Schluss . – Die Vogel-friss- oder-stirb-
Mentalität, die die Monopole den Kunden gegenüber an
den Tag legen, gehen Sie auch nicht an . Das Gegenteil
von gut ist: gut gemeint, aber schlecht gemacht . Sie ha-
ben bei der Reform des Verbandsklagerechts zwar den
Fuß in der Tür; aber damit sind wir noch lange nicht fer-
tig . Das ist lediglich der erste kleine Schritt .
Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Dr . Johannes
Fechner für die SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Nachdem die
SPD-Fraktion mit der Mietpreisbremse und den Markt-
wächtern schon zwei Meilensteine für eine bessere Ver-
braucherpolitik in Deutschland durchgesetzt hat, schaf-
fen wir nun mit der Erweiterung der Verbandsklagerechte
bei Datenschutzverstößen eine dritte entscheidende Ver-
besserung für die Verbraucherinnen und Verbraucher in
Renate Künast
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514442
(C)
(D)
Deutschland . Die SPD-Fraktion steht damit für einen ef-
fektiven Verbraucherschutz . Wir reden nicht nur, sondern
wir schaffen mehr Verbraucherschutz in Deutschland .
Dank an das Ministerium, Herr Staatssekretär Kelber .
Ihr sehr guter Referentenentwurf ist hier ja nahezu unver-
ändert zur Abstimmung vorgelegt worden . Damit tragen
wir dem Umstand Rechnung, dass immer mehr Bürge-
rinnen und Bürger Onlineverträge abschließen . Das ist
eine positive Entwicklung; aber dabei darf der Verbrau-
cherschutz natürlich nicht zu kurz kommen . Wenn Daten
zweckentfremdet werden, etwa zu Werbezwecken, zur
Erstellung von Profilen oder für den Datenhandel, dann
ist das für den Verbraucher nicht immer erkennbar . Wenn
der Datenschutzverstoß dann doch bekannt wird – oft
kann ein Datenschutzverstoß ja weitreichende Beein-
trächtigungen für das Persönlichkeitsrecht haben –, dann
ist es für den einzelnen Verbraucher nicht einfach, seine
Rechte gegenüber großen Internetkonzernen durchzuset-
zen .
Deshalb ist es im Interesse eines effektiven Verbrau-
cherschutzes notwendig, dass versierte Verbände wie die
Verbraucherzentrale mit ihren Erfahrungen und Kompe-
tenzen im Bereich des Datenschutzes die Rechte wahr-
nehmen können und auch bei Datenschutzverstößen
Unterlassungsklagen erheben können . Wir brauchen ef-
fektive Mechanismen, um den Datenschutz für die Ver-
braucher zu sichern . Dieses Gesetz war überfällig .
Ausdrücklich will ich hier klarstellen, dass wir das
materielle Datenschutzrecht nicht ändern, weder ver-
schärfen noch verwässern, sondern kompetenten und
seriösen Verbänden diese Klagebefugnis zukommen las-
sen . Es drohen also keine Abmahnwellen von Mitbewer-
bern oder von zwielichtigen Anwaltskanzleien, wie wir
es aus anderen Rechtsbereichen kennen .
Schließlich stellen wir mit dem Gesetz klar, dass
online abgeschlossene Verträge so gekündigt werden
können, wie sie abgeschlossen werden . Oft haben Ver-
braucher böse Überraschungen erlebt, wenn in Allgemei-
nen Geschäftsbedingungen, die man in der Regel nicht
durchliest, geregelt war, dass online abgeschlossene Ver-
träge nur in Papierform gekündigt werden können . Zu-
künftig wird es keine bösen Überraschungen geben . Wir
haben das Verbot durchgesetzt, dass in Allgemeinen Ge-
schäftsbedingungen eine strengere Form als die Textform
für Kündigungen vereinbart werden kann .
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir schaf-
fen nach der Mietpreisbremse und den Marktwächtern
mit diesem Gesetz eine weitere große Verbesserung für
die Verbraucherinnen und Verbraucher, und wir freuen
uns als SPD-Fraktion sehr, dass wir diese wichtigen Ziele
durchsetzen konnten .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Jetzt spricht Dr . Volker Ullrich, CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit dem vorliegenden Gesetz wird die Rechts-
durchsetzung im Bereich des Datenschutzes verbessert .
Die Gesetzgebung ist notwendig, weil es ein Bedürfnis
gibt, Daten besser und umfangreicher zu schützen . Wir
verkennen nicht, dass die Teilnahme am sozialen Leben,
das Bestellen im Onlinehandel und die Bequemlichkeiten
der modernen Welt eine Preisgabe von Daten notwendig
machen . Datenaustausch und das Sammeln von Daten
sind Teil einer modernen und digitalen Welt . Die Gren-
ze ist jedoch da erreicht, wo die Daten missbräuchlich
verwendet werden, wo sie nicht allein für den Zweck,
für den sie preisgegeben wurden, benutzt werden, son-
dern in einem Ausmaß kommerzialisiert werden, dem der
Rechteinhaber, nämlich derjenige, der die Daten gegeben
hat, nicht zugestimmt hat . Deswegen ist es richtig, dass
der Gesetzgeber auf diesen Umstand reagiert . Ich sage
ganz offen an die Kollegen unseres Koalitionspartners:
Verbraucherschutz auch im Datenschutzbereich ist nicht
allein Sache einer Partei . Er ist unser gemeinsam getra-
genes Interesse .
Wir reagieren auf den Umstand, dass Daten in einem
zunehmenden Maße missbrauchsanfällig sind, dadurch,
dass Organisationen und Verbände ein eigenes Recht be-
kommen, Datenschutzverstöße zu verfolgen . Diese Ver-
folgung von Datenschutzverstößen ist kein rechtlicher
Fremdkörper . Bereits im Wettbewerbsrecht haben wir
ähnliche Regelungen . Wenn es darum geht, dass Preis-
absprachen stattfinden oder unter dem Einstandspreis
verkauft wird, haben Verbände und Verbraucherschutz-
behörden bislang schon die Möglichkeit, Abmahnungen
und Beseitigungsansprüche durchzusetzen . Wir ergänzen
dieses Instrumentarium im Bereich des Datenschutzes .
Ich meine, das ist ein guter Schritt .
Man muss aber auch deutlich machen, dass diese neue
Rechtsdurchsetzung nicht dazu führen darf, dass allein
im Interesse eines Aufwendungsersatzes oder wegen der
Anwaltsgebühren geklagt wird . Vielmehr muss sich die
Klage darauf richten, erhebliche Verstöße, die eine Viel-
zahl von Verbrauchern betreffen, einzustellen oder zu be-
seitigen . Es geht nicht um die Klage an sich, sondern um
eine effektive Rechtsdurchsetzung .
Es ändert sich auch nichts an den Zuständigkeiten der
Datenschutzbehörden . Der Schutz unserer Daten durch
die Datenschutzbeauftragten wird zukünftig neben die
zivilrechtliche Durchsetzung gestellt . Wir haben damit
ein Schutzsystem, welches öffentlich-rechtliche und pri-
vatrechtliche Komponenten umfasst . Etwas Ähnliches
haben wir bereits beim Wettbewerbsrecht . Weil es nichts
an den Befugnissen der Datenschutzbehörden ändert, sei
an dieser Stelle auch der Appell erlaubt, dass die Daten-
Dr. Johannes Fechner
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14443
(C)
(D)
schutzbehörden nach wie vor ihren Aufgaben nachkom-
men. Die Länder stehen in der Pflicht, ihre Datenschutz-
behörden so mit Personal und Sachmitteln auszustatten,
dass sie ihre Aufgaben wahrnehmen können . Auch das
gehört zur vollumfänglichen Wahrheit bei dieser Debatte .
Meine Damen und Herren, ich möchte auch auf den
neu geschaffenen § 309 Nummer 13 des Bürgerlichen
Gesetzbuches eingehen . Danach können Verträge, die
in Textform geschlossen worden sind, zukünftig auch in
Textform gekündigt werden . Ein Schriftformerfordernis,
wie es oftmals in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
festgelegt worden ist, ist zukünftig nicht mehr möglich .
Was sich so rechtstechnisch anhört, hat für viele Milli-
onen Verbraucher ganz praktische Auswirkungen . Wenn
sie sich im Internet zu einem Abo für Musik, Filme oder
Software entschlossen haben und dieses Abo allein durch
einen Mausklick zustande kam, dann konnten sie dieses
Abo bisher nicht selten nur in Schriftform kündigen, das
heißt mit einem Brief an das Unternehmen . In nicht we-
nigen Fällen mussten sie die Adresse erst umständlich
suchen, etwa im Impressum . Zukünftig gilt: Ein Vertrag
kann so gekündigt werden, wie er geschlossen worden
ist . Wenn der Vertrag durch einen Mausklick zustande
kommt, können die Verbraucher per Mausklick kündi-
gen . Wenn der Vertrag durch Textform zustande kommt,
können sie in Textform kündigen . Das ist gelebter und
effektiver Datenschutz für viele Millionen Bürger .
Meine Damen und Herren, die letzten Wochen und
Monate sind gute Wochen und Monate für den Daten-
schutz . Auf europäischer Ebene sind die Verhandlungen
über die EU-Datenschutz-Grundverordnung erfolgreich
zum Abschluss gebracht worden . Wir legen hier ein
sehr gutes, ausgewogenes und den Datenschutz stär-
kendes Gesetz vor . Wir werden in den nächsten Wochen
und Monaten die nationale Umsetzung der EU-Daten-
schutz-Grundverordnung begleiten dürfen . In diesem
Sinne appelliere ich an Sie, diesem guten Gesetz heute
Ihre Zustimmung zu geben .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Metin Hakverdi,
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich freue mich, dass wir noch vor dem Jahres-
wechsel die Änderung des Unterlassungsklagengesetzes
verabschieden können . Das ist eine gute Nachricht für
die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land .
Das ist aber auch eine gute Nachricht für unseren Rechts-
staat und für unsere Rechtsordnung insgesamt .
Für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet
die Änderung des Unterlassungsklagengesetzes, dass sie
nicht mehr auf sich allein gestellt sind, wenn sich Unter-
nehmen nicht an die Vorschriften des Datenschutzes hal-
ten, wenn Unternehmen gegen Datenschutzrechte versto-
ßen . Künftig haben sie Verbraucherverbände als starke
Partner an ihrer Seite . Diese können Unternehmen, die
sich nicht an unsere Rechtsordnung im Bereich des Da-
tenschutzes halten, abmahnen und Unterlassungsklage
erheben . Für unsere Rechtsordnung, unseren Rechtsstaat
bedeutet die Änderung des Unterlassungsklagengesetzes
eine bessere Durchsetzung des Datenschutzrechts insge-
samt .
Die Datenerhebung und die Datenverarbeitung durch
die vielen verschiedenen Unternehmen sind komplex
und unterschiedlich . Deshalb kann es sein, dass die ein-
zelnen Verbraucher ihre subjektiven, individuellen Rech-
te nicht immer wahrnehmen und durchsetzen . Das mag
daran liegen, dass sie sich wegen eines einzelnen Versto-
ßes nicht auf den Rechtsweg begeben wollen, vielleicht
auch, weil sie sich mit den Googles und Facebooks dieser
Welt nicht allein anlegen wollen . Das aber führt dazu,
dass das objektive Recht insgesamt verzerrt wird . Eine
rechtswidrige Praxis kann sich etablieren . Was Unrecht
ist, kann zur Gewohnheit werden . Das darf nicht sein,
insbesondere nicht im Bereich des Datenschutzrechts .
Das Datenschutzrecht ist zu wichtig .
Die digitale Durchdringung aller Lebensbereiche
führt zur Erhebung von Daten aus allen Lebensberei-
chen . Wenn wir Auto fahren, wenn wir im Internet sur-
fen, wenn wir heizen, wenn wir einkaufen, sogar wenn
wir den Kühlschrank öffnen – Daten werden entweder
schon heute oder in naher Zukunft überall erhoben .
Deshalb ist es in unser aller Interesse, dass sich Daten-
schutzverstöße nicht als Kavaliersdelikte etablieren . Es
ist wichtig, dass das Datenschutzrecht besser durchge-
setzt wird .
Die Änderung des Unterlassungsklagengesetzes hilft
also nicht nur der einzelnen Verbraucherin und dem ein-
zelnen Verbraucher, sondern verschafft unserer Rechts-
ordnung insgesamt mehr Geltung . Die Unternehmen,
die sich bereits heute an die geltenden Vorschriften des
Datenschutzrechts halten, können sich darauf verlassen,
dass sich zukünftig Verbraucherverbände auch für sie
einsetzen werden . Zukünftig werden die Unternehmen,
die einen rechtswidrigen Wettbewerbsvorteil haben, weil
sie sich nicht an persönliche Datenschutzrechte halten,
damit rechnen müssen, von den Verbraucherverbänden
abgemahnt zu werden . Das ist gut für einen fairen Wett-
bewerb .
Gestatten Sie mir zum Abschluss den Hinweis, dass
die SPD-Fraktion den Schutz von Verbraucherinnen und
Verbrauchern noch um einen weiteren Baustein erwei-
tern will: Wir wollen die Möglichkeit von Musterfest-
stellungsklagen einführen . Ich freue mich auf das neue
Dr. Volker Ullrich
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514444
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(D)
Jahr und auf den Entwurf des Justizministeriums dies-
bezüglich .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von
verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutz-
rechts . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/6916, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/4631 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7085 vor,
über den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositi-
onsfraktionen abgelehnt .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der CDU/CSU und der SPD bei Enthaltung von der Lin-
ken und Bündnis 90/Die Grünen sowie einer Gegenstim-
me aus den Reihen der CDU/CSU angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula
Schulz-Asche, Dr . Harald Terpe, Maria Klein-
Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
EU-Trilogverhandlungen für mehr Patienten-
sicherheit bei Medizinprodukten nutzen
Drucksache 18/6650
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte alle, die Plätze einzunehmen . – Ich eröffne
die Aussprache . Das Wort hat Kordula Schulz-Asche,
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht
mit dem Thema Verbraucherschutz gleich weiter, dies-
mal im Gesundheitswesen . Wir mussten in den letzten
Jahren immer wieder erleben, dass Skandale die Öffent-
lichkeit erschütterten . Sicherlich einer der auffälligsten
Skandale in diesem Zusammenhang waren die minder-
wertigen, gesundheitsschädlichen Brustimplantate eines
französischen Herstellers . Obwohl diese Produkte vom
TÜV Süd geprüft worden waren, wurden sie Frauen ein-
gesetzt . Als die Schäden sichtbar wurden, mussten die
Brustimplantate ausgetauscht werden . Die geschädigten
Frauen gingen nach den Klageverfahren am Ende leer
aus, weil der Hersteller insolvent ging .
Immer wieder gibt es Medizinprodukte, die den Pa-
tienten eingesetzt werden – zum Beispiel getrübte Lin-
sen; ich könnte die Liste beliebig lang fortführen –, oder
Produkte der Hochrisikoklassen, bei denen sich am Ende
herausstellt, dass sie von den Stellen, die sie zu prüfen
haben, nicht als entsprechend gefährlich erkannt wur-
den . Aktuell gibt es wieder ein Beispiel: Augentropfen,
bei denen der Verdacht besteht, dass sie in Spanien und
Frankreich zu Erblindungen geführt haben . Das Produkt
musste vom Markt zurückgezogen werden .
Das heißt, meine Damen und Herren, wir haben eini-
ges zu tun . Wir können nicht einfach auf den nächsten
Skandal warten, sondern wir müssen die Zulassung von
Medizinprodukten endlich so regeln, dass die Qualitäts-
standards erfüllt werden .
Das Thema ist eigentlich nicht neu . Wir hatten be-
reits in der letzten Legislaturperiode dazu einen An-
trag gestellt . Es gab auch eine Initiative von Ärzten im
EU-Parlament, um den Verbraucherschutz bei den Me-
dizinprodukten endlich zu verbessern, insbesondere was
Implantate und Produkte der Hochrisikoklassen angeht .
Wir hätten uns sehr viel mehr vorstellen können; aber
derzeit ist es so, dass eine bereits abgeschwächte Forde-
rung des Parlaments sich in Trilogverhandlungen – Eu-
ropäischer Rat, Europäische Kommission und EU-Parla-
ment – befindet. Deutschland – das muss man hier ganz
deutlich sagen –, in dem Fall die Bundesregierung, spielt
dabei keine rühmliche Rolle; man kann sogar sagen: eine
unrühmliche Rolle . Wirtschaftsinteressen – auch in den
Wahlkreisen einiger besonderer Abgeordneter dieses
Hauses –
dürfen nicht das alleinige Kriterium bei der Zulassung
von Medizinprodukten, bei der Bewertung von Medizin-
produkten und vor allem in Zulassungs- und Studienver-
fahren sein .
Deswegen sage ich: Hier ist das Verhalten der Bundes-
regierung bisher wirklich unrühmlich . Alle Versuche,
Verbraucherschutzregelungen zu hemmen und zu er-
schweren, haben die Gefahr erhöht, dass in diesem Tri-
logverfahren der Verbraucherschutz auf der Strecke
bleibt .
Wir Grünen hätten uns durchaus schärfere Zulassungs-
regeln für die Medizinprodukte gewünscht, im Prinzip
Metin Hakverdi
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14445
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(D)
analog zur Zulassung von Medikamenten . Da haben wir
auch gute Vorbilder, zum Beispiel aus den USA . Dort
werden Medizinprodukte ähnlich zugelassen, wie es bei
Medikamenten der Fall ist . Man fragt sich, warum es in
Europa und in Deutschland so schwer ist, entsprechende
klinische Prüfungen und Zulassungsverfahren umzuset-
zen . Das liegt nur daran, dass Wirtschaftsinteressen vor
den Verbraucherschutz gestellt werden .
Uns geht es mit unserem Antrag darum, den Verbrau-
cherschutz im Trilogverfahren zu retten . Ich halte das
Verhalten der Bundesregierung gegenüber den Patientin-
nen und Patienten in Deutschland, aber auch in Europa
für unverantwortlich .
Deswegen ist die Frage – darauf zielt auch unser An-
trag ab –: Was ist jetzt in dem Trilogverfahren im EU-Par-
lament zu tun? Meiner Meinung nach ist es unbedingt
notwendig, dass eine Produkthaftpflichtversicherung der
Hersteller eingeführt wird . Denn wir können doch nicht
zulassen, meine Damen und Herren, dass, wenn Patien-
ten durch Produkte geschädigt werden, sie am Ende nicht
nur Opfer aufgrund der Schädigung durch das Produkt
sind, sondern zudem ohne jede Hilfe dastehen, also er-
neut zu Opfern werden . Das dürfen wir nicht zulassen .
Wir brauchen zweitens endlich „Besondere Benann-
te Stellen“, das heißt Zulassungsstellen, Bewertungs-
stellen, die tatsächlich in der Lage sind, eine qualitative
Bewertung vorzunehmen . Es kann doch nicht sein, dass
ein TÜV Toaster zulässt und sich gleichzeitig, mit ein
bisschen zusätzlicher Expertise, um die Zulassung von
Medizinprodukten kümmert . Nein, wir brauchen euro-
paweit „Besondere Benannte Stellen“, die für bestimmte
Produktklassen spezialisiert sind, damit die Zulassung
tatsächlich qualifiziert erfolgen kann.
Meine Damen und Herren, wir brauchen drittens mehr
Transparenz . Diese brauchen wir übrigens auch im Arz-
neimittelbereich . Wir brauchen die Erfassung und die
Veröffentlichung von allen klinischen Studien .
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja . Wenn ich vielleicht gerade noch diesen Punkt
abschließen kann . – Wir brauchen die Bewertung der
Leistungsfähigkeit eines Produkts, der Sicherheit eines
Produkts und der Wirksamkeit eines Produkts, und zwar
aller Produkte, die im Körper verbleiben oder von vorn-
herein mit einem besonderen Risiko verbunden sind .
Bitte schön .
Frau Kollegin Schulz-Asche, vielen Dank, dass Sie
die Zwischenfrage zulassen .
Immer .
Mich würde ganz konkret interessieren: Sie haben
gerade angesprochen, dass wir eine Produkthaftpflicht-
versicherung für Hersteller brauchen . Ist Ihnen bekannt,
dass Produkthaftpflichtversicherungen in der Regel gera-
de bei vorsätzlichen kriminellen Handlungen, wie sie in
den Beispielen, die Sie hier ansprachen, der Fall waren,
nicht gelten? Wie wollen Sie das dann regeln?
Ich sehe es auch so, dass diese bei kriminellen Hand-
lungen nicht greifen . Aber beim Problem mit den Augen-
tropfen, über das ich gerade gesprochen habe, hoffe ich,
dass es sich nicht um kriminelle Machenschaften han-
delt, sondern tatsächlich um die Gesundheitsschädigung
durch ein ganz normales Produkt .
In diesem Fall möchte ich schon wissen, wie die Patien-
ten, die jetzt in Frankreich und in Spanien erblindet sind,
dann auch tatsächlich abgesichert sind . Sie haben recht:
Es gibt die Besonderheit der kriminellen Fälle . Das ist
immer schwer . Da muss man über den Opferschutz ge-
hen . Aber in den meisten Fällen, über die ich hier rede,
handelt es sich um ganz normale, zugelassene Produkte,
und deswegen fordern wir dort die Produkthaftpflichtver-
sicherung .
Ich komme zum Schluss . Wir verfolgen mit unserem
Antrag das Ziel, dass es endlich eine echte frühe Nut-
zenbewertung und eine Langzeitbewertung von Medizin-
produkten gibt . Wir müssen dafür sorgen, dass es einen
Rückgang dieser Skandale gibt, und wir brauchen einen
wirksamen Schutz für Patienten, und zwar im Interesse
der Patienten und nicht der Wirtschaft .
Danke schön .
Kordula Schulz-Asche
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514446
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(D)
Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt Heiko Schmelzle,
CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Gäste! Kernanliegen der Bundes-
regierung ist es, die Sicherheit und Leistungsfähigkeit
von Medizinprodukten sicherzustellen und weiter zu er-
höhen . Wenn man allerdings Ihren Antrag, sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen,
zu den derzeit laufenden Trilogverhandlungen liest, dann
gewinnt man den Eindruck, dass das Patientenwohl
durch mangelhafte Medizinprodukte bei uns im höchsten
Maße gefährdet ist .
Das Gegenteil ist der Fall . Das Patientenwohl hat für uns
oberste Priorität . Das war so, das ist so, und das Pati-
entenwohl wird auch in Zukunft immer der Dreh- und
Angelpunkt unseres Handelns sein .
Ein Skandal wie bei den Brustimplantaten der franzö-
sischen Firma PIP darf sich nicht wiederholen .
Damals wurde mit Vorsatz billiges Industriesilikon an-
stelle von medizinischem Silikon eingesetzt . Dieser
Skandal war für die Politik Anlass zu einer Bestandsauf-
nahme, ob und inwieweit die Regeln zum Marktzugang
und zur Marktüberwachung im Bereich der Medizin-
produkte ausreichen, um die Patientensicherheit zu ge-
währleisten . Um die Sicherheit und Leistungsfähigkeit
von Medizinprodukten sicherzustellen bzw . zu erhöhen,
braucht es aus unserer Sicht erstens eindeutige und hohe
Anforderungen an die Organisation, Ausstattung und Ex-
pertise sowie die Benennung und Überwachung der Be-
nannten Stellen, zweitens die Schaffung von spezifischen
Sicherheits- und Leistungsanforderungen an Produkte
sowie produktspezifische Anforderungen an deren kli-
nische Prüfung und Bewertung und drittens koordinierte
und einheitliche Marktüberwachung durch die Behörden
der Mitgliedstaaten .
Dieser Dreiklang stellt sicher, dass die Qualität der zu-
gelassenen Medizinprodukte gewährleistet ist und dass
die Patientinnen und Patienten möglichst zeitnah die Vor-
teile innovativer Medizinprodukte nutzen können .
Denn wir wollen nicht, dass bei allen Anstrengungen für
das Optimale bei der Patientensicherheit der Zugang für
innovative Medizinprodukte zum Markt durch Überregu-
lierung verstellt wird .
Vor diesem Hintergrund unterstützt die Bundesregie-
rung die vom Rat beschlossene allgemeine Ausrichtung
in wichtigen Fragen . Es ist zu begrüßen, dass konkre-
te und stark erhöhte Anforderungen an die Benannten
Stellen, in Deutschland beispielsweise an den DEKRA,
gerichtet werden . Ebenso ist es richtig, die Benennung
und Überwachung durch die Mitgliedstaaten zu verein-
heitlichen, um das qualitative Gefälle zwischen den Mit-
gliedstaaten gerade mit Blick auf die in der EU geltende
Warenverkehrsfreiheit zu beseitigen .
Dies ist notwendige Voraussetzung für die Sicherstellung
einer einheitlichen Marktzulassung nach europaweit ein-
heitlichen Kriterien .
Der Behauptung in Ihrem Antrag, dass es für Hoch-
risiko-Produkte neben den Benannten Stellen zusätzlich
besonders ausgestatteter „Besonderer Benannter Stellen“
bedürfe, um eine angemessene Risikobewertung vorneh-
men zu können, muss ich widersprechen . Ihre Forderung
nach der Schaffung einer zusätzlichen Benennungs- und
Überwachungsinfrastruktur, meine Damen und Herren
vom Bündnis 90/Die Grünen, wäre mit erheblichen Kos-
ten verbunden, die nicht automatisch eine Verbesserung
bei der Patientensicherheit zur Folge haben . Sinnvoller
ist es stattdessen, die vorgesehenen Anforderungsver-
schärfungen im bestehenden System vorzunehmen, so
wie es der Rat vorsieht . Es geht um die Frage, wie wir
die Benennung, Überwachung und Arbeitsweise effi-
zienter und einheitlicher gestalten können . Das System
der Benannten Stellen braucht keine Parallelstrukturen .
Stattdessen gilt es, so wie vom Rat beschlossen und von
der Bundesregierung unterstützt, die Anforderungen ge-
nauer zu definieren und anzuheben sowie klare Vorgaben
zur Ausstattung der Benannten Stellen zu machen .
Im Übrigen lehnt auch die in Deutschland für die Be-
nennung und Überwachung von Benannten Stellen zu-
ständige ZLG, die Zentralstelle der Länder für Gesund-
heitsschutz bei Arzneimittel- und Medizinprodukten, die
Schaffung von Parallelstrukturen ab . Warum sollten wir
sie also haben?
Auch bei der Vereinbarung für verbesserte klinische
Bewertungen und klinische Prüfungen von Medizinpro-
dukten, insbesondere Implantaten und Hochrisiko-Pro-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14447
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dukten der Klasse III, geht der Rat aus unserer Sicht den
richtigen Weg .
Auch das IQWiG fordert in Zukunft vor Marktzugang
und Erstattung bessere Studien zu Medizinprodukten je
nach Gefährdungspotenzial, Innovationsgrad und be-
hauptetem Nutzen bzw . gefordertem Preis . Wir sehen
hierin eine wichtige Stellschraube . Ihre Forderung im
Antrag, eine ergänzende Bewertung durch eine Exper-
tenkommission für alle Produkte der Risikoklasse III und
II b verpflichtend vorzusehen, also das sogenannte Scru-
tiny-Verfahren quasi flächendeckend einzuführen, bringt
kein Mehr an Patientensicherheit . In der Realität bedeu-
ten derartige Maßnahmen zusätzliche Kontrollverfahren,
teure und aufwendige Doppelprüfungen und damit unnö-
tige Bürokratie .
Durch dieses Verfahren der Doppelprüfung verlangsa-
men Sie lediglich den schnellen Zugang zu innovativen
Medizinprodukten, ohne zusätzliche Patientensicherheit
zu erreichen . Aus unserer Sicht gibt es in diesem Bereich
bessere Möglichkeiten .
Ein gutes Beispiel für effektive Maßnahmen zur Si-
cherung der Qualität von Implantaten ist die Einführung
des Implantatepasses .
Mit der Einführung haben wir die Nachverfolgbarkeit
von Implantationen sichergestellt .
Heute erhalten alle Patientinnen und Patienten, denen
zum Beispiel Herzklappen, Hüft- oder Kniegelenke oder
auch Brustimplantate implantiert werden, eine Patien-
teninformation, die die für die Sicherheit des Patienten
notwendigen Verhaltensanweisungen enthält, und einen
Implantatepass, der unter anderem die Bezeichnung, Art
und Typ sowie die Seriennummer des Implantats ent-
hält . Dadurch ist gewährleistet, dass die Patienten selber,
etwa bei entsprechenden öffentlichen Warnungen, leicht
kontrollieren können, ob ihr Implantat betroffen ist oder
nicht .
Zusätzlich werden die Gesundheitseinrichtungen, in
denen Implantate implantiert werden, verpflichtet, mit-
tels einer Dokumentation die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass die Patientinnen und Patienten zum Bei-
spiel im Falle von Rückrufen von Produkten binnen drei-
er Werktage ermittelt werden können .
Im Rahmen Ihres Antrages greifen Sie zudem die
Forderung des Europäischen Parlaments nach einer
verpflichtenden Produkthaftpflichtversicherung auf.
Diese soll „mit ausreichender Deckung für alle Hochri-
siko-Medizinprodukte und alle Implantate“ gelten . Ich
lasse einmal dahingestellt, ob letztlich eine verpflichten-
de Produkthaftpflichtversicherung kommen wird. Es ist
ja schon fraglich, ob es mit Blick auf die aus der For-
derung resultierende Verteuerung von Medizinprodukten
im Interesse der Patienten ist, diese verpflichtend einzu-
führen; denn, wie Sie sich vielleicht erinnern können, in
der Anhörung des Bundestages im Jahr 2012 konnte kein
einziger Fall geschildert werden, in dem eine fehlende
Haftpflichtversicherung die Ursache für Probleme bei
der Durchsetzung von titulierten Schadensersatzansprü-
chen von geschädigten Patienten gewesen ist .
Zudem ist die Versicherung auf freiwilliger Basis
bereits heute Marktstandard . Die Forderung des Euro-
päischen Parlaments knüpft übrigens nicht an die Er-
fordernisse des Produkthaftungsrechts an . Die Versi-
cherungspflicht, so wie das Europäische Parlament sie
formuliert hat, würde wegen ihrer Undifferenziertheit
höhere Prämien zur Folge haben, also die Medizinpro-
dukte lediglich verteuern . Gut gemeint ist eben noch
nicht gut gemacht .
Ich sage Ihnen: Die beste Versicherung gegen fehlerhafte
oder minderwertige Medizinprodukte ist ein effektives
Zulassungsverfahren .
Meine Damen und Herren, das Zulassungsverfahren
für Medizinprodukte braucht keinen Systemwechsel . Es
ist ausreichend, im bestehenden System die Stellschrau-
ben nachzujustieren, um die Zulassungs- und Kontroll-
mechanismen noch effizienter zu machen und die Patien-
tensicherheit auf diese Weise weiter zu stärken .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Harald
Weinberg, Fraktion Die Linke, das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Realität
in Deutschland ist, dass bei den Medizinprodukten ein
Skandal den nächsten jagt . Patientinnen und Patienten
kommen zu Schaden, weil die Hersteller das löchrige
Überwachungssystem ausnutzen . Der bekannte Skandal
rund um die minderwertigen Brustimplantate ist nur die
Spitze des Eisberges .
Wir reden auch über Hüftprothesen, künstliche Band-
scheiben, Herzschrittmacher und andere lebenswichtige
Produkte . Die Schäden können ebenso gravierend sein
Heiko Schmelzle
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514448
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wie bei Arzneimitteln, und doch ist der Patientenschutz
nicht annähernd so ausgeprägt . Es werden nicht nur Ge-
sundheitsschäden in Kauf genommen, Geschädigte blei-
ben im Zweifelsfall auch noch auf den Kosten sitzen, von
Schmerzensgeld gar nicht zu reden .
Dieser skandalöse Zustand muss beendet werden .
Der Antrag der Grünen enthält einige sinnvolle An-
sätze, und wir werden ihm auch zustimmen . Doch ich
befürchte, die Koalition stellt das wirtschaftliche Inter-
esse der Hersteller von Medizinprodukten wieder einmal
über das Interesse der kranken Menschen und wird ihn
ablehnen .
Bereits als es Bestrebungen in der EU gab, endlich
eine ordentliche Zulassung für Medizinprodukte vorzu-
schreiben, hat das die Bundesregierung in der EU verhin-
dert . Um es klar zu sagen: Die Bundesregierung wendet
sich etwa dagegen, dass vor dem Marktzugang geprüft
wird, ob das neue Medizinprodukt den Menschen auch
wirklich hilft . Bei jedem neuen Arzneimittel ist das seit
zig Jahren selbstverständlich, bei Medizinprodukten star-
ten wir erst einmal den Freilandversuch am Menschen .
Das kann doch nicht so weitergehen .
An die SPD-Fraktion gerichtet: Im Jahr 2012 haben
Sie einen Antrag eingebracht, in dem es eindeutig heißt,
dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf-
fordert, eine europaweit einheitliche amtliche Zulassung
für Medizinprodukte der Risikoklassen II b und III zu
erreichen . Damals haben Sie das gefordert . Jetzt, wo Sie
an der Regierung sind, blocken Sie das ab .
Nach wie vor befürwortet die Bundesregierung eine ver-
pflichtende Produkthaftpflichtversicherung nicht; wir
haben es eben gehört . In dem Antrag der SPD aus dem
Jahr 2012 wurde noch gefordert, eine Pflicht zum Ab-
schluss einer Haftpflichtversicherung für die Hersteller
von Medizinprodukten einzuführen .
Wenn also ein Patient durch ein fehlerhaftes oder
nachlässig geprüftes Medizinprodukt einen Schaden er-
leidet, dann muss er befürchten, noch nicht einmal Scha-
denersatz zu bekommen; ein Schlaraffenland für die Her-
steller, ein Albtraum für die betroffenen Patientinnen und
Patienten .
Schauen wir uns die Situation in den USA an, be-
kanntlich nicht unbedingt das Land, das vor Überregu-
lierung strotzt . Dort gibt es eine behördliche Zulassung
statt TÜV-Prüfung, einen Nachweis der Sicherheit und
Wirksamkeit, häufig Zulassungsauflagen, eine zentrale
Überwachung des Marktes und mehr Transparenz . Hin-
sichtlich der Sicherheit von Medizinprodukten befürch-
ten dort viele, dass es durch das Freihandelsabkommen
TTIP eventuell zu einer Absenkung auf die laxen Stan-
dards in Europa kommen könnte . An dieser Stelle haben
wir die genau umgekehrte Diskussion .
Das geht so weit, dass der Leiter der Device Section der
amerikanischen Prüfbehörde, Dr . Jeffrey Shuren, mit
Blick auf die niedrigschwelligen Marktzugangsvoraus-
setzungen für Hochrisiko-Medizinprodukte in Europa
Folgendes sagte: Wir benutzen US-Bürger nicht als Ver-
suchskaninchen .
Dazu einige Beispiele aus den vergangenen Jahren .
Erstes Beispiel: Selbstexpandierende Stents für Arte-
rien im Gehirn, die Schlaganfälle verhindern sollten, ver-
ursachten doppelt so viele Todesfälle und Schlaganfälle,
als wenn man gar nicht operiert hätte . Sie wurden alleine
in Deutschland 3 500 Mal eingesetzt . In den USA hinge-
gen wurden kleine Studien durchgeführt . Diese Studien
wurden abgebrochen, weil die Mortalität, die Sterblich-
keit, stieg . Diese Stents wurden in den USA nicht zuge-
lassen .
Zweites Beispiel: TAVI-Herzklappen haben nur für
Patienten einen Nutzen, die nicht am offenen Herzen
operiert werden können . In den USA wurde der Ein-
satz gleich auf diese Gruppe beschränkt . In Deutschland
wurde seit der Zulassung im Jahr 2005 bis zum Ein-
greifen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss über
50 000 Mal eine solche Herzklappe eingesetzt – mit den
entsprechenden Nebenwirkungen, mit den entsprechen-
den Folgewirkungen, mit dem entsprechenden Leid für
die Patientinnen und Patienten .
Drittes Beispiel: Es gab Metall-auf-Metall-Endopro-
thesen, deren Zulassung in den USA sofort gescheitert
ist . Weltweit wurden etwa 300 000 davon eingesetzt,
Tausende auch in Deutschland . Diese verursachen durch
den Abrieb der Metalle eine regelrechte Vergiftung der
Patientinnen und Patienten, beispielsweise mit Kobalt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir orientieren uns
doch sonst so gerne an den USA . Warum nicht hier, wo
es um Gesundheit und Leben geht und wo es wirklich
einmal sinnvoll wäre?
Ich fordere Sie, insbesondere Sie von der SPD-Fraktion,
auf: Fallen Sie nicht hinter die Erkenntnisse von 2012
zurück! Stimmen Sie dem Antrag zu! Aus Sicht des Pati-
entenschutzes wäre alles andere verantwortungslos .
Vielen Dank .
Harald Weinberg
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14449
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Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Martina Stamm-
Fibich, SPD-Fraktion, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Medizinpro-
dukte, um die es heute geht, umfassen eine sehr große
Bandbreite von medizinisch-technischen Produkten und
Verfahren, die im Idealfall Leben retten, heilen helfen
und die Lebensqualität der Menschen verbessern . Kon-
kret handelt es sich um die ganze Palette der Medizinpro-
dukte, die weit gefächert ist: vom Pflaster über das Fie-
berthermometer bis hin zum MRT . Laut Schätzungen des
BMG befinden sich momentan rund 400 000 verschiede-
ne Medizinprodukte auf dem Markt . Ohne Zweifel bilden
die Medizinprodukte eine sehr heterogene Produktgrup-
pe . Viele der Produkte zeichnen sich durch einen sehr
kurzen Lebenszyklus aus . Diese Besonderheiten der
Branche müssen bei der Nutzenbewertung berücksichtigt
werden .
Bereits im Koalitionsvertrag hat sich die Große Koa-
lition darauf verständigt, dass neue Medizinprodukte mit
hoher Risikoklasse im Krankenhaus einer Nutzenbewer-
tung unterliegen sollen . Mit § 137 h SGB V – Bewertung
neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit
Medizinprodukten hoher Risikoklasse – haben wir uns
im Rahmen des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes an
die Umsetzung gemacht . Für neuartige Medizinprodukte
der beiden höchsten Risikoklassen gibt es ab 2016 eine
Nutzenbewertung . In die Nutzenbewertung einbezogen
werden Produkte hoher Risikoklassen, die ein neues the-
oretisch-wissenschaftliches Konzept aufweisen .
Das gilt für die Risikoklassen IIb und III, wenn sie einen
besonders invasiven Charakter aufweisen .
Bis zum 31 . Dezember dieses Jahres erarbeitet das BMG
im Benehmen mit dem Bundesforschungsministerium
eine Rechtsverordnung, in der Begriffe wie „neues the-
oretisch-wissenschaftliches Konzept“ und „besonders in-
vasiv“ konkretisiert werden . Die Zusammenarbeit bei der
Erstellung dieser Rechtsverordnung läuft sehr gut . Dafür
möchte ich mich bei der Frau Staatssekretärin bedanken .
Aus Sicht der deutschen Medizinproduktehersteller
ist § 137 h SGB V von großer Bedeutung . Aber noch
deutlich wichtiger sind die Ergebnisse der EU-Trilog-
verhandlungen; denn sie werden einen wesentlichen Ein-
fluss darauf haben, wie schnell deutsche Hersteller neue
Produkte entwickeln können und ob sie in anderen Län-
dern der EU weiterhin die Möglichkeit des Marktzutritts
haben werden .
Der Weltmarkt für Medizintechnik ist bereits heu-
te von großer Bedeutung für den Wirtschaftsstandort
Deutschland, und seine Bedeutung wird in Zukunft
noch wachsen . Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag
die Medizintechnikbranche als wichtigen Leitmarkt in
Deutschland hervorgehoben . Die deutschen Medizinpro-
duktehersteller sind die wichtigsten und auch zahlenmä-
ßig die stärksten Unternehmen dieses Sektors in Europa .
Knapp 95 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in
der deutschen Medizintechnikindustrie beschäftigt . In
Deutschland produzieren etwa 1 200 Unternehmen, von
Großunternehmen bis hin zu KMUs, Waren im Wert von
jährlich 22 Milliarden Euro . Davon gehen rund 66 Pro-
zent in den Export . Weltweit liegt Deutschland damit bei
Medizinprodukteinnovationen an zweiter Stelle hinter
den USA .
Medizintechnik made in Germany ist international ge-
fragt . Trotz alledem steht außer Frage: Medizinprodukte
müssen sicher sein . Wir müssen mit rechtlichen Rahmen-
bedingungen Patientensicherheit, Versorgungsqualität
und die Leistungsfähigkeit unserer Gesundheitssystems
gewährleisten . Wir müssen Risiken bewerten und Pati-
enten schützen .
Frau Kollegin Stamm-Fibich, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Schulz-Asche?
Ja, natürlich . Gerne
Bitte schön, Frau Schulz-Asche .
Liebe Frau Kollegin Stamm-Fibich, vielen Dank, dass
ich Ihnen eine Frage stellen darf . Sie haben gerade ge-
sagt, dass Medizinprodukte made in Germany weltweit
gefragt sind . Daher möchte ich Sie hier fragen, ob Sie
wissen, dass Medizinprodukte, die zum Beispiel in den
USA auf den Markt kommen möchten, vorher von der
FDA geprüft werden . Die meisten großen Unternehmen
hier in Deutschland nehmen ohnehin FDA-Prüfungen
vor, weil sie eben nicht nur auf dem deutschen Markt,
sondern auch international auf den Märkten präsent sein
wollen, und zwar mit qualitätsgesicherten Produkten .
Natürlich weiß ich das . Natürlich ist die FDA-Zu-
lassung etwas, über das man sich unterhalten kann und
muss . Sie wissen sicherlich auch, wie viele dieser Hoch-
risiko-Produkte bereits eine FDA-Zulassung haben . Ob
wir die jetzt als Standard in Deutschland setzen, wird
sich ergeben; aber ich weiß das sehr wohl . Ich weiß auch,
was FDA bedeutet . Aber ich weiß nicht, ob das der richti-
ge Weg ist, wenn bewaffnete Beamte in ein Unternehmen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514450
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(D)
gehen . Ich weiß nicht, ob es in Zukunft unser Stil ist, so
mit Herstellern umzugehen .
Mit Blick auf die EU-Trilogverhandlungen sehe ich in
Verbesserungen innerhalb des bestehenden Systems die
beste Lösung, zum Beispiel durch strengere Anforderun-
gen an die Benannten Stellen, durch engmaschige Kon-
trollen der Benannten Stellen und durch die Entwicklung
spezifischer Produktanforderungen. Auch eine verstärkte
Koordinierung der Marktüberwachung halte ich für sehr
sinnvoll . Meines Wissens liegen derzeit aber keine Er-
kenntnisse darüber vor, dass staatliche Behörden per se
für Produktzulassungen besser geeignet sind als die Be-
nannten Stellen .
Ich unterstütze die Forderung, dass Bewertungen von
Medizinprodukten auf klinische Daten gestützt werden
müssen . Eine weitgehende Übertragung der bei Arznei-
mitteln etablierten Bewertungs- und Untersuchungsme-
thoden auf Medizinprodukte halte ich jedoch für nicht
möglich . Als Hauptgrund sehe ich hier die zu große Pro-
duktvielfalt .
Der Einführung einer obligatorischen Haftpflichtver-
sicherung für Medizinproduktehersteller stehe ich offen
gegenüber . Soweit ich weiß – Kollege Schmelzle hat es
ausgeführt –, ist eine Haftpflichtversicherung der Her-
steller aber bereits heute Marktstandard .
Als Große Koalition haben wir im GKV-Versor-
gungsstärkungsgesetz bereits einen ersten wichtigen und
richtigen Schritt hin zu einer Nutzenbewertung bei Me-
dizinprodukten gemacht . Wir sollten nun Erfahrungen
sammeln . Anhand der gemachten Erfahrungen können
wir dann über weitere nationale Schritte nachdenken .
Für uns als SPD-Bundestagsfraktion stehen Patientinnen
und Patienten an erster Stelle . Patientinnen und Patienten
müssen sich darauf verlassen können, dass Medizinpro-
dukte sicher sind, ihnen helfen und keinesfalls ihre Ge-
sundheit oder sogar ihr Leben gefährden .
Deshalb begleiten wir die EU-Trilogverhandlungen
sehr intensiv . Nach dem zu urteilen, was Frau Staatsse-
kretärin Widmann-Mauz gestern berichtet hat, befinden
sich die Verhandlungen auf einem guten Weg . Noch sind
wir als SPD-Bundestagsfraktion deshalb optimistisch .
Aber wir werden uns nicht scheuen, einzugreifen, wenn
wir den Eindruck haben, dass auf EU-Ebene nicht im
Sinne der Patientinnen und Patienten, sondern nur im
Sinne der Hersteller verhandelt wird .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
der Kollege Dietrich Monstadt das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Problem und
Ausgangslage des vorliegenden Antrages ist, dass wie-
derholt Skandale mit zum Teil kriminellem Handeln,
zum Beispiel der Brustimplantateskandal um den franzö-
sischen Hersteller PIP, den Glauben an die Sicherheit von
Medizinprodukten belastet haben . Das hier verlorenge-
gangene Vertrauen gilt es wiederherzustellen . Wir müs-
sen durch rechtliche Rahmenbedingungen sicherstellen,
dass die Patientensicherheit, die Versorgungsqualität und
die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems gewähr-
leistet sind und auch bleiben .
Unser gemeinsames Ziel, auch im Trilogverfahren, muss
sein, diesen Fällen vorzubeugen bzw . sie zu verhindern
und solche Fälle in Zukunft schneller umfassend aufzu-
decken . Dazu gehört auch, die betroffenen Personen zu
identifizieren und die Produkte rückverfolgbar zu erfas-
sen .
Auf diese Problemlage, meine Damen und Herren, hat
die CDU/CSU-Fraktion damals sofort reagiert . Bereits
im Jahr 2012 ist der Antrag „Revision der europäischen
Medizinprodukte-Richtlinien: Vertrauen wieder herstel-
len – Patientensicherheit bei Medizinprodukten muss
erste Priorität sein“ auf den Weg gebracht worden, mit
Blick auf die Stärkung von Patientensicherheit, Patien-
tenschutz und Patientenrechten mit folgenden, wie ich
finde, richtigen Forderungen: erstens Überwachung der
Benennung und Reakkreditierung der Benannten Stellen
durch nationale Behörden, zweitens ein EU-einheitli-
ches Verfahren der Marktüberwachung mit unangemel-
deten Stichproben durch Benannte Stelle, drittens die
Schaffung/Verbesserung eines Systems zur eindeutigen
Identifizierung und Rückverfolgbarkeit eines Medizin-
produkts, viertens die Gleichbehandlung von Einmal-
und aufbereiteten Mehrfachprodukten beim Inverkehr-
bringen; fünftens haben wir die Weiterentwicklung des
CE-Kennzeichens als Prüf- und Qualitätssiegel in Form
eines CE-Med-Kennzeichens gefordert .
Das Europäische Parlament hat dann mit Beschluss im
Oktober 2013 strengere Kriterien für die Benennung und
Überwachung der Benannten Stellen festgelegt, unter
anderem unangekündigte Kontrollen, Probenahmen und
eine gemeinsame Bewertung durch Benannte Stellen .
Diese Regelungen haben in relativ kurzer Zeit zu einer
deutlichen Verbesserung der Kontrolle bei Unternehmen
und im Markt geführt .
Die Einführung des Implantatepasses mit einem
EU-einheitlichen Datensatz im vergangenen Jahr hat
dann eine weitere Lücke, die Nach- und Rückverfolgbar-
keit des implantierten Medizinproduktes, geschlossen .
Meine Damen und Herren, wir haben bei den Medi-
zinprodukten kein Regelungsdefizit, aber ein Vollzugs-
defizit. Daran müssen wir trotz der bereits ergriffenen
Martina Stamm-Fibich
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14451
(C)
(D)
Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene wei-
ter arbeiten .
Es bedarf klarer Vorgaben im europäischen Recht .
Nur dann ist die EU-weite Wirkung für alle verkehrsfä-
higen Produkte sichergestellt . So muss jede Benannte
Stelle eine hochqualifizierte und organisierte Struktur
vorweisen und fortlaufend überwacht werden . Weiter-
hin müssen an Medizinprodukte und deren klinische
Prüfung hohe und verbindliche Anforderungen gestellt
werden . Es ist Aufgabe der verantwortlichen Behörden,
dies durch eine kontinuierliche, strukturierte und quali-
tätsgesicherte Überwachung sicherzustellen . Durch diese
gezielten Maßnahmen können weitere Verbesserungen
für die Patientensicherheit erreicht werden . Das, meine
Damen und Herren, ist genau der richtige Weg .
Falsch dagegen ist die Forderung der Antragsteller
nach einem behördlichen Zulassungsverfahren, womög-
lich noch in Form einer zentralen europäischen Zulas-
sungsbehörde für Medizinprodukte . Abgesehen davon,
dass eine solche Behörde vorsätzliches Verhalten wie
beim PIP-Skandal mit Sicherheit nicht verhindert hätte,
konnte bis heute auch nicht belegt werden, dass ein staat-
liches Zulassungssystem wie zum Beispiel in den USA
zu einer erhöhten Patientensicherheit gegenüber dem eu-
ropäischen System geführt hätte .
Dies hat auch die Antwort des Bundeswirtschaftsminis-
teriums auf eine parlamentarische Anfrage – jetzt können
Sie sich richtig aufregen, Herr Weinberg – zum geplanten
Handelsabkommen TTIP im Sommer 2015 ergeben .
Meine Damen und Herren, auch Ihre Forderungen,
klinische Prüfungen für Medizinprodukte an die Anfor-
derungen für Arzneimittelstudien anzupassen, wird dem
Ziel, dass alle Versicherten gleichermaßen und zeitnah
vom medizinischen Fortschritt profitieren sollen, nicht
gerecht . Zum einen, weil randomisierte Studien bei Me-
dizinprodukten oft nicht funktionieren . Zum anderen
wollen wir, dass auch Schrittinnovationen dem Wohl der
Patientinnen und Patienten zugutekommen, und zwar
schnellstmöglich .
Meine Damen und Herren, die Forderung nach einer
zentralen europäischen Zulassungsbehörde und einer
Gleichsetzung mit Pharmaregelungen gefährdet nach
meiner Einschätzung auch unsere hervorragend aufge-
stellte Medizintechnikbranche – eine Gefährdung von
über 12 000 Unternehmen und mehr als 195 000 Arbeits-
plätzen . Wollen Sie, dass sich der Gesamtumsatz in die-
sem Bereich von über 25 Milliarden Euro verringert?
Wollen Sie, dass die Exportquote – die Kollegin Stamm-
Fibich hat es angesprochen – von über 65 Prozent sinkt?
Diese Gefährdungen wollen wir, die CDU/CSU-Frakti-
on, definitiv nicht.
Ihre Forderungen gefährden daneben die Teilnahme
von Patientinnen und Patienten am sich rasant entwi-
ckelnden medizintechnischen Fortschritt . Sie gefährden
damit insbesondere die Teilnahme an Schrittinnovatio-
nen . Auch dies wollen wir nicht .
Wir wollen dagegen Innovationen; denn gerade Inno-
vationen leisten richtige Beiträge für eine bessere Patien-
tenversorgung, mehr Lebensqualität und Selbstständig-
keit bis ins hohe Alter .
Meine Damen und Herren, die Forderung der Antrag-
steller nach einer obligatorischen Produkthaftpflichtver-
sicherung für Hersteller – das ist hier heute Abend mehr-
fach angesprochen worden – trägt ebenfalls nicht . Sie
tritt bekanntermaßen bei vorsätzlich kriminellem Ver-
halten nicht ein . Auch das hat der Kollege Sorge bereits
angesprochen .
Auch war ihr Fehlen in der Vergangenheit nicht ursäch-
lich für die Nichtdurchsetzbarkeit von Schadensersatzan-
sprüchen betroffener Patientinnen und Patienten .
Skandale mit Medizinprodukten der Klasse III zeigen,
dass die vorhandenen Instrumentarien auf europäischer
Ebene im Hinblick auf die Patientensicherheit und den
Patientenschutz nachjustiert werden müssen . Es ist aber
richtig, am bestehenden System aus Überwachung und
Kontrolle festzuhalten und an den wesentlichen Stellen
Korrekturen vorzunehmen: eine weitere Verbesserung
bei der Benennung und Überwachung der Benannten
Stellen sowie eine verbesserte Kontrolle von Herstellern
und im Markt .
Meine Damen und Herren von den Grünen, Ihren An-
trag werden wir ablehnen .
Herzlichen Dank .
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Dirk Heidenblut, SPD-Fraktion .
Dietrich Monstadt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514452
(C)
(D)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ob Im-
plantate oder andere Hochrisikoprodukte: Für uns stehen
die Patientensicherheit und der Patientennutzen ganz un-
abhängig von laufenden Verhandlungen immer an erster
Stelle,
und ich bin mir sicher, das gilt auch und gerade für das
Gesundheitsministerium . Es wird daher genau diese As-
pekte, die bei den vielen Dingen, die im Vorfeld schon
geregelt wurden, immer mit berücksichtigt wurden – der
Kollege Monstadt hat das im Vorfeld schon erklärt –,
auch in die Trilogverhandlungen einbringen .
Die Trilogverhandlungen, die am Ende eines bereits
laufenden Gesetzgebungsverfahrens zu einer Einigung
zwischen der EU-Kommission, dem EU-Parlament und
dem EU-Rat führen, bieten zwar einen Ansatz, viel wich-
tiger ist aber – das ist hier mehrfach ausgeführt worden –,
dass die genannten Aspekte Patientensicherheit und Pa-
tientennutzen bereits in den unterschiedlichen Gesetzge-
bungsprozessen – übrigens: einige davon haben Sie im
Verhältnis zu den gerade laufenden ja auch angespro-
chen – berücksichtigt wurden und immer berücksichtigt
werden .
Im Übrigen: Diese Verhandlungen sind nicht nur auf
einem guten Weg, sondern sie sind, wenn ich das richtig
verstanden habe, auch nicht weit von einem Abschluss
entfernt . In Ihrem Antrag deuten Sie ja selbst an, dass
vorgesehen ist, noch bis Ende dieses Jahres zu einem Ab-
schluss zu kommen .
Deshalb wäre es ja auch zu spät, erst jetzt an dieser Stelle
einzugreifen .
Zentral für Patientensicherheit und Patientennutzen
sind – deswegen finde ich auch das Gegeneinander, das
hier zwischen der Wirtschaft und dem aufgebaut wird,
was wir unter Patientensicherheit und Patientennutzen
verstehen, immer etwas problematisch – natürlich auch
die Dinge, die durch Innovation und Fortschritt positiv
für den Patienten erreicht werden können . Der Patienten-
nutzen – auch das ist natürlich wichtig – manifestiert sich
für uns darin, dass Krankheiten besser bekämpft werden
können, dass mit Krankheiten besser umgegangen wer-
den kann und dass die Medizinprodukte letztlich einen
echten Nutzen für die Patienten haben .
Das muss immer mit beachtet werden .
Natürlich müssen wir auch darauf achten, dass min-
derwertige oder fehlerhafte Implantate oder Hochsicher-
heitsmedizinprodukte möglichst zeitnah und frühzeitig
erkannt werden und – damit bin ich auch ein bisschen bei
der Produkthaftung – dass diese Produkte möglichst gar
nicht erst zum Einsatz kommen . Egal was auch immer
wir zur Produkthaftung beschließen wollen und egal ob
eine entsprechende Versicherung greift, was wir seiner-
zeit in unserem Antrag gefordert haben – ich bin nach
wie vor der Ansicht: es kann absolut nichts verschla-
gen, wenn man eine vernünftige Haftpflichtversicherung
zwingend vorgibt;
denn selbst wenn alle schon eine haben, ist das egal, sie
erfüllen dann schon die Vorgaben des Gesetzes –, all das
sollte möglichst nicht zum Tragen kommen .
Wir wollen nach Möglichkeit erreichen, dass niemand
unter den Folgen zu leiden hat . Die Versicherung deckt
im Zweifel nur die Kosten ab . All das Leid, das damit
verbunden ist, wenn Implantate nicht funktionieren, he-
rausgeholt und andere eingesetzt werden müssen, wenn
Medizinprodukte Schäden verursachen – Herr Weinberg,
Sie haben ein paar Aspekte angesprochen –, kann sowie-
so keine Versicherung abdecken . Sie sprechen durchaus
zu Recht einige Punkte an . Auch wir haben diese Punkte
in unserem Antrag von 2012 aufgegriffen . Der richtige
Weg ist, Probleme frühzeitig zu erkennen, die Zertifizie-
rung, die Zulassung so zu regeln, dass Medizinprodukte,
die Schäden verursachen, gar nicht erst auf den Markt
kommen und fehlerhafte Implantate gar nicht erst ein-
gebaut werden und sich dadurch nach Möglichkeit auch
nicht die Frage der Haftung stellt .
Wir aber glauben, dass das in den laufenden Verhand-
lungen erreicht werden kann . Wir sind uns sicher, dass
das Ministerium das im Blick hat . Ich bin für den Bereich
Telemedizin zuständig, der von dem Bereich Medizin-
produkte, über den wir hier reden, gar nicht so weit weg
ist . Auch bei telemedizinischen Produkten ist ganz ent-
scheidend, dass wir wie auch bei den anderen Gesetzen
immer die Patientensicherheit und den Patientennutzen
im Blick haben und transparent regeln . Insofern bin ich
mir ganz sicher, dass das in dem entsprechenden Verfah-
ren geregelt wird .
Dennoch werden wir uns schon wegen der sehr schnel-
len Entwicklung in diesem Bereich kontinuierlich mit der
Frage Sicherheit von Medizinprodukten auseinanderset-
zen und weiter beschäftigen müssen . Da werden wir si-
cherlich auch die Zulassungsverfahren im Blick halten .
Das haben wir mit dem GKV-Versorgungsstärkungsge-
setz an einer Stelle schon sehr deutlich getan .
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/6650 mit dem Titel „EU-Trilogverhandlungen für
mehr Patientensicherheit bei Medizinprodukten nutzen“ .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14453
(C)
(D)
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition
abgelehnt .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des
Parteiengesetzes
Drucksache 18/6879
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
Drucksache 18/7093
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Innenausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Jan Korte, Matthias W . Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Parteispenden von Unternehmen und Wirt-
schaftsverbänden verbieten, Parteispenden
natürlicher Personen begrenzen
Drucksachen 18/301, 18/7093
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-
ginnen! Sehr verehrte Kollegen! Zunächst möchte ich als
positiv festhalten: Es ist gut, dass wir uns in der Gro-
ßen Koalition auf eine Novellierung des Parteiengeset-
zes verständigt haben und dass diese Novellierung zum
1 . Januar des kommenden Jahres sehr zeitnah in Kraft
treten kann .
Ich glaube, gerade angesichts der derzeitigen Heraus-
forderungen, die sich unserem Land stellen, wird noch
deutlicher, welch große Bedeutung Parteien in unserer
heutigen Zeit haben . Gerade in unserer sehr pluralisti-
schen Gesellschaft ist es aus meiner Sicht unverzichtbar,
dass die Parteien auf staatliche Teilfinanzierung zurück-
greifen . Die jetzt vorgesehene Erhöhung ist in vollem
Umfang maßvoll und auch verantwortungsvoll . Sie be-
trägt weniger als 20 Prozent .
Was auch erwähnt werden muss: Es ist die erste Erhö-
hung seit 2002 . Es gab seit 2002 keine Erhöhung der Be-
träge, die den Parteien pro errungene Wählerstimme bzw .
pro 1 Euro Mitgliedsbeitrag oder unter Berücksichtigung
sonstiger erzielter Zuwendungen zufließen, sodass diese
Erhöhung aus meiner Sicht in jeder Hinsicht als maßvoll
zu bezeichnen ist .
Ich vergieße keine Krokodilstränen, sondern sage es
sehr ernsthaft: Ich bedauere es wirklich, dass die Oppo-
sitionsfraktionen dieser gesetzlichen Novellierung offen-
bar nicht zustimmen können, obschon sie gleichermaßen
von den erhöhten Beträgen profitieren. Ich gehe davon
aus, dass sie diese auch in Anspruch nehmen werden,
statt auf diese Zusatzeinnahmen zu verzichten . Dennoch
hielte ich es für sehr erfreulich, wenn auch Sie dieser No-
vellierung zustimmen könnten, weil damit neben der Er-
höhung der staatlichen Teilfinanzierung demokratischer
Parteien aus meiner Sicht auch weitere wichtige Ände-
rungen am Parteiengesetz vorgenommen werden .
Ich halte es für sehr erfreulich, dass es gelungen ist,
die Umgehungsgeschäfte, wie beispielsweise von der
AfD im Rahmen eines durchaus als ominös zu bezeich-
nenden Goldhandels vorgenommen, in Zukunft nicht
mehr möglich sind .
Es ist in Zukunft nicht mehr möglich, dass man die rela-
tive Obergrenze durch Goldverkäufe umgeht, sondern in
Zukunft wird es eine Saldierung der An- und Verkäufe
geben, sodass dieses Umgehungsgeschäft, das insbeson-
dere von der AfD betrieben wurde, in Zukunft nicht mehr
möglich ist .
Wenn sich die AfD jetzt lauthals beschwert und be-
hauptet, das sei verfassungswidrig, weil es ein Verstoß
gegen das Rückwirkungsverbot sei, dann möchte ich klar
entgegnen – dies ist auch in der Sachverständigenanhö-
rung am vergangenen Montag bestätigt worden –, dass es
sich allenfalls um eine unechte Rückwirkung handelt . Es
ist also keine echte Rückwirkung im verfassungsrechtli-
chen Sinne, sodass keine verfassungsrechtlichen Beden-
ken gegen diese Neuregelung bestehen .
Ich halte es auch für einen Fortschritt, dass wir jetzt
eine Regelung mit aufnehmen, dass den Parteien, die es
über sechs Jahre hinweg ununterbrochen unterlassen, ei-
nen Rechenschaftsbericht abzugeben, endlich die Partei-
eigenschaft entzogen wird .
Es gebietet aus meiner Sicht der Anstand, dass man,
wenn man als Partei schon gewisse Privilegien in An-
spruch nimmt, dann zumindest der Verpflichtung nach-
kommt, einmal jährlich beim Bundestagspräsidenten ei-
nen Rechenschaftsbericht abzugeben . Es ist auch so, dass
Parteien, die über sechs Jahre hinweg an keiner Wahl
teilnehmen, die Parteieigenschaft verlieren . Deshalb hal-
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514454
(C)
(D)
te ich es nur für konsequent, dass die Parteieigenschaft
auch dann entzogen werden kann, wenn man über sechs
Jahre hinweg keinen Rechenschaftsbericht abgibt .
Wir werden heute noch einen Änderungsantrag zu
behandeln haben, der von der Großen Koalition einge-
bracht wird und sich darauf bezieht, dass in einem Teil-
punkt auf die Indexierung, die ursprünglich ab 2017 vor-
gesehen war, verzichtet wird, um vor allem die Gefahr
der sogenannten Doppelindexierung zu vermeiden . Es
geht darum, dass man bei den Zuwendungen, die den
Parteien zufließen, sowie bei den Mitgliedsbeiträgen und
den Mandatsträgerbeiträgen keine Erhöhung der Beträge
entsprechend dem Preisindex vornimmt . Ich halte dies
für eine sachgerechte Lösung, vor allem vor dem Hinter-
grund der sonst drohenden Doppelindexierung .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
gibt einen Änderungsantrag der Linken,
der vorsieht, dass bei natürlichen Personen die Grenze,
was die Spendenmöglichkeit anbelangt, bei 25 000 Euro
liegen soll .
Bei juristischen Personen ist die Spendenmöglichkeit so-
gar ausgeschlossen .
– Schön, wenn Sie darauf eingehen . Ich möchte Ihnen
aber gleich vorhalten, dass Ihr Sachverständiger Ihnen
dabei nicht gefolgt ist .
Vor Ihrem Sachverständigen hat Ihr Änderungsantrag
keine Gnade gefunden, sondern er hat ihn, genauso wie
alle anderen Sachverständigen auch, als eklatant verfas-
sungswidrig bezeichnet .
Insoweit ist selbst Ihr eigener Sachverständiger mit Ih-
rem Änderungsantrag hart ins Gericht gegangen .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
ich glaube, dass wir mit dieser Änderung des Parteien-
gesetzes wirklich eine moderate und notwendige Fort-
schreibung unseres Parteienrechts vornehmen . Wie ge-
sagt – das meine ich wirklich sehr ernst –, ich würde es
außerordentlich begrüßen, wenn diese Novellierung in
diesem Hohen Haus eine größtmögliche Unterstützung
erfahren würde . Deshalb noch einmal der dringende, aber
auch sehr ernsthafte Appell an die Oppositionsfraktio-
nen, dieser Änderung des Parteiengesetzes zuzustimmen .
Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Aufmerksam-
keit .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
die Kollegin Halina Wawzyniak .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich will nicht lange über den Gesetzent-
wurf der Koalitionsfraktionen reden . Denn in wesentli-
chen Punkten sind sich alle Fraktionen einig . Es ist rich-
tig, dass eine Partei den Parteienstatus verliert, wenn sie
sechs Jahre lang keinen Rechenschaftsbericht abgegeben
hat . Es ist richtig, dass bei Einnahmen aus Unterneh-
menstätigkeit eine Saldierung zwischen Einnahmen und
Ausgaben stattfindet. Es ist auch richtig, dass zukünftig
Strafzahlungen an den Bundeshaushalt zurückgeführt
werden .
Ja, wir können auch nachvollziehen, dass die Beträ-
ge pro abgegebene Stimme und pro Zuwendung privater
Person erhöht werden . Wenn wir uns dennoch enthalten
werden, dann hat das mit der Ablehnung unseres Antrags
zu tun . Wir wollen – das hat Herr Mayer dankenswer-
terweise schon gesagt – ein Verbot von Spenden juristi-
scher Personen . Wir wollen ein Verbot von Sponsoring .
Wir wollen die Zuwendungen privater Personen auf
25 000 Euro beschränken .
Warum wollen wir das alles? Diejenigen, die finanz-
kräftiger sind, sollen nicht auch noch über die Parteien-
finanzierung Einfluss auf Parteien nehmen. Diejenigen,
die finanzkräftiger sind, haben schon heute diverse Mög-
lichkeiten, auf Politik Einfluss zu nehmen, und sie nutzen
sie auch . Parteien sind nun einmal Vereinigungen von
Bürgerinnen und Bürgern, die auf die Willensbildung
Einfluss nehmen wollen.
In der grundlegenden Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts zur staatlichen Teilfinanzierung 1992
heißt es:
Die Parteien müssen nicht nur politisch, sondern
auch wirtschaftlich und organisatorisch auf die
Zustimmung und Unterstützung der Bürger ange-
wiesen bleiben . Durch öffentliche Mittel darf den
einzelnen Parteien daher das Risiko des Fehlschla-
gens ihrer Bemühungen um eine hinreichende Un-
terstützung in der Wählerschaft nicht abgenommen
werden .
Stephan Mayer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14455
(C)
(D)
Der Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien wird
durch die Gewährung finanzieller Zuwendungen
mithin dann verletzt, wenn durch sie die Parteien
der Notwendigkeit enthoben werden, sich um die
finanzielle Unterstützung ihrer Aktivitäten durch
ihre Mitglieder und ihnen nahestehende Bürger zu
bemühen .
Das sagt das Bundesverfassungsgericht .
Ja, wir haben derzeit noch nicht den Zustand, dass sich
die Parteien nicht um Zuwendungen der Bürgerinnen
und Bürger sowie der Wählerinnen und Wähler bemü-
hen müssen . Aber dieser Zustand kann eintreten, nämlich
spätestens dann, wenn eine Partei, um die relative Ober-
grenze zu erreichen, auf Spenden juristischer Personen
angewiesen ist . Spenden juristischer Personen, also Un-
ternehmensspenden, sind verfassungsrechtlich zulässig .
Das bestreite ich überhaupt nicht . Aber das Verbot von
Spenden juristischer Personen, kurz Unternehmensspen-
den, an Parteien ist auch zulässig . Das hat Professor Mor-
lok in der Anhörung erklärt . Der Sachverständige Koß
hat das bestätigt .
Nun kommt ein Argument, das ich sehr gerne vortra-
ge . Wenn juristische Personen spenden, dann entscheiden
nicht diejenigen, die den Mehrwert, der gespendet wird,
erwirtschaftet haben, sondern diejenigen, die in den Auf-
sichtsgremien sitzen. Ich finde, das ist in demokratiethe-
oretischer Hinsicht ein Problem .
Wenn das Verbot von Spenden juristischer Personen
auch verfassungsrechtlich zulässig ist, dann kommt im-
mer ein sehr schlagendes Gegenargument, nämlich das
Würstchenargument . Wenn es um die Spenden juristi-
scher Personen geht, kommt immer jemand – das war
so in der Anhörung genauso wie im Innenausschuss –,
der dann erzählt: Um Gottes willen! Dann gibt es keine
Würstchen mehr für die Parteigrillfeste .
Aber, ehrlich gesagt, gibt es kein Grundrecht auf Spenden
von Würstchen juristischer Personen für Parteigrillfeste .
Wenn sich eine Partei noch nicht einmal mehr Würstchen
leisten kann, dann ist sie ziemlich arm dran .
Angesichts der vielen guten Punkte im Antrag und der
standhaften Weigerung, endlich ein Verbot von Spenden
juristischer Personen an Parteien zu unterstützen, werden
wir uns enthalten .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die
Kollegin Gabriele Fograscher .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Politische Parteien leisten einen wichtigen Beitrag
zum Funktionieren unseres Staates . Die Aufgaben, die
ihnen durch das Grundgesetz und das Parteiengesetz
gegeben sind, können sie nur mit erheblichem finanzi-
ellem Aufwand erfüllen . Um diese Mittel aufzubringen,
finanzieren sich Parteien aus verschiedenen Quellen: aus
Mitglieder- und Mandatsträgerbeiträgen sowie Spenden,
also Zuwendungen, und aus Einnahmen aus wirtschaftli-
cher Tätigkeit sowie aus staatlicher Teilfinanzierung auf
Wählerstimmen und Zuwendungen . Bisher erhöhen alle
Einnahmen, also der Umsatz aus unternehmerischer Tä-
tigkeit, die relative Obergrenze, die entscheidend ist für
staatliche Zuschüsse .
Diese Regelungen haben zwei Parteien in Deutsch-
land genutzt . Sie haben Handel betrieben mit Gold bzw .
Geld, was zwar Umsatz, aber keinen oder nur einen ge-
ringen Gewinn brachte . So wurde die relative Obergren-
ze aufgebläht, um mehr staatliche Zuschüsse zu generie-
ren . Das entspricht nicht dem Geist des § 19 a Absatz 4
Parteiengesetz .
Deshalb führen wir die Saldierung wieder ein . In Zu-
kunft ist der Gewinn Teil der Grundlage für die Bemes-
sung der staatlichen Zuschüsse . Wir passen die Beiträge
aus der staatlichen Teilfinanzierung an die Preisentwick-
lung an . Das ist seit 2002 nicht mehr geschehen . Ab 2017
soll der Betrag auf die Wählerstimmen – ebenso wie die
absolute Obergrenze – dynamisiert werden .
Die im Entwurf geplante Indexierung auch auf den
Zuwendungsanteil haben wir in einem Änderungsan-
trag gestrichen . Das hatte ich bereits in meiner Rede zur
ersten Lesung des Gesetzentwurfes angekündigt . Diese
Änderungsnotwendigkeit wurde uns auch von den Sach-
verständigen in der Anhörung am vergangenen Montag
bestätigt . Ohne diese Änderung würde der Zuwendungs-
anteil unverhältnismäßig steigen . Das ist nicht zu recht-
fertigen .
Zudem würde sich das Verhältnis zwischen Zuwen-
dungsanteil und Wählerstimmenanteil zulasten des Wäh-
lerstimmenanteils verschieben, und das wollen wir nicht .
Die Reform des Parteiengesetzes im Jahr 2002 folgte
dem Vorschlag der damaligen Kommission unabhängi-
ger Sachverständiger, ein möglichst ausgeglichenes Ver-
hältnis zwischen beiden Anteilen zu schaffen .
Die weiteren Neuerungen wie der Rückfluss der Straf-
zahlungen in den Bundeshaushalt, die Sanktionierung
von Verstößen gegen die Pflicht zur öffentlichen Rechen-
schaftslegung, die Berücksichtigung von Mitgliedsbei-
trägen bei den Publikationspflichten und die Erfassung
von erbrachten Leistungen von Nichtmitgliedern sind
hier bereits ausführlich dargelegt worden .
Halina Wawzyniak
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514456
(C)
(D)
Leider konnte sich die Opposition nicht dazu durchrin-
gen, bei diesem Gesetzentwurf mitzumachen .
Alle Sachverständigen begrüßen die Neuregelung bzw .
sehen darin kein Problem, die Opposition ja eigentlich
auch nicht . Das kam in den zahlreichen Berichterstatter-
runden zum Ausdruck . Doch sie hat ihre Zustimmung
letztlich an vermeintlich schärfere Transparenzregeln
geknüpft,
die wir in den vorliegenden Anträgen nachlesen können .
Ich möchte festhalten: Mit den jetzt vorgesehenen Än-
derungen schaffen wir mehr Transparenz .
So werden die Mitgliedsbeiträge bei der Veröffentli-
chungspflicht ab 10 000 Euro einbezogen, und es werden
die Gewinne und nicht mehr der Umsatz aus unterneh-
merischer Tätigkeit ausgewiesen .
Die Linken fordern in ihrem Antrag das Verbot von
Spenden von juristischen Personen
und des Parteisponsorings sowie die Begrenzung von
Spenden von natürlichen Personen auf 25 000 Euro .
Dazu erklärte der von den Linken für die Anhörung be-
nannte Sachverständige:
Die drei Vorschläge der Linken gehen allerdings zu
weit . Erstens erscheint ein pauschales Verbot von
Spenden juristischer Personen wenig sinnvoll: . . .
Zweitens scheint es ebenso überzogen, Parteispon-
soring per se zu verbieten .
Auch die von Ihnen vorgeschlagene Spendenober-
grenze hält der Sachverständige Dr . Koß führt zu niedrig .
Auch andere Sachverständige kritisierten die Vorschläge .
Nun haben die Grünen noch einen Entschließungsan-
trag vorgelegt, der zur Transparenz beitragen soll .
Auch hier wird wieder eine Regelung für die separate
Ausweisung des Sponsorings in den Rechenschaftsbe-
richten gefordert . Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, sind
gerne bereit, da mitzumachen; so steht es ja auch in unse-
rem Wahlprogramm von 2013 .
Doch bisher liegen keine praktikablen Vorschläge vor .
Einigen anderen Punkten, die sie von den Grünen vor-
schlagen, stehen wir offen gegenüber . Diese Punkte wa-
ren allerdings nicht Bestandteil der Gespräche . Wir alle
hatten uns von Anfang an darauf geeinigt, dass sich der
Gesetzentwurf auf Vorhaben beschränken sollte, die alle
Fraktionen befürworten, um eine gemeinsame Einbrin-
gung zu ermöglichen . Leider haben Sie von den Grünen
dann Ihre Zustimmung von den weiter gehenden Trans-
parenzregelungen abhängig gemacht .
Aber auch wenn man weiter gehende Forderungen hat,
kann das doch kein Grund sein, sich Gesetzesänderungen
zu verschließen, die als sinnvoll erachtet werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Ta-
gen konnte man in der Presse so etwas lesen wie „Selbst-
bedienungsladen“, „Wünsch-dir-was im Bundestag“,
„Mehr nehmen, aber wenig geben“ und Ähnliches . Des-
halb möchte ich nochmals klarstellen: Wir weiten die
staatliche Teilfinanzierung nicht aus; denn die absolute
Obergrenze, also die Summe des Geldes, das alle Par-
teien zusammen bekommen, wird nicht angehoben . Im
Gesetzentwurf heißt es dazu:
Die Regelungen des Entwurfs haben weder für den
Bund noch für die Länder höhere Haushaltsausga-
ben ohne Erfüllungsaufwand zur Folge .
Abschließend möchte ich allen Mitberichterstattern
danken, die sich seit mehr als einem Jahr mit diesem
Thema immer wieder befasst haben . Dank gilt auch den
Schatzmeistern der Parteien, die uns mit ihrem Fachwis-
sen unterstützt haben . Zu guter Letzt auch ein herzlicher
Dank an das Bundesinnenministerium, das uns mit Rat
und Tat zur Seite gestanden hat .
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf .
Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die
Kollegin Britta Haßelmann .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie auf un-
sere Vorschläge nicht eingegangen sind
und wir dem Entwurf zur Änderung des Parteiengeset-
zes, der heute vorliegt, nicht zustimmen können .
Sie sind nämlich unserem Wunsch, bei den Punkten
„Transparenz“ und „Offenlegungspflichten“ endlich et-
Gabriele Fograscher
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14457
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(D)
was zu tun, und unseren Vorstellungen in keiner Art und
Weise nachgekommen .
Ich glaube, dass es richtig und wichtig ist, noch einmal
zu betonen, damit das auch in der öffentlichen Debatte
deutlich wird, dass Parteien eine gute finanzielle Ausstat-
tung benötigen, damit sie ihren Aufgaben nachkommen
können, und dass das in einem Parteiengesetz geregelt
ist, damit Parteien nicht nur individuell auf Private und
auf Spenden Dritter angewiesen sind; denn das würde es
manchen Parteien total erschweren, ihrem Auftrag und
ihrer Arbeit nachzukommen . Deshalb ist die Forderung,
die Finanzierung und die Grundlagen dafür in einem Par-
teiengesetz zu regeln, ein sehr zentraler und wichtiger
Punkt; den teilen und unterstützen wir .
Wir haben auch manche Ihrer Änderungen befürwortet .
Ehrlich gesagt kann ich das Gejammere und Geschrei
der Partei AfD
in keiner Art und Weise nachvollziehen, meine Damen
und Herren, um auch das einmal ganz deutlich zu sagen .
Es ist nicht Sinn und Zweck des Parteiengesetzes, dass
Parteien durch Umsatzgeschäfte und durch trickreiche
Einnahmen – Stichwort: Geld gegen Gold – Unterstüt-
zung in der Öffentlichkeit sozusagen kreieren – da ent-
steht ein falscher Eindruck –, um damit eine höhere
staatliche Finanzierung zu erhalten . Dass jetzt eine ge-
setzliche Lücke geschlossen und einer Fehlinterpretation
der Boden entzogen wird, ist absolut richtig . Diese Hal-
tung teilen wir .
Dem ganzen Gejammere und Gezetere muss man eine
deutliche Absage erteilen .
In der Sachverständigenanhörung habe ich die Sach-
verständigen gefragt, ob sie irgendeinen seriösen Schatz-
meister einer Partei kennen, der durch solche Umsatzge-
schäfte Einnahmen kreiert . Die Antwort war: Nein, wir
kennen niemanden .
Aber es gibt ganz große Lücken in Ihrem Gesetz . Das
Thema „Sponsoring“, das Thema „Absenkung von Ver-
öffentlichungspflichten“, das Thema „Obergrenzen bei
Spenden“, die Frage der Beschränkung der Spendenmög-
lichkeit auf natürliche Personen – all diesen Fragen sind
Sie ausgewichen . Ich glaube, dass es richtig und wichtig
ist – das zeigen auch die vielen öffentlichen Diskussio-
nen, und das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern, den
Verbänden und Institutionen schuldig –, dass hier mehr
Transparenz und Offenlegung geschaffen werden .
Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie hier jeden Vor-
schlag abgelehnt haben bis hin zu einer Regelung für das
Sponsoring . Da kann ich Sie, meine Damen und Herren,
wirklich nicht verstehen; denn nicht nur die Grünen sa-
gen, dass wir endlich eine gesetzliche Regelung für das
Sponsoring brauchen . Den Bericht des Bundestagspräsi-
denten, der offensichtlich nicht unserer Partei angehört,
will ich kurz zitieren – es ist die Drucksache 18/100 –:
Ich wiederhole daher meine Anregung, das Partei-
ensponsoring spezifisch parteienrechtlichen Rege-
lungen zu unterwerfen .
Und dann macht er einen Vorschlag, und zwar den glei-
chen Gesetzesvorschlag, den auch wir gemacht haben:
Nehmen Sie die Regelung zum Sponsoring in den § 24
auf . Hier ducken Sie sich weg . Sie drücken sich weg . Das
ist falsch . Das kann ich nicht verstehen . Dafür gibt es
auch keine sachliche Begründung . Eine Regelung für das
Sponsoring fordern nicht nur die Grünen, sondern auch
Verbände wie LobbyControl und Transparency Interna-
tional, aber auch der Bundestagspräsident . Warum kom-
men Sie dieser richtigen Forderung nicht einfach einmal
nach?
Lassen Sie mich ganz zum Schluss etwas zu Ihrem
Änderungsantrag sagen, meine Damen und Herren von
den Linken . Wir haben das Thema „Zuwendungsanteil
und Wählerstimmenanteil“ in der Anhörung aufgemacht
und darauf hingewiesen, dass es hier aufgrund der dop-
pelten Dynamisierung, die Sie sich ursprünglich überlegt
hatten, eine Schieflage gibt. Nicht verstehen kann ich,
dass Sie das jetzt nur für die Zukunft festlegen und nicht
insgesamt darauf verzichten . Deshalb wird es zu diesem
Änderungsantrag nur eine Enthaltung geben .
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-
punkt ist der Kollege Helmut Brandt für die CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren Kollegen! Die Änderungen im Par-
teiengesetz, die wir heute – in den wesentlichen Punkten
im Einklang mit allen Fraktionen – verabschieden, haben
in den vergangenen Tagen einige Aufmerksamkeit in den
Medien erfahren . Es ist mir deshalb wichtig, zwei der
geplanten Neuregelungen noch einmal besonders in den
Fokus zu nehmen .
Mit dem vorliegenden Entwurf werden die Einnah-
men einer Partei aus ihrer Unternehmenstätigkeit für die
Berechnung der relativen Obergrenze künftig nur noch
Britta Haßelmann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514458
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(D)
in Höhe des positiven Saldos berücksichtigt . Um größt-
mögliche Transparenz – davon ist ja hier immer wieder
die Rede – über die Einnahmen, aber auch über die Aus-
gaben der Parteien zu ermöglichen, wurde schon 2002
das Verrechnungsgebot eingeführt . Damit war aber nicht
die Absicht verbunden, künstlich hohe Umsätze ohne
Gewinnabsicht zu generieren, wie es die AfD mit ihrem
Goldhandel macht und die Partei mit dem sinnvollen
Namen Die Partei mit dem Tausch von 80 Euro gegen
100 Euro-Scheine . Das ist nach meiner Auffassung die
Erschleichung von staatlichen Subventionen .
Das Prinzip der Kopplung staatlicher Finanzierung an
die Einnahmen einer Partei soll im Grunde genommen
deren Unabhängigkeit vom Staat sichern . Dass Parteien
sich Einnahmen aus unternehmerischer Tätigkeit ver-
schaffen, ist demgemäß durchaus erwünscht . Auch hier-
an soll staatliche finanzielle Förderung durchaus anknüp-
fen. Staatliche Gelder sollen aber nur dann fließen, wenn
Bürger eine Partei gezielt unterstützen . Die Einnahmen
sollen den Rückhalt der Partei in der Bevölkerung wider-
spiegeln . Gezielt herbeigeführte Verlustgeschäfte erfül-
len diesen Zweck erkennbar nicht und führen auch nicht
dazu, dass die Partei von staatlicher Förderung unabhän-
gig ist . Vielmehr ist das Gegenteil der Fall . Das wollen
wir mit der Gesetzesänderung unterbinden .
Außerdem haben wir uns entschlossen, die Beträge,
die die Parteien jährlich im Rahmen der staatlichen Teil-
finanzierung erhalten, zu erhöhen. Eines will ich dabei
klarstellen, auch wenn es schon gesagt worden ist: Wir
erhöhen nicht das jährliche Gesamtvolumen – das ganze
Geschrei darum halte ich für völlig an den Haaren her-
beigezogen –, sondern es wird nur das nachvollzogen,
was 2011 versäumt wurde, nämlich eine Anpassung der
Höhe nach . Diese ist seit 2002 nicht mehr erfolgt, und
diese nehmen wir jetzt in moderater Weise vor .
Wir haben außerdem eine Indizierung vorgenommen
und diese im Grunde genommen identisch an die Ent-
wicklung der absoluten Obergrenze angekoppelt, die seit
2011 gilt . Dadurch ist in Zukunft ein kontinuierlicher In-
flationsausgleich gewährleistet.
Abschließend noch ein paar Worte zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke und auch zu dem Entschließungsan-
trag der Grünen: Die Regelungen des Parteienrechts sind
ausschließlich Sache dieses Parlamentes . Dass Sie von
der Linken in Ihrem Antrag verlangen, dass die Regie-
rung dazu ein Gesetz vorlegt, halte ich nicht für korrekt .
Davon unabhängig wären wir auch inhaltlich nicht mit
Ihnen einig . Das gilt im Übrigen genauso für Ihren An-
trag, Frau Haßelmann, den Sie hier so vehement vertei-
digt haben .
Denn ein grundsätzliches Verbot von Unternehmens-
spenden ist nach unserer Auffassung verfassungsrecht-
lich mehr als bedenklich .
Das stellt nicht nur einen Eingriff in die Freiheit der Par-
teien, sondern auch in die Dispositionsfreiheit der Spen-
der über ihr eigenes Vermögen dar . Nach meiner Auffas-
sung – ich teile Ihre Auslegung der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes ausdrücklich nicht – ist das
so nicht zu machen .
Der Gefahr der Einflussnahme des Spenders auf eine
Partei wird ja durch die Rechenschaftsberichte begegnet .
Dort kann man genau nachlesen, wer wie viel welcher
Partei gespendet hat . Die notwendige Transparenz ist
also absolut gegeben .
Dies hat auch die Sachverständigenanhörung am 14 . De-
zember bestätigt . Keiner der Sachverständigen hat gefor-
dert, dass mehr Transparenz, als wir sie ohnehin schon
geschaffen haben, tatsächlich geboten ist .
– Sie verkennen immer wieder, dass in § 24 Parteien-
gesetz das Sponsoring im Grunde genommen schon mit
erfasst ist und auch Transparenzregelungen unterliegt .
Deshalb ist es doch auch so – auch wenn Sie, Frau
Haßelmann, es nicht wahrhaben wollen –, dass diese
Empfehlung im GRECO-Bericht schon seit 2011 nicht
mehr aufgeführt wird .
Trotz des eben zwischen uns ausgetragenen kurzen
Disputs möchte ich Ihnen für die gute Zusammenarbeit
fast bis zum Schluss danken, die Sie allerdings aufge-
geben haben, als Sie eine Forderung gestellt haben, der
wir nicht nachkommen konnten . Das bedaure ich; denn
anderthalb Jahre lang waren wir einer Meinung; das gilt
für die Grünen und für die SPD . Frau Lambrecht ist lei-
der nicht anwesend, sonst hätte ich ihr das gerne auch
persönlich gesagt .
Helmut Brandt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14459
(C)
(D)
Deshalb bin ich der Auffassung, dass wir alle diesem Ge-
setz zustimmen sollten .
Besten Dank .
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von
den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteienge-
setzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7093,
den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD auf Drucksache 18/6879 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
ein Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der Fraktion Die Linke .
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7094 . Wer für diesen Entschließungs-
antrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist damit abgelehnt mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke .
Tagesordnungspunkt 13 b . Wir setzen die Abstim-
mungen zu der Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/7093 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/301
mit dem Titel „Parteispenden von Unternehmen und
Wirtschaftsverbänden verbieten, Parteispenden natürli-
cher Personen begrenzen“ .
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke .
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 5 unserer Tagesordnung
auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dietmar
Bartsch, Dr. Sahra Wagenknecht, Frank Tempel, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Antrag auf NPD-Verbot jetzt unterstützen
Drucksache 18/7040
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Frank Tempel für die Links-
fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Im Dezember 2012 beschlossen alle Bun-
desländer gemeinsam, einen Antrag auf das Verbot der
NPD zu stellen . Die damalige Bundesregierung kündigte
im März 2013 an, keinen eigenen Antrag zum NPD-Ver-
bot vorzulegen . Sie sah darin damals keine Notwendig-
keit . Ebenfalls im März 2013 befürworteten CSU, SPD,
Grüne und Linke ein Verbot der NPD . Am 2 . Dezember
dieses Jahres, also vor wenigen Tagen, entschied das
Bundesverfassungsgericht, das Verbotsverfahren gegen
die NPD zu eröffnen . Die Linke unterbreitet Ihnen nun
den Vorschlag, zu prüfen, ob die Bunderegierung diesem
Verbotsverfahren gegen die NPD unverzüglich beitreten
sollte .
Uns allen hier ist natürlich klar, dass ein Verbot der
NPD nicht das Phänomen Rechtsextremismus löst, nicht
das Phänomen Ausländerfeindlichkeit usw . Dazu bedarf
es sehr viel mehr Anstrengungen in Politik, Kultur, Bil-
dung und vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft .
Doch ein wichtiges Signal ist es auf alle Fälle, ein Signal,
dass eine Politik, die dem Nationalsozialismus wesens-
verwandt ist, die die Menschenwürde, die Freiheits- und
Gleichheitsrechte sowie das Demokratie- und Rechts-
staatsprinzip angreift, in unserem Land keinen Platz
mehr hat .
Ganz pragmatisch gesagt, meine Damen und Herren:
Einer solchen Partei gehört die staatliche Finanzierung
entzogen, gehört die Möglichkeit entzogen, öffentlich
Büros zu unterhalten oder offen auf Demonstrationen
und Plakaten Ausländerhass und Diskriminierung zu
propagieren .
Warum unterbreitet Ihnen die Linke zu Beginn des
Verfahrens den Vorschlag, doch noch einmal zu prü-
fen, ob die Bundesregierung dem Antragsverfahren auf
das Verbot der NPD beitreten und so ein gemeinsames
Handeln der Verfassungsorgane demonstrieren sollte?
Für fast alle Menschen steht die NPD unter anderem für
Helmut Brandt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514460
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Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit . Viele rechtsra-
dikale Strukturen
– vielleicht kann da auch die Regierungsbank zuhören –
sind eng mit der NPD verwoben und nutzen deren legale
Möglichkeiten zur Vernetzung .
Es war doch so: Als sich der Bundestag im März 2013
mehrheitlich dazu entschied, keinen eigenen Antrag zum
Verbot der NPD zu stellen, sah das Leben in unserem
Land noch ein wenig anders aus als im Dezember 2015 .
Aus dem Jahr 2012 lagen deutschlandweit zwölf rechts-
orientierte Straftaten im Zusammenhang mit der Unter-
bringung von Asylsuchenden vor . Zwölf! Im Jahr 2015
waren es bis Mitte November bereits mehr als 1 300 sol-
cher Straftaten .
Meine Damen und Herren, Ausländerfeindlichkeit,
Gewalt gegen Flüchtlinge, das alles gehört gegenwärtig
leider zu den tagesaktuellsten Problemen unseres Landes .
Nur ein Beispiel aus der Kreisstadt Altenburg, aus der ich
komme: In einem Wohngebäude, in dem 70 Asylsuchen-
de Unterkunft gefunden hatten, legten zwei Täter aus der
rechten Szene Feuer . 10 Menschen wurden dadurch ver-
letzt . Das ist momentan der Alltag in unserem Land . Vor
nur drei Jahren hätte jeder von Ihnen diesen Vorfall über
die Medien mitbekommen . – So darf es nicht bleiben!
Es sind natürlich in vielen Bereichen Maßnahmen
notwendig, um dieser Entwicklung in Teilen unserer
Gesellschaft entgegenzuwirken . Menschen aus der gan-
zen Republik engagieren sich für ein Deutschland, das
in erster Linie für Humanität, Hilfsbereitschaft und Ver-
antwortungsübernahme steht . Diese Menschen erwarten
selbstverständlich, dass auch die Bundespolitik ihre Ver-
antwortung erkennt und danach handelt .
Die Innenminister von Bund und Ländern haben ja
ausdrücklich versichert, dass alle Fehler, die zum Schei-
tern des ersten Verbotsverfahrens geführt haben, beseitigt
wurden . Ich hoffe wirklich, dass dem so ist . Wenn dem
so ist, liebe Kollegen und Kolleginnen, dann sollten wir
gerade mit Blick auf die aktuelle politische Lage bereit
sein, wenigstens zu prüfen, ob es nicht doch möglich
ist, dem unbestreitbar symbolträchtigen Verbotsverfah-
ren gegen die NPD beizutreten und so ein gemeinsames
Agieren von Bund und Ländern vor dem Bundesverfas-
sungsgericht zu erreichen .
Wir bitten Sie deswegen: Schimpfen Sie nicht reflex-
artig auf diesen Antrag, sondern schauen Sie wirklich,
wie sich unser Land momentan entwickelt . Prüfen Sie,
ob Ihnen das gefallen kann und ob es nicht doch Zeit ist,
ein solches Signal der Geschlossenheit gegen Rechtsext-
remismus und Ausländerfeindlichkeit zu setzen .
Danke schön .
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Thorsten
Hoffmann .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor zwei Wochen eröffnete das Bundesverfassungsge-
richt das Verbotsverfahren gegen die NPD . Das ist eine
sehr gute Nachricht . Es zeigt, dass das Gericht dem An-
trag der Bundesländer Chancen einräumt . Das bedeutet
aber auch: Wir brauchen keinen Beschluss des Bundesta-
ges mehr . Das Verfahren läuft . Jetzt wird es endlich eng
für die NPD, und darüber freue ich mich sehr .
Dass die Kollegen von der Linksfraktion nun trotz-
dem einen Antrag gestellt haben, hat nur einen einzigen
Grund: Sie wollen mit diesem Thema ein politisches
Spiel treiben .
Aber ich sage Ihnen: Dieses Thema ist zu ernst für Ihre
Spielchen .
Ihnen geht es heute nicht um die NPD . Vielmehr wollen
Sie Streit provozieren und die Bundesregierung treffen .
Einen größeren Gefallen können Sie den rechten Staats-
feinden nicht tun .
Die CDU/CSU-Fraktion steht geschlossen gegen je-
den Extremismus,
egal ob er von rechts, von links oder von religiösen Fa-
natikern ausgeht .
Wir lassen uns dabei ganz sicher nicht auseinanderdivi-
dieren .
Wenn Sie hier heute öffentlich den Eindruck erwecken
wollen, dass ein Beitritt zum Verbotsantrag des Bundes-
rates etwas am Verfahren ändern würde, dann haben Sie
die Gewaltenteilung nicht verstanden . Unsere Gerichte
sind unabhängig .
Ein solch demonstrativer Beitritt der Bundesregierung,
wie von Ihnen gefordert, wäre völlig missverständlich
und würde das Anliegen behindern, anstatt ihm zu nut-
zen . Es ist ein Unding, dass Sie diesen Schaden in der
Frank Tempel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14461
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(D)
öffentlichen Wahrnehmung für den kurzfristigen Ap-
plaus billigend in Kauf nehmen . Wir vertrauen auf unser
höchstes Gericht . Unsere Bundesrichter brauchen keine
Nachhilfe von der Linkspartei .
Viel wichtiger als Ihre politischen Spielchen
ist es, nun entschlossen und nüchtern darüber zu reden,
wie wir auf ein nun mögliches Verbot der NPD reagieren;
denn ein Verbot allein – das ist uns doch allen klar – lässt
die Rechtextremen in unserem Land nicht verschwinden .
Die Neonazis in unserem Land treten gerade jetzt so of-
fen wie lange nicht auf . Sie sind hochkriminell und so
gut vernetzt wie noch nie . Die NPD ist dabei nur eine der
Organisationsformen, derer sie sich bedienen . Wir müs-
sen aber um jeden Preis verhindern, dass sich die NPD
nach einem Verbot in einer Nachfolgeorganisation neu
sammelt .
In meiner Heimat, im Ruhrgebiet, konnte ich selbst
erleben, wie leicht dies passiert . Die Mitglieder des ver-
botenen Nationalen Widerstands Dortmund haben sich
beinahe nahtlos unter dem Etikett Die Rechte neu orga-
nisiert . Was 2012 zu Recht verboten wurde, gedeiht nun
unter Missbrauch des Parteienprivilegs in unserem Stadt-
rat und unseren Bezirksvertretungen .
Das NPD-Verbot, das seit 2001 betrieben wird, darf
aber nicht dazu führen, dass wir in einigen Jahren eine
neue rechtsextreme Partei verbieten müssen . Wir bei der
Polizei sagen immer: Wir müssen vor die Lage kommen
und nicht hinterherlaufen . Für mich heißt das in diesem
konkreten Fall: Wir müssen vorbereitet sein auf das Ver-
bot .
– Man ist immer Polizist, wenn man einmal Polizist war .
Denn was passiert, wenn es so weit ist? Die Neona-
zis werden versuchen, sich neu zu organisieren . Einen
solchen Rückzugsraum dürfen wir den Extremisten aber
nicht lassen . Wir dürfen nicht zulassen, dass sie das Par-
teienprivileg und den Schutz unserer Verfassung weiter
missbrauchen .
Speziell Die Rechte darf nicht schon wieder zu einem
Auffangbecken für eine verbotene rechtsradikale Organi-
sation werden . Dafür sollten wir schon jetzt sorgen . Un-
ser Staat hat einen Strauß von Handlungsmöglichkeiten .
Wir sollten sie entschlossen zur Anwendung bringen . Der
Werkzeugkasten reicht von Prävention über Aussteiger-
programme bis hin zu Verboten . Jedes Handeln unserer
Behörden bringt die Extremisten in die Defensive . Die
Rechtsextremen halten unseren Staat für schwach . Wir
können dafür sorgen, dass dies der größte Irrtum ihres
Lebens wird, wenn wir uns bereits jetzt auf die Folgen
eines Verbots vorbereiten .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was unse-
re Sicherheitsbehörden leisten, erleben wir besonders in
diesem Jahr immer wieder und hautnah . Dafür gebührt
ihnen großes Lob, und dafür möchte ich mich an dieser
Stelle recht herzlich bedanken .
Die Zusammenarbeit zwischen den Ermittlungsbehörden
von Bund und Ländern ist eng und wird immer besser . Es
freut mich, dass wir diesen Weg mit unserer Verfassungs-
schutzreform weitergehen . Vom guten Miteinander zeugt
auch das Abschalten der V-Leute in der NPD, das die
Aufnahme des jetzigen Verfahrens ermöglicht hat . Hier
zeigt sich: Die Bundesregierung hat ihre Arbeit gemacht .
Auch bei der Erstellung des Antrags durch die Bundes-
länder hat sie unterstützend mitgewirkt .
Ich freue mich, dass sich unsere Regierung auf das
Wesentliche konzentriert und auf das von den Linken ge-
forderte wirkungslose Eingreifen verzichtet . Unser Bun-
desverfassungsgericht entscheidet frei und unabhängig .
Wir dürfen vollstes Vertrauen in seine Urteilsfähigkeit
haben . Und deshalb lehnen wir Ihren Antrag heute ab .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Frank Tempel .
Herr Kollege, Debatten dienen ja dazu, dass man nicht
nur sein Redeskript vorliest, sondern auch den anderen
Rednern zuhört . Ich habe Ihnen sehr genau zugehört und
verstehe einige Bezüge nicht .
Sie haben aus unserem Antrag parteipolitisches Ge-
plänkel herausgelesen . In meinen vier Minuten Rede-
zeit zu diesem Antrag habe ich mich sehr emsig bemüht,
deutlich ein gemeinsames geschlossenes Handeln, wie es
schon einmal stattgefunden hat, vorzuschlagen . Wir ha-
ben sehr vorsichtig, um Ihnen nicht auf die Füße zu tre-
ten, formuliert, dass wir bitten, zu prüfen, ob es möglich
ist, sich wie im ersten Verfahren zu verhalten, als Bund
und Länder übrigens gemeinsam den Antrag gestellt ha-
ben .
Dann haben Sie – ich kenne Ihre Ausbildung als Poli-
zeibeamter; denn ich habe die gleiche Ausbildung genos-
sen – einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip
gesehen . Das würde aber heißen, dass im ersten Verfah-
ren – neben der ganzen Mauschelei mit den V-Leuten,
was zum Scheitern des Verfahrens geführt hat – das Stel-
len eines gemeinsamen Antrags von Bund und Ländern
ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung sei . Nachdem Sie
in Ihrer recht langen Redezeit ausführten, dass unser Vor-
schlag ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung sei, hätte
ich gerne den rechtlichen Hinweis, wo ein Verstoß gegen
die Gewaltenteilung geschehen würde, wenn sich auch
Thorsten Hoffmann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514462
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die Bundesregierung daran beteiligen würde . Über die-
sen Vorschlag wurde übrigens in der letzten Legislatur
im März 2013 schon einmal abgestimmt; damals wurde
das unter den gegebenen Voraussetzungen abgelehnt . Wo
würde also gegen die Gewaltenteilung verstoßen, wenn
eine Beteiligung der Bundesregierung erfolgen würde?
Dass das so wäre, war ja einer Ihrer Gründe, unseren An-
trag abzulehnen .
Herr Kollege Hoffmann, Sie haben die Möglichkeit,
darauf zu erwidern .
Vielen Dank für Ihre Intervention . – Ich habe das
schon verstanden, was Sie gesagt haben . Ich habe auch
nicht alles vorgelesen . Manchmal ist es aber besser, wenn
man vorliest, als wenn man irgendetwas sagt .
Wir haben ja gar keine Expertise, um die Verfassungs-
mäßigkeit überhaupt überprüfen zu können . Der Bun-
desrat hat aus meiner Sicht etwas Wichtiges getan . Viele
Kollegen teilen meine Meinung . Ich bin dankbar dafür,
dass eine Initiative gestartet worden ist . Wir sollten jetzt
abwarten . Dann werden wir uns entscheiden, wie wir uns
anschließen .
Jetzt hat die Kollegin Monika Lazar für Bündnis 90/
Die Grünen das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Rassistische und flüchtlingsfeindliche Hetze und Gewalt
sind dramatisch gestiegen . Ich glaube, wir sind uns im
Hause einig, dass das so ist . Wir sind uns auch einig, was
wir gesellschaftlich tun müssen . Die NPD hat durchaus
einen Anteil daran, ebenso wie alle anderen, die rassis-
tische Parolen verbreiten und auf populistische Weise
Ängste schüren . Dies trifft in diesen Tagen leider auf vie-
le Gruppierungen und Parteien zu, nicht nur auf die NPD .
Die NPD ist widerlich – keine Frage . Ihre Machen-
schaften müssen entlarvt und geächtet werden . Aller-
dings darf man die NPD auch nicht wichtiger machen,
als sie ist . Man kann allerdings erkennen, dass sie in letz-
ter Zeit tief zerstritten, geschwächt und bundesweit kaum
noch aktionsfähig ist, nicht einmal in meinem Heimat-
land Sachsen, wo die NPD zum Glück seit einem reichli-
chen Jahr nicht mehr im Landtag vertreten ist .
– Dazu sage ich jetzt lieber nichts . Das würde meine Re-
dezeit deutlich überschreiten .
Deutlich relevanter sind allerdings das gesellschaft-
liche Klima und rechtspopulistische Bewegungen wie
Pegida und Co . oder Parteien wie die AfD . Auch andere
Politikerinnen und Politiker und Menschen aus der soge-
nannten Mitte der Gesellschaft – Kollege Wendt, so man-
che Äußerungen der CDU aus Sachsen sind nicht gerade
sehr förderlich –
unterstützen dieses Klima und bereiten still und heimlich
den Boden dafür, dass flüchtlingsfeindliche und rassisti-
sche Äußerungen gemacht und Straftaten begangen wer-
den . Man hat manchmal den Eindruck: Das ist ein legales
Mittel der politischen Meinungsäußerung geworden . Da-
rauf muss unsere Aufmerksamkeit gerichtet werden .
Ich verstehe den Antrag der Linksfraktion zu diesem
Zeitpunkt nicht . Man will in aktionistischer Manier auf
einen Zug aufspringen, der schon längst rollt . Das Ver-
fahren gegen die NPD läuft, und ich kann nicht erkennen,
was es an Gewinn bringen sollte, wenn Bundesregierung
oder Bundestag dem Verbotsantrag nun nachträglich bei-
treten würden . Das Gericht wäre damit gewiss nicht zu
beeindrucken .
Davon abgesehen: Es gibt schließlich in allen Partei-
en und Fraktionen Befürworter und Gegner des Verbots;
aber darum geht es heute nicht . In der vergangenen Wahl-
periode – Kollege Tempel hat darauf hingewiesen – ha-
ben wir im Plenum ausführlich über das Thema disku-
tiert . Schließlich beschloss der Bundestag mehrheitlich,
dem Verbotsantrag des Bundesrates nicht beizutreten .
Dafür gab und gibt es gute Gründe .
Jetzt bleibt schließlich abzuwarten, inwieweit sich die
gesammelten Belege im Verfahren als Beweise eignen .
Das Material müsste zweifelsfrei belegen, dass die Partei
gezielt anstrebt, die freiheitliche demokratische Grund-
ordnung zu beeinträchtigen, zu beseitigen oder den Be-
stand der Bundesrepublik zu gefährden . Ich persönlich
bin skeptisch, ob das Gericht der NPD einen so bedroh-
lichen Einfluss in Deutschland zubilligt, dass es für ein
Verbot reicht .
Ein erneutes Scheitern wäre eine Blamage für die ge-
samte demokratische Politik und würde der NPD, die
kaum noch politische Erfolge vorweisen kann, neuen
Aufwind und öffentliche Aufmerksamkeit bescheren .
– Es geht nicht um Bagatellisieren .
Frank Tempel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14463
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Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht ein NPD-Ver-
bot aussprechen würde,
könnte die Partei vor dem Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte dagegen klagen,
und dessen Auflagen – Herr Lischka, das wissen Sie ge-
nauso gut wie wir alle – sind besonders hoch .
Unabhängig vom juristischen Ausgang bleibt das
grundlegende Problem ungelöst: Teile der Bevölkerung
unterstützen die rassistischen und antidemokratischen
Positionen der NPD und haben sie durch ihr Stimmver-
halten in Landesparlamente und Kreistage gebracht .
NPD-Wählerinnen und -Wähler sind leider nur die
Spitze des Eisbergs . Ziel von Rassistinnen und Rassis-
ten ist es, die Mitte der Gesellschaft zu infiltrieren und
nach rechts zu rücken . Deshalb muss es uns allen darum
gehen, überall für eine antirassistische, weltoffene und
demokratische Gesellschaft einzutreten . Ein NPD-Verbot
hilft da leider nur bedingt weiter .
Vielen Dank .
Nächster Redner ist der Kollege Uli Grötsch für die
SPD .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kampf gegen rechts war für mich vor 20 Jahren der
Grund, mich politisch zu engagieren und damit zu begin-
nen, für ein Land zu kämpfen, in dem rechte Gesinnung
keinen Platz hat .
Ich sehe es deshalb mit einer gewissen Genugtuung, dass
nun endlich das NPD-Verbot in greifbare Nähe rückt .
Ich bin sehr optimistisch, dass wir diesmal die Verfas-
sungswidrigkeit dieser Neonazi-Partei hieb- und stichfest
und quellenfrei beweisen können . Ja, ich sehne den Tag
der Entscheidung herbei; denn unsere Demokratie ver-
trägt diese Menschenverachter keinen Tag länger .
Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass alle antrags-
berechtigten Verfassungsorgane mit an Bord sind und mit
einer Stimme sprechen . Sie wissen, dass die SPD in der
letzten Wahlperiode dazu einen entsprechenden Antrag
eingebracht hatte, der von der schwarz-gelben Koalition
aber leider abgelehnt wurde . Auch zwischen den Koali-
tionspartnern der Großen Koalition gibt es leider keinen
Konsens .
Zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Linken: Wenn wir diesen jetzt so beschließen, dann
verzögern wir das nun endlich eröffnete Verfahren vor
dem Bundesverfassungsgericht, und das will ich nicht,
und das will auch meine Fraktion nicht . Ich glaube, eine
Verzögerung des Verfahrens will niemand hier im Haus .
Inhaltlich sind wir hier uns doch alle einig: Die NPD
ist verfassungsfeindlich, rassistisch und menschenver-
achtend . Deshalb darf sie keinen einzigen Cent vom Staat
mehr erhalten, und das lieber heute als morgen .
Jetzt gibt es vereinzelt Stimmen, die da sagen: Na
ja, die dümpeln bei 1 Prozent oder so; das ist ja nicht
wirklich eine Gefahr . Oder man sagt, nach einem Ver-
bot würden sie in anderer Form weiteragieren . – Ja, das
mag sein . Auch wenn die NPD als legaler Arm dieser
Bewegung ausgeschaltet wird, gibt es in Deutschland
natürlich – leider – immer noch Rechtsextreme . Das ist
richtig . Aber – und das ist ein ganz wesentlicher Punkt –
wir nehmen ihnen damit die steuerfinanzierten Privilegi-
en weg, mit denen sie ebendiesen von ihnen verhassten
Staat bekämpfen .
Ich bin erstens überzeugt, dass dieses Verbot ein kla-
res Signal des demokratischen Staates für die Ächtung
menschenverachtender Gesinnung ist . Zweitens bin ich
davon überzeugt, dass dieses Verbot bei anderen zweifel-
haften Parteien in Deutschland seine Wirkung entfalten
wird . Das NPD-Verbot ist also ein Signal an alle, die das
Klima in diesem Land vergiften, die Stimmung gegen
Flüchtlinge schüren und das Nazi-Wording wieder salon-
fähig machen wollen, in Teilen Deutschlands sogar schon
wieder salonfähig gemacht haben .
Unser Justizminister Heiko Maas hat recht, wenn er
sagt: Erst kommen die Worte – da fällt die Hemmschwel-
le als Erstes –, und dann kommen die Taten . – Und ich
will nicht bis zu den Taten warten .
Deshalb ist es richtig, dass Heiko Maas verfassungs-
widrige, weil menschenverachtende Hasskommentare
innerhalb von 24 Stunden aus den sozialen Netzwerken
löschen lassen will . Wir setzen bei den Worten an, mit
denen die Hemmschwelle fällt .
Der Kampf gegen rechts ist eine zentrale Aufgabe al-
ler demokratischen Kräfte; denn rechtsextremes Gedan-
Monika Lazar
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514464
(C)
(D)
kengut reicht weit bis in die Mitte unserer Gesellschaft .
Wir wissen, dass die AfD von Rechtsextremen durchsetzt
ist . Für mich ist es deshalb unverständlich, warum bei-
nahe wöchentlich öffentlich artikuliertes rechtsextremes
Gedankengut und entsprechendes Gebaren nicht ein Fall
für den Verfassungsschutz werden .
Meine größte Sorge ist, dass wir zulassen, dass die AfD
immer mehr zu einer NPD-Nachahmerpartei wird .
Wenn die NPD verboten wird, dann wird das aber auch
ein Signal in Richtung AfD sein, dass eben nicht alle Äu-
ßerungen in diesem Land von dem Recht auf freie Mei-
nungsäußerung gedeckt sind .
Ein Wort will ich noch zu den sogenannten Gida-Be-
wegungen sagen . Auch da sind ohne Zweifel Rechtsext-
reme am Werk . Wir bekommen das in den Gremien des
Deutschen Bundestages beinahe jede Woche von den
Sicherheitsbehörden bestätigt . Dennoch weigert sich der
Verfassungsschutz, gerade der in Sachsen, diese flächen-
deckend zu beobachten .
Allen „besorgten Bürgern“, die meinen, dass sie ihren
Sorgen auf den Gida-Veranstaltungen Ausdruck verlei-
hen können, will ich sagen: Wenn Sie an den Gida-De-
monstrationen gegen die Flüchtlingspolitik teilnehmen,
wenn Sie diese Aufmärsche unterstützen, dann drücken
Sie damit nicht Ihre Sorgen aus, sondern unterstützen
damit eine menschenverachtende, rassistische Ideologie .
Das sollten Sie wissen, liebe Bürgerinnen und Bürger .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sind entsetzt
darüber, dass sich die Übergriffe auf Flüchtlingsunter-
künfte vervielfacht haben; das wurde in dieser Debatte
bereits gesagt . Nun handelt es sich bei den Tätern, die
Flüchtlingsunterkünfte oder Busse mit Flüchtlingen an-
greifen, nicht immer um altbekannte Nazis . Eigentlich
ist es nur dem Glück zu verdanken, dass es bislang kei-
ne Toten gegeben hat . Zum Teil sind es beinahe schon
sprichwörtlich „besorgte Bürger“, die aus Angst vor ei-
nem Wertverfall ihrer Häuser beispielsweise auf diesem
Wege die Errichtung von Unterkünften in ihrer Nachbar-
schaft verhindern .
Ich kann Ihnen sagen: In meinem Wahlkreis gab es
das auch einmal . Da gab es auch einmal besorgte Bürger,
die Angst hatten, dass ihre Häuser nichts mehr wert sind,
wenn in der Nachbarschaft syrische Kontingentflüchtlin-
ge einziehen . Das war vor zwei Jahren . Jetzt, zwei Jahre
später, sind es genau diese Nachbarn, die erkannt haben,
dass das schlichtweg Menschen sind, die in ihre Nach-
barschaft eingezogen sind .
Es sind diese Nachbarn von damals, die sich jetzt jeden
Tag um die Integration dieser Menschen kümmern .
Deshalb sage ich: Nein, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, es muss Schluss sein mit der Verharmlosung der
rechten Gefahr . Besorgte Bürger begehen keine Strafta-
ten, bei denen Menschen sterben können . Dahinter steckt
immer rechtes menschenverachtendes rassistisches Ge-
dankengut und nichts anderes .
Damit komme ich zum Schluss . Das NPD-Verbot ist
längst überfällig . Sie haben lange genug auf Kosten eines
Staates, den sie abschaffen wollen, ihre Propaganda ver-
breiten können . Es ist auch eine Kampfansage an alle, die
versuchen, den Rechtsextremismus in der Mitte unserer
Gesellschaft zu etablieren .
Vielen Dank .
Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege
Marian Wendt für die CDU/CSU das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! „Ist das Bundesverfassungsgericht für ‚Signale‘ zu-
ständig?“, fragte Verfassungsrechtler Ingo von Münch
2001 .
Ich meine, nein . Es ist durchaus fraglich, ob ein Verbot
der NPD mehr als Symbolpolitik sein kann, ein sicher
gutgemeintes Symbol jedenfalls; denn Extremismus hat
in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung
nichts zu suchen . Aber reicht dies aus?
Die Hürden für ein Parteiverbot sind mit gutem Grund
sehr hoch . Ein Haufen Idioten zu sein, reicht nicht aus .
Freiheit und Demokratie irgendwie abschaffen zu wol-
len, ist zwar verwerflich, aber auch das reicht nicht aus.
Sonst säße die SED-Fortsetzungspartei ja nicht unter uns,
bei der ja sogar Mandatsträger, zum Beispiel in Leipzig,
Hand in Hand mit der gewalttätigen autonomen Szene
agieren .
(C)
(D)
Nein, es bedarf auch einer aggressiven, aktiv-kämpferi-
schen Vorgehensweise . Es bedarf eines Plans, mit dem
die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grund-
ordnung erfolgen soll, eines Vorgehens und überhaupt
dem Bestehen einer Bedrohung, der begegnet werden
müsste .
Welche Folgen hätte nun die formelle Feststellung,
dass diese hohen Hürden eben nicht übersprungen wür-
den?
– Da sind wir uns nicht so sicher . Das haben alle Redner
in der Debatte bereits angedeutet . – Welche Bedeutung
würde der NPD dann neu zugemessen? Die Aufmerk-
samkeit, die die Partei dadurch erhält, wäre meines Er-
achtens viel zu viel . Selbst die heutige Debatte ist schon
viel zu viel Aufmerksamkeit für diese im Abbau befind-
liche Partei .
Unsere Aufmerksamkeit sollte sich deswegen viel-
mehr auf das viel größere Problem richten, nämlich dass
sich Menschen radikalisieren und gewalttätig werden .
Welcher Couleur Extremisten sind, ist dabei zunächst
gar nicht von Bedeutung . Einen Stein auf Menschen zu
werfen, ist verwerflich, es spielt keine Rolle, ob dieser
Mensch ein Asylbewerber ist, der Schutz sucht, oder ein
Polizist, der unsere freiheitlich-demokratische Grund-
ordnung schützt .
Ich möchte uns nur kurz die Bilanz von Leipzig
in Erinnerung rufen: 56 verletzte Beamte, mehrere
100 000 Euro Schaden .
Auch das ist eine Form von Extremismus, gegen die
wir gemeinsam vorgehen müssen, wie auch gegen den
Rechtsextremismus .
Parteiverbote lösen das Extremismusproblem nicht .
Die Feinde der Freiheit wird ein Verbot der NPD jeden-
falls nicht beeindrucken, so sie überhaupt in der NPD
organisiert sind; denn sie gehen meist in andere Orga-
nisationsformen wie die Freien Kameradschaften und
verschwinden im Untergrund . Wäre damit der freiheit-
lich-demokratischen Grundordnung gedient? Ich meine,
nein .
Überzeugtes Eintreten für die freiheitlich-demokrati-
sche Grundordnung ist aus meiner Sicht das beste Re-
zept . Die Probleme an der Wurzel packen und den Men-
schen dort Perspektiven und Leitbilder bieten, wo diese
sonst nicht vorhanden sind, das hilft gegen Extremismus .
Ich meine, in der aktuellen Situation müssen wir das
mehr denn je tun . Es sind nicht irgendwelche Bürger,
die man leicht als Rechtsextremisten abkanzeln kann .
Die Leute haben Fragen, und denen müssen wir uns alle
stellen . Wir müssen hinausgehen und mit jedem einzel-
nen dieser Bürger – auch wenn es wie in Dresden 35 000
sind – reden .
Wir dürfen sie aber nicht pauschal, wie es der Kollege
Grötsch von diesem Pult aus gemacht hat, verurteilen .
Das wäre der richtige Weg, um diese Menschen wieder in
die Mitte unserer Gesellschaft zu holen, aber nicht pau-
schale Polemik .
Ein Parteiverbotsverfahren gegen die NPD zu führen,
ist für mich deswegen Symbolpolitik, die diesen Bedeu-
tungslosen zu viel Aufmerksamkeit zumisst .
Statt sich mit den Problemen zu beschäftigen, werden da-
mit im Endeffekt nur die Symptome behandelt .
Weil ich den Eindruck habe, dass wir der NPD heute
viel zu viel Bedeutung beimessen, möchte ich in diesen
Gedanken auch die europäische Ebene einbinden . Der
ehemalige Präsident und Richter des Europäischen Ge-
richtshofs für Menschenrechte Dean Spielmann hat be-
reits seine Zweifel anklingen lassen . Ich denke, es wäre
für die Bundesrepublik Deutschland ein Desaster, wenn
das Bundesverfassungsgericht einem NPD-Verbot zu-
stimmt, Europa es aber zurückweist . Auch das sollten wir
hier bedenken .
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns zum Schluss
alle gemeinsam feststellen: Ja, wir haben ein Problem mit
rechter Gewalt; die Zahl der Attacken auf Flüchtlingsun-
terkünfte hat das bewiesen . Ja, wir haben ein Problem
Marian Wendt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514466
(C)
(D)
mit islamistischer Gewalt; auch das haben die letzten
Wochen leider bewiesen .
Und: Ja, wir haben auch ein Problem mit linksextremer
Gewalt .
Deshalb wäre es am besten, wenn wir alle gemeinsam
gegen Extremismus vorgehen und für unsere freiheit-
lich-demokratische Grundordnung werben .
Der Antrag, die NPD pauschal zu verbieten, greift zu
kurz . Deswegen sagen wir Nein; das ist das klare Signal .
Danke .
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7040 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b
auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Wissen-
schaftszeitvertragsgesetzes
Drucksache 18/6489
– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Kai Gehring, Özcan Mutlu, Beate
Walter-Rosenheimer, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über
befristete Arbeitsverträge in der Wissen-
schaft
Drucksache 18/1463
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Drucksache 18/7038
b) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung
zu dem Antrag der Abgeord-
neten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Sabine
Zimmermann , weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE
Gute Arbeit in der Wissenschaft – Stabi-
le Ausfinanzierung statt Unsicherheiten
auf Kosten der Beschäftigten und Wissen-
schaftszeitvertragsgesetz grunderneuern
Drucksachen 18/4804, 18/7038
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
fünf Änderungsanträge der Fraktion Die Linke sowie
ebenfalls fünf Änderungsanträge und ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlossen .
Dann kann ich sofort die Aussprache eröffnen . Es ha-
ben auch schon alle Kolleginnen und Kollegen, die sich
besonders intensiv an diesem Tagesordnungspunkt betei-
ligen möchten, Platz genommen bzw . tun dies gerade .
Ich darf als erster Rednerin für die Bundesregierung
Frau Professor Dr . Johanna Wanka das Wort erteilen .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Heute fast auf den Tag genau vor elf Monaten, am
19 . Januar dieses Jahres, habe ich in der Süddeutschen Zei-
tung ein Interview gegeben . In diesem Interview wurde
auch gefragt: Wie ist es denn mit dem Wissenschaftszeit-
vertragsgesetz? Ich habe dort gesagt: Im Wissenschafts-
bereich besteht immer die Notwendigkeit, in großem
Umfang befristete Arbeitsverträge abzuschließen . Wir
haben ein besonderes Gesetz, das Wissenschaftszeitver-
tragsgesetz, das den Sonderkonditionen der Wissenschaft
Rechnung trägt . Es macht Befristungen in einer Art und
Weise möglich, wie es in anderen Bereichen nicht mög-
lich ist . Dieses Gesetz wurde aber ausgenutzt . Deshalb ist
es zwingend notwendig, es zu novellieren .
Ich habe drei für mich wichtige Eckpunkte für diese
Gesetzesnovelle angesprochen:
Erstens: Orientierung der Befristungsdauer an dem für
die angestrebte Qualifikation – zum Beispiel die Promo-
tion – benötigten Zeitraum oder an der Dauer des Dritt-
mittelprojekts .
Zweitens: Sicherheit, Planungssicherheit und Verläss-
lichkeit für die Mitarbeiter, die Daueraufgaben an den
Hochschulen wahrnehmen . Das heißt, das nichtwissen-
schaftliche Personal, das Daueraufgaben leistet, wird
nicht über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz beschäf-
tigt .
Drittens: keine Mindestvertragslaufzeiten .
Marian Wendt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14467
(C)
(D)
Das waren die damals genannten drei wesentlichen
Punkte, durch die der Rahmen abgesteckt wurde, und ich
freue mich sehr, dass wir heute hier ein Gesetz beschlie-
ßen werden, das genau diese drei Punkte enthält, dem
also genau Rechnung trägt .
Ich hätte mir gewünscht, dass wir den Gesetzentwurf
eher verabschieden . Unser Referentenentwurf war schon
lange fertig . Ich glaube aber, es war sehr wichtig, dass in
den Fraktionen darüber diskutiert wurde, um dort einen
Konsens herbeizuführen, und ich möchte mich auch an
dieser Stelle bei den Koalitionsfraktionen bedanken .
Einer der heute vorliegenden Änderungsanträge ent-
hält einen Punkt – insgesamt sind es drei kleine Punkte –,
den wir bereits in den Referentenentwurf geschrieben
hatten . Wir wollten nämlich gerne, dass bei einer stu-
dentischen Tätigkeit sechs Jahre nicht auf die maximal
mögliche Zeitdauer von zwölf Jahren angerechnet wer-
den . Leider haben wir das innerhalb der Regierung nicht
durchsetzen können, sodass wir bei vier Jahren gelandet
sind . Dass Sie jetzt an dieser Stelle sechs Jahre realisiert
haben, freut mich sehr, weil das die ursprüngliche Inten-
tion war .
Meine Damen und Herren, im Januar – ich habe da-
ran erinnert – wurde noch ganz intensiv gesagt, dass
Mindestvertragslaufzeiten notwendig sind . Von diesem
Standpunkt sind die Linken und Bündnis 90/Die Grü-
nen immer noch nicht abgerückt; sie vertreten ihn immer
noch .
Das Gleiche gilt für die Tatsache, dass man die Tarifsper-
re aufheben will . Das heißt, das, was wir gerade im Wis-
senschaftsbereich unbedingt wollen, nämlich Flexibilität
und Mobilität ohne Schranken, würde damit wieder kon-
terkariert werden .
Deswegen ist es sehr wichtig, dass die Tarifsperre im
Gesetzentwurf steht und Mindestvertragslaufzeiten eben
nicht .
Ich lese mir immer gerne die Anträge der Opposition
durch
– ja, genau, Herr Mutlu, weil ich etwas lernen möchte –,
weil ich nicht der Meinung bin, dass immer nur eine Par-
tei die Wahrheit gepachtet hat, wenn es um Sachfragen
geht, sondern ich glaube, auch von anderen können in-
teressante Anregungen kommen, die man vielleicht auf-
greifen kann .
Das, was uns hier als Antrag der Linksfraktion zugemu-
tet wird, ist aber von solch einer Qualität, die ich bisher
wirklich kaum erlebt habe .
Wenn man sich diesen Antrag anschaut, dann sieht man,
dass er nur so von Unwahrheiten, Halbwahrheiten, illu-
sorischen Forderungen und widersprüchlichen Dingen
strotzt, und manchmal wird auch genau das gefordert,
was wir bereits tun .
Der Clou in diesem Antrag ist die Aussage, dass wir
100 000 Mitarbeiterstellen für zehn Jahre finanzieren sol-
len . Bei 60 000 Euro bis 70 000 Euro pro Mitarbeiter im
Jahr sind das jährlich 6 bis 7 Milliarden Euro . Wir haben
einen Etat von knapp 16 Milliarden Euro, und Sie wol-
len einfach noch 6 bis 7 Milliarden Euro drauflegen. Die
Finanzminister des Bundes und der Länder verhandeln
jetzt über eine Summe von 8 Milliarden Euro, und Sie
denken, wir könnten für einen gewissen Teil von Mitar-
beitern mit links einfach einmal 6 bis 7 Milliarden Euro
drauflegen. – Ich glaube, das muss man sich nicht angu-
cken, und man muss auch gar nicht viel dazu sagen .
Meine Damen und Herren, ich denke, dass für die
Verbesserung der Situation des wissenschaftlichen Nach-
wuchses verschiedene Bausteine notwendig sind: Tenure
Track, BAföG-Mittel . Ein Baustein ist auch, wie befris-
tete Verträge ausgestaltet werden . Auch dieser Baustein
ist sehr wichtig .
Der Gesetzentwurf wird die Situation der wissen-
schaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – die Fa-
miliensituation und die Möglichkeiten der Qualifizie-
rung – wesentlich verbessern, und ich freue mich über
Ihre Zustimmung .
Danke schön .
Die Kollegin Nicole Gohlke spricht jetzt für die Frak-
tion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier
wird jetzt gleich die Novellierung des Wissenschaftszeit-
vertragsgesetzes beschlossen werden, aber leider wird
damit die Chance auf einen wirklichen und dringend
notwendigen Neustart in der Wissenschaft vergeben . Ein
Neustart hieße nämlich, endlich den Gedanken ernst zu
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514468
(C)
(D)
nehmen, dass gute Arbeitsbedingungen und gute Wissen-
schaft zusammengehören und keinen Gegensatz bilden,
und dass endlich Schluss gemacht wird mit Kettenbe-
fristungen, mit so etwas wie Viertel- und Achtelstellen
und mit der Benachteiligung von Menschen mit Kindern .
Aber der politische Wille dazu, das wirklich und grund-
sätzlich zu ändern, ist in der Großen Koalition offenbar
noch nicht vorhanden .
Nach jahrelanger Debatte, nach vielen Anhörungen,
Evaluationen und Berichten waren die Erwartungen an
die Neuregelung der Beschäftigungsverhältnisse in der
Wissenschaft hoch . Aber das, was die Koalition vorgelegt
hat, enttäuscht . Der Gesetzentwurf ist weder rechtssicher
noch verbindlich . Damit bleiben die zentralen Missstän-
de einfach bestehen . Auch die Nachjustierungen, die
Sie in der letzten Woche vorgenommen haben, machen
aus diesem Gesetzentwurf keine wasserfeste gesetzliche
Grundlage für gute Arbeit .
Das hat für die Beschäftigten und für die Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler mitunter dramatische
Auswirkungen .
Warum dramatisch? Weil die ganzen Unsicherheiten für
die Beschäftigten bleiben . Auch nach dieser Novelle sind
an Hochschulen und an außeruniversitären Forschungs-
einrichtungen extrem kurze Vertragslaufzeiten und Ket-
tenbefristungen weiterhin möglich . So wird die Lebens-
und Karriereplanung für viele Beschäftigte weiterhin
massiv erschwert .
Es gibt immer noch keine festen Untergrenzen für
Vertragslaufzeiten . Es besteht weiterhin die Gefahr, den
Arbeitsplatz zu verlieren, wenn man ein Kind bekommt
und auf einer drittmittelfinanzierten Stelle arbeitet. Es ist
den Gewerkschaften weiterhin gesetzlich untersagt, über
Tarifverträge bessere Arbeitsbedingungen für die Be-
schäftigten auszuhandeln .
Diese Aufzählung macht doch wohl deutlich, dass man
sich mit dem vorliegenden Ergebnis nicht zufriedenge-
ben kann .
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es ist gut,
dass ihr es der Union wenigstens abgetrotzt habt, dass
endlich das Personal in Technik und Verwaltung von die-
ser Regelung ausgenommen wurde
und dass damit hoffentlich der Wahnsinn beendet wird,
dass sogar die Beschäftigten der IT-Abteilung oder der
Hausmeisterei im Wissenschaftsbetrieb nur befristet be-
schäftigt werden . Aber das reicht doch bei den Missstän-
den, wie wir sie in der Wissenschaft vorfinden, nicht aus.
Die Linke will Kettenbefristungen und Prekarität
beenden, auch in der Wissenschaft . Ja, es gibt im Wis-
senschaftsbetrieb Besonderheiten, wie zum Beispiel das
Erstellen einer Doktorarbeit . Ja, es macht Sinn, das als
Ausnahmefall von ansonsten grundsätzlich unbefristeten
Beschäftigungsverhältnissen zu definieren. Aber das, was
mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz gemacht wird,
ist doch das glatte Gegenteil . Es hat die Ausnahme, die
Befristung, als Regel definiert und damit den Standard
insgesamt für alle abgesenkt . Damit muss doch endlich
Schluss sein, und zwar wasserfest und für alle!
Wir bleiben dabei: Ein Sonderarbeitsrecht für die Wis-
senschaft wie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz macht
nur dann Sinn, wenn es für die Spezifika im Wissen-
schaftsbetrieb Mindeststandards für gute Arbeit rechtssi-
cher definiert. Das leistet diese Novelle nicht. Deswegen
werden wir ihr nicht zustimmen, sondern wir haben eige-
ne Änderungsanträge vorgelegt . Sie können sich sicher
sein, dass wir an diesem Thema dranbleiben und weiter
dafür werben, dass gute Arbeit und gute Wissenschaft
endlich zusammenkommen .
Vielen Dank .
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dr . Simone
Raatz .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Gohlke,
Ihnen möchte ich empfehlen, den Gesetzentwurf einmal
zu lesen .
Das wäre eine gute Voraussetzung, um hier mitzureden .
Ich finde es erstaunlich, wie Sie alles immer voraussehen.
Nicole Gohlke
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14469
(C)
(D)
Schauen Sie sich einmal die Pressemitteilung von Herrn
Dr . Keller von der GEW an, der ganz klar gesagt hat,
das sei ein guter Gesetzentwurf und er könne damit gut
leben . – Ich denke, wenn Herr Dr . Keller das sagt, dann
kann das, was wir hier gemeinsam auf den Tisch gelegt
haben, nicht ganz falsch sein .
Heute vor knapp anderthalb Jahren haben wir in die-
sem Haus wichtige Entscheidungen für den Bereich
Bildung und Forschung getroffen und die Umsetzung
gemeinsam auf den Weg gebracht . Ich möchte die Auf-
hebung des Kooperationsverbotes für den Wissenschafts-
bereich erwähnen . Damit haben wir den Weg für die dau-
erhafte Förderung unserer Hochschulen frei gemacht .
Zur gleichen Zeit fiel insbesondere auf Drängen mei-
ner Kollegen René Röspel und Swen Schulz die Entschei-
dung, die Mittel für die Friedens- und Konfliktforschung
zu erhöhen . Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wurde vor anderthalb Jahren der Anstoß für die heute zur
Abstimmung stehende Novellierung des Wissenschafts-
zeitvertragsgesetzes gegeben . Da habe ich naturgemäß
vielleicht eine etwas andere Sicht als Frau Wanka; denn
ich denke, dass unser SPD-Eckpunktepapier und die da-
rin enthaltenen Vorstellungen für eine Reform des Ge-
setzes – das haben wir am 30 . Juni 2014 vorgelegt – den
Anstoß für diese Gesetzesinitiative gegeben haben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne unsere Eck-
punkte und die darauffolgende mediale Berichterstattung
sowie ohne den unermüdlichen Einsatz der Personal-
vertretungen der Hochschulen, der außeruniversitären
Forschungseinrichtungen, der Gewerkschaften und Wis-
senschaftsorganisationen, der Länderminister, aber
auch ohne die gute Zusammenarbeit mit unserem Koa-
litionspartner und dem BMBF würden wir heute nicht
diese Novellierung debattieren . Denn es würde gar kein
Gesetzentwurf zur Änderung des Wissenschaftszeitver-
tragsgesetzes vorliegen . Ich wüsste gar nicht, worüber
Sie dann reden könnten, Frau Gohlke .
Deshalb möchte ich mich zunächst bei all denen be-
danken, die sich in den vergangenen anderthalb Jahren so
intensiv an der Debatte zum Wissenschaftszeitvertrags-
gesetz beteiligt
und damit auch zum Erfolg beigetragen haben, sodass
wir heute in zweiter und dritter Lesung die Novellierung
des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes beschließen wer-
den .
Für mich steht diese Debatte um den Gesetzentwurf
für eine gelungene und funktionierende Demokratie so-
wie für ein Parlament, das die Sorgen der Betroffenen
ernst nimmt und sich den Diskussionen stellt . Ich denke,
darauf können wir, insbesondere die Koalitionsfraktio-
nen, stolz sein .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle – ganz
gleich, ob Opposition, Union oder SPD – haben in den
vergangenen Monaten viel Zeit und Kraft in den Aus-
tausch mit den Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus der
Wissenschaft investiert und einen regen und konstrukti-
ven Austausch mit den Betroffenen erlebt . Das Ergebnis
ist ein Gesetzentwurf, der sich sehen lassen kann . Mit
dem Gesetz schieben wir endlich unsachgemäßen Kurz-
befristungen einen Riegel vor und rücken die Qualifizie-
rung und die dafür nötige Zeit stärker in den Fokus .
Das Gesetz stellt einen Meilenstein für viele der circa
200 000 Beschäftigten an den Hochschulen und auße-
runiversitären Forschungseinrichtungen dar und bedeutet
eine deutliche Stärkung der Arbeitnehmerrechte .
Mit diesem Gesetz werden wir erstens die Laufzeit
der Verträge künftig am Qualifizierungsziel orientieren;
Frau Wanka ist schon kurz darauf eingegangen . So ist die
vereinbarte Befristungsdauer in Zukunft so zu bemessen,
dass sie der angestrebten Qualifizierung entspricht. Bei
einer Promotion geht man davon aus, dass es kaum mög-
lich ist, sie in weniger als drei Jahren abzuschließen . Das
heißt, dass auch der Erstvertrag über drei Jahre läuft .
Zweitens werden künftig die willkürlichen Vertrags-
laufzeiten bei Drittmittelprojekten unterbunden . Die
Drittmittelbefristungen müssen sich also künftig an der
Dauer der Projektlaufzeit orientieren und nicht, wie es
noch im ersten Gesetzentwurf steht, nach den jährlich
bereitgestellten Mitteln . Sprich: Bei einer Projektlaufzeit
von drei Jahren muss auch der Vertrag über drei Jahre
abgeschlossen werden .
Ein weiterer wichtiger Punkt für die SPD – auch das
wurde schon erwähnt – ist die Herausnahme des nicht-
wissenschaftlichen Personals aus dem Geltungsbereich
des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes . Denn dieses Ge-
setz ist ein Qualifizierungsgesetz. Wir denken, dass der
Personenkreis der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter
überwiegend Daueraufgaben erfüllt, sodass die entspre-
chenden Stellen auch als Dauerstellen zu besetzen sind .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie nun den-
ken, dass wir uns mit der heutigen abschließenden Be-
fassung ab sofort auf unseren Lorbeeren ausruhen, dann
muss ich Sie leider enttäuschen . Das wäre zwar schön,
aber das Ganze ist für uns eben nur ein Baustein inner-
halb eines Gesamtkonzepts . Denn allein mit dem Wissen-
schaftszeitvertragsgesetz – ich habe das schon mehrfach
gesagt – werden wir nicht die gesamte Wissenschaftswelt
retten . Dazu gehört viel mehr .
Dr. Simone Raatz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514470
(C)
(D)
Aber ich denke, nicht erst die Debatte um dieses Ge-
setz hat uns gezeigt, wie wichtig das Thema „Gute Arbeit
in der Wissenschaft“ ist, und zwar nicht nur für junge
Wissenschaftler und ihre Zukunftsperspektiven, sondern
auch für den Wissenschaftsstandort und – auch darüber
haben wir heute früh schon geredet – die Innovationsfä-
higkeit Deutschlands . Auch dafür ist dieses Gesetz eine
wichtige Grundlage .
Die Debatte hat deutlich gemacht, dass beim verant-
wortungsvollen Umgang mit den Beschäftigten in der
Wissenschaft an vielen Einrichtungen noch sehr viel Luft
nach oben ist . Genau das ist für mich Ansporn, weiter an
dem Thema dranzubleiben und weitere Stellschrauben in
den Blick zu nehmen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, welche Stellschrau-
ben könnten das sein? Eine ist zum Beispiel der von
den Koalitionsfraktionen ab 2017 auf den Weg zu brin-
gende Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs und
akademischen Mittelbau, mit dem wir von Bundesseite
zusätzlich 1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen, um
für mehr dauerhafte Stellen mit Tenure-Track-Option
zu sorgen . Personalstrukturkonzepte werden das Ganze
ergänzen .
Zweitens sollten zukünftig alle Förderprogramme und
Pakte, mit denen der Bund Mittel für Wissenschaft und
Forschung zur Verfügung stellt, verbindliche und vor al-
lem messbare Kriterien enthalten . Vorstellbar sind hier
zum Beispiel Vorgaben zu Befristungsquoten, zur Ausge-
staltung von Personalstrukturkonzepten und zur Gleich-
stellung . Denn – damit komme ich zum dritten Punkt –
es ist mir und meiner Fraktion ein Herzensanliegen, dass
wir wieder mehr engagierte Wissenschaftlerinnen gewin-
nen und diese dann auch in unserem Wissenschaftssys-
tem halten .
Wir haben viele hervorragende Frauen . Fast 50 Prozent
von ihnen promovieren . Wenn wir aber in den Hoch-
schulen oder den außeruniversitären Forschungseinrich-
tungen schauen, wie viele wirklich eine Professur haben
oder in der Hochschulleitung tätig sind, dann stellen wir
fest, dass es nicht einmal 20 Prozent sind . Hier können
wir etwas tun . Deutschland kann sich den jetzigen Zu-
stand im 21 . Jahrhundert nicht mehr leisten .
Mehr Frauen in die Wissenschaft sollten Bund, Län-
der und die Wissenschaftseinrichtungen als Thema und
Chance für sich erkennen .
Damit wären wir wieder beim Wissenschaftszeitver-
tragsgesetz; denn gerade für Frauen spielt das Thema
„Perspektive und Sicherheit“ eine große Rolle . Mit der
heutigen Verabschiedung verbessern wir dafür die Rah-
menbedingungen und gehen einen wichtigen Schritt hin
zu mehr guter Arbeit in der Wissenschaft . Damit können
wir zufrieden sein .
Danke für die Aufmerksamkeit .
Als Nächster spricht der Kollege Kai Gehring für
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
ist eine bisweilen skurrile Debatte . Frau Ministerin hat
ihr altes SZ-Interview referiert, und Frau Raatz hat dann
den Gesetzentwurf vorgestellt .
Aber wenigstens kann man nach vielen Jahren der Debat-
te sagen: Mittlerweile ist es Konsens im Bundestag, dass
wir für den wissenschaftlichen Nachwuchs planbare und
verlässliche Karrierewege schaffen müssen .
Daran messen wir Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von Union und SPD . Auch die vielen Nachwuchskräf-
te, die sich von Halbjahresvertrag zu Halbjahresvertrag
hangeln, messen Sie daran . Sie von der Koalition sind
dabei, die Messlatte zu reißen, die Sie sich selbst aufge-
legt haben .
Nach zwei Jahren, mit vielen Koalitionspirouetten,
gibt es noch immer kein Bund-Länder-Programm für den
wissenschaftlichen Nachwuchs .
Das braucht es aber, um mehr feste Stellen zu schaffen,
vom Mittelbau bis zur Tenure-Track-Professur . Das Ein-
zige, was Union und SPD auf den Tisch gelegt haben,
ist diese halbherzige Novelle zum Wissenschaftszeitver-
tragsgesetz . Trotz begrüßenswerter kosmetischer Kor-
rekturen
können wir Ihrer Novelle nicht zustimmen, da viele Lü-
cken und viele Risiken von Kurzzeitverträgen leider blei-
ben .
Wenn diese Reform so kommt, riskieren wir weiter-
hin, dass junge Leute der Wissenschaft Lebewohl sagen
und woanders ihr berufliches Glück suchen. Lassen Sie
Dr. Simone Raatz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14471
(C)
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den drohenden Verlust an Talent, Kreativität und Erfin-
dergeist nicht zu .
Wir wollen faire statt prekäre Wissenschaft, damit mit
Sicherheit gut geforscht werden kann .
Herr Kollege Gehring, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Rossmann?
Nein danke .
Ein wirksames Wissenschaftszeitvertragsgesetz erfor-
dert, dass wir heute die Änderungsanträge der Oppositi-
on annehmen . Ich sage Ihnen einmal, welches die großen
Mankos sind . Erstens fehlen klare Mindestvertragslauf-
zeiten .
In der Zeit der Qualifizierung, also während und nach der
Promotion, sollen Verträge mindestens zwei Jahre laufen .
Verträge im Rahmen von Projekten, die durch Drittmittel
finanziert werden, sollen sich am bewilligten Projektzeit-
raum orientieren . Von der SPD wissen wir, dass sie schon
einmal für klare Mindestvertragslaufzeiten war . Wollen
Sie von der Union wirklich noch länger blockieren?
Diese Änderung wäre zentral, wenn man eine echte
Kehrtwende für Fairness und gute Arbeit an Universitä-
ten und Fachhochschulen will .
Zweitens: bessere Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf . Seit jeher ist es möglich, dass sich der maximal zu-
lässige Befristungsrahmen je Kind um zwei Jahre verlän-
gert . Damit von dieser familienpolitischen Komponente
mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler profitie-
ren, wollen wir einen Rechtsanspruch auf Vertragsver-
längerung, wenn Eltern Kinder unter 18 Jahre betreuen .
Diese höhere Verbindlichkeit hat auch der Bundesrat ge-
fordert . Das dürfen Sie nicht ignorieren . Wissenschaftli-
che Karrieren mit Kind müssen endlich besser möglich
sein .
Drittens: Aufhebung der Tarifsperre . Die Tarifsper-
re verhindert, dass die Tarifpartner vom WissZeitVG
abweichende Regelungen vereinbaren können . Den
fruchtbaren Wettbewerb der Tarifpartner um die besten
wissenschaftsadäquaten und arbeitnehmerfreundliche-
ren Lösungen wollen wir nicht behindern . Von der SPD
wissen wir, dass sie die Tarifsperre auch schon einmal
streichen wollte . Wollen Sie von der Union wirklich noch
länger blockieren? Geben Sie sich endlich einen Ruck
in Richtung mehr Fairness und mehr Mitbestimmung an
Unis und Fachhochschulen .
Sehr geehrte Damen und Herren, zwingend erforder-
lich ist eine systematische Evaluation Ihres Gesetzes, um
zu prüfen, ob und welche Auswirkungen es in der realen
Beschäftigungspraxis an Universitäten, Fachhochschulen
und außeruniversitären Forschungseinrichtungen hervor-
bringt . Die Evaluation muss übrigens auch die Frage klä-
ren, was die Herausnahme des nichtwissenschaftlichen
Personals aus dem Geltungsbereich des WissZeitVG
bewirkt: Hat das positive, negative oder schlicht keine
Effekte, wenn künftig stattdessen nach Teilzeitbefris-
tungsgesetz befristet wird? Bis zum Evaluationsergebnis
bleiben hier Zweifel .
Wer für junge Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler mehr erreichen will, muss gleich dem grünen
Gesetzentwurf zustimmen
oder zumindest unseren Änderungsanträgen zu Ihrer
Novelle und dem grünen Entschließungsantrag . Es war
ja auch auffällig, dass Ministerin Wanka dazu nichts ge-
sagt hat . Also waren die Änderungsanträge offensichtlich
gut . Machen Sie aus Ihrer halbherzigen Novelle zum
WissZeitVG eine wirksame, damit wir das Befristungs-
unwesen zügeln, damit mehr Dauerstellen für Dauerauf-
gaben entstehen und damit junge Talente mehr Sicherheit
in der Wissenschaft bekommen .
Zu einer Kurzintervention hat das Wort jetzt der Kol-
lege Dr . Rossmann .
Herr Präsident! Lieber Kollege Gehring, ich will jetzt
nicht dem vorgreifen, was Frau Dinges-Dierig mit gutem
Recht als Berichterstatterin noch sagen soll .
Ihre Formulierung von den „begrüßenswerten kos-
metischen Korrekturen“ gehört, finde ich, ins parlamen-
tarische Kuriositätenstammbuch . Was ist eine „begrü-
ßenswerte kosmetische Korrektur“? Ich möchte Sie im
Gegenzug fragen: Ist es begrüßenswert oder kosmetisch,
wenn die Anwendbarkeit der Regelung des Wissen-
schaftszeitvertragsgesetzes zur Befristung wegen Dritt-
mittelfinanzierung auf nichtwissenschaftliches Personal
entfallen soll? Betroffen wären mehrere Hunderttausend
Menschen . Ist es begrüßenswert oder kosmetisch, wenn
sich eine Vertragslaufzeit nach der entsprechenden Pro-
jektlaufzeit richtet? Ist es begrüßenswert oder kosme-
tisch, wenn Qualifizierung unser Ziel ist?
Herr Gehring, ich empfehle Ihnen die Formulierung:
Man kann diesem Gesetzentwurf so gut zustimmen, weil
Kai Gehring
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514472
(C)
(D)
er eine begrüßenswerte Reform ermöglicht, die gerade
mehr ist als eine kosmetische Korrektur .
Danke schön .
Herr Kollege Gehring, möchten Sie darauf erwi-
dern? – Bitte .
Zum Thema Kosmetik werde ich jetzt sicherlich keine
Ausführungen machen .
Ich glaube, dass Sie den zentralen Punkt überhört oder
übersehen haben . Wenn wir jetzt bei den Befristungen an
den Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversi-
tären Forschungseinrichtungen tatsächlich einen großen
Schritt vorankommen und die Kurzzeitbefristungen, die
unterjährlichen Befristungen, wirklich wirksam zurück-
drängen wollen, dann springt diese Novelle an einem
ganz entscheidenden Punkt viel zu kurz: Sie trauen sich
nicht, bei den Qualifizierungsbefristungen eine Mindest-
vertragslaufzeit von zwei Jahren in das Gesetz zu schrei-
ben . Die Gewerkschaften wollten sogar drei Jahre; auch
viele andere haben das favorisiert . Was Sie planen, das ist
wirklich viel zu kurz gesprungen .
Es war übrigens auch von der Ministerin als ein Kern-
problem identifiziert, dass wir zu viele Kurzzeitbefristun-
gen von unter einem Jahr haben . Deswegen wären Min-
destvertragslaufzeiten von mindestens zwei Jahren etwas
gewesen, was diesem Gesetz gut zu Gesicht gestanden
hätte, was die Koalition, vielleicht auch mit grüner Zu-
stimmung, hier durch den Bundestag hätte bringen kön-
nen . Aber dass Sie an dem entscheidenden Punkt so kurz
springen, das ist wirklich schlecht und das wird vielen,
die in Qualifizierungsbefristungen sind, keinerlei Verbes-
serungen bringen, vielmehr führt es zur Beibehaltung des
derzeitigen Zustandes . Das ist schade . Ich weiß, dass die
Union das sicherlich stärker verantworten muss als Sie
und dass Sie sich mehr gewünscht hätten . Aber es wur-
de am Ende nicht durchgesetzt, und jetzt schauen wir in
zwei, drei Jahren, wie sich das Gesetz wirklich auswirkt .
Ich fürchte, dass Frau Wanka auch in fünf Jahren sol-
che Interviews geben muss wie vor einem Jahr – aber
dann natürlich aus der Opposition heraus .
Zum Abschluss dieser Aussprache hat die Kollegin
Alexandra Dinges-Dierig für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-
ber Herr Gehring, wir sind mit Sicherheit nicht zu kurz
gesprungen, sondern wir sind knapp unter dem Weltre-
kord gelandet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen heute
Abend um 20 .15 Uhr nach Monaten – man kann schon
sagen Jahren – der Diskussionen hier . Wir haben uns
ausgetauscht . Meine Kollegin Simone Raatz hat schon
gesagt: Wir haben verschiedene Anhörungen gehabt, wir
haben viele Experten aus verschiedensten Bereichen der
Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrich-
tungen zu Rate gezogen, um ein Ergebnis zu bekommen,
das uns ein richtig großes Stück weiterbringt .
Ich bin der Meinung – das ist auch die Meinung mei-
ner Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion –, dass wir hier
eine sehr gute Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsge-
setz haben .
Ich gebe offen und ehrlich zu: Eine einfache Lösung
gibt es nicht, sonst hätten wir auch nicht so lange ge-
braucht . Die gibt es schon gar nicht, wenn wir über das
Befristungsrecht in der Wissenschaft reden . Jetzt werden
einige fragen: Warum ist das eigentlich so schwierig?
Dazu ganz kurz: Es ist relativ einfach, sich das vor-
zustellen . Wir haben ein Spannungsfeld zwischen dem
Wunsch der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
auf eine zuverlässige Perspektive einerseits und der Not-
wendigkeit der Flexibilität im Bereich der Wissenschaft
andererseits . Warum ist die Flexibilität so wichtig? Ohne
diese wären wir bei den Innovationen und bei der Spit-
zenforschung nicht vorne, sondern hinten . Deshalb müs-
sen wir darauf achten, dass wir bei jeder Regelung, die
wir neu einführen oder überarbeiten, diese Flexibilität
beibehalten .
Aber ich gebe auch zu: In den letzten Jahren – die
Evaluation stammt aus dem Jahr 2011; die Daten sind
also ein bisschen älter – ist die Verlässlichkeit für den
Werdegang der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler etwas kurz gekommen . Deshalb haben wir genau
diesen Weg gefunden, lieber Herr Gehring, nämlich dass
sich die Vertragslaufzeiten an der benötigten Zeit für die
Qualifizierung orientieren müssen. Eine Mindestlaufzeit,
lieber Herr Gehring und liebe Frau Gohlke, nützt über-
haupt nichts .
So gibt es auch Promovierende, die ihre Dissertation
in einem Jahr schreiben . Was mache ich dann mit einer
Mindestlaufzeit von 24 Monaten? Das ist völliger Un-
sinn . Die Vertragslaufzeiten müssen sich sachgerecht
an der Zeit, die jemand für die Qualifizierung braucht,
orientieren . Das kann auch bei einer Verlängerung einer
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14473
(C)
(D)
Doktorarbeit um beispielsweise sechs Monate gesche-
hen . Die Vertragslaufzeit kann sich auch an der Laufzeit
eines Drittmittelprojektes orientieren . Ich glaube, das
kann man gar nicht oft genug sagen . Das bedeutet Zu-
verlässigkeit für unsere Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler .
Gleichzeitig brauchen wir, wie ich schon sagte, die
Flexibilität . Wir als Gesetzgeber können nun wirklich
nicht wissen, welches die Bedingungen des einzelnen
Arbeitsvertrags vor Ort sind . Wie soll das funktionie-
ren? Deshalb brauchen die Vertragspartner Spielraum .
Aber ich sage an dieser Stelle auch ganz deutlich: Die-
ser Spielraum ist nicht beliebig, sondern er muss sich an
der Qualifikation orientieren. Man kann das gar nicht oft
genug sagen . Das bedeutet aber auch, dass sich die Ver-
tragspartner zusammensetzen und sich darüber einigen
müssen, worüber sie eigentlich reden . Das fand bisher
nicht statt . Jetzt wird endlich festgehalten, um welche
Qualifizierung es sich handelt und wie viel Zeit jemand
braucht . Dafür gibt es dann einen Vertrag, und das garan-
tiert die Zuverlässigkeit und Planbarkeit des Weges .
Lassen Sie mich noch zu einem Punkt kommen, der
heute ganz kurz schon einmal angesprochen worden ist .
Es geht um die studentischen Hilfskräfte . Auch da gab
es viele Diskussionen . Wichtig ist für uns, dass endlich
Klarheit besteht, wann ihre Hilfstätigkeiten auf den
Höchstbefristungsrahmen angerechnet werden und wann
nicht . Deshalb gibt es jetzt in der Novelle zum Wissen-
schaftszeitvertragsgesetz einen eigenen Befristungstat-
bestand . In dem entsprechenden Passus wird ganz klar,
dass Hilfstätigkeiten nicht auf den Höchstbefristungsrah-
men angerechnet werden .
Damit dieser Rahmen nicht ausgenutzt wird, müssen
wir ihn irgendwie definieren, auch weil das EU-Recht
dies vorschreibt . Ursprünglich waren im Gesetzentwurf
vier Jahre vorgesehen . Dieser Zeitraum war uns eindeu-
tig zu kurz . Frau Ministerin Wanka hat es schon gesagt:
Denken wir nur daran, dass der ganz normale Weg zum
Master in der Regelstudienzeit fünf Jahre dauert . – Zu-
dem gibt es verschiedene Arbeitsmöglichkeiten, etwa
Teilzeitarbeit und Ähnliches . Wir sind also fest davon
überzeugt, dass wir mit der Entscheidung für die sechs
Jahre den richtigen Zeitraum getroffen haben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind davon über-
zeugt, dass diese Novelle tatsächlich einen Ausgleich
zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit gebracht hat .
Gleichzeitig sage ich ganz klar: Das Gelingen der Um-
setzung liegt jetzt in der gemeinsamen Verantwortung
der Wissenschaft und der Länder . Wir werden also sehr
achtsam sein . In vier Jahren wird das Gesetz evaluiert .
Ich bin fest davon überzeugt: Die Arbeitsbedingungen
werden sich verbessern, und der Wissenschaftsstandort
Deutschland wird gestärkt werden .
Vielen Dank .
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes . Der
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/7038, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 18/6489 in der
Ausschussfassung anzunehmen .
Die Abstimmung wird in drei Schritten durchgeführt .
Wir stimmen zunächst über die insgesamt zehn Ände-
rungsanträge ab . Dann stimmen wir über den Gesetzent-
wurf ab . In einem dritten Schritt stimmen wir über die
Entschließungsanträge ab .
Wir beginnen mit den Änderungsanträgen der Frak-
tion Die Linke . Wer stimmt für den Änderungsantrag
auf Drucksache 18/7068? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/7069? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und von Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/7070 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/
CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke .
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/7071 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/7072 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen jetzt zu fünf Änderungsanträgen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, zunächst zum Ände-
rungsantrag auf Drucksache 18/7073 . Wer stimmt da-
für? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke .
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/7074 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke .
Alexandra Dinges-Dierig
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514474
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Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/7075 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke .
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/7076 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke .
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksa-
che 18/7077 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die
Grünen .
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
von Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen jetzt zum dritten Schritt in unserer Ab-
stimmungsserie, nämlich zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7078 . Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Ände-
rung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der
Wissenschaft . Der Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7038,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/1463 abzulehnen . Ich bitte jetzt die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abge-
lehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke . Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung .
Wir setzen jetzt die Abstimmung zu der Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 18/7038
fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4804 mit dem
Titel „Gute Arbeit in der Wissenschaft – Stabile Ausfi-
nanzierung statt Unsicherheiten auf Kosten der Beschäf-
tigten und Wissenschaftszeitvertragsgesetz grunderneu-
ern“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke .
Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt mit
einer Reihe von Beschlüssen und Empfehlungen abge-
schlossen .
Deshalb rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie zu dem Antrag der Abgeord-
neten Katja Keul, Irene Mihalic, Dr . Konstantin
von Notz, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Private Sicherheitsfirmen umfassend regulie-
ren und zertifizieren
Drucksachen 18/3555, 18/5275
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt
25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch erhebt sich kei-
ner . Dann ist die vereinbarte Redezeit so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Marcus Held für die SPD das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Bereits im Februar
dieses Jahres haben wir uns mit der Frage befasst, wie
rechtliche Veränderungen in Bezug auf private Sicher-
heitsfirmen aussehen könnten. Hintergrund war und ist
die Tatsache, dass private Sicherheitsfirmen heute ei-
nen wichtigen Bestandteil in der Sicherheitsarchitektur
Deutschlands darstellen und sie an vielen Stellen nicht
mehr wegzudenken sind . Daher stellt sich die Frage,
ob die derzeitigen Anforderungen, insbesondere an die
Zuverlässigkeit und die Qualifikation des Bewachungs-
unternehmers und des Personals, der gestiegenen Bedeu-
tung in diesem Gewerbe noch entsprechen .
Wir freuen uns, dass der Bund-Länder-Ausschuss
„Gewerberecht“ eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat und
diese nun ein Eckpunktepapier vorgelegt hat . Stein des
Anstoßes – das ist uns allen bekannt – ist die Situation in
Flüchtlingsunterkünften, in denen Menschen aus unter-
schiedlichen Kulturen und mit unterschiedlichen Schick-
salen zusammenleben . Hier gab es, wie bekannt, leider
Vizepräsident Johannes Singhammer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14475
(C)
(D)
einige Unregelmäßigkeiten und Zwischenfälle, die uns
zu Veränderungen animieren sollten .
Aktuell werden für die Erteilung einer Bewacher-
erlaubnis benötigt: Zuverlässigkeit, geregelte Vermö-
gensverhältnisse der Person, Nachweis erforderlicher
Sachkunde, Abschluss einer Betriebshaftpflichtversi-
cherung . Der Ausschuss spricht sich klar dafür aus, kein
sektorspezifisches Gesetz zu machen, sondern die Ge-
werbeordnung für private Sicherheitsunternehmen mit
Jedermann-Befugnissen zu belassen und dies klar vom
staatlichen Gewaltmonopol zu trennen .
Der Ausschuss macht aber auch darauf aufmerksam,
dass jede Anhebung der Anforderungen an das Bewa-
chungspersonal voraussichtlich den Anteil derjenigen
Bewerber erhöhen wird, die die Sachkundeprüfung nicht
bestehen . Deshalb sollen nach Auffassung des Ausschus-
ses weitere Verschärfungen nur unter strikter Beachtung
des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorgenommen
werden . Dies halte ich, meine sehr verehrten Damen und
Herren, für sehr kritisch . Wir können nicht ernsthaft nur
deshalb die Hürde für Zulassungen nicht höher legen,
weil zu befürchten ist, dass dann weniger Bewerberin-
nen und Bewerber die Prüfung schaffen . Ich glaube,
wir brauchen auch in Zukunft klare Vorgaben, objekti-
ve Kriterien, die sich tatsächlich am Bedarf orientieren
und berücksichtigen, dass Beschäftigte im Bewachungs-
gewerbe mit Menschen zu tun haben und entsprechende
Fertigkeiten mitbringen müssen .
Wo die Vorschläge des Ausschusses Sinn machen:
Künftig soll die Erteilung einer Bewachererlaubnis durch
einheitliche Behörden erfolgen, damit das Ausweichen
von einer Erlaubnisbehörde auf eine andere nicht mehr
funktioniert, wie das bisher der Fall ist . Es muss gesetz-
lich festgelegt werden, dass die Gewerbeämter durch
Staatsanwaltschaften und Gerichte informiert werden,
wenn Ermittlungen gegen Bewacher laufen oder Ver-
urteilungen vollzogen werden . Dazu gehört bei Bedarf
auch die Abfrage bei der Polizeibehörde und gegebe-
nenfalls dem Verfassungsschutz, gerade wenn Bewacher
zum Beispiel in Flüchtlingsheimen eingesetzt werden .
Der Ausschuss schlägt des Weiteren vor, die Sachkunde-
prüfung und das Unterrichtungsverfahren weiterhin pa-
rallel anzuwenden, je nachdem, für welche Aufgaben der
Mitarbeiter eingesetzt werden soll . Ich glaube, hier müs-
sen wir in der weiteren Diskussion ganz genau hinschau-
en; denn es kann meiner Meinung nach nicht sein, dass
ohne jegliche Ablegung einer Prüfung, egal ob schriftlich
oder mündlich, der Einsatz von Sicherheitspersonal mög-
lich bleibt .
Insgesamt halte ich das vorgelegte Eckpunktepapier
für eine gute Diskussionsgrundlage . Aufgrund der Vor-
kommnisse müssen wir aber zwingend dafür sorgen, dass
mehr Qualität im Bewachungsgewerbe Einzug erhält .
Dies stärkt alle seriösen Sicherheitsunternehmen mit gut
ausgebildetem und anständig bezahltem Personal gegen-
über der Dumpingkonkurrenz, die nur durch den günsti-
geren Preis an ihre Aufträge kommt .
Vielen Dank .
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Lutze für die
Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Als Linksfraktion engagieren wir uns für gute und
faire Arbeitsbedingungen für lohnabhängig Beschäftigte .
Wirft man einen Blick auf den Sektor der privaten Si-
cherheitsunternehmen, dann ist klar, dass vor allen Din-
gen die Lohnkosten einen wesentlichen Anteil an den
Kosten für das Sicherheitsunternehmen haben . Doch wie
erkennt ein privater oder öffentlicher Auftraggeber eines
solchen Sicherheitsunternehmens, ob ein Sicherheitsun-
ternehmen zumindest die Grundstandards wie Tarifrege-
lungen, Regelungen zu Arbeitszeiten oder zum Beispiel
auch den Mindestlohn tatsächlich einhält?
Einige Sicherheitsunternehmen – mein Vorredner hat
es gerade gesagt – machten in der letzten Zeit Schlagzei-
len, weil dort Leute beschäftigt waren, die mit dem The-
ma Sicherheit mit Sicherheit wenig am Hut haben . Und
auch hier stellt sich die Frage: Wie erkennt ein privater
oder vor allen Dingen auch ein öffentlicher Auftraggeber,
ob ein solches Sicherheitsunternehmen mit seriösem und
qualifiziertem Personal arbeitet? Interessant an dieser
Debatte ist, dass gerade der Arbeitgeberverband dieser
Branche, der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft,
für diese Fragen sehr sensibel ist . Er will unter anderem
verhindern, dass schwarze Schafe mit Dumpingpreisen
und dubiosem Personal seinen Markt ruinieren . Sicher-
lich ist in den letzten Jahren auch einiges geschehen; aber
das, was geschehen ist, reicht bei weitem noch nicht aus,
liebe Kolleginnen und Kollegen, um für Klarheit in die-
sem Sektor zu sorgen .
Wir brauchen eine stärkere Regulierung dieses Mark-
tes, auch wenn dies nicht unbedingt Trend der aktuellen
Regierungspolitik ist . Aber Sie selbst sagen in Ihrer so-
eben angesprochenen Arbeitsgruppe, dass genau solche
Maßnahmen ergriffen werden müssen . Nun müssen Sie
aber auch endlich die Arbeit in dieser Arbeitsgruppe ab-
schließen und dem Parlament etwas Konkretes vorlegen .
Ich glaube, von den beiden Oppositionsfraktionen wer-
den Sie da Unterstützung bekommen; denn bei vielen
Fragen besteht Konsens .
Wenig Verständnis habe ich dafür, dass es offensicht-
lich Abstimmungsprobleme mit den Bundesländern gibt .
Keine Frage: Der Föderalismus ist zu Recht und aus
Marcus Held
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514476
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gutem Grund im Grundgesetz verankert . Dass man sich
lang und breit über den Länderfinanzausgleich streitet,
liegt sicher in der Natur der Sache . Auch Fragen wie die
Krankenhausfinanzierung oder die Höhe der Regiona-
lisierungsmittel für die Bahn sind alles andere als kon-
fliktfrei, weil es um viel Geld geht. Aber, sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen, es muss doch möglich sein,
dass eine überschaubare Anzahl an offenen Detailfragen,
wie zum Beispiel die verbesserte Zertifizierung von Si-
cherheitsunternehmen oder die gerade eben auch ange-
sprochene Qualifizierung von Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern, innerhalb von wenigen Monaten abgesprochen
wird und endlich ein Gesetzentwurf der Regierungsfrak-
tionen hier ins Parlament kommt .
Die Beschäftigten und die Unternehmen im Sicher-
heitsgewerbe haben ein Recht darauf, dass alle Beteilig-
ten in die Gänge kommen . Anfang 2016 sollte dem Bun-
destag und auch dem Bundesrat ein einvernehmlicher
Gesetzentwurf vorliegen, und deshalb ist der vorliegende
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen notwendig .
Die Linke wird diesen Antrag unterstützen, weil er gute
und richtige Vorschläge macht . Um aber nicht falsch ver-
standen zu werden: Die Linksfraktion war dagegen, dass
private Sicherheitsunternehmen deutsche Hochsee- bzw .
Handelsschiffe mit quasi paramilitärischen Truppen be-
schützen . Das ist nun aber geltendes Recht, auch wenn
wir damals dagegen waren . Damit ist aber die Forderung
der Grünen richtig, dass genau dieser Bereich wesentlich
strenger reglementiert werden muss .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass kurz
vor Weihnachten und zu so später Stunde Appelle an die
Regierungsfraktionen nicht greifen werden . Schade ei-
gentlich!
Ein herzliches Glückauf und vielen Dank für Ihre Auf-
merksamkeit .
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Barbara
Lanzinger .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Auch die Vertreter des BDSW hören uns heute zu . Herz-
lich willkommen bei uns! – Die Branche der privaten Si-
cherheitswirtschaft steht heute im Fokus der Medien und
des öffentlichen Interesses wie nie zuvor . Das hat mehre-
re Gründe: Die private Sicherheitswirtschaft übernimmt
immer mehr öffentliche Aufgaben und trägt zum Beispiel
auf Großveranstaltungen, an Flughäfen und vor allem in
Flüchtlingsunterkünften große Verantwortung . Die Kom-
plexität und die Bedeutung der übernommenen Aufgaben
sind kontinuierlich gestiegen . Die Branche ist zu einem
maßgeblichen Pfeiler unserer Sicherheitsarchitektur ge-
worden . 300 000 Menschen sind hier beschäftigt .
Sicherheit und Stabilität sind angesichts des großen
Flüchtlingszustroms und der terroristischen Anschläge
in Frankreich Themen von höchster Dringlichkeit für
Deutschland und die Europäische Union . Wir stehen hier
vor großen Herausforderungen, bei denen es maßgeblich
auf ein gutes, funktionierendes Miteinander von Polizei
und Verfassungsschutz auf der einen und privater Sicher-
heitswirtschaft auf der anderen Seite ankommt . Wir soll-
ten daher den rechtlichen Rahmen für dieses Miteinander
überprüfen und gegebenenfalls überarbeiten .
Die private Sicherheitswirtschaft leistet überwiegend
gute Arbeit . Aber es gibt auch schwarze Schafe unter den
Unternehmen sowie den Angestellten . So haben uns alle
die Vorfälle im letzten Jahr im nordrhein-westfälischen
Burbach schockiert . Ein anderer Fall hat sich im Novem-
ber am LaGeSo in Berlin ereignet . Dort kam es auch zu
heftigen Prügeleien und gegenseitigen Anzeigen . Inso-
fern sollten wir die Qualität in der privaten Sicherheits-
wirtschaft verstärkt in den Blick nehmen .
Wir dürfen es außerdem nicht akzeptieren, dass
Rechtsextreme Anstellungen in dieser Branche finden
oder auch gewaltbereite Rockergangs ihre eigenen Ge-
werbe gründen und Sicherheitsaufgaben wahrnehmen
wollen .
Wir sind uns vor diesem Hintergrund unter den Wirt-
schafts- sowie den Innenpolitikern der CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion einig, dass die aktuelle gesetzliche Re-
gulierung, die in der Gewerbeordnung festgeschrieben
ist, insbesondere für sensible Bereiche unzureichend ist .
Unsere Standards sind mit am niedrigsten in Europa . Für
das Bewachungspersonal reicht zumeist eine 40-stündige
Unterrichtung ohne Prüfung, um eingesetzt werden zu
dürfen . Dieser Zugang ist deutlich zu niederschwellig .
Es unterliegt auch keinen besonders strengen Auflagen,
selbst als Unternehmer ein neues Gewerbe anzumelden .
Insgesamt brauchen wir hier ein höheres Niveau . Deswe-
gen sehen wir nach der umfassenden Regelung der Be-
wachung von Seeschiffen in internationalen Gewässern
in der letzten Legislaturperiode auch einen eindeutigen
zusätzlichen Regulierungsbedarf für die private Sicher-
heitswirtschaft, die im Inland tätig ist . Das haben wir uns
auch in unserem Koalitionsvertrag vorgenommen .
Sowohl das Bundeswirtschaftsministerium als auch
das Bundesinnenministerium sehen ebenfalls diesen
Handlungsbedarf und haben sich deshalb intensiv mit
diesem Thema befasst . Die Innenministerkonferenz hat
im Dezember 2013 Vorschläge zur Überarbeitung des
Bewachungsrechts beschlossen . Bundesinnenminister
Thomas de Maizière hat sich daraufhin mit der Bitte um
Unterstützung an Minister Gabriel gewandt, der zustän-
dig ist, weil es eine gewerberechtliche Frage ist . Das ist
auch der Grund, weswegen wir heute hier die Federfüh-
rung haben .
Im November 2014 wurde eine Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe eingesetzt, die sich unter Vorsitz des Bun-
deswirtschaftsministeriums der Überarbeitung des
Bewachungsrechts angenommen hat . Mitglieder der
Arbeitsgruppe waren Vertreter der Wirtschaftsministeri-
en bzw . des Wirtschaftssenats von Baden-Württemberg,
Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rhein-
Thomas Lutze
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14477
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land-Pfalz und Sachsen, des Bundesministeriums des
Innern, des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres
und Sport sowie die Städte Cottbus, Dortmund und Mün-
chen . Die Länder und Kommunen wurden einbezogen,
weil die Länder für den Vollzug der Regularien zustän-
dig sind . Die Zulassungen der einzelnen Gewerbe laufen
über die Kommunen, und die Sachkundenachweise wer-
den von den jeweiligen IHKs abgenommen .
Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe – es ist vorhin vom
Kollegen schon aus ihren Ergebnissen zitiert worden –
hat viermal getagt und das geltende Bewachungsrecht
geprüft; das ist § 34 a der Gewerbeordnung . Die Er-
gebnisse wurden vor kurzem, Ende November, vom
Bund-Länder-Ausschuss „Gewerberecht“ verabschiedet
und liegen jetzt als Eckpunktepapier vor .
Die wichtigsten Punkte des Papiers sind:
Erstens . Der einheitliche und konsequente Vollzug des
Bewachungsrechts in den Ländern soll verbessert wer-
den, damit zum Beispiel Gewerbetreibende, denen die
Erteilung einer Bewachererlaubnis von einer größeren
Kommune versagt wurde, nicht auf kleinere Kommunen
ausweichen können .
Zweitens . Die konsequente Unterrichtung der Gewer-
beämter in Strafsachen durch Staatsanwaltschaften und
Gerichte soll verbessert werden . In der Praxis unterblei-
ben diese Mittelungen derzeit häufig mit der Folge, dass
die Gewerbebehörden wegen fehlender Informationen
gegen unzuverlässige Bewacher nicht tätig werden .
Drittens . Der Bund-Länder-Ausschuss hat vorgeschla-
gen, die Zuverlässigkeit des Bewachungspersonals künf-
tig alle drei Jahre zu überprüfen und nicht nur einmal zu
Beginn der Tätigkeit .
Viertens . In die Gewerbeordnung sollen gesetzliche
Regelbeispiele für die Unzuverlässigkeit aufgenommen
werden, um die Arbeit der Vollzugsbehörden bei der Ab-
lehnung von Erlaubnisanträgen zu verbessern .
Fünftens . Ein einheitlicher, fälschungssicherer Be-
wacherausweis soll eingeführt werden . Vor dem Hinter-
grund zahlreicher noch offener Fragen ist hier noch eine
nähere Prüfung erforderlich .
Sechstens . Mittelfristig soll ein Bewacherregister auf-
gebaut werden, das Kontrollen erleichtern und beschleu-
nigen soll .
Siebtens . Die Sachkundeprüfung und das Unterrich-
tungsverfahren sollen moderat verschärft werden .
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt den
Vorschlag grundsätzlich;
denn die Anhebung der Mindeststandards kann dazu bei-
tragen, weitere Fälle wie in Burbach zu vermeiden und
die Qualitätssicherung in der privaten Sicherheitswirt-
schaft voranzubringen .
Ich sage auch ganz deutlich: Wir können uns durch-
aus weitere Punkte vorstellen, die entscheidend für die
Qualität unserer Sicherheitsstruktur sind und über das
vorliegende Eckpunktepapier hinausgehen . Dazu werden
wir eigene Vorschläge für die Novelle des Gewerberechts
entwickeln . Wir wollen substanziell wirklich etwas ver-
ändern . Das unterstützt im Übrigen auch der Branchen-
verband, der selbst eine strengere gesetzliche Regulie-
rung einfordert, um Missstände zu beheben .
Es kann nicht sein, dass unsere Gewerbeordnung der-
zeit strengere Regelungen für die Bewachung von Disko-
theken vorschreibt als für diejenigen, die in Flüchtlings-
unterkünften arbeiten .
Gerade in diesem Bereich, der in den letzten Monaten
so stark und schnell gewachsen ist, brauchen wir ordent-
lich ausgebildetes Personal, welches auch regelmäßig ein
polizeiliches Führungszeugnis vorlegen muss und auch
vom Verfassungsschutz überprüft werden muss . Ich habe
mich heute noch einmal erkundigt, wie das bei uns in
Bayern ist . Das bayerische Sozialministerium fordert re-
gelmäßig die Überprüfung durch den Verfassungsschutz
an .
Wir müssen schnell handeln und klar definieren, wel-
che unterschiedlichen Aufgaben die Branche wahrneh-
men soll, welche Anforderungen oder sogar Ausbildun-
gen dafür jeweils erforderlich sind und wie wir das auch
kontrollieren können . Unseriöse Bewacher können wir
uns nicht leisten, und wir sind fest entschlossen, diese
vom Markt zu verdrängen .
Den vorliegenden Antrag der Grünen lehnen wir heute
ab, weil im BMWi, im BMI und in den Koalitionsfrak-
tionen die Arbeit an einer Novelle der Gewerbeordnung
schon sehr konstruktiv läuft . Wir sind uns aber grund-
sätzlich darin einig, dass wir es mit einer unterregulierten
Branche zu tun haben und dass wir aus Gründen der nati-
onalen Sicherheit dringend nachbessern müssen .
Danke schön .
Vielen Dank . – Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen
hat jetzt Irene Mihalic .
Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe mich vorhin schon gefragt, was
hier eigentlich zur Abstimmung steht: unser Antrag oder
das Eckpunktepapier des Bund-Länder-Ausschusses
„Gewerberecht“? Denn eigentlich haben alle, bis auf
Herrn Lutze, nur zu diesem Eckpunktepapier geredet .
Ich habe mir daher schon ernsthaft die Frage gestellt, wo-
rüber wir heute eigentlich debattieren .
Es sollte ja das Ziel von Initiativen sein, dass bei den-
jenigen, die davon betroffen sind, ein Höchstmaß an Ak-
zeptanz erreicht wird . Das trifft auf das heute vielbespro-
chene Eckpunktepapier nicht zu, aber auf unseren Antrag
Barbara Lanzinger
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514478
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sehr wohl . Die Betroffenen akzeptieren unsere Vorschlä-
ge nicht nur, sie fordern sie auch vehement ein .
Die Sicherheitswirtschaft selbst, um die es hier geht,
drängt auf eine strengere Regulierung . Auch die Innen-
ministerkonferenz – Frau Lanzinger, Sie haben es an-
gesprochen – hat das angeregt . Dazu gibt es auch allen
Grund . Sie haben auch auf die Ereignisse zum Beispiel
in Flüchtlingsunterkünften hingewiesen, Herr Held, Frau
Lanzinger . Sie haben das LaGeSo erwähnt und auch die
Vorfälle schwerer Misshandlungen in der Notunterkunft
in Burbach . Bei solchen Fällen handelt es sich aber mit-
nichten um Einzelfälle, liebe Kolleginnen und Kollegen;
vielmehr sind es die deutlichen Anzeichen einer Fehl-
entwicklung, die dazu geführt hat, dass im Sicherheits-
gewerbe eben keine Qualitäts-, sondern nur noch Preis-
ansprüche gelten .
Ursächlich für diese Fehlentwicklung ist auch das
Fehlen einer gesetzlichen Regulierung . Es ist doch nicht
nachvollziehbar, dass für die Übernahme von solchen
sensiblen und sicherheitsrelevanten Aufgaben nicht der
Nachweis der erfolgreich abgelegten Sachkundeprüfung
vorgesehen ist . Es ist auch nicht vorgesehen, dass das
dort eingesetzte Bewachungspersonal regelmäßig über-
prüft wird . Dabei liegt es doch auf der Hand, dass man
mindestens alle zwei Jahre ein erweitertes Führungs-
zeugnis abfragen und nur festangestelltes Personal ein-
setzen sollte, das entsprechend geschult und regelmäßig
weitergebildet wurde . Sonst kommt es eben dazu – das
konnten wir in den letzten zwei Jahren ständig beob-
achten –, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter privater
Sicherheitsdienste eingesetzt werden, die ihrer Aufgabe,
in kritischen Situationen schützend einzugreifen, einfach
nicht gerecht werden, entweder weil sie aus bestimmten
Gründen für diese Arbeit gänzlich ungeeignet sind oder
weil sie nicht genügend darauf vorbereitet wurden . Die-
ser Zustand ist nicht länger hinnehmbar .
Daher sind wir hier gefordert, endlich geeignete Rege-
lungen zu finden, damit Qualität und Zuverlässigkeit im
privaten Sicherheitsgewerbe gewährleistet sind . Dabei
geht es nicht nur um den Schutz von Menschen in Flücht-
lingsunterkünften, sondern um die gesamte Bandbreite
in dieser Branche . Die Sicherheitswirtschaft hat schon
längst verstanden, dass seriöse Unternehmen profitieren
werden, wenn die rechtlichen Anforderungen mit den tat-
sächlichen Anforderungen endlich in Einklang gebracht
werden . Das sind wir den Menschen schuldig, um deren
Sicherheit es letztlich geht .
Dabei geht es auch um die Vergabe von sicherheitsre-
levanten Aufgaben durch die öffentliche Hand . Qualität
und Zuverlässigkeit müssen Einzug halten . Es ist völlig
inakzeptabel, dass der Staat, der als Auftraggeber sensib-
le Aufgaben an private Dienstleister vergibt, fragwürdige
Unternehmer ohne Fachkunde einsetzt . Mitarbeiter mit
einer eindeutigen, strafrechtlichen Vorgeschichte haben
da einfach nichts zu suchen .
Das Eckpunktepapier des Bund-Länder-Ausschusses
„Gewerberecht“ geht in manchen Bereichen in die rich-
tige Richtung – das will ich hier durchaus anerkennend
feststellen –, ein zufriedenstellendes Konzept ist das aber
noch lange nicht; denn der Bedarf geht weit über die Eck-
punkte hinaus .
Mit unserem Antrag unterbreiten wir klare Vorschläge,
wie eine Regulierung der privaten Sicherheitswirtschaft
aussehen kann . Leider muss ich annehmen, dass die Bun-
desregierung sich mit unseren Vorschlägen nicht wirklich
beschäftigt hat; denn wie Frau Staatssekretärin Zypries
am Montag auf dem Podium beim BDSW zugegeben hat,
kennt sie wesentliche Inhalte unseres Antrags nicht, und
das, obwohl der Wirtschaftsausschuss federführend war .
Ich persönlich finde das enttäuschend. Aber ich gehe da-
von aus, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich
mit unserem Antrag auseinandergesetzt haben . Daher bit-
te ich Sie im Interesse der Menschen, die auf den Schutz
privater Sicherheitsdienste angewiesen sind, um Zustim-
mung .
Ganz herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist der Kollege Johann Saathoff, SPD-Frak-
tion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bedeutung des Sicherheitsgewerbes hat
in den letzten Jahren leider enorm zugenommen . Fast
nicht mehr wegzudenken, sind Sicherheitsunternehmen
bei großen Fußballspielen, bei Großveranstaltungen jeg-
licher Art, bis hin zu Weihnachtsmärkten, aber vor allem
natürlich bei der Absicherung der Flüchtlingsunterkünf-
te .
Ich habe mir letzte Woche eine Flüchtlingsunterkunft
in Ostfriesland, in Emden-Barenburg, angeschaut . Das
Management der Unterkunft wurde von der Stadt Emden
an die AWO als Dienstleister übergeben . Die AWO leistet
dort Großartiges mit einer einmaligen Kombination aus
Hauptamt und Ehrenamt . Ich fand enormes Engagement
der Ehrenamtlichen vor, das uns alle miteinander froh
machen kann . Allerdings muss ihr Einsatz für uns auch
eine Mahnung sein, eine Mahnung, dass das auf Dauer
ohne zusätzliche Unterstützung für die Kommunen und
die Hilfsorganisationen nicht zu leisten ist . Schwarze
Null hin oder her – da kann man sich einen Wolf reden .
Irene Mihalic
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14479
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Dort gab es natürlich auch einen Sicherheitsdienst . Meh-
rere Personen sorgen im Schichtdienst rund um die Uhr
für Sicherheit . Die Ruhe, die Empathie und die Profes-
sionalität der Mitarbeiter haben mich besonders beein-
druckt . Es ist also nicht alles schlecht im Sicherheits-
dienst .
Trotzdem und gerade wegen der derzeit außergewöhn-
lichen Situation müssen die Anforderungen an gewerbli-
che Bewachungsunternehmen weiterentwickelt werden .
Allerdings „mutten wi ok Middelschött in’t Nöös hol-
len“, also die Weiterentwicklung im Lichte der aktuellen
Situation verhältnismäßig vorantreiben .
Der vorliegende Antrag schießt meines Erachtens
ein wenig über das Ziel hinaus . In die Richtung der
Antragsteller gehen allerdings auch die Vorschläge
der Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter der Leitung des
BMWi . Wesentliche Vorschläge daraus sind die Über-
prüfung der Zuverlässigkeit des Bewachungspersonals
alle drei Jahre sowie ein länderübergreifender Informa-
tionsaustausch im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung .
Darüber hinaus schlägt die Arbeitsgruppe vor, die Kon-
trollmöglichkeiten des Bewachungspersonals zu verbes-
sern, Stichwort: behördlicher Ausweis . Außerdem soll
es künftig eine Sachkundeprüfung der Unternehmer und
des Bewachungspersonals geben statt nur eine Teilnah-
mebescheinigung . Die Sachkundeprüfung und die Un-
terrichtung soll um praxisbezogene Elemente ergänzt
werden. Ein sektorspezifisches Gesetz allerdings für das
Bewachungsgewerbe lehnen wir ab .
Ich sagte: Verhältnismäßigkeit der Weiterentwick-
lung . Damit meinte ich, einen angemessenen Mittelweg
zu finden zwischen der Notwendigkeit der Kommunen,
schnell neues Bewachungspersonal für die Flüchtlings-
unterkünfte zu akquirieren, und der Notwendigkeit, die
Anforderungen an das Bewachungspersonal zu erhöhen .
Diesen Mittelweg wollen wir im kommenden Jahr finden
und die notwendigen Änderungen herbeiführen . Wir sind
uns, im nautischen Jargon gesprochen, also einig über
das Ziel . Nur beim Kurs haben wir Differenzen .
Apropos Seefahrt: In der Seefahrt haben wir mit gutem
Grund die deutschen Standards verbessert . Das war gut
für die Sicherheit auf deutschen Schiffen, aber schlecht
für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Sicherheitsun-
ternehmen im internationalen Wettbewerb . Damit haben
wir uns im maritimen Antrag im Herbst beschäftigt . Wir
werden auch hier den erforderlichen Mittelweg finden.
Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit
und wünsche uns allen frohe und vor allen Dingen fried-
volle Weihnachten .
Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra-
che angelangt und kommen zur Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Private Sicherheitsfirmen
umfassend regulieren und zertifizieren“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/5275, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/3555 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie 2013/55/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom
20. November 2013 zur Änderung der Richt-
linie 2005/36/EG über die Anerkennung von
Berufsqualifikationen und der Verordnung
Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszu-
sammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-In-
formationssystems für
bundesrechtlich geregelte Heilberufe und an-
dere Berufe
Drucksachen 18/6616, 18/6987
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit
Drucksache 18/7081
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/7081, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksachen 18/6616 und 18/6987 an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung einstimmig angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr . Kirsten Tackmann, Karin
Binder, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Herdenschutz ist Wolfsschutz – Jetzt ein bun-
desweites Kompetenzzentrum aufbauen
Drucksachen 18/6327, 8/6940
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
1) Anlage 7
Johann Saathoff
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514480
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(D)
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Rita Stockhofe, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Wir debattieren heute über den Antrag der Frak-
tion Die Linke „Herdenschutz ist Wolfsschutz – Jetzt ein
bundesweites Kompetenzzentrum aufbauen“ . Bevor sich
der Wolf im Jahr 2000 wieder hier in Deutschland ange-
siedelt hat, haben wir ihn ungefähr 150 Jahre vermisst .
Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn sich Tierarten
hier ansiedeln . Auch für den Wolf gilt dieser Grundge-
danke .
Jetzt müssen wir die Voraussetzungen schaffen, damit
wir ein vernünftiges Miteinander aufbauen können . Wir
haben schon viel gemacht: Es fanden zwei Fachgesprä-
che, im Umweltausschuss und im Landwirtschaftsaus-
schuss, statt . Eine Dokumentations- und Beratungsstelle
des Bundes für den Wolf wird zurzeit eingerichtet . Ein
Runder Tisch „Wolf“ findet regelmäßig statt. Auch der
Habitat-Ausschuss auf europäischer Ebene tagt regelmä-
ßig .
Neben dem grundsätzlichen Willkommen dem Wolf
gegenüber stehen uns auch große Aufgaben bevor . Dem
Wolf geht es gut hier in Deutschland . Er hat ausreichend
Nahrung, und er verbreitet sich schneller als erwartet .
Was für den Artenschutz ein großer Erfolg ist, bedeutet
für viele Nutztierhalter ernstzunehmende Probleme . Wir
dürfen aber nicht dahin kommen, dass eine Tierart ge-
gen eine andere Tierart ausgespielt wird . Wir müssen den
Wolf nicht fürchten wie bei Rotkäppchen oder bei Der
Wolf und die sieben Geißlein, dürfen ihn aber auch nicht
romantisieren . Wir müssen sachlich mit den Aufgaben
umgehen. Da wir nicht alle Geißlein oder Schäflein in ei-
nen Uhrenkasten sperren können, brauchen wir bedarfs-
gerechte Präventionsmaßnahmen, um die Herden vor den
Wölfen zu schützen . Dazu gehören Herdenschutzhunde
und geeignete Zäune . Aber auch ungewöhnliche Schutz-
maßnahmen wie zum Beispiel den Einsatz von Eseln
müssen wir prüfen .
Bedenken muss man allerdings, dass diese Schutzmaß-
nahmen nicht überall möglich sind, zum Beispiel nicht
auf Dämmen, in der Alpenregion oder in Naturschutzge-
bieten, wo starker Tourismus vorherrscht . Auf die Tier-
halter kommen oft schon präventiv hohe Kosten zu . Die-
se müssen erstattet werden, und zwar unabhängig davon,
ob sie die Tierhaltung berufsmäßig oder hobbymäßig
ausüben .
Das BMUB hat in seinem Bericht zwischen Habita-
ten, in denen Wölfe schon vorkommen, und Habitaten, in
denen sie nicht zu erwarten sind, unterschieden . An diese
Prognose haben sich die Wölfe leider nicht gehalten .
Das zeigt uns, dass der Wolf sehr lernfähig und nicht
immer kalkulierbar ist . Er ist sehr anpassungsfähig und
versorgt sich mit Nahrung, die er möglichst leicht be-
schaffen kann . Nachgewiesen ist mittlerweile auch, dass
der Wolf nicht dazu beiträgt, die Höhe der Schwarzwild-
population zu regeln . Er hat genügend Alternativen, sich
anders Nahrung zu beschaffen .
Wölfe haben sich schon häufiger in dichtbesiedelten
Gebieten, in Städten aufgehalten . Auch die erwartete na-
türliche Scheu vor den Menschen zeigt er nicht immer . In
Niedersachsen läuft er wie selbstverständlich durch eini-
ge Ortschaften und bedient sich an Mülltonnen . Eine ver-
haltensauffällige Wölfin in Niedersachen, die sogenannte
Goldstädter Wölfin, schafft es, Zäune zu überspringen,
die höher als 1,40 Meter sind . Sie tötet und verschreckt
Schafe, ganz abgesehen von den Folgeschäden wie bei-
spielsweise Verlammungen. Alleine dieser Wölfin konn-
ten in diesem Jahr über 80 Nutztierrisse zugeordnet wer-
den, trotz aller Präventionsmaßnahmen .
Meine Damen und Herren, dies ist ein artfremdes Ver-
halten . Da hilft uns auch kein Gesprächskreis mehr . Wir
können den Wolf auch nicht umerziehen, wie in einem
Fachgespräch gefordert worden ist . Dann kann schnell
das Gegenteil der Fall sein; denn andere Wölfe über-
nehmen dieses artfremde Verhalten . Gott sei Dank gab
es bisher noch keinen Angriff auf den Menschen . Auch
wenn ein Wolf schon einmal in der Nähe eines Waldkin-
dergartens gesehen worden ist, ist zum Glück nichts pas-
siert . Wir wollen uns auch nicht wirklich vorstellen, was
ein Tier, das über 60 Kilo wiegt, anrichten kann . Die Bil-
der von gemetzelten Schafen sind schon schlimm genug .
Zwar liegt die Zuständigkeit für die Schadenserfassung
und die Entschädigung bei den Bundesländern . Dennoch
ist es wichtig, bundesweit einheitliche Standards für Prä-
ventionsmaßnahmen und Entschädigungen für Nutztier-
risse einzuführen, für hauptberufliche Halter, aber auch
für Hobbytierhalter . Dabei muss auch berücksichtigt
werden, dass den Schäfern nicht nur ein Schaden wegen
der getöteten Tiere entsteht, sondern dies auch mittelbare
Folgen hat, die durch die Unruhe und den Stress in der
Herde auftreten, beispielsweise Fluchtverletzungen oder
Nicht-wieder-trächtig-Werden von Muttertieren .
In dem Augenblick, in dem die Stimmung in der Be-
völkerung kippt, wird die mühsam aufgebaute Akzeptanz
dahin sein. Es ist deshalb unsere Pflicht, Problemtiere zu
entnehmen . Dort müssen wir aktiv werden, und zwar so
schnell wie möglich . Rechtlich ist das nach Artikel 16
FFH-Richtlinie auch so vorgesehen . Eine Entnahme
solcher Problemtiere würde die Wolfspopulation, die in
Deutschland eine Reproduktionsrate von 30 Prozent pro
Jahr hat, auch nicht gefährden . Ganz im Gegenteil: Eine
schnelle Entnahme solcher Problemtiere könnte zu einer
Steigerung der Akzeptanz für den Wolf in der Bevölke-
rung führen .
Meine Damen und Herren, der Antrag der Fraktion
Die Linke ist abzulehnen . Die Daten der Länder, die ja
dafür zuständig sind, diese zu erfassen, müssen an einer
Stelle zusammenfließen, um eine effektive Arbeit leisten
zu können . Eine solche Stelle wird zurzeit mit der Do-
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14481
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kumentations- und Beratungsstelle des Bundes für den
Wolf eingerichtet, und mehr brauchen wir nicht .
Danke schön .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt
Dr . Kirsten Tackmann das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ja, auch ich habe ein durchaus ambivalentes
Verhältnis zum Wolf . Einerseits faszinieren mich diese
Urmütter und Urväter unserer Hunde, andererseits stel-
len sich auch mir neue Fragen beim Hundespaziergang
durch Feld und Flur und mein Brandenburger Heimat-
dorf: Was wäre eigentlich, wenn dort ein Wolf auftaucht?
Wie müsste ich mich verhalten? Wie reagiert mein – na-
türlich angeleinter – Hund? Deshalb verstehe ich die Sor-
gen der Weidetierhalterinnen und -halter; denn gerade für
sie ist die Rückkehr des Wolfes in sein ursprüngliches
Verbreitungsgebiet durchaus mit ernsthaften Fragen ver-
bunden . Andererseits gibt es aber fast überall historisch
hohe Wildbestände . Die Wölfe sind also auf Nutztiere als
Nahrungsquelle überhaupt nicht angewiesen, und ver-
mutlich sorgt er sogar zumindest in einigen Fällen für ge-
sunde Wildbestände . Dafür ist er viel geeigneter als die
zweibeinigen Jäger . Er ist nämlich Teil des Ökosystems .
Seien wir einmal ehrlich: Die Rückkehr des Wolfes ist
nun wirklich keine Überraschung . Ich habe mich schon
vor Jahren in Sachsen schlaugemacht, wie es sich so lebt
mit dem Wolf im Revier . Dort sind sie ja schon seit den
90er-Jahren wieder präsent . Am meisten hat mich, ehr-
lich gesagt, ein Gespräch mit einem Schäfer überzeugt .
Er hielt seine Schafe zwischen mehreren Wolfsrudeln
und hatte den Wolf persönlich schon 60-mal gesehen .
Ja, er hat Lehrgeld gezahlt; aber am Ende war er eben
klüger als die Wölfe . Er hat sich Herdenschutzhunde an-
geschafft, und seitdem machen die Wölfe einen großen
Bogen um seine Herde .
Fazit: Ein friedliches Zusammenleben mit dem Wolf
ist möglich; aber das ist kein Selbstläufer .
Deshalb habe ich für die Linke seit Jahren mehr politi-
sche Unterstützung für die Lösung der Probleme gefor-
dert . Es hat ein bisschen gedauert; aber inzwischen ist
das Thema in der Bundespolitik angekommen . Ich fand
die zwei Fachgespräche im Umweltausschuss und im
Agrarausschuss sehr lehrreich . Die Hauptbotschaft dort
war: Der Schlüssel für die Akzeptanz des Wolfes ist ein
sicherer Herdenschutz .
Dabei muss aber völlig klar sein: Es geht nicht nur
um Geld für gerissene Schafe . Auch als Tierärztin sage
ich ganz klar: Weidetiere müssen vor dem Wolf geschützt
werden . Ja, das ist auch eine Frage des Tierschutzes, aber
eben nicht nur . Wichtiger ist, dass die Wölfe vor allem
daran gehindert werden, zu lernen, dass Weidetiere eine
leichte Beute sind .
Deshalb müssen Weidetiere, egal ob sie berufs- oder hob-
bymäßig gehalten werden und egal ob es sich um Schafe,
Ziegen, Mutterkühe, Pferde oder Damwild handelt, über-
all geschützt werden, auch auf dem Deich und in Natur-
schutzgebieten .
Der Schutz muss funktionieren – das ist wichtig –, be-
vor der Wolf durch die Region streift . Unterdessen wissen
wir auch besser, wie das funktioniert . Zum Beispiel sind
Herdenschutzhunde in vielen Fällen ein sehr zuverlässi-
ger Schutz . Die AG Herdenschutzhunde hat hier wirklich
Pionierarbeit geleistet; deshalb gilt ihr unser Dank .
Es ist nämlich leichter gesagt als getan: Herdenschutz-
hunde müssen ihre Herden bedingungslos vor dem Wolf
schützen, gleichzeitig aber Menschen absolut zuverlässig
tolerieren . Welche Rassen sind dafür geeignet, welche
nicht? Wie müssen die Standards bei Zucht, Aufzucht
und Ausbildung aussehen? Wer bezahlt das alles? Wer
bezahlt den Unterhalt? Hunde sind auch nicht überall
einsetzbar . Welche anderen Tiere sind möglicherweise
geeignet?
Daneben gibt es noch viel mehr offene Fragen: Wel-
chen Einfluss hat der Wolf auf die Wildbestände? Wie
sollen wir das seriös bewerten, wenn wir über die Wild-
bestände selbst extrem wenig wissen? Was führt eigent-
lich zu sogenannten Problemwölfen, und wie gehen wir
damit um?
Es gibt also viele Baustellen und eine klare Botschaft
der Fachleute: Wir brauchen bundeseinheitliche Stan-
dards; denn was der Wolf in Niedersachsen lernt, wird
er auch woanders anwenden . Genau deshalb brauchen
wir ein Kompetenzzentrum des Bundes für Herden- und
Wolfsschutz . Die Linke hat das seit Jahren gefordert .
Union und SPD werden diese Forderung heute wider
besseres Wissen leider wieder ablehnen . Ihr Dokumen-
tations- und Beratungszentrum ist nur eine Behörden-
dienstleistung und nicht geeignet, die Probleme wirklich
zu lösen . Deshalb wird die Linke weiter kämpfen . Weih-
nachten ist die Zeit der Besinnung . Ich wünsche der Ko-
alition viel Erfolg dabei .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Petra Crone,
SPD-Fraktion .
Rita Stockhofe
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514482
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Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Liebe Gäste! Heute zu dieser späten Stunde sind nicht
mehr so viele da; vielleicht sind sie auch ein bisschen
wolfsscheu . Wir sind beim letzten Tagesordnungspunkt
angelangt . Man könnte fast sagen: Den Letzten beißen
die Wölfe .
Aber das ist nicht der Fall . Der Wolf ist nämlich men-
schenscheu und ausgesprochen anpassungsfähig . Er ist
ebenso umstritten wie faszinierend . Darum ist der Wolf
natürlich in aller Munde und seit Montag auch in den
Armen unserer Bundeskanzlerin . Um zwei Dinge gleich
vorweg zu sagen:
Erstens . Ich wünsche mir einen – ich zitiere Angela
Merkel – relativ lockeren Umgang mit dem Wolf . Das
gilt erst recht für die Furchtmacher in speziellen Verbän-
den . Was ich da hin und wieder lese, macht mich richtig
wütend . Das ist kein verantwortungsvoller Umgang . An-
passungsfähigkeit ist eben nicht jedem gegeben .
Zweitens . Ich erteile im Namen der SPD-Bundes-
tagsfraktion allen Bemühungen, den Wolf ins Jagdrecht
aufzunehmen, eine deutliche Absage, meine Damen und
Herren .
Auch werden Sie bei uns keine Unterstützung für eine
Herausnahme des Wolfs aus Anhang IV der FFH-Richt-
linie finden.
In sechs Bundesländern ist der Wolf wieder heimisch .
Es ist eine freiwillige Rückkehr nach mehr als 100 Jah-
ren . Bis auf die Stadtstaaten und die Ballungsgebiete ist
ganz Deutschland also Wolfserwartungsland . Damit mei-
ne ich natürlich die Tierart, nicht einzelne Landespoliti-
ker .
Sehr geehrte Damen und Herren, der Wolf ist weder
gut noch böse . Er ist kein Monster, aber eben auch kein
Kuscheltier . Zwar ernährt er sich zu 99 Prozent von Wild-
tieren . Aber natürlich ist klar: Jedes gerissene Nutztier
ist eines zu viel. Wer hauptberuflich Schafe und Ziegen
hält und diesen Knochenjob bei Wind und Wetter erle-
digt, für den ist die Frage „Wie lebe ich mit dem Wolf?“
eine wirtschaftlich existenzielle. Der Konflikt zwischen
Weidetierhaltern und dem Wolf ist ein alter und auch ein
neuer Konflikt. Schaf- und Ziegenhalter stellen hochwer-
tige Lebensmittel her, und Weidetiere können wir nicht
einfach in den Stall verfrachten . Deshalb ist es richtig,
wenn wir unser Hauptaugenmerk auf die Beseitigung
dieses Konfliktes lenken.
Zunächst zuständig für die Umsetzung des Herden-
und damit auch des Wolfsschutzes sind die Fach- und
Vollzugsbehörden der Länder . In den Fachgesprächen,
die wir hier im Bundestag mehrfach hatten, wurde klar:
Das funktioniert, und zwar mithilfe von Herdenschutz-
maßnahmen und Kompensationszahlungen für getöte-
te Nutztiere . Ich kann die Kollegen aus dem Bundesrat
nur ermuntern, auch die Hobbyhalter von Schafen und
Ziegen in die Förderung einzubeziehen und auch die An-
schaffung von Herdenschutzhunden finanziell zu ermög-
lichen .
Ein konfliktarmes Nebeneinander von Mensch und
Wolf wird also heute schon in vielen Bundesländern ge-
lebt, liebe Kolleginnen und Kollegen . Deshalb sagt die
SPD-Bundestagsfraktion: Die Aufgaben zum Schutz
der Herde und des Wolfes sind sachlich und rechtlich zu
Recht in den Bundesländern verankert . Darum lehnen
wir den Antrag der Linken ab .
Der Bund war im Übrigen nie untätig . Ganz im Ge-
genteil: Ab 1 . Januar 2016 wird die neue Dokumenta-
tions- und Beratungsstelle des Bundes für den Wolf ihre
Arbeit aufnehmen . Wer hier anderes behauptet, liegt
falsch . Das Zentrum wird unter anderem erforschen,
wie verhaltensauffällige Tiere beobachtet und vergrämt
werden können, damit sie ihre Verhaltensmuster nicht
an Artgenossen weitergeben . Dass auch eine Tötung von
Einzeltieren kein Tabu ist, wenn dies fachlich angebracht
ist, sagt die SPD-Bundestagsfraktion seit längerem .
Zum Schluss danke ich dem Umweltministerium un-
ter anderem für die frühzeitige Einberufung des Runden
Tisches „Wolf“ und dem Landwirtschaftsministerium für
die Kooperation . Selten wurde einer Tierart vonseiten
des Bundes so viel Aufmerksamkeit zuteil .
Im gleichen Atemzug danke ich den Ländern für ihre
fachlich guten Managementpläne im Umgang mit dem
Wolf .
Stefan Willeke schrieb im Frühjahr in der Zeit – ich
zitiere –:
Es muss ein gutes Deutschland sein, gut zu sich und
seiner Natur, wenn der Wolf bereit ist, sich hier an-
zusiedeln .
Es ist, genauer gesagt, eine Wiederbesiedlung; aber das
und den Inhalt des Zitats möchte ich heute, kurz vor den
versöhnlichen Feiertagen, einfach so stehen lassen .
Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich danke für die
Aufmerksamkeit und wünsche wunderschöne Feiertage .
Vielen Dank . – Nächster Redner für Bündnis 90/Die
Grünen ist Harald Ebner .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14483
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Kein Mensch in Baden-Württemberg kennt
den Wolf .
Er ist ein sagenumwobenes Wesen . Der Baron von
Münchhausen hat eine wilde Geschichte über eine pfer-
deverschleißende Schlittenfahrt über ihn im Repertoire;
aber der Wahrheitsgehalt der freiherrlichen Schilderun-
gen ist ja bekannt . Trotzdem ist die Rückkehr der Wöl-
fe zu uns ganz klar eine Herausforderung . Die meisten
Deutschen freuen sich aber, dass er wieder da ist, und
finden, dass er in unsere Landschaft gehört. Das sehen
wir genauso .
Aber wir müssen dem sagenhaften Rückkehrer auch
unsere Aufmerksamkeit schenken, uns mit ihm beschäf-
tigen und den Umgang mit ihm ganz neu lernen . Dass
da Handlungsbedarf besteht, zeigt die lebhafte Berichter-
stattung, wenngleich die Berichte die tatsächliche Situa-
tion nicht immer treffend beschreiben . Und wie so oft bei
Unbekanntem ist die Verunsicherung groß .
Wölfe sind – das zeigen die Fakten – eine gewisse Ge-
fahr für Weidetiere, zunächst vor allem für ungeschützte
Weidetiere . Zäune oder Hunde können Wölfe aber zuver-
lässig fernhalten . Hier zeigt sich die große Bedeutung des
Vorsorgeprinzips .
Wenn man rechtzeitig vorsorgt – das hat die Kollegin
schon gesagt –, wenn die Wölfe gar nicht erst lernen,
wie leicht es ist, ein ungeschütztes Schaf oder eine unge-
schützte Ziege zu erbeuten, dann passiert deutlich weni-
ger . Andererseits gibt es bisher keine Hinweise, dass die
Nutztierschäden dauerhaft zunehmen, wenn sich mehr
Wölfe ansiedeln . Zum Beispiel gab es im Wolfsland
Sachsen in diesem Jahr nur fünf Fälle, in denen Gatter-
wild durch Wölfe zu Schaden kam . Ich frage mich schon,
Herr Staatssekretär Bleser, ob das die massenhaften
Schadensfälle sind, von denen Sie gestern im Ausschuss
sprachen .
Es gibt auch keine Zahlen, die auf eine Bedrohung des
Wildbestandes hindeuten; denn auch hier gilt – der Wolf
ist nun einmal Opportunist –: Wölfe jagen Tiere, die sie
am leichtesten erbeuten können, nämlich alte, kranke und
schwache . Dabei sind sie vermutlich zielsicherer als die
Jäger . Damit werden sie wieder ein funktionaler Teil un-
serer Ökosysteme, und das ist gut so . Es gibt auch keine
Hinweise, dass die Wölfe überhandnehmen . Das ist bio-
logisch logisch, weil sich ein Räuber-Beutetier-Gleichge-
wicht einpendelt . Konkurrenz macht der Wolf allenfalls
der Jägerschaft und ihrem Selbstverständnis als Ökosys-
temregulierer . Plötzlich tauchen noch Wolfsberater und
Wolfsmanager auf . Dass da eine gewisse Verunsicherung
entsteht, kann ich verstehen . Es geht in der oft emotional
geführten Wolfsdebatte nicht zentral um die überschau-
baren Schäden .
Wir müssen neu lernen, wie wir mit dem Neubürger
umgehen . Es wäre sicherlich bequemer, billiger und sor-
genfreier ohne den Wolf, zumindest einzelbetrieblich
gesehen . Aber die Probleme sind nicht unlösbar . Der
Gesamtnutzen durch die Rückkehr eines der wichtigsten
großen Prädatoren im Ökosystem ist die entscheidende
Größe . Wir müssen lernen, damit umzugehen . Der Wolf
muss das auch tun . Da kann – Föderalismus hin oder her –
auch ein Dokumentations- und Vernetzungszen trum –
wie auch immer wir das nennen möchten –, das nun vom
BMUB ausgeschrieben wurde, helfen . Gerade dann hilft
es aber gar nichts, den notwendigen nächsten Schritt
auszulassen und das, was wirklich ansteht, nämlich das
Wissen um Herdenschutz und Herdenmanagement, au-
ßen vor zu lassen . Ich erwarte, dass die Ministerien hier
kooperieren und sich absprechen, anstatt das „Mein Gar-
ten, dein Garten“-Spiel zu spielen und Kompetenzen ab-
zudrücken . Hier kann man sich nicht hinausstehlen . So-
lange Ihnen, Herr Staatssekretär Bleser, zum Wolf nichts
Besseres einfällt, als ihn in das Jagdrecht zu verschieben,
damit Ihr Haus den Abschuss freigeben kann, ist es gut,
dass Sie sich dafür nicht zuständig fühlen .
Beim Wolfsmanagement muss es ganz klar bei der
Länderkompetenz bleiben . Die Wissensbündelung und
die Wissensvernetzung auf Bundesebene – auch beim
Herdenschutzmanagement – halten wir für sinnvoll . Das
wäre ein Beitrag zum Schutz der Landwirtschaft und der
Natur gleichermaßen, ein Schritt hin zu stabilen Ökosys-
temen . Lernen Sie den Wolf kennen, und Sie werden
merken: Niemand braucht Angst zu haben vor dem Wolf .
– Auch in Baden-Württemberg nicht .
Danke schön .
Danke schön . – Jetzt hat für die CDU/CSU der Kolle-
ge Dr . Klaus-Peter Schulze das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Besucher! Ich glaube, ich bin
heute der letzte Redner . Hoffentlich . . . – da gibt es ja ein
Sprichwort . – Der Wolf hat sich in Deutschland aufgrund
der naturschutzrechtlichen Rahmenbedingungen wieder
angesiedelt und ist zurück in unserem Alltag . Bis 1990
war es im Osten Deutschlands Pflicht eines jeden Jägers,
den schon damals aus Polen eindringenden Wolf sofort
zu bejagen . Das wurde konsequent durchgesetzt . Erst die
neuen naturschutzrechtlichen Bestimmungen haben dazu
geführt, dass das Tier, nachdem es mehr als 100 Jahre in
Deutschland verschwunden war, wieder heimisch gewor-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514484
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den ist . Unter dem Aspekt des Natur- und Artenschutzes
ist das ein gutes Ergebnis . Allerdings – das wurde von
den Vorrednern schon angesprochen – geht es nicht kon-
fliktfrei ab.
Der vorliegende Antrag der Linken spricht im Kern
die Probleme an, die sich mit der Wiederansiedlung des
Wolfes ergeben . Aber die damit verbundene Forderung ist
dann doch sehr einseitig . Wir brauchen aus meiner Sicht
kein Bundesherdenschutzzentrum, sondern ein auf die
Erfahrung der Länder aufbauendes bundeseinheitliches
Wolfsmanagement, das natürlich auch den Herdenschutz
gewährleisten muss . Das ist in den Fachgesprächen im
Umwelt- und Landwirtschaftsausschuss sehr deutlich
geworden . Die Antragsteller hätten diese Fachgespräche
erst abwarten sollen, bevor sie sich mit diesem Thema
intensiver befassen .
Ja, für die Bundesebene besteht Handlungsbedarf in
Sachen Wolf . Jedoch sind für uns andere Aspekte von
Bedeutung als eine wissenschaftliche Politikberatung,
die ohnehin künftig durch die geplante Dokumentations-
und Beratungsstelle beim Bundesamt für Naturschutz
geleistet wird. Das Gros der Forderungen findet sich
übrigens im geplanten Aufgabenspektrum dieser Koordi-
nierungsstelle wieder .
Für mich als Naturschutzpolitiker ist die Wiederan-
siedlung des Wolfs sicherlich ein Erfolgsprojekt, ein
Erfolg, der maßgeblich auf den oftmals ehrenamtlichen
Einsatz von Umwelt- und Naturschutzverbänden sowie
einzelner Naturschützer zurückgeht . Zur Wahrheit gehört
aber auch, dass die verhältnismäßig schnell wachsende
Wolfspopulation zunehmend Konflikte verursacht. Diese
sind nur durch ein überlegtes, nachhaltiges Management
auf ein verträgliches Maß zu minimieren . Die Frage der
Akzeptanz in der Bevölkerung, vor allem bei den Nutz-
tierhaltern und in der Jägerschaft, sind unabdingbare
Voraussetzungen für die Fortschreibung der bisherigen
Geschichte .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, glauben Sie mir,
als Abgeordneter der Lausitz weiß ich nur zu gut, dass
dies keine leichte Aufgabe ist . Meine Freunde vom
NABU Regionalverband Spremberg schreiben mit eini-
gem Stolz auf ihrer Internetseite: Alle deutschen Wöl-
fe sind Lausitzer . – In der Tat, die Lausitz ist quasi der
Ausgangsort der Wiederbesiedlung unseres Landes und
Westpolens . Mein Wahlkreis ist vermutlich die wolfs-
reichste Region in Deutschland . Auf 1 820 Quadratki-
lometer Fläche befinden sich fünf Wolfsrudel und ein
welpenloses Paar. Mir sind also die Konflikte sehr wohl
bekannt, die sich mit der Wiederansiedlung des Wolfes
in unserem Land ergeben . Ich weiß um die Bedeutung
der Akzeptanzfrage .
Festzuhalten bleibt: Das Wolfsmanagement ist zu-
nächst eine Aufgabe der Länder . Von daher ist es gut und
richtig, dass die Länder für ein erfolgreiches Manage-
ment die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung
stellen . Begrüßenswert sind ferner die länderübergrei-
fenden und internationalen Maßnahmen von Bund und
Ländern zum Monitoring und zum Management . Auch
ist der Beschluss der Umweltministerkonferenz vom
21 . Mai 2015, den Bund bei der Einrichtung und beim
Betrieb einer Dokumentationsstelle zu unterstützen, ein
positives Signal .
Bei allen Erfolgen sehen wir aber auch Handlungsbe-
darf, der jedoch weit über das hinausgeht, was im vorlie-
genden Antrag formuliert wurde: Ein bundesweit einheit-
liches Wolfsmanagement in gemeinsamer Verantwortung
von Bund und Ländern, ein Fachbeirat, bestehend aus al-
len Interessenvertretern, die an der Dokumentations- und
Beratungsstelle beteiligt werden, ein bundesweit agie-
rendes Expertenteam für Empfehlungen zur Vergrämung
und gegebenenfalls zur Entnahme von auffälligen Tieren,
die Änderung der Tierschutz-Hundeverordnung für den
Herdenschutzhund, bundesweit und mit den europäi-
schen Nachbarstaaten abgestimmte Forschungsvorhaben
zur Analyse des Genaustausches zwischen der mitteleu-
ropäischen und der baltischen Population, Lebensraum-
analysen bezüglich der Populationsobergrenzen und eine
bundesweite Harmonisierung von Schutzmaßnahmen für
alle – ich betone: für alle – Weidetier- und Gatterwild-
halter, Ausgleichszahlungen für Nutztierrisse und finan-
zielle Unterstützung für Herdenschutzhunde – mit diesen
Punkten können wir in der Zukunft das Zusammenleben
von Wolf und Mensch in unserem dichtbesiedelten Land
auf jeden Fall sichern. All das findet sich im vorliegen-
den Antrag noch nicht deutlich formuliert, und deswegen
werden wir ihm nicht zustimmen .
Abschließend wünsche ich Ihnen allen ein frohes Fest
und einen guten Rutsch in das Jahr 2016 .
Danke .
Vielen Dank . – Der Kollege Schulze ist zwar der letzte
Redner in dieser Debatte; aber wir sind damit noch nicht
am Ende der Tagesordnung angelangt . Ich bitte Sie alle,
mit mir gemeinsam bis zum Ende hierzubleiben . Wir ha-
ben noch eine Abstimmung durchzuführen, und es wer-
den noch drei Tagesordnungspunkte aufgerufen . Wenn
alle diszipliniert sind, schaffen wir das ganz schnell .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Herdenschutz ist
Wolfsschutz – Jetzt ein bundesweites Kompetenzzen-
trum aufbauen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/6940, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6327 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verbesserung der Registrierung
Dr. Klaus-Peter Schulze
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14485
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und des Datenaustausches zu aufenthalts- und
Drucksache 18/7043
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . Sind
Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall .1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/7043 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Haben Sie andere
Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall . Damit ist
die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Sachverständigenrechts und zur
weiteren Änderung des Gesetzes über das
Verfahren in Familiensachen und in den An-
gelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
Drucksache 18/6985
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2)
1) Anlage 8
2) Anlage 9
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/6985 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich sehe
keine weiteren Vorschläge . Dann ist es so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Geset-
zes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes
Drucksache 18/6988
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Tourismus
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .3)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/6988 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Haben Sie
dazu weitere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Damit
ist die Überweisung beschlossen .
Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung für morgen, Freitag,
den 18 . Dezember 2015, 9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen allen
noch einen angenehmen Abend .