3) Anlage 10
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(A) (C)
(B) (D)
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14487
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Ehrmann, Siegmund SPD 17 .12 .2015
Ernstberger, Petra SPD 17 .12 .2015
Jantz, Christina SPD 17 .12 .2015
Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17 .12 .2015
Kunert, Katrin DIE LINKE 17 .12 .2015
Merkel, Dr . Angela CDU/CSU 17 .12 .2015
Müller (Chemnitz),
Detlef
SPD 17 .12 .2015
Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17 .12 .2015
Nüßlein, Dr . Georg CDU/CSU 17 .12 .2015
Röring, Johannes CDU/CSU 17 .12 .2015
Schmidt (Fürth),
Christian
CDU/CSU 17 .12 .2015
Spinrath, Norbert SPD 17 .12 .2015
Steinmeier, Dr . Frank-
Walter
SPD 17 .12 .2015
Stritzl, Thomas CDU/CSU 17 .12 .2015
Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17 .12 .2015
Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 17 .12 .2015
Walter-Rosenheimer,
Beate
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17 .12 .2015
Weber, Gabi SPD 17 .12 .2015
Wicklein, Andrea SPD 17 .12 .2015
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Britta
Haßelmann, Oliver Krischer, Dr. Konstantin von
Notz, Annalena Baerbock, Kai Gehring, Elisabeth
Scharfenberg, Luise Amtsberg (alle BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso-
lute Support für die Ausbildung, Beratung und
Unterstützung der afghanischen nationalen Ver-
teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan
(Tagesordnungspunkt 5)
Für uns war und ist klar, dass die Übergabe der voll-
ständigen Sicherheitsverantwortung an die Menschen in
Afghanistan nicht das Ende unserer Verantwortung für
Afghanistan bedeutet hat . Mit Bedauern und Sorge müs-
sen wir feststellen, dass sich seit Beginn der Mission Re-
solute Support (RSM) vor einem Jahr mit dem Ziel der
Ausbildung, des Trainings und der Beratung der afgha-
nischen Sicherheitskräfte die Sicherheitslage in Afgha-
nistan nicht verbessert hat . Nicht zuletzt die dramatisch
hohe Zahl der in den vergangenen Monaten aus Afgha-
nistan nach Deutschland Geflüchteten zeigt uns das sehr
deutlich, aber auch die zeitweise Einnahme von Kunduz
durch die Taliban . Wo vor einem Jahr nach den Wahlen
und der Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit
noch Hoffnung für eine positive politische Entwicklung
des Landes unter dem Führungsduo Ghani und Abdullah
bestand, herrschen heute Verunsicherung und Krise . Die
Friedensgespräche zwischen den Konfliktparteien sto-
cken . Die schlechte Sicherheitslage bleibt nicht ohne
Auswirkungen auf die zivile Hilfe und das wirtschaftli-
che Engagement Deutschlands vor Ort .
Die 2015 im Rahmen der Resolute Support Missi-
on angestrebten Ziele sind von einer Umsetzung weiter
entfernt als erhofft . Es wäre aber falsch, das Ziel eines
sichereren Afghanistans, in dem es für die Menschen
eine Lebensperspektive gibt, deshalb aufzugeben . Die
Rückschritte schmälern auch nicht die Leistung derer, die
mit großem persönlichem Einsatz vor Ort ihren Dienst
geleistet haben und leisten . Wir sind den in Afghanistan
eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen
und Polizisten sowie den zivilen Helferinnen und Helfern
zu großem Dank verpflichtet.
Wir unterstreichen die Notwendigkeit, die afghani-
schen Sicherheitskräfte auch weiter auszubilden und
sie darin zu unterstützen, selbst Verantwortung für die
Sicherheit in Afghanistan zu übernehmen . Das von der
Bundesregierung vorgelegte Mandat allerdings stellt den
Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan jetzt auf Dauer,
ohne klare Zielmarken zu definieren. Es ist unklar, wie
mit der Ausgestaltung der Resolute Support Mission vor
dem Hintergrund einer blockierten afghanischen Regie-
rung und eines Wiedererstarkens der Taliban ein sinnvol-
ler Beitrag zur Verbesserung der Sicherheitslage in Afg-
hanistan geleistet werden soll – und kann . Wesentliche
Rahmenbedingungen für den Erfolg der Mission fehlen
auch weiterhin, wie zum Beispiel die nachhaltig gesi-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514488
(A) (C)
(B) (D)
cherte, ausreichende Finanzierung für die weitere Be-
schäftigung der afghanischen Sicherheitskräfte, die von
der internationalen Gemeinschaft ausgebildet wurden .
Ebenso fehlt der intensive Dialog mit der afghanischen
Regierung mit Blick auf die mangelhafte politische und
militärische Führung .
Notwendig ist außerdem die Einhaltung der finanziel-
len und materiellen Versprechen für den zivilen Wieder-
aufbau in Höhe von 430 Millionen Euro bis einschließ-
lich 2016 und ihre anschließende Weiterführung auf
hohem Niveau .
Wir sehen beides: die Notwendigkeit einer Fortset-
zung einer weiteren Ausbildung, Unterstützung und Be-
ratung der afghanischen Sicherheitskräfte, aber auch die
Schwächen des vorgelegten Mandates . Daher haben wir
heute bei der Abstimmung zur Verlängerung des Einsat-
zes im Deutschen Bundestag mit „Enthaltung“ gestimmt .
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Corinna Rüffer, Beate Müller-
Gemmeke und Peter Meiwald (alle BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso-
lute Support für die Ausbildung, Beratung und
Unterstützung der afghanischen nationalen Ver-
teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan
(Tagesordnungspunkt 5)
Wir lehnen die Fortsetzung der Beteiligung bewaff-
neter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Ein-
satz Resolute Support in Afghanistan ab und werden
mit „Nein“ stimmen . Das Mandat birgt die Gefahr, dass
Deutschland in Afghanistan erneut in einen Kampfein-
satz verwickelt wird – mit unkalkulierbaren Folgen . Auf
jeden Fall wird dieser Einsatz nicht zum Frieden in Af-
ghanistan beitragen .
Die Situation in Afghanistan ist niederschmetternd .
Nach vielen Jahren des Krieges ist kein Frieden in Sicht .
Die Sicherheitslage verschlechtert sich von Monat zu
Monat . Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage,
für Sicherheit zu sorgen . So konnte nur mit Mühe die
Einnahme des Flughafens in Kandahar durch Aufstän-
dische verhindert werden. Kunduz fiel sogar zeitweilig
an die Taliban . Die Verluste unter den afghanischen Si-
cherheitskräften sind hoch . Insbesondere die Zivilbevöl-
kerung leidet unter den anhaltenden Kämpfen zwischen
den Taliban und der Regierung . Viele Menschen sterben
bei Drohnen- und Luftangriffen . Ein besonders krasses
Beispiel ist der fehlgeleitete Angriff der US-Luftwaffe
auf ein Krankenhaus von „Ärzte ohne Grenzen“ in Kun-
duz mit vielen Toten und Verletzten .
Vor diesem Hintergrund plant die Bundesregierung,
das Mandat für den Einsatz Resolute Support zu verlän-
gern und auszuweiten: Die Anzahl der in Afghanistan
stationierten Bundeswehrsoldaten soll von 850 auf 980
erhöht werden . Das Mandat erlaubt zudem, dass deutsche
Soldaten im Zuge des Ausbildungseinsatzes afghanische
Einheiten bei ihren Einsätzen begleiten . Das bedeutet
sehr wahrscheinlich, dass auch Bundeswehrsoldaten in
Kampfhandlungen verwickelt werden . Die Bundeswehr
beteiligt sich damit an der Aufstandsbekämpfung, die in
Afghanistan stets erfolglos war, und stärkt damit lang-
fristig eher die Taliban .
Die Bundesregierung schickt deutsche Soldaten in ei-
nen Einsatz mit großen Risiken – ohne dass sie aus den
bisherigen Afghanistan-Einsätzen die notwendigen Leh-
ren gezogen hat . Die Bundesregierung setzt vorrangig
auf eine militärische Lösung, anstatt die Afghanistanpo-
litik vor allem darauf auszurichten, den Friedensprozess
und den langfristigen Aufbau des Landes zu fördern . Es
fehlt an einer strategischen und politischen Neuausrich-
tung . Frieden rückt so in weite Ferne . Aus diesem Grund
lehne ich den Antrag der Bundesregierung ab und unter-
stütze den Entschließungsantrag meiner Fraktion .
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und Tabea
Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu
der namentlichen Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso-
lute Support für die Ausbildung, Beratung und
Unterstützung der afghanischen nationalen Ver-
teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan
(Tagesordnungspunkt 5)
Wir stimmen dem Antrag der Bundesregierung zu .
Dies ist eine Gewissensentscheidung .
Die Bundeswehr befindet sich seit mehr als einem
Jahrzehnt im Einsatz in Afghanistan . Die Situation in
diesem Land hat sich in diesen Jahren mehrfach ge-
ändert, und der Charakter dieses Einsatzes hat sich im
Laufe der Zeit erheblich gewandelt . Die Beendigung
des ISAF-Einsatzes und des Kampfauftrages der Bun-
deswehr in Afghanistan war daher richtig und bleibt ein
wichtiger Schritt, um die afghanischen Sicherheitskräfte
selbst in Verantwortung für ihr Land zu bringen . Mit dem
Folgemandat und dem Einsatz Resolute Support nimmt
die Bundeswehr die Rolle einer Ausbilderin und Unter-
stützerin der afghanischen Sicherheitskräfte ein .
Gerade weil sich die Sicherheitslage in Afghanistan in
den vergangenen zwölf Monaten verschlechtert hat und
nach wie vor fragil ist, erachten wir es als richtig und not-
wendig, dass eine solche Unterstützung auch weiterhin
sichergestellt ist . Niemand weiß, wie sich die Situation
im Land in den kommenden Jahren entwickeln wird und
ob es gelingt, einen dauerhaften Frieden in Afghanis-
tan – auch und gerade mit diplomatischen Mitteln – zu
erreichen . Sicher ist nach unserer Überzeugung jedoch
auch, dass, sollten die internationale Gemeinschaft und
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14489
(A) (C)
(B) (D)
die Bundeswehr die Ausbildung der afghanischen Si-
cherheitskräfte nun beenden, die Chancen für ziviles En-
gagement und eine langfristige friedvolle Entwicklung
des Landes genommen werden würden .
Es bedarf eines langfristigen Engagements der inter-
nationalen Gemeinschaft, vor allem mit ziviler Hilfe und
wirtschaftlichem Engagement, damit sich Afghanistan
weiterentwickeln kann . Dies kann jedoch nur in einem si-
cheren Umfeld stattfinden. Das vergangene Jahr hat deut-
lich gemacht, dass die afghanischen Sicherheitskräfte
noch nicht dazu in der Lage sind, alleine für Sicherheit zu
sorgen . Die kurzfristige Einnahme von Kunduz durch die
Taliban ist das sicher prägnanteste Beispiel hierfür . Mit
dieser Erkenntnis schwindet leider auch die Hoffnung,
dass wir uns rasch aus der Beraterrolle herausziehen und
den Militäreinsatz in Afghanistan vollends beenden kön-
nen . Wir erachten es vor diesem Hintergrund als wichtig,
Afghanistan durch Ausbildung weiter zu unterstützten .
Ein starres Festhalten an Abzugs- und Rückzugsplä-
nen, die vor dem Hintergrund einer anderen Bewertung
der Lage entstanden sind, halten wir nicht für sinnvoll .
Auch wenn wir die Militärintervention in Afghanistan in
Gänze äußerst kritisch betrachten, wäre es in der heuti-
gen konkreten Situation der Stabilität Afghanistans nicht
dienlich, die Ausbildungsmission der Bundeswehr zu be-
enden .
Mit unserer Zustimmung wollen wir zum Ausdruck
bringen, dass wir den Menschen in Afghanistan zur Seite
stehen und verlässlich Unterstützung zukommen lassen
wollen . Wir wollen, dass die afghanischen Kräfte in ei-
gener Verantwortung für Sicherheit sorgen können, so-
dass die afghanische Bevölkerung in Frieden leben kann .
Viele Menschen, die täglich aus dem Haus gehen in der
Ungewissheit, ob sie am Abend ihre Familien wiederse-
hen, diese Menschen – insbesondere die junge Generati-
on – wollen ihr Land aufbauen und haben die Hoffnung,
dass Afghanistan eine bessere Zukunft haben kann . Dies
ist auch eine Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen
in Afghanistan bleiben können und nicht zur Flucht ge-
zwungen werden .
Anlage 5
Erklärungen nach § 31 GO
zu der namentlichen Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso-
lute Support für die Ausbildung, Beratung und
Unterstützung der afghanischen nationalen Ver-
teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan
(Tagesordnungspunkt 5)
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Seit 2001 ist die Bundeswehr im Rahmen der Interna-
tionalen Sicherheitstruppe ISAF militärisch in Afgha-
nistan engagiert . Der Einsatz erfolgte auf Ersuchen der
Teilnehmer der Afghanistan-Konferenz 2001 (,,erste
Petersberg-Konferenz“) an die internationale Gemein-
schaft und mit Genehmigung durch den Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen (Resolution 1386 vom 20 . De-
zember 2001) . Nach Beendigung der ISAF-Mission hat
der Deutsche Bundestag vor einem Jahr die Beteiligung
der Bundeswehr an der Resolute Support Mission ent-
schieden, um die afghanische Regierung in ihrer Aufga-
be einer Sicherstellung von Sicherheit und Ordnung zu
unterstützen .
Ich habe vor einem Jahr bei dem Mandat Resolute
Support Mission mit Enthaltung gestimmt und gleichzei-
tig eine Konzentration der Kräfte auf den Aufbau und die
Unterstützung der Zivilgesellschaft sowie der afghani-
schen Sicherheitskräfte gefordert . Wir Grüne haben kri-
tisiert, dass im Mandat die notwendige Ausbildung von
Polizei und Sicherheitskräften nicht klar definiert war,
man gleichzeitig aber von einer engen zeitlichen Be-
grenzung des Mandats ausging . Es war aufgrund der Si-
cherheitslage schon damals klar, dass die Unterstützung
afghanischer Sicherheitskräfte aufgrund nach wie vor
mangelnder Strukturen nicht kurzfristig befristet werden
kann . Wir haben auch kritisiert, dass in dem Mandat eine
nicht näher beschriebene Unterstützung der USA ent-
halten war, die mehr geostrategische Ziele verfolgt als
ausschließlich die Stabilisierung und Befriedung von Af-
ghanistan .
Heute müssen wir konstatieren, dass die Sicherheitsla-
ge sich in Afghanistan nochmals deutlich verschlechtert
hat . Es ist bisher nicht gelungen, Strukturen zu errichten,
die die innere Sicherheit signifikant erhöhen. Die aktu-
elle Regierung sieht sich berechtigten Vorwürfen einer
wachsenden Korruption und Misswirtschaft ausgesetzt .
Ein weiterer Verfall der Sicherheit – und das sind
die Lehren, die aus der jüngsten Entwicklung im Syri-
en-Konflikt zu ziehen sind – wird aber unausweichlich zu
noch mehr Leid für die Zivilbevölkerung führen . Drama-
tisch steigende Flüchtlingszahlen aus Afghanistan sind
ein deutlicher Beleg dafür .
Anders als in Syrien gibt es – bei allen berechtigten
Bedenken aufgrund des Machtkampfes in der afghani-
schen Regierung – staatliche Sicherheitskräfte, die sich
um die Schaffung von öffentlicher Sicherheit und Ord-
nung bemühen, die aber offensichtlich nicht ohne eine
robuste militärische Unterstützung durch ausländische
Kräfte auskommen . Die nur mit militärischer Unterstüt-
zung durch die USA mögliche Abwehr der Übernahme
von Kunduz durch die Taliban im Oktober dieses Jahres
ist ein deutliches Indiz dafür . Es ist in diesem Jahr klar
geworden: Ohne militärische Unterstützung sind die af-
ghanischen Sicherheitskräfte kaum in der Lage, die Si-
cherheitslage zu verbessern oder stabil zu halten . Ohne
diese Unterstützung droht Afghanistan in den Zustand
eines „failed state“ abzurutschen, mit unübersehbaren
negativen Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft in Af-
ghanistan . Um diese Entwicklung zu verhindern, stimme
ich der Entsendung der Bundeswehr heute zu .
Wir werden in einem Jahr zu bewerten haben, inwie-
weit die Resolute Support Mission eine Verbesserung der
Sicherheitslage bewirkt bzw . zumindest eine Verschlech-
terung verhindert hat . Ich bin vor dem Hintergrund der
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514490
(A) (C)
(B) (D)
Berichte zur aktuellen Lage in Afghanistan der Überzeu-
gung, dass durch das vorliegende Mandat die Situation
in Afghanistan insbesondere für die Zivilbevölkerung
verbessert werden kann .
Veronika Bellmann (CDU/CSU): Enthaltung: Am
heutigen Donnerstag stimmen wir in namentlicher Ab-
stimmung über die Fortsetzung der Beteiligung deut-
scher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz für die
Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghani-
schen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in
Afghanistan ab .
Die Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-Aus-
bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission Re-
solute Support in Afghanistan soll um ein Jahr bis Ende
2016 ausgeweitet werden . Dabei wird die Zahl der ein-
zusetzenden Soldaten voraussichtlich von bisher 850 auf
bis zu 980 erhöht werden .
Hierzu habe ich meine Abstimmungsentscheidung
an eine zügige Rückführung afghanischer Migranten im
wehrfähigen Alter gebunden . Diese ist momentan noch
nicht im erforderlichen Maße möglich, da die Innenmi-
nister der Länder zunächst dem Abschluss eines Rück-
führungsabkommens mit dem afghanischen Staat entge-
genstehende Verordnungen aufheben mussten .
Die Beteiligung der Bundeswehr an der Ausbildungs-,
Beratungs- und Unterstützungsmission befürworte ich
grundsätzlich . Sie darf nicht abgebrochen werden, denn
das Land ist erst auf dem Weg und noch längst nicht am
Ziel .
Mit meiner Enthaltung möchte ich aber dennoch ein
Zeichen setzen, um damit folgenden Aspekt im Zusam-
menhang zwischen der derzeitigen Flüchtlingskrise in
der Europäischen Union und dem Einsatz von NATO und
Bundeswehr in Afghanistan hervorzuheben:
Die Bundesrepublik Deutschland hat mit erheblichen
finanziellen und personellen Mitteln in der Entwick-
lungshilfe und mit dem Bundeswehreinsatz Hilfe zur
Selbsthilfe geleistet Dadurch konnten Verwaltungs-,
Bildungs- und Sicherheitsstrukturen aufgebaut werden .
Selbst wenn einige Distrikte nun wieder in die Hände der
Taliban gefallen sind, kann es nicht sein, dass Tausen-
de junge Afghanen im wehrfähigen Alter in die Sozial-
und später gegebenenfalls in die Arbeitsmarktsysteme
Deutschlands und der Europäischen Union einwandern,
während unsere Soldaten für die Sicherheit der „Zurück-
gelassenen“ mit Leib und Leben bürgen . Außerdem ist
es fraglich, wie eine Ausbildungsmission gelingen soll,
wenn zunehmend die Auszubildenden ausbleiben . Der
Unterschied zum Syrieneinsatz besteht darin, dass ich
junge Syrer verstehen kann, die sich der Einberufung
in die syrische Armee des Präsidenten Assad entziehen
wollen, da sie in seiner Armee unter Umständen gegen
das eigene Volk kämpfen müssen . Das ist in Afghanistan
nicht der Fall, dort kämpft die Armee gegen terroristische
Rebellen . Übrigens ebenso wie im Irak oder in Tunesien .
In diesen Staaten gibt es demokratisch gewählte Regie-
rungen und einigermaßen stabile Verwaltungs- und Si-
cherheitsstrukturen und keine politische Verfolgung von
Staats wegen . Nicht ohne Grund ging der jüngste Frie-
densnobelpreis nach Tunesien . Deshalb besteht für junge
Männer im wehrfähigen Alter aus diesen Ländern kein
diesbezüglicher Verfolgungs- oder Fluchtgrund . Wenn
sie dennoch ihr Land verlassen und keinen Dienst für
ihr Land leisten wollen, besteht für die Bundeswehr erst
recht kein Grund, dies an deren Stelle zu tun .
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
werde heute dem Einsatz Resolute Support für die Aus-
bildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen
nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afg-
hanistan zustimmen mit der folgenden Begründung:
Die vorübergehende Einnahme von Kunduz durch
die Taliban hat die Menschen zutiefst verunsichert . Es
herrscht verständlicherweise im Moment wenig Vertrau-
en in die nationalen Sicherheitskräfte . Vermutlich wird
die Situation in Kunduz auch für die deutsche Arbeit am
zivilen Wiederaufbau und die deutsche Entwicklungszu-
sammenarbeit Folgen haben . Von den insgesamt 180 in-
ternationalen Mitarbeitern seien derzeit nur etwa 50 vor
Ort – dieser Rückgang ist bereits vor der Einnahme von
Kunduz und vor dem Hintergrund der Entführungsfälle
erfolgt .
Angesichts dieser Lage fragen sich viele in Afghanis-
tan, wie lange die internationale Gemeinschaft noch im
Land engagiert bleiben wird, auch angesichts der gro-
ßen Herausforderungen im Nahen Osten und in Europas
Nachbarschaft . Viele fragen sich gar, ob der Fall von
Kunduz genauso auch in Kabul passieren könnte . Der
deutlichste Ausdruck dieser Verunsicherung ist die Tat-
sache, dass sich viele Afghaninnen und Afghanen dieser
Tage auf den Weg nach Europa machen .
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
hatte sich immer klar dazu bekannt, dass Deutschland
langfristig in Afghanistan engagiert bleiben muss . Vor
allem mit ziviler Hilfe und wirtschaftlichem Engage-
ment . Diese Hilfe ist heute an vielen Orten des Landes
aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich . Doch sie
bleibt notwendig, damit vor allem die Afghaninnen und
Af ghanen Vertrauen in ihren Staat und die Zukunft fas-
sen können .
Ich bin davon überzeugt, dass in der jetzigen Situati-
on weiter Ausbildungshilfe durch die Bundeswehr nötig
ist . Nach wie vor ist die afghanische Armee auf logis-
tische Unterstützung der internationalen Gemeinschaft
angewiesen . Die Bundeswehr wird nach den Vorgaben
des jetzigen Mandates nicht kämpfen, sondern da beraten
und unterstützen, wo es nötig ist . Wenn die afghanischen
Sicherheitskräfte den Bürgerinnen und Bürgern wirksa-
men Schutz bieten sollen, dann ist mehr notwendig als
der Aufbau einer zahlenmäßig großen Armee in kurzer
Zeit . Für den Aufbau effektiver und legitimer Sicher-
heitskräfte braucht es einen langen Atem . Vor allem stim-
me ich aber zu, weil ich der Überzeugung bin, dass auch
angesichts der Entwicklungen in Syrien die Region umso
mehr stabilisiert werden muss . Deutschland sollte diesen
Prozess verantwortungsbewusst unterstützen .
Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Seit 2001 ist die Bundeswehr im Rahmen der In-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14491
(A) (C)
(B) (D)
ternationalen Sicherheitstruppe ISAF militärisch in Af-
ghanistan engagiert . Der Einsatz erfolgte auf Ersuchen
der Teilnehmer der Afghanistan-Konferenz 2001 („erste
Petersberg-Konferenz“) an die internationale Gemein-
schaft und mit Genehmigung durch den Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen (Resolution 1386 vom 20 . De-
zember 2001) . Nach Beendigung der ISAF-Mission hat
der Deutsche Bundestag vor einem Jahr die Beteiligung
der Bundeswehr an der Resolute Support Mission ent-
schieden, um die afghanische Regierung in ihrer Aufga-
be einer Sicherstellung von Sicherheit und Ordnung zu
unterstützen .
Ich habe vor einem Jahr diesem Mandat Resolute Sup-
port Mission nicht zugestimmt – und gleichzeitig eine
Konzentration der Kräfte auf den Aufbau und die Un-
terstützung der Zivilgesellschaft sowie der afghanischen
Sicherheitskräfte gefordert . Wir Grüne haben kritisiert,
dass im Mandat die notwendige Ausbildung von Poli-
zei und Sicherheitskräften nicht klar definiert war, man
gleichzeitig aber von einer engen zeitlichen Begrenzung
des Mandats ausging . Wegen der Sicherheitslage war
schon damals klar, dass die Unterstützung afghanischer
Sicherheitskräfte aufgrund nach wie vor mangelnder
Strukturen nicht kurzfristig befristet werden kann . Wir
haben auch kritisiert, dass in dem Mandat eine nicht nä-
her beschriebene Unterstützung der USA enthalten war,
die mehr geostrategische Ziele verfolgt als ausschließlich
die Stabilisierung und Befriedung von Afghanistan .
Heute müssen wir konstatieren, dass die Sicherheitsla-
ge sich in Afghanistan nochmals deutlich verschlechtert
hat . Es ist bisher nicht gelungen, Strukturen zu errichten,
die die innere Sicherheit signifikant erhöhen. Die aktu-
elle Regierung sieht sich berechtigten Vorwürfen einer
wachsenden Korruption und Misswirtschaft ausgesetzt .
Ein weiterer Verfall der Sicherheit – und das sind
die Lehren, die aus der jüngsten Entwicklung im Syri-
en-Konflikt zu ziehen sind – wird aber unausweichlich zu
noch mehr Leid für die Zivilbevölkerung führen . Drama-
tisch steigende Flüchtlingszahlen aus Afghanistan sind
ein deutlicher Beleg dafür .
Anders als in Syrien gibt es – bei allen berechtigten
Bedenken aufgrund des Machtkampfes in der afghani-
schen Regierung – staatliche Sicherheitskräfte, die sich
um die Schaffung von öffentlicher Sicherheit und Ord-
nung bemühen, die aber offensichtlich nicht ohne eine
robuste militärische Unterstützung durch ausländische
Kräfte auskommen . Die nur mit militärischer Unterstüt-
zung durch die USA mögliche Abwehr der Übernahme
von Kunduz durch die Taliban im Oktober dieses Jahres
ist ein deutliches Indiz dafür . Es ist in diesem Jahr klar
geworden: Ohne militärische Unterstützung sind afgha-
nische Sicherheitskräfte kaum in der Lage, die Sicher-
heitslage zu verbessern oder stabil zu halten . Ohne diese
Unterstützung droht Afghanistan in den Zustand eines
„failed state“ abzurutschen, mit unübersehbaren negati-
ven Auswirkungen auf die dortige Zivilgesellschaft . Um
diese Entwicklung zu verhindern, stimme ich der Entsen-
dung der Bundeswehr heute zu .
Wir werden in einem Jahr zu bewerten haben, inwie-
weit die Resolute Support Mission eine Verbesserung der
Sicherheitslage bewirkt bzw . zumindest eine Verschlech-
terung verhindert haben wird . Ich bin vor dem Hinter-
grund der Berichte zur aktuellen Lage in Afghanistan der
Überzeugung, dass durch das vorliegende Mandat die
Situation in Afghanistan insbesondere für die Zivilbevöl-
kerung verbessert werden kann .
Markus Paschke (SPD): Die Entscheidung über
Auslandseinsätze der Bundeswehr gehört zu den schwie-
rigsten Entscheidungen, die Abgeordnete des Deutschen
Bundestages zu treffen haben . Seit dem Beginn des mi-
litärischen Einsatzes in Afghanistan halte ich eine deut-
sche Beteiligung für falsch . Der Irak, Libyen und beson-
ders Afghanistan zeigen deutlich, dass mit militärischen
Mitteln kein Unrechtsregime beseitigt werden kann . Die
Zivilbevölkerung leidet am stärksten unter dem folgen-
den jahrelangen Terror und sich gegenseitig immer wei-
ter aufschaukelnden Gewaltwellen .
Vor allem: Es ist auch Ende 2015 kein nachhaltiger
Erfolg des NATO-Einsatzes in Afghanistan in Sicht . Des-
halb lehne ich die Fortsetzung des Mandates ab . Seit nun-
mehr 14 Jahren dauert der Einsatz, und auch nach diesem
Zeitraum sind für mich kaum positive Folgen erkennbar .
Nach wie vor ist für mich die angestrebte Friedensper-
spektive nicht ersichtlich . Im Gegenteil: Die Sicherheits-
lage ist weiterhin besorgniserregend . Das haben zahlrei-
che Vorfälle in den letzten Monaten bewiesen .
Afghanische Dolmetscher und andere Unterstützer
werden im eigenen Land mit dem Tod bedroht, weil sie
neben deutschen auch anderen Streitkräften helfen . Ich
halte es für unhaltbar, dass diese Menschen in dieser aku-
ten Bedrohung alleingelassen werden und ihnen teilwei-
se nicht einmal Asyl in unserem Land gewährt wird .
Und auch für unsere Soldatinnen und Soldaten sind
die Einsätze in Afghanistan eine hohe Belastung . Aus
zahlreichen persönlichen Berichten und Gesprächen
weiß ich, dass diese Belastung oft zu schwerwiegenden
persönlichen Problemen, beispielsweise bei der psychi-
schen Verarbeitung des Erlebten, führt . Mir wird dabei
immer wieder deutlich: Die Wahrnehmung der Soldaten
unterscheidet sich häufig von den offiziellen Verlautba-
rungen .
Ich begrüße die internationalen Bemühungen zum
zivilen Aufbau des Landes sehr, aber eine Befriedung
Afghanistans ist meiner Auffassung nach nicht mit mili-
tärischen Mitteln zu erreichen . Die bisherige Ausbildung
von Polizei und Armee in Afghanistan hat nicht zu einer
nachhaltig besseren Sicherheitslage im gesamten Land
geführt . Schwerpunkt des Handelns muss eine Versöh-
nungstheorie sein . Nach meinem Eindruck werden der-
zeitige Machtstrukturen durch unseren Militäreinsatz
nicht motiviert, die Versöhnung der verschiedenen Stäm-
me und Akteure aktiv voranzutreiben . Das Gegenteil ist
der Fall . Auch nach 14 Jahren sehe ich keine nachvoll-
ziehbare Exit-Strategie für den deutschen Einsatz . Des-
halb stimme ich beim vorliegenden Antrag mit „Nein“ .
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich stimme gegen die Verlängerung des Bundes-
wehreinsatzes in Afghanistan . Die Lage in Afghanistan ist
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514492
(A) (C)
(B) (D)
nicht gut . Das ergibt sich auch aus dem jüngsten Bericht,
den die Bundesregierung geheim zu halten versucht . Seit
2001 war sie nie so schlecht . Alle wissen, dass der Bun-
deswehreinsatz auch mit 100 zusätzlichen Soldaten keine
Sicherheit im Land schaffen wird . Die Lage wird nächs-
tes Jahr nicht besser sein als heute, eher noch schlechter .
Nie wurden so viele Menschen im Krieg in Afghanistan
getötet und verletzt wie im letzten Jahr – afghanische
Polizisten und Soldaten, Talibankämpfer, vor allem aber
auch Zivilisten, Frauen und Kinder . Armee und Polizei
sind unzuverlässig und kriegsmüde, nicht nur wegen der
hohen Verluste . Bis zu 20 bis 30 Prozent der 350 000 Si-
cherheitskräfte wollen für die korrupte Regierung nicht
ihr Leben riskieren, laufen über, bleiben zu Hause oder
fliehen. Daran ändert auch die Ausbildung durch die Bun-
deswehr nichts . Die Eroberung der Stadt Kunduz, in der
die Bundeswehr mehr als ein Jahrzehnt stationiert war,
innerhalb weniger Stunden, hat das gezeigt . Nur mit Hil-
fe der US-Sondereinheiten und Bomben der US-Luftwaf-
fe konnte die Stadt zurückerobert werden . Die gnadenlo-
se Bombardierung des Krankenhauses von „Ärzte ohne
Grenzen“, bei der zahlreiche Ärzte, Helfer und Patienten
getötet wurden, hat Hass geschürt und den Taliban neue
Kämpfer zugetrieben . Wegen der unfähigen, zerstritte-
nen und korrupten Regierung und fehlenden Sicherheit
schwinden die Entwicklungschancen des Landes . Ent-
wicklungsprojekte stocken, westliche Entwicklungshel-
fer trauen sich nicht mehr aus Kabul und den militärisch
gesicherten Orten aufs Land .
Vor ein paar Jahren, als Mullah Omar noch lebte, wa-
ren die Chancen für eine vertretbare Verhandlungslösung
unter Einschluss der Taliban besser . Die Bundesregie-
rung hat wie die NATO nichts dafür getan, diese Chance
zu nutzen . Jetzt wird es viel schwieriger, aber noch sind
Verhandlungen eine Alternative, den Krieg zu beenden .
Der Krieg war von Anfang an falsch und unverant-
wortbar . NATO und Bundesregierung hatten beschlos-
sen, die Einsätze in zwei Jahren zu beenden und bis dahin
alle Truppen abzuziehen . Jetzt wird die Truppenstärke
wieder erhöht und die Verteidigungsministerin erklärt,
der Einsatz werde noch lange dauern .
Aber es ist doch nicht richtig, einfach so weiterzuma-
chen wie bisher . Weitere 14 Jahre? Ich werde deshalb mit
Nein stimmen . Dieser Krieg ist verloren .
Anlage 6
Erklärungen nach § 31 GO
des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/CSU)
zu der Abstimmung über
– den von den Fraktionen der CDU/CSU und
SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte
und
– den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des
Rechts der Syndikusanwälte
(Tagesordnungspunkt 8)
Dem Gesetzentwurf stimme ich zu . Mit dem Gesetz-
entwurf wird richtigerweise sichergestellt, dass angestell-
te Rechtsanwälte auch zukünftig von der gesetzlichen
Rentenversicherungspflicht befreit werden und sich statt-
dessen über die eigenen Versorgungswerke versichern
können . Zudem müssen die Syndikusrechtsanwälte auch
künftig keine individuellen Haftpflichtversicherungen
abschließen .
Ich halte es nicht zuletzt im Sinne der Gleichbehand-
lung der „freien“ Berufe allerdings für zwingend gebo-
ten, in einem zweiten Schritt nun auch für die anderen
Berufsgruppen in diesem Bereich zügig Rechtsklarheit
zu schaffen . Ich widerspreche damit explizit der Auffas-
sung des Bundesjustizministeriums, welches hinsichtlich
der Urteile des Bundessozialgerichts vom 3 . April 2014
bei der Altersvorsorge von angestellten Angehörigen
freier Berufe, wie etwa Architekten oder Apothekern,
keinen Änderungsbedarf zu erkennen vermag .
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung
der Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 20. November 2013
zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über
die Anerkennung von Berufsqualifikationen und
der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Ver-
waltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnen-
markt-Informationssystems („IMI-Verordnung“)
für bundesrechtlich geregelte Heilberufe und an-
dere Berufe (Tagesordnungspunkt 17)
Ute Bertram (CDU/CSU): Herr Kollege Henke hat ja
schon erklärt, dass mit dem Gesetzentwurf die EU-Richt-
linie 2013/55/EU über die Anerkennung von Berufsqua-
lifikationen in deutsches Recht umgesetzt werden soll.
Und da diese Umsetzung bis zum 18 . Januar 2016 er-
folgen muss, ist es angesichts der Zeitknappheit richtig,
sich bei diesem Gesetz konsequent auf eine „Eins-zu-
eins“-Umsetzung zu beschränken . Ergänzungswünsche,
die zwingend zu weiteren Beratungsabläufen führen
würden, müssen jetzt zurückstehen . Sie laufen uns ja
auch nicht weg .
Lassen Sie mich einen Teilaspekt hierzu herausgrei-
fen, nämlich beim sogenannten partiellen Berufszugang
bei den bundesrechtlich geregelten Heilberufen, der al-
lein bei den Psychologischen Psychotherapeuten und den
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in Betracht
kommt . Er gilt aber auch für die im MTA-Gesetz gere-
gelten Berufe .
Worum geht es?
Der partielle Berufszugang ist eine zusätzliche Mög-
lichkeit, einen Berufszugang in einem EU-Mitgliedstaat
zu erlangen . Vorrangig bleibt grundsätzlich der volle Be-
rufszugang .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14493
(A) (C)
(B) (D)
Der partielle Berufszugang erlaubt Antragstellern aus
den anderen EU-Staaten, den anderen Vertragsstaaten
des Abkommens und der Schweiz, die in ihrem Her-
kunftsstaat für die entsprechende berufliche Tätigkeit
qualifiziert sind, den Zugang für ihren Beruf in Deutsch-
land . Wenn deren Ausbildung nur einen Teil des Berufs-
bildes in Deutschland umfasst, erhalten sie den Zugang
auch nur zu diesem Teil des Berufs . Für einen vollen Be-
rufszugang wären hingegen sogenannte Ausgleichsmaß-
nahmen im Umfang des vollständigen Ausbildungspro-
gramms erforderlich .
Grundsätzlich gilt: Den vollen Berufszugang können
Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten aus Herkunftsmitglied-
staaten in Deutschland nur erhalten, wenn ihre in einem
anderen Land erworbene Qualifikation keine wesentli-
chen Unterschiede zur deutschen Ausbildung aufweist
oder wenn bestehende wesentliche Ausbildungsunter-
schiede durch Ausgleichsmaßnahmen ausgeglichen wer-
den können .
Die Psychologen- und Psychotherapeutenberufe sind
in den Mitgliedstaaten der EU sehr unterschiedlich regle-
mentiert . So entspricht dem Berufsbild des deutschen
Psychotherapeuten in vielen Mitgliedstaaten das Berufs-
bild des Gesundheits- oder Klinischen Psychologen . Den
Berufstitel „Psychotherapeut“ gibt es nur in neun Mit-
gliedstaaten .
Ob die Ausbildungen in den Mitgliedstaaten in den
Teilbereichen wesentliche Unterschiede zu den entspre-
chenden Teilbereichen der Psychotherapie-Ausbildung
in Deutschland enthalten oder nicht, darüber urteilen die
zuständigen Behörden der Länder dann anhand eines ge-
nauen Vergleichs der Ausbildungsinhalte .
Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten werden also nicht aus-
gegrenzt, sondern erhalten eine zusätzliche Möglichkeit,
ihren Beruf hierzulande auszuüben .
Aber auch ein partieller Berufszugang wird nur dann
gewährt, wenn die Ausbildung in dem Teil, für den der
partielle Zugang gewährt werden soll, keine wesentli-
chen Unterschiede zu dem entsprechenden Teil der deut-
schen Ausbildung aufweist .
Es wird damit – entgegen anderslautenden Befürch-
tungen aus den Reihen des Berufsstandes – zu keiner
„Erosion von Qualifikationsstandards“ kommen.
Die Befürchtung, dass die Qualität des Berufsstan-
des nicht gehalten werden kann, wenn der behandelnde
Psychotherapeut die deutsche Sprache nicht als Mutter-
sprache spricht, halte ich für kein durchschlagendes Ar-
gument:
Nach den letzten verfügbaren Zahlen der EU-Kom-
mission von 2012 gab es in Deutschland nur ganze 19 An-
träge auf Anerkennung einer Psychotherapeuten-Berufs-
qualifikation aus einem anderen EU-Mitgliedstaat; alle
Anträge wurden genehmigt . Und bei den Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten gab es nach den letzten
Zahlen von 2011 sage und schreibe nur einen einzigen
Fall . Und der wurde auch genehmigt .
Im Zusammenhang mit der psychotherapeutischen
Erstversorgung von Flüchtlingen, bei der es sich ja nicht
um Einzelfälle handelt, sondern um die Versorgung von
Tausenden – wie viele genau, darüber streiten wir noch
an anderer Stelle –, da bereitet die Überwindung sprach-
licher Barrieren mithilfe von sogenannten Sprachmittlern
offenbar keine Probleme, sofern der Bund dafür zahlt .
Der partielle Berufszugang rundet also in einer be-
stimmten und vom Umfang her sehr überschaubaren
Konstellation einen Bereich ab, wo der volle Berufs-
zugang nicht gewährt werden kann . Er bildet ein klei-
nes – ein ganz kleines – zusätzliches Stück an mehr Frei-
zügigkeit in der Europäischen Union, was ja in unseren
heutigen krisengeschüttelten Zeiten fast schon wieder
etwas Besonderes ist .
Bitte stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu .
Rudolf Henke (CDU/CSU): Mit dem von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetz zur Umsetzung der
Änderung der Europäischen Berufsanerkennungsrichtli-
nie greifen wir heute die dazu getroffenen Entscheidun-
gen des Europäischen Parlaments und des Rates vom No-
vember 2013 auf, so wie im Koalitionsvertrag vereinbart .
Das Gesetz ist ein weiterer Baustein hin zu mehr Mo-
bilität und Freizügigkeit von qualifizierten Fachkräften
auf dem europäischen Binnenmarkt .
Die Debatte zur Gestaltung der Europäischen Richtli-
nie haben wir im Wesentlichen bereits in der vergange-
nen Legislaturperiode geführt .
Manche unserer damals formulierten Forderungen
finden sich nun in diesem Gesetz wieder. Manche For-
derungen haben auch dazu geführt, dass ursprüngliche
Pläne aus dem Grünbuch der Europäischen Kommission
wieder gestrichen wurden; ich nenne nur das Abitur als
Voraussetzung für den Zugang zu den Berufen der Kran-
kenpflege.
Das ist ein Erfolg unserer Arbeit und zeigt einmal
mehr, dass sich langer Atem bezahlt macht – wenn auch
nicht zwingend unmittelbar .
Die meisten der Neuregelungen betreffen die regle-
mentierten Heilberufe, die Steuerberater kommen hinzu,
vermutlich, weil sich deren Arbeit auf die Schmerzlin-
derung an einem der empfindlichsten Körperteile vieler
Menschen bezieht, dem Portemonnaie .
Dabei folgen wir dem Leitgedanken, dass dafür hil-
fesuchende Bürger darauf vertrauen können, von einem
Steuerberater umfassend und kompetent beraten zu wer-
den . Die Möglichkeit massiver negativer materieller
und immaterieller Folgen im Falle einer unzureichen-
den Steuerberatung hält uns davon ab, unsere Bürger
von Angehörigen steuerberatender Berufe aus anderen
EU-Staaten beraten zu lassen, bei denen keiner weiß, ob
Kenntnisse und Befugnisse auch nur im Geringsten dem
Beratungsbedarf entsprechen .
In erster Linie soll der vorliegende Gesetzentwurf den
Berufszugang europaweit vereinfachen und beschleuni-
gen . Zudem werden Mindestanforderungen an die Aus-
bildung festgelegt .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514494
(A) (C)
(B) (D)
Die Freizügigkeit in der Europäischen Union ermög-
licht es jedem EU-Bürger, selbst zu entscheiden, in wel-
chem EU-Land er sich niederlassen möchte . Das führt zu
einer stetigen Zunahme der Migration von Fachkräften,
von der auch unser Land grundsätzlich profitiert.
Gleichwohl dürfen wir speziell in den Heilberufen die
hohen Ausbildungsstandards nicht aufgeben . Patientin-
nen und Patienten sollen sich darauf verlassen können,
dass sie eine medizinische Behandlung oder Beratung
auf höchstem Niveau erhalten . Wichtig ist, dass sich dar-
an auch zukünftig nichts ändert .
Deshalb ist bei allen wesentlichen Unterschieden der
Ausbildung eine Anpassung an die in unserem Land
geltenden Standards erforderlich . Das ist etwa dann der
Fall, wenn Kenntnisse beim Antragsteller fehlen, die eine
wesentliche Voraussetzung für die Ausübung des Berufs
sind, und die Ausbildung des Antragstellers gegenüber
der deutschen Ausbildung wesentliche Abweichungen
aufweist .
Das Gesetz bietet für die Psychologischen Psycho-
therapeuten und Psychologischen Kinder- und Jugendli-
chenpsychotherapeuten und für Medizinisch-technische
Assistenten (MTA) und ähnliche Berufe die Möglichkeit
eines partiellen Berufszugangs .
Bei diesen Berufen kommt eine automatische Aner-
kennung nicht zum Zuge, weil es keine koordinierten
Mindestausbildungsanforderungen gibt . Wir achten aber
darauf, dass nur diejenigen in Deutschland tätig werden,
die unseren hohen Anforderungen gerecht werden kön-
nen, gegebenenfalls unter Hinweis auf ihren im Ausland
absolvierten Bildungsgang .
Für Apotheker, Ärzte, Zahnärzte, Hebammen und
Gesundheits- und Krankenpfleger ist ein partieller Be-
rufszugang aufgrund des Prinzips der automatischen
Anerkennung auf Grundlage koordinierter Mindestaus-
bildungsanforderungen ausgeschlossen – auch das war
2011 eine Forderung unserer Fraktion im Rahmen der
Debatte über das Grünbuch .
Bei den Apothekern hat es einen gewissen Diskussi-
onsbedarf gegeben . Die Verwendung des Wortes „insbe-
sondere“ in § 2 Absatz 3 der Bundes-Apothekerordnung
stellt nun aber sicher, dass sich der Beruf des Apothekers
nicht ausschließlich auf pharmazeutische Tätigkeiten
beschränkt . Es ist nun Aufgabe der Landesapotheker-
kammern, zu definieren, welche weiteren Tätigkeiten ein
Apotheker ausüben darf .
In Verbindung mit dem Arbeitsauftrag aus den Heil-
berufsgesetzen der Länder bietet der Gesetzentwurf eine
hinreichende Sicherheit dafür, dass es nicht zu zwei pa-
rallelen Tätigkeitsgebieten, einem innerhalb und einem
außerhalb der EU-Richtlinie, kommt und davon eines
beispielsweise bei der Befreiungsentscheidung zu den
Versorgungswerken nicht berücksichtigt wird .
Das Gesetz, das wir heute verabschieden, bringt die
Einführung des Europäischen Berufsausweises, der für
die Berufsgruppen der Apotheker, Gesundheits- und
Krankenpfleger sowie Physiotherapeuten bereits in die-
sem Jahr von der EU-Kommission beschlossen wurde .
Für Ärzte, spezialisierte Krankenpfleger und speziali-
sierte Apotheker wird die Einführung derzeit geprüft und
soll in einer nächsten Phase umgesetzt werden .
Der Ausweis wird Berufsangehörigen ausgestellt, die
in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in einem der genann-
ten Fachbereiche zugelassen sind .
Die antragstellende Person hat künftig die Wahl zwi-
schen dem neuen elektronischen Verfahren zur Anerken-
nung ihrer Berufsqualifikation und dem herkömmlichen
Anerkennungsverfahren .
Das Ziel ist es, Bürokratie abzubauen und zeitgleich
Transparenz sowie einheitliche Bedingungen für eine
Zulassung zu schaffen .
Zudem sollen Mitgliedstaaten durch das Binnen-
markt-Informationssystem „IMI“ über Verstöße infor-
miert werden, die zu einem teilweisen oder vollständigen
Berufsausübungsverbot geführt haben .
Wir begrüßen diesen Schritt ausdrücklich, denn für
Personen, die auf Kosten von Patienten und gesamten
Berufsgruppen bewusst täuschen oder aus gewichtigen
Gründen nach einer gerichtlichen Entscheidung ihre Tä-
tigkeit gar nicht mehr oder nur partiell ausüben dürfen,
darf es in Deutschland keinen Berufszugang geben, als
ob nichts passiert wäre .
Dazu ist es unerlässlich, dass die in unserem Land
zuständigen Behörden, im Regelfall also die Bezirks-
regierungen, über solche Verstöße und Vorkommnisse
informiert werden . Das Ministerium hat im Ausschuss
dargelegt, dass dies automatisch der Fall sein wird .
Die Einführung dieses Vorwarnmechanismus ist mit
spezifischen Unterrichtungspflichten gegenüber allen
EU-Mitgliedstaaten verknüpft . Wie immer bei solchen
Systemen können sie nur wirksam sein, wenn sich alle an
die getroffenen Vereinbarungen halten .
Leisten wir also unseren Beitrag und sorgen wir dafür,
dass die Umsetzung vorankommt und wir alle von einem
wirkungsvollen Binnenmarkt-Informationssystem profi-
tieren können .
Meine Fraktion stimmt dem Gesetz zu .
Bettina Müller (SPD): Die Freizügigkeit für Arbeit-
nehmer und Angehörige der freien Berufe innerhalb der
Europäischen Union ist ein Kernaspekt des europäischen
Gedankens . Wer seinen Wohnort innerhalb der EU frei
wählen kann, der muss selbstverständlich auch seinen
erlernten Beruf dort ausüben können, wo sein Lebens-
mittelpunkt ist .
Das war natürlich auch schon bislang möglich . Aber
mit dem vorliegenden Gesetzespaket soll es für die An-
gehörigen der Gesundheitsberufe und für die Steuerbe-
rater weiter erleichtert werden . Dazu wurden schon in
den zurückliegenden Jahren Vorarbeiten geleistet und die
jeweiligen berufsrechtlichen Regelungen der europäi-
schen Mitgliedstaaten weitgehend harmonisiert und Min-
destanforderungen an die jeweilige Ausbildung geregelt .
Das Europäische Parlament und der Europäische Rat
haben Ende November 2013 eine weitere Hürde abge-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14495
(A) (C)
(B) (D)
senkt, die die Ausübungs- und Niederlassungsfreiheit für
die Gesundheitsberufe immer noch etwas behindert hat:
nämlich die aufwendigen, bürokratischen und langen An-
erkennungsverfahren .
Mit Einführung des Europäischen Berufsausweises
wird die Anerkennung eines erlernten Gesundheitsberu-
fes außerhalb des Heimatlandes künftig einfacher sein .
Der EBA ist dabei im Wesentlichen ein rein elektroni-
sches Verfahren, bei dem die erforderlichen Nachweise
in einem Datenbanksystem verzeichnet werden . Auf die-
ses System haben alle Mitgliedstaaten Zugriff . Es ist die
Voraussetzung, um die auch weiterhin notwendige An-
erkennung der Berufsqualifikationen in den Zielstaaten
weitgehend zu automatisieren und zu beschleunigen .
Das elektronische System und insbesondere die Nut-
zung des IMI-Systems werden die Anerkennungsverfah-
ren erheblich beschleunigen, effizienter machen – und
sie sorgen zudem für mehr Sicherheit . Denn der elekt-
ronische Informationskanal des IMI-Systems macht es
möglich, im Rahmen eines sogenannten Vorwarnsystems
„schwarze Schafe“ eines Berufsstandes kenntlich zu ma-
chen und damit den Missbrauch des EBA zu unterbinden .
Künftig sollen Informationen über Berufsangehörige,
die zu Sanktionen, zu Einschränkungen oder sogar zum
Verbot der Berufsausübung führen können, innerhalb von
drei Tagen in das Datenbanksystem eingepflegt werden.
Die Effizienz dieses Informationsaustausches ist ja
offenbar so hoch, dass der Bundesrat in seiner Stellung-
nahme die Einbeziehung der Bundesländer gefordert hat,
weil sich offenbar der Informationsaustausch zwischen
den Ländern hier etwas schleppender vollzieht .
Wir sollten den Einwand des Bundesrates zum Anlass
nehmen, hier trotz der vereinbarten Eins-zu-eins-Umset-
zung noch einmal nachzuschauen und gegebenenfalls
auch nachzuregeln . Es wäre schon sehr unbefriedigend,
wenn der Informationsfluss etwa von Portugal nach
Deutschland effizienter vonstattenginge als zwischen
Schleswig-Holstein und Hessen .
Denn grundsätzlich gilt: Die Gesundheitsberufe erfor-
dern eine besondere Sorgfalt bei der Anerkennung . Die
Sicherheit und Qualität einer medizinischen, psychothe-
rapeutischen, heilkundlichen oder pflegerischen Behand-
lung muss auch weiterhin oberste Priorität haben .
Insofern sind die sorgfältige Prüfung der vorliegenden
Zugangsvoraussetzungen, die Abfrage über vorliegende
Sanktionen, aber auch die in den Gesundheitsberufen
wichtige sprachliche Qualifikation von großer Wichtig-
keit .
Es gilt aber auch: Den Angehörigen der Gesundheits-
berufe muss die Ausübung ihres Berufes europaweit
möglich sein . Die Freizügigkeit darf gegenüber anderen
Berufsfeldern nicht eingeschränkt sein . Gerade Deutsch-
land braucht angesichts des Fachkräftemangels in nahezu
allen Bereichen unseres Gesundheitssystems den Zuzug
von gut ausgebildeten Pflegerinnen und anderen Fach-
kräften .
Mit dem vorliegenden Gesetzespaket wird all dem
Rechnung getragen und die im Koalitionsvertrag ver-
einbarte Eins-zu-eins-Umsetzung vorgenommen . Im Be-
reich der Krankenpflege und der Altenpflege werden die
in den geltenden Berufsgesetzen geänderten Regelungen
im nächsten Jahr in das Pflegeberufegesetz übertragen.
Damit wird auch die künftige generalistische Ausbildung
den EU-Vorgaben entsprechen .
Zeitgleich beschäftigen sich die Länderparlamente
mit der Umsetzung für die Berufe in Länderzuständig-
keit . Insofern ist davon auszugehen, dass Deutschland
die von der EU vorgegebene Umsetzungsfrist 18 . Januar
2016 erfüllen wird .
Im Vorfeld wurde von verschiedenen Seiten die Ein-
beziehung der Apotheker, die nicht in einer Apotheke
arbeiten, in den EBA gefordert . Neben dem Bundesrat
in seiner Stellungnahme waren hier vor allem auch die
Apothekerkammern sehr rührig .
Es ist schade, dass wegen der Festlegung auf eine
Eins-zu-eins-Umsetzung hier keine Änderung vorge-
nommen wurde . Aus meiner Sicht wäre das unproblema-
tisch gewesen . Die Ankündigung der Bundesregierung in
ihrer Gegenäußerung, dass die Änderung später in einem
anderen Gesetz erfolgen soll, ist aber ausdrücklich zu be-
grüßen .
Dann würde ich mir aber auch wünschen, hier ein grö-
ßeres Paket zu schnüren . Denn außer den EBA für eine
weitere Apothekergruppe zu öffnen, müsste aus meiner
Sicht zum Beispiel dringend das noch von 1968 stam-
mende PTA-Gesetz novelliert werden .
Den deutschen PTA mit ihrem völlig veralteten Be-
rufsgesetz wird der EBA wenig helfen . Es sieht noch eine
zweieinhalbjährige Ausbildung vor, während alle ande-
ren Gesundheitsfachberufe heute drei Jahre haben . Auch
die Ausbildungsinhalte müssen modernisiert werden .
Die Beratungsleistung in den Apotheken ist verbes-
serungswürdig, der Fachkräfte- und Nachwuchsmangel
stellt Apotheken vor Probleme . Aus meiner Sicht sollte
die überfällige Novellierung des PTA-Gesetzes daher
nicht erneut hinausgeschoben werden, wenn man ande-
rerseits für die Apotheker wegen des EBA Sonderrege-
lungen ins Auge fasst . Beides gehört für mich zusammen .
Im Frühjahr 2016 werden wir ja über die akademische
Ausbildung in den Gesundheitsberufen zu entscheiden
haben, es stehen Gespräche über Verbesserungen bei den
Heilmittelerbringern an . Ich nenne hier auch noch das
ausstehende OTA/ATA-Gesetz .
Wenn man das alles zu einem Paket schnürt, kann der
Gesetzgeber deutlich machen, dass ihm auch die Ge-
sundheitsfachberufe am Herzen liegen .
Die heutige Umsetzung des Europäischen Berufsaus-
weises ist dazu ein erster und wichtiger Schritt .
Birgit Wöllert (DIE LINKE): Wir haben heute über
ein Gesetz zu befinden, das eine EU-Richtlinie in nati-
onales Recht umsetzt, wobei dies, um Probleme zu ver-
meiden, bis 18 . Januar 2016 zu geschehen hat . Für die
Erarbeitung hatte die Bundesregierung allerdings seit
Anfang 2014 Zeit . Warum es ohne Not und Verschulden
von Dritten – salopp gesagt – jetzt „auf den letzten Pfiff“
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514496
(A) (C)
(B) (D)
kommt, ist mir nicht nachvollziehbar . Vielleicht äußert
sich ja die Bundesregierung oder die Koalition dazu .
Die EU-Richtlinie legt als Voraussetzung für die ge-
genseitige Anerkennung Mindestanforderungen fest, die
in nationale Regelungen zu überführen sind . Diese sind
bei allen bundesrechtlich geregelten Heilberufen um-
zusetzen . Eine Vollharmonisierung ist allerdings nicht
vorgeschrieben, sodass die einzelnen Länder die Anfor-
derungen über-, aber nicht unterschreiten dürfen, wenn
eine europaweite Anerkennung der Berufsqualifikation
gewünscht wird . Die Gestaltungshoheit der Mitgliedstaa-
ten in Ausbildungsfragen bleibt also trotz des Gesetzent-
wurfes erhalten .
Dies ist aus Sicht der Beschäftigten zu begrüßen .
Auch bietet der vorgelegte Gesetzentwurf die Voraus-
setzung für eine europaweite Berufstätigkeit ohne auf-
wendige individuelle Anerkennungsverfahren . Denn die
Ausbildungsgänge sind vor allem in den Heilberufen eu-
ropaweit sehr unterschiedlich . Unabhängig davon, ob die
einzelnen Länder einen akademischen Ausbildungsgang
oder eine berufliche Ausbildung vorschreiben, kann so
eine unkomplizierte gegenseitige Anerkennung erfolgen .
Gleiche Zugangschancen zu Bildung und Beschäftigung
sowie die Freizügigkeit sind ein hohes Gut in einem sich
entwickelnden Binnenmarkt . Künftig wird der Bedarf an
qualifizierten Pflegefachkräften und Gesundheitsberufen
weiter steigen . Deshalb sind Maßnahmen erforderlich,
die sicherstellen, dass sich auch weiterhin junge Men-
schen für die professionelle Pflege begeistern oder sich
für eine Ausbildung in den entsprechenden Heilberufen
entscheiden .
Damit auch die bundesdeutsche Altenpflegeausbil-
dung europaweit anerkannt werden kann, muss die Bun-
desregierung endlich das lang angekündigte und umstrit-
tene Pflegeberufegesetz so auf den Weg bringen, dass es
beschlossen werden kann . Zurzeit streiten nicht nur die
Koalitionsfraktionen, sondern auch die beteiligten Mi-
nisterien . Das Gleiche gilt bei der Säuglings- und Kin-
derkrankenpflegeausbildung.
Ein letzter kritischer Hinweis: Der Bundesverband
der Apothekerverbände (ABDA) wendet sich gegen die
strikte Übernahme der Formulierung aus der EU-Richt-
linie in die Bundes-Apothekerordnung und das Apothe-
kengesetz . Die ABDA weist darauf hin, dass damit der
Aspekt des Tätigkeitsorts vernachlässigt wird und wich-
tige Tätigkeitsfelder in Forschung und Wissenschaft
fehlen . Auch der Bundesrat unterstützt die Initiative der
Apotheker, das Tätigkeitsfeld zu aktualisieren . Aus un-
serer Sicht ist es bedauerlich, dass diese Vorschläge jetzt
nicht aufgegriffen wurden . Wir sind für eine möglichst
schnelle bundesgesetzliche Regelung .
Meine Fraktion stimmt diesem Gesetzentwurf zu .
Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Die Pflege und die Heilberufe sichern weite Teile
unserer Versorgung .
In der Pflege herrscht – genau wie in vielen anderen
Gesundheitsberufen – Fachkräftemangel . Wir brauchen
dringend qualifiziertes Personal. Darum halte ich es für
ein wichtiges Anliegen, die gegenseitige europäische An-
erkennung von Berufsqualifikationen in Heilberufen zu
vereinfachen . Eine Vereinfachung und Beschleunigung
der Bürokratie hilft den Menschen aus anderen EU-Staa-
ten, die eine Berufsausbildung haben und gern arbeiten
wollen . Diese Vereinfachung bringt für uns große Vor-
teile: keine langwierigen Anerkennungsverfahren, keine
Warterei auf die Anerkennung . Künftig gibt es den Euro-
päischen Berufsausweis .
Für Betrüger wird es schwieriger, ungestört einen
Beruf auszuüben, für den sie nicht qualifiziert sind und
damit andere gefährden . Durch einen Vorwarnmecha-
nismus werden Angehörige von Heilberufen, von denen
eine Gefahr für die Patienten ausgeht, schnell europaweit
identifiziert. Ihnen wird die Berufsausübung verboten.
Das heißt, dass sie auch nicht einfach in einem anderen
Land erneut tätig werden können . Auch gefälschte Be-
rufsqualifikationen sollen europaweit gemeldet werden.
Auf dem Papier klingt das alles perfekt . Ob die An-
erkennung von Berufsabschlüssen mit diesen Regelun-
gen aber wirklich vereinfacht und beschleunigt wird, das
steht in den Sternen . Der Europäische Berufsausweis
zum Beispiel ist in der Realität kein Dokument . Es ist nur
ein Verfahren zur Berufsanerkennung mit einem griffi-
gen Namen . Darum ist es schade, dass der Gesetzentwurf
keinerlei nationale Evaluation der Regelungen vorsieht .
Auf EU-Ebene ist das durchaus geplant: Zum ersten Mal
bis 2019 und dann alle fünf Jahre soll es einen Bericht
über die Durchführung der Richtlinie geben .
Das reicht aber nicht . Wir brauchen aber auch eine na-
tionale Evaluation . Und die brauchen wir innerhalb der
ersten beiden Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie . Wir
dürfen keine Zeit vergeuden . Wir können es uns nicht
leisten, dass Regelungen möglicherweise in die falsche
Richtung laufen .
Es ist ein guter Anfang, aber wir müssen den Blick
weiten .
Zurzeit kommen so viele Flüchtlinge nach Deutsch-
land wie nie zuvor . Sie kommen nicht aus der Europä-
ischen Union . Gerade für diese Menschen wäre eine
schnelle Integration in den Arbeitsmarkt besonders hilf-
reich . Darum sollten wir über den europäischen Rahmen
hinausdenken . Wir sollten uns auch für Menschen aus
Drittstaaten unbürokratische Anerkennungsregelungen
überlegen . Die Richtlinie kann hier durchaus Anregun-
gen liefern .
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verbesserung der Registrierung und des
Datenaustausches zu aufenthalts- und asylrechtli-
chen Zwecken (Datenaustauschverbesserungsge-
setz) (Tagesordnungspunkt 19)
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14497
(A) (C)
(B) (D)
Nina Warken (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf ergreifen wir weitere Maßnahmen, um
den täglichen Zustrom von Schutzsuchenden besser be-
wältigen zu können . Der Fokus liegt dabei auf einer Ord-
nung und Steuerung und vor allem auf einer deutlichen
Beschleunigung der Registrierung . Das ist es, was die
Menschen in Deutschland von uns erwarten, und das ist
der Kurs, den wir gemeinsam weiterverfolgen müssen .
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtiger Bau-
stein für diesen Kurs . Er stellt sicher, dass alle Asylbe-
werber und unerlaubt eingereiste Personen zweifelsfrei
mit biometrischen Daten und früher als bisher registriert
werden . Neben der Bundespolizei und dem Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge werden dazu künftig auch
die Aufnahmeeinrichtungen, Ausländerbehörden und
Polizeien der Länder in der Lage sein . Die Daten stehen
anschließend allen Behörden, die am Asylverfahren mit-
wirken, in einem gemeinsamen System zur Verfügung
und können von ihnen auch aktualisiert werden .
Dass die Opposition nun versucht, gegen diese abso-
lut notwendigen Maßnahmen zu argumentieren, kann ich
überhaupt nicht nachvollziehen, und ich sage Ihnen: Die
Menschen in Deutschland verstehen das ebenso wenig .
Angesichts der aktuellen Lage, in der immer noch täglich
Tausende Flüchtlinge zu uns kommen, ist es geradezu
grotesk, dass die Linke fordert, es sollten künftig doch
lieber weniger Daten erfasst werden, denn man wolle ja
keinen „gläsernen Flüchtling“ .
Wir müssen und wollen wissen, wer in unser Land
kommt und wer sich bei uns aufhält . Das ist im Hinblick
auf die innere Sicherheit und potenzielle Gefährder uner-
lässlich . Es ist doch bizarr, zu glauben, dass die unkon-
trollierten Migrationsströme nicht auch von Terroristen
und Kriminellen für ihre Zwecke missbraucht werden .
Wer die geplante Registrierung und Überprüfung von
Personen, die immerhin unerlaubt in unser Land kom-
men, kritisiert beziehungsweise ablehnt, spielt damit po-
tentiellen Gefährdern in die Hände .
Ebenso wichtig ist es, zu wissen, wer die zu uns kom-
menden Flüchtlinge sind und woher sie kommen, und
wir wollen entscheiden können, wo ihr Asylverfahren
durchgeführt wird .
Dafür brauchen wir eine zügige und zweifelsfreie
Registrierung, um die Flüchtlingsströme zu ordnen und
auch um so bald wie möglich zu einer gerechten Vertei-
lung in Europa zu kommen . Bei der Registrierung darf
es deshalb keine Ausnahmen und Verzögerungen geben .
Ein weiterer wichtiger Vorteil, den das neue Gesetz
mit sich bringt, ist der schnellere Datenaustausch und
Identitätsabgleich . Die Bundesagentur für Arbeit kann
so zum Beispiel bei bleibeberechtigten Flüchtlingen vor-
handene Schuldbildung und Qualifikationen abrufen und
sie dadurch leichter in den Arbeitsmarkt integrieren . Da-
mit das funktioniert, müssen natürlich auch diese Daten
bei der Ankunft erhoben werden . Auch hier verstehe ich
nicht, wie sich die Opposition gegen etwas aussprechen
kann, womit wir den Flüchtlingen helfen wollen .
Auf der anderen Seite sehen die Ausländerbehörden
bei abgelehnten Asylbewerbern sofort, wer ausreise-
pflichtig ist, wem dadurch nur noch eingeschränkte Leis-
tungen zustehen, und kann zügig die Rückführung einlei-
ten . Das Datenaustauschverbesserungsgesetz trägt somit
zu einer besseren Steuerung und zur Beschleunigung der
Asylverfahren bei . Wir schaffen damit weitere wichtige
Voraussetzungen für eine zügigere Integration, aber auch
für eine zügige Rückführung .
Schließlich hilft das neue Gesetz auch, gegen Asyl-
missbrauch vorzugehen, und ist ein klares Signal, dass
die geltenden Regeln eingehalten werden müssen . Leis-
tungen erhält künftig nur noch, wer registriert wurde und
einen gültigen Ankunftsnachweis vorweisen kann .
Dadurch wird es zum Beispiel unmöglich, doppelt
Leistungen an unterschiedlichen Orten zu beantragen .
Selbst wenn jemand den Ankunftsnachweis wegwirft,
kann anhand des Fingerabdrucks überprüft werden, ob
der Betroffene bereits registriert wurde und irgendwo
in Deutschland Leistungen erhält . Ebenso kann so sehr
leicht festgestellt werden, ob gegen die Person ein Wie-
dereinreiseverbot verhängt wurde und die Abschiebung
erfolgen muss . Dem Asylmissbrauch wirken wir so ent-
schieden entgegen . Auch das wird, neben zügigeren Ab-
schiebungen, dazu beitragen, dass die Asylbewerberzah-
len in Deutschland zurückgehen werden .
Wir blicken auf ein turbulentes und sicherlich kein
einfaches Jahr zurück, das unserem Land große Kraftan-
strengungen abverlangt hat . Diese werden wir angesichts
der anhaltenden Flüchtlingskrise und der terroristischen
Bedrohung auch im kommenden Jahr aufbringen müs-
sen .
Als Koalition konnten wir mit den Gesetzen zur Ter-
rorismusbekämpfung und mit den Reformen im Asyl-
bereich bereits einige entscheidende Weichen für die
Sicherheit in Deutschland und zur Bewältigung der
Flüchtlingskrise stellen . Lassen Sie uns diesen Kurs mit
dem Datenaustauschverbesserungsgesetz fortsetzen .
Denn die Menschen in Deutschland erwarten zu Recht,
dass unser Land handlungsfähig bleibt und wir die He-
rausforderungen meistern, auch wenn sie noch so groß
sind .
Lassen Sie uns deshalb die Beratungen zu diesem Ge-
setz zügig abschließen, damit es so bald wie möglich in
Kraft treten kann .
Dr. Lars Castellucci (SPD): Wir beraten heute in
erster Lesung den Gesetzentwurf zur Verbesserung des
Datenaustausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen
Zwecken . Ein sperriger Titel, aber ein wichtiges Gesetz,
das wir eigentlich schon deutlich früher hätten auf den
Weg bringen müssen . Denn die schiere Zahl der Asyl-
bewerberinnen und -bewerber, die in den vergangenen
Monaten in unser Land gekommen sind, haben uns vor
große Herausforderungen gestellt . Immer wieder muss-
ten wir sehen, dass die Verfahren, die sich in den letzten
20 Jahren mehr schlecht als recht eingespielt hatten, in
der Krise nicht mehr funktionierten und auch nicht mehr
funktionieren konnten . Engpässe haben den Berg der
Asylanträge immer weiter anschwellen lassen . Prozesse
und Verfahren, die über Jahre funktioniert haben, waren
und sind den aktuellen Anforderungen nicht gewachsen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514498
(A) (C)
(B) (D)
Das Sparen am Personal hat sich auf Bundes- und Lan-
desebene als fatal erwiesen, denn in der Krise waren kei-
ne Reserven mehr vorhanden .
Wir alle haben in den letzten Monaten viel über das
Asylsystem und die Verfahrensabläufe gelernt . Es war
nun hohe Zeit, dass der Gesetzgeber – also wir hier im
Bundestag − daraus die Lehren ziehen und ausreichend
Personal- und Sachmittel bereitstellen, um der großen
Aufgabe Herr zu werden . Zum Teil müssen wir daran
noch arbeiten, um Schwachstellen zu identifizieren und
zu überwinden .
An einer dieser Schwachstellen setzt das heute in
Rede stehende Gesetz an . Im Kern geht es uns beim Da-
tenaustauschverbesserungsgesetz um drei Punkte .
Wir wollen erstens eine deutliche Verbesserung bei der
Datenerhebung erreichen . Dazu werden wir den Anwen-
dungsbereich des Ausländerzentralregister-Gesetzes mit
vorliegendem Gesetz in nicht unerheblicher Weise aus-
dehnen . Schon heute werden zum Beispiel Namen, Ge-
burtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit etc . im Aus-
länderzentralregister gespeichert . Neu sollen nun zum
Beispiel hinzukommen: Fingerabdrücke, Herkunftsland,
Kontaktdaten zur schnellen Erreichbarkeit und Infor-
mationen zu erfolgten Gesundheitsuntersuchungen und
Impfungen. Zudem werden die Qualifikationen erfasst,
die die Asylsuchenden mitbringen . Dies scheint mir von
besonderer Relevanz zu sein, wenn wir so schnell wie
möglich in den Integrationsprozess einsteigen wollen .
Und das müssen wir, Integration muss vom ersten Tag an
begonnen werden .
Als zweiten Punkt nehmen wir die Verbesserung des
Datenaustauschs in den Blick . Auch hier lag einiges im
Argen . In vielen Fällen konnte von den zuständigen Stel-
len nicht oder nur unzureichend auf die schon erhobe-
nen Daten zurückgegriffen werden . Manche Flüchtlinge
wurden mehrfach registriert, andere gar nicht . Die Daten,
die bei der Registrierung erfasst wurden, waren nicht
kompatibel mit den Datenerfassungen der unterschiedli-
chen Stellen, sodass Bundespolizei, BAMF, Agentur für
Arbeit etc . die Daten nochmals erheben mussten . Zudem
wurden die Daten von den verschiedenen Stellen, die mit
der Aufnahme von Flüchtlingen betraut sind, auf unter-
schiedliche Art und Weise erhoben . Hier war eine Verein-
heitlichung dringend geboten .
Mit dem vorliegenden Gesetz werden wir die Zu-
sammenarbeit und den Datenaustausch zwischen den
Sicherheitsbehörden, dem Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge, den Aufnahmeeinrichtungen, den Auslän-
derbehörden, den Asylbewerberleistungsbehörden, der
Bundesagentur für Arbeit, den für die Durchführung der
Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Stellen
sowie den Meldebehörden ermöglichen und stärken .
Schließlich komme ich zum Kernstück des vorliegen-
den Gesetzes: Die Einführung eines Ankunftsnachwei-
ses .
Dieser wird unverzüglich nach der erkennungsdienst-
lichen Behandlung ausgestellt und soll grundsätzlich
Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen und
die Stellung eines Asylantrages sein . Dies ist ein wich-
tiger und richtiger Schritt, um einerseits das Verfahren
zu straffen und andererseits mehrfache Registrierung zu
verhindern . Zudem bringen wir Ordnung ins Verfahren,
da auch die Schutzsuchenden ein Interesse daran haben
werden, einen solchen Ausweis zu erhalten . Denn nur so
sind sie berechtigt, Leistungen zu erhalten .
Schließlich können durch einen Sicherheitsabgleich
die Sicherheitsbehörden frühzeitig überprüfen, ob zu
einer Person terrorismusrelevante Erkenntnisse vorlie-
gen oder sonstige schwerwiegende Sicherheitsbedenken
bestehen . Dieser Sicherheitsabgleich soll unverzüglich
nach Speicherung der Daten im Kerndatensystem erfol-
gen .
Damit haben wir einen Zustand erreicht, der auf die
Dimension der Herausforderung angemessen reagiert .
In Zeiten von überschaubaren Zuwandererzahlen wären
ein solcher Datenaustausch und vor allem die Einführung
eines Ausweises sicher auch richtig gewesen . In der mo-
mentanen Situation waren die Regelungen überfällig, um
ein geordnetes Verfahren zu ermöglichen und damit auch
auf die Bedürfnisse der hier Schutzsuchenden reagieren
zu können .
Ich bin froh, dass wir mit dem vorliegenden Gesetz
ein gutes Stück vorankommen bei der Bewältigung der
Herausforderungen, vor die wir gestellt sind .
Noch schöner wäre es gewesen, wenn die Karte gleich
im „Plastikformat“ verfügbar gewesen wäre . Das hät-
te aber weitere Verzögerungen zur Folge gehabt, und
manchmal geht Schnelligkeit vor Schönheit – und die
Einführung des Ausweises duldete keinen weiteren Auf-
schub .
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung legt
einen Gesetzentwurf vor, der eine schnellere und flächen-
deckende Registrierung von Flüchtlingen sicherstellen
soll . Der wichtigste Bestandteil dieses Vorhabens besteht
darin, allen am Asylverfahren beteiligten Behörden den
raschen Zugriff auf einen zentralisierten Datenbestand zu
ermöglichen .
Die Linke ist sehr dafür, das Asylverfahren für alle
Beteiligten, also Antragsteller wie Behörden, zu verein-
fachen . Der Gesetzentwurf geht aber entschieden zu weit,
weil er mehr darauf setzt, einen „gläsernen Flüchtling“
zu schaffen als tatsächlich die Grundlagen für raschere
Verfahren zu schaffen .
Zur Umsetzung des Gesetzes wird das Ausländerzen-
tralregister erweitert . Dort werden zum einen sämtliche
Angaben gespeichert, die zur Abwicklung des Asylver-
fahrens dienen, also etwa die Personalien und das Her-
kunftsland des Antragstellers . In die Datei kommen aber
auch Fingerabdrücke, Angaben zu erfolgten Gesund-
heitsuntersuchungen und Impfungen – nicht zum Ge-
sundheitszustand – und Angaben über Schulbildung und
Berufsabschlüsse .
Es liegt auf der Hand, dass die letztgenannten Daten
mit dem eigentlichen Asylverfahren überhaupt nichts zu
tun haben . Dass Angaben zum Bildungsstand der Flücht-
linge gespeichert werden, begründet die Bundesregie-
rung damit, es sei für deren möglichst rasche Integration
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14499
(A) (C)
(B) (D)
nötig . Die Bundesagentur für Arbeit soll frühzeitig die
Angaben zum Asylverfahren abrufen können, um Rück-
schlüsse über die Bleibeperspektive ziehen zu können .
Danach bemisst sich dann zum Beispiel, ob jemand über-
haupt berechtigt ist, eine Arbeit aufzunehmen, und auch
die Chancen für die Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt
hängen von der Bleibeperspektive ab .
Daran zeigt sich ein Grundfehler dieses Gesetzes:
Es hält fest am falschen Prinzip, beim Zugang zu In-
tegrationsmaßnahmen zwischen aussichtsreichen und
vermeintlich aussichtslosen Asylsuchenden zu unter-
scheiden . Wer, auf Grundlage bloß statistischer Angaben,
„wahrscheinlich“ nicht lange bleiben darf, der bekommt
dann erst recht keine Arbeit vermittelt . Das ist ein ziem-
lich darwinistisches Prinzip . Die Linke fordert hingegen,
allen Flüchtlingen von Anfang an den Zugang zu Arbeit
und Integrationsmaßnahmen zu ermöglichen .
Das Gesetz sieht auch vor, zukünftig sämtliche Asyl-
suchenden, die aus bestimmten Herkunftsländern stam-
men, mit den Dateien von Polizei und Geheimdiensten
gegenzuchecken . Das betrifft sämtliche muslimisch ge-
prägten Länder . Damit werden faktisch alle Flüchtlinge
aus Ländern wie Afghanistan, Syrien und dem Irak und
vielen anderen unter Generalverdacht gestellt, Terroris-
ten oder sonstige Kriminelle zu sein .
Dabei gibt es überhaupt keine Berechtigung, einen
Menschen, der vor Krieg und Elend und Verfolgung
flieht, pauschal als Risiko für unsere Gesellschaft darzu-
stellen .
Abgesehen davon haben unsere Geheimdienste schon
viel zu viele Kompetenzen und pflegen einen fahrlässi-
gen Umgang mit privaten Daten von Bürgern . Es geht
komplett in die falsche Richtung, ihnen noch mehr Rech-
te einzuräumen . Stattdessen muss es wieder klargestellt
werden, dass Polizei und Geheimdienste mindestens ei-
nen begründeten Anfangsverdacht haben müssen, bevor
sie einen Menschen durchleuchten, egal ob es ein Einhei-
mischer, ein Asylsuchender oder ein Tourist ist . Jeman-
den einfach so, nur weil er Asyl sucht, zum Fall für BND
und Verfassungsschutz zu machen, darf nicht sein .
Sicherlich: Die Einführung einer zentralen Datei, in
der relevante Daten zum Asylverfahren gespeichert wer-
den, ist grundsätzlich sinnvoll – solange tatsächlich nur
relevante Daten gespeichert werden, wie etwa Angaben
über Identität, mitreisende Familienangehörige und zum
aufenthaltsrechtlichen Status der Person .
Wir sehen aber, dass der Gesetzentwurf eine ganze
Menge Daten zentral speichern will, die sich nicht auf
das Asylverfahren beziehen . Außerdem sollten nur sol-
che Behörden Zugriff auf diese Daten erhalten, die am
Asylverfahren unmittelbar beteiligt sind . Dazu zählen
Polizei, Geheimdienste und Jobcenter aber nicht .
Insgesamt muss festgestellt werden, dass der Grund-
satz der Datensparsamkeit hier völlig vernachlässigt
wird . Wie der Datenschutz gewährleistet werden soll,
wenn so unterschiedliche Behörden auf persönliche Da-
ten zugreifen können, wird im Entwurf praktisch gar
nicht thematisiert . Der Gesetzentwurf beschränkt sich
nicht auf Maßnahmen, die tatsächlich sinnvoll sind, um
Asylverfahren zu entschlacken und für alle Beteiligten
erträglicher zu machen, sondern er setzt darauf, eine rie-
sige Zentraldatei anzulegen, auf die eine Vielzahl von
Behörden Zugriff hat .
Insofern wird hier ein „gläserner Flüchtling“ geschaf-
fen, dem praktisch das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung abgesprochen wird . Die Linke wird in
den Ausschüssen darauf drängen, das Gesetzesvorhaben
auf seine vernünftigen Anteile zurückzustutzen .
Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt das im Grund-
satz begrüßenswerte Ziel, für die anhaltend große Zahl
von Asylsuchenden eine rasche und vor allem einmalige
Registrierung durch die Behörden sicherzustellen . Mit
der völlig veralteten und überwiegend nicht vernetzten
Infrastruktur der zuständigen Behörden ist das zurzeit
nicht zu realisieren . Ob es mit der Neuregelung auch –
wie die Bundesregierung behauptet – gelingt, die Dauer
der Asylverfahren insgesamt zu beschleunigen, ist frag-
lich . Vor allem braucht der im Entwurf angelegte Umbau
der gesamten IT-Infrastruktur insbesondere beim BAMF
wohl erhebliche Zeit .
Eine schnelle und effektive Registrierung ist auch im
Sinne der Asylsuchenden, die zu uns kommen, überfäl-
lig . Sie ermöglicht es uns auch, ein detaillierteres Lage-
bild über die zu uns Geflüchteten zu bekommen.
Wie wichtig das ist, konnte man unter anderem an
den – eher mutmaßenden, denn auf einer konkreten Da-
tenbasis beruhenden – Äußerungen von Innenminister de
Maizière zur Herkunft bzw . Nichtherkunft bestimmter
Flüchtlinge erkennen .
Der grundsätzliche Bedarf eines verbesserten Informa-
tionsaustauschs wird von meiner Fraktion also gesehen
und zugestanden . Bezüglich der konkreten Umsetzung
des geplanten Ankunftsausweises und der Einrichtung
bzw . Verknüpfung von Datenbanken haben wir aber zahl-
reiche Fragen, die bislang nicht beantwortet wurden .
Mit der letzten Asylrechtsnovelle hatten Sie gerade
die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender
(BüMa) eingeführt – nun wird die BüMa durch den soge-
nannten „Ankunftsnachweis“ ersetzt . Nicht immer wird
durch ein neues Label auch eine Verbesserung erreicht –
hier die Beschleunigung der Asylverfahren .
Die vorgesehenen Regelungen erfordern die Berück-
sichtigung sehr hoher Datenschutzstandards . Diese wer-
den aber längst nicht immer eingehalten . Zahlreiche im
Entwurf geregelte Informationserhebungen halten sich –
nach erster Prüfung – nicht an das nach geltender Rechts-
lage für das jeweilige Verfahren Erforderliche . Nur eini-
ge Beispiele:
Der letztendliche Zweck Ihres Entwurfs ist die Schaf-
fung einer zentralisierten, allgemeinen Ausländerdaten-
bank durch die nochmalige Erweiterung eines ohnehin
bereits umfangreichen Kerndatenbestands innerhalb ei-
nes zuvor zu anderen Zwecken geschaffenen Allgemei-
nen Zentralregisters (AZR) . Hier ergeben sich zahlreiche
komplexe Folgefragen vor allem datenschutzrechtlicher
Natur .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514500
(A) (C)
(B) (D)
Die geplante multifunktionale, zentralisierte IT-Lö-
sung unterliegt zusätzlichen Rechtfertigungsanfor-
derungen: Sowohl die Zweckbindung als auch der
grundsätzliche Trennungsgrundsatz zwischen den Daten-
verarbeitungen unterschiedlicher eingebundener Verwal-
tungsverfahren darf nicht aufgehoben werden . Das tun
Sie aber .
Ein eigenes – gesetzlich abgesichertes – Speicher- und
Löschkonzept für die Datenmasse legen Sie nicht vor .
Auch die bisher vorgesehenen Schutzvorkehrungen sind
nicht ausreichend .
Schon der Umfang der im AZRG hinterlegten, als
„Kerndatenbestand“ bezeichneten Daten ist bereits nicht
erforderlich . Hier bestehen teilweise erhebliche verfas-
sungsrechtliche Bedenken . Die „Freiwilligkeit“ gemach-
ter Angaben – hier Telefonnummer und E-Mail-Adres-
sen – ist angesichts der Verfahrensbedeutung für die
Betroffenen nicht gegeben . Auch gesonderte Schutzre-
gelungen für besonders sensible Daten – zum Beispiel
Impfungen – sind bislang nicht ersichtlich .
Für jede Personengruppe ist zudem zwingend zu prü-
fen, welche Daten tatsächlich im weiteren Verfahren
benötigt werden . Die personalintensive Erhebung von
Daten, die später nicht benötigt werden, sollte auf das
Notwendige beschränkt sein, sonst wird das Ziel be-
schleunigter Abläufe letztendlich konterkariert .
Die umfangreichen neuen Einmeldebestimmungen
für unterschiedlichste Behörden bedürfen insgesamt der
eingehenden Prüfung auf Erforderlichkeit und Verhält-
nismäßigkeit . Dies gilt auch für die vorgesehenen Daten-
übermittlungen an dritte Behörden und zu Forschungs-
zwecken, vor allem mit Blick auf die Wirksamkeit der
Einwilligung .
Insgesamt bedarf die Errichtung einer solchen Zen-
traldatenbank mit Anbindung an BAMF, Ausländerbe-
hörden, Sozialbehörden, Arbeitsverwaltung und Sicher-
heitsbehörden einer intensiven Diskussion und glasklarer
gesetzlicher Regelungen . Dies gilt aus unserer Sicht auch
und vor allem für die Ausweitungen der Befugnisse der
Geheimdienste bezüglich des Zugriffs auf die Datenbe-
stände . Bei all diesen Punkten empfehlen wir dringend
die Einbeziehung der Datenschutzbeauftragten – viel-
leicht gelingt es ja auch noch, die Unionsfraktionen da-
von zu überzeugen, dass die Sachverständigenanhörung
am 11 . Januar 2016 eine gute Gelegenheit dazu bietet .
Den weiteren Gesetzgebungsprozess werden wir kri-
tisch-konstruktiv begleiten und erwarten von Ihnen, dass
Sie bezüglich der angesprochenen Punkte zwingend
nachbessern . Nur so können wir einen verbesserten Da-
tenaustausch nach klaren gesetzlichen Kriterien und ho-
hen Schutzstandards erreichen .
Dr. Ole Schröder, Parl . Staatssekretär beim Bundes-
minister des Innern: Der vorgelegte Entwurf für ein Ge-
setz zur Verbesserung der Registrierung und des Daten-
austausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen Zwecken
ist ein weiterer zentraler Baustein zur Ordnung und Steu-
erung des Flüchtlingsaufkommens . Dazu gehört allem
voran die frühzeitige Registrierung der Asylsuchenden
und Flüchtlinge .
Wir wollen mit dem Gesetzentwurf vier wesentliche
Ziele erreichen:
Erstens . Wir müssen wissen, welche Flüchtlinge nach
Deutschland kommen . Dazu müssen wir die Asyl- und
Schutzsuchenden wie auch die in Deutschland unerlaubt
eingereisten und unerlaubt aufhältigen Personen unver-
züglich erfassen .
Künftig sollen deshalb alle Behörden bereits mit dem
ersten Kontakt zu einem Flüchtling standardisiert Daten
in einem zentralen System, dem Kerndatensystem, auf-
nehmen .
Alle zur Registrierung befugten Stellen werden zudem
mit einem Fingerabdruck-Schnell-Abgleichsystem (so-
genanntes Fast-ID) ausgerüstet . Über eine Sofortabfrage
können diese Stellen damit unverzüglich feststellen, ob
zu einer Person bereits Daten vorhanden sind .
Zweitens . Als Staat wollen wir darüber entscheiden,
wo die Asylverfahren durchgeführt werden . Es kann
nicht sein, dass sich Asylsuchende nicht an die Zuteilung
zu einer bestimmten Aufnahmeeinrichtung halten . Wir
wollen vor allem für eine gerechte Verteilung der Las-
ten auf die Bundesländer Sorge tragen . Hiermit erreichen
wir, dass wir die vorhandenen Ressourcen auch nutzen
können .
Mit dem Gesetzentwurf regeln wir deshalb einen neu-
en bundeseinheitlichen Ankunftsnachweis für Asylsu-
chende . Er soll ab dem geplanten Inkrafttreten des Geset-
zes im Februar 2016 ausgegeben werden .
Wir haben uns bewusst für ein papierbasiertes und fäl-
schungssicheres Dokument entschieden . Im Gegensatz
zu einer Chipkarte kann der Ankunftsnachweis unkom-
pliziert und dezentral ausgestellt werden . Die Daten sind
zentral gespeichert und nicht auf der Karte selbst .
Die Vorlage des Ankunftsnachweises soll die grund-
sätzliche Voraussetzung für die Gewährung von Leis-
tungen und die Stellung eines Asylantrages sein . Damit
wollen wir den Anreiz schaffen, rasch die zugewiesene
Aufnahmeeinrichtung aufzusuchen sowie dort zu blei-
ben . Die Einzelheiten hierzu werden wir in einem weite-
ren Gesetzgebungsvorhaben regeln .
Der Ankunftsnachweis wird dazu beitragen, den
Aufwand für alle beteiligten Behörden und den Asyl-
suchenden selbst zu verringern . Wir wissen damit bes-
ser als heute, wie viele und welche Menschen ins Land
kommen . Wir können außerdem die Verteilung und die
Integration der Asylsuchenden besser und fairer planen
sowie Leistungsmissbrauch effektiver verhindern .
Drittens . Wir müssen frühzeitig wissen, ob zu den
Personen sicherheitsrelevante Erkenntnisse vorliegen .
Mit der Schaffung eines an das Visa-Konsultations-Ver-
fahren angelehnten Sicherheitsabgleichs werden die Si-
cherheitsbehörden deshalb frühzeitig überprüfen können,
ob zu einer Person schwerwiegende Sicherheitsbedenken
bestehen . Dieser Sicherheitsabgleich soll unverzüglich
nach Speicherung der Daten im Kerndatensystem erfol-
gen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14501
(A) (C)
(B) (D)
Mein vierter und letzter Punkt betrifft die Beschleu-
nigung der Asylverfahren: Dieses Ziel können wir nur
erreichen, wenn wir die Daten zentral erfassen und un-
mittelbar auf elektronischem Wege den berechtigten öf-
fentlichen Stellen zur Verfügung stellen . Der Kreis der
Behörden, die Daten aus dem zentralen Kerndatensystem
erhalten, wird daher erweitert . Dies betrifft neben den
Sicherheitsbehörden zum Beispiel das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge, die Aufnahmeeinrichtungen,
die Bundesagentur für Arbeit und die Meldebehörden .
Diese Behörden werden nicht nur zum Datenabruf aus
dem Register berechtigt sein, sondern zusätzlich auch
Befugnisse zur Übermittlung bzw . Aktualisierung von
Daten erhalten .
Die Bundesregierung hat diesen Gesetzentwurf
schnell vorgelegt . Das bietet die Chance, Ende Janu-
ar 2016 bereits das parlamentarische Verfahren abzu-
schließen, sodass das Gesetz Anfang Februar 2016 in
Kraft treten könnte . Das ist vor allem deshalb wichtig, da
der Wirkbetrieb und der Rollout in der Fläche erst nach
dem Inkrafttreten des Gesetzes starten können . Ich danke
Ihnen für Ihre Unterstützung .
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Sachverständigenrechts und zur weiteren Än-
derung des Gesetzes über das Verfahren in Famili-
ensachen und in den Angelegenheiten der freiwilli-
gen Gerichtsbarkeit (Tagesordnungspunkt 20)
Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Vor ziemlich genau
einem Jahr, Mitte November 2014, hat das Bundesver-
fassungsgericht hohe Wellen geschlagen in Sachen Sach-
verständigenrecht: In einem Beschluss rügte es zwei Ge-
richte, die äußerst fahrlässig – ohne Wenn und Aber – ein
offensichtlich nicht verwertbares Gutachten zur maßgeb-
lichen Grundlage ihrer Entscheidungen gemacht hatten .
Infolgedessen war einem Vater zu Unrecht das Sorge-
recht für seine Tochter aberkannt worden .
Die Zweifel an der Verwertbarkeit dieses Gutachtens
waren zum einen verfassungsrechtlicher Natur und be-
trafen die im Gutachten getroffenen Feststellungen . Zum
anderen bestanden die Zweifel auch hinsichtlich der ge-
botenen Neutralität der Sachverständigen, die das Gut-
achten erstellt hatte .
Die Karlsruher Richter haben in ihrem Beschluss
vernichtende Schlussfolgerungen für das Gutachterwe-
sen gezogen – und sie trafen damit einen empfindlichen
Nerv, bilden die Gutachten doch zumeist eine wesentli-
che Grundlage für gerichtliche Entscheidungen .
Doch nicht erst seit diesem Beschluss stellen Fach-
kreise und die Öffentlichkeit zunehmend die Unabhän-
gigkeit und Neutralität der Gutachter sowie die Quali-
tät deren Expertise in Frage . Immer wieder ist zu hören
von fehlerhaften Entscheidungen, und das leider auch in
solch bedeutsamen Fällen wie dem Sorgerecht oder dem
Umgang mit dem eigenen Kind .
Keine Frage, es ist an der Zeit zu handeln . Es ist unse-
re Aufgabe als Gesetzgeber, das Vertrauen der Bürgerin-
nen und Bürger in das Gutachterwesen zurückzugewin-
nen und zu stärken .
Wir, die Union, haben daher darauf hingewirkt, eine
entsprechende Vereinbarung im Koalitionsvertrag zu
treffen . Heute können wir nun einen Gesetzesentwurf
vorlegen, der durch größere Transparenz im Auswahl-
verfahren und durch die Einführung gewisser Standards
die Gutachtertätigkeit lenkt und ihre Qualität verbessert .
Im Wesentlichen besteht der Entwurf aus folgenden
Elementen:
Es ist uns wichtig, dafür zu sorgen, dass die den Gut-
achtern obliegende Neutralität gewährleistet wird . So hat
der Sachverständige fortan zu prüfen, ob es Gründe gibt,
die geeignet sind, Misstrauen gegen seine Unparteilich-
keit zu rechtfertigen . Diese hat er dann gegebenenfalls
unverzüglich mitteilen .
Außerdem wollen wir eine stärkere Einbindung der
Parteien in die Auswahl des Sachverständigen . Daher soll
in der ZPO ein obligatorisches Anhörungsrecht eingefügt
werden, demzufolge die Verfahrensbeteiligten schon vor
der Ernennung des Sachverständigen eventuelle Einwän-
de gelten machen können .
Die Befürchtungen des Bundesrates dahin gehend,
dass es durch eine obligatorische Anhörung zu weiteren
Verfahrensverzögerungen kommen kann, sind nicht per
se von der Hand zu weisen . Ich denke dabei insbesondere
an Fälle aus dem Familienrecht, die eh schon höchst kon-
fliktgeladen sind und bei denen solch eine Einbindung in
die Auswahl des Sachverständigen möglicherweise noch
weiteren Nährboden für Auseinandersetzungen und dann
zwangsläufig für Verzögerungen bietet.
Die Bundesregierung hat die Kritik des Bundesrates
zum Anlass genommen, für das sozialgerichtliche Ver-
fahren eine Abweichungsbefugnis von dieser Regelung
zu prüfen . Ich denke, man sollte im weiteren Gesetzge-
bungsverfahren – unter Einbindung der Praktiker – noch
einmal ein Auge darauf werfen, ob nicht auch außerhalb
der sozialgerichtlichen Verfahren und neben den in der
Gesetzesbegründung genannten Fälle ein Absehen von
der Anhörung möglich sein sollte .
Weiter ist es uns ein wichtiges Anliegen, für eine ef-
fektive Beschleunigung des Verfahrens und damit für
effektiven Rechtsschutz zu sorgen . Im Gesetzesentwurf
vorgesehen ist daher die Einführung einer obligatori-
schen Fristsetzung .
Ergänzend „soll“ der Sachverständige künftig ein
Ordnungsgeld zahlen müssen, wenn er die gesetzte Frist
nicht einhält . Die aktuelle Regelung sieht vor, dass das
Gericht ein Ordnungsgeld lediglich anordnen „kann“ .
Auch hier wurde Kritik laut: Enge Terminsetzungen
und die Androhung bzw . Festsetzung von Ordnungsgeld
könnten die bestehende Mangellage bei Sachverständi-
gen noch verschärfen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514502
(A) (C)
(B) (D)
In der Tat ist es ein Problem, ausreichend geeignete
Sachverständige für das Gericht zu verpflichten. Und
auszuschließen ist es sicher nicht, dass unter diesen Be-
dingungen gerade die besonders gefragten Sachverstän-
digen nicht mehr für ein Gericht tätig werden wollen .
Auch hierauf sollten wir insbesondere in der Anhörung
noch einmal ein Auge werfen .
Schließlich nehmen wir Änderungen vor im Gesetz
über das Verfahren in Familiensachen und in den Ange-
legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit . Und diese
liegen mir ganz besonders am Herzen:
Konkret geht es um die Qualifikationsanforderungen,
die an einen Gutachter in bestimmten Kindschaftssachen
zu stellen sind . Es geht also um Fragen wie, wie oft ein
Vater sein Kind sehen darf .
Die bisherige gesetzliche Regelung enthält keinerlei
Vorgaben zur Qualifikation der Sachverständigen. Die
Auswahl der Sachverständigen obliegt ausschließlich
dem zuständigen Richter . Auf eine besondere fachliche
Eignung des zu bestellenden Gutachters muss derzeit
keine Rücksicht genommen werden . Etwas überspitzt
könnte man sagen, das ist, als würde man einen Busfah-
rer verpflichten können, ein Flugzeug zu steuern. Was ich
damit zum Ausdruck bringen will, ist: Wenn eine Ent-
scheidung existenzielle Auswirkungen hat, wie sie es bei
Kindschaftssachen immer hat, dürfen wir diese Entschei-
dung bzw . maßgebliche Bausteine dieser Entscheidung
nicht leichtfertig in andere Hände geben .
Eine Änderung der gesetzlichen Regelung ist hier
dringend angezeigt . Künftig verlangen wir daher die
„Geeignetheit“ des Sachverständigen, und wir legen zu-
dem gewisse Mindestqualifikationen fest, die der Sach-
verständige mitbringen soll .
Ich denke, wir sind uns alle einig, wenn ich sage, dass
die Einführung dieser Anforderungen längst überfällig
ist . Doch wie genau diese ausgestaltet sein sollen, auch
das müssen wir in der öffentlichen Anhörung noch ein-
mal diskutieren .
Ich freue mich auf das weitere Verfahren .
Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Wir bera-
ten heute einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der
im Wesentlichen das Sachverständigenrecht novelliert:
sowohl in der Zivilprozessordnung als auch im Familien-
verfahrensrecht . Das Ziel des Gesetzentwurfs ist, die in
letzter Zeit öffentlich bemängelte Qualität von gericht-
lichen, insbesondere von familienpsychologischen Gut-
achten, zu verbessern .
Das Familienrecht und vor allem das Kindschaftsrecht
ist einer der sensibelsten Bereiche in unserer Rechtsord-
nung . Dort werden existenzielle Weichen für das zukünf-
tige Leben von Kindern und Eltern gestellt . Die Verfah-
ren greifen mit einer sehr hohen Intensität in gewohnte
Familienstrukturen ein und sind deswegen für alle Betei-
ligten sehr emotional und kräftezehrend .
Fragen über Fragen stellen sich also in einem Famili-
enverfahren:
Welches Elternteil bekommt das Sorgerecht für ein
Kind? Welches Umgangsrecht steht jenem Elternteil zu?
Soll das Sorgerecht einem oder beiden Eltern entzogen
werden?
Über diese Fragen muss ein Familiengericht entschei-
den; oft mithilfe eines familienpsychologischen Gutach-
tens . Der bestellte Sachverständige hat dann die Aufga-
be, festzustellen, ob die Eltern dazu fähig sind, sich um
ein Kind verantwortungsvoll zu kümmern . Dabei muss
er vor allem das Kindeswohl beachten und es anhand der
Bedürfnisse und Interessen des Kindes beurteilen .
Die Sachverständigen sind oftmals mit sehr starken
Gefühlen konfrontiert, insbesondere mit größten Ängs-
ten, sowohl der Eltern als auch der Kinder . Es sind vor
allem Ängste, verlassen zu werden oder die gewohnte
Lebensumgebung zu verlieren . Ein fachorientierter Um-
gang mit den Betroffenen ist hier besonders wichtig .
Deswegen ist es umso erschreckender, dass nach der
gegenwärtigen Rechtslage jede Person, unabhängig von
ihrer beruflichen Qualifikation, ein Gutachten in kind-
schaftsrechtlichen Verfahren erstellen kann .
In diesem Zusammenhang erzähle ich häufig von ei-
nem Beispiel aus meiner anwaltlichen Tätigkeit als Fa-
milienrechtsanwältin . In einem Sorgerechtsstreit wurde
ursprünglich ein Sachverständiger ausgewählt, der als
Unternehmensberater tätig war . Er hat das Gutachten
zwar erstellt, aber mit Ergebnissen, die das Gericht nicht
überzeugten . Ein Unternehmensberater als Sachverstän-
diger ist in einem kindschaftsrechtlichen Verfahren „fehl
am Platz“ .
Meine Kritik spiegelt sich auch in der öffentlichen
Diskussion wider, die in den letzten Jahren stark zuge-
nommen hat . Immer mehr Betroffene meldeten sich zu
Wort und berichteten über mangelhafte Gutachten in
Familienverfahren . Ihre Schilderungen wurden durch
Studien bestätigt . Eine entscheidende Studie war die der
Fernuniversität Hagen, die im Jahr 2014 veröffentlicht
wurde . Zwei Psychologie-Professoren untersuchten 116
familienpsychologische Gutachten und kamen zu dem
unbefriedigenden Ergebnis, dass nur eine Minderheit der
Gutachten den geforderten Qualitätsstandard erfüllt .
Auch das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergan-
genheit familienpsychologische Gutachten beanstandet .
In der maßgeblichen Entscheidung ging es um das Sorge-
recht eines Asylbewerbers aus Ghana für sein Kind . Die
Sachverständige in diesem Fall war eine Heilpraktikerin
mit esoterischer Ausrichtung . Sie unterstellte dem Vater,
dass er „afrikanische Erziehungsmethoden“ bevorzuge,
die auf die Unterwerfung seiner Tochter gerichtet seien .
Die Richter des Bundesverfassungsgerichts konnten aber
nicht nachvollziehen, auf welches Verhalten oder Äuße-
rungen des Vaters die Sachverständige ihre Einschätzung
stützte . Vielmehr stellte das Gericht fest, dass die afrika-
nische Herkunft des Vaters eine zu große Rolle bei der
Begutachtung gespielt habe .
Solche fehlerhaften Gutachten sollen aber künftig
möglichst nicht mehr vorkommen . Ich freue mich sehr,
dass ein Gesetzentwurf erarbeitet wurde, der festlegt, wer
zum Erstellen eines familienpsychologischen Gutachtens
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14503
(A) (C)
(B) (D)
geeignet ist . In Betracht kommt nur ein Sachverständi-
ger, der mindestens eine psychologische, psychothera-
peutische, psychiatrische, ärztliche, pädagogische oder
sozialpädagogische Berufsqualifikation vorweisen kann.
Nun gibt es auch kritische Stimmen bezüglich dieser
Neuregelung . Dabei wird im Wesentlichen angeführt,
dass die Aufzählung von Berufsqualifikationen zu allge-
mein und deswegen weiter zu begrenzen sei . Insbeson-
dere werden Sachverständige mit einer Zertifizierung im
Bereich der Rechtspsychologie gefordert .
Aber an dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass die im
Gesetzentwurf neugefassten Berufsqualifikationen nur
Mindestanforderungen an Sachverständige darstellen .
Wir erwarten also, dass das Familiengericht auch prüft,
ob der Sachverständige zusätzliche Qualifikationen und
Berufserfahrungen vorweisen kann . Erst danach soll der
bestmögliche Sachverständige ausgewählt werden .
Parallel zum Gesetzentwurf arbeiteten zahlreiche Ver-
treter von Fachverbänden und Kammern an einem Ka-
talog, der die Mindestvorgaben für Gutachten festlegt .
Dieses Papier wurde unter Begleitung des Bundesmi-
nisteriums der Justiz und für Verbraucherschutz erstellt .
Es beinhaltet umfangreiche Empfehlungen an benannte
Sachverständige: Empfehlungen, die die Erstellung ei-
nes Gutachtens erleichtern, sowie Empfehlungen, die die
Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Gutachten ver-
bessern sollen .
Diese entwickelten Standards haben natürlich keine
Gesetzeskraft . Aber: Gerade das Familienrecht ist ein
passendes Beispiel dafür, dass auch Empfehlungen wirk-
sam in die Rechtsprechung eingehen können . Zu erwäh-
nen ist hier die Düsseldorfer Tabelle, die als Leitlinie zur
Unterhaltsberechnung des Kindesunterhalts dient .
Es ist also wünschenswert, dass diese Mindestanfor-
derungen in der Praxis berücksichtigt werden . Mithilfe
dieser Empfehlungen und des Gesetzentwurfs schaffen
wir qualitative Vorgaben für familienrechtliche Gutach-
ten .
Wie anfangs bereits erwähnt, beinhaltet der Gesetz-
entwurf einige Veränderungen in der Zivilprozessord-
nung . Diese lassen sich in insgesamt drei gesetzgeberi-
sche Ziele zusammenfassen:
Erstens soll den Parteien bei der Auswahl von Sach-
verständigen mehr Mitsprache- und Einflussrecht einge-
räumt werden . Zweitens soll die Neutralität von Sach-
verständigen gestärkt werden . Und drittens soll die
Gutachtenerstellung beschleunigt werden .
An dieser Stelle möchte ich aber nicht unerwähnt las-
sen, dass diese Änderungen nicht nur Zustimmung er-
fahren haben . Wir werden die geplante Anhörung dazu
nutzen, die beanstandeten Vorschriften ausführlich zu
besprechen .
Eine letzte Änderung in diesem Gesetzentwurf, die
ich ansprechen möchte, wurde bereits letztes Jahr be-
absichtigt . Sie wurde aber vorerst zurückgestellt, da wir
der Meinung waren, dass sie eingehender beraten werden
sollte .
Es geht um ein kompliziertes Konstrukt, nämlich um
den sogenannten Verbund . Das bedeutet, dass Eheschei-
dung, Versorgungsausgleich, Zugewinnausgleich und
nachehelicher Unterhalt in einem Schritt entschieden
werden .
Nun müssen Sie sich bitte vorstellen, dass es im Ver-
sorgungsausgleich nicht nur die Deutsche Rentenversi-
cherung Bund gibt, sondern viele andere Versorgungsträ-
ger, die beteiligt werden können . In der Praxis, das wurde
mir in vielen Gesprächen so bestätigt, werden gelegent-
lich Versorgungsträger vergessen . Sie haben dann, mög-
licherweise nach Rechtskraft des Scheidungsverbundes,
die Möglichkeit, das Rechtsmittel der Beschwerde einzu-
legen . Damit kann allerdings das zuvor mühsam erarbei-
tete und verhandelte Gesamtgebäude einstürzen .
Ich fordere nochmals Ihre Vorstellungskraft heraus:
Eine Ehefrau hat zum Beispiel im Rahmen des Verfah-
rens auf Ehegattenunterhalt verzichtet, weil sie kurz vor
der Rente steht und durch den bevorstehenden Versor-
gungsausgleich ausreichend abgesichert ist . Wenn dann
aber, nach Einlegung der Beschwerde, im Versorgungs-
ausgleich ein Teil wegbricht, entwickelt das Konstrukt
nicht mehr die beabsichtigte Wirkung . Aus diesem Grun-
de muss den Beteiligten die Möglichkeit offen bleiben,
sich der Beschwerde des Versorgungsträgers anzuschlie-
ßen .
Aber es entsteht ein Problem: Durch den Verbund
wäre dann auch die Ehescheidung angefochten . Sie kann
nicht rechtskräftig werden, und die Ehe besteht dann wei-
terhin fort . Was passiert dann mit einer zwischenzeitlich
neu geschlossenen Ehe? Diese Situation führt vor allem
im Abstammungs- und im Erbrecht zu folgenschweren
Problemen . Diese gilt es zu verhindern .
Deshalb heißt es in dem neugefassten § 145 Absatz 3
FamFG: „Durch die Anschließung an die Beschwerde
eines Versorgungsträgers kann der Scheidungsausspruch
nicht angefochten werden .“
Die Neuregelung bewirkt also, dass sich die Ehegatten
der Beschwerde des Versorgungsträgers nicht anschlie-
ßen können, wenn sie den Scheidungsausspruch anfech-
ten wollen . Eine Anschlussbeschwerde bezüglich der im
Verbund entschiedenen Folgesachen, wie zum Beispiel
Ehegattenunterhalt oder Zugewinnausgleich, bleibt wei-
terhin möglich .
Nun habe ich Ihnen genug Imaginationsfähigkeit ab-
verlangt und freue mich auf das weitere Verfahren .
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Mit diesem Ge-
setzentwurf will die Große Koalition ein Vorhaben ihres
Koalitionsvertrages, die Neutralität gerichtlich beigezo-
gener Sachverständiger zu gewährleisten und die Qua-
lität von gerichtlichen Gutachten verbessern zu wollen,
umsetzen . Dies geschieht in fünf Einzelvorhaben . In der
Vergangenheit wurde von der Öffentlichkeit zunehmend
die Unabhängigkeit und Neutralität gerichtlich bestellter
Sachverständiger sowie deren fachliche Qualifikation in
Frage gestellt . Insbesondere in familiengerichtlichen und
kindschaftsrechtlichen Verfahren wurde die unzureichen-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514504
(A) (C)
(B) (D)
de Qualifikation der Sachverständigen immer stärker kri-
tisiert .
Der Gesetzentwurf sieht daher Änderungen in der
ZPO, dem FamFG, der EGZPO und dem EGZVG vor .
Ziel dieser Änderungen ist die Steigerung des Vertrauens
in die Unabhängigkeit und Neutralität der Sachverstän-
digen, die Sicherstellung, dass die Gerichte qualifizierte
und geeignete Sachverständige benennen und dass die
Gerichtsverfahren effektiv beschleunigt werden .
In § 404 Absatz 1 ZPO-E soll gesetzlich normiert wer-
den, dass die Parteien und Verfahrensbeteiligten vor Er-
nennung eines gerichtlichen Sachverständigen angehört
werden . In § 407 a Absatz 1, Satz 1 und Absatz 2 ZPO-E
wird der Sachverständige verpflichtet, zu prüfen, ob er
innerhalb der gerichtlich vorgegebenen Frist das Gutach-
ten erstellen kann, sowie seine Neutralität zu überprüfen
und gegebenenfalls bestehende Interessenkonflikte un-
verzüglich mitzuteilen . § 411 Absatz 1 ZPO-E sieht eine
obligatorische Fristsetzung zur Erstattung des schrift-
lichen Gutachtens vor . Bei Nichteinhaltung der Fristen
sollen regelmäßig Ordnungsgelder festgesetzt werden,
und der Ordnungsgeldrahmen soll auf 5 000,00 Euro er-
höht werden . § 163 Absatz 1 FamFG-E soll verbindliche
Qualitätsanforderungen für Sachverständige in Kind-
schaftssachen normieren, während parallel dazu von den
Berufsverbänden Mindestanforderungen an die Qualität
von Gutachten im Kindschaftsrecht entwickelt werden
sollen . Ferner sollen mit der Änderung des Anschluss-
beschwerderechts in Ehescheidungsverfahren falsche
Rechtskraftzeugnisse aufgrund fehlerhafter oder unter-
bliebener Bekanntmachungen an einen Versorgungsträ-
ger zukünftig vermieden werden .
Dieser Gesetzentwurf geht durchaus in die richtige
Richtung . Es ist aber zu bezweifeln, dass die Änderungen
die gewünschten Folgen haben werden und, vor allem,
dass die geplanten Änderungen ausreichen, um das ein-
gangs genannte Ziel – Steigerung des Vertrauens in die
Unabhängigkeit und Neutralität der Sachverständigen,
die Sicherstellung, dass die Gerichte qualifizierte und ge-
eignete Sachverständige benennen und dass die Gerichts-
verfahren effektiv beschleunigt werden – zu erreichen .
Eine Verstärkung des Drucks auf die Sachverständi-
gen allein führt keineswegs zu einer Verbesserung von
deren Qualität, vielmehr besteht die Gefahr, dass die
Qualität der Gutachten hierdurch noch weiter sinkt . Viel-
mehr müssten klare und verbindliche Standards und Qua-
litätskriterien für die Sachverständigen und die Gutach-
ten eingeführt werden . So könnte in Anlehnung an § 404
Absatz 2 ZPO die Einführung einer zum Beispiel vom
BMJV geführten Liste von anerkannten und bewährten
Sachverständigen für die jeweiligen Fachgebiete in Er-
wägung gezogen werden .
Hinsichtlich § 404 Absatz 1 ZPO-E besteht die kon-
krete Gefahr, dass am Ende in der Praxis die Parteien
selber die ihnen genehmen Sachverständigen benennen,
wobei gerade Versicherungen und Unternehmen hier die
besseren Kontakte und den umfassenderen Überblick
über die infrage kommenden Sachverständigen haben .
Dies gilt insbesondere bei selbständigen Beweisver-
fahren, wo das Gericht aus Zeitmangel meist den vom
Antragsteller vorgeschlagenen Sachverständige ernennt,
was zu einer groben Benachteiligung der anderen Par-
tei – oftmals Privatpersonen, die Ansprüche geltend ma-
chen – führen kann . Weiterhin ist zu kritisieren, dass es
keine gesetzlich normierte Pflicht des Gerichts gibt, sich
im Beweisbeschluss mit einem negativen Votum einer
Partei auseinanderzusetzen, denn die Beweisbeschlüsse
sind in jedem Falle unanfechtbar . Deshalb sollte, wenn
schon nicht grundsätzlich ein Rechtsmittel gegeben ist,
zumindest eine Anfechtbarkeit für den Fall eingeführt
werden, dass sich das Gericht überhaupt nicht mit dem
negativen Votum einer Partei in den Gründen des Be-
schlusses auseinandersetzt .
Denn gerade ein Problem bezüglich der Neutralität
von Gutachtern ist der Umstand, dass viele von ihnen
häufig die großen Versicherungen und Unternehmen als
Auftraggeber haben und dass Versicherungen so zumin-
dest indirekt einen großen Einfluss auf die gerichtlichen
Entscheidungen nehmen können, auch wenn die entspre-
chenden Sachverständigen vom Gericht ernannt wurden .
Experten wie der Berliner Versicherungsrechtler Hans-
Peter Schwintowsky plädieren daher bereits seit Jahren
für die Anonymisierung des Verfahrens: „Also dafür zu
sorgen, dass der Gutachter seinen Auftrag bekommt, aber
nicht weiß, für wen er gerade gutachtet . Dann werden wir
objektive Gutachten bekommen .“
Hinsichtlich der Fristsetzung und der Androhung von
Ordnungsgeldern ist zweifelhaft, ob diese sich nicht
möglicherweise negativ auf die Qualität eines Gut-
achtens auswirken können, da der Sachverständige zur
Vermeidung von Ordnungsgeldern das Gutachten mög-
licherweise schnell, aber nicht gründlich genug erstellt .
Generell geht der Gesetzentwurf nicht weit genug . Es
fehlen zum Beispiel die Wiedereinführung des öffentlich
bestellten Sachverständigen, die Einrichtung von Be-
schwerdestellen für SV-Gutachten oder gegebenenfalls
die Ansiedlung von Gerichtspsychologen, wie es bei-
spielsweise in Österreich der Fall ist .
Ob der Katalog der Mindestberufsqualifikationen in
familiengerichtlichen Verfahren so bleibt, werden die
Beratungen zeigen . Ich hoffe aber, dass es bei der Begut-
achtung in Familiensachen mehr als einer pädagogischen
Ausbildung bedarf. Ich finde schon, dass der Lehrerberuf
ein wichtiger und auch angesehener Beruf ist . Jedoch die
Vorstellung, einen Lehrer der Sekundarstufe 2, beispiels-
weise Chemie-/Mathematiklehrer, als Sachverständigen
im Kindschaftsverfahren zu bestellen, entlockt nicht ge-
rade Rufe der Begeisterung . Gleiches gilt bei der genann-
ten Voraussetzung einer ärztlichen Ausbildung beispiels-
weise für einen Onkologen . Ich denke, hier werden wir
noch entsprechend nachjustieren müssen .
Die Qualitätsstandards dürfen nicht aufgrund einer
wachsenden Nachfrage nach Gutachtern nach unten kor-
rigiert werden . Hinweise ergeben sich insoweit aus dem
Ergebnispapier der Arbeitsgruppe des Verbandes Deut-
scher Psychologinnen und Psychologen . Insoweit hoffe
ich, dass wir in den Beratungen zu Ergebnissen kommen,
die den Ansprüchen an das Kindeswohl und die Rechts-
sicherheit im Allgemeinen genügen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14505
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Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vor-
liegende Entwurf greift die in den letzten Jahren verstärkt
aufgekommene Kritik an der Qualität und der Neutralität
gerichtlicher Sachverständigengutachten auf . Es werden
deshalb Änderungen in der ZPO betreffend alle Sachver-
ständigen vorgenommen und besondere Anforderungen
an Sachverständige in Kindschaftssachen gestellt . Dieses
grundlegende Anliegen ist berechtigt und wird auch von
meiner Fraktion begrüßt .
Zu den Änderungen im Einzelnen:
Mit § 404 ZPO wird künftig eine obligatorische An-
hörung der Parteien zur Auswahl des Gutachters vorgese-
hen . Das stärkt das rechtliche Gehör der Parteien und de-
ren Beteiligtenrechte . Auf diesem Wege wird vermieden,
dass Bedenken erst zu einem späteren Zeitpunkt vorge-
tragen werden, wenn das Gutachten längst erstattet ist .
Der Bundesrat hält eine gesetzliche Regelung für
überflüssig, da in der Praxis in der Regel genug Gele-
genheit der Parteien bestünde, zur Auswahl Stellung zu
nehmen . Dennoch halte ich es für sinnvoll, dieses Betei-
ligungsrecht im Gesetz zu verankern . Letztlich besteht
auch immer die Möglichkeit, im Einzelfall aufgrund be-
sonderer Umstände von der Anhörung abzusehen .
Der neue § 407 a ZPO führt eine Mitteilungspflicht
des Sachverständigen ein . Er muss künftig Auskunft über
Umstände geben, die gegen seine Unparteilichkeit spre-
chen oder gegen die rechtzeitige Fertigstellung des Gut-
achtens . Das fördert zweifelsohne die Beschleunigung
des Verfahrens .
Mit § 411 ZPO soll die Fristsetzung des Gerichts obli-
gatorisch werden . Daran ist meines Erachtens nichts aus-
zusetzen . Ob die Möglichkeit des Gerichts, bei Fristab-
lauf ein Ordnungsgeld zu verhängen, jetzt zum Regelfall
werden sollte, halte ich allerdings für zweifelhaft .
Letztlich sollten geeignete und qualifizierte Gutach-
ter nicht unnötig abgeschreckt werden . Die bisherige
Kann-Regelung ist meines Erachtens ausreichend und
gibt dem Gericht das nötige Ermessen .
Mit dem neuen § 163 FamFG wird dem Kernanlie-
gen nachgekommen, Mindestvoraussetzungen an die
Qualifikation von Gutachtern in Kindschaftsverfahren
festzuschreiben . Die genannte Berufsbezeichnung bleibt
sicherlich nur eine notwendige, aber nicht hinreichende
Voraussetzung für die Geeignetheit der Gutachter . Über
diese Mindestvoraussetzungen hinaus müssen Richter
in die Lage versetzt werden, die Geeignetheit von Gut-
achtern beurteilen zu können . Da kommen wir über ent-
sprechende Richterfortbildungen nicht hinweg . Hilfreich
dürften außerdem die inzwischen vorliegenden Kriteri-
enkataloge der Psychologenverbände sein .
Dennoch ist eine gesetzliche Mindestvoraussetzung
unumgänglich, um in der Praxis eine rote Linie zu zie-
hen . Gerade in Kindschaftssachen kann ein fehlerhaftes
Gutachten, das von einer Richterin oder einem Richter
nicht als solches erkannt wird, verheerende Auswirkun-
gen haben . Kinder unterliegen im gerichtlichen Verfah-
ren einem besonderen Schutz, der hier dringend verbes-
sert werden muss .
Es fragt sich allerdings, warum dies nicht genauso
auch für Vormundschafts- oder Pflegschaftsverfahren
gelten soll?
Kinder sollen künftig nicht mehr als Zeugen vernom-
men werden dürfen . Das ist eine wichtige Klarstellung,
da die Vernehmung nach § 159 FamFG die geeignetere
und behutsamere Anhörungsweise darstellt .
Der Bundesrat hat empfohlen, den Ausschluss der
Zeugenvernehmung auf die Vernehmung als Beteiligter
im Verfahren auszuweiten . Das erscheint mir nachvoll-
ziehbar und sollte im Gesetz ergänzt werden .
Eine weitere Änderung im Gesetzentwurf hat mit den
Sachverständigen gar nichts zu tun . So soll mit § 145 Ab-
satz 3 FamFG die Anschlussbeschwerde der Ehegatten
im Scheidungsverfahren ausgeschlossen werden, wenn
ein Versorgungsträger, der im Verfahren übersehen oder
vergessen wurde, nach Ablauf der Rechtsmittelfrist Be-
schwerde einlegt .
Die Änderung soll verhindern, dass die Rechtskraft
der Ehe Jahre nach der Scheidung noch durchbrochen
werden kann . Das ist aber durchaus problematisch, da
doch nicht selten Versorgungsanwartschaften in nicht un-
erheblicher Höhe vergessen oder übersehen wurden . Die
Korrektur derselben kann aber die gesamte Verbundent-
scheidung infrage stellen . Sinn des Verbundverfahrens
ist es ja gerade, alle Scheidungsfolgen gemeinsam zu
behandeln, um den wirtschaftlich schwächeren Ehegat-
ten vor Härten zu schützen . So weist die Bundesrechtsan-
waltskammer zu Recht darauf hin, dass gerade bei älteren
Ehegatten Unterhaltsvereinbarungen im Hinblick auf das
Ergebnis des Versorgungsausgleichs getroffen werden .
Es kann daher schnell zu unbilligen Härten führen, wenn
das vergessene Anrecht isoliert, ohne Bezug auf die sons-
tigen Scheidungsfolgen, ausgeglichen wird .
Das Problem besteht im Übrigen erst, seit im Jahr
2009 das Abänderungsverfahren nach § 10 a VAHG ab-
geschafft worden ist . Unbilligkeiten konnten bis dahin
im Abänderungsverfahren berücksichtigt werden . Dieses
Abänderungsverfahren durch einen der Ehegatten hat die
Rechtskraft der Ehescheidung auch nicht in Frage ge-
stellt .
Will man also im Falle einer Beschwerde durch den
vergessenen Versorgungsträger die Anschlussbeschwer-
de ausschließen, muss dem Ehegatten stattdessen min-
destens ein Abänderungsverfahren zur Vermeidung un-
billiger Härten zugestanden werden .
Der BGH ist außerdem dazu übergegangen, Be-
schwerden von vergessenen Versorgungsträgern nur
noch bis zu fünf Monate nach Beschlusserlass zuzubilli-
gen . Auch der Ausschluss dieses Beschwerderechts kann
zu unbilligen Härten führen . Diese Härten könnten durch
die Zulassung eines schuldrechtlichen Ausgleichs nach
§ 20 VersAusglG vermieden werden .
Eines ist jedenfalls klar: Durch die Neureglung des
Versorgungsausgleichs im Jahr 2009 sind Folgeprob-
leme entstanden, die noch nicht gelöst wurden . Diese
einseitig zulasten eines Ehegatten zu lösen, indem man
die Möglichkeit der Anschlussbeschwerde streicht, wird
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514506
(A) (C)
(B) (D)
dem Problem jedenfalls nicht gerecht . Hier braucht es ein
durchdachtes und ausgewogenes Gesamtkonzept .
Fazit: Der Neuregelung zu den Sachverständigengut-
achten stimmen wir zu . Die isolierte Änderung des § 145
FamFG ohne Antwort auf die Fragen der Vermeidung un-
billiger Härten lehnen wir ab .
Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bundes-
minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sachver-
ständige spielen in vielen Gerichtsverfahren eine ent-
scheidende und für die Parteien bisweilen existenzielle
Rolle . Das Verfahrensrecht muss daher gewährleisten,
dass nur kompetente und unparteiliche Sachverständi-
ge ernannt werden . Die Auswahl des Sachverständigen
stellt die Zivilprozessordnung grundsätzlich in das freie
Ermessen des Gerichts; die Parteien wirken an der Aus-
wahlentscheidung nur unzureichend mit .
Der Koalitionsvertrag für die 18 . Legislaturperiode
fordert daher Maßnahmen zur Gewährleistung der Neu-
tralität von Sachverständigen und der Verbesserung der
Qualität von Gutachten .
Hierzu leistet der vorliegende Regierungsentwurf ei-
nen wesentlichen Beitrag .
Um das rechtliche Gehör im Auswahlprozess zu ge-
währleisten, gibt der Gesetzentwurf den Parteien das
Recht, sich vor der Ernennung zur Person des Sachver-
ständigen zu äußern. Das fördert auch die Verfahrenseffi-
zienz, denn das Gericht erfährt frühzeitig von Bedenken
gegen die Unparteilichkeit eines Sachverständigen und
kann diese in seine Auswahlentscheidung einbeziehen .
Zudem muss ein vom Gericht vorgeschlagener Sach-
verständiger künftig von sich aus mögliche Zweifel an
seiner Unparteilichkeit mitteilen . Auch dadurch werden
Verfahrensverzögerungen durch Befangenheitsanträge
im späteren Verfahren vermieden .
Die vorgesehene „Soll“-Regelung gewährleistet au-
ßerdem, dass die Gerichte im Einzelfall von der Anhö-
rung absehen können, etwa wenn der Gutachtenauftrag
sehr zügig – innerhalb weniger Wochen – erledigt wer-
den soll . Damit sehe ich auch die Bedenken des Bundes-
rates angemessen berücksichtigt .
Zur Förderung der Verfahrenseffizienz schreibt der
Gesetzentwurf außerdem vor, dass künftig jeder Gutach-
tenauftrag zu befristen ist . Im Interesse der Rechtsuchen-
den ist eine transparente und verlässliche Zeitplanung
mit dem Sachverständigen unerlässlich . In drei Vierteln
der überlangen Gerichtsverfahren ist der Sachverständi-
genbeweis eine Hauptursache von Verzögerungen .
Eine Aktenauswertung im Zivilprozess ergab, dass
derzeit lediglich in etwas über 50 Prozent der Verfahren
dem Sachverständigen eine Frist gesetzt wird . Ohne Be-
fristung des Gutachtenauftrags kann es keine stringente
Zeitplanung geben; die Verfahren drohen aus dem Ruder
zu laufen . Ich kann daher die ablehnende Position des
Bundesrates in diesem Punkt nicht nachvollziehen . Be-
nötigt der Sachverständige aufgrund unvorhersehbarer
Umstände mehr Zeit für die Erstattung des Gutachtens,
kann das Gericht die Frist nachträglich verlängern .
Schließlich sieht der Entwurf Regelungen vor, die
im Falle einer verschuldeten Fristversäumnis durch den
Sachverständigen zu einer konsequenteren Festsetzung
von Ordnungsgeldern führen sollen . Bisher wird auch bei
erheblichen Fristüberschreitungen in der Praxis kein Ord-
nungsgeld festgesetzt . Die gesetzte Frist wird deshalb oft
nicht ernst genommen . Dabei gewährleisten die strengen
Voraussetzungen für die Festsetzung und die Möglichkeit
der Fristverlängerung weiterhin, dass das Ordnungsgeld
das allerletzte Mittel bleibt, um den Sachverständigen
zur Erfüllung seiner Pflicht zu veranlassen. Im Gegensatz
zum Bundesrat glaube ich nicht, dass schärfere Sanktio-
nen dazu führen werden, dass Sachverständige gerichtli-
che Gutachtenaufträge künftig ablehnen . Sie werden sich
vielmehr professionell auf die geänderten Rahmenbedin-
gungen einstellen .
Im Koalitionsvertrag wurde auch die Qualitätsverbes-
serung familiengerichtlicher Gutachten vereinbart, da es
insbesondere in Sorge- und Umgangsverfahren immer
wieder Fälle von mangelhafter Begutachtung gibt . Ent-
sprechend der Koalitionsvereinbarung haben die Berufs-
verbände bereits Mindestanforderungen an die Qualität
von Gutachten im Kindschaftsrecht entwickelt und der
Praxis zur Verfügung gestellt .
Zur Qualitätssteigerung sind aber auch gesetzliche
Anforderungen an die Qualifikation der Gutachter erfor-
derlich . Es sollen zukünftig nur noch Sachverständige
bestellt werden, die mindestens über eine psychologi-
sche, psychotherapeutische, kinder- und jugendpsychiat-
rische, psychiatrische, ärztliche, pädagogische oder auch
sozialpädagogische Qualifikation verfügen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung und die Stan-
dards der Berufsverbände sind zwei sich wechselseitig
ergänzende Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität
familiengerichtlicher Begutachtungen .
Über beide Maßnahmen sollen zugleich die Aus- und
Fortbildungsprozesse vorangebracht werden, damit in
Zukunft mehr qualifizierte Gutachter zur Verfügung ste-
hen und Familiengerichte die Qualität eines Gutachtens
besser beurteilen können .
Die Neubestimmung knüpft an die bestehende Rege-
lung zur Anordnung einer lösungsorientierten Begutach-
tung an, die ein besonderes Qualitätsmerkmal für Gut-
achten in Kindschaftssachen bereits vorsieht .
Die bisherige FamFG-Vorschrift zur zwingenden ge-
richtlichen Fristsetzung einer schriftlichen Begutachtung
entfällt, da sie durch eine entsprechende Neureglung in
der ZPO ersetzt wird . Diese gilt über die allgemeinen
Verweisungsregelungen dann auch in Kindschaftssachen .
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht darüber
hinaus eine Änderung des Anschlussbeschwerderechts
in Ehescheidungsverfahren vor . Damit sollen falsche
Rechtskraftzeugnisse aufgrund fehlerhafter oder unter-
bliebener Bekanntmachungen an einen Versorgungsträ-
ger zukünftig vermieden werden .
Ich bitte Sie um Unterstützung des Regierungsent-
wurfs .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14507
(A) (C)
(B) (D)
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur
Änderung des Luftverkehrsgesetzes (Tagesord-
nungspunkt 21)
Ulrich Lange (CDU/CSU): Auch wenn wir heute
über eine Änderung des Luftverkehrsgesetzes sprechen,
lassen Sie mich voranstellen: Das Luftverkehrsgesetz
stellt grundsätzlich ein funktionierendes, erprobtes und
durch die Rechtsprechung ausdifferenziertes System dar .
Um es an sich ändernde Gegebenheiten anzupassen
und eventuell neu auftauchenden aktuellen Herausfor-
derungen begegnen zu können, wird das Gesetz hin und
wieder ergänzt . So auch durch die fünfzehnte Änderung
des Luftverkehrsgesetzes, die wir heute diskutieren . Da-
bei geht es vor allem um die Umsetzung europäischer
Vorgaben .
Eine europäische Änderung hat dabei für besonders
viel Aufsehen gesorgt . Ich spreche von den neuen Vorga-
ben für Hubschrauberlandeplätze . Dieses Thema wurde
auch medial stark diskutiert . Es bestand die Befürchtung,
insbesondere Landeplätze an Krankenhäusern könnten
künftig nicht mehr angeflogen werden.
Der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat
sofort reagiert und mit der Regelung der sogenannten
„Public Interest Sites – P .I .S“ (Einrichtungen von öffent-
lichem Interesse) vorübergehend Abhilfe geschaffen .
Jetzt wird durch die Änderung im Luftverkehrsge-
setz eine dauerhafte Lösung gefunden und damit Klar-
heit und Rechtssicherheit für die Beteiligten geschaffen .
Das ist wichtig . Damit ist zahlreichen Krankenhäusern in
Deutschland geholfen und unser vorbildliches flächende-
ckendes (Luft-)Rettungssystem gestärkt worden .
Mit der ausdrücklichen Kategorisierung von „Landes-
tellen an Einrichtungen von öffentlichem Interesse“ wer-
den diese aus dem Anwendungsbereich des § 6 LuftVG
herausgenommen . So kann sichergestellt werden, dass
der Großteil der Landestellen fortbestehen kann . Be-
stimmte grundlegende Anforderungen für die Gestaltung
der Landestellen sorgen zudem dafür, dass dem obersten
Prinzip, nämlich der Sicherheit des Luftverkehrs, ange-
messen Rechnung getragen wird .
Wir können in Deutschland zu Recht stolz auf unser
sehr gutes Rettungssystem sein . Rettungshubschrauber
sind dabei ein essenzieller Bestandteil der Rettungsket-
te und für die medizinische Versorgung der Bevölkerung
von erheblicher Bedeutung . Daher war es uns so wichtig,
hier eine gute Lösung zu finden, die unser bestehendes
und ausgesprochen effizientes System nicht gefährdet.
Mit den Änderungen im Gesetz ist uns dies gelungen .
Neben den Regelungen zu den Hubschrauberlande-
plätzen gab es weitere kleine Änderungen . So werden
europarechtliche Vorgaben in den Bereichen Flughäfen
und Flugbetrieb umgesetzt und die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zur Umweltverträglich-
keitsprüfung bei Anlage oder Ausbau eines Flughafens
kodifiziert. Diesbezüglich wird nun klargestellt, dass der
gesamte räumliche Einwirkungsbereich des Flughafens,
in dem abwägungserhebliche Beeinträchtigungen durch
oder Auswirkungen von Flugverfahren auftreten können,
in die UVP-Prüfung mit einbezogen werden muss . Auch
dies trägt dazu bei, die Rechts- und Planungssicherheit
zu verbessern .
Für uns ist vor allem wichtig, dass wir eine ausgewo-
gene Balance zwischen den verschiedenen Interessen
herstellen . Auf der einen Seite stehen das Bedürfnis nach
Mobilität in der Bevölkerung und die Entwicklung der
Flughäfen . Der Luftverkehr ist als Wirtschaftsfaktor für
zahlreiche Standorte von enormer Bedeutung . Er schafft
viele tausend Arbeitsplätze und sorgt für die nötige Kon-
nektivität unserer Volkswirtschaft . Und: Das dürfen wir
nicht vergessen: Unsere Luftverkehrswirtschaft steht in
hartem Wettbewerb .
Auf der anderen Seite stehen die Belastung der Men-
schen durch Fluglärm und der Wunsch nach Verbesse-
rungen in diesem Bereich . Hier ist schon viel erreicht
worden, und die Flughäfen leisten einen enormen Bei-
trag .
Bisher ist uns eine ausgewogene Politik gelungen . Ich
bin zuversichtlich, dass wir dies auch weiterhin schaffen .
Wir müssen verhindern, dass unsere Flughäfen ihre
Flexibilität verlieren und damit im internationalen Wett-
bewerb, der ohnehin von ungleichen Wettbewerbsbedin-
gungen geprägt ist, hinterherhinken . Das würde nämlich
den gesamten Luftverkehrsstandort Deutschland schwä-
chen und kann nicht in unserem Interesse sein . Daher
müssen wir bei Änderungen in diesem Bereich grund-
sätzlich sehr genau abwägen .
Gesetzesänderungen, welche die generelle Planungs-
sicherheit gefährden und ein unsicheres Klima für In-
vestitionen schaffen, nützen den Betroffenen nicht und
entziehen der gesamten Luftverkehrswirtschaft Investi-
tionsmöglichkeiten, die an anderer Stelle, zum Beispiel
durch Anschaffung neuen Fluggerätes, zum Lärmschutz
beitragen können . Hier heißt es, gemeinsam an einem
Strang zu ziehen . Die fünfzehnte Änderung des Luftver-
kehrsgesetzes setzt hier die richtigen Akzente .
Ich freue mich, dass wir diese Gesetzesänderung jetzt
auf den parlamentarischen Weg bringen können, und
freue mich auf die weiteren Beratungen .
Peter Wichtel (CDU/CSU): Vor fast auf den Tag
genau vier Jahren haben wir im Plenum des Deutschen
Bundestages den Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur vierzehnten Änderung des Luftverkehrsgesetzes in
erster Lesung beraten . Die christlich-liberale Koalition
hatte im Jahr 2011 die überaus komplexe Aufgabe gelöst,
die Flughafenentgeltrichtlinie der EU in deutsches Recht
umzusetzen . Heute befassen wir uns mit der ins Parla-
ment eingebrachten fünfzehnten Änderung des Luftver-
kehrsgesetzes . Und auch heute steht die Bundesregierung
vor der Aufgabe, insbesondere auf mehrere Vorgaben der
Europäischen Kommission einzugehen und die bestehen-
den gesetzlichen Regelungen entsprechend anzupassen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514508
(A) (C)
(B) (D)
So ist die EU-Kommission der Auffassung, dass das
geltende deutsche Luftverkehrsrecht hinter der Anfor-
derung der europäischen Gesetzgebung zurückbleibt,
weil in den Verfahren zur Festlegung von Flugverfahren
weder eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) noch
eine Prüfung der Auswirkungen auf Natura-2000-Gebie-
te durchzuführen ist . Man hat vor diesem Hintergrund im
Jahr 2013 sogar bereits ein Vertragsverletzungsverfahren
gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet . Paral-
lel dazu hat auch die höchstrichterliche Rechtsprechung
in Deutschland bestätigt, dass notwendige UVP umfas-
send bereits im Zulassungsverfahren für den Flughafen
durchgeführt werden müssen . Dabei müsse sich die UVP
auf den gesamten Einwirkungsbereich des Flughafens
erstrecken, in dem abwägungserhebliche Auswirkungen
auftreten können . Die Bundesregierung trägt dem nun
Rechnung und verankert die Leitsätze des Urteils des
Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahr 2012 mit dem
vorliegenden Entwurf im Luftverkehrsgesetz .
Eine weitere unklare Rechtssituation, die es aufzulö-
sen gilt, betrifft die Landeplätze für Helikopter an Kran-
kenhäusern . Bisher wurde die Praxis des Flugbetriebs
von Hubschraubern der Luftrettung nur unter Berück-
sichtigung der besonderen gesellschaftlichen Bedeutung
des Luftrettungssystems von der Verwaltung geduldet .
Hintergrund ist, dass nach Vorgaben des Luftverkehrsge-
setzes der Betrieb von Luftfahrzeugen eigentlich grund-
sätzlich auf Flugplätzen abgewickelt werden soll . Der
Flugbetrieb von Hubschraubern an Krankenhäusern fin-
det aber häufig an Außenlandestellen statt, die aufgrund
der Hindernissituation in Innenstadtlagen meist keine
Flugplatzgenehmigung erhalten . Durch Inkrafttreten der
EU-Verordnung 965/2012 ergibt sich nun die Möglich-
keit, den Hubschrauberbetrieb der Luftrettung von und
zu sogenannten „Örtlichkeiten von öffentlichem Interes-
se“ zuzulassen, worunter auch Krankenhäuser fallen . Wir
begrüßen und unterstützen diese Initiative der Bundesre-
gierung, müssen aber gleichzeitig sicherstellen, dass das
hohe Versorgungs- und Sicherheitsniveau der Luftret-
tung komplett aufrechterhalten bleibt . Wir werden in den
parlamentarischen Beratungen Bundesverkehrsminister
Dobrindt beim Wort nehmen, der zugesichert hat, dass
vor dem Hintergrund der gesetzlichen Änderung keine
Landestelle an einem Krankenhaus geschlossen werden
muss .
Eine schwierigere Situation ergibt sich dagegen im
Hinblick auf die im vorliegenden Gesetzentwurf eben-
falls festgehaltene Änderung der Bodenabfertigungs-
dienst-Verordnung . Hier soll am Flughafen Düsseldorf
die Zahl der zuzulassenden Selbstabfertiger und Drittab-
fertiger von bisher zwei auf drei geändert werden . Der
Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 6 . November
dieses Jahres zudem empfohlen, selbiges am Flughafen
Berlin-Schönefeld umzusetzen . Dem Argument, dass
dies mehr Wettbewerb auf dem Feld der Bodenabferti-
gung eröffnet, kann ich persönlich nicht folgen .
Schon heute befinden sich Qualität, Effizienz und
Sicherheit bei der Bodenabfertigung an den deutschen
Flughäfen auf hohem Niveau, zudem ist die Erbringung
wettbewerblich ausgestaltet . Eine Erhöhung der Zahl von
Selbst- und Drittanbietern würde keine weiteren Quali-
tätsverbesserungen erbringen, sondern die vorhandenen
Standards vielmehr gefährden und für unsichere Arbeits-
verhältnisse und Lohndumping sorgen . Diese Ansicht ha-
ben die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, FDP, SPD
und Bündnis 90/Die Grünen in der vergangenen Legisla-
turperiode auch geteilt, als wir uns gemeinsam mit einem
entsprechenden Entschließungsantrag gegen die Libera-
lisierungspläne der EU-Kommission engagiert haben . Im
Rahmen des sogenannten Flughafenpaketes wollte man
in Brüssel die Zahl der Drittanbieter auf europäischen
Flughäfen flächendeckend und zwingend auf mindes-
tens drei anheben . Nachdem wir uns über mehrere Jahre
hinweg gemeinsam mit den Gewerkschaften und Teilen
der Luftverkehrswirtschaft erfolgreich gegen die Pläne
gewehrt haben, erscheint es mir inkonsequent, nun im
Deutschen Bundestag für eine Anhebung der Selbst- und
Drittabfertiger zu stimmen, selbst wenn dies nur an ei-
nem oder zwei Flughäfen in Deutschland passieren soll .
Abschließend betrachtet sehen wir innerhalb der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion der nun begonnenen par-
lamentarischen Beratung des Gesetzentwurfes überaus
positiv entgegen . Wir werden die Bundesregierung in
ihren berechtigten Anliegen mit Nachdruck unterstützen
und werden zugleich in enger Abstimmung mit unserem
Koalitionspartner analysieren, inwiefern die Notwendig-
keit besteht, die fünfzehnte Änderung des Luftverkehrs-
gesetzes punktuell noch zu optimieren .
Arno Klare (SPD): Wir debattieren heute in erster
Lesung die fünfzehnte Änderung des LuftVG .
Der vorliegende Regierungsentwurf sieht unter ande-
rem vor, den § 8 Absatz 1 zu ergänzen . Dies ist der Tat-
sache geschuldet, dass die Europäische Kommission ein
Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einge-
leitet hat .
Der systematische Blick auf das Gesetz hilft bei der
Einordnung der vorgeschlagenen Änderungen .
§ 29 b Absatz 1 des LuftVG verpflichtet Flughäfen,
Airlines und Piloten, vermeidbaren Lärm zu verhindern
und unvermeidbaren auf ein Minimum zu beschränken .
Absatz 2 (a . a . O .) setzt die Planungsinstanzen für die
Flugverfahren, vereinfacht landläufig als Flugrouten be-
zeichnet, in die Verantwortung, diese Verfahren so fest-
zulegen, dass ein maximaler Schutz der Bevölkerung vor
Lärm gewährleistet ist . Deutsche Flugsicherung (DFS)
und schlussendlich das Bundesaufsichtsamt für Flugsi-
cherung (BAF) sind also gesetzlich gehalten, unzumut-
baren Fluglärm zu vermeiden .
Was heißt unzumutbar? Das wird materialiter und
konkret in § 2 Absätze 1 bis 3 des Fluglärmgesetzes defi-
niert . Das LuftVG formuliert also indirekt sozusagen ein
Low-Noise-Routing-Gebot . Flugrouten so lärmgemin-
dert wie möglich zu gestalten, ist als Gebot dem LuftVG
inhärent .
Zum Thema Flugverfahren/Flugrouten im Kontext
von Planfeststellungsprozessen existiert umfassende
höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts . Ich zitiere aus einem Urteil vom 19 . De-
zember 2013: Dem Planfeststellungsbeschluss obliegt es,
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14509
(A) (C)
(B) (D)
die in der räumlichen Umgebung eines Flughafens aufge-
worfenen Probleme abwägend zu bewältigen .
Teil eines Planfeststellungsbeschlusses ist stets eine
Umweltverträglichkeitsprüfung, kurz: UVP . Hierzu stellt
das Urteil allgemein fest: Die UVP dient (also) der ge-
samthaften Vorbereitung einer bestimmten Verwaltungs-
entscheidung . – Gemeint ist damit die Planfeststellung .
Das bedeutet, die „gesamthafte Entscheidung“ im
Kontext der Planfeststellung erschöpft sich nicht in der
UVP . Die UVP ist zwingend Bestandteil des Abwägungs-
verfahrens, dies aber gleichrangig neben anderen planeri-
schen Überlegungen, wie zum Beispiel der Konnektivität
einer Region sowie der ökonomischen Entwicklung, die
durch einen Airport induziert wird . Die UVP ist nicht
prioritär, wie überhaupt keine Dimension in der plane-
rischen Abwägung für sich allein Vorrang beanspruchen
kann .
Zurück zum Planfeststellungsverfahren: In einem Ur-
teil aus dem Jahr 2012 stellt das Bundesverwaltungsge-
richt fest: Es ist erforderlich, die gesamte Umgebung des
Flughafens, die von abwägungserheblichem Lärm be-
troffen werden könnte, in den Blick zu nehmen . – Diese
Positionierung spiegelt sich kongenial im Gesetzentwurf,
in dem es heißt, die Abwägung müsse sich auf den ge-
samten Einwirkungsbereich des Vorhabens erstrecken .
Das heißt, es dürfen nicht nur bestimmte Flugverfahren
geprüft werden, sondern alle denkbaren und auf der Ba-
sis des Bahnsystems technisch möglichen . In den Worten
des Bundesverwaltungsgerichts: „alle in Betracht kom-
menden Routenalternativen“ müssen geprüft werden .
Exakt so wird es im Gesetzentwurf § 8 Absatz 1 jetzt
fixiert.
Die Europäische Kommission hat im Mai 2013 ein
Vertragsverletzungsverfahren angestrengt, weil nach
bundesdeutscher Rechtslage die Festlegung von Flugver-
fahren keiner vorherigen UVP unterworfen wird .
Der Gesetzentwurf entkräftet diesen Vorwurf, indem
der zuständigen Planfeststellungsbehörde das Recht ein-
geräumt wird, dann – und nur dann – bestimmte Flugver-
fahren zu untersagen, wenn nur durch diese Untersagung
das Vorhaben planfeststellungsrechtlich gerechtfertigt
werden kann . Überdies kann die Behörde Bedingungen
von Überflügen über als besonders schützenswert einge-
stuften Gebieten festlegen .
Damit wird allerdings nolens volens dem Routingsys-
tem eine gewisse Vorrangstellung im Planfeststellungs-
recht eingeräumt, die das Bundesverwaltungsgericht – üb-
rigens im Lichte des Vertragsverletzungsverfahrens – in
ihrer Notwendigkeit nicht bejaht .
Es ist festzustellen, dass der vorliegende Gesetzent-
wurf dem von der KOM erhobenen Vorwurf auf jeden
Fall hinlänglich und ausreichend begegnet, geht er doch
über die vom Bundesverwaltungsgericht als europa-
rechtskonform bewertete Rechtsposition deutlich hinaus .
Insofern findet die Formulierung formaliter meine Zu-
stimmung, wenngleich im parlamentarischen Verfahren
analysiert und abgewogen werden sollte, ob die vorge-
schlagene weiter gehende Fassung nicht ergebnisrele-
vante Kapazitätsbegrenzungen von Flughäfen zeitigen
kann .
Aus dem Wortlaut des vorliegenden Gesetzentwurfs
ist allerdings meines Erachtens nicht zwingend abzulei-
ten, dass jedwede planungsrechtlich relevante bauliche
Änderung an einem Airport eine umfassende UVP unter
Einschluss der Flugverfahren auslöst .
T 3 in Frankfurt (FRA) ist im Bau, die geplanten Er-
weiterungen in Stuttgart und Hamburg beziehen sich auf
Vorfeld bzw . auf Optimierung im Passagierbetrieb . Die
Bahnsysteme – und maßgeblich von diesen sind die phy-
sikalisch möglichen Flugverfahren unmittelbar abhän-
gig – werden nicht modifiziert. Dies wäre allein in Mün-
chen (MUC) der Fall, doch dort gibt ist sogar Baurecht .
Die Änderung von § 8 Absatz 1 LuftVG entfaltet also
ohnehin kaum bedeutsame reale Wirkung .
Zum Thema Bodenverkehrsdienste:
Die Verordnung über Bodenabfertigungsdiens-
te auf Flugplätzen – kurz: BADV – basiert auf einer
EWG-Richtlinie vom 15 . Oktober 1996 . Unter Ziel 5
wurde seinerzeit formuliert:
(5) Mit der Öffnung des Zugangs zum Markt der Bo-
denabfertigungsdienste soll zur Senkung der Betriebs-
kosten der Luftverkehrsgesellschaften und zur Hebung
der den Nutzern gebotenen Qualität beigetragen werden .
Das erste Ziel wurde erreicht – oft leider in Form eines
Dumping-Wettbewerbs zulasten der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer der Dienstleister –, ob das zweite Ziel
erfüllt ist, darüber ließe sich trefflich streiten.
Europa verfügte seinerzeit zwar Liberalisierung, al-
lerdings wurde eingeräumt, dass die Zahl der Anbieter
durch den Flughafenbetreiber in begründeten Fällen be-
grenzt werden kann . Insofern steht in der 1997 erlassenen
bundesdeutschen Verordnung in § 3, dass erstens ein Mo-
nopol ausgeschlossen ist – im Wortlaut: „nicht weniger
als zwei“ – und zweitens, dass ein Anbieter die Leistung
erbringen muss, der zumindest zu 75 Prozent nicht in der
Hand des Flughafenbetreibers ist .
Im Anhang 5 zur BADV ist aufgelistet, wie viele
Dienstleister auf welchem Flughafen lizenziert sind . In
Frankfurt (FRA), München (MUC), Berlin-Tegel (TXL),
Stuttgart (STR), Hamburg (HAM), Köln (CGN), Han-
nover (HAJ), Nürnberg (NUE) und Berlin-Schönefeld
(SXF) sind das zwei – zumindest bei den klassischen
Diensten Gepäck, Fracht etc . Bei den Betankungsdiens-
ten schwankt die Zahl schon erheblich . Der neue Flugha-
fen Berlin/Brandenburg (BER) und Leipzig/Halle (LEJ)
haben unbegrenzte Lizenzzahlen eingeräumt bekommen .
Diese uneinheitliche Bild ist unübersichtlich, gleich-
wohl aber verordnungskonform . „Nicht weniger als
zwei“ bedeutet eben theoretisch auch unbegrenzt .
Die Gewerkschaften kritisieren den statthabenden
Lohndumpingwettbewerb zu Recht, zumal er vielerorts
auch nicht den gewünschten Qualitätswettbewerb aus-
gelöst zu haben scheint . Allerdings haben sie auch mit
den Low-Cost-Anbietern Tarifverträge geschlossen und
somit die ausdifferenzierte Struktur verfestigt .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514510
(A) (C)
(B) (D)
Da es nicht verfängt, die BADV zu ändern, weil die
sich aus der EU-Richtlinie ableitet, ist die Situation nur
durch einen Branchentarifvertrag zu befrieden . Der kann
von der Politik Unterstützung erfahren – was wir auch
tun –, muss allerdings – so sind die Spielregeln – von
den Tarifpartnern ausgehandelt und beschlossen werden .
Deshalb empfehle ich, dass der Bundesgesetzgeber
sich aus dem gesamten Verfahren zum Thema Bodenver-
kehrsdienste heraushält und an der BADV nichts ändert .
Zu den Regelungen für Landeplätze von Rettungs-
hubschraubern – „Public Interest Sites“ – verweise ich
auf meine Kollegen der Koalitionsfraktion und schließe
mich deren Ausführungen ausdrücklich an .
Herbert Behrens (DIE LINKE): Die Ankündigung
eines Luftverkehrskonzeptes im Koalitionsvertrag ließ
erwarten, dass in dieser Legislaturperiode beim Flug-
verkehr einiges in Bewegung kommt . Bisher ist jedoch
nur eines zu verzeichnen, nämlich Stillstand . Mehr als
die Hälfte der 18 . Wahlperiode ist bereits vorbei, und
heute kommen wir erstmals zusammen, um Änderungen
am Luftverkehrsgesetz zu debattieren . Das ist angesichts
der vielen Probleme im Bereich des Luftverkehrs ein Ar-
mutszeugnis für den Verkehrsminister, der sein Haus mit
Ausländermaut sowie der Privatisierung der Fernstraßen
auf Trab hält und sonst eher durch Arbeitsverweigerung
glänzt .
Auch der vorgelegte Gesetzentwurf lässt jeglichen
Elan vermissen, von einem Gesamtkonzept ganz zu
schweigen . Der Entwurf ist vielmehr eine Art politischer
Gemischtwarenladen, in dem – mit Ausnahme der be-
grüßenswerten Regelung zur Luftrettung – die eine oder
andere Forderung der Luftverkehrslobby zur Schau ge-
stellt wird . Nicht nur, dass die Zulassung militärischen
Fluggeräts privatisiert werden soll, Sie wollen Boden-
verkehrsdienste weiter liberalisieren . Ich möchte da-
ran erinnern, dass alle Fraktionen des Bundestages die
Bodenverkehrsdienste-Verordnung der EU entschieden
abgelehnt haben, welche auf Druck der Gewerkschaf-
ten inzwischen sogar zurückgenommen wurde . Und nun
soll diese Liberalisierung scheibchenweise und durch die
Hintertür erfolgen – so etwas ist mit der Linken nicht
zu machen . Wir nehmen die Ängste der Beschäftigten
an den Flughäfen Düsseldorf und Schönefeld ernst und
werden die Zulassung weiterer Drittabfertiger nicht mit-
tragen . Die lapidare Begründung im Gesetzentwurf, „die
Übersicht betreffend die Zahl der zuzulassenden Drittab-
fertiger war anzupassen“, ist dabei an Aussagekraft kaum
zu unterbieten . Ich frage: Warum war die Übersicht anzu-
passen? Wahrscheinlich, weil die dritte Zulassung längst
vergeben wurde, obwohl das rechtlich nicht gedeckt ist .
Man könnte meinen, dass im Verkehrsministerium nie-
mand die Einhaltung geltenden Rechts überwacht, denn
am Mittwoch musste es bereits einräumen, dass jahre-
lang Codeshare-Flüge ohne Rechtsgrundlage genehmigt
wurden . Es ist ja schon ein Skandal, dass die Bundesre-
gierung bei Lärm- und Umweltschutz untätig ist und kei-
ne Verbesserungen für die Betroffenen initiiert – welche
freilich zulasten der Gewinne der Luftverkehrswirtschaft
gingen . Aber dass es das Verkehrsministerium bei Air-
lines und Flughäfen nicht so genau nimmt, wenn es um
die Einhaltung verbindlicher rechtlicher Vorgaben geht,
setzt dem Ganzen die Krone auf .
Wer Geschenke an die Luftverkehrsindustrie verteilt,
sollte vor Weihnachten eigentlich auch an den Natur-
schutz und die Lärmbetroffenen denken . Aber auch die
präsentierten Änderungen bei der Umweltverträglich-
keitsprüfung liegen eher unter dem Christbaum der Luft-
verkehrslobby, denn umweltverträglicher wird der Luft-
verkehr durch die Vorschläge der Bundesregierung nicht .
Mit dem halbherzigen Entwurf will die Bundesregierung
lediglich ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kom-
mission beenden . Ob dies gelingen wird, ist mehr als
fraglich, denn die hier zu beratende Reaktion auf die
Mahnung der EU ist wirklich paradox . Kurz gefasst: Sie
antworten auf die berechtigte Forderung der Kommissi-
on, in § 32 des Luftverkehrsgesetzes sowie in § 27 a der
Luftverkehrsordnung eine UVP-Pflicht für Flugrouten
festzuschreiben, dass dies nicht möglich sei, weil das
Verfahren zur Festlegung von Flugrouten eben in diesen
§§ 32 bzw . 27 a festgeschrieben ist . Übertragen auf die
Pkw-Maut kommt diese Argumentation darauf hinaus,
dass die Diskriminierung durch die vollständige Kom-
pensation der Mautkosten für hier zugelassene Fahrzeu-
ge über die Kfz-Steuer nicht beseitigt werden kann, weil
die Mautkosten per Kfz-Steuer vollständig kompensiert
werden . Das ist doch offensichtlich völlig absurd und
wird von der EU-Kommission wahrscheinlich nicht ak-
zeptiert werden .
Mit dem vom Verkehrsministerium eingeschlagenen
Weg, die EU-Kommission zur Einstellung des Verfah-
rens zu bewegen, wird immerhin nichts verschlechtert .
Aber welchen Effekt hat es langfristig für den Lärm-
schutz, wenn bei der Planfeststellung einige Gebiete mit
Auflagen für den Überflug versehen werden können?
Wohl keine, denn Planfeststellungsverfahren im Luft-
verkehrsbereich wird es auf absehbare Zeit nicht mehr
geben . Der Vorschlag der Bundesregierung führt somit
ins Leere, denn die Lärmprobleme an den bestehen-
den Flughäfen werden damit nicht gemildert . Nur eine
Umweltverträglichkeitsprüfung für neu festzulegende
Flugrouten oder wesentliche Änderungen bestehender
Flugverfahren kann wirklich für Entlastung sorgen, aber
davon will die Bundesregierung offensichtlich nichts
wissen . Sie haben bei einem so wichtigen Thema selbi-
ges schlicht verfehlt . Daher wird meine Fraktion Ihnen
einige Änderungsvorschläge unterbreiten, um Sie doch
noch auf den rechten Weg zu bringen .
Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Mit dem Fünfzehnten Gesetz zur Änderung des
Luftverkehrsgesetzes soll verspätet auf ein Vertragsver-
letzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutsch-
land seitens der Europäischen Kommission reagiert wer-
den . Nach Ansicht der Kommission verstößt Deutschland
gegen europäisches Recht, weil bei der Festlegung von
Flugverfahren – auch als Flugrouten bezeichnet – keine
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und keine Prü-
fung von Auswirkungen auf Natura-2000-Gebiete im na-
tionalen Recht verankert sind .
Anstatt nunmehr für die Festlegung von An- und
Abflugverfahren (Flugrouten) eines Flughafens eine
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14511
(A) (C)
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Pflicht zur Durchführung einer UVP-Prüfung zu regeln,
schlägt die Bundesregierung vor, die Durchführung einer
UVP-Prüfung auf die Zulassungsverfahren für Flughäfen
zu beschränken . So solle sich die UVP auf den „gesamten
Einwirkungsbereich des Flughafens erstrecken, in dem
abwägungserhebliche Auswirkungen auftreten können“ .
Damit berücksichtigt die Bundesregierung in keiner Wei-
se ausreichend die Kritik der EU-Kommission .
Die Bundesregierung berücksichtigt dabei auch nicht
die Empfehlungen ihres eigenen Sachverständigenrates
für Umweltfragen (SRU) . Im Sondergutachten aus dem
letzten Jahr mit dem Titel „Fluglärm reduzieren: Reform-
bedarf der Planung von Flughäfen und Flugrouten“ emp-
fehlen die Experten, dass für die Festlegung der Flugrou-
ten eine grundsätzliche UVP-Pflicht eingeführt werden
sollte . Vorgeschlagen wird dafür das folgende Verfahren:
„Anhand einer Vorprüfung … sollte untersucht wer-
den, ob die geplante Änderung erhebliche nachteilige
Umweltauswirkungen haben kann . Fällt diese Vorprü-
fung negativ aus, ist die Umweltverträglichkeitsprüfung
entbehrlich . Da eine Umweltverträglichkeitsprüfung Zeit
beansprucht, könnte das BAF dazu ermächtigt werden,
Flugrouten vorläufig festzusetzen, wenn eine kurzfristige
wesentliche Änderung der Flugrouten aus Sicherheits-
gründen zwingend erforderlich ist .“
Auch das Umweltbundesamt hat mit dem „Gutachten
zur Prüfung von formell- und materiell-rechtlichen Vor-
gehensmöglichkeiten bei der Festlegung von Flugrouten“
im Jahr 2014 konkrete Vorschläge unterbreitet, wie ange-
sichts der Bedeutung für Gesundheit und Lebensqualität
die Fluglärmaspekte bei der Festlegung von Flugrouten
besser berücksichtigt werden können . Die Autoren des
Gutachtens schlagen vor, je nach erwarteten Fluglärm-
auswirkungen durch die Festlegung zu differenzieren: in
ein vereinfachtes Verfahren, ein reguläres Verfahren und
ein erweitertes Verfahren im Fall einer grundlegenden
Systemänderung der bisherigen Flugrouten mit Umwelt-
verträglichkeitsprüfung .
Nichts von diesen fachlich fundierten Vorschlägen fin-
det sich im Gesetzentwurf wieder .
Verschwiegen wird zudem, dass in Zukunft kaum Zu-
lassungsverfahren für Flughäfen – sprich Planfeststel-
lungsverfahren – anstehen, wo eine UVP-Pflicht greifen
könnte . Die dritte Start- und Landebahn in München ist
planfestgestellt, die vierte Landebahn in Frankfurt/Main
ist in Betrieb, wenn auch noch nicht eröffnet, aber ebenso
planfestgestellt ist der künftige Berliner Hauptstadtflug-
hafen BER . Die Änderung des Luftverkehrsgesetzes in
dieser Form wird also praktisch kaum Auswirkungen ha-
ben . Wirksamer Fluglärmschutz sieht anders aus .
Notwendig wäre stattdessen, im Luftverkehrsgesetz
erstens Grenzwerte für die Lärmbelastung – für Dauer-
schall- und Spitzenpegel – einzuführen, die die Belastun-
gen durch Fluglärm nach oben hin begrenzen; zweitens
ein Lärmminderungsgebot zu verankern, welches die
Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisationen
dazu verpflichtet, Fluglärm grundsätzlich und insbeson-
dere während der Nachtstunden zu reduzieren; drittens
Abwägungskriterien für die Festlegung von Flugver-
fahren – Flugrouten – zu definieren, die auch Kriterien
für Einzelfreigaben bestimmen, sodass Flugverfahren
die Regel und Einzelfreigaben die Ausnahme sind, und
natürlich, wie bereits angesprochen, viertens im Verfah-
ren zur Festlegung von Flugverfahren die grundsätzliche
Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeits-
prüfung sowie einer Öffentlichkeitsbeteiligung zu veran-
kern .
Der Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm ist im gel-
tenden Luftverkehrsrecht nur unzureichend gewährleis-
tet . Der Sachverständigenrat für Umweltfragen konsta-
tiert in dem angesprochenen Gutachten zutreffend, dass
der „Flugverkehr und Fluglärm vom geltenden Recht in
nicht mehr zeitgemäßer Weise privilegiert“ werden und
die „gesetzliche Regelung der Fluglärmproblematik im
Luftverkehrsrecht unterentwickelt“ ist .
Die Bundesregierung dokumentiert mit diesem Ge-
setzentwurf eindrucksvoll, dass CDU/CSU und SPD
nicht an einer substanziellen Verbesserung des Fluglärm-
schutzes interessiert sind .
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146. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
TOP 4 Technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands
TOP 5 Bundeswehreinsatz in Afghanistan (Resolute Support)
TOP 6 Bundeswehreinsatz Mittelmeer (OAE)
TOP 7 Fluchtursachen
TOP 27, ZP 1 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
TOP 28, ZP 2 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
ZP 3 Wahl zum Beirat der Stiftung Datenschutz
ZP 4 Aktuelle Stunde zu den Ergebnissen der UN-Klimakonferenz in Paris
TOP 8 Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte
TOP 9 Vergaberechtsmodernisierungsgesetz
TOP 10 Stromsperren
TOP 11 Durchsetzung von Verbraucherdatenschutz
TOP 12 Patientensicherheit bei Medizinprodukten
TOP 13 Änderung des Parteiengesetzes
ZP 5 Verbot der NPD
TOP 15 Wissenschaftszeitvertragsgesetz
TOP 16 Private Sicherheitsfirmen
TOP 17 Anerkennung von Berufsqualifikationen
TOP 18 Wolfsschutz
TOP 19 Datenaustausch der Behörden im Asylverfahren
TOP 20 Änderung des Sachverständigenrechts
TOP 21 Änderung des Luftverkehrsgesetzes
Anlagen
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10