Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich zu unserer 145 . Sitzung . Ich möchte Ihnen zu-
nächst mitteilen, dass es eine interfraktionelle Vereinba-
rung gibt, die Unterrichtung der Bundesregierung über
die Stellungnahme des Bundesrates und die Gegenäuße-
rung der Bundesregierung auf der Drucksache 18/6987
zu dem bereits überwiesenen Entwurf eines Gesetzes zur
Umsetzung einer EU-Richtlinie über die Anerkennung
von Berufsqualifikationen sowie zur Umsetzung einer
EU-Verordnung über die Verwaltungszusammenarbeit
mithilfe des Binnenmarkt-Informationssystems für bun-
desrechtlich geregelte Heilberufe und andere Berufe an
den federführenden Ausschuss für Gesundheit und zur
Mitberatung an den Ausschuss für Recht und Verbrau-
cherschutz sowie den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu überweisen . Ich frage Sie nun, ob
Sie damit einverstanden sind . – Es fängt gut an . Wir ha-
ben das so beschlossen .
Dann kommen wir jetzt zu unserem Tagesordnungs-
punkt 1:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Umset-
zung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und ver-
wandte Erzeugnisse.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Ernährung und Landwirt-
schaft, Christian Schmidt .
Da wir uns mit Blick auf die vereinbarte anschließen-
de Regierungserklärung besonders konsequent an das
ohnehin übliche Zeitformat halten sollten, bitte ich, mir
beabsichtigte Wortmeldungen, insbesondere wenn sie
sich auf Dinge über diesen Bericht hinaus beziehen soll-
ten, vielleicht schon einmal zu signalisieren, damit wir
diese berücksichtigen und sortieren können .
Herr Minister, bitte schön .
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bemühe mich natürlich auch, im Zeitrahmen zu bleiben,
wenn ich über die Thematiken der heutigen Kabinettssit-
zung, in den Mittelpunkt gestellt das Tabakerzeugnisge-
setz, berichte . Wir hatten als ordentlichen Tagesordnungs-
punkt meinen Entwurf eines Tabakerzeugnisgesetzes .
Wir setzen damit die Tabakproduktrichtlinie der EU um
und tragen zur Harmonisierung des Binnenmarktes bei .
Der heute beschlossene Entwurf ist ein umfangreiches
Paket, das die Rechtslage neu gestaltet .
Ich glaube, es ist uns gelungen, ein ausgewogenes Re-
gelungswerk vorzulegen . Im Zentrum steht ein deutlicher
Fortschritt für einen besseren gesundheitlichen Verbrau-
cherschutz . Ich will darauf hinweisen, dass 110 000 To-
desfälle pro Jahr in unmittelbaren Zusammenhang mit
Rauchen und Tabakgenuss gebracht werden .
Auch die anderen Interessen und Themenbereiche
wurden im Blick behalten . Ich muss darauf hinweisen,
dass Deutschland einer der wenigen Standorte innerhalb
der Europäischen Union ist, an dem es noch große Pro-
duktionsanlagen für Zigaretten gibt, die teilweise auch
für den Export produzieren .
Zigaretten sind nach wie vor ein legales Produkt . Des-
wegen muss es auch möglich sein, sie zu produzieren .
Deshalb wird es ein faktisches Produktions-Aus weder in
der EU-Richtlinie noch in der Umsetzung in nationales
Recht geben .
Der Entwurf sieht insbesondere folgende Maßnahmen
vor:
Das Inverkehrbringen von Zigaretten und von Tabak
zum Selbstdrehen wird verboten, soweit ein charakteris-
tisches Aroma zugefügt wird oder Aromastoffe oder tech-
nische Merkmale enthalten sind, mit denen sich Geruch,
Geschmack oder die Rauchintensität verändern lassen,
oder die auf andere Weise diese Aromastoffe beiführen .
Das ist eine sehr detaillierte und detailfordernde Rege-
lung . Wir gehen von gegenwärtig über 50 verschiedenen
Aromastoffen aus . Ich darf berichten, dass wir uns sehr
streng an die wissenschaftlichen Erkenntnisse hinsicht-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514274
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lich der Wirkungen gehalten haben . Ich habe allerdings
die Europäische Kommission auch gebeten, möglichst
doch in eine europäische Abstimmung zu gehen und ein-
heitliche Regelungen anzustreben; denn es sollte nicht
sein, dass nationale Erkenntnisse unterschiedlich bewer-
tet werden, zumal wenn in manchen Mitgliedstaaten gar
keine wissenschaftliche Expertise hierfür verfügbar ist .
Das heißt, eine gemeinsame europäische Regelung und,
soweit möglich, nach bestem wissenschaftlichen Wissen
und Gewissen auch nationale Regelungen; das ist auch
zugelassen .
Wir haben daneben für Zigaretten, Tabak zum Selbst-
drehen und Wasserpfeifentabak die gesundheitsbezoge-
nen kombinierten Text-Bild-Warnhinweise, die uns die
Europäische Kommission vorgelegt und vorgeschrieben
hat – leider erst vor wenigen Wochen –, zur Grundlage
des Gesetzes gemacht .
Erstmals werden neben Tabakerzeugnissen und
pflanzlichen Raucherzeugnissen auch elektronische Zi-
garetten und Nachfüllbehälter geregelt . Für sie enthält
der Gesetzentwurf unter anderem Vorschriften zu In-
haltsstoffen, Produktsicherheit, Verpackungsgestaltung
und Mitteilungspflichten. Das ist deswegen wichtig, weil
wir feststellen, dass neben der unmittelbaren gesundheit-
lichen Gefährdung, die durch die Stoffe entstehen kann,
auch ein gewisser Effekt der Gewöhnung an das Rauchen
gerade bei Jugendlichen stattfindet.
Um die Rückverfolgbarkeit und Echtheit von Ta-
bakerzeugnissen zu gewährleisten, müssen deren Pa-
ckungen ein individuelles Erkennungsmerkmal und ein
fälschungssicheres Sicherheitsmerkmal tragen . Da ist
unsere deutsche Tradition mit der Banderole eine gute
Grundlage dafür . Jeder sieht, dass wir dabei auch die Kri-
minalitätsbekämpfung im Auge haben .
Ich will den gesundheitlichen Verbraucherschutz
konsequent weiterentwickeln, gerade für Kinder und Ju-
gendliche . Hierzu gehört auch die Umsetzung der völker-
rechtlich vereinbarten Verpflichtungen aus der Tabakrah-
menkonvention der Weltgesundheitsorganisation, die in
diesem Hause im Jahr 2005 ratifiziert worden ist. Durch
diese werden wir angehalten, ein Werbeverbot bzw . Wer-
bebeschränkungen zu erlassen . Diese Werbebeschrän-
kungen, die 2006 in wesentlichen Bereichen durch die
EU bereits stattgefunden haben, werden im Bereich der
Kinowerbung so gestaltet, dass jugendfreie Filme nicht
mehr beworben werden dürfen – das dürfen sie im Au-
genblick auch nur in ganz wenigen Ausnahmefällen –;
außerdem läuft die Möglichkeit zur Großflächenwer-
bung nach einer Übergangszeit aus . Diesbezüglich steht
aber gegenwärtig ein Gesetzentwurf zur Notifizierung in
Brüssel an, und dieser wird in einem gesonderten Verfah-
ren in die Beratung gegeben . Die Ressortabstimmung ist
bereits erfolgt .
Herr Minister, können wir das, was auf den weiteren
Zetteln steht, bei Nachfragen vortragen?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Herr Präsident, ich kam schon zum Ende .
Dann hat die erste Nachfrage die Kollegin Vogler,
dann Frau Kovac .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Minister, ist es
richtig, dass in dem ursprünglich von Ihrem Haus vor-
gelegten Gesetzentwurf ein umfassendes Tabakwerbe-
verbot vorgesehen war, wie es uns die WHO-Tabakrah-
menkonvention eigentlich vorgibt? Ist es auch richtig,
dass ein solch umfassendes Werbeverbot – Sie haben es
angedeutet – jetzt im Kabinettsbeschluss fehlt, und wenn
ja, können Sie uns auch bestätigen, dass das Werbeverbot
auf Druck des Wirtschaftsministeriums und des Kanzler-
amtes wieder gestrichen werden musste?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Liebe Kollegin, ich darf Ihnen antworten, dass wir die
Regelungen unter Beachtung der von uns eingegangenen
völkerrechtlichen Verpflichtungen umsetzen, allerdings
der Weg ein anderer ist; denn es bedarf hierzu der Noti-
fizierung durch die Europäische Kommission. Deswegen
ist der Weg anders und länger .
Da die Europäische Kommission leider erst jetzt,
nachdem die EU-Richtlinie schon zwei Jahre gilt, zu
den Ausführungsregelungen kommt, die uns in die Lage
versetzen, eine wirklich präzise Gesetzgebung vorzuneh-
men, wäre es nicht verantwortungsvoll, wenn wir das
Inkrafttreten dieses Gesetzes weiter hinausschieben wür-
den . Wir machen also eines nach dem anderen .
Frau Kovac .
Sehr geehrter Herr Minister, stehen die Vorgaben zur
Rückverfolgbarkeit in einem ausgewogenen Verhältnis
zum Bürokratieaufwand, der dann neu auf uns zukommt?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Der Normenkontroll-
rat hat uns bescheinigt, dass wir die Vorschriften eins zu
eins umsetzen . Was die Rückverfolgbarkeit anbelangt,
ist die Europäische Union hinsichtlich der Vorlage von
Informationen zu den Detailregelungen, die wir dann
umsetzen müssen, noch säumig . Deswegen kann ich das
nicht abschließend beantworten . Die Rückverfolgbarkeit
bei deutschen Produkten ist aus den von mir genannten
Gründen, die auch mit dem Zuständigkeitsbereich des
Bundesfinanzministers zu tun haben, eigentlich gewähr-
leistet .
Bundesminister Christian Schmidt
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Herr Kollege Spiering, bitte .
Herr Minister, erst einmal herzlichen Dank an Ihr
Haus! Ich weiß, dass die Ressortabstimmung extrem
schwierig war . Ich habe auch den Eindruck, dass Brüssel
Ihnen das Leben an der Stelle nicht unbedingt leichter
gemacht hat . Insofern freue ich mich, dass das heute im
Kabinett gewesen ist . Lassen Sie mich dazu zwei oder
drei Fragen stellen .
Die erste Frage: Welchen Zeitraum sehen Sie für die
Vorbereitungen der Zigarettenindustrie bzw . der vor- und
nachgelagerten Industrien, also die, die die Verpackun-
gen und Druckwalzen herstellen, als nötig an, nachdem
die Verordnungsbestimmungen für Zigarettenverpackun-
gen und damit auch die technischen Grundlagen für de-
ren Erzeugung relativ spät bekannt waren? Kann die In-
dustrie das realistischerweise bis zum 16 . Mai schaffen?
Die zweite Frage: Würden Sie Auskunft darüber ge-
ben wollen, wie wir in der Zukunft grundsätzlich mit dem
Außenwerbeverbot umgehen werden, welchen Zeitrah-
men wir dort haben werden, worauf das hinausläuft?
Die dritte Frage . Sie haben die sehr differenzierte
Darstellung hinsichtlich der Zusatzstoffe angesprochen .
Können Sie uns Ihre Vorgehensweise hinsichtlich signifi-
kanter Zusatzstoffe wie Menthol erläutern?
Herr Kollege .
Können Sie uns auch sagen, wie wir in Zukunft mit
den nicht signifikanten Zusatzstoffen, mit denen man
also überhaupt kein Aroma erzeugt, umgehen wollen?
Bitte schön, Herr Minister .
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Herr Kollege, herzlichen Dank für die Fragen; danke
auch für Ihr Engagement angesichts der recht schwieri-
gen Materie dieses Gesetzes .
Zum ersten Punkt . Die Richtlinie der EU sieht vor,
dass ein entsprechendes Gesetz bis zum 21 . Mai 2016
in Kraft treten soll . Angesichts der Verzögerungen, die
auch – ich sage es noch einmal – von Brüssel zu verant-
worten sind, ist es so, dass praktisch nur ein halbes Jahr
für die Umstellung der speziellen Druckverfahren zur
Verfügung steht . Das ist eine sehr ambitionierte Zeitvor-
gabe . Ich habe dem zuständigen EU-Gesundheitskom-
missar dieses Problem vorgetragen und darum gebeten,
die in den europäischen Regelungen vorgesehenen Fris-
ten zu verlängern .
Ultra posse nemo obligatur .
Schreibt ihr das demnächst auf die Packung?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Herr Präsident, wir wollen die Transparenz erhöhen .
Der Bildungsauftrag muss an diesem Punkt leider in den
Hintergrund rücken . – Über das, was er kann, hinaus ist
niemand verpflichtet, zu handeln.
Wir sind hier an einem Punkt, wo, wie ich glaube, der
Zeitraum sehr knapp bemessen ist . Mit der Demut, die
die Bundesregierung an den Tag legt, wenn sie ein Ge-
setz dem Deutschen Bundestag zur Beratung übergibt,
und angesichts mancher Äußerungen, die mir bereits zu
Ohren gekommen sind, will ich darauf hinweisen: Wenn
im Zuge der Beratungen das Struck’sche Gesetz Anwen-
dung finden sollte und sich Änderungen bei den für den
§ 6 festgelegten Fristen ergeben sollten, liegt das in der
Hand des Deutschen Bundestages .
Wir haben eine Abverkaufsfrist von einem Jahr vorgese-
hen . Aber die Frist zur Änderung der Produktionsverfah-
ren ist in der Tat sehr knapp bemessen .
Herr Kollege Holzenkamp .
Herr Minister, auch ich bin froh, dass die Ressort-
abstimmung gelungen ist und wir endlich zu einer Ent-
scheidung im Kabinett gekommen sind .
Ich möchte nachfragen, ob Sie Ihre Ausführungen, die
Sie gerade zu den Umsetzungsfristen gemacht haben,
konkretisieren könnten . Sie haben die Kommission gebe-
ten, darüber nachzudenken . Nur faktisch ist es ja so, dass
das Zeitfenster nach dem parlamentarischen Verfahren
noch enger ist . Wie werden wir reagieren, wenn die Um-
setzung bis zum 21 . Mai aus rein technischen Gründen
nicht erfolgen kann? Dann müssen wir ja Möglichkeiten
finden, die Fristen entsprechend zu verlängern.
Eine zweite kurze Nachfrage: Könnten Sie noch etwas
konkretisieren, welche Einschränkungen an Werbung
laut UN-Konvention vorgesehen sind?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Zu Ihrer ersten Frage: Die Frist für die Umsetzung ist
in der Tat der 21 . Mai 2016 . Die Antwort, die mir der
Kommissar diesbezüglich gegeben hat, war, dass er für
eine Änderung der Fristen ein komplett neues Gesetz-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514276
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gebungsverfahren auf europäischer Ebene anstrengen
müsste; er eine Änderung auch aus zeitlichen Gründen
also nicht mehr erreichen kann . Ich habe deswegen un-
mittelbar nach Vorliegen der Regelungen auf europä-
ischer Ebene – das war vor circa sieben Wochen –, in
denen festgelegt ist, mit welchen Bildern und welcher
Schrifttype in welcher Größe die Zigarettenpackungen
auszuzeichnen sind, veranlasst, dass die entsprechen-
den Vorgaben direkt an die Hersteller gesandt werden .
Das gibt den Herstellern keine Rechtssicherheit, weil
das Gesetz noch nicht in Kraft ist . Es gibt allenfalls eine
Option, sich daran auszurichten, indem man davon aus-
geht, dass der Deutsche Bundestag die in diesem Punkt
klaren EU-Regelungen umsetzen muss, weil es auf euro-
päischer Ebene keinen Spielraum gibt . Das ist in der Tat
eine Misslichkeit, auf die ich hinweise . Man muss schon
den Blick darauf richten, was möglich ist und was nicht .
Ich sage mit Respekt vor dem Parlament: Es liegt jetzt in
den Händen des Parlaments, pragmatisch zu denken . Ich
habe einen den europäischen Richtlinien entsprechenden
Gesetzentwurf vorgelegt .
Ich erinnere noch einmal daran, dass das Zeitfenster
für Fragen und Antworten jeweils eine Minute ist . Das
versuchen wir jetzt noch einmal bei der Frage, die der
Kollege Wunderlich hat .
Danke, Herr Präsident . Ich schaffe das auch .
Herr Minister, Sie haben von Übergangsfristen bei der
Werbung gesprochen . Gibt es auch – da schließe ich an
meine Vorredner an – Übergangsfristen für die kleinen
und mittelständischen Hersteller von Nischenprodukten
wie Drehtabak und nicht industriell gefertigte Zigaretten,
damit diese die Auflagen, was Beschriftung, Warnhin-
weise etc . angeht, entsprechend umsetzen können, ohne
dass dadurch der Familienbetrieb gefährdet wird?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Herr Kollege, vielen Dank . – Wir haben von den
Möglichkeiten Gebrauch gemacht, die uns die Richtlinie
vorgibt . Das heißt, wir haben Spezialprodukte wie Zi-
garren – ich nenne sie als Beispiel, weil sie ein Genuss-
mittel und kein Einstiegsmittel sind –, Zigarillos sowie
Schnupftabak, den Schmalzler, und ähnliche Produkte,
die überwiegend mittelständisch hergestellt werden, von
den Kennzeichnungspflichten ausgenommen. Sie be-
dürfen keiner bildlichen Darstellung – das ist technisch
zum Teil auch gar nicht möglich –, sondern nur einer
entsprechenden Beschriftung . Von den Möglichkeiten,
die wir hatten, haben wir also Gebrauch gemacht . Die
Übergangsfristen in den jeweiligen Bereichen laufen –
bei der Werbung ist ja das Jahr 2020 maßgeblich – bis
2019/2020 . Wir haben dabei besonders den Blick auf die
mittelständischen Betriebe gerichtet .
Ich habe jetzt noch drei Wortmeldungen zu dem Be-
richt und zwei weitere zu sonstigen Themen an die Bun-
desregierung vorliegen . Ich würde mit Blick auf unseren
Zeitrahmen damit gerne die Fragestunde abschließen . –
Darüber besteht offenkundig Einvernehmen .
Dann hat jetzt Frau Pahlmann das Wort, dann zu die-
sem Thema noch der Kollege Terpe und die Kollegin
Connemann . Dann gibt es zwei weitere Fragen aus der
Fraktion der Grünen an die Regierung . – Bitte schön,
Frau Pahlmann .
Sehr geehrter Herr Minister, vielen Dank . Ein Teil
meiner Fragen ist schon beantwortet . Darauf, wie das
für die Wirtschaft zu händeln ist, sind Sie schon einge-
gangen . Meine zweite Frage klang ebenfalls schon an .
Könnten Sie bitte noch einmal präzise sagen, für wel-
che Produktgruppen die Veränderungen hinsichtlich der
Bild- und Textaufschrift in Zukunft gelten sollen? Ein
paar Ausnahmen haben Sie gerade erwähnt . Aber viel-
leicht können Sie das noch einmal konkretisieren .
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Das gilt für Zigaretten, Tabake zum Selbstdrehen und
Wasserpfeifentabak . Für Zigarillos, Zigarren und anderes
gelten die Ausnahmeregelungen nicht .
Ich möchte gerne noch ergänzen, dass E-Shishas und
E-Zigaretten jetzt in das Regime des Tabakgesetzes ein-
bezogen werden . Kollegin Schwesig hatte in Abstim-
mung mit meinem Haus bereits einen Gesetzentwurf
vorgelegt, um den Jugendschutz auch auf diese Bereiche
auszudehnen . E-Shishas und E-Zigaretten sind dann mit-
telbar mit einbezogen .
Kollege Terpe .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Minister, ich
habe jetzt viel darüber gehört, dass die EU es Ihnen nicht
leicht macht . Das kann ich in manchen Bereichen auch
nachvollziehen . Eine Richtlinie der EU hindert Sie aber
nicht daran, nationalgesetzlich darüber hinauszugehen .
Damit sind wir wieder bei der Werbung . Dazu würde ich
gerne die Frage stellen: Woran liegt es, dass Sie sich so
schwer tun, die Offen- bzw . Außenwerbung in Deutsch-
land zu untersagen, obwohl fast alle Länder in Europa sie
untersagt haben? Nur Bulgarien und Deutschland bilden
an dieser Stelle das Schlusslicht . Ich möchte gerne eine
konkrete Auskunft haben . An dieser Stelle macht Europa
es Ihnen ja nicht schwer .
Bundesminister Christian Schmidt
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Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Vielen Dank, Herr Kollege . – Bei dieser Frage geht es
nicht um die Tabakprodukt-Richtlinie der EU, sondern
um die Tabakrahmenkonvention der Weltgesundheitsor-
ganisation . In der Tat sind wir neben Bulgarien das ein-
zige Land innerhalb der EU, das diese Regelung noch
nicht umgesetzt hat . Ich will aber darauf hinweisen, dass
die Rahmenkonvention auch eine Einbeziehung der ver-
fassungsrechtlichen Grundsätze der Nationalstaaten vor-
sieht . Einschränkungen der freien Ausübung von Beruf
und Werbung durch ihre Umsetzung sind deswegen auch
unter Verfassungskriterien zu betrachten . Deswegen ha-
ben wir uns intensiv abgestimmt, auch mit den Verfas-
sungsressorts . Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass
dies geht . Das Thema des sogenannten Plain Packaging
wird allerdings – lassen Sie mich das sagen – bei uns
wohl erhebliche Fragen aufwerfen .
Frau Connemann .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Die Tabakpro-
dukt-Richtlinie zählt sicherlich zu den größten regula-
torischen Veränderungsvorgaben in der letzten Zeit . Das
gilt für viele Bereiche; einige sind hier schon angespro-
chen worden . Das betrifft wesentlich auch das Thema
Verpackungen .
Mich erreichte heute, wie wahrscheinlich viele Kolle-
ginnen und Kollegen, eine Brandmail von Verbänden, die
Faltschachteln herstellen . Sie haben die große Sorge –
ich habe es mir aufgeschrieben –, zukünftig abgeschrägte
und abgerundete Kanten nicht mehr mit kombinierten
gesundheitsbezogenen Text-Bild-Warnhinweisen bedru-
cken zu können . Ist diese Sorge berechtigt?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Liebe Kollegin, das ist, wenn ich das sagen darf, auch
ein Beispiel für die Kreativität, die hinsichtlich der Be-
achtung von rechtlichen Vorschriften in der Wirtschaft
zu finden ist, um es einmal ganz vorsichtig und freund-
lich auszudrücken . Man rundet die Ecken ab, damit die
schwarzen Ränder der Bilder nicht sichtbar sind . Das
könnte der Grund sein; vielleicht geschieht das auch aus
Praktikabilitätsgründen .
Unsere Aufgabe ist es nun, das so umzusetzen, dass
die Form der Schachtel, die in der Tat nicht konkreter
reguliert ist und auch nicht konkreter reguliert werden
soll, mit den Vorgaben der Warnhinweise korreliert . Ich
sehe da Wege; diese müssen aber auch abgestimmt sein .
Wir sind schon jetzt in Gesprächen mit der Europäischen
Union . Wir haben die Kommission aufgefordert, hier
Klarheit zu schaffen . Denn es besteht in der Tat eine un-
terschiedliche Wahrnehmung in verschiedenen Ländern .
In manchen Ländern ist es akzeptiert, in anderen nicht .
Das soll nicht sein . Ich will auch sagen, dass es uns mehr
auf den Inhalt als auf die Verpackung ankommt .
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch Dank sagen .
Sie gestatteten, Herr Präsident, dass ich jetzt trotz des ro-
ten Signals zwar nicht über die Ampel gehe, aber mich
noch bei der Drogenbeauftragten der Bundesregierung,
Kollegin Mortler, für die intensive Begleitung bei der
Vorbereitung dieses Gesetzgebungsvorhabens bedanke .
Wenn dieser berechtigte Dank innerhalb der einen
Minute stattgefunden hätte, wäre er noch beispielhafter
gewesen . – Jetzt bekommt Frau Vogler noch schnell das
Wort zu einer Nachfrage, und dann fragen wir nach den
anderen Themen .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Minister, Sie
selbst haben ja auf die über 100 000 Tabaktoten jährlich
hingewiesen . Es ist wissenschaftlich unbestritten – das
hat mir auch die Bundesregierung kürzlich in ihrer Ant-
wort auf eine Frage bestätigt –, dass die Gefahren des
Konsums von E-Zigaretten deutlich geringer sind als die
des Tabakrauchens. Vor diesem Hintergrund finde ich es
erklärungsbedürftig, dass die Bundesregierung auf der
einen Seite in den Trilogverhandlungen massiv für schär-
fere Regelungen bei der E-Zigarette eingetreten ist, aber
auf der anderen Seite offensichtlich den Kurs fortsetzt,
dass es in Deutschland europaweit mit die laxeste Tabak-
regulierungsgesetzgebung gibt .
Halten Sie es angesichts der unterschiedlichen Ge-
sundheitsgefahren nicht eher für angemessen, dass die
Bundesregierung Raucherinnen und Raucher zum Um-
stieg auf E-Zigaretten animiert, anstatt da jetzt sozusagen
den Regulierungsknüppel stärker herauszuholen als bei
den Tabakprodukten?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Liebe Kollegin, bei den Trilogverhandlungen war die
Bundesregierung nicht unmittelbar beteiligt . Sie wissen,
dass der Trilog zwischen der Europäischen Kommissi-
on, der Präsidentschaft des Ministerrates und dem Eu-
ropäischen Parlament stattfindet. Allerdings – und das
ist in der Tat unsere Sorge – ergibt sich sowohl aus den
Ausführungen und Statistiken der Drogenbeauftragten
im Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung als
auch aus den Erkenntnissen des Krebsforschungszen-
trums in Heidelberg, dass zunehmend die Gefahr besteht,
dass E-Zigaretten nicht mehr klassischerweise als Ent-
wöhnungsgenussmittel, sondern als Einstiegsinstrument
benutzt werden .
Neben der Erkenntnis, dass es neben Nikotin durchaus
auch weitere Gefahren gibt, müssen wir auch die Tatsa-
che beachten, dass die Flüssigkeiten gefährlich sind . Die
Volumenmenge der Flüssigkeiten in den kleinen Con-
tainern reicht aus, dass es, wenn so ein Container geöffnet
und die Flüssigkeit getrunken wird, zum Exitus kommt .
Wir sollten also sehr sorgfältig damit umgehen . Es geht
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514278
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nicht um Regelungen, sondern es geht um Vorsorge, um
gesundheitliche Prävention .
Vielen Dank . – Damit schließen wir diesen Bereich
ab .
Ich frage nun, ob es Fragen zu anderen Themen der
heutigen Kabinettssitzung oder sonstige Fragen an die
Bundesregierung gibt; Letzteres ist wahrscheinlich . –
Frau Höhn zunächst, und dann Kollege Ströbele .
Herr Minister, heute hat ja die Umweltministerin im
Kabinett ihren Bericht von Paris vorgestellt . Sie hat uns
gerade im Umweltausschuss gesagt, dass sie auf große
Zustimmung gestoßen ist . Ich gehe davon aus, dass dies
auch auf Sie zutrifft . In Paris ist beschlossen worden,
deutlich unter 2 Grad Erwärmung zu bleiben und lang-
fristig sogar das Ziel von nur 1,5 Grad Erwärmung zu
erreichen . Das bedeutet für Industrieländer, dass wir bis
2050 die Emissionen klimaschädlicher Gase um 95 Pro-
zent reduzieren müssen . Das heißt nicht nur Ausstieg aus
der Kohle, nicht nur Ausstieg aus fossilen Kraftstoffen,
sondern heißt auch eine andere Landwirtschaftspolitik .
Es gibt ja seit etwa einem Jahr das Klimaaktionspro-
gramm, das auch einen Beitrag der Landwirtschaft vor-
sieht . Sie hatten also ein Jahr Zeit, sich auf Maßnahmen
einzustellen, die die klimaschädlichen Gase in der Land-
wirtschaft reduzieren . Welche Maßnahmen legen Sie
jetzt auf den Tisch, um dieses Ziel zu erreichen?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Liebe Frau Kollegin, die Bundesregierung insgesamt
ist sehr erfreut über das Ergebnis der 21 . Vertragsstaa-
tenkonferenz in Paris und die verbindlichen Regelungen,
die Sie gerade skizziert haben . Sie ist besonders darü-
ber erfreut, dass es gelungen ist, den sektoralen Blick zu
einem vernetzten Blick weiterzuentwickeln . Das betrifft
auch den Bereich der Landwirtschaft .
Ich selbst war in Paris bei den Verhandlungen und bei
verschiedenen Projekten – eines habe ich selbst präsen-
tiert – mit dabei . Wir verstehen mittlerweile, dass wir
die Landwirtschaft wie alle anderen Wirtschaftszweige
nachhaltig ausrichten müssen . Dazu gehört auch und im
Wesentlichen die CO2-Bindung . Ich habe mit meinem
französischen Kollegen gemeinsam die Initiative „4 pour
1 000“ – auf Deutsch: 4 Promille – auf den Weg gebracht;
das klingt etwas missverständlich .
Es geht darum, den Boden im landwirtschaftlichen Be-
reich mit einem höheren Humusgehalt auszustatten, um
dadurch für eine stärkere CO2-Bindung zu sorgen .
Landwirtschaft und Ernährung sind die Grundlagen
der Zukunft . Wir müssen dazu beitragen, dass sie mit den
Fragen der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes in
Korrelation gebracht werden . Ich denke, dieser Weg wur-
de jetzt in Paris zum ersten Mal beschritten . Die Bundes-
regierung wird diesen Prozess sehr verantwortungsvoll
begleiten und verfolgen .
Kollege Ströbele .
Danke . – Herr Minister Schmidt, ich habe eine Frage
zu Punkt 7 der Tagesordnung, zur Flüchtlingslage . Gott
sei Dank ist der Himmel im Augenblick aufseiten der
Flüchtlinge; er schickt mildes Wetter . Aber der kalte Win-
ter steht vor der Tür, und dann suchen viele Gemeinden
und Bürgermeister dringend nach Notunterkünften für
die Flüchtlinge . Sie erwägen inzwischen – oder führen
sie sogar durch – die Beschlagnahme von leerstehenden
Privaträumen . Ich frage Sie: Gilt diese Erwägung und die
Möglichkeit der Beschlagnahme nach Auffassung der
Bundesregierung auch im Hinblick auf Räume, die von
der öffentlichen Hand genutzt worden sind, insbesondere
auch für das seit April dieses Jahres leerstehende Gebäu-
de des Bundesinnenministeriums, in dem 850 beheizte
Räume mit Toiletten und sanitären Anlagen zur Verfü-
gung stünden?
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Sehr geehrter Herr Kollege, wir haben in der Tat, wie
in jeder Kabinettssitzung, einen Bericht des Bundesin-
nenministers zur Flüchtlingssituation erhalten, und es
wurde auf die Perspektiven, vor allem im Hinblick auf
die morgen in Brüssel stattfindenden Gespräche mit den
betroffenen Ländern und der Türkei, hingewiesen .
Die Frage der Unterbringung ist eine Angelegenheit,
die vor Ort zu regeln ist . Die Detailfragen entziehen sich
meiner Kenntnis . Wir tun gut daran, diese Anregung auf-
zunehmen und diejenigen, die guten Willens sind, für
eine sichere Unterkunft zu sorgen – das gilt für den aller-
größten Teil der Menschen in unserem Lande –, dabei zu
unterstützen, dies erfolgreich zu tun .
Im Übrigen – Herr Präsident, wenn ich das außerhalb
der Tagesordnung sagen darf –: Ich habe ja nun mehre-
re Jahre Erfahrung als Parlamentarischer Staatssekretär
hinter mir und bin froh, Herr Kollege Ströbele, dass wir
uns endlich wieder einmal in solch einem Format treffen .
Sie wissen aus achtjähriger Erfahrung, wie meine Ant-
worten sind . Die heutige ist genauso .
Das wird der Kollege Ströbele als Ermutigung emp-
finden.
Denn er hatte es bis zu dieser Auskunft nicht für möglich
gehalten, dass Sie Entzugserscheinungen entwickeln,
Bundesminister Christian Schmidt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14279
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weil es so lange keine Fragen des Kollegen Ströbele
mehr gab .
Damit beenden wir die Befragung der Bundesregie-
rung .
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf – viel-
leicht unterrichtet jemand die Kanzlerin, dass es jetzt
losgeht –:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat am 17./18. Dezember
2015 in Brüssel
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 77 Minuten vorgesehen . – Dazu höre ich keinen
Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin . – Bitte sehr .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man
hatte mir gesagt, ich solle lieber die Regierungsbank ver-
lassen, da mir ansonsten vielleicht auch noch eine Frage
gestellt werden würde .
Frau Bundeskanzlerin, ich halte es für eine abwegige
Empfehlung, dass Sie, wenn Sie schon einmal versehent-
lich bei einer Regierungsbefragung sind, irgendjemand
auffordert, die Regierungsbank zu verlassen .
Das war auch keiner aus dem Parlament, sondern je-
mand von der Regierungsbank . Ich war jedenfalls lieber
verschwunden .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wir stehen am Ende eines für
Europa turbulenten und sehr schwierigen Jahres, in dem
gerade Deutschland in vielen Bereichen enorm gefordert
war und ist . Ich erinnere an die Situation in der Ukraine,
an Griechenland, an die Euro-Zone, an den Klimaschutz,
an den Kampf gegen den internationalen Terrorismus
und an die vielen Menschen, die bei uns Zuflucht vor
Krieg und Verfolgung suchen .
Wir haben erleben müssen, dass der Zusammenhalt
Europas in diesem Jahr vielfach auf die Probe gestellt
wurde . Ich bin überzeugt, dass gerade Deutschland, das
volkswirtschaftlich stärkste Land Europas, in dieser Zeit
eine besondere Verantwortung wahrzunehmen hat und
dass es oft ganz besonders auf unser Land ankommt,
wenn es darum geht, die Errungenschaften der europä-
ischen Integration zu wahren und zu schützen . Die bei-
den wichtigsten sind für mich die offenen Binnengrenzen
und die gemeinsame Währung . Diese Errungenschaften
zu bewahren, liegt zutiefst in unseren eigenen nationa-
len Interessen. Kein Land in Europa profitiert von diesen
Errungenschaften so wie wir und braucht sie allein auf-
grund der geografischen Lage so wie wir.
Europa hat in den vergangenen Jahrzehnten vieles er-
reicht, von dem vorangegangene Generationen kaum zu
träumen gewagt hätten . Statt in einem Europa des Krie-
ges und der Unfreiheit leben wir heute in einem Europa
des Friedens, der Freiheit, des Wohlstands und der gu-
ten Nachbarschaft, und das ist alles andere als selbstver-
ständlich . Es ist das Ergebnis einer europäischen Politik,
die immer wieder zähes Ringen, intensive Arbeit, Kom-
promissbereitschaft, Kompromissfähigkeit und auch ge-
genseitige Solidarität erfordert . Das ist aus meiner Sicht
wichtiger denn je, da wir in Zeiten leben, in denen wir
unsere Werte und Interessen in einem äußerst harten glo-
balen Wettbewerb behaupten müssen .
Keinem Land in Europa wird es alleine gelingen,
sich dauerhaft erfolgreich im globalen Wettbewerb zu
behaupten . Keinem Land wird es alleine gelingen, den
internationalen Terrorismus zu besiegen oder etwa den
Klimawandel aufzuhalten . Keinem Land wird es alleine
gelingen, die Folgen von weltweiter Flucht und Vertrei-
bung zu bewältigen und ihre Ursachen zu beseitigen .
Keinem Land wird es alleine gelingen, ein Leben in
Wohlstand und Frieden zu sichern .
Deshalb dürfen wir gerade in schwierigen Zeiten nicht
der Versuchung erliegen, in nationalstaatliches Handeln
zurückzufallen . Abschottung ist im 21 . Jahrhundert keine
vernünftige Option .
Nur wer versteht, dass unmittelbare nationale Eigenin-
teressen immer in Verbindung mit unserem gemeinsamen
europäischen Interesse zu sehen sind, kann die globalen
Herausforderungen des 21 . Jahrhunderts erfolgreich be-
wältigen . Deshalb ist es auch selbstverständlich, dass wir
nach den schrecklichen Anschlägen von Paris fest an der
Seite unserer französischen Nachbarn stehen . Die Terror-
angriffe des 13 . November haben nicht nur Frankreich
getroffen; sie galten uns allen, und sie treffen uns Deut-
sche umso mehr, als die enge Freundschaft Deutschlands
mit Frankreich uns einander so nah fühlen lässt .
Die deutsch-französische Freundschaft ist Teil unserer
historischen Verantwortung . Sie ist unverrückbarer Kern
der deutschen Außenpolitik, und sie ist elementar für den
europäischen Einigungsprozess .
Deshalb stehen wir als Mitglied der internationalen Alli-
anz Frankreich im Kampf gegen die Terrormiliz IS aktiv
Präsident Dr. Norbert Lammert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514280
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zur Seite . Die unfassbaren Gräueltaten, die sich jeden
Tag in den vom IS beherrschten Gebieten im Nordirak
und in Syrien ereignen, gehen mit Terrorattacken einher,
die sich gegen die gesamte Weltgemeinschaft richten .
Die vielen Anschläge – nicht nur in Paris, sondern
auch in Tunesien, in der Türkei, im Libanon, im Irak, in
Syrien, in den USA oder gegen Russland – zeigen uns
sehr deutlich, dass der IS eine globale Bedrohung für
Frieden und Sicherheit ist .
Mit Frankreich hat zum ersten Mal ein Mitglied-
staat der Europäischen Union die Beistandsklausel des
EU-Vertrags in Anspruch genommen . Das ist ein klarer
Appell an die gesamte Europäische Union, sich dieser
gemeinsamen Bedrohung geschlossen entgegenzustel-
len . Wir können dies mit vereinten Kräften leisten – mit
unseren Partnern in Europa, in den Vereinigten Staaten
von Amerika und in der Region .
Deutschland stellt sich dieser Verantwortung . Dazu
gehört unsere im letzten Jahr beschlossene Unterstützung
der kurdischen Peschmerga . Dazu gehört der Beschluss
des Deutschen Bundestages vom 4 . Dezember dieses
Jahres, der es uns ermöglicht, mit der Bundeswehr ei-
nen wichtigen und auch wirkungsvollen Beitrag in den
Bereichen Aufklärung, Schutz und Logistik für unsere
Verbündeten im Kampf gegen den IS in Syrien zu leisten .
Untrennbar verbunden ist dieser Beitrag mit all unse-
ren Bemühungen um eine politische Lösung der kata stro-
phalen Lage in Syrien . Das ist das Ziel der Gespräche
in Wien, an denen der Bundesaußenminister teilnimmt,
auch wenn diese Gespräche manchmal nicht in Wien
stattfinden. Es geht darum, den Krieg in Syrien zu be-
enden, und zwar ohne Assad; denn wir dürfen nie ver-
gessen, dass die große Mehrheit der Syrer vor Assad und
seinen Fassbomben flieht. Assad kann niemals Teil einer
langfristigen Lösung sein .
Meine Damen und Herren, auch Deutschland steht im
Fadenkreuz des internationalen Terrorismus, und zwar
nicht erst seit den Anschlägen in Paris . Ich habe großes
Vertrauen in die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden, un-
serer Polizistinnen und Polizisten . Sie sind in diesen Zei-
ten besonders gefordert . Ich möchte die Gelegenheit nut-
zen, ihnen hierfür meinen Dank und meine Anerkennung
im Namen des ganzen Hauses auszusprechen, und den
Innenminister bitten, dies weiterzugeben . Wir brauchen
unsere Sicherheitskräfte . Ich bin sehr dankbar, dass ihr
Etat im Rahmen der Haushaltsberatungen erhöht wurde .
Das ist ganz wichtig .
Wir wissen alle: Absolute Sicherheit gibt es nicht . Ab-
solute Sicherheit ginge nur auf Kosten der Freiheit . Frei-
heit und Sicherheit müssen immer wieder in eine Balance
gebracht werden, eine Balance in dem Bewusstsein, dass
es unsere Werte sind, unsere Art, zu leben, zu arbeiten
und zu wirtschaften, unsere freiheitlich-demokratische
Grundordnung, die unser Leben in Deutschland so le-
benswert machen . Unsere Art, zu leben, unsere Freiheit
und unser Rechtsstaat sind sehr viel stärker als jeder Ter-
ror .
Beim morgen beginnenden Europäischen Rat wer-
den wir besprechen, was wir auf europäischer Ebene tun
können, um den internationalen Terrorismus gemein-
sam zu bekämpfen . Dabei wird es insbesondere darum
gehen, die Beschlüsse, die wir hierzu im Februar dieses
Jahres gefasst haben, konsequent umzusetzen . Dazu ge-
hört, dass wir den Informationsaustausch zwischen den
Mitgliedstaaten weiter verbessern, etwa im Rahmen des
Schengener Informationssystems .
Alle unsere Diskussionen werden auch der Unterstüt-
zung der Innenminister der Europäischen Union dienen,
die auch angesichts des Drucks in einigen wichtigen
Fragen ein Stück weitergekommen sind . Dazu gehört,
dass wir die Finanzierung terroristischer Organisationen
erschweren . Dazu gehört, dass wir bei der Speicherung
von Fluggastdaten vorankommen – da ist einiges gesche-
hen –; denn wenn wir die Reisebewegungen potenzieller
Gefährder nachvollziehen können, verbessert dies na-
türlich unsere Möglichkeiten, zukünftige Anschläge zu
verhindern . Deshalb bin ich sehr froh, dass der Rat und
das Europäische Parlament sich politisch geeinigt haben
und die entsprechende Richtlinie noch in diesem Jahr be-
schlossen werden soll .
Nur wenige Wochen nach den schrecklichen Anschlä-
gen von Paris fand in derselben Stadt die Weltklimakon-
ferenz statt . Schon die Tatsache, dass dieses Welttreffen
der Klimaschützer gerade in dieser Stadt stattfand, war
ein überragendes Zeichen gegen die Angst, die der Terro-
rismus erzeugen will . Dass dieses Welttreffen dann auch
noch so einvernehmlich und so erfolgreich endete, ver-
stärkt dieses Zeichen zusätzlich .
Das Ergebnis ist ein historischer Wendepunkt . Ich
möchte der Bundesumweltministerin und allen Verhand-
lern, auch dem Entwicklungsminister und dem Land-
wirtschaftsminister, ganz herzlich danken . Wir haben uns
sehr intensiv in die Verhandlungen eingebracht . Frank-
reich war ein herausragender Gastgeber mit einer klugen
Konfigurierung der Konferenz, der eine lange Zeit der
Vorbereitung vorausging . Deshalb konnte es zu diesem
historischen Wendepunkt kommen .
Zum ersten Mal in der Geschichte hat sich die gesamte
Weltgemeinschaft dazu verpflichtet, gemeinsam und ent-
schlossen im Kampf gegen die globale Klimaverände-
rung zu handeln . Alle Staaten wollen die Erderwärmung
deutlich unter 2 Grad halten, und sie wollen sich anstren-
gen, sie auf 1,5 Grad zu begrenzen . Das ist auch ein ganz
wichtiges Signal in Richtung der kleinen Inselstaaten .
Und alle Staaten verpflichten sich dazu, ihren Beitrag zu
leisten .
Das ist nicht nur ein kraftvolles Zeichen der Hoffnung
für den globalen Klimaschutz und eine echte Weichen-
stellung der Welt in Richtung einer globalen Energie-
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14281
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wende . Der Beschluss kann auch dazu beitragen, die Le-
bensbedingungen von Milliarden Menschen in Zukunft
zu sichern . Dieser neue Rahmen muss jetzt natürlich en-
gagiert mit Leben erfüllt werden . Sie werden morgen in
einer Aktuellen Stunde noch einmal vertieft über genau
dieses Thema diskutieren .
Meine Damen und Herren, der Wert der deutsch-fran-
zösischen Zusammenarbeit zeigt sich auch mit Blick auf
die Ukraine, die uns in diesem Jahr stark beschäftigt hat .
Das Minsker Maßnahmenpaket vom Februar, an dem
Deutschland und Frankreich maßgeblich beteiligt wa-
ren, hat zu einer Beruhigung der Lage beigetragen, auch
wenn die Kampfhandlungen immer noch nicht völlig
zum Erliegen gekommen sind .
Es bleibt dabei: Eine mögliche Aufhebung der Sank-
tionen gegen Russland ist mit der vollständigen Umset-
zung des Minsker Pakets verknüpft . Das haben wir noch
nicht erreicht . Deshalb werden der Bundesaußenminister
und ich uns dafür einsetzen, dass nicht nur die Minsker
Vereinbarungen, sondern auch die bestehenden Sanktio-
nen verlängert werden . Aber wir werden vor allen Din-
gen daran arbeiten, dass die Minsker Vereinbarungen
vorankommen .
Wir stehen jetzt vor der komplizierten Frage, wie die
Lokalwahlen in den Gebieten von Donezk und Luhansk
abgehalten werden können . Das ist eine große, schwieri-
ge Aufgabe . Das kann sich jeder vorstellen . Wir haben in
Minsk vereinbart – darauf will ich noch einmal hinwei-
sen –, dass sie nach den Regeln von ODIHR, also der für
Wahlen zuständigen Organisation der OSZE, stattfinden.
Auf dieser Grundlage müssen die Arbeiten jetzt in der
Kontaktgruppe intensiviert werden . Eine Aufhebung der
Sanktionen, die mit Blick auf die völkerrechtswidrige
Annexion der Krim beschlossen wurden, steht ohnehin
zurzeit natürlich nicht zur Debatte .
Bei dem morgen beginnenden Europäischen Rat wer-
den wir selbstverständlich auch über Großbritannien
sprechen . Die Bundesregierung beteiligt sich konstruktiv
an den Verhandlungen . Großbritannien wird seine For-
derungen vorbringen, und wir wissen, dass die Aufgabe,
hier eine Lösung zu finden, sehr anspruchsvoll ist.
Wir wollen einerseits zu einer Vereinbarung kom-
men, mit der die britische Regierung beim geplanten
Referendum erfolgreich für einen Verbleib in der Euro-
päischen Union werben kann . Andererseits wollen und
werden wir die grundlegenden Errungenschaften der eu-
ropäischen Integration dabei nicht infrage stellen . Dazu
gehören insbesondere das Prinzip der Freizügigkeit und
das Prinzip der Nichtdiskriminierung zwischen den eu-
ropäischen Bürgerinnen und Bürgern . Diese Prinzipien
stehen nicht zur Disposition .
Was uns Hoffnung gibt, ist, dass bislang immer gute
und einvernehmliche Lösungen gefunden wurden, wenn
ein Mitgliedstaat Klärungsbedarf bezüglich seiner Rolle
in der Europäischen Union sah . Das war 1992 bei Däne-
mark der Fall, und das war 2008 bei Irland der Fall . Ich
bin deshalb auch zuversichtlich, dass es auch dieses Mal
mit Großbritannien gelingen kann .
Die Bundesregierung wird, wo immer es geht, ihren
Beitrag dazu leisten . Der Präsident des Europäischen Ra-
tes, Donald Tusk, koordiniert die Verhandlungen . Er hat
seine bisherigen Einschätzungen in einem Brief an die
Staats- und Regierungschefs zusammengefasst, der mor-
gen auch die Grundlage für eine politische Aussprache
im Europäischen Rat bilden wird .
Die morgige Debatte ist allerdings nur eine Zwischen-
station . Denn am Ende wird es sehr auf die Details und
die Ausgestaltung einer möglichen Vereinbarung ankom-
men . Deutschland jedenfalls wünscht sich, dass Groß-
britannien dauerhaft ein aktiver Partner in einer starken
Europäischen Union bleibt .
Denn es ist eben nicht nur das Vereinigte Königreich
selbst, das von seiner Mitgliedschaft profitiert; es ist auch
die Europäische Union als Ganzes, die ohne das Verei-
nigte Königreich deutlich an Gewicht verlieren würde .
Großbritannien, das ist nicht nur der drittgrößte Mit-
gliedstaat, und das sind nicht nur 15 Prozent der Wirt-
schaftskraft der Europäischen Union . Großbritannien,
das ist auch die Wiege des modernen Parlamentarismus
und ein Wegbereiter unserer gemeinsamen europäischen
Werte . Ihre Grundsteine wurden bereits im 17 . Jahrhun-
dert in England gelegt . Alle demokratischen Grundord-
nungen im heutigen Europa gehen ganz maßgeblich da-
rauf zurück .
Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik ist Groß-
britannien ein enger und verlässlicher Partner, gerade
für uns in Deutschland, aber auch für ganz Europa . Als
ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat – und nicht nur
dort – trägt Großbritannien ganz erheblich zum Gewicht
der Europäischen Union in der Welt bei . Das ist gerade
in diesen Zeiten von enormer Bedeutung, in Zeiten, in
denen Europa international gefordert ist wie nie zuvor .
Und Großbritannien ist für mich ein Land, das in vie-
len europäischen Politikbereichen ähnliche Ziele verfolgt
wie Deutschland . Es ist in vielen Fragen ein natürlicher
Verbündeter . Das gilt vor allem dann, wenn es darum
geht, Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäfti-
gung zu fördern und den europäischen Binnenmarkt zu
stärken . Dies ist dringend nötig; denn Europa muss auf
einem wirtschaftlich soliden Fundament stehen, um auch
alle anderen Herausforderungen überhaupt bewältigen zu
können .
Deshalb ist es wichtig, dass sich der Europäische Rat
auch mit dieser Frage beschäftigt . Wir dürfen nie verges-
sen, dass der europäische Binnenmarkt eine einzigartige
Erfolgsgeschichte ist, von der mehr als 500 Millionen
Bürgerinnen und Bürger jeden Tag profitieren. Aber er
muss in einigen Bereichen wesentlich gestärkt werden .
Wir brauchen einen echten digitalen Binnenmarkt, der die
Attraktivität des Standorts Europa für global agierende
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514282
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digitale Akteure verbessert . Herzlichen Dank an Thomas
de Maizière und alle anderen Regierungsmitglieder, die
daran mitgewirkt haben, dass die Datenschutz-Grundver-
ordnung jetzt sozusagen verabschiedungsreif ist,
– auch wenn es einige Unzufriedenheiten gibt . Es ist ein
Schritt in Richtung Binnenmarkt .
– Na, das fällt mir schwer, echt .
Also, darüber reden wir später einmal, wenn das Ganze
in Kraft ist .
– Ja, wenn Sie flexibel sind, dann schaffen wir das.
Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es hätte ja kein
Trilogergebnis gegeben, wenn nicht auch Herr Albrecht
sich bewegt hätte; das ist richtig . Aber ich hoffe, dass es
für die erforderliche Wertschöpfung in Europa ausreicht,
wenn es dann um die Verarbeitung großer Datenmengen
geht . Da werden wir sicherlich im Gespräch bleiben . –
Gehen wir lieber zur Energie; das ist einfacher .
Wir brauchen eine Energieunion mit einem funkti-
onierenden Binnenmarkt für Strom und Gas, der euro-
paweit eine sichere, bezahlbare und umweltverträgliche
Energieversorgung gewährleistet . Zudem brauchen wir
eine Kapitalmarktunion, die vor allem für kleine und
mittlere Unternehmen den Zugang zur Finanzierung ver-
bessert und die Investitionen in Infrastruktur erleichtert .
Entscheidend für den künftigen Wohlstand in Europa
ist auch der Freihandel . Deshalb muss es unser Ziel sein,
die Verhandlungen für das Transatlantische Freihandels-
abkommen im Laufe des kommenden Jahres abzuschlie-
ßen .
Die Wirtschafts- und Währungsunion krisenfester zu
machen, wird ebenfalls weiter unsere Aufgabe sein . Vor-
dringlich ist hier vor allem die glaubhafte Umsetzung
der bereits beschlossenen Regeln und Maßnahmen . Zu-
dem sollten die Risiken im Finanzsektor weiter abgebaut
werden, einschließlich der Risiken aus dem Staatssektor .
Eine Vergemeinschaftung der europäischen Einlagensi-
cherung hätte das Gegenteil zur Folge . Deshalb halten
wir sie für falsch, und deshalb lehnen wir sie ab .
– Fragen Sie mal bei den Sparkassen und bei den Volks-
banken nach .
Meine Damen und Herren, die Zahl und die Art der
Herausforderungen auf europäischer Ebene sind viel-
fältig . Zu den dringlichsten Herausforderungen gehört
weiterhin auch die, die Europa durch die vielen Flücht-
linge zu bewältigen hat, und diese Herausforderung wird
auch beim kommenden Rat wieder einen breiten Raum
einnehmen . Wir wissen: Vor uns liegt noch ein steiniger
Weg, den wir mit Entschlossenheit und mit langem Atem
gehen müssen . Wir haben jetzt auf nationaler Ebene eine
Reihe von Entscheidungen getroffen . Andere werden
folgen . Denken wir zum Beispiel an den Entwurf eines
Gesetzes zur Verbesserung des Datenaustauschs, den wir
in der vergangenen Woche im Kabinett verabschiedet ha-
ben . Die darin enthaltenen Maßnahmen werden helfen,
die Identifizierung und Registrierung von Asylbewerbern
deutlich zu verbessern . Maßnahmen auf nationaler Ebene
werden dazu beitragen, die Flüchtlingsbewegung zu ord-
nen und zu steuern, mit Blick auf die konsequente Rück-
führung abgelehnter Asylbewerber auch zu reduzieren .
Sie müssen aber verbunden sein mit gesamteuropäischen
und internationalen Antworten, um die Zahl der Flücht-
linge tatsächlich nachhaltig zu reduzieren .
Das beginnt damit, dass wir darauf bestehen, dass be-
reits gefasste Beschlüsse konsequent umgesetzt werden .
Das gilt insbesondere für die Errichtung der Hotspots in
Italien und Griechenland, damit wir an den Außengren-
zen der EU zu geordneten Verhältnissen zurückkehren .
Das gilt für die beschlossene Umverteilung von
160 000 schutzbedürftigen Flüchtlingen aus Italien und
Griechenland, die viel zu langsam vorankommt, weil die
Voraussetzung natürlich die Hotspots sind . Nur dann,
wenn nicht nur registriert wird, sondern auch rückge-
führt und verteilt wird in Europa, ist ein funktionierender
Hotspot auch als solcher anzusehen .
Das gilt natürlich auch für den Schutz der Außen-
grenzen der Europäischen Union . Die Europäische
Kommission hat hierzu wichtige Vorschläge vorgelegt,
die nicht nur in die richtige Richtung gehen, sondern in
ihrer Reichweite noch vor einem Jahr kaum vorstellbar
gewesen wären . Dabei geht es darum, der europäischen
Grenzschutzagentur Frontex mehr Befugnisse zu ertei-
len, damit sie gegebenenfalls im äußersten Notfall auch
eigenständig agieren kann . Es geht darum, auf europä-
ischer Ebene Grenzschützer und Material bereitzuhal-
ten, die im Bedarfsfall flexibel in den betroffenen Mit-
gliedstaaten eingesetzt werden können . Es geht darum,
Frontex eine größere Rolle bei den notwendigen Rück-
führungen einzuräumen bei Flüchtlingen, die keinen
Schutzanspruch in der Europäischen Union haben .
Natürlich berührt der Grenzschutz ganz wesentliche
Fragen nationalstaatlicher Souveränität . Natürlich wer-
den auch wir sehr genau und sorgfältig abwägen müssen,
welche Maßnahmen in Zukunft auf welcher Ebene ver-
antwortet werden sollen. Aber ich finde es ermutigend
und richtig, dass sich die Diskussion in diesem Bereich
weiterentwickelt hat . Ich werde mich daher beim Euro-
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14283
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päischen Rat dafür einsetzen, dass die Vorschläge der
Europäischen Kommission möglichst rasch beraten und
verabschiedet werden können .
Schon heute leistet Deutschland mit 100 zusätzlichen
Experten für Frontex einen wesentlichen Beitrag zum
Schutz der Außengrenzen . Auch alle anderen müssen
ihre Zusagen einhalten und rasch handeln, um die ge-
troffenen Beschlüsse schnell und erfolgreich umzuset-
zen . Wo immer nötig, sind wir auch zu bilateraler Unter-
stützung bereit . Selbstverständlich werden wir uns auch
weiterhin für eine faire Verteilung der Flüchtlinge auf die
Mitgliedstaaten der Europäischen Union einsetzen, für
die wir nach unserer Auffassung einen dauerhaften und
verbindlichen Mechanismus brauchen; denn auch das ist
für uns eine Frage elementarer europäischer Solidarität .
Ich weiß, dass dies ein wahrlich dickes Brett ist, das
es zu bohren gilt – mit viel Geduld, langem Atem und
auch mit Überzeugungskraft . Sicherlich wird der Euro-
päische Rat morgen noch nicht den Durchbruch erzielen .
Aber die Geschichte Europas lehrt, dass sich Geduld und
Zähigkeit am Ende eines langen Weges noch immer aus-
gezahlt haben .
Meine Damen und Herren, es ist im Interesse aller,
die Zahl der Menschen, die in Europa Zuflucht suchen,
zu reduzieren . Das ist im deutschen Interesse, das ist im
europäischen Interesse, und das ist auch im Interesse der
Flüchtlinge selbst, damit sie sich erst gar nicht auf den
lebensgefährlichen Weg quer durch Europa machen müs-
sen . Um das zu schaffen, ist es von zentraler Bedeutung,
die Fluchtursachen zu bekämpfen . Deshalb haben wir am
25 . Oktober mit den Staaten entlang der Westbalkanroute
eine Verbesserung des Informationsaustauschs und der
humanitären Versorgung vereinbart . Deshalb haben wir
am 11 . und 12 . November in Valletta eine enge Zusam-
menarbeit zwischen Europäischer Union und unseren af-
rikanischen Partnern vereinbart . Deshalb haben wir am
29 . November beim EU-Türkei-Gipfel die Grundlage für
eine langfristige migrationspolitische Partnerschaft mit
der Türkei geschaffen .
Die Türkei ist und bleibt für die Europäische Union
ein Schlüsselpartner . Sie ist zurzeit das wichtigste Tran-
sitland nach Europa, und sie beherbergt mehr als 2 Milli-
onen Flüchtlinge im eigenen Land . Wir haben zugesagt,
3 Milliarden Euro bereitzustellen . Ich bin dem Finanz-
minister sehr dankbar, dass er die Verhandlungen darü-
ber, wie dies geschehen kann, in Gang gesetzt hat . Ich
hoffe, dass wir dabei Erfolg haben werden . Wir wollen
diese 3 Milliarden Euro einsetzen, um die Lebenssitu-
ation der Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern und
damit Fluchtursachen zu bekämpfen; denn je besser die
Lebenssituation der Flüchtlinge innerhalb der Türkei ist,
desto geringer wird die Not, den gefährlichen Weg nach
Europa zu wagen .
Im Gegenzug erwarten wir von der Türkei einen bes-
seren Schutz ihrer Grenze zur EU, eine konsequentere
Seenotrettung in der Ägäis und eine effektivere Bekämp-
fung der Schleuserkriminalität .
Auch darüber werde ich morgen vor Beginn des Euro-
päischen Rates mit dem türkischen Ministerpräsidenten
Davutoglu und weiteren Staats- und Regierungschefs
sprechen .
Durch die Zusammenarbeit mit der Türkei wird es
möglich sein, legale Zuwanderungsmöglichkeiten zu
schaffen, beispielsweise durch legale Kontingente, mit
denen wir der illegalen Migration entgegentreten . Vor-
aussetzung dafür ist natürlich, dass die illegale Migration
bis dahin zurückgegangen ist . Die Europäische Kommis-
sion hat dazu gestern wiederum einen Vorschlag vorge-
legt . Ich bin der Kommission sehr dankbar, dass sie in
all diesen Fragen sehr zügig ihre Vorschläge vorlegt und
damit die Arbeit voranbringt .
Wenn uns all das gelingt, werden wir sehr viel erreicht
haben, und zwar wirklich im wahrsten Sinne des Wortes
zum Wohle aller und ganz besonders zum Wohle der be-
troffenen Menschen . Ich will hier noch hinzufügen – das
spielt morgen keine Rolle –, dass wir natürlich nicht nur
unsere Leistungen für UNHCR und Welternährungspro-
gramm erbracht haben, dass wir nicht nur andere ermu-
tigt haben – ich erinnere an die Konferenz des Bundesau-
ßenministers in New York –, sondern dass am 4 . Februar
2016 der britische Premierminister, meine norwegische
Kollegin, der Emir von Kuwait und ich eine Konferenz
durchführen werden, auf der wir versuchen werden,
möglichst viel des Geldes zusammenzubekommen, das
für UNHCR und Welternährungsprogramm für 2016 not-
wendig ist, damit nicht wieder von Monat zu Monat die
Frage im Raum steht: Haben wir genug Geld, oder haben
wir nicht genug Geld?
Das ist ein Zustand, der wirklich nicht zumutbar ist . Zur
Stunde sind wieder nur etwas mehr als jeweils 50 Pro-
zent der Finanzzusagen für die Organisationen da .
Wir wissen: Es gibt für all diese Probleme nicht die
eine Lösung, die alle Probleme auf einen Schlag behe-
ben könnte . Wir müssen an vielen Stellen gleichzeitig
ansetzen . Ich will hier auch noch an die Verhandlungen
erinnern, die zur Stunde zu Libyen stattfinden. Der Bun-
desaußenminister war vor wenigen Tagen in Rom und
ein deutscher Diplomat, Herr Kobler, ist dabei, intensiv
mit anderen daran zu arbeiten, eine Einheitsregierung in
Libyen zustande zu bringen – eine Einheitsregierung, die
auch trägt und die uns dann in die Lage versetzt, mit der
libyschen Regierung über die Frage, wie illegale Migra-
tion über die betroffenen Küstengebiete in Libyen einge-
dämmt werden kann, in Verhandlungen zu treten .
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514284
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(D)
Wir müssen bei all dem, was wir tun, an den Zusam-
menhalt der Europäischen Union und an unsere gemein-
same Verantwortung für Europa und für unsere Werte
denken . Ich werde bei all meinen Gesprächen beim mor-
gigen Europäischen Rat zu unterschiedlichen Themen,
wie sie dort beraten werden können, immer den Grund-
gedanken haben, unser gemeinsames Europa zu stärken .
Deutschland wird dafür seinen Beitrag leisten .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne
hat der Präsident des slowakischen Parlamentes, Peter
Pellegrini, zusammen mit dem Vorsitzenden der Freund-
schaftsgruppe unserer beiden Parlamente und dem Herrn
Botschafter Platz genommen . Herzlich willkommen!
Wir freuen uns über Ihren Besuch und über Ihr besonde-
res Interesse an dieser uns gemeinsam besonders beunru-
higenden Fragestellung .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat nun der Kol-
lege Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, dass Deutsch-
land im Fadenkreuz des Terrorismus steht . Ich hatte am
vergangenen Sonntag ein sehr bedrückendes Erlebnis .
Ich habe einen Weihnachtsmarkt in Berlin besucht . Da
gab es plötzlich eine laute Explosion, danach eine riesige
Stichflamme. Ich habe ganz viele Menschen gesehen, die
mit vor Schrecken geweiteten Augen zum Ausgang ge-
stürzt sind . Später war zu erfahren, dass es sich „nur“ um
eine Gasflasche an einem Glühweinstand handelte. Aber
wir können uns vermutlich alle vorstellen, welche Bilder
die Besucherinnen und Besucher des Weihnachtsmarkts
vor Augen hatten . Ich glaube, das ist auch ein Ausdruck
dafür, dass sich unsere Gesellschaft schon jetzt verändert
hat – durch die Terroranschläge, auch durch die Debatten
über die Flüchtlinge .
Wir stehen am Ende eines Jahres, das außergewöhn-
lich war. Europa befindet sich wie Deutschland am Ende
des Jahres an einem Scheideweg . Die Frage ist, ob sozi-
ale Gerechtigkeit, demokratischer Ausgleich und fried-
liche Konfliktlösung die nationale und internationale
Politik beherrschen oder ob Drohungen, Boykotte und
Waffenklirren diese bestimmen . Die Antwort ist offen,
und die Signale sind widersprüchlich . Die Reaktionen
der Menschen in Paris, in Berlin und London nach den
Attentaten waren klar . Sie sagten: Ihr macht uns unse-
re Demokratie nicht kaputt, wir lassen uns unser Leben
nicht zerstören, wir lassen uns die offene Gesellschaft
nicht kaputtmachen, wir geben kein Stück Freiheit frei-
willig her . – Das, meine Damen und Herren, muss auch
unser Signal sein .
Wir haben auf dem Klimagipfel erlebt, dass in buch-
stäblich letzter Sekunde klar geworden ist: Es geht ums
Überleben . Die Freudentränen von Frau Hendricks wa-
ren ein positiver Ausdruck . In der Flüchtlingspolitik
allerdings finden die Staaten der Europäischen Union
nicht zu einem solidarischen Miteinander . Hier geht es
tagtäglich um Leben und Tod . Wir dürfen uns nicht da-
ran gewöhnen, dass Menschen, darunter viele Kinder,
monatelang in Flüchtlingstrecks unterwegs sind oder gar
im Mittelmeer ertrinken . Dagegen muss entschlossen
und entschlossener gehandelt werden . Da ist Führung in
Menschlichkeit angesagt .
Wir alle sind gemeinsam in der Verantwortung – die
Bundeskanzlerin hat darauf verwiesen –, die Werte der
Aufklärung, nämlich Freiheit, Gleichheit und Brüder-
lichkeit, in die Europäische Union nicht nur einzubrin-
gen, sondern diese auch zu verteidigen . Da erwarte ich,
Frau Bundeskanzlerin, dass Sie mindestens die Position
des CDU-Parteitags auch in die Debatten mit Ihren euro-
päischen Partnern einbringen, mit Herrn Orban, mit der
neuen polnischen Führung, mit anderen, die sich einer
Solidarität mit Flüchtenden konsequent verweigern . Das
muss die Mindesthaltung sein, die wir haben .
Es ist aber, glaube ich, kein Zufall, dass in Ihrer ge-
samten Rede das Wort „sozial“ nicht vorgekommen ist .
Wenn ich die Formulierung „Fluchtursachen bekämp-
fen“ höre, dann kann ich nur sagen: Das ist inzwischen
leider zu einer Phrase geworden . Wie geht denn die Be-
kämpfung der Fluchtursachen zusammen mit der Tatsa-
che, dass wir weiterhin Waffen nach Saudi-Arabien und
nach Katar exportieren?
In dieser Woche ist der SIPRI-Bericht veröffent-
licht worden . Darin enthalten ist die positive Meldung,
dass die Waffenexporte weltweit zurückgehen . Aber es
gibt Ausnahmen . In Europa sind das zwei Länder: die
Schweiz und Deutschland . Dann kommen noch Südko-
rea und Russland hinzu . Das ist doch nicht hinnehmbar .
Warum machen wir das weiter? Warum exportieren wir
Waffen in alle Welt?
Wir haben am Wochenende die Parteitage gehabt und
da doch sehr problematische Weihnachtsbotschaften ge-
hört . Ich will auf einige ganz kurz eingehen . Herr Gabriel
hat auf dem Parteitag gesagt: Die Bundeskanzlerin und
der Finanzminister haben einen Beitrag zum Aufschwung
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14285
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des Front National durch ihre Austeritätspolitik geleistet .
Wenn das denn stimmt, dann sage ich Ihnen: Mit denen
koalieren Sie doch . Wenn das wirklich wahr ist, dann
müssen Sie doch handeln und wirklich etwas verändern .
Herr Gabriel sagt: Wenn Bodentruppen eingesetzt
werden sollen, dann müssen wir einen Mitgliederent-
scheid durchführen . – Erst einmal macht mich das nach-
denklich . Offensichtlich hält er das wirklich für möglich .
Ich frage mich: Wenn es dazu einen Mitgliederentscheid
geben soll, wieso denn dann eigentlich nicht einen über
den Einsatz in Mali oder einen über die Flugunterstüt-
zung in Syrien? Sind das nicht dieselben Handlungen?
Zumindest diese Frage müssen doch auch Sie sich stel-
len .
Dann will ich auch ein Wort zum Bundesaußenminis-
ter sagen: Auf dem Parteitag sagten Sie: Diejenigen, die
mit Nein stimmen, also die Linken, sind Heuchler . – Zu-
nächst einmal will ich festhalten: Dann sind auch circa
30 SPD-Abgeordnete Heuchler . Dann sind die Grünen in
der Mehrzahl Heuchler . Und dann ist auch jemand wie
Matteo Renzi aus Italien ein Heuchler; denn er hat mit
derselben Begründung, mit der auch wir Nein gesagt ha-
ben, für Italien Nein gesagt . Das kann nicht wahr sein .
Auch diejenigen, die Nein gesagt haben, haben verant-
wortungsvoll über ihre Entscheidung nachgedacht, Herr
Steinmeier .
Frau Bundeskanzlerin, ich wünsche mir für Ihr Agie-
ren beim Europäischen Rat drei Dinge:
Erstens . Werben Sie für eine Allianz gegen den Krieg .
Terror lässt sich nicht mit Krieg bekämpfen .
Es muss Schluss sein mit der Spirale der Gewalt, meine
Damen und Herren! Wir haben in Libyen und im Irak
gesehen: Diktatoren sind weggebombt worden, aber den
Staaten und Völkern ist keine Perspektive eröffnet wor-
den . Ja, Assad hat sich auf das Schlimmste am syrischen
Volk vergangen . Das ist unbestritten . Aber Bomben und
Tornados werden diesem Volk keinen Frieden bringen .
Zweitens . Werben Sie beim Europäischen Rat für die
Einsicht, dass Quoten, Missgunst und Unfreundlichkeit
Menschen nicht abschrecken, denen es um das Leben
geht .
Sie lassen sich von Hotspots, Mauern, Zäunen und Fron-
tex nicht aufhalten . Wenn ich mich recht entsinne, waren
wir doch diejenigen, die Anfang des Jahres noch gegen
die Quoten waren . Und jetzt wundern wir uns, dass Grie-
chen und Italiener dazu plötzlich eine andere Haltung
haben . Bringen Sie Ihre Autorität ins Spiel, damit Flücht-
lingspolitik keine Abschottungs- und Ausgrenzungspoli-
tik, sondern Menschenrechtspolitik wird .
In diesem Zusammenhang betone ich: Ja, ich unterstüt-
ze Ihre Haltung, dass die finanziellen Beiträge für die
Flüchtlingshilfe wichtig sind, von wem auch immer sie
kommen, meinetwegen auch von dem Emir von Ku-
wait – völlig wurscht, Hauptsache, die Mittel stehen zur
Verfügung . Das ist in Ordnung . Aber es ist natürlich ein
verheerendes Signal, wenn die Milliardenzahlungen der
EU-Staaten an die Türkei faktisch einen Aktionsplan zur
Flüchtlingsabwehr unterstützen . Die 3 Milliarden Euro
dürfen nicht an Erdogan gehen, sondern wenn sie gezahlt
werden, dann müssen sie Flüchtlingsorganisationen zu-
gutekommen, meine Damen und Herren .
Das müssen Sie korrigieren . Dieses Geld muss doch bei
den 2 Millionen Flüchtlingen aus Syrien ankommen und
darf nicht etwa Herrn Erdogan zum Verteilen gegeben
werden .
Meine dritte Bitte lautet kurz und knapp: Üben Sie
gemeinsam mit den anderen EU-Staaten Druck auf die
türkische Regierung aus, wenn Sie mit dem Minister-
präsidenten reden . Es kann nicht sein, dass die Beitritts-
verhandlungen fortgeführt werden, solange die Türkei
ein Transitland des Terrors ist, solange die Türkei Krieg
gegen Kurdinnen und Kurden führt, solange die Türkei
grundlegende Menschenrechte missachtet . Das kann
nicht sein . Entwickeln wir Europa als Solidargemein-
schaft oder als Bollwerk? Das ist die Frage . Frau Bun-
deskanzlerin, sorgen Sie für eine zukunftsfähige Antwort
darauf!
Danke schön .
Vielen Dank, Dietmar Bartsch . – Nächster Redner in
der Debatte ist Thomas Oppermann für die SPD .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 2015
war ganz gewiss kein einfaches Jahr für uns in Deutsch-
land . Für die Europäische Union war es sogar wohl das
schwierigste Jahr der letzten Jahrzehnte . Die Terroran-
schläge von Paris, der Kampf um den Verbleib von Grie-
chenland in der Euro-Zone und nicht zuletzt die Flücht-
lingskrise mit Millionen Flüchtlingen sind gleich drei
große Herausforderungen, auf die Europa eine Antwort
geben muss . Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass un-
sere osteuropäischen Partner noch immer unter dem Ein-
druck der russischen Aggressivität in der Ukraine stehen
und sie als Gefahr für sich selbst wahrnehmen . Diese
Krisen haben die Europäische Union teilweise an den
Rand ihrer Möglichkeiten gebracht .
Gut ist, dass Europa nach den Terroranschlägen in
Frankreich zusammengeblieben ist und dass wir gemein-
sam handeln, ohne dass wir uns darauf einlassen, Freiheit
und Sicherheit gegeneinander auszuspielen . Ich bin froh,
dass wir es im Sommer geschafft haben, Griechenland
in der Euro-Zone zu halten . Ich wage gar nicht, mir aus-
Dr. Dietmar Bartsch
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514286
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zumalen, was passiert wäre, wenn Griechenland mitten
in der Flüchtlingskrise bankrottgegangen wäre . Gut, dass
uns das erspart geblieben ist .
Sorgen bereitet mir aber das Ausmaß, in dem in der
Flüchtlingsfrage die Solidarität zwischen den EU-Län-
dern verloren geht .
Was mich am allermeisten beunruhigt, ist der kaum
gebremste Vormarsch von nationalistischen und popu-
listischen Kräften in ganz Europa . Auch wenn der Front
National die Stichwahlen zum Glück verloren hat, darf
uns nicht kaltlassen, dass in Frankreich am letzten Sonn-
tag 6,8 Millionen Wählerinnen und Wähler eine rechts-
nationale, populistische Partei gewählt haben .
In Ungarn sieht Viktor Orban in der autoritären Füh-
rerschaft von Wladimir Putin ein Vorbild für sein Land .
In Polen lässt die neue rechtsnationale Regierung als ers-
te Amtshandlung die Europafahne einziehen . Die Partei
der polnischen Regierungschefin PiS bildet mit der AfD
im Europäischen Parlament eine gemeinsame Fraktion
und betreibt dort Fundamentalopposition gegen Europa .
Selbst im prosperierenden Schweden liegen die völki-
schen und nationalsozialistischen Schwedendemokraten
jetzt inzwischen bei 16 Prozent . Wenn wir das nicht stop-
pen, dann wird es ganz schnell duster in Europa .
Wenn einzelne Länder glauben, dass der Nationalis-
mus für sie eine Lösung ist, dann wäre das der größte
Irrtum dieser Zeit . In Wirklichkeit wäre es die Wiederho-
lung eines großen Irrtums; denn nationalistische Lösun-
gen sind immer Scheinlösungen .
In den vergangenen 70 Jahren war es gerade die
Überwindung von Nationalismus, die Europa Frieden
und Wohlstand gebracht hat . Für diese historische Leis-
tung hat die Europäische Union den Friedensnobelpreis
bekommen . Fast alle Probleme, die wir heute haben –
egal ob es Flüchtlinge, Sicherheitsfragen, Finanzmärk-
te, Steuersysteme, Klimawandel, Energieerfordernisse
oder Wertschöpfungsketten sind – und auf die wir eine
Antwort suchen, sind transnational . Sie machen weder
an nationalen Grenzen halt, noch können sie innerhalb
nationaler Grenzen und in nationaler Souveränität gelöst
werden . Das geht nur mit europäischen Antworten .
Wenn sich jetzt trotzdem wieder Nationalismus und
nationalstaatliches Denken in Europa durchsetzen, dann
wird es danach jedem einzelnen europäischen Land
schlechter gehen als vorher . Es wäre das Ende von Eu-
ropa als Friedensmacht und das Ende einer offenen eu-
ropäischen Gesellschaft . Und das dürfen wir nicht hin-
nehmen .
Die europäischen Demokratien müssen alles dafür
tun, um diese Entwicklung zu stoppen . Was uns nicht
hilft, sind Appelle an die Vernunft . Was uns auch nicht
hilft, ist, die EU permanent schlechtzureden . Aber die
Europäische Union muss jetzt ihre Handlungsfähigkeit
unter Beweis stellen . Wenn es 195 Staaten schaffen, sich
in Paris auf ein völkerrechtlich verbindliches, weltwei-
tes Klimaschutzabkommen zu verständigen, dann muss
es auch 28 Mitgliedsländern der Europäischen Union
gelingen, sich in den wesentlichen Fragen zusammen-
zuraufen . Dazu gehören für mich vor allem Sicherheit,
Gerechtigkeit und Wachstum .
Sicherheit bedeutet für viele Menschen, dass der Staat
in der Lage sein muss, seine Außengrenzen zu schützen .
Die türkisch-griechische Grenze ist praktisch offen . Was
dort bis jetzt passiert, das bestimmen ausschließlich kri-
minelle Schleuserorganisationen, die an den Flüchtlin-
gen Milliarden verdient haben . Die chaotische Situation
an den europäischen Außengrenzen ist ein zusätzlicher
Nährboden für Rechtspopulisten und Nationalisten in
diesem Land . Das darf nicht so bleiben, weil es früher
oder später zu einer Renationalisierung der Grenzen im
Schengen-Raum kommen würde . Genau das wollen wir
unbedingt vermeiden .
Deshalb ist die von der Bundeskanzlerin beschriebe-
ne Zusammenarbeit mit der Türkei unerlässlich . Europa
muss aber auch eigene Maßnahmen ergreifen für eine
funktionierende Grenzsicherung . Ich hoffe, dass sich der
Europäische Rat morgen auf einen Ausbau von Frontex
zu einer modernen Grenzschutzbehörde einigen kann .
Wenn Mitgliedstaaten wie Griechenland nicht in der
Lage sind, ihre eigenen Grenzen zu sichern, dann muss
die EU in einer solchen Situation auch eingreifen kön-
nen .
Ein effektiver Grenz- und Küstenschutz bedeutet in-
dessen keine Abschottung von Europa . Im Gegenteil:
Wir werden unsere humanitären Verpflichtungen erfül-
len, indem wir großzügig Kontingente aufnehmen und
dadurch Schlepperorganisationen ausschalten .
1,5 Millionen Flüchtlinge sind für 500 Millionen
Europäerinnen und Europäer eigentlich kein Problem –
wenn sich alle beteiligen . Deshalb – bei allem Verständ-
nis für die Probleme der osteuropäischen Länder –: Ein
Minimum an Solidarität darf nicht verweigert werden .
Der Europäische Rat hat im Oktober beschlossen,
160 000 Flüchtlinge in Europa zu verteilen . Das ist im-
merhin ein erster Schritt . Aber selbst dieser Beschluss
wird noch nicht ausgeführt, obwohl er auf einer klaren
Rechtsgrundlage beruht. Ich finde es richtig, dass die
EU-Kommission jetzt zum Beispiel mehr Druck auf Po-
len ausübt . Ich glaube, das ist auch das Signal, das die
Thomas Oppermann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14287
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Bundeskanzlerin mitnimmt, wenn sie nach Brüssel fährt .
Ich sage aber auch: Wir sollten das nicht mit dem erhobe-
nen moralischen Zeigefinger tun.
Denn als vor vier Jahren die Krise nicht in Deutschland,
sondern in Lampedusa und in Griechenland war, hat die
deutsche Bundesregierung Flüchtlingsquoten abgelehnt .
Das zeigt uns: Es ist immer gefährlich, Solidarität situa-
tionsbedingt abzulehnen, weil man kurze Zeit später in
genau die gleiche Situation kommen kann .
Ich möchte die Haltung der Regierungen der balti-
schen Staaten einmal besonders herausheben: Auch in
diesen Staaten gibt es in der Bevölkerung eine massive
Ablehnung gegenüber Flüchtlingen . Aber die Regie-
rungen haben trotzdem für den Umverteilungsplan von
160 000 Flüchtlingen gestimmt . Ab Januar 2016 stehen
die nötigen Kapazitäten dort bereit . Sie werben außer-
dem in ihrer Bevölkerung mit Plakaten für eben diese
Solidarität . Das ist politisches Engagement . Das ist zwar
nicht ganz ohne Risiko; aber die Balten machen es, weil
sie wissen, dass Solidarität in zwei Richtungen funkti-
oniert . Wer sie erwartet, der muss auch bereit sein, sie
selbst zu zeigen .
Diese Haltung dürfen wir jetzt, glaube ich, auch von al-
len anderen europäischen Partnern erwarten .
Ich finde, dass schon ein Unterschied gemacht werden
muss zwischen den Ländern, die sagen: „Wir wollen kei-
ne Flüchtlinge aufnehmen, weil das Muslime sind“ – ich
finde, das geht überhaupt nicht;
das ist auch mit der EU-Grundrechtecharta völlig unver-
einbar –, und den Ländern, in denen Massenarbeitslosig-
keit herrscht und die sich besorgt fragen: Wie schaffen
wir die Integration der Flüchtlinge auf unserem Arbeits-
markt?
Wir befinden uns da in einer besseren Situation. Wir
haben einen robusten Arbeitsmarkt . Wir haben nicht
nur die Arbeitslosigkeit halbiert . In Deutschland sind
in den letzten zwölf Monaten sage und schreibe über
600 000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplät-
ze entstanden . Da ist es natürlich auch einfacher, offen
gegenüber Flüchtlingen zu sein. Ich finde, dass den Län-
dern, die in Europa auf dem Arbeitsmarkt immer noch
Schwierigkeiten haben, von der Europäischen Union ge-
holfen werden muss .
Zu einer solidarischen Antwort in der Flüchtlingskrise
gehört für mich allerdings auch, dass die EU im Haus-
halt andere Prioritäten setzt, um die Fluchtursachen zu
bekämpfen .
In diesem Bereich muss es meiner Meinung nach zu ei-
ner umfassenden, zu einer massiven Umschichtung der
Mittel kommen . Es kann nicht sein, dass die Europäische
Union 60 Milliarden Euro für Agrarsubventionen ausgibt
und in den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Liba-
non die Menschen nicht genug zu essen haben .
Ich erwarte, dass die EU bei der Überprüfung des
mehrjährigen Finanzrahmens ihre Mittel Schritt für
Schritt so umschichtet, dass schon bald ein zweistelliger
Milliardenbetrag pro Jahr für die Stabilisierung der Kri-
senländer, für Fluchtprävention und für wirtschaftliche
Zusammenarbeit zur Verfügung steht . Das wird zwangs-
läufig dazu führen, dass die EU weniger Mittel für andere
Subventionen zur Verfügung hat . Es geht allerdings gar
nicht, sich sowohl bei der Unterbringungssolidarität als
auch bei der Finanzierungssolidarität zu verweigern . Das
dürfen wir nicht zulassen .
Meine Damen und Herren, wir brauchen Sicherheit .
Das Zweite, was wir brauchen, ist mehr Gerechtigkeit
in Europa . Bei vielen Menschen ist von der Finanzkrise
nur noch hängen geblieben, dass wir die Banken, also die
Verursacher, gerettet haben und für die normalen Leute,
also die Opfer der Krise, nichts getan haben . Das ist zwar
im Kern falsch, denn wir haben nicht nur die Banken
gerettet, sondern wir haben auch mit einem gewaltigen
Konjunkturprogramm die Arbeitsplätze von vielen Men-
schen gerettet,
aber dennoch haben wir trotz aller Fortschritte bei der
Reform der Finanzmärkte, bei der Bankenunion zum
Beispiel, die eigentlichen Verursacher der Finanzkrise
bis heute nicht ausreichend herangezogen .
Deshalb ist die Einführung der Finanztransaktionsteu-
er von zentraler Bedeutung für die Frage, ob es in Europa
gerecht zugeht .
Dazu gehört auch die Frage, ob wir endlich die Steuer-
schlupflöcher in Europa beseitigen, sodass den Staaten
nicht mehr Milliarden von Steuereinnahmen verloren
gehen . Kleine und mittlere Unternehmen zahlen in den
Mitgliedsländern brav ihre Steuern . Sie haben keine
Chance, durch grenzüberschreitende Steuergestaltungen
Steuern zu sparen . Multinationale Unternehmen hinge-
Thomas Oppermann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514288
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gen nutzen den Binnenmarkt in Kombination mit den na-
tionalen Steuersystemen, um Steuern zu umgehen . Das
ist ein zweifelhaftes Privileg auf Kosten der kleinen und
ehrlichen Unternehmen . Wenn sich jedes EU-Land Steu-
erlücken ausdenkt, um Unternehmen anzulocken, dann
dürfen wir uns nicht wundern, wenn am Ende in keinem
Land mehr Steuern gezahlt werden. Ich finde, dieser
schädliche Steuerwettbewerb mit den Mitteln national-
staatlicher Konkurrenz muss ein Ende haben .
Mehr Sicherheit, mehr Gerechtigkeit und mehr
Wachstum muss Europa schaffen . Ob in Frankreich, Spa-
nien oder in Italien – in vielen Ländern sind die Refor-
men lange verschleppt worden . Das wird jetzt angepackt .
Deshalb sollte Europa mit Investitionen massiv unter-
stützen . Wir müssen die EU-Vorhaben voranbringen,
die neue Wachstumschancen eröffnen . Dazu gehören die
Energieunion, die Kapitalmarktunion und nicht zuletzt
der digitale Binnenmarkt .
Meine Damen und Herren, wenn die Ultranationalis-
ten die Europäische Union zum Feindbild erklären, dann
können wir ihnen nicht dadurch entgegentreten, dass wir
selbst den Rückbau der EU vorantreiben, genauso wenig
wie die EU erfolgreich sein wird, wenn sich alle nur die
Rosinen herauspicken dürfen. Rechte und Pflichten ge-
hören zusammen . Das muss auch David Cameron gesagt
werden, wenn er sich jetzt aufmacht, über Bedingungen
für den Verbleib von Großbritannien in der Union zu ver-
handeln . Aber trotzdem wollen wir, dass Großbritannien
Mitglied der Europäischen Union bleibt .
Großbritannien ist eine große politische, kulturelle und
wirtschaftliche Bereicherung für die EU . Europa und
insbesondere Deutschland haben Großbritannien viel zu
verdanken: ob bei der Entwicklung des Rechtsstaates,
beim Kampf gegen Hitler-Deutschland oder bei dem ve-
hementen Einsatz der Briten für die Osterweiterung der
EU . Ohne Großbritannien würde Deutschland in der EU
eine starke Stimme der wirtschaftlichen Vernunft fehlen
und die EU hätte international und außenpolitisch deut-
lich weniger Gewicht . Deshalb, meine Damen und Her-
ren, sollten wir alle dafür eintreten und alle daran arbei-
ten, dass Großbritannien Mitglied der Union bleibt .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Thomas Oppermann . – Nächster Red-
ner in der Debatte: Dr . Toni Hofreiter für Bündnis 90/Die
Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Ja, letzte
Woche konnte man bei der Weltklimakonferenz in Pa-
ris erleben, dass die internationale Staatengemeinschaft
noch in der Lage ist, zukunftsweisende Beschlüsse zu
fassen . Der Beschluss, die Welterwärmung auf unter
2 Grad – möglichst auf 1,5 Grad – zu begrenzen, ist his-
torisch und eröffnet eine große Chance für uns alle .
Aber dieser Beschluss hat auch deutliche Schwächen: Zu
den Maßnahmen liest man da relativ wenig . Die Maßnah-
men müssen jetzt national umgesetzt werden .
Sie haben selbst davon gesprochen, Frau Merkel, dass
der Vertrag jetzt „engagiert mit Leben erfüllt werden“
muss; das waren Ihre Worte . Ja, das stimmt . Aber warum
tun Sie dann genau das nicht, warum tut dann die Koali-
tion genau das nicht?
Engagiert diesen Vertrag mit Leben zu erfüllen, wür-
de bedeuten, dass man den Kohleausstieg angeht, würde
bedeuten, dafür zu sorgen, dass VW die Grenzwerte in
der Realität einhält, anstatt ein Verkehrsministerium zu
haben, das letztendlich beim Betrug zuschaut . Es wür-
de bedeuten, eine Verkehrswende und endlich auch eine
Agrarwende umzusetzen, anstatt einen Landwirtschafts-
minister zu haben, von dem nicht einmal die Landwirte
wissen, wie er heißt .
Die Solidarität, die man beim Weltklimagipfel in Paris
erleben konnte, müssen wir leider beim Umgang mit den
Flüchtlingen auf europäischer Ebene vermissen . Es wird
gern so dargestellt, als handele es sich um ein nahezu un-
lösbares Problem, wenn 800 000, 1 Million oder 1,5 Mil-
lionen Flüchtlinge nach Europa kommen . Aber man
vergisst dabei gerne, dass die Europäische Union über
500 Millionen Einwohner hat . Die Europäische Union ist
groß und stark . Wenn es ein solidarisches Modell gäbe,
wäre dieses Problem deutlich einfacher zu lösen .
Da geben wir Ihnen recht .
In Deutschland hat man aber in der Debatte sehr gern
vergessen, dass es die Bundesregierung war, die in den
letzten zehn Jahren Solidarität beim Umgang mit Flücht-
lingen hat vermissen lassen .
Jeden Versuch der Europäischen Kommission und ande-
rer europäischer Staaten, das ungerechte Dublin-System
abzuschaffen, bei dem die Last allein den Grenzländern
aufgedrückt wurde, haben Sie zunichtegemacht . Jetzt,
wo wir selbst die Solidarität benötigen, verweigern uns
die anderen die Solidarität . Jetzt kann man sagen: Das ist
vergossene Milch; all das liegt in der Vergangenheit . – Ja,
das stimmt, all das liegt in der Vergangenheit . Aber des-
halb wäre es dringend notwendig, Frau Merkel, dass Sie
Thomas Oppermann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14289
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hier klar sagen: Ja, wir waren in den vergangenen zehn
Jahre unsolidarisch; wir haben da als Bundesrepublik
Deutschland einen großen Fehler gemacht; wir werden
diesen Fehler in Zukunft nicht mehr machen und bitten
jetzt um eure Solidarität, weil wir sie jetzt brauchen . –
Geben Sie sich einen Ruck, machen Sie diese große Ges-
te! Damit erhöhen Sie die Chance, dass es endlich wieder
zu Solidarität in Europa kommt .
Frau Merkel, Sie haben davon gesprochen, dass man
die Fluchtursachen bekämpfen muss . Ja, Sie haben abso-
lut recht: Man muss die Fluchtursachen bekämpfen . Es
ist dringend notwendig, die Fluchtursachen zu bekämp-
fen . Sie haben drei Beispiele für die Bekämpfung der
Fluchtursachen genannt:
Erstens: Absprachen und besserer Informationsaus-
tausch mit den Staaten entlang der Balkanroute . Das hat
mit Fluchtursachenbekämpfung nichts zu tun; denn die
Menschen auf der Balkanroute sind längst auf der Flucht .
Zweiter Punkt: eine bessere Zusammenarbeit mit der
Türkei . Das hat mit Fluchtursachenbekämpfung über-
haupt nichts zu tun; die Menschen sind bereits in die Tür-
kei geflüchtet.
Als dritten Punkt haben Sie den Gipfel von Valletta
genannt . Der Gipfel in Valletta auf Malta ist ein beson-
ders ärgerliches und peinliches Beispiel dafür, wie man
Politik nicht macht, wie man vielleicht Flüchtlinge von
uns fernhalten kann, aber Fluchtursachen verschärft . Was
war nämlich der Kern der Beschlüsse von Valletta? Der
Kern der Beschlüsse auf dem Gipfel war, dass man mehr
Geld an diktatorische Regime wie das in Eritrea, mehr
Geld an Diktatoren gibt . Diese Diktatoren behandeln die
Leute am Ende so mies, dass sie selbstverständlich aus
ihren Ländern flüchten.
Eine echte Fluchtursachenbekämpfung wäre, wenn
man mit Ländern und Zivilgesellschaften zusammenar-
beitete, in denen es eine Chance gibt, dass es besser wird,
wenn man dafür sorgen würde, dass die Lebensbedingun-
gen der Menschen besser werden, wenn man dafür sor-
gen würde, dass wir einen fairen Handel erreichen . Echte
Fluchtursachenbekämpfung wäre, nicht nur von der Be-
kämpfung des Klimawandels zu reden, sondern ihn wirk-
lich zu bekämpfen . Das alles wäre echte Fluchtursachen-
bekämpfung . Es ist an der Zeit, das umzusetzen .
Angesichts der Ereignisse vom letzten Wochenende
in Frankreich kann man sagen: Wir haben noch einmal
Glück gehabt . Der Front National hat es in keiner einzi-
gen der 13 Regionen geschafft, stärkste Partei zu werden,
auch weil die anderen Parteien sich weitgehend verbün-
det haben . Aber trotzdem ist der Erfolg extrem bedenk-
lich .
Es muss einen mit großer Sorge erfüllen, wenn man
sich anschaut, was in Gesamteuropa passiert, und das
ist losgegangen, lange bevor die Flüchtlinge zu uns ge-
kommen sind . Das sollten wir nie vergessen . Die FPÖ in
Österreich war lange davor stark, der Front National war
stark, Vlaams Belang war stark, die Wilders-Liste in den
Niederlanden war stark, und auch in Dänemark treiben
übelste Rechtspopulisten ihr Unwesen . Ich glaube, eine
der Ursachen dafür ist, dass viele Menschen die Euro-
päische Union und den europäischen Binnenmarkt nicht
mehr als Versprechen für Wohlstand wahrnehmen . Eine
der Ursachen dafür, dass sie sie nicht mehr als Verspre-
chen für Wohlstand wahrnehmen, ist neben der hohen
Jugendarbeitslosigkeit der unsolidarische Umgang mit
Griechenland, der Versuch von Herrn Schäuble, Grie-
chenland aus dem Euro zu schmeißen . Deshalb nehmen
die Bürger in vielen Ländern Europas die Europäische
Union inzwischen traurigerweise als Bedrohung wahr .
Deshalb: Sorgen Sie dafür, dass es neben dem Binnen-
markt endlich wieder ein solidarisches Europa, ein sozi-
ales Europa gibt . Wenn die Menschen Europa wieder als
Hoffnung wahrnehmen und nicht mehr als Bedrohung,
dann besteht die Chance, dass verstärkt wieder proeuro-
päische Parteien gewählt werden . Seien wir nicht verzagt
und kleinherzig, sondern entwickeln wir endlich eine Vi-
sion für Europa, die alle Menschen, auch die arbeitslosen
Jugendlichen, mitnimmt .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Toni Hofreiter . – Der nächste Redner:
Volker Kauder für die CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Ja, das zu Ende gehende Jahr 2015 war ein schwieriges
für uns alle, vielleicht sogar das schwierigste Jahr, zu-
mindest seit Erreichen der deutschen Einheit . Wenn man
bedenkt, was uns in diesem Jahr schon alles beschäftigt
hat und was uns über den Jahreswechsel hinaus im neuen
Jahr sicher weiter beschäftigen wird, kann man ermes-
sen, wie groß die Herausforderungen sind, vor denen wir
stehen .
Aber natürlich können wir auch daran erinnern, dass
wir eine ganze Reihe von Dingen vorangebracht und
geschafft haben, dass wir mit konkreten Maßnahmen
erreicht haben, dass sich das eine oder andere verändert
und verbessert hat, dass wir nicht einfach nur zugeschaut
haben und die Dinge haben laufen lassen. Ich finde, es
gehört auch zur Bilanz dieses Jahres, dass wir einiges vo-
rangebracht haben .
Zur Bilanz dieses Jahres gehört natürlich auch – die
Bundeskanzlerin hat davon gesprochen –, dass wir Euro-
pa in einem Zustand sehen, wie ich es in meiner ganzen
25-jährigen Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag so
noch nicht gesehen habe . Es ist richtig, lieber Thomas
Oppermann, dass dies zunächst einmal nicht eine An-
klage an Europa, sondern eine Anklage an die National-
staaten in Europa ist, die wesentlich dafür verantwort-
lich sind, dass wir dieses Bild haben . Da frage ich mich
Dr. Anton Hofreiter
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514290
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(D)
schon, ob es richtig ist, dass man immer nur auf ein, zwei
oder drei zeigt, die man, wenn man in der SPD sitzt, be-
sonders dort sieht, wo es rechtsnational zugeht .
Auch mir gefällt das eine oder andere nicht, was in Po-
len oder auch in Ungarn gesagt und gemacht wird . Aber
zur ganzen Wahrheit gehört dazu, dass mir auch das eine
oder andere nicht gefällt, was in der Slowakischen Repu-
blik und in der Tschechischen Republik, wo Sozialdemo-
kraten und Linke an der Regierung sind, passiert . Dort
fallen nämlich die Sätze, lieber Thomas Oppermann, die
du gerade angesprochen hast: Wir wollen keine Flücht-
linge, weil wir keine Muslime wollen . – Es geht nicht,
dass man so etwas sagt, und dabei ist es egal, ob das je-
mand von der linken oder der rechten Seite sagt . Das ist
für Europa nicht akzeptabel .
All das und die Tatsache, dass die slowakische Regierung
jetzt auch noch vor dem Europäischen Gerichtshof gegen
die Verteilungsmechanismen klagt, zeigt den Zustand, in
dem sich Europa befindet. Deshalb ist es richtig, dass wir
die Bundeskanzlerin unterstützen und als Deutscher Bun-
destag klar sagen, dass sie sich darauf verlassen kann,
dass wir diese Unterstützung auch gewähren, wenn es da-
rum geht, Europa in einen besseren Zustand zu bringen .
Natürlich muss in Europa mehr als bisher das einge-
halten werden, was man miteinander vereinbart hat, da-
mit Europa in eine bessere Situation kommt . Wenn man
jetzt sagt, ein Teil der Probleme läge darin begründet, dass
man eine Sparpolitik, eine Austeritätspolitik macht – –
– Ich habe ja gar nicht gesagt, dass Sie das gesagt haben .
– Sie kommen schon noch dran; warten Sie es ab . – Wenn
man das sagt, dann kann ich nur sagen: Wenn man gleich
am Anfang den Fehler macht, sich nicht konsequent an
den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu halten, sondern
die Sache laufen lässt und eine Verschuldung hinnimmt,
dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder ein Drit-
ter übernimmt die Schulden, oder man leistet selber einen
Beitrag .
Weil ich es nicht für richtig halte, Schulden zu machen
und einen Dritten dafür haften zu lassen – das hat üb-
rigens auch keine pädagogische Wirkung –, bleibt aus
meiner Sicht nichts anderes übrig, als sich zu ändern und
eine Politik zu machen, die diese Verschuldung nicht her-
vorbringt .
In außergewöhnlichen Fällen, zum Beispiel bei Na-
turkatastrophen oder anderen großen Katastrophen, muss
der Stabilitätspakt, muss die Schuldenbremse nicht un-
bedingt eingehalten werden . In diesem Zusammenhang
muss ich aber sagen: Ich bin ein unverbrüchlicher Freund
der deutsch-französischen Zusammenarbeit, weil es ohne
sie dieses Europa nicht gäbe; aber ich halte es nicht für
richtig, dass man in Frankreich als Erstes auf die Idee
kommt, zu sagen: „Wir halten den Stabilitätspakt nicht
mehr ein“, als ob man ihn bisher eingehalten hätte . Das
halte ich nicht für die richtige Antwort;
denn dieser Weg führt nicht zu mehr Wachstum und mehr
Wohlstand in Europa .
Dass wir Frankreich unterstützen, auch in dem
Kampf gegen den IS, halte ich für völlig in Ordnung .
Die Rechtsgrundlage dafür ist ausreichend . Ich hätte
auch sagen können, dass ich mich durch die Angriffe in
Frankreich als Deutscher mit angegriffen fühle und mich
deshalb auf der Grundlage des Grundgesetzes verteidige .
Wenn wir in Europa so eng zusammenarbeiten, sind wir
in Europa – jetzt kommt etwas, was früher manch einer
nicht so gerne gehört hat; jetzt wird das aber deutlich –
eine Schicksalsgemeinschaft . Wenn wir eine Schicksals-
gemeinschaft sind, wenn wir ein Schicksal teilen, dann
müssen wir uns, wenn wir angegriffen werden, gemein-
sam wehren .
Dies machen wir jetzt . Darüber muss natürlich hier, im
Deutschen Bundestag, entschieden werden . Hier disku-
tieren wir über die Frage, wo die Bundeswehr eingesetzt
wird . Ich bin sehr froh, dass – das habe ich gestern ge-
hört – der Vorschlag, eine Änderung des Syrien-Mandats
durch einen SPD-Mitgliederentscheid beschließen zu
können, von der Bundestagsfraktion der SPD kassiert
worden ist . Richtig! Lieber Thomas Oppermann, wir ha-
ben eine Parlamentsarmee und keine Parteiarmee . Des-
wegen ist es richtig, dass wir diese Entscheidungen hier
treffen .
Das zeigt ja auch, dass die SPD-Bundestagsfraktion
manchmal vernünftiger ist als der SPD-Parteitag . Auch
das ist in Ordnung .
Wenn wir uns die Situation in Europa anschauen, müs-
sen wir uns natürlich auch die Frage stellen: Sind wir in
Europa stark genug für moderne Entwicklungen, für die
Arbeitsplätze der Zukunft? Wir dürfen nicht nur die Ar-
beitsplätze der Gegenwart im Blick haben . Wenn Europa
sozial gerecht sein soll, Herr Bartsch, wird es nicht so
gehen, wie Sie immer glauben, also dass die etwas besser
Situierten immer mehr an die anderen abgeben . Das hat
schon in der DDR nicht funktioniert . Wir brauchen ein
System, in dem alle miteinander wachsen,
Volker Kauder
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14291
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nicht nach dem Motto: Sozial gerecht ist, wenn die Bes-
serstehenden, die Reicheren, auch so arm sind wie die
Armen . Das hat noch nie zu einem Erfolg geführt .
Vielmehr müssen wir schauen, dass wir vorankommen .
Ich muss sagen: Ja, der Innenminister hat über das
Thema Datenschutz verhandelt . Wir haben jetzt ein Er-
gebnis vorliegen, mit dem man leben kann . Aber ich
muss auch sagen: Wir werden uns in Europa noch inten-
siv mit der Frage befassen müssen, ob wir wollen, dass
auch kleine Start-up-Unternehmen im digitalen Bereich
vorankommen können, oder ob wir wollen, dass moderne
Entwicklungen in der Datenverarbeitung in Europa auf-
grund des Datenschutzes überhaupt nicht möglich sind .
Wenn wir sagen, dass bei uns dieses und jenes nicht
stattfinden darf, dann werden wir natürlich nicht erle-
ben, dass in China, in anderen asiatischen Ländern und
in Amerika gesagt wird: Huch, wenn die Europäer nichts
machen, machen wir auch nichts . – Wenn wir nicht auf-
passen, wenn wir nicht bereit sind, uns zu öffnen und mo-
derne Zusammenhänge in Europa nach vorne zu bringen,
dann werden wir zurückfallen und nicht vorankommen .
Das Ergebnis wird sein, dass die Entwicklungen, die im-
mer schneller laufen, so schnell an uns in Europa vorbei-
laufen, dass wir gar nicht mehr aufholen können . Dann
kann man nicht sagen: Jetzt fangen wir noch einmal von
vorne an . – Das wird nicht klappen .
Deswegen kann ich nur sagen: Wir müssen alles da-
ransetzen – da hat die Bundeskanzlerin recht –, dass wir
moderne Entwicklungen in Europa voranbringen, dass
wir ein mutiges, ein risikofreudiges Europa sind und
nicht eines der Bewahrer, das immer weiter zurückfällt
und für die junge Generation die notwendigen Arbeits-
plätze nicht schafft . Ich bitte darum, dass wir uns in der
Großen Koalition noch einmal mit diesem Thema befas-
sen .
Das Motto für Europa muss sein: Orientiert an der
Zukunft mutig vorangehen, um die Arbeitsplätze der Ge-
genwart auch in der Zukunft halten zu können . Das muss
uns gelingen . Das ist eine große Aufgabe auch für unsere
Große Koalition .
Vielen Dank, Volker Kauder . – Nächster Redner in der
Debatte: Joachim Poß für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Lieber Kollege Kauder, vielleicht
können wir uns auf Folgendes verständigen: Es gibt eine
Gemeinsamkeit zwischen rechten, teilweise auch rechts-
extremen, nationalistischen Populisten und linken Popu-
listen – dafür gibt es verschiedene Beispiele im europäi-
schen Umfeld –: Sie bieten den Menschen eines nicht, sie
bieten den Menschen keine realitätstüchtigen Antworten .
Sie predigen die Flucht aus der Verantwortung in den Na-
tionalismus, in eine nationalistische Sackgasse .
In dieser Sackgasse finden die Menschen keine Sicher-
heit und auch keine Arbeitsplätze . Das ist die Realität,
die wir hier ansprechen müssen .
Da, glaube ich, müssen wir in der Tat, soweit es eben
geht, trotz aller unterschiedlichen Akzente zusammenar-
beiten . Das heißt nicht, dass wir uns gegenseitig schonen
müssen, wenn es wie in Polen zu offenkundigen Verfas-
sungsbrüchen kommt . Wenn sich führende Mitglieder
der Regierungspartei PiS im Stile politischer Desperados
bewegen, dann muss Europa mit allen Möglichkeiten des
europäischen Rechts dagegen einschreiten .
Wir haben diese Möglichkeiten des europäischen Rechts .
Das gilt auch für das, was Herr Orban zu verantworten
hat . Das hat zwar immer wieder zu Nachfragen aus Brüs-
sel, aber nicht, glaube ich, zu einer eindeutigen und poli-
tisch notwendigen Abrechnung mit Herrn Orban geführt .
Er war nämlich sozusagen der Vorgänger dessen, was
jetzt in Polen passiert . Alles gemeinsam untergräbt unse-
re Handlungsfähigkeit in Europa, die allerdings dringend
benötigt wird, gerade im Epochenjahr 2015 .
Die Frau Bundeskanzlerin, Herr Oppermann und an-
dere haben die Krisen aufgeführt . Diesen Krisen müssen
wir uns parallel stellen . Wir können nicht sagen: „Wir
müssen jetzt erst die Flüchtlingskrise und dann den Ter-
rorismus usw . angehen“, sondern wir müssen gleichzei-
tig auch in der Wirtschafts- und Währungsunion voran-
kommen . Es ist ja nicht so, dass uns in den letzten Jahren
nicht einiges gelungen wäre . Wir sollten nicht verschwei-
gen, dass wir kräftig vorangekommen sind . Wir sind so-
gar bei der Frage des Steuerdumpings vorangekommen,
aber eben noch nicht weit genug, um den Menschen in
Europa zu signalisieren: Auch wenn ihr uns teilweise
euer Vertrauen entzogen habt, möchten wir mit der kon-
kreten Arbeit, die wir leisten, verlorengegangenes Ver-
trauen in Europa zurückgewinnen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die Bewäh-
rungsprobe, vor der wir gemeinsam hier im Parlament –
nicht nur in der Großen Koalition – stehen .
Eines ist passiert, Herr Kauder – das kann man ja in
einzelnen Ländern beobachten –: Durch das verstärkte
Aufkommen des politischen Populismus und des Extre-
mismus in Europa sind der Wille und die Fähigkeit, die
genannten Probleme anzupacken, in vielen Staaten ge-
sunken . Wir müssen Obacht geben, dass der Wille und
die Fähigkeit, uns mit der Flüchtlingsproblematik und
mit anderen Themen auseinanderzusetzen, nicht auch in
Deutschland sinken, weil man zu sehr nach Rechtsextre-
men oder rechten Kräften schielt . Auch das können wir ja
feststellen, auch in Deutschland .
Volker Kauder
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514292
(C)
(D)
Natürlich sollten wir nicht verschweigen, dass wir
von Frankreich, zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage,
eine größere Solidarleistung erwarten . Ich füge für mich
hinzu: Es bringt nichts, Sicherheit gegen wirtschaftliche
Stabilität auszuspielen, wie es teilweise geschieht . Das
alles macht Europa nicht stärker . Das alles vergrößert
nicht die Handlungsfähigkeit in Europa, liebe Kollegin-
nen und Kollegen .
Wenn man ehrlich ist, stellt man fest: Die wachsende
populistische Gefahr konzentriert sich gerade in einem
so großen Land wie Frankreich – aber auch Beispiele
aus Skandinavien zeigen das – besonders auf der Rech-
ten . Damit will ich den linken Populismus, den wir zum
Beispiel bei Syriza und anderswo sehen können, nicht
verniedlichen . Ich setze mich auch mit ihm sehr offensiv
auseinander, weil ich finde, wir dürfen es nicht durchge-
hen lassen, wenn es heißt, dass da sozusagen für Gerech-
tigkeit gekämpft wird,
wenn den Leuten aber nur Scheinlösungen angeboten
werden .
Wir müssen natürlich die realen Größenverhältnisse
sehen, und wir müssen aus dem defensiven politischen
Verhalten herauskommen . Teilweise ist es Angst, die wir
sehen können . In Großbritannien ist es doch die pure
Angst von Herrn Cameron . Er lässt sich doch von UKIP
und vom rechtskonservativen Teil seiner eigenen Partei
treiben, verheddert sich in Widersprüchen und fängt eine
unfruchtbare Brexit-Debatte an, von der niemand in Eu-
ropa etwas hat – Großbritannien übrigens, wie wir wis-
sen, auch nicht .
Warum hat Herr Cameron denn nicht einmal den Ver-
such gewagt, seine Bürgerinnen und Bürger von den Vor-
teilen Europas zu überzeugen, zumindest von den wirt-
schaftlichen, und zum Beispiel darauf hingewiesen, dass
die wirtschaftliche Bedeutung des Handels zwischen
Großbritannien und dem Land Nordrhein-Westfalen grö-
ßer ist als die des Handels zwischen Großbritannien und
dem Commonwealth-Land Indien? Dort ist, glaube ich,
eine Situation entstanden, in der man keine Defensivhal-
tung mehr einnimmt . Das kann man in anderen Ländern
in gleicher Weise sehen .
Nein, meine Damen und Herren, ich glaube, wir müs-
sen uns an das halten, was Helmut Schmidt in seiner
Rede auf dem SPD-Bundesparteitag 2011 erwähnt hat .
Helmut Schmidt sagte, dass das strategische Interesse
der Mitgliedstaaten an der europäischen Integration zu-
nehmend an Bedeutung gewinnt, den Nationen dieses
Interesse von ihren Regierungen aber nicht ausreichend
bewusst gemacht werde . Meine Damen und Herren,
Helmut Schmidt hatte recht . Auch in Deutschland soll-
ten wir ehrgeiziger werden, wenn es darum geht, unse-
ren Mitbürgerinnen und Mitbürgern deutlich zu machen,
welches strategische Interesse wir an der weiteren positi-
ven Entwicklung Europas und der Euro-Zone haben .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Der nächste Redner: Alexander Ulrich
für die Linke .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es wurde bereits von mehreren Rednern angesprochen,
dass in Europa die eine Krise die nächste jagt . Dass die
deutsche Europapolitik zur immer weiteren Verschärfung
dieser Krisen beigetragen hat, ist ja ganz offenkundig .
Frau Merkel, Sie lassen sich hier oftmals für zehn
Jahre Kanzlerschaft feiern . Wenn in Europa eine Krise
die nächste jagt, dann müssen auch Sie sich die Frage
stellen, was Sie dazu beigetragen haben, dass Europa in
diesem ständigen Krisenmodus ist . Es ist ja deutlich ge-
worden – zum Beispiel bei der Wirtschafts- und Finanz-
krise –, dass Sie mit Ihrer beispiellosen Kürzungspolitik,
die Sie europaweit verordnet haben, mit dazu beigetra-
gen haben, dass gerade in Südeuropa viele Menschen in
eine Perspektivlosigkeit verfallen sind, dass die Jugend-
arbeitslosigkeit steigt und dass sich diese Länder in einer
tiefen Rezession befinden. Europas Krisen sind auch Ihre
Krisen, Frau Merkel .
Sehen Sie endlich ein, dass man mit Kürzungen die
Krisen nicht löst, dass man die Einnahmen steigern und
investieren muss . Anstatt endlich einmal die Verursacher
der Krise zur Kasse zu bitten, wird nun auch noch die
Finanztransaktionsteuer zu Grabe getragen .
Herr Oppermann, da Sie hier zugegeben haben, dass
die Verursacher der Krise noch nichts bezahlt haben, darf
ich daran erinnern, dass beim Ausbruch der Finanz- und
Wirtschaftskrise der Finanzminister von der SPD kam
und dass Sie auch jetzt wieder an der Regierung betei-
ligt sind . Durch die Art, wie Sie mit der Finanz- und
Wirtschaftskrise umgehen, geben Sie ihr selbst ein sehr
schlechtes Zeugnis .
Herr Oppermann, da Sie beklagen, dass wir noch
keine Finanztransaktionsteuer haben, darf ich Sie auch
daran erinnern: Als der Fiskalpakt hier im Bundestag
verabschiedet worden ist, hat die SPD es zur Bedingung
gemacht, dass die Finanztransaktionsteuer umgesetzt
wird . Wo ist sie denn?
Sie haben zugestimmt, ohne eine Gegenleistung einzu-
fordern . Jetzt hätten Sie es ja in der Hand, mit dafür zu
sorgen, dass es eine solche Steuer gibt . Sie sind mit Ihrer
Joachim Poß
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14293
(C)
(D)
SPD-Politik gescheitert und haben die Bürgerinnen und
Bürger immer wieder auch belogen .
Herr Kauder, weil Sie europäische Regeln einfordern,
möchte ich Sie einmal fragen: Wie gehen Sie denn mit
europäischen Regeln um, wenn es um die Türkei geht?
Wir haben uns im Europaausschuss sehr intensiv mit den
Fortschrittsberichten beschäftigt . Bei der Türkei ist es
ein Rückschrittsbericht . Es gibt nach europäischen Re-
geln überhaupt keinen Grund, irgendein Beitrittskapitel
mit der Türkei zu öffnen . Warum machen Sie das? Sie
brechen jetzt auch europäische Regeln .
In Bezug auf die Türkei muss man auch einmal sagen:
Vorgestern wurden Beitrittskapitel eröffnet, und gestern
wurden in Diyarbakir Dutzende Menschen durch Panzer-
beschuss getötet . Das ist Ihre Politik in Europa . Sie un-
terstützen einen Terrorpaten wie Erdogan, und das kann
nicht sein; das lehnen wir als Linke ab .
Frau Bundeskanzlerin – ich komme zum Schluss –,
die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land werden es
Ihnen nicht mehr abnehmen, dass Sie die Fluchtursachen
bekämpfen wollen; denn man bekämpft keine Fluchtur-
sachen, indem man Erdogan 3 Milliarden Euro gibt und
Frontex aufrüstet, die unmenschlich gegen die Flüchtlin-
ge vorgehen .
Das ist keine Fluchtursachenbekämpfung, sondern
Flüchtlingsbekämpfung .
Die Bürgerinnen und Bürger werden deshalb bald
merken, dass Sie hier eigentlich doch auf die Order
von Seehofer eingeschwenkt sind, auch wenn Sie heute
versucht haben, das rhetorisch anders darzustellen . Im
Prinzip betreiben Sie eine Politik gegen die Menschen .
Das sieht man an Ihrem Handeln gegenüber der Türkei
und gegenüber Frontex, und deshalb wäre es besser, die
3 Milliarden Euro dem Welternährungsprogramm zur
Verfügung zu stellen .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Kollege Ulrich . – Die nächste Red-
nerin in der Debatte: Gerda Hasselfeldt für die CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Europa – insbesondere die europäischen Staaten – steht
in diesen Zeiten vor der wohl größten Bewährungsprobe
in seiner Geschichte . Das betrifft nicht Details des Bin-
nenmarktes oder der Bankenunion, sondern ganz zentrale
Fragen, wie zum Beispiel: Welche Antwort haben wir auf
die nach wie vor vorhandenen ökonomischen Ungleich-
gewichte in Europa? Es geht aber auch um eine Antwort
auf die Frage: Wie gehen wir mit den Terrorgefahren um?
Und nicht zuletzt geht es natürlich auch um die Frage:
Wie bewältigen wir gemeinsam die Flüchtlingsbewegun-
gen auf der ganzen Welt?
Meine Damen und Herren, wenn es noch einer Be-
gründung für Europa bedarf, dann sind es genau diese
großen Herausforderungen der heutigen Zeit . Gelegent-
lich wird ja gesagt: Europa muss sich neu erfinden. Wir
brauchen eine neue Legitimation für Europa, weil zum
Beispiel die junge Generation – Gott sei Dank – keine
Schlagbäume an den Grenzen mehr kennt, weil sie die
D-Mark nicht mehr kennt, sondern nur die gemeinsame
europäische Währung, weil die Erfahrungen aus zwei
Weltkriegen unserer Generation und denen, die nach uns
kommen, fehlt . – Wenn es noch einer Legitimation für
ein gemeinsames Europa bedarf, dann sind es genau die
Herausforderungen, die wir heute zu bestehen haben .
Ich will das an einigen Punkten festmachen .
Der erste Punkt . Nach wie vor bestehen ökonomische
Ungleichgewichte in den europäischen Staaten . In einer
ganzen Reihe von europäischen Staaten ist die Arbeits-
losigkeit, die Jugendarbeitslosigkeit hoch . In einigen
Staaten fehlt es nach wie vor an Wettbewerbsfähigkeit .
Da kann man sich fragen: Welche Maßnahmen sind da
geeignet? Geht es darum, eine höhere Verschuldung zu
akzeptieren? Dazu sage ich eindeutig Nein . Das ist nicht
die richtige Antwort . Ist dieses Problem mit einer Verge-
meinschaftung der Schulden zu lösen? Die Antwort da-
rauf ist ein ebenso klares Nein . Deshalb haben wir uns
erfolgreich gegen Euro-Bonds gewandt .
Eine weitere Frage: Gelingt es mit einer Vergemein-
schaftung der Risiken – Stichwort „Einlagensicherung“?
Auch darauf antworte ich mit einem deutlichen Nein . Ich
bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie in ihrer
Regierungserklärung auch dazu eine klare Position bezo-
gen hat . Eine Vergemeinschaftung der Risiken kann nicht
die Lösung der Probleme der europäischen Staaten sein .
Ich bin der festen Überzeugung: Jedes Land muss sei-
ne eigenen Hausaufgaben machen, um wettbewerbsfähig
zu sein . Wir haben das gemacht mit unserer Politik der
Reformen, mit unserer Politik, keine Steuererhöhungen
und keine zusätzlichen Belastungen der Wirtschaft vor-
zunehmen, immer mit dem Blick auf die Wettbewerbs-
fähigkeit unserer Wirtschaft: keine neuen Schulden, son-
dern Abbau der Verschuldung . Genau das ist der richtige
Weg . Das ist auch für andere Staaten ein Vorbild . Und,
Alexander Ulrich
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514294
(C)
(D)
ja, es ist ein Vorbild für ganz Europa . Das dürfen wir uns
nicht wegdiskutieren lassen .
Es ist vorhin mehrfach die Frage angesprochen wor-
den: Haben die Sparpolitik, die Stabilitätspolitik in Euro-
pa dazu geführt, dass in Frankreich oder auch in anderen
Ländern die rechten, die extremen Parteien gewonnen
haben? Meine Damen und Herren, diese Begründung,
dieser Schluss ist zu einfach . Ja, ich möchte fast sagen:
Das ist billig, und das ist auch nicht sachgerecht . Richtig
ist, dass sich extreme Parteien, egal ob rechts oder links,
dann etablieren, wenn die Probleme des Landes, die Pro-
bleme der Menschen nicht sachgerecht gelöst werden .
Daraus müssen wir den Schluss ziehen: Wir brauchen
sachgerechte Lösungen der Probleme . Das gilt für die
ökonomischen Probleme genauso wie für die Flücht-
lingsprobleme oder auch andere .
Ich will die Notwendigkeit gemeinsamer Politik an
einem anderen Beispiel deutlich machen: Wie begegnen
wir den Terrorgefahren? Dabei geht es um einen besse-
ren Austausch der Informationen; dabei geht es um ei-
nen besseren Austausch von Fluggastdaten; dabei geht es
um das Austrocknen von Finanzquellen des Terrorismus;
dabei geht es nicht zuletzt auch um die gemeinsame Be-
kämpfung des IS und unsere Unterstützung, die wir in
der letzten Sitzungswoche in Bezug auf Frankreich be-
schlossen haben . Da ist Solidarität gefragt .
Wir müssen uns aber auch immer wieder vor Augen
halten: Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze,
sondern sie gehören zusammen . Das eine ist ohne das
andere nicht sicherzustellen .
Es ist unsere Aufgabe, es ist die originäre Aufgabe eines
freiheitlichen Rechtsstaats, immer dafür zu sorgen, auch
unter schwierigen Bedingungen . Dazu gehört eine gute,
ja, eine optimale personelle und sachliche Ausstattung
unserer Sicherheitsdienste . Dazu gehört aber genauso
eine enge internationale Zusammenarbeit der Sicher-
heitsdienste . Ohne dieses ist die Sicherheit für unsere
Bürgerinnen und Bürger nicht zu gewährleisten . Auch
das gehört zum Gedanken „Freiheit und Sicherheit“ .
Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, in den
Haushaltsberatungen die entsprechenden Beschlüsse zu
fassen . Ich bin auch sehr froh, dass einige Länder, ins-
besondere Bayern, am selben Strang ziehen, und würde
mich freuen, wenn auch andere Länder ihre Versäumnis-
se in den letzten Jahren gerade bei der Ausstattung der
Sicherheitsbehörden nachholen würden .
Auch dies ist eine Aufgabe, die nicht nur national, son-
dern eben auch international und europäisch zu bewerk-
stelligen ist .
Das Gleiche gilt für die große Aufgabe der Bewälti-
gung der Flüchtlingsbewegungen . Wir stehen zu unserer
humanitären Verantwortung . Das zeigen wir tagtäglich
durch die Mitarbeiter der Behörden, der Kommunen,
aber auch durch die vielen Ehrenamtlichen in den Städ-
ten und Gemeinden, denen wir sehr dankbar sind . Das
können wir nicht oft genug sagen .
Aber der gute Wille alleine reicht nicht . Wir müssen
auch erkennen, dass unsere Aufnahmekraft und Integra-
tionskraft begrenzt sind und dass wir deshalb alles tun
müssen, um die Flüchtlingszahlen zu reduzieren .
Dazu haben wir eine ganze Reihe von nationalen Ent-
scheidungen getroffen . Die meisten sind schon in Kraft;
einige sind noch auf dem Weg . Ich appelliere an die Län-
der, die das alles mitentschieden haben, dass das, was
entschieden wurde, auch tatsächlich durchgeführt wird,
beispielsweise die Umstellung auf Sachleistungen in den
Erstaufnahmeeinrichtungen, um Fehlanreize zu verhin-
dern, oder die konsequentere Rückführung derjenigen,
die keine Anerkennung als Flüchtling oder Asylberech-
tigter haben .
Ich möchte aber auch betonen, dass die Hauptarbeit
natürlich im internationalen und europäischen Bereich
liegt . Da würde ich mir schon ein Stück mehr Solidarität
der europäischen Staaten wünschen, als das bislang zum
Ausdruck gebracht wurde .
Es kann nicht sein, dass Europa von einigen Staaten
nur als sogenannte Zugewinngemeinschaft verstanden
wird . Wir sind keine Zugewinngemeinschaft . Dieses Eu-
ropa ist stark geworden und immer noch stark, weil es
eine Wertegemeinschaft ist und weil immer wieder, ge-
rade in schwierigen Situationen, darum gerungen wur-
de, dieses zum Ausdruck zu bringen und Solidarität zu
zeigen . Das müssen wir jetzt auch in diesen Fragen mit
einfordern .
Ich bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie bei
den offenen Fragen – ob es um die Sicherung der EU-Au-
ßengrenzen, die Entscheidung über die Hotspots oder die
Verhandlungen mit der Türkei geht – immer an vorders-
ter Front mitarbeitet, um das Ziel „weniger Flüchtlinge“
zu erreichen .
Eines will ich noch dazu sagen: Natürlich ist auch die
Bekämpfung der Fluchtursachen international notwen-
dig. Aber ich finde es nicht angebracht, wenn ein Zu-
sammenhang zwischen den sogenannten Agrarsubventi-
onen der Europäischen Union und den Zuständen in den
Flüchtlingslagern hergestellt wird . Das ist nicht sachge-
recht . Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu
tun . Wir sollten nicht der Versuchung erliegen, die Land-
wirte gegen die Flüchtlinge auszuspielen .
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir sind ein buntes Land geworden, nicht erst
Gerda Hasselfeldt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14295
(C)
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in den letzten Tagen und Wochen, sondern schon seit
Jahrzehnten, ein Land, das nach dem Krieg schon vie-
le, die aus anderen Ländern gekommen sind, integriert
hat . Diese Aufgabe ist in manchen Bereichen gut und in
anderen Bereichen weniger gut gelöst worden . Aber im
Grunde genommen können wir auf diese Leistung auch
stolz sein, nicht nur wir, die schon da waren, sondern
auch diejenigen, die gekommen sind .
Jetzt haben wir aber eine noch viel größere Verant-
wortung durch die Aufgabe der Integration derjenigen,
die aus anderen Kulturkreisen kommen, die mit anderen
Werten aufgewachsen sind . Diese Aufgabe, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, können wir nicht nach Europa ab-
schieben, sondern sie müssen wir selbst erfüllen, unsere
Gesellschaft hier . Ich lade Sie ein und bitte Sie darum,
daran gemeinsam aktiv mitzuwirken .
Das Wort hat die Kollegin Annalena Baerbock für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Hier wurde viel über Krisen geredet . Ich glaube, es
ist wichtig, dass wir uns daran erinnern, dass Krisen das
europäische Projekt immer mit geprägt haben, weil sie
oftmals die unverhoffte Chance waren, aus einer Stagna-
tion herauszukommen . Das gelingt aber nur, wenn man
den Mut hat, in der Krise dann auch einen Schritt nach
vorne zu gehen, und zwar einen Schritt gemeinsam als
Europäer und nicht im nationalstaatlichen Klein-Klein .
Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir auf Fragen,
die sich ergeben, wenn Menschen bei uns Schutz suchen,
eine gemeinsame europäische Antwort finden, nicht nur,
weil mehr Europa an den Außengrenzen die Vorausset-
zung dafür ist, dass wir ein grenzenloses Europa für uns
alle erhalten, sondern auch, weil mehr Europa an den
Außengrenzen bedeutet, dass wir endlich unseren eige-
nen Werten gerecht werden, dass Menschen dort nicht
menschenunwürdig behandelt werden . Der große Unter-
schied ist aber, wenn wir als Grüne über mehr Europa
an den Außengrenzen reden, dass wir dies auf Grundlage
von Artikel 2 EU-Vertrag machen .
Ich möchte ihn gerne zitieren:
Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die
Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokra-
tie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung
der Menschenrechte . . .
Das heißt, die Wahrung der Menschenrechte muss
auch im Mittelpunkt der europäischen Politik an den Au-
ßengrenzen stehen . Da ist es doch sehr bezeichnend, dass
in dem Ratsbeschluss das Wort „Menschenrechte“ kein
einziges Mal auftaucht und auch in der Rede der Bundes-
kanzlerin wie in den Reden der beiden Fraktionsvorsit-
zenden dieses Wort „Menschenrechte“ nicht ein einziges
Mal auftaucht, wenn sie über gemeinsames Agieren an
den Außengrenzen geredet haben .
Wenn man es ernst meint wie die Bundeskanzlerin und
sagt: „Abschottung ist im 21 . Jahrhundert keine Option“,
dann dürfen wir, wenn wir über Hotspots oder Registrie-
rungszentren reden, nicht nur über Rückführung reden,
sondern dann müssen wir doch als Allererstes darüber re-
den, was es bedeutet, wenn Europa an den Außengrenzen
aktiv ist, darüber, wie wir dort die Würde der Menschen
erhalten, auf Lesbos und an allen anderen Orten .
Dann bedeutet das, dass wir nicht darüber hinweggehen
können, dass Menschen, dass Familien mit Kleinkindern
in Schlauchbooten ankommen und nur dann versorgt
werden können, wenn Freiwillige vor Ort aktiv sind .
Deswegen fordern wir Sie auf, wenn Sie auf den Rat
gehen: Sie können nicht nur über Frontex reden . Sie müs-
sen über die europäische Grundrechteagentur reden, Sie
müssen über die Zusammenarbeit mit EASO reden, und
Sie müssen über die Zusammenarbeit mit dem UNHCR
reden, wenn Sie über europäische Außengrenzen spre-
chen und diese auf Grundlage des Artikels 2 des Vertra-
ges der Europäischen Union verankern wollen .
Zudem beginnt Europas Verantwortung nicht erst auf
Lesbos oder an der bulgarisch-türkischen Grenze . Sie ha-
ben, wenn Sie keine legalen Einreisewege schaffen, eine
Mitverantwortung für das, was im Mittelmeer passiert .
Wenn es angesichts von Wartezeiten in den Botschaften,
die länger als ein Jahr sind, eben diese legalen Einreise-
wege nicht gibt, dann müssen Sie als Allererstes auf ei-
nem Europäischen Rat dafür sorgen, dass die EU-Richt-
linie 2001/51 abgeschafft bzw . geändert wird, damit es
Menschen, die zu uns flüchten, möglich gemacht wird,
auf legale Art und Weise Fähren und Flugzeuge zu nut-
zen .
Wir lassen es Ihnen auch nicht durchgehen, wenn Sie
jetzt mit Blick auf die Türkei nach dem Prinzip „Aus den
Augen, aus dem Sinn“ verfahren . Man kann als Europa,
wenn Milliarden fließen, nicht schweigen, wenn die Tür-
kei nun nach Syrien abschiebt . Man kann nicht schwei-
gen, wenn Flüchtlinge in der Türkei in Haftzentren fest-
gehalten werden, sehr verehrte Damen und Herren .
Ein zweiter Punkt zum Gipfel ist die Energieunion .
Es ist schon bezeichnend, dass Sie das so trennen: auf
der einen Seite die Klimakonferenz und auf der anderen
Seite die Energieunion . Wenn von Paris das Signal aus-
Gerda Hasselfeldt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514296
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geht: „Die Welt geht raus aus den Fossilen“, dann gilt das
erst recht für Europa . Ein paar Zahlen dazu . Die EU ist
momentan der größte Energieimporteur . 53 Prozent der
Energie werden insgesamt importiert . Dafür zahlen wir
jährlich 400 Milliarden Euro . Die EU importiert 90 Pro-
zent des verbrauchten Rohöls und 66 Prozent beim Gas .
Wenn Sie es ernst meinen mit den Beschlüssen des Welt-
klimagipfels, dann müssen Sie das umsetzen, was Herr
Juncker eigentlich versprochen hat mit Blick auf die
Energieunion . Dann müssen wir Europa zur Nummer
eins bei den Erneuerbaren machen und dürfen nicht auf
Gasimporte setzen, wie es der Vizekanzler mit Blick auf
Russland tut, und damit den fossilen Weg in Europa fest-
schreiben . So kommt man nicht aus der Krise heraus . Das
schafft man nur, wenn man nach vorne geht und mutig
das Zeitalter der Erneuerbaren in ganz Europa einleitet .
Herzlichen Dank .
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Michael
Stübgen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am
Ende dieser Debatte kurz zwei Themen ansprechen, die
möglicherweise dem einen oder anderen etwas theore-
tisch anmuten, die aber nach meiner Überzeugung für die
Zukunft der Europäischen Union von fundamentaler Be-
deutung sind . Diese Themen werden indirekt auch beim
bevorstehenden Europäischen Rat eine Rolle spielen .
Einerseits versteht sich die Europäische Kommissi-
on als politische Kommission . Sie versteht sich als Mo-
tor der europäischen Entwicklung . Sie versteht sich als
eine Institution, die dazu da ist, die weitere Vertiefung
der Europäischen Union voranzutreiben . Im Übrigen
unterscheidet das diese Europäische Kommission nicht
wesentlich von allen ihren Vorgängern . Ich will das gar
nicht kritisieren; denn es ist ein wesentlicher Bestandteil
der Europäischen Union, dass die Kommission versucht,
mit ihren Vorschlägen voranzugehen . So ist das ganze
System ja auch organisiert .
Die Europäische Kommission hat aber auch noch
eine andere fundamentale Aufgabe: als Hüterin der eu-
ropäischen Verträge . Zwischen diesen Aufgabenfeldern,
einerseits die Europäische Union voranzubringen und
andererseits für die Rechtsdurchsetzung im Sinne der
Rechtsgemeinschaft zu sorgen, hat das Missverhältnis
in den letzten Jahren zugenommen . Wenn dieses Miss-
verhältnis nicht reduziert wird, besteht möglicherweise
Sprengkraft für die Europäische Union insgesamt . Die
Rechtsdurchsetzung durch die Europäische Kommission
funktioniert einerseits erstaunlich detailliert: Wenn ein
deutscher Landwirt seine Wiese zwei Wochen zu früh
mäht, muss er Strafe zahlen . Das ist auch richtig so; denn
er hat Geld dafür bekommen, dass er sie zwei Wochen
später mäht . Wenn aber, wie 2011 geschehen, ein eu-
ropäisches Land – in diesem Fall Griechenland – vom
Europäischen Gerichtshof verurteilt wird, weil es nicht
die fundamentalen humanitären und sozialen Vorausset-
zungen dafür geschaffen hat, dass Flüchtlinge, die in die-
ses Land kommen, anständig untergebracht und versorgt
werden, dann passiert fünf Jahre nichts . Es ist eindeutig,
dass Griechenland in diesem Fall fundamental europäi-
sches Recht verletzt und nicht umsetzt . Aber die Europä-
ische Kommission hat weder ein Vorverfahren noch ein
Vertragsverletzungsverfahren noch irgendetwas anderes
eingeleitet, um diese Missstände zu beheben . Schon vor
fünf Jahren wäre es möglich gewesen, korrigierend ein-
zugreifen .
Stattdessen haben wir nun das Problem, dass Schengen
und Dublin insgesamt fundamental gefährdet sind . Der
Europäische Rat wird sich morgen und übermorgen da-
mit intensiv befassen und versuchen müssen, kurzfristig
Lösungen oder zumindest Teillösungen zu finden.
Das bestehende Missverhältnis stellt ein Problem für
die Durchsetzung europäischen Rechts und für die Zu-
kunft der Europäischen Union dar . Zu diesem Schluss
bin ich gekommen, als ich mir angehört habe, was
Jean-Claude Juncker gestern vor dem Europäischen Par-
lament in Straßburg gesagt hat . Er hat offensichtlich mit
Blick auf eine Stellungnahme des Bundesfinanzministe-
riums zu dem Fünf-Präsidenten-Bericht, in dem es heißt,
es sei wichtig, dass die politische Aufgabe der Kommis-
sion nicht ihrer Rechtsdurchsetzungsaufgabe als Hüterin
der Verträge schadet, erklärt, er lässt sich die Kommis-
sion nicht durch die Mitgliedsländer schwächen, indem
mehr auf eine unabhängige Rechtsdurchsetzung geachtet
werden soll . Nach seiner Auffassung ist es so, dass alles,
was zu entscheiden ist, politische Entscheidungen sind
und dass die Europäische Kommission nur dem Europä-
ischen Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig ist.
Vielleicht hat er es nicht so gemeint; aber man kann es
so verstehen .
Ich sage Ihnen eines ganz deutlich: Es liegt nicht im
Ermessen der Europäischen Union, selber festzustellen,
wo das europäische Recht durchgesetzt wird und wo
nicht,
und es liegt auch nicht im Ermessen des Europäischen
Parlamentes, zu entscheiden, wo europäisches Recht
durchgesetzt wird und wo europäisches Recht großzü-
gig vernachlässigt wird . Wenn diese Europäische Union
nicht als Rechtsunion funktioniert, dann wird sie schei-
tern . Dann wäre es nämlich eine Willkürunion,
und dann würde Recht von Opportunitätsüberlegungen
ausgehend entweder mal durchgesetzt – ganz scharf und
ganz straff – oder links liegen gelassen .
Leider zeigt der Fünf-Präsidenten-Bericht, über den
wir schon mehrfach diskutiert haben, genau dieselbe
Annalena Baerbock
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14297
(C)
(D)
Richtung auf . Ich will nur dieses eine Beispiel nennen:
Die fünf Präsidenten kommen richtigerweise zu dem Er-
gebnis, dass eine Richtlinie von 2009 zur Einlagensiche-
rung bisher – sechs Jahre ist es her – in fast der Hälfte der
Mitgliedsländer nicht umgesetzt worden ist . Das heißt,
fast die Hälfte der Mitgliedsländer ist ihrer Verpflichtung
nicht nachgekommen, leistungsfähige und krisenfeste
Einlagensicherungssysteme zu schaffen .
Anstatt jetzt nach Wegen zu suchen, wie diese Richt-
linie in den Mitgliedsländern endlich umgesetzt werden
kann – natürlich gibt es objektive Gründe dafür, dass das
in Spanien und in Portugal noch nicht geschehen ist; in-
sofern hat jeder Verständnis dafür –, kommt man auf die
Idee, vorzuschlagen: Okay, lassen wir das . Dann machen
wir eine europäische Einlagenrückversicherung . – Das
heißt, wir verlagern die Haftung für mögliche Probleme
in den Ländern, in denen die Richtlinie von 2009 nicht
umgesetzt worden ist, auf die Europäische Union .
Auch hier muss eine Grenze gezogen werden; denn die
Menschen in Europa und auch die Menschen in Deutsch-
land werden es nicht akzeptieren, dass die Nichtumset-
zung von europäischem Recht in den Mitgliedstaaten
dazu führt, dass immer weniger Staaten, die noch leis-
tungsstark sind, die Haftung für nicht umgesetztes Recht
in den anderen Mitgliedstaaten übernehmen müssen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf dem
morgen beginnenden Europäischen Rat besteht die Mög-
lichkeit, über leichte Korrekturen nachzudenken . Ich
halte das für sehr notwendig, und ich wünsche der Bun-
deskanzlerin, die jetzt leider nicht mehr da sein kann, al-
les Gute für die wichtigen und wesentlichen Beratungen
morgen und übermorgen .
Danke schön .
Der Kollege Detlef Seif hat für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Zeit drängt . Die Union ist
fest entschlossen, den weiteren hohen Zuzug von Asylbe-
werbern und Flüchtlingen durch wirksame Maßnahmen
spürbar zu verringern, damit unser Land nicht überfor-
dert wird . National und international ist vieles schon auf
den Weg gebracht worden; die Bundeskanzlerin hat in ih-
rer Regierungserklärung die wichtigsten Punkte ja auch
angesprochen . Auch auf europäischer Ebene, auch beim
Europäischen Rat werden wichtige Themen erörtert .
Natürlich sind die gravierenden Mängel bei der Siche-
rung der EU-Außengrenze zu beheben . Ich verweise auf
mangelnde und auch gar keine Kontrollen . Der Schen-
gen-Raum als ein Raum der Sicherheit und Freiheit ist
bei seiner Gründung so nicht gedacht gewesen . Die Dub-
lin-III-Verordnung – das haben verschiedene Kollegen
schon angesprochen – funktioniert nicht bei einem hohen
Zustrom von Flüchtlingen; ihn zu bewältigen, dazu ist
sie völlig ungeeignet . Es ist auch richtig, dass wir Auf-
nahme- und Prüfungszentren an den EU-Außengrenzen
errichten – sogenannte Hotspots –, damit die Verfahren
gebündelt werden können, damit zügig verteilt werden
kann und damit auch Rückführungen vorgenommen
werden können . Es wäre auch wünschenswert, wenn die
beiden Maßnahmen zur Verteilung von 160 000 Flücht-
lingen in Europa umgesetzt würden und wir zu einem
dauerhaften Verteilungsmechanismus kämen .
Aber, meine Damen und Herren, nehmen wir einmal
alle Maßnahmen zusammen und denken wir, diese wären
alle zu 100 Prozent optimal umgesetzt . Was wäre dann
erreicht? Wir hätten erreicht, dass die EU-Außengrenze
sicherer wäre, dass die Personen registriert und erfasst
werden, dass die Verfahren zügiger ablaufen und dass
eine gerechte Verteilung innerhalb der Europäischen
Union umgesetzt wird .
Aber die meisten Menschen, die im Moment zu uns
kommen, sind gar nicht die, die hier kein Bleiberecht
haben; die meisten haben ein Bleiberecht nach den eu-
ropäischen Vorschriften . Genau hier muss die Europäi-
sche Union ansetzen und noch einiges nachjustieren . So
könnte zum Beispiel auch im Einklang mit der Genfer
Flüchtlingskonvention geregelt werden, dass Menschen,
die bereits sicher untergekommen sind und sich nicht
mehr unmittelbar auf der Flucht befinden, kein Bleibe-
recht mehr in Europa haben . Das gilt für Flüchtlinge im
Libanon, in Jordanien und in der Türkei .
Aber was noch viel wichtiger ist – im Zusammenhang
mit der Familienzusammenführung haben wir das Thema
öfter besprochen –, ist der subsidiäre Schutz . Es ist im
Primärrecht der Europäischen Union nur angedeutet, ein
System des subsidiären Schutzes zu errichten . Aber wie
dieser Schutz ausgeprägt ist und welche Tragweite er hat,
ist nirgends geregelt . Hier könnte die Europäische Union
ansetzen und auch Einschränkungen vornehmen .
Das wirkt natürlich nur dann, wenn wir diese Regeln
nationalstaatlich eins zu eins umsetzen . Wir wissen: Auf-
grund des hohen Zustroms machen wir das gerade bei
syrischen Flüchtlingen zurzeit nicht . Wir führen keine
Anhörungen durch und gestehen direkt den Flüchtlings-
status nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu, obwohl
viele Bürgerkriegsflüchtlinge sind.
Das Gute an diesem Vorschlag ist, dass wir uns nicht
mit den anderen Mitgliedstaaten herumstreiten müssten .
Es ist erkennbar, dass wir trotz der Interessen jedes ein-
zelnen Mitgliedstaates hierfür mit Sicherheit eine breite
Mehrheit finden würden. Eines ist klar: Bei der Vertei-
lung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Uni-
on – einige Kollegen haben das mit Blick auf die Grund-
rechtecharta angedeutet – entspricht es nicht unseren
Wertvorstellungen und nicht dem, was die Europäische
Union geregelt hat, wie sich insbesondere die Visegrad-
länder Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei verhal-
Michael Stübgen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514298
(C)
(D)
ten . Aber einen schnellen Sinneswandel dieser Länder
werden wir nicht herbeiführen .
Ich greife jetzt auf, was Kollege Poß gesagt hat . Wir
sollten ein Bashing dieser Länder vermeiden . Da vertrete
ich eher die Linie unseres Fraktionsvorsitzenden Kauder:
Wir müssen sehen, dass wir mit diesen Ländern vertrau-
ensvoll zusammenarbeiten, dass wir gemeinsam Lösun-
gen erarbeiten . Wenn wir jetzt jede Angelegenheit, wie
Kollege Poß es vorgeschlagen hat, rechtlich durchsetzen,
also alle rechtlichen Maßnahmen ergreifen – das war sei-
ne Aussage –, dann ist das Vertrauen weg .
Wir müssen aber gerade an dieser Stelle das Vertrauen
wieder zurückgewinnen .
Ich darf daran erinnern: Die Europäische Union könn-
te auch Egoismusunion, EU, heißen . Warum? Weil im-
mer mitgliedstaatliche Interessen den Ausschlag gegeben
haben, weil immer irgendjemand einen Rabatt, eine Aus-
nahme oder eine Sonderregelung haben wollte . Großbri-
tannien ist da der prominenteste Vertreter . Machen wir
uns doch nichts vor: Die Europäische Union würde doch
nicht funktionieren, wenn wir an der einen oder anderen
Stelle nicht auch mal nachgeben würden . Mir ist es lie-
ber, wenn wir jetzt gemeinsam vertrauensvoll an einem
Konzept wie dem eben vorgeschlagenen arbeiten, einem
Konzept, das auch umsetzbar ist . Alles andere muss sich
entwickeln .
Natürlich dürfen Flüchtlinge nicht aufgrund ihrer
Religionszugehörigkeit oder aufgrund ihrer Herkunft
benachteiligt werden . Aber lassen Sie uns das mit klei-
nen Schritten auch diesen Ländern beibringen und nicht
durch Aggressivität .
Ich weiß, meine Zeit –
Ist am Ende .
– ist abgelaufen .
Das wollte ich nicht formulieren .
Nur hier am Rednerpult . Ich hoffe, ich bleibe der Welt
noch ein bisschen länger erhalten .
Lassen Sie uns deshalb mit allen Ländern an einer
Politik der Verteilung von Flüchtlingen und an einem
gemeinsamen neuen Asylsystem arbeiten, das wir aber
auf der Basis des Vertrauens und der Zusammenarbeit er-
stellen und nicht auf der Grundlage des Drucks und der
Repression .
Vielen Dank .
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/7045 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die not-
wendigen Umgruppierungen zügig vorzunehmen . – Ich
rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
Drucksachen 18/6996, 18/7041
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Num-
mer 10 Absatz 2 der Richtlinien für die Fragestunde die
dringliche Frage des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke
auf Drucksache 18/7041 auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das auf die Initiative
Saudi-Arabiens geplante militärische Bündnis von mehr als
30 islamischen Staaten, zu dem unter anderem die Türkei, Ka-
tar, Pakistan und Saudi-Arabien gehören, welches „unter der
hen Osten und in Nordafrika eingesetzt werden soll?
Zur Beantwortung steht die Staatsministerin Professor
Maria Böhmer zur Verfügung . – Bitte, Frau Staatsminis-
terin .
D
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Kollege
Gehrcke, ich darf Ihnen wie folgt antworten: Dass die
islamischen Staaten den Terrorismus verurteilen und ihn
gemeinsam bekämpfen wollen, ist grundsätzlich zu be-
grüßen . Derzeit liegen der Bundesregierung noch keine
ausreichenden Informationen für eine weiterführende
Bewertung vor . Es bleibt abzuwarten, über welche Struk-
tur und welche Fähigkeiten das neue Bündnis verfügt und
wie sich sein Verhältnis zu der bestehenden Anti-IS-Al-
lianz entwickelt .
Sie haben das Wort für die erste Nachfrage .
Schönen Dank, Frau Präsidentin . – Danke für die Ant-
wort, Frau Staatsministerin . Ich befürchte, dass diese Mi-
litärallianz unter Führung von Saudi-Arabien nicht den
Kurs der Wiener Verhandlungen und des dabei vereinbar-
ten Neun-Punkte-Programms fortsetzen wird . Morgen
wird in New York eine neue Runde eröffnet; Lawrow und
Kerry haben sich geeinigt . Befördert die Bildung dieser
Militärallianz eine friedliche Lösung, oder wächst mit
dieser Militärallianz die Gefahr, dass das, was in Wien
auch unter Mitwirkung des deutschen Außenministers
erreicht worden ist, zerschlagen wird?
Detlef Seif
http://www.faz.net/aktuell/politik/kampf-gegen-den-terror/kampf-gegen-den-is-saudi-arabien-kuendigt-islamische-militaerallianz-an-13966795.html
http://www.faz.net/aktuell/politik/kampf-gegen-den-terror/kampf-gegen-den-is-saudi-arabien-kuendigt-islamische-militaerallianz-an-13966795.html
http://www.faz.net/aktuell/politik/kampf-gegen-den-terror/kampf-gegen-den-is-saudi-arabien-kuendigt-islamische-militaerallianz-an-13966795.html
http://www.faz.net/aktuell/politik/kampf-gegen-den-terror/kampf-gegen-den-is-saudi-arabien-kuendigt-islamische-militaerallianz-an-13966795.html
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14299
(C)
(D)
D
Herr Kollege Gehrcke, das, was Sie zuerst geäußert
haben, ist rein spekulativ . Man muss sehr deutlich sehen,
wie sich Saudi-Arabien einbringt . Sie wissen, dass gera-
de in Riad eine Konferenz mit der bisher zersplitterten
Opposition stattgefunden hat . Man traf sich dort, um ein
gemeinsames Fundament zu schaffen . Ich glaube, dass
es nach wie vor von entscheidender Bedeutung ist, dass
alle am Tisch sitzen . Dazu gehört auch Saudi-Arabien .
Insofern setzen wir weiter auf den Prozess, der mit den
Verhandlungen in Wien begonnen hat und sich jetzt in
dieser Abfolge fortsetzen wird .
Sie haben das Wort für eine zweite Nachfrage .
Ich habe nicht danach gefragt, ob es wichtig ist, dass
alle gemeinsam am Tisch sitzen . Damit rennen Sie bei
mir offene Türen ein . Man muss immer mit seinen Fein-
den verhandeln . Vielmehr habe ich nach Ihrer Beurtei-
lung der Militärallianz gefragt; das ist etwas ganz ande-
res .
Ich frage jetzt einmal andersherum . Heute ist einem
saudi-arabischen Blogger der Sacharow-Preis verliehen
worden, der zu zehn Jahren Haft und 1 000 Stockschlä-
gen verurteilt worden ist . Was dort vollzogen wird, ist ge-
wissermaßen Mord . Kann ich zu Recht formulieren, dass
Saudi-Arabien mittlerweile die reale Variante des IS ist?
Mit einer solchen realen Variante des IS verbündet man
sich nicht im Kampf gegen den Terror .
D
Herr Gehrcke, ich will Ihnen ganz deutlich sagen, dass
das, was Sie hier äußern, in keiner Weise nachvollziehbar
ist . Ich weiß nicht, worauf Sie Ihre Vermutungen stüt-
zen . Die Bundesregierung spricht Menschenrechtsfragen
stets mit großer Intensität gegenüber Saudi-Arabien an .
Das ist uns ein zentrales Anliegen . Hier werden wir auch
nicht lockerlassen . Aber auf der anderen Seite jetzt Ver-
mutungen über die neu geschmiedete Allianz zu äußern,
nachdem sie erst gestern vorgestellt worden ist – die
Presse ist sich darüber einig, dass die Aussagen noch re-
lativ vage sind –, ist mit Sicherheit viel zu früh .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Heike
Hänsel das Wort .
Danke schön . – Frau Staatsministerin, ich bin zunächst
einmal erstaunt, dass die Bundesregierung über die neue
Initiative Saudi-Arabiens und etlicher islamischer Staa-
ten anscheinend so gut wie gar nicht informiert ist .
Mich verwundert, dass Saudi-Arabien auch Mitglied
in der US-geführten Anti-IS-Allianz ist . Die Bundesre-
gierung wird ja mit ihrem neuen Kriegseinsatz Daten, die
die Tornados im Rahmen der Aufklärung in der Region
sammeln werden, zur Verfügung stellen . Diese Daten
werden dem Militärbündnis einschließlich Saudi-Arabi-
ens und der Türkei zur Verfügung gestellt . Meine Frage:
Bekommt Saudi-Arabien Zugang zu Informationen, die
von den deutschen Tornados in Syrien beschafft werden?
Wenn dies nicht vorgesehen sein sollte: Wie gewährleis-
ten Sie, dass Saudi-Arabien im Rahmen dieses Militär-
bündnisses keinen Zugang dazu bekommt und diese In-
formationen im Rahmen des anderen Militärbündnisses
nicht verwenden kann?
D
Frau Kollegin, ich weiß, dass Sie schon mehrfach Be-
fürchtungen dieser Art geäußert haben . Ich kann mich
sehr wohl daran erinnern – ich glaube, Sie auch –, dass
die Verteidigungsministerin dazu Stellung genommen
hat . Darauf verweise ich jetzt .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Katja
Keul das Wort .
Mich treibt eine ähnliche Frage um . Ich habe einmal
nachgeschaut, wer Mitglied der Operation Inherent Re-
solve und wer Mitglied des saudischen Bündnisses ist .
Da gibt es erhebliche Überschneidungen . Ich glaube,
zehn Staaten wollen in beiden Militärallianzen gegen
den IS kämpfen . Meine Frage ist: Wie soll das mit den
Kommandostrukturen funktionieren? Die Bundeswehr
ist im Rahmen der Operation Inherent Resolve tätig . Wie
ist eine Zusammenarbeit mit den Ländern vereinbar, die
auch Mitglied des anderen Bündnisses sind?
D
Frau Kollegin, ich verstehe natürlich, dass Sie diese
Frage umtreibt . Man muss sie sich auch stellen . Aber so-
lange wir von den Saudis und vonseiten dieser Allianz
keine konkreteren Informationen haben außer der, dass
sie ein großes Interesse daran haben, nicht alleine, son-
dern in Abstimmung zu handeln – das ist aber noch nicht
konkret unterlegt –, so lange kann ich dazu im Detail kei-
ne Stellungnahme abgeben .
Zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Kollege Andrej
Hunko das Wort .
Vielen Dank . – Frau Böhmer, weil Sie eben ein biss-
chen ausweichend auf die Frage der Kollegin Hänsel ge-
antwortet haben, will ich eine Nachfrage stellen: Können
Sie ausschließen, dass die Daten, die die Tornados lie-
fern, den Saudis zur Verfügung gestellt werden – ja oder
nein? Ich denke, das ist eine klare Frage .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514300
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(D)
D
Ich habe schon auf die Antwort der Verteidigungsmi-
nisterin verwiesen . Sie können davon ausgehen, dass wir
mit solchen Daten außerordentlich sorgfältig umgehen .
Die Kollegin Vogler hat das Wort .
Fr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kann ich daraus schließen, dass Sie der Auffassung sind,
dass die anderen Abgeordneten, die keine Mitglieder
dieser nichtöffentlich tagenden Ausschüsse sind, und
die Öffentlichkeit, also die Wählerinnen und Wähler, die
ebenfalls keinen Zugang zu den Informationen aus den
nichtöffentlichen Ausschusssitzungen haben, kein Recht
auf eine fundierte Antwort der Bundesregierung auf die-
se strategisch wichtige Frage bezüglich des Tornado-Ein-
satzes haben?
D
Frau Kollegin, damit wir diesen Punkt abschließen
können, übermittle ich Ihnen diese Antwort gerne noch
einmal schriftlich .
Der Kollege Frithjof Schmidt hat das Wort zu einer
Nachfrage .
Frau Staatsministerin, bei der Allianz, die Saudi-Ara-
bien gebildet hat und die sich gegen den Terrorismus
richten soll, fällt auf, wer nicht eingeladen wurde . Es
wurde unter anderem nicht nur der Iran nicht eingeladen,
sondern auch der Oman, der sich gerade im Konflikt zwi-
schen Sunniten und Schiiten immer vermittelnd einge-
bracht hat . Sehen Sie nicht die Gefahr, dass dies weniger
eine Allianz gegen den Terrorismus, sondern eher eine
Allianz gegen die Schiiten ist und damit zu einer Gefahr
für die Stabilität in der Region werden könnte, statt zur
Stabilität beizutragen? Sehen Sie die Möglichkeit dieser
Gefahr, oder würde die Bundesregierung das aus Ihrer
Sicht ausschließen?
D
Wir kennen den Konflikt. Von daher kann ich Ihre
Frage gut nachvollziehen . Das muss einen bewegen . –
Ich habe mir einmal angeschaut, wer in diesem Zusam-
menhang genannt worden ist . Dazu gehört auch Bahrain .
Bahrain hat, wie Sie wissen, eine schiitische Mehrheit .
Saudi-Arabien steht mit etwa zehn weiteren Staaten in
Kontakt; wir müssen sehen, wer noch dazukommt . Ich
glaube, es ist wichtig, dass es hier eine breite Aufstel-
lung gibt . Die Mitglieder kommen aus der Organisation
für Islamische Zusammenarbeit . Das ist die Gruppe, die
den Anspruch hat, die islamische Welt zu repräsentieren .
Wenn man hier noch mehr Mitglieder gewinnt, wäre das,
glaube ich, außerordentlich sinnvoll .
Nachdem die dringliche Frage aufgerufen und be-
antwortet wurde, rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksa-
che 18/6996 in der üblichen Reihenfolge auf .
Frau Staatsministerin Professor Dr . Maria Böhmer
bleibt zuständig für die Beantwortung der Fragen zum
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes .
Die Frage 1 des Kollegen Hans-Christian Ströbele soll
schriftlich beantwortet werden .
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Heike Hänsel auf:
Stellt nach Ansicht der Bundesregierung der Einmarsch
türkischer Truppen in die irakische Provinz Ninawa eine Ver-
letzung der Souveränität Iraks dar, und wie positioniert sich
bzw . welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung auf-
Bitte, Frau Staatsministerin .
D
Gerne, Frau Präsidentin . – Frau Kollegin Hänsel, die
Präsenz türkischer Truppen ist der irakischen Regierung
bekannt . Im Lager Baschika bildet die türkische Ar-
mee seit gut einem Jahr sunnitische Freiwillige für die
Rückeroberung Mosuls aus. Diese Ausbildung findet im
Einvernehmen mit der irakischen Regierung statt . Nach
Einschätzung der Bundesregierung bezog sich der iraki-
sche Protest auf die weitere Verlegung von militärischem
Personal und Sicherheitsgerät in das Lager .
Die Bundesregierung hat sowohl in Gesprächen mit
dem Irak als auch mit der Türkei zu Besonnenheit und
einer raschen Klärung und Verständigung aufgerufen .
Die Bundesregierung geht davon aus, dass beide Seiten
zeitnah eine für beide Seiten akzeptable Lösung erarbei-
ten . Deshalb begrüßt die Bundesregierung die Gespräche
einer hochrangigen türkischen Delegation in Bagdad am
10 . Dezember 2015 und die anscheinend bereits erfolgte
Rückverlegung von Teilen der Schutzkomponente seit
dem 14 . Dezember 2015 .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Danke schön, Frau Staatsministerin . – Dass Sie das so
wachsweich formulieren, zeigt, dass man hier nicht von
einer ganz klar abgesprochenen und abgestimmten Akti-
on sprechen kann . Sie sagen ja, das sei der Regierung be-
kannt . Das kann man auf vielfache Weise interpretieren .
Deshalb meine Nachfrage: Was sagen Sie denn zu der
Reaktion des Verteidigungsausschusses des irakischen
Parlaments nach dem Einmarsch des türkischen Militärs
in die Provinz Ninawa, der eine Annullierung des Sicher-
http://de.sputniknews.com/politik/20151209/306308372.html
http://de.sputniknews.com/politik/20151209/306308372.html
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14301
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heitsvertrages mit den USA beschlossen hat, weil es eben
keinerlei Protest vonseiten der USA aufgrund des Agie-
rens der türkischen Armee gab? Sie sagten ja, es werde
vermittelt . Das zeigt doch, dass es Probleme gab und die
irakische Regierung die Verletzung ihrer Souveränität
nicht einfach so hinnimmt .
D
Frau Kollegin, ich darf Ihnen sagen: Sie sind mir mit
dieser Information voraus; das gesteht man auch ganz
gerne einmal ein . Was unabhängig davon wichtig ist, ist,
dass sich jetzt beide Seiten sehr intensiv austauschen –
das haben wir auch beobachtet; das verfolgen wir sehr
intensiv –; denn keiner hat ein Interesse an einer Eska-
lation . Dass die türkische Seite die zusätzlichen Kontin-
gente zurückgezogen hat – darum geht es ja –, deutet klar
darauf hin, dass die Botschaften verstanden worden sind .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Ich muss feststellen, dass Sie hier eine sehr laxe Um-
gangsweise mit völkerrechtlichen Fragen zeigen, wie es
in anderen Bereichen, zum Beispiel bezüglich Russland,
nicht der Fall ist . Für Russland gibt es Sanktionen; bei
der Türkei wird vermittelt, damit es keine größeren Re-
aktionen vonseiten der irakischen Regierung oder des
Sicherheitsrats gibt . Ich frage: Wie begründet die Bun-
desregierung ihre Doppelstandards bei der Frage des
Umgangs mit dem Bruch von Völkerrecht?
D
Frau Kollegin, ob es sich hier um den Bruch von Völ-
kerrecht handelt, können wir nicht beurteilen; denn dazu
brauchen Sie eine ganz andere Basis und ganz andere
Fakten .
Zum Zweiten ist im Irak sehr wohl bekannt, dass
türkische Truppen in diesem Bereich präsent sind . Die
Ausbildung im Lager Baschika ist positiv aufgenommen
worden, weil es sich um eine Unterstützung handelt . Ich
will noch einmal sagen: Natürlich hat der Irak entspre-
chend reagiert; aber das hat nichts mit einem Bruch von
Völkerrecht zu tun . Der Protest richtet sich gegen den
Aufwuchs an Truppen und militärischem Gerät, aber
nicht gegen die türkische Präsenz in Teilen des Landes .
Die Frage 3 der Kollegin Dağdelen soll schriftlich be-
antwortet werden .
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Andrej Hunko auf:
Warum hat sich die Bundesregierung nicht gegen ei-
nen Beschluss über eine Verlängerung von EU-Sanktionen
gegen Russland ohne eine inhaltliche Aussprache im Rah-
men des Rates der Europäischen Union oder des Europäi-
forderungen stellt die Bundesregierung an Russland, damit
sie sich für eine Aufhebung oder Lockerung der Sanktionen
aussprechen würde?
D
Gerne, Frau Präsidentin . – Herr Hunko, ich darf zum
ersten Teil Ihrer Frage wie folgt antworten: Die Dauer
der sektoralen Wirtschaftssanktionen gegen Russland
wurde vom Europäischen Rat, in enger Abstimmung mit
den G-7-Partnern, mit der vollständigen Umsetzung der
Minsker Vereinbarung verknüpft . Die jetzige Verlänge-
rung der EU-Sanktionen um sechs Monate geschieht in
dem Verständnis, dass bei der Umsetzung der Minsker
Vereinbarung noch einige Arbeit zu leisten ist und wir
gleichzeitig erwarten, bis zum Sommer entscheidende
Fortschritte zu erreichen . Schon aufgrund der Fristen,
die beim Pariser Gipfeltreffen im Normandie-Format –
ich darf daran erinnern: das war am 2 . Oktober dieses
Jahres – von den Regierungschefs Frankreichs, Deutsch-
lands, Russlands und der Ukraine vereinbart wurden,
wird die Umsetzung bis in das Jahr 2016 fortdauern . Es
ist deshalb folgerichtig, dass im Rahmen der Doppelstra-
tegie aus Druck und Dialogangeboten auch die Sankti-
onen bestehen bleiben . Hierzu – das ist in diesem Zu-
sammenhang wichtig – besteht im EU-Kreis politisches
Einvernehmen . Die entsprechenden Beschlüsse werden
derzeit in den Ratsgremien vorbereitet, um die Sanktio-
nen rechtzeitig vor Ende Januar zu verlängern .
Jetzt komme ich zum zweiten Teil Ihrer Frage . Das
Minsker Maßnahmenpaket verpflichtet beide Seiten,
gemeinsam die Voraussetzungen für die Umsetzung zu
schaffen, unter anderem durch Vorarbeiten in den ent-
sprechenden Minsker Arbeitsgruppen . Die Verhandlun-
gen dauern an . Russland trägt für die Umsetzung der
Minsker Vereinbarung eine ganz wesentliche Verantwor-
tung .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Staatsministerin . – Die Verlänge-
rung der Sanktionen sollte in der letzten Woche im Rat
sozusagen geräuschlos durchgewunken werden . Italien
hat sich dagegengestellt und damit eine politische Befas-
sung im Rat ausgelöst . Das ist schon ein wichtiger Punkt,
der diskutiert werden muss . Meine Frage: Wie bewertet
man die Umsetzung bzw . Nichtumsetzung der Minsker
Vereinbarungen? Welchen Anteil daran haben die Se-
paratisten, welchen Anteil eventuell Russland, welchen
Anteil die Ukraine? Nur durch das Blockieren Italiens
kommt es jetzt zu einer Diskussion . Warum hat sich die
Bundesregierung – ohne Diskussion – für ein Durchwin-
ken der Verlängerung der Sanktionen ausgesprochen?
Heike Hänsel
http://www.handelsblatt.com/politik/international/eu-sanktionen-gegen-russland-italien-stellt-sich-quer/12701224.html
http://www.handelsblatt.com/politik/international/eu-sanktionen-gegen-russland-italien-stellt-sich-quer/12701224.html
http://www.handelsblatt.com/politik/international/eu-sanktionen-gegen-russland-italien-stellt-sich-quer/12701224.html
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(D)
D
Wenn ich antworten darf, Frau Präsidentin? – Wenn
sich alle über die Fortführung der Sanktionen einig
sind – auch Italien ist mit uns einig –, kann man das be-
schließen; man kann es aber auch auf die Tagesordnung
setzen . Auf die Frage, ob hier eine Diskrepanz besteht –
darauf wollen Sie ja hinaus –, kann ich Ihnen ganz klar
sagen: Nein .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Zum Sachverhalt: Die Umsetzung der Minsk-II-Ver-
einbarungen ist, gelinde gesagt, nicht einfach . Wir haben
auf der einen Seite die ukrainische Regierung, die die
versprochene Verfassungsreform, mit der dem Donbass
ein Sonderstatus eingeräumt werden sollte – gemäß der
Minsker Verhandlungen hätte sie bis Ende 2015 stattfin-
den sollen –, bislang nicht beschlossen hat . Auf der an-
deren Seite haben wir die Situation in den sogenannten
Separatistengebieten, in denen Mitte Februar die Wahlen
stattfinden sollen. Nach meinem Kenntnisstand nach Ge-
sprächen sowohl mit der ukrainischen Seite als auch mit
der Seite der sogenannten Separatisten wird es verdammt
schwierig, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen .
Warum ist der Druck, den Sie ausüben, ausschließlich
auf Russland gerichtet? Denn auch wenn die ukrainische
Seite jetzt blockiert – sie trägt ja einen Teil der Verant-
wortung – und eine Umsetzung der Minsk-II-Verein-
barung nicht zustande kommt, werden die Sanktionen
gegen Russland verlängert . Das ist doch nicht logisch .
Sie müssten doch ein Instrumentarium anwenden, mit
dem beide Seiten verpflichtet werden, die Minsk-II-Ver-
einbarungen umzusetzen . Warum ist das einseitig aus-
gerichtet? Glauben Sie, dass Russland wirklich auf alle
Aspekte, auch diejenigen, die in der Verantwortung der
ukrainischen Seite liegen, einen Einfluss hat?
Entschuldigung, Frau Staatsministerin, einen kleinen
Moment . – Mir sei folgender Hinweis gestattet: Wir un-
terstützen die Einhaltung der Fragezeit wie auch die Ein-
haltung der Antwortzeit durch optische Signale . Wenn
die Zeitanzeige rot wird, ist die Zeit ausdrücklich abge-
laufen . Ich bitte, auf die anderen Kolleginnen und Kolle-
gen, die noch Fragen haben, Rücksicht zu nehmen . – Bit-
te, Frau Staatsministerin .
D
Sehr gerne, Frau Präsidentin . Ich mache es auch kurz,
um die Zeit aufzuholen .
Herr Kollege, ich darf daran erinnern, dass das
Minsker Maßnahmenpaket beide Seiten verpflichtet, die
entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen .
Eben .
D
Das ist keine einseitige Antwort an Russland . Wir be-
ziehen beide Seiten ein, wenn es darum geht, die Voraus-
setzungen zu erfüllen . Daran werden wir auch festhalten .
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Gehrcke
das Wort .
Frau Präsidentin, nun unterstellen Sie, dass bei mir
eine gewisse Freude aufkommt, wenn Rot aufleuchtet.
Insofern bin ich dann auch bereit, meine Frage abzubre-
chen .
Frau Staatsministerin, Sie haben von einer Doppel-
strategie gesprochen . Wenn ich „Doppelstrategie“ ein-
fach übersetze, heißt das: Bestrafung und Belohnung .
In der Ukraine-Frage sind Fortschritte erreicht worden;
das hat der Außenminister gerade betont . Welche Beloh-
nung – wenn es eine solche ist – in Form einer Aufhe-
bung von Sanktionen ist bisher von der Bundesregierung
in der EU vorgeschlagen worden, damit es wirklich eine
Doppelstrategie werden kann? Bescheiden habe ich ja
immer gesagt: Einstieg in den Ausstieg, mehr wollen wir
doch erst einmal gar nicht .
D
Herr Kollege Gehrcke, ich habe die Ausfüllung der
Doppelstrategie anders beschrieben als Sie, nämlich mit
Druck und Dialogangeboten . Ich glaube, der hohe Ein-
satz von unserer Seite, aber auch im Verbund beispiels-
weise mit unseren französischen Freunden, hat sich sehr
wohl gelohnt, um Schritt für Schritt weiterzukommen .
Sie wissen genauso wie ich, wie zäh dies ist . Wir werden
bei dieser Doppelstrategie bleiben .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Hänsel
das Wort .
Danke, Frau Staatsministerin . – Auf die Nachfrage
meines Kollegen Hunko zu den Sanktionen gegenüber
Russland sagten Sie gerade, es seien beide Konfliktpar-
teien verpflichtet, also Russland und die Ukraine. Da fra-
ge ich mich: Welche Konsequenzen hat denn die ukrai-
nische Regierung zu befürchten? Was sind da Ihre ganz
konkreten Druckmittel bei Nichterfüllung? Die ukraini-
sche Regierung erhält Geld von der Europäischen Union .
Die Entwicklungszusammenarbeit in dieser Region ist
massiv aufgestockt worden .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14303
(C)
(D)
Welche Konsequenzen werden gegenüber der Ukraine
angedroht?
D
Frau Kollegin, vielleicht erinnern Sie sich, wie der
Konflikt seinen Anfang nahm. Man sollte sehr klar se-
hen, um wen es hier eigentlich geht und was geschehen
ist . Jetzt wird folgender Weg beschritten: Auf der einen
Seite werden von EU-Seite Sanktionen gegenüber Russ-
land verhängt; auf der anderen Seite wird immer wieder
der Dialog praktiziert . In dieses Vorgehen, in diesen po-
litischen Prozess werden beide Seiten einbezogen . Wir
glauben daran, dass nur der Weg, beide zusammenzu-
bringen, erfolgversprechend ist .
Der Kollege Lenkert hat das Wort .
Frau Staatsministerin, ich möchte die Frage, die eben
gestellt wurde, konkretisieren . – Für den Fall, dass das
Minsker Abkommen nicht eingehalten wird, verlängern
Sie automatisch die Sanktionen gegen Russland, und
zwar unabhängig davon, wer für die Nichteinhaltung ver-
antwortlich ist . Sollte die ukrainische Seite zum Beispiel
bis zum Jahresende die versprochene und im Vertrag ver-
einbarte Verfassungsänderung nicht durchführen: Wel-
che Sanktionen oder Druckmittel werden Sie aufgrund
des Verstoßes von ukrainischer Seite gegen das Abkom-
men einsetzen? Falls keine Sanktionen erfolgen sollten:
Wieso messen Sie mit zweierlei Maß?
D
Herr Kollege, es geht darum, dass sich beide Seiten
an das halten, was in Minsk vereinbart wurde . Über die
Arbeitsgruppen wurde ein Prozess in Gang gesetzt; man
braucht aber noch Zeit . Insofern kann ich die Aufspal-
tung, die Sie in Ihrer Frage vornehmen, nicht nachvoll-
ziehen . Ich glaube, wir sind alle gut beraten, wenn mit
großer Intensität an der Umsetzung des Minsker Abkom-
mens gearbeitet wird .
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Auswärtigen Amts . – Herzlichen Dank, Frau Staatsmi-
nisterin .
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums des Innern auf . Zur Beantwortung steht der Parla-
mentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings zur Verfü-
gung .
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Andrej Hunko auf:
Was ist der Bundesregierung über die zahlenmäßige Ent-
wicklung der letzten drei Jahre
bezüglich Ausschreibungen im Schengener Informationssys-
tem nach Artikel 36 des Ratsbeschlusses zum SIS II zur
verdeckten polizeilichen oder geheimdienstlichen Fahndung
sich diese Statistik für Ausschreibungen durch deutsche Be-
hörden dar?
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Herr Kollege Hunko! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Das Schengener Informa-
tionssystem ermöglicht es unter anderem Polizeibehör-
den und Nachrichtendiensten, Personen zur verdeckten
Kontrolle auszuschreiben . Die rechtliche Grundlage
bildet Artikel 36 des SIS-II-Ratsbeschlusses . Die von
Ihnen angefragten Zahlen liegen zum Stichtag 15 . De-
zember 2015 nicht vor . Die Europäische Agentur für
IT-Großsysteme, die das SIS-II-Zentralsystem betreibt,
führt solche schengenweiten Auswertungen seit Ein-
führung des Schengener Informationssystems der zwei-
ten Generation im April 2013 jeweils zum Monatsen-
de durch; die zwei Wochen werden Sie verschmerzen
können . Damit stellen sich die Werte ausgehend vom
30 . November 2015 rückwirkend – Sie wollten von mir
die halbjährlichen Zahlen haben – zum 31 . Mai 2013 für
Ausschreibungen zur verdeckten Kontrolle gemäß Arti-
kel 36 II und III SIS-II-Ratsbeschluss wie folgt dar – jetzt
bekommen Sie, wie gewünscht, die Zahlen –:
Zum 31 . Mai 2013 waren 31 907 Personen zur polizei-
lichen Beobachtung im SIS II gespeichert, davon waren
1 508 Ausschreibungen aus Deutschland . Am 30 . No-
vember 2013 betrug die Gesamtzahl der Fahndungen
33 400, von denen 1 525 aus Deutschland stammten . Ein
halbes Jahr später, zum 31 . Mai 2014, stieg die Zahl al-
ler Fahndungen auf 38 547; der deutsche Anteil machte
1 931 Fahndungen aus . Am 30 . November 2014 betrug
das Verhältnis: 43 457 Gesamtfahndungen zu 2 478 deut-
schen Ausschreibungen .
Im Frühjahr dieses Jahres wurde die Funktionali-
tät „immediate action“ bzw . „Sofortmaßnahme“ in das
SIS II implementiert . Zum 31 . Mai 2015 waren von den
49 673 Fahndungen im SIS II 319 mit dem Hinweis
„Sofortmaßnahme“ versehen . Von den 2 872 deutschen
Ausschreibungen hatten 43 diesen Zusatzhinweis . Zum
30 . November 2015 – das ist die aktuellste Zahl – wa-
ren 59 553 Personen im SIS II zur verdeckten Kontrolle
ausgeschrieben . 880 dieser Ausschreibungen enthielten
den erwähnten Hinweis . Bei den 3 142 Fahndungen aus
Deutschland waren 254 Personen mit dem Zusatz „So-
fortmaßnahme“ versehen .
Wer das nicht mitgeschrieben hat, kann das Ganze im
Protokoll nachlesen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank, Herr Dr . Krings . Ich werde die Zahlen
noch einmal in Ruhe nachlesen müssen . Wenn ich das
richtig verstanden habe, sind die Zahlen weiter gestiegen,
wie schon in den Jahren 2013 und 2014 . Wie erklären Sie
diesen Anstieg? Zumindest mit Blick auf 2013 und 2014
Heike Hänsel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514304
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(D)
kann dieser Anstieg ja nicht auf ausländische Kämpfer
zurückgeführt werden . Was ist Ihre politische Erklärung
für den Anstieg dieser Zahlen?
D
Ich entschuldige mich noch einmal dafür, dass ich die
Zahlen so ausführlich vortragen musste; aber darum ging
es ja in Ihrer Frage . Ich habe sozusagen nur Ihre Frage
beantwortet . Sie wollten eine mündliche Antwort haben,
und die gebe ich Ihnen natürlich gerne . Ich denke, es
macht mehr Sinn, sich jetzt darüber auszutauschen, wa-
rum die Zahlen so hochgegangen sind .
Ein Grund – Sie haben ihn bereits genannt; er gilt viel-
leicht nicht für die Steigerungen in den ersten Perioden,
aber doch für die Steigerungen in den letzten Perioden,
die ich genannt habe – sind in der Tat die Steigerungen
beim Phänomen „Foreign Fighter“ . Die Zahlen zu die-
sem Phänomenbereich sind deutlich gestiegen . Wenn Sie
sich die Zahlen der Bundesregierung und anderer europä-
ischer Regierungen dazu anschauen, stellen Sie fest, dass
die Zahlen zum Teil rasant steigen .
Bei solchen Reisebewegungen, aber auch bei ande-
ren Tätern, geht es darum, genauer hinzuschauen . In den
letzten Jahren konnten wir eine starke Sensibilisierung
für dieses System verzeichnen . Die Behörden in einer
ganzen Reihe anderer Staaten, aber auch in Deutschland,
haben diese Ausschreibungen früher vielleicht weniger
ernst genommen als heute . Hinzu kommt, dass wir Ver-
trauen in dieses System benötigen . Wenn Sie jemanden
zur verdeckten Fahndung ausschreiben und sich irgend-
ein Polizeibeamter eines anderen Staates verplappert,
dann können Sie das, was Sie eigentlich erreichen woll-
ten, nämlich jemanden eine Zeitlang verdeckt zu beob-
achten – welche Reisebewegungen gibt es? –, um ein
Netzwerk aufzuspüren, nicht mehr erreichen, weil offen-
gelegt worden ist, dass eine verdeckte Fahndung besteht .
Solche Fälle gab es . Das hat in der Vergangenheit dazu
geführt, dass manche europäischen Behörden sehr zu-
rückhaltend waren . Wir als Deutsche haben die anderen
sehr stark ermutigt, dieses System stärker zu nutzen . Un-
ser Bundesinnenminister fordert auf vielen Ratssitzun-
gen die stärkere Nutzung dieses Systems, weil es für die
gemeinsame Sicherheit in Europa sehr wichtig ist .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Vielen Dank . – Die Europäische Kommission berich-
tete ebenfalls, dass Ausschreibungen einiger Mitglied-
staaten ungültig seien . Man wolle an die Mitgliedstaaten
herantreten, um die Situation zu klären, wie es heißt . Ge-
gebenenfalls würden Untersuchungen eingeleitet . Kön-
nen Sie sagen, was es damit genau auf sich hat und ob
Deutschland davon betroffen ist?
D
Ich habe keine Information, dass Deutschland davon
betroffen ist . Ich kenne auch keine Einzelheiten über die-
se „Fehler“; Ihrer Aussage entnehme ich, dass sie pas-
siert sein sollen . Das würde aber zu dem passen, was ich
Ihnen eben gesagt habe: dass wir – nicht nur wir Deut-
sche, sondern auch die EU-Einrichtungen – für eine stär-
kere Nutzung dieses Systems Werbung machen mussten .
Vielleicht gab es am Anfang nicht nur eine mangelnde
Nutzung, sondern vielleicht ist es in manchen Fällen
auch – das kann ich nicht ausschließen – falsch genutzt
worden . Dieses System muss sich, glaube ich, in der Pra-
xis vieler Sicherheitsbehörden noch stärker einspielen .
Zu den konkreten Punkten, die Sie genannt haben, kann
ich Ihnen hier ad hoc nichts sagen .
Die Frage 6 der Kollegin Dağdelen soll schriftlich be-
antwortet werden .
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Heike Hänsel auf:
Über welche Banken finanziert sich der IS nach Kenntnis
der Bundesregierung, und welche Maßnahmen ergreift die
Bundesregierung, um diese Finanzierung zu stoppen?
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Frau Kollegin! Meine Damen und
Herren! Über eine systematische Bankenfinanzierung
liegen der Bundesregierung keine bestätigten Informa-
tionen vor. Nach unserem Kenntnisstand finanziert sich
der IS jedenfalls primär nicht über Banken . Bekannt ist
lediglich, dass bei der Plünderung der Nationalbank in
Mosul mehrere 100 Millionen US-Dollar durch den IS
erbeutet sein sollen . Weiterhin ist davon auszugehen,
dass der IS sämtliche Banken in seinem Einflussgebiet
unter Kontrolle gebracht und die Einlagen konfisziert
hat. Die meisten Bankfilialen in den vom IS kontrollier-
ten Gebieten in Syrien sind nach hiesigen Informationen
aber auch auf Initiative oder durch Aktionen des IS mitt-
lerweile geschlossen worden . Man versucht dort also of-
fenbar nicht, am Bankenverkehr teilzunehmen, sondern
hat einfach die Mittel, die dort liegen, abgezogen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Es wundert mich doch sehr, dass Sie sagen, der IS
finanziert sich nicht über Geldtransfer, über Banküber-
weisungen aus dem Ausland . Zum Beispiel stand auch in
der Welt, dass die Finanzuntersuchungskommission des
irakischen Parlaments festgestellt hat, dass der IS bis-
her Auslandsüberweisungen in Höhe von 6,9 Milliarden
US-Dollar erhalten hat, die unter anderem auch aus den
USA über die EU gingen . Eine zentrale Rolle spielt da
die Capital Bank of Jordan, eine jordanische Bank, de-
ren Tochter in Mosul eine Filiale hat, die nach wie vor
agiert . Der dortige Direktor sagt: Business as usual . Un-
Andrej Hunko
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14305
(C)
(D)
ter IS-Kontrolle werden dort nach wie vor Bankgeschäfte
getätigt . Anteilseigner einer Tochter der Capital Bank of
Jordan ist die Bank of New York . Da frage ich mich ers-
tens: Wieso wissen Sie das nicht? Zweitens: Wie wollen
Sie darauf reagieren?
D
Ich will einmal nicht so sein und gerne zwei Zusatz-
fragen an einem Stück beantworten . – Erst einmal zum
Kenntnisstand: Ich habe betont, dass Banken nicht die
primäre Finanzierungsquelle sind . Das heißt allerdings
nicht, dass Geldüberweisungen nicht sehr wichtig sind .
Wir haben beispielsweise auch das alternative Banken-
system, das Hawala-System, das eine große Rolle spielt .
Insofern ist diese Art von Geldtransfers schon bedeutend .
Es besteht die Gefahr, dass Banken im direkten Einfluss-
bereich genutzt werden .
Allerdings werden in der Regel Überweisungssysteme
von Banken, auch europäischen Banken, nicht genutzt,
weil es eine strikte Überwachung des Bankenverkehrs
gibt, übrigens hauptsächlich dank des Abkommens, das
wir früher SWIFT-Abkommen und heute TFTP-Ab-
kommen nennen, bei dem es zu einem Datenaustausch
zwischen Europa und Amerika kommt . Das ist ja auch
ein Thema, das die Linken liebevoll begleiten . Wir brau-
chen diese Informationsaustausche, um genau das zu er-
reichen, nämlich dass ebendiese Mittel möglichst nicht
funktionieren und wir Banküberweisungen ausschließen
können . Das hat aber auch dazu geführt, dass man auf
andere Instrumente zurückgreift .
Wir haben in der Tat von europäischer Seite, aber auch
national Gespräche geführt, beispielsweise mit Behörden
in der Türkei und Jordanien – Sie haben sie genannt –,
weil wir die Sorge haben, dass Überweisungen stattfin-
den, dass Bankverkehre noch bestehen . Wir sind im Ge-
spräch mit diesen Staaten, insbesondere mit Jordanien,
um das möglichst auszuschließen .
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage .
Danke schön . – Ich möchte da noch einmal nachfra-
gen . Nach meiner Information konnte man sich auf dem
Treffen der Euro-Gruppe am 7 . Dezember und auch auf
dem Ecofin-Rat am 8. Dezember nicht zwischen den Mit-
gliedstaaten und der Europäischen Kommission darauf
einigen, einen regelmäßigen Austausch über derartige
verdächtige Finanzströme einzurichten . Stimmt das, und
wenn ja, weshalb sind die Mitgliedstaaten einschließlich
der Bundesrepublik Deutschland nicht dazu fähig, zu ei-
nem Übereinkommen zur Kontrolle dieser Finanzströme
zu kommen, obwohl Sie hier der Öffentlichkeit ständig
erklären, Sie würden alles erdenkliche Zivile tun, um den
IS zu bekämpfen?
D
Frau Kollegin, in der letzten Sitzung des Ecofin – das
meinen Sie wahrscheinlich – am 7 . und 8 . Dezember 2015
wurde das Thema „Bekämpfung der Terrorismusfinan-
zierung“ erneut umfassend erörtert . Die Kommission
stellte Überlegungen zu weiteren Maßnahmen im Be-
reich der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung vor.
Diese umfassen unter anderem auch einen Vorschlag für
eine neue Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung, welche
laut Kommission Durchsetzungslücken in den EU-Straf-
rechtsvorschriften schließen soll . Mit dieser neuen Richt-
linie sollen die geltenden Rechtsvorschriften der Europä-
ischen Union über die Verfolgung von Straftaten auch mit
terroristischem Hintergrund nochmals überarbeitet wer-
den . Außerdem sollen mit dieser Richtlinie internationale
Verpflichtungen, wie etwa die bekannte Resolution 2178
des VN-Sicherheitsrates über ausländische terroristische
Kämpfer, das kürzlich verabschiedete Zusatzprotokoll
zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des
Terrorismus und die Empfehlungen der Financial Action
Task Force, FATF, zur Bekämpfung der Terrorismusfi-
nanzierung in EU-Recht umgesetzt werden . So soll unter
anderem die Bereitstellung von Finanzmitteln für ter-
roristische Straftaten und Straftaten im Zusammenhang
mit terroristischen Vereinigungen oder terroristischen
Aktivitäten unter Strafe gestellt und weitere Maßnahmen
aus den Schlussfolgerungen des EU-Sonderrates vom
November 2015 umgesetzt werden .
Also kann ich Ihrer Befürchtung entgegentreten, man
sei hier unfähig gewesen und hätte sich auf nichts geei-
nigt . Konkrete nächste Schritte sind geplant .
Danke, Herr Staatssekretär . – Die Fragen 8 und 9 der
Abgeordneten Dr . Sahra Wagenknecht sowie die Fra-
gen 10 und 11 der Abgeordneten Ulla Jelpke zum Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums des Innern sollen
schriftlich beantwortet werden .
Ich rufe die Frage 12 der Kollegin Corinna Rüffer auf:
In welcher Form plant die Bundesregierung, die EU-Auf-
nahmerichtlinie umzusetzen, die unter anderem für behinderte
Flüchtlinge einen Anspruch auf angemessenen Wohnraum,
eine die Benachteiligung ausgleichende medizinische Behand-
lung und nötige medizinische Hilfsmittel vorsieht, nachdem
aus den Reihen der Union gefordert wurde, die EU-Aufnah-
merichtlinie nicht in der vorliegenden Form in Deutschland
Bitte, Herr Staatssekretär .
D
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, Artikel 17 Absatz 2
der Neufassung der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU be-
stimmt, dass Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass
insbesondere für besonders schutzbedürftige Personen
ein angemessener Lebensstandard, der den Lebensun-
terhalt und die Gesundheit umfasst, gewährleistet wird .
Nach Artikel 19 Absatz 2 der Neufassung der Richtlinie
gewähren die Mitgliedstaaten Antragstellern mit beson-
Heike Hänsel
http://www.tagesschau.de/inland/asylpaket-verzoegerung-101.html
http://www.tagesschau.de/inland/asylpaket-verzoegerung-101.html
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514306
(C)
(D)
deren Bedürfnissen die erforderliche medizinische und
sonstige Hilfe . Als besonders schutzbedürftige Personen
gelten nach Artikel 21 der Neufassung der Richtlinie un-
ter anderem – das ist richtig – behinderte Menschen .
Seit dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtli-
nie besteht für die Behörden und Gerichte der Mitglied-
staaten jetzt schon die Pflicht, das nationale Recht so weit
wie möglich nach Zweck und Wortlaut der genannten
Richtlinienvorschrift auszulegen . Sofern Richtlinienvor-
schriften ihrer Formulierung nach unmittelbar anwend-
bar sind, kommt seit Ablauf der Umsetzungsfrist auch
ihre unmittelbare Anwendung als in den Mitgliedstaaten
unmittelbar geltendes Recht nach den bekannten Grund-
sätzen des Europarechts in Betracht .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Das war jetzt eine sehr grundsätzliche Antwort und
ein Vortrag der rechtlichen Bedingungen, die bestehen .
Es geht ja darum, dass Mindeststandards bei der Auf-
nahme von Flüchtlingen gewährleistet sind . Wie wir alle
wissen, ist die Einhaltung dieser Standards in den Auf-
nahmeeinrichtungen in vielen Fällen schwierig .
Ich möchte eine bestimmte Gruppe ansprechen, näm-
lich die Menschen mit Behinderungen . Diese Menschen
haben einen besonders hohen Schutzbedarf, auch nach
dem, was Sie geschildert haben . Die Frage ist: Wie will
die Bundesregierung dazu beitragen, dass für Menschen
mit Behinderungen genügend Plätze in Aufnahmeein-
richtungen zur Verfügung gestellt werden? Dabei geht
es vor allen Dingen um die Frage der Barrierefreiheit in
jeder Hinsicht .
D
Ich könnte jetzt noch einmal ausführlich darstellen –
ich glaube aber, das wäre nicht zielführend –, was der
Bund insgesamt tut, um den Ländern zu helfen . Allem
voran werden pro Flüchtling, der vor Ort in Landes- oder
Kommunaleinrichtungen untergebracht ist, monatlich
670 Euro zur Verfügung gestellt . Allein das sind Beträge,
mit denen für Länder und Kommunen eine erhebliche Fi-
nanzierungshilfe geleistet wird . Die konkrete Umsetzung
allerdings, beispielsweise im Hinblick auf die Barriere-
freiheit, muss dann natürlich die jeweilige Einrichtung
bzw . der Träger der Einrichtung gewährleisten, also Land
und Kommune . Das sind wichtige Punkte .
Natürlich ist das alles – das haben Sie zu Recht darge-
stellt – in einer Zeit, in der sehr viele Menschen und eben
auch viele Menschen dieser Gruppe zu uns kommen,
schwieriger . Trotzdem bleibt es so: Auch nach jetziger
Rechtslage sind Länder und Kommunen gehalten, für ge-
nau das, was Sie einfordern, zu sorgen .
Im Übrigen: Sie hängen es an der Neufassung der Auf-
nahmerichtlinie auf . Gerade was Menschen mit beson-
derem Schutzbedarf, also auch Behinderte, anbelangt,
hat sich in der neuen Richtlinie im Vergleich zur alten
Richtlinie nichts Wesentliches geändert . Das, was Sie zu
Recht einfordern – die besondere Berücksichtigung eines
besonderen Schutzbedürfnisses –, galt auch schon vor
der neuen Richtlinie .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Ich finde die Antwort ziemlich unbefriedigend, muss
ich sagen . Es ist richtig, dass seit Neuestem etwas mehr
Geld an die Länder fließt, nämlich die 670 Euro. Aber
wir wissen, dass dieses Geld natürlich immer noch nicht
ausreicht, um das zu leisten, was die Länder ohnehin tun
müssen . Die Richtlinie, über die wir reden, bezieht sich
ja auf eine bestimmte Zielgruppe . Da geht es um Hilfs-
mittel- und Heilmittelversorgung und um Therapien, die
die Menschen, die ich ansprechen möchte, nämlich Men-
schen mit Behinderungen, brauchen .
Wir wissen, dass auf Bundesebene rechtliche Hinder-
nisse bestehen . Asylbewerber werden nach dem Asyl-
bewerberleistungsgesetz behandelt . Wenn man zum
Beispiel sagen würde, für behinderte Menschen wäre es
zielführender, sie in Einrichtungen der Behindertenhilfe
leben zu lassen oder sie zumindest tagsüber in Tagesför-
derstätten gehen zu lassen, weil die Versorgung dort ein-
fach besser ist, müsste man auch sagen, dass sie dann
auch Leistungen nach dem SGB XII beziehen dürfen .
Plant die Bundesregierung, da eine Änderung vorzuneh-
men, um dieser Richtlinie gerecht zu werden?
D
Die konkrete Unterbringung ist Sache von Ländern
und Kommunen . Es gibt da keinesfalls bundesrechtliche
Hindernisse, auch dann nicht, wenn ein Land oder eine
Kommune entscheidet, einen Flüchtling mit Behinde-
rung nicht in einer allgemeinen Einrichtung, sondern an-
ders unterzubringen . Es spricht sogar vieles dafür . Aber
das ist keine Entscheidung, die zentral vom Bund getrof-
fen werden kann .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Klein-
Schmeink das Wort .
Bei diesen ganzen Ausführungen stellt sich mir eine
Frage . Die Schutzrichtlinie hätte ja schon längst in Bun-
desrecht umgesetzt werden müssen . Sie haben in Ihren
Antworten nicht erkennen lassen, ob und wann Sie das
tun . Ich möchte, insbesondere mit Blick auf den Perso-
nenkreis der Opfer von Gewalt und der schwer Trauma-
tisierten, darauf hinaus, wann Sie die Umsetzung planen .
Dazu gehören unter anderem ja auch Verfahrensrechte –
ich denke zum Beispiel an die Information über die zur
Verfügung stehenden Hilfen – und Hilfestellungen bei
der Beantragung und Zurverfügungstellung dieser Ver-
Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14307
(C)
(D)
sorgungsangebote . Für wann genau plant die Bundesre-
gierung, dieses umzusetzen?
D
Frau Präsidentin! – Wir sind hierzu mit den beteiligten
Ressorts – das alles kann das Innenministerium nicht al-
leine entscheiden – in intensiven Gesprächen . Wir gehen
davon aus, dass wir diese Umsetzung zügig bekommen
können .
Allerdings – noch einmal –: Bei vielen wesentli-
chen Punkten, die auch vorhin angesprochen worden
sind – ich denke zum Beispiel an den Standard der Un-
terbringung –, hat sich gegenüber der vorhergehenden
Richtlinie gar nicht viel verändert . Insofern: Auch auf
der Grundlage des jetzigen europäischen Rechts gibt es
bereits Standards – auch für Menschen mit besonderem
Schutzbedarf –, die eingehalten werden müssen .
Die Frage 13 des Abgeordneten Harald Petzold, die
Frage 14 der Abgeordneten Brigitte Pothmer, die Fra-
ge 15 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele und die
Fragen 16 und 17 des Abgeordneten Dr . André Hahn sol-
len schriftlich beantwortet werden .
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs .
Danke, Herr Staatssekretär .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Justiz und für Verbraucherschutz . Zur Beant-
wortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatsse-
kretär Ulrich Kelber zur Verfügung .
Die Frage 18 des Kollegen von Notz soll schriftlich
beantwortet werden .
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Christian Kühn
auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Berichten bezüglich der Wirksamkeit der Mietpreisbrem-
Bitte, Herr Staatssekretär .
U
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kühn, ich darf
Ihre Frage wie folgt beantworten: Bei den in der Be-
richterstattung zitierten Untersuchungen eines Unterneh-
mens handelt es sich nur um vorläufige Auswertungen
eines Teilsegments des Wohnungsmarktes, die für eine
fundierte Evaluation nicht aussagekräftig genug sind . Er-
forderlich hierfür wäre eine differenzierte Betrachtung in
Bezug auf die Wirkungen in unterschiedlichen Städten
und Wohnungssegmenten .
Zudem sind die in Bonn – Entschuldigung! –, die in
Berlin untersuchten etwa fünf Monate ein zu kurzer Zeit-
raum . Für eine Evaluation ist es daher noch zu früh . – In
Bonn ist die Mietpreisbremse allerdings auch in Kraft
getreten .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Danke, Herr Staatssekretär, für die Antwort . Mir ist
bekannt, dass in Bonn die Mietpreisbremse gilt . Auch
dort ist einer der angespannten Wohnungsmärkte .
Wenn man als Parlament ein Gesetz erlässt und der
Bevölkerung damit die Hoffnung macht, dass es am
Ende auch wirkt, es also eine dämpfende Wirkung auf
den Wohnungsmärkten hat, will man ja auch wissen, ob
es am Ende wirklich wirkt . Plant die Bundesregierung
eine solche umfassende Evaluation, um die Wirksamkeit
der Mietpreisbremse nachzuweisen und Erkenntnisse da-
rüber zu erlangen?
U
Eine solche Evaluation kann natürlich erst dann star-
ten, wenn erstens ausreichend viele Länder von der Er-
mächtigung Gebrauch gemacht haben, eine Verordnung
für eine Mietpreisbremse in angespannten Wohnungsla-
gen und Wohnungsmärkten zu erlassen, und wenn zwei-
tens von dort dann auch entsprechende Erfahrungswerte
vorliegen . Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und
jetzt auch andere Bundesländer haben hier einen Anfang
gemacht .
Auf der Grundlage ausreichender Erfahrungen kann
dann auch eine Evaluierung stattfinden. Bis zu diesem
Zeitpunkt findet aber natürlich auch eine Beobachtung
statt; wir schauen uns also auch Teilergebnisse an . Einige
Teilergebnisse haben eine erste Abschwächung vorher-
gesagt, andere zeigen wieder andere Entwicklungen auf .
Diese muss man aber auch mit weiteren Daten abglei-
chen, wie zum Beispiel den Daten über den Zuzug in ei-
nen solchen Wohnungsmarkt und auch den Neubau dort .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Sie sehen zum jetzigen Zeitpunkt also keinen weiteren
Bedarf, an der Mietpreisbremse Änderungen vorzuneh-
men, obwohl es erste Hinweise dafür gibt, dass sie eher
sozusagen eine Delle in den Mietmärkten auslöst, anstatt
wirklich ein bremsender Faktor zu sein?
U
Wie ich in der ersten Antwort bereits gesagt habe, ist
eine Untersuchung über ein Teilsegment eines Marktes,
nämlich über die in der Datenbank eines Unternehmens
eingetragenen Wohnungen, über einen Zeitraum von fünf
Monaten in einer Stadt sicherlich nicht aussagekräftig,
um über die Wirkung eines Instruments wie der Miet-
preisbremse, die auf den gesamten angespannten Woh-
Maria Klein-Schmeink
http://www.berliner-zeitung.de/wohnen/zu-hohes-mietpreisniveau-berliner-mieterverein-will-mietpreisbremse-verschaerfen,22227162,32893250.html
http://www.berliner-zeitung.de/wohnen/zu-hohes-mietpreisniveau-berliner-mieterverein-will-mietpreisbremse-verschaerfen,22227162,32893250.html
http://www.berliner-zeitung.de/wohnen/zu-hohes-mietpreisniveau-berliner-mieterverein-will-mietpreisbremse-verschaerfen,22227162,32893250.html
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514308
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(D)
nungsmarkt wirken soll, wirklich eine Aussage treffen zu
können .
Wir bleiben bei diesem Themenkomplex und ich rufe
die Frage 20 des Kollegen Christian Kühn auf:
Plant die Bundesregierung, die Mietpreisbremse in der für
das Frühjahr 2016 geplanten zweiten Mietrechtsnovelle zu
verschärfen, um ihre preisdämpfende Wirkung zu steigern,
und, wenn ja, durch welche Maßnahmen?
Bitte, Herr Staatssekretär .
U
Frau Präsidentin! Herr Kollege, innerhalb der Bun-
desregierung bereits abgestimmte Planungen zu weiteren
Änderungen des Mietrechts existieren weder im Hinblick
auf den Inhalt noch auf einen Zeitplan . Das Bundesmi-
nisterium der Justiz und für Verbraucherschutz hat aller-
dings in der 48 . Kalenderwoche einen ersten Diskussi-
onsvorschlag zur weiteren Reform des Mietrechts in der
aktuellen 18 . Legislaturperiode vorgelegt . Es enthält die
vom Ministerium erwogenen Maßnahmen .
Unmittelbare Änderungen der Regelungen zur Miet-
preisbremse selbst sind darin nicht vorgesehen . Das Er-
gebnis der weiterführenden Diskussion, am Ende auch
hier im Parlament, bleibt abzuwarten . Der weitere Zeit-
plan ist innerhalb der Bundesregierung nicht abgestimmt,
aber das Bundesministerium der Justiz und für Verbrau-
cherschutz strebt an, im ersten Quartal 2016 einen Refe-
rentenentwurf vorzulegen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Das Ziel dieser zweiten Mietrechtsnovelle soll sein,
dass Menschen vor Verdrängung, vor Gentrifizierung und
vor Raussanieren in den Ballungsräumen, sei es Bonn
oder Berlin, sei es Tübingen oder Stuttgart, geschützt
werden . Dieses Anliegen haben Sie mit der Vorstellung
einer Kappungsgrenze, einer Absenkung der Modernisie-
rungsumlage und anderer Maßnahmen, die Sie einführen
wollen, sehr genau ausgeführt .
Haben Sie in diesem Zusammenhang, als Sie die
Maßnahmen dieses Eckpunktepapiers im Haus debattiert
und abgeglichen haben, überlegt, diese Maßnahmen mit
denen der Mietpreisbremse abzugleichen? In der Miet-
preisbremse gibt es einen Anreiz für möglichst hoch-
preisige Modernisierung . Wenn nämlich die Modernisie-
rung umfassend ist, also mehr als 30 Prozent der Kosten
anfallen, die bei einem Neubau entstehen, dann gilt die
Mietpreisbremse nicht . Genau dieses Einfallstor müsste
geschlossen werden, um die Mietpreisbremse zu einem
Instrument zu machen, mit der die Gentrifizierung, die in
unseren Städten immer weiter ausufert, gestoppt werden
kann . Deswegen noch einmal die Frage: Haben Sie darü-
ber nachgedacht, die Mietpreisbremse an dieser Stelle zu
korrigieren, um dem Ziel der zweiten Mietrechtsnovelle
zu entsprechen?
U
Die Beschlüsse des ersten Mietrechtspaketes und die
jetzt vom Ministerium vorgelegten Vorschläge für ein
zweites Paket lehnen sich sehr eng an den Koalitionsplan
an, in dem die Zusammenhänge als Gesamtpaket berück-
sichtigt wurden . In der Tat: So richtig es ist, dass wir jetzt
nach fünf Monaten und nach Ergebnissen aus nur einem
Teilsegment eines Unternehmens und einer Datenbank
keine Aussage über die Wirkung der Mietpreisbremse
treffen können, obwohl einige der Daten mich eher positiv
stimmen, so wenig richtig ist es, bereits jetzt Vorschläge
für eine Korrektur oder eine Veränderung der Mietpreis-
bremse vorzunehmen . Aber in unseren Vorschlägen sind
in der Tat auch Maßnahmen vorgesehen, die es weniger
lohnend machen, mit besonders teuren und ineffizienten
Sanierungen Mieterinnen und Mieter zu verdrängen . Sie
haben als ein Beispiel die Kappungsgrenze erwähnt .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Sie haben den Abstimmungsprozess innerhalb der
Bundesregierung dazu angesprochen . Nach meinem
Kenntnisstand haben Sie gesagt, dass dieser noch nicht
sehr weit fortgeschritten ist . Auch scheint es mir so zu
sein, dass sich die tragenden Fraktionen der Regierung
im Detail noch nicht einig sind . Ich bin sehr gespannt,
was am Ende im Referentenentwurf steht .
Meine Frage zielt auf etwas anderes . Es gibt ein sehr
umfassendes Bündnis, das sich mit dem Thema „Bauen,
Wohnen und bezahlbare Mieten in Deutschland“ be-
schäftigt, nämlich das „Bündnis bezahlbares Wohnen und
Bauen“ im BMUB; Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-
Sutter, die neben Ihnen sitzt, ist darin involviert . Ich fra-
ge nun: Ist diese zweite Mietrechtsnovelle in irgendei-
ner Art und Weise an dieses Bündnis angekoppelt, und
findet eine Rückkopplung mit den Verbänden statt? War
das auch Teil der Beratungen des Bündnisses? Es macht
keinen Sinn, wenn ein Haus einen groß angelegten Be-
teiligungsprozess startet, aber sich ein anderes Haus, das
sich mit ähnlich elementaren Themen wie dem Mietrecht
auf Wohnungsmärkten befasst, daran nicht beteiligt . Von
daher: Inwieweit ist dieser Prozess mit dem Bündnis und
den Partnerinnen und Partnern dieses Bündnisses abge-
stimmt? Welche Gespräche gab es da?
U
Herr Kollege, beide Häuser haben einen groß ange-
legten Beratungs- und Beteiligungsprozess gestartet .
Sowohl das Bündnis, das Sie gerade erwähnt haben, als
auch die Überlegungen für das zweite Mietrechtspaket
sind Ausfluss von Arbeitsgruppen unter Beteiligung von
Vertretern des Wohnungsmarktes, von Wissenschaft-
Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14309
(C)
(D)
lerinnen und Wissenschaftlern und auch von anderen
Häusern, unter anderem vom BMUB . Diese Maßnahmen
sind also aufeinander abgestimmt .
Danke, Herr Staatssekretär . Wir sind damit am Ende
Ihres Geschäftsbereiches .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Finanzen . Die Fragen 21 und 22 der Abgeord-
neten Lisa Paus, die Fragen 23 und 24 des Abgeordneten
Dr . Axel Troost sowie die Frage 25 der Abgeordneten
Tabea Rößner sollen schriftlich beantwortet werden .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Arbeit und Soziales . Zur Beantwortung steht
die Parlamentische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-
Möller zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 26 der Kollegin Corinna Rüffer auf:
Wie erklärt es sich die Bundesregierung, dass Arbeitsagen-
turen Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärdensprach-
dolmetscher für Gespräche zwischen ihren Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern und hörbehinderten Kundinnen und Kunden
nur dann engagieren und finanzieren, wenn die Kundinnen
Verpflichtung aus § 19 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch
nachkommen?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
G
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kollegin,
Ausgangspunkt Ihrer Frage ist ein Beitrag des Maga-
zins Frontal 21 vom 1 . Dezember dieses Jahres . Die
Aussage der Agentur für Arbeit Bonn, dass im Sinne der
Wirtschaftlichkeit und Effizienz erst dann ein Gebär-
densprachdolmetscher oder eine -dolmetscherin bestellt
werden soll, wenn alle anderen Mittel und Möglichkeiten
ausgeschöpft sind, ist nicht korrekt .
Nach den Regelungen im Behindertengleichstellungs-
gesetz und in den Sozialgesetzbüchern I und X haben
hörbehinderte Menschen einen individuellen Rechtsan-
spruch darauf, in deutscher Gebärdensprache zu kommu-
nizieren . Der Anspruch besteht, soweit dies zur Wahr-
nehmung eigener Rechte erforderlich ist, in dem dafür
notwendigen Umfang . Der Anspruch steht nicht unter
einem Kostenvorbehalt .
Die Bundesagentur für Arbeit hat den Arbeitsagen-
turen und den gemeinsamen Einrichtungen unter den
Jobcentern in Handlungsempfehlungen bzw . Geschäfts-
anweisungen entsprechende Durchführungshinweise
zum Umgang mit Gebärdensprachdolmetschen und
Kommunikationshilfen gegeben . Hinweisen darauf, dass
Rechtsansprüche auf Kommunikationshilfe nicht erfüllt
werden, geht das Bundesministerium für Arbeit und So-
ziales nach . Soweit erforderlich, werden im Einzelfall
die notwendigen aufsichtsrechtlichen Maßnahmen, zum
Beispiel eine Weisung, durch das Ministerium ergriffen .
Auch dem mit Ihrer Frage verbundenen konkreten Fall
gehen wir nach .
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage .
Herzlichen Dank für die Beantwortung der Frage . –
Wir gehen nicht davon aus, dass es sich um einen Ein-
zelfall handelt . Es melden sich immer wieder Personen,
die vergleichbare Probleme haben . Hier geht es um einen
speziellen Fall, der sich auf die Gehörbehinderung eines
Menschen bezieht . Oft geht es aber auch um die Fra-
ge, welche Hilfsmittel jemand braucht, um einer Arbeit
nachgehen zu können, und um vieles mehr .
Wir wissen, dass das Recht für behinderte Menschen
sehr komplex ist und sich durch unterschiedliche Teile
des Sozialgesetzbuches zieht . In dem Beitrag von Fron-
tal 21 hat sich auch der Behindertenbeauftragte der Stadt
Bonn geäußert . Er hat gesagt, ein Problem der Bundes-
agenturen, mit solchen und ähnlichen Fragestellungen
umzugehen, ist, dass es innerhalb der BA eine hohe Fluk-
tuation gibt und dass viele Mitarbeiter nicht ausreichend
qualifiziert sind und Bescheid wissen, welche Rechte
Menschen mit Behinderung haben, die Unterstützung
brauchen . Was sagen Sie dazu?
G
Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, den Be-
hindertenbeauftragten der Kommunen sozusagen in ihrer
Einschätzung beizupflichten. Ich denke, dass die Bun-
desagentur und die Agenturen für Arbeit nicht unter einer
extrem hohen Fluktuation der Mitarbeiter leiden . Es gibt
eine sogenannte Handlungs- und Geschäftsanweisung,
die allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zur Verfü-
gung steht . Sie basiert auf dem geltenden Recht, und sie
ist anzuwenden .
Allerdings will ich Ihnen beipflichten: Die Bundes-
regierung sieht insofern einen Handlungsbedarf, als wir
die Rechte, die Menschen mit Behinderung haben, noch
stärker und direkter deutlich machen und transparenter
gestalten wollen . Deshalb haben wir uns in dieser Koali-
tion verpflichtet, ein Bundesteilhabegesetz zu erarbeiten.
Allerdings scheint der Fall, den Sie Ihrer Frage zugrunde
legen, nicht unbedingt geeignet zu sein, auf die kritische
Situation hinzuweisen . Wir wollen bei der Zusammenar-
beit der Rehabilitationsträger besser werden, damit Men-
schen – egal welche Behinderung sie haben – möglichst
schnell und möglichst auch durch eine gute Beratung
Hilfe zuteilwerden kann . Insofern sehen wir in dieser Le-
gislatur noch einer guten Gesetzgebung entgegen .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Ich glaube, dass der Fall sehr typisch ist . Das bestä-
tigen Mitarbeiter der BA, und auch in Gesprächen hier
in Berlin wird immer wieder gesagt, dass der Rehabe-
Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514310
(C)
(D)
reich rechtlich, aber auch tatsächlich für Mitarbeiter ein
schwieriger Bereich ist und dass es an Qualifikation man-
gelt, aber auch an Anreizen, gerade in diesem Bereich ar-
beiten zu wollen . Wir haben Probleme, da Mitarbeiter zu
finden, die sich überhaupt bereit erklären, und statistisch
kann man natürlich auch nachweisen, dass die Fluktuati-
on innerhalb der BA besonders hoch ist . Insofern ist das
natürlich ein sehr typischer Fall .
Aber ein anderes Problem, das angesprochen wird, ist
die Verwirrung, das Hin- und Hergeschiebe von Aufga-
ben zwischen der Bundesagentur und der Rentenversi-
cherung . Da geht es darum, wer die Kosten übernimmt .
Wie erklären Sie sich das?
G
Ja, ich halte nach wie vor daran fest, dass dieser Fall
sich dafür nicht eignet . Ich glaube auch nicht, dass er für
eine Vielzahl von Fällen steht . Wir haben allerdings – das
hat unser Sozialrecht so vorgesehen – in der Rehabilitati-
on unterschiedliche Aufgabenträger . Wir haben in der Tat
die Agentur für Arbeit, und wir haben zum Beispiel die
Rentenversicherung . Das ist in diesem Fall auch ein The-
ma gewesen . Wir können uns gerne über Einzelheiten zu
diesem Fall noch auseinandersetzen .
Wir haben, soweit das in der Kürze der Zeit möglich
war, sehr genau recherchiert . Wir werden in der geplan-
ten Gesetzgebung Vorschläge machen, wie die Zusam-
menarbeit der Rehaträger zum Wohle der Betroffenen zü-
giger und verbindlicher gestaltet werden sollte, weil wir
sagen: Auch da können wir Gutes besser machen . Aber
Ihrer Generalkritik, die Sie zurzeit auch nicht unterlegen,
widerspreche ich .
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs . –
Danke, Frau Staatssekretärin .
Die Fragen zu den Geschäftsbereichen des Bundes-
ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft – die
Frage 27 der Abgeordneten Bärbel Höhn – und des Bun-
desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend – die Frage 28 des Abgeordneten Harald Petzold
– werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Gesundheit . Zur Beantwortung steht die Par-
lamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz
zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Weinberg auf:
Ist die Information richtig, dass die Bundesrepublik
Deutschland über die Deutsche Gesellschaft für Internationa-
le Zusammenarbeit GmbH der Hellenischen Republik
500 000 Euro für die Lizenzen zur Nutzung des Fallpauscha-
lenkatalogs im Krankenhauswesen berechnet, und
wie genau begründet sich diese Summe?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
A
Frau Präsidentin! Lieber Herr Weinberg, die Informa-
tion, nach der die Bundesrepublik Deutschland der Hel-
lenischen Republik über die Deutsche Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit 500 000 Euro für Lizen-
zen zur Nutzung des Fallpauschalenkatalogs im Kran-
kenhauswesen in Rechnung gestellt haben soll, ist un-
zutreffend . Weder die Bundesrepublik Deutschland noch
die GIZ sind Vertragspartner einer solchen Vereinbarung;
sie haben daher auch keine entsprechenden Rechnungen
gestellt .
Nach hiesigen Kenntnissen haben das griechische
Gesundheitsministerium und das Institut für das Entgelt-
system im Krankenhaus, InEK, im Dezember 2014 ei-
nen Lizenzvertrag geschlossen, der auch Lizenzgebühren
umfasst . Die genauen Vertragsinhalte sind dem Bundes-
ministerium für Gesundheit nicht bekannt .
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage .
Ja, vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Ant-
wort . – Ich möchte zunächst einmal nachfragen: Es ist
ja nicht so, dass man sagen könnte, dass die griechische
Regierung es auf der Wunschliste hatte, diagnoseorien-
tierte Fallpauschalen einzuführen . Ich war mehrmals in
Griechenland, ich habe dort auch die Gespräche geführt;
ich weiß das also relativ genau . Ich weiß, dass es auch
Bestandteil des früheren Memorandums of Understan-
ding war . Da ist ja im Prinzip gerade das Bundesminis-
terium für Gesundheit sozusagen der Federführer bei der
Durchsetzung dieses Memorandums . Darin stand, dass es
sozusagen die Einführung von DRGs geben muss . Dann
gibt es natürlich logischerweise auch die entsprechenden
Lizenzvereinbarungen in der Notwendigkeit . Ist das erst
einmal so zutreffend, wie ich es beschreibe? Dann stelle
ich gleich noch eine zweite Nachfrage dazu .
A
Herr Kollege Weinberg, zunächst einmal ist es rich-
tig, dass die Fragen des Krankenhausmanagements und
der Fallpauschalen Inhalt des Memorandums of Under-
standing waren, neben anderen Inhalten . Mir ist nicht be-
kannt, dass das auf ausdrücklichen Wunsch der Bundes-
regierung oder der Bundesrepublik Deutschland in das
Memorandum of Understanding aufgenommen wurde,
sondern eher bekannt, dass es der ausdrückliche Wunsch
der griechischen Regierung war, diesen Sachverhalt mit
in das Memorandum of Understanding aufzunehmen .
Dann haben Sie das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Nach meiner Kenntnis des Memorandums of Under-
standing ist es allerdings einer der Punkte, die sozusagen
im Wesentlichen dazu beitragen würden, dass man, wenn
Corinna Rüffer
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14311
(C)
(D)
man sie nicht erfüllte, dann eben eventuell Zahlungen
nicht bekäme . Ist es zutreffend, dass dies daran gebunden
ist, oder ist das nicht zutreffend?
A
Mir sind an dieser Stelle keine Vertragsinhalte be-
kannt . Sollten Lizenzgebühren vereinbart worden sein,
dann gehe ich davon aus, dass derjenige, der die Lizenz
erteilt, natürlich auch den Eingang der dafür vertraglich
vereinbarten Gebühr erwartet .
Andere Zahlungsverpflichtungen bzw. Abhängigkeiten
oder Bedingungen zu anderen Sachverhalten sind mir
nicht bekannt .
Wir kommen damit zu Frage 30 des Kollegen
Weinberg:
An welche anderen Staaten wurden Lizenzen für das
DRG-System vergeben, und wie hoch waren in diesen Fällen
Bitte, Frau Staatssekretärin .
A
Kollege Weinberg, die Lizenzen für das DRG-System
an andere Staaten vergibt das Institut für das Entgeltsys-
tem im Krankenhaus, InEK . Nach eigenen Angaben hat
das InEK Lizenzen unter anderem an die Schweiz, Zy-
pern und die Slowakei vergeben . Über die etwaige Höhe
der Lizenzgebühren liegen der Bundesregierung keine
Informationen vor .
Herr Weinberg, Sie haben das Wort zur ersten Nach-
frage .
Eine Nachfrage zu diesem Thema habe ich schon .
Soweit ich informiert bin, ist das deutsche DRG-System
einschließlich der Lizenzen von Australien übernommen
worden . Ich erinnere daran: Deutschland hat 80 Millio-
nen Einwohner, Griechenland 12 Millionen . Nach meiner
Kenntnis wurden damals 200 000 australische Dollar für
die Lizenz gezahlt . Das entspricht etwa 120 000 Euro .
Das war damals offensichtlich ein regelrechtes Schnäpp-
chen . Zu diesem Schluss kommt man, wenn man be-
denkt, zu welchen Lizenzgebühren es nun an Dritte ver-
kauft wird . Trifft das so zu oder nicht?
A
Ich kann Ihnen aus dem Stegreif nicht den Betrag nen-
nen, den wir damals Australien als Lizenzgebühr gezahlt
haben . Das würde ich Ihnen gerne schriftlich nachrei-
chen .
Sie haben keine zweite Nachfrage, Herr Weinberg . –
Die Frage 31 der Kollegin Pia Zimmermann wird schrift-
lich beantwortet .
Wir kommen zu Frage 32 der Kollegin Kathrin Vogler:
Welche Ideen hat die Bundesregierung, den steigenden
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu bezahlen haben,
für Millionen von gesetzlich Versicherten auf 1,5 Prozent stei-
gen könnte?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
A
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Vogler, nach Auswer-
tung der Ergebnisse des GKV-Schätzerkreises wurde der
durchschnittliche Zusatzbeitrag für das Jahr 2016 durch
das Bundesministerium für Gesundheit auf 1,1 Prozent
festgesetzt . Dieser wird damit gegenüber dem Vorjahr
moderat um durchschnittlich 0,2 Prozentpunkte anstei-
gen . Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversiche-
rung ermöglicht über 70 Millionen Versicherten Zugang
zu einem modernen und leistungsfähigen Gesundheits-
system . Den moderaten Beitragssatzanpassungen stehen
dabei Verbesserungen der gesundheitlichen Versorgung
gegenüber, wie beispielsweise Neuentwicklungen im
Arzneimittelbereich, mit denen erstmals eine wirksame
und dauerhafte Heilung der Hepatitis C ermöglicht wur-
de . Ferner hat die Bundesregierung beispielsweise im
Krankenhausbereich strukturelle Maßnahmen umgesetzt,
die mittel- bis langfristig zu einer wirtschaftlich und qua-
litativ besseren Versorgung führen und den Anstieg der
Zusatzbeiträge dämpfen sollen .
Ein wichtiges Ziel der wettbewerblichen Ausrichtung
der gesetzlichen Krankenversicherung ist weiterhin, Ef-
fizienzreserven im Gesundheitswesen zu heben und mit
einer verantwortlichen Ausgabenpolitik Kostenanstiege
auf das für eine sinnvolle Modernisierung und Weiter-
entwicklung der GKV notwendige Ausmaß zu begren-
zen . Vor dem Hintergrund, dass die Haushaltsplanungen
der Krankenkassen und die Genehmigungsverfahren der
Aufsicht noch nicht abgeschlossen sind, liegt erst Anfang
Januar ein vollständiges Bild über die Zusatzbeiträge al-
ler Krankenkassen vor . Mitglieder von Krankenkassen,
die ihren Beitragssatz anheben, haben ein Sonderkündi-
gungsrecht und können somit ihre Krankenkasse unter
Abwägung des Preis-Leistungs-Verhältnisses wechseln .
Sie haben das Wort zur ersten Zusatzfrage .
Vielen Dank . – Für mich hat sich das so angehört, als
ob die Bundesregierung überhaupt keinen Handlungsbe-
darf sieht, was die steigenden Krankenkassenbeiträge an-
geht . Zu Beginn dieser Legislaturperiode hatte sich diese
Koalition darauf verständigt, den Arbeitgeberanteil an
Harald Weinberg
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514312
(C)
(D)
den Krankenversicherungsbeiträgen eingefroren zu las-
sen . Allerdings meldete der Tagesspiegel am 29 . Novem-
ber 2013, es gebe eine geheimnisvolle Protokollnotiz, in
der eine fiktive Obergrenze festgelegt worden sei, ab der
die Bundesregierung den allein von den Versicherten,
also den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zu zah-
lenden Zusatzbeitrag nicht mehr allein der Versicherten-
seite aufbürden wolle . Vor diesem Hintergrund möchte
ich nachfragen: Gibt es diese seltsame Protokollnotiz?
Wie hoch ist der da angegebene maximale Zusatzbeitrag?
Sehen Sie Handlungsbedarf, noch in dieser Wahlperiode
da tätig zu werden?
A
Frau Kollegin Vogler, der Bundesregierung sind kei-
ne Protokollnotizen bekannt . Wenn ich Sie richtig ver-
stehe, beziehen Sie sich auf einen Artikel, der auf eine
Protokollnotiz der Koalitionsparteien abzielt . Damit ist
die Bundesregierung nicht der richtige Ansprechpartner .
Aber als Mitglied einer Koalitionsfraktion sind mir eben-
falls keine Protokollnotizen bekannt .
Frau Vogler, Sie haben das Wort zur zweiten Nach-
frage .
Mich würde auch noch interessieren, wie hoch ei-
gentlich die Summe ist, mit der diese Bundesregierung
durch das Festschreiben der Arbeitgeberbeiträge auf
7,3 Prozent die Arbeitgeber insgesamt entlastet, bzw . wie
hoch ist insgesamt in Euro und Cent die Belastung durch
Zusatzbeiträge für einen Durchschnittsverdienenden
im Jahr 2016? Sie haben das Ganze ja jetzt gerade ein
bisschen kleingeredet: Sie sprachen von überschaubaren
0,2 Prozentpunkten . Was bedeutet das denn real für das
Netto vom Brutto?
A
Frau Kollegin Vogler, zunächst will ich noch einmal
darauf hinweisen, dass wir bereits vor dem Inkrafttre-
ten des GKV-Finanzierungsgesetzes eine Belastung von
0,9 Beitragssatzpunkten allein auf Arbeitnehmerseite
hatten . Der durchschnittliche Zusatzbeitrag, der vom
Schätzerkreis für das Jahr 2016 vorausgesagt wurde, ist
die erste Spreizung, die seit vielen Jahren eintritt . Da wir,
wie ich gesagt habe, noch nicht die endgültigen Beitrags-
sätze kennen – sie werden erst im Januar des nächsten
Jahres vorliegen –, kann ich Ihnen zu den genauen Zu-
satzbeiträgen für Durchschnittsverdiener hier heute keine
Aussage machen .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Birgit Wöllert das
Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Aufgrund mehre-
rer verabschiedeter Gesetzentwürfe in diesem Jahr, die
die Koalition sowie die Bundesregierung hier vorgelegt
haben, kommen auf die Krankenkassen in den nächsten
Jahren einige Milliarden Euro an zusätzlichen Ausgaben
zu, was zu einem massiven Anstieg der Zusatzbeiträge
führt . Kann die Bundesregierung präzisieren, wie hoch
die Summe ist, die die Krankenkassen durch das Präven-
tionsgesetz in 2016 aufwenden müssen, zum Beispiel für
erweiterte Ausgaben der Bundeszentrale für gesundheit-
liche Aufklärung? Was spricht dagegen, dass Privatver-
sicherte an diesen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben
durch eine Finanzierung über Steuermittel beteiligt wer-
den?
A
Frau Kollegin Wöllert, zunächst einmal darf ich Sie
an dieser Stelle herzlich auf die Gesetzesbegründungen
durch diese Regierung hinweisen, die die jeweiligen Be-
rechnungen der Kosten der Auswirkungen enthalten . Ich
habe sie leider nicht für alle Gesetze im Detail vor mir .
Was einzelne Bestandteile anbelangt, ist eine Aussa-
ge sehr schwierig . Der Schätzerkreis hat eine Schätzung
der Ausgabenentwicklung in den klassischen Ausgabe-
bereichen – Krankenhausbehandlung, Arzneimittelent-
wicklung, ambulante Versorgung etc . – vorgenommen,
auf deren Grundlage dann auch die Beitragsentwicklung
geschätzt wurde . Welche Detailbestandteile darin aufge-
gangen sind, lässt sich Ihnen von meiner Seite aus an die-
ser Stelle nicht in Euro und Cent darlegen .
Was Ihre Frage anbelangt, ob sich private Kranken-
versicherungen an der Prävention, auch in finanzieller
Hinsicht, beteiligen: Sie wissen, dass das Gesetz eine
solche Beteiligung ermöglicht . Sie haben bei verschie-
denen Anlässen, auch außerhalb des Plenarsaals, erlebt,
dass ich durchaus immer wieder den Versuch unterneh-
me, hierfür Unterstützung zu gewinnen, sodass dort, wo
die Bereitschaft dazu besteht, entsprechende Zuwendun-
gen möglich sind . Die rechtlichen Regelungen dafür sind
getroffen, und von daher harren wir der Dinge .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Klein-
Schmeink das Wort .
Frau Staatssekretärin, wir haben von den verschie-
densten Sachverständigen Prognosen gehört, die davon
ausgehen, dass wir bis 2017 insgesamt einen Kassenbei-
trag zwischen 16 und 16,4 Prozent haben werden . Damit
werden auch Zusatzbeiträge erhoben, die zwischen 1,5
und 1,9 Prozent liegen werden . Sehen Sie als Bundes-
regierung die Notwendigkeit, dass ab einer bestimmten
Höhe des Beitragssatzes auch die Arbeitgeber wieder an
der Finanzierung des Zusatzbeitrags beteiligt werden?
Gibt es Diskussionen innerhalb der Bundesregierung zu
diesem Punkt?
Kathrin Vogler
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14313
(C)
(D)
A
Frau Kollegin Klein-Schmeink, zunächst einmal: Die
Bandbreite des Zusatzbeitrags liegt aktuell zwischen 0
und 1,3 Prozent . Es ist durchaus auch vorstellbar und
möglich, dass die Bandbreite im kommenden Jahr zu-
nimmt und damit die höchsten Zusatzbeitragssätze im
Verhältnis zu den niedrigsten steigen . Ich will hier deut-
lich machen, dass den Berechnungen der Entwicklung
der Zusatzbeiträge entsprechende Verbesserungen in der
Versorgungsstruktur zugrunde liegen, wie ich vorhin er-
wähnt habe . Darüber hinaus kann man solche Feststel-
lungen nicht treffen, da die Entwicklung der Zusatzbei-
träge sehr stark von der Einnahmesituation abhängt und
auch die wirtschaftliche Entwicklung eine Rolle spielt .
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Harald
Weinberg das Wort .
Frau Staatssekretärin, ich kann mich noch recht gut
daran erinnern, dass wir hier in diesem Hause einige
Debatten zu dem Thema der paritätischen Finanzierung
gehabt haben . In diesen Debatten über die paritätische
Finanzierung hat Herr Dr . Lauterbach von der SPD selber
auf die Protokollnotiz hingewiesen und gesagt, dass die-
se existiere . Wenn das Ganze ein bestimmtes Maß über-
schreiten würde, sei das zwischen den Koalitionsfraktio-
nen neu zu debattieren .
Sie haben gerade gesagt, dass Sie für die Bundesregie-
rung und nicht für die Koalitionsfraktionen sprechen . Ich
habe in meinem Exemplar des Koalitionsvertrags diese
Protokollnotiz nicht gefunden . Das gebe ich erst einmal
zu . Ich will jetzt einfach nur fragen, ob in Ihrem Exem-
plar, dem Exemplar, mit dem die Bundesregierung arbei-
ten muss, diese Protokollnotiz zu finden ist.
A
Herr Kollege Weinberg, nein .
Damit kommen wir zur Frage 33 der Kollegin Kathrin
Vogler:
Wie hoch ist der Anstieg der Arzneimittelausgaben, und in
welchem Maße hat die Steigerung der Arzneimittelausgaben
Einfluss auf die Krankenkassenbeiträge?
A
Frau Kollegin Vogler, die Arzneimittelausgaben der
gesetzlichen Krankenkassen betrugen im Jahr 2014 auf
Basis der Jahresrechnungsergebnisse rund 33,4 Milliar-
den Euro . Dies entsprach einem Ausgabenzuwachs von
absolut 10,1 Prozent bzw . 9,4 Prozent je Versichertem .
Die aktuellen Ausgabenzuwächse vom ersten bis dritten
Quartal 2015 lagen je Versichertem bei 4,4 Prozent und
absolut bei 5 Prozent . Dies entspricht im Zeitraum Januar
bis September einem Ausgabenanstieg von rund 1,3 Mil-
liarden Euro .
Die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Kranken-
versicherung entsprechen einem Anteil von rund 17 Pro-
zent der Gesamtausgaben . Dies entspricht einer Größen-
ordnung von knapp 3 Beitragssatzpunkten .
Sie haben das Wort zur ersten Zusatzfrage .
Vielen Dank . – Frau Staatssekretärin, Sie hatten in Ih-
ren einführenden Bemerkungen zu meiner letzten Frage
darauf hingewiesen, dass es insbesondere ein besonders
teures Medikament zur Heilung von Hepatitis C – der
Markenname ist Sovaldi – ist, das die Arzneimittelpreise
derart habe in die Höhe schnellen lassen . Vielleicht kön-
nen Sie uns darlegen, wie hoch der Anteil dieses einzel-
nen Medikaments an dem Anstieg der Arzneimittelausga-
ben ist und was die anderen Medikamentengruppen oder
die einzelnen Medikamente sind, die an diesem doch sehr
hohen Anstieg einen signifikanten Anteil haben.
A
Frau Kollegin Vogler, zu Recht beschreiben Sie, dass
die hohen Ausgaben für neu zugelassene Arzneimittel
zur Behandlung der Hepatitis C auffällig sind . Sie haben
in den ersten neun Monaten dieses Jahres eine Größen-
ordnung von gut 1 Milliarde Euro ausgemacht und somit
einen erheblichen Teil des aktuellen Ausgabenanstiegs
für Arzneimittel verursacht .
Aber wir dürfen dabei nicht nur die Ausgaben betrach-
ten, sondern wir müssen auch die Entwicklung solcher
Arzneimittel als einen Erfolg im Arzneimittelbereich
ansehen . So ermöglichen diese Sprunginnovationen eine
Heilung von Hepatitis C, die vorher nicht möglich war .
Ich weise auch darauf hin, dass dadurch Folgekosten, die
bislang aufgrund von langwierigen Therapien gegeben
waren, nicht mehr anfallen . Diese Arzneimittel sollen
auch den Versicherten in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung in unserem Land zur Verfügung stehen .
Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz gilt
eine konsequente Preisregulierung auch für solche neuen
Arzneimittel . Der Preis folgt dem belegten Zusatznutzen
und kann nicht mehr wie früher vom Hersteller einseitig
festgelegt werden . Der auf der Grundlage der Nutzenbe-
wertung vereinbarte Preis gilt erst vom 13 . Monat nach
dem Inverkehrbringen an . Diese Regelung wurde getrof-
fen, um den Patientinnen und Patienten in Deutschland
weiterhin einen möglichst schnellen Zugang zu innovati-
ven Arzneimitteln zu ermöglichen .
Mit dem 14 . Gesetz zur Änderung des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch wurden bereits zu Beginn der Legisla-
turperiode Maßnahmen ergriffen, ohne die die Zuwächse
bei den Ausgaben für Arzneimittel deutlich über der der-
zeitigen Entwicklung gelegen hätten .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514314
(C)
(D)
Entlastet werden die Krankenkassen weiterhin durch
Rabattvereinbarungen mit pharmazeutischen Unterneh-
men . Diese Rabatterlöse sind im ersten, zweiten und drit-
ten Quartal 2015 um knapp 0,3 Milliarden Euro gegen-
über dem Zeitraum vom ersten bis zum dritten Quartal
des Jahres 2014 auf jetzt insgesamt rund 2,54 Milliarden
Euro angestiegen .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Vielen Dank . – Ich bedanke mich auch ausdrücklich
bei der Staatssekretärin für ihre umfangreiche Antwort,
die mir schon einige Anknüpfungspunkte für die nächste
Nachfrage liefert . Sie haben gerade wieder den Mythos
verbreitet, dass die Bundesregierung bei der Begrenzung
der Arzneimittelpreise gleich am Anfang der Legislatur-
periode tätig geworden sei . Das Gegenteil ist der Fall .
Ganz am Anfang der Legislaturperiode – wir erinnern
uns noch an die Debatten hier – haben Sie nämlich zum
einen ein Gesetz gemacht, das die Arzneimittelkonzerne
tatsächlich fördert, indem Sie alle Bestandsarzneimittel
von der Nutzenbewertung im Rahmen des Arzneimittel-
marktneuordnungsgesetzes ausgenommen haben . Das
bedeutet, dass weiterhin Medikamente, deren Nutzen
nicht überprüft worden ist, den Patientinnen und Patien-
ten zu Höchstpreisen verabreicht werden können . Zum
anderen haben Sie den vorher geltenden Rabatt von
16 Prozent auf patentgeschützte Arzneimittel auf 7 Pro-
zent gesenkt . Er wäre automatisch auf null gegangen . Sie
haben ihn dann auf 7 Prozent erhöht . De facto aber haben
Sie den Preis durch die Senkung des Rabatts von 16 auf
7 Prozent erhöht .
Frau Kollegin, würden Sie die Frage bitte noch in der
Zeit, die zur Verfügung steht, stellen .
Ja, genau . – Mich würde interessieren, ob Sie seitens
der Bundesregierung im Lichte dieser Tatsachen noch
in dieser Legislaturperiode Maßnahmen planen, um die
steigenden Arzneimittelpreise wieder in den Griff zu be-
kommen .
A
Frau Kollegin Vogler, ich will gerne aus Anlass Ih-
rer umfangreichen Einleitung verdeutlichen, worauf ich
mit meinen vorher vorgetragenen Zahlen abziele, insbe-
sondere was den Anstieg der Arzneimittelausgaben im
Jahr 2014 im Verhältnis zu den Ausgaben im Jahr 2015
anbelangt . Ich habe von den absoluten Steigerungen von
2013 bis 2014 um 10,1 Prozent und von der Verände-
rung vom ersten bis zum dritten Quartal 2014 im Ver-
hältnis zum entsprechenden Zeitraum 2015 um 5 Prozent
gesprochen . Bereits daran können Sie erkennen, dass
unsere Maßnahmen in der Kombination sehr wohl zu
Einsparungen geführt haben . Die Bundesregierung wird
natürlich im Lichte solcher neuen Entwicklungen den
Ausgabenanstieg sehr aufmerksam beobachten . Sie wis-
sen, dass die Bundesregierung einen Pharmadialog führt .
Wir werden zu gegebener Zeit beraten, welche Schlüsse
wir aus diesem Dialog ziehen .
Wir kommen damit zur Frage 34 der Kollegin Maria
Klein-Schmeink:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Vorschlägen des Sachverständigenrats im Sondergutachten
zum Thema „Krankengeld – Entwicklung, Ursachen und Steu-
erungsmöglichkeiten“?
A
Frau Präsidentin, ich würde wegen des Sachzusam-
menhangs die Fragen 34 und 35 gerne zusammen beant-
worten, wenn die Frau Kollegin damit einverstanden ist .
Dann rufe ich auch noch die Frage 35 der Kollegin
Klein-Schmeink auf:
Welchen Handlungsbedarf leitet die Bundesregierung aus
dem Gutachten für die Prävention und die Versorgung von Rü-
ckenerkrankungen und psychischen Erkrankungen ab?
A
Frau Klein-Schmeink, der Sachverständigenrat zur
Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen
hat am 7 . Dezember dieses Jahres sein Sondergutach-
ten zum Thema „Krankengeld – Entwicklung, Ursachen
und Steuerungsmöglichkeiten“ dem Bundesminister für
Gesundheit, Hermann Gröhe, überreicht . Das Sondergut-
achten wurde gemäß § 142 Absatz 3 Sozialgesetzbuch V
umgehend vom Bundesminister für Gesundheit dem
Bundestag und dem Bundesrat übermittelt .
Der Sachverständigenrat führt am 17 . Dezember die-
ses Jahres zusammen mit dem Bundesgesundheitsminis-
terium ein Symposium durch, bei dem das Sondergutach-
ten im Einzelnen vorgestellt und seine Ursachenanalysen
und Handlungsempfehlungen diskutiert werden sollen .
Vom Bundesministerium für Gesundheit werden die um-
fassenden Ursachenanalysen des Gutachtens sowie die
daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen der Sach-
verständigen derzeit sorgfältig und eingehend geprüft .
Sie haben das Wort zur Nachfrage .
Kann ich der Antwort entnehmen, dass die Bundes-
regierung zur Umsetzung des Gutachtens konkrete ge-
setzliche Schritte plant und dass diese Planungen darauf
zielen, dass zum Beispiel die vielen Fälle, bei denen
Krankengeldbezieher von den Krankenkassen dazu ge-
drängt worden sind, doch wieder ihre Arbeit aufzuneh-
men, abgestellt werden?
Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14315
(C)
(D)
A
Frau Kollegin Klein-Schmeink, bevor konkrete Hand-
lungen beschlossen werden, müssen die Analyse und die
Beratung sorgfältig erfolgen . Deshalb kann ich Ihnen
zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, ob wir zu dem
Schluss kommen, gesetzgeberische Maßnahmen einzu-
leiten . Da das Gutachten aber im Auftrag des Bundes-
gesundheitsministeriums erstellt worden ist, können Sie
davon ausgehen, dass wir ein erhebliches Interesse daran
haben, diesen Sachverhalt umfänglich aufzuarbeiten und
Handlungsempfehlungen zu geben .
Es wurden von den Sachverständigen verschiedene
Vorschläge gemacht, was sowohl die Präventionsan-
strengungen als auch das kontinuierliche Management
anbelangt . Diese werden wir sorgfältig auch unter den
Gesichtspunkten, die Sie genannt haben, prüfen und je
nach Ausgang der Analyse und Prüfung gesetzgeberische
Maßnahmen voranbringen . Dann werden wir viel Gele-
genheit haben, im Parlament darüber zu diskutieren .
Sie haben das Wort zu weiteren Nachfragen .
Danke schön . – Weiterhin stellt sich in dem Gutach-
ten der Bereich der Versorgung von psychisch Kranken,
insbesondere der schnellen Versorgung, als ein Problem-
feld dar, das angemahnt worden ist . Wir haben sehr lange
Wartezeiten im Bereich der Psychotherapie, die unter an-
derem dazu führen, dass es sehr lange Krankschreibungs-
zeiten gibt .
Nun hat ja der Gesetzgeber im Versorgungsstärkungs-
gesetz durchaus ein paar Regelungen vorgesehen, um
unter anderem die Bedarfsplanung für die Versorgung
mit Psychotherapie zu verändern und auch neue Richt-
linien zu schaffen, die zum Beispiel die Ermöglichung
einer Akutsprechstunde enthalten – um nur einen Punkt
zu nennen . Sind diese Vorhaben im Zeitplan, sodass wir
davon ausgehen können, dass Ende 2016 tatsächlich
eine gesetzliche Veränderung in Kraft treten kann und
wir eine neue angepasste Versorgungsplanung in diesem
Bereich haben? Wird auch die Richtlinie umgesetzt, die
unter anderem die Akutsprechstunde und andere Formen
der Kurzzeitintervention vorsieht? Wird das zum 1 . Janu-
ar 2017 vorliegen?
A
Frau Kollegin Klein-Schmeink, zum jetzigen Zeit-
punkt sind mir keine Verzögerungen bekannt . Sollte es
welche geben, würde ich Sie darüber unterrichten .
Wie wichtig die entsprechenden gesetzlichen Rege-
lungen waren, wird durch das Gutachten einmal mehr
bestätigt . Wir werden in der Veranstaltung am morgigen
Tag die Gelegenheit haben, mit den Sachverständigen die
aktuelle Entwicklung zu diskutieren .
Sie haben noch die Möglichkeit zu zwei weiteren
Nachfragen, wenn es diese gibt .
Das trifft sich gut . – Mir ist bekannt geworden, dass
ein Gutachten eingeholt werden soll, um zum Beispiel für
die Versorgungsplanung genauere Versorgungsanalysen
in den verschiedenen Versorgungsbereichen anstellen zu
können . Ist es so, dass dessen Ergebnisse keinesfalls so
rechtzeitig vorliegen, dass es innerhalb dieses Zeitraums
zu einer Umsetzung der Richtlinie und der neuen Ver-
sorgungsplanung kommt, oder können Sie das zu diesem
Zeitpunkt ausschließen? Gibt es diese Gutachtenvergabe,
die auch gleichzeitig schon deutlich macht, dass es nicht
innerhalb dieses Zeitraums abgeschlossen werden kann?
A
Frau Kollegin Klein-Schmeink, ich kann nichts aus-
schließen, weil ich zum heutigen Zeitpunkt keine Er-
kenntnis dazu habe . Wenn ich eine Erkenntnis dazu habe,
dann werde ich es Ihnen im Nachgang schriftlich mittei-
len .
Danke schön .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Vogler
das Wort .
Weil das Thema der sogenannten Teilkrankschrei-
bung in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird, finde
ich, ist es an der Zeit, noch einmal darauf hinzuweisen,
dass es mit dem sogenannten Hamburger Modell bereits
so etwas Ähnliches gibt . Auf diese Weise können Men-
schen, die längere Zeit krankgeschrieben sind, Schritt
für Schritt wieder in den Arbeitsprozess zurückkehren .
Nun hat dieses Modell aus Sicht der Beschäftigten ei-
nen entscheidenden Fehler, nämlich dass es sowohl für
die Beschäftigten – das finde ich richtig – als auch für
die Unternehmen – das finde ich falsch – freiwillig ist,
das heißt, dass sich die Betriebe dem verweigern kön-
nen . Hält es die Bundesregierung nicht auch für sachge-
recht, dass Betriebe verpflichtet werden sollten, kranken
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach längerer
Krankschreibung die schrittweise Wiedereingliederung
in den Arbeitsprozess zu ermöglichen?
A
Frau Kollegin Vogler, auch das ist eine interessante
Frage, die wir sicherlich im Dialog mit den Sachverstän-
digen ausführlich diskutieren werden . Dieser Beratungs-
prozess ist noch nicht abgeschlossen . Sobald wir dazu
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514316
(C)
(D)
eine Stellungnahme abgeben können, werden wir sie Ih-
nen auch geben .
Danke, Frau Staatssekretärin . Wir sind damit am Ende
Ihres Geschäftsbereiches .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Die Fra-
ge 36 des Abgeordneten Herbert Behrens, die Frage 37
des Abgeordneten Oliver Krischer, die Fragen 38 und 39
des Abgeordneten Stephan Kühn sowie die Frage 40 der
Abgeordneten Dr . Valerie Wilms werden schriftlich be-
antwortet .
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit auf . Zur Beantwortung der Fragen steht die Parla-
mentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 41 des Kollegen Peter Meiwald auf:
Wann genau plant die Bundesregierung, einen ressortabge-
stimmten Referentenentwurf für das Wertstoffgesetz vorzule-
gen, zu dem die Länder und Verbände dann Stellung nehmen
können, und wann sind Kabinetts-, Bundesrats- und Bundes-
tagsbefassung zu dem Wertstoffgesetz geplant?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Ri
Danke, Frau Präsidentin . – Lieber Kollege Meiwald,
nachdem sich die Koalitionsfraktionen im Sommer die-
ses Jahres auf Eckpunkte eines modernen Wertstoffge-
setzes verständigt hatten, hat das Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit am
21 . Oktober 2015 einen Arbeitsentwurf vorgelegt . Ge-
plant ist, den Referentenentwurf Anfang nächsten Jahres
zu veröffentlichen . Die Kabinettsbefassung und die Be-
ratung in Bundestag und Bundesrat sollen im Laufe des
nächsten Jahres erfolgen .
Zusatzfrage .
Frau Staatssekretärin, „im Laufe des nächsten Jahres“
heißt ja, dass wir bezüglich der parlamentarischen Befas-
sung, nämlich bis es dann in den Gremien und im Bun-
desrat behandelt worden ist, schon ziemlich ans Limit der
Legislatur kommen . Können Sie „im Laufe des nächsten
Jahres“ präzisieren? Können wir damit rechnen, dass wir
schon im ersten Halbjahr nächsten Jahres die erste Le-
sung im Bundestag durchführen?
Ri
Herr Kollege Meiwald, Sie wissen, dass wir noch Be-
ratungsbedarf haben . Insofern kann ich da keine weitere
Präzisierung vornehmen .
Noch eine Zusatzfrage?
Ja, gerne . – Da es von kommunaler Seite, vonseiten
der Gewerkschaften und von den im Bundestag vertre-
tenen Fraktionen – auch von denen, die die Regierung
stützen – sehr viel Kritik zu dem ersten Arbeitsentwurf
gegeben hat, gibt es in der Fachszene schon jetzt die Dis-
kussion, ob überhaupt noch angestrebt wird, in dieser
Legislaturperiode zu einem Gesetz zu kommen, oder ob
man nicht sagen wird: Okay, wir schaffen es nicht, uns
zu einigen . – Dann würde es auch in dieser Wahlperio-
de kein Wertstoffgesetz geben und damit keine dynami-
schen Recyclingquoten, keine Verlässlichkeit für diejeni-
gen, die in diesem Bereich investieren wollen; und hier
müssen wir ja eine Menge tun . Können Sie ausschließen,
dass es in dieser Legislaturperiode nicht mehr gelingt, ein
Gesetz zu verabschieden?
Ri
Herr Kollege Meiwald, wie Sie schon gesagt haben,
hat die Arbeit an einem neuen Gesetz schon in der letzten
Legislaturperiode begonnen . Wir werden alles daranset-
zen, dass wir in dieser Legislaturperiode zu einem mo-
dernen Wertstoffgesetz kommen .
Frau Haßelmann hat dazu eine Frage .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Staatssekretärin,
da Sie gerade gesagt haben, dass die Einigung der Koa-
litionsfraktionen von Union und SPD auf die Eckpunkte
eines Wertstoffgesetzes die Grundlage für den Arbeitsent-
wurf war, möchte ich Sie noch einmal dezidiert danach
fragen . Im Eckpunktepapier der Regierungsfraktionen
war ja angekündigt und fest verankert, dass es ein Durch-
griffsrecht der Kommunen gegenüber dem beauftragten
Entsorger geben soll . Warum ist gerade dieser Punkt im
Arbeitsentwurf eigentlich nicht mehr enthalten?
Frau Staatssekretärin .
Ri
Meine Antwort kommt sofort . – Wir haben versucht,
ein Durchgriffsrecht im Arbeitsentwurf praktikabel um-
zusetzen . In dem Zusammenhang war das als solches
nicht unmittelbar abbildbar .
Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14317
(C)
(D)
Frau Haßelmann, Sie müssen es gleich bei Ihren Fra-
gen versuchen .
Ich rufe jetzt Frage 42 des Kollegen Meiwald mit der
gleichen Grundthematik auf:
Welche Mengen an Wertstoffen aus dem Hausmüll wer-
den nach Berechnung des BMUB voraussichtlich zusätzlich
recycelt, sollten die im Arbeitsentwurf des Wertstoffgesetzes
enthaltenen neuen Regelungen so umgesetzt werden wie von
der Bundesministerin Dr . Barbara Hendricks vorgeschlagen,
und welche Auswirkungen hätte dies nach Einschätzung des
BMUB auf den Ressourcen- und Klimaschutz oder weitere
umweltpolitische Ziele?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Ri
Studien und Modellprojekte haben gezeigt, dass mit
der flächendeckenden Einführung einer einheitlichen
haushaltsnahen Wertstofferfassung die getrennt erfasste
Menge jährlich um rund 7 Kilogramm pro Einwohner ge-
steigert werden könnte und davon jährlich rund 5 Kilo-
gramm Wertstoffe pro Einwohner zusätzlich dem Recy-
cling zugeführt werden könnten . Dies entspräche einem
Mengenzuwachs von insgesamt ungefähr 415 000 Ton-
nen pro Jahr für das Recycling . Angesichts der vorge-
sehenen deutlichen Erhöhung der Verwertungsquoten
wird davon ausgegangen, dass diese zusätzlich getrennt
erfassten Abfälle auch tatsächlich recycelt werden .
Mit Blick auf Ressourcenschutz und Klimaschutz sind
jedoch nicht nur die Quoten oder die Mengen, die recy-
celt werden, relevant. Wichtig sind auch die Effizienz und
vor allem die Qualität des Recyclings, die vorgesehenen
Anreize für eine recyclinggerechte Produktgestaltung
und die Anreize zur Abfallvermeidung, die zum Beispiel
von der Erweiterung der Produktverantwortung auf die
sogenannten stoffgleichen Nichtverpackungen ausgehen .
Nachfrage, Herr Kollege?
Ja, vielen Dank . – Das, was Sie gerade angesprochen
haben – die angestrebte Steigerung der Qualität des
Recyclings und der recycelten Menge –, vermissen wir
im bisherigen Entwurf . In den Fachgesprächen, die vor-
her in aller Breite in der Branche gelaufen sind, war im-
mer wieder die Rede davon, dass wir gestaffelte Entgelte
brauchen, um die Produktverantwortung an dem Punkt
weiter anzureizen und die Unternehmen zu motivieren,
ressourcenschonend auch Verpackungen zu produzieren .
Wir finden im vorliegenden Entwurf nichts, was unsere
Vorstellungen hinsichtlich einer Ressourcenabgabe oder
auch die immer wieder von der Koalition in die Diskus-
sion gebrachten gestaffelten Lizenzentgelte konkret ab-
bildet . Haben Sie da konkrete Planungen, die nur bisher
noch nicht sichtbar geworden sind?
Ri
Nein, wir sind noch in den Gesprächen, nachdem jetzt
das Arbeitspapier auf dem Tisch liegt .
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Meiwald?
Ja, gerne . – Für die Mehrwegquote ist in der bisheri-
gen Verpackungsverordnung ja eine Zielquote vorgese-
hen . Das ist jetzt in dem neuen Entwurf gar nicht mehr
zu finden. Heißt dies, dass Sie sich einfach von dem Ziel
verabschieden, 80 Prozent ökologisch vorteilhafte Ver-
packungen und Mehrwegverpackungen zu haben, oder
werden Sie andere, neue Mechanismen einbringen, um
diese Zielquote weiterhin zu erreichen? Was haben wir
im Bereich Mehrwegförderung von Ihrem Ministerium
zu erwarten?
Ri
Sie wissen ganz genau, dass wir eine hohe Recycling-
quote wollen, weil wir die Wertstoffe als solche wieder-
gewinnen wollen . Ich möchte darauf verweisen, dass
tatsächlich 80,9 Prozent der in Deutschland in Verkehr
gebrachten Verpackungen, die in privaten Haushalten
anfallen, dem Recycling zugeführt werden . Ich möch-
te auch noch einmal die Zahlen zu den einzelnen Ma-
terialien nennen: Bei Kunststoffverpackungen sind es
51 Prozent, bei Papier 89,4 Prozent, bei Flüssigkartons
75,2 Prozent .
Da Sie das Thema Flaschenrecycling angesprochen
haben – in diesem Bereich haben wir in diesem Jahr
mehrere Diskussionen geführt, auch weil Hersteller auf
andere Verpackungsarten umgestellt hatten –: Es gibt ei-
nen Bericht, in dem die Entwicklung in diesem Bereich
dargestellt wird; daraus geht hervor, dass mehr Bier- als
Limonadenflaschen recycelt werden.
Wir verfolgen immer den Ansatz: So viel Mehrweg-
verpackungen wie möglich, wenn sie vom ökologischen
Fußabdruck her sinnvoll sind und auch wieder genutzt
werden .
Jetzt kommt eine Frage von Frau Kollegin Haßelmann,
danach vom Kollegen Dr . Gebhart .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Staatssekretärin,
Sie können sich sicherlich vorstellen, dass mich Ihre
Antwort vorhin nicht zufriedengestellt hat . Es ist lächer-
lich, wenn Sie sagen: Das Durchgriffsrecht war nicht ab-
bildbar . – Vielmehr haben Sie es dann nicht abgebildet,
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514318
(C)
(D)
und zwar aus dem Grund, weil Sie sich im Widerstreit
zwischen privaten Entsorgern, die sich massiv gegen das
Durchgriffsrecht gewehrt haben, und den kommunalen
Interessen einfach dafür entschieden haben, es fallen zu
lassen .
Also noch einmal die Frage: Planen Sie für den Re-
ferentenentwurf ein deutlich stärkeres Durchgriffsrecht,
wie es die kommunalen Spitzenverbände, der VKU,
die Gewerkschaften und sämtliche Verbände bis hin zu
sämtlichen kommunalpolitischen Vereinigungen aller im
Bundestag vertretenen Parteien fordern – die Arbeitsge-
meinschaft Kommunalpolitik der CDU/CSU-Fraktion
genauso wie die SPD und die Grünen? Planen Sie, im
Referentenentwurf ein Durchgriffsrecht für die Kommu-
nen vorzusehen, oder beugen Sie sich da den Interessen
der Industrie?
Ri
Ich weise die Behauptung, dass sich unser Ministeri-
um irgendwelchen Interessen beugt, weit von mir . Wir
werden den Vorgang gründlich prüfen .
Lassen Sie mich noch einmal auf das Durchgriffsrecht
zu sprechen kommen und darauf verweisen, dass die
Kommunen ein sogenanntes Rügerecht haben, um vor
der offiziellen Einleitung von Durchgriffsmaßnahmen
auf mildere Art und Weise auf den vom Dualen System
beauftragten Entsorger einzuwirken .
Eine Art Durchgriffsrecht ergibt sich aus dem An-
spruch der Kommunen, von Betreibern dualer Systeme
verlangen zu können, sich bezüglich der Abstimmungs-
vereinbarung der sofortigen Vollstreckung zu unterwer-
fen . Bei einem Verstoß eines Betreibers eines dualen
Systems gegen eine Pflicht aus der Abstimmungsverein-
barung kann die Kommune also sofort Vollstreckungs-
maßnahmen einleiten, wozu auch die Möglichkeit der
Ersatzvornahme zählt . Auf diesem Wege könnte die
Kommune ein von dem Dualen System beauftragtes
Entsorgungsunternehmen oder ein anderes Entsorgungs-
unternehmen im Wege der Ersatzvornahme beauftragen,
eine unterlassene Leistung vorzunehmen . So ist es jetzt
im Arbeitsentwurf vorgesehen. Wie gesagt: Wir befinden
uns immer noch in Gesprächen mit allen Stakeholdern,
mit den Kommunen, mit den privaten Anbietern und
auch mit Ihnen .
Nächste Frage: Herr Dr . Gebhart . Danach Christian
Kühn von Bündnis 90/Die Grünen .
Wir sind uns sicherlich alle einig, dass wir ein Wert-
stoffgesetz brauchen, weil es bestimmte Vorteile mit sich
bringt . Jetzt haben die Grünen ein eigenes Modell dazu
vorgelegt, das insbesondere in ökologischer Hinsicht al-
les andere als ein Fortschritt wäre . Es würde vor allem
höhere Gebühren für die Verbraucher bedeuten .
Vor diesem Hintergrund würde mich die Einschätzung
der Bundesregierung in Bezug auf höhere Gebühren für
Verbraucher im Zusammenhang mit dem Wertstoffgesetz
interessieren .
Ri
Herr Gebhart, im Dualen System liegt die Verant-
wortung beim Hersteller bzw . bei demjenigen, der die
Produktverantwortung hat . Ich gehe davon aus, dass die
Kosten für die Verpackung vom Hersteller eingepreist
werden; darüber wird der Bürger es bezahlen . An den
Abfallgebühren wird sich wahrscheinlich nichts ändern .
Davon gehe ich aus .
Nächste Frage: Abgeordneter Christian Kühn, Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Danke, Herr Präsident . – Frau Kollegin Staatssekre-
tärin, wenn alles prima ist, wie erklären Sie sich dann
die Aussage zum Beispiel des Kollegen Liebing, der mit
mir im Unterausschuss Kommunales ist – er ist ja auch
Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik der
CDU/CSU-Fraktion – und sagt: Diesen Gesetzentwurf
kann man einsammeln und entsorgen . – Die Kritik ist ja
auch angebracht, da die Kommunen durch den Gesetz-
entwurf in eine völlige Schieflage geraten und eben nicht
zu ihrem Recht kommen . Ihre Interessen werden nicht so
berücksichtigt, dass wir zu einem Wertstoffgesetz kom-
men, das wirklich zukunftsfähig ist .
Wenn ich mir noch eine Bemerkung erlauben darf: Im
Augenblick zahlen die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher sehr viel, nämlich über die Umlage bei jeder einzel-
nen Verpackung . Das muss eigentlich in die Betrachtung
einbezogen werden . Ich glaube, unterm Strich bringt der
Gesetzentwurf, den wir Grüne eingebracht haben mit
der darin vorgesehenen Lösung, wie man mit Wertstof-
fen umgeht, für die Verbraucherinnen und Verbraucher
in Deutschland für Entsorgung und Recycling deutlich
geringere Kosten mit sich .
Britta Haßelmann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14319
(C)
(D)
Ri
Herr Kollege Kühn, wir haben die Reaktionen der
Abgeordneten, der kommunalen Arbeitsgemeinschaften,
des Deutschen Landkreistages und auch der Privatwirt-
schaft durchaus zur Kenntnis genommen . Das hat uns
auch veranlasst, noch weitere Gespräche führen .
Ich rufe die Frage 43 der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Welche Bereiche des Arbeitsentwurfs für ein Wertstoffge-
setz des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit vom 21 . Oktober 2015 überarbeitet
die Bundesregierung aktuell, um der Kritik der kommunalen
Spitzenverbände, Gewerkschaften, Umweltverbände, der Lan-
desumweltminister von Niedersachsen, Bremen, Hamburg,
Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Thü-
ringen und auch aus den eigenen Reihen der Regierungspartei-
temen die vollständige Verantwortung für die Sammlung der
Wertstoffe im Siedlungsabfall zu übertragen und diese den
Kommunen zu entziehen, und welche Korrekturen beabsich-
tigt sie vorzunehmen, um die geforderte Organisationsver-
antwortung und Steuerungsmöglichkeiten der Kommunen zu
stärken?
Frau Staatssekretärin, bitte .
Ri
Liebe Kollegin Haßelmann, der vom Bundesministe-
rium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit am 21 . Oktober 2015 veröffentlichte Arbeitsentwurf
für ein Wertstoffgesetz dient, wie ich das vorhin schon
gesagt hatte, der Umsetzung der Eckpunkte, auf die sich
die Koalitionsfraktionen im Juni dieses Jahres geeinigt
haben . Der Arbeitsentwurf sieht vor, die seit 25 Jahren
bestehende Produktverantwortung der Hersteller und
Vertreiber bei der haushaltsnahen Wertstoffsammlung
von Verpackungen auf weitere Produkte aus Metall und
Kunststoff zu erweitern . Die Verantwortung für die Er-
fassung, Sortierung und Verwertung der getrennt erfass-
ten Abfälle bleibt bei den Produktverantwortlichen . Das
gilt sowohl für die Finanzierung als auch für die ope-
rative Durchführung . Die Kommunen erhalten jedoch
zusätzliche Einfluss- und Durchgriffsrechte und können
damit zukünftig die Sammelstruktur bestimmen .
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit führt derzeit Gespräche mit
Vertretern der beteiligten Kreise, mit Ländern, Kommu-
nen und Abgeordneten . Dabei geht es unter anderem um
die Forderung, den Kommunen eine noch stärkere Stel-
lung einzuräumen, bis hin zu einer kommunalen Verant-
wortung für die Sammlung . In den Gesprächen geht es
aber auch um weitere wichtige Punkte wie zum Beispiel
die vorgesehenen hohen ökologischen Anforderungen
und um die Zentrale Stelle . Nach Abschluss der Gesprä-
che wird das Bundesumweltministerium einen Referen-
tenentwurf erarbeiten, der diese Ergebnisse berücksich-
tigt .
Zusatzfrage, Frau Kollegin Haßelmann?
Ja, vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Staatssekre-
tärin, vielleicht können Sie mir doch noch einmal den
Werdegang dieses Arbeitsentwurfs erläutern . Sie müssen
doch in Ihrem Ministerium zur Kenntnis genommen ha-
ben, dass von den kommunalen Spitzenverbänden über
die Gewerkschaften und den Verband kommunaler Un-
ternehmen bis hin zu neun Landesregierungen alle uniso-
no sagen: Die Gewichtung, die Sie im Referentenentwurf
vornehmen, nämlich die Beschneidung der Organisati-
onshoheit und der Steuerungsfähigkeit der Kommunen
bezüglich der Verantwortung für die Wertstoffe, ist ma-
ximal katastrophal . Ich kenne niemanden, der das anders
sieht – mit Ausnahme der privaten Unternehmen, die das
Duale System umsetzen . Außer denen gibt es niemanden
in der ganzen Republik, der diesen Entwurf auch nur an-
satzweise gut findet. Wie kommen Sie eigentlich auf die
Idee, eine Akzentverschiebung durch Einführung eines
Rügerechts vorzunehmen, obwohl rechtlich und fachlich
klargestellt ist, dass es keine verfassungs- und europa-
rechtlichen Bedenken gibt?
Ri
Sehr geehrte Frau Kollegin Haßelmann, ich könnte es
mir jetzt einfach machen und sagen: Wenn alle unzufrie-
den sind, hat man sich irgendwo in der Mitte getroffen .
– Auch die Industrie, auch die Privatwirtschaft hat unse-
ren Arbeitsentwurf nicht nur gelobt, sondern auch kriti-
siert . Auch von dort gibt es Kritik . Das möchte ich doch
noch einmal betonen . – Wir nehmen diese Kritik ernst
und gehen jetzt noch einmal in die Gespräche . Dann wer-
den wir einen Referentenentwurf erarbeiten .
Noch eine Zusatzfrage, Frau Haßelmann? Es gibt aus
Ihren Reihen auch noch weitere Wünsche nach Zusatz-
fragen .
Ja . – Würden Sie denn wenigstens eingestehen, dass
wir, wenn das von Ihnen angeführte Rügerecht umgesetzt
wird, nicht länger von einem Steuerungs- und Organi-
sationsrecht der Kommunen reden können? Weil man
durch ein Rügerecht – das ist ja klar – nur noch eine Ein-
spruchsmöglichkeit und keine Steuerungsmöglichkeit
mehr hat .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514320
(C)
(D)
Ri
Sie haben gerade eben gefragt, ob wir darüber nicht
noch mehr reden können . Ich habe gerade mehrfach ver-
sucht, darauf hinzuweisen, dass wir jetzt sehr wohl noch
einmal über diesen Arbeitsentwurf reden und in Gesprä-
chen sind .
Die nächste Frage hierzu hat der Kollege Meiwald,
Bündnis 90/Die Grünen .
Danke sehr . – Neben dem, was wir gerade schon ange-
sprochen haben, gibt es ja auch eine Schieflage zulasten
der Kommunen, die Sie eingebaut haben, indem Sie den
Betreibern Dualer Systeme einen Herausgabeanspruch
für die Papier-, Pappe- und Kartonverpackungen zukom-
men lassen wollen . Haben Sie eine Einschätzung darü-
ber, wenn man diese Rosinenpickerei wirklich zulassen
würde, in welchem Umfang dann die kommunalen Ab-
fallgebühren steigen würden? Denn die Kommunen refi-
nanzieren bisher zum Teil ihre Abfallwirtschaftsbetriebe
auch dadurch, dass sie zumindest in dem Bereich keine
Verluste machen .
Ri
Wie gesagt, es wurde erweitert, aber ich kann Ihnen
aus meiner eigenen kommunalen Erfahrung sagen, dass
es in Deutschland durchaus sehr heterogen geregelt ist
und die Kommunen sehr unterschiedliche Erfahrungen
machen . Teils lassen sie es Private organisieren, teils or-
ganisieren sie es selber . Auch mir ist natürlich bekannt,
dass viele Kommunen dadurch, dass sie Papiersammlun-
gen über Vereine organisieren, die Finanzierung anderer
Dinge ermöglichen . Konkrete Zahlen kann ich Ihnen jetzt
nicht nennen . Diese müsste ich Ihnen dann nachliefern .
Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Christian
Kühn, Bündnis 90/Die Grünen .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter, Sie haben
jetzt mehrfach angesprochen, dass Sie noch in einem Ab-
stimmungsprozess sind . Mich würde interessieren: Ge-
hen Sie in diesem Abstimmungsprozess noch einmal ak-
tiv auf die kommunalen Spitzenverbände zu? Gehen Sie
noch einmal aktiv auf die Umweltverbände und auch auf
andere Stakeholder zu, die sich in diesem Bereich bewe-
gen, um am Ende zu einem Gesetzentwurf zu kommen,
der uns wirklich einen Schritt weiterbringt und auch der
kommunalen Familie eine Möglichkeit bietet, ihr Know-
how in diesem Bereich wirklich einzubringen und ihre
Grundlagen der Daseinsvorsorge einen Schritt nach vor-
ne zu bringen?
Ri
Wie schon zu Beginn gesagt, Herr Kollege Kühn, ist
uns viel daran gelegen, dass wir dieses Wertstoffgesetz in
dieser Legislaturperiode verabschieden; das wollen wir .
Natürlich gehört dazu auch, dass wir uns mit den einzel-
nen Verbänden und Stakeholdern weiterhin aktiv ausein-
andersetzen bzw . einen Dialog führen .
Frage 44 der Abgeordneten Britta Haßelmann:
Welche inhaltlichen Fragen wurden beim Treffen des
BMUB mit den kommunalen Spitzenverbänden zum Entwurf
des Wertstoffgesetzes am 23 . November 2015 konkret bespro-
chen, und welches Ergebnis wurde bei diesem Treffen erzielt?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Ri
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit hat den Arbeitsentwurf auch mit
den kommunalen Spitzenverbänden erörtert . Ein inhaltli-
cher Schwerpunkt lag in der Frage der Organisationsver-
antwortung für die Entsorgung der wertstoffhaltigen Ab-
fälle und insbesondere der konkreten Ausgestaltung der
kommunalen Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten.
Das ist etwas, was wir ja jetzt schon die ganze Zeit
miteinander konkretisiert hatten .
Zusatzfrage .
Ich hatte ja nach konkreten Ergebnissen aus diesem
Gespräch gefragt . Da Sie es von sich aus nicht nennen,
frage ich noch einmal nach .
Nach meinen Informationen ist es so, dass gemäß dem
Arbeitsentwurf die Organisationshoheit der Kommunen,
die wir ja alle fordern, durch das Rügeprinzip ersetzt wer-
den soll und dass die kommunalen Spitzenverbände ganz
unisono und einheitlich dieses Rügeprinzip ablehnen und
es nicht als Ersatz für die Organisationshoheit betrach-
ten . Ich gehe davon aus, dass das in dem Gespräch am
23 . November deutlich gemacht worden ist .
Ri
Frau Kollegin Haßelmann, ich möchte darauf hinwei-
sen, dass die Gespräche vertraulich waren . Auch wenn
Sie schon von den Stakeholdern Erkenntnisse aus den
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 2015 14321
(C)
(D)
Gesprächen haben, möchte ich einfach von unserer Seite
auf die Vertraulichkeit hinweisen .
Danke schön . – Dann kommen wir zur Frage 45 des
Abgeordneten Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke:
Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung zur Erarbeitung
des Referentenentwurfs für ein Wertstoffgesetz Kontakt zwi-
schen Mitarbeitern von Bundesministerien und externen Fach-
kräften von Anwaltskanzleien und Beratungsgesellschaften
und, wenn ja, mit welchen?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Ri
Sehr geehrter Herr Kollege Lenkert, die Arbeiten zur
Vorbereitung der Weiterentwicklung der Verpackungs-
verordnung zu einem Wertstoffgesetz begannen früh in
der letzten Legislaturperiode; das haben wir alle hier
jetzt schon mitbekommen . Zunächst wurden mehrere
Forschungsvorhaben und insbesondere ein Planspiel mit
Vertretern aller relevanten Stakeholder-Gruppen durch-
geführt . Auftragnehmer waren mehrere wissenschaft-
liche Institute und die Rechtsanwaltskanzlei Redeker
Sellner Dahs .
Von Anfang an führte das Bundesministerium für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit den Dialog
mit den beteiligten Kreisen, insbesondere mit Vertretern
von Ländern, Kommunen und Wirtschaftsverbänden,
kommunalen und privaten Unternehmen, Umwelt- und
Verbraucherverbänden . Zu diesem Dialog gehören Ge-
spräche und Schriftwechsel mit einer großen Zahl von
Beteiligten, darunter auch Anwaltskanzleien und Bera-
tungsunternehmen .
Weitere Gespräche finden derzeit zum Arbeitsentwurf
statt, der auf der Grundlage der Eckpunkte der Koaliti-
onsfraktionen vom Juni des Jahres 2015 von den zustän-
digen Mitarbeitern des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit erarbeitet wurde
und an dessen Ausfertigung keine externen Berater mit-
gewirkt haben .
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? –
Bitte .
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . – Der Arbeits-
entwurf weicht aus unserer Sicht doch deutlich von dem
Eckpunktepapier, das die Koalitionsfraktionen vereinbart
haben, ab . Deswegen noch einmal die Frage: Inwieweit
waren externe Berater in die Erarbeitung des Arbeitsent-
wurfes einbezogen, und gab es ganz spezielle Kontakte
im Zusammenhang mit dem Arbeitsentwurf?
Ri
Lieber Herr Kollege Lenkert, ich habe Ihnen gerade
gesagt, dass an seiner Erarbeitung und Anfertigung keine
externen Berater mitgewirkt haben .
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege, oder
soll ich die nächste Frage aufrufen? – Die nächste .
Dann rufe ich Frage 46, ebenfalls vom Abgeordneten
Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke, auf:
Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung darüber hinaus
persönliche Kontakte von Mitarbeitern des Bundesministe-
riums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
und deren Vorgesetzten, die an der Erarbeitung des Referen-
tenentwurfs eines Wertstoffgesetzes beteiligt waren, zu An-
waltskanzleien, Beratungsgesellschaften und Unternehmen
der privaten Entsorgungs- und Kreislaufwirtschaft und, wenn
ja, welche?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Ri
Danke, Herr Präsident . – Lieber Herr Lenkert, die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMUB, die an der
Erarbeitung eines Arbeitsentwurfes beteiligt waren, ha-
ben sehr häufig mit Vertretern der in der Frage genannten
Gruppen – genauso wie zu weiteren gesellschaftlichen
Gruppen – Kontakt . Diese Kontakte sind nicht nur erfor-
derlich, um Erkenntnisse zu gewinnen und Sachverhalte
zu vermitteln, sondern es kommt natürlich im Rahmen
der förmlichen Anhörungen, die ja auch gesetzlich ver-
pflichtend sind, zu Kontakten – das ist ja auch bei Ihnen
so – mit den Stakeholdern, die ich gerade noch einmal
benannt habe .
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lenkert? – Bitte
schön .
Frau Staatssekretärin, ich fragte explizit, ob es über
die normale Arbeitsebene hinausgehende persönliche
Kontakte zwischen Mitarbeitern des Ministeriums und
Vertretern der privaten Entsorgungswirtschaft gibt . Mir
liegt die Einladung eines Mitarbeiters des Ministeriums –
den Namen möchte ich jetzt nicht nennen – zu einer Ver-
anstaltung der cyclos GmbH vor . Er wird zur Präsenta-
tion einer Urlaubsreise in die Karibik und zum privaten
Gespräch in die Räume des Unternehmens eingeladen .
Das sind für mich weit über das Übliche hinausgehende
Kontakte zur cyclos GmbH, und das stimmt mich doch
sehr skeptisch .
Darüber hinaus liegt mir ein Schreiben vor, das von
einem Syndikusanwalt – den Namen möchte ich eben-
falls nicht nennen – unterzeichnet worden ist . Der Syndi-
kusanwalt ist Sohn eines Mitarbeiters des Umweltminis-
Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 145 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 16 . Dezember 201514322
(C)
(D)
teriums, der für die Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes
verantwortlich ist .
Deswegen noch einmal meine Nachfrage: Wie wollen
Sie bei diesen engen persönlichen Kontakten, die weit
über die normalen Arbeitskontakte hinausgehen, sicher-
stellen, dass der Arbeitsentwurf nicht einseitig zugunsten
der privaten Entsorgungswirtschaft gestaltet worden ist,
insbesondere da so große Abweichungen vom Eckpunk-
tepapier der Koalitionsfraktionen vorliegen?
Frau Staatssekretärin .
Ri
Lieber Herr Lenkert, mir ist der Vorgang so nicht be-
kannt, aber wir werden dem nachgehen .
Zweite Zusatzfrage, Herr Lenkert? – Bitte .
Wenn sich dieser Vorgang auch aus Ihrer Sicht bestä-
tigt – ich kann Ihnen die Dokumente gern zur Verfügung
stellen –, würden Sie den Arbeitsentwurf dann komplett
zurückziehen und ihn von anderen Mitarbeitern neu er-
stellen lassen?
Ri
Dann würden wir prüfen, welchen Einfluss das hatte.
Herzlichen Dank .
Die Fragen 47 und 48 der Abgeordneten Katrin Kunert
sowie die Fragen 49 und 50 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung .
Die Frage 51 des Abgeordneten Niema Movassat wird
schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Wirtschaft und Energie .
Die Frage 52 des Abgeordneten Herbert Behrens, die
Frage 53 der Abgeordneten Tabea Rößner, die Frage 54
des Abgeordneten Oliver Krischer, die Frage 55 der Ab-
geordneten Bärbel Höhn und die Frage 56 der Abgeord-
neten Renate Künast werden schriftlich beantwortet .
Wir sind am Ende der Fragestunde und damit auch am
Schluss der heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 17 . Dezember 2015,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen .