3) Anlage 10
        Vizepräsidentin Ulla Schmidt
        (A) (C)
        (B) (D)
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14487
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Ehrmann, Siegmund SPD 17 .12 .2015
        Ernstberger, Petra SPD 17 .12 .2015
        Jantz, Christina SPD 17 .12 .2015
        Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        17 .12 .2015
        Kunert, Katrin DIE LINKE 17 .12 .2015
        Merkel, Dr . Angela CDU/CSU 17 .12 .2015
        Müller (Chemnitz),
        Detlef
        SPD 17 .12 .2015
        Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        17 .12 .2015
        Nüßlein, Dr . Georg CDU/CSU 17 .12 .2015
        Röring, Johannes CDU/CSU 17 .12 .2015
        Schmidt (Fürth),
        Christian
        CDU/CSU 17 .12 .2015
        Spinrath, Norbert SPD 17 .12 .2015
        Steinmeier, Dr . Frank-
        Walter
        SPD 17 .12 .2015
        Stritzl, Thomas CDU/CSU 17 .12 .2015
        Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        17 .12 .2015
        Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 17 .12 .2015
        Walter-Rosenheimer,
        Beate
        BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        17 .12 .2015
        Weber, Gabi SPD 17 .12 .2015
        Wicklein, Andrea SPD 17 .12 .2015
        Anlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Britta
        Haßelmann, Oliver Krischer, Dr. Konstantin von
        Notz, Annalena Baerbock, Kai Gehring, Elisabeth
        Scharfenberg, Luise Amtsberg (alle BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung
        über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
        Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
        Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
        Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso-
        lute Support für die Ausbildung, Beratung und
        Unterstützung der afghanischen nationalen Ver-
        teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan
        (Tagesordnungspunkt 5)
        Für uns war und ist klar, dass die Übergabe der voll-
        ständigen Sicherheitsverantwortung an die Menschen in
        Afghanistan nicht das Ende unserer Verantwortung für
        Afghanistan bedeutet hat . Mit Bedauern und Sorge müs-
        sen wir feststellen, dass sich seit Beginn der Mission Re-
        solute Support (RSM) vor einem Jahr mit dem Ziel der
        Ausbildung, des Trainings und der Beratung der afgha-
        nischen Sicherheitskräfte die Sicherheitslage in Afgha-
        nistan nicht verbessert hat . Nicht zuletzt die dramatisch
        hohe Zahl der in den vergangenen Monaten aus Afgha-
        nistan nach Deutschland Geflüchteten zeigt uns das sehr
        deutlich, aber auch die zeitweise Einnahme von Kunduz
        durch die Taliban . Wo vor einem Jahr nach den Wahlen
        und der Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit
        noch Hoffnung für eine positive politische Entwicklung
        des Landes unter dem Führungsduo Ghani und Abdullah
        bestand, herrschen heute Verunsicherung und Krise . Die
        Friedensgespräche zwischen den Konfliktparteien sto-
        cken . Die schlechte Sicherheitslage bleibt nicht ohne
        Auswirkungen auf die zivile Hilfe und das wirtschaftli-
        che Engagement Deutschlands vor Ort .
        Die 2015 im Rahmen der Resolute Support Missi-
        on angestrebten Ziele sind von einer Umsetzung weiter
        entfernt als erhofft . Es wäre aber falsch, das Ziel eines
        sichereren Afghanistans, in dem es für die Menschen
        eine Lebensperspektive gibt, deshalb aufzugeben . Die
        Rückschritte schmälern auch nicht die Leistung derer, die
        mit großem persönlichem Einsatz vor Ort ihren Dienst
        geleistet haben und leisten . Wir sind den in Afghanistan
        eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen
        und Polizisten sowie den zivilen Helferinnen und Helfern
        zu großem Dank verpflichtet.
        Wir unterstreichen die Notwendigkeit, die afghani-
        schen Sicherheitskräfte auch weiter auszubilden und
        sie darin zu unterstützen, selbst Verantwortung für die
        Sicherheit in Afghanistan zu übernehmen . Das von der
        Bundesregierung vorgelegte Mandat allerdings stellt den
        Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan jetzt auf Dauer,
        ohne klare Zielmarken zu definieren. Es ist unklar, wie
        mit der Ausgestaltung der Resolute Support Mission vor
        dem Hintergrund einer blockierten afghanischen Regie-
        rung und eines Wiedererstarkens der Taliban ein sinnvol-
        ler Beitrag zur Verbesserung der Sicherheitslage in Afg-
        hanistan geleistet werden soll – und kann . Wesentliche
        Rahmenbedingungen für den Erfolg der Mission fehlen
        auch weiterhin, wie zum Beispiel die nachhaltig gesi-
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514488
        (A) (C)
        (B) (D)
        cherte, ausreichende Finanzierung für die weitere Be-
        schäftigung der afghanischen Sicherheitskräfte, die von
        der internationalen Gemeinschaft ausgebildet wurden .
        Ebenso fehlt der intensive Dialog mit der afghanischen
        Regierung mit Blick auf die mangelhafte politische und
        militärische Führung .
        Notwendig ist außerdem die Einhaltung der finanziel-
        len und materiellen Versprechen für den zivilen Wieder-
        aufbau in Höhe von 430 Millionen Euro bis einschließ-
        lich 2016 und ihre anschließende Weiterführung auf
        hohem Niveau .
        Wir sehen beides: die Notwendigkeit einer Fortset-
        zung einer weiteren Ausbildung, Unterstützung und Be-
        ratung der afghanischen Sicherheitskräfte, aber auch die
        Schwächen des vorgelegten Mandates . Daher haben wir
        heute bei der Abstimmung zur Verlängerung des Einsat-
        zes im Deutschen Bundestag mit „Enthaltung“ gestimmt .
        Anlage 3
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Corinna Rüffer, Beate Müller-
        Gemmeke und Peter Meiwald (alle BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung
        über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
        Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
        Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
        Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso-
        lute Support für die Ausbildung, Beratung und
        Unterstützung der afghanischen nationalen Ver-
        teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan
        (Tagesordnungspunkt 5)
        Wir lehnen die Fortsetzung der Beteiligung bewaff-
        neter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Ein-
        satz Resolute Support in Afghanistan ab und werden
        mit „Nein“ stimmen . Das Mandat birgt die Gefahr, dass
        Deutschland in Afghanistan erneut in einen Kampfein-
        satz verwickelt wird – mit unkalkulierbaren Folgen . Auf
        jeden Fall wird dieser Einsatz nicht zum Frieden in Af-
        ghanistan beitragen .
        Die Situation in Afghanistan ist niederschmetternd .
        Nach vielen Jahren des Krieges ist kein Frieden in Sicht .
        Die Sicherheitslage verschlechtert sich von Monat zu
        Monat . Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage,
        für Sicherheit zu sorgen . So konnte nur mit Mühe die
        Einnahme des Flughafens in Kandahar durch Aufstän-
        dische verhindert werden. Kunduz fiel sogar zeitweilig
        an die Taliban . Die Verluste unter den afghanischen Si-
        cherheitskräften sind hoch . Insbesondere die Zivilbevöl-
        kerung leidet unter den anhaltenden Kämpfen zwischen
        den Taliban und der Regierung . Viele Menschen sterben
        bei Drohnen- und Luftangriffen . Ein besonders krasses
        Beispiel ist der fehlgeleitete Angriff der US-Luftwaffe
        auf ein Krankenhaus von „Ärzte ohne Grenzen“ in Kun-
        duz mit vielen Toten und Verletzten .
        Vor diesem Hintergrund plant die Bundesregierung,
        das Mandat für den Einsatz Resolute Support zu verlän-
        gern und auszuweiten: Die Anzahl der in Afghanistan
        stationierten Bundeswehrsoldaten soll von 850 auf 980
        erhöht werden . Das Mandat erlaubt zudem, dass deutsche
        Soldaten im Zuge des Ausbildungseinsatzes afghanische
        Einheiten bei ihren Einsätzen begleiten . Das bedeutet
        sehr wahrscheinlich, dass auch Bundeswehrsoldaten in
        Kampfhandlungen verwickelt werden . Die Bundeswehr
        beteiligt sich damit an der Aufstandsbekämpfung, die in
        Afghanistan stets erfolglos war, und stärkt damit lang-
        fristig eher die Taliban .
        Die Bundesregierung schickt deutsche Soldaten in ei-
        nen Einsatz mit großen Risiken – ohne dass sie aus den
        bisherigen Afghanistan-Einsätzen die notwendigen Leh-
        ren gezogen hat . Die Bundesregierung setzt vorrangig
        auf eine militärische Lösung, anstatt die Afghanistanpo-
        litik vor allem darauf auszurichten, den Friedensprozess
        und den langfristigen Aufbau des Landes zu fördern . Es
        fehlt an einer strategischen und politischen Neuausrich-
        tung . Frieden rückt so in weite Ferne . Aus diesem Grund
        lehne ich den Antrag der Bundesregierung ab und unter-
        stütze den Entschließungsantrag meiner Fraktion .
        Anlage 4
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und Tabea
        Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu
        der namentlichen Abstimmung über die Beschluss-
        empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
        Antrag der Bundesregierung
        Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
        Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso-
        lute Support für die Ausbildung, Beratung und
        Unterstützung der afghanischen nationalen Ver-
        teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan
        (Tagesordnungspunkt 5)
        Wir stimmen dem Antrag der Bundesregierung zu .
        Dies ist eine Gewissensentscheidung .
        Die Bundeswehr befindet sich seit mehr als einem
        Jahrzehnt im Einsatz in Afghanistan . Die Situation in
        diesem Land hat sich in diesen Jahren mehrfach ge-
        ändert, und der Charakter dieses Einsatzes hat sich im
        Laufe der Zeit erheblich gewandelt . Die Beendigung
        des ISAF-Einsatzes und des Kampfauftrages der Bun-
        deswehr in Afghanistan war daher richtig und bleibt ein
        wichtiger Schritt, um die afghanischen Sicherheitskräfte
        selbst in Verantwortung für ihr Land zu bringen . Mit dem
        Folgemandat und dem Einsatz Resolute Support nimmt
        die Bundeswehr die Rolle einer Ausbilderin und Unter-
        stützerin der afghanischen Sicherheitskräfte ein .
        Gerade weil sich die Sicherheitslage in Afghanistan in
        den vergangenen zwölf Monaten verschlechtert hat und
        nach wie vor fragil ist, erachten wir es als richtig und not-
        wendig, dass eine solche Unterstützung auch weiterhin
        sichergestellt ist . Niemand weiß, wie sich die Situation
        im Land in den kommenden Jahren entwickeln wird und
        ob es gelingt, einen dauerhaften Frieden in Afghanis-
        tan – auch und gerade mit diplomatischen Mitteln – zu
        erreichen . Sicher ist nach unserer Überzeugung jedoch
        auch, dass, sollten die internationale Gemeinschaft und
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14489
        (A) (C)
        (B) (D)
        die Bundeswehr die Ausbildung der afghanischen Si-
        cherheitskräfte nun beenden, die Chancen für ziviles En-
        gagement und eine langfristige friedvolle Entwicklung
        des Landes genommen werden würden .
        Es bedarf eines langfristigen Engagements der inter-
        nationalen Gemeinschaft, vor allem mit ziviler Hilfe und
        wirtschaftlichem Engagement, damit sich Afghanistan
        weiterentwickeln kann . Dies kann jedoch nur in einem si-
        cheren Umfeld stattfinden. Das vergangene Jahr hat deut-
        lich gemacht, dass die afghanischen Sicherheitskräfte
        noch nicht dazu in der Lage sind, alleine für Sicherheit zu
        sorgen . Die kurzfristige Einnahme von Kunduz durch die
        Taliban ist das sicher prägnanteste Beispiel hierfür . Mit
        dieser Erkenntnis schwindet leider auch die Hoffnung,
        dass wir uns rasch aus der Beraterrolle herausziehen und
        den Militäreinsatz in Afghanistan vollends beenden kön-
        nen . Wir erachten es vor diesem Hintergrund als wichtig,
        Afghanistan durch Ausbildung weiter zu unterstützten .
        Ein starres Festhalten an Abzugs- und Rückzugsplä-
        nen, die vor dem Hintergrund einer anderen Bewertung
        der Lage entstanden sind, halten wir nicht für sinnvoll .
        Auch wenn wir die Militärintervention in Afghanistan in
        Gänze äußerst kritisch betrachten, wäre es in der heuti-
        gen konkreten Situation der Stabilität Afghanistans nicht
        dienlich, die Ausbildungsmission der Bundeswehr zu be-
        enden .
        Mit unserer Zustimmung wollen wir zum Ausdruck
        bringen, dass wir den Menschen in Afghanistan zur Seite
        stehen und verlässlich Unterstützung zukommen lassen
        wollen . Wir wollen, dass die afghanischen Kräfte in ei-
        gener Verantwortung für Sicherheit sorgen können, so-
        dass die afghanische Bevölkerung in Frieden leben kann .
        Viele Menschen, die täglich aus dem Haus gehen in der
        Ungewissheit, ob sie am Abend ihre Familien wiederse-
        hen, diese Menschen – insbesondere die junge Generati-
        on – wollen ihr Land aufbauen und haben die Hoffnung,
        dass Afghanistan eine bessere Zukunft haben kann . Dies
        ist auch eine Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen
        in Afghanistan bleiben können und nicht zur Flucht ge-
        zwungen werden .
        Anlage 5
        Erklärungen nach § 31 GO
        zu der namentlichen Abstimmung über die Be-
        schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
        zu dem Antrag der Bundesregierung
        Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
        Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso-
        lute Support für die Ausbildung, Beratung und
        Unterstützung der afghanischen nationalen Ver-
        teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan
        (Tagesordnungspunkt 5)
        Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Seit 2001 ist die Bundeswehr im Rahmen der Interna-
        tionalen Sicherheitstruppe ISAF militärisch in Afgha-
        nistan engagiert . Der Einsatz erfolgte auf Ersuchen der
        Teilnehmer der Afghanistan-Konferenz 2001 (,,erste
        Petersberg-Konferenz“) an die internationale Gemein-
        schaft und mit Genehmigung durch den Sicherheitsrat
        der Vereinten Nationen (Resolution 1386 vom 20 . De-
        zember 2001) . Nach Beendigung der ISAF-Mission hat
        der Deutsche Bundestag vor einem Jahr die Beteiligung
        der Bundeswehr an der Resolute Support Mission ent-
        schieden, um die afghanische Regierung in ihrer Aufga-
        be einer Sicherstellung von Sicherheit und Ordnung zu
        unterstützen .
        Ich habe vor einem Jahr bei dem Mandat Resolute
        Support Mission mit Enthaltung gestimmt und gleichzei-
        tig eine Konzentration der Kräfte auf den Aufbau und die
        Unterstützung der Zivilgesellschaft sowie der afghani-
        schen Sicherheitskräfte gefordert . Wir Grüne haben kri-
        tisiert, dass im Mandat die notwendige Ausbildung von
        Polizei und Sicherheitskräften nicht klar definiert war,
        man gleichzeitig aber von einer engen zeitlichen Be-
        grenzung des Mandats ausging . Es war aufgrund der Si-
        cherheitslage schon damals klar, dass die Unterstützung
        afghanischer Sicherheitskräfte aufgrund nach wie vor
        mangelnder Strukturen nicht kurzfristig befristet werden
        kann . Wir haben auch kritisiert, dass in dem Mandat eine
        nicht näher beschriebene Unterstützung der USA ent-
        halten war, die mehr geostrategische Ziele verfolgt als
        ausschließlich die Stabilisierung und Befriedung von Af-
        ghanistan .
        Heute müssen wir konstatieren, dass die Sicherheitsla-
        ge sich in Afghanistan nochmals deutlich verschlechtert
        hat . Es ist bisher nicht gelungen, Strukturen zu errichten,
        die die innere Sicherheit signifikant erhöhen. Die aktu-
        elle Regierung sieht sich berechtigten Vorwürfen einer
        wachsenden Korruption und Misswirtschaft ausgesetzt .
        Ein weiterer Verfall der Sicherheit – und das sind
        die Lehren, die aus der jüngsten Entwicklung im Syri-
        en-Konflikt zu ziehen sind – wird aber unausweichlich zu
        noch mehr Leid für die Zivilbevölkerung führen . Drama-
        tisch steigende Flüchtlingszahlen aus Afghanistan sind
        ein deutlicher Beleg dafür .
        Anders als in Syrien gibt es – bei allen berechtigten
        Bedenken aufgrund des Machtkampfes in der afghani-
        schen Regierung – staatliche Sicherheitskräfte, die sich
        um die Schaffung von öffentlicher Sicherheit und Ord-
        nung bemühen, die aber offensichtlich nicht ohne eine
        robuste militärische Unterstützung durch ausländische
        Kräfte auskommen . Die nur mit militärischer Unterstüt-
        zung durch die USA mögliche Abwehr der Übernahme
        von Kunduz durch die Taliban im Oktober dieses Jahres
        ist ein deutliches Indiz dafür . Es ist in diesem Jahr klar
        geworden: Ohne militärische Unterstützung sind die af-
        ghanischen Sicherheitskräfte kaum in der Lage, die Si-
        cherheitslage zu verbessern oder stabil zu halten . Ohne
        diese Unterstützung droht Afghanistan in den Zustand
        eines „failed state“ abzurutschen, mit unübersehbaren
        negativen Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft in Af-
        ghanistan . Um diese Entwicklung zu verhindern, stimme
        ich der Entsendung der Bundeswehr heute zu .
        Wir werden in einem Jahr zu bewerten haben, inwie-
        weit die Resolute Support Mission eine Verbesserung der
        Sicherheitslage bewirkt bzw . zumindest eine Verschlech-
        terung verhindert hat . Ich bin vor dem Hintergrund der
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514490
        (A) (C)
        (B) (D)
        Berichte zur aktuellen Lage in Afghanistan der Überzeu-
        gung, dass durch das vorliegende Mandat die Situation
        in Afghanistan insbesondere für die Zivilbevölkerung
        verbessert werden kann .
        Veronika Bellmann (CDU/CSU): Enthaltung: Am
        heutigen Donnerstag stimmen wir in namentlicher Ab-
        stimmung über die Fortsetzung der Beteiligung deut-
        scher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz für die
        Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghani-
        schen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in
        Afghanistan ab .
        Die Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-Aus-
        bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission Re-
        solute Support in Afghanistan soll um ein Jahr bis Ende
        2016 ausgeweitet werden . Dabei wird die Zahl der ein-
        zusetzenden Soldaten voraussichtlich von bisher 850 auf
        bis zu 980 erhöht werden .
        Hierzu habe ich meine Abstimmungsentscheidung
        an eine zügige Rückführung afghanischer Migranten im
        wehrfähigen Alter gebunden . Diese ist momentan noch
        nicht im erforderlichen Maße möglich, da die Innenmi-
        nister der Länder zunächst dem Abschluss eines Rück-
        führungsabkommens mit dem afghanischen Staat entge-
        genstehende Verordnungen aufheben mussten .
        Die Beteiligung der Bundeswehr an der Ausbildungs-,
        Beratungs- und Unterstützungsmission befürworte ich
        grundsätzlich . Sie darf nicht abgebrochen werden, denn
        das Land ist erst auf dem Weg und noch längst nicht am
        Ziel .
        Mit meiner Enthaltung möchte ich aber dennoch ein
        Zeichen setzen, um damit folgenden Aspekt im Zusam-
        menhang zwischen der derzeitigen Flüchtlingskrise in
        der Europäischen Union und dem Einsatz von NATO und
        Bundeswehr in Afghanistan hervorzuheben:
        Die Bundesrepublik Deutschland hat mit erheblichen
        finanziellen und personellen Mitteln in der Entwick-
        lungshilfe und mit dem Bundeswehreinsatz Hilfe zur
        Selbsthilfe geleistet Dadurch konnten Verwaltungs-,
        Bildungs- und Sicherheitsstrukturen aufgebaut werden .
        Selbst wenn einige Distrikte nun wieder in die Hände der
        Taliban gefallen sind, kann es nicht sein, dass Tausen-
        de junge Afghanen im wehrfähigen Alter in die Sozial-
        und später gegebenenfalls in die Arbeitsmarktsysteme
        Deutschlands und der Europäischen Union einwandern,
        während unsere Soldaten für die Sicherheit der „Zurück-
        gelassenen“ mit Leib und Leben bürgen . Außerdem ist
        es fraglich, wie eine Ausbildungsmission gelingen soll,
        wenn zunehmend die Auszubildenden ausbleiben . Der
        Unterschied zum Syrieneinsatz besteht darin, dass ich
        junge Syrer verstehen kann, die sich der Einberufung
        in die syrische Armee des Präsidenten Assad entziehen
        wollen, da sie in seiner Armee unter Umständen gegen
        das eigene Volk kämpfen müssen . Das ist in Afghanistan
        nicht der Fall, dort kämpft die Armee gegen terroristische
        Rebellen . Übrigens ebenso wie im Irak oder in Tunesien .
        In diesen Staaten gibt es demokratisch gewählte Regie-
        rungen und einigermaßen stabile Verwaltungs- und Si-
        cherheitsstrukturen und keine politische Verfolgung von
        Staats wegen . Nicht ohne Grund ging der jüngste Frie-
        densnobelpreis nach Tunesien . Deshalb besteht für junge
        Männer im wehrfähigen Alter aus diesen Ländern kein
        diesbezüglicher Verfolgungs- oder Fluchtgrund . Wenn
        sie dennoch ihr Land verlassen und keinen Dienst für
        ihr Land leisten wollen, besteht für die Bundeswehr erst
        recht kein Grund, dies an deren Stelle zu tun .
        Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
        werde heute dem Einsatz Resolute Support für die Aus-
        bildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen
        nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afg-
        hanistan zustimmen mit der folgenden Begründung:
        Die vorübergehende Einnahme von Kunduz durch
        die Taliban hat die Menschen zutiefst verunsichert . Es
        herrscht verständlicherweise im Moment wenig Vertrau-
        en in die nationalen Sicherheitskräfte . Vermutlich wird
        die Situation in Kunduz auch für die deutsche Arbeit am
        zivilen Wiederaufbau und die deutsche Entwicklungszu-
        sammenarbeit Folgen haben . Von den insgesamt 180 in-
        ternationalen Mitarbeitern seien derzeit nur etwa 50 vor
        Ort – dieser Rückgang ist bereits vor der Einnahme von
        Kunduz und vor dem Hintergrund der Entführungsfälle
        erfolgt .
        Angesichts dieser Lage fragen sich viele in Afghanis-
        tan, wie lange die internationale Gemeinschaft noch im
        Land engagiert bleiben wird, auch angesichts der gro-
        ßen Herausforderungen im Nahen Osten und in Europas
        Nachbarschaft . Viele fragen sich gar, ob der Fall von
        Kunduz genauso auch in Kabul passieren könnte . Der
        deutlichste Ausdruck dieser Verunsicherung ist die Tat-
        sache, dass sich viele Afghaninnen und Afghanen dieser
        Tage auf den Weg nach Europa machen .
        Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
        hatte sich immer klar dazu bekannt, dass Deutschland
        langfristig in Afghanistan engagiert bleiben muss . Vor
        allem mit ziviler Hilfe und wirtschaftlichem Engage-
        ment . Diese Hilfe ist heute an vielen Orten des Landes
        aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich . Doch sie
        bleibt notwendig, damit vor allem die Afghaninnen und
        Af ghanen Vertrauen in ihren Staat und die Zukunft fas-
        sen können .
        Ich bin davon überzeugt, dass in der jetzigen Situati-
        on weiter Ausbildungshilfe durch die Bundeswehr nötig
        ist . Nach wie vor ist die afghanische Armee auf logis-
        tische Unterstützung der internationalen Gemeinschaft
        angewiesen . Die Bundeswehr wird nach den Vorgaben
        des jetzigen Mandates nicht kämpfen, sondern da beraten
        und unterstützen, wo es nötig ist . Wenn die afghanischen
        Sicherheitskräfte den Bürgerinnen und Bürgern wirksa-
        men Schutz bieten sollen, dann ist mehr notwendig als
        der Aufbau einer zahlenmäßig großen Armee in kurzer
        Zeit . Für den Aufbau effektiver und legitimer Sicher-
        heitskräfte braucht es einen langen Atem . Vor allem stim-
        me ich aber zu, weil ich der Überzeugung bin, dass auch
        angesichts der Entwicklungen in Syrien die Region umso
        mehr stabilisiert werden muss . Deutschland sollte diesen
        Prozess verantwortungsbewusst unterstützen .
        Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Seit 2001 ist die Bundeswehr im Rahmen der In-
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14491
        (A) (C)
        (B) (D)
        ternationalen Sicherheitstruppe ISAF militärisch in Af-
        ghanistan engagiert . Der Einsatz erfolgte auf Ersuchen
        der Teilnehmer der Afghanistan-Konferenz 2001 („erste
        Petersberg-Konferenz“) an die internationale Gemein-
        schaft und mit Genehmigung durch den Sicherheitsrat
        der Vereinten Nationen (Resolution 1386 vom 20 . De-
        zember 2001) . Nach Beendigung der ISAF-Mission hat
        der Deutsche Bundestag vor einem Jahr die Beteiligung
        der Bundeswehr an der Resolute Support Mission ent-
        schieden, um die afghanische Regierung in ihrer Aufga-
        be einer Sicherstellung von Sicherheit und Ordnung zu
        unterstützen .
        Ich habe vor einem Jahr diesem Mandat Resolute Sup-
        port Mission nicht zugestimmt – und gleichzeitig eine
        Konzentration der Kräfte auf den Aufbau und die Un-
        terstützung der Zivilgesellschaft sowie der afghanischen
        Sicherheitskräfte gefordert . Wir Grüne haben kritisiert,
        dass im Mandat die notwendige Ausbildung von Poli-
        zei und Sicherheitskräften nicht klar definiert war, man
        gleichzeitig aber von einer engen zeitlichen Begrenzung
        des Mandats ausging . Wegen der Sicherheitslage war
        schon damals klar, dass die Unterstützung afghanischer
        Sicherheitskräfte aufgrund nach wie vor mangelnder
        Strukturen nicht kurzfristig befristet werden kann . Wir
        haben auch kritisiert, dass in dem Mandat eine nicht nä-
        her beschriebene Unterstützung der USA enthalten war,
        die mehr geostrategische Ziele verfolgt als ausschließlich
        die Stabilisierung und Befriedung von Afghanistan .
        Heute müssen wir konstatieren, dass die Sicherheitsla-
        ge sich in Afghanistan nochmals deutlich verschlechtert
        hat . Es ist bisher nicht gelungen, Strukturen zu errichten,
        die die innere Sicherheit signifikant erhöhen. Die aktu-
        elle Regierung sieht sich berechtigten Vorwürfen einer
        wachsenden Korruption und Misswirtschaft ausgesetzt .
        Ein weiterer Verfall der Sicherheit – und das sind
        die Lehren, die aus der jüngsten Entwicklung im Syri-
        en-Konflikt zu ziehen sind – wird aber unausweichlich zu
        noch mehr Leid für die Zivilbevölkerung führen . Drama-
        tisch steigende Flüchtlingszahlen aus Afghanistan sind
        ein deutlicher Beleg dafür .
        Anders als in Syrien gibt es – bei allen berechtigten
        Bedenken aufgrund des Machtkampfes in der afghani-
        schen Regierung – staatliche Sicherheitskräfte, die sich
        um die Schaffung von öffentlicher Sicherheit und Ord-
        nung bemühen, die aber offensichtlich nicht ohne eine
        robuste militärische Unterstützung durch ausländische
        Kräfte auskommen . Die nur mit militärischer Unterstüt-
        zung durch die USA mögliche Abwehr der Übernahme
        von Kunduz durch die Taliban im Oktober dieses Jahres
        ist ein deutliches Indiz dafür . Es ist in diesem Jahr klar
        geworden: Ohne militärische Unterstützung sind afgha-
        nische Sicherheitskräfte kaum in der Lage, die Sicher-
        heitslage zu verbessern oder stabil zu halten . Ohne diese
        Unterstützung droht Afghanistan in den Zustand eines
        „failed state“ abzurutschen, mit unübersehbaren negati-
        ven Auswirkungen auf die dortige Zivilgesellschaft . Um
        diese Entwicklung zu verhindern, stimme ich der Entsen-
        dung der Bundeswehr heute zu .
        Wir werden in einem Jahr zu bewerten haben, inwie-
        weit die Resolute Support Mission eine Verbesserung der
        Sicherheitslage bewirkt bzw . zumindest eine Verschlech-
        terung verhindert haben wird . Ich bin vor dem Hinter-
        grund der Berichte zur aktuellen Lage in Afghanistan der
        Überzeugung, dass durch das vorliegende Mandat die
        Situation in Afghanistan insbesondere für die Zivilbevöl-
        kerung verbessert werden kann .
        Markus Paschke (SPD): Die Entscheidung über
        Auslandseinsätze der Bundeswehr gehört zu den schwie-
        rigsten Entscheidungen, die Abgeordnete des Deutschen
        Bundestages zu treffen haben . Seit dem Beginn des mi-
        litärischen Einsatzes in Afghanistan halte ich eine deut-
        sche Beteiligung für falsch . Der Irak, Libyen und beson-
        ders Afghanistan zeigen deutlich, dass mit militärischen
        Mitteln kein Unrechtsregime beseitigt werden kann . Die
        Zivilbevölkerung leidet am stärksten unter dem folgen-
        den jahrelangen Terror und sich gegenseitig immer wei-
        ter aufschaukelnden Gewaltwellen .
        Vor allem: Es ist auch Ende 2015 kein nachhaltiger
        Erfolg des NATO-Einsatzes in Afghanistan in Sicht . Des-
        halb lehne ich die Fortsetzung des Mandates ab . Seit nun-
        mehr 14 Jahren dauert der Einsatz, und auch nach diesem
        Zeitraum sind für mich kaum positive Folgen erkennbar .
        Nach wie vor ist für mich die angestrebte Friedensper-
        spektive nicht ersichtlich . Im Gegenteil: Die Sicherheits-
        lage ist weiterhin besorgniserregend . Das haben zahlrei-
        che Vorfälle in den letzten Monaten bewiesen .
        Afghanische Dolmetscher und andere Unterstützer
        werden im eigenen Land mit dem Tod bedroht, weil sie
        neben deutschen auch anderen Streitkräften helfen . Ich
        halte es für unhaltbar, dass diese Menschen in dieser aku-
        ten Bedrohung alleingelassen werden und ihnen teilwei-
        se nicht einmal Asyl in unserem Land gewährt wird .
        Und auch für unsere Soldatinnen und Soldaten sind
        die Einsätze in Afghanistan eine hohe Belastung . Aus
        zahlreichen persönlichen Berichten und Gesprächen
        weiß ich, dass diese Belastung oft zu schwerwiegenden
        persönlichen Problemen, beispielsweise bei der psychi-
        schen Verarbeitung des Erlebten, führt . Mir wird dabei
        immer wieder deutlich: Die Wahrnehmung der Soldaten
        unterscheidet sich häufig von den offiziellen Verlautba-
        rungen .
        Ich begrüße die internationalen Bemühungen zum
        zivilen Aufbau des Landes sehr, aber eine Befriedung
        Afghanistans ist meiner Auffassung nach nicht mit mili-
        tärischen Mitteln zu erreichen . Die bisherige Ausbildung
        von Polizei und Armee in Afghanistan hat nicht zu einer
        nachhaltig besseren Sicherheitslage im gesamten Land
        geführt . Schwerpunkt des Handelns muss eine Versöh-
        nungstheorie sein . Nach meinem Eindruck werden der-
        zeitige Machtstrukturen durch unseren Militäreinsatz
        nicht motiviert, die Versöhnung der verschiedenen Stäm-
        me und Akteure aktiv voranzutreiben . Das Gegenteil ist
        der Fall . Auch nach 14 Jahren sehe ich keine nachvoll-
        ziehbare Exit-Strategie für den deutschen Einsatz . Des-
        halb stimme ich beim vorliegenden Antrag mit „Nein“ .
        Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Ich stimme gegen die Verlängerung des Bundes-
        wehreinsatzes in Afghanistan . Die Lage in Afghanistan ist
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514492
        (A) (C)
        (B) (D)
        nicht gut . Das ergibt sich auch aus dem jüngsten Bericht,
        den die Bundesregierung geheim zu halten versucht . Seit
        2001 war sie nie so schlecht . Alle wissen, dass der Bun-
        deswehreinsatz auch mit 100 zusätzlichen Soldaten keine
        Sicherheit im Land schaffen wird . Die Lage wird nächs-
        tes Jahr nicht besser sein als heute, eher noch schlechter .
        Nie wurden so viele Menschen im Krieg in Afghanistan
        getötet und verletzt wie im letzten Jahr – afghanische
        Polizisten und Soldaten, Talibankämpfer, vor allem aber
        auch Zivilisten, Frauen und Kinder . Armee und Polizei
        sind unzuverlässig und kriegsmüde, nicht nur wegen der
        hohen Verluste . Bis zu 20 bis 30 Prozent der 350 000 Si-
        cherheitskräfte wollen für die korrupte Regierung nicht
        ihr Leben riskieren, laufen über, bleiben zu Hause oder
        fliehen. Daran ändert auch die Ausbildung durch die Bun-
        deswehr nichts . Die Eroberung der Stadt Kunduz, in der
        die Bundeswehr mehr als ein Jahrzehnt stationiert war,
        innerhalb weniger Stunden, hat das gezeigt . Nur mit Hil-
        fe der US-Sondereinheiten und Bomben der US-Luftwaf-
        fe konnte die Stadt zurückerobert werden . Die gnadenlo-
        se Bombardierung des Krankenhauses von „Ärzte ohne
        Grenzen“, bei der zahlreiche Ärzte, Helfer und Patienten
        getötet wurden, hat Hass geschürt und den Taliban neue
        Kämpfer zugetrieben . Wegen der unfähigen, zerstritte-
        nen und korrupten Regierung und fehlenden Sicherheit
        schwinden die Entwicklungschancen des Landes . Ent-
        wicklungsprojekte stocken, westliche Entwicklungshel-
        fer trauen sich nicht mehr aus Kabul und den militärisch
        gesicherten Orten aufs Land .
        Vor ein paar Jahren, als Mullah Omar noch lebte, wa-
        ren die Chancen für eine vertretbare Verhandlungslösung
        unter Einschluss der Taliban besser . Die Bundesregie-
        rung hat wie die NATO nichts dafür getan, diese Chance
        zu nutzen . Jetzt wird es viel schwieriger, aber noch sind
        Verhandlungen eine Alternative, den Krieg zu beenden .
        Der Krieg war von Anfang an falsch und unverant-
        wortbar . NATO und Bundesregierung hatten beschlos-
        sen, die Einsätze in zwei Jahren zu beenden und bis dahin
        alle Truppen abzuziehen . Jetzt wird die Truppenstärke
        wieder erhöht und die Verteidigungsministerin erklärt,
        der Einsatz werde noch lange dauern .
        Aber es ist doch nicht richtig, einfach so weiterzuma-
        chen wie bisher . Weitere 14 Jahre? Ich werde deshalb mit
        Nein stimmen . Dieser Krieg ist verloren .
        Anlage 6
        Erklärungen nach § 31 GO
        des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/CSU)
        zu der Abstimmung über
        – den von den Fraktionen der CDU/CSU und
        SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
        Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte
        und
        – den von der Bundesregierung eingebrachten
        Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des
        Rechts der Syndikusanwälte
        (Tagesordnungspunkt 8)
        Dem Gesetzentwurf stimme ich zu . Mit dem Gesetz-
        entwurf wird richtigerweise sichergestellt, dass angestell-
        te Rechtsanwälte auch zukünftig von der gesetzlichen
        Rentenversicherungspflicht befreit werden und sich statt-
        dessen über die eigenen Versorgungswerke versichern
        können . Zudem müssen die Syndikusrechtsanwälte auch
        künftig keine individuellen Haftpflichtversicherungen
        abschließen .
        Ich halte es nicht zuletzt im Sinne der Gleichbehand-
        lung der „freien“ Berufe allerdings für zwingend gebo-
        ten, in einem zweiten Schritt nun auch für die anderen
        Berufsgruppen in diesem Bereich zügig Rechtsklarheit
        zu schaffen . Ich widerspreche damit explizit der Auffas-
        sung des Bundesjustizministeriums, welches hinsichtlich
        der Urteile des Bundessozialgerichts vom 3 . April 2014
        bei der Altersvorsorge von angestellten Angehörigen
        freier Berufe, wie etwa Architekten oder Apothekern,
        keinen Änderungsbedarf zu erkennen vermag .
        Anlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
        brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung
        der Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Par-
        laments und des Rates vom 20. November 2013
        zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über
        die Anerkennung von Berufsqualifikationen und
        der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Ver-
        waltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnen-
        markt-Informationssystems („IMI-Verordnung“)
        für bundesrechtlich geregelte Heilberufe und an-
        dere Berufe (Tagesordnungspunkt 17)
        Ute Bertram (CDU/CSU): Herr Kollege Henke hat ja
        schon erklärt, dass mit dem Gesetzentwurf die EU-Richt-
        linie 2013/55/EU über die Anerkennung von Berufsqua-
        lifikationen in deutsches Recht umgesetzt werden soll.
        Und da diese Umsetzung bis zum 18 . Januar 2016 er-
        folgen muss, ist es angesichts der Zeitknappheit richtig,
        sich bei diesem Gesetz konsequent auf eine „Eins-zu-
        eins“-Umsetzung zu beschränken . Ergänzungswünsche,
        die zwingend zu weiteren Beratungsabläufen führen
        würden, müssen jetzt zurückstehen . Sie laufen uns ja
        auch nicht weg .
        Lassen Sie mich einen Teilaspekt hierzu herausgrei-
        fen, nämlich beim sogenannten partiellen Berufszugang
        bei den bundesrechtlich geregelten Heilberufen, der al-
        lein bei den Psychologischen Psychotherapeuten und den
        Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in Betracht
        kommt . Er gilt aber auch für die im MTA-Gesetz gere-
        gelten Berufe .
        Worum geht es?
        Der partielle Berufszugang ist eine zusätzliche Mög-
        lichkeit, einen Berufszugang in einem EU-Mitgliedstaat
        zu erlangen . Vorrangig bleibt grundsätzlich der volle Be-
        rufszugang .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14493
        (A) (C)
        (B) (D)
        Der partielle Berufszugang erlaubt Antragstellern aus
        den anderen EU-Staaten, den anderen Vertragsstaaten
        des Abkommens und der Schweiz, die in ihrem Her-
        kunftsstaat für die entsprechende berufliche Tätigkeit
        qualifiziert sind, den Zugang für ihren Beruf in Deutsch-
        land . Wenn deren Ausbildung nur einen Teil des Berufs-
        bildes in Deutschland umfasst, erhalten sie den Zugang
        auch nur zu diesem Teil des Berufs . Für einen vollen Be-
        rufszugang wären hingegen sogenannte Ausgleichsmaß-
        nahmen im Umfang des vollständigen Ausbildungspro-
        gramms erforderlich .
        Grundsätzlich gilt: Den vollen Berufszugang können
        Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und
        Jugendlichenpsychotherapeuten aus Herkunftsmitglied-
        staaten in Deutschland nur erhalten, wenn ihre in einem
        anderen Land erworbene Qualifikation keine wesentli-
        chen Unterschiede zur deutschen Ausbildung aufweist
        oder wenn bestehende wesentliche Ausbildungsunter-
        schiede durch Ausgleichsmaßnahmen ausgeglichen wer-
        den können .
        Die Psychologen- und Psychotherapeutenberufe sind
        in den Mitgliedstaaten der EU sehr unterschiedlich regle-
        mentiert . So entspricht dem Berufsbild des deutschen
        Psychotherapeuten in vielen Mitgliedstaaten das Berufs-
        bild des Gesundheits- oder Klinischen Psychologen . Den
        Berufstitel „Psychotherapeut“ gibt es nur in neun Mit-
        gliedstaaten .
        Ob die Ausbildungen in den Mitgliedstaaten in den
        Teilbereichen wesentliche Unterschiede zu den entspre-
        chenden Teilbereichen der Psychotherapie-Ausbildung
        in Deutschland enthalten oder nicht, darüber urteilen die
        zuständigen Behörden der Länder dann anhand eines ge-
        nauen Vergleichs der Ausbildungsinhalte .
        Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und
        Jugendlichenpsychotherapeuten werden also nicht aus-
        gegrenzt, sondern erhalten eine zusätzliche Möglichkeit,
        ihren Beruf hierzulande auszuüben .
        Aber auch ein partieller Berufszugang wird nur dann
        gewährt, wenn die Ausbildung in dem Teil, für den der
        partielle Zugang gewährt werden soll, keine wesentli-
        chen Unterschiede zu dem entsprechenden Teil der deut-
        schen Ausbildung aufweist .
        Es wird damit – entgegen anderslautenden Befürch-
        tungen aus den Reihen des Berufsstandes – zu keiner
        „Erosion von Qualifikationsstandards“ kommen.
        Die Befürchtung, dass die Qualität des Berufsstan-
        des nicht gehalten werden kann, wenn der behandelnde
        Psychotherapeut die deutsche Sprache nicht als Mutter-
        sprache spricht, halte ich für kein durchschlagendes Ar-
        gument:
        Nach den letzten verfügbaren Zahlen der EU-Kom-
        mission von 2012 gab es in Deutschland nur ganze 19 An-
        träge auf Anerkennung einer Psychotherapeuten-Berufs-
        qualifikation aus einem anderen EU-Mitgliedstaat; alle
        Anträge wurden genehmigt . Und bei den Kinder- und
        Jugendlichenpsychotherapeuten gab es nach den letzten
        Zahlen von 2011 sage und schreibe nur einen einzigen
        Fall . Und der wurde auch genehmigt .
        Im Zusammenhang mit der psychotherapeutischen
        Erstversorgung von Flüchtlingen, bei der es sich ja nicht
        um Einzelfälle handelt, sondern um die Versorgung von
        Tausenden – wie viele genau, darüber streiten wir noch
        an anderer Stelle –, da bereitet die Überwindung sprach-
        licher Barrieren mithilfe von sogenannten Sprachmittlern
        offenbar keine Probleme, sofern der Bund dafür zahlt .
        Der partielle Berufszugang rundet also in einer be-
        stimmten und vom Umfang her sehr überschaubaren
        Konstellation einen Bereich ab, wo der volle Berufs-
        zugang nicht gewährt werden kann . Er bildet ein klei-
        nes – ein ganz kleines – zusätzliches Stück an mehr Frei-
        zügigkeit in der Europäischen Union, was ja in unseren
        heutigen krisengeschüttelten Zeiten fast schon wieder
        etwas Besonderes ist .
        Bitte stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu .
        Rudolf Henke (CDU/CSU): Mit dem von der Bun-
        desregierung eingebrachten Gesetz zur Umsetzung der
        Änderung der Europäischen Berufsanerkennungsrichtli-
        nie greifen wir heute die dazu getroffenen Entscheidun-
        gen des Europäischen Parlaments und des Rates vom No-
        vember 2013 auf, so wie im Koalitionsvertrag vereinbart .
        Das Gesetz ist ein weiterer Baustein hin zu mehr Mo-
        bilität und Freizügigkeit von qualifizierten Fachkräften
        auf dem europäischen Binnenmarkt .
        Die Debatte zur Gestaltung der Europäischen Richtli-
        nie haben wir im Wesentlichen bereits in der vergange-
        nen Legislaturperiode geführt .
        Manche unserer damals formulierten Forderungen
        finden sich nun in diesem Gesetz wieder. Manche For-
        derungen haben auch dazu geführt, dass ursprüngliche
        Pläne aus dem Grünbuch der Europäischen Kommission
        wieder gestrichen wurden; ich nenne nur das Abitur als
        Voraussetzung für den Zugang zu den Berufen der Kran-
        kenpflege.
        Das ist ein Erfolg unserer Arbeit und zeigt einmal
        mehr, dass sich langer Atem bezahlt macht – wenn auch
        nicht zwingend unmittelbar .
        Die meisten der Neuregelungen betreffen die regle-
        mentierten Heilberufe, die Steuerberater kommen hinzu,
        vermutlich, weil sich deren Arbeit auf die Schmerzlin-
        derung an einem der empfindlichsten Körperteile vieler
        Menschen bezieht, dem Portemonnaie .
        Dabei folgen wir dem Leitgedanken, dass dafür hil-
        fesuchende Bürger darauf vertrauen können, von einem
        Steuerberater umfassend und kompetent beraten zu wer-
        den . Die Möglichkeit massiver negativer materieller
        und immaterieller Folgen im Falle einer unzureichen-
        den Steuerberatung hält uns davon ab, unsere Bürger
        von Angehörigen steuerberatender Berufe aus anderen
        EU-Staaten beraten zu lassen, bei denen keiner weiß, ob
        Kenntnisse und Befugnisse auch nur im Geringsten dem
        Beratungsbedarf entsprechen .
        In erster Linie soll der vorliegende Gesetzentwurf den
        Berufszugang europaweit vereinfachen und beschleuni-
        gen . Zudem werden Mindestanforderungen an die Aus-
        bildung festgelegt .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514494
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die Freizügigkeit in der Europäischen Union ermög-
        licht es jedem EU-Bürger, selbst zu entscheiden, in wel-
        chem EU-Land er sich niederlassen möchte . Das führt zu
        einer stetigen Zunahme der Migration von Fachkräften,
        von der auch unser Land grundsätzlich profitiert.
        Gleichwohl dürfen wir speziell in den Heilberufen die
        hohen Ausbildungsstandards nicht aufgeben . Patientin-
        nen und Patienten sollen sich darauf verlassen können,
        dass sie eine medizinische Behandlung oder Beratung
        auf höchstem Niveau erhalten . Wichtig ist, dass sich dar-
        an auch zukünftig nichts ändert .
        Deshalb ist bei allen wesentlichen Unterschieden der
        Ausbildung eine Anpassung an die in unserem Land
        geltenden Standards erforderlich . Das ist etwa dann der
        Fall, wenn Kenntnisse beim Antragsteller fehlen, die eine
        wesentliche Voraussetzung für die Ausübung des Berufs
        sind, und die Ausbildung des Antragstellers gegenüber
        der deutschen Ausbildung wesentliche Abweichungen
        aufweist .
        Das Gesetz bietet für die Psychologischen Psycho-
        therapeuten und Psychologischen Kinder- und Jugendli-
        chenpsychotherapeuten und für Medizinisch-technische
        Assistenten (MTA) und ähnliche Berufe die Möglichkeit
        eines partiellen Berufszugangs .
        Bei diesen Berufen kommt eine automatische Aner-
        kennung nicht zum Zuge, weil es keine koordinierten
        Mindestausbildungsanforderungen gibt . Wir achten aber
        darauf, dass nur diejenigen in Deutschland tätig werden,
        die unseren hohen Anforderungen gerecht werden kön-
        nen, gegebenenfalls unter Hinweis auf ihren im Ausland
        absolvierten Bildungsgang .
        Für Apotheker, Ärzte, Zahnärzte, Hebammen und
        Gesundheits- und Krankenpfleger ist ein partieller Be-
        rufszugang aufgrund des Prinzips der automatischen
        Anerkennung auf Grundlage koordinierter Mindestaus-
        bildungsanforderungen ausgeschlossen – auch das war
        2011 eine Forderung unserer Fraktion im Rahmen der
        Debatte über das Grünbuch .
        Bei den Apothekern hat es einen gewissen Diskussi-
        onsbedarf gegeben . Die Verwendung des Wortes „insbe-
        sondere“ in § 2 Absatz 3 der Bundes-Apothekerordnung
        stellt nun aber sicher, dass sich der Beruf des Apothekers
        nicht ausschließlich auf pharmazeutische Tätigkeiten
        beschränkt . Es ist nun Aufgabe der Landesapotheker-
        kammern, zu definieren, welche weiteren Tätigkeiten ein
        Apotheker ausüben darf .
        In Verbindung mit dem Arbeitsauftrag aus den Heil-
        berufsgesetzen der Länder bietet der Gesetzentwurf eine
        hinreichende Sicherheit dafür, dass es nicht zu zwei pa-
        rallelen Tätigkeitsgebieten, einem innerhalb und einem
        außerhalb der EU-Richtlinie, kommt und davon eines
        beispielsweise bei der Befreiungsentscheidung zu den
        Versorgungswerken nicht berücksichtigt wird .
        Das Gesetz, das wir heute verabschieden, bringt die
        Einführung des Europäischen Berufsausweises, der für
        die Berufsgruppen der Apotheker, Gesundheits- und
        Krankenpfleger sowie Physiotherapeuten bereits in die-
        sem Jahr von der EU-Kommission beschlossen wurde .
        Für Ärzte, spezialisierte Krankenpfleger und speziali-
        sierte Apotheker wird die Einführung derzeit geprüft und
        soll in einer nächsten Phase umgesetzt werden .
        Der Ausweis wird Berufsangehörigen ausgestellt, die
        in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in einem der genann-
        ten Fachbereiche zugelassen sind .
        Die antragstellende Person hat künftig die Wahl zwi-
        schen dem neuen elektronischen Verfahren zur Anerken-
        nung ihrer Berufsqualifikation und dem herkömmlichen
        Anerkennungsverfahren .
        Das Ziel ist es, Bürokratie abzubauen und zeitgleich
        Transparenz sowie einheitliche Bedingungen für eine
        Zulassung zu schaffen .
        Zudem sollen Mitgliedstaaten durch das Binnen-
        markt-Informationssystem „IMI“ über Verstöße infor-
        miert werden, die zu einem teilweisen oder vollständigen
        Berufsausübungsverbot geführt haben .
        Wir begrüßen diesen Schritt ausdrücklich, denn für
        Personen, die auf Kosten von Patienten und gesamten
        Berufsgruppen bewusst täuschen oder aus gewichtigen
        Gründen nach einer gerichtlichen Entscheidung ihre Tä-
        tigkeit gar nicht mehr oder nur partiell ausüben dürfen,
        darf es in Deutschland keinen Berufszugang geben, als
        ob nichts passiert wäre .
        Dazu ist es unerlässlich, dass die in unserem Land
        zuständigen Behörden, im Regelfall also die Bezirks-
        regierungen, über solche Verstöße und Vorkommnisse
        informiert werden . Das Ministerium hat im Ausschuss
        dargelegt, dass dies automatisch der Fall sein wird .
        Die Einführung dieses Vorwarnmechanismus ist mit
        spezifischen Unterrichtungspflichten gegenüber allen
        EU-Mitgliedstaaten verknüpft . Wie immer bei solchen
        Systemen können sie nur wirksam sein, wenn sich alle an
        die getroffenen Vereinbarungen halten .
        Leisten wir also unseren Beitrag und sorgen wir dafür,
        dass die Umsetzung vorankommt und wir alle von einem
        wirkungsvollen Binnenmarkt-Informationssystem profi-
        tieren können .
        Meine Fraktion stimmt dem Gesetz zu .
        Bettina Müller (SPD): Die Freizügigkeit für Arbeit-
        nehmer und Angehörige der freien Berufe innerhalb der
        Europäischen Union ist ein Kernaspekt des europäischen
        Gedankens . Wer seinen Wohnort innerhalb der EU frei
        wählen kann, der muss selbstverständlich auch seinen
        erlernten Beruf dort ausüben können, wo sein Lebens-
        mittelpunkt ist .
        Das war natürlich auch schon bislang möglich . Aber
        mit dem vorliegenden Gesetzespaket soll es für die An-
        gehörigen der Gesundheitsberufe und für die Steuerbe-
        rater weiter erleichtert werden . Dazu wurden schon in
        den zurückliegenden Jahren Vorarbeiten geleistet und die
        jeweiligen berufsrechtlichen Regelungen der europäi-
        schen Mitgliedstaaten weitgehend harmonisiert und Min-
        destanforderungen an die jeweilige Ausbildung geregelt .
        Das Europäische Parlament und der Europäische Rat
        haben Ende November 2013 eine weitere Hürde abge-
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14495
        (A) (C)
        (B) (D)
        senkt, die die Ausübungs- und Niederlassungsfreiheit für
        die Gesundheitsberufe immer noch etwas behindert hat:
        nämlich die aufwendigen, bürokratischen und langen An-
        erkennungsverfahren .
        Mit Einführung des Europäischen Berufsausweises
        wird die Anerkennung eines erlernten Gesundheitsberu-
        fes außerhalb des Heimatlandes künftig einfacher sein .
        Der EBA ist dabei im Wesentlichen ein rein elektroni-
        sches Verfahren, bei dem die erforderlichen Nachweise
        in einem Datenbanksystem verzeichnet werden . Auf die-
        ses System haben alle Mitgliedstaaten Zugriff . Es ist die
        Voraussetzung, um die auch weiterhin notwendige An-
        erkennung der Berufsqualifikationen in den Zielstaaten
        weitgehend zu automatisieren und zu beschleunigen .
        Das elektronische System und insbesondere die Nut-
        zung des IMI-Systems werden die Anerkennungsverfah-
        ren erheblich beschleunigen, effizienter machen – und
        sie sorgen zudem für mehr Sicherheit . Denn der elekt-
        ronische Informationskanal des IMI-Systems macht es
        möglich, im Rahmen eines sogenannten Vorwarnsystems
        „schwarze Schafe“ eines Berufsstandes kenntlich zu ma-
        chen und damit den Missbrauch des EBA zu unterbinden .
        Künftig sollen Informationen über Berufsangehörige,
        die zu Sanktionen, zu Einschränkungen oder sogar zum
        Verbot der Berufsausübung führen können, innerhalb von
        drei Tagen in das Datenbanksystem eingepflegt werden.
        Die Effizienz dieses Informationsaustausches ist ja
        offenbar so hoch, dass der Bundesrat in seiner Stellung-
        nahme die Einbeziehung der Bundesländer gefordert hat,
        weil sich offenbar der Informationsaustausch zwischen
        den Ländern hier etwas schleppender vollzieht .
        Wir sollten den Einwand des Bundesrates zum Anlass
        nehmen, hier trotz der vereinbarten Eins-zu-eins-Umset-
        zung noch einmal nachzuschauen und gegebenenfalls
        auch nachzuregeln . Es wäre schon sehr unbefriedigend,
        wenn der Informationsfluss etwa von Portugal nach
        Deutschland effizienter vonstattenginge als zwischen
        Schleswig-Holstein und Hessen .
        Denn grundsätzlich gilt: Die Gesundheitsberufe erfor-
        dern eine besondere Sorgfalt bei der Anerkennung . Die
        Sicherheit und Qualität einer medizinischen, psychothe-
        rapeutischen, heilkundlichen oder pflegerischen Behand-
        lung muss auch weiterhin oberste Priorität haben .
        Insofern sind die sorgfältige Prüfung der vorliegenden
        Zugangsvoraussetzungen, die Abfrage über vorliegende
        Sanktionen, aber auch die in den Gesundheitsberufen
        wichtige sprachliche Qualifikation von großer Wichtig-
        keit .
        Es gilt aber auch: Den Angehörigen der Gesundheits-
        berufe muss die Ausübung ihres Berufes europaweit
        möglich sein . Die Freizügigkeit darf gegenüber anderen
        Berufsfeldern nicht eingeschränkt sein . Gerade Deutsch-
        land braucht angesichts des Fachkräftemangels in nahezu
        allen Bereichen unseres Gesundheitssystems den Zuzug
        von gut ausgebildeten Pflegerinnen und anderen Fach-
        kräften .
        Mit dem vorliegenden Gesetzespaket wird all dem
        Rechnung getragen und die im Koalitionsvertrag ver-
        einbarte Eins-zu-eins-Umsetzung vorgenommen . Im Be-
        reich der Krankenpflege und der Altenpflege werden die
        in den geltenden Berufsgesetzen geänderten Regelungen
        im nächsten Jahr in das Pflegeberufegesetz übertragen.
        Damit wird auch die künftige generalistische Ausbildung
        den EU-Vorgaben entsprechen .
        Zeitgleich beschäftigen sich die Länderparlamente
        mit der Umsetzung für die Berufe in Länderzuständig-
        keit . Insofern ist davon auszugehen, dass Deutschland
        die von der EU vorgegebene Umsetzungsfrist 18 . Januar
        2016 erfüllen wird .
        Im Vorfeld wurde von verschiedenen Seiten die Ein-
        beziehung der Apotheker, die nicht in einer Apotheke
        arbeiten, in den EBA gefordert . Neben dem Bundesrat
        in seiner Stellungnahme waren hier vor allem auch die
        Apothekerkammern sehr rührig .
        Es ist schade, dass wegen der Festlegung auf eine
        Eins-zu-eins-Umsetzung hier keine Änderung vorge-
        nommen wurde . Aus meiner Sicht wäre das unproblema-
        tisch gewesen . Die Ankündigung der Bundesregierung in
        ihrer Gegenäußerung, dass die Änderung später in einem
        anderen Gesetz erfolgen soll, ist aber ausdrücklich zu be-
        grüßen .
        Dann würde ich mir aber auch wünschen, hier ein grö-
        ßeres Paket zu schnüren . Denn außer den EBA für eine
        weitere Apothekergruppe zu öffnen, müsste aus meiner
        Sicht zum Beispiel dringend das noch von 1968 stam-
        mende PTA-Gesetz novelliert werden .
        Den deutschen PTA mit ihrem völlig veralteten Be-
        rufsgesetz wird der EBA wenig helfen . Es sieht noch eine
        zweieinhalbjährige Ausbildung vor, während alle ande-
        ren Gesundheitsfachberufe heute drei Jahre haben . Auch
        die Ausbildungsinhalte müssen modernisiert werden .
        Die Beratungsleistung in den Apotheken ist verbes-
        serungswürdig, der Fachkräfte- und Nachwuchsmangel
        stellt Apotheken vor Probleme . Aus meiner Sicht sollte
        die überfällige Novellierung des PTA-Gesetzes daher
        nicht erneut hinausgeschoben werden, wenn man ande-
        rerseits für die Apotheker wegen des EBA Sonderrege-
        lungen ins Auge fasst . Beides gehört für mich zusammen .
        Im Frühjahr 2016 werden wir ja über die akademische
        Ausbildung in den Gesundheitsberufen zu entscheiden
        haben, es stehen Gespräche über Verbesserungen bei den
        Heilmittelerbringern an . Ich nenne hier auch noch das
        ausstehende OTA/ATA-Gesetz .
        Wenn man das alles zu einem Paket schnürt, kann der
        Gesetzgeber deutlich machen, dass ihm auch die Ge-
        sundheitsfachberufe am Herzen liegen .
        Die heutige Umsetzung des Europäischen Berufsaus-
        weises ist dazu ein erster und wichtiger Schritt .
        Birgit Wöllert (DIE LINKE): Wir haben heute über
        ein Gesetz zu befinden, das eine EU-Richtlinie in nati-
        onales Recht umsetzt, wobei dies, um Probleme zu ver-
        meiden, bis 18 . Januar 2016 zu geschehen hat . Für die
        Erarbeitung hatte die Bundesregierung allerdings seit
        Anfang 2014 Zeit . Warum es ohne Not und Verschulden
        von Dritten – salopp gesagt – jetzt „auf den letzten Pfiff“
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514496
        (A) (C)
        (B) (D)
        kommt, ist mir nicht nachvollziehbar . Vielleicht äußert
        sich ja die Bundesregierung oder die Koalition dazu .
        Die EU-Richtlinie legt als Voraussetzung für die ge-
        genseitige Anerkennung Mindestanforderungen fest, die
        in nationale Regelungen zu überführen sind . Diese sind
        bei allen bundesrechtlich geregelten Heilberufen um-
        zusetzen . Eine Vollharmonisierung ist allerdings nicht
        vorgeschrieben, sodass die einzelnen Länder die Anfor-
        derungen über-, aber nicht unterschreiten dürfen, wenn
        eine europaweite Anerkennung der Berufsqualifikation
        gewünscht wird . Die Gestaltungshoheit der Mitgliedstaa-
        ten in Ausbildungsfragen bleibt also trotz des Gesetzent-
        wurfes erhalten .
        Dies ist aus Sicht der Beschäftigten zu begrüßen .
        Auch bietet der vorgelegte Gesetzentwurf die Voraus-
        setzung für eine europaweite Berufstätigkeit ohne auf-
        wendige individuelle Anerkennungsverfahren . Denn die
        Ausbildungsgänge sind vor allem in den Heilberufen eu-
        ropaweit sehr unterschiedlich . Unabhängig davon, ob die
        einzelnen Länder einen akademischen Ausbildungsgang
        oder eine berufliche Ausbildung vorschreiben, kann so
        eine unkomplizierte gegenseitige Anerkennung erfolgen .
        Gleiche Zugangschancen zu Bildung und Beschäftigung
        sowie die Freizügigkeit sind ein hohes Gut in einem sich
        entwickelnden Binnenmarkt . Künftig wird der Bedarf an
        qualifizierten Pflegefachkräften und Gesundheitsberufen
        weiter steigen . Deshalb sind Maßnahmen erforderlich,
        die sicherstellen, dass sich auch weiterhin junge Men-
        schen für die professionelle Pflege begeistern oder sich
        für eine Ausbildung in den entsprechenden Heilberufen
        entscheiden .
        Damit auch die bundesdeutsche Altenpflegeausbil-
        dung europaweit anerkannt werden kann, muss die Bun-
        desregierung endlich das lang angekündigte und umstrit-
        tene Pflegeberufegesetz so auf den Weg bringen, dass es
        beschlossen werden kann . Zurzeit streiten nicht nur die
        Koalitionsfraktionen, sondern auch die beteiligten Mi-
        nisterien . Das Gleiche gilt bei der Säuglings- und Kin-
        derkrankenpflegeausbildung.
        Ein letzter kritischer Hinweis: Der Bundesverband
        der Apothekerverbände (ABDA) wendet sich gegen die
        strikte Übernahme der Formulierung aus der EU-Richt-
        linie in die Bundes-Apothekerordnung und das Apothe-
        kengesetz . Die ABDA weist darauf hin, dass damit der
        Aspekt des Tätigkeitsorts vernachlässigt wird und wich-
        tige Tätigkeitsfelder in Forschung und Wissenschaft
        fehlen . Auch der Bundesrat unterstützt die Initiative der
        Apotheker, das Tätigkeitsfeld zu aktualisieren . Aus un-
        serer Sicht ist es bedauerlich, dass diese Vorschläge jetzt
        nicht aufgegriffen wurden . Wir sind für eine möglichst
        schnelle bundesgesetzliche Regelung .
        Meine Fraktion stimmt diesem Gesetzentwurf zu .
        Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Die Pflege und die Heilberufe sichern weite Teile
        unserer Versorgung .
        In der Pflege herrscht – genau wie in vielen anderen
        Gesundheitsberufen – Fachkräftemangel . Wir brauchen
        dringend qualifiziertes Personal. Darum halte ich es für
        ein wichtiges Anliegen, die gegenseitige europäische An-
        erkennung von Berufsqualifikationen in Heilberufen zu
        vereinfachen . Eine Vereinfachung und Beschleunigung
        der Bürokratie hilft den Menschen aus anderen EU-Staa-
        ten, die eine Berufsausbildung haben und gern arbeiten
        wollen . Diese Vereinfachung bringt für uns große Vor-
        teile: keine langwierigen Anerkennungsverfahren, keine
        Warterei auf die Anerkennung . Künftig gibt es den Euro-
        päischen Berufsausweis .
        Für Betrüger wird es schwieriger, ungestört einen
        Beruf auszuüben, für den sie nicht qualifiziert sind und
        damit andere gefährden . Durch einen Vorwarnmecha-
        nismus werden Angehörige von Heilberufen, von denen
        eine Gefahr für die Patienten ausgeht, schnell europaweit
        identifiziert. Ihnen wird die Berufsausübung verboten.
        Das heißt, dass sie auch nicht einfach in einem anderen
        Land erneut tätig werden können . Auch gefälschte Be-
        rufsqualifikationen sollen europaweit gemeldet werden.
        Auf dem Papier klingt das alles perfekt . Ob die An-
        erkennung von Berufsabschlüssen mit diesen Regelun-
        gen aber wirklich vereinfacht und beschleunigt wird, das
        steht in den Sternen . Der Europäische Berufsausweis
        zum Beispiel ist in der Realität kein Dokument . Es ist nur
        ein Verfahren zur Berufsanerkennung mit einem griffi-
        gen Namen . Darum ist es schade, dass der Gesetzentwurf
        keinerlei nationale Evaluation der Regelungen vorsieht .
        Auf EU-Ebene ist das durchaus geplant: Zum ersten Mal
        bis 2019 und dann alle fünf Jahre soll es einen Bericht
        über die Durchführung der Richtlinie geben .
        Das reicht aber nicht . Wir brauchen aber auch eine na-
        tionale Evaluation . Und die brauchen wir innerhalb der
        ersten beiden Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie . Wir
        dürfen keine Zeit vergeuden . Wir können es uns nicht
        leisten, dass Regelungen möglicherweise in die falsche
        Richtung laufen .
        Es ist ein guter Anfang, aber wir müssen den Blick
        weiten .
        Zurzeit kommen so viele Flüchtlinge nach Deutsch-
        land wie nie zuvor . Sie kommen nicht aus der Europä-
        ischen Union . Gerade für diese Menschen wäre eine
        schnelle Integration in den Arbeitsmarkt besonders hilf-
        reich . Darum sollten wir über den europäischen Rahmen
        hinausdenken . Wir sollten uns auch für Menschen aus
        Drittstaaten unbürokratische Anerkennungsregelungen
        überlegen . Die Richtlinie kann hier durchaus Anregun-
        gen liefern .
        Anlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/
        CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
        setzes zur Verbesserung der Registrierung und des
        Datenaustausches zu aufenthalts- und asylrechtli-
        chen Zwecken (Datenaustauschverbesserungsge-
        setz) (Tagesordnungspunkt 19)
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14497
        (A) (C)
        (B) (D)
        Nina Warken (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden
        Gesetzentwurf ergreifen wir weitere Maßnahmen, um
        den täglichen Zustrom von Schutzsuchenden besser be-
        wältigen zu können . Der Fokus liegt dabei auf einer Ord-
        nung und Steuerung und vor allem auf einer deutlichen
        Beschleunigung der Registrierung . Das ist es, was die
        Menschen in Deutschland von uns erwarten, und das ist
        der Kurs, den wir gemeinsam weiterverfolgen müssen .
        Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtiger Bau-
        stein für diesen Kurs . Er stellt sicher, dass alle Asylbe-
        werber und unerlaubt eingereiste Personen zweifelsfrei
        mit biometrischen Daten und früher als bisher registriert
        werden . Neben der Bundespolizei und dem Bundesamt
        für Migration und Flüchtlinge werden dazu künftig auch
        die Aufnahmeeinrichtungen, Ausländerbehörden und
        Polizeien der Länder in der Lage sein . Die Daten stehen
        anschließend allen Behörden, die am Asylverfahren mit-
        wirken, in einem gemeinsamen System zur Verfügung
        und können von ihnen auch aktualisiert werden .
        Dass die Opposition nun versucht, gegen diese abso-
        lut notwendigen Maßnahmen zu argumentieren, kann ich
        überhaupt nicht nachvollziehen, und ich sage Ihnen: Die
        Menschen in Deutschland verstehen das ebenso wenig .
        Angesichts der aktuellen Lage, in der immer noch täglich
        Tausende Flüchtlinge zu uns kommen, ist es geradezu
        grotesk, dass die Linke fordert, es sollten künftig doch
        lieber weniger Daten erfasst werden, denn man wolle ja
        keinen „gläsernen Flüchtling“ .
        Wir müssen und wollen wissen, wer in unser Land
        kommt und wer sich bei uns aufhält . Das ist im Hinblick
        auf die innere Sicherheit und potenzielle Gefährder uner-
        lässlich . Es ist doch bizarr, zu glauben, dass die unkon-
        trollierten Migrationsströme nicht auch von Terroristen
        und Kriminellen für ihre Zwecke missbraucht werden .
        Wer die geplante Registrierung und Überprüfung von
        Personen, die immerhin unerlaubt in unser Land kom-
        men, kritisiert beziehungsweise ablehnt, spielt damit po-
        tentiellen Gefährdern in die Hände .
        Ebenso wichtig ist es, zu wissen, wer die zu uns kom-
        menden Flüchtlinge sind und woher sie kommen, und
        wir wollen entscheiden können, wo ihr Asylverfahren
        durchgeführt wird .
        Dafür brauchen wir eine zügige und zweifelsfreie
        Registrierung, um die Flüchtlingsströme zu ordnen und
        auch um so bald wie möglich zu einer gerechten Vertei-
        lung in Europa zu kommen . Bei der Registrierung darf
        es deshalb keine Ausnahmen und Verzögerungen geben .
        Ein weiterer wichtiger Vorteil, den das neue Gesetz
        mit sich bringt, ist der schnellere Datenaustausch und
        Identitätsabgleich . Die Bundesagentur für Arbeit kann
        so zum Beispiel bei bleibeberechtigten Flüchtlingen vor-
        handene Schuldbildung und Qualifikationen abrufen und
        sie dadurch leichter in den Arbeitsmarkt integrieren . Da-
        mit das funktioniert, müssen natürlich auch diese Daten
        bei der Ankunft erhoben werden . Auch hier verstehe ich
        nicht, wie sich die Opposition gegen etwas aussprechen
        kann, womit wir den Flüchtlingen helfen wollen .
        Auf der anderen Seite sehen die Ausländerbehörden
        bei abgelehnten Asylbewerbern sofort, wer ausreise-
        pflichtig ist, wem dadurch nur noch eingeschränkte Leis-
        tungen zustehen, und kann zügig die Rückführung einlei-
        ten . Das Datenaustauschverbesserungsgesetz trägt somit
        zu einer besseren Steuerung und zur Beschleunigung der
        Asylverfahren bei . Wir schaffen damit weitere wichtige
        Voraussetzungen für eine zügigere Integration, aber auch
        für eine zügige Rückführung .
        Schließlich hilft das neue Gesetz auch, gegen Asyl-
        missbrauch vorzugehen, und ist ein klares Signal, dass
        die geltenden Regeln eingehalten werden müssen . Leis-
        tungen erhält künftig nur noch, wer registriert wurde und
        einen gültigen Ankunftsnachweis vorweisen kann .
        Dadurch wird es zum Beispiel unmöglich, doppelt
        Leistungen an unterschiedlichen Orten zu beantragen .
        Selbst wenn jemand den Ankunftsnachweis wegwirft,
        kann anhand des Fingerabdrucks überprüft werden, ob
        der Betroffene bereits registriert wurde und irgendwo
        in Deutschland Leistungen erhält . Ebenso kann so sehr
        leicht festgestellt werden, ob gegen die Person ein Wie-
        dereinreiseverbot verhängt wurde und die Abschiebung
        erfolgen muss . Dem Asylmissbrauch wirken wir so ent-
        schieden entgegen . Auch das wird, neben zügigeren Ab-
        schiebungen, dazu beitragen, dass die Asylbewerberzah-
        len in Deutschland zurückgehen werden .
        Wir blicken auf ein turbulentes und sicherlich kein
        einfaches Jahr zurück, das unserem Land große Kraftan-
        strengungen abverlangt hat . Diese werden wir angesichts
        der anhaltenden Flüchtlingskrise und der terroristischen
        Bedrohung auch im kommenden Jahr aufbringen müs-
        sen .
        Als Koalition konnten wir mit den Gesetzen zur Ter-
        rorismusbekämpfung und mit den Reformen im Asyl-
        bereich bereits einige entscheidende Weichen für die
        Sicherheit in Deutschland und zur Bewältigung der
        Flüchtlingskrise stellen . Lassen Sie uns diesen Kurs mit
        dem Datenaustauschverbesserungsgesetz fortsetzen .
        Denn die Menschen in Deutschland erwarten zu Recht,
        dass unser Land handlungsfähig bleibt und wir die He-
        rausforderungen meistern, auch wenn sie noch so groß
        sind .
        Lassen Sie uns deshalb die Beratungen zu diesem Ge-
        setz zügig abschließen, damit es so bald wie möglich in
        Kraft treten kann .
        Dr. Lars Castellucci (SPD): Wir beraten heute in
        erster Lesung den Gesetzentwurf zur Verbesserung des
        Datenaustausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen
        Zwecken . Ein sperriger Titel, aber ein wichtiges Gesetz,
        das wir eigentlich schon deutlich früher hätten auf den
        Weg bringen müssen . Denn die schiere Zahl der Asyl-
        bewerberinnen und -bewerber, die in den vergangenen
        Monaten in unser Land gekommen sind, haben uns vor
        große Herausforderungen gestellt . Immer wieder muss-
        ten wir sehen, dass die Verfahren, die sich in den letzten
        20 Jahren mehr schlecht als recht eingespielt hatten, in
        der Krise nicht mehr funktionierten und auch nicht mehr
        funktionieren konnten . Engpässe haben den Berg der
        Asylanträge immer weiter anschwellen lassen . Prozesse
        und Verfahren, die über Jahre funktioniert haben, waren
        und sind den aktuellen Anforderungen nicht gewachsen .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514498
        (A) (C)
        (B) (D)
        Das Sparen am Personal hat sich auf Bundes- und Lan-
        desebene als fatal erwiesen, denn in der Krise waren kei-
        ne Reserven mehr vorhanden .
        Wir alle haben in den letzten Monaten viel über das
        Asylsystem und die Verfahrensabläufe gelernt . Es war
        nun hohe Zeit, dass der Gesetzgeber – also wir hier im
        Bundestag − daraus die Lehren ziehen und ausreichend
        Personal- und Sachmittel bereitstellen, um der großen
        Aufgabe Herr zu werden . Zum Teil müssen wir daran
        noch arbeiten, um Schwachstellen zu identifizieren und
        zu überwinden .
        An einer dieser Schwachstellen setzt das heute in
        Rede stehende Gesetz an . Im Kern geht es uns beim Da-
        tenaustauschverbesserungsgesetz um drei Punkte .
        Wir wollen erstens eine deutliche Verbesserung bei der
        Datenerhebung erreichen . Dazu werden wir den Anwen-
        dungsbereich des Ausländerzentralregister-Gesetzes mit
        vorliegendem Gesetz in nicht unerheblicher Weise aus-
        dehnen . Schon heute werden zum Beispiel Namen, Ge-
        burtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit etc . im Aus-
        länderzentralregister gespeichert . Neu sollen nun zum
        Beispiel hinzukommen: Fingerabdrücke, Herkunftsland,
        Kontaktdaten zur schnellen Erreichbarkeit und Infor-
        mationen zu erfolgten Gesundheitsuntersuchungen und
        Impfungen. Zudem werden die Qualifikationen erfasst,
        die die Asylsuchenden mitbringen . Dies scheint mir von
        besonderer Relevanz zu sein, wenn wir so schnell wie
        möglich in den Integrationsprozess einsteigen wollen .
        Und das müssen wir, Integration muss vom ersten Tag an
        begonnen werden .
        Als zweiten Punkt nehmen wir die Verbesserung des
        Datenaustauschs in den Blick . Auch hier lag einiges im
        Argen . In vielen Fällen konnte von den zuständigen Stel-
        len nicht oder nur unzureichend auf die schon erhobe-
        nen Daten zurückgegriffen werden . Manche Flüchtlinge
        wurden mehrfach registriert, andere gar nicht . Die Daten,
        die bei der Registrierung erfasst wurden, waren nicht
        kompatibel mit den Datenerfassungen der unterschiedli-
        chen Stellen, sodass Bundespolizei, BAMF, Agentur für
        Arbeit etc . die Daten nochmals erheben mussten . Zudem
        wurden die Daten von den verschiedenen Stellen, die mit
        der Aufnahme von Flüchtlingen betraut sind, auf unter-
        schiedliche Art und Weise erhoben . Hier war eine Verein-
        heitlichung dringend geboten .
        Mit dem vorliegenden Gesetz werden wir die Zu-
        sammenarbeit und den Datenaustausch zwischen den
        Sicherheitsbehörden, dem Bundesamt für Migration und
        Flüchtlinge, den Aufnahmeeinrichtungen, den Auslän-
        derbehörden, den Asylbewerberleistungsbehörden, der
        Bundesagentur für Arbeit, den für die Durchführung der
        Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Stellen
        sowie den Meldebehörden ermöglichen und stärken .
        Schließlich komme ich zum Kernstück des vorliegen-
        den Gesetzes: Die Einführung eines Ankunftsnachwei-
        ses .
        Dieser wird unverzüglich nach der erkennungsdienst-
        lichen Behandlung ausgestellt und soll grundsätzlich
        Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen und
        die Stellung eines Asylantrages sein . Dies ist ein wich-
        tiger und richtiger Schritt, um einerseits das Verfahren
        zu straffen und andererseits mehrfache Registrierung zu
        verhindern . Zudem bringen wir Ordnung ins Verfahren,
        da auch die Schutzsuchenden ein Interesse daran haben
        werden, einen solchen Ausweis zu erhalten . Denn nur so
        sind sie berechtigt, Leistungen zu erhalten .
        Schließlich können durch einen Sicherheitsabgleich
        die Sicherheitsbehörden frühzeitig überprüfen, ob zu
        einer Person terrorismusrelevante Erkenntnisse vorlie-
        gen oder sonstige schwerwiegende Sicherheitsbedenken
        bestehen . Dieser Sicherheitsabgleich soll unverzüglich
        nach Speicherung der Daten im Kerndatensystem erfol-
        gen .
        Damit haben wir einen Zustand erreicht, der auf die
        Dimension der Herausforderung angemessen reagiert .
        In Zeiten von überschaubaren Zuwandererzahlen wären
        ein solcher Datenaustausch und vor allem die Einführung
        eines Ausweises sicher auch richtig gewesen . In der mo-
        mentanen Situation waren die Regelungen überfällig, um
        ein geordnetes Verfahren zu ermöglichen und damit auch
        auf die Bedürfnisse der hier Schutzsuchenden reagieren
        zu können .
        Ich bin froh, dass wir mit dem vorliegenden Gesetz
        ein gutes Stück vorankommen bei der Bewältigung der
        Herausforderungen, vor die wir gestellt sind .
        Noch schöner wäre es gewesen, wenn die Karte gleich
        im „Plastikformat“ verfügbar gewesen wäre . Das hät-
        te aber weitere Verzögerungen zur Folge gehabt, und
        manchmal geht Schnelligkeit vor Schönheit – und die
        Einführung des Ausweises duldete keinen weiteren Auf-
        schub .
        Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung legt
        einen Gesetzentwurf vor, der eine schnellere und flächen-
        deckende Registrierung von Flüchtlingen sicherstellen
        soll . Der wichtigste Bestandteil dieses Vorhabens besteht
        darin, allen am Asylverfahren beteiligten Behörden den
        raschen Zugriff auf einen zentralisierten Datenbestand zu
        ermöglichen .
        Die Linke ist sehr dafür, das Asylverfahren für alle
        Beteiligten, also Antragsteller wie Behörden, zu verein-
        fachen . Der Gesetzentwurf geht aber entschieden zu weit,
        weil er mehr darauf setzt, einen „gläsernen Flüchtling“
        zu schaffen als tatsächlich die Grundlagen für raschere
        Verfahren zu schaffen .
        Zur Umsetzung des Gesetzes wird das Ausländerzen-
        tralregister erweitert . Dort werden zum einen sämtliche
        Angaben gespeichert, die zur Abwicklung des Asylver-
        fahrens dienen, also etwa die Personalien und das Her-
        kunftsland des Antragstellers . In die Datei kommen aber
        auch Fingerabdrücke, Angaben zu erfolgten Gesund-
        heitsuntersuchungen und Impfungen – nicht zum Ge-
        sundheitszustand – und Angaben über Schulbildung und
        Berufsabschlüsse .
        Es liegt auf der Hand, dass die letztgenannten Daten
        mit dem eigentlichen Asylverfahren überhaupt nichts zu
        tun haben . Dass Angaben zum Bildungsstand der Flücht-
        linge gespeichert werden, begründet die Bundesregie-
        rung damit, es sei für deren möglichst rasche Integration
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14499
        (A) (C)
        (B) (D)
        nötig . Die Bundesagentur für Arbeit soll frühzeitig die
        Angaben zum Asylverfahren abrufen können, um Rück-
        schlüsse über die Bleibeperspektive ziehen zu können .
        Danach bemisst sich dann zum Beispiel, ob jemand über-
        haupt berechtigt ist, eine Arbeit aufzunehmen, und auch
        die Chancen für die Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt
        hängen von der Bleibeperspektive ab .
        Daran zeigt sich ein Grundfehler dieses Gesetzes:
        Es hält fest am falschen Prinzip, beim Zugang zu In-
        tegrationsmaßnahmen zwischen aussichtsreichen und
        vermeintlich aussichtslosen Asylsuchenden zu unter-
        scheiden . Wer, auf Grundlage bloß statistischer Angaben,
        „wahrscheinlich“ nicht lange bleiben darf, der bekommt
        dann erst recht keine Arbeit vermittelt . Das ist ein ziem-
        lich darwinistisches Prinzip . Die Linke fordert hingegen,
        allen Flüchtlingen von Anfang an den Zugang zu Arbeit
        und Integrationsmaßnahmen zu ermöglichen .
        Das Gesetz sieht auch vor, zukünftig sämtliche Asyl-
        suchenden, die aus bestimmten Herkunftsländern stam-
        men, mit den Dateien von Polizei und Geheimdiensten
        gegenzuchecken . Das betrifft sämtliche muslimisch ge-
        prägten Länder . Damit werden faktisch alle Flüchtlinge
        aus Ländern wie Afghanistan, Syrien und dem Irak und
        vielen anderen unter Generalverdacht gestellt, Terroris-
        ten oder sonstige Kriminelle zu sein .
        Dabei gibt es überhaupt keine Berechtigung, einen
        Menschen, der vor Krieg und Elend und Verfolgung
        flieht, pauschal als Risiko für unsere Gesellschaft darzu-
        stellen .
        Abgesehen davon haben unsere Geheimdienste schon
        viel zu viele Kompetenzen und pflegen einen fahrlässi-
        gen Umgang mit privaten Daten von Bürgern . Es geht
        komplett in die falsche Richtung, ihnen noch mehr Rech-
        te einzuräumen . Stattdessen muss es wieder klargestellt
        werden, dass Polizei und Geheimdienste mindestens ei-
        nen begründeten Anfangsverdacht haben müssen, bevor
        sie einen Menschen durchleuchten, egal ob es ein Einhei-
        mischer, ein Asylsuchender oder ein Tourist ist . Jeman-
        den einfach so, nur weil er Asyl sucht, zum Fall für BND
        und Verfassungsschutz zu machen, darf nicht sein .
        Sicherlich: Die Einführung einer zentralen Datei, in
        der relevante Daten zum Asylverfahren gespeichert wer-
        den, ist grundsätzlich sinnvoll – solange tatsächlich nur
        relevante Daten gespeichert werden, wie etwa Angaben
        über Identität, mitreisende Familienangehörige und zum
        aufenthaltsrechtlichen Status der Person .
        Wir sehen aber, dass der Gesetzentwurf eine ganze
        Menge Daten zentral speichern will, die sich nicht auf
        das Asylverfahren beziehen . Außerdem sollten nur sol-
        che Behörden Zugriff auf diese Daten erhalten, die am
        Asylverfahren unmittelbar beteiligt sind . Dazu zählen
        Polizei, Geheimdienste und Jobcenter aber nicht .
        Insgesamt muss festgestellt werden, dass der Grund-
        satz der Datensparsamkeit hier völlig vernachlässigt
        wird . Wie der Datenschutz gewährleistet werden soll,
        wenn so unterschiedliche Behörden auf persönliche Da-
        ten zugreifen können, wird im Entwurf praktisch gar
        nicht thematisiert . Der Gesetzentwurf beschränkt sich
        nicht auf Maßnahmen, die tatsächlich sinnvoll sind, um
        Asylverfahren zu entschlacken und für alle Beteiligten
        erträglicher zu machen, sondern er setzt darauf, eine rie-
        sige Zentraldatei anzulegen, auf die eine Vielzahl von
        Behörden Zugriff hat .
        Insofern wird hier ein „gläserner Flüchtling“ geschaf-
        fen, dem praktisch das Grundrecht auf informationelle
        Selbstbestimmung abgesprochen wird . Die Linke wird in
        den Ausschüssen darauf drängen, das Gesetzesvorhaben
        auf seine vernünftigen Anteile zurückzustutzen .
        Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt das im Grund-
        satz begrüßenswerte Ziel, für die anhaltend große Zahl
        von Asylsuchenden eine rasche und vor allem einmalige
        Registrierung durch die Behörden sicherzustellen . Mit
        der völlig veralteten und überwiegend nicht vernetzten
        Infrastruktur der zuständigen Behörden ist das zurzeit
        nicht zu realisieren . Ob es mit der Neuregelung auch –
        wie die Bundesregierung behauptet – gelingt, die Dauer
        der Asylverfahren insgesamt zu beschleunigen, ist frag-
        lich . Vor allem braucht der im Entwurf angelegte Umbau
        der gesamten IT-Infrastruktur insbesondere beim BAMF
        wohl erhebliche Zeit .
        Eine schnelle und effektive Registrierung ist auch im
        Sinne der Asylsuchenden, die zu uns kommen, überfäl-
        lig . Sie ermöglicht es uns auch, ein detaillierteres Lage-
        bild über die zu uns Geflüchteten zu bekommen.
        Wie wichtig das ist, konnte man unter anderem an
        den – eher mutmaßenden, denn auf einer konkreten Da-
        tenbasis beruhenden – Äußerungen von Innenminister de
        Maizière zur Herkunft bzw . Nichtherkunft bestimmter
        Flüchtlinge erkennen .
        Der grundsätzliche Bedarf eines verbesserten Informa-
        tionsaustauschs wird von meiner Fraktion also gesehen
        und zugestanden . Bezüglich der konkreten Umsetzung
        des geplanten Ankunftsausweises und der Einrichtung
        bzw . Verknüpfung von Datenbanken haben wir aber zahl-
        reiche Fragen, die bislang nicht beantwortet wurden .
        Mit der letzten Asylrechtsnovelle hatten Sie gerade
        die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender
        (BüMa) eingeführt – nun wird die BüMa durch den soge-
        nannten „Ankunftsnachweis“ ersetzt . Nicht immer wird
        durch ein neues Label auch eine Verbesserung erreicht –
        hier die Beschleunigung der Asylverfahren .
        Die vorgesehenen Regelungen erfordern die Berück-
        sichtigung sehr hoher Datenschutzstandards . Diese wer-
        den aber längst nicht immer eingehalten . Zahlreiche im
        Entwurf geregelte Informationserhebungen halten sich –
        nach erster Prüfung – nicht an das nach geltender Rechts-
        lage für das jeweilige Verfahren Erforderliche . Nur eini-
        ge Beispiele:
        Der letztendliche Zweck Ihres Entwurfs ist die Schaf-
        fung einer zentralisierten, allgemeinen Ausländerdaten-
        bank durch die nochmalige Erweiterung eines ohnehin
        bereits umfangreichen Kerndatenbestands innerhalb ei-
        nes zuvor zu anderen Zwecken geschaffenen Allgemei-
        nen Zentralregisters (AZR) . Hier ergeben sich zahlreiche
        komplexe Folgefragen vor allem datenschutzrechtlicher
        Natur .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514500
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die geplante multifunktionale, zentralisierte IT-Lö-
        sung unterliegt zusätzlichen Rechtfertigungsanfor-
        derungen: Sowohl die Zweckbindung als auch der
        grundsätzliche Trennungsgrundsatz zwischen den Daten-
        verarbeitungen unterschiedlicher eingebundener Verwal-
        tungsverfahren darf nicht aufgehoben werden . Das tun
        Sie aber .
        Ein eigenes – gesetzlich abgesichertes – Speicher- und
        Löschkonzept für die Datenmasse legen Sie nicht vor .
        Auch die bisher vorgesehenen Schutzvorkehrungen sind
        nicht ausreichend .
        Schon der Umfang der im AZRG hinterlegten, als
        „Kerndatenbestand“ bezeichneten Daten ist bereits nicht
        erforderlich . Hier bestehen teilweise erhebliche verfas-
        sungsrechtliche Bedenken . Die „Freiwilligkeit“ gemach-
        ter Angaben – hier Telefonnummer und E-Mail-Adres-
        sen – ist angesichts der Verfahrensbedeutung für die
        Betroffenen nicht gegeben . Auch gesonderte Schutzre-
        gelungen für besonders sensible Daten – zum Beispiel
        Impfungen – sind bislang nicht ersichtlich .
        Für jede Personengruppe ist zudem zwingend zu prü-
        fen, welche Daten tatsächlich im weiteren Verfahren
        benötigt werden . Die personalintensive Erhebung von
        Daten, die später nicht benötigt werden, sollte auf das
        Notwendige beschränkt sein, sonst wird das Ziel be-
        schleunigter Abläufe letztendlich konterkariert .
        Die umfangreichen neuen Einmeldebestimmungen
        für unterschiedlichste Behörden bedürfen insgesamt der
        eingehenden Prüfung auf Erforderlichkeit und Verhält-
        nismäßigkeit . Dies gilt auch für die vorgesehenen Daten-
        übermittlungen an dritte Behörden und zu Forschungs-
        zwecken, vor allem mit Blick auf die Wirksamkeit der
        Einwilligung .
        Insgesamt bedarf die Errichtung einer solchen Zen-
        traldatenbank mit Anbindung an BAMF, Ausländerbe-
        hörden, Sozialbehörden, Arbeitsverwaltung und Sicher-
        heitsbehörden einer intensiven Diskussion und glasklarer
        gesetzlicher Regelungen . Dies gilt aus unserer Sicht auch
        und vor allem für die Ausweitungen der Befugnisse der
        Geheimdienste bezüglich des Zugriffs auf die Datenbe-
        stände . Bei all diesen Punkten empfehlen wir dringend
        die Einbeziehung der Datenschutzbeauftragten – viel-
        leicht gelingt es ja auch noch, die Unionsfraktionen da-
        von zu überzeugen, dass die Sachverständigenanhörung
        am 11 . Januar 2016 eine gute Gelegenheit dazu bietet .
        Den weiteren Gesetzgebungsprozess werden wir kri-
        tisch-konstruktiv begleiten und erwarten von Ihnen, dass
        Sie bezüglich der angesprochenen Punkte zwingend
        nachbessern . Nur so können wir einen verbesserten Da-
        tenaustausch nach klaren gesetzlichen Kriterien und ho-
        hen Schutzstandards erreichen .
        Dr. Ole Schröder, Parl . Staatssekretär beim Bundes-
        minister des Innern: Der vorgelegte Entwurf für ein Ge-
        setz zur Verbesserung der Registrierung und des Daten-
        austausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen Zwecken
        ist ein weiterer zentraler Baustein zur Ordnung und Steu-
        erung des Flüchtlingsaufkommens . Dazu gehört allem
        voran die frühzeitige Registrierung der Asylsuchenden
        und Flüchtlinge .
        Wir wollen mit dem Gesetzentwurf vier wesentliche
        Ziele erreichen:
        Erstens . Wir müssen wissen, welche Flüchtlinge nach
        Deutschland kommen . Dazu müssen wir die Asyl- und
        Schutzsuchenden wie auch die in Deutschland unerlaubt
        eingereisten und unerlaubt aufhältigen Personen unver-
        züglich erfassen .
        Künftig sollen deshalb alle Behörden bereits mit dem
        ersten Kontakt zu einem Flüchtling standardisiert Daten
        in einem zentralen System, dem Kerndatensystem, auf-
        nehmen .
        Alle zur Registrierung befugten Stellen werden zudem
        mit einem Fingerabdruck-Schnell-Abgleichsystem (so-
        genanntes Fast-ID) ausgerüstet . Über eine Sofortabfrage
        können diese Stellen damit unverzüglich feststellen, ob
        zu einer Person bereits Daten vorhanden sind .
        Zweitens . Als Staat wollen wir darüber entscheiden,
        wo die Asylverfahren durchgeführt werden . Es kann
        nicht sein, dass sich Asylsuchende nicht an die Zuteilung
        zu einer bestimmten Aufnahmeeinrichtung halten . Wir
        wollen vor allem für eine gerechte Verteilung der Las-
        ten auf die Bundesländer Sorge tragen . Hiermit erreichen
        wir, dass wir die vorhandenen Ressourcen auch nutzen
        können .
        Mit dem Gesetzentwurf regeln wir deshalb einen neu-
        en bundeseinheitlichen Ankunftsnachweis für Asylsu-
        chende . Er soll ab dem geplanten Inkrafttreten des Geset-
        zes im Februar 2016 ausgegeben werden .
        Wir haben uns bewusst für ein papierbasiertes und fäl-
        schungssicheres Dokument entschieden . Im Gegensatz
        zu einer Chipkarte kann der Ankunftsnachweis unkom-
        pliziert und dezentral ausgestellt werden . Die Daten sind
        zentral gespeichert und nicht auf der Karte selbst .
        Die Vorlage des Ankunftsnachweises soll die grund-
        sätzliche Voraussetzung für die Gewährung von Leis-
        tungen und die Stellung eines Asylantrages sein . Damit
        wollen wir den Anreiz schaffen, rasch die zugewiesene
        Aufnahmeeinrichtung aufzusuchen sowie dort zu blei-
        ben . Die Einzelheiten hierzu werden wir in einem weite-
        ren Gesetzgebungsvorhaben regeln .
        Der Ankunftsnachweis wird dazu beitragen, den
        Aufwand für alle beteiligten Behörden und den Asyl-
        suchenden selbst zu verringern . Wir wissen damit bes-
        ser als heute, wie viele und welche Menschen ins Land
        kommen . Wir können außerdem die Verteilung und die
        Integration der Asylsuchenden besser und fairer planen
        sowie Leistungsmissbrauch effektiver verhindern .
        Drittens . Wir müssen frühzeitig wissen, ob zu den
        Personen sicherheitsrelevante Erkenntnisse vorliegen .
        Mit der Schaffung eines an das Visa-Konsultations-Ver-
        fahren angelehnten Sicherheitsabgleichs werden die Si-
        cherheitsbehörden deshalb frühzeitig überprüfen können,
        ob zu einer Person schwerwiegende Sicherheitsbedenken
        bestehen . Dieser Sicherheitsabgleich soll unverzüglich
        nach Speicherung der Daten im Kerndatensystem erfol-
        gen .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14501
        (A) (C)
        (B) (D)
        Mein vierter und letzter Punkt betrifft die Beschleu-
        nigung der Asylverfahren: Dieses Ziel können wir nur
        erreichen, wenn wir die Daten zentral erfassen und un-
        mittelbar auf elektronischem Wege den berechtigten öf-
        fentlichen Stellen zur Verfügung stellen . Der Kreis der
        Behörden, die Daten aus dem zentralen Kerndatensystem
        erhalten, wird daher erweitert . Dies betrifft neben den
        Sicherheitsbehörden zum Beispiel das Bundesamt für
        Migration und Flüchtlinge, die Aufnahmeeinrichtungen,
        die Bundesagentur für Arbeit und die Meldebehörden .
        Diese Behörden werden nicht nur zum Datenabruf aus
        dem Register berechtigt sein, sondern zusätzlich auch
        Befugnisse zur Übermittlung bzw . Aktualisierung von
        Daten erhalten .
        Die Bundesregierung hat diesen Gesetzentwurf
        schnell vorgelegt . Das bietet die Chance, Ende Janu-
        ar 2016 bereits das parlamentarische Verfahren abzu-
        schließen, sodass das Gesetz Anfang Februar 2016 in
        Kraft treten könnte . Das ist vor allem deshalb wichtig, da
        der Wirkbetrieb und der Rollout in der Fläche erst nach
        dem Inkrafttreten des Gesetzes starten können . Ich danke
        Ihnen für Ihre Unterstützung .
        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
        brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
        des Sachverständigenrechts und zur weiteren Än-
        derung des Gesetzes über das Verfahren in Famili-
        ensachen und in den Angelegenheiten der freiwilli-
        gen Gerichtsbarkeit (Tagesordnungspunkt 20)
        Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Vor ziemlich genau
        einem Jahr, Mitte November 2014, hat das Bundesver-
        fassungsgericht hohe Wellen geschlagen in Sachen Sach-
        verständigenrecht: In einem Beschluss rügte es zwei Ge-
        richte, die äußerst fahrlässig – ohne Wenn und Aber – ein
        offensichtlich nicht verwertbares Gutachten zur maßgeb-
        lichen Grundlage ihrer Entscheidungen gemacht hatten .
        Infolgedessen war einem Vater zu Unrecht das Sorge-
        recht für seine Tochter aberkannt worden .
        Die Zweifel an der Verwertbarkeit dieses Gutachtens
        waren zum einen verfassungsrechtlicher Natur und be-
        trafen die im Gutachten getroffenen Feststellungen . Zum
        anderen bestanden die Zweifel auch hinsichtlich der ge-
        botenen Neutralität der Sachverständigen, die das Gut-
        achten erstellt hatte .
        Die Karlsruher Richter haben in ihrem Beschluss
        vernichtende Schlussfolgerungen für das Gutachterwe-
        sen gezogen – und sie trafen damit einen empfindlichen
        Nerv, bilden die Gutachten doch zumeist eine wesentli-
        che Grundlage für gerichtliche Entscheidungen .
        Doch nicht erst seit diesem Beschluss stellen Fach-
        kreise und die Öffentlichkeit zunehmend die Unabhän-
        gigkeit und Neutralität der Gutachter sowie die Quali-
        tät deren Expertise in Frage . Immer wieder ist zu hören
        von fehlerhaften Entscheidungen, und das leider auch in
        solch bedeutsamen Fällen wie dem Sorgerecht oder dem
        Umgang mit dem eigenen Kind .
        Keine Frage, es ist an der Zeit zu handeln . Es ist unse-
        re Aufgabe als Gesetzgeber, das Vertrauen der Bürgerin-
        nen und Bürger in das Gutachterwesen zurückzugewin-
        nen und zu stärken .
        Wir, die Union, haben daher darauf hingewirkt, eine
        entsprechende Vereinbarung im Koalitionsvertrag zu
        treffen . Heute können wir nun einen Gesetzesentwurf
        vorlegen, der durch größere Transparenz im Auswahl-
        verfahren und durch die Einführung gewisser Standards
        die Gutachtertätigkeit lenkt und ihre Qualität verbessert .
        Im Wesentlichen besteht der Entwurf aus folgenden
        Elementen:
        Es ist uns wichtig, dafür zu sorgen, dass die den Gut-
        achtern obliegende Neutralität gewährleistet wird . So hat
        der Sachverständige fortan zu prüfen, ob es Gründe gibt,
        die geeignet sind, Misstrauen gegen seine Unparteilich-
        keit zu rechtfertigen . Diese hat er dann gegebenenfalls
        unverzüglich mitteilen .
        Außerdem wollen wir eine stärkere Einbindung der
        Parteien in die Auswahl des Sachverständigen . Daher soll
        in der ZPO ein obligatorisches Anhörungsrecht eingefügt
        werden, demzufolge die Verfahrensbeteiligten schon vor
        der Ernennung des Sachverständigen eventuelle Einwän-
        de gelten machen können .
        Die Befürchtungen des Bundesrates dahin gehend,
        dass es durch eine obligatorische Anhörung zu weiteren
        Verfahrensverzögerungen kommen kann, sind nicht per
        se von der Hand zu weisen . Ich denke dabei insbesondere
        an Fälle aus dem Familienrecht, die eh schon höchst kon-
        fliktgeladen sind und bei denen solch eine Einbindung in
        die Auswahl des Sachverständigen möglicherweise noch
        weiteren Nährboden für Auseinandersetzungen und dann
        zwangsläufig für Verzögerungen bietet.
        Die Bundesregierung hat die Kritik des Bundesrates
        zum Anlass genommen, für das sozialgerichtliche Ver-
        fahren eine Abweichungsbefugnis von dieser Regelung
        zu prüfen . Ich denke, man sollte im weiteren Gesetzge-
        bungsverfahren – unter Einbindung der Praktiker – noch
        einmal ein Auge darauf werfen, ob nicht auch außerhalb
        der sozialgerichtlichen Verfahren und neben den in der
        Gesetzesbegründung genannten Fälle ein Absehen von
        der Anhörung möglich sein sollte .
        Weiter ist es uns ein wichtiges Anliegen, für eine ef-
        fektive Beschleunigung des Verfahrens und damit für
        effektiven Rechtsschutz zu sorgen . Im Gesetzesentwurf
        vorgesehen ist daher die Einführung einer obligatori-
        schen Fristsetzung .
        Ergänzend „soll“ der Sachverständige künftig ein
        Ordnungsgeld zahlen müssen, wenn er die gesetzte Frist
        nicht einhält . Die aktuelle Regelung sieht vor, dass das
        Gericht ein Ordnungsgeld lediglich anordnen „kann“ .
        Auch hier wurde Kritik laut: Enge Terminsetzungen
        und die Androhung bzw . Festsetzung von Ordnungsgeld
        könnten die bestehende Mangellage bei Sachverständi-
        gen noch verschärfen .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514502
        (A) (C)
        (B) (D)
        In der Tat ist es ein Problem, ausreichend geeignete
        Sachverständige für das Gericht zu verpflichten. Und
        auszuschließen ist es sicher nicht, dass unter diesen Be-
        dingungen gerade die besonders gefragten Sachverstän-
        digen nicht mehr für ein Gericht tätig werden wollen .
        Auch hierauf sollten wir insbesondere in der Anhörung
        noch einmal ein Auge werfen .
        Schließlich nehmen wir Änderungen vor im Gesetz
        über das Verfahren in Familiensachen und in den Ange-
        legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit . Und diese
        liegen mir ganz besonders am Herzen:
        Konkret geht es um die Qualifikationsanforderungen,
        die an einen Gutachter in bestimmten Kindschaftssachen
        zu stellen sind . Es geht also um Fragen wie, wie oft ein
        Vater sein Kind sehen darf .
        Die bisherige gesetzliche Regelung enthält keinerlei
        Vorgaben zur Qualifikation der Sachverständigen. Die
        Auswahl der Sachverständigen obliegt ausschließlich
        dem zuständigen Richter . Auf eine besondere fachliche
        Eignung des zu bestellenden Gutachters muss derzeit
        keine Rücksicht genommen werden . Etwas überspitzt
        könnte man sagen, das ist, als würde man einen Busfah-
        rer verpflichten können, ein Flugzeug zu steuern. Was ich
        damit zum Ausdruck bringen will, ist: Wenn eine Ent-
        scheidung existenzielle Auswirkungen hat, wie sie es bei
        Kindschaftssachen immer hat, dürfen wir diese Entschei-
        dung bzw . maßgebliche Bausteine dieser Entscheidung
        nicht leichtfertig in andere Hände geben .
        Eine Änderung der gesetzlichen Regelung ist hier
        dringend angezeigt . Künftig verlangen wir daher die
        „Geeignetheit“ des Sachverständigen, und wir legen zu-
        dem gewisse Mindestqualifikationen fest, die der Sach-
        verständige mitbringen soll .
        Ich denke, wir sind uns alle einig, wenn ich sage, dass
        die Einführung dieser Anforderungen längst überfällig
        ist . Doch wie genau diese ausgestaltet sein sollen, auch
        das müssen wir in der öffentlichen Anhörung noch ein-
        mal diskutieren .
        Ich freue mich auf das weitere Verfahren .
        Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Wir bera-
        ten heute einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der
        im Wesentlichen das Sachverständigenrecht novelliert:
        sowohl in der Zivilprozessordnung als auch im Familien-
        verfahrensrecht . Das Ziel des Gesetzentwurfs ist, die in
        letzter Zeit öffentlich bemängelte Qualität von gericht-
        lichen, insbesondere von familienpsychologischen Gut-
        achten, zu verbessern .
        Das Familienrecht und vor allem das Kindschaftsrecht
        ist einer der sensibelsten Bereiche in unserer Rechtsord-
        nung . Dort werden existenzielle Weichen für das zukünf-
        tige Leben von Kindern und Eltern gestellt . Die Verfah-
        ren greifen mit einer sehr hohen Intensität in gewohnte
        Familienstrukturen ein und sind deswegen für alle Betei-
        ligten sehr emotional und kräftezehrend .
        Fragen über Fragen stellen sich also in einem Famili-
        enverfahren:
        Welches Elternteil bekommt das Sorgerecht für ein
        Kind? Welches Umgangsrecht steht jenem Elternteil zu?
        Soll das Sorgerecht einem oder beiden Eltern entzogen
        werden?
        Über diese Fragen muss ein Familiengericht entschei-
        den; oft mithilfe eines familienpsychologischen Gutach-
        tens . Der bestellte Sachverständige hat dann die Aufga-
        be, festzustellen, ob die Eltern dazu fähig sind, sich um
        ein Kind verantwortungsvoll zu kümmern . Dabei muss
        er vor allem das Kindeswohl beachten und es anhand der
        Bedürfnisse und Interessen des Kindes beurteilen .
        Die Sachverständigen sind oftmals mit sehr starken
        Gefühlen konfrontiert, insbesondere mit größten Ängs-
        ten, sowohl der Eltern als auch der Kinder . Es sind vor
        allem Ängste, verlassen zu werden oder die gewohnte
        Lebensumgebung zu verlieren . Ein fachorientierter Um-
        gang mit den Betroffenen ist hier besonders wichtig .
        Deswegen ist es umso erschreckender, dass nach der
        gegenwärtigen Rechtslage jede Person, unabhängig von
        ihrer beruflichen Qualifikation, ein Gutachten in kind-
        schaftsrechtlichen Verfahren erstellen kann .
        In diesem Zusammenhang erzähle ich häufig von ei-
        nem Beispiel aus meiner anwaltlichen Tätigkeit als Fa-
        milienrechtsanwältin . In einem Sorgerechtsstreit wurde
        ursprünglich ein Sachverständiger ausgewählt, der als
        Unternehmensberater tätig war . Er hat das Gutachten
        zwar erstellt, aber mit Ergebnissen, die das Gericht nicht
        überzeugten . Ein Unternehmensberater als Sachverstän-
        diger ist in einem kindschaftsrechtlichen Verfahren „fehl
        am Platz“ .
        Meine Kritik spiegelt sich auch in der öffentlichen
        Diskussion wider, die in den letzten Jahren stark zuge-
        nommen hat . Immer mehr Betroffene meldeten sich zu
        Wort und berichteten über mangelhafte Gutachten in
        Familienverfahren . Ihre Schilderungen wurden durch
        Studien bestätigt . Eine entscheidende Studie war die der
        Fernuniversität Hagen, die im Jahr 2014 veröffentlicht
        wurde . Zwei Psychologie-Professoren untersuchten 116
        familienpsychologische Gutachten und kamen zu dem
        unbefriedigenden Ergebnis, dass nur eine Minderheit der
        Gutachten den geforderten Qualitätsstandard erfüllt .
        Auch das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergan-
        genheit familienpsychologische Gutachten beanstandet .
        In der maßgeblichen Entscheidung ging es um das Sorge-
        recht eines Asylbewerbers aus Ghana für sein Kind . Die
        Sachverständige in diesem Fall war eine Heilpraktikerin
        mit esoterischer Ausrichtung . Sie unterstellte dem Vater,
        dass er „afrikanische Erziehungsmethoden“ bevorzuge,
        die auf die Unterwerfung seiner Tochter gerichtet seien .
        Die Richter des Bundesverfassungsgerichts konnten aber
        nicht nachvollziehen, auf welches Verhalten oder Äuße-
        rungen des Vaters die Sachverständige ihre Einschätzung
        stützte . Vielmehr stellte das Gericht fest, dass die afrika-
        nische Herkunft des Vaters eine zu große Rolle bei der
        Begutachtung gespielt habe .
        Solche fehlerhaften Gutachten sollen aber künftig
        möglichst nicht mehr vorkommen . Ich freue mich sehr,
        dass ein Gesetzentwurf erarbeitet wurde, der festlegt, wer
        zum Erstellen eines familienpsychologischen Gutachtens
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14503
        (A) (C)
        (B) (D)
        geeignet ist . In Betracht kommt nur ein Sachverständi-
        ger, der mindestens eine psychologische, psychothera-
        peutische, psychiatrische, ärztliche, pädagogische oder
        sozialpädagogische Berufsqualifikation vorweisen kann.
        Nun gibt es auch kritische Stimmen bezüglich dieser
        Neuregelung . Dabei wird im Wesentlichen angeführt,
        dass die Aufzählung von Berufsqualifikationen zu allge-
        mein und deswegen weiter zu begrenzen sei . Insbeson-
        dere werden Sachverständige mit einer Zertifizierung im
        Bereich der Rechtspsychologie gefordert .
        Aber an dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass die im
        Gesetzentwurf neugefassten Berufsqualifikationen nur
        Mindestanforderungen an Sachverständige darstellen .
        Wir erwarten also, dass das Familiengericht auch prüft,
        ob der Sachverständige zusätzliche Qualifikationen und
        Berufserfahrungen vorweisen kann . Erst danach soll der
        bestmögliche Sachverständige ausgewählt werden .
        Parallel zum Gesetzentwurf arbeiteten zahlreiche Ver-
        treter von Fachverbänden und Kammern an einem Ka-
        talog, der die Mindestvorgaben für Gutachten festlegt .
        Dieses Papier wurde unter Begleitung des Bundesmi-
        nisteriums der Justiz und für Verbraucherschutz erstellt .
        Es beinhaltet umfangreiche Empfehlungen an benannte
        Sachverständige: Empfehlungen, die die Erstellung ei-
        nes Gutachtens erleichtern, sowie Empfehlungen, die die
        Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Gutachten ver-
        bessern sollen .
        Diese entwickelten Standards haben natürlich keine
        Gesetzeskraft . Aber: Gerade das Familienrecht ist ein
        passendes Beispiel dafür, dass auch Empfehlungen wirk-
        sam in die Rechtsprechung eingehen können . Zu erwäh-
        nen ist hier die Düsseldorfer Tabelle, die als Leitlinie zur
        Unterhaltsberechnung des Kindesunterhalts dient .
        Es ist also wünschenswert, dass diese Mindestanfor-
        derungen in der Praxis berücksichtigt werden . Mithilfe
        dieser Empfehlungen und des Gesetzentwurfs schaffen
        wir qualitative Vorgaben für familienrechtliche Gutach-
        ten .
        Wie anfangs bereits erwähnt, beinhaltet der Gesetz-
        entwurf einige Veränderungen in der Zivilprozessord-
        nung . Diese lassen sich in insgesamt drei gesetzgeberi-
        sche Ziele zusammenfassen:
        Erstens soll den Parteien bei der Auswahl von Sach-
        verständigen mehr Mitsprache- und Einflussrecht einge-
        räumt werden . Zweitens soll die Neutralität von Sach-
        verständigen gestärkt werden . Und drittens soll die
        Gutachtenerstellung beschleunigt werden .
        An dieser Stelle möchte ich aber nicht unerwähnt las-
        sen, dass diese Änderungen nicht nur Zustimmung er-
        fahren haben . Wir werden die geplante Anhörung dazu
        nutzen, die beanstandeten Vorschriften ausführlich zu
        besprechen .
        Eine letzte Änderung in diesem Gesetzentwurf, die
        ich ansprechen möchte, wurde bereits letztes Jahr be-
        absichtigt . Sie wurde aber vorerst zurückgestellt, da wir
        der Meinung waren, dass sie eingehender beraten werden
        sollte .
        Es geht um ein kompliziertes Konstrukt, nämlich um
        den sogenannten Verbund . Das bedeutet, dass Eheschei-
        dung, Versorgungsausgleich, Zugewinnausgleich und
        nachehelicher Unterhalt in einem Schritt entschieden
        werden .
        Nun müssen Sie sich bitte vorstellen, dass es im Ver-
        sorgungsausgleich nicht nur die Deutsche Rentenversi-
        cherung Bund gibt, sondern viele andere Versorgungsträ-
        ger, die beteiligt werden können . In der Praxis, das wurde
        mir in vielen Gesprächen so bestätigt, werden gelegent-
        lich Versorgungsträger vergessen . Sie haben dann, mög-
        licherweise nach Rechtskraft des Scheidungsverbundes,
        die Möglichkeit, das Rechtsmittel der Beschwerde einzu-
        legen . Damit kann allerdings das zuvor mühsam erarbei-
        tete und verhandelte Gesamtgebäude einstürzen .
        Ich fordere nochmals Ihre Vorstellungskraft heraus:
        Eine Ehefrau hat zum Beispiel im Rahmen des Verfah-
        rens auf Ehegattenunterhalt verzichtet, weil sie kurz vor
        der Rente steht und durch den bevorstehenden Versor-
        gungsausgleich ausreichend abgesichert ist . Wenn dann
        aber, nach Einlegung der Beschwerde, im Versorgungs-
        ausgleich ein Teil wegbricht, entwickelt das Konstrukt
        nicht mehr die beabsichtigte Wirkung . Aus diesem Grun-
        de muss den Beteiligten die Möglichkeit offen bleiben,
        sich der Beschwerde des Versorgungsträgers anzuschlie-
        ßen .
        Aber es entsteht ein Problem: Durch den Verbund
        wäre dann auch die Ehescheidung angefochten . Sie kann
        nicht rechtskräftig werden, und die Ehe besteht dann wei-
        terhin fort . Was passiert dann mit einer zwischenzeitlich
        neu geschlossenen Ehe? Diese Situation führt vor allem
        im Abstammungs- und im Erbrecht zu folgenschweren
        Problemen . Diese gilt es zu verhindern .
        Deshalb heißt es in dem neugefassten § 145 Absatz 3
        FamFG: „Durch die Anschließung an die Beschwerde
        eines Versorgungsträgers kann der Scheidungsausspruch
        nicht angefochten werden .“
        Die Neuregelung bewirkt also, dass sich die Ehegatten
        der Beschwerde des Versorgungsträgers nicht anschlie-
        ßen können, wenn sie den Scheidungsausspruch anfech-
        ten wollen . Eine Anschlussbeschwerde bezüglich der im
        Verbund entschiedenen Folgesachen, wie zum Beispiel
        Ehegattenunterhalt oder Zugewinnausgleich, bleibt wei-
        terhin möglich .
        Nun habe ich Ihnen genug Imaginationsfähigkeit ab-
        verlangt und freue mich auf das weitere Verfahren .
        Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Mit diesem Ge-
        setzentwurf will die Große Koalition ein Vorhaben ihres
        Koalitionsvertrages, die Neutralität gerichtlich beigezo-
        gener Sachverständiger zu gewährleisten und die Qua-
        lität von gerichtlichen Gutachten verbessern zu wollen,
        umsetzen . Dies geschieht in fünf Einzelvorhaben . In der
        Vergangenheit wurde von der Öffentlichkeit zunehmend
        die Unabhängigkeit und Neutralität gerichtlich bestellter
        Sachverständiger sowie deren fachliche Qualifikation in
        Frage gestellt . Insbesondere in familiengerichtlichen und
        kindschaftsrechtlichen Verfahren wurde die unzureichen-
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514504
        (A) (C)
        (B) (D)
        de Qualifikation der Sachverständigen immer stärker kri-
        tisiert .
        Der Gesetzentwurf sieht daher Änderungen in der
        ZPO, dem FamFG, der EGZPO und dem EGZVG vor .
        Ziel dieser Änderungen ist die Steigerung des Vertrauens
        in die Unabhängigkeit und Neutralität der Sachverstän-
        digen, die Sicherstellung, dass die Gerichte qualifizierte
        und geeignete Sachverständige benennen und dass die
        Gerichtsverfahren effektiv beschleunigt werden .
        In § 404 Absatz 1 ZPO-E soll gesetzlich normiert wer-
        den, dass die Parteien und Verfahrensbeteiligten vor Er-
        nennung eines gerichtlichen Sachverständigen angehört
        werden . In § 407 a Absatz 1, Satz 1 und Absatz 2 ZPO-E
        wird der Sachverständige verpflichtet, zu prüfen, ob er
        innerhalb der gerichtlich vorgegebenen Frist das Gutach-
        ten erstellen kann, sowie seine Neutralität zu überprüfen
        und gegebenenfalls bestehende Interessenkonflikte un-
        verzüglich mitzuteilen . § 411 Absatz 1 ZPO-E sieht eine
        obligatorische Fristsetzung zur Erstattung des schrift-
        lichen Gutachtens vor . Bei Nichteinhaltung der Fristen
        sollen regelmäßig Ordnungsgelder festgesetzt werden,
        und der Ordnungsgeldrahmen soll auf 5 000,00 Euro er-
        höht werden . § 163 Absatz 1 FamFG-E soll verbindliche
        Qualitätsanforderungen für Sachverständige in Kind-
        schaftssachen normieren, während parallel dazu von den
        Berufsverbänden Mindestanforderungen an die Qualität
        von Gutachten im Kindschaftsrecht entwickelt werden
        sollen . Ferner sollen mit der Änderung des Anschluss-
        beschwerderechts in Ehescheidungsverfahren falsche
        Rechtskraftzeugnisse aufgrund fehlerhafter oder unter-
        bliebener Bekanntmachungen an einen Versorgungsträ-
        ger zukünftig vermieden werden .
        Dieser Gesetzentwurf geht durchaus in die richtige
        Richtung . Es ist aber zu bezweifeln, dass die Änderungen
        die gewünschten Folgen haben werden und, vor allem,
        dass die geplanten Änderungen ausreichen, um das ein-
        gangs genannte Ziel – Steigerung des Vertrauens in die
        Unabhängigkeit und Neutralität der Sachverständigen,
        die Sicherstellung, dass die Gerichte qualifizierte und ge-
        eignete Sachverständige benennen und dass die Gerichts-
        verfahren effektiv beschleunigt werden – zu erreichen .
        Eine Verstärkung des Drucks auf die Sachverständi-
        gen allein führt keineswegs zu einer Verbesserung von
        deren Qualität, vielmehr besteht die Gefahr, dass die
        Qualität der Gutachten hierdurch noch weiter sinkt . Viel-
        mehr müssten klare und verbindliche Standards und Qua-
        litätskriterien für die Sachverständigen und die Gutach-
        ten eingeführt werden . So könnte in Anlehnung an § 404
        Absatz 2 ZPO die Einführung einer zum Beispiel vom
        BMJV geführten Liste von anerkannten und bewährten
        Sachverständigen für die jeweiligen Fachgebiete in Er-
        wägung gezogen werden .
        Hinsichtlich § 404 Absatz 1 ZPO-E besteht die kon-
        krete Gefahr, dass am Ende in der Praxis die Parteien
        selber die ihnen genehmen Sachverständigen benennen,
        wobei gerade Versicherungen und Unternehmen hier die
        besseren Kontakte und den umfassenderen Überblick
        über die infrage kommenden Sachverständigen haben .
        Dies gilt insbesondere bei selbständigen Beweisver-
        fahren, wo das Gericht aus Zeitmangel meist den vom
        Antragsteller vorgeschlagenen Sachverständige ernennt,
        was zu einer groben Benachteiligung der anderen Par-
        tei – oftmals Privatpersonen, die Ansprüche geltend ma-
        chen – führen kann . Weiterhin ist zu kritisieren, dass es
        keine gesetzlich normierte Pflicht des Gerichts gibt, sich
        im Beweisbeschluss mit einem negativen Votum einer
        Partei auseinanderzusetzen, denn die Beweisbeschlüsse
        sind in jedem Falle unanfechtbar . Deshalb sollte, wenn
        schon nicht grundsätzlich ein Rechtsmittel gegeben ist,
        zumindest eine Anfechtbarkeit für den Fall eingeführt
        werden, dass sich das Gericht überhaupt nicht mit dem
        negativen Votum einer Partei in den Gründen des Be-
        schlusses auseinandersetzt .
        Denn gerade ein Problem bezüglich der Neutralität
        von Gutachtern ist der Umstand, dass viele von ihnen
        häufig die großen Versicherungen und Unternehmen als
        Auftraggeber haben und dass Versicherungen so zumin-
        dest indirekt einen großen Einfluss auf die gerichtlichen
        Entscheidungen nehmen können, auch wenn die entspre-
        chenden Sachverständigen vom Gericht ernannt wurden .
        Experten wie der Berliner Versicherungsrechtler Hans-
        Peter Schwintowsky plädieren daher bereits seit Jahren
        für die Anonymisierung des Verfahrens: „Also dafür zu
        sorgen, dass der Gutachter seinen Auftrag bekommt, aber
        nicht weiß, für wen er gerade gutachtet . Dann werden wir
        objektive Gutachten bekommen .“
        Hinsichtlich der Fristsetzung und der Androhung von
        Ordnungsgeldern ist zweifelhaft, ob diese sich nicht
        möglicherweise negativ auf die Qualität eines Gut-
        achtens auswirken können, da der Sachverständige zur
        Vermeidung von Ordnungsgeldern das Gutachten mög-
        licherweise schnell, aber nicht gründlich genug erstellt .
        Generell geht der Gesetzentwurf nicht weit genug . Es
        fehlen zum Beispiel die Wiedereinführung des öffentlich
        bestellten Sachverständigen, die Einrichtung von Be-
        schwerdestellen für SV-Gutachten oder gegebenenfalls
        die Ansiedlung von Gerichtspsychologen, wie es bei-
        spielsweise in Österreich der Fall ist .
        Ob der Katalog der Mindestberufsqualifikationen in
        familiengerichtlichen Verfahren so bleibt, werden die
        Beratungen zeigen . Ich hoffe aber, dass es bei der Begut-
        achtung in Familiensachen mehr als einer pädagogischen
        Ausbildung bedarf. Ich finde schon, dass der Lehrerberuf
        ein wichtiger und auch angesehener Beruf ist . Jedoch die
        Vorstellung, einen Lehrer der Sekundarstufe 2, beispiels-
        weise Chemie-/Mathematiklehrer, als Sachverständigen
        im Kindschaftsverfahren zu bestellen, entlockt nicht ge-
        rade Rufe der Begeisterung . Gleiches gilt bei der genann-
        ten Voraussetzung einer ärztlichen Ausbildung beispiels-
        weise für einen Onkologen . Ich denke, hier werden wir
        noch entsprechend nachjustieren müssen .
        Die Qualitätsstandards dürfen nicht aufgrund einer
        wachsenden Nachfrage nach Gutachtern nach unten kor-
        rigiert werden . Hinweise ergeben sich insoweit aus dem
        Ergebnispapier der Arbeitsgruppe des Verbandes Deut-
        scher Psychologinnen und Psychologen . Insoweit hoffe
        ich, dass wir in den Beratungen zu Ergebnissen kommen,
        die den Ansprüchen an das Kindeswohl und die Rechts-
        sicherheit im Allgemeinen genügen .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14505
        (A) (C)
        (B) (D)
        Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vor-
        liegende Entwurf greift die in den letzten Jahren verstärkt
        aufgekommene Kritik an der Qualität und der Neutralität
        gerichtlicher Sachverständigengutachten auf . Es werden
        deshalb Änderungen in der ZPO betreffend alle Sachver-
        ständigen vorgenommen und besondere Anforderungen
        an Sachverständige in Kindschaftssachen gestellt . Dieses
        grundlegende Anliegen ist berechtigt und wird auch von
        meiner Fraktion begrüßt .
        Zu den Änderungen im Einzelnen:
        Mit § 404 ZPO wird künftig eine obligatorische An-
        hörung der Parteien zur Auswahl des Gutachters vorgese-
        hen . Das stärkt das rechtliche Gehör der Parteien und de-
        ren Beteiligtenrechte . Auf diesem Wege wird vermieden,
        dass Bedenken erst zu einem späteren Zeitpunkt vorge-
        tragen werden, wenn das Gutachten längst erstattet ist .
        Der Bundesrat hält eine gesetzliche Regelung für
        überflüssig, da in der Praxis in der Regel genug Gele-
        genheit der Parteien bestünde, zur Auswahl Stellung zu
        nehmen . Dennoch halte ich es für sinnvoll, dieses Betei-
        ligungsrecht im Gesetz zu verankern . Letztlich besteht
        auch immer die Möglichkeit, im Einzelfall aufgrund be-
        sonderer Umstände von der Anhörung abzusehen .
        Der neue § 407 a ZPO führt eine Mitteilungspflicht
        des Sachverständigen ein . Er muss künftig Auskunft über
        Umstände geben, die gegen seine Unparteilichkeit spre-
        chen oder gegen die rechtzeitige Fertigstellung des Gut-
        achtens . Das fördert zweifelsohne die Beschleunigung
        des Verfahrens .
        Mit § 411 ZPO soll die Fristsetzung des Gerichts obli-
        gatorisch werden . Daran ist meines Erachtens nichts aus-
        zusetzen . Ob die Möglichkeit des Gerichts, bei Fristab-
        lauf ein Ordnungsgeld zu verhängen, jetzt zum Regelfall
        werden sollte, halte ich allerdings für zweifelhaft .
        Letztlich sollten geeignete und qualifizierte Gutach-
        ter nicht unnötig abgeschreckt werden . Die bisherige
        Kann-Regelung ist meines Erachtens ausreichend und
        gibt dem Gericht das nötige Ermessen .
        Mit dem neuen § 163 FamFG wird dem Kernanlie-
        gen nachgekommen, Mindestvoraussetzungen an die
        Qualifikation von Gutachtern in Kindschaftsverfahren
        festzuschreiben . Die genannte Berufsbezeichnung bleibt
        sicherlich nur eine notwendige, aber nicht hinreichende
        Voraussetzung für die Geeignetheit der Gutachter . Über
        diese Mindestvoraussetzungen hinaus müssen Richter
        in die Lage versetzt werden, die Geeignetheit von Gut-
        achtern beurteilen zu können . Da kommen wir über ent-
        sprechende Richterfortbildungen nicht hinweg . Hilfreich
        dürften außerdem die inzwischen vorliegenden Kriteri-
        enkataloge der Psychologenverbände sein .
        Dennoch ist eine gesetzliche Mindestvoraussetzung
        unumgänglich, um in der Praxis eine rote Linie zu zie-
        hen . Gerade in Kindschaftssachen kann ein fehlerhaftes
        Gutachten, das von einer Richterin oder einem Richter
        nicht als solches erkannt wird, verheerende Auswirkun-
        gen haben . Kinder unterliegen im gerichtlichen Verfah-
        ren einem besonderen Schutz, der hier dringend verbes-
        sert werden muss .
        Es fragt sich allerdings, warum dies nicht genauso
        auch für Vormundschafts- oder Pflegschaftsverfahren
        gelten soll?
        Kinder sollen künftig nicht mehr als Zeugen vernom-
        men werden dürfen . Das ist eine wichtige Klarstellung,
        da die Vernehmung nach § 159 FamFG die geeignetere
        und behutsamere Anhörungsweise darstellt .
        Der Bundesrat hat empfohlen, den Ausschluss der
        Zeugenvernehmung auf die Vernehmung als Beteiligter
        im Verfahren auszuweiten . Das erscheint mir nachvoll-
        ziehbar und sollte im Gesetz ergänzt werden .
        Eine weitere Änderung im Gesetzentwurf hat mit den
        Sachverständigen gar nichts zu tun . So soll mit § 145 Ab-
        satz 3 FamFG die Anschlussbeschwerde der Ehegatten
        im Scheidungsverfahren ausgeschlossen werden, wenn
        ein Versorgungsträger, der im Verfahren übersehen oder
        vergessen wurde, nach Ablauf der Rechtsmittelfrist Be-
        schwerde einlegt .
        Die Änderung soll verhindern, dass die Rechtskraft
        der Ehe Jahre nach der Scheidung noch durchbrochen
        werden kann . Das ist aber durchaus problematisch, da
        doch nicht selten Versorgungsanwartschaften in nicht un-
        erheblicher Höhe vergessen oder übersehen wurden . Die
        Korrektur derselben kann aber die gesamte Verbundent-
        scheidung infrage stellen . Sinn des Verbundverfahrens
        ist es ja gerade, alle Scheidungsfolgen gemeinsam zu
        behandeln, um den wirtschaftlich schwächeren Ehegat-
        ten vor Härten zu schützen . So weist die Bundesrechtsan-
        waltskammer zu Recht darauf hin, dass gerade bei älteren
        Ehegatten Unterhaltsvereinbarungen im Hinblick auf das
        Ergebnis des Versorgungsausgleichs getroffen werden .
        Es kann daher schnell zu unbilligen Härten führen, wenn
        das vergessene Anrecht isoliert, ohne Bezug auf die sons-
        tigen Scheidungsfolgen, ausgeglichen wird .
        Das Problem besteht im Übrigen erst, seit im Jahr
        2009 das Abänderungsverfahren nach § 10 a VAHG ab-
        geschafft worden ist . Unbilligkeiten konnten bis dahin
        im Abänderungsverfahren berücksichtigt werden . Dieses
        Abänderungsverfahren durch einen der Ehegatten hat die
        Rechtskraft der Ehescheidung auch nicht in Frage ge-
        stellt .
        Will man also im Falle einer Beschwerde durch den
        vergessenen Versorgungsträger die Anschlussbeschwer-
        de ausschließen, muss dem Ehegatten stattdessen min-
        destens ein Abänderungsverfahren zur Vermeidung un-
        billiger Härten zugestanden werden .
        Der BGH ist außerdem dazu übergegangen, Be-
        schwerden von vergessenen Versorgungsträgern nur
        noch bis zu fünf Monate nach Beschlusserlass zuzubilli-
        gen . Auch der Ausschluss dieses Beschwerderechts kann
        zu unbilligen Härten führen . Diese Härten könnten durch
        die Zulassung eines schuldrechtlichen Ausgleichs nach
        § 20 VersAusglG vermieden werden .
        Eines ist jedenfalls klar: Durch die Neureglung des
        Versorgungsausgleichs im Jahr 2009 sind Folgeprob-
        leme entstanden, die noch nicht gelöst wurden . Diese
        einseitig zulasten eines Ehegatten zu lösen, indem man
        die Möglichkeit der Anschlussbeschwerde streicht, wird
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514506
        (A) (C)
        (B) (D)
        dem Problem jedenfalls nicht gerecht . Hier braucht es ein
        durchdachtes und ausgewogenes Gesamtkonzept .
        Fazit: Der Neuregelung zu den Sachverständigengut-
        achten stimmen wir zu . Die isolierte Änderung des § 145
        FamFG ohne Antwort auf die Fragen der Vermeidung un-
        billiger Härten lehnen wir ab .
        Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bundes-
        minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sachver-
        ständige spielen in vielen Gerichtsverfahren eine ent-
        scheidende und für die Parteien bisweilen existenzielle
        Rolle . Das Verfahrensrecht muss daher gewährleisten,
        dass nur kompetente und unparteiliche Sachverständi-
        ge ernannt werden . Die Auswahl des Sachverständigen
        stellt die Zivilprozessordnung grundsätzlich in das freie
        Ermessen des Gerichts; die Parteien wirken an der Aus-
        wahlentscheidung nur unzureichend mit .
        Der Koalitionsvertrag für die 18 . Legislaturperiode
        fordert daher Maßnahmen zur Gewährleistung der Neu-
        tralität von Sachverständigen und der Verbesserung der
        Qualität von Gutachten .
        Hierzu leistet der vorliegende Regierungsentwurf ei-
        nen wesentlichen Beitrag .
        Um das rechtliche Gehör im Auswahlprozess zu ge-
        währleisten, gibt der Gesetzentwurf den Parteien das
        Recht, sich vor der Ernennung zur Person des Sachver-
        ständigen zu äußern. Das fördert auch die Verfahrenseffi-
        zienz, denn das Gericht erfährt frühzeitig von Bedenken
        gegen die Unparteilichkeit eines Sachverständigen und
        kann diese in seine Auswahlentscheidung einbeziehen .
        Zudem muss ein vom Gericht vorgeschlagener Sach-
        verständiger künftig von sich aus mögliche Zweifel an
        seiner Unparteilichkeit mitteilen . Auch dadurch werden
        Verfahrensverzögerungen durch Befangenheitsanträge
        im späteren Verfahren vermieden .
        Die vorgesehene „Soll“-Regelung gewährleistet au-
        ßerdem, dass die Gerichte im Einzelfall von der Anhö-
        rung absehen können, etwa wenn der Gutachtenauftrag
        sehr zügig – innerhalb weniger Wochen – erledigt wer-
        den soll . Damit sehe ich auch die Bedenken des Bundes-
        rates angemessen berücksichtigt .
        Zur Förderung der Verfahrenseffizienz schreibt der
        Gesetzentwurf außerdem vor, dass künftig jeder Gutach-
        tenauftrag zu befristen ist . Im Interesse der Rechtsuchen-
        den ist eine transparente und verlässliche Zeitplanung
        mit dem Sachverständigen unerlässlich . In drei Vierteln
        der überlangen Gerichtsverfahren ist der Sachverständi-
        genbeweis eine Hauptursache von Verzögerungen .
        Eine Aktenauswertung im Zivilprozess ergab, dass
        derzeit lediglich in etwas über 50 Prozent der Verfahren
        dem Sachverständigen eine Frist gesetzt wird . Ohne Be-
        fristung des Gutachtenauftrags kann es keine stringente
        Zeitplanung geben; die Verfahren drohen aus dem Ruder
        zu laufen . Ich kann daher die ablehnende Position des
        Bundesrates in diesem Punkt nicht nachvollziehen . Be-
        nötigt der Sachverständige aufgrund unvorhersehbarer
        Umstände mehr Zeit für die Erstattung des Gutachtens,
        kann das Gericht die Frist nachträglich verlängern .
        Schließlich sieht der Entwurf Regelungen vor, die
        im Falle einer verschuldeten Fristversäumnis durch den
        Sachverständigen zu einer konsequenteren Festsetzung
        von Ordnungsgeldern führen sollen . Bisher wird auch bei
        erheblichen Fristüberschreitungen in der Praxis kein Ord-
        nungsgeld festgesetzt . Die gesetzte Frist wird deshalb oft
        nicht ernst genommen . Dabei gewährleisten die strengen
        Voraussetzungen für die Festsetzung und die Möglichkeit
        der Fristverlängerung weiterhin, dass das Ordnungsgeld
        das allerletzte Mittel bleibt, um den Sachverständigen
        zur Erfüllung seiner Pflicht zu veranlassen. Im Gegensatz
        zum Bundesrat glaube ich nicht, dass schärfere Sanktio-
        nen dazu führen werden, dass Sachverständige gerichtli-
        che Gutachtenaufträge künftig ablehnen . Sie werden sich
        vielmehr professionell auf die geänderten Rahmenbedin-
        gungen einstellen .
        Im Koalitionsvertrag wurde auch die Qualitätsverbes-
        serung familiengerichtlicher Gutachten vereinbart, da es
        insbesondere in Sorge- und Umgangsverfahren immer
        wieder Fälle von mangelhafter Begutachtung gibt . Ent-
        sprechend der Koalitionsvereinbarung haben die Berufs-
        verbände bereits Mindestanforderungen an die Qualität
        von Gutachten im Kindschaftsrecht entwickelt und der
        Praxis zur Verfügung gestellt .
        Zur Qualitätssteigerung sind aber auch gesetzliche
        Anforderungen an die Qualifikation der Gutachter erfor-
        derlich . Es sollen zukünftig nur noch Sachverständige
        bestellt werden, die mindestens über eine psychologi-
        sche, psychotherapeutische, kinder- und jugendpsychiat-
        rische, psychiatrische, ärztliche, pädagogische oder auch
        sozialpädagogische Qualifikation verfügen.
        Der Gesetzentwurf der Bundesregierung und die Stan-
        dards der Berufsverbände sind zwei sich wechselseitig
        ergänzende Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität
        familiengerichtlicher Begutachtungen .
        Über beide Maßnahmen sollen zugleich die Aus- und
        Fortbildungsprozesse vorangebracht werden, damit in
        Zukunft mehr qualifizierte Gutachter zur Verfügung ste-
        hen und Familiengerichte die Qualität eines Gutachtens
        besser beurteilen können .
        Die Neubestimmung knüpft an die bestehende Rege-
        lung zur Anordnung einer lösungsorientierten Begutach-
        tung an, die ein besonderes Qualitätsmerkmal für Gut-
        achten in Kindschaftssachen bereits vorsieht .
        Die bisherige FamFG-Vorschrift zur zwingenden ge-
        richtlichen Fristsetzung einer schriftlichen Begutachtung
        entfällt, da sie durch eine entsprechende Neureglung in
        der ZPO ersetzt wird . Diese gilt über die allgemeinen
        Verweisungsregelungen dann auch in Kindschaftssachen .
        Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht darüber
        hinaus eine Änderung des Anschlussbeschwerderechts
        in Ehescheidungsverfahren vor . Damit sollen falsche
        Rechtskraftzeugnisse aufgrund fehlerhafter oder unter-
        bliebener Bekanntmachungen an einen Versorgungsträ-
        ger zukünftig vermieden werden .
        Ich bitte Sie um Unterstützung des Regierungsent-
        wurfs .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14507
        (A) (C)
        (B) (D)
        Anlage 10
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
        brachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur
        Änderung des Luftverkehrsgesetzes (Tagesord-
        nungspunkt 21)
        Ulrich Lange (CDU/CSU): Auch wenn wir heute
        über eine Änderung des Luftverkehrsgesetzes sprechen,
        lassen Sie mich voranstellen: Das Luftverkehrsgesetz
        stellt grundsätzlich ein funktionierendes, erprobtes und
        durch die Rechtsprechung ausdifferenziertes System dar .
        Um es an sich ändernde Gegebenheiten anzupassen
        und eventuell neu auftauchenden aktuellen Herausfor-
        derungen begegnen zu können, wird das Gesetz hin und
        wieder ergänzt . So auch durch die fünfzehnte Änderung
        des Luftverkehrsgesetzes, die wir heute diskutieren . Da-
        bei geht es vor allem um die Umsetzung europäischer
        Vorgaben .
        Eine europäische Änderung hat dabei für besonders
        viel Aufsehen gesorgt . Ich spreche von den neuen Vorga-
        ben für Hubschrauberlandeplätze . Dieses Thema wurde
        auch medial stark diskutiert . Es bestand die Befürchtung,
        insbesondere Landeplätze an Krankenhäusern könnten
        künftig nicht mehr angeflogen werden.
        Der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat
        sofort reagiert und mit der Regelung der sogenannten
        „Public Interest Sites – P .I .S“ (Einrichtungen von öffent-
        lichem Interesse) vorübergehend Abhilfe geschaffen .
        Jetzt wird durch die Änderung im Luftverkehrsge-
        setz eine dauerhafte Lösung gefunden und damit Klar-
        heit und Rechtssicherheit für die Beteiligten geschaffen .
        Das ist wichtig . Damit ist zahlreichen Krankenhäusern in
        Deutschland geholfen und unser vorbildliches flächende-
        ckendes (Luft-)Rettungssystem gestärkt worden .
        Mit der ausdrücklichen Kategorisierung von „Landes-
        tellen an Einrichtungen von öffentlichem Interesse“ wer-
        den diese aus dem Anwendungsbereich des § 6 LuftVG
        herausgenommen . So kann sichergestellt werden, dass
        der Großteil der Landestellen fortbestehen kann . Be-
        stimmte grundlegende Anforderungen für die Gestaltung
        der Landestellen sorgen zudem dafür, dass dem obersten
        Prinzip, nämlich der Sicherheit des Luftverkehrs, ange-
        messen Rechnung getragen wird .
        Wir können in Deutschland zu Recht stolz auf unser
        sehr gutes Rettungssystem sein . Rettungshubschrauber
        sind dabei ein essenzieller Bestandteil der Rettungsket-
        te und für die medizinische Versorgung der Bevölkerung
        von erheblicher Bedeutung . Daher war es uns so wichtig,
        hier eine gute Lösung zu finden, die unser bestehendes
        und ausgesprochen effizientes System nicht gefährdet.
        Mit den Änderungen im Gesetz ist uns dies gelungen .
        Neben den Regelungen zu den Hubschrauberlande-
        plätzen gab es weitere kleine Änderungen . So werden
        europarechtliche Vorgaben in den Bereichen Flughäfen
        und Flugbetrieb umgesetzt und die Rechtsprechung des
        Bundesverwaltungsgerichts zur Umweltverträglich-
        keitsprüfung bei Anlage oder Ausbau eines Flughafens
        kodifiziert. Diesbezüglich wird nun klargestellt, dass der
        gesamte räumliche Einwirkungsbereich des Flughafens,
        in dem abwägungserhebliche Beeinträchtigungen durch
        oder Auswirkungen von Flugverfahren auftreten können,
        in die UVP-Prüfung mit einbezogen werden muss . Auch
        dies trägt dazu bei, die Rechts- und Planungssicherheit
        zu verbessern .
        Für uns ist vor allem wichtig, dass wir eine ausgewo-
        gene Balance zwischen den verschiedenen Interessen
        herstellen . Auf der einen Seite stehen das Bedürfnis nach
        Mobilität in der Bevölkerung und die Entwicklung der
        Flughäfen . Der Luftverkehr ist als Wirtschaftsfaktor für
        zahlreiche Standorte von enormer Bedeutung . Er schafft
        viele tausend Arbeitsplätze und sorgt für die nötige Kon-
        nektivität unserer Volkswirtschaft . Und: Das dürfen wir
        nicht vergessen: Unsere Luftverkehrswirtschaft steht in
        hartem Wettbewerb .
        Auf der anderen Seite stehen die Belastung der Men-
        schen durch Fluglärm und der Wunsch nach Verbesse-
        rungen in diesem Bereich . Hier ist schon viel erreicht
        worden, und die Flughäfen leisten einen enormen Bei-
        trag .
        Bisher ist uns eine ausgewogene Politik gelungen . Ich
        bin zuversichtlich, dass wir dies auch weiterhin schaffen .
        Wir müssen verhindern, dass unsere Flughäfen ihre
        Flexibilität verlieren und damit im internationalen Wett-
        bewerb, der ohnehin von ungleichen Wettbewerbsbedin-
        gungen geprägt ist, hinterherhinken . Das würde nämlich
        den gesamten Luftverkehrsstandort Deutschland schwä-
        chen und kann nicht in unserem Interesse sein . Daher
        müssen wir bei Änderungen in diesem Bereich grund-
        sätzlich sehr genau abwägen .
        Gesetzesänderungen, welche die generelle Planungs-
        sicherheit gefährden und ein unsicheres Klima für In-
        vestitionen schaffen, nützen den Betroffenen nicht und
        entziehen der gesamten Luftverkehrswirtschaft Investi-
        tionsmöglichkeiten, die an anderer Stelle, zum Beispiel
        durch Anschaffung neuen Fluggerätes, zum Lärmschutz
        beitragen können . Hier heißt es, gemeinsam an einem
        Strang zu ziehen . Die fünfzehnte Änderung des Luftver-
        kehrsgesetzes setzt hier die richtigen Akzente .
        Ich freue mich, dass wir diese Gesetzesänderung jetzt
        auf den parlamentarischen Weg bringen können, und
        freue mich auf die weiteren Beratungen .
        Peter Wichtel (CDU/CSU): Vor fast auf den Tag
        genau vier Jahren haben wir im Plenum des Deutschen
        Bundestages den Gesetzentwurf der Bundesregierung
        zur vierzehnten Änderung des Luftverkehrsgesetzes in
        erster Lesung beraten . Die christlich-liberale Koalition
        hatte im Jahr 2011 die überaus komplexe Aufgabe gelöst,
        die Flughafenentgeltrichtlinie der EU in deutsches Recht
        umzusetzen . Heute befassen wir uns mit der ins Parla-
        ment eingebrachten fünfzehnten Änderung des Luftver-
        kehrsgesetzes . Und auch heute steht die Bundesregierung
        vor der Aufgabe, insbesondere auf mehrere Vorgaben der
        Europäischen Kommission einzugehen und die bestehen-
        den gesetzlichen Regelungen entsprechend anzupassen .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514508
        (A) (C)
        (B) (D)
        So ist die EU-Kommission der Auffassung, dass das
        geltende deutsche Luftverkehrsrecht hinter der Anfor-
        derung der europäischen Gesetzgebung zurückbleibt,
        weil in den Verfahren zur Festlegung von Flugverfahren
        weder eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) noch
        eine Prüfung der Auswirkungen auf Natura-2000-Gebie-
        te durchzuführen ist . Man hat vor diesem Hintergrund im
        Jahr 2013 sogar bereits ein Vertragsverletzungsverfahren
        gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet . Paral-
        lel dazu hat auch die höchstrichterliche Rechtsprechung
        in Deutschland bestätigt, dass notwendige UVP umfas-
        send bereits im Zulassungsverfahren für den Flughafen
        durchgeführt werden müssen . Dabei müsse sich die UVP
        auf den gesamten Einwirkungsbereich des Flughafens
        erstrecken, in dem abwägungserhebliche Auswirkungen
        auftreten können . Die Bundesregierung trägt dem nun
        Rechnung und verankert die Leitsätze des Urteils des
        Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahr 2012 mit dem
        vorliegenden Entwurf im Luftverkehrsgesetz .
        Eine weitere unklare Rechtssituation, die es aufzulö-
        sen gilt, betrifft die Landeplätze für Helikopter an Kran-
        kenhäusern . Bisher wurde die Praxis des Flugbetriebs
        von Hubschraubern der Luftrettung nur unter Berück-
        sichtigung der besonderen gesellschaftlichen Bedeutung
        des Luftrettungssystems von der Verwaltung geduldet .
        Hintergrund ist, dass nach Vorgaben des Luftverkehrsge-
        setzes der Betrieb von Luftfahrzeugen eigentlich grund-
        sätzlich auf Flugplätzen abgewickelt werden soll . Der
        Flugbetrieb von Hubschraubern an Krankenhäusern fin-
        det aber häufig an Außenlandestellen statt, die aufgrund
        der Hindernissituation in Innenstadtlagen meist keine
        Flugplatzgenehmigung erhalten . Durch Inkrafttreten der
        EU-Verordnung 965/2012 ergibt sich nun die Möglich-
        keit, den Hubschrauberbetrieb der Luftrettung von und
        zu sogenannten „Örtlichkeiten von öffentlichem Interes-
        se“ zuzulassen, worunter auch Krankenhäuser fallen . Wir
        begrüßen und unterstützen diese Initiative der Bundesre-
        gierung, müssen aber gleichzeitig sicherstellen, dass das
        hohe Versorgungs- und Sicherheitsniveau der Luftret-
        tung komplett aufrechterhalten bleibt . Wir werden in den
        parlamentarischen Beratungen Bundesverkehrsminister
        Dobrindt beim Wort nehmen, der zugesichert hat, dass
        vor dem Hintergrund der gesetzlichen Änderung keine
        Landestelle an einem Krankenhaus geschlossen werden
        muss .
        Eine schwierigere Situation ergibt sich dagegen im
        Hinblick auf die im vorliegenden Gesetzentwurf eben-
        falls festgehaltene Änderung der Bodenabfertigungs-
        dienst-Verordnung . Hier soll am Flughafen Düsseldorf
        die Zahl der zuzulassenden Selbstabfertiger und Drittab-
        fertiger von bisher zwei auf drei geändert werden . Der
        Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 6 . November
        dieses Jahres zudem empfohlen, selbiges am Flughafen
        Berlin-Schönefeld umzusetzen . Dem Argument, dass
        dies mehr Wettbewerb auf dem Feld der Bodenabferti-
        gung eröffnet, kann ich persönlich nicht folgen .
        Schon heute befinden sich Qualität, Effizienz und
        Sicherheit bei der Bodenabfertigung an den deutschen
        Flughäfen auf hohem Niveau, zudem ist die Erbringung
        wettbewerblich ausgestaltet . Eine Erhöhung der Zahl von
        Selbst- und Drittanbietern würde keine weiteren Quali-
        tätsverbesserungen erbringen, sondern die vorhandenen
        Standards vielmehr gefährden und für unsichere Arbeits-
        verhältnisse und Lohndumping sorgen . Diese Ansicht ha-
        ben die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, FDP, SPD
        und Bündnis 90/Die Grünen in der vergangenen Legisla-
        turperiode auch geteilt, als wir uns gemeinsam mit einem
        entsprechenden Entschließungsantrag gegen die Libera-
        lisierungspläne der EU-Kommission engagiert haben . Im
        Rahmen des sogenannten Flughafenpaketes wollte man
        in Brüssel die Zahl der Drittanbieter auf europäischen
        Flughäfen flächendeckend und zwingend auf mindes-
        tens drei anheben . Nachdem wir uns über mehrere Jahre
        hinweg gemeinsam mit den Gewerkschaften und Teilen
        der Luftverkehrswirtschaft erfolgreich gegen die Pläne
        gewehrt haben, erscheint es mir inkonsequent, nun im
        Deutschen Bundestag für eine Anhebung der Selbst- und
        Drittabfertiger zu stimmen, selbst wenn dies nur an ei-
        nem oder zwei Flughäfen in Deutschland passieren soll .
        Abschließend betrachtet sehen wir innerhalb der
        CDU/CSU-Bundestagsfraktion der nun begonnenen par-
        lamentarischen Beratung des Gesetzentwurfes überaus
        positiv entgegen . Wir werden die Bundesregierung in
        ihren berechtigten Anliegen mit Nachdruck unterstützen
        und werden zugleich in enger Abstimmung mit unserem
        Koalitionspartner analysieren, inwiefern die Notwendig-
        keit besteht, die fünfzehnte Änderung des Luftverkehrs-
        gesetzes punktuell noch zu optimieren .
        Arno Klare (SPD): Wir debattieren heute in erster
        Lesung die fünfzehnte Änderung des LuftVG .
        Der vorliegende Regierungsentwurf sieht unter ande-
        rem vor, den § 8 Absatz 1 zu ergänzen . Dies ist der Tat-
        sache geschuldet, dass die Europäische Kommission ein
        Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einge-
        leitet hat .
        Der systematische Blick auf das Gesetz hilft bei der
        Einordnung der vorgeschlagenen Änderungen .
        § 29 b Absatz 1 des LuftVG verpflichtet Flughäfen,
        Airlines und Piloten, vermeidbaren Lärm zu verhindern
        und unvermeidbaren auf ein Minimum zu beschränken .
        Absatz 2 (a . a . O .) setzt die Planungsinstanzen für die
        Flugverfahren, vereinfacht landläufig als Flugrouten be-
        zeichnet, in die Verantwortung, diese Verfahren so fest-
        zulegen, dass ein maximaler Schutz der Bevölkerung vor
        Lärm gewährleistet ist . Deutsche Flugsicherung (DFS)
        und schlussendlich das Bundesaufsichtsamt für Flugsi-
        cherung (BAF) sind also gesetzlich gehalten, unzumut-
        baren Fluglärm zu vermeiden .
        Was heißt unzumutbar? Das wird materialiter und
        konkret in § 2 Absätze 1 bis 3 des Fluglärmgesetzes defi-
        niert . Das LuftVG formuliert also indirekt sozusagen ein
        Low-Noise-Routing-Gebot . Flugrouten so lärmgemin-
        dert wie möglich zu gestalten, ist als Gebot dem LuftVG
        inhärent .
        Zum Thema Flugverfahren/Flugrouten im Kontext
        von Planfeststellungsprozessen existiert umfassende
        höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwal-
        tungsgerichts . Ich zitiere aus einem Urteil vom 19 . De-
        zember 2013: Dem Planfeststellungsbeschluss obliegt es,
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14509
        (A) (C)
        (B) (D)
        die in der räumlichen Umgebung eines Flughafens aufge-
        worfenen Probleme abwägend zu bewältigen .
        Teil eines Planfeststellungsbeschlusses ist stets eine
        Umweltverträglichkeitsprüfung, kurz: UVP . Hierzu stellt
        das Urteil allgemein fest: Die UVP dient (also) der ge-
        samthaften Vorbereitung einer bestimmten Verwaltungs-
        entscheidung . – Gemeint ist damit die Planfeststellung .
        Das bedeutet, die „gesamthafte Entscheidung“ im
        Kontext der Planfeststellung erschöpft sich nicht in der
        UVP . Die UVP ist zwingend Bestandteil des Abwägungs-
        verfahrens, dies aber gleichrangig neben anderen planeri-
        schen Überlegungen, wie zum Beispiel der Konnektivität
        einer Region sowie der ökonomischen Entwicklung, die
        durch einen Airport induziert wird . Die UVP ist nicht
        prioritär, wie überhaupt keine Dimension in der plane-
        rischen Abwägung für sich allein Vorrang beanspruchen
        kann .
        Zurück zum Planfeststellungsverfahren: In einem Ur-
        teil aus dem Jahr 2012 stellt das Bundesverwaltungsge-
        richt fest: Es ist erforderlich, die gesamte Umgebung des
        Flughafens, die von abwägungserheblichem Lärm be-
        troffen werden könnte, in den Blick zu nehmen . – Diese
        Positionierung spiegelt sich kongenial im Gesetzentwurf,
        in dem es heißt, die Abwägung müsse sich auf den ge-
        samten Einwirkungsbereich des Vorhabens erstrecken .
        Das heißt, es dürfen nicht nur bestimmte Flugverfahren
        geprüft werden, sondern alle denkbaren und auf der Ba-
        sis des Bahnsystems technisch möglichen . In den Worten
        des Bundesverwaltungsgerichts: „alle in Betracht kom-
        menden Routenalternativen“ müssen geprüft werden .
        Exakt so wird es im Gesetzentwurf § 8 Absatz 1 jetzt
        fixiert.
        Die Europäische Kommission hat im Mai 2013 ein
        Vertragsverletzungsverfahren angestrengt, weil nach
        bundesdeutscher Rechtslage die Festlegung von Flugver-
        fahren keiner vorherigen UVP unterworfen wird .
        Der Gesetzentwurf entkräftet diesen Vorwurf, indem
        der zuständigen Planfeststellungsbehörde das Recht ein-
        geräumt wird, dann – und nur dann – bestimmte Flugver-
        fahren zu untersagen, wenn nur durch diese Untersagung
        das Vorhaben planfeststellungsrechtlich gerechtfertigt
        werden kann . Überdies kann die Behörde Bedingungen
        von Überflügen über als besonders schützenswert einge-
        stuften Gebieten festlegen .
        Damit wird allerdings nolens volens dem Routingsys-
        tem eine gewisse Vorrangstellung im Planfeststellungs-
        recht eingeräumt, die das Bundesverwaltungsgericht – üb-
        rigens im Lichte des Vertragsverletzungsverfahrens – in
        ihrer Notwendigkeit nicht bejaht .
        Es ist festzustellen, dass der vorliegende Gesetzent-
        wurf dem von der KOM erhobenen Vorwurf auf jeden
        Fall hinlänglich und ausreichend begegnet, geht er doch
        über die vom Bundesverwaltungsgericht als europa-
        rechtskonform bewertete Rechtsposition deutlich hinaus .
        Insofern findet die Formulierung formaliter meine Zu-
        stimmung, wenngleich im parlamentarischen Verfahren
        analysiert und abgewogen werden sollte, ob die vorge-
        schlagene weiter gehende Fassung nicht ergebnisrele-
        vante Kapazitätsbegrenzungen von Flughäfen zeitigen
        kann .
        Aus dem Wortlaut des vorliegenden Gesetzentwurfs
        ist allerdings meines Erachtens nicht zwingend abzulei-
        ten, dass jedwede planungsrechtlich relevante bauliche
        Änderung an einem Airport eine umfassende UVP unter
        Einschluss der Flugverfahren auslöst .
        T 3 in Frankfurt (FRA) ist im Bau, die geplanten Er-
        weiterungen in Stuttgart und Hamburg beziehen sich auf
        Vorfeld bzw . auf Optimierung im Passagierbetrieb . Die
        Bahnsysteme – und maßgeblich von diesen sind die phy-
        sikalisch möglichen Flugverfahren unmittelbar abhän-
        gig – werden nicht modifiziert. Dies wäre allein in Mün-
        chen (MUC) der Fall, doch dort gibt ist sogar Baurecht .
        Die Änderung von § 8 Absatz 1 LuftVG entfaltet also
        ohnehin kaum bedeutsame reale Wirkung .
        Zum Thema Bodenverkehrsdienste:
        Die Verordnung über Bodenabfertigungsdiens-
        te auf Flugplätzen – kurz: BADV – basiert auf einer
        EWG-Richtlinie vom 15 . Oktober 1996 . Unter Ziel 5
        wurde seinerzeit formuliert:
        (5) Mit der Öffnung des Zugangs zum Markt der Bo-
        denabfertigungsdienste soll zur Senkung der Betriebs-
        kosten der Luftverkehrsgesellschaften und zur Hebung
        der den Nutzern gebotenen Qualität beigetragen werden .
        Das erste Ziel wurde erreicht – oft leider in Form eines
        Dumping-Wettbewerbs zulasten der Arbeitnehmerinnen
        und Arbeitnehmer der Dienstleister –, ob das zweite Ziel
        erfüllt ist, darüber ließe sich trefflich streiten.
        Europa verfügte seinerzeit zwar Liberalisierung, al-
        lerdings wurde eingeräumt, dass die Zahl der Anbieter
        durch den Flughafenbetreiber in begründeten Fällen be-
        grenzt werden kann . Insofern steht in der 1997 erlassenen
        bundesdeutschen Verordnung in § 3, dass erstens ein Mo-
        nopol ausgeschlossen ist – im Wortlaut: „nicht weniger
        als zwei“ – und zweitens, dass ein Anbieter die Leistung
        erbringen muss, der zumindest zu 75 Prozent nicht in der
        Hand des Flughafenbetreibers ist .
        Im Anhang 5 zur BADV ist aufgelistet, wie viele
        Dienstleister auf welchem Flughafen lizenziert sind . In
        Frankfurt (FRA), München (MUC), Berlin-Tegel (TXL),
        Stuttgart (STR), Hamburg (HAM), Köln (CGN), Han-
        nover (HAJ), Nürnberg (NUE) und Berlin-Schönefeld
        (SXF) sind das zwei – zumindest bei den klassischen
        Diensten Gepäck, Fracht etc . Bei den Betankungsdiens-
        ten schwankt die Zahl schon erheblich . Der neue Flugha-
        fen Berlin/Brandenburg (BER) und Leipzig/Halle (LEJ)
        haben unbegrenzte Lizenzzahlen eingeräumt bekommen .
        Diese uneinheitliche Bild ist unübersichtlich, gleich-
        wohl aber verordnungskonform . „Nicht weniger als
        zwei“ bedeutet eben theoretisch auch unbegrenzt .
        Die Gewerkschaften kritisieren den statthabenden
        Lohndumpingwettbewerb zu Recht, zumal er vielerorts
        auch nicht den gewünschten Qualitätswettbewerb aus-
        gelöst zu haben scheint . Allerdings haben sie auch mit
        den Low-Cost-Anbietern Tarifverträge geschlossen und
        somit die ausdifferenzierte Struktur verfestigt .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 201514510
        (A) (C)
        (B) (D)
        Da es nicht verfängt, die BADV zu ändern, weil die
        sich aus der EU-Richtlinie ableitet, ist die Situation nur
        durch einen Branchentarifvertrag zu befrieden . Der kann
        von der Politik Unterstützung erfahren – was wir auch
        tun –, muss allerdings – so sind die Spielregeln – von
        den Tarifpartnern ausgehandelt und beschlossen werden .
        Deshalb empfehle ich, dass der Bundesgesetzgeber
        sich aus dem gesamten Verfahren zum Thema Bodenver-
        kehrsdienste heraushält und an der BADV nichts ändert .
        Zu den Regelungen für Landeplätze von Rettungs-
        hubschraubern – „Public Interest Sites“ – verweise ich
        auf meine Kollegen der Koalitionsfraktion und schließe
        mich deren Ausführungen ausdrücklich an .
        Herbert Behrens (DIE LINKE): Die Ankündigung
        eines Luftverkehrskonzeptes im Koalitionsvertrag ließ
        erwarten, dass in dieser Legislaturperiode beim Flug-
        verkehr einiges in Bewegung kommt . Bisher ist jedoch
        nur eines zu verzeichnen, nämlich Stillstand . Mehr als
        die Hälfte der 18 . Wahlperiode ist bereits vorbei, und
        heute kommen wir erstmals zusammen, um Änderungen
        am Luftverkehrsgesetz zu debattieren . Das ist angesichts
        der vielen Probleme im Bereich des Luftverkehrs ein Ar-
        mutszeugnis für den Verkehrsminister, der sein Haus mit
        Ausländermaut sowie der Privatisierung der Fernstraßen
        auf Trab hält und sonst eher durch Arbeitsverweigerung
        glänzt .
        Auch der vorgelegte Gesetzentwurf lässt jeglichen
        Elan vermissen, von einem Gesamtkonzept ganz zu
        schweigen . Der Entwurf ist vielmehr eine Art politischer
        Gemischtwarenladen, in dem – mit Ausnahme der be-
        grüßenswerten Regelung zur Luftrettung – die eine oder
        andere Forderung der Luftverkehrslobby zur Schau ge-
        stellt wird . Nicht nur, dass die Zulassung militärischen
        Fluggeräts privatisiert werden soll, Sie wollen Boden-
        verkehrsdienste weiter liberalisieren . Ich möchte da-
        ran erinnern, dass alle Fraktionen des Bundestages die
        Bodenverkehrsdienste-Verordnung der EU entschieden
        abgelehnt haben, welche auf Druck der Gewerkschaf-
        ten inzwischen sogar zurückgenommen wurde . Und nun
        soll diese Liberalisierung scheibchenweise und durch die
        Hintertür erfolgen – so etwas ist mit der Linken nicht
        zu machen . Wir nehmen die Ängste der Beschäftigten
        an den Flughäfen Düsseldorf und Schönefeld ernst und
        werden die Zulassung weiterer Drittabfertiger nicht mit-
        tragen . Die lapidare Begründung im Gesetzentwurf, „die
        Übersicht betreffend die Zahl der zuzulassenden Drittab-
        fertiger war anzupassen“, ist dabei an Aussagekraft kaum
        zu unterbieten . Ich frage: Warum war die Übersicht anzu-
        passen? Wahrscheinlich, weil die dritte Zulassung längst
        vergeben wurde, obwohl das rechtlich nicht gedeckt ist .
        Man könnte meinen, dass im Verkehrsministerium nie-
        mand die Einhaltung geltenden Rechts überwacht, denn
        am Mittwoch musste es bereits einräumen, dass jahre-
        lang Codeshare-Flüge ohne Rechtsgrundlage genehmigt
        wurden . Es ist ja schon ein Skandal, dass die Bundesre-
        gierung bei Lärm- und Umweltschutz untätig ist und kei-
        ne Verbesserungen für die Betroffenen initiiert – welche
        freilich zulasten der Gewinne der Luftverkehrswirtschaft
        gingen . Aber dass es das Verkehrsministerium bei Air-
        lines und Flughäfen nicht so genau nimmt, wenn es um
        die Einhaltung verbindlicher rechtlicher Vorgaben geht,
        setzt dem Ganzen die Krone auf .
        Wer Geschenke an die Luftverkehrsindustrie verteilt,
        sollte vor Weihnachten eigentlich auch an den Natur-
        schutz und die Lärmbetroffenen denken . Aber auch die
        präsentierten Änderungen bei der Umweltverträglich-
        keitsprüfung liegen eher unter dem Christbaum der Luft-
        verkehrslobby, denn umweltverträglicher wird der Luft-
        verkehr durch die Vorschläge der Bundesregierung nicht .
        Mit dem halbherzigen Entwurf will die Bundesregierung
        lediglich ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kom-
        mission beenden . Ob dies gelingen wird, ist mehr als
        fraglich, denn die hier zu beratende Reaktion auf die
        Mahnung der EU ist wirklich paradox . Kurz gefasst: Sie
        antworten auf die berechtigte Forderung der Kommissi-
        on, in § 32 des Luftverkehrsgesetzes sowie in § 27 a der
        Luftverkehrsordnung eine UVP-Pflicht für Flugrouten
        festzuschreiben, dass dies nicht möglich sei, weil das
        Verfahren zur Festlegung von Flugrouten eben in diesen
        §§ 32 bzw . 27 a festgeschrieben ist . Übertragen auf die
        Pkw-Maut kommt diese Argumentation darauf hinaus,
        dass die Diskriminierung durch die vollständige Kom-
        pensation der Mautkosten für hier zugelassene Fahrzeu-
        ge über die Kfz-Steuer nicht beseitigt werden kann, weil
        die Mautkosten per Kfz-Steuer vollständig kompensiert
        werden . Das ist doch offensichtlich völlig absurd und
        wird von der EU-Kommission wahrscheinlich nicht ak-
        zeptiert werden .
        Mit dem vom Verkehrsministerium eingeschlagenen
        Weg, die EU-Kommission zur Einstellung des Verfah-
        rens zu bewegen, wird immerhin nichts verschlechtert .
        Aber welchen Effekt hat es langfristig für den Lärm-
        schutz, wenn bei der Planfeststellung einige Gebiete mit
        Auflagen für den Überflug versehen werden können?
        Wohl keine, denn Planfeststellungsverfahren im Luft-
        verkehrsbereich wird es auf absehbare Zeit nicht mehr
        geben . Der Vorschlag der Bundesregierung führt somit
        ins Leere, denn die Lärmprobleme an den bestehen-
        den Flughäfen werden damit nicht gemildert . Nur eine
        Umweltverträglichkeitsprüfung für neu festzulegende
        Flugrouten oder wesentliche Änderungen bestehender
        Flugverfahren kann wirklich für Entlastung sorgen, aber
        davon will die Bundesregierung offensichtlich nichts
        wissen . Sie haben bei einem so wichtigen Thema selbi-
        ges schlicht verfehlt . Daher wird meine Fraktion Ihnen
        einige Änderungsvorschläge unterbreiten, um Sie doch
        noch auf den rechten Weg zu bringen .
        Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Mit dem Fünfzehnten Gesetz zur Änderung des
        Luftverkehrsgesetzes soll verspätet auf ein Vertragsver-
        letzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutsch-
        land seitens der Europäischen Kommission reagiert wer-
        den . Nach Ansicht der Kommission verstößt Deutschland
        gegen europäisches Recht, weil bei der Festlegung von
        Flugverfahren – auch als Flugrouten bezeichnet – keine
        Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und keine Prü-
        fung von Auswirkungen auf Natura-2000-Gebiete im na-
        tionalen Recht verankert sind .
        Anstatt nunmehr für die Festlegung von An- und
        Abflugverfahren (Flugrouten) eines Flughafens eine
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 146 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015 14511
        (A) (C)
        (B) (D)
        Pflicht zur Durchführung einer UVP-Prüfung zu regeln,
        schlägt die Bundesregierung vor, die Durchführung einer
        UVP-Prüfung auf die Zulassungsverfahren für Flughäfen
        zu beschränken . So solle sich die UVP auf den „gesamten
        Einwirkungsbereich des Flughafens erstrecken, in dem
        abwägungserhebliche Auswirkungen auftreten können“ .
        Damit berücksichtigt die Bundesregierung in keiner Wei-
        se ausreichend die Kritik der EU-Kommission .
        Die Bundesregierung berücksichtigt dabei auch nicht
        die Empfehlungen ihres eigenen Sachverständigenrates
        für Umweltfragen (SRU) . Im Sondergutachten aus dem
        letzten Jahr mit dem Titel „Fluglärm reduzieren: Reform-
        bedarf der Planung von Flughäfen und Flugrouten“ emp-
        fehlen die Experten, dass für die Festlegung der Flugrou-
        ten eine grundsätzliche UVP-Pflicht eingeführt werden
        sollte . Vorgeschlagen wird dafür das folgende Verfahren:
        „Anhand einer Vorprüfung … sollte untersucht wer-
        den, ob die geplante Änderung erhebliche nachteilige
        Umweltauswirkungen haben kann . Fällt diese Vorprü-
        fung negativ aus, ist die Umweltverträglichkeitsprüfung
        entbehrlich . Da eine Umweltverträglichkeitsprüfung Zeit
        beansprucht, könnte das BAF dazu ermächtigt werden,
        Flugrouten vorläufig festzusetzen, wenn eine kurzfristige
        wesentliche Änderung der Flugrouten aus Sicherheits-
        gründen zwingend erforderlich ist .“
        Auch das Umweltbundesamt hat mit dem „Gutachten
        zur Prüfung von formell- und materiell-rechtlichen Vor-
        gehensmöglichkeiten bei der Festlegung von Flugrouten“
        im Jahr 2014 konkrete Vorschläge unterbreitet, wie ange-
        sichts der Bedeutung für Gesundheit und Lebensqualität
        die Fluglärmaspekte bei der Festlegung von Flugrouten
        besser berücksichtigt werden können . Die Autoren des
        Gutachtens schlagen vor, je nach erwarteten Fluglärm-
        auswirkungen durch die Festlegung zu differenzieren: in
        ein vereinfachtes Verfahren, ein reguläres Verfahren und
        ein erweitertes Verfahren im Fall einer grundlegenden
        Systemänderung der bisherigen Flugrouten mit Umwelt-
        verträglichkeitsprüfung .
        Nichts von diesen fachlich fundierten Vorschlägen fin-
        det sich im Gesetzentwurf wieder .
        Verschwiegen wird zudem, dass in Zukunft kaum Zu-
        lassungsverfahren für Flughäfen – sprich Planfeststel-
        lungsverfahren – anstehen, wo eine UVP-Pflicht greifen
        könnte . Die dritte Start- und Landebahn in München ist
        planfestgestellt, die vierte Landebahn in Frankfurt/Main
        ist in Betrieb, wenn auch noch nicht eröffnet, aber ebenso
        planfestgestellt ist der künftige Berliner Hauptstadtflug-
        hafen BER . Die Änderung des Luftverkehrsgesetzes in
        dieser Form wird also praktisch kaum Auswirkungen ha-
        ben . Wirksamer Fluglärmschutz sieht anders aus .
        Notwendig wäre stattdessen, im Luftverkehrsgesetz
        erstens Grenzwerte für die Lärmbelastung – für Dauer-
        schall- und Spitzenpegel – einzuführen, die die Belastun-
        gen durch Fluglärm nach oben hin begrenzen; zweitens
        ein Lärmminderungsgebot zu verankern, welches die
        Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisationen
        dazu verpflichtet, Fluglärm grundsätzlich und insbeson-
        dere während der Nachtstunden zu reduzieren; drittens
        Abwägungskriterien für die Festlegung von Flugver-
        fahren – Flugrouten – zu definieren, die auch Kriterien
        für Einzelfreigaben bestimmen, sodass Flugverfahren
        die Regel und Einzelfreigaben die Ausnahme sind, und
        natürlich, wie bereits angesprochen, viertens im Verfah-
        ren zur Festlegung von Flugverfahren die grundsätzliche
        Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeits-
        prüfung sowie einer Öffentlichkeitsbeteiligung zu veran-
        kern .
        Der Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm ist im gel-
        tenden Luftverkehrsrecht nur unzureichend gewährleis-
        tet . Der Sachverständigenrat für Umweltfragen konsta-
        tiert in dem angesprochenen Gutachten zutreffend, dass
        der „Flugverkehr und Fluglärm vom geltenden Recht in
        nicht mehr zeitgemäßer Weise privilegiert“ werden und
        die „gesetzliche Regelung der Fluglärmproblematik im
        Luftverkehrsrecht unterentwickelt“ ist .
        Die Bundesregierung dokumentiert mit diesem Ge-
        setzentwurf eindrucksvoll, dass CDU/CSU und SPD
        nicht an einer substanziellen Verbesserung des Fluglärm-
        schutzes interessiert sind .
        Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
        Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de
        Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
        146. Sitzung
        Inhaltsverzeichnis
        TOP 4 Technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands
        TOP 5 Bundeswehreinsatz in Afghanistan (Resolute Support)
        TOP 6 Bundeswehreinsatz Mittelmeer (OAE)
        TOP 7 Fluchtursachen
        TOP 27, ZP 1 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
        TOP 28, ZP 2 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
        ZP 3 Wahl zum Beirat der Stiftung Datenschutz
        ZP 4 Aktuelle Stunde zu den Ergebnissen der UN-Klimakonferenz in Paris
        TOP 8 Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte
        TOP 9 Vergaberechtsmodernisierungsgesetz
        TOP 10 Stromsperren
        TOP 11 Durchsetzung von Verbraucherdatenschutz
        TOP 12 Patientensicherheit bei Medizinprodukten
        TOP 13 Änderung des Parteiengesetzes
        ZP 5 Verbot der NPD
        TOP 15 Wissenschaftszeitvertragsgesetz
        TOP 16 Private Sicherheitsfirmen
        TOP 17 Anerkennung von Berufsqualifikationen
        TOP 18 Wolfsschutz
        TOP 19 Datenaustausch der Behörden im Asylverfahren
        TOP 20 Änderung des Sachverständigenrechts
        TOP 21 Änderung des Luftverkehrsgesetzes
        Anlagen
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8
        Anlage 9
        Anlage 10