Protokoll:
18136

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 136

  • date_rangeDatum: 12. November 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:44 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/136 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 136. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Inhalt: Würdigung von Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13233 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . 13234 D Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 13235 A Begrüßung des Vorsitzenden des Auswär- tigen Ausschusses des Europäischen Par- laments, Herrn Elmar Brok, und des Gene- ralsekretärs der OSZE, Herrn Lamberto Zannier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13266 C Tagesordnungspunkt 4: Vereinbarte Debatte: 60 Jahre Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13235 B Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13235 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 13236 D Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13238 A Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13240 A Dr. Karl A. Lamers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 13241 C Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 13243 B Wolfgang Hellmich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13244 B Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13246 C Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13247 B Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13248 C Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Ulla Jelpke, Jutta Krellmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstützen, Integration befördern und Lohndumping bekämpfen Drucksache 18/6644 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13250 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13250 B Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 13251 D Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13253 C Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13254 C Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 13255 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13257 A Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13258 B Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13259 A Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13259 D Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13260 C Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13262 B Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13263 A Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13264 A Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 13265 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015II Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13266 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13267 D Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: 40 Jahre nach Helsinki, 25 Jahre nach Paris – Den deutschen OSZE-Vor- sitz 2016 für neue Impulse hin zu einer auf Dialog, Vertrauen und Sicherheit ruhenden Friedensordnung in Europa nutzen Drucksache 18/6641 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13269 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Inge Höger, Andrej Hunko, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Den deutschen Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Jahr 2016 für Frieden und Abrüstung nutzen Drucksachen 18/5108, 18/6377 . . . . . . . . . 13269 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den deutschen OSZE-Vorsitz 2016 zur Stärkung der OSZE nutzen Drucksachen 18/6199, 18/6375 . . . . . . . . . 13269 B Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13269 C Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13271 C Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 13272 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13274 A Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13274 D Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) . . . . . . . . 13276 A Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13276 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13278 A Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU). . . . . . . . . . . 13279 A Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . . . 13280 A Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Aner- kennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hil- fe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMI-Verordnung“) für bundesrechtlich geregelte Heilberufe und andere Berufe Drucksache 18/6616 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13281 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Doris Wagner, Agnieszka Brugger, Dr. Tobias Lindner, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Radargeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA zügig entschädigen Drucksache 18/6649 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13281 C Tagesordnungspunkt 34: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes Drucksachen 18/6164, 18/6670 . . . . . . . . . 13281 D b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 28. März 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China zur Vermei- dung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen Drucksachen 18/6449, 18/6666 . . . . . . . . . 13282 A c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1007/2011 und zur Ablösung des Textilkennzeichnungsge- setzes Drucksachen 18/6488, 18/6662 . . . . . . . . . 13282 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Birgit Menz, Caren Lay, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Meeresumweltschutz national und international stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 III Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Schutz der Meere weltweit ver- ankern Drucksachen 18/4809, 18/4814, 18/5243 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13282 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und humani- täre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Azize Tank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doppelstandards beenden – Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt zeichnen und ratifizieren Drucksachen 18/4332, 18/6184 . . . . . . . . . 13282 D f)–k) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 243, 244, 245, 246, 247 und 248 zu Petitionen Drucksachen 18/6561, 18/6562, 18/6563, 18/6564, 18/6565, 18/6566 . . . . . . . . . . . . 13282 D Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13283 B Tagesordnungspunkt 7: Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremi- ums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaus- haltsordnung Drucksache 18/6629 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13284 B Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13284 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13285 C Tagesordnungspunkt 8: Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsme- chanismusgesetzes Drucksache 18/6630 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13284 C Wahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13284 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13293 A Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Anja Weisgerber, Marie-Luise Dött, Andreas Jung, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordne- ten Frank Schwabe, Dr. Matthias Miersch, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Klimakonferenz in Paris muss ehrgeiziges Abkommen beschließen Drucksache 18/6642 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13285 C b) Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Auf der Klimakonferenz in Paris die Weichen für mehr Klimaschutz und globale Gerechtigkeit stellen Drucksache 18/6648 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13285 D c) Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Deutscher Beitrag zu den UN-Kli- maverhandlungen – Kohlendioxid als Umweltschadstoff definieren, Betriebszei- ten von Kohlekraftwerken begrenzen Drucksache 18/3313 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13285 D Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13286 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 13287 B Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 13288 B Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13290 A Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . 13290 C Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13291 D Matern von Marschall (CDU/CSU) . . . . . . . . 13293 B Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Konstantin von Notz, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Besonders gefährdete Flüchtlinge in Erstaufnahmeein- richtungen und Gemeinschaftsunterkünf- ten besser schützen Drucksache 18/6646 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13294 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13294 D Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13296 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 13298 A Gülistan Yüksel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13299 C Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13300 C Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13302 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015IV Tagesordnungspunkt 11: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zum automati- schen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze Drucksachen 18/5920, 18/6290 . . . . . . 13303 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu der Mehrsei- tigen Vereinbarung vom 29. Okto- ber 2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten Drucksachen 18/5919, 18/6291, 18/6667 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13303 A – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6682 . . . . . . . . . . . . . . 13303 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Ab- geltungsteuer abschaffen – Kapita- lerträge wie Löhne besteuern – zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Abgeltungsteuer abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Transparenz von Kapitalein- kommen stärken – Automatischen Austausch von Informationen über Kapitalerträge auch im Inland ein- führen Drucksachen 18/2014, 18/6064, 18/6065, 18/6667 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13303 B Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . . 13303 C Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13305 A Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13305 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 13307 A Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . . 13308 D Sarah Ryglewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13310 A Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für ein menschenwür- diges Existenz- und Teilhabeminimum Drucksache 18/6589 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13311 D Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 13312 A Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . . 13313 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 13315 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 13316 C Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 13317 A Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13318 D Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 13320 A Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13321 A Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) Drucksachen 18/4349, 18/6681 . . . . . . . . . . . 13322 A Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 13322 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13323 C Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . . 13324 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13325 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13327 A Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13328 A Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13328 D Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Katharina Dröge, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Panzerlieferung nach Katar so- fort stoppen Drucksache 18/6647 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13330 A Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13330 A Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13331 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 V Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13333 A Sigmar Gabriel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13334 A Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13334 D Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . 13335 B Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 13335 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 13337 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 13338 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13339 C Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13340 B Sigmar Gabriel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13341 B Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13341 D Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Erklärung nach § 30 GO) . . . . . . . . . . . . . . 13342 C Petra Ernstberger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13343 B Tagesordnungspunkt 15: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution 1996 (2011) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2241 (2015) vom 9. Oktober 2015 Drucksachen 18/6504, 18/6638 . . . . . . . . . 13344 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6683 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13344 B Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13344 C Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13345 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 13346 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13347 B Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13348 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 13349 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13355 D Tagesordnungspunkt 16: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Dr. André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes über die parlamenta- rische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes Drucksache 18/6640 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13349 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parlamentarische Kontrolle der nach- richtendienstlichen Tätigkeit des Bun- des verbessern Drucksache 18/6645 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13349 C Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13349 C Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 13350 C Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13352 D Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 13353 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13353 C Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13354 D Tagesordnungspunkt 17: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Be- teiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2228 (2015) vom 29. Juni 2015 Drucksachen 18/6503, 18/6639 . . . . . . . . . 13358 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6684 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13358 B Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13358 D Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 13360 A Michael Vietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13361 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13361 D Dr. Karl A. Lamers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 13362 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 13363 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13366 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015VI Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Netzneutralität als Voraus- setzung für eine gerechte und innovative di- gitale Gesellschaft effektiv gesetzlich sichern Drucksachen 18/5382, 18/6402 . . . . . . . . . . . 13363 D Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13364 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 13365 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13368 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13370 D Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13371 D Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Berufsqualifikations- feststellungsgesetzes und anderer Gesetze Drucksachen 18/5326, 18/6632 . . . . . . . . . . . 13372 D Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Anerkennung von Kriegsdienstverweige- rungen erleichtern Drucksache 18/6363 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13373 B Tagesordnungspunkt 21: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie Drucksachen 18/6283, 18/6673 . . . . . . . . . 13373 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6685 . . . . . . . . . . . . . . . . . 13373 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Bu- ches Sozialgesetzbuch und weiterer Vor- schriften Drucksachen 18/6284, 18/6674 . . . . . . . . . . . 13373 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Anrechnung von NVA-Verletztenrente auf Grundsicherung im Alter Drucksachen 18/3170, 18/5278 . . . . . . . . . . . 13373 D Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seear- beitsgesetzes Drucksachen 18/6162, 18/6675 . . . . . . . . . . . 13374 B Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Nachhaftung für Rückbau- und Ent- sorgungskosten im Kernenergiebereich (Rückbau- und Entsorgungskostennach- haftungsgesetz – Rückbau- und Entsor- gungskostennachhaftungsG) Drucksachen 18/6615, 18/6671 . . . . . . . . . . . 13374 C Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulstatistikgesetzes Drucksache 18/6560 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13374 C Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrs- infrastrukturfinanzierungsgesellschaftsge­ setzes Drucksachen 18/6487, 18/6669 . . . . . . . . . . . 13374 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13375 B Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 13377 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 VII Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- schen Bundestages, die an der Wahl eines Mit- glieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung teilge- nommen haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13378 A Anlage 3 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- schen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds und der Wahl eines stellvertretenden Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3 Ab- satz 3 des Stabilisierungsmechanismusgeset- zes teilgenommen haben . . . . . . . . . . . . . . . . . 13380 B Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 19) . . . 13383 A Cemile Giousouf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13383 A Xaver Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13384 D Dr . Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13385 D Dr . Daniela De Ridder (SPD) . . . . . . . . . . . . . 13386 B Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 13387 A Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13387 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Anerkennung von Kriegsdienstverweigerun- gen erleichtern (Tagesordnungspunkt 20) . . . . 13388 D Jörg Hellmuth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13388 D Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13389 B Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13389 D Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13390 C Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13391 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie (Tagesordnungs- punkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13392 B Dr . Martin Pätzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 13392 C Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13393 A Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13393 C Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . . 13394 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13395 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on DIE LINKE: Keine Anrechnung von NVA-Verletztenrente auf Grundsicherung im Alter (Tagesordnungspunkt 22 und Zusatztagesord- nungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13396 C Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13396 D Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 13397 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . . 13398 B Dr . Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . 13399 A Dr . Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . . 13399 D Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13400 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seearbeitsgesetzes (Tagesordnungspunkt 23) . . 13401 A Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13401 A Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13402 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13402 C Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13403 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015VIII Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Nachhaftung für Rückbau- und Entsorgungskosten im Kern- energiebereich (Rückbau- und Entsorgungs- kostennachhaftungsgesetz – Rückbau- und EntsorgungskostennachhaftungsG) (Tagesord- nungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13404 A Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13404 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13405 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13406 A Uwe Beckmeyer, Parl . Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13406 C Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulstatistikgesetzes (Tagesordnungs- punkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13407 C Katrin Albsteiger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13407 C Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 13408 B Martin Rabanus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13409 A Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13409 C Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13410 A Stefan Müller, Parl . Staatssekretär BMBF . . . 13411 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell- schaftsgesetzes (Tagesordnungspunkt 26) . . . 13411 D Reinhold Sendker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 13412 A Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13412 D Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 13413 B Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 13414 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13233 136. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Beginn: 9.02 Uhr
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    Vizepräsidentin Claudia Roth (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13377 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bülow, Marco SPD 12.11.2015 Erler, Dr. h. c. Gernot SPD 12.11.2015 Ernst, Klaus DIE LINKE 12.11.2015 Grundmann, Oliver CDU/CSU 12.11.2015 Gundelach, Dr. Herlind CDU/CSU 12.11.2015 Hampel, Ulrich SPD 12.11.2015 Hintze, Peter CDU/CSU 12.11.2015 Höger, Inge DIE LINKE 12.11.2015 Janecek, Dieter BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12.11.2015 Jung, Andreas CDU/CSU 12.11.2015 Kelber, Ulrich SPD 12.11.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12.11.2015 Klare, Arno SPD 12.11.2015 Krellmann, Jutta DIE LINKE 12.11.2015 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 12.11.2015 Ludwig, Daniela CDU/CSU 12.11.2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Malecha-Nissen, Dr. Birgit SPD 12.11.2015 Merkel, Dr. Angela CDU/CSU 12.11.2015 Pfeiffer, Dr. Joachim CDU/CSU 12.11.2015 Post, Florian SPD 12.11.2015 Ramsauer, Dr. Peter CDU/CSU 12.11.2015 Rüthrich, Susann SPD 12.11.2015 Saathoff, Johann SPD 12.11.2015 Scho-Antwerpes, Elfi SPD) 12.11.2015 Terpe, Dr. Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12.11.2015 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12.11.2015 Werner, Katrin DIE LINKE 12.11.2015 Westphal, Bernd SPD 12.11.2015 Wicklein, Andrea SPD 12.11.2015 Wiese, Dirk SPD 12.11.2015 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 12.11.2015 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 12.11.2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513378 (A) (C) (B) (D) Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung teilgenommen haben CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsru- he-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braun- schweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt (Althengstett) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wies- baden) Bernhard Schulte-Drüggelte Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13379 (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier- Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Marina Kermer Cansel Kiziltepe Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513380 (A) (C) (B) (D) Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE. Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Birgit Wöllert Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Anlage 3 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds und der Wahl eines stellvertre- tenden Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes teilge- nommen haben CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13381 (A) (C) (B) (D) Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier- Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513382 (A) (C) (B) (D) Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Marina Kermer Cansel Kiziltepe Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE. Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Birgit Wöllert Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13383 (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 19) Cemile Giousouf (CDU/CSU): Heute diskutieren wir den vorliegenden Gesetzentwurf zur Anpassung un- seres Anerkennungsgesetzes an EU-Richtlinien. Erlau- ben Sie einige Worte über die Arbeitsmarktintegration von Neuzuzüglern, die wir mit dem Anerkennungsgesetz in unseren Arbeitsmarkt integrieren wollen. Wir haben im Moment einen sehr hohen Beschäftigungsstand in un- serem Land, unser Arbeitsmarkt ist aufnahmefähig wie lange nicht mehr, und auch wenn die Wachstumskraft im zweiten Halbjahr etwas schwächer war, haben wir insge- samt in diesem Jahr einen starken wirtschaftlichen Auf- schwung erlebt. Wenn wir uns die Flüchtlingszahlen angucken – wir rechnen mit einer Anerkennungsquote von 40 bis 50 Pro- zent – werden von den erwarteten Menschen in diesem Jahr eine halbe Million Menschen bei uns bleiben. Nach Meinung des DIW-Präsidenten erwirtschaftet ein Flücht- ling spätestens nach sieben Jahren mehr, als er den Staat kostet. Deshalb sind auch die Wirtschaftsweisen im Übri- gen der Auffassung, dass wir zwar jetzt in die Integration der Menschen investieren müssen, aber langfristig diese sich eben für unser Land auszahlt. Ich habe mich gefreut, dass vorgestern der neue Lei- ter des BAMF, Hans-Jürgen Weise, in unserer AG-Innen sehr deutlich gemacht hat, dass die Behauptung, 80 Pro- zent der Asylbewerber seien in den deutschen Arbeits- markt nicht integrierbar, schlicht falsch ist. Natürlich haben diese keine duale Ausbildung nach unseren Krite- rien und Standards durchlaufen, aber sie haben auch Ar- beitserfahrung und genau diese sollten wir nutzen – so, wie sich bislang jede Einwanderergruppe für unser Land ausgezahlt hat. Bei den Nachkommen jeder Einwande- rergruppe – auch denen der Gastarbeiter, deren Großteil als ungelernte Arbeiter in unser Land kamen können wir einen hohen Bildungsanstieg, eine hohe Bildungsaspira- tion und höhere Berufsabschlüsse verzeichnen, als dies in der Elterngeneration der Fall war. Das ist ein großes Kompliment an unser Bildungs- system und unsere duale Ausbildung. Es gibt endlose Beispiele von Kindern, die aus sogenannten Arbeiterfa- milien kommend – dabei ist es egal, ob mit oder ohne Migrationshintergrund – heute verantwortungsvolle Po- sitionen bekleiden, auch hier im hohen Hause. Ich habe Verständnis für Fragen und Sorgen; die haben ihre Be- rechtigung. Aber die Fakten, die haben eben auch Ihre Berechtigung. Vor diesem Hintergrund habe ich auch ein Problem damit, wenn bei einer Prognose von einer halben Mil- lion Menschen allzu düstere Weltuntergangsszenarien gezeichnet werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass es einzig und allein an uns liegt, ob diese Zuwanderung zu einem Problem oder einer Chance für unser Land wird. Es hängt maßgeblich davon ab, wie schnell und wie gut wir Menschen in Arbeit bringen können. Und dafür haben wir schon viel Gutes auf den Weg gebracht. Der Fachkräftemangel in Deutschland war der Grund, warum wir seit 2009 viele Anstrengungen unternommen haben, viele Gesetze liberalisiert haben, damit Menschen mit Einwanderungsgeschichte, aber auch Asylbewerber schneller auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Das war auch der Grund, warum 2012 das Anerkennungsge- setz ins Leben gerufen wurde. Heute diskutieren wir den vorliegenden Gesetzent- wurf. Er dient dazu, Vorgaben der novellierten EU-Richt- linie zur Berufsanerkennung in deutsches Recht umzu- setzen. Die wichtigsten Änderungen sind: Erstens. Wollen wir mit dem Gesetz ein einheitliches Anerkennungsverfahren innerhalb der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraumes schaf- fen. Es soll ein europäischer Berufsausweis für regle- mentierte Berufe eingeführt werden, der die Mobilität in Europa maßgeblich fördert. Zweitens. Die Verfahren der Anerkennung sollen durch die elektronische Antragsabgabe weiter moderni- siert und vereinfacht werden. Es wird die Möglichkeit geschaffen, für reglementierte Berufe Informationen durch Nutzung eines einheitlichen Systems elektronisch zu übermitteln. Die Antragsbearbeitung durch die zustän- digen Stellen kann dadurch verbessert, die Kommunika- tion beschleunigt werden. Für die Antragsteller werden Kosten reduziert, da die Beglaubigung von Unterlagen zunächst entfällt, bei Bedarf jedoch durch die zuständi- gen Stellen angefordert werden kann. Drittens. Der Antragsteller wird in Zukunft bei regle- mentierten Berufen die Möglichkeit bekommen, inner- halb von sechs Monaten eine Eignungsprüfung abzule- gen. Damit wird ein zügiges Verfahren gewährleistet, das die anerkennende Stelle leisten muss. Viertens. Wir wollen die Umsetzung des Anerken- nungsgesetzes weiter beobachten, und das Bundesinsti- tut für Berufsbildung wird das Monitoring des Anerken- nungsgesetzes kontinuierlich weiterführen. Das müssen wir auch tun, wenn wir das Potenzial die- ses Gesetzes in seiner vollen Wirkung nutzen wollen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513384 (A) (C) (B) (D) Bei der öffentlichen Anhörung haben die Sachverstän- digen die Erfolge aber auch den weiteren Handlungsbe- darf aufgezeigt. Zu den wichtigen Punkten gehört: Erstens. Laut Statistischem Bundesamt wurden seit dem Inkrafttreten des Gesetzes im April 2012 bis Ende 2013 rund 26 500 Anträge auf Anerkennung ge- stellt. Nahezu 96 Prozent aller beschiedenen Verfahren wurden mit der Feststellung einer Gleichwertigkeit des ausländischen Berufsabschlusses beendet. Zweitens. Besonders groß ist das Interesse an einer Anerkennung im Bereich der Gesundheitsberufe. In die- sen Berufen sind in Deutschland bereits erhebliche Eng- pässe zu verzeichnen. Wir begrüßen in diesem Zusam- menhang, dass endlich eine zentrale Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe bei der KMK eingeleitet wird. Drittens. Die Sachverständigen haben die Bedeutung guter Beratungsstrukturen deutlich gemacht. Deshalb freue ich mich, dass das BMBF das Beratungsnetzwerk „Integration durch Qualifizierung – IQ“ zu einer kosten- losen Verfahrensbegleitung und Qualifizierungsberatung im Kontext des Anerkennungsgesetzes weiterentwickeln wird. Viertens. Wir haben durch das Anerkennungsgesetz schon heute die Möglichkeit, sogenannte Qualifikati- onsanalysen durchzuführen, wenn zum Beispiel Unter- lagen fehlen oder nicht ausreichend vorgelegt werden können. Gerade dieses Instrument ist bei der Erfassung der Flüchtlinge, die ja oftmals ohne Dokumente aufbre- chen mussten, eine wichtige Stütze zur Erkennung von Berufsqualifikationen. Doch es gibt eben auch noch Verbesserungsmöglich- keiten – bei einem jungen sehr komplexen Gesetz ist dies nur allzu natürlich. Folgende Punkte möchte ich heraus- stellen: Viele Betriebe haben noch keine konkreten Erfahrun- gen mit dem Gesetz gemacht. Der Nutzen des Anerken- nungsgesetzes als Instrument der Personalgewinnung muss noch viel besser verdeutlicht werden. Gerade klei- ne und mittlere Betriebe benötigen auch konkrete Unter- stützung bei Fragen zum Thema Anerkennung. Wir brau- chen also eine stärkere Bekanntmachung. Die Akzeptanz der Bescheide bei den Unternehmen hängt maßgeblich von der Qualität der Bescheide ab, weshalb es notwendig ist, dass wir einen einheitlichen Verwaltungsvollzug brauchen. Die Verfahren müssen vereinheitlicht und Kompetenzen der entscheidenden Stellen gebündelt werden. Andererseits zieht eine Beratung nicht in jedem Fall eine Antragstellung nach sich. Die Ergebnisse hierzu durchgeführter Befragungen zeigen unterschiedliche Gründe auf. So können zum Beispiel die Kosten für die Durchführung eines Anerkennungsverfahrens Interes- sierte davon abhalten, einen Antrag zu stellen. Mit an- deren Worten: Es wird also immer dann problematisch, wenn die Frage der Bildungsrendite nicht eindeutig zu beantworten ist. Genau an dieser Stelle setzt der Entschließungsantrag von meinem Kollegen Karamba Diaby und mir an. Wir brauchen weitere Finanzierungsmöglichkeiten für Qualifizierungsmaßnahmen. Das ist auch erklärtes Ziel der Bundesregierung. So steht es auch im Koalitionsver- trag. Wir wollen ein Darlehensprogramm und Stipendi- enprogramm. Ich freue mich deshalb, dass das BMBF angekündigt hat, ein bundesweites Stipendiumprogramm anzulegen, sobald eine valide Einschätzung der Bedarfe möglich ist. Der gestern von der Grünen-Fraktion einge- reichte Entschließungsantrag macht sich ja auch für diese Forderung stark – Schnellschüsse bringen uns aber kei- nen Schritt weiter. Lieber Özcan Mutlu, ich möchte auch noch etwas zu der Deckelung der Verfahrenskosten sagen, wie in eurem Antrag gefordert: Die Forderung ist goldrichtig – nur leider ist es der falsche Adressat! Die Verwaltungsauf- gaben, die in den Bereich der Länder fallen, sind auch vollständig von diesen zu übernehmen. Für öffentliche Verwaltungsaufgaben werden zudem üblicherweise kos- tendeckende Gebühren erhoben. Verfassungsrechtlich ist das aber nun einmal Sache der Länder, und es gibt nur eingeschränkte Einwirkungsmöglichkeiten der Bundes- regierung. Erstmals hat nunmehr jeder und jede auf Grundlage dieses Gesetzes Anspruch, dass der im Ausland erwor- bene Abschluss geprüft wird. Dieser Rechtsanspruch auf Prüfung, markiert ebenfalls einen Paradigmenwechsel. Dieses Verfahren sucht in Europa seinesgleichen. Die Tatsache, dass viele Zuwanderer durch das Anerken- nungsgesetz de jure und de facto mehr Wertschätzung für ihre früher erworbenen Qualifikationen bekommen, ist auf eine erfolgreiche Regierungsinitiative der Union zu- rückzuführen. Wir sollten uns diese Erfolge nicht klein- reden lassen. Ich plädiere daher als Berichterstatterin wärmstens für die Annahme der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses. Xaver Jung (CDU/CSU): Unsere Wirtschaft boomt und den sozialen Sicherungssystemen geht es so gut, wie lange nicht. Wir haben heute so viele offene Stellen wie seit der Deutschen Einheit nicht mehr und werden in den nächsten Jahren Millionen Fachkräfte ersetzen müssen, die in den Ruhestand gehen. Demgegenüber hoffen vie- le Einwanderer und Schutzsuchende mit Qualifikationen aus dem Ausland auf einen Job in Deutschland. Das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz erfährt zunehmend größeren Anklang bei der Zielgruppe der Zugewanderten. Im abgelaufenen Jahr gab es mit rund 20 000 Verfahren zur Anerkennung rund 20 Prozent mehr Anträge als im Vorjahr. Von den beschiedenen Verfahren endeten ca. 80 Prozent mit einer vollen Gleichwertigkeit. Nicht einmal 4 Prozent wurden abgelehnt. Besonders in den Gesundheits- und Pflegeberufen bestand erfreuli- cherweise großes Interesse. Die öffentliche Anhörung hat sehr wohl gezeigt, dass das Berufsfeststellungsförderunggesetz sich in den letz- ten Jahren als notwendiges und im Kern richtiges und erfolgreiches Instrument zur Verbesserung der Aner- kennungssituation und Arbeitsmarktintegration von Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13385 (A) (C) (B) (D) Migranten erwiesen hat. Wir haben aber auch erfahren, dass es bei der praktischen Umsetzung noch häufig zu Problemen kommt. Diese liegen meist nicht im Verant- wortungsbereich des Gesetzgebers. Es fehlt an einer gesetzeskonformen Umsetzungspraxis einiger zuständi- ger Anerkennungsstellen im Verantwortungsbereich der Länder. Daher begrüßen wir die Vereinbarung der Länder, die für die Anerkennung zuständigen Stellen und die von den Ländern finanzierte Zentralstelle für das ausländische Bildungswesen, angemessen auszustatten. Damit kann der erwartete Aufwuchs von Anträgen zügiger bearbeitet werden. Darüber hinaus brauchen wir begleitende finanzielle Unterstützungsangebote für Nachqualifizierungsmaß- nahmen in Ergänzung zu den bestehenden Angeboten. Auch die Verfahrenskosten müssen sozialverträglich ausgestaltet werden. Das Anerkennungsgesetz ist aber nur eine Maßnahme von vielen, um die Menschen die zu uns kommen besser zu integrieren. Im September haben die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten bereits ein Finanzpaket ver- abredet. Bund, Länder und Kommunen (und unzählige Ehrenamtliche) packen gemeinsam an. Herzlichen Dank an dieser Stelle! Dem Ministerium für Bildung und Forschung kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Zahlreiche gezielte Maß- nahmen werden unter dem Stichwort „ Integration durch Bildung“ vom BMBF mit mindestens 130 Millionen Euro unterstützt! Wir stärken das Kommunale Bildungs- management. In allen 400 Kreisen oder kreisfreien Städ- ten wird mit Beginn 2016 ein Koordinator zur Organi- sation von Bildungsangeboten für Flüchtlinge finanziert. Auch der JOBSTARTER-Programmbereich KAUSA unterstützt die Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Das KAUSA-Netzwerk wird ausgebaut und die Zahl der Stellen wird verdoppelt. In den lokalen Bündnissen für Bildung im Programm „Kul- tur macht stark“ werden die zusätzlichen Angebote für junge Flüchtlinge jetzt auch auf die Altersgruppe der jun- gen Erwachsenen ausgeweitet. Das Förderprogramm „Integration durch Bildung“ existiert bereits seit zehn Jahren. In der Förderperio- de 2015-2018 wurde das Programm erweitert um den Schwerpunkt: „ESF-Qualifizierung im Kontext Aner- kennungsgesetz“. So wird das Programm künftig noch mehr auf die Bedürfnisse der Geflüchteten zugeschnitten. Unabhängig vom Aufenthaltstitel werden Personen mit Migrationshintergrund in den Bereichen Bildung, Be- rufsbildung und lebenslangem Lernen unterstützt. Wer in Deutschland einen beruflichen Neustart ver- sucht, hat einen langen Weg vor sich. Viele Menschen suchen derzeit bei uns Zuflucht vor Terror und Gewalt. Viele haben alles zurückgelassen. Wir geben ihnen eine Chance, so wie wir auch Menschen in Deutschland nach langer Arbeitslosigkeit eine Chance für den Neustart bie- ten. Unser Ziel ist, dass jeder Mensch etwas erreichen kann und ihm dabei geholfen wird. Jeder der einen Neu- start wagt hat eine Chance verdient. Aber, wo es Rechte gibt, gibt es auch Pflichten. Um hier Fuß fassen zu können, muss man die Sprache kön- nen, und wer Schutz und Sicherheit, in Anspruch nimmt (die das Grundgesetz garantiert), muss selbst auch unse- re demokratische und freiheitliche Verfassungsordnung, kennen, anerkennen und leben. Nur wer bereit ist sich an- zustrengen, kann auf die volle Solidarität und Unterstüt- zung der Bevölkerung zählen. Von Anfang an sollen sie durch die Teilnahme an Integrationskursen erfahren, wie eine offene, pluralistische Gesellschaft funktioniert und welche Rechts- und Werteordnung in Deutschland gilt. Sie sollen aber auch Informationen bekommen, wel- che Möglichkeiten sie haben, sich bei uns einzubringen. Denn: Viele wissen gar nicht worin die Vorteile einer du- alen Ausbildung liegen, oder wie sie sich ihre im Ausland erworbenen Qualifikationen anrechnen lassen können! Leider können viele Flüchtlinge die notwendigen Un- terlagen nicht vorlegen. Sie haben aufgrund einer über- stürzten Flucht nicht alle Papiere mitnehmen können oder sie sind verloren gegangen. Durch Fachgespräche und Arbeitsproben besteht nun die Möglichkeit, Kompe- tenzen festzustellen und einzustufen. Vielen Dank an die Kooperationspartner der Handwerkskammern sowie der Industrie- und Handelskammern. Sie sorgen weiterhin für die Einhaltung von Qualitätsstandards. Denn genau darin, in der Qualität der Bescheide, liegt der wesentliche Vorteil des Anerkennungsverfahrens. So- wohl Antragsteller wie Arbeitgeber können ersehen, was einem ausländischen Bewerber an Qualifikationen fehlt und wo man ihn nachqualifizieren, oder in die Weiterbil- dung integrieren kann. Anerkennungsberatung und Qua- lifizierungsberatung werden wichtige Anlaufstellen und sorgen für Transparenz über ausländische Abschlüsse. Und hier liegt noch viel mehr Potential; denn auch viele Betriebe kennen diese Möglichkeiten bisher nicht, hier werden wir mit verstärkter Aufklärung ansetzen. Zum Schluss ein aufmunterndes Zitat einer Antrag- stellerin: „Man braucht viel Geduld für den ganzen Pa- pierkram. Am Ende lohnt es sich aber und man hat die Genugtuung, endlich in dem Beruf arbeiten zu können, der einem liegt und Spaß macht.“ Das wünsche ich jedem Antragsteller, jedem hier im Hause und jedem der in un- serem Land arbeitet. Dr. Karamba Diaby (SPD): Seit 2012 verkörpert das Anerkennungsgesetz gelebte Anerkennungskultur. Es steht für: Chancengleichheit von Eingewanderten. End- lich können sie seit drei Jahren ihre Qualifikationen an- erkennen lassen. Und es hat Signalwirkung an die Wirt- schaft, nämlich dass wir hier in Deutschland ein großes Reservoir an Fachkräften haben. Der vorliegende Entwurf zur Änderung des BQFG setzt die Anpassung an die EU-Richtlinie um. Das Ge- setz wird damit modernisiert. Das begrüßt meine Frakti- on ausdrücklich. 1. Künftig soll die Prüfung der Gleichwertigkeit inner- halb von sechs Monaten abgeschlossen sein. 2. Ebenfalls wird die elektronische Antragsbearbei- tung ausgebaut. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513386 (A) (C) (B) (D) 3. Wichtig ist zudem: Es wird künftig mehr Stellen geben, die Anträge auf Anerkennung annehmen. Das Ge- setz wird damit nutzerfreundlicher. 4. Und nicht zuletzt: Die Weitergabe elektronischer Daten zwischen dem BiBB und dem Statistischen Bun- desamt wird verbessert. Das sind positive Aspekte. Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass meine Frakti- on mehr will. Nach immer sehen wir in drei wesentlichen Aspekten Handlungsbedarf! Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass wir erstens einen Rechtsanspruch auf eine unabhän- gige Beratung brauchen. Länder wie Hamburg und Sach- sen-Anhalt sind dem Bund hier einen Schritt voraus. Da- mit steht und fällt ein mögliches Anerkennungsverfahren. Wir wollen einen Rechtsanspruch auf individuelle und unabhängige Beratung für alle Anerkennungssuchenden, unabhängig davon, ob der Beruf nach Landes- oder Bun- desrecht geregelt ist. Von einem solchen Rechtsanspruch versprechen wir uns noch mehr Anerkennungsverfahren! Wir fordern zweitens ein Einstiegsdarlehen. Aus- nahmslos alle Sachverständigen unserer Anhörung wa- ren einhellig der Ansicht: Nur mit finanzieller Ausstat- tung wird das Anerkennungsgesetz seine volle Wirkung entfalten. Meine Fraktion meint, dass wir an Finanzierungsinstru- ment nicht vorbeikommen werden. Die Antragszahlen insgesamt sind uns noch zu niedrig und auch die Quote der Teilanerkennungen ist recht hoch. Das heißt wir brau- chen zwingend flankierende Angebote für die Ausgleich- maßnahmen. Hier brauchen wir Planungssicherheit und Rechtssicherheit für Anerkennungssuchende. Und das geht nur über die Einführung eines Einstiegsdarlehens! Und drittens müssen wir für angemessene, sprich sozi- alverträgliche, Verfahrenskosten sorgen. Wir wissen aus dem Bericht, dass eine hohe Varianz der Verfahrenskos- ten existiert, die sich nach Berufsgruppen und Regionen unterscheidet. Die Verfahrenskosten sind bestimmender Faktor und genau da müssen ran. Der heutige Beschluss ist nur eine Wegmarke hin zu einem kraftvollen Anerkennungsgesetz. Das drückt auch der Entschließungsantrags des Ausschusses aus. Zum Schluss bedanke ich mich bei allen Akteuren in den Ministerien, Verwaltungen, den Beratungsstellen und nicht zuletzt den Kammern für ihren Einsatz. Sie tra- gen maßgeblich zum Erfolg des Gesetzes bei. Aber wir müssen sie dabei noch stärker unterstützen. Deshalb wiederhole ich: Unser Ziel muss sein, dass jeder Mensch entsprechend seiner Qualifikation arbeiten kann. Wir dürfen uns daher mit dem Status Quo nicht zufrieden geben. Lassen Sie uns das Anerkennungsgesetz zu einem kraftvollen Instrument echter Teilhabe machen. Dr. Daniela De Ridder (SPD): Das Anerkennungs- gesetz stellt eine zentrale Maßnahme zur Integration von zugewanderten Menschen in den Arbeitsmarkt dar. Dabei gilt es, die in den jeweiligen Heimatländern erworbenen Qualifikationen zu würdigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Ja, das gilt auch für Geflüchtete, die Sie ja ausdrücklich in Ihrem Antrag erwähnen. Aber: Dies gilt auch für Men- schen, die schon lange bei uns leben, und ebenso für Menschen, die über kurzfristige Auslandsaufenthalte Qualifikationen erworben haben. In der Vergangenheit haben wir viele Fehler durch die Nichtanerkennung von ausländischen Abschlüssen ge- macht. Da hieß es aber auch, Deutschland sei kein Ein- wanderungsland. Welch fataler Irrtum! Die Fehler der Vergangenheit dürfen wir auf keinen Fall wiederholen. Wir müssen vielmehr mit den Lebens- chancen von Menschen, die zu uns kommen, sorgfältiger umgehen. Auch ist das Anerkennungsgesetz ist ein Grundpfeiler unserer Willkommens- und Begleitkultur. Ja, wir sagen „hartelijk welcomen“ zur niederländi- schen Krankenschwester, wenn sie in Deutschland ar- beiten möchte. Ihr Berufungsanerkennungsverfahre be- schleunigen wir, denn wir brauchen sie. Und wir sagen auch „Marhaba“ zu syrischen Ingeni- euren, auch wenn das viele Menschen in unserem Land derzeit nicht gefällt. Wir sind nämlich imstande, auch auf Arabisch „Willkommen“ zu sagen. Ja, Verfahren der Anerkennung von Berufen sind in- nerhalb der EU modernisiert und vereinfacht worden. Auch die entsprechenden Beratungsangebote werden häufiger genutzt. Aber reicht uns das? Nein, auch wir sehen deutlichen Verbesserungsbedarf: Die Reform des Anerkennungsgesetzes ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Aber mit dem Entschlie- ßungsantrag haben wir Koalitionspartner noch einmal Bewegung in die Sache gebracht. Was wollen wir? Transparentere Verfahren, Unterstützung für die Nach- qualifizierung – das kann man sehr gut durch Darlehens- und Stipendienprogramme tun, auch an die Senkung der Kosten für das Anerkennungsverfahren denken wir, die müssen nämlich sozial verträglich sein; ja, so können wir die Zahlen der Anerkennungen noch einmal deutlich steigern. Ich weiß mich in guter Gesellschaft, denn ich werde darauf häufig von den Unternehmen in meinem Wahlkreis angesprochen. Lassen Sie mich bitte noch auf einen Punkt aufmerk- sam machen, der mir besonders wichtig ist: Mir geht es auch um die Stärkung der Beratungsangebote in den Hei- matländern der Mobilitätswilligen. Dadurch können wir noch einmal Informationen streuen und zur Transparenz beitragen. Dazu gehört auch eine enge Kooperation mit den Außenhandelskammern. Zudem entspricht dies dem gestiegenen Beratungsbedarf. Schließlich wird es insgesamt um den Ausbau von in- novativen Konzepten zur Integration von Zugewanderten in den Arbeitsmarkt gehen müssen. Ja, ich leugne nicht, dass die Herausforderungen groß sind – und sie wachsen noch – wenn täglich viele Men- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13387 (A) (C) (B) (D) schen zu uns kommen, weil sie hier Schutz und Hilfe su- chen – aber auch einen Arbeitsplatz. Wir sollten dies aber nicht als Last empfinden, son- dern als Chance begrüßen: Wenn wir besser hinsehen, erkennen wir vielerorts die Potenziale und Talente. Dazu müssen aber viele von uns die Scheuklappen ablegen und den Mut für Verbesserungen aufbringen. Helmut Schmidt, dessen Tod wir heute Morgen hier betrauert haben, sagte einst: „In der Krise beweist sich der Charakter!“ Wir haben jetzt alle miteinander die Möglichkeit, dies unter Beweis zu stellen. Wir sollten nicht verzagen, sondern „Yalla“ rufen, denn das bedeutet „Lasst uns aufbrechen!“ Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, Schukran! Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Um es gleich am Anfang zu sagen: Das Gesetz zur Anerkennung er- worbener Berufsqualifikationen, das wir heute hier bera- ten, ist lediglich eine Umsetzung einer lange bekannten EU-Richtlinie, der wir bis zum Beginn des neuen Jahres nachkommen müssen. Insofern erscheint der Regelungs- spielraum gering. Darum werden wir uns bei der Ab- stimmung zu diesem Gesetz enthalten. Wir enthalten uns auch in der Abstimmung zum Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen, weil darin uns wichtige Dinge fehlen. Ich will es noch einmal betonen: Die Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse ist für uns vor allem darum wichtig, weil es um die Wertschätzung von Men- schen und ihrer Fähigkeiten geht, die wir anerkannt wis- sen wollen, und nicht zuerst um die Möglichkeit, Fach- kräfteengpässe in Deutschland auszugleichen. Darum halten wir es auch für erforderlich, auch bei nicht reglementierten Berufen, mit denen man im Prinzip auch ohne Anerkennung in Deutschland arbeiten darf, die Verfahren zur Anerkennung erheblich zu erleichtern, damit nicht Arbeitskräfte erster und zweiter Klasse ent- stehen und alle Anspruch auf tarifliche Bezahlung haben. Auch Lohndumping muss verhindert werden! Für die Anerkennung der Berufe, die ohne diese nicht ausgeübt werden könnten, erwarten wir, dass kein Un- terschied gemacht wird zwischen den Abschlüssen, die im europäischen Raum erworben wurden, und jenen aus sogenannten Drittstaaten. Darum sollten auch die- se Unterlagen künftig elektronisch übermittelt werden können. Wir halten es auch für wenig sinnvoll, die nun einzurichtenden einheitlichen Ansprechpartner nur mit der Weitergabe der Anträge zu betrauen und ihnen nicht gleichzeitig eine Beratungsfunktion zu übertragen. Büro- kratie gibt es doch im Verfahren schon genug. Wir begrüßen, dass für die Gesundheits- und Heilberu- fe nun die Gutachterstelle beim Bund mit 16 zusätzlichen Stellen versehen werden soll. Doch alle Sachverständi- gen haben uns gemahnt, dass 16 Stellen nicht ausrei- chen, die vielen erforderlichen Gutachten zu erstellen. Auch darum schlagen wir vor, für alle Abschlüsse, deren Gleichwertigkeit von irgendeiner zuständigen Stelle in Bund oder Ländern festgestellt wurde, eine zentrale Da- tenbank zu errichten, auf die zugegriffen werden kann. Dann könnten Gleichwertigkeitsfeststellungen schneller und unbürokratischer getroffen werden und es würde auch kostengünstiger. Es ist doch unlogisch, in einer Zeit, in der nach jewei- ligem Landesrecht ausgebildete Erzieherinnen zum Bei- spiel in anderen Bundesländern mit Kusshand genommen werden, obwohl die Ausbildungen höchst unterschied- lich sind, bei Ausbildungen, die im Ausland, noch dazu auf höherem Niveau erworben wurden, erst umständliche Gleichwertigkeitsfeststellungen vorzuschalten. Und eine Zahnärztin, die zum Beispiel in der Ukraine ausgebildet wurde, sollte doch auch bei uns praktizieren dürfen. Ich jedenfalls hätte keine Bedenken, mich bei ihr auf den Be- handlungsstuhl zu setzen. Übrigens, bei den neu ankommenden Flüchtlingen habe ich selten einen Aktenordner mit Zeugnissen un- term Arm gesehen und nicht alle werden Handyfotos gemacht haben. Da gab es auf der Flucht wirklich ande- re Sorgen. Wenn wir ihnen eine Zukunft in Deutschland geben wollen, brauchen wir auch klarere Regelungen zur Feststellung von Qualifikationen ohne Vorlage von Zeug- nissen – da sind Anfänge gemacht – und wir brauchen die Möglichkeit des Nachholens von Schulabschlüssen auch nach Ende der Schulpflicht – das ist Ländersache! Und dann die Kosten. In der Anhörung wurde gefor- dert, einen einheitlichen Gebührenkorridor festzulegen. Das halten wir für sinnvoll und auch über die Höhe der Kosten muss noch einmal geredet werden. Wenn es schon stimmt, dass wir über Zuwanderung und Berufs- anerkennung wenigstens einen Teil des Fachkräftepro- blems in wichtigen Berufszweigen lösen, dann können wir die Finanzierung doch nicht auf die Einzelpersonen übertragen, die das vielleicht nicht leisten können, ohne sich erheblich zu verschulden. Hier muss eine gerechte Lösung für alle her. Doch das bleibt künftigen Gesetzesänderungen vorbe- halten und die müssen auch mit den Ländern abgestimmt werden. Was in einem Land anerkannt ist, muss auch in allen anderen Ländern anerkannt sein. Sonst haben wir weiter einen Flickenteppich in den Regelungen und der Anerkennungstourismus wird fortgesetzt. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir alle wissen: Die Zuwanderung von qualifizierten Fach- kräften spielt eine immer wichtigere Rolle bei der De- ckung des Fachkräftebedarfs unserer Landes. Ich glaube, da sind wir uns auch fraktionsübergreifend alle einig – auch wenn es bei manchen etwas länger gedauert hat... Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat in seiner aktuellen Studie errechnet, dass bis 2050 jährlich durchschnittlich bis zu 491 000 Menschen aus Drittstaaten einwandern müssen, um das Erwerbsper- sonenpotenzial konstant zu halten. Und was macht die Große Koalition? Minimalpolitik! Auch in Ihrer Novelle des Anerkennungsgesetzes machen Sie nur das, was EU-Richtlinien zwingend vor- schreiben. Das reicht nicht! Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513388 (A) (C) (B) (D) Gerade angesichts der großen Zahl der Geflüchteten mit beruflicher Qualifikation und Erfahrung ist das ein echter arbeitsmarkt- und integrationspolitischer Fehler. Seit der Einführung des Gesetzes hat die Bundesre- gierung keine nennenswerten Initiativen ergriffen, um die Lage für die Betroffenen ernsthaft zu verbessern. So sind zum Beispiel im Haushalt für 2016 keine zusätzli- chen Mittel eingestellt. Wir hatten im Bildungsausschuss eine sehr ausführliche Anhörung. Alle Sachverständigen haben klar und deutlich die Probleme und den Hand- lungsbedarf beim Anerkennungsgesetz benannt. Wir se- hen unsere Kritik darin bestätigt. Die Bundesagentur für Arbeit, das Forschungsinstitut berufliche Bildung, zentrale Anerkennungsanlaufstellen, Gewerkschaften, usw. die Expertinnen und Experten aus der Praxis sagen uns, was zu tun ist und Sie ignorieren es. Wozu veranstalten wir denn solche Anhörungen, wenn Sie sich nichts daraus machen? Wir Grüne jedenfalls nehmen im Unterschied zu Ihnen die Hinweise und den Auftrag der Expertinnen und Experten und direkt Betroffenen ernst. Unser Ent- schließungsantrag zeigt auf, was jetzt dringend nötig ist. Wir wollen: Bürokratische Hürden abbauen, Unterstüt- zungsangebote ausbauen und Mittel für entsprechende Förderprogramme bereitstellen, Beratungsstrukturen und Rahmenbedingungen verbessern und vereinfachen, damit mehr Menschen vom BQFG profitieren können, Standardisierte Kostenstrukturen. Verfahrens- und Kos- tenstrukturen. Lustigerweise haben Sie im Ausschuss als Koalitions- fraktionen auch einen Entschließungsantrag gestellt und fordern die von Ihnen getragene Regierung auf, einige Sachverhalte zu prüfen, und stellen darin wieder mal fest, wofür Sie nicht zuständig sind, bzw. verweisen wieder auf die Verantwortung der Bundesländer. Der Hammer ist aber, dass sie als GroKo die Bundes- regierung auffordern, zu prüfen, inwiefern begleitende finanzielle Unterstützungsangebote für Nachqualifizie- rungsmaßnahmen notwendig sind. Geht‘s noch? Unter- stützungsangebote und Nachqualifizierungsmaßnahmen sind dringend vonnöten. Das war eine der wesentlichen Forderungen der Sachverständigen. Da gibt es nichts zu prüfen. Warum setzen Sie das als Regierungsfraktionen nicht einfach um und unterfüttern es finanziell?! Wir fordern ein Darlehensprogramm für Nachquali- fizierungmaßnahmen und ein Stipendienprogramm für Anerkennungssuchende. Wir fordern im laufenden Haushaltsverfahren eine entsprechende Öffnung des „Meister-BAföGs“ und die Ausstattung mit zusätzlichen 200 Millionen Euro. Sie hingegen kleckern nur mit Kleinstbeträgen: 14 Millionen für das Meister-BAföG, ohne weitere Öff- nung. Das ist halbherzig und kleinmütig. Wir brauchen standardisierte Verfahren und einheitli- che Kostenstrukturen. Das sind wichtige und überfällige Schritte für mehr Integrationschancen. Ihre „Novelle“ und Ihr dürftiger Entschließungsan- trag – den sie nur im Ausschuss vorgestellt haben – rei- chen bei weitem nicht aus. Daher können wir uns bei Ihrem Gesetz leider nicht mal enthalten und müssen ab- lehnen. Dabei ist es eigentlich ganz einfach, vorhandene Hür- den abzubauen. Ihnen fehlt einfach der Wille oder der Mut. Das zeigt sich beispielsweise beim Aufenthaltsge- setz: Dieses sieht eine Verordnungsermächtigung vor, den für Hochschulabsolventen vorgesehenen Aufent- haltstitel „Blaue Karte EU“ auch Ausländerinnen und Ausländern zu erteilen, die keinen Hochschulabschluss besitzen, aber eine mindestens fünfjährige vergleichbare Berufsqualifikation besitzen. Mit dieser simplen Verordnung können wir erreichen, dass qualifizierte Nichtakademikerinnen und Nichtaka- demiker aus Drittstaaten mit Berufserfahrung bei uns arbeiten können. Das zuständige Ministerium – Frau Nahles ist nicht hier – prüft und prüft, aber die notwendige Verordnung kommt nicht! Warum nicht? Das Anerkennungsgesetz ist richtig und wichtig! Aber damit es noch besser wird und damit noch mehr Men- schen und damit unsere Gesellschaft noch mehr davon profitieren können, müssen wir jenseits der Anpassung des Gesetzes an EU-Richtlinien mehr tun. Das hat die Anhörung gezeigt, dass zeigt auch der Bericht der Bun- desregierung zum Anerkennungsgesetz. Daher bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Entschlie- ßungsantrag zu. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Anerkennung von Kriegsdienstverweigerun- gen erleichtern (Tagesordnungspunkt 20) Jörg Hellmuth (CDU/CSU): Im Grundgesetz Arti- kel 4 Absatz 3 steht ganz klar: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Näheres regelt ein Bundesgesetz.“ Im Jahre 2003 wurde das Gesetz über die Verweige- rung des Kriegsdienstes mit der Waffe aus Gewissens- gründen vom Bundestagtag beschlossen. Bei der Einbrin- gung der Drucksache in die parlamentarische Beratung begrüßte der damalige Kollege Winfried Nachtwei von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in seinem Redebei- trag die Neuregelung des Kriegsdienstverweigerungsge- setzes und bezog dabei auch alle Verbände mit ein, die sich seit Jahren für die Kriegsverweigerer einsetzen. Das mündliche Verfahren zur Prüfung der Kriegsdienstver- weigerungs-Gewissensentscheidung wurde abgeschafft, und die Ausschüsse und Kammern für Kriegsdienstver- weigerung entfielen. Heute müssen die Anträge bei den zuständigen Kar- rierecentern schriftlich oder zur Niederschrift gestellt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13389 (A) (C) (B) (D) werden. Von dort aus werden sie, spätestens 4 Wochen nach Eingang, an das Bundesamt für Familie und zivil- gesellschaftliche Aufgaben weitergeleitet und dort ent- schieden. Im § 2 Absatz 2 des Kriegsdienstverweigerungsge- setzes sind die Voraussetzungen für die Antragstellung eindeutig definiert, die für die Anerkennung auf Kriegs- dienstverweigerung nach Artikel 4 Absatz 3 des Grund- gesetzes nötig und aus meiner Sicht unverzichtbar sind und bleiben müssen. Das sind der vollständige tabellari- sche Lebenslauf des Antragstellers und eine persönliche ausführliche Darlegung der Beweggründe für die Gewis- sensentscheidung. Dem Antrag können Stellungnahmen und Beurteilungen Dritter zur Person und zum Verhal- ten der Antragstellerin und des Antragsstellers beigefügt oder beim Bundesamt eingereicht werden. Eine Aner- kennung durch das Bundesamt ist unanfechtbar. Bei Ab- lehnung des Antrages durch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben kann der Antragstel- ler innerhalb eines Monats in Widerspruch gehen. Wird auch der Widerspruch abgelehnt, hat der Antragssteller die Möglichkeit einer Klage vor dem zuständigen Ver- waltungsgericht. In diese Darlegungen gehören auch die Begründungen der Soldatinnen und Soldaten, die Sie in den Punkten 4 und 5 Ihres Antrages so anschaulich schildern. Denn jede Entscheidung über die Anerkennung auf Kriegsdienst- verweigerung ist eine Einzelfallentscheidung, hinter der ein Einzelschicksal steht. Wie Sie sehen, handelt es sich bei der derzeitigen gesetzlichen Regelung zur Anerkennung von Kriegs- dienstverweigerung um ein rechtsstaatliches Verfahren, das einer angemessenen Überprüfung der Gewissensent- scheidung gerecht wird. Ihr Antrag, statt dieser Begrün- dungspflicht künftig nur die einfache Willenserklärung in Schriftform oder zur Niederschrift zu setzen, entspricht nicht dem Grundsatz einer Prüfung eines Grundrechtes, worum es sich bei einem Antrag auf Kriegsdienstverwei- gerung nach Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz handelt. Im Übrigen ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee und steht fest zu den demokratischen Grundwerten unse- rer Gesellschaft. Auslandseinsätze der Bundeswehr wer- den im Bundestag erörtert und entschieden. Von kriegs- willigen Soldaten zu sprechen, wie in Ihrem Antrag, widerspricht nicht nur dem Auftrag der Bundeswehr, sondern auch der Einstellung ihrer Soldatinnen und Sol- daten. Aus den genannten Gründen kann meine Fraktion Ih- ren Antrag nur ablehnen. Julia Obermeier (CDU/CSU): Beim öffentlichen Gelöbnis leisten die deutschen Soldatinnen und Soldaten einen feierlichen Schwur: Sie schwören, der Bundesre- publik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. – Mit diesen Worten bekennen sie sich zum Dienst bei der Bundeswehr. Sie gehen damit – aus freien Stücken – eine Verpflichtung von großer Tragweite ein. Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. Er ist in der modernen Welt einzigartig und vielseitig: Ob Instandsetzungsfeldwebel, Piloten von Kampfjets, Sonarmaat, Scharfschützen, Flugzeugmechaniker oder Sanitäter: Alle Angehörigen der Bundeswehr haben den Auftrag, uns und unser Land zu verteidigen. So sieht es das Grundgesetz vor. Diese für die äußere Sicherheit un- seres Staates wesentliche Aufgabe legen wir Tag für Tag in die Hände unserer Soldatinnen und Soldaten. Das feierliche Gelöbnis ist Ausdruck dieser Besonder- heit des Soldatenberufs. Niemand wird einen derartigen Eid leichtfertig sprechen. Auch wird niemand gezwun- gen, diesen Eid zu leisten oder sich für den Dienst bei der Bundeswehr zu verpflichten. Unsere Soldatinnen und Soldaten treffen eine bewusste Entscheidung für den Dienst an der Waffe. Natürlich können sich auch bewusst getroffene Ent- scheidungen ändern. Entsprechend ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen im Grundgesetz verankert. Antragsteller müssen, so sehen es die aktuellen gesetzlichen Regelungen vor, ihre Be- weggründe für die Gewissensentscheidung glaubhaft darlegen. Wie kam es zur Abkehr von der bewussten Entscheidung für den Dienst an der Waffe? Gab es ein Schlüsselerlebnis oder liegt der Entscheidung ein länge- rer intensiver Wandlungsprozess zugrunde? Diese Begründungspflicht im Kriegsdienstverweige- rungsgesetz ist notwendig und angemessen. Eine einfa- che schriftliche Willenserklärung ohne Begründung ist nicht ausreichend – vor allem mit Blick auf die besonde- re Verpflichtung, die Soldatinnen und Soldaten eingehen, und die besondere Verantwortung, die sie für die Sicher- heit unsers Landes tragen. Natürlich – und dies wird bereits bei der Karrierebe- ratung der Bundeswehr thematisiert – müssen sich junge Menschen, die sich für Aufgaben bei den deutschen Streitkräften interessieren, mit den Besonderheiten des Soldatenberufs und seinen speziellen Anforderungen in- tensiv befassen. Hierauf legt die Bundeswehr viel Wert. Natürlich wollen wir das Grundrecht auf Kriegs- dienstverweigerung keinesfalls antasten. Allerdings darf auch das Recht des Dienstherren nicht eingeschränkt werden, von Kriegsdienstverweigerern eine persönliche und ausführliche Darstellung ihrer Beweggründe zu er- halten. Wenn jemand bei der Bundeswehr beispielsweise ein Medizinstudium mit Facharztausbildung genossen hat – eine Ausbildung, in die die Bundeswehr zigtausen- de Euro investiert – und plötzlich Gewissensbisse wegen des Dienstes an der Waffe bekommt, dann ist eine aus- führliche Darstellung seiner Beweggründe das Mindeste, was wir verlangen können und verlangen sollten! Deshalb lehnen wir diesen Antrag der Linken ab. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): In den 70er-Jahren mussten sich Kriegsdienstverweigerer noch einem hoch- notpeinlichen Tribunal stellen, um ihr Verfassungsrecht auf die Verweigerung des Dienstes an der Waffe geltend zu machen. Dieser Kampf ist längst ausgekämpft. Spätes- tens seitdem der Gesetzgeber 1983 den schriftlichen An- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513390 (A) (C) (B) (D) trag zur Entscheidungsgrundlage des zuständigen Bun- desamtes gemacht hat, ist aus dem politischen Kampf um die Rechte wehrpflichtiger KDVler „die Luft raus“. Im Ergebnis leisteten in den letzten Jahren der Wehrpflicht bis zu ihrer Aussetzung mehr junge Männer Zivildienst als Wehrdienst, ohne dass deswegen noch jemand ernst- haft ihre Gewissensgründe oder ihren Patriotismus infra- ge gestellt hätte. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht machen heute ei- gentlich nur noch Soldatinnen und Soldaten von ihrem Recht Gebrauch, den Dienst an der Waffe zu verwei- gern, die sich zuvor freiwillig zu genau diesem Dienst verpflichtet haben. Der Antrag der Linksfraktion, den wir heute beraten, führt einige Gründe auf, die einen solchen Sinneswandel herbeiführen können. Bei der Bewertung der Vorschläge der Linksfraktion möchte ich die rechtli- che, die politische und die handwerkliche Ebene getrennt betrachten. Rechtlich ist der Antrag unnötig. In seinem ersten Teil referiert er korrekt das gegenwärtige Verfahren, das jedem Soldaten und jeder Soldatin, die auf dem Wege der Kriegsdienstverweigerung ihren Dienst in der Bun- deswehr beenden wollen, eine angemessene Würdigung ihres Anliegens und einen Bescheid garantiert, gegen den die jeweils betroffenen Personen jederzeit klagen können, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum dieses Verfahren, das die individuelle Betrachtung eines individuellen Entfrem- dungs- und Entscheidungsprozesses ermöglicht, über den bestehenden Rahmen hinaus standardisiert werden sollte. Es geht hier um die einzelne Person und ihre persönli- chen Erfahrungen. Wir sollten gar nicht erst versuchen, alle Anträge über ein und denselben Kamm zu scheren. Politisch ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auch für aktive Soldaten, die sich freiwillig zu ihrem Dienst verpflichtet haben, für die SPD-Fraktion ein ho- hes Gut. Es können immer Umstände eintreten, durch die sich ein Mensch von dem eigenen Selbstverständnis ent- fremdet, sodass er für sich neue Wege suchen und gehen muss. Sein Recht auf Irrtum – in diesem Falle: über sich selbst – wollen und werden wir dem Staatsbürger in Uni- form so wenig vorenthalten wie allen anderen. Andererseits sehen wir natürlich auch, dass ein Sin- neswandel weg vom Freiwilligen hin zum Kriegsdienst- verweigerer der Begründung bedarf. Es liegt auch im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die seine Ausbildung als Soldat bezahlt haben, opportunis- tische Gründe für die Verweigerung, wo das möglich ist, auszuschließen. Eine Vereinfachung des Verfahrens, die darauf hinausläuft, dass ein Soldat fast schon auf Zuruf die Bundeswehr verlassen kann, lehnen wir deshalb ab. Auch diese Soldatinnen und Soldaten sind gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und ihren Bürgern eine Verpflichtung eingegangen. Die Entscheidung darüber, sie aus dieser Verpflichtung zu entlassen, bedarf sorgfäl- tiger Prüfung und Begründung, und dem trägt das beste- hende Verfahren Rechnung. Es hat sich bewährt. Handwerklich schließlich wird die Koalition sicher- lich keinen Antrag beschließen, in dem der Bundestag aufgefordert wird, festzustellen, dass das Grundgesetz gilt. Davon gehen wir aus. Im Übrigen ist die im Antrag der Linksfraktion enthaltene Aufforderung an die Bun- desregierung, dem Bundestag einen Gesetzentwurf vor- zulegen, nicht nur inhaltlich unbegründet, sondern auch parlamentarisch ein Armutszeugnis. Das Kriegsdienst- verweigerungsgesetz ist wahrlich kein kompliziertes Re- gelungswerk. Wenn Sie, verehrte Kolleginnen und Kol- legen von der Linken, daran etwas ändern wollen, dann bringen Sie doch einfach selbst einen Gesetzentwurf ein. Ablehnen würden wir allerdings aller Voraussicht nach auch einen solchen. Katrin Kunert (DIE LINKE): Am 8. Mai 1945 en- dete der Zweite Weltkrieg. Unter unermesslichen Op- fern bezwang die Anti-Hitler-Koalition den deutschen Faschismus. Die deutsche Wehrmacht hat in dem von Deutschland angezettelten Raub- und Vernichtungs- krieg an schwersten Verbrechen gegen die Zivilbevölke- rung mitgewirkt. Dennoch haben zahlreiche ehemalige Wehrmachtsangehörige später ihre Beteiligung an den Massenverbrechen oft mit dem Befehlsgehorsam ent- schuldigt. Mit dieser Traditionslinie des deutschen Mili- tarismus sollte gebrochen werden – das war der Gedanke der Mütter und Väter des Grundgesetzes, wonach jeder und jede das Recht auf Kriegsdienstverweigerung haben soll. Auch Soldatinnen und Soldaten sind für ihr Handeln selbst verantwortlich und sollen ihr Handeln an ethische Prinzipien binden. Ich weiß schon, Sie werden wieder sagen, das sei doch alles prima und unser Antrag somit überflüssig. Dem ist aber nicht so! Leider wurde bei dieser zivilisatorischen Errungenschaft auf halber Strecke haltgemacht. Die kon- kreten Bestimmungen sind in einem eigenen Gesetz ge- regelt, dem Kriegsdienstverweigerungsgesetz. Es stellt hohe, und die Linke meint, zu hohe Hürden für die Aner- kennung einer Kriegsdienstverweigerung. Die Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst an der Waffe wird nur auf schriftlichen Antrag gewährt, den die Betroffenen ausführlich begründen müssen. Zu- sätzlich müssen sie ein konkretes Rechtsschutzbedürfnis nachweisen, dass sie in eine schwere Gewissensnot ge- raten würden, wenn sie zur Teilnahme am Kriegsdienst gezwungen wären. Das gelingt nur wenigen im ersten Anlauf, sodass trotz bestehender Gewissensnot viele An- träge abgelehnt werden. Es ist auch kein Argument, zu sagen, jetzt, wo die Wehrpflicht ausgesetzt ist, bestehe das Problem praktisch nicht mehr. Das Gegenteil ist der Fall! Die Zahlen sind eindeutig: Immer mehr Soldatin- nen und Soldaten wollen den Kriegsdienst verweigern. Innerhalb eines Dreivierteljahres, vom 1. Juli 2014 bis 30. April 2015, haben nach Angaben des Bundesvertei- digungsministeriums 132 Berufs- und Zeitsoldaten einen entsprechenden Antrag gestellt. Es sind alle Dienstränge betroffen, auch Offiziere. Hinzu kommen noch einige freiwillige Wehrdienstleistende. Männer wollen in der Bundeswehr den Kriegsdienst häufiger verweigern als Frauen. Dafür gibt es triftige Gründe: Der veränderte Auftrag der Bundeswehr, mehr Auslandseinsätze in Konfliktge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13391 (A) (C) (B) (D) bieten durchzuführen, betrifft vor allem Männer und hat zur Folge, dass mehr Soldaten an realen Kampf- und Gefechtssituationen teilnehmen. Sie erleben erstmals am eigenen Leib, was es heißt, töten zu müssen oder getötet werden zu können. Das ist nicht kleinzureden. Die Fälle von Soldaten, die schwer traumatisiert aus Auslandsein- sätzen der Bundeswehr zurückkehren, sind in den letz- ten Jahren deutlich gestiegen. Damit sind persönliche Schlüsselerlebnisse verbunden, weshalb sie den weiteren Kriegsdienst ablehnen. Die Bürokratie wirft ihnen hierbei Knüppel zwischen die Beine. Ein exklusiver Zirkel von gerade mal vier Personen ist im Bundesamt für Familie und zivilgesell- schaftliche Aufgaben für die Anerkennungsverfahren zuständig. Es besteht ein enormer Bearbeitungsstau, und die Verfahren dauern zu lange. Die Betroffenen werden zusätzlich zermürbt, obwohl sie im Erfolgsfall ohnehin die komplette Veränderung ihrer Lebensumstände be- wältigen müssen. Sie haben sich vor diesem Hintergrund ihre Gewissensentscheidung sicher nicht leicht gemacht. Das verdient Respekt. Deshalb darf mit den Soldatinnen und Soldaten so nicht umgegangen werden! Die Entscheidungsfindung, ob einem Antrag stattge- geben wird oder nicht, ist zudem völlig intransparent. Da es sich um eine Gewissensentscheidung handelt, gibt es kein wissenschaftlich abgesichertes Überprüfungsver- fahren dafür, ob jemand die Wahrheit sagt. Folglich darf nicht nach Gutsherrenart mit der Logik des Lügendetek- tortests vorgegangen werden. Mir sind einige Betroffene persönlich bekannt, deren Anträge abgelehnt wurden, obwohl Militärseelsorger und andere Gutachter zu dem Ergebnis kamen, dass sie vollkommen kriegsdienstun- fähig seien. Schlimmer noch: Sie könnten bei weiterem Dienstverbleib sogar zur Gefahr für die eigene Truppe werden, weil sie auch im Verteidigungsfall nicht auf an- dere Menschen schießen würden. Das können Sie doch nicht ignorieren! Durch die Neuausrichtung der Bundeswehr mit der Orientierung auf eine „Armee im Einsatz“ ist die Dau- eraufgabe verbunden, stets ausreichend kriegsdienstwil- liges Personal zu rekrutieren. Die Linke befürchtet, dass es dadurch künftig noch schwerer wird, als Kriegsdienst- verweigerin oder Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden. Das im Artikel 4 des Grundgesetzes verbriefte Recht würde dadurch weiter ausgehöhlt und zur bloßen Makulatur. Mit unserem Vorschlag sollen Kriegsdienstverwei- gerungen einfacher anerkannt werden, indem die freie Willensbekundung ausreicht und die Begründungspflicht entfällt. Wir wollen dem deutschen Militarismus keine Chance zur Wiederauferstehung geben, auch nicht durch die Hintertür unter dem Deckmantel von sogenannten „humanitären Interventionen“. Es nimmt Ihnen sowie- so niemand mehr ab, dass es bei den Auslandseinsät- zen der Bundeswehr vordringlich um die Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten ginge oder um die Rechte von Frauen. Das sind bestenfalls nützliche Nebenprodukte des militärischen Eingreifens. Deshalb zollt die Linke allen Soldatinnen und Soldaten, die aus eigener Einsicht den Kriegsdienst aus Gewissengründen verweigern wollen, ihren tiefen Respekt. Sie zeigen, dass die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg aktuell bleibt: Von deutschem Boden soll nie wieder ein Krieg ausgehen! Darüber sollten wir in den Fachausschüssen beraten. Ich freue mich auf die Diskussion. Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Nie- mand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ So steht es in Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes. Dieses Grundrecht zählt zu den wichtigsten Errungenschaften unserer Verfassung. Und wir müssen Sorge dafür tragen, dass dieses Grund- recht von den Bürgerinnen und Bürgern auch tatsächlich genutzt werden kann – ohne dass allzu hohe Hürden sie dabei behindern. In diesem Sinne verstehe ich auch den Antrag der Kolleginnen und Kollegen von der Linken. Und trotzdem werden wir diesen Antrag nicht unterstüt- zen. Denn wir sind zwar durchaus offen dafür, das Ver- fahren zur Anerkennung einer Kriegsdienstverweigerung im Sinne der betroffenen Soldatinnen und Soldaten zu vereinfachen. Hierzu einfach die Begründungspflicht ab- zuschaffen, ist jedoch der falsche Weg. Die Pflicht, den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu begründen, diente früher vor allem zur Gängelung der Verweigerer. Heute, nach Aussetzung der Wehrpflicht, entfaltet sie einen andere, wie ich finde: heilsame, Wir- kung. Die Begründungspflicht unterstreicht nämlich, dass die Entscheidung, Soldat oder Soldatin zu werden, schwerwiegende Konsequenzen nach sich zieht – und dass diese Entscheidung wohlüberlegt sein will. Wer mit dem Gedanken spielt, sich als Soldat oder Soldatin zu verpflichten, dem wird von Anfang an verdeutlicht: Die Bundeswehr lässt dich nicht so einfach wieder gehen. Und diese Mahnung führt im Idealfall dazu, dass nur sol- che Männer und Frauen der Bundeswehr beitreten, die sich vorher ernsthaft damit auseinandergesetzt haben, was das eigentlich bedeutet; Soldat oder Soldatin zu sein. Den Streitkräften beizutreten, ist etwas anderes, als einen Arbeitsvertrag mit der örtlichen Sparkasse oder der Gärtnerei an der Ecke zu unterschreiben. Wer Soldat oder Soldatin wird, muss eine gehörige Portion Opfer- bereitschaft und Verantwortungsgefühl mitbringen. Beim „Bund“ gilt es nicht nur, anstrengende Geländemärsche zu absolvieren, stets korrekt zu grüßen und täglich aufs Neue die Spindordnung herzustellen. Soldat oder Solda- tin zu sein, bedeutet vor allem, bereit zu sein, demokra- tisch legitimierte Gewalt anzuwenden, über Leben und Tod anderer Menschen zu entscheiden – und dabei viel- leicht auch das eigene Leben zu verlieren. Es gibt also viele gute Gründe, sich gegen den Be- ruf der Soldatin oder des Soldaten zu entscheiden. Und wer sich nicht sicher ist, ob die Bundeswehr wirklich der richtige Arbeitsplatz ist, der wird durch die Pflicht, einen eventuellen, späteren Antrag auf Kriegsdienstverweige- rung schlüssig zu begründen, noch einmal aufgefordert: Überleg es Dir noch mal! Vielleicht ist es besser, Du unterschreibst erst einmal nur eine vorläufige Verpflich- tungserklärung. Oder Du meldest Dich erst mal nur für den Freiwilligen Wehrdienst. Die Begründungspflicht für den KDV-Antrag nährt also eventuelle Zweifel und verhindert so manch vorei- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513392 (A) (C) (B) (D) lige Entscheidung. Und diese präventive, abschreckende Wirkung der Begründungspflicht liegt nicht nur im Inter- esse der Bundeswehr, sondern vor allem im Interesse der betroffenen Menschen. Trotzdem kommt es natürlich vor, dass junge Männer und Frauen sich falsch entscheiden: Da ist der Alltag in der Kaserne dann doch so ganz anders, als man es sich vorgestellt hatte. Da kommt man mit den Kolleginnen und Kollegen so gar nicht zurecht. Und vor allem: Die Einstellung zu allem, was mit Einsatz, Gewalt, Verwun- dung und Tod zu tun hat, kann sich durch einige Jahre in der Bundeswehr tatsächlich fundamental verändern. Wir wollen, dass niemand gezwungen wird, gegen seinen Willen in der Bundeswehr zu bleiben. Und des- halb sind wir durchaus offen, wenn es darum geht, das bisherige Verfahren zur Kriegsdienstverweigerung einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Ist es wirklich ausreichend, dass die KDV-Anträge im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben nur von Sachbearbeitern und Juristen geprüft werden? Sollten hier nicht zumindest in Zweifelsfällen auch Psychologen mit einbezogen werden? Und wie könnten wir wirklich zweifelsfrei sicherstellen, dass die Bundeswehr keinerlei Einfluss auf die Prüfung durch das Bundesamt nimmt? Darüber hinaus könnte auch die Bun- deswehr einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass junge Menschen gar nicht erst in die Situation kommen, einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu stellen. Zum einen müssen die Karrierecenter potenzielle Be- werberinnen und Bewerber viel stärker als bisher auch über die Schattenseiten und die Risiken des Berufes aufklären. Zum anderen müssen insbesondere Offiziere viel früher mit der Realität des Truppenalltags und der Einsätze konfrontiert werden. Die lange Schonfrist in der Offiziersausbildung und an der Universität führt nach Abschluss des Studiums oft zu einem bösen Erwachen und bringt die Betroffenen dann in den Verruf, lediglich die gute und bezahlte Ausbildung „abgegriffen“ zu haben und sich nun aus dem Staub machen zu wollen. Langwierige Verweigerungsverfahren sind für die betroffenen Soldatinnen und Soldaten extrem belas- tend. Und für die Bundeswehr sind sie nicht gerade ein Imagegewinn. Deshalb: Lassen Sie uns alles tun, um die Anzahl der Kriegsdienstverweigerer möglichst klein zu halten! Lassen wir die Begründungspflicht, wie sie ist. Sorgen wir dafür, dass alle Rekrutinnen und Rekruten genau wissen, worauf sie sich einlassen! Und überprüfen wir, was wir noch tun können, damit das Verfahren zur KDV-Anerkennung wirklich fair und frei von politischer Einflussnahme abläuft! Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie (Tagesordnungs- punkt 21) Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU): Die schnelle Umset- zung der EU-Mobilitätsrichtlinie ist der CDU/CSU-Bun- destagsfraktion ein wichtiges Anliegen, geht es dabei doch im Kern um die Stärkung des Rechts auf Freizügig- keit nach Artikel 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union und die Zukunft der heute erst in den Arbeitsmarkt hineinwachsenden Arbeitnehmergene- rationen. Denn wir leben in einer Zeit, wo die nationalen Arbeitsmärkte der Europäischen Union einerseits noch höchst unterschiedlich ausgestaltet sind, sich anderer- seits aber viele junge Europäer beruflich längst europa- weit orientieren. Diese geradezu „grenzenlose“ Freizü- gigkeit muss deshalb auch vor allem aus Sicht junger, weit noch von einer Rente entfernter Arbeitnehmer ihren Niederschlag im Abbau unnötiger Mobilitätshindernisse finden, wie sie etwa die Regelungen zur betrieblichen Al- tersvorsorge mit sich bringen. Solche potenziellen Hindernisse sind beispielsweise zu lange Unverfallbarkeitsfristen für den Erwerb von Be- triebsrentenanwartschaften, die fehlende Wahrung von Betriebsrentenanwartschaften bei einem Arbeitgeber- wechsel, Abfindungen von Kleinstanwartschaften ohne Zustimmung der Beschäftigten sowie nicht ausreichende Informationen der Beschäftigten über ihre Betriebsren- tenansprüche. Diese werden wir durch die nötigen Ände- rungen im Betriebsrentengesetz und im Einkommensteu- ergesetz beseitigen. Durch die erst zum 1. Januar 2018 erfolgende Umsetzung geben wir den Arbeitgebern für die Beschäftigungszeiten ab diesem Zeitpunkt die Pla- nungs- und Rechtssicherheit einer schonenden Umset- zung. Mit den Änderungen bei der Unverfallbarkeitsfrist stärken wir auch die Arbeitnehmer, indem wir diese Frist nämlich von heute fünf Jahren auf drei Jahre verkürzen und die Unverfallbarkeit dabei vom 25. auf das 21. Le- bensjahr absenken. In dieser Weise helfen wir den vielen jungen Arbeitnehmern in der Europäischen Union, die grenzüberschreitend den Arbeitsplatz und Arbeitgeber wechseln. Damit diese nicht an Betriebsrentenregelungen beim Arbeitgeberwechsel scheitern, gelten die neuen Rege- lungen nicht nur, wie in der Richtlinie vorgesehen, für zu- und abwandernde Beschäftigte, sondern eben für alle Beschäftigen – also auch für diejenigen, die innerhalb Deutschlands den Arbeitgeber wechseln. So stärken wir die zweite Säule der Altersvorsorge „europakonform“, indem wir sie nun in den grenzüberschreitenden Arbeits- markt einbetten. Der europäische Arbeitsmarkt und die europäische Wirtschaft hatten in den vergangenen Jahren vielen He- rausforderungen standzuhalten. Hier sind wir aber auf einem guten Weg und werden die kommenden Heraus- forderungen ebenso gut bewältigen. Die Arbeitslosigkeit ist sowohl in der Euro-Zone von 11,5 Prozent im Sep- tember 2014 innerhalb eines Jahres auf 10,8 Prozent ge- sunken, als auch in der gesamten Europäischen Union im gleichen Zeitraum von 10,1 Prozent auf 9,3 Prozent. Die Bundesrepublik Deutschland trägt an diesem ge- samteuropäischen Erfolg mit ihrer guten nationalen Ar- beitsmarktpolitik bei und ist eines der Zugpferde dieser Entwicklung. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13393 (A) (C) (B) (D) Um Deutschland auch weiterhin als attraktiven Ar- beitsmarkt in der Europäischen Union zu positionieren, setzen wir diese Richtlinie nicht nur eins zu eins um, son- dern gehen noch einen Schritt weiter: Wir verhindern mit diesem Gesetzentwurf gleichzeitig jegliche ungewünsch- te Diskriminierung der in Deutschland bleibenden Be- schäftigten. Schon allein das sollte Grund genug sein, meine ich, diesen Gesetzesentwurf voll zu unterstützen. Matthäus Strebl (CDU/CSU): In den letzten Wochen haben wir uns im Plenum, im Ausschuss und in der öf- fentlichen Anhörung mit der betrieblichen Altersvorsor- ge befasst. Das begrüße ich sehr, denn es ist ungemein wichtig, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland mit allen Säulen ihre Altersvorsorge si- chern. In vielen Fällen ermöglicht gerade die betriebli- che Altersvorsorge Rentnerinnen und Rentnern, ihren gewohnten Lebensstandard zu erhalten und Altersarmut zu vermeiden. Unsere Aufgabe ist, die besten Rahmenbe- dingungen dafür zu ermöglichen. Ein erster Schritt ist die Umsetzung der EU-Mobili- täts-Richtlinie in deutsches Recht. Der Gesetzesentwurf der Koalition verbessert insbesondere die Betriebsren- tenanwartschaften für jüngere Beschäftigte. Er geht so- gar in den wichtigsten Bestandteilen über eine Eins-zu- eins-Umsetzung der Richtlinie hinaus. Damit vermeiden wir eine Diskriminierung der inländischen Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer. Bereits in der ersten Lesung bin ich auf die Herab- setzung der Unverfallbarkeitsfristen und die Auskunfts- ansprüche ausführlich eingegangen und möchte es nicht erneut wiederholen. Hervorheben möchte ich, dass sei- tens der Sachverständigen in der Anhörung die Umset- zung in deutsches Recht als sachgerecht bewertet wurde. Die öffentliche Anhörung hat uns auch die Möglich- keit geboten, insbesondere von den Sozialpartnern, der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersvorsorge und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht eine Bewertung des Änderungsantrags zu erhalten. Der Än- derungsantrag wird es Unternehmen mit Pensionsfonds ermöglichen, eine risikoreichere Kapitalanlage zu be- treiben. Ich stimme den Kritikern zu, dass eine risikorei- chere Anlage gerade für Betriebsrenten auch Nachteile haben kann. Die Beschäftigten müssen aber schon auch einen Überblick haben, mit welchem Betrag sie neben ihrer Rente rechnen können. Deshalb finde ich es sinnvoll, dass eine Mindest-Rente garantiert werden muss, und der Arbeitgeber finanzielle Mittel nachfließen lassen muss, wenn diese nicht erreicht wird. Ebenso stärkt es zwei- felsfrei auch die Zustimmung der Beteiligten, wenn bei- de Tarifvertragsparteien ausdrücklich ihr Einverständnis erklärt haben müssen. Eine garantierte Mindestrente und die Zustimmung der Tarifvertragsparteien sind Voraus- setzungen, die ich für ungemein wichtig halte. In der öffentlichen Anhörung am Montag haben uns sowohl die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitge- berverbände als auch der Deutsche Gewerkschaftsbund bestätigt, dass sie die Neuregelung begrüßen. Ich zitiere Herrn Abel vom DGB: „Wir stehen voll hinter diesem Änderungsantrag.“ Die Neuregelung ist sinnvoll, und ich setze darauf, dass viele Neurentnerinnen und Neu- rentner davon profitieren werden. Entgegen dem ersten Eindruck, handelt es sich eben nicht um eine „lex bosch“. Neben der EU-Mobilitäts-Richtlinie wollen wir auch das umsetzen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, nämlich: „Wir werden die betriebliche Altersvor- sorge stärken.“ Deshalb widmen wir uns auch weiterhin Fragen der zweiten Säule der Alterssicherung. Im Koa- litionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir unser Au- genmerk insbesondere auf zwei Personengruppen richten wollen: – Beschäftigte mit einem geringeren Einkommen und – Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Ebenso dürfen wir auch nicht die Arbeitnehmerinnen mit flexiblen Arbeitszeiten, die in vielen Fällen nicht in Vollzeit tätig sind, vergessen. Denn besonders viele Frau- en müssen unter Altersarmut leiden. Unsere Aufgabe ist es, besonders für diese Beschäftigten die betriebliche Al- tersvorsorge attraktiver zu gestalten. Deshalb werden wir Anreize schaffen und Hemmnisse abbauen. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung der erste Schritt zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge ist und freue mich auf den weiteren Austausch. Ralf Kapschack (SPD): Am vergangenen Wochen- ende hatte ich wirklich Grund zur Freude, nicht nur, weil mein Verein das traditionelle Revierderby gegen Schalke 04 gewonnen hat. Nein, ich hatte tatsächlich auch aus- gesprochene Freude an unserem Koalitionspartner. Der Vorsitzende der christlich-demokratischen Arbeitneh- merschaft, Karl-Josef Laumann, hat ja am Wochenende eine obligatorische betriebliche Altersversorgung gefor- dert. Das finde ich prima. Und deshalb habe ich mich gefreut. Die betriebliche und tarifvertraglich abgesicherte Al- tersversorgung ist aus Sicht der SPD die beste Form der privaten und zugleich kollektiven Altersversorgung. Wir wollen sie stärken und durch die Erleichterung der Allge- meinverbindlichkeit auch in Regionen und Branchen in Deutschland durchsetzen, in denen sie derzeit aufgrund der geringen Tarifbindung noch viel zu wenig genutzt wird. Eine Stärkung und größere Verbreitung der betrieb- lichen Altersvorsorge ist für uns eine wünschenswerte Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung. Da müssen wir einiges tun. Nach letzten Untersuchungen haben etwa sechzig Prozent der Beschäftigten Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung. In Großbetrieben gibt es nahezu für alle ein Angebot. Im Handwerk aber hat nur jeder Zehn- te einen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung. Auch für Mittel- und Kleinbetriebe muss betriebliche Al- tersversorgung selbstverständlich werden. So ist das im Koalitionsvertrag formuliert. Und das ist gut so! Wenn kleine Betriebe damit überfordert sind, muss es nach unserer Ansicht Branchenlösungen geben, die vor Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513394 (A) (C) (B) (D) allem kleinen Unternehmen Risiko und Organisations- aufwand abnehmen. Gleichzeitig können solche Einrich- tungen durch die entsprechende Größe Kostenvorteile beim Vertrieb, bei Verwaltungskosten und bei möglichen Anlagen realisieren. Das Arbeitsministerium arbeitet an entsprechenden Vorschlägen. Um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärker zu motivieren, eine betriebli- che Altersversorgung aufzubauen, braucht es nach unse- rer Meinung aber auch an anderer Stelle Veränderungen. Heute muss jedem Beschäftigten auf Nachfrage ein Angebot zur betrieblichen Entgeltumwandlung gemacht werden. Die SPD will, dass in Zukunft jedes Unterneh- men eine entsprechende Möglichkeit anbietet, wenn die Arbeitnehmerin, der Arbeitnehmer nicht selbst darauf verzichtet. Die Erfahrung in Nachbarländern zeigt, dass eine solche Opt-out-Regelung zu einer deutlich besseren Verbreitung führt. Attraktive Altersversorgung wird in Zukunft sicher- lich auch ein Argument sein, um Arbeitskräfte zu binden oder neue zu gewinnen. Deshalb ist das für Unternehmen nicht nur ein Kostenfaktor. Um betriebliche Altersversor- gung für Beschäftigte lukrativer zu machen, sollten die Ersparnisse der Arbeitgeber bei der Entgeltumwandlung eingebaut werden. Die Anrechnung auf die Grundsicherung ist eine Hürde für Geringverdiener, sich mit betrieblicher Al- tersversorgung zu beschäftigen. Auch da müssen wir ran. Gerade Geringverdiener brauchen eine zusätzliche Ab- sicherung im Alter. Die bisherige staatliche Förderung muss deshalb auf den Prüfstand. In den nächsten Wochen sollen ja die Ergebnisse ei- nes Gutachtens vorliegen, das vom Finanzministerium in Auftrag gegeben worden ist. Davon erhoffen wir uns Erkenntnisse über die Wirkungen der steuerlichen För- derung auch der betrieblichen Altersversorgung. Ich ver- mute, wir werden in Zukunft auch bei der betrieblichen Altersversorgung mit Zulagen arbeiten müssen, um Ge- ringverdienern den Zugang zu ermöglichen. Von steuerli- cher Förderung haben sie wegen ihres geringen Einkom- mens in der Regel nichts. Wir brauchen eine Stärkung der betrieblichen Altersversorgung. Dazu dient auch dieser Gesetzentwurf. In der Anhörung am Montag ist ja deutlich geworden, dass die wesentlichen Punkte des Entwurfs unstrittig sind: – Die Verringerung der Unverfallbarkeitsfristen kommt vor allem jungen und mobilen Arbeitskräften zugute. – Der Arbeitgeberwechsel hat keine negativen Auswir- kungen auf die bereits erworbenen Ansprüche an die betriebliche Altersversorgung. – Die Regelung über Abfindungen wird präzisiert. – Die Informationspflicht der Arbeitgeber oder Versor- gungsträger wird ausgeweitet. Ein Wort noch zu dem Vorschlag, die Anlagemöglich- keiten für Pensionsfonds zu verbreitern. Klar heißt das unter Umständen mehr Risiko. Aber anders als Kollege Birkwald das im Ausschuss gesagt hat, bedeutet dies nicht ein Zocken auf Kosten der Beschäftigten. Es gibt ein paar Reißleinen, die das verhindern sollen: Zum einen darf ein Mindestversorgungsniveau nicht un- terschritten werden, zum anderen bedürfen Veränderun- gen der bisherigen Politik der Pensionsfonds der Zustim- mung der Tarifvertragsparteien. Das heißt, da werden die Interessen der Beschäftigten sehr konkret berücksichtigt. Zum Dritten wird eine Einstandspflicht des Arbeitgebers festgeschrieben. All dies sichert für uns eine vertretbare Lösung vor dem Hintergrund der Niedrigzinsphase, die betriebliche Altersversorgung an der einen oder anderen Stelle in Schwierigkeiten bringt. Wir wollen die betriebliche Al- tersversorgung stärken. Dazu dient in gewissem Umfang auch dieser Gesetzentwurf. Aber nötig ist deutlich mehr. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Die Umset- zung der EU-Mobilitätsrichtlinie wird in der Gesamt- bewertung vielen Beschäftigten mit einer betriebli- chen Altersversorgung, die das Unternehmen innerhalb Deutschlands oder innerhalb der EU wechseln, das Le- ben leichter machen. Betriebsrenten gelten ab 2018 nach drei und nicht mehr nach fünf Beschäftigungsjahren als unverfallbar und damit als mehr oder weniger garantiert. Für diese Garantie wird auch das Mindestalter der Be- schäftigten von 25 auf 21 Jahre gesenkt. In der Anhörung der Sachverständigen, die dazu am Montag stattfand, hat Herr Kleinlein vom Bund der Ver- sicherten noch mal positiv hervorgehoben, dass mit der betrieblichen Altersversorgung oft ein kostengünstiger Schutz vor Berufsunfähigkeit verbunden ist, der deshalb auch bei sehr kurzen Vertragslaufzeiten erhalten bleiben sollte. Zukünftig dürfen sogenannte Kleinstanwartschaften auch nicht mehr ohne Zustimmung der Beschäftigten abgefunden werden. Dies gilt allerdings nicht bei einem Wechsel innerhalb Deutschlands. Außerdem werden die Informationsrechte der Beschäftigten über ihre Betriebs- rentenansprüche gestärkt, wobei diese nur auf deren aus- drückliches Verlangen hin erteilt werden. Da sind wir mit den jährlichen Renteninformationen der gesetzlichen Rentenversicherung schon viel weiter, und das sollte auch für Zusatzversicherungen der Standard sein. Union und SPD haben ja in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die betriebliche Altersversorgung zu stärken. Der Erwartung, dass durch die Umsetzung der EU-Mo- bilitätsrichtlinie die betriebliche Altersversorgung insge- samt an Attraktivität gewinnen werden würde, wurde in der Anhörung ein deutlicher Dämpfer verpasst. Nichtsdestotrotz hätten wir dem Gesetzentwurf zuge- stimmt, da er eben durchaus auch die Rechte der Ver- sicherten stärkt. Aber leider hat die Große Koalition wieder in letzter Minute einen Änderungsantrag dazu ge- packt, der erstens mit der Richtlinie nichts zu tun hat und zweitens in völlig unzureichender Weise auf ein wirklich strukturelles und großes Problem der betrieblichen Al- tersversorgung reagiert. Worum geht es dabei? Die Deutsche Bundesbank verweist darauf, dass das Niedrigzinsumfeld es Unter- nehmen oder ihren Pensionskassen, Pensionsfonds und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13395 (A) (C) (B) (D) Unterstützungskassen – ich zitiere – „erschwert, mit dem dafür angelegten Deckungsvermögen die zugesagten Versorgungsleistungen zu erwirtschaften.“ (Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2013, Versiche- rer zwischen niedrigen Zinsen und erhöhten Eigenka- pitalanforderungen, S. 13). Das Risiko „besteht darin, dass die Erträge aus den Kapitalanlagen bei ungünstiger Marktentwicklung eventuell nicht ausreichen, um die den Kunden zugesagten Garantieleistungen und darüber hinausgehende Überschusszahlungen zu erbringen. Dies ist besonders bei der Neuanlage in einem dauerhaften Niedrigzinsumfeld von Bedeutung.“ (ebd., S. 74), heißt es im Finanzstabilitätsbericht 2013 der Bundesbank. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, in der Anhörung haben wir erfahren, dass der konkrete Anlass für Ihren Änderungsantrag die Tatsache war, dass der Pensionsfonds der Robert Bosch GmbH genau diese Schwierigkeiten hat und die Startrente für Neurentne- rinnen und Neurentner gegenüber 2015 um 17 Prozent hätte gesenkt werden müssen. Darauf hat Bosch in einer eigenen Stellungnahme zur Anhörung auf Drucksache 18(11)474 explizit hingewiesen. Die Aufsichtsbehörde BaFin hat das bestätigt. Zur Veranschaulichung einige Zahlen: Der Bosch-Pen- sionsfonds ist mit einer Bilanzsumme von 2,5 Milliar- den Euro der viertgrößte, der bei der BaFin gemeldeten 31 Pensionsfonds. Er verwaltet Kapitalanlagen im Wert von 2,4 Milliarden Euro für 127 000 Anwärterinnen und Anwärter und 39 000 Rentnerinnen und Rentner. Pensionsfonds wurden 2002 eingeführt und sind damit der jüngste der fünf Durchführungswege der betriebli- chen Altersversorgung. Mittlerweile summieren sich laut dem Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank von 2013 die Leistungsansprüche der Versicherten aus allen Pensi- onsfonds auf 117 Milliarden Euro (S. 84). Pensionsfonds haben im Gegensatz zu den anderen Durchführungswe- gen der BAV großzügigere – ich würde sagen: riskantere – Kapitalanlagevorschriften. Sie sollen im Vergleich zu Festzinsanlagen die vermeintlich höheren Renditechan- cen der Börse nutzen und im Gegenzug müssen Sparerin- nen und Sparer gegebenenfalls Abstriche bei den Renten- leistungen hinnehmen. Wie aber reagiert der Pensionsfonds von Bosch auf das Niedrigzinsumfeld? Er überzeugt Union und SPD davon, noch riskantere Anlagestrategien zu erlauben und die Garantien für Betriebsrenten noch weiter abzusen- ken, und er spekuliert im doppelten Wortsinn auf höhere Renditen. Der DGB hat das in seiner Stellungnahme sehr gut zusammengefasst. Durch die Gesetzesänderung – Zitat – „könnten Pensionsfonds auch in der Rentenbezugszeit versuchen, höhere Renditen zu erwirtschaften. Gleichzei- tig steht damit bei Eintritt in die Auszahlungsphase noch nicht für deren gesamte Laufzeit fest, welche Höhe die monatlichen Zahlungen haben werden, es besteht also die Gefahr, dass die Zahlungen in ihrer Höhe schwanken und ggf. geringer ausfallen als erhofft.“ Bosch und Union und SPD wetten also auf zukünftig steigende Aktienkurse und setzen damit eine auskömm- liche und verlässliche Alterssicherung der Beschäftigten aufs Spiel. Das ist für uns nicht akzeptabel! Die Betriebs- rentnerinnen und -rentner wissen in Zukunft also nicht mal mehr während der Auszahlungsphase, wieviel Geld sie bekommen. Die ausgezahlte Betriebsrente ist also auch sehr kurzfristig vom Ertrag des Pensionsfonds, also seinen Spekulationserfolgen auf den Kapitalmärkten, ab- hängig. Garantiert wird nur noch eine Mindestleistung. Union und SPD gestehen immer noch nicht ein, dass viele Unternehmen in den 1990er-Jahren ihre Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter und auch sich selbst von zu optimistischen Ertragserwartungen haben ködern lassen. Entsprechend hoch wurden die Anfangsrenten angesetzt bzw. entsprechend wenig zahlten die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ein. Da die Rendite dann aber in der Folge der Finanzkrise geringer ausfiel als angenommen und die Rückstellungen aus dem Ruder laufen, müssten die Betriebsrentenzusagen jetzt laufend gekürzt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, mit diesem Änderungsantrag wird es Ihnen vielleicht gelingen, den Pensionsfonds der Robert Bosch GmbH kurzfristig zu stabilisieren, aber nur, indem Sie ihm er- lauben, die Anlagestrategie noch riskanter zu gestalten, sich noch mehr vom Kapitalmarkt abhängig zu machen. Damit liefern Sie die Beschäftigten dem Kasino des Fi- nanzmarktes aus. Damit machen Sie deren Altersvorsor- ge zum reinen Spekulationsobjekt. Ganz offensichtlich haben Sie aus der Finanzkrise nichts gelernt. Die Linke sagt: Ziehen Sie endlich die Schlussfol- gerung daraus, dass kapitalmarktgestützte Altersver- sorgung nicht nur für die Beschäftigten hochriskant ist, sondern auch noch die Unternehmen in den Ruin führt. Deshalb noch einmal unser dringender Appell: Stärken Sie die gesetzliche Rentenversicherung und sorgen Sie dafür, dass das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent an- gehoben wird. Wir haben deshalb den Änderungsantrag abgelehnt und werden uns insgesamt enthalten. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Koalition kann der Europäischen Union durchaus dank- bar sein. Schließlich ist es die EU-Mobilitätsrichtlinie, die die Bundesregierung nun letztlich zwingt, zumindest einen kleinen Teil dessen umzusetzen, was der Koaliti- onsvertrag verspricht. Die betriebliche Altersversorgung sei zu stärken, heißt es dort. Doch eigenmächtig gelingt wenig. Der Vorschlag von Andrea Nahles, das sogenannte Neue Sozialpartner- modell Betriebsrente, droht gerade am Widerstand der Sozialpartner zu scheitern. Bereits zwei Entwürfe aus dem Bundesarbeitsministerium mussten angesichts der massiven Gewerkschafts- und Arbeitgeber-Kritik ver- worfen werden. Eine Einigung ist nicht in Sicht. Und selbst wenn sie es wäre: Die bisherigen Vorschläge zur Nahles-Rente schei- nen kaum geeignet, tatsächlich wie geplant eine umfas- sende Verbreitung von Betriebsrenten zu erreichen. Denn dazu bedürfte es, wenn man sich ehrlich macht, weniger einer tarifvertraglichen Lösung als einer gesetzlichen Regelung. Jeder neue Arbeitsvertrag müsste automatisch Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513396 (A) (C) (B) (D) mit einem Angebot zur betrieblichen Altersversorgung sowie mit einer freiwilligen Opt-out-Option für die Be- schäftigten verbunden sein. Ob die Bundesregierung ein solches Modell durchsetzen könnte, ist vor dem Hinter- grund der bisherigen Entwicklung allerdings zu bezwei- feln. Immerhin: Die Umsetzung der EU-Vorgaben, zu der die Bundesregierung bis 2018 verpflichtet ist, wird Ver- besserungen nach sich ziehen. Die im entsprechenden Gesetzentwurf vorgesehenen verkürzten Unverfallbar- keitsfristen und die Reduzierung des Mindestalters für den Erhalt von Versorgungsanwartschaften dürften die Mobilität von Betriebsrenten erhöhen und ihre Attrakti- vität steigern. Gerade Jüngere und Frauen werden davon profitieren. Ebenso zu begrüßen ist, dass künftig auch die Anwartschaften eher unverfallbar sind und diejeni- gen von ausgeschiedenen Beschäftigten auch nach deren Ausscheiden dynamisiert werden sollen. Die Ungleich- behandlung zwischen ehemaligen und aktiven Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmern hat damit ein Ende. Allerdings: Die Bundesregierung hätte bei der Trans- formation der Mobilitätsrichtlinie in nationales Recht durchaus weiter gehen können. Wenig couragiert er- scheint auch der geplante – überaus späte – Termin des lnkrafttretens des Gesetzes. Erst im nahezu letztmögli- chen Moment, nämlich am 1. Januar 2016, werden die Regelungen Realität. Im Zusammenhang mit der Mobilitätsrichtlinie disku- tieren wir heute auch einen Änderungsantrag der Koali- tionsfraktionen. Geplant ist, Pensionsfonds in der Aus- zahlungsphase die Möglichkeit zu eröffnen, nicht mehr nur versicherungsförmige Anlagestrategien zu verfolgen. Durch die Option, auch risikoreicher zu agieren, sollen während der Rentenbezugszeit höhere Erträge erzielt werden können als bislang. Wie die öffentliche Anhö- rung im Ausschuss Arbeit und Soziales am vergangenen Montag zeigte, ist diese Einschätzung durchaus realis- tisch. Wir werden uns diesem Vorschlag deshalb nicht entgegenstellen. Wir täten aber gut daran, den Blick zu weiten. Dass nun bei angelegtem Kapital, das im Zeitraum des Ren- tenbezugs eigentlich ein sicheres Auskommen gewähr- leisten sollte, aggressive Anlagestrategien notwendig erscheinen, ist kein Zufall. Dass selbst ein Großunter- nehmen wie der Bosch-Konzern, der ein erhebliches In- teresse an der Umsetzung des Änderungsantrags hat, die erforderlichen Renditen für kaum erreichbar hält, weist auf ein grundsätzliches Problem kapitalgedeckter Syste- me: nämlich ihre Anfälligkeit für die schwankende Ent- wicklung der Finanzmärkte. Kapitalgedeckte Altersvor- sorgesysteme sind seit Jahren unter Druck. Ein Ende der Niedrigzinsphase ist nicht absehbar. Vor diesem Hinter- grund ist auch die Forderung – unter anderem von der Ar- beitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung – zu verstehen, Unternehmen künftig Pensionsrückstellungen zu erleichtern, indem die Berechnungsvorschrift für den Rechnungszins angepasst wird. Übrigens: Bei der Riester-Rente ist die Situation der- zeit nicht besser. Bereits mehrere Versicherungsunter- nehmen haben das Geschäft mit Neu-Verträgen einge- stellt. Auch hier also wackelt das System angesichts der ungesunden wirtschaftlichen Entwicklung. Welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus? Ohne Frage: Das Drei-Säulen-System ist nach wie vor das rich- tige Modell für die Alterssicherung. Wir setzen uns dafür ein, dass die Betriebsrenten künftig auch all denjenigen Beschäftigten offen stehen, die bisher faktisch ausge- schlossen sind. Die Mobilitätsrichtlinie leistet dazu einen Beitrag, reicht aber bei weitem nicht aus. Die dritte Säule ist endlich auf eine solide Grundlage zu stellen, die eine faire und transparente Altersvorsorge ermöglicht. Eine zentrale Erkenntnis aus der Entwicklung in den vergan- genen Jahren ist indes, dass sich gerade die gesetzliche Rentenversicherung als ein Fels in der Brandung erwie- sen hat. Ihr Image als zukunftsunfähiger Dinosaurier konnte sie auch deshalb inzwischen ablegen. Wir wollen gerade die erste Säule weiter stärken und ihr Leistungs- vermögen so stabil wie möglich halten. Ein Absinken des Rentenniveaus auf unter 40 Prozent, wie in der heute veröffentlichten Prognos-Studie für die Zeit nach 2030 vorhergesagt, ist jedenfalls mit uns nicht zu machen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kei- ne Anrechnung von NVA-Verletztenrente auf Grundsicherung im Alter (Tagesordnungspunkt 22 und Zusatztagesord- nungspunkt 3) Marlene Mortler (CDU/CSU): Wir haben lange diskutiert. Wir haben uns mit Wissenschaftlern, Sozial- richtern, den zuständigen Beamten und, das ist für mich eine Selbstverständlichkeit, mit den Betroffenen beraten: mit älteren Landwirten, dem landwirtschaftlichen Nach- wuchs und den Ehepartnerinnen von Landwirten. Nun ist es soweit: Mit dem vorliegenden Entwurf zur Änderung des Zwölften Gesetzes Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften setzen wir eine der komplexesten agrarpolitischen Verabredungen unseres Koalitionsver- trages um: die Reform der Hofabgabeklausel im Rahmen der Alterssicherung der Landwirte. Für alle Nichtlandwirte im Saal: Die Landwirtschaft verfügt über ein eigenes System der Alterssicherung. Bauern und Bäuerinnen erhalten mit Vollendung des 67. Lebensjahres eine Teilrente in Hohe von bis zu 660 Euro. Voraussetzung ist, dass die Landwirte ihren Hof nicht weiterführen, sondern abgeben. Um diese so- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13397 (A) (C) (B) (D) genannte Hofabgabeklausel geht es bei dem Gesetz, über das wir hier abstimmen. Warum ist die Hofabgabe so wichtig? Über 90 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland sind nach wie vor Familienunternehmen. Auf jedem dieser Bauernhöfe, es sind über 250 000, stellt sich, wenn der Betriebsleiter das Rentenalter erreicht, die Frage nach der Zukunft: Wie geht es weiter mit dem Hof? Bleibt er bestehen? Oder schließt er die Tore und der Strukturwan- del setzt sich fort? Die Hofabgabeklausel ist das Instrument, mit dem wir einen klaren und rechtzeitigen Übergang der Verantwor- tung von einer Generation auf die nächste unterstützen. Ich sage es aus eigener Erfahrung: Wenn die ältere Ge- neration nicht bereit ist, den Jungen das Zepter oder bes- ser den Traktorschlüssel in die Hand zu geben, dann ist der Hof in Gefahr. Nach 30 Jahren braucht ein landwirt- schaftlicher Betrieb neuen Schwung, neue Tatkraft, neue Fachkompetenz und auch einen neuen Blick auf das, was notwendig ist, um einen Betrieb erfolgreich in die Zu- kunft zu führen. Andererseits gilt: Auch wenn niemand zur Hofabgabe gezwungen wird, darf die Klausel natürlich nicht zu un- billigen Härten führen. Die abgebende Generation muss wirtschaftlich in der Lage sein, trotz Hofabgabe aus- kömmlich zu leben. Dafür braucht sie weiter Einnahmen, etwa aus Pacht- oder Veräußerungserlösen. Denn das System der landwirtschaftlichen Alterssi- cherung gewährt ja gerade keine Voll-, sondern nur eine Teilrente. Diese Einnahmen müssen wir möglich ma- chen. Und natürlich kann der Gesetzgeber keine Hofab- gabe verlangen, wenn sich in einer Region gar keine Hof- nachfolger finden. Auch dafür braucht man Lösungen. Deshalb haben wir drei Dinge gemacht: Die Abga- be flexibilisiert, das Nebeneinkommen gestärkt und die Eigenständigkeit der Ehegattenversicherung vollendet: Statt einer Veräußerung oder Verpachtung des Betriebs kann die Hofabgabe in Zukunft auch durch den Über- gang an eine Gesellschaft erfolgen, sofern der Landwirt an der Unternehmensführung nicht beteiligt ist. Persönlich hätte ich gern auch die Hofabgabe an den Ehepartner in den Fällen der Teilerwerbsminderung er- möglicht. lm Ergebnis haben wir davon abgesehen, weil die Option der Gesellschaftsgründung die meisten mög- lichen Fälle erfasst und wir keine darüber hinausgehende Missbrauchsgefahr entstehen lassen wollten. Flexibilisiert haben wir auch den Renteneintritt: Wie auch in der gesetzlichen Rentenversicherung wird in Zukunft derjenige, der über die Regelaltersgrenze hi- naus arbeitet, einen Rentenzuschlag erhalten. Es geht um 0,5 Prozent pro Monat − immerhin. Außerdem stärken wir das Nebeneinkommen. Mir ist völlig klar, dass viele Landwirte darauf angewiesen sind, einen Teil des Betriebes weiter zu bewirtschaften. Eben deshalb heben wir den rentenunschädlichen Rückbehalt auf 99 Prozent der sozialversicherungsrechtlichen Min- destgröße an. Mehr geht nicht, ohne dass Sozialversiche- rungsbeitrage anfallen. Konkret bedeutet dies: 8 Hektar Ackerland, 2 Hektar Obstflächen und 75 Hektar Wald können neben der Rente weiter bewirtschaftet werden. 75 Hektar Wald − das ist schon etwas! Der dritte Reformbaustein liegt mir besonders am Herzen: die vollständige Verwirklichung der Eigenstän- digkeit der Ehegattenrente. Bisher hat ein versicherter Ehepartner erst dann Alterssicherung erhalten, wenn der Landwirt den Hof abgegeben hatte – selbst dann, wenn man längst geschieden war. Und auch einem voll erwerbsgeminderten Landwirt, der seinen Betrieb vor Jahren an die Ehefrau abgegeben hat, wurde die Rente wieder entzogen, wenn die Ehefrau den Betrieb über die Regelaltersgrenze hinaus weiter ge- führt hat. Die Rente des einen wird von der Rente des anderen unabhängig. Das ist eine echte Errungenschaft für die Frauen in der Landwirtschaft, im Jahr 2016 aber auch eine absolute Notwendigkeit! Auch wenn nie alle zufrieden sind: Das ist wirklich ein ausgewogenes Paket, ein Paket im Interesse der ganz großen Mehrheit unserer Bäuerinnen und Bauern. Ich mochte Sie alle um Zustimmung zum vorliegenden Ge- setzentwurf bitten. Jana Schimke (CDU/CSU): Mit der heutigen ab- schließenden Beratung zum 12. Sozialgesetzbuch-Ände- rungsgesetz schaffen wir Verbesserungen in verschiede- nen Bereichen. 1. Wir verbessern die sozialpolitischen Rahmenbe- dingungen in Deutschland! Das betrifft Bezieher von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Wir führen für Sparer einen jährlichen Freibetrag von 26 Euro für Einnahmen aus Kapitalvermögen und somit insbesondere für Zinseinnahmen ein. Sparen wird sich künftig also auch für Grundsicherungsempfänger wieder mehr lohnen. Wenn jemand einmalige Einnahmen erzielt, werden diese künftig erst im Folgemonat angerechnet, und sollten diese einmaligen Einnahmen bedarfsdeckend sein, sind sie in der Regel auf 6 Monate zu verteilen. Hier sorgen wir für existenzielle Erleichterungen und Verein- fachungen für Menschen im Leistungsbezug. 2. Wir unterstützen die Kommunen! Bereits seit 2 Jahren finanziert der Bund vollumfänglich die Grund- sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Schon damit unterstützen wir die Kommunen in hohem Maße. Mit dem heutigen Gesetzentwurf gehen wir noch einen Schritt weiter. Die Bundesländer dürfen künftig eine vereinfachte Nachweisführung über die Verwendung der Gelder anwenden. Damit leisten wir einen wichtigen Schritt auch zum Bürokratieabbau. 3. Wir gestalten Europa! Seit dem 1. Juli dieses Jah- res besteht die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügig- keit für Kroatien. Diesen Status verankern wir jetzt im SGB III, im Aufenthaltsgesetz und im Freizügigkeitsge- setz. Wir profitieren von der Arbeitnehmerfreizügigkeit, weil wir dadurch auch qualifizierte Fachkräfte für Man- gelberufe gewinnen. Letztes Jahr waren 93 000 Kroaten vorwiegend im verarbeitenden, im Baugewerbe und im Gesundheits- und Sozialwesen sozialversicherungs- pflichtig beschäftigt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513398 (A) (C) (B) (D) Für die Zukunft wird weiterhin von jährlich etwa 10 000 weiteren kroatischen Arbeitskräften ausgegan- gen. Dadurch kann unser Fachkräftemangel abgemildert werden und wird den insbesondere auch jungen Men- schen in Europa eine Beschäftigungschance geboten. Denn mit einer Arbeitslosenquote von 17,3 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von rund 43 Prozent ähnelt die Arbeitsmarktsituation in Kroatien der in Spanien oder auch Griechenland. Die uneingeschränkte Arbeitnehmer- freizügigkeit Kroatiens ist gelebtes Europa und kommt Unternehmen und Arbeitsuchenden gleichermaßen zu- gute. 4. Wir fördern Integration! Geduldete Ausländer dür- fen künftig ausbildungsbegleitende Hilfen schneller in Anspruch nehmen. Wir werden die bisherige Voraufent- haltsdauer von 4 Jahren auf 15 Monate herabsetzen. 5. Wir stärken unseren Arbeitsmarkt! Auch das Kurz- arbeitergeld verhalf uns in den letzten Jahren, übermäßi- gen Arbeitsplatzabbau durch wirtschaftliche Krisen gut zu überstehen. Ein entscheidendes Instrument war und ist dabei auch die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes: Wieviel Zeit räumen wir also unseren Betrieben ein, Krisenzeiten zu bewältigen? Die bisher erfolgreich prak- tizierte Bezugsdauer von 12 Monaten werden wir jetzt auch im Gesetz verankern. Das gibt sowohl den Unter- nehmen, als auch der Bundesagentur für Arbeit mehr Pla- nungssicherheit. Ebenso widmen wir uns der Gruppe der kurz befristet Beschäftigten. Das sind unter anderem Bürofachkräfte, Lagerarbeiter, Gästebetreuer oder auch Künstler. Sie er- halten auch weiterhin, bis Ende Dezember 2016, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I nach einer nur 6-mona- tigen Versicherungszeit. Abschließend werden bereits mit dem Gesetzentwurf sowie mit dem Änderungsantrag mehrere Änderungen des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte vorgenommen. Künftig sollen die agrarpolitische Steue- rungs- und sozialpolitische Sicherungsfunktion besser in Einklang gebracht werden. Dazu werden zum Beispiel die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessert und die Ab- gabemöglichkeiten zwischen Ehegatten erleichtert. Heute leisten wir einen Beitrag zur sozialen Markt- wirtschaft, indem wir mit dem SGB-12-Änderungsgesetz sowohl den sozialen Ausgleich fördern als auch arbeits- marktpolitische Belange berücksichtigen. Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Wir diskutieren heute zu fortgeschrittener Zeit über ein Gesetz mit Än- derungen im Sozialgesetzbuch XII, das vielfältige Än- derungen mit sich führt und das man mit Fug und Recht als Sammelsurium bezeichnen kann – angefangen bei rein technischen Änderungen im SGB XII bis hin zur Alterssicherung bei Landwirten. Die in dem Entwurf ent- haltenen Änderungen kommen verschiedenen Leuten im Kleinen aber auch im Großen zu Gute. Zusätzlich ent- lasten wir die Kommunen durch eine Reduzierung ihrer Nachweispflichten. Wir schaffen endlich rechtliche Klarheit bei der Be- zugsdauer des Kurzarbeitergeldes. Die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes wurde in den letzten 35 Jahren je- weils per Rechtsverordnung des Arbeits- und Sozialmi- nisterium von sechs auf mindestens zwölf Monate ver- längert. Mit der gesetzlichen Festlegung auf nun zwölf Monate bieten wir vor allem den Unternehmen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Planungssicherheit. Wir schaffen Gerechtigkeit bei ehemaligen Wehr- dienstleistenden der NVA. Für Leistungsberechtigte, die während ihres Wehr- dienstes in der Nationalen Volksarmee der DDR eine Be- schädigung erlitten haben, wird für die in diesen Fällen gezahlte Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallver- sicherung ein Freibetrag in Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz eingeführt. Die Verletz- tenrente wird dann in Höhe dieses Freibetrages nicht als Einkommen auf die Grundsicherung im Alter und auf die Erwerbsminderung angerechnet. Damit werden im Wehrdienst verletzte Soldaten der NVA mit denen der Bundeswehr gleichgestellt. Und wir entlasten die Kommunen hinsichtlich ihres Verwaltungsaufwandes. Durch den Wegfall einer differenzierten Nachweis- pflicht der Länder bei der Übernahme der Kosten für die Leistung der Grundsicherung im Alter durch den Bund bieten wir den Ländern und Kommunen den nötigen Freiraum, Informationen zum Bildungs- und Teilhabepa- ket zu erheben, die uns bei der Beurteilung helfen. Neben den zahlreichen Verbesserungen regeln wir in dem Gesetzentwurf auch technische Details, die aber auch zu kleinen materiellen und organisatorischen Ver- besserungen führen können, wie zum Beispiel die Erhö- hung des Freibetrages um 26 Euro für Einnahmen aus dem Schonvermögen auf Leistungen des SGB XII oder die Anrechnung von einmaligen Einnahmen im Folge- monat. Ein großer Punkt ist die Verbesserung der Arbeits- und Ausbildungsunterstützung für Flüchtlinge. Durch die Öffnung der ausbildungsbegleitenden Hilfen für Ge- duldete nach einer Voraufenthaltszeit von 15 Monaten ergreifen wir Maßnahmen, die Ausbildungsabbrüche verhindern können und damit den Weg zu Arbeit und In- tegration erleichtern. Die vom Bundesrat, vom Deutschen Verein und ande- ren Verbänden in ihren Stellungnahmen geäußerte Kritik, dass sich in dem Gesetzentwurf keine Regelung zur Lö- sung der sogenannten „Erstrentenproblematik“ und der Anpassung der Regelbedarfsstufe 3 wiederfindet, kann ich nachvollziehen. Wir beschäftigen uns schon seit ge- raumer Zeit mit dieser Thematik und werden alsbald Lö- sungsvorschläge darlegen. Und last, but not least: Zu den Verbesserungen bei der Hofabgabe, vor allem bei der Hofabgabe an den Ehegat- ten oder die Ehegattin, wird mein Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier reden. Wir regeln in diesem vielfältigen Gesetzentwurf viel Kleines und viel Großes. Doch jede Regelung bringt Verbesserung mit sich oder sorgt für mehr Rechts- und Planungssicherheit. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13399 (A) (C) (B) (D) In diesem Sinne lade ich Sie ein, dem Gesetz zuzu- stimmen. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Die SPD hat sich immer zu dem sozialen Sicherungssystem in der Land- wirtschaft bekannt und tut das auch heute. Die Hofab- gabe als Voraussetzung für den Bezug einer Rente war bei der Einführung der Landwirtschaftlichen Alterssiche- rung 1957 sicher richtig. Sie hat den Strukturwandel in der Landwirtschaft seit fast 60 Jahren begleitet und ist immer wieder an die aktuellen Erfordernisse angepasst worden. Heute müssen wir uns jedoch die Frage stellen, ob das bloße Größenwachstum der Betriebe noch Ziel unserer Agrarpolitik sein sollte. Brauchen wir denn immer grö- ßere Betriebe? Will die Gesellschaft das heute überhaupt noch? Der damals gewünschte Strukturwandel hin zu einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft ist längst eingetre- ten. Wir haben nur noch 180 000 Vollerwerbsbetriebe. Die Hofabgabeverpflichtung schafft zunehmend soziale Ungerechtigkeiten. Für Inhaber kleinerer Betriebe, die es durchaus noch gibt, ist die soziale Absicherung allein durch den Rentenbezug häufig nicht gewährleistet. Sie sind häufig auf zusätzliches Einkommen neben dem Ren- tenbezug angewiesen. Aus diesem Grund hat die SPD 2012 auch die Ab- schaffung der Hofabgabe gefordert. Im Koalitionsvertrag haben wir durchgesetzt, dass die Hofabgabeverpflichtung neu gestaltet wird. Eine Abschaffung ist uns leider nicht gelungen und am Widerstand der Union gescheitert. In der Öffentlichen Anhörung am Montag hat der Sachverständige Mehl vom Thünen Institut darauf ver- wiesen, dass in Zukunft nur noch ein Drittel der Betriebe von der Hofabgabe betroffen sein wird. Man müsse sich dann in der Tat die Frage stellen, ob es gerechtfertigt sei, für so einen kleinen Prozentsatz der Betriebe eine Sank- tion aufrechtzuerhalten, die eben zwei Drittel der Berufs- kollegen nicht mehr betrifft. Die heute hier vorliegende Novellierung der Hofabga- beklausel ist eindeutig eine Verbesserung im Unterschied zur bisherigen Situation. Für 64 Prozent der Betriebe ist die Hofabgabeverpflichtung damit faktisch abgeschafft und für weitere 15 Prozent der Betriebe erheblich ent- schärft worden. Die verschiedenen Optionen ermöglichen einem Großteil der Betroffenen, ihre Rentenansprüche zu realisieren und gleichzeitig ausreichend zusätzliche Ein- künfte zu erzielen. 21 Prozent der Landwirte lassen wir jedoch immer noch ohne wirtschaftliche Lösung für das Alter zurück. Wir haben einen Kompromiss erarbeitet, nicht mehr und nicht weniger. Ja, wir haben die Alterssicherung der Landwirte ein großes Stück voran gebracht. Wir stärken den eigen- ständigen Rentenanspruch des abgebenden Landwirtes gegenüber seinem Ehegatten, insbesondere den der Bäu- erinnen. Die Bäuerinnenrente war bisher abhängig von der Entscheidung des Ehemannes den Hof abzugeben. Alleinstehende landwirtschaftliche Unternehmer, das sind 21 Prozent der Betriebe, profitieren jedoch gar nicht. Weitere 15 Prozent der Betriebe profitieren nur teilweise, wenn der Landwirt und sein Ehegatte beide in der AdL versichert sind. Die Neuregelung führt bei dieser Kon- stellation dazu, dass nur einer von beiden Partnern die Rente bekommen kann. Auch die Erhöhung des rentenunschädlichen Rück- behalts von derzeit 2 Hektar auf fast 8 Hektar landwirt- schaftlicher Nutzfläche bedeutet eine erhebliche Verbes- serung. Winzer dürfen in Zukunft zwei Hektar, Besitzer von Sonderkulturen 2,2 Hektar und Forstwirte 75 Hektar zurückbehalten. Auch das ist eine deutliche Verbesse- rung. Mit der Flexibilisierung des Renteneintrittes nehmen wir eine weitere Anpassung an das allgemeine Renten- system vor. Gezahlte Beiträge gehen nicht mehr verloren, auch wenn der Hof später abgegeben wird. Das Modell der flexiblen Rente entspricht dem aktuellen Übergangs- modell in der allgemeinen Rentenversicherung. Ich halte es daher für zeitgemäß, diese individuelle Entscheidung für den Renteneintritt rentenunschädlich auch im land- wirtschaftlichen Bereich umzusetzen. Weitere Hofabgabemöglichkeiten wie die rentenun- schädliche Einbringung des Unternehmens in eine Ge- sellschaft halte ich für sinnvolle Ergänzungen des vor- geschlagenen Gesetzentwurfes, um individuelle Modelle umzusetzen. Am Ende wird erst eine Evaluierung in ei- nigen Jahren zeigen, ob die Neuregelungen in der Praxis den Landwirten den Bezug ihrer Rente erleichtern und zu einem angemessenen Auskommen im Alter beitragen. An dieser Stelle möchte ich noch einmal besonders die Leistungen der Mitglieder des Arbeitskreises zur Abschaffung der Hofabgabe um Herrn Hugenberg und Herrn Eickmeyer würdigen. Mit viel Sachverstand und unermüdlichem Engagement haben sie den Dialog und die Diskussion zur Hofabgabe seit Jahren ganz wesent- lich mitbefördert. Zu gegebener Zeit müssen wir die Si- tuation neu bewerten. Es bleibt weiterhin unsere Forderung, bei der nächsten sich für uns Sozialdemokraten bietenden Gelegenheit das umzusetzen, was uns in dem gegenwärtigen Kompromiss nicht gelungen ist: Die vollständige Abschaffung der Hofabgabeverpflichtung. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die heu- te vorliegenden Änderungen des SGB XII lösen leider wieder viele Probleme nicht. Aber eine längst überfälli- ge Korrektur gibt es immerhin. Die Verletztenrente von Wehrdienstleistenden der NVA wird nicht länger auf die Grundsicherung angerechnet. Die Linke hat dafür lange gekämpft und war nun endlich erfolgreich! Dagegen wird die sogenannte Hofabgabeklausel lei- der nur aufgeweicht. Seit den 1950er-Jahren regelt sie, dass eine landwirtschaftliche Rente nur beziehen kann, wer vorher den Hof abgibt. Das ist auch kein Problem, solange der Betrieb in der Familie bleibt. Aber das ist längst ein Auslaufmodell, zum Beispiel weil die Kinder sich beruflich anders orientiert haben und die Enkel zwar interessiert, aber noch zu jung sind. Dann steht der Hofinhaber vor einem Dilemma: Entwe- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513400 (A) (C) (B) (D) der er behält den Hof, verliert aber zumindest vorläufig seine Rentenbeiträge. Oder er verkauft oder verpachtet den Hof, für eine Minirente von 450 Euro! Das ist ein drastischer staatlicher Eingriff in die Entscheidung zur Hofnachfolge. Und es stellt sich die Frage: Ist das angemessen? Ziel soll die Beförderung des Generationswechsels und damit einer gesunden Agrarstruktur sein. Aber das Problem ist doch längst, überhaupt eine Hofnachfolge zu finden. Deshalb gehört diese antiquierte Regelung abgeschafft, wie das auch der Bundesrat fordert. Aber stattdessen legt die Koalition heute eine veritable Verschlimmbesserung vor. Ja, es ist gut, dass jetzt Frauen einen eigenständigen Rentenanspruch haben und nicht mehr darauf angewie- sen sind, dass der Hof abgegeben wird. Aber wenn nach Aussage von Dr. Mehl vom Thünen lnstitut am Montag in der Anhörung heute der Hofabgabezwang für 64 Prozent der Betriebe faktisch abgeschafft und für weitere 15 Pro- zent erheblich entschärft wird, warum denn nicht für alle abschaffen? Dr. Mehl warnte am Montag doch völlig zu Recht, dass es schwer würde, die Hofabgabe für 21 Prozent der Betriebe noch mit agrarstrukturellen Zielen zu rechtferti- gen. Wieso soll ein alleinstehender oder unverheirateter Landwirt weiter den Betrieb an Dritte abgeben müssen, während Verheiratete ihre Rente beziehen, wenn der Gatte oder die Gattin den Hof übernimmt? Diese Diskri- minierung von Unverheirateten und Alleinstehenden ist inakzeptabel! Für Waldbesitzer wurde auch eine absurde Regelung gefunden. Sie sollen für eine Minirente ihren Wald ent- weder verkaufen, 9 Jahre verpachten oder stilllegen. Aber in unserem Land wird Wald traditionell gar nicht verpachtet. Und Stilllegung heißt kein Erlös, also nur Minirente und Altersarmut. Das geht doch so nicht! Vie- le Kleinstwaldflächen werden von Forstbetriebsgemein- schaften bewirtschaftet. Sie würden durch Zwangsver- kauf oder Stilllegung Bewirtschaftungsflächen verlieren. Das ist einfach Unsinn. Der Bodenverkauf mit dem Hof ist überhaupt ein spannendes Thema. Die Preisexplosion auf dem Bo- denmarkt ist doch bekannt. Man muss nicht besonders hellseherisch begabt sein, um zu behaupten, dass diese Flächen nicht an Junglandwirte verkauft werden, sondern zur Aufstockung der Minirente an Meistbietende. Statt den Generationenwechsel fördert die Hofabgabeklausel also den Ausverkauf des Bodens an vagabundierendes Kapital. Das geht gar nicht! Und dann bleibt der Abgebende oft auch noch auf den Unterhaltskosten der Hofstelle sitzen, die nicht gekauft wird. Wer also wirklich die breite Streuung des Bodenei- gentums und vor Ort verankerte Landwirtschaftsbetrie- be sichern will, muss die Hofabgabeklausel abschaffen. Jetzt und für alle. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Willkommen in der Gegenwart, auch auf dem Lande. Die Anhörung zur Hofabgabeverpflichtung der Bäue- rinnen und Bauern, um eine kleine Rente zu erhalten, am Montag, zeigte einmal mehr, dass Sie von der CDU/CSU in der Vergangenheit, als alles noch so schön einfach war, verharren. Sie halten den Schein einer Verpflichtung aufrecht, die völlig ausgehöhlt und inhaltsleer ist. Nur noch 36 Prozent der Alterskassenmitglieder sind von ihr betroffen. Alle anderen sind nach dem Reförmchen von heute von der Abgabe befreit. Vor allem sind aber die Alleinstehenden − immerhin 21 Prozent − betroffen. Das zeigt: Sie akzeptieren neben dem Trauschein nach wie vor keine anderen Partner- schaften. Auch ohne Trauschein wird oft Verantwortung füreinander übernommen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Das gilt auch für schwule Bauern oder lesbische Bäuerinnen mit Kind, wie in der Anhörung vom Jungbauern Phillip Brändle von der AG bäuerliche Landwirtschaft deutlich gemacht wurde. Streichen Sie endlich diese anachronistische inhalts- leere Hofabgabeverpflichtung von 1957. Ist ja schon ein bisschen her, aber Sie denken ja in vatikanischen Zeitrau- men. Sie denken in Zeiten, als Opa mit 85 Jahren auf dem Sterbebett an seinen 62-jährigen Sohn den Hof übergab. Der Jungbauer Brändle machte auch deutlich, dass für die jetzigen Hofübernehmer die Hofabgabepflicht der Alten keine Bedeutung mehr hat. Er sich vor Hofüber- nahmeangeboten nicht retten kann. Also Ihr Argument, die jungen Bäuerinnen und Bauern brauchen das für ihre Zukunft, ist gar keines. Auch dem Bund der deutschen Landjugend können wir nur zurufen: Kommen Sie bitte endlich in der Ge- genwart an. Seien Sie doch ehrlich: Sie vom Deutschen Bauernverband und CDU/CSU wollen doch gar nicht den jahrzehntelang Einzahlenden im Alter ihre wohlver- diente Rente als soziale Anerkennung zukommen lassen, sondern sie wollen nur eines: eiskalte, knallharte Struk- turpolitik. Das unterscheidet Sie fundamental von uns. Für uns Grüne ist das Altersgeld die wohlverdiente Rente für un- sere Alten. Wir wollen die Kleinbauern nicht auch noch um ihre paar Hektar Land bringen. Das erkennen Sie ja immerhin etwas an mit der Erhöhung der Rückbehaltsflä- chen auf 7,9 Hektar. Noch ein Drittes. Dass nach wie vor Bäuerinnen und Bauern mit teilweiser Beeinträchtigung der Erwerbsfä- higkeit erst abgeben müssen, ist überhaupt nicht nach- vollziehbar in einer Gesellschaft, die sich gerade um die Chancen von Menschen mit Beeinträchtigungen große Mühe der Anerkennung und des Ausgleiches gibt. Dieses Reförmchen zeigt wieder einmal, dass es CDU/ CSU nur um Schaufensterpolitik geht. Man hat es dem Bauernverband versprochen, deshalb darf die Hofabga- bepflicht nicht ersatzlos gestrichen werden. Klientelpo- litik statt Sozialpolitik gegen die Schwächsten, unsere Alten. Und zum Schluss meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Gerade die kleinen Waldbauern pflegen den Wald oft sehr nachhaltig, aber Sie von der CDU/CSU pflegen nicht die Waldbauern, sondern zwingen sie, ih- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13401 (A) (C) (B) (D) ren Wald zu verpachten und damit oft der Ausplünderung anheimzugeben. Beerdigen Sie endlich das ausgehöhlte, inhaltsleere Potemkinsche Dorf, die Hofabgabepflicht! Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seearbeitsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 23) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Wir beraten heute in 2. und 3. Lesung den von der Bundesregierung einge- brachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seearbeitsgesetzes. Das am 1. August 2013 in Kraft getretene Seearbeitsgesetz hat das Seearbeitsüberein- kommen 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) in nationales Recht umgesetzt und löste damit das völlig veraltete Seemanngesetz von 1957 ab. Mit diesem Gesetz hat Deutschland 2013 die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Arbeits- und Lebensbedingungen der Seeleute an Bord von Kauffahrteischiffen gründlich verbessert und die Mindeststandards eingehalten werden. Es war der Union ein wichtiges Anliegen, die beson- ders schwierigen Arbeitsbedingungen sowie sozialen Be- dingungen der Seeleute unter die Lupe zu nehmen und klare sowie weltweit verbindliche Arbeitsbedingungen in deutsches Recht umzusetzen. Damit ist ein deutliches Si- gnal zugunsten eines fairen Wettbewerbs im Bereich der Schifffahrt und für die Seeleute klare Voraussetzung für eine gute soziale Absicherung gesetzt worden. Nun hat die Internationale Arbeitskonferenz der IAO auf ihrer Tagung in Genf am 11. Juni 2015 eine weitere Anpassung des Seearbeitsübereinkommens beschlossen. Ziel der Konferenz, das die Bundesregierung unterstützt, ist es, eine bessere Absicherung der Seeleute gegen fi- nanzielle Risiken in Gefährdungssituationen zu gewähr- leisten. Die Vertragsstaaten werden verpflichtet, ein effektives System der finanziellen Sicherheit zu etablieren. Dies wollen wir nun in deutsches Recht umsetzen. Wir in der Union begrüßen diese Verbesserung der Lage der Seeleu- te, die ihre Arbeit unter schweren körperlichen und psy- chischen Bedingungen verrichten. Es ist daher unerläss- lich, dass die Schiffer und Matrosen auch in finanziellen Schwierigkeiten nicht allein gelassen werden. Das bedeutet konkret, dass im Falle eines Fehlverhal- tens durch den Reeder, wie bei einem „Imstichlassen“, Seeleute finanziell entschädigt werden. Besonders wich- tig bei der Gesetzesänderung ist die Klärung des Begriffs „Imstichlassen“, der in der deutschen Sprachfassung der IAO als „Zurücklassen“ richtigerweise nicht übernom- men worden ist. Im nationalen Recht haben wir eine andere Belegung dieses Begriffes und daher ist es von großer Bedeutung, dass die Neuregelung durch das Ge- setz die rechtswidrige Pflichtverletzung des Reeders als „Imstichlassen“ bezeichnet. Wir haben noch die Pressemeldungen des Jahres 2013 in Erinnerung mit dem Fall von Schiffsbesatzungen, die monatelang vor der deutschen Küste ankern mussten, weil der ausländische Schiffseigentümer sich nicht mehr um sie gekümmert hatte und sie ohne Lohn, Proviant und Kraftstoff zurückgelassen hatte. Diese unhaltbare Situa- tion wollen wir verhindern und vor allem für die Klärung und Absicherung der finanziellen Ansprüche der beschä- digten Seeleute sorgen. Wir schaffen also die Voraussetzungen dafür, dass die Schiffsbesatzungen im Falle eines Bruchs des Ar- beitsverhältnisses durch den Reeder ihre Heuer erhalten, und dies bis zu einer Dauer von vier Monaten, dass die Kosten ihrer Heimschaffung bis zu ihrem Wohnort vom Reeder übernommen werden, und nicht zuletzt, dass die grundlegenden Bedürfnisse der Besatzungsmitglieder wie zum Beispiel ausreichende Ernährung, Trinkwasser- vorräte, Unterkunft, aber auch Kraftstoff für das Schiff sowie ärztliche Betreuung an Bord finanziell abgesichert sind. Dabei möchte ich hervorheben, dass Fälle des Im- stichlassens durch deutsche Reeder bislang nicht bekannt sind. Beachtenswert ist, dass es seit 1958 keinen einzi- gen Heimschaffungsfall auf Schiffen deutscher Reeder gegeben hat. Erfreulich ist, dass die deutsche Flagge im internationalen Vergleich als sicher und verantwortungs- bewusst gilt. Die Gesetzesänderung soll dies nicht infra- ge stellen. Sie sichert vielmehr die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seeschifffahrt im internationalen Kontext. Eine weitere Änderung, die wir sehr begrüßen, ist die Pflicht des Reeders zur Entschädigung aller Seeleute oder deren Hinterbliebenen bei Tod oder Erwerbsunfä- higkeit aufgrund von Arbeitsunfällen oder Berufskrank- heiten. Hier geht es darum, dass alle an Bord Beschäf- tigten abgesichert werden. Also sind auch diejenigen Seeleute betroffen, die nicht in der deutschen gesetzli- chen Unfallversicherung pflichtversichert sind und die nach Deutschland entsandt worden sind, aber in ihren Heimatländern versichert bleiben. Der Reeder garantiert nun die Entschädigung mit einer privaten Versicherung auch für diese an Bord tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Von besonderer Bedeutung bei dem Gesetzentwurf ist die Vereinfachung der Förderung der Sozialeinrichtun- gen für Seeleute von einer projektbezogenen Förderung auf eine institutionelle Förderung. Diese Anlaufstellen für deutsche und ausländische Seeleute sind wichtige Treffpunkte in den Hafenstädten. Es sind meistens kirchliche Träger, die dank vieler eh- renamtlich Engagierten Seelsorge leisten und gegen die soziale Isolation der Schiffer und Matrosen arbeiten. An dieser Stelle muss das Engagement der Missionen gebüh- rend gelobt werden. Mit dem neuen Gesetz vereinfacht sich der Verwaltungsaufwand für die Förderung. Und von der Umstellung profitieren nicht nur die Sozialein- richtungen sondern auch die Seeleute. Die Träger der Missionen können sich auf ihre wertvolle seelsorgerische und unterstützende Aufgabe konzentrieren, und wären nicht mehr mit bürokratischen Angelegenheiten belastet. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513402 (A) (C) (B) (D) Im Ergebnis führt dieser Gesetzentwurf der Bundes- regierung also für alle Betroffenen zu positiven Ände- rungen. Fairer Wettbewerb, angemessene Arbeitsbedin- gungen und finanzielle Absicherung der Seeleute, dafür setzten wir uns von der Union ein. Michael Gerdes (SPD): Wir beraten heute Änderun- gen im Seearbeitsgesetz, welches für alle Personen gilt, die an Bord eines Schiffes unter deutscher Flagge tätig sind. In der Summe geht es um verbindliche Mindest- standards hinsichtlich der Arbeits- und Lebensbedingun- gen von Seeleuten. Ausgangspunkt ist das Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (International La- bour Organisation, ILO), welches bereits von 66 Staaten ratifiziert wurde (Stand 18. Mai 2015). Das genannte Ab- kommen gilt schätzungsweise für 1,2 Millionen Seeleute weltweit. Diese Zahl zeigt die immense Bedeutung der globalen Schifffahrt. Die Anpassungen des Seearbeitsgesetzes, die wir heute beraten, betreffen die bessere Absicherung von Seeleuten gegen finanzielle Risiken in Gefährdungssitu- ationen. Konkret beziehen sich die Änderungen auf die Verpflichtung von Reedern zum Abschluss einer Versi- cherung für den Fall des „Imstichlassens“ der Besatzung, die Entschädigung von Seeleuten oder Hinterbliebenen bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten sowie die in- stitutionelle Förderung von Seemannsmissionen. SPD und Union bringen einen Änderungsantrag zum vorliegenden Gesetzentwurf ein. Wir wollen, dass die institutionelle Förderung von Sozialeinrichtungen in deutschen Häfen nicht erst zum 1. Januar 2017 beginnt, sondern bereits am Tag nach Verkündung des Gesetzes. So steht den Missionen mehr Geld für ihre sinnvolle Ar- beit zur Verfügung und verschafft ihnen insgesamt mehr Planungssicherheit. Positiv hervorheben möchte ich, dass mit der Än- derung des Seearbeitsgesetzes eine genaue Definition des „Imstichlassens“ einhergeht. Ein Reeder lässt sei- ne Mannschaft im Stich, wenn er die Kosten für die Heimschaffung nicht übernimmt, nicht für medizinische Betreuung sorgt, mit dem Lohn in Verzug ist, schlech- te Unterkünfte oder ungenügende Verpflegungs- oder Trinkwasservorräte bereithält oder das Schiff nicht mit ausreichend Kraftstoff ausgestattet ist. All diese Anforderungen an ein gutes Arbeitsverhält- nis zwischen Reeder und Seemann klingen in meinen Ohren eigentlich selbstverständlich. Der raue Alltag auf manchen internationalen Handelsschiffen macht die kon- krete Benennung von Mindeststandards aber scheinbar notwendig. Keine Frage, wir unterstützen diese Gesetzesände- rung. Denn jenseits aller Seefahrerromantik, die ich als „Landratte“ maximal aus Seemannsliedern kenne, ist das Arbeiten und Leben auf hoher See sehr anspruchsvoll. Ein Schiffsmechaniker zum Beispiel muss verschie- denste Fähigkeiten mitbringen. Es braucht Sorgfalt, etwa beim Ablesen nautischer Messinstrumente, Verantwor- tungsbewusstsein beim Überprüfen der Sicherheitsein- richtungen, Umsicht beim Bedienen von Kränen und Winden, Reaktionsgeschwindigkeit zum Erkennen und Beseitigen von Störungen sowie grundsätzliches tech- nisches Verständnis für Motoren oder Umschlags und Ankereinrichtungen. Wer solch anspruchsvolle Arbeit verrichtet, hat vernünftige soziale Bedingungen und gu- ten Arbeitsschutz verdient. Das ist der Kern des Seear- beitsgesetzes. Erkrankt ein Seemann bei der Arbeit, liegt ein rie- siges Meer zwischen ihm und seiner Heimat. Schwere Unfälle und Krankheiten gehörten vor Jahrzehnten auf dem gefährlichen Arbeitsplatz Schiff zur Tagesordnung. Jahrhundertelang waren Seeleute im Notfall auf die allei- nige Fürsorge ihres Reeders oder Kapitäns angewiesen. So etwas ist heute nicht mehr vorstellbar. Die Schifffahrt wird immer moderner, somit braucht es auch moderne Rahmenbedingungen für die Arbeit auf See. Was die Sicherheit auf Schiffen unter deutscher Flag- ge angeht, brauchen wir uns nicht zu verstecken. Im in- ternationalen Vergleich stehen wir gut da. Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge sind automatisch in der gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert. Die meis- ten Seeleute sind zusätzlich durch die deutsche Kran- ken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie der Seemannskasse abgesichert. So muss es sein! Das SPD-Credo „Gute Arbeit“ gilt nicht nur an Land, sondern auch auf hoher See. Herbert Behrens (DIE LINKE): Seeleute haben ei- nen harten Job. Lange Schichten, kurze Liegezeiten in den Häfen und wochenlange Abwesenheit von Zuhau- se sind das Gegenteil von Seefahrer-Romantik. Darum müssen Regeln sein, damit die Seeleute geschützt sind vor Ausbeutung und unfairer Behandlung. Die Gewerkschaft Verdi hat deshalb für die Besatzun- gen auf deutschen Schiffen Tarifverträge mit den Reedern abgeschlossen, in denen die Arbeitszeit, die Ruhezeiten und Urlaubsanspruche und die sogenannte Heimschaf- fung geregelt sind. Heimschaffung heißt: Kosten und Transport für die Heimreise haben die Arbeitgeber zu übernehmen. Aber wie im wirklichen Leben halten sich die Reeder als Arbeitgeber nicht immer an das, was sie unterschrieben haben, und versuchen, sich einen Vorteil zu verschaffen. Wenn’s ganz hart wird, dann macht sich ein Reeder sogar aus dem Staub und lässt Mannschaft Mannschaft sein. Darum ist es sinnvoll, dass nicht ausschließlich im Tarifvertrag geregelt ist, wer für die so genannte Heim- schaffung bezahlt. Deshalb sollen Seeleute künftig ge- setzlich geschützt werden. Die Linke begrüßt die gesetz- liche Regelung. Wir wollen gute Arbeit auch auf See. Wir stimmen dem Gesetz zur Änderung des Seearbeitsgeset- zes zu. Künftig sind Reeder verpflichtet, eine Versicherung für den Fall des Imstichlassens der Besatzung abzu- schließen. Imstichlassen heißt, der Reeder bricht den Heuervertrag und die Mannschaft sitzt fern der Heimat und muss ihre Heimreise organisieren. Zusätzlich bietet dieses Gesetz einen besseren Schutz bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13403 (A) (C) (B) (D) Eigentlich gute Voraussetzungen, um den Seemanns- beruf attraktiv zu machen. Wie aber sieht die Realität aus? Die Zahl der Arbeitsplätze auf Schiffen unter deut- scher Flagge schrumpft und schrumpft. Denn die deut- schen Reeder flüchten immer noch scharenweise aus dem Zuständigkeitsbereich des deutschen Seerechts. Sie wechseln mit ihren Schiffen unter anderen Flaggen, wo sie nicht die Standards einhalten müssen, die über das hi- nausgehen, was auf internationaler Ebene vereinbart ist. Regeln müssen dort eingeführt werden, wo der freie Markt nichts mehr regelt, oder wenn Selbstverpflichtun- gen nicht eingehalten werden. Darum will die Linke auch erreichen, dass die Reeder in die Pflicht genommen werden, wenn sie Subventio- nen aus dem Bundeshalt kriegen. Die Bundesregierung hat den Reedern zugesagt, sie können künftig die Lohn- steuer vom Seemannslohn vollständig einbehalten und brauchen nicht an den Staat abzuführen. Bisher waren es 40 Prozent. Auch Versicherungssteuern auf Erträge aus dem so genannten Erlöspool fallen jetzt dauerhaft weg. Die Reeder sollen Marktschwankungen besser abfedern können und internationale konkurrenzfähig bleiben, wird argumentiert. Und das Ergebnis: Die Zahl der Handels- flotte unter deutscher Falle ist auf einem historischen Tiefstand. 395 von knapp 3500 Schiffen der Handelsflot- te fallen noch unter die Regeln der deutschen Gesetzge- bung. Das lassen wir nicht zu. Wir bleiben bei unserer For- derung: keine Leistung ohne Gegenleistung. Für Aus- flaggen gibt’s kein Geld. Bei Einflaggungen lassen wir mit uns reden. Aber noch ein paar Worte zum Gesetz. Die Seemanns- mission wird jetzt gesichert gefördert. Man muss sich dort nicht mehr von Projekt zu Projekt hecheln. Das ist eine gute Nachricht sowohl für die Seemannsmission als auch für die Seeleute, die sich gern dorthin wenden. Das lief zwar in der Vergangenheit immer ganz gut, hat aber doch zu erheblicher Unsicherheit geführt, weil man eben nicht wusste, ob ein Projekt akzeptiert wird oder nicht. Nun also eine sogenannte institutionelle Förderung. Die anderen Unterstützer der Seemannsmission Evan- gelische Kirche Deutschland (EKD), Verband Deutscher Reeder (VDR), Internationalen Transportarbeiter-För- derung (itf), die Hamburger Firma vesseltracker wird‘s freuen. Die Linke stimmt dem ausdrücklich zu, denn wir wissen, dass die Seemannsmission gute Arbeit leistet. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immer wieder kommt es vor, dass ein Schiffseigentümer insolvent geht oder das Schiff aufgrund ausstehender Forderungen arrestiert, also festgehalten wird. Häufig wurden dann die Seeleute zurückgelassen und waren auf sich alleine gestellt. Verpflegung, Unterkunft und Rück- reise in den Heimatort mussten sie aus der eigenen Kasse zahlen. Danach waren sie oft selbst pleite. Mit dem vorliegenden Gesetzesvorhaben verhindern wir, dass Seeleute von ihren Arbeitgebern völlig im Stich gelassen werden können. Auch wenn es solche Fälle an Bord deutsch beflaggter Schiffe seit knapp 60 Jahren nicht mehr gab. Doch Beispiele für im Stich gelassene Seeleute gibt es viele: Erst 2013 haben drei Frachter vor Wangeroo- ge festgemacht, weil der marokkanische Schiffseigner pleite ging. Das hieß: Kein Treibstoff mehr, keine Ver- sorgung mit Lebensmitteln mehr, kein Lohn für die Be- satzung. Deutsche Behörden und andere Einrichtungen haben sich um die Mannschaft gekümmert. Die Schiffe sind letztlich versteigert worden. Auch 2008 gab es in Brunsbüttel einen ähnlichen Fall mit einer kroatisch-let- tischen Reederei. Die genannten Beispiele zeigen, dass der Gesetzesvorschlag wichtig ist. Eine darin enthaltene Versicherungspflicht für solche Fälle begrüßen wir au- ßerordentlich. Die Situation der Seeleute ist dabei, sich weltweit ein wenig zu verbessern. Ein großer Fortschritt war das im Jahr 2006 verabschiedete Seearbeitsübereinkommen, das in Deutschland 2013 in Kraft trat. Dadurch gelten für die Rechte von Seeleuten endlich weltweite Standards. Oft waren die Schiffsbesatzungen aus den Augen und aus dem Sinn ihrer Arbeitgeber. Vielen Reedern und mit ihnen gewissen Flaggenstaaten war das Schicksal ihrer Besatzungen vielfach egal. Entsprechend mies waren die hygienischen Bedingungen an Bord einiger Schiffe oder auch die Arbeitszeitregelungen und die Entlohnung. In- zwischen müssen die wesentlichen Arbeitsbedingungen auch vertraglich festgehalten werden, und es gibt An- spruch auf eine Heuerfortzahlung im Krankheitsfall. Das ist ein richtiger Fortschritt. Es wird Zeit, dass das inter- nationale Abkommen auch durch weitere Staaten, etwa China oder die USA, ratifiziert wird. Aber Deutschland als große Seefahrtnation darf sich nicht zurücklehnen. Hierzulande ist es die maritime Aus- bildung, die vielen angehenden Seeleuten seit Jahren sehr große Sorgen bereitet. Das ist es auch, was ich im Gespräch mit den Seeleuten immer wieder höre. Die große Stillstands-Koalition muss daher endlich Lösungen für eine zukunftsfähige und bedarfsgerechte maritime Ausbildung schaffen. Das ist bei der letzten Maritimen Konferenz in Bremerhaven versäumt wor- den. Es darf uns nicht weiter der maritime Nachwuchs wegbrechen. Gerade die Lotsen oder die Schifffahrts- verwaltung suchen händeringend nautische Fachkräfte. Alleine bei den Lotsen an der deutschen Küste müssen bis 2025 rund 500 Nautikerstellen neu besetzt werden. Aber durch unser starres Ausbildungssystem blockieren wir uns selbst. Den eingebrachten Änderungsantrag begrüßen wir sehr. Er ist eine Maßnahme zum Bürokratieabbau, der den Seemannsmissionen zugutekommt. Sie müssen sich nicht mehr von Projektförderung zu Projektförderung hangeln, sondern erhalten zukünftig direkte Unterstüt- zung für ihre wirklich gute Arbeit. Dem Gesetzentwurf stimmen wir zu. Aber packen Sie endlich Reformen bei der maritimen Ausbildung an und nehmen endlich die Sorgen der Seeleute um den Schiff- fahrtsstandort Deutschland ernst! Die Auszubildenden und Studierenden in maritimen Berufen warten darauf. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513404 (A) (C) (B) (D) Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Nach- haftung für Rückbau- und Entsorgungskosten im Kern energiebereich (Rückbau- und Entsorgungs- kostennachhaftungsgesetz – Rückbau- und Ent- sorgungskostennachhaftungsG) (Tagesordnungs- punkt 24) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Nach Fukushima haben wir nicht nur einen schnellen Kernenergieausstieg bis 2022 beschlossen, sondern auch den Grundstein ge- legt für viele weitere Folgeentscheidungen. Wer einen erfolgreichen und damit sicheren und wirtschaftlichen Ausstieg organisieren will, braucht mehr als einen Aus- stiegsfahrplan für die einzelnen Kernkraftwerke. Er braucht ein tragfähiges Gesamtkonzept. Daher haben wir eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht: Entscheidungen zur Endlagersuche, zur Zwischenlagerung und zur Finanzierung des Kernener- gie-Ausstiegs. Stück für Stück müssen jetzt tragfähige und sinnvolle Lösungen gefunden werden. Wir – die CDU/CSU – stellen uns der Verantwortung! Und ich warne hier irgendwelche Parteipolitischen Spielchen zu betreiben. Die sind vorbei! Wir brauchen ein verantwortungsvolles Gesamtkon- zept im Sinne aller Beteiligten: Dabei steht die Sicherheit ganz zentral im Mittelpunkt. Der Steuerzahler darf nicht der Dumme sein und auf den Kosten sitzen bleiben. Und die Unternehmen brauchen faire und verlässliche Bedingungen. Ich will es auch bei dieser Debatte nochmals unter- streichen: Wir wollen die Unternehmen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Das gesetzliche Verursacher- prinzip gilt. Die Unternehmen müssen für den Rückbau der Kernkraftwerke und die Entsorgung des radioaktiven Abfalls aufkommen. Da gibt es keine Diskussion. Aber sie können nur dann dafür aufkommen, wenn wir einen verlässlichen Rahmen für den Ausstieg aus der Kerne- nergie schaffen. Das gilt für alle Bereiche, angefangen von der Endlagersuche bis hin zur Finanzierung des Aus- stiegs. Manchmal habe ich den Eindruck, bei den Grünen geht es demgegenüber darum, RWE, Eon und EnBW ka- putt zu machen. Das wollen wir nicht. Denn bei mir auf dem Land würde man dazu sagen: Man sollte die Kuh nicht schlachten, die man noch melken will. Die Finanzierung des Kernenergieausstiegs muss im Gesamtpaket gelöst werden. Zum Gesamtpaket gehören der Stresstest, die Arbeit der Rückstellungskommission sowie das Nachhaftungsgesetz. Diese Punkte müssen ge- meinsam entschieden werden. In einem ersten Schritte haben wir im Stresstest die Rückstellungen der Unternehmen geprüft. Das Gutach- ten eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers hat gezeigt: Die betroffenen Unternehmen haben die notwendigen Rückstellungen vollständig gebildet. Der zweite Schritt ist jetzt, dass die Rückstellungs- kommission Empfehlungen erarbeitet, wie die Sicherung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs langfristig ausgestaltet werden muss. Die Kommission wird die Er- gebnisse bis Anfang nächsten Jahres vorlegen. Mit dabei ist ja auch Jürgen Trittin; damit sollten sie ja dem Ergeb- nis trauen. Der dritte Schritt ist dann die Einleitung gesetzlicher Maßnahmen; dazu gehört das Nachhaftungsgesetz. Der skizzierte Weg macht aus meiner Sicht Sinn. Alles andere wären jetzt Schnellschüsse. Ich will betonen – bevor falsche Schlüsse gezogen werden –: Das Anliegen des Nachhaftungsgesetzes ist nachvollziehbar. Eine Absicherung gegen gesellschafts- rechtliche Veränderungen in den Unternehmen ist richtig. Unternehmen dürfen sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Die Unternehmen sind und bleiben verantwort- lich für den Rückbau der Kernkraftwerke und deren Ent- sorgung. Mit der Einbringung des Gesetzes hat die Bundes- regierung ein wichtiges Signal gesetzt, das auch schon Wirkung gezeigt hat: Eon hat entgegen ursprünglichen Plänen entschieden, die Kernenergiesparte beim Mut- terkonzern zu belassen. Schon allein der Gesetzentwurf zeigt also Wirkung, und die Politik ist kein Zaungast, sondern allein wir bestimmen die Spielregeln. Der Bun- destag hat jetzt ausreichend Zeit, die notwendigen Punkte im Rahmen des Gesamtkontexts zu prüfen und zu lösen. Wir brauchen jetzt etwas Zeit, um das vorliegende Nachhaftungsgesetz genauer zu prüfen. Denn trotz der Kürze des Gesetzes – es hat gerade mal fünf Paragrafen – gibt es aus meiner Sicht zwei elementare Schwachstellen im Gesetz: Die Verfassungskonformität der Ewigkeits- haftung und die Ausweitung der Haftung auf bisher nicht betroffene Körperschaften. Mit dem Nachhaftungsgesetz soll eine gesetzliche Nachhaftung von Konzerngesellschaften für die von ih- nen beherrschten Betreibergesellschaften von Kernkraft- werken eingeführt werden, die auch mit einem Ende des Beherrschungsverhältnisses bestehen bleibt. Die Haftung endet erst zu dem Zeitpunkt, zu dem die ablieferungs- pflichtigen Stoffe vollständig in einem Endlager abgelie- fert wurden und dieses verschlossen ist. Es gibt meiner Einschätzung nach ernsthafte Stim- men, die sagen, dass eine zeitliche und in der Höhe un- begrenzte Nachhaftung verfassungsrechtlich bedenklich ist. Das sollten wir ernst nehmen. Um es an dieser Stelle nochmals deutlich zu sagen, auch die Politik ist in der Pflicht. Wir müssen zeitnah verbindliche und verlässliche Rahmenbedingungen für die Endlagerung schaffen. Ein ewiger Such- und Erkun- dungsprozess der Endlager hilft in der Sache nicht und den können die Unternehmen auch nicht tragen. Deshalb hoffe ich, dass die Endlagerkommission bald zu Ergeb- nissen kommt. Daran arbeiten wir ja alle gemeinsam. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13405 (A) (C) (B) (D) Ich will noch einen zweiten Punkt ansprechen. Mit dem Gesetz werden auch einzelne Landkreise und Län- der in die Verantwortung genommen, die bisher gar nicht in der Haftung standen. Denn im Gesetz wird eine ei- gene Definition von herrschenden Unternehmen vor- genommen, mit der auch Baden-Württemberg und die kommunalen Eigner der EnBW in die Haftung genom- men werden. Diese standen jedoch bisher gar nicht in der Haftung. Die Haftung endet also nicht bei der EnBW, sondern wird direkt auf das Land, sogar auf die Land- kreise ausgedehnt. Solch eine neue Regelung halte ich schlichtweg für nicht umsetzbar. Wir brauchen einen sinnvollen Rahmen für den Kerne- nergieausstieg und keine Schnellschüsse. Deshalb wollen wir jetzt die gebotene Reihenfolge einhalten. Wir wollen die Ergebnisse der Rückstellungskommission abwarten und uns dann des Nachhaftungsgesetzes annehmen. Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Die Bundesregie- rung legt heute einen Gesetzentwurf zur Haftungssiche- rung der Atomkonzerne vor. Damit sollen die Atomkon- zerne daran gehindert werden, sich durch Abspaltungen und Bad-Bank-Konstruktionen aus der Verantwortung und der Finanzierung ihrer radioaktiven Hinterlassen- schaften stehlen zu können. Dieses Gesetz wäre vermut- lich nicht notwendig, hätten diese und frühere Bundesre- gierungen rechtzeitig ihre Hausaufgaben gemacht! Schon seit mehr als einem Jahrzehnt ist klar, dass die bisherigen Regelungen zu den Entsorgungs-Rückstellun- gen unverantwortlich und nur zugunsten der Atomkon- zerne ausgerichtet waren. Sie sind Teil der jahrzehnte- langen staatlichen Begünstigungen, mit denen sich die Bundesrepublik den Ausbau der Atomenergie organi- sierte – auch, damit Deutschland international als Atom- macht auf Abruf mitspielen konnte. Auch für diesen Zweck wurde über Jahrzehnte den Atomkonzernen jeder nur erdenkliche wirtschaftliche Vorteil angedient. Und diese Vorteile haben die Konzerne auch ohne jede Scheu ausgenutzt und Milliardengewinne eingestrichen. Die Kritik an den Regelungen zur Kos- ten-Finanzierung des Atommülls durch die Konzerne ist mehr als zwei Jahrzehnte von allen Bundesregierungen praktisch ignoriert worden. „Kriegskassen“ nannte man die Praxis der Entsor- gungs-Rückstellungen, weil die Atomunternehmen quasi mit einer Hausbank ausgestattet waren. Diese Entsor- gungs-Rückstellungen nutzten die Konzerne für ihre gescheiterten Investitionen seit der Liberalisierung der Strommärkte. Vattenfall kaufte mit den Rückstellungen der damaligen Hamburgischen Electricitäts Werke – HEW – die Berliner BEWAG und die ostdeutsche Braun- kohle! Eon und RWE finanzierten aus dieser Kriegskasse ihre Beutezüge in Ost- und Südeuropa. Jetzt, wo sich bei ihnen wegen dieser Fehlspekulati- onen enorme Schuldenberge aufgebaut haben, wollen sich die Atomkonzerne aus dem Staub machen. Nicht nur Hermann Scheer hat in diesem Haus die Forderungen nach einer grundsätzlichen Neuordnung in Form eines öffentlichen rechtlichen Fonds für die Finanzierung der atomaren Erblasten schon Ende der 1990er-Jahre erho- ben. Man kann es nicht anders sagen: Es ist auch eine Ver- antwortung der damaligen rot-grünen Bundesregierung, die dieses Problem damals nicht angepackt hat und da- mit für das heutige Desaster auch eine Mitverantwortung trägt! Ein solcher Fonds, wäre er rechtszeitig eingerichtet worden, hätte die Gelder aus der Verfügung der Atom- konzerne genommen und damit die Finanzmittel – die heute so sehr gefährdet sind – gesichert. Den entspre- chenden Antrag unserer Fraktion zur Gründung eines solchen Fonds gegen die Bad-Bank-Pläne der Konzerne hat aber die Mehrheit der Großen Koalition im Bundes- tag am 16. Oktober dieses Jahres abgelehnt. Hinzukommt: Der Gesetzentwurf hat erhebliche Män- gel. Das Gesetz soll verhindern, dass Konzernmütter nicht für abgespaltene AKW-Töchter haften. Es funktio- niert aber nicht umgekehrt, wenn die Reaktoren, wie jetzt im Falle Eon, bei der Mutter bleiben, aber große Vermö- genswerte aus dem Konzern ausgegliedert werden, die dann nicht mehr zur Haftung herangezogen werden kön- nen. Am letzten Freitag hat der Bundesrat in seiner Stel- lungnahme zum Nachhaftungsgesetz genau auf dieses Problem hingewiesen: „Der Gesetzentwurf kann nicht verhindern, dass die Energiekonzerne selbst vermögens- los werden, zum Beispiel durch Abspaltung werthaltiger Vermögensbestandteile oder Aktiensplitting.“ Deswegen fordern wir, das Gesetz entsprechend zu verschärfen. Außerdem fordern wir, das Gesetz noch in diesem Jahr zu verabschieden. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich aus unserer Sicht dadurch, dass mindestens einer der Atomkonzerne zum 1. Januar 2016 Schritte unternehmen wird, die Einfluss auf die mit dem Gesetz angestrebte Si- cherung der Nachhaftung der Unternehmen haben. Diese Auffassung wird unterstützt durch das Schrei- ben des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesmi- nisterium für Wirtschaft und Energie, Uwe Beckmeyer, vom gestrigen Tage, in dem die Bundesregierung das Parlament davor warnt, das Gesetz zur Haftung der Stromkonzerne bei den Kosten des Atomausstiegs zu verzögern. Das Gesetz müsse unbedingt spätestens zum 1. Januar 2016 in Kraft treten, andernfalls würden sich für den Bund „erhebliche Risiken“ ergeben. Diese War- nung der Bundesregierung geht in Richtung CDU/CSU, die gestern noch die Verabschiedung des Gesetzes auf die längere Bank schieben wollte. Trotz der bekannten Risiken. Schon die neue Atom-Kommission ist ein Alarmsignal für die Steuerzahler. Ihre Zusammensetzung lässt erah- nen, dass es der Bundesregierung darum geht, den Atom- konzernen Rabatte bei den Kosten für die Atommülllage- rung zuzuschanzen. Nach den Milliardengeschenken bei den Braunkohlekraftwerken wird nun das nächste Steuer- geschenk für die Stromkonzerne vorbereitet. Dass die Bundesregierung eine Kommission einsetzt, in der die Linke nicht einmal vertreten ist, spottet jedem Demokratieverständnis und ist kein Zufall: Mit uns ist Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513406 (A) (C) (B) (D) eine Verlagerung der Kosten für den Atommüll auf die Bürger nicht zu machen! Am Ende des Tages muss klar sein: Die atomare Ze- che müssen diejenigen zahlen, die die wirtschaftlichen Vorteile jahrzehntelang eingefahren haben: Die Atom- konzerne und nicht die Steuerzahler. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir befassen uns heute mit dem Nachhaftungsgesetz. Es regelt die Frage, wer im Falle einer Zahlungsunfähigkeit von Atomkraftwerksbetreibern für die Kosten von Rück- bau ihrer AKW und Endlagerung ihres Atommülls haftet. Diese Regelung ist keine Aufgabe der inzwischen instal- lierten „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK)“. Die Haftungsregelung ist ganz im Gegenteil eine Voraussetzung für die Arbeit der KFK. Denn erst wenn klar ist, dass Konzerne sich nicht durch Umstrukturierungen und Aufspaltungen der umfassenden Haftung für die Kosten von Rückbau und Endlagerung entziehen können – einfach durch Verringe- rung ihres Haftungsvermögen –, erst dann kann auf ehr- licher Basis über die Sicherung der Rückstellungen für diese Aufgaben verhandelt werden. Insofern sind alle Bestrebungen, den Beschluss des „Gesetzes zur Nachhaftung für Rückbau- und Entsor- gungskosten im Kernenergiebereich“ zeitlich hinter die Ergebnisse der KFK zu schieben oder gar in die Ergeb- nisse einfließen zu lassen, ein Spiel mit falschen Karten und werden von uns Grünen nicht akzeptiert. In beiden Fällen – der Nachhaftung wie der Sicherung der Rückstellungen – geht es nichtsdestoweniger um das gleiche Ziel: die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler davor zu schützen, dass die Kosten für das dicke Ende der Atomkraft auf sie abgewälzt werden. Genau das ist das offensichtliche Ziel der Atomkonzerne: möglichst viel der auf sie zukommenden Kosten auf die öffentli- che Hand abzuwälzen. Die Begründungen dafür wer- den derzeit bei jeder Gelegenheit wiederholt: Es sei der Staat gewesen, der den Einstieg in die Atomkraft gewollt habe – also müsse der auch für die Kosten geradestehen. Der Neustart bei der Endlagersuche werde so viel teu- rer, als wenn man Gorleben fertig gebaut hätte – diese Mehrkosten seien schon gar nicht den Energiekonzernen zuzuordnen. Vergessen die Milliarden, die mit den Atom- kraftwerken verdient wurden? Vergessen die immensen Subventionen, mit denen der Staat den Energieversor- gern den Einstieg in die Atomkraft versüßte? Bisher haben die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gezahlt, die Konzerne verdient. Auf dieses gewohnte Muster wol- len die Konzerne nicht verzichten. Dieses Muster wird aber nun eines ohne Wert. Die Vereinbarungen, wer den Rückbau der Atomkraftwerke und die Endlagerung des Atommülls bezahlt, sind nicht neu, sondern schon lange in Gesetzesform gegossen. Gut, wenn der Staat sich hier nicht erpressen und nicht unter Druck setzen lässt. Gut, dass es als ersten Schritt ein Nachhaftungsgesetz geben wird. Bisher haben wir eine Nachhaftung von fünf Jahren. Lächerlich angesichts der Zeiträume für Stillle- gung der AKW, Endlagersuche und Endlagerbetrieb. Und wirkungslos angesichts der Unternehmensaufspaltungen von Eon und Vattenfall oder Kündigungen von Beherr- schungs- und Abführungsverträgen. „Eltern haften für ihre Kinder“ ist ein guter Grundsatz, auch in der Atom- wirtschaft. Allerdings hat Eon auf die Ankündigung des Nachhaftungsgesetzes schnell reagiert und angekündigt, seine Atomsparte nicht in die geplante neue Gesellschaft „Uniper“ auszugliedern, sondern beim Mutterkonzern zu belassen Warum wohl! Weil Kinder für ihre Eltern eben nicht haften. Anders als im wirklichen Leben muss das hier aber sein, und deshalb muss an dieser Stelle im Ge- setzgebungsverfahren nachgearbeitet werden. Wichtig ist – das hat uns Staatssekretär Beckmeyer heute noch mal schriftlich gegeben –, dass das Gesetz noch in die- sem Jahr beschlossen wird, damit es seine Wirkmacht auch auf die für den 1. Januar 2016 angekündigte Auf- spaltung von Eon ausüben kann. Insofern ist es erfreulich, dass die Union ihren hartnä- ckigen Widerstand, die Anhörung zum Gesetz nicht wie geplant noch in diesem Monat, sondern erst im nächsten Jahr durchzuführen, aufgegeben hat. Das heißt hoffent- lich, dass die Abgeordneten von CDU und CSU auch be- reit sind, die zweite und dritte Lesung des Nachhaftungs- gesetzes noch in diesem Jahr durchzuführen. Sie werden sich – so hoffe ich – nicht vorwerfen lassen wollen, dass sie Komplize der Konzerne statt Anwalt der Steuerzahle- rinnen und Steuerzahler sind. Uwe Beckmeyer, Parl . Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Energie: Nach den Ereignis- sen in Fukushima im Jahr 2011 hat der Gesetzgeber den schrittweisen Ausstieg aus der nuklearen Stromerzeugung in Deutschland beschlossen. Bis zum Jahr 2022 werden die derzeit acht noch im Leistungsbetrieb befindlichen Kernkraftwerke vom Netz gehen. Sie müssen dann still- gelegt und zurückgebaut werden. Die radioaktiven Ab- fälle müssen verpackt, zwischengelagert und in Endlager verbracht werden. Dies wird hohe Kosten verursachen. Diese Kosten müssen die Betreiber der Kernkraftwerke tragen. Das ergibt sich aus dem Atomgesetz und ist der Kern des atomrechtlichen Verursacherprinzips. Dieses Verursacherprinzip ist nicht neu. Es steht schon immer im Atomgesetz. Neu ist hingegen die Situation, die durch den Ausstiegsbeschluss entstanden ist. Für die Betreiber bedeutet die seit dem Jahr 2011 geltende Rechtslage, dass einerseits die Einnahmen aus dem Be- trieb der Kernkraftwerke wegfallen und anderseits die Rückbau- und Entsorgungskosten nun unmittelbar anste- hen. Um die öffentlichen Haushalte vor fremdverursachten Risiken zu schützen und dem Verursacherprinzip auch langfristig zur Anwendung zu verhelfen, hat die Bundes- regierung mit dem „Gesetz zur Nachhaftung für Rück- bau- und Entsorgungskosten im Kernenergiebereich“ ein Gesetzesvorhaben beschlossen, das bestehende Rechts- lücken schließen soll. Ich möchte Ihnen kurz erläutern, worin wir diese Re- gelungslücke sehen: Gegenwärtig sind die Betreiber von Kernkraftwerken in Konzerne eingegliedert. Aufgrund von vertraglichen Vereinbarungen sind die herrschenden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13407 (A) (C) (B) (D) Konzerngesellschaften verpflichtet, für Verbindlichkei- ten der Betreiber einzustehen. Aber diese Verträge können in der Zukunft geändert und die Konzerne neu strukturiert werden. Nach jetziger Rechtslage besteht in der Regel eine befristete Nachhaf- tung der Konzerne für die Verpflichtungen der Kernkraft- werksbetreiber – und zwar für einen Zeitraum von fünf Jahren. Diese Frist halten wir für zu kurz, weil die Entsor- gungsverpflichtungen voraussichtlich erst im Verlauf der nächsten Jahrzehnte anstehen werden. Wir schlagen da- her mit dem Entwurf eines „Gesetzes zur Nachhaftung für Rückbau- und Entsorgungskosten im Kernenergiebe- reich“ eine Sonderregelung speziell für diesen Bereich vor. Statt einer allgemeinen Nachhaftung von fünf Jahren soll nun eine den spezifischen Verhältnissen beim Rück- bau von Kernkraftwerken und der nuklearen Entsorgung angemessene Befristung gelten. Wir möchten sie für die- sen Bereich erheblich erweitern und bis zum Verschluss eines zukünftigen Endlagers erstrecken. Es geht also um die gesetzliche Absicherung einer Konzernhaftung für den nuklearen Entsorgungsbereich. Ich möchte aber auch klar aufzeigen, was wir mit dem Gesetz nicht bezwecken. Das sind vor allem zwei Dinge: Erstens ändert das Gesetzesvorhaben nichts an den ei- gentlichen atomrechtlichen Verpflichtungen. Der Gesetz- entwurf beschränkt sich auf eine Regelung zur Sicherung der Finanzierung. Zweitens ändern wir nichts an der unternehmerischen Freiheit der Energieversorgungsunternehmen, sich durch gestalterische Maßnahmen weiter zu entwickeln. Eine Vermögenssicherung dergestalt, dass konkrete Vermö- gensgegenstände für eine Haftung der Entsorgungsver- bindlichkeiten zugeordnet werden, bezweckt das Geset- zesvorhaben nicht. Dieses Gesetzesvorhaben ist zeitkritisch. Wir wollen erreichen, dass es noch in diesem Jahr in Kraft tritt, da- mit wir nicht noch auf den letzten Metern von betroffe- nen Konzernen vor vollendete Tatsachen gestellt und mit Rückwirkungsfragen konfrontiert werden. Der Bundes- rat hat diese Eilbedürftigkeit bei der Terminierung seiner Beratungen berücksichtigt. Wenn wir es hier im Bundes- tag genauso halten und umgehend in die Ausschussbera- tungen einsteigen, ist ein rechtzeitiges Inkrafttreten vor Ende dieses Jahres erreichbar. Für weitergehende Fragen und eine umfassende Überprüfung der Finanzierung der nuklearen Entsor- gungslasten hat die Bundesregierung die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieaus- stiegs – kurz: KFK – eingesetzt. Sie soll bis Frühjahr nächsten Jahres hierzu Empfehlungen entwickeln. Einige von Ihnen sind ja Mitglieder der Kommission und wer- den zu ihrem Gelingen beitragen. Ich glaube, dass wir mit dem Gesetzentwurf zur Kon- zernnachhaftung einen wichtigen ersten Schritt zur Si- cherstellung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs setzen. Er ist – ich will es noch einmal betonen – eilbe- dürftig. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulstatistikgesetzes (Tagesordnungs- punkt 25) Katrin Albsteiger (CDU/CSU): Statistik wird als die Lehre von Methoden zum Umgang mit quantitativen Informationen definiert. Im Allgemeinen also eine sehr trockene und von den meisten unterschätzte Materie. Aber die Hochschulstatistik ist für die verschiedenen Bildungs- und Forschungsinstitutionen eine enorm wich- tige Arbeitsgrundlage. Auch für uns politische Entschei- dungsträger sind die erhobenen Kennzahlen eine sehr wichtige Informationsquelle, um die jeweilige politische Lage besser beurteilen zu können. Den großen Stellen- wert, den die Hochschulstatistik genießt, zeigt sich da- ran, dass der Ausschuss für die Hochschulstatistik dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung regelmäßig einen detaillierten Bericht über den Sachstand der Datenlage liefert. Die Grundlage dieses Berichts ist das Gesetz, über das wir heute sprechen und das wir als Große Koalition no- vellieren wollen. Der 15. Bericht des Ausschusses für die Hochschulstatistik mahnte ebenfalls an, dass Änderun- gen im Gesetz notwendig seien, weil die Bereitstellung von steuerungsrelevanten Informationen für die Hoch- schulpolitik, die Hochschulplanung und Hochschulver- waltung vor dem Hintergrund des Wandels in den Uni- versitäten auch in Zukunft sichergestellt werden muss. Dieser Wandel war und ist ja tatsächlich enorm. Der Reformprozess – nach Beginn des Bologna-Pro- zesses und der damit einhergehenden Einführung der ge- stuften Studiengänge – hat sich rasant entwickelt und ist bereits weit vorangeschritten. Das Hochschulstatistikge- setz in der jetzigen Fassung kann aber die jetzige Situati- on an den deutschen Hochschulen nicht mehr genügend abbilden. Insbesondere Daten zu Übergängen zwischen dem Bachelor- und Masterstudium sowie über den Stu- dienerfolg und den Studienabbruch werden als Grundla- ge für die ressourcenschonende Planung von Kapazitäten sowie für Steuerungsaufgaben im Hochschulbereich be- nötigt. Durch die Verlängerung des Hochschulpaktes bis 2023 wird sich der Bund mit zusätzlich mit 9,9 Milliar- den Euro beteiligen. Bei dieser richtigen, aber auch sehr großen finanziellen Beteiligung des Bundes muss sich diese Investition aber auch auszahlen. Wir wünschen uns wenige Studienabbrecher; das heißt, das Geld sollte auch zielgenau investiert werden. Ob all die Instrumente und eingesetzten Mittel wirksam sind, werden uns die Daten, Fakten und Hintergrundinformationen künftig besser sa- gen können. Auch bei vielen anderen Programmen, bei denen wir uns als Bund engagieren, wie beispielsweise der Exzel- lenzinitiative oder dem Qualitätspakt für Forschung und Lehre, müssen wir wissen, ob die Beteiligung des Bundes trägt. Das novellierte Hochschulstatistikgesetz wird uns Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513408 (A) (C) (B) (D) dabei eine sehr gute Arbeitsgrundlage sein. Schließlich wird auch die Qualifikationsphase nach dem Hochschul- abschluss nach erfolgreicher Novellierung abgebildet. Erstmals wird eine Verlaufsstatistik vom ersten Hoch- schulsemester bis zum Studienabschluss einschließlich der Promotionsphase eingeführt. Dabei wird ein Ver- schlüsselungsverfahren verwendet, das mit datenschutz- rechtlichen Anforderungen vereinbar ist. Die Einführung dieser Promovierendenstatistik ist neben der Novellie- rung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und dem Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nach- wuchses ein wichtiger Baustein, der uns helfen wird, in Zukunft die Verbesserung der Situation des wissen- schaftlichen Nachwuchses voranzutreiben. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der uns vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung zu be- grüßen ist. Erstens verfügt die Wissenschaftspolitik nun über eine verbesserte Datenlage zu Übergängen zwi- schen dem Bachelor- und Masterstudium sowie über den Studienerfolg und den Studienabbruch. Wir haben somit erstmals Informationen über den Ablauf eines Studiums, sowie eines Fach- oder Hochschulwechsels. Zweitens wird mit der Novelle eine Promovierendenstatistik ein- geführt. Dieser bisherige Graubereich kann jetzt sehr ge- nau abgebildet werden. Die Novellierung des Hochschulstatistikgesetzes fügt sich daher uneingeschränkt in die guten Maßnahmen die- ser Regierung im Bereich Bildung und Forschung ein. Oliver Kaczmarek (SPD): Seit der Bologna-Reform und der Einführung von Bachelor- und Masterstudien- gängen vor über zehn Jahren haben sich Studienverläufe stark gewandelt. Zunehmende Autonomie der Hochschu- len, Diversifizierung der Studierendenschaft, neue Auf- gabenfelder der Hochschulen wie Weiterbildung schaf- fen Bedarf für mehr und bessere Informationen zum Studienverlauf. Die bestehende Hochschulstatistik erfasst diese neuen Herausforderungen noch nicht ausreichend. Wir können uns aber bei wichtigen hochschulpolitischen Entschei- dungen nicht allein auf repräsentative Befragungen oder Forschungsprojekte berufen. Die amtliche Statistik muss für die modernen Anforderungen fit gemacht werden. Sie ist ein unverzichtbarer Datenpool, der Aufschluss über die Situation an den Hochschulen liefert und für die Poli- tik unverzichtbares Steuerungswissen bereitstellt. Auf diesem Weg haben wir als Politik nicht nur Ent- scheidungsgrundlagen, sondern werden auch von Zeit zu Zeit über die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnah- men informiert. Hochschulstatistik ist deshalb weder Ni- schen- noch Spezialistenthema. Hochschulstatistik liefert neben den normativen bildungspolitischen Vorstellungen ein empirisches Grundgerüst für die Weiterentwicklung der Hochschulpolitik! Derzeit wissen wir noch zu wenig über die Auswir- kungen der Veränderungen an den Hochschulen. So wis- sen wir beispielsweise lediglich, dass im vergangenen Jahr 28 von Hundert Bachelorstudierenden ihr Studium abgebrochen haben. Unklar bleibt, ob sie tatsächlich die Hochschule verlassen oder etwa das Studienfach ge- wechselt haben. Diese Wissenslücken wollen wir schlie- ßen. Zugleich müssen wir die Statistik anpassen, um un- sere Lieferpflichten gegenüber der EU für internationale Statistiken erfüllen zu können. Hier setzt die Novelle des Hochschulstatistikgesetzes an. Lassen Sie mich wesentliche Verbesserungen in den drei Haupt-Themenbereichen skizzieren: Erstens wird es künftig eine Verlaufsstatistik vom ersten Hochschulsemester bis zum Studienabschluss ge- ben. Die Hochschulen werden in jedem Semester Infor- mationen über Fachwechsel, Abbrüche und Übergänge zwischen Bachelor- und Masterstudium semesterweise statistisch erfassen. Dabei werden die Daten aller Studie- renden individuell erfasst, aber so sicher verschlüsselt, dass damit die Datenschutzvorgaben sicher eingehalten werden können. Wir erhalten damit erstmals belastbare Daten zur Abbildung von Studienabbrüchen und zum Studienerfolg, aber auch zu internationaler Mobilität und Wanderungsbewegungen der Studierenden. Der zweite Bereich betrifft die Erfassung des wissen- schaftlichen Nachwuchses. Hier ist die Datenlage bislang dürftig. Dies soll sich ändern durch eine neue Promovie- rendenstatistik. Die erfassten Daten werden aber leider nur einen Teil der Promovierenden abbilden können – eine lückenlose Erfassung kann nicht gewährleistet wer- den. Ursächlich hierfür ist die mangelhafte verbindliche Regelung für die Meldung von Promovierenden. Wün- schenswert wäre deshalb die Schaffung eines eigenen hochschulrechtlichen Status für Promovierende, der eine kontinuierliche Meldung der Promovierenden beinhaltet. Das liegt jedoch in Länderzuständigkeit und kann des- halb nicht durch das Hochschulstatistikgesetz geliefert werden. An dritter Stelle steht die Aufnahme sozialer Merk- male in den Datenkatalog – selbstverständlich so wie alle erhobenen Daten vollständig anonymisiert. Daten zur Bildungsherkunft etwa werden bislang nicht erfasst, können aber dazu beitragen, das zielgruppenspezifische Angebot an den Hochschulen zu verbessern. Dadurch werden bewährte Erhebungen wie etwa die Sozialerhe- bung des Deutschen Studentenwerkes nicht ersetzt, aber es wird eine zusätzliche solide Datenbasis geschaffen, die auch für wissenschaftliche Zwecke hilfreich sein kann. Mit den durch die Novelle des Hochschulstatistik- gesetzes gewonnenen, zusätzlichen Informationen sind Steuerungsinstrumente von Politik, Hochschulen und Verwaltung gezielter einsetzbar – und an die Bedürfnis- se der Studierenden anpassbar. Die Weiterentwicklung ist somit ein richtiger und konsequenter Schritt, der die notwendige Voraussetzung schafft zur Verbesserung von Lehre und Forschung. An dieser Stelle gilt deshalb schon einmal der Dank denjenigen Statistikexperten aus dem Bund und den Ländern, die die Novelle in detaillierter Vorarbeit vorbereitet haben. Wir können diese sehr gute Vorlage im Gesetzgebungsverfahren gut verwerten und damit schon bald für mehr Transparenz hochschulpoliti- scher Entscheidungen sorgen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13409 (A) (C) (B) (D) Martin Rabanus (SPD): Eine verlässliche und objek- tive Hochschulstatistik ist nach meiner Auffassung eine unverzichtbare Basis für bildungspolitische Entschei- dungen. Wegen der föderalen Struktur unseres Staates gilt dies umso mehr, da die Entscheidungsträger in Bund und Ländern für ihre Beratungen und Entscheidungen auf neutral und objektiv erhobene Daten angewiesen sind. Bevor ich zu den aus meiner Sicht wichtigsten Aspek- ten des Gesetzentwurfs komme, möchte ich aber auch Danke sagen. Mein Dank gilt den Kolleginnen und Kol- legen in den Hochschulen, den statistischen Landesäm- tern und im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden, die mit großer Sorgfalt und viel Engagement in der Sache die Hochschulstatistik erstellen und uns eine wichtige Grundlage für unsere Arbeit liefern. Und ich danke all denjenigen, die bei der Entwicklung des Gesetzentwurfs mitgewirkt haben, denn er enthält tatsächlich entschei- dende Verbesserungen. In der Vergangenheit haben wir immer wieder festge- stellt, dass die Hochschulstatistik nicht ausreicht, nicht alle Daten bereithält, die wir benötigen. Dies betrifft aus meiner Sicht in erster Linie die Studienverlaufsstatis- tik, die wir mit diesem Gesetzentwurf einführen wollen. Denn bisher wissen wir nicht viel über die Bewegungen der Studierenden im Hochschulsystem. Ist jeder gezählte Studienabbruch tatsächlich ein Abbruch, der schnell als ein Scheitern im System gewertet wird? Oder ist es „nur“ ein Fach- oder ein Ortswechsel? Das können wir in Zukunft präzise nachzeichnen. Wir erhalten die Informationen über Fachwechsel, Abbrüche und Übergänge vom Bachelor zum Master sowie vom Master zur Promotion. Und wir können feststellen, bei welcher Hochschule welche Ausprägungen in besonde- rer Weise stattfinden. Das liefert auch den Hochschulen eine hervorragende Datenlage, auf der sie eigene Evalu- ierungsprozesse aufsetzen können. Die Studienverlaufs- statistik wird uns viele wertvolle Erkenntnisse liefern. Zwei Punkte aus dem Gesetzentwurf möchte ich noch hervorheben: Erstens werden wir eine Promovierendenstatistik auf- nehmen. Auch das ist neu, auch ist es ein echter Gewinn an Erkenntnis, auch wenn es vor allem auf Anforderun- gen der Europäischen Union zurückzuführen ist. Aber natürlich ist es gerade für die strategische Steuerung unserer Bemühungen um den wissenschaftlichen Nach- wuchs hilfreich – ich nenne beispielhaft die Förderung von Frauen in der Wissenschaft und das Stichwort In- ternationalisierung – hier zukünftig auf eine gesicherte Datenbasis zurückgreifen zu können. Zum Zweiten weise ich auch auf die Schaffung der zentralen Auswertungsdatenbank hin. Denn natürlich sind die Daten nicht Selbstzweck, sondern müssen ver- nünftig recherchierbar und vor allem aggregierbar sein, sonst sind Erkenntnisse daraus nicht möglich. Und der Zugriff auf die und der Umgang mit den Daten muss na- türlich auch unseren hohen Anforderungen an den Daten- schutz genügen. Das letztere ist aus Sicht der SPD-Bun- destagsfraktion unabdingbar. Mit diesen und anderen Fragen werden uns aber sicher auch im parlamentarischen Verfahren noch beschäftigen, und darauf freue ich mich. Nicole Gohlke (DIE LINKE): Wir diskutieren heute die von der Bundesregierung geplanten Änderungen im Hochschulstatistikgesetz. In der Begründung des Gesetz- entwurfs heißt es: „Die Hochschullandschaft hat sich seit der Einführung der gestuften Studiengänge grundlegend verändert und kann mit dem geltenden Hochschulsta- tistikgesetz nicht mehr hinreichend abgebildet werden. Insbesondere Daten zwischen dem Bachelor- und dem Masterstudium werden als Grundlage für die Planung von Kapazitäten im Hochschulbereich benötigt.“ Zu dieser Erkenntnis muss man der Bundesregierung ja wirklich gratulieren – ganze 16 Jahre nach der Ein- führung der Bologna-Reform. Angesichts dessen hätte die Forderung nach einer Veränderung im Hochschul- statistikgesetz wohl schon etwas früher kommen müs- sen. Insgesamt hört es sich so an, als mache es sich die Bundesregierung mal wieder leicht und das fehlende Da- tenmaterial für den seit Jahren anhaltenden Mangel an Studienplätzen verantwortlich. Wenn sie nur das richtige Datenmaterial zur Verfügung gehabt hätte, dann wären ausreichend Studienkapazitäten an den Hochschulen geschaffen worden und dann gäbe es auch ausreichend Masterstudienplätze? Dem kann ich nur entgegenhalten: Die Aussetzung der Wehrpflicht und die doppelten Abiturjahrgänge wa- ren auch ohne die Veränderungen in der Hochschulsta- tistik absehbar und planbar – dass dem so ungenügend begegnet wurde, ist schlicht politisches Versagen. Die erhöhte Studierneigung wäre aber auch mit den Mitteln der Hochschulstatistik nicht vorhersehbar gewesen, denn auch eine Statistik für die aktuell Studierenden lässt ei- nen nicht in die Zukunft schauen. Dies sollten Sie zumin- dest einmal bedenken, bevor Sie sich jetzt so beherzt an die Änderungen der Hochschulstatistik machen. Und ich frage mich: Wenn bereits jetzt erhobene Daten nicht zu politischer Aktivität führen, warum müssen wir dann noch mehr erheben? Bereits jetzt wird zum Beispiel immer wieder festgestellt, dass die soziale Selektivität im hiesigen Hochschulsystem enorm ist. Doch diesen Er- kenntnissen folgten doch bislang kaum Taten. Ich frage mich wirklich, warum noch mehr Daten erhoben werden sollen, wenn schon die vorhandenen nicht genutzt wer- den. Daten alleine bringen keine Lösung der Probleme! Insgesamt suggeriert der Gesetzentwurf, die beste- henden Probleme in den Bereichen Internationalisierung, Mobilität, Studienverlauf, Beschäftigungsverhältnisse, Heterogenität der Studierendenschaft, Diversität, etc. lösen zu können. Ich sage Ihnen eines: Wenn die Hoch- schulen endlich bedarfsgerecht ausfinanziert wären, müssten viele der Daten, die Sie jetzt neu in das Hoch- schulstatistikgesetz aufnehmen wollen, gar nicht erst er- hoben werden. Das wäre doch mal ein Handlungsansatz! Des Weiteren gewähren die vorgesehenen Maßnah- men zu Anonymisierung und Pseudonymisierung in dem Gesetzentwurf aus unserer Sicht nicht das notwendige Maß an Datenschutz der einzelnen Personen. Zukünftig Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513410 (A) (C) (B) (D) soll es nicht nur den einzelnen Hochschulen ermöglicht werden, persönliche Profile von ihren Studierenden zu erstellen, sondern ebenso Bund und Ländern – und dann sogar von allen Studierenden in Deutschland. Und zu guter Letzt wird immer wieder argumentiert, dass man die Hochschulstatistik an die erforderlichen Daten von Eurostat anpassen müsse. Nach meinem Kenntnisstand müsste man lediglich einen Punkt zur Mo- bilität von Studierenden in der bisherigen Hochschulsta- tistik ersetzen, um dies zu erfüllen. Alle anderen Anfor- derungen wären mit der bisherigen Erhebung von Daten bereits lieferbar. Daten hin oder her, letztendlich kommt es auf den po- litischen Willen an, Probleme frühzeitig und mit adäqua- ten Mitteln entgegenzuwirken. Anhand verschiedener Beispiele zum Beispiel beim Zulassungschaos zeigt sich allerdings, dass die Bundesregierung offenbar gar nicht an der Lösung dieser Probleme interessiert ist. Mit dem Hochschulstatistikgesetz wird eine Schaufensterpolitik betrieben, um Problembewusstsein und Handlungsfähig- keit vorzutäuschen. Diese Sammelwut an Daten ist mit der Linken nicht machbar. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zur Geisterstunde beraten wir heute den Regierungsentwurf für eine Novelle des Hochschulstatistikgesetzes. Ich freue mich, dass die Regierung endlich ihre Änderungs- vorschläge zur Debatte stellt. Denn es ist schon zweiein- halb Jahre her, dass der Ausschuss für Hochschulstatistik klargemacht hat, an welchen Stellen und wie die Hoch- schulstatistik verbessert werden muss, um für politische Entscheidungen eine bessere Datengrundlage bereitzu- stellen. Wir teilen das Ziel des Gesetzes, Politik und Verwal- tung – also Parlamenten und Ministerien –, genauere Da- ten bereitzustellen, um die dynamische Entwicklung der Hochschullandschaft und die Wirkung von politischen Entscheidungen abbilden zu können. Zahlreiche Verän- derungen gab es in den letzten Jahren, aber bei vielen Fragen scheitert die Antwort an fehlenden Daten: Wie hat sich die Bologna-Reform ausgewirkt, zum Beispiel der Übergang vom Bachelor-Studium in den Master? Wie haben und müssen sich Lehrkapazität und Lehrinhalte entwickeln, wenn es mehr Studierende der ersten Gene- ration gibt oder auch mehr mit beruflicher Qualifikation? Nicht zuletzt haben sich auch die Lieferverpflichtungen gegenüber Eurostat – dem statistischen Amt der Europä- ischen Union – verändert. Dem trägt die Novelle Rech- nung. Mit ihr dürfte sich arbeiten lassen. Wir begrüßen die Einführung einer Studienverlaufs- statistik. Diese haben wir politisch mehrmals eingefor- dert. Sie beseitigt unter anderen eine große Wissenslü- cke – die über den Studienabbruch. Bisher gab es keine Chance, einen echten Abbruch zu unterscheiden vom bloßen Wechsel des Studienfachs oder des Studienortes. Die Studienverlaufsstatistik ermöglicht das. Auch kön- nen damit endlich auch die gestuften Studiengänge Ba- chelor/Master und die Promotionsphase erfasst werden. Wir begrüßen auch, dass mehr Informationen über die Hochschulleitungen erfasst werden, damit das Monito- ring zur Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft besser stattfinden kann. Außerdem begrüßen wir ausdrücklich, dass der Migrationshintergrund nun besser erfasst werden kann. Durch das Erhebungsmerkmal „weitere Staatsangehö- rigkeit“ werden vor allem junge Menschen, die aufgrund des „Optionsmodells“ mit ihrem 23. Geburtstag eine Entscheidung treffen müssen, besser erfasst. Doppel- staatlichkeit wird damit von der gesellschaftlichen Wirk- lichkeit endlich auch zur statistisch abbildbaren Größe. Bisher ist es so: Vor dem Stichtag werden sie als al- lein „deutsch“ geführt. Nach dem Stichtag, wenn sie sich für die andere Staatsbürgerschaft entscheiden, als allein „ausländisch“. Dieser spurenlose Wechsel macht ihre „Bildungssozialisation“ unkenntlich. Die bevorstehende Aufnahme des Erhebungsmerkmals „weitere Staatsange- hörigkeit“ in der Hochschulstatistik ist aus bildungspoli- tischer Perspektive zwingend notwendig, damit sichtbar wird, ob wir die angestrebte hohe Bildungsbeteiligung aller gesellschaftlichen Schichten tatsächlich erreichen. Nicht zuletzt ist ebenfalls erfreulich, dass laut Gesetz- entwurf für die Statistik die ohnehin von den Hochschu- len erfassten Verwaltungsdaten genutzt werden können. Das wäre eine Verbesserung in doppelter Hinsicht: Für mehr Daten ist nicht mehr Bürokratie nötig, weil diese Daten schon erfasst worden sind. Und wenn sie nur noch übertragen werden müssen, stehen sie sicher schneller zur Verfügung. Zurzeit diskutieren wir die Reform des Wissenschafts- zeitvertragsgesetzes. Wir hoffen, dass das Erweitern des Merkmalskatalogs zum wissenschaftlichen Personal und das Aufnehmen aller Promovierenden dazu führen, dass wir alle ein noch besseres Bild über die Situation des wis- senschaftlichen Nachwuchses bekommen. Dies leistet auch die geplante Erfassung der „Art der Qualifizierungs- position“. Damit können die unterschiedlichen Karrie- rewege und -verläufe des wissenschaftlichen Nachwuch- ses abgebildet und analysiert werden. So werden die seit den rot-grünen Reformen Anfang der 2000er-Jahre differenzierten Qualifikations- bzw. Karrierewege von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern wie etwa die Juniorprofessur und die Nachwuchsgrup- penleitungen in der Statistik etabliert. Trotz dieser vielen sinnvollen Änderungen muss auch diese Gesetzesnovelle einem kritischen Blick unterzogen werden. Mit den Ländern diskutiert die Bundesregierung derzeit noch über die zentrale Auswertungsdatenbank. Es ist gut, dass das Gesetz die notwendige rechtliche Grund- lage schafft für eine zentrale Auswertungsdatenbank. Denn die kann und soll die flexible und zeitnahe Erstel- lung von Standard- und Sonderauswertungen sichern. Allerdings haben die Länder im Bundesrat diese Re- gelung mehrheitlich kritisiert: Aus ihrer Sicht muss die zentrale Auswertungsdatenbank nicht zwingend beim Statistischen Bundesamt angesiedelt sein. Stattdessen sollen darüber nach geübter Praxis die Statistikämter entscheiden und das per Verwaltungsvereinbarung festle- gen. Das sollten wir diskutieren, denn es gibt Argumente Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13411 (A) (C) (B) (D) dafür. Die Statistikämter haben unterschiedliche Schwer- punktkompetenzen, sodass durchaus fachliche Gründe bestehen können, warum ein Landesamt für die Hoch- schuldaten zuständig sein sollte. Warum ausgerechnet die Bundesregierung so darauf pocht, dass die zentrale Auswertungsdatenbank beim Statistischen Bundesamt angesiedelt sein muss, über- rascht ein wenig. Denn die Regierung und allen voran Bundesbildungsministerin Wanka waren in der Vergan- genheit nie müde zu betonen, dass die Hochschulen Län- derangelegenheit seien. Vielleicht ist über die Debatte zur Erarbeitung der Hochschulstatistikgesetz-Novelle die Einsicht gewach- sen, dass der Bund eine stärkere Rolle bei der Weiter- entwicklung von Hochschulen spielen sollte. Wir unter- stützen gerne dabei, die richtigen Schlüsse aus neuem Steuerungswissen zu ziehen. Nur Daten an Eurostat zu übermitteln, wäre nicht unser Verständnis einer aktiven Wissenschaftspolitik. Stefan Müller, Parl . Staatssekretär bei der Bundes- ministerin für Bildung und Forschung: Politik muss sich immer wieder neu an den Bedarfen der Gesellschaft ori- entieren – das gilt für alle Bereiche und besonders auch für Deutschlands Rolle als Wissenschaftsstandort. Die Hochschulen stehen vielfältigen Herausforderun- gen gegenüber: Die Bologna-Reform hat die Studiengän- ge grundlegend reformiert. Mit dem Hochschulpakt und der Exzellenzinitiative haben wir neue und erfolgreiche Instrumente geschaffen. Eine evidenzbasierte Wissen- schaftspolitik ist dabei selbstverständlich geworden. Da- für brauchen wir zuverlässige Daten auf der Grundlage des Hochschulstatistikgesetzes. Dieses Gesetz wurde vor 25 Jahren zum letzten Mal wesentlich geändert. Die Folge liegt auf der Hand: Das Gesetz kann heute seiner Aufgabe nicht mehr gerecht werden. Wir wissen zum Beispiel nicht, wie hoch genau die Zahl der Studienabbrecher ist, wie die Übergänge vom Bachelor- zum Masterstudium aussehen, wie sich die Auslandsmobilität der Studierenden entwickelt, wie viele Promovierende es an den Hochschulen gibt und welche Qualifizierungswege der wissenschaftliche Nachwuchs einschlägt. Die dazu regelmäßig veröffentlichten Daten stammen aus gesonderten Studien und sind von daher unvollstän- dig und nur schwer miteinander vergleichbar. Dies wird mit dieser Novelle anders. Darüber hinaus bestehen Lie- ferverpflichtungen nach EU-Recht, für die wir eine nati- onale gesetzliche Grundlage brauchen. Bundes- und Ländervertreter haben vor diesem Hin- tergrund gemeinsam mit Vertretern von Hochschulen und Verbänden im Ausschuss für die Hochschulstatistik Vorschläge für die Novellierung des Hochschulstatistik- gesetzes erarbeitet. Diese Vorschläge waren die Basis für den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung. Vier wesentliche Elemente der Änderung sind: Erstens. Die Einführung einer Studienverlaufssta- tistik. Erstmalig erhalten wir damit Informationen über den genauen Ablauf des Studiums, über Fach- und Hoch- schulwechsel. Die Übergänge vom Bachelor zum Master sowie zur Promotion können dargestellt werden. Studi- enabbrüche und Studienerfolge werden umfassend und vor allem zeitnah abgebildet. Zweitens. An dieser Stelle will ich einen sensiblen Punkt ansprechen, auf den die Datenschützer zu Recht immer wieder hingewiesen haben: Um Studienverläufe genau beschreiben zu können, ist es notwendig, perso- nenbezogene Daten miteinander zu verknüpfen. In enger Zusammenarbeit mit der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit fiel daher die Entscheidung für ein Verschlüsselungsverfahren, das den hohen datenschutzrechtlichen Anforderungen Stand hält. Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Drittens: Wichtiges Ziel der Hochschulpolitik ist, dass die Studierenden international mobiler werden. Die Hochschulstatistik erfasst künftig auch die Auslandsmo- bilität besser als bisher. Viertens: Zentrales Anliegen der Bundesregierung ist, die Bedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu verbessern. Deshalb soll eine Promovierenden-Sta- tistik eingeführt werden. Merkmale wie beispielsweise Bildungsabschlüsse und Vorqualifikationen bei der Erst- berufung zur Professur erlauben künftig Analysen von Qualifizierungs- und Karrierewegen. Dies sind unver- zichtbare Informationen, wenn wir eventuell bestehende Hürden im wissenschaftlichen Werdegang beseitigen und den Übergang an den Schnittstellen der Wissenschafts- karriere optimieren wollen. Fünftens. Wir sind verpflichtet, Daten an Eurostat zu liefern. Sechstens. Nicht nur für die staatlichen und privaten Hochschulen, auch für die Berufsakademien müssen nach der EU-Verordnung Daten geliefert werden. Hierfür schaffen wir jetzt die gesetzliche Grundlage. Mit der Novellierung wird darüber hinaus die rechtli- che Basis geschaffen, ein zentrales Auswertungssystem aufzubauen. So können die sehr umfangreichen Daten aus der Hochschulstatistik noch umfassender, schneller, flexibler und kostengünstiger genutzt werden. Bei all diesen Überlegungen war uns wichtig, die Ar- beitsbelastung für die Datenlieferanten in Grenzen zu halten. Daher konzentrieren wir uns überwiegend auf Verwaltungsdaten, die den Hochschulen bereits vorlie- gen, und streichen die Personalstellenstatistik und die Gasthörerstatistik. Ich denke, dies ist in jeder Hinsicht eine ausgewogene Gesetzvorlage, die allen Interessen entgegenkommt. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsge- sellschaftsgesetzes (Tagesordnungspunkt 26) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513412 (A) (C) (B) (D) Reinhold Sendker (CDU/CSU): In der Haushalts- bewirtschaftung unserer Verkehrsprojekte hat sich in den letzten Jahren Bemerkenswertes getan: In 2011 die Einführung des Finanzkreislaufes Straße, im Ergebnis mit deutlich mehr Transparenz und folglich mit mehr Akzeptanz. In dieser Wahlperiode nun die Herstellung der Überjährigkeit, nun der Wendepunkt zum Investiti- onshochlauf, und schließlich die Stärkung der Nutzerfi- nanzierung durch unsere Koalition. Das sind ganz her- ausragende Botschaften für unsere Verkehrsanlagen in Deutschland! Im Übrigen eine starke Momentaufnahme zur Halbzeit unserer Koalition, und liebe Kolleginnen und Kollegen in den Koalitionsfraktionen: Diese Erfolge hätten doch schon längst auch den Beifall der Opposition verdient! Nun kommt ein weiterer Baustein hinzu: nämlich die Komplettbewirtschaftung aller Mittel des Bundesfern- straßenausbaus durch die Verkehrsinfrastrukturfinan- zierungsgesellschaft (VIFG). Das heißt Bau, Erhalt und Betrieb der Bundesfernstraßen sollen zukünftig über das Finanzmanagementsystem der VIFG – bewirtschaftet werden. Unsere VIFG ist ja schon einige Jahre sehr er- folgreich und vor allem kompetent in der Abwicklung der Straßeninvestitionsprojekte unterwegs, sprich in der Bewirtschaftung der LKW-Maut. Insgesamt hat der Bund im Jahr 2014 rund 5,5 Milli- arden Euro in die Bundesfernstraßen investiert. Davon wurden 3,4 Milliarden Euro über die VIFG abgewickelt. Beteiligte des Systems sind alle Bundesländer sowie die Projektgesellschaft Deutsche Einheit. Das Finanzma- nagement der VIFG ermöglicht nun auch für die Gesamt- betrachtung tagesaktuelle Berichte der Mittelverwendung und weitere Infos über unseren Verkehrsinvest mit Blick auf ihre die Auswertungsmöglichkeiten: je Maßnahme, je Bundesland, je Amt, je Kreditor, für diverse Zeiträume, und dergleichen mehr. Das ist die Transparenz, die wir uns wünschen, das ist zukunftsfähige Verkehrspolitik für unser Land. Gegenwärtig bestehen noch zwei Abrechnungssys- teme: Ein Teil der Mittel wird über die VIFG abgewi- ckelt, die restlichen Mittel werden bekanntlich über das HKR-Verfahren des Bundes bewirtschaftet. Dieses Ne- beneinander der Systeme wollen wir nun im Ergebnis mit deutlich mehr Transparenz auflösen. Die Finanzie- rung und Bewirtschaftung der Bundesfernstraßen wird ab 2016 also konsistent und vollständig innerhalb eines Bewirtschaftungssystems ausgewiesen. Mit dem Haus- halt 2016 weisen wir daher im Einzelplan 12 nicht mehr die Maut- und Steuermittel getrennt aus, sondern in ei- nem gemeinsamen Titel. Und mit der Komplettbewirtschaftung durch die VIFG können ferner der Politik, dem Bund und den Auf- tragsverwaltungen der Länder Daten für unterschiedliche Informationsbedürfnisse bereitgestellt werden. Regie- rung und Parlament erhalten zukünftig weitere Optionen, auch vermehrt betriebswirtschaftliche Elemente nutzen zu können. Grundlage dafür ist das Finanzmanagement der VIFG, das auf einer betriebswirtschaftlichen SAP Software basiert. Ein echter Fortschritt also! Die Option betriebswirtschaftlicher Betrachtungen, das ist ja auch das, was Sie wollen, liebe Kollegin Willms. Dann gehen wir doch gemeinsam diesen Weg! Wenn wir schon nicht beim Thema ÖPP zusammen- kommen, dann eben hier bei der VIFG! Im Ergebnis bringt das neue System nicht nur mehr Information und Controlling. Das ist alles in allem ein deutliches Plus an Haushaltswahrheit und -klarheit, also eine Stärkung des Parlaments, und die lassen Sie uns heute gemeinsam be- schließen! Nach meinem Wissenstand befindet sich die VIFG nach einigen Testläufen auch in der Lage, die Verände- rungen schnell umzusetzen. Man rechnet wohl bei der Durchführung des „Zahlungsverkehrs Bundesfernstra- ßen“ über das neue System für das kommende Jahr mit rund 500 000 Buchungen. Im Vergleich zu 2015 verzehn- facht sich damit die Gesamtzahl der Geschäftsvorfälle. Diese gewaltige Erhöhung erklärt sich auch durch die Übernahme der Betriebsdienste. Exakt dafür benötigt die VIFG lediglich drei zusätzliche Vollzeitkräfte. Diese ex- zellente Vorbereitung und das erhöhte Aufgabenvolumen schultert die VIFG mit nur wenig mehr an Personal und ich denke genau das verdient an dieser Stelle auch einmal Dank und Anerkennung! Und noch ein Positivum: Denn der Bund wird zu- künftig auch seine Verantwortung für die Finanzierung der Straßenbaulast und Fachaufsicht gegenüber den Auf- tragsverwaltungen umfassender wahrnehmen können. Der hier häufig zitierte Bundesrechnungshof fordert ja schon länger dazu auf, eine umfassendere Fachaufsicht auszuüben. Dem kommen wir nun ausdrücklich nach. Und auch die Arbeitsebene der Länder steht dem Entwurf durchaus positiv gegenüber. So zum Beispiel kann man eine Entlastung bei der Erstellung der Verwen- dungsnachweise erwarten. Fast alle Landesbauverwal- tungen sind doch bei zu wenig Fachpersonal teils völlig überlastet. Und es ist richtig: Für unsere Bauverwaltun- gen ergibt sich durch das neue System zunächst auch noch ein Umstellungsaufwand, mittel- und langfristig aber eine deutliche Entlastung. Also ohne Zweifel ein Kraftakt für alle Beteiligten, aber er lohnt sich auch für alle. Mehr Transparenz im Bundeshaushalt, das ist unser aller Anliegen. Mit diesem Gesetzentwurf erweisen wir diesem Ziel einen großen Dienst. Deshalb bitte ich Sie alle um Ihre Zustimmung hier und heute in zweiter und dritter Lesung. Wie lautet doch das Logo der VIFG: „Wir bahnen Wege!“. Und für diese neuen Wege stellen wir heute die Ampel auf grünes Licht. Sebastian Hartmann (SPD): Die Verabschiedung des VIFG-Änderungsgesetzes ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer transparenten, nachvollziehbaren In- frastrukturfinanzierung im Bundesstraßenbau. Gemäß dem Beschluss des Haushaltsausschusses Ende 2014 werden ab dem Haushaltsjahr 2016 im Kapitel 12 die einzelnen Straßenbautitel umorganisiert, sodass aus den bisher getrennt behandelten Titeln für ÖPP-Projekte und solchen in Durchführung der öffentlichen Hand ein gemeinsamer Titel 1201 geworden ist. Damit in Zukunft Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 13413 (A) (C) (B) (D) Verwaltung und Controlling beider Finanzierungssyste- me im selben Finanzmanagementsystem zusammenge- führt werden können, verabschieden wir dieses Gesetz. Das FMS der VIFG leistet genau dies: Es schafft eine gemeinsame Basis zur Vergleichbarkeit der Zahlungs- ströme im konventionellen wie im ÖPP-Straßenbau, und es verschafft dem Parlament dabei entscheidende Vortei- le bezüglich der Nachvollziehbarkeit und der politischen Steuerungsgewalt für den Straßenbau des Bundes. Vergleichbarkeit von konventioneller Beschaffung von Infrastruktur und ÖPP ist hier das Stichwort: Wir greifen bislang vor einer Projektentscheidung auf die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zurück, doch dies ist ja eine Prognoseentscheidung. Der dafür benötigte Da- tenraum wird durch die heutige Entscheidung für dieses Gesetz deutlich verbessert. Stellen wir in Zukunft die Va- rianten auch im Zahlungsstrom und damit unter realen Bedingungen nebeneinander! Die Auftragsverwaltungen der Länder haben bei der Vorbereitung des Software-Einsatzes der VIFG große Flexibilität bewiesen. Wenn am 1. Januar die Umstellung vom bisherigen HKR-System zur Datenerfassung im FMS der VIFG beginnt, hat vorher eine intensive Ein- arbeitung dafür gesorgt, dass der Übergang geräuschlos und sauber vollzogen werden kann. Die VIFG hat die Auftragsverwaltungen der Bundesländer hier individuell betreut und eventuell drohende Inkompatibilitäten oder Schnittstellenprobleme vollständig ausgeräumt. Alle Straßenbauverwaltungen der Länder werden zur Bedie- nung des Systems in der Lage sein, und auf der anderen Seite auch umgehend davon profitieren, dass sie Auswer- tungen ihrer Daten inklusive aller Zahlungsströme ta- gesaktuell für jede einzelne und die Gesamtmenge ihrer Baumaßnahmen vornehmen können. Auch die Opposition scheint mittlerweile zu der Über- zeugung gelangt zu sein, dass diese Änderung sinnvoll und nötig ist. Man kann sich darüber hinaus durchaus offen zeigen für eine Erweiterung des FMS für die An- lagenbuchhaltung, wie es die Grünen fordern, muss sich aber natürlich darüber im Klaren sein, dass dafür eine weitergehende Gesetzesänderung benötigt würde. Dass es sich hier insgesamt um ein mustergültiges Beispiel für Bürokratieabbau handelt, wie Sie es im Ausschuss bejubelt haben, geht an der Sache zwar vorbei, liebe Frau Kollegin Wilms, aber über die Bewertung von An- lagevermögen der Bundesfernstraßen können wir bei Gelegenheit sicher gern reden. Wir werden uns dieser Aufgabe ohnehin bei der Fortentwicklung der Wegekos- tenrechnung zu widmen haben. Dort ist der richtige Platz und auch Zeitpunkt. Sabine Leidig (DIE LINKE): Die Bundesregierung beabsichtigt, mit dem „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungs- gesetzes“ der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell- schaft (VIFG) weitere Aufgaben und Zuständigkeiten zu übertragen. Im Zentrum steht dabei, dass die VIFG neben den Einnahmen aus der Lkw-Maut zukünftig auch die im Bundeshaushalt veranschlagten Mittel für Neubau, Aus- bau, Erhaltung, Betrieb und Unterhaltung von Bundes- fernstraßen verwalten und verteilen soll. Ich habe nichts gegen ein einheitliches Finanzmanage- mentsystem für alle Bundesfernstraßen. Ich habe aber etwas dagegen, dass dies eine Gesellschaft übernehmen soll, die sich als Kompetenzzentrum für ÖPP bezeichnet. Deshalb freue ich mich auch sehr darüber, dass der Bun- desrat ähnliche Bedenken hat wie wir. Denn – Sie können das leugnen, solange sie wollen – dieses Gesetz ist ein weiterer Schritt hin zu einer Bundes- fernstraßengesellschaft. Ein erster großer Schritt war der sogenannte „Finanzierungskreislauf Straße“, weswegen seit 2011 aus den Mauteinnahmen nur noch Straßenbau finanziert wird. 2016 nun folgt ein weiterer Schritt mit der einheitlichen – schon mal ausgelagerten – Mittelver- waltung. Vorbild aller Überlegungen für eine solche Gesell- schaft ist die österreichische ASFINAG. Dabei gibt es aber einen entscheidenden Unterschied. Die ASFINAG macht kein ÖPP, sie lehnt es soagr rundheraus ab. Es gab ein einziges derartiges Projekt bei der ASFINAG – und das reichte dieser. Die VIFG hingegen verwaltet nur die Mauteinnahmen – und ist ansonsten eben „Kompetenz- zentrum“ für ÖPP. Deswegen wird die VIFG niemals zur deutschen ASFINAG werden, sondern eine Gesellschaft, die nur dem Zweck dient, privates Kapital für den Stra- ßenbau zu mobilisieren. Alle, die davon reden, die VIFG zur ASFINAG aus- zubauen, würden den Bock zum Gärtner machen. Das sollten sich vor allem die Grünen zu Herzen nehmen, die ÖPP verhindern, aber die VIFG umbauen wollen. Beides zusammen geht nicht! Die VIFG, hochbezahlter Versor- gungsposten für altgediente Beamte des BMVI, sollte man sofort abwickeln. Wir lehnen PPP konsequent ab, weil das Ganze am Ende erheblich teurer wird als die konventionelle Be- schaffung. Dies hat der Bundesrechnungshof mehrmals sehr deutlich nachgewiesen. Ja, die Koalition will das nicht hören und behauptet das Gegenteil. Wenn Sie sich so sicher sind: Lassen Sie doch mal nachrechnen, wie teuer 5 durchschnittliche Ausbauprojekte pro Kilometer waren, wie teuer der Betrieb ist etc. und setzen Sie das gegen die Kosten für die Betreibermodelle. Legen Sie uns doch bitte ein Mal einen entsprechend Bericht vor, der in einer Ex-Post-Analyse ganz klar belegt, dass ÖPP günstiger ist. Ich bezweifle sehr, dass Ihnen das gelingen wird. Meine Fraktion beantragt, dass die Planung und Vor- bereitung für eine Bundesfernstraßengesellschaft sofort eingestellt wird. Und wir lehnen die hier vorgelegte Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell- schaftsgesetz deshalb ab. Übrigens – und das finde ich wirklich bemerkenswert – hat auch die CSU-Landtags- fraktion in Bayern gerade in einem Dringlichkeitsantrag eine Fernstraßengesellschaft entschieden abgelehnt. Die Bundesländer wollen eine gründliche Problem- analyse vornehmen und danach Schritte zur Verbesse- rung der Straßenbauverwaltung (Auftragsverwaltung) vorschlagen. Und das ist auch aus unserer Sicht die rich- tige Reihenfolge. Die Ergebnisse der „Kommission Bau und Unterhaltung des Verkehrsnetzes“ liegen im Früh- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 201513414 (A) (C) (B) (D) jahr 2016 vor und bis dahin sollte der Bund jetzt nicht schon Veränderungen an der Struktur beschließen. Wir verlangen stattdessen, dass eine ganz andere Re- form der Straßenbauverwaltung stattfindet. Die muss vor allem bei der Bundesregierung selber ansetzen, die ihrer Aufsicht bislang nicht gerecht wird. Eine effektive Steu- erung des Bundes im Sinne einer prioritären Umsetzung von Straßenprojekten ließe sich dabei durch einfach- oder untergesetzlich umzusetzende Maßnahmen sicherstellen, beispielsweise durch frühzeitige Finanzierungszusagen des Bundes (wie bei Investitionen in die Bundesschie- nenwege), durch mehrjährige Finanzierungspläne für Einzelprojekte oder durch die Erhöhung des Bundesan- teils an den Planungskosten. Darüber hinaus soll nach Vorliegen des Endberichts der von den Bundesländern ins Leben gerufenen Kom- mission „Bau und Unterhaltung des Verkehrsnetzes“ noch in dieser Legislaturperiode gemeinsam mit den Ländern Vorschläge für eine Reform der Auftragsverwal- tung Straße zu erarbeiten und umzusetzen. Dabei müssen die sachkundigen Beschäftigen aus den entsprechenden Bereichen unbedingt einbezogen werden, weil deren Ver- änderungsvorschläge in der Regel aus fundierter Erfah- rung resultieren und der Sache dienen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In den Beratungen ist deutlich geworden: Die einheitliche Abrechnung von Straßenprojekten ist sinnvoll. In den Ausschüssen wurde der Entwurf schließlich ohne Gegen- stimmen bewilligt. Es ist schon sehr viel zu den Vorzü- gen des neuen Abrechnungssystems gesagt worden. Jetzt muss es umgesetzt werden, und zwar zügig. Das alles ist jedoch nur ein klitzekleines Lösungsdetail für eine sehr viel umfassendere Problemlage. Deswegen müssen wir uns die Gesamtsituation ansehen. Wir sind weit von einem effizienten System entfernt. Das Grundprinzip ist: Die Länder planen und bauen, der Bund zahlt. Das ist, als ob man mit der goldenen Kredit- karte eines Freundes einkaufen geht. Der prüft zwar seine Kontoauszüge, schießt aber im Zweifel immer nach. Die Länder können sich darauf verlassen, dass begonnene Projekte immer fertig gebaut werden – oft mit teilweise absurden Kostensteigerungen. Wer sich damit etwas intensiver beschäftigt, dem ist klar: In diesem Finanzierungssystem werden falsche Anreize gesetzt. Es macht Projekte teurer. Es führt dazu, dass Mittel anders verteilt werden als vorgesehen. Schauen wir uns mal genauer an, was wir in diesem Haus machen. Jedes Jahr verbringen wir sehr viel Zeit damit, einen Haushalt zu verabschieden. Wir legen fest, welches Verkehrsprojekt mit welchen Mittel realisiert werden soll. Wirklich interessant ist aber, was das Ver- kehrsministerium aus den Beschlüssen des Bundestages macht: 2014 wurden die Mittel für Schienenprojekte zu einem Viertel nicht ausgegeben. Bei den Wasserstraßen sieht es kaum besser aus: Hier wurden 185 Millionen Euro nicht verbaut. Noch krasser steht der Kombinierte Verkehr da. Von 92,7 Millionen Euro wurden nur 17,9 Millionen Euro genutzt – das ist weniger als ein Fünftel. Richtig ärgerlich wird es aber, wenn man sieht, wo das Geld hingeht: Fast alles landet im Straßenbau. Von 2012 bis 2014 wurden hier 1,3 Milliarden Euro mehr ausgege- ben, als von diesem hohen Haus vorgesehen war. Es gibt einen eindeutigen Profiteur: Zu über einem Drittel landen die Mittel in bayrischen Straßen. Besonders dreist ist der Minister selbst: Letztes Jahr hat er sich die teuerste Ortsumgehung Bayerns für sei- nen Wahlkreis genehmigen lassen. Jetzt kommt heraus: Schon vor der Genehmigung wusste er, dass die ganze Sache durch den Tunnel fast 32 Millionen Euro teurer wird! Trotzdem stand im Haushaltsentwurf weiter die alte Summe. Für Herrn Dobrindt ist der Bundeshaushalt offensichtlich nicht viel mehr als eine Art Empfehlung. Dass Sie sich das in der Koalition gefallen lassen! Dieses Beispiel macht deutlich: Die Finanzierung von Verkehrsprojekten muss reformiert werden. Es kann nicht sein, dass manche Länder mit ihren Straßenverwal- tungen sich besonders auf die Fehler im System ausge- richtet haben. Ein richtiger Schritt ist jetzt der Auftrag der Landes- verkehrsminister, eine eigene Kommission unter Herrn Bodewig zu beauftragen. Eine gründliche Analyse ist die Voraussetzung für eine dauerhafte Lösung der Probleme. Das sehen die Kolleginnen und Kollegen der Linken lei- der anders. Sie haben schon vor der Analyse eine Lösung – und lehnen eine Fernstraßengesellschaft rundweg ab. So machen Sie eben Politik: Besitzstandwahrung statt einen unbefangenen Blick nach vorne. Sie haben immer eine Lösung. Ob die auch zum Problem passt, ist ihnen nicht so wichtig. Man kann eine Fernstraßengesellschaft entweder rich- tig oder falsch machen. Auch die Länder müssen etwas davon haben. Know-how und Synergien dürfen nicht verloren gehen. Wichtig ist: So wie es ist, kann es nicht bleiben. Denn unser Auftrag ist, mit Steuergeldern ver- antwortungsbewusst umzugehen. Trauen wir uns endlich an die notwendigen Änderungen heran. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2015 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 136. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 4 Vereinbarte Debatte: 60 Jahre Bundeswehr TOP 5 Unterstützung von Flüchtlingen TOP 6 Deutscher OSZE-Vorsitz 2016 TOP 33, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 34 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 7 Wahl Vertrauensgremium TOP 8 Wahl Sondergremium gemäß StabMechG TOP 9 Klimakonferenz in Paris TOP 10 Schutz besonders gefährdeter Flüchtlinge TOP 11 Austausch von Informationen über Finanzkonten TOP 12 Menschenwürdiges Existenz-und Teilhabeminimum TOP 13 Aktienrechtsnovelle 2014 TOP 14 Panzerlieferung nach Katar TOP 15 Bundeswehreinsatz in Südsudan (UNMISS) TOP 16 Kontrolle bundesnachrichtendienstlicher Tätigkeit TOP 17 Bundeswehreinsatz in Darfur (UNAMID) TOP 18 Netzneutralität TOP 19 Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz TOP 20 Anerkennung von Kriegsdienstverweigerungen TOP 21 Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie TOP 22, ZP 3 Änderung des SGBXII undweitererVorschriften TOP 23 Änderung des Seearbeitsgesetzes TOP 24 Nachhaftung für Rückbau imKernenergiebereich TOP 25 Änderung des Hochschulstatistikgesetzes TOP 26 Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813600000

Die Sitzung ist eröffnet. Ich darf Sie alle bitten, von

den Plätzen erhoben zu bleiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bun-
destag, unser Land trauert um Helmut Schmidt, der am
vergangenen Dienstag in Hamburg im Alter von 96 Jah-
ren verstorben ist. Wer diese außergewöhnliche Persön-
lichkeit begreifen und würdigen will, muss die Perspek-
tive weiten, auch zeitlich. Gestern haben viele unserer
Nachbarn an das Ende des Ersten Weltkrieges 1918 er-
innert. Um zu erfassen, welche Jahrhundertgestalt mit
Helmut Schmidt von uns gegangen ist, reicht es fast aus,
daran zu erinnern, dass er nur wenige Wochen später –
noch im gleichen Jahr: 1918 – geboren wurde.

Helmut Schmidt war ein Kind der Weimarer Republik.
Er erlebte seine Jugend unterm Hakenkreuz, und ihm selbst
wurde der Zweite Weltkrieg zum Schicksal. Die Bedeu-
tung dieser prägenden Erfahrungen in einem – wie er in der
ihm eigenen, befreienden Deutlichkeit zu sagen pflegte –
„Scheißkrieg“ hat er immer wieder betont. Schmidt kämpf-
te als Soldat in der Sowjetunion, später an der Westfront
und geriet kurzzeitig in britische Kriegsgefangenschaft.

Wir alle wollten damals nicht Altes einreißen – da
gab es gar nichts mehr einzureißen! –,

– erinnerte er sich an den Gestaltungswillen seiner Gene-
ration nach Kriegsende –

sondern wir wollten etwas Neues aufbauen ...

Bereits 1953 saß Helmut Schmidt erstmals im Deut-
schen Bundestag, dem er über drei Jahrzehnte angehör-
te. Schon bald nach seiner ersten Wahl zählte er zu den
profiliertesten Vertretern der jüngeren Generation im
Parlament. Die Militär- und Sicherheitspolitik wurde zu
seinem eigentlichen Metier. Es ist deshalb nicht ohne
Symbolik, dass heute genau vor 60 Jahren die Bundes-
wehr gegründet wurde; wir haben gestern Abend vor dem
Reichstagsgebäude daran erinnert.

Helmut Schmidt war der Armee und den Soldaten in
besonderer Weise verbunden. Als Verteidigungsminis-
ter – der erste Sozialdemokrat in diesem Amt – reformier-
te er 1969 im Kabinett von Willy Brandt die Streitkräfte.

Die Universität der Bundeswehr trägt auch deshalb heute
seinen Namen.

Aufbau und Ausrichtung der Bundeswehr waren auch
nach der Entscheidung zur Wiederbewaffnung weiter
hochumstritten. Schmidt selbst profilierte sich in dieser
Zeit als entschiedener Gegner einer atomaren Bewaff-
nung. Damals entstand das Bild, das die Öffentlichkeit
lange vorrangig mit ihm verband und das erst in seiner
Amtszeit als Minister und Regierungschef und später als
Elder Statesman in den Hintergrund trat: das des scharf-
züngigen Debattenredners. Er war nicht nur ein großer
Redner, sondern vor allem ein leidenschaftlicher und an-
steckender, gelegentlich provozierender Debattierer, wie
aus dem Lehrbuch des Parlamentarismus.

Pathos war seine Sache nicht; er suchte lieber die bis-
sige Pointe, die er meisterlich zu setzen wusste. Seine
Rededuelle mit Ludwig Erhard, Franz Josef Strauß und
später Helmut Kohl, in denen er teils schneidende Atta-
cken ritt, sind unvergessen. Zitat:

Ich bilde mir ein, durch viele Reden – auch im Bun-
destag – eine ganze Menge moralischer und auch
geistiger Pflöcke eingeschlagen zu haben.

So wusste er sich und sein Rednertalent richtig einzu-
schätzen. „Einige von denen haben auch Wirkung er-
zielt“, ergänzte er – und das bestätigen nicht nur die, die
ihn im Hohen Hause noch leibhaftig erlebt haben.

Verbindendes Element zwischen dem leidenschaftli-
chen Streitredner und dem kühlen Analytiker in der Re-
gierungsverantwortung war die Lust daran, argumentativ
zu überzeugen – durch Rede und Widerrede. Schmidt
war, so hat Sigmar Gabriel das anlässlich seines 95. Ge-
burtstages treffend ausgedrückt, eine Autorität, die sich
auf das Argument stützte.

In seiner Amtszeit als Bundeskanzler hatte Helmut
Schmidt große Herausforderungen zu bewältigen:
von der Wirtschaftsrezession der 1970er-Jahre bis zu
Deutschlands Rolle im Kalten Krieg. Klarsichtig und
entschlossen hat er sie gemeistert. Früher als andere hat-
te er die Bedrohung durch neue atomare Mittelstrecken-
waffen der Sowjetunion erkannt und voller Überzeugung
für den NATO-Doppelbeschluss gestritten – wider den






(A) (C)



(B) (D)


Zeitgeist, der damals seinen Ausdruck in einer der größ-
ten Demonstrationen im Deutschland der Nachkriegszeit
fand. Populär war diese Politik nicht – weder in der eige-
nen Partei noch in der Öffentlichkeit.

Unvergessen ist seine Standfestigkeit im sogenannten
Deutschen Herbst. Schmidt sah sich damals vor unaus-
weichliche Entscheidungen gestellt, die er nicht treffen
konnte, ohne Schuld auf sich zu laden, wie er das selber
später bekannt hat. Aber er hat sich nicht weggeduckt.

Wer ihn auf zeitgenössischen Aufnahmen sieht, wer
ihn über diese Wochen und Monate reden hörte, spürt
förmlich die Bürde seines Amtes, kann erahnen, welche
Spuren sie auch bei ihm, dem vermeintlich so kühlen
Pragmatiker, hinterlassen hat. Dank seiner Entschlossen-
heit bestand unsere Republik ihre schwerste Belastungs-
probe, ohne selbst die Freiheit zu gefährden, gegen die
der Terror gerichtet war.

Helmut Schmidt erwarb sich damals hohes Vertrauen
und Ansehen – und das nicht allein in Deutschland, das
ihn als Inbegriff des nüchternen, disziplinierten Hansea-
ten verehrte. In der ganzen Welt genoss Helmut Schmidt
höchste Reputation als Staatsmann, der deutsche Politik
berechenbar gemacht hat, weil sie auf Nüchternheit und
Rationalität, Toleranz und Weltoffenheit beruhte. Die
spontane Würdigung durch den französischen Minister-
präsidenten und die Abgeordneten in der französischen
Nationalversammlung nach Bekanntwerden des Todes
von Helmut Schmidt am vergangenen Dienstag sind ein
eindrucksvoller Beleg dieser persönlichen Wertschät-
zung wie der besonderen Beziehungen zwischen unseren
beiden Ländern, und ich möchte die Gelegenheit gerne
nutzen, mich bei unseren französischen Kolleginnen und
Kollegen dafür ausdrücklich zu bedanken.

Als sich Helmut Schmidt 1986 aus dem Bundestag
verabschiedete, verband er das mit einem eindringlichen
Appell an die Parlamentarier zur „Besinnung auf das
Ethos eines politischen Pragmatismus in moralischer
Absicht“. – Das kann man durchaus auch für eine pas-
sende Orientierung für die aktuelle Flüchtlingskrise hal-
ten. – Das, was wir erreichen, was wir tun wollen, solle
moralisch begründet sein. Der Weg dahin müsse aber re-
alistisch, er dürfe nicht illusionär sein. Und er fügte für
ihn fast untypisch emphatisch hinzu:

Es sollte keiner glauben, dass solch Ethos die po-
litischen Ziele ihres Glanzes beraube oder den po-
litischen Alltag seines Feuers. Die Erreichung des
moralischen Ziels verlangt pragmatisches, vernunft-
gemäßes politisches Handeln, Schritt für Schritt.
Und die Vernunft erlaubt uns zugleich doch auf die-
sem Weg ein unvergleichliches Pathos. Denn keine
Begeisterung sollte größer sein als die nüchterne
Leidenschaft zur praktischen Vernunft.

Dass der Bundestag früher als andere die überragende
Bedeutung dieses Parlamentariers erkannt hatte, kommt
auch in der Souveränität zum Ausdruck, ihm für seine
Abschiedsrede eine alle Proportionen, auch von Regie-
rungserklärungen, sprengende Redezeit von knapp zwei
Stunden zuzubilligen.


(Heiterkeit)


Die Protokolle des Deutschen Bundestages benötigen für
die Aufzeichnung dieser Rede 16 Seiten. Nach zeitge-
nössischen Berichten soll er mit einem Manuskript von
100 Seiten ans Podium gegangen sein.

Hoher moralischer Ernst prägte das Selbstverständnis
dieses herausragenden Politikers. Es ist sein bleibendes
Vermächtnis. Noch in diesem Jahr sagte er von sich in
demonstrativer hanseatischer Bescheidenheit:

Ich bin kein Vorbild. Das ist eine Rolle, die mir nicht
gefällt.

Allerdings mochten ihm allenfalls militante Nichtrau-
cher in dieser Einschätzung folgen.


(Heiterkeit)


Die meisten Menschen faszinierte seine immense Le-
benserfahrung, sie bewunderten seinen scharfen Ver-
stand, nicht zuletzt liebten sie seinen trockenen Humor.
Für viele war er, der in Vorträgen als Autor und Mithe-
rausgeber der Zeit bis zuletzt die politische Debatte und
Kontroverse suchte, mit seiner Meinung ein unverzicht-
barer Kompass.

Helmut Schmidt war Politiker, Publizist und Patriot.
Als Parlamentarier, als Bundesminister und vor allem als
Bundeskanzler hat er sich auf herausragende Weise um
Deutschland verdient gemacht. Wir verneigen uns vor
einem der bedeutendsten politischen und intellektuellen
Köpfe unseres Landes.

Unsere Gedanken sind bei seiner Familie, seinen
Freunden und Weggefährten.

Vielen Dank.


(Die Anwesenden nehmen Platz)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie auf
die interfraktionelle Vereinbarung aufmerksam machen,
die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste auf-
geführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Haltung der Bundesregierung zur Statusfrage
syrischer Flüchtlinge und zur Einschränkung
des Familiennachzuges


(siehe 135. Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-
fahren


(Ergänzung zu TOP 33)


Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris
Wagner, Agnieszka Brugger, Dr. Tobias Lindner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Radargeschädigte der Bundeswehr und der
ehemaligen NVA zügig entschädigen

Drucksache 18/6649
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Keine Anrechnung von NVA-Verletztenrente
auf Grundsicherung im Alter

Drucksachen 18/3170, 18/5278

Darüber hinaus mache ich noch auf eine nachträg-
liche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatz-
punkteliste aufmerksam:

Der am 16. Oktober 2015 (131. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (18. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen
werden:

Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moderni-

(Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG)


Drucksache 18/6281
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen ein-
verstanden sind. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann
ist das so beschlossen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 4:

Vereinbarte Debatte

60 Jahre Bundeswehr

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Auch dazu
gibt es offensichtlich Einvernehmen. Dann verfahren wir
so.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1813600100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wir ge-
denken heute des ehemaligen Bundeskanzlers und frü-
heren Verteidigungsministers Helmut Schmidt – gerade
am 60. Jahrestag der Bundeswehr, ein besonderes Ereig-
nis. Mit dem gestrigen Großen Zapfenstreich vor dem

Reichstag, zwei beeindruckenden Reden des Herrn Bun-
destagspräsidenten und der Frau Verteidigungsministerin
sowie der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag fei-
ern wir dieses Jubiläum. 60 Jahre Bundeswehr sind eine
Erfolgsgeschichte für Deutschland. Die Bundeswehr ist
der Garant für Sicherheit unseres Landes und Ausdruck
von Stabilität und Souveränität.

Dass die Bundeswehr 1955 gegründet worden ist,
war keine Selbstverständlichkeit. Die Aufstellung einer
neuen Armee, nur zehn Jahre nach Ende der Gewaltherr-
schaft des Nationalsozialismus: Wie viel Überzeugungs-
arbeit war für diese neue wehrhafte Streitkraft wohl
notwendig? Welch eine Weitsicht der damaligen Ent-
scheidungsträger, wie es Konrad Adenauer war. Welch
ein Vertrauensbeweis der alliierten Kräfte, die Bundes-
wehr als vollwertiges Mitglied der NATO aufzunehmen.
Vertrauen und Verantwortung waren die zwei Pfeiler ei-
ner neuen Sicherheitsstruktur.

Das Vertrauen war gerechtfertigt. Die Verantwortung
wurde angenommen. Mit der Ergänzung des Grundgeset-
zes um den Artikel 87 a hieß es ab sofort: „Der Bund stellt
Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Das war nur ein kur-
zer Satz im Grundgesetz, aber mit einer großen Wirkung
für Deutschland. Mit der Festlegung auf eine allgemeine
Wehrpflicht und der Konzeption der Inneren Führung
wurde ein Selbstverständnis geschaffen, wonach jeder
Soldat seinem Gewissen verpflichtet und für sein Han-
deln selbst verantwortlich ist. Unter Berücksichtigung
der Erfahrungen des Widerstandes gegen ein Unrechts-
regime und der daraus erwachsenden Verantwortung war
der innere Geist der Bundeswehr gesetzt: das Leitbild des
Staatsbürgers in Uniform. Welch eine Bereicherung für
unser Land!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundeswehr entwickelte sich zu einer Armee der
Landesverteidigung. Mit einer Stärke von 495 000 Sol-
daten sowie 1,2 Millionen Reservisten galt die Bundes-
wehr im Rahmen der Bündnisverteidigung als ein unver-
zichtbarer NATO-Partner. Sie sicherte uns allen somit
Frieden und Freiheit in der spannungsreichen Zeit des
Kalten Krieges.

Meine Damen und Herren, nach dem Ende des
Ost-West-Konfliktes und dem Fall der Mauer übernahm
die Bundeswehr eine wichtige Rolle im Einigungspro-
zess, als sie mit der Aufnahme von 90 000 Soldaten der
ehemaligen Nationalen Volksarmee dem Einigungspro-
zess wahrnehmbar ein Gesicht gab. Welch eine Leistung
aller Beteiligten, aus zwei verschiedenen Vergangenhei-
ten eine gemeinsame Zukunft zu schaffen, eine Armee
der Einheit in einem vereinten Deutschland. Für diese
friedliche Revolution und für diese Integrationsleistung
unserer Bundeswehr können wir alle nur dankbar sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Das wiedervereinigte Deutschland wurde in der
Welt als machtvoller wahrgenommen und von Nach-
barn durchaus auch mit Skepsis betrachtet. Hier galt es

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


einmal mehr, Vertrauen zu stiften. Deutschland hielt in
seiner Außen- und Sicherheitspolitik an den Werten des
Grundgesetzes fest, zeigte sich den Bündnispartnern eng
verpflichtet und schuf somit das notwendige Vertrauen.

Nicht nur, dass man uns traute: Man traute uns auch
mehr zu und forderte uns mehr ab. Seit 1992 beteiligt
sich die Bundeswehr regelmäßig an Einsätzen zur Frie-
denssicherung und Konfliktbewältigung. Deutschland
nimmt diese internationale Verantwortung durch die
Wahrnehmung mandatierter Auslandseinsätze wahr:
mandatiert durch den Deutschen Bundestag, nie alleine,
sondern immer im Verbund mit Partnern, nie im Interesse
einer expansiven Machtpolitik, sondern für mehr Stabi-
lität und Frieden in der Welt. Dabei geht es auch immer
um die Sicherheit unseres Landes. Deswegen hatte mein
zu früh verstorbener Wahlkreiskollege, der frühere Ver-
teidigungsminister Dr. Struck, recht, als er einst sagte:
Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch
verteidigt.

Militärisch allein wird kein Konflikt im 21. Jahrhun-
dert – in einer globalisierten Welt, in der Finanz- und
Warenströme eng miteinander verwoben sind – zu lösen
sein. Nur im vernetzten Ansatz von Diplomatie, wirt-
schaftlicher Entwicklung und auch militärischer Absi-
cherung, so wie es der damalige Verteidigungsminister
Dr. Franz Josef Jung im Weißbuch 2006 entwickelt hat,
können wir heutzutage Konflikte eindämmen und befrie-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Und doch kommt das Unvorhergesehene immer un-
vorhergesehener. Die sicherheitspolitische Entwicklung
im Rahmen eines wachsenden internationalen Terroris-
mus, asymmetrischer Bedrohungslagen, einer hybri-
den Kriegsführung, zerfallender Staaten und weltweiter
Armut und Umweltkatastrophen lässt heutzutage Kon-
fliktsituationen entstehen, die sich nicht mehr mit der Lo-
gik der Abschreckung lösen lassen. Die Konfliktursachen
sind komplexer und Frontverläufe oft weniger klar, aber
dafür dynamischer.

Diese Erkenntnis erforderte eine komplette Neuaus-
richtung der Bundeswehr unter der Leitung des damali-
gen Verteidigungsministers Dr. Thomas de Maizière.


(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Unsere Bundeswehr sollte flexibel, verlegbar, kampffä-
hig und durchhaltefähig ihren Auftrag erfüllen können.
Denn, meine Damen und Herren, es gibt keine Freiheit
ohne Sicherheit, und für diese Sicherheit brauchen wir
unsere Bundeswehr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Soldaten und zivile Mitarbeiter leisten einen unver-
zichtbaren Dienst für unser Land. „Wir. Dienen. Deutsch-
land.“: Diese Maxime ist ihr Bekenntnis. Ob Vogelgrip-
pe, ICE-Unglück, Schnee- oder Hochwassereinsatz oder
wie jetzt der Einsatz der Bundeswehr zur Bewältigung
der Flüchtlingssituation: Es sind die Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr, denen wir jedes Mal zutrauen,

schwierigste Aufgaben auch im Inland zu lösen. Vor al-
lem sind sie es, die bereit sind, unter Einsatz ihres Lebens
in Krisen- und Kriegsgebieten fernab der Heimat für die
Sicherheit unseres Landes einzustehen. Dafür sage ich
ihnen als Abgeordneter des Deutschen Bundestages aus
fester Verbundenheit mit ihnen und ihren Familien mei-
nen herzlichen Dank. Stellvertretend geht dieser Dank an
den Generalinspekteur der Bundeswehr, Herrn General
Volker Wieker.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Sie dürfen für ihren Einsatz aber auch – ganz im Sinne
einer Parlamentsarmee – die volle Rückendeckung des
Parlamentes erwarten. Das Parlament hat ihnen hierfür
die notwendige Fürsorge und die notwendigen Mittel zur
Verfügung zu stellen. Viele gesetzliche Maßnahmen tra-
gen zur Absicherung von Risiken bei. Vor allem denken
wir heute an diejenigen, die im Dienst für unser Land ihr
Leben ließen oder an Leib und Seele verwundet wurden.

Meine Damen und Herren, die Verbesserung der Bun-
deswehr ist ein dauerhafter Prozess. Die Bereitstellung
von modernem Material zu Lande, zu Wasser und zur See
muss weiter verbessert werden. Die finanziellen Mittel
müssen an den Aufträgen orientiert und dynamisch an die
jeweilige Sicherheitslage angepasst werden.

Die Cyberabwehr muss weiter forciert werden. Si-
cherheitspolitik 4.0 muss vorangebracht werden. Die Si-
cherheit unseres Landes hat einen Preis. Den müssen wir
zu zahlen bereit sein.

Ich danke daher Ihnen, Frau Bundesverteidigungsmi-
nisterin, dass Sie mit dem Attraktivitätssteigerungsge-
setz, der Prozessverbesserung, der konsequenten Moder-
nisierung der Ausrüstung und nicht zuletzt der Erstellung
eines neuen Weißbuches die notwendigen Entscheidun-
gen engagiert getroffen haben, auch um immer wieder
junge Menschen, Frauen wie Männer, für den Dienst in
der Bundeswehr zu begeistern. Denn genau diese Bür-
gerinnen und Bürger unserer Gesellschaft brauchen wir
als mutige Fürsprecher für und tapfere Verteidiger von
Frieden und Freiheit.

60 Jahre Bundeswehr – eine Erfolgsgeschichte. Herz-
lichen Glückwunsch, Deutschland!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813600200

Wolfgang Gehrcke erhält nun das Wort für die Frakti-

on Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813600300

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Auch die Fraktion Die Linke gedenkt Helmut Schmidt.
Ich kenne ihn seit 1961 und habe ihn in Hamburg ken-
nengelernt. Wir waren selten einer gemeinsamen Auffas-

Henning Otte






(A) (C)



(B) (D)


sung. In seinen letzten Jahren waren wir allerdings zu-
nehmend mehr einer Meinung,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, na! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sind Sie klüger geworden?)


gerade in der Russland-Politik. Ich finde, gerade wenn
man Helmut Schmidt gedenkt, sollte man die Art und
Weise, sich kritisch auseinanderzusetzen, kultivieren.
Das konnte Schmidt, und das hat er immer durchgehal-
ten. Deswegen möchte ich Ihnen das Gegenprogramm in
meiner Rede zu 60 Jahren Bundeswehr vorstellen.

Von den 60 Jahren, die die Bundeswehr existiert,
habe ich 55 Jahre gegen sie gekämpft, zunächst in der
„Ohne mich“-Bewegung zusammen mit einer ganzen
Reihe Sozialdemokraten, in der Bewegung „Kampf dem
Atomtod“, auf den Ostermärschen, mit Blockaden von
Militärstandorten, mit antimilitaristischer Arbeit unter
Wehrpflichtigen und Soldaten sowie Kriegsdienstver-
weigerern sowie auch im Widerstand gegen die Kriege in
Vietnam, Jugoslawien, im Irak oder in Afghanistan. Ich
finde es fast symptomatisch, dass genau zu der heutigen
Debatte das Versprechen, dass die Bundeswehr aus Af-
gha nistan abgezogen wird, aufgekündigt wurde. Lug und
Trug gehörten immer zur Politik der Rechtfertigung der
Bundeswehr.

Bis heute sage ich laut und deutlich Nein zu Militaris-
mus und Krieg. Für die Sicherheit des Landes brauchen
wir keine Bundeswehr. Ich bin davon überzeugt, dass der
Zeitpunkt kommen wird, wo dieses Land keine Armee
mehr hat und keine Bundeswehr mehr braucht. Dieser
Zeitpunkt wird kommen, und er wird das Land positiv
verändern.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Von Franz Josef Strauß ist aus dem Bundestagswahl-
kampf 1949


(Unruhe bei der CDU/CSU)


– ich zitiere Strauß; das müssen Sie doch ertragen kön-
nen – das geflügelte Wort überliefert: „Wer noch einmal
ein Gewehr in die Hand nimmt, dem soll die Hand ab-
fallen.“ Er hat später seine Aussage so interpretiert, dass
„jedem Staatsmann, der zum Gewehr greift, um damit
seine politischen Ziele durchzusetzen“, die Hand ab-
fallen soll. Strauß hat verstanden, dass das Gewehr des
Staatsmannes die Armee ist. Ich mache Strauß nicht zum
Pazifisten.


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Das geht auch gar nicht!)


– Das geht auch gar nicht; das weiß ich.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Auf Strauß brauchen Sie sich nicht zu berufen, Herr Gehrcke! Man sollte Strauß nicht aus dem Zusammenhang zitieren!)


Ich will Sie nur daran erinnern, dass es auch in Deutsch-
land einmal einen anderen Zeitgeist gegeben hat.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will Ihnen begründen, mit welchen Fragen man
sich heutzutage im Zusammenhang mit der Bundeswehr
auseinandersetzen muss.

Als Erstes stellt sich für mich die Frage: Wollen wir
mit der NATO so weitermachen? Ich bin überzeugt:
Ebenso überflüssig wie die Bundeswehr ist die deutsche
Mitgliedschaft in der NATO.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)


Ich suche nach einem Weg, wie Deutschland aus der
NATO herauskommt. Wie wir hineingekommen sind,
wissen wir ja. Die Chance, die NATO aufzulösen und
nicht mehr auf Militärbündnisse zu setzen, gab es, als der
Warschauer Pakt aufgelöst wurde. Wir haben sie nicht er-
griffen – ein großer Fehler!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Wolfgang Hellmich [SPD]: Gott sei Dank nicht!)


Meine zweite Überlegung ist: Jede Waffe findet ihren
Krieg. Diese Erfahrung haben wir doch gemacht. Arme-
en streben nach immer perfekteren Waffen. In Büchel
lagern US-amerikanische Atombomben. Ministerin von
der Leyen will die Drohnenrüstung. Doch ein Blick auf
die Konflikte dieser Welt zeigt: Waffen bringen keine
Sicherheit. Wir müssen raus aus der Spirale der Gewalt
und der Spirale der Waffen. Das ist eigentlich die große
kulturelle Aufgabe, die wir haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin drittens überzeugt davon: Wer sich eine Armee
leistet, bekommt den militärisch-industriellen Komplex.
Die modernen Waffenschmieden sind nicht mehr einzelne
Fabriken, sie bilden vielmehr zusammen den militärisch-in-
dustriellen Komplex, der sich nicht nur die Forschung un-
terordnet, sondern der zunehmend auch seinen Einfluss in
der Politik ausübt. Auch das müssen wir beenden.

Ich bin viertens überzeugt davon, dass Rüstung
Unsummen kostet, an der Rüstung aber auch Unsum-
men verdient werden. Auch das muss gestoppt werden.
Wäre es nicht ein Zeichen dieses Bundestages, wenn
wir in den Haushaltsberatungen den Wehretat gründlich
zusammenstreichen würden und das Geld, das wir dort
einsparen, für die Flüchtlinge einsetzten? Ja zur Hilfe für
Flüchtlinge, aber Nein zur Rüstung – das wäre doch ein
Signal, das von diesem Land ausgehen kann.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Jäger 90 wieder!)


Vor 60 Jahren hieß es von meiner Seite: Ohne mich! –
Heute sagen immer mehr Menschen in unserem Land:
Ohne uns! – Die Bundeswehr erlebt wieder so viel Wider-
spruch, dass man sehr hoffnungsvoll sein kann, dass wir
ein Land ohne Armee erreichen werden. Das ist, worüber
wir heute debattieren sollten. Lassen Sie sich auf den Mei-
nungsstreit ein. Immer nur Ja zu sagen, bringt doch nichts.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)


Wolfgang Gehrcke






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813600400

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Rainer

Arnold das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1813600500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Eine wichtige staatliche Institution hat gestern und heu-
te ihren 60. Geburtstag gefeiert. Die Bilder vom gestri-
gen Abend hatten und haben eine hohe Symbolkraft: der
Große Zapfenstreich vor dem deutschen Parlament. Ich
denke, auch Demokratien brauchen Zeichen und Symbo-
le. Ich kann das so gelassen sagen, weil wir wissen: So-
wohl die Bundeswehr als auch die deutsche Gesellschaft
bergen nirgendwo das Risiko in sich, dass wir zu einer
Überhöhung und zu einer Heroisierung der Streitkräfte
kommen.

Zu diesen Symbolen gehören auch dieses Gedenken
und das Erinnern. Wir denken in dieser Stunde auch an
die Soldaten, die im Einsatz ihr Leben verloren haben,
und deren Familien, deren Leid und Schicksal. Es ist gut,
dass es Erinnerungsstätten gibt, in Potsdam und beim
Bendlerblock. Ich wünsche mir allerdings auch, Herr
Präsident, dass es gelingt, dass auch hier, wo die Ent-
scheidungen getroffen werden, eine Stätte der Erinne-
rung eingerichtet wird.

Der Beginn der Bundeswehr war ein schwieriger,
insbesondere für Sozialdemokraten. Es waren kontro-
verse, turbulente Debatten über die Wiederbewaffnung.
Das hatte auch etwas damit zu tun, dass viele der ers-
ten Offiziere und Unteroffiziere eben aus der Wehrmacht
rekrutiert wurden und die NS-Zeit, Angriffskriege, eine
furchtbare Niederlage und der Neubeginn natürlich diese
Debatten mit geprägt haben.

Deshalb wurde die Bundeswehr vom ersten Tag an als
Parlamentsarmee konzipiert. Die Erfahrung der Kriege
war: Es gilt das Primat der Politik, Regierung und Deut-
scher Bundestag, und nicht der Generalstab trifft politi-
sche Entscheidungen. Dazu gibt es ein nettes Zitat des
Abgeordneten Bausch, der im Verteidigungsausschuss
1954 sagte:

Wir sind uns einig, dass die Kontrolle des Parla-
ments und der Regierung über das Militär einwand-
frei sichergestellt werden soll. Frage ist: Wie krie-
gen wir das hin?

Sehr verehrte Zuhörer, ich denke, nach 60 Jahren kön-
nen wir heute mit Fug und Recht sagen: Wir haben das
auf vorbildliche Art und Weise hingekriegt, auch inner-
halb des Bündnisses der NATO.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gab immer wieder Menschen, die geglaubt haben,
eine Parlamentsarmee passe nur zu Friedenszeiten und
zu einer Übungsarmee. Nein, gerade bei der Armee im
Einsatz hat sich in den letzten Jahren besonders gezeigt,
wie wertvoll diese parlamentarischen Entscheidungen
und Debatten sind. Wir sind sehr froh, dass das Bundes-

verfassungsgericht im Jahre 1994 diesen Parlamentsvor-
behalt im Grunde genommen zementiert hat. Dies heißt
auch: Die Bundeswehr als Parlamentsarmee ist im Alltag
der Soldaten auch für sie selbst identitätsstiftend. Das
merken wir bei jedem Besuch und bei jedem Gespräch
mit unseren Soldaten.

Das heißt auch für uns: Unsere parlamentarische Ver-
antwortung endet eben nicht am Kasernentor. Wir haben
auch einen wichtigen Sensor, nämlich den Wehrbeauf-
tragten. Es waren übrigens Sozialdemokraten, die dessen
Einsetzung damals erzwungen haben. Das ist ein unver-
zichtbares Instrument für uns.


(Beifall bei der SPD)


60 Jahre Bundeswehr sind aber auch 60 Jahre Refor-
men, innerer Wandel, auch kultureller Wandel bei den
Streitkräften. Ich sage ganz offen: Mein eigenes Bild von
den Streitkräften hat sich – ich bin ein Kind der 68er-Ge-
neration – auch gewandelt. Vielleicht war ich damals
nicht immer ganz gerecht, aber richtig ist schon: Auch
über die Bundeswehr hatte sich viele Jahre lang gewis-
sermaßen der Mehltau der Adenauer-Ära gelegt. Es war
notwendig, dass eine neue Generation von Soldaten, eine
Nachkriegsgeneration, die Prinzipien der Streitkräfte
nicht nur theoretisch verinnerlicht hat, sondern im Alltag
die Begriffe „Staatsbürger in Uniform“ und „Prinzipi-
en der Inneren Führung“ durch eigenes Vorleben in die
Truppe gebracht hat. Dies sind wichtige Veränderungen,
und wir sind heute sehr froh darüber.

Es gab Zeiten, in denen erfolgten unglaublich viele
Eingaben an den Wehrbeauftragten wegen Verstößen ge-
gen die Menschenwürde. Die Älteren unter uns erinnern
sich noch an das Stichwort „Die Schleifer von Nagold“.
Seither begleitet die Öffentlichkeit – wir und die Medi-
en – die Bundeswehr in solchen Situationen durchaus kri-
tisch. Dies ist notwendig, und dies hat auch dazu geführt,
dass dies heute kein Thema mehr ist. Wir können heute
im Grunde genommen sagen: Die Bundeswehr ist in der
Gesellschaft als demokratische Institution angekommen,
bei der Soldaten nicht nur Befehl und Gehorsam kennen,
sondern bei der eigenes Mitdenken und eigenes Infrage-
stellen gefördert werden.

Es gab – heute wurde über ihn gesprochen – einen
Verteidigungsminister in der Riege der fünf sozialde-
mokratischen Verteidigungsminister, der die Bundes-
wehr entscheidend auf diesem Weg in die tiefe gesell-
schaftliche Verankerung mitgeprägt hat. Das war Helmut
Schmidt. Er hat mit einer Reform an Haupt und Gliedern
begonnen. Vieles ist lange geblieben, zum Beispiel die
Einbindung des Generalinspekteurs mit dem Blankene-
ser Erlass oder der Umgang mit der Wirtschaft. Bis heu-
te ist das Projekt Beschaffungswesen noch nicht ganz
fertig. Helmut Schmidt hatte es damals schon zu Recht
als Riesenaufgabe erkannt. Er hat von Theo Sommer ein
Weißbuch schreiben lassen, das insofern neuartig war, als
es eine kritische Bestandsaufnahme der Bundeswehr und
der deutschen Sicherheitspolitik beinhaltete.

Manches Erbe von Helmut Schmidt wird auf Dau-
er bleiben, insbesondere die Bildungsreform bei den
Streitkräften. In den 70er-Jahren hatten wir ein größeres
Pro blem bei der Personalgewinnung als heute. Das ver-






(A) (C)



(B) (D)


gessen wir manchmal. Auf eine offene Stelle kamen nur
zwei Bewerber. Die Gründung der Bundeswehruniversi-
täten war eine Antwort darauf. Dies hat den Soldatenbe-
ruf attraktiv gemacht und hat dazu geführt, dass Offiziere
selbst anders lernen, anders denken, anders gestalten, als
es zuvor der Fall war. Es ist ein Erfolgsmodell; denn wir
können heute sagen: Viele Absolventen der Bundeswehr-
universitäten sind heute in Führungspositionen in der
deutschen Gesellschaft, statistisch übrigens mehr als Ab-
solventen der regulären Hochschulen.

Für mich persönlich – und vielleicht auch für Sie –
gibt es einen ganz besonderen Nachlass, den Helmut
Schmidt hinterlassen hat. Carlo Schmid hat einmal im
Verteidigungsausschuss gesagt: Ich bin dagegen, dass
wir Leute zum Musikmachen einziehen und womöglich
die Beförderung davon abhängig machen, ob einer Wald-
horn spielen kann. – Heute lächeln wir zu Recht darüber.
Was hat Helmut Schmidt getan? Er hat die „Big Band der
Bundeswehr“ gegründet. Sie stiftet auch Identität. Sie ist
ein Werbeträger. Dies war eine tolle und kulturell wich-
tige Entscheidung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Facette gehört zu einer Bundeswehr, die insgesamt
ein anderes Gesicht hat. Heute hat die Bundeswehr das
Gesicht einer modernen Armee, wo Einsatzfähigkeit und
Leistung in den Krisengebieten kein Gegensatz zur De-
batte um Kitas und Dienstzeitregelungen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist auch genau richtig so.

Wir haben auch gesehen, dass der Soldatenberuf in ei-
ner Welt, die schwieriger und komplexer geworden ist,
anspruchsvoller geworden ist. Deshalb wissen wir bis
zum heutigen Tag, so ärgerlich es ist, wenn Hubschrau-
ber nicht fliegen und viele Flugzeuge zu spät geliefert
werden: Die Bundeswehr der Zukunft hängt in erster Li-
nie davon ab, ob es uns auch in Zukunft gelingt, die klu-
gen jungen Menschen zu gewinnen, die die Komplexität
des Soldatenberufes beherrschen und der damit verbun-
denen Herausforderung nicht nur intellektuell, sondern
auch physisch und psychisch gewachsen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die Menschen in Deutschland erleben ja im Augen-
blick jeden Tag, was dies bedeutet. Die Arbeit der Sol-
datinnen und Soldaten im Bereich der Amtshilfe bei der
Bewältigung der Aufgaben, die die vielen flüchtenden
Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, mit sich bringen,
ist beeindruckend. 435 genehmigte Einsätze in Form von
Unterstützungsleistungen, das ist wirklich herausragend.

Wir sagen allerdings auch: Dies geht zwar eine be-
stimmte Zeit; aber es gilt zu bedenken: Es sind Soldatin-
nen und Soldaten und Zivilbeschäftigte, die ihren eigent-
lichen Dienstauftrag nicht mehr erfüllen können. Eine
Flut geht irgendwann einmal zurück; so etwas ist über-
schaubar. Die Bewältigung der Flüchtlingsmenge wird
uns noch längere Zeit beschäftigen. Die Bundeswehr ist
die Institution, die in den letzten Jahren am meisten Sol-

daten und Zivilbeschäftigte vorzeitig in den Ruhestand
geschickt hat. Deshalb würden wir es sehr begrüßen,
wenn man das damit verbundene Potenzial zur Bewälti-
gung dieser Aufgabe jetzt reaktiviert.

Die Zukunft der Bundeswehr ist ein Thema, bei dem
wir merken: Der Wandel hört nicht auf. Wir reden heute
über den in der NATO seit langem vorhandenen Gedan-
ken: Wir müssen so stark bleiben, damit wir unsere Stärke
nie brauchen. Hier muss die Bundeswehr ihre Fähigkei-
ten auch durch wirklich vorhandenes Gerät und Personal
in den nächsten Jahren unterlegen. Es reicht nicht, wenn
wir diese Fähigkeiten nur auf dem Papier haben.

Die neuartigen Konflikte, insbesondere hybride Krie-
ge, verlangen eben nicht nur militärische Antworten;
vielmehr brauchen wir eine breite Debatte darüber, was
es heißt, mit hybriden Konflikten umzugehen. Im Mittel-
punkt wird die Feststellung stehen: Die beste Sicherheit
vor hybriden Kriegen sind Gesellschaften, die im Inneren
stabil und sozial gerecht sind. Deshalb gehören Außen-
und Sicherheitspolitik, wirtschaftliche Zusammenarbeit,
humanitäre Hilfe unmittelbar zusammen. Dies müssen
wir stärker in den Fokus rücken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch sagen und den Soldatinnen und
Soldaten auch raten: Ihr habt Grund zum Selbstbewusst-
sein. Der Soldatenberuf hat in der deutschen Gesellschaft
zusammen mit dem Polizistenberuf das höchste Ansehen,
was die Erfüllung der Aufgaben eines Verfassungsorgans
angeht. Wir sagen voll Respekt vor all denjenigen, die in
den letzten 60 Jahren die Bundeswehr mit geprägt und
weiterentwickelt haben ein Dankeschön für dieses En-
gagement, insbesondere den Soldaten, die zusammen mit
ihren Familien durch Einsätze auch persönliche Entbeh-
rungen auf sich genommen haben und dies gerne taten
und nicht darüber lamentierten.


(Beifall der Abg. Antje Lezius [CDU/CSU])


Ich habe abschließend noch einen Wunsch: Mein
Wunsch ist, dass dies heute die letzte Feier zu einem
runden Geburtstag der Bundeswehr ist. Mein Wunsch
ist, dass 75 Jahre Bundeswehr anders gefeiert werden,
nämlich in der Form, dass wir darüber reden, dass die
deutschen Streitkräfte ein – wichtiger – Teil einer euro-
päischen Verteidigungsunion sind. Zum 100-jährigen Ju-
biläum – ich werde es nicht mehr erleben – wünsche ich
mir, dass überhaupt nicht mehr die Bundeswehr gefeiert
wird, sondern dass die Vision einer europäischen Streit-
kraft endlich wahr geworden ist. Man sieht also: Politik
und Soldaten haben auch in den nächsten 40 Jahren noch
viele Aufgaben zu bewältigen. Wir möchten als Parla-
ment gerne dabei mithelfen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813600600

Die Kollegin Agnieszka Brugger hat nun das Wort für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Rainer Arnold






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wofür
braucht Deutschland bewaffnete Streitkräfte? Diese Fra-
ge wurde nicht nur bei der Gründung der Bundeswehr
kontrovers, ernsthaft und emotional diskutiert, sondern
sie muss auch heute immer wieder neu gestellt und neu
beantwortet werden.

Als die Bundeswehr vor 60 Jahren gegründet wurde,
herrschte Kalter Krieg: Es standen sich zwei Blöcke, bis
an die Zähne bewaffnet, feindlich gesinnt gegenüber.
Diese düsteren Zeiten sind heute zum Glück vorbei, und
Deutschland ist direkt, unmittelbar nur von Freunden
umgeben, und das ist gut.

Heute sind es nicht so sehr zwei Machtblöcke, die sich
gegenüberstehen. Wir sehen häufig auf der Welt nicht
nur zwei Staaten, die auf klassische Art und Weise Krieg
gegeneinander führen; vielmehr werden vor allem Bür-
gerkriege geführt, in denen verschiedene Gruppen, auch
unter Anwendung von großer Gewalt, von Menschen-
rechtsverletzungen, um Macht und Einfluss kämpfen.
Wir sehen zerfallende Staaten, hybride Kriegsführung,
Terrorismus.

Die Konflikte auf den anderen Kontinenten dieser
Welt sind uns heute aus vielen Gründen viel näher als
noch vor 60 Jahren. Diese Veränderungen auf der Welt
und diese veränderten Fragen von Frieden und Sicherheit
spiegeln sich auch in den Aufgaben und Strukturen der
Bundeswehr wider.

Aus einer fast 500 000 Mann starken Wehrpflichtar-
mee ist eine Freiwilligenarmee im Einsatz geworden. In
den letzten Jahren gab es die Einsätze auf dem Balkan
und den Krieg in Afghanistan. Und aktuell gibt es die
Schlepperjagd im Mittelmeer. Es wird gefordert, dass
sich die Bundeswehr im Cyberraum engagiert oder dass
sie jetzt – das ist, wie ich finde, eine sehr abstruse Forde-
rung von der Union – bei der Grenzsicherung in Deutsch-
land eine Aufgabe übernimmt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ebenso aber – auch das haben Sie hier unerwähnt ge-
lassen, Herr Kollege Gehrcke, als Sie von Militarismus
und Krieg gesprochen haben – ist die Bundeswehr heute
in den Friedensmissionen der Vereinten Nationen enga-
giert, um die Zivilbevölkerung zu schützen, Waffenstill-
stände abzusichern, Streitkräfte auszubilden, wenn Men-
schen keinen Schutz haben, Seenotrettung im Mittelmeer
zu betreiben oder – ich finde sehr beeindruckend, was da
derzeit geleistet wird – bei der Unterbringung und Ver-
sorgung der Flüchtlinge hier im Land mitzuhelfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, die Frage nach dem Wofür
muss auch immer die Frage nach den Lehren aus der Ver-
gangenheit beinhalten. Und dann muss man sehen: Der
Krieg in Afghanistan, aber auch die großen Militäreinsät-
ze im Irak und in Libyen, an denen die Bundeswehr nicht
beteiligt war, konnten ihre Ziele nicht erreichen. Sie sind

im Kern gescheitert. Man hat gelernt, dass ein Einsatz,
vielleicht mit der besten Absicht begonnen, am Ende des
Tages zu mehr Gewalt und zu mehr Chaos führen kann.
Die Konflikte dieser Welt lassen sich nicht militärisch
lösen, aber das Militärische kann unter bestimmten, eng
begrenzten Bedingungen einen wichtigen Beitrag zur
kurzzeitigen Stabilisierung oder zum Schutz der Zivilbe-
völkerung leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb ist es so wichtig und auch entscheidend, dass
wir mehr für zivile, diplomatische und entwicklungspoli-
tische Antworten tun, um die Ursachen, die den Konflik-
ten und Krisen zugrunde liegen, zu bekämpfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wer dies – und das ist in den
letzten Jahren leider immer wieder geschehen – vernach-
lässigt, der schickt die Soldatinnen und Soldaten in ge-
fährliche Einsätze mit wenig Aussicht auf Erfolg. Das
muss uns eine Lehre sein und sollte in Zukunft nie wieder
passieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grüne sind der Auffassung, dass sich die Bundes-
wehr viel stärker im Rahmen dieser breit aufgestellten
zivil-militärischen Friedensmissionen der Vereinten Na-
tionen – nicht nur mit einem kleinen symbolischen Bei-
trag – beteiligen sollte. Diese Missionen erreichen durch-
aus sehr oft ihre Ziele. Sie tragen dazu bei, dass Gewalt
eingedämmt wird und die Zivilbevölkerung geschützt
werden kann.

Es ist klar: Die Frage nach den zukünftigen Aufgaben
der Bundeswehr beinhaltet auch die Frage der Landes-
und Bündnisverteidigung, gerade in einem Europa, wo
natürlich die Ängste der osteuropäischen Partner spürbar
werden. Natürlich stehen wir auch an ihrer Seite, bei-
spielsweise wenn die Luftraumüberwachung im Balti-
kum von der Bundeswehr übernommen wird. Es ist aber
doch sicherheits- und finanzpolitisch irrsinnig und eine
absolute Kurzschlussreaktion, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD und der Union, wenn Sie jetzt
hier auf einmal wegen der Ukraine–Krise mehr Panzer
fordern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch ist es verheerend, sich vor der Frage nach den
zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr zu drücken. Klar,
es geht nicht um ein simples Entweder-oder; aber es geht
schon um den Schwerpunkt des deutschen sicherheitspo-
litischen Engagements.

Ein Beleg dafür, dass etwas auch scheitern kann, wenn
man sich mit dieser Frage nicht auseinandersetzt, ist die
Bundeswehrreform. Das bedeutet in der Konsequenz,
dass es zum Beispiel auf der einen Seite zu wenig benö-
tigtes Gerät gibt, während auf der anderen Seite für meh-
rere Milliarden Euro Waffensysteme beschafft werden,
die sicherheitspolitisch nicht wirklich notwendig sind
und auch nur mit geringer Wahrscheinlichkeit eingesetzt
werden.






(A) (C)



(B) (D)


Wer die Frage beantworten will, ob die Bundeswehr
nigelnagelneu entwickelte Leopard-Panzer oder ein mil-
liardenschweres Raketenabwehrsystem MEADS braucht
oder ob es nicht doch vielmehr funktionsfähige Hub-
schrauber, geschützte Fahrzeuge auf höchstem Niveau
und Aufklärungsmittel sein sollen, der muss eben die
Frage nach dem sicherheitspolitischen Fundament und
nach den Kernaufgaben bzw. den zentralen Aufgaben der
Bundeswehr beantworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau von der Leyen, Sie haben diese Debatte mit dem
Weißbuchprozess angestoßen und wollten das Versäum-
nis der Bundeswehrreform an dieser Stelle sozusagen
wieder rückgängig machen. Gleichzeitig aber treffen Sie
wichtige Beschaffungs- und Strukturentscheidungen, mit
denen Sie den von Ihnen selbst angestoßenen wichtigen
Prozess konterkarieren. Das verschärft am Ende des Ta-
ges die Probleme bei der Bundeswehr – und löst sie nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Frage nach dem Wofür
ist immer auch eine zutiefst ethische Frage, die sich sel-
ten nur mit Ja oder Nein beantworten lässt; das ist auch
nicht immer schwarz-weiß. Sowohl das Handeln als auch
das Nichthandeln bergen immer eine Verantwortung. Ich
finde, es ist immer wieder spürbar, wenn wir im Parla-
ment über die Auslandseinsätze der Bundeswehr disku-
tieren, dass es für viele Kolleginnen und Kollegen hier
eine Gewissensentscheidung ist, dass man sich dessen
bewusst ist, dass das Dagegenstimmen und Nichteingrei-
fen genauso schwierig sein kann und genauso verheeren-
de Folgen haben kann wie der Militäreinsatz, den man
auf den Weg bringt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Hitschler [SPD])


Die Bundeswehr als Parlamentsarmee ist ein hohes
Gut und ein großer Wert, weil das für diese umstrittenen
Fragen eine breite demokratische Legitimation ermög-
licht. Wir werden deshalb immer allen Versuchen entge-
gentreten, die Parlamentsbeteiligung auszuhöhlen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Ende meiner
Rede würde ich gern sagen, warum ich seit Jahren sehr
gern im Verteidigungsausschuss sitze. Wir haben sehr un-
terschiedliche Meinungen; das haben Sie in dieser Debat-
te gesehen. Von der Linkspartei bis zur CSU – wir können
uns herrlich streiten. Aber in einem sind wir uns einig,
und das hat mich immer sehr beeindruckt. Uns ist klar,
unabhängig davon, wie wir selber zu einem Auslandsein-
satz stehen: Wir haben gemeinsam eine Verantwortung
für die Menschen, die das Parlament, der Bundestag, mit
seiner Mehrheit in gefährliche Auslandseinsätze schickt.

In diesem Konsens haben wir in den letzten Jahren
immer wieder gemeinsam gehandelt, auch gegen Wider-
stände aus der Regierung. Ich erinnere an die Fragen der
Betreuungskommunikation oder auch an die Frage: Wie
gehen wir mit den Ortskräften aus Afghanistan um? Ge-
währen wir ihnen großzügig Schutz, oder folgen wir dem
restriktiven Kurs des Innenministeriums? – Ganz beson-

ders möchte ich an dieser Stelle aber eines erwähnen:
Dass in den letzten Jahren bei der Betreuung, Anerken-
nung und Behandlung von an Körper und Seele Verwun-
deten so viel getan wurde, das war etwas, was wir alle
zusammen auf den Weg gebracht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Sinne dieses Konsenses möchte ich meinen Dank,
meine Anerkennung und meinen Respekt für diejenigen
Menschen zum Ausdruck bringen, die im Auftrag des
Parlaments für Frieden und Sicherheit ihren Dienst tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813600700

Das Wort erhält nun der Kollege Karl Lamers für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Karl A. Lamers (CDU):
Rede ID: ID1813600800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Helmut Schmidt war ein großer Politiker und Staats-
mann. Wir verneigen uns vor ihm.

Heute vor 60 Jahren, am 12. November 1955, wurde
die Bundeswehr gegründet. Die Gründer wählten einen
Tag mit hoher Symbolwirkung im Hinblick auf die Mili-
tärgeschichte: den 200. Geburtstag des preußischen Hee-
resreformers General Gerhard von Scharnhorst.

Damals war die Bundeswehr alles andere als unum-
stritten. Das ist durchaus verständlich. Nur etwa zehn
Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wollten viele
damals ein neutrales Deutschland, ohne eine eigene Ar-
mee. Aber schon Wilhelm von Humboldt wusste: Ohne
Sicherheit gibt es keine Freiheit.

Konrad Adenauer war sich dieser Tatsache bewusst
und setzte sich mit seiner Vision der Westbindung
schließlich durch. Diese Entscheidung wurde zu einem
Glücksfall der Geschichte. Es war der Weg zu Freiheit,
Solidarität und Demokratie.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Andere Staaten, vor allem in Europa, begegneten der
Idee neuer deutscher Streitkräfte zunächst mit Misstrau-
en. Trotz aller Vorbehalte: Es gelang. Die Bundeswehr
erwarb nach und nach das Vertrauen der Partner. Heute
ist sie in der ganzen Welt hochgeachtet und ein Beispiel
für viele junge Demokratien.

Die Grundsätze der Inneren Führung und das Prinzip
des Staatsbürgers in Uniform wurden zu echten Marken-
zeichen unserer Streitkräfte, um die uns unsere Partner
beneiden.

Auch im Innern zählt die Bundeswehr heute zu den
angesehensten Institutionen – und das zu Recht. Das

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


haben sich unsere Soldatinnen und Soldaten im wahrsten
Sinne des Wortes erdient.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


60 Jahre Bundeswehr, das sind 60 Jahre erfolgreiche
Sicherung des Friedens in Freiheit. Unsere Väter und
Großväter hätten sich das sicher nicht vorstellen können.
60 Jahre Bundeswehr heißt auch 60 Jahre Integration in
die westliche Verteidigungsallianz, in die NATO. Der
ehemalige NATO-Generalsekretär und Bundesverteidi-
gungsminister Manfred Wörner sagte einst:

Die Stärke der NATO lag und liegt nach wie vor in
ihrer Wirksamkeit als einer Schicksalsgemeinschaft
der Werte und Interessen.

Daran hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert. Das
Bündnis stand immer für Werte wie Demokratie, Recht
und Freiheit. Unser Land und die Bundeswehr sind stolz
darauf, Teil dieser Wertegemeinschaft zu sein.

Jahrzehnte lag Deutschland an der Nahtstelle des Ost-
West-Konflikts. Von 1955 bis 1990 hat die Bundeswehr
im sogenannten Kalten Krieg an der Seite ihrer Partner
einen heißen Krieg in Europa verhindert. Zugleich hat
sie zu dem Erfolg beigetragen, den Frieden in Europa zu
sichern – trotz der Konfrontation der Militärblöcke, trotz
der nuklearen Bedrohung. Die transatlantische Bindung
Deutschlands, unsere Verankerung in der NATO, hat
in unseren Partnerstaaten Vertrauen gebildet – in unser
Land, in unsere Demokratie, vor allem auch in unsere
Verlässlichkeit –, letztlich sicherlich auch eine wichtige
Voraussetzung für ihre Zustimmung zur deutschen Ein-
heit.

Zu den größten Leistungen der Bundeswehr – Herr
Otte hat darauf angespielt – zählt ihre Rolle bei der Ver-
einigung unseres Landes nach 1990. Der Aufbau der
gesamtdeutschen Streitkräfte wurde zu einer wahren Er-
folgsgeschichte: Die Bundeswehr, eine Armee der Ein-
heit. Auch in Europa spielt die Bundeswehr eine wichtige
Rolle. Sie beteiligt sich an EU-geführten Missionen auf
unserem Kontinent und in Afrika. Darüber hinaus sind
unsere Soldatinnen und Soldaten auch bei internationa-
len Friedensmissionen der Vereinten Nationen aktiv.

Von der Präsenzarmee zu Zeiten des Kalten Krieges
hat sich die Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz ge-
wandelt. Vor 1990 waren Out-of-Area-Einsätze aufgrund
der politischen Gesamtlage undenkbar. Heute leistet die
Bundeswehr ganz selbstverständlich in internationalen
Missionen einen aktiven Beitrag zu Sicherheit und Frie-
den. Dazu hat sie bemerkenswerte Fähigkeiten entwi-
ckelt, die in unterschiedlichsten Einsätzen gefordert sind.
Denken Sie an unseren Einsatz in Afghanistan, zunächst
im Rahmen von ISAF, jetzt im Rahmen der Mission Re-
solute Support, die wir verlängern werden. Denken Sie
an unseren Beitrag zur Friedenssicherung im Kosovo,
an die Bekämpfung von Schleusern im Mittelmeer und
die Sicherung der Meeresroute am Horn von Afrika. Ich
denke an unseren Einsatz in Mali und an die Ausbildung
kurdischer und irakischer Kräfte für den Kampf gegen
die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Überall leistet die

Bundeswehr einen wichtigen und bedeutsamen Beitrag.
Dafür danke ich ihr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Gleichzeitig beschäftigen wir uns mit den Herausfor-
derungen eines sogenannten hybriden Krieges. Die Bun-
deswehr ist darüber hinaus im Bündnis auf neuen Feldern
der Sicherheitspolitik aktiv. Ich nenne hier den Bereich
Cybersecurity. Das Internet verbindet zwar, schafft aber
auch Gefahren.

Die Bundeswehr hat viele Facetten. Ich denke an die
Hilfeleistung bei Unglücken, Naturereignissen, Wald-
bränden, Flutkatastrophen und – gerade jetzt, in diesen
Wochen und Monaten – an den Beitrag der Bundes-
wehr bei der Bewältigung der Flüchtlingssituation. Ich
danke Ihnen, Frau Bundesministerin der Verteidigung,
Frau Dr. von der Leyen, dass die Bundeswehr ein breites
Spektrum an Unterstützungsmaßnahmen in diesem Be-
reich zur Verfügung stellt. Das hilft den Menschen bei
der Bewältigung dieser großen Herausforderungen. Ich
danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, viele Menschen haben bis
vor nicht allzu langer Zeit – Herr Gehrcke, Sie gehören
offensichtlich dazu – tatsächlich geglaubt, die Bundes-
wehr weiter abrüsten oder abschaffen zu können.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wollen wir immer noch!)


Das können wir nicht. Die Bundeswehr ist heute wich-
tiger denn je. Wenn Sie davon träumen, dass Deutsch-
land aus der NATO aussteigen könnte, dann sage ich
Ihnen – ich spreche hier sicherlich nicht nur für die
meisten Mitglieder dieses Hauses, sondern auch für über
300 Parlamentarier der Parlamentarischen Versammlung
der NATO –: Wir brauchen heute – gerade heute – die
NATO. Sie ist der Garant für Sicherheit und Freiheit in
bedrohlicher Zeit, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch
Putins Russland hat die euroatlantische Sicherheitsarchi-
tektur von einem auf den anderen Tag fundamental ge-
ändert. Eine längst überwunden geglaubte Konfrontation
mitten in Europa gefährdet unsere Zukunft und unseren
Frieden. Entschlossenheit und glaubwürdige Bündnis-
verteidigung sind jetzt wieder das Gebot der Stunde.
Jahrzehntelang konnten wir uns auf unsere Bündnispart-
ner verlassen. Jetzt ist unsere Solidarität gegenüber den
Mitgliedern gefordert, die sich heute bedroht fühlen.

Mit den auf dem NATO-Gipfel in Wales 2014 verein-
barten Maßnahmen zur Rückversicherung stärken wir
die Kernfunktion des Bündnisses, die kollektive Verteidi-
gung unseres Bündnisgebietes. Mit einer Schnellen Ein-
greiftruppe werden die Einsatzbereitschaft und Flexibili-
tät des Bündnisses deutlich erhöht. Deutschland, meine
Damen und Herren, leistet bei alldem substanzielle Un-
terstützung und übernimmt als Rahmennation eine füh-

Dr. Karl A. Lamers






(A) (C)



(B) (D)


rende Rolle. Das stärkt das Bündnis und festigt zugleich
unser Ansehen in der Allianz.

Meine Damen und Herren, General von Scharnhorst
formulierte vor mehr als 200 Jahren den Anspruch:

Tradition in der Armee hat es zu sein, an der Spitze
des Fortschritts zu marschieren.

An dieser Maxime orientieren wir uns, orientieren Sie
sich, Frau Bundesministerin. Für die Bundeswehr und
ihre Soldatinnen und Soldaten ist es steter Anspruch,
nach vorne zu blicken und die Herausforderungen der
Zukunft anzunehmen.

In dieser Stunde denken wir ganz besonders an die im
Kampf Gefallenen und die vielen an Körper und Seele
verwundeten Soldatinnen und Soldaten sowie an ihre
Angehörigen. Im Namen meiner Fraktion danke ich ih-
nen von Herzen für ihren Dienst und spreche den Famili-
en meine tiefempfundene Anteilnahme aus. Unseren Sol-
datinnen und Soldaten, den zivilen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, die in den letzten 60 Jahren Dienst in der
Bundeswehr geleistet haben und aktuell leisten, insbe-
sondere denen, die im Auslandseinsatz sind, gelten mein
Respekt und meine Hochachtung.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813600900

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Dr. Karl A. Lamers (CDU):
Rede ID: ID1813601000

Sie leisten Großartiges. Wir wünschen ihnen Erfolg

und vor allem Gottes Segen bei der Erfüllung ihrer Auf-
gaben.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813601100

Christine Buchholz ist die nächste Rednerin für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813601200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als vor

60 Jahren die ersten Rekruten ihre Ernennungsurkunden
erhielten, sagte man ihnen, es ginge nur um Verteidi-
gung, es ginge um die Bedrohung aus der Sowjetunion
und dem Ostblock – sonst nichts. Deshalb war auch die
Hoffnung auf Frieden und Abrüstung so groß, als 1989
die Mauer viel.

Doch nur zehn Jahre später waren deutsche
Kampfflugzeuge wieder an einem Krieg in Europa be-
teiligt, dem Angriff auf Jugoslawien. Weitere zehn Jahre
später, 2009, hat ein deutscher Oberst im afghanischen
Kunduz einen Bombenangriff auf zwei liegengebliebene
Tanklaster befohlen. Über 100 Zivilisten, darunter viele
Kinder, verbrannten in dem Inferno.

25 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Deutschland
nicht friedlicher geworden. Stattdessen haben alle Bun-

desregierungen seitdem die Bundeswehr in internationa-
le Kriegs- und Kriseneinsätze hineingetrieben. Die Linke
hält das für grundfalsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn heute Stimmen laut werden, man solle den Einsatz
in Afghanistan ausweiten, das Mandat erweitern und es
näher an die tatsächlichen Kriegshandlungen heranfüh-
ren, dann sagen wir Nein.


(Beifall bei der LINKEN)


In den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992
wurde die Weichenstellung der Neuausrichtung der Bun-
deswehr so begründet: Deutschland sei eine „kontinenta-
le Mittelmacht“ mit „weltweiten Interessen“. Sie reich-
ten von der „Aufrechterhaltung des freien Welthandels“
bis zum „ungehinderten Zugang zu Märkten und Roh-
stoffen“. Zwei Jahre später, 1994, hat das Bundesver-
fassungsgericht das dann für verfassungsgemäß erklärt,
obwohl die Bundeswehr laut Grundgesetz eine Verteidi-
gungsarmee ist. So sind die Machtverhältnisse in diesem
Land: Zunächst werden geostrategische und wirtschaftli-
che Interessen definiert, dann wird die Armee umgebaut,
und am Ende ist es Recht. Das ist nicht akzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN)


Glücklicherweise haben die Bundesregierungen seit
jeher ein Problem: Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt
die Auslandseinsätze der Bundeswehr ab. 1991 rief die
geplante Unterstützung des zweiten Golfkriegs Wider-
stand hervor – in der Bevölkerung, aber auch bei Solda-
ten. Der damalige Generalinspekteur, Dieter Wellershoff,
fragte – Zitat –, ob wir nicht den Gedanken an Krieg, Tod
und Verwundung zu weit in den Hintergrund geschoben
haben. Der damalige Verteidigungsminister Rühe räum-
te 1992 ein, dass die Bürger nicht auf Auslandseinsätze
vorbereitet seien. „Deswegen“, so Rühe damals wörtlich,
„müssen wir Schritt für Schritt vorgehen.“


(Zuruf von der LINKEN: Aha!)


So ist es gekommen. Deutsche Streitkräfte wurden seit-
dem in rund 40 Auslandseinsätze geschickt, erst in klei-
ne, dann in immer größere. Aber die allermeisten Men-
schen in Deutschland wollen sich nicht wieder an Krieg,
Tod und Verwundung gewöhnen, und ich werde es auch
nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundeswehr hat nichts im Ausland zu suchen,
nicht im ehemaligen Jugoslawien, nicht in Afghanistan,
nicht in Mali, auch nicht im Irak. Diese Auslandseinsätze
sind so unbeliebt, dass es der Bundeswehr an Personal
fehlt. Deshalb hat Frau von der Leyen gerade 10 Millio-
nen Euro für eine neue PR-Kampagne, mit der bei jungen
Leuten für eine Karriere bei der Bundeswehr geworben
wird, ausgegeben. „Krisenherde löschst du nicht mit Ab-
warten und Teetrinken“, heißt es da.

Meine Damen und Herren, Deutschland schafft die
Krisenherde selbst mit. Deutschland ist einer der größ-
ten Waffenexporteure der Welt. Die Bundesregierung
ist eine der treibenden Kräfte hinter einer weltweiten
Freihandels politik, die Millionen Menschen den Boden

Dr. Karl A. Lamers






(A) (C)



(B) (D)


unter den Füßen wegzieht und ins Elend treibt. Und Sie
erwecken hier den Eindruck, man könnte die selbst mit-
verursachten Krisen der Welt mit Militär lösen. Das ist
zynisch.


(Beifall bei der LINKEN)


An die Grünen, aber auch an Herrn Lamers gerichtet,
sage ich: Wir glauben nicht, dass die Seenotrettung und
letztlich auch die Flüchtlingshilfe oder die Bekämpfung
von Waldbränden Aufgaben der Bundeswehr sind.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach mal nach Bremen gucken und in die Realität!)


Wir brauchen den Aufbau von zivilen Hilfsstrukturen,
eines zivilen Katastrophenschutzes.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau von der Leyen hat im Februar mit Blick auf das
Weißbuch 2016 gesagt – ich zitiere –:

Unsere Interessen haben keine unverrückbare Gren-
ze, weder geografisch noch qualitativ.

Deswegen kennt auch die Aufrüstung keine Grenzen
bei teuren Großprojekten wie Panzern, dem A400M oder
einer europäischen Kampfdrohne. Wir wollen nicht, dass
Steuermilliarden in die Rüstung gesteckt werden. Abrüs-
tung ist das Gebot der Stunde!


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen auch nicht, dass junge Menschen für Inter-
essen, die nicht ihre eigenen sind, in internationale Bun-
deswehreinsätze geschickt werden; denn sie sind es, die
Soldatinnen und Soldaten, die den Preis bezahlen, wenn
sie verwundet, traumatisiert oder tot aus den Einsätzen
zurückkommen.

60 Jahre Bundeswehr sind 60 Jahre Widerstand gegen
Militarisierung und Krieg: gegen die Wiederbewaffnung,
den NATO-Doppelbeschluss, gegen die Auslandseinsät-
ze, aber auch gegen die Rekrutierungsversuche der Bun-
deswehr an Schulen und vor Arbeitsämtern.


(Beifall bei der LINKEN)


Daran knüpft die Linke an. Sie können sich darauf ver-
lassen: Der Widerstand wird weitergehen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813601300

Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Hellmich

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU])



Wolfgang Hellmich (SPD):
Rede ID: ID1813601400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe, verehrte Soldatinnen und Soldaten und
zivile Mitarbeiter der Bundeswehr, die Sie heute bei die-
ser Sitzung des Bundestages dabei sein können! Gestern
Abend durften wir den Großen Zapfenstreich anlässlich
des 60-jährigen Bestehens der Bundeswehr vor dem

Reichstag erleben. Das war ein besonderes Ereignis, das
bewegt hat. Vor und in dem Haus des deutschen Volkes
ist das Selbstverständnis der Bundeswehr „Wir. Dienen.
Deutschland.“ besonders lebendig geworden; das war
überzeugend. Vielen Dank für dieses Erlebnis, das ge-
zeigt hat, dass die Bundeswehr als fester und verlässli-
cher Teil zu unserer demokratischen Gesellschaft gehört
und dieses Parlament verlässlich zu seiner Bundeswehr
steht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte dies zum Anlass nehmen, um im Namen
aller Mitglieder des Verteidigungsausschusses des Deut-
schen Bundestages allen aktiven und ehemaligen Solda-
tinnen und Soldaten sowie allen zivilen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern für ihren Dienst in den Streitkräften
ganz herzlich zu danken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte auch denen danken, ohne deren Rückhalt und
Unterstützung unsere Soldatinnen und Soldaten ebenso
wie die zivilen Beschäftigten diesen so besonderen und
einmaligen Beruf nicht ausüben könnten: den Partnerin-
nen und Partnern, ihren Eltern, ihren Kindern, ihren Fa-
milien.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte noch zwei weitere Adressaten in den Dank
mit einschließen, die sich in vielen Jahren kritisch und
auch konstruktiv mit der Bundeswehr auseinandergesetzt
haben. Vielen Dank an unsere Kirchen, deren Militär-
pfarrer in den Einsätzen viel gute und wertvolle Arbeit
für die Soldatinnen und Soldaten geleistet haben. Mit ih-
ren kritischen Beiträgen zu dem, was die Bundeswehr in
unserer Gesellschaft leisten soll, haben sie immer wieder
Denkanstöße gegeben, die uns eine konstruktive, nach
vorne gerichtete Diskussion gebracht haben, die an dem
Friedensgebot unserer Verfassung orientiert ist. Das The-
ma „Frieden schaffen“ stand und steht über diesen De-
battenbeiträgen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte denjenigen danken, die in besonderer Wei-
se unsere demokratische Bundeswehr verkörpern: dem
BundeswehrVerband, den Gewerkschaften, den Beam-
ten, die in der Bundeswehr ihren demokratischen Dienst
leisten. Sie alle haben sich unter Beteiligung der Solda-
ten intensiv zum Wohle und im Interesse der Bundeswehr
kritisch mit ihr auseinandergesetzt.

Seit ihrer Gründung vor nunmehr 60 Jahren hat die
Bundeswehr einen einmaligen Transformationsprozess
vollzogen. Die deutschen Streitkräfte dienten lange Zeit
ausschließlich zur Verteidigung. Jahrzehntelang galt der
Einsatz der Bundeswehr als schwer denkbarer Ernstfall,
nur im Kalten Krieg vorstellbar. Mit dessen Ende und
dem Erringen der deutschen Einheit haben sich die Auf-
gabe und Rolle Deutschlands und die seiner Bundeswehr
grundlegend verändert. War es gerade noch die Befürch-
tung, die uns alle bewegt hat, zum atomaren Schlachtfeld

Christine Buchholz






(A) (C)



(B) (D)


zu werden, so schien nun die Konfrontation in Europa
überwunden.

Das Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle spielt
eine ganz wesentliche Rolle, auch bei der Bundeswehr.
Wenn wir in diesem Jahr entscheiden, einen neuen Flie-
ger im Zuge von Open Skies einzusetzen, dann sehen
wir, welche wichtigen Beiträge die Bundeswehr im Be-
trieb eines solchen Systems, aber auch in Bezug auf die
Verifikation der Abrüstungspolitik in Europa und darü-
ber hinaus geleistet hat, dann sehen wir das ganze breite
Spektrum dessen, was die Bundeswehr bis heute erreicht
hat; und erreicht haben wir dieses nur im Bündnis mit
anderen Partnern innerhalb der NATO, im transatlanti-
schen Bündnis.

Die erst vor einem Vierteljahrhundert gewonnene vol-
le Souveränität hat einen Veränderungsprozess in unse-
ren Streitkräften in Gang gesetzt, der mit dem Bekenntnis
Deutschlands zu mehr Verantwortung einen Höhepunkt,
sicher aber keinen Abschluss gefunden hat. Wäre es vor-
her denkbar gewesen, dass in Afghanistan amerikanische
Truppen unter deutschem Befehl stehen? Ich möchte an
dieser Stelle hinzufügen: Ich bin froh, dass wir in Af-
ghanistan bleiben und das afghanische Volk nicht alleine
lassen. Wir müssen mit unseren Partnern weiterhin einen
wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Situation vor Ort
leisten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wäre es denkbar gewesen, dass Deutschland mit ei-
nem Framework Nations Concept anderen Nationen
als verlässliche Anlehnungsnation zur Verfügung steht?
Wäre es vorstellbar gewesen, dass ein niederländisches
und ein deutsches Heer Schritt für Schritt miteinander
verschmelzen? Sicher nicht. Wir haben in den Jahren der
Ausfüllung der vollen Souveränität viel erreicht, und wir
sind bereit, mehr Verantwortung in dieser Welt, vor allem
in Europa, zu übernehmen. Diese neu gewonnene Souve-
ränität auszufüllen mit dem verfassungsmäßigen Rahmen
des Grundgesetzes, mit der demokratischen Verfasstheit
der Bundeswehr, mit der Parlamentsarmee, mit dem Par-
lamentsvorbehalt und mit der Bündnisorientierung, das
war eine große Herausforderung, die uns, so bin ich über-
zeugt, gelungen ist. Die Erfahrung im Einsatz, zivil und
militärisch, ist Ausdruck davon, welchen Fortschritt wir
in der Politik und in der Bundeswehr gemacht haben.

In den Gesprächen mit den Soldatinnen und Solda-
ten kommt immer wieder zum Ausdruck, dass sie die
besondere Verantwortung des Parlamentes schätzen und
die verlässliche Ausfüllung dieser Verantwortung auch
einfordern. Sie sind es, die uns mit ihrer Erfahrung im
Einsatz immer wieder zeigen, in welche Richtung die
Entwicklung gehen muss.

Heute ist unser Land von Freunden und Partnern um-
geben. Die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands sowie
die Beistandsfähigkeit im Bündnis zu erhalten, das sind
weiterhin die zentralen Aufgaben der Bundeswehr. Dafür
benötigen wir nicht nur motivierte und gut ausgebildete
Soldatinnen und Soldaten, sondern auch das nötige Ge-
rät. Wir müssen das Versprechen, das wir den Soldatin-
nen und Soldaten gegeben haben, sie entsprechend aus-

zurüsten und zu qualifizieren, einhalten. Wir müssen uns
um sie kümmern.

Als Teil der Exekutive untersteht die Bundeswehr
dem Kommando der Bundesregierung, wird aber zu-
gleich durch das Parlament kontrolliert und legitimiert.
Wie Sie, verehrter Herr Bundestagspräsident, betonen,
gibt es weltweit kein zweites Beispiel für eine derarti-
ge parlamentarische Verankerung einer Armee in einem
demokratischen Staat. Der Verteidigungsausschuss mit
Verfassungsrang, das Budgetrecht und die starke und fast
alleinige Rolle des Parlamentes bei der Entscheidung
über die Entsendung bewaffneter Streitkräfte ins Aus-
land machen die starke Stellung des Parlamentes bei der
Gestaltung und der Rahmensetzung für die Bundeswehr
sehr deutlich.

Laut einer 2013 vom Zentrum für Militärgeschichte
und Sozialwissenschaften der Bundeswehr durchgeführ-
ten Umfrage sind 77 Prozent der Bevölkerung der Auf-
fassung, dass die Bundeswehr wichtig für Deutschland
ist. Neun von zehn Befragten halten es für selbstver-
ständlich, dass Deutschland eigene Streitkräfte hat, und
betrachten die Bundeswehr als einen festen Bestandteil
unserer Gesellschaft und unseres demokratischen Staa-
tes. Das sind genau die Prozentzahlen, die Ihre Position
nicht teilen, und ich bin froh darüber.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sie täuschen sich!)


So gilt es, unsere Streitkräfte als eine Bundeswehr zu
verstehen, die sich aus Soldatinnen und Soldaten, Be-
amtinnen und Beamten, Tarifbeschäftigten und Auszu-
bildenden zusammensetzt. Sie alle dienen dem Schutz
unseres Landes und seiner Menschen.

Auch ich möchte hier an all diejenigen erinnern, die
in Ausübung ihres Auftrages für unser Land ums Leben
gekommen, gefallen sind. Ihnen und ihren Angehörigen
gehören unser besonderer Dank, unsere Anerkennung
und unsere stete Erinnerung. Die Gedenkstätte bei Pots-
dam ist ein schöner und guter Ort, an dem wir dieses auch
leben können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Dienstherr Bundeswehr sowie wir als Parlamenta-
rierinnen und Parlamentarier müssen für unsere Soldatin-
nen und Soldaten sorgen, sei es im Grundbetrieb, sei es
bei der Ausbildung, im Einsatz oder danach. Ohne eine
verlässliche und funktionierende Betreuung wird es nicht
gehen. Es ist vielleicht der besonderen Verantwortung des
Parlamentes geschuldet, dass der Schutz der Soldatinnen
und Soldaten im Einsatz und ihre schnelle Versorgung
im Einsatz einen besonders hohen Stellenwert haben.
Auch unsere Partnernationen und ihre Soldatinnen und
Soldaten profitieren von dieser besonderen Fähigkeit der
Bundeswehr; oftmals verlassen sie sich darauf. Das ist
ein Ausweis für das, was wir im und als Parlament in der
Bundeswehr und mit der Bundeswehr entwickelt haben.

Dass wir erst mit der Zeit mit Entschädigungsregeln
und mit Einsatzregeln die nötigen Maßnahmen für die
Soldatinnen und Soldaten im Einsatz geschaffen haben,
ist Bestandteil des verantwortungsvollen Ausfüllens un-

Wolfgang Hellmich






(A) (C)



(B) (D)


serer neuen Souveränität. Truppenärzte, Sozialarbeiter,
Psychologen, Betreuungspersonen und viele andere leis-
ten da unschätzbare Dienste.

Mit der Verabschiedung des Bundeswehr-Attrakti-
vitätssteigerungsgesetzes wie mit dem 7. Besoldungs-
änderungsgesetz setzen wir den Kurs des Ausbaus des
Systems Bundeswehr in die Zukunft konsequent fort und
leisten an der Stelle, glaube ich, vieles, was unsere Sol-
datinnen und Soldaten auch so sehen. Sie entscheiden
sich für den Dienst bei der Bundeswehr dann, wenn wir
ihnen klar sagen, auf welchen Dienst sie sich bewerben,
wenn wir ihnen klar sagen, was sie im Berufsleben er-
wartet, und wenn wir sicherstellen können, dass sie dort
eine Perspektive haben. In den drei Säulen der Landes-
verteidigung, im Einsatz im Bündnis und jetzt auch in der
Flüchtlingshilfe muss die Bundeswehr mit gutem Materi-
al, mit guter Ausbildung und einer beruflichen und sozia-
len Perspektive in die Zukunft weiterentwickelt werden.

Die Bundeswehr, inzwischen ein selbstverständliches
Mittel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, ge-
nießt international einen hervorragenden Ruf. Bei vielen
Besuchen von Parlamentarierinnen und Parlamentariern
anderer Parlamente in Europa und auch von Australien,
Tunesien und anderen Ländern werden wir immer wie-
der gefragt: Wie organisiert ihr das? Wie macht ihr das?
Wie geht ihr als Parlament damit um? Wie habt ihr das
verankert? Wir können ihnen immer nur eines sagen: Die
starke Stellung des Parlamentes bei den Entscheidungen
für Einsätze der Bundeswehr – Stichwort „Verfassungs-
rang“ – ist der Ausgangspunkt dafür, dass wir vieles mit-
einander gestalten können, dass wir mit der Regierung
einen konstruktiven Dialog führen. Dabei steht immer
im Mittelpunkt, die Bundeswehr weiterzuentwickeln und
sich um die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen
Mitarbeiter zu kümmern.

Ein neues Weißbuch zur Lage, ein neues Lagebild,
das wir dort aufschreiben werden, wird, denke ich, dieses
zum Ausdruck bringen. Es wäre gut, wenn dieser Weiß-
buchprozess nicht nur einmal geschehen würde, sondern
permanent.

Wenn wir über eine europäische Armee als Perspek-
tive reden – ich glaube, gebaut wird diese Armee von
unten –, denke ich immer an die Militärmusiker. Sie
alle spielen dieselben Noten und dieselbe Musik, haben
aber sehr unterschiedliche Uniformen an. So stelle ich
mir auch eine europäische Armee in der Zukunft vor, die
dasselbe tut, die dieselben Grundlagen hat und sich in
dieselbe Richtung entwickelt. Ich glaube, das ist die Per-
spektive, die wir haben.

Wer weiß, was er will, der weiß, was er tun muss.
Ich gehe davon aus, dass wir uns klar in diese Richtung
bewegen. Ich möchte gerade zum heutigen Tage daran
erinnern, dass die Bundeswehr zu den 70 Jahren der Er-
fahrung von Frieden einen ganz wesentlichen Beitrag ge-
leistet hat. So soll es auch weiterhin sein.

Vielen Dank und Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813601500

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Doris Wagner das Wort.


Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813601600

Werte Kollegen! Liebe Kolleginnen! Liebe Solda-

tinnen und Soldaten auf den Rängen, Ihnen möchte ich
heute stellvertretend für die Bundeswehr zum Geburtstag
gratulieren und Ihnen sehr herzlich für Ihren Einsatz und
Ihr Engagement danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Es gibt eines, das unsere Streitkräfte in ganz besonde-
rer Weise auszeichnet: die Innere Führung. Im Zentrum
der Inneren Führung steht der einzelne Soldat, die einzel-
ne Soldatin. Sie sollen sich im eigenen Handeln nie allein
an militärischen Befehlen orientieren, sondern auch am
eigenen Gewissen und an den Werten des Grundgesetzes:
an Freiheit, Demokratie und Menschenrechten.

Die Bundeswehr muss deshalb ihren Angehörigen die-
se Werte, für die sie einstehen sollen, auch vermitteln.
Eine besondere Rolle spielt dabei die Schulung am Zen-
trum Innere Führung. Aber mindestens genauso wichtig
ist es für die Soldatinnen und Soldaten, dieses Prinzip im
täglichen Geschehen mit Leben zu füllen: im persönli-
chen Gespräch, in Diskussionen am Standort.

Warum soll die Bundeswehr in Bürgerkriege in Afrika
eingreifen? Was ist von Guantánamo und Abu Ghuraib
zu halten? Ein Austausch über solche Fragen ist ganz im
Sinne der Inneren Führung. Allerdings habe ich Sorgen,
dass diese Form der politischen und ethischen Bildung
künftig zu kurz kommen wird. Denn damit Vorgesetzte
und Soldatinnen und Soldaten darüber diskutieren kön-
nen, was in der Welt passiert und welche Antworten wir
darauf haben, braucht es Zeit. Genau die ist aber an vie-
len Standorten Mangelware, ganz besonders nach der
jüngsten Bundeswehrreform. Denn der Plan, die Bun-
deswehr drastisch zu verkleinern, gleichzeitig aber das
Fähigkeitsspektrum und die geografische Verteilung in
der Fläche beizubehalten, kann nur aufgehen, weil die
Bundesregierung eine dauerhafte Überlastung der Bun-
dewehrangehörigen in Kauf nimmt. Die Lage, meine
Damen und Herren, wird sich in absehbarer Zeit nicht
verbessern, ganz im Gegenteil.

Die Verteidigungsministerin hat in jüngster Zeit ei-
niges unternommen, um die Arbeitsbedingungen in der
Bundeswehr attraktiver zu machen. Soldatinnen und Sol-
daten sollen weniger arbeiten und ihre Arbeitszeit flexi-
bler gestalten können. Diese Neuerungen begrüßen wir
Grüne ganz ausdrücklich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber gerade weil wir die Attraktivitätsagenda der
Ministerin unterstützen, wollen wir die Augen auch vor
möglichen Folgen nicht verschließen: Durch die europä-
ische Arbeitszeitrichtlinie, durch Teilzeit- und Telearbeit
wird der Personal- und Zeitmangel an vielen Standorten
zusätzlich verschärft. Ich fürchte, der ständigen Zeitnot
wird zuallererst die Zeit für Reflexion zum Opfer fallen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht hin-

Wolfgang Hellmich






(A) (C)



(B) (D)


nehmen, dass die Attraktivitätssteigerung auf Kosten der
Inneren Führung geht.

Wir sollten auch die problematischen Folgen der At-
traktivitätsagenda offen ansprechen. Deshalb frage ich
Sie, Frau Ministerin: Wie wollen Sie die Konsequenzen
abfedern, die die neuen Arbeitszeitmodelle in der Praxis
nach sich ziehen? Wie wollen Sie verhindern, dass Perso-
nal- und Zeitmangel die bewährte interne Selbstreflexion
der Bundeswehr unmöglich machen? Die Antworten auf
diese Fragen können meiner Ansicht nach nur darin lie-
gen, endlich die logische Konsequenz aus der erfolgten
Verkleinerung der Bundeswehr zu ziehen. Wir brauchen
eine stärkere Konzentration, eine bessere Fokussierung
bei den Fähigkeiten und Strukturen.

Die Innere Führung ist im internationalen Vergleich
der Armeen einzigartig. Für uns Grüne ist und bleibt sie
Grundvoraussetzung für die Existenz und den Einsatz
unserer Streitkräfte. Wir sollten deshalb alles dafür tun,
dass unsere Soldatinnen und Soldaten dieses Prinzip täg-
lich mit Leben füllen können.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813601700

Ingo Gädechens ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingo Gädechens (CDU):
Rede ID: ID1813601800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-

burtstage sind immer schön, besonders runde.


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Na ja, es kommt darauf an!)


Bei den Menschen geht damit einher, dass wir älter wer-
den, der eine oder die andere erfahrener, und hoffentlich
werden wir mit jedem Lebensjahr auch ein gut Stück
schlauer.

Wir begehen heute den 60. Geburtstag unserer Bun-
deswehr und können sagen: Unsere Streitkräfte sind er-
wachsen geworden; der heutige Tag gilt als die offizielle
Geburtsstunde. Seit ihrer Gründung garantiert sie die Si-
cherheit Deutschlands und hat sich gleichzeitig zu einer
international respektierten Armee entwickelt.

Die Bundeswehr musste sich in den vergangenen
sechs Jahrzehnten immer wieder auf neue Sicherheitsla-
gen einstellen und vielfältige Aufgaben bewältigen. Sie
hat den Wandel – wir hörten es – von einer reinen Vertei-
digungsarmee über die Armee der Einheit zur Armee im
Einsatz vollzogen und sich dabei international bewährt.

Auch bei nationalen Katastrophen konnten und kön-
nen wir uns auf die helfenden Hände der Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr verlassen. Bei dem Thema
Katastrophenhilfe erinnere ich mich an meinen eigenen
Einsatz als sehr junger Soldat bei der Schneekatastro-
phe 1978/79, von der meine Heimatinsel Fehmarn und

ganz Norddeutschland in besonderer Weise betroffen
waren.

Meine Damen und Herren, wir begehen heute den
60. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr. Dies ist für
mich auch Teil einer sehr persönlich erlebten Geschich-
te. Über 30 Jahre, also mehr als die Hälfte dieser Zeit,
diente ich in dieser unserer Bundeswehr. Meine Zeit als
Berufssoldat hat mich nicht nur erfüllt, sondern mir per-
sönlich auch viel gegeben. Sie hat mich geprägt und auch
ein Stück weit zu dem Menschen werden lassen, der ich
heute bin.

Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere.
Er ist viel weniger Beruf als vielmehr Berufung. Meine
Dienstzeit war prägend, weil ich mit meinen Kameraden
in vielen Bereichen an Leistungsgrenzen herangeführt
wurde, und dabei habe ich schnell erkannt, dass es in der
Bundeswehr zwar durchaus Einzelkämpfer gibt, Team-
geist und Teamarbeit aber grundsätzlich schneller und
besser zum Erfolg führen.

In meiner Dienstzeit habe ich Kameradschaft erleben
dürfen, die so in unserer Gesellschaft nur noch sehr selten
erlebbar ist. Dafür bin ich heute noch überaus dankbar.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht nur sehr
komfortabel, in einer Demokratie wie unserer leben zu
dürfen, es ist auch wichtig, zu erkennen, dass man zur Si-
cherung unserer Werte und unserer freiheitlichen Grund-
ordnung etwas leisten muss. Viele Soldatengenerationen
folgten und folgen dem Ruf: „Tu was für dein Land“.
Alle haben einen aktiven Beitrag zur Sicherung unserer
Demokratie geleistet. Mit ihrem Eid haben sie sich ver-
pflichtet, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen
und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tap-
fer zu verteidigen.

Der Soldatenberuf ist somit kein Beruf wie jeder
andere. 180 000 Kameradinnen und Kameraden haben
sich derzeit an diesen Eid gebunden und dienen heute
gemeinsam mit weit über 70 000 Zivilangestellten, um
Deutschlands Sicherheit zu gewährleisten.

Jede Soldatin und jeder Soldat ist bereit, im schlimms-
ten Fall sein Leben für unser Land und unsere Sicher-
heit zu riskieren. Deshalb haben unsere Soldatinnen und
Soldaten auch nicht nur die Anerkennung der deutschen
Bevölkerung, sondern auch die uneingeschränkte Hoch-
achtung unserer ganzen Gesellschaft mehr als verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Eine erfolgreiche Sicherheitspolitik mit der Bundes-
wehr kann nur gelingen, wenn das Volk hinter den Bun-
deswehrsoldaten steht. Es geht gerade auch um die posi-
tive geistige Haltung des Volkes zu seinen Streitkräften.

Tatsächlich verfolgt ein Teil der Gesellschaft in
Deutschland die Einsätze der Bundeswehr leider nur mit
freundlichem Desinteresse. Deshalb werbe ich als Abge-
ordneter unermüdlich dafür, dass sich der Geist, mit dem
wir als Bürger der Bundeswehr gegenübertreten, ein gut
Stück ändert. Die Bundeswehr gehört – das ist die feste
Meinung meiner Fraktion, der CDU/CSU – in die Mitte
unserer Gesellschaft. Sie gehört an die Schulen, an die

Doris Wagner






(A) (C)



(B) (D)


Hochschulen, in die Universitäten und auf öffentliche
Plätze, wie gestern hier vor dem Reichstagsgebäude.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


„Unsere Soldaten“: Das sagt sich leicht. Das heißt
aber auch, wir müssen Anteil an ihren Leistungen, an ih-
ren Ängsten und an ihren Sorgen und Nöten nehmen. Wir
müssen viel mehr öffentliche Debatten über Einsätze der
Bundeswehr führen. Und wir sind aufgefordert, uns noch
mehr um unsere Soldaten, aber auch um die Familienan-
gehörigen zu kümmern, die diesen besonderen Dienst an
unserem Land auf ihre Weise mittragen.

Meine Damen und Herren, als ich vor mehr als 30 Jah-
ren meinen Dienst in der damaligen Bundesmarine an-
trat, die sich heute „Deutsche Marine“ nennt, war die
Bundeswehr noch eine reine Verteidigungsarmee. Die
Entwicklung der Bundeswehr zu einer weltweit operie-
renden Einsatzarmee war und ist unausweichliche Folge
der derzeitigen Konflikte und Kriege, welche teils direkt
an Europas Grenzen stattfinden. Wir sehen an der aktu-
ellen Flüchtlingskrise, wie die Folgen dieser Konflikte
auch dramatische Auswirkungen in Europa und gerade
hier in Deutschland haben. Die internationale Staatenge-
meinschaft erwartet, dass sich Deutschland auch militä-
risch einbringt.

Die hohe Motivation unserer Soldatinnen und Solda-
ten ist auch dem Selbstverständnis der Bundeswehr ge-
schuldet: „Wir. Dienen. Deutschland.“ Dieses Selbstver-
ständnis galt schon zu meiner Dienstzeit.

Nach wie vor gilt das zentrale Leitbild des Staatsbür-
gers in Uniform: Bürger dienen in der Bundeswehr Bür-
gern. Die Bundeswehr gründet ebenfalls auf dem Prinzip
der Inneren Führung. Diese Art der Führung, die unse-
re Soldaten von Beginn an verinnerlichen, beantwortet
Fragen nach Sicherung der Grundrechte des Soldaten
und setzt notwendige militärische Erfordernisse in ein
vernünftiges Verhältnis dazu. Beide Prinzipien hat die
Bundeswehr verinnerlicht, und beide haben ihr Selbst-
verständnis geprägt.

Meine Damen und Herren, als ehemaliger Berufssol-
dat ist es mir jetzt als Abgeordneten besonders wichtig,
immer wieder mit jungen Kameradinnen und Kameraden
ins Gespräch zu kommen. Ich bin stets tief beeindruckt
von ihrer Ernsthaftigkeit, von ihrem Selbstbewusstsein,
von ihrem Pflichtgefühl und von ihrer Verbundenheit mit
unserem Land und seinen Werten, aber auch von ihrer
Gelassenheit in Kenntnis aller Risiken. Sie sind sich der
Gefahren bewusst, dabei voller Mut und Zuversicht. All
das gibt uns die Gewissheit: Wir können uns auf unse-
re Soldatinnen und Soldaten, wir können uns auf unsere
Bundeswehr verlassen.

Herzlichen Glückwunsch deutsche Bundeswehr!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813601900

Florian Hahn von der CDU/CSU-Fraktion ist der letz-

te Redner in dieser Debatte.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1813602000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Am 30. Oktober 1995 sprach der damalige
bayerische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber an-
lässlich des feierlichen Gelöbnisses von Rekruten aus
ganz Bayern, das gleichzeitig die bayerische Feier zum
40-jährigen Bestehen der Bundeswehr in Bayern dar-
stellte:

Ohne die Bundeswehr, ohne eigenen Verteidigungs-
beitrag wäre die Bundesrepublik Deutschland nicht
zu dem geworden, was sie heute ist: ein wiederver-
einigtes, freies und im Verhältnis zu den übrigen
Staaten der Erde wohlhabendes Land, ein geachte-
tes Mitglied der Völkergemeinschaft. Ich will gera-
de im Jahr 1995 darauf aufmerksam machen, dass
vor 50 Jahren Deutschland ein geächtetes Land war.
Dass wir in fünf Jahrzehnten miteinander so viel
erarbeiten konnten, verdanken wir unseren Verbün-
deten, der Einsatzbereitschaft der Bürgerinnen und
Bürger in unserem Land und vor allem auch der
Bundeswehr.

Ich war an diesem Abend selbst Rekrut und von der
Rede tief bewegt, allerdings auch irgendwie froh, als die
ganzen Reden vorbei waren und wir endlich zum Gelöb-
nis kamen. Schließlich ist es durchaus anstrengend ge-
wesen, über eine Stunde in Reih und Glied angetreten
zu sein.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1813602100


Ihr Gelöbnis findet in einem historisch denkwürdi-
gen Moment statt. Es ist der Geburtstag der Bun-
deswehr, der ersten freiheitlich-demokratischen Ar-
mee Deutschlands, eingebettet in die demokratische
Gemeinschaft unserer Partner im transatlantischen
Bündnis. Ohne diese Einbettung hätte Deutschland,
das Land in der Mitte Europas mit den meisten
Nachbarn überhaupt, fünf Jahrzehnte nach der größ-
ten Katastrophe, die es für Deutschland und Euro-
pa je gegeben hat, nicht den Zustand erreicht, dass
wir heute mit all unseren Nachbarn in Frieden und
Freundschaft leben. Dafür haben Generationen von
Deutschen gekämpft, gebetet, gehofft. Das ist nicht
selbstverständlich, auch wenn wir es leider heute als
selbstverständlich empfinden.

Ich finde, diese Worte Stoibers haben auch heute noch
ihre Berechtigung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussion über
die deutsche Wiederbewaffnung fiel in eine Zeit, in der
die Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges noch greifbar
waren. Im Deutschen Bundestag diskutierten Abgeord-
nete über die Aufstellung deutscher Streitkräfte, die kei-
ne Abstraktionsfähigkeit benötigten, um sich die ganzen
möglichen Konsequenzen, nicht nur den Aufbau von Fä-
higkeiten, sondern vor allem auch die Bereitschaft, als
Ultima Ratio im Bündnis wieder militärisch handlungs-
fähig zu sein, vorzustellen.

So war die Wiederbewaffnung keineswegs unumstrit-
ten. Die CSU war von Beginn an ein überzeugter Befür-
worter eigener deutscher Streitkräfte. Ein zentrales Ar-
gument sprach aus ihrer Sicht dafür: Deutschland sollte

Ingo Gädechens






(A) (C)



(B) (D)


seine volle Souveränität wiedererlangen. Der Staat, so
jung er auch noch war, brauchte ein Instrument, um seine
Bürger vor der sehr realen sowjetischen Aggression zu
schützen. Die Integration in ein Verteidigungsbündnis,
ohne selbst einen substanziellen Beitrag zur kollektiven
Sicherheit zu leisten, wäre nicht tragbar gewesen. Auch
die USA forderten mehr Verantwortung von Deutschland.

Weiter war die CSU davon überzeugt, dass Deutsch-
land nur in enger Kooperation mit den europäischen
Nachbarn zur Wiederbewaffnung fähig ist. Dem Arg-
wohn der SPD, dass die Wiederbewaffnung Deutsch-
lands die Einheit gefährdet, setzte Franz Josef Strauß in
der historischen Debatte von 1952 eine überzeugende
Richtungsvorgabe entgegen: über die Einheit Europas
zur Wiedervereinigung Deutschlands – ein Weg, der be-
kanntermaßen 1989 zur deutschen Einheit führte.

Der spätere Verteidigungsminister Strauß, lieber Herr
Gehrcke, der mit Fug und Recht als einer der Väter der
Bundeswehr bezeichnet wird, fasste die Problematik der
Wiederbewaffnung damals treffend zusammen:

Wer ja sagt, muß sich die Verantwortung für die Fol-
gen überlegen. Wer nein sagt, nein um jeden Preis,
muß für die Konsequenzen einstehen, die aus dieser
Verantwortung erwachsen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Bin ich ja!)


Damit nahm er die Abgeordneten, die dem pazifisti-
schen Leitmotiv ein plakatives „Ohne mich“ voranstell-
ten, in die Verantwortung. Er selbst nannte sich später
einmal einen „Verantwortungspazifisten“. Um den Frie-
den zu sichern, so Strauß, müssen notfalls auch militäri-
sche Instrumente in Erwägung gezogen werden. Er als
Historiker hat dabei vor allem auf die Untätigkeit der
europäischen Demokratien in der Sudetenkrise und beim
Überfall auf Polen in den 30er-Jahren hingewiesen. Der
linke Gesinnungspazifist könne vielleicht besser schla-
fen; aber durch sein rigoroses Nein zu militärischen Mit-
teln könne er auch zur Verschärfung der Lage beitragen –


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


eine Schlussfolgerung, die auch 60 Jahre nach Gründung
der Bundeswehr weiterhin ihren Wahrheitsgehalt hat;
gerade die Kollegen der Fraktion Die Linke sollten hier
aufhorchen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Die permanente Gefahr aus Moskau beeinflusste das
politische Arbeiten in einer Art und Weise, wie wir uns
das heute nicht mehr vorstellen können. So musste die
Bundeswehr in kürzester Zeit Fähigkeiten aufbauen, um
in der Blockkonfrontation handlungsfähig zu sein. Auch
umstrittene Entscheidungen fielen unter diese Prämisse,
so zum Beispiel die Beschaffung des Starfighters. Für
ehemalige Marineflieger wie Harm Zander war der Star-
fighter ein gutes Flugzeug. Mit ihm konnten deutsche
Piloten den Fliegern des Ostblocks waffentechnisch end-
lich auf Augenhöhe begegnen. Der Supersonic-Jet stellte
an die Piloten allerdings auch höchste Anforderungen.
Der Erfolg der Wehrhaftigkeit ist heute offenkundig, aber

er forderte auch viele Opfer: 116 Piloten verunglückten
tödlich bei Flügen mit dem Starfighter. Wir gedenken
heute daher auch derer, die für einen Frieden in Freiheit
während der Ausübung ihres Dienstes bis heute ihr Le-
ben verloren.

Von Beginn an war klar, dass die Streitkräfte eine
neue Führungsphilosophie brauchten, die sich an den
Prinzipien des Grundgesetzes orientierte. Das von Gene-
ral Baudissin eingeführte Konzept der Inneren Führung
garantierte eine militärische Führung, die soziale und
individuelle Aspekte des Menschen berücksichtigte. Sol-
daten sollten nicht einfach nur funktionieren oder etwa
einen Sonderstatus genießen, sondern sich als Staatsbür-
ger in Uniform verstehen. Weltweit beachtet, ist das un-
ter dem Eindruck der Erfahrung aus Krieg und Diktatur
entstandene Leitbild noch immer die tragende Säule des
militärischen Selbstverständnisses.

Die Bundeswehr bildete aber nicht nur die Brücke
nach Westen. Wenige wissen, dass von der noch jungen
Armee ein Samen für die besondere deutsch-israelische
Freundschaft gesetzt wurde. Schon 1958, drei Jahre nach
der Gründung der Bundeswehr, nahmen die Armeen bei-
der Länder die ersten Kontakte auf – 13 Jahre nach dem
Holocaust, bei dem sich deutsche Wehrmachtssoldaten
mitschuldig gemacht haben.

Obwohl es diplomatische Beziehungen zwischen Is-
rael und Deutschland noch nicht gab, begannen Vertreter
der Marine beider Armeen mit der Zusammenarbeit. Die
Deutschen halfen Israel beim Aufbau seiner U-Boot-Flot-
te. Damit stellten sich die Soldaten aktiv unserer aus der
Geschichte entstandenen Verantwortung, die Sicherheit
und die Existenz Israels zu schützen. Dieses besonde-
re Verhältnis wurde einmal mehr 1990 deutlich, als der
Zerstörer „Bayern“ als erstes deutsches Kriegsschiff den
israelischen Hafen Haifa besuchte. Mein Bruder, der
damals als Obergefreiter Philip Hahn auf der „Bayern“
seinen Wehrdienst absolvierte, erzählte mir damals von
dem bewegenden Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem,
bei der die Marinesoldaten in Uniform einen Kranz nie-
derlegten.

Auch heute ist der Ruf nach mehr Verantwortung
Deutschlands stärker denn je. Nicht nur bei Themen wie
der Finanzkrise muss Deutschland als Orientierungs-
macht auftreten; auch in der Außenpolitik bedarf es eines
Zeichens Deutschlands, um beispielsweise den europäi-
schen Stillstand zu überwinden.

Die aktuellen Herausforderungen zwingen uns, die
Rolle des Militärs neu zu bestimmen. Mit der Entschei-
dung unserer Bundesministerin von der Leyen, ein neues
Weißbuch zu verfassen, gehen wir diese Aufgabe ent-
schlossen an.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Soldaten-
beruf ist kein Beruf wie jeder andere. Ich möchte daher
unseren Soldatinnen und Soldaten, die im In- und Aus-
land aktuell im Einsatz sind oder es waren, meinen per-
sönlichen Respekt, hohe Anerkennung und ein herzliches
„Vergelt‘s Gott!“ aussprechen. Ebenso möchte ich den
55 000 zivilen Mitarbeitern und Fachkräften von Herzen
danken, ohne die unsere Truppe nicht funktionieren wür-
de. Die Bundeswehr ist und bleibt ein tragender Stütz-

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


pfeiler unserer freien demokratischen Grundordnung.
Wir können auf unsere Bundeswehr zu Recht stolz sein.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813602200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen damit zu unserem folgenden Tagesord-
nungspunkt 5:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Zimmermann (Zwickau), Ulla Jelpke, Jutta
Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstüt-
zen, Integration befördern und Lohndumping
bekämpfen

Drucksache 18/6644
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss

Auch für diese Aussprache sind nach einer interfrak-
tionellen Vereinbarung 77 Minuten vorgesehen. – Das
wird offenkundig allgemein so akzeptiert.

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile der Kolle-
gin Sabine Zimmermann für die antragstellende Fraktion
Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813602300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Für den Verbandspräsidenten des BDI hat die
Bundesregierung eigentlich immer ein offenes Ohr. Es
sollte Ihnen deshalb nicht schwerfallen, jetzt einmal ge-
nau zuzuhören, -


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813602400

Augenblick bitte. – Es wäre schön, wenn etwas mehr

Ruhe einkehrt. – Okay, schon in Ordnung. Bitte schön.


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813602500

– was Herr Grillo anlässlich des Tages der Deutschen In-
dustrie gesagt hat. Als größte Herausforderung hat Grillo
die Eingliederung der Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt
bezeichnet. Man habe ein demografisches Problem und
viele offene Stellen, sagte Grillo. Eine rasche Integration
bringe mehr für die Sozialkassen, und Integration durch
Qualifikation sei zu schaffen. Nun aber müsse die Koa-
lition für das Wirtschaftswachstum und in Sprachkurse
investieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Man könnte fast glauben, dass Herr Grillo den Antrag
der Linken gelesen hat.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das halte ich für unwahrscheinlich! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU])


Aber zumindest hat er einige Punkte übernommen. Wir
sind zwar selten einer Meinung mit ihm, Kollege Zimmer,
aber in diesem Punkt hat er doch recht, oder nicht?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unter-
stützen, statt sie zu behindern oder ihnen sogar die Ar-
beit zu verbieten. Wir müssen aber auch zugleich unsere
strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt anpacken.
Es stimmt eben nicht, wie Frau Merkel behauptet, dass
es Deutschland gut geht. Vielen geht es nicht gut. Trotz
Aufschwung nimmt die Zahl der von Armut betroffenen
Personen


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder die Jammerphase!)


– Sie von der Union müssen das schon zur Kenntnis
nehmen – auf insgesamt 13 Millionen Menschen zu. Die
Zahl der Langzeiterwerbslosen liegt seit Jahren bei über
1 Million. Das war schon so, bevor die Flüchtlinge zu
uns gekommen sind. Also sind diese bestimmt nicht da-
ran schuld.


(Beifall bei der LINKEN)


Schuld ist diese Bundesregierung. Sie weigert sich seit
Jahren, die sozialen Missstände in Deutschland anzuge-
hen. Bei der Beseitigung dieser Missstände müssen Sie
selbstverständlich die Vermögenden und die Konzerne in
Haftung nehmen. Aber das wollen Sie auch nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss sel I)

einverstanden! – Katja Mast [SPD]: In wel-
cher Welt leben Sie eigentlich?)

Sie haben in den letzten Jahren nichts gegen die zuneh-
mende Armut getan, insbesondere nichts gegen die Al-
tersarmut.


(Sabine Weiss natürlich nicht! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Von den Rentenerhöhungen einmal abgesehen! – Katja Mast [SPD]: Deshalb haben wir auch keinen Mindestlohn gemacht!)


2 Millionen Kinder in Deutschland leben in Armut. Sie
haben nichts getan gegen prekäre Beschäftigung sowie
gegen die massive Ausweitung der Leiharbeit und des
Niedriglohnsektors.


(Katja Mast [SPD]: Mindestlohn!)


Viele können ihre Familien nicht mehr ernähren. 1,2 Mil-
lionen Menschen müssen in Deutschland aufstocken.
Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! Das ist so.


(Beifall bei der LINKEN)


Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


Auch ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro hat daran
nichts ändern können; das wissen Sie ganz genau.


(Katja Mast [SPD]: Beim Mindestlohn haben Sie sich enthalten! Da haben Sie nicht mitgemacht!)


Deshalb fordert die Linke einen Neustart in der Arbeits-
marktpolitik für alle.


(Beifall bei der LINKEN)


Für die Flüchtlinge ist die bisherige Bilanz ernüch-
ternd. Nur 8 Prozent von ihnen kommen im ersten Jahr in
Arbeit. Nach fünf Jahren ist es die Hälfte. Sie müssen oft
auf Dauer im Niedriglohnsektor bleiben. Die Ursachen
dafür sind zahlreich: lange Asylverfahren, Wohnsitzauf-
lagen, Einschränkungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt
und eine mangelhafte Unterstützung insbesondere beim
Spracherwerb. Es ist doch ein absolutes Unding, dass
Sie jetzt auch noch vorhaben, dass Flüchtlinge von ih-
rem bisschen Geld den Deutschkurs mitbezahlen sollen.
Welch ein Irrsinn! Das bedeutet: Essen oder Sprache ler-
nen. Verrückt!


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die schleppende Anerkennung ausländischer
Berufsabschlüsse ist äußerst hinderlich. Besonders gut
kennen sich die Bleiberechtsnetzwerke aus, denen ich an
dieser Stelle für ihre hervorragende Arbeit danken möch-
te.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu ihnen kam Frau Tairova; sie ist geduldeter Flücht-
ling. Sie ist Roma, hat Deutsch gelernt und ihre Schul-
abschlüsse gemacht. Nach vielen Praktika hat sie endlich
einen Ausbildungsplatz erhalten. Ihre Aufenthaltserlaub-
nis ist nun jedoch daran geknüpft, dass sie ihren Ausbil-
dungsvertrag dauerhaft erfüllt.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Schön!)


– Schön wär’s. – Aber sie darf den Wohnsitz nicht wech-
seln

und darf nicht umziehen.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das braucht sie auch nicht!)


– Doch. – Genau das ist das Problem; denn sie wohnt
über 20 Kilometer von ihrer Ausbildungsstätte entfernt
und hat gar nicht die entsprechenden finanziellen Mög-
lichkeiten. Solche Auflagen und Arbeitsverbote gibt es zu
Tausenden. Das ist ein Armutszeugnis für dieses Land.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Bundesregierung ist der größte Integrationsver-
weigerer, und niemand anderes.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb fordern wir erstens zügige Asylverfahren, Ab-
schaffung jeglicher Arbeitseinschränkungen und -verbo-
te sowie zweitens ausreichend Personal für die Jobcenter.
Seit Jahren fehlt ausreichendes Personal für die indivi-
duelle Vermittlung und Unterstützung. Die Bundesländer

fordern 1,1 Milliarden Euro mehr dafür. Die Regierung
hat weniger als ein Drittel davon in Aussicht gestellt.
Statt bei den Fördermaßnahmen weiter zu kürzen, brau-
chen wir mehr Geld für Qualifizierung. Qualifizierung ist
das A und O, wenn jemand auf dem Arbeitsmarkt beste-
hen will. Begreifen Sie das doch endlich!


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens dürfen Flüchtlinge nicht als billige Arbeitskräfte
missbraucht werden. Für sie muss der Mindestlohn ge-
nauso gelten, ohne Wenn und Aber.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])


Auch die Ausnahmen müssen endlich abgeschafft wer-
den.

Frau Merkel sagt: Wir schaffen das. – Ich sage Ihnen:
So nicht!

Danke schön für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813602600

Das Wort erhält der Kollege Karl Schiewerling für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1813602700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat,

wir stehen in Deutschland vor einer der größten Heraus-
forderungen. Die vielen Flüchtlinge in unserem Land lö-
sen bei vielen Menschen Ängste und deutliche Abwehr-
reaktionen aus. In der Tat ist es etwas anderes, ob ich in
der Finanzkrise 2007/2008 gegen virtuelle Blasen einen
Etat setzen kann und internationales Finanzmanagement
betreibe oder ob ich es, wie in der jetzigen Situation, mit
Menschen zu tun habe, die mit Haut und Haaren, mit
Seele und mit Erwartungen vor unseren Türen stehen.

Die Entwicklung trifft in Deutschland auf eine Situ-
ation, in der Deutschland der Wachstumsmotor in Eu-
ropa ist, die niedrigste Arbeitslosenquote und eine hohe
Beschäftigung hat, sie trifft in Deutschland auf eine Si-
tuation, in der die Hauptsorge der Menschen die demo-
grafische Entwicklung und eine immer älter werdende
Gesellschaft ist, in deren Folge Fachkräftemangel eines
der beherrschenden Wirtschaftsthemen ist. In dieser Zeit
kommen unangemeldet und für den einen oder anderen
plötzlich in diesem Jahr mehr als 800 000 Flüchtlinge
aus anderen Ländern, aus anderen Kulturkreisen zu uns,
um Schutz vor Verfolgung und ein besseren Leben zu su-
chen.

Sehen Sie, Frau Kollegin Zimmermann, das unter-
scheidet uns: Wenn in Deutschland ein so blankes Elend
herrscht, wie Sie es beschreiben, dann frage ich mich,
warum die Menschen eigentlich in dieses Elend kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Sabine Zimmermann (Zwickau)







(A) (C)



(B) (D)


Ich kann mich nur wundern über Ihre Amnesie, wenn es
um die Frage geht, was bei uns Wirklichkeit ist. Sie ken-
nen genau die Arbeitsmarktzahlen, und Sie kennen ge-
nau die Entwicklung. Die Menschen wollen in ein Land
kommen, in dem Recht und Ordnung herrscht und in dem
sie eine Lebensperspektive haben. Die Lebensperspekti-
ve sind Auszeichnungen für unser Land, weil wir offen-
sichtlich international, auch in der Frage der Gerechtig-
keit, wesentlich besser dastehen als viele andere Länder.
Warum kommen sie zu uns?


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine lieben Kollegen von der Linken, ich hätte we-
nigstens von Ihnen erwartet, sosehr Ihr Antrag einige
durchaus richtige Impulse gibt, die wir in der Regierung
aber schon längst aufgreifen,


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Abgeschrieben haben! – Gegenruf der Abg. Katja Mast [SPD]: „Abgeschrieben haben“? Den Antrag gibt es seit gestern!)


dass Sie endlich einmal, auch in dieser schwierigen Si-
tuation, in der sich unser Land befindet, nicht mit Ihren
alten Klamotten aus der Kiste kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir sprechen von einem Land, in dem 600 000 freie
Stellen gemeldet sind, in dem Auszubildende in Handel,
Handwerk und Gastronomie gesucht werden und in dem
die Menschen langsam spüren, dass wir, wenn jüngere
Menschen fehlen, vor großen Herausforderungen stehen,
die wir nicht mit Computern werden beantworten kön-
nen. Wir sprechen von einem Land, in dem 2,6 Millionen
Menschen arbeitslos sind, darunter 1 Million Langzeit-
arbeitslose.

Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, Ordnung in diese
Situation zu bringen. Gegen Panikattacken auch in unse-
rem Land – das sage ich in verschiedene Richtungen –
helfen nur ein klarer Kopf und eine ordnende Hand. Ich
sage Ihnen, dass wir dabei sind, diese Ordnung hineinzu-
bringen. Mein Vertrauen gilt hier voll und ganz der Bun-
deskanzlerin und dem Handeln der Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Denn das Konzept ist eindeutig: Der Zustrom muss
durch internationale Rahmenabkommen gestoppt wer-
den. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen in
ihren Ländern bleiben können. Wir brauchen eine euro-
päische Regelung, was die Aufnahme angeht, und wir
brauchen eindeutig auch eine Begrenzung des Zuzugs,
damit wir denen, die hier sind, entsprechend helfen kön-
nen. Wir können nur denen helfen, die tatsächlich eine
Bleibeperspektive haben. Denjenigen, die keine Bleibe-
perspektive haben, müssen wir sagen, dass wir Platz für
die brauchen, deren Leib und Leben wirklich existenziell
bedroht sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD])


Für die allerdings müssen wir alles tun. Ich glaube,
wir sind auf einem guten Weg. Ich sage Ihnen: Die Zu-
sammenlegung der Leitung der Bundesagentur für Arbeit

und des BAMF in die Hand von Herrn Weise war eine
der wichtigsten und klügsten Entscheidungen,


(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD])


und zwar nicht nur, was die Person angeht, sondern auch
deshalb, weil es einen sachlichen Zusammenhang zwi-
schen der Aufgabe des Amts für Migration und den sich
danach, wenn alle Rechtsentscheidungen getroffen sind,
ergebenden Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es gilt, all denjenigen ein herzliches Dankeschön zu
sagen, die in diesem Bereich tätig sind und jetzt mit an-
packen, dass wir die Verfahren beschleunigen und nach
vorne bringen. Das geht eben nicht, wie die Bundeskanz-
lerin zu Recht sagte, indem irgendein Hebel umgelegt
wird: Und sofort ändert sich alles schlagartig und gleich-
zeitig. Wir müssen jetzt sehen, dass wir die Aufgaben der
Reihe nach lösen und mit Konsequenz bei den Beschlüs-
sen bleiben, die wir miteinander getroffen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, es geht, was die Perspek-
tive betrifft, natürlich um die Integration in den Arbeits-
markt. Ich will es noch einmal deutlich sagen: Wir haben
zurzeit über 31 Millionen Menschen in sozialversiche-
rungspflichtiger Beschäftigung. Wir haben 7,4 Millio-
nen Menschen mit geringfügiger Entlohnung. Wir haben
2,6 Millionen Menschen, die arbeitslos sind, ja. Aber wir
haben auch über 600 000 freie und offene Stellen. An
dieser Stelle soll und muss in aller Deutlichkeit gesagt
werden, weil es anders immer wieder in den Medien kol-
portiert wird: Niemand, der hier wohnt, muss um seine
Rente, um seinen Gesundheitsschutz, um die Hilfe der
deutschen Sozialsysteme fürchten. Sie werden weiterhin
alle Unterstützung bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Alle Befürchtungen, die an die Wand gemalt werden,
sind irreal.

Meine Damen und Herren, natürlich ist das eine gro-
ße Herausforderung. Die große Herausforderung für den
Arbeitsmarkt wird sich in den kommenden Monaten
erstmals mit aller Wucht stellen. Damit wir diesen Her-
ausforderungen gerecht werden, ist es wichtig, den Blick
darauf zu richten, wie die Situation ist: Zu uns kommen
Menschen, von denen 80 Prozent kein Deutsch können
und nicht die nötige Qualifikation mitbringen. Das weiß
auch die deutsche Wirtschaft. Ich nehme die deutsche
Wirtschaft ernst, wenn sie sagt: Wir wollen alles tun, um
diese Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. – Das
ist natürlich bei jungen Menschen, die zuwandern, leich-
ter als bei denjenigen, die vielleicht schon etwas älter
sind. Die Jungen können wir durch Vermittlung der deut-
schen Sprache in Ausbildung bringen. Dem 25-Jährigen,
26-Jährigen, der zu uns kommt, der nie eine Berufsaus-
bildung nach deutschem Verständnis gemacht hat, aber
vielleicht schon seit mehr als zehn Jahren als Schweißer
erfolgreich in seinem Heimatland tätig ist, müssen wir
die Perspektive geben, in Beschäftigung zu kommen,
aber gleichzeitig berufsbegleitend die deutschen Qua-

Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)


lifikationen nachzuholen. Vorab muss er etwas Deutsch
lernen, aber das wichtige Lernen erfolgt im Beruf. Der
Meister im Betrieb ist oft der beste Deutschlehrer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit wird
nach allen derzeitigen Prognosen um 0,1 Prozent steigen.
Das sind Perspektiven, die keinen Anlass zu Panikatta-
cken geben, sondern die uns vor Herausforderungen stel-
len, unsere Aufgaben im Bereich der Arbeitsmarktpolitik
zu lösen. Wir werden sie lösen, indem wir zunächst ein-
mal denjenigen, die Deutsch brauchen, auch die notwen-
digen Deutschkenntnisse vermitteln. Hier werden die
entsprechenden Mittel in Höhe von 1,9 Milliarden Euro
zur Verfügung gestellt. Das werden wir in der nächsten
Sitzungswoche, wenn der Haushalt verabschiedet wird,
beraten. Nach derzeitigem Plan wird der Haushalt der
Bundesarbeitsministerin 1,9 Milliarden Euro mehr erhal-
ten, um denjenigen, die arbeitslos werden, entsprechende
Unterstützung zu geben und denjenigen durch Sprach-
kurse und berufliche Integration zu helfen, Fuß auf dem
deutschen Ausbildungsmarkt zu fassen.

Ich sage auch sehr deutlich: Das verlangt ein Um-
denken in den Köpfen mancher Leute. Wir werden
auch manche Teilqualifikation brauchen. Wir werden
auch – das ist überhaupt keine Frage – manche jungen
Menschen haben, die wir über eine Einstiegsqualifikati-
on ins Praktikum stecken, damit sie sich an die Situation
auf dem deutschen Arbeitsmarkt gewöhnen und so ihre
Per spektiven langsam entwickeln können. Aber was wir
nicht brauchen, ist eine Absenkung des Mindestlohns,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


weil dies nicht zu einer leichteren Integration führen
würde, sondern zur Wettbewerbsverzerrung.

Meine Damen und Herren, wir müssen die Perspekti-
ven, die Chancen, die sich uns stellen, nutzen. Wir müs-
sen mit ruhiger Hand handeln. Ich bin sicher, dass wir
die Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt meistern
werden, wenn wir nicht den Himmel voller Geigen ma-
len, sondern uns der Realität stellen, und zwar gemein-
sam mit den Akteuren, den Sozialpartnern und allen, die
Verantwortung tragen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813602800

Herr Kollege.


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1813602900

Ich erlebe ganz viel guten Willen, hier etwas zu tun,

und Gott gebe, dass dieser gute Wille möglichst lange
anhält.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813603000

Das Wort erhält nun die Kollegin Brigitte Pothmer für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813603100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ob die In-

tegration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt gelingt,
hängt auch und nicht zuletzt vom gesellschaftlichen Kli-
ma ab. Dieses Klima ist gerade im Begriff zu kippen. Das
liegt nicht nur an der großen Zahl von Flüchtlingen, die
jetzt zu uns gekommen sind. Das hat vor allen Dingen
und in erster Linie damit zu tun, dass die Menschen das
Gefühl haben, dass der Politik dieses Problem vollstän-
dig entglitten ist. Dafür trägt diese Bundesregierung die
Verantwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Schiewerling, wenn Sie hier angesichts des Cha-
os, das Sie in den letzten Wochen produziert haben, von
einer „ordnenden Hand“ sprechen, dann kann das doch
nur Selbstironie sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie produzieren hier Chaos, und dieses Chaos zahlt sich
für die AfD aus. Bei einer Aufgabe dieser Dimension
braucht es eine Regierung, die eine klare Haltung hat,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Unter eurer Führung?!)


die Zuversicht ausstrahlt, die die Chancen betont, und,
meine Damen und Herren, die Flüchtlinge sind eine rie-
sige Chance für dieses Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will aber betonen: Das ist natürlich kein Selbstläu-
fer. Wenn wir die Fehler der Gastarbeiterpolitik aus den
60er-Jahren wiederholen und versuchen, die Menschen
so schnell wie möglich wieder loszuwerden, wie es Herr
de Maizière gerade tut, dann kann Integration nicht ge-
lingen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen die Chancen nutzen; aber dafür müssen wir
in die Talente und in die Potenziale der Menschen inves-
tieren. Wir müssen rechtliche und bürokratische Hürden
abbauen.

Herr Schiewerling, Sie haben darauf hingewiesen: Die
Hälfte aller Flüchtlinge ist unter 25 Jahre. Sie sind hoch
motiviert. Sie wollen dringend eine Ausbildung abschlie-
ßen, und viele von ihnen haben bereits einen Ausbil-
dungsplatz. Was sie nicht haben, ist eine sichere Bleibe-
perspektive. Betriebe und Flüchtlinge müssen jedes Jahr
eine Abschiebung befürchten. Was glauben Sie, welche
Betriebe das mitmachen sollen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Was glauben Sie, welche Belastung Sie diesen jungen
Menschen aufbürden?

Erklären Sie mir bitte einmal eines: Wieso gilt diese
geringe Duldung nur für Flüchtlinge bis 21 Jahre? Nur
einmal zum Vergleich: Von den deutschen Auszubilden-

Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)


den beginnen fast 30 Prozent ihre Ausbildung im Alter
von über 21 Jahren. Wieso darf das nicht für Flüchtlinge
gelten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Haben wir jetzt einen Fachkräftemangel? Müssen wir
mehr junge Menschen ausbilden oder nicht? Von einer
offensiven Integrationspolitik sind Sie wirklich weit ent-
fernt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will eine weitere bürokratische Hürde ansprechen,
die Vorrangprüfung, die wir, wie ich höre, Herrn Gabriel
zu verdanken haben. Sie wird damit begründet, dass Ge-
ringqualifizierte und Langzeitarbeitslose nicht das Ge-
fühl bekommen sollen, dass sie wegen der Flüchtlinge
abgehängt werden. Glauben Sie mir: Diese Sorge neh-
me ich wirklich sehr ernst. Eines ist doch klar: Chancen
eröffnen Sie Geringqualifizierten und Langzeitarbeits-
losen, indem Sie in diese Menschen investieren, in ihre
Qualifikationen, aber nicht durch eine Vorrangprüfung.
Durch eine Vorrangprüfung schaffen Sie einfach eine
weitere Gruppe, die Sie abhängen. Das bringt gar nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, ungerechtfertigterweise
läuft meine Zeit am Pult schon wieder ab.


(Heiterkeit – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Das ist eine Mindermeinung, das mit „ungerechtfertigterweise“!)


Diese Welt ist nicht gerecht. Lassen Sie mich deswegen
zum Schluss kommen und Marcel Fratzscher vom DIW
zitieren:

Die Offenheit für andere Menschen, andere Kultu-
ren und andere Ideen war und ist ein wirtschaftli-
cher Erfolg unseres Landes. Es sind gerade die Re-
gionen mit dem höchsten Anteil an Menschen mit
Migrationshintergrund, die das höchste Einkommen
und den höchsten Wohlstand haben.

Wissen Sie, was das größte Problem in diesem Lande
ist? Dass diese Bundesregierung genau diese Offenheit
für neue Kulturen, neue Ideen und andere Menschen
eben nicht hat!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit verspielen Sie eine riesige, eine historische Chan-
ce für unser Land.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813603200

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Katja Mast.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1813603300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lie-
be Brigitte Pothmer, ich schätze Sie ja sehr wegen Ihres
scharfen Verstandes und auch wegen


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Humor! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Ihrer prägnanten Worte. Ich finde aber, dass eine Sache
überhaupt nicht geht. Es geht nicht, dass Sie hier vorne
sagen, der Regierung sei die Situation vollkommen ent-
glitten und es herrsche Chaos. Das weise ich an dieser
Stelle eindeutig zurück.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sie sind den Leuten auf den Leim gegangen, die jeden
Tag mit neuen Vorschlägen versuchen zu vertuschen, wo-
ran gearbeitet wird. Deshalb weise ich das hier auch so
eindeutig zurück, Frau Kollegin Pothmer.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich bin der Fraktion Die Linke dankbar, weil sie uns
die Möglichkeit gibt, heute nicht nur über innenpoliti-
sche und aufenthaltsrechtliche Fragen zu diskutieren,
sondern auch über die große Frage der Integration von
Flüchtlingen in Deutschland. Dafür herzlichen Dank an
dieser Stelle.

Ich bin auch der Meinung, dass wir alle gemeinsam –
alle Demokratinnen und Demokraten – einen Fehler
nicht wiederholen dürfen, nämlich den, den wir bei der
Gastarbeitergeneration gemacht haben,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind gerade wieder dabei!)


als wir geglaubt haben, dass Arbeiter kommen und wir
nichts für ihre Integration tun müssen. Das Gegenteil ist
der Fall. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass
Kinder und ihre Eltern bzw. diejenigen, die hier arbeiten,
nicht nur durch Arbeit integriert werden, sondern auch
darüber hinaus.


(Beifall bei der SPD)


Was braucht man dazu? Man braucht dazu Sprache, Bil-
dung, Arbeit und soziales Miteinander; davon bin ich fest
überzeugt.

Die Debatte – ich sage einmal „die Pseudodebatte“ –
über die Frage, ob alle Syrer, die zu uns kommen, nun
subsidiären Schutz bekommen sollten oder nicht, halte
ich für falsch, nicht nur, weil damit Frauen und Kinder
aufs Mittelmeer geschickt würden, sondern auch, weil sie
integrationsfeindlich ist.


(Beifall bei der SPD)


Warum ist sie integrationsfeindlich? Wenn Sprache, Bil-
dung, Arbeit und soziales Miteinander der Schlüssel zur
Integration sind, stellt sich doch die Frage: Kommen die
Syrerinnen und Syrer, die zu uns kommen, auch irgend-
wie in Arbeit? Wenn sie aber einen Aufenthaltsstatus von
nur einem Jahr haben – nichts anderes heißt „subsidiärer
Schutz“; sie müssen jedes Jahr bangen, ob der Aufent-
haltsstatus verlängert wird –, dann gibt es – so zumindest

Brigitte Pothmer






(A) (C)



(B) (D)


in meinem Wahlkreis, Pforzheim und Enzkreis – kein
Unternehmen, das auch nur einen von ihnen einstellen
würde; denn die wollen eine Bleibeperspektive auf län-
gere Zeit. Deshalb braucht es zur Arbeitsmarktintegrati-
on auch sichere Bleibeperspektiven.


(Beifall bei der SPD)


Was braucht man noch zur Integration? Ich finde, dass
im Matthäus-Evangelium – Kapitel 25, Vers 35 – Richti-
ges dazu steht. Dort steht nämlich:

Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen ge-
geben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken
gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt
mich aufgenommen.

Das sind jetzt nicht die vier Punkte der Integration,
über die ich gerade gesprochen habe; und ich habe als
fünften Punkt das Aufenthaltsrecht hinzugefügt. Jetzt
kommt der sechste Punkt: Natürlich müssen zuerst die
Grundbedürfnisse befriedigt werden. Man muss zu essen
haben, man braucht ein Dach über dem Kopf, und man
muss aufgenommen und angenommen werden.

Aber heute geht es hauptsächlich darum, wie wir In-
tegration in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gewähr-
leisten. Deshalb glaube ich, dass es wichtig ist, dass wir
uns in Deutschland darüber unterhalten, wie wir einen
Masterplan Integration gestalten. Wie setzen wir es denn
um, dass Sprache, Bildung, Arbeit und soziales Mitein-
ander für die Menschen Realität werden, die neu zu uns
kommen und für unsere Gesellschaft viele Chancen er-
öffnen? Wie gehen wir eigentlich mit den 50 Prozent der
Flüchtlinge um – um nur eine Zahl zu nennen –, die unter
25 sind und bei uns eine Perspektive für ihr Leben haben
wollen und nicht nur einen Aufenthaltsstatus für ein Jahr
oder ein halbes Jahr? Das sind die wichtigen Fragen,
wenn es um Integration geht.


(Beifall bei der SPD)


Ich bin nicht bekannt dafür, dass ich zu viel aus der
Bibel zitiere; aber ich will ein weiteres Zitat bringen.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist jetzt los, Katja?)


Im 3. Buch Mose steht: Für den Fremden gilt das glei-
che Recht wie für den Einheimischen. – Deshalb muss
von hier heute ein klares Nein ausgehen, wenn es darum
geht, Arbeitsmarktstandards für Flüchtlinge nach unten
zu schrauben und für Einheimische nicht. Heute muss
von hier das Zeichen ausgehen: Arbeitsmarktstandards
gelten für alle Menschen in Deutschland.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb: Keine Absenkung des Mindestlohns und eine
Erhöhung des Mindestlohns dann, wenn es ansteht und
im Gesetz steht! Da bin ich anderer Meinung als der
Sachverständigenrat der Bundesregierung.

Wir brauchen keine neue Armee von Geringqualifi-
zierten. Wir brauchen einen schnelleren Arbeitsmarkt-
zugang. Wir brauchen Ausbildungsinstrumente für die
jungen Flüchtlinge, die bei uns sind, damit sie eine Per-
spektive haben. Wir brauchen auch einen Aufenthalts-
status, der da heißt: Wenn du bei uns eine Ausbildung

machst, dann darfst du nicht nur drei Jahre bei uns blei-
ben. – Ich fände es gut, wenn wir über „drei plus x Jahre“
diskutierten. Warum nicht „drei plus drei Jahre“? Für die
Unternehmen bei mir in Pforzheim und im Enzkreis gilt:
Die bilden lieber aus, wenn die Leute auch eine Perspek-
tive nach der Ausbildung haben.

Nur so, nur durch eine Debatte über Bildung, Sprache,
Arbeit, soziales Miteinander, Aufenthaltsstatus, „Per-
spektive geben“ werden wir die Chancen für unsere Ge-
sellschaft nutzen und Fachkräfte der Zukunft ausbilden.
Wir alle werden dadurch bereichert.


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813603400

Der Kollege Professor Dr. Matthias Zimmer spricht

jetzt für die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD])



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1813603500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Pro-

bleme, vor denen wir stehen, werden nicht über die kol-
lektiven Erregungskulturen von Twitter und Facebook
gelöst. Sie werden nicht gelöst, wenn Flüchtlinge instru-
mentalisiert werden, beispielsweise als Argument gegen
den Mindestlohn oder aber für die Rente mit 70. Unsere
Probleme werden nicht gelöst durch die Nörgler, Wut-
bürger, Kulturkritiker, Überfremdungspropheten. Sie
werden nicht gelöst durch Angst und Ablehnung, nicht
durch Hass und radikale Parolen. Sie werden aber sehr
wohl gelöst, wenn wir schrittweise die Fluchtursachen
reduzieren und die richtigen politischen Weichen für die
Integration stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zur Wahrheit gehört aber auch: Es wird nicht die eine
Lösung geben, die von heute auf morgen greift, und alle
Probleme sind vom Tisch. Nein, es bedarf einer Reihe
von Maßnahmen, die mit der Zeit greifen werden, und
darüber sprechen wir heute. Ich will dies aber nicht tun,
ohne zumindest eines zu sagen: Ohne das zivilgesell-
schaftliche Engagement ginge das alles nicht. Für mich
sind die vielen Freiwilligen die stillen Helden dieser
Tage. Sie zeigen, dass Solidarität gelebt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Als Arbeitsmarktpolitiker müssen wir fragen: Wie
können wir die Menschen, die zu uns kommen, in den
Arbeitsmarkt bringen? Dazu müssen wir uns zunächst
einmal vergewissern: Über welche Gruppen sprechen
wir, und über welche Größenordnungen sprechen wir?
Wir wollen Menschen mit einer dauerhaften Bleibeper-
spektive in den Arbeitsmarkt integrieren. Das bedeu-
tet im Umkehrschluss aber auch: Diejenigen, die keine
dauerhafte Perspektive haben, können nicht bleiben. Sie
müssen auf andere Wege verwiesen werden. Das haben
wir mit den Ländern des Westbalkans gemacht. Gleich-
zeitig haben wir einen anderen Zugang zum deutschen

Katja Mast






(A) (C)



(B) (D)


Arbeitsmarkt eröffnet, der wesentlich von unseren Inter-
essen bestimmt wird.

In der Diskussion geht das häufig durcheinander. Mein
Eindruck ist: Auch im Antrag der Linken ist das der Fall.
Da wird unter dem Oberbegriff „Flüchtling“ jeder erfasst,
der zu uns kommt, egal aus welchem Beweggrund. Ich
bin sehr dafür, genau zu trennen zwischen den Schutzbe-
dürftigen und denjenigen, die vornehmlich aus ökonomi-
schen Gründen kommen. Wir haben eine Verpflichtung
gegenüber denjenigen, die an Leib und Leben bedroht
sind aufgrund von Krieg oder Verfolgung. Aber wir kön-
nen die ökonomischen Probleme europäischer Anrainer-
staaten nicht in der Bundesrepublik Deutschland lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir sämtliche
Beschränkungen, Arbeitsverbote und Nachrangigkeitsre-
gelungen für Flüchtlinge generell abschaffen, wie es die
Linken in ihrem Antrag fordern, produzieren wir Chaos.
Das kann man wollen,


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nein!)


weil man Klassenkampf für eine schicke Idee hält oder
weil man der Meinung ist, die Aufnahmekapazität des
Arbeitsmarktes einmal austesten zu können. Wir jeden-
falls wollen dies aus guten Gründen nicht.

Der erste und wichtigste Schritt der Integration ist:
Sprachkenntnisse vermitteln und Qualifizierungsbedar-
fe feststellen. Deshalb war es gut, dass das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge die Integrationskurse für
Asylbewerber und Geduldete mit einer guten Bleibeper-
spektive geöffnet hat und hierfür auch die Mittel aufge-
stockt worden sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das schnelle Erlernen der deutschen Sprache ist der Kö-
nigsweg in den Arbeitsmarkt.

Der zweite wichtige Schritt ist, sich die Frage zu
stellen: Mit welchen Qualifikationen kommen die Men-
schen? Nun sind wir ein Land, in dem formale Qualifika-
tionen wichtig genommen werden, manchmal wichtiger
als die berufliche Erfahrung. Deswegen ist es aus meiner
Sicht wichtig, Berufserfahrungen, Teilqualifikationen
und Zertifikate abzufragen, um sich dann ein genaues
Bild davon zu machen, was getan werden muss. Ich bin
im Übrigen froh, dass die Bundesministerin für Bildung
und Forschung in den nächsten Tagen ein ressortüber-
greifendes Programm dazu vorstellen will.

Die spannende Frage aber ist: Über wie viele Men-
schen reden wir, was die Integration in den Arbeitsmarkt
angeht? Wenn ich von einer augenblicklichen Zahl von
850 000 Flüchtlingen ausgehe und unterstelle, dass die
Schutzquote bei etwa 50 Prozent liegt und 70 Prozent da-
von erwerbsfähig sind, komme ich auf eine Zahl von etwa
300 000 Neuzugängen in den Arbeitsmarkt. Nun muss in
Rechnung gestellt werden: Nicht alle werden tatsächlich
bleiben, zumal dann nicht, wenn sich die Verhältnisse in
ihren Heimatländern bessern. Das hat uns die Erfahrung
mit den Bosniern in den 1990er-Jahren gelehrt. Die Er-

fahrung aus den 90er-Jahren hat auch gezeigt: Die Quote
derer, die eine Arbeit aufnahmen, lag nach einem Jahr bei
10 Prozent, nach fünf Jahren bei über 50 Prozent. Hier
können wir durch schnellere Verfahren und frühzeitige
Sprachangebote sicherlich noch viel besser werden; denn
eines ist auch richtig: Viele der Menschen sind hochmo-
tiviert und wollen arbeiten. Um dies zu ermöglichen,
haben wir die Mittel im Eingliederungstitel erhöht, und
zwar um insgesamt 900 Millionen Euro. Die Linke for-
dert in ihrem Antrag eine Erhöhung um 1,7 Milliarden
Euro. Das liegt an dem alten Irrglauben, dass mehr auch
immer gleich besser ist.

Nun sagen einige nicht unbedeutende Stimmen,
Deutschland könne mit den Flüchtlingen zum Teil auch
sein demografisches Problem lösen. Richtig ist: Ein
Großteil der Flüchtlinge ist unter 25 und kann damit
dem Arbeitsmarkt noch lange erhalten bleiben. Forscher
haben errechnet: Wir brauchen pro Jahr eine Zuwande-
rung in einer Größenordnung von 270 000 qualifizierten
Menschen, damit wir die Sozialsysteme stabilisieren und
die Voraussetzungen für ein stetiges Wachstum schaffen
können. Freilich wissen wir nicht, wie viele der Men-
schen, die wir fördern und in den Arbeitsmarkt integrie-
ren, sich dazu entscheiden, dauerhaft bei uns zu bleiben.
Ich meine aber, selbst wenn Flüchtlinge nach einiger
Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren, ist ihre vorü-
bergehende Integration in unseren Arbeitsmarkt gut in-
vestiertes Geld. Wenn ein Flüchtling als gut ausgebildete
Fachkraft zurückkehrt, ist das vielleicht kein schlechter
Beitrag zum Aufbau eines zerstörten Landes, und wenn
er zurückkehrt und erleben konnte, wie Demokratie, So-
lidarität und Rechtsstaatlichkeit funktionieren, ist das
vielleicht ein Beitrag zu einer friedlicheren politischen
Kultur, die aus sich heraus keine Fluchtursachen mehr
produziert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Doch zurück zum Antrag der Linken. Er enthält eini-
ges, aber nicht sehr viel Vernünftiges. Geärgert hat mich,
dass beinahe ohne Zusammenhang die Forderung nach
Erhöhung des Mindestlohns auf 10 Euro auftaucht.


(Kerstin Griese [SPD]: Alles Textbausteine!)


Ich habe langsam den Verdacht, das schreiben Sie auch
bei Anträgen zum Schutz der Freizeitaquaristik oder der
Förderung des Schachspiels.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wenn’s hilft!)


Sie fordern Zwangsabgaben für Arbeitgeber – ja, auch
das kommt mir bekannt vor – und natürlich die höhere
Besteuerung von Unternehmen und Vermögenden. All
das sind eher Beiträge dazu, die Gesellschaft zu spalten,
obwohl es doch jetzt darauf ankäme, bei der Bewältigung
dieser Herausforderung alle mitzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben mit Blick auf die Bewältigung des Flücht-
lingsproblems einen langen Weg vor uns. Es gibt keine
Abkürzung, auch wenn uns die schrecklichen Vereinfa-
cher dies glauben machen wollen. Jeder lange Weg be-
ginnt mit den ersten Schritten. Wir gehen diese Schritte
mit den vielen Freiwilligen, wir gehen sie mit den Mitar-

Dr. Matthias Zimmer






(A) (C)



(B) (D)


beitern und Mitarbeiterinnen der kommunalen, Landes-
und Bundesbehörden, denen in diesen Wochen sehr viel
abverlangt wird. Wir gehen diese Schritte mit den Flücht-
lingen, die unsere Hilfe brauchen, und mit allen, die mit
uns davon überzeugt sind: Ja, wir schaffen das.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Katja Mast [SPD]: Und wir machen das!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813603600

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin

Sevim Dağdelen.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813603700

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Es tut dem Bundestag gut, auch einmal einen Gefolgs-
mann der Bundeskanzlerin aus der CDU/CSU-Fraktion
hier reden zu hören –


(Kerstin Griese [SPD]: Schon zwei!)


im Gegensatz zur gestrigen Aktuellen Stunde im Bundes-
tag, in der man sich offenbar darum bemühte, die Kanz-
lerin zu demontieren.

So tat es beispielsweise Bundesinnenminister
de Maizière, der in der Aktuellen Stunde seine Ableh-
nung des Familiennachzugs für syrische Flüchtlinge wie
folgt begründete:

Einen Nachzug in die Arbeitslosigkeit und damit in
die Perspektivlosigkeit sollte es nicht geben.

Ich finde, das ist eine wirklich bemerkenswerte Ar-
gumentation, und frage mich, wieso Sie den Menschen
eigentlich nicht reinen Wein einschenken. Erst durch das
Arbeitsverbot, das diese Bundesregierung schafft, die
Nachrangregelungen, verweigerte Sprachkurse und auch
die überlangen Asylverfahren werden die Flüchtlinge
zwangsweise zu Empfängern staatlicher Transferleistun-
gen. Erst verhindern Sie die schnelle Arbeitsmarktinte-
gration von Flüchtlingen, und dann kolportieren Sie das
Vorurteil, Flüchtlinge würden das Sozialhilfesystem in
Deutschland ausnutzen. Ich finde, statt rechtspopulisti-
scher Stimmungsmache sollten Sie endlich handeln – für
soziale Integration in diesem Land. Heben Sie die Ar-
beitsverbote auf, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sollten die aktuelle Situation zum Anlass nehmen,
den Sozialstaat in Deutschland insgesamt zu erneuern.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Sie instru mentalisieren die Flüchtlinge genauso wie die anderen! Das ist unglaublich! Die Menschen sind Ihnen nicht wichtig!)


Dafür brauchen wir eine Millionärsteuer, meine Damen
und Herren; denn wir brauchen bezahlbaren Wohnraum
für alle in Deutschland,


(Beifall bei der LINKEN)


eine Gesundheitsversorgung für alle in diesem Land und
Bildung und existenzsichernde Arbeit für alle Menschen.

Wer sich auf der einen Seite hierhinstellt und ständig das
Mantra „Wir schaffen das“ vorträgt, aber auf der anderen
Seite dieses Staatsversagen selbst organisiert, der muss
sich schon fragen lassen, welches Ziel er verfolgt. Wer
jetzt fordert, wie beispielsweise die Wirtschaftsweisen,
den Mindestlohn für Flüchtlinge zu senken, die Miet-
preisbremse aufzuheben, Sozialleistungen zu senken und
die Regelungen hinsichtlich des Renteneintrittsalters zu-
rückzunehmen, der befördert nicht nur Ungleichheit und
Rassismus in diesem Land, sondern versucht auch noch,
aus dem Elend der Flüchtlinge Kapital zu schlagen.


(Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss sel I)

Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ma-
chen Sie doch auch! Ihr seid doch genauso
schlimm wie die AfD!)

Sie müssen dieser Politik der Bundesregierung klar und
deutlich eine Absage erteilen, anstatt alles nachzureden.


(Beifall bei der LINKEN)


Fast jeden Tag kommt ein neuer Vorschlag der Bun-
desregierung, der sich gegen die soziale Integration von
Flüchtlingen richtet. Das neue Asylverfahrensbeschleu-
nigungsgesetz ist für viele Flüchtlinge schlicht ein Inte-
grationsverhinderungsgesetz.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nur für die ohne Bleibeperspektive!)


Die verlängerten Lageraufenthalte, ausgeweiteten und
dauerhaften Arbeitsverbote, die von drei auf sechs Mo-
nate verlängerte Residenzpflicht bezogen auf den Ort der
Erstaufnahmeeinrichtung, die Umstellung auf Sachleis-
tungen und die verfassungswidrigen Leistungskürzungen
werden nicht zur Integration führen, sondern bedeuten
eine Desintegration mit Methode.


(Beifall bei der LINKEN)


Jeder Schritt, der das Warten der Flüchtlinge in den La-
gern, in den Turnhallen und in den Unterkünften verlän-
gert, ist Gift für die Integration.


(Kerstin Griese [SPD]: Das Wort „Lager“ ist ein böses Wort!)


An dieser Stelle möchte ich gerne aus einem Brief ei-
nes Flüchtlings an die WDR-Journalistin Isabel Schayani,
die ihn veröffentlicht hat, zitieren. Sie schreibt:

Ein höflicher Mensch, der aber am Ende seines
Briefes schrieb: „Über lange Zeit nur zu essen und
zu schlafen, ohne arbeiten und lernen zu können,
führt dazu, dass die Menschen sich schlecht beneh-
men und psychische Probleme haben. Sie können so
eine Gefahr für die Gesellschaft werden. Wenn die
Regierung ihnen das Arbeiten ermöglichen würde,
dann könnten sie gesund und produktiv sein, wäh-
rend ihr Asylverfahren geklärt wird. Aber wenn je-
mand überhaupt nichts zu tun hat, dann versucht er,
etwas zu tun. Es könnte gut und es könnte schlecht
sein.“


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Matthias Zimmer






(A) (C)



(B) (D)


Ich finde, alle Ihre Vorschläge zielen in dieselbe Rich-
tung: Abwehr und Abschottung und vor allen Dingen
Desintegration. Hören Sie damit auf; denn Sie organi-
sieren die Perspektivlosigkeit der Flüchtlinge. Vor allen
Dingen bringen Sie den sozialen Frieden in Deutschland
in Gefahr, weil Sie das Land mit dieser Politik spalten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lesen Sie in Ihrer Rede noch einmal nach, wer hier spaltet!)


Sie sollten mit dieser selektiven Integrationspolitik auf-
hören. Selbst Asylsuchenden aus Afghanistan und Soma-
lia wird ein Sprachkurs während des Verfahrens verwei-
gert. Das ist doch schlicht das Gegenteil von Integration.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb sagen wir: Hören Sie auf mit den Arbeitsver-
boten! Hören Sie auf mit der Stimmungsmache gegen
Flüchtlinge;


(Sabine Weiss Sie auf, so einen Quatsch zu reden!)


denn Sie selbst sind dafür verantwortlich, dass sie nicht
arbeiten dürfen und keine Perspektive haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813603800

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Kerstin Griese.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1813603900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Frau Dağdelen, ich habe mich bei Ihrer Rede und auch
bei der Rede von Frau Zimmermann gefragt: Wo leben
Sie eigentlich?


(Sabine Weiss Wer schürt denn hier Rassismus? Ihr Herr Lafontaine hat gerade wieder Obergrenzen für Flüchtlinge gefordert, weil sonst nichts mehr geht. Das ist die falsche Forderung. Uns geht es darum: Wir schaffen das. Wir machen das. Wir tun echt etwas für die Integration von Flüchtlingen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE])


Jetzt benutzen Sie auch noch die Flüchtlinge, um, wie
immer, Ihren Textbaustein zur Millionärsteuer und zum
höheren Mindestlohn unterzubringen. Das geht so wirk-
lich nicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will Ihnen einmal sagen, was wir tun, damit wir
das schaffen, und Ihnen das an fünf Beispielen klarma-
chen:


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Eine Schande für die SPD!)


Erstens will ich Ihnen erzählen von einem sehr inte-
ressanten Besuch beim Integration Point in Düsseldorf.
Das ist ein neuer Ansatz. Dort arbeiten die Arbeitsagen-
tur, das Jobcenter und die Kommunale Ausländerbehör-
de zusammen. Ein schönes, buntes Symbol macht klar:
Hierhin können alle Flüchtlinge kommen. Hier wird ver-
netzt beraten. Hier muss man nicht von Amt zu Amt lau-
fen. – Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen sogar
in die Flüchtlingsunterkünfte,


(Sabine Weiss es!)


bieten dort Beratungsstunden an und gucken, welche
Qualifikationen die Leute haben. Ich will an dieser Stelle
allen danken, die jetzt vor Ort solche Konzepte entwi-
ckeln. Das ist der richtige Weg.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Mit diesem Ansatz des Integration Points startet man
in Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, Dortmund und
Herford. Dies wird dann flächendeckend im ganzen Land
angeboten. Das ist genau richtig. Selbst für uns ist es ja
schwierig, herauszufinden, welche Behörde für die An-
erkennung der einzelnen Berufsabschlüsse zuständig
ist. In diesen Integration Points wird das Angebot zu-
sammengefasst. Ganz besonders wichtig ist der kurze
Draht zwischen der Arbeitsagentur und dem Jobcenter
auf der einen Seite und der Kommunalen Ausländerbe-
hörde auf der anderen Seite; denn wir haben Unterneh-
men, die Flüchtlinge beschäftigen wollen, und Betriebe,
die Flüchtlinge ausbilden wollen. Wir haben auch Men-
schen, die sich darum kümmern wollen, dass Flüchtlinge
durch Praktika unsere Sprache lernen, damit sie sich bes-
ser integrieren können. Wir tun jetzt alles, was geht, um
sie zu unterstützen.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber warum haben wir dann die Hürden, Kerstin?)


Deshalb sage ich: Es geht um Perspektiven. Es geht da-
rum, dass entsprechende Strukturen geschaffen werden.

Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen, das Pro-
gramm „Early Intervention“, das jetzt ebenfalls zu einem
flächendeckenden Angebot ausgebaut wird: Die Mitar-
beiter der Jobcenter sprechen Flüchtlinge mit einer guten
Bleibeperspektive an, suchen sie auf, schauen, welche
Qualifikationen sie haben, und fragen: Wie können wir
weiterhelfen? Bedarf es weiterer Qualifizierungen? Wie
können sie in Arbeit kommen?

Mein dritter Punkt ist der Spracherwerb. Meine Kol-
legin Katja Mast hat es schon gesagt: Sprache, Bildung,
Arbeit und soziale Integration, das sind die zentralen
Punkte, um die es geht. Deshalb investieren wir jetzt mit
Absicht so viel mehr in den Spracherwerb. Die Men-
schen sollen früh und schnell die deutsche Sprache ler-
nen. Das ist der richtige Weg, das ist der praktische Weg
zu Integration.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben die Integrationskurse und die berufsbe-
zogenen Sprachkurse geöffnet. Es wird ein Gesamtpro-
gramm Sprache geben. Es ist gut, dass demnächst nicht

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


nur wie bisher die anerkannten Asylbewerber die Sprach-
kurse besuchen können, sondern dass wir den Kreis der
Berechtigten erweitert haben. Auch geduldete Asylbe-
werber mit guter Bleibeperspektive können an diesen
Sprachkursen teilnehmen.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Aber warum nur die?)


Das ist der richtige Schritt, damit sie schneller in Arbeit
kommen.

Lassen Sie mich einen vierten Punkt nennen. Die Bun-
desagentur für Arbeit hat Geld zur Verfügung gestellt, um
auch in diesem Jahr vermehrt Sprachkurse anbieten zu
können; denn wir haben gemerkt, dass der Schritt vom
ersten Integrationskurs zum berufsbezogenen Sprach-
kurs verbessert werden muss. Deshalb gilt mein herzli-
cher Dank der Bundesagentur für Arbeit dafür, dass sie
dies so intensiv unterstützt.


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813604000

Frau Kollegin Griese, gestatten Sie eine Zwischenfra-

ge der Kollegin Pothmer?


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1813604100

Aber gerne.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813604200

Frau Kollegin Griese, Sie haben gerade angespro-

chen, dass jetzt auch Flüchtlinge, die noch nicht an-
erkannt sind, aber eine gute Bleibeperspektive in
Deutschland haben, Zugang zu Sprachkursen und zu
Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik haben.
Sie wissen, dass ich das begrüße. Aber finden Sie es ei-
gentlich angemessen und richtig, dass Sie eine 50-Pro-
zent-Quote eingeführt haben? Sie wissen vielleicht,
dass afghanische Flüchtlinge eine Anerkennungsquote
von 46,7 Prozent haben, also knapp unter den 50 Pro-
zent liegen. Die Anerkennung afghanischer Flüchtlinge
dauert derzeit länger als 14 Monate. Das wird sich so
schnell leider auch nicht ändern. Halten Sie es für rich-
tig, dass also knapp 50 Prozent dieser Menschen kei-
nen Zugang zu Sprachkursen und zu Fördermaßnahmen
haben, mit all den negativen Folgen, die wir hier schon
so oft beschrieben haben?


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1813604300

Liebe Frau Kollegin Pothmer, Sie sprechen einen

wichtigen Punkt an; denn in der Tat sind unsere gesetzli-
chen Entwicklungen so ausgerichtet, dass wir den Flücht-
lingen mit guter Bleibeperspektive sehr viel schneller als
bisher die Teilnahme an Sprachkursen und die Integra-
tion in arbeitsmarktfördernde Maßnahmen ermöglichen.
Bei Flüchtlingen mit schlechter Bleibeperspektive wol-
len wir die Verfahren beschleunigen, sodass sie schneller
Rechtssicherheit haben. Das finde ich auch richtig.

Im Moment wird so gerechnet, dass zu jenen mit guter
Bleibeperspektive – Sie haben es gesagt – diejenigen ge-
hören, deren Anerkennungsquote über 50 Prozent liegt.

Das sind mit um die 90 Prozent Anerkennung Flüchtlin-
ge aus Eritrea, aus Syrien und aus dem Irak. Dann gibt
es eine Gruppe jener, die als solche mit schlechter Blei-
beperspektive gelten. Hier liegt die Anerkennungsquote
unter einem halben Prozent.

Sie sprechen eine Gruppe an, über die meines Erach-
tens noch zu sprechen sein wird. Die Anerkennungsquo-
te afghanischer Flüchtlinge liegt nahe an den 50 Prozent.
Ich fände es daher gut, wenn wir die Maßnahmen auch
für diese Gruppe öffnen würden. Darüber wird in der
Koalition zu sprechen sein. Denn in der Tat: Das sind
Menschen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger hier
bleiben werden. Wir wollen, dass sie dann hier auch ar-
beiten können und eben nicht nur ohne Beschäftigung in
ihren Unterkünften sitzen.


(Beifall bei der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Unterstützung haben Sie!)


– Das freut mich. Ich werbe auch um Unterstützung
durch den Rest des Hauses. Ich sehe überall zuckende
Hände, das ist gut.

Ich möchte weiter auf die Maßnahmen eingehen, die
wir konkret ergreifen. Ein ganz wichtiger fünfter Punkt:
Wir werden den Eingliederungstitel für die Jobcenter er-
höhen, damit Flüchtlinge gut beraten werden. Wir werden
auch – das ist mir ganz wichtig – die Mittel für die Bun-
desagentur für Arbeit und für die Jobcenter aufstocken,
sodass wir 2 800 zusätzliche Stellen in den Jobcentern
und etwa 1 000 Stellen in den zugelassenen kommuna-
len Trägern aufbauen werden. Das ist deshalb so wichtig,
weil wir bei der Beratung und Vermittlung von Langzeit-
arbeitslosen nicht kürzen werden. Wir werden diese ge-
nauso wie bisher durchführen und sogar ausbauen. Wir
sorgen für zusätzliche Mitarbeiter, die Flüchtlinge bera-
ten. Es ist mir wichtig, dass die beiden Gruppen nicht
gegeneinander ausgespielt werden. Keiner in Deutsch-
land muss Angst haben, dass wir uns weniger um ihn
kümmern, weil wir uns jetzt besonders intensiv um die
Flüchtlinge kümmern.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gabriele Schmidt Frau Kollegin Griese, gestatten Sie eine weitere Zwi schenfrage der Kollegin Hänsel? Ja, bitte. Danke schön, Herr Präsident. – Sie sprachen von Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive; wobei man sich grundsätzlich fragen muss, nach welchem Raster Flüchtlinge eingeordnet werden. Ich muss sagen, das jetzige Verfahren finde ich sehr bedenklich. Das sind Menschen, die hier sind. Die Einteilung in Bleibeperspektiven ist in meinen Augen abzulehnen. Kerstin Griese Zu meiner konkreten Frage. Wenn Dublin III für syrische Flüchtlinge wieder eingeführt wird, dann wird vor das Asylverfahren erst einmal eine entsprechende Prüfung vorgeschaltet. In dieser Zeit ist es nicht möglich, Spracherwerb zu machen oder zu arbeiten. Es dauert dann wieder Monate. Da frage ich mich: Ist das eine schnelle Integration auch für die Gruppe von Flüchtlingen, bei der es im Grunde eine Anerkennungsquote von 100 Prozent gibt? Was ist das schon wieder für eine bürokratische Verzögerung? Das führt im Grunde dazu, dass die Menschen wieder zum Nichtstun verdammt werden, nur weil es aus dem Geiste der Abschottung und Abschreckung heraus neue Überlegungen des Innenministers gibt, diese Menschen hier jetzt untätig zu halten. Wenn Sie sagen, dass es für die mit guter Bleibeperspektive jetzt eine schnelle Integration gibt, stimmt das überhaupt nicht; denn jetzt wird wieder die Dublin-Prüfung vorgeschaltet. Frau Kollegin Hänsel, der Geist, in dem wir in der Arbeitsmarktpolitik und in der Sozialpolitik über dieses Thema diskutieren, ist der Geist, dass wir die Menschen gut integrieren wollen, dass wir sie schnell integrieren wollen, dass wir ihnen Sprachkurse, Arbeitsmarktintegration und soziale Teilhabe ermöglichen. Dafür tun wir alles. Ich habe Ihnen eine Menge Beispiele gezeigt, wo das auch schon gut läuft. Das werden wir weiter ausbauen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Für oder gegen Dublin?)

Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813604400
Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1813604500
Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813604600




(A) (C)


(B) (D)

Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1813604700

Deshalb möchte ich erwähnen – auch das ist ein
wichtiger Punkt –, dass wir für die Menschen aus den
Westbalkanländern eine Möglichkeit der legalen Arbeits-
migration geschaffen haben. Auch das erleichtert das
Bearbeiten der vielen, vielen unerledigten Anträge, die
es beim BAMF gibt; denn es ist besser, wenn die Leu-
te auf dem Westbalkan wissen, dass sie, wenn sie einen
Arbeitsplatz in Deutschland haben, einen Antrag auf le-
gale Zuwanderung durch Arbeit stellen können. Das ist
der richtige Weg gerade für die Menschen, die aus die-
sen Ländern zu uns kommen wollen. Das ist ein guter
und wichtiger Schritt, übrigens auch ein erster Schritt in
Richtung eines Einwanderungsgesetzes.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den
letzten Wochen viele gesetzliche Regelungen geschaf-
fen, die für Asylbewerber und Geduldete – ich betone
das noch einmal – leichter und schneller den Zugang zu
Spracherwerb, zur deutschen Sprache schaffen und die
dafür sorgen, dass ihre Qualifikationen frühzeitig fest-
gestellt werden. Viele bringen ja auf ihren Smartphones
Fotos ihrer Zeugnisse aus dem Heimatland mit und le-
gen sie hier vor, damit man sehen kann, welche Ausbil-
dung sie haben. Wir haben beschlossen, dass sie auf ih-
rem Weg in Arbeit gefördert werden. Wir sehen da auch
viel Kooperation vonseiten der Wirtschaft. Ich sage ganz
klar: Egal ob jemand bei uns aufgewachsen ist oder zu
uns gekommen ist, der Mindestlohn gilt für alle. Diese

Regeln auf dem Arbeitsmarkt gelten für alle. Diese Ord-
nung auf dem Arbeitsmarkt werden wir selbstverständ-
lich beibehalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb sage ich: Es geht um praktische Maßnah-
men. Es geht darum, dass jetzt alle zusammenhalten, die
Zivilgesellschaft, die schon zu Recht so gelobt worden
ist, unsere kommunalen Behörden, unsere Arbeitsämter
und Jobcenter. Sie alle müssen jetzt zusammen an dieser
wichtigen Aufgabe arbeiten. Wir investieren viel in neue
Stellen und stellen zusätzliche Mittel bereit. Wir wollen
das schaffen, und deshalb machen wir das.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813604800

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin

Luise Amtsberg.


Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813604900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man mit Flüchtlingen in den Erstaufnahmeeinrich-
tungen und Gemeinschaftsunterkünften über ihr Leben
in Deutschland und das, was sie von der Zukunft erwar-
ten, spricht, ist das Erste, was man feststellt: Flüchtlin-
ge wollen arbeiten. Ein Arbeits- bzw. Ausbildungsplatz
ist die beste Integration in unsere Gesellschaft. Deswe-
gen begrüßen wir ausdrücklich den besseren Zugang zu
Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung und zu Integra-
tionskursen für viele Flüchtlinge. Das Hereinkommen
in den Arbeitsmarkt bedeutet für viele – deshalb ist die
Motivation da sehr hoch – den Herausfall aus den Abhän-
gigkeiten von sozialen Leistungen: raus aus den Erstauf-
nahmeeinrichtungen, rein in ein selbstbestimmtes Leben.
Deshalb ist es schön, festzustellen, dass die Motivation
da ist und wir nur noch den richtigen Weg brauchen, um
diese umzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Trotzdem muss man, wenn man diese Debatte hier
verfolgt, sagen: Bei aller Einigkeit im Ton ist es doch
so, dass man nicht von Obergrenzen, Belastungsgrenzen
oder irgendwelchen anderen Grenzen sprechen kann,
wenn man nicht alle Maßnahmen, die möglich sind, aus-
geschöpft hat, um diese Herausforderung, der wir jetzt
gegenüberstehen, zu bewältigen. Ich würde mir einfach
wünschen, dass Sie mehr auf die Bundesagentur für Ar-
beit, auf die Unternehmen und die Verbände und Betriebe
hören, die sagen: Die Vorrangprüfung ist ein unnötiges
bürokratisches Hindernis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Passend dazu hat es das Bleiberecht für junge Auszubil-
dende, für junge Flüchtlinge bedauerlicherweise nicht in
das letzte Gesetzespaket geschafft. Eine Duldung – das
muss man hier ganz deutlich sagen – ist für die Betrie-

Heike Hänsel






(A) (C)



(B) (D)


be – da kann man jeden einzelnen fragen – keine sichere
Bleibeperspektive.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unternehmen und ihre Verbände, ganz besonders auch
die Industrie- und Handelskammern und die Handwer-
kerschaft, weisen zu Recht auf die Chancen hin, die sich
aus der Altersstruktur von Flüchtlingen in Deutschland
für den Arbeitsmarkt ergeben.

Die Kammern verfügen zusammen mit den bei ihnen
organisierten Unternehmen über hervorragende Struk-
turen, Flüchtlingen den Eintritt in das Arbeitsleben zu
erleichtern. Deshalb sollten Wirtschaft und Kammern
ihren Teil der Verantwortung tragen, gemeinsam mit
dem Bund. Wir Grünen haben deshalb vorgeschlagen –
um nicht nur zu meckern –, dass man einen Deutsch-
land-Fonds für Integration auflegt, getragen von Unter-
nehmen und vom Bund, der – gerade weil hier ja auch
immer wieder angesprochen wurde, dass die Sprache ein
zentraler Schlüssel ist – Kommunen und Initiativen of-
fenstehen soll, um zum Beispiel die Sprachförderung und
die berufliche Aus- und Weiterbildung für die Menschen
zu finanzieren,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


die keine oder nur geringe Sprachkenntnisse vorweisen
können.

Da gebe ich dem Kollegen Schiewerling ja recht: Die
Sprache ist das zentrale Moment, und ihr Erlernen wird
natürlich hauptsächlich in der praktischen Arbeit selbst
erfolgen. Bloß, man muss auch einmal mit der Praxis
sprechen: Die Handwerkerschaft sagt, dass es für sie ein
Problem ist, Ausbildungs- oder Arbeitsplätze zur Verfü-
gung zu stellen, denn Menschen, die die Grundlagen der
deutschen Sprache nicht beherrschen, können auch nicht
mit Kunden kommunizieren. Da haben Betriebe einfach
eine Riesenbarriere. Das heißt, irgendeine Grundvoraus-
setzung müssen wir auf den Weg bringen. Da hakt es an
allen Ecken und Enden. Wenn in der Vereinbarung der
Parteichefs geschrieben wird, dass es eine Beteiligung
an den Kosten von Integrationskursen geben soll, dann
ist das doch genau das Gegenteil von dem, was wir hier
eigentlich erreichen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Laut Bundesagentur für Arbeit verfügt rund die Hälfte
der Flüchtlinge über eine akademische oder berufliche
Ausbildung. Das Modellprojekt „Early Intervention“
wurde angesprochen. Dort haben 40 Prozent der Teil-
nehmerinnen und Teilnehmer einen Hochschulabschluss,
ein weiteres Viertel eine Berufsausbildung. Ich bin fest
davon überzeugt, dass diese Menschen mit der richtigen
Unterstützung schnell die Chance haben, selbstständig in
Deutschland zu leben.


(Katja Mast [SPD]: Das kommt ja auch! – Kerstin Griese [SPD]: Das machen wir!)


– Ich habe mich ja auch auf Sie bezogen, Frau Griese.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme aus der
Innenpolitik.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Macht nichts! Man kann sich ja noch verbessern!)


Deshalb finde ich es schön, dass, wenn das stimmt, der
Geist in der Sozialpolitik ein anderer ist als in der Innen-
politik; dort ist das ein bisschen anders. Innenpolitik und
asylrechtliche Fragen müssen mit dieser Frage zusam-
mengedacht werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich sehe, dass wir bisher die Gruppe der syri-
schen Bürgerkriegsflüchtlinge besonders in den Fokus
gerückt haben – das war ja auch Konsens hier im Haus –
und gesagt haben: „Da müssen wir besonders in Inte-
gration investieren, die berufliche Qualifikation dieser
Menschen muss schnell festgestellt werden, und diese
Menschen sollten so schnell wie möglich Deutsch lernen
und in den Arbeitsmarkt integriert werden“, dann ist das
ein Widerspruch zu dem, was jetzt vom Innenminister
bezüglich syrischer Asylsuchender geplant ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Asylverfahren werden deutlich länger dauern; wir
reden hier nicht von ein paar Wochen, wir reden hier von
Monaten der verschenkten Zeit. Es bleibt die Ungewiss-
heit zurück, ob man nach Ungarn oder Bulgarien zurück-
geführt wird und ob man seine Familie in absehbarer Zeit
wiedersieht – denkbar schlechte Voraussetzungen für die
Konzentration auf Integration in Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Um es wieder konstruktiv zu machen: Wir Grünen for-
dern verschiedene Punkte: Das Erlernen der deutschen
Sprache muss ab dem ersten Tag ermöglicht werden.
Denn die Realität zeigt: Auch wenn Menschen hier in
Duldung leben, leben sie Jahre hier. Das ist eine ver-
schenkte Zeit. Das hilft ihnen auch nicht dabei, an ihrer
Bleibeperspektive in Deutschland zu arbeiten. Potenziale
müssen so früh wie möglich erfasst werden. Wenn wir
mit der Handwerkerschaft sprechen, erleben wir, dass
gesagt wird – es gibt übrigens etwa 1 000 unbesetzte
Ausbildungsstellen in Schleswig-Holstein –: Wir wollen
ausbilden. Aber wir wissen überhaupt nicht: Wo sind die
Leute, und was bringen sie mit? Gibt es überhaupt je-
manden für meinen Betrieb? – Diese Fragen müssen so
schnell wie möglich geklärt werden. Da muss auch eine
Verbindung hergestellt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Qualifikationen müssen schnell und unbürokratisch
anerkannt werden; da sind wir uns, denke ich, alle einig.
Wenn bestimmte Teilqualifikationen fehlen, dann müs-
sen diese unkompliziert nachgeholt werden können. Die
Finanzierung der Weiterbildung überfordert viele Flücht-
linge, Asylsuchende und Geduldete und zwingt sie in der
Folge – auch das muss man anerkennen –, unterhalb ihres
Qualifikationsniveaus für entsprechend geringe Einkom-
men zu arbeiten.

Luise Amtsberg






(A) (C)



(B) (D)


Zur Beratung und Förderung in den Arbeitsagenturen
und Jobcentern und zur Sicherheit junger Auszubildender
haben wir viel gesagt; darauf möchte ich jetzt nicht weiter
eingehen. Aber ein Punkt, der die Debatte vielleicht kon-
struktiv anfeuert, ist: Wir Grünen haben gesagt, dass es
ein denkbarer Schritt wäre, einen aufenthaltsrechtlichen
Statuswechsel zu ermöglichen. Man könnte Flüchtlingen
die Möglichkeit geben, ihren Aufenthaltsstatus zu wech-
seln und ihn gegen eine dauerhafte Bleibeperspektive
einzutauschen, etwa als Fachkraft in einem Mangelberuf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das klingt erst einmal sehr technisch, ist aber in einer
Zeit, in der Menschen in sehr großer Unsicherheit leben
und in der wir vor allen Dingen auf dem Arbeitsmarkt die
Chance sehen, die Herausforderung, der wir gegenüber-
stehen, zu bewältigen, eigentlich der richtige Schritt und
Ansatzpunkt. Warum sollen die Menschen ewig lang in
einem Asylverfahren verharren, wenn sie ihre Perspek-
tive von einem auf den nächsten Tag mit einem Arbeits-
platz verbessern können?

Besonders nach dem Beitrag der Kollegin Griese glau-
be ich, dass wir uns hinsichtlich der Zielrichtung an vie-
len Stellen einig sind. Trotzdem: Bevor diese Dinge pas-
sieren können, müssen wir alle bürokratischen Hürden
abbauen. Das fängt mit der Abschaffung der Vorrangprü-
fung und dem Schutz von jungen Auszubildenden an. Ich
denke, hier gibt es noch sehr viel zu tun.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813605000

Die Kollegin Jutta Eckenbach spricht als Nächste für

die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1813605100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen

Sie mir zunächst einmal – das ist mir ganz wichtig – den
vielen Menschen danken, die vor Ort tätig sind und je-
den Tag in die Flüchtlingseinrichtungen gehen, um zu
helfen. Sie bemühen sich darum, dass in den Einrichtun-
gen Ruhe bewahrt wird, und kümmern sich auch um die
Kinder. Ich danke aber auch den runden Tischen und den
Menschen in den Bundesbehörden, die dort jeden Tag ih-
ren Dienst leisten. Das ist schon angesprochen worden,
und ich denke, auch das gehört sich an so einem Tag bei
so einer Diskussion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


All das passiert. Wenn man mit Ehrenamtlichen in den
Einrichtungen spricht, dann erfährt man, dass sie große
Sorge davor haben, wie es weitergeht. Das ist auch in
der Bevölkerung so. Ich möchte diese Ängste hier heute
Morgen gerne auch ansprechen, weil es ganz wichtig ist,
das ernst zu nehmen.

Deswegen gehört es sich auch, heute Morgen hier zu
sagen, wo unsere Unterschiede liegen, wenn es darum
geht, für alle Sprachkurse und Integrationsmaßnahmen
anzubieten. Wir sind der Meinung, dass all diejenigen,
die hierbleiben dürfen, die also zumindest ein Bleibe-
recht haben, einen Sprachkurs benötigen. Frau Pothmer,
an dieser Stelle sind wir unterschiedlicher Meinung, und
wir haben auch unterschiedliche Meinungen zu den An-
trägen der Linken, die hier heute gestellt worden sind.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie sind sich doch mit Ihrem Koalitionspartner nicht einig!)


Ich denke, es gehört sich auch, das hier klarzustellen und
klare Worte zu sprechen.

Wir wollen den Menschen helfen, die hier in Deutsch-
land ein Bleiberecht und eine Bleibeperspektive haben.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun Sie nicht!)


Auch das gehört zur Ehrlichkeit und zur heutigen Dis-
kussion. An diesen Punkten sind wir meilenweit vonei-
nander entfernt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie leider recht!)


Das deutsche Recht eröffnet die Möglichkeit der Ar-
beitsmigration, wodurch sich Menschen aus dem Aus-
land heraus in Deutschland einen Arbeitsplatz besorgen
können. Auf der anderen Seite haben wir unser Asyl-
recht. Das wollen wir auch nicht verändern, und dazu
stehen wir auch. Wir müssen es in Deutschland aber um-
setzen. Ich glaube, es ist wichtig, das der Bevölkerung
noch einmal deutlich zu machen, um den Menschen ihre
Ängste zu nehmen.

Ich möchte noch auf etwas hinweisen, was mir in die-
ser Diskussion wichtig ist. Es ist schon vieles zu dem
gesagt worden, was wir alles tun. Ich möchte aber auch
noch einmal ganz deutlich zum Ausdruck bringen, dass
wir, wenn es um das Erlernen der deutschen Sprache
geht, auch gut prüfen müssen, wie die Integrationskurse
letztendlich ausgestaltet und mit welcher Maßgabe sie
versehen werden. Wir müssen bei den Integrationskur-
sen Wert darauf legen, dass unsere Werte mit vermittelt
werden.

Es geht also nicht nur um das Erlernen der deutschen
Sprache, sondern auch darum, dass den Menschen un-
sere Werte und unsere Kultur als wichtige Grundpfeiler
unseres Landes vermittelt werden müssen. Das befähigt
sie dann nachher auch, sich in der Arbeitswelt wesentlich
besser zurechtzufinden und dort klarzukommen.

Ich war in dieser Woche bei einer Podiumsdiskussi-
on des Bundesverbandes der Dienstleistungswirtschaft
und habe dort eine große Bereitschaft der unterschied-
lichen Branchen gefunden, jungen Menschen einen
Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, und auch
Arbeitskräfte werden gesucht. Diese Podiumsdiskussion
hat nicht nur unter Sozialpolitikern stattgefunden, son-
dern es waren Sozialpolitiker und Wirtschaftspolitiker
gleichermaßen auf dem Podium. Auch diese Verbindung

Luise Amtsberg






(A) (C)



(B) (D)


brauchen wir momentan. Wir brauchen die Arbeitgeber
mit im Boot, ansonsten können wir seitens des Bundes
noch so viele Programme und noch so viele Perspekti-
ven entwickeln. Wenn wir die Arbeitgeber mit ins Boot
bekommen, die bereit sind, für die jungen Menschen et-
was zu tun, etwas auf sich zu nehmen und sich selbst mit
einzubringen – auch das müssen wir von Arbeitgebern
fordern –, dann wird uns Integration gelingen. Deswe-
gen ist Integration nicht nur eine Aufgabe des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales, sondern auch eine
Aufgabe des Bundeswirtschaftsministeriums, denn auch
dort werden Weichen gestellt. Wir müssen die Arbeitge-
ber mit im Boot haben. Auf dieser Podiumsdiskussion ist
noch einmal sehr deutlich geworden, dass es um viele
Bereiche geht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813605200

Frau Kollegin Eckenbach, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage der Kollegin Pothmer?


Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1813605300

Von Frau Pothmer immer.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr leichtfertig!)


– Ja, ich weiß.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813605400

Frau Eckenbach, Sie haben gerade zu Recht die Not-

wendigkeit angesprochen, auch die Arbeitgeber mit ins
Boot zu holen. Sind Sie denn auch bereit, die Arbeitge-
ber bei ihren Bemühungen, Flüchtlinge einzustellen, in
Arbeit und Ausbildung zu bringen, zu unterstützen? Und
sind Sie auch bereit, die Forderungen der Arbeitgeber,
nämlich erstens Abschaffung der Vorrangregelung und
zweitens eine sichere Bleibeperspektive für Flüchtlinge
in Ausbildung, zu erfüllen?


Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1813605500

Beide Punkte, kann ich Ihnen sagen, waren am Mitt-

woch bei der Dienstleistungsbranche überhaupt kein
Thema.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Haha!)


– Ich kann ja nur das wiedergeben, was vor Ort war.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ausrede!)


Ich sage ausdrücklich: Die Vorrangprüfung werden
wir als CDU/CSU-Fraktion nicht abschaffen. Wir halten
sie für dringend notwendig und werden sie weiter ver-
folgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu Ihrer Frage, wie es mit Ausbildungsverträgen wäh-
rend der Duldung aussieht: Frau Pothmer, ich verstehe
die Aufregung nicht. Ein Ausbildungsvertrag läuft über
drei Jahre.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)


Ist es denn zu viel verlangt, nach einem Jahr wieder bei
der Ausländerbehörde vorzusprechen und dort zu sagen,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es nicht!)


dass man bereit ist, auch im nächsten Jahr seine Ausbil-
dung fortzuführen? Ich halte das für möglich und durch-
führbar.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie mal mit der Handwerkskammer!)


Insofern werden wir bei dieser Regelung bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, dass auch die Arbeitgeber sich daran
gewöhnen können; denn es wird keine neue Bürokra-
tie aufgebaut, sondern es ist gerade zur Sicherheit der
Arbeitgeber, wenn die Ausbildung bis zum Abschluss
durchgehalten wird. Auch das können wir von jemandem
erwarten, der zu uns kommt.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hä?)


Lassen Sie mich nun auf etwas eingehen, was heute
Morgen noch nicht angesprochen worden ist: die christli-
chen Werte und unsere Wertekultur. Gestern hat es in der
Presse einen Aufruf der jüdischen Gemeinden gegeben.
Diese haben große Sorgen, dass sie, wenn wir nicht bei
unseren Werten bleiben, wenn wir sie nicht unterstützen,
in einen Bereich hineinkommen, den sie nicht haben wol-
len,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann zerstreuen Sie die Bedenken einmal!)


nämlich dass wir auf deutschem Boden eine Auseinan-
dersetzung führen, die wir nicht führen wollen, weil wir
nicht die Probleme der Heimatländer in Deutschland aus-
tragen wollen, sondern weil wir alle Religionen gleich-
berechtigt nebeneinander dulden und auch friedliches
Leben gewähren wollen. Diese Sorgen der jüdischen
Community müssen wir ernst nehmen. Wir alle müssen
gerade diesen Personenkreis vehement unterstützen, da-
mit es hier nicht zu erneuten Auseinandersetzungen auf
eine ganz andere Art und Weise kommt, die wir hier in
Deutschland nicht haben wollen.

Deswegen bitte ich in diesem Hause darum, offen da-
rüber zu diskutieren, dass wir die Werte und die Kultur
in Deutschland als Grundlage setzen. Denn das tun Sie
nicht, meine lieben Freunde der Linken. Was Sie machen,
ist mit Blick auf alle Maßgaben, die Sie hier in Deutsch-
land einführen wollen, ein Missbrauch der Flüchtlings-
politik zum jetzigen Zeitpunkt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie missbrauchen das Thema seit Monaten!)


Wir sind für eine Flüchtlingspolitik. Wir sind für eine
Bleibeperspektive. Wir sind für Eingliederung. Wir sind
für Menschen, die sich hier in Deutschland unter unserer
Kultur und unter unseren Werten einleben und sich wohl-

Jutta Eckenbach






(A) (C)



(B) (D)


fühlen wollen und für das stehen, wofür wir alle stehen,
nämlich für Wohlstand und Frieden in Deutschland.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch in der Welt!)


Mit der Bundeskanzlerin kann ich Ihnen sagen: Wir
schaffen das in Deutschland. Wir werden alles tun, dass
wir dies wirklich so umsetzen können.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813605600

Jetzt spricht der Kollege Josip Juratovic für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Josip Juratovic (SPD):
Rede ID: ID1813605700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die öffentliche Debatte ist derzeit stark vom
Thema Flüchtlinge geprägt. Der Fokus liegt im ersten
Schritt ganz auf der Debatte darüber, welche und wie
viele Flüchtlinge wir aufnehmen können und wie und wo
wir sie unterbringen. Doch der zweite Schritt, nämlich
die Integration, insbesondere in den Arbeitsmarkt, ist ge-
nauso wichtig; denn der Arbeitsort ist der beste Ort für
die Integration. Das kann ich aufgrund meiner persönli-
chen Geschichte bestätigen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sabine Weiss Wenn wir von den derzeit circa 850 000 erfassten Flüchtlingen ausgehen und eine Schutzquote von circa 50 Prozent annehmen sowie davon eine Erwerbsfähigkeit von etwa 70 Prozent, dann sprechen wir über 300 000 Menschen, die wir schnellstmöglich in den Arbeitsmarkt integrieren wollen. Das ist eine große Herausforderung, der wir uns bewusst sind. Deshalb handeln wir bereits. Es ist kein Zufall, dass unsere Regierung Bundesagenturchef Weise zum Chef des BAMF berufen hat. Wir sind uns bewusst: Wir müssen die Effizienz der Prozesse steigern. Deswegen verzahnen wir die notwendigen Prozesse, mit denen auf der einen Seite der Aufenthalt geregelt und auf der anderen Seite die Arbeitsmarktintegration ermöglicht wird. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass wie bisher die Daten von Geflüchteten mehrfach erfasst werden müssen. Hier müssen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Bundesagentur Hand in Hand arbeiten. Diese Zusammenarbeit hilft vor Ort vor allem den vielen Beschäftigten von Ämtern, die die größte Last dieser Herausforderung tragen. Ihnen möchte ich von dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank für ihren unermüdlichen Einsatz aussprechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Kolleginnen und Kollegen, viele Beschlüsse dieser
Wahlperiode weisen darauf hin, dass wir viel aus der
Vergangenheit gelernt haben. Menschen, die zu uns kom-
men und anerkannt werden, wollen und werden bei uns
bleiben. In Anbetracht des demografischen Wandels in
Deutschland brauchen wir diese Menschen in allen Be-
reichen unserer Gesellschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb gilt: Je eher die Integrationsmaßnahmen greifen,
desto höher ist die Aussicht auf Erfolg.

Diese Wahrheit hat zum Glück Einzug in die Gesetz-
gebung gefunden, sei es bei der Öffnung der Integrati-
onskurse für Asylsuchende, sei es bei der Ermöglichung
eines früheren Arbeitsmarktzugangs. Wir haben richtige
Schritte für die Integration der Flüchtlinge in den Ar-
beitsmarkt auf den Weg gebracht. Das haben wir richtig
gemacht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gesetzge-
bung schafft die richtigen Rahmenbedingungen, da-
mit eine Arbeitsmarktintegration bereits während des
Asylverfahrens möglich ist. Entscheidend ist dabei ein
Dreiklang, bestehend aus einer passenden Sprachförde-
rung, Anerkennung der beruflichen Abschlüsse und der
notwendigen Nachqualifizierung.

Bei jeder dieser Maßnahmen haben wir bereits wich-
tige Schritte in die Wege geleitet. Ich gebe zu: Wir sind
noch keineswegs am Ende. Wir haben die Integrations-
kurse für Asylsuchende geöffnet und werden noch für
eine ausreichende Finanzierung sorgen. Wir haben auf
der Bundesebene die Anerkennung der Berufsabschlüsse
erleichtert und müssen noch Wege finden, damit sich die
Asylsuchenden die Anerkennung überhaupt leisten kön-
nen.


(Beifall bei der SPD)


Ja, es ist wichtig, eine objektive und gründliche Er-
fassung der weniger formalen Qualifikationen voranzu-
bringen. Die derzeit kursierenden Zahlen, 80 Prozent der
Flüchtlinge seien ohne formale Qualifizierung, entspre-
chen nicht ganz der Wahrheit. Wenn die Bundesagentur
einen Flüchtling fragt: „Haben Sie eine duale Ausbildung
abgeschlossen?“, ist es doch nicht verwunderlich, dass
die Antwort nein lautet.


(Beifall bei der SPD – Kerstin Griese [SPD]: Die gibt es auch nur in Deutschland!)


Denn die duale Ausbildung gibt es nur in Deutschland
und in Österreich.

Stattdessen erfassen wir jetzt ganz früh den Qualifi-
kationsstand durch das sogenannte Profiling. Nur wenn
wir sehr früh wissen, wo ein Flüchtling steht, können wir
ihm mit den richtigen Schritten helfen: mit Sprachför-
derung, Anerkennung von Abschlüssen und notwendiger
Nachqualifizierung. Dieser Dreiklang ist übrigens nicht
nur gut für Flüchtlinge; diese Maßnahmen sind gut für
alle Migranten, die nach Deutschland kommen.

Jutta Eckenbach






(A) (C)



(B) (D)


Ich komme zum Schluss. Für mich als Integrations-
beauftragten der SPD-Fraktion ist es besonders wichtig,
dass einzelne Gruppen – sowohl Migranten als auch
Deutschstämmige – nicht gegeneinander ausgespielt
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Denn nur gemeinsam können wir für ein erfolgreiches
Europa der Vielfalt als Beispiel dienen, statt für ein Euro-
pa der Zäune und Mauern. Jene, die uns mit Zäunen und
Mauern in Europa vor den „Barbaren“, wie die Armen
und Erschöpften vor unseren Haustüren teilweise ge-
nannt werden, schützen wollen, möchte ich mit auf den
Weg geben: Menschen, die wir heute erfolgreich inte-
grieren, stehen möglicherweise schon morgen nicht mehr
wie solche „Barbaren“ vor unseren Türen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813605800

Nächste Rednerin ist für die CDU/CSU die Kollegin

Dr. Astrid Freudenstein.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1813605900

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfrak-
tion, wissen Sie, was ich an Ihrem Antrag wirklich be-
klemmend finde? Ich finde es beklemmend, dass Sie sich
mit Ihren Vorschlägen offenbar jeder Verantwortung für
die Menschen, die hier im Land leben, entledigen.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie in dieser
schwierigen Situation in blanken Linkspopulismus ver-
fallen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie haben offenbar nicht das geringste Interesse an der
Lösung der Probleme, die wir haben.


(Sabine Zimmermann KE]: Das wollen Sie uns beweisen, ja?)


Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele aus Ihren politi-
schen Visionen nennen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wie hübsch!)


Jeder Asylsuchende, der einen Job gefunden hat, soll ein
Bleiberecht bekommen – so steht es in Ihrem Antrag –,
und zwar unabhängig davon, wie sein Verfahren ausgeht.
Damit hebeln Sie ganz nebenbei unser Asylrecht aus,
weil man keinen Asylantrag mehr stellen muss, wenn es
ganz egal ist, ob er anerkannt wird oder nicht.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist schon einmal Quatsch!)


Alle Migranten, also auch abgelehnte Asylbewerber,
sollen vom ersten Tag an vollen Zugang zur gesamten
Ausbildungs- und Arbeitsförderung bekommen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was ist da schlimm? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist übrigens eine DGB-Forderung! Da sind wir nicht allein!)


Und dann kommen Ihre Klassiker: Sie wollen, dass der
Mindestlohn auf 10 Euro erhöht wird, und fordern wie
immer höhere Steuern für Unternehmen. Meine Güte, ist
das wirklich Ihr Ernst, meine Damen und Herren?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja! Was wollen Sie denn?)


Was treibt Sie an? Ich zitiere aus Ihrem Antrag:

Zuwanderung birgt die Chance, unser Land kultu-
rell und wirtschaftlich zu bereichern. Diese Chance
wollen … wir ergreifen …


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja! – Zuruf von der LINKEN: Das haben die Wirtschaftsweisen auch gesagt!)


Vielleicht müssen wir klarstellen, worüber wir eigentlich
sprechen. Es handelt sich nämlich nicht um herkömmli-
che Zuwanderung.

Es kommen Menschen zu uns, die vor Krieg und Ge-
walt fliehen. Das hat sich keiner von uns gewünscht.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber Sie haben es provoziert!)


Diese Menschen mögen Analphabeten sein oder Aka-
demiker; sie mögen jung sein oder alt; sie mögen etwas
beitragen können oder nicht – es ist völlig egal: Ihnen
gewähren wir Schutz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dabei geht es natürlich nicht darum, ob diese Menschen
unser Land kulturell und wirtschaftlich bereichern kön-
nen und wir deren Elend als unsere Chance begreifen.
Das steht auch in keinem Asylparagrafen.


(Sabine Zimmermann KE]: Nichts verstanden! Überhaupt nichts verstanden!)


Außerdem kommen Menschen zu uns, und zwar viele
Menschen, die sich hier auf das Asylrecht berufen, die
aber eben nicht vor Krieg und Verfolgung fliehen, die
kein Recht auf Schutz in unserem Land haben und keine
Bürgerkriegsflüchtlinge sind. Diese Menschen müssen
und werden wir zurückschicken, und zwar wieder ganz
unabhängig davon, ob sie Analphabeten oder Akademi-
ker sind. Denn es muss doch klar sein, dass die Zuwan-
derungswelle, wie wir sie zurzeit erleben, nicht dazu ge-
eignet ist, die Probleme hier im Land zu lösen.

Nehmen wir das Schlagwort „Fachkräftemangel“, das
in diesen Wochen Konjunktur hat. Es ist im Zusammen-
hang mit den Flüchtlingsströmen, die momentan zu uns

Josip Juratovic






(A) (C)



(B) (D)


kommen, gleich doppelt unangebracht. Wir haben zum
einen keinen generellen Fachkräftemangel.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 600 000 offene Stellen!)


Es gibt Fachkräfteengpässe in einigen Branchen und in
einige Regionen. Das Problem entsteht im Wesentlichen
dadurch, dass die Bewerber nicht bereit sind, dort hinzu-
ziehen, wo es die freien Stellen gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Mit Flüchtlingen können wir diese Arbeitsstellen nicht besetzen, weil die Qualifikationen nicht da sind, ganz einfach!)


Wir haben es auch sicher nicht mit einem Zustrom von
Fachkräften zu tun oder mit solchen, die es in absehba-
rer Zeit werden können. Ich greife als Beispiel Syrien
heraus. Syrien ist ein Agrarland, das vor dem Krieg mit
Erdöl, Oliven und Textilien gehandelt hat. Der Touris-
mus brachte Devisen ins Land. Die meisten Syrer kamen,
wenn überhaupt, bei einem viel zu großen Staatsapparat
unter, und der war korrupt. Viele Syrer haben die vergan-
genen Jahre in Flüchtlingslagern verbracht. Der Krieg
hat ihnen die Jahre der Ausbildung und Bildung schlicht-
weg genommen. Es sind jedenfalls nicht die Fachkräfte,
die mancherorts bei uns fehlen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: 50 Prozent haben eine Ausbildung! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher wissen Sie das? Sie wissen nicht einmal, wie viele hier sind!)


Weil Sie zu wenig interkulturelle Kompetenz bei den
Mitarbeitern der Bundesagentur für Arbeit beklagen:
Selbst wenn alle BA-Mitarbeiter fließend Arabisch, Dari
oder Paschtu sprechen würden und wenn sie alle ein Stu-
dium der Ethnologie absolviert hätten, würde das nichts
an der Tatsache ändern, dass für die allermeisten derer,
die nun kommen, unser Arbeitsmarkt kurz- und mittel-
fristig unerreichbar ist. Warum schildere ich das alles?
Ich tue das, um darzulegen, wie schwierig die Situation
ist und dass es nicht damit getan ist, ein paar Sprach- und
Integrationskurse anzubieten


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Damit kann man ja mal anfangen!)


sowie Kompetenzen und Qualifikationen zu suchen. In
dieser schwierigen Situation müssen wir uns auf die kon-
zentrieren, die hier Schutz brauchen. Sie, meine Damen
und Herren von der Linken, kommen mit Ihren Vorschlä-
gen daher und wollen das allen geben, und zwar unab-
hängig davon, ob sie Schutz brauchen oder nicht. Das ist
der große Fehler Ihres Antrags.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich halte das auch für völlig unverantwortlich gegenüber
den Menschen in unserem Land.

In einem Ziel sollten wir uns einig sein: Das Allerbes-
te, was wir erreichen können, wäre, wenn die, die jetzt
Tag für Tag zu Tausenden kommen, so früh wie möglich
in ihre Heimat zurückkehren könnten, um ihr Land wie-

deraufzubauen, und zwar gerne mit den Kenntnissen und
den Erfahrungen, die sie hier bei uns in der Schutzzeit
gesammelt haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813606000

Vielen Dank. – Bevor ich nun dem Kollegen Bartke

das Wort erteile, möchte ich eine Delegation aus Kolle-
ginnen und Kollegen des Auswärtigen Ausschusses des
Europäischen Parlaments unter ihrem Vorsitzenden,
Elmar Brok, herzlich begrüßen, die auf der Ehrentribü-
ne Platz genommen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich begrüße außerdem den Generalsekretär der
OSZE, Herrn Lamberto Zannier, und seine Delegati-
on herzlich.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich wünsche Ihnen nicht nur bei diesem Besuch hier
in Berlin viel Erfolg, sondern auch für Ihre wichtige po-
litische Arbeit. Ich denke, gerade in diesen Zeiten ist es
wichtig, dass Europa beisammenbleibt.

Jetzt hat der Kollege Matthias Bartke für die SPD das
Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1813606100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Sehr geehrte Europaparlamentarier und OSZE-Par-
lamentarier! Zu Beginn möchte ich Ihnen von Emma
Louise Meyer aus meiner Heimatstadt Hamburg berich-
ten. Emma arbeitet als freiwillige Helferin am Ham-
burger Hauptbahnhof. Die freiwilligen Helfer sind dort
aber weniger geworden, die ankommenden Flüchtlinge
leider nicht. Emma hat daher ein Video online gestellt.
„Kommt alle“, heißt es in dem Video, „Broteschmierer,
Ärzte, Dolmetscher, und helft.“ Das Video war ein un-
glaublicher Erfolg. Es wurde 100 000-mal angeklickt,
und es hat mehr als 150 Helfer akquiriert. Das ist die gute
Nachricht. Die schlechte Nachricht ist: Ausländerfeinde
haben danach in den sozialen Netzwerken eine massive
Hetze gegen Emma gestartet. Ich danke Sigmar Gabriel
dafür, dass er solche Ausländerfeinde als das bezeichnet
hat, was sie sind: als Pack.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Ich war am Sonntag am Hamburger Hauptbahnhof.
Ich habe dort ehrenamtliche Helfer angetroffen, die mo-
tiviert und professionell arbeiten. Diesen ehrenamtlichen

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


Helfern und den Zigtausenden anderen in Deutschland
möchte ich sagen: Danke!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Danke für die selbstlose Hilfe für die in Not geratenen
Menschen. Sie sind das gute Deutschland.

Unser Land liegt im Herzen Europas. Wir waren
schon immer Fluchtort. Ich selbst stamme von verfolgten
Hugenotten ab, die aus Frankreich flohen und hier eine
neue Heimat gefunden haben. Direkt nach dem Krieg
haben wir 12 Millionen Vertriebene aufgenommen. Da-
nach kamen 5 Millionen Gastarbeiter, und danach kamen
4 Millionen Aussiedler. Wenn wir Deutsche mit einer
Sache Erfahrung haben, dann ist das die Integration von
Migranten. Die Erfahrung lehrt uns aber auch, dass wir
beim Umgang mit Gastarbeitern schwere Fehler gemacht
haben. Wir haben damals eben nicht auf Nachhaltigkeit
gesetzt, und aus diesen Fehlern haben wir gelernt. Wir
werden es jetzt besser machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im vergangenen Jahr hat die Bertelsmann-Stiftung
eine viel beachtete Studie zur demografischen Ent-
wicklung veröffentlicht. Sie hat darin festgestellt, dass
Deutschland ohne Zuwanderung bis zum Jahr 2050 eine
Arbeitskräftelücke von insgesamt 16 Millionen Arbeit-
nehmern hätte. Notwendig ist danach eine Zuwanderung
von etwa 500 000 Menschen jährlich. Bislang waren
es in der Regel immer nur 200 000, womit eine Lücke
von 300 000 bleibt. Mit anderen Worten: Deutschland
benötigt in den nächsten 35 Jahren jährlich zusätzlich
300 000 Zuwanderer, um das Gesellschaftswesen in sei-
ner jetzigen Form zu erhalten.

Das Problem ist daher nicht die Zahl der Flüchtlin-
ge, die nach Deutschland kommen. Das Problem ist die
Geschwindigkeit, mit der sie kommen. Die Parteispitzen
der Koalition haben daher am vergangenen Donnerstag
klare Beschlüsse gefasst. Dazu gehören auch, so bitter es
ist, deutlich verbesserte Möglichkeiten der Abschiebung.
Aber es gilt ein klarer Zusammenhang: Wer Ja zu einem
Asylrecht sagt, der muss auch zu Abschiebungen Ja sa-
gen, wenn kein Asylgrund vorliegt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Anwendung des Rechts!)


Der Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland kann
ein unschätzbarer Beitrag zur Entschärfung der demogra-
fischen Bombe sein, die sonst zu explodieren droht. Es
muss aber auch klar sein: Wir brauchen keine kurzfris-
tige, wir brauchen eine nachhaltige Eingliederung von
Flüchtlingen. Das ist eine Aufgabe, die zweifellos einen
sehr langen Zeitraum in Anspruch nehmen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Für die Eingliederung ist die Teilhabe am Arbeitsleben
ganz wesentlich. 70 Prozent der ankommenden Flücht-
linge haben keine abgeschlossene Berufsausbildung.
Allerdings ist mehr als die Hälfte von ihnen jünger als

25 Jahre. Das ist Schul- und Ausbildungsalter. Richtiger
ist es daher, zu sagen: Sie haben noch keine Ausbildung.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt die Bildungsoffensive?)


Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass das nicht so
bleibt. Wir haben dafür die Duldung für eine Ausbildung
und deren Verlängerung um jeweils ein Jahr bis zum
Ausbildungsabschluss ermöglicht. Wir wissen, dass das
noch nicht genug ist. Der erfolgreiche Abschluss muss
zum dauerhaften Aufenthalt berechtigen. Der Ausbil-
dungsantrag muss außerdem auch nach dem 21. Lebens-
jahr möglich sein. Dafür setzen wir uns ein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Geduldete Auszubildende sollen nun auch mit aus-
bildungsbegleitenden Hilfen unterstützt werden. Gedul-
dete sollen deutlich schneller als bisher mit Berufsaus-
bildungsbeihilfe gefördert werden oder eine assistierte
Ausbildung erhalten. Den Zugang zu Praktika für Asyl-
bewerber und Geduldete haben wir ebenfalls erleichtert.
Schließlich und ganz wichtig – es wurde hier bereits er-
wähnt –: Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration
in den Arbeitsmarkt ist die Sprache. Die Integrationskur-
se haben wir daher für Asylbewerber und Geduldete mit
guter Bleibeperspektive geöffnet. Wir investieren derzeit
größte Kraftanstrengungen, um die Zahl der Plätze in
Sprachkursen drastisch zu steigern.

Wir erleben seit drei Monaten einen Flüchtlingszu-
strom von nicht gekanntem Ausmaß. Dass wir in diesen
kurzen drei Monaten noch nicht alle Probleme gelöst
und nicht alles im Griff haben, ist doch klar. Klar ist aber
auch: Wir sind auf einem guten Weg. Ich bitte Sie daher
am Schluss: Begreifen Sie die Flüchtlinge nicht in erster
Linie als Problem, begreifen Sie sie als Chance.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813606200

Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die

Kollegin Andrea Lindholz für die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1813606300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Werte Gäste! Täglich kommen bis
zu 10 000 neue Migranten nach Deutschland. Die Lage in
Deutschland und Europa wird immer ernster. Selbst das
liberale Schweden führt in diesen Stunden wieder Grenz-
kontrollen ein. Auch Deutschlands Integrationskraft ist
begrenzt. Wir können nicht jedes Jahr 1 Million Men-
schen aufnehmen, versorgen, ausbilden und integrieren.
Deswegen steht aktuell die Eindämmung des Zustroms
im Fokus der Debatte. Das bloße Einfordern der Einhal-
tung europäischen und deutschen Rechtes ist im Übrigen
keine Chaospolitik, sondern es ist zwingend erforderlich,
um zu ordnen, zu strukturieren und zu begrenzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Matthias Bartke






(A) (C)



(B) (D)


Es geht, sehr geehrte Frau Kollegin Mast, gerade nicht
darum, jedem syrischen Flüchtling, so wie Sie es heute
suggeriert haben, nur subsidiären Schutz zu gewähren.


(Katja Mast [SPD]: Der Innenminister hat es gesagt, nicht ich! – Kerstin Griese [SPD]: Wer hat das denn vorgeschlagen?)


Es geht darum, zur Einzelfallprüfung, die unser Gesetz
vorsieht, zurückzukehren und jeden Flüchtling anzuhö-
ren, aus welchem Land er kommt, ob er tatsächlich aus
Syrien stammt und ob man ihm Flüchtlingsschutz nach
der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt,


(Katja Mast [SPD]: Das wird doch heute auch schon gemacht! Sie verlängern die Verfahren!)


ob er einen Asylanspruch nach dem Grundgesetz hat oder
ob er nur subsidiären Schutz erhält. Das ist auch richtig
so.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Entscheidung steht im Übrigen nicht im Ermes-
sen der Abgeordneten, sondern der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flücht-
linge. Dessen Sprecher hat im Übrigen gestern erklärt,
dass das Dublin-Verfahren die nationalen Asylverfahren
sogar entlastet und nicht belastet.


(Zuruf von der LINKEN: Quatsch!)


– Lesen Sie bitte heute die Zeitung. Dort können Sie das
Zitat nachlesen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, „die“ Zeitung! – Dr. Matthias Bartke [SPD]: Klären Sie das erst einmal in Ihrer eigenen Fraktion!)


Neben diesen wichtigen Fragen ist natürlich auch die
Integration der anerkannten Flüchtlinge für den sozialen
Zusammenhalt in Deutschland essenziell. Wir brauchen
dazu keinen Antrag der Linken; denn schon heute grün-
den Schulen, IHKs, Handwerk, Arbeitsagenturen, Ver-
bände und vor allem die Kommunen lokale Netzwerke
und runde Tische und versuchen, das Problem anzuge-
hen, anstatt nur pauschale und polemische Reden zu hal-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn?)


Auch der Bundesinnenminister hat letzte Woche
eine – ich nehme an, dass einige von Ihnen dort waren –
hochinteressante Fachtagung zum Thema „Fachkräftezu-
wanderung und Flüchtlinge – Geht das zusammen?“ in
seinem Hause abgehalten. Es arbeiten also schon viele
engagierte und kluge Menschen an diesem Thema.

Man sollte heute auch einmal eines klarstellen: Aner-
kannte Flüchtlinge haben vollen und uneingeschränkten
Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Wir reden also da-
rüber, wie wir mit den Asylbewerbern verfahren, die bei
uns noch nicht anerkannt sind. Hier müssen wir zwischen
bleibeberechtigten und nichtbleibeberechtigten Asylbe-
werbern unterscheiden. Voraussichtlich werden 400 000
bleibeberechtigte Asylbewerber aus dem Jahr 2015 ver-
bleiben. Diese Integrationsleistung wird eine zentrale

Zukunftsaufgabe für unser Land werden. Daher sollten
für uns einige Grundprinzipien gelten.

Die Integration muss auf die Menschen mit guter
Bleibeperspektive konzentriert werden. Bei den anderen
brauchen wir keine Integration; denn dort steht die Aus-
reisepflicht im Vordergrund.

Asyl und Arbeitsmigration müssen klar getrennt wer-
den. Ich habe heute hier gehört, dass man gerne beides in
einen Topf schmeißt. Das ist aber nicht richtig. Flücht-
lingsschutz gibt es aus humanitären Gründen. Wenn Sie
in Ihrem Antrag den Spurwechsel von der Asylbewerber-
politik in die Arbeitsmigration vornehmen, dann ist das
ein glatter Fehlanreiz.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wer nicht aus der EU kommt und bei uns arbeiten will,
kann dies. Wir haben über 70 – ich habe vorhin gehört,
wir gehen auf die 90 zu – Mangelberufe, bei denen man
relativ problemlos eine Arbeit aufnehmen kann. Es gibt
auch noch die Bluecard. Wir müssen nach wie vor Asyl-
recht und Arbeitsmigration ganz klar voneinander tren-
nen.

Wir sind uns einig, dass die Integration früh anfangen
muss. Deswegen haben wir auch für Menschen mit guter
Bleibeperspektive, unabhängig von der Dauer des Asyl-
verfahrens jetzt schon die Residenzpflicht eingeschränkt,
den Arbeitsmarktzugang erleichtert und die Teilnahme an
Integrationskursen von Anfang an beschlossen. Das sind
die richtigen Weichenstellungen.

Integration braucht Zeit. Die Bundesagentur für Ar-
beit schätzt, dass von allen Asylbewerbern, die zu uns
kommen und die bei uns einen Anspruch auf einen Ar-
beitsplatz haben, nur 10 Prozent im ersten Jahr einge-
gliedert werden können, 50 Prozent nach fünf Jahren und
70 Prozent nach zehn Jahren. Es reicht also nicht aus, nur
Arbeitsverbote abzuschaffen. Die Vorsitzende des Sach-
verständigenrates Deutscher Stiftungen für Integration
und Migration, Frau Professor Langenfeld, hält solche
Forderungen sogar für kontraproduktiv. Sie fordert ganz
klar, den Fokus zunächst einmal auf Sprache, auf Quali-
fikation und Weiterbildung zu legen; denn ohne Sprache
und ohne Qualifikation findet bei uns niemand Arbeit.

Wir müssen unsere hohen Bildungsstandards auf-
rechterhalten, aber sicherlich bei der Anerkennung der
Fähigkeiten flexibler werden. Nicht ein Zertifikat darf
entscheiden, sondern es muss die tatsächliche berufliche
Erfahrung unter die Lupe genommen werden. Ein af-
ghanischer Elektriker wird nicht nur die Sprache lernen
müssen, sondern auch, was ein europäischer Schaltkas-
ten ist. Wir müssen sicherlich vor Ort durch Fachgesprä-
che, durch Arbeitsproben und durch Praktika ermitteln,
welche Leistungen der einzelne Asylbewerber erbringen
kann. Das ist viel aussagekräftiger als ein Zertifikat.

Zuletzt wird die Integration nicht nur Geld erfordern,
sondern die gesamte Gesellschaft. Ihr Antrag suggeriert,
die Integration ließe sich quasi rein staatlich organisieren.
Der Staat wird seinen finanziellen Beitrag leisten. Die
Wirtschaftsweisen schätzen für 2016 die Bruttoausgaben
der öffentlichen Haushalte im Zuge der Flüchtlingskrise

Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


auf einen Wert zwischen 9 Milliarden und 14,3 Milliar-
den Euro.

Damit schaffen wir allerdings nur Rahmenbedingun-
gen. Integration funktioniert nur, wenn wir sie als ge-
samtgesellschaftliche Daueraufgabe begreifen. Deswe-
gen ist entscheidend, dass wir als Politik gemeinsam mit
den Verantwortlichen vor Ort, die hier schon hervorra-
gende Leistungen erbringen, auch die richtigen Lösun-
gen suchen, die richtigen Antworten finden. Ihr Antrag
greift in vielen Punkten wie so oft zu kurz, und deshalb
lehnen wir ihn ab.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813606400

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6644 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Widerspruch sehe ich nicht. Dann ist das
so beschlossen.

Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

40 Jahre nach Helsinki, 25 Jahre nach Paris –
Den deutschen OSZE-Vorsitz 2016 für neue
Impulse hin zu einer auf Dialog, Vertrauen
und Sicherheit ruhenden Friedensordnung in
Europa nutzen

Drucksache 18/6641

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3. Ausschuss)

Kunert, Inge Höger, Andrej Hunko, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Den deutschen Vorsitz in der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im
Jahr 2016 für Frieden und Abrüstung nutzen

Drucksachen 18/5108, 18/6377

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3. Ausschuss)

Marieluise Beck (Bremen), Agnieszka Brugger,
Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Den deutschen OSZE-Vorsitz 2016 zur Stär-
kung der OSZE nutzen

Drucksachen 18/6199, 18/6375

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Widerspruch
sehe ich nicht. Dann ist auch dieses somit beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss
gleich mit einer Zumutung beginnen, weil ich aus aktuel-
lem Anlass aus sehr alten Akten des Auswärtigen Amtes
zitieren werde, ohne dabei hoffentlich schon am Anfang
meiner Rede dazu beizutragen, meine Redezeit zu über-
schreiten. Wir haben einen 40 Jahre alten Gesprächsver-
merk gefunden, aus dem ich wenigstens ganz kurz zitie-
ren will:

Nach einleitenden Bemerkungen erklärte H., es
komme darauf an, in den gegenseitigen Beziehun-
gen den Geist von Helsinki stärker wirksam werden
zu lassen ... trotz aller noch bestehenden Schwierig-
keiten, das Erreichte zu konsolidieren und Stören-
des auszuschalten.

Danach heißt es:

Das Gegenüber von H. erwidert nur ganz knapp:
Richtig. „Man darf jetzt nicht alles in die Elbe wer-
fen ...“


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: E. H.!)


Damit ahnen Sie vielleicht, um wen es bei diesem
Gegenüber geht: um den Sohn der Elbestadt, um jenen
großen Staatsmann, um den wir in diesen Tagen trauern.
Damals, vor 40 Jahren, im Sommer 1975 in Helsinki,
traf Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht nur zum ersten
Mal auf den oben zitierten Gesprächspartner H. – das war
Erich Honecker –; darüber hinaus unterzeichnete Schmidt
nach langen Verhandlungen mit allen Seiten, auch mit
der Sowjetunion, am 1. August 1975 für die Bundesrepu-
blik die Schlussakte von Helsinki. Die Schlussakte legte
den Grundstein für Dialog und Zusammenarbeit über die
Gräben des Kalten Krieges hinweg. Sie schuf eine Brü-
cke, auf der diese Gräben schließlich überwunden wur-
den und die dann mit der Charta von Paris vor 25 Jahren
auf eine neue institutionelle Ebene gelangte: die OSZE.
Diese OSZE, um deren Vorsitz es heute geht, ist bis heute
das Fundament unserer Sicherheitsarchitektur in Europa.

Ich will sagen: In Erinnerung und in Respekt vor die-
sem großen Erbe, auch vor Schmidts Erbe, das mit Willy
Brandt, Hans-Dietrich Genscher und Egon Bahr auf den
Weg gebracht worden ist, übernimmt Deutschland den
Vorsitz der OSZE 2016. Ich bin mir ganz sicher: Nicht
nur der Außenminister und nicht nur die Bundesregie-
rung, sondern das ganze Hohe Haus sind sich – und nicht
nur in diesem Vorsitzjahr – der Verantwortung für Frie-
den und Europa bewusst, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Am Vorabend der Unterzeichnung erklärte Helmut
Schmidt vor den Kameras:

Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


Hier in Helsinki dokumentiert Europa … einen neu-
en Schritt auf dem Wege zur Stabilisierung des Frie-
dens. Dies ist ein Weg, auf dem wir mit Geduld und
Beharrlichkeit

– und jetzt hören Sie zu –

und ohne uns durch Rückschläge entmutigen zu las-
sen, Schritt für Schritt weitergehen müssen.

Das ist 40 Jahre her, aber es klingt wie eine Ermu-
tigung an die Verantwortlichen von heute. Ich sage das
deshalb, weil wir natürlich wissen – auch wussten, als
wir uns entschieden haben, ihn zu übernehmen –, dass
wir den Vorsitz in stürmischen Zeiten übernehmen.
25 Jahre nach der Charta von Paris ist Europas Sicher-
heitsarchitektur – darüber haben wir hier in den letzten
Monaten häufig genug gesprochen – mehr als nur auf
die Probe gestellt. Das ist auch deshalb so, weil einer der
Gründer- bzw. Unterzeichnerstaaten der OSZE einen der
wichtigsten Grundsätze, nämlich die Unverletzlichkeit
von Grenzen, nicht nur infrage gestellt, sondern verletzt
hat.

Noch vor wenigen Monaten tobten in der Ostukraine
schwere Kämpfe. Es gab immer wieder neue Meldungen
über Tote und Verletzte. Mit jeder Verletzung der Waffen-
ruhe, jeder neuen Provokation und jedem Toten verhärte-
ten sich die Fronten weiter. Da gab es die einen, die dann
nach Waffenlieferungen an die Ukraine gerufen haben,
um der Aggression zu begegnen. Es gab die anderen, die
gerufen und geschrieben haben: Was sollen eigentlich
eure ganzen diplomatischen Bemühungen? Das führt zu
nichts. Belasst es bei den Sanktionen.

Wir sind, wie Sie wissen, beiden Vorschlägen nicht
gefolgt. In Erinnerung an das Erbe von Helsinki haben
wir einen anderen Weg eingeschlagen. Wir haben einen
politischen Prozess versucht und treiben ihn trotz aller
Rückschläge – von diesen Rückschlägen gab es genug;
über viele dieser Rückschläge haben wir hier gespro-
chen – weiter voran.

Und heute? Wir sind weit davon entfernt, zu sagen:
Es gibt Anlass, zufrieden zu sein. Das überhaupt nicht.
Schon deshalb nicht, weil wir mit der Umsetzung der
Minsker Vereinbarungen weit hinter dem Zeitplan zu-
rück sind. Aber immerhin hält der Waffenstillstand seit
jetzt gut zwei Monaten. Es sterben nicht mehr täglich
Menschen in der Ostukraine. Und wir – mein französi-
scher Kollege und ich – haben zuletzt den ukrainischen
und den russischen Außenministerkollegen am Wochen-
ende hier in Berlin gehabt. Natürlich haben wir darüber
verhandelt, wie wir diesen jetzt seit zwei Monaten be-
stehenden Waffenstillstand weiter absichern können, wie
wir die weiteren Vereinbarungen und Selbstverpflichtun-
gen aus der Minsker Vereinbarung umsetzen.

Wir haben verhandelt, wie wir besseren Zugang für
humanitäre Hilfe hinkriegen, weil immer noch nur we-
nige Hilfsorganisationen in der Ostukraine tätig sein
dürfen. Wir haben darüber gesprochen, wie wir jetzt
den nächsten Schritt bei der Konsolidierung des Waf-
fenstillstandes – Räumung von Minen und Kampfmit-
teln – einleiten. Wir haben darüber gesprochen, wie wir
beschädigte Infrastruktur wiederherstellen können, um

die Verbindungen zwischen dem Osten der Ukraine und
der Zentralukraine weiter zu verbessern. Zentral und im
Vordergrund dieses Treffens stand die Frage, wie wir die
Voraussetzungen dafür schaffen können, die Lokalwah-
len, welche die Separatisten einseitig angesetzt hatten –
wir haben sie Gott sei Dank verschieben dürfen –, vor-
zubereiten, und welche rechtliche Grundlage wir dafür
gemeinsam schaffen können.

Natürlich ist der Erfolg dieser Bemühungen nicht
garantiert. Ich sage aber: Immerhin sind wir so weit ge-
kommen. Dass wir so weit gekommen sind, ist nicht das
Verdienst von einigen wenigen Außenministern. Ich sage
das hier, weil ich jedenfalls weiß, dass wir nie so weit ge-
kommen wären, dass wir nicht einen dieser Gräben ohne
die OSZE und die mutigen Frauen und Männer in der
Beobachtermission bzw. der Trilateralen Kontaktgruppe
hätten überspringen können. Ohne die hätten wir nichts
hinbekommen. Und dafür, lieber Herr Generalsekretär,
lieber Lamberto Zannier, wollen wir gerade an diesem
Tage der OSZE, wollen wir Ihnen und den Mitarbeitern
der OSZE ganz herzlich danken.


(Beifall im ganzen Hause)


Beobachtermission, Verifikation, Kontaktgruppe – ich
finde, das Beispiel Ukraine, so unbefriedigend der Stand
auch immer noch ist, zeigt, dass es bei der OSZE konkre-
te Instrumente und Foren gibt, mit denen wir den Geist
von Helsinki nicht nur wachhalten können, sondern,
ergänzt um die Vorschläge, die Botschafter Ischinger
mit seiner Expertengruppe gemacht hat, vielleicht so-
gar erneuern können – erneuern unter gänzlich anderen
Voraussetzungen: nach dem Ende des Kalten Krieges,
nach veränderten Konfliktsituationen, die wir nicht nur
in Europa, sondern auch im Mittleren Osten haben, und
dennoch darauf setzen, dass Kooperation statt Konfron-
tation unsere Außenpolitik beherrscht, dass immer wie-
der Dialog statt Sprachlosigkeit hergestellt wird und dass
Diskurs immer noch besser ist als Abschottung, wenn ich
drei der zentralen Themen aus der Philosophie der OSZE
in Erinnerung rufen darf. Darauf müssen wir setzen, und
deshalb wollen wir die Instrumente und die Gesprächsfo-
ren der OSZE unter unserem Vorsitz, soweit das möglich
ist und soweit das von anderen mitgetragen wird, stärken.

Wir werden als OSZE-Vorsitz Angebote zum Dialog
machen für alle Mitgliedstaaten – auf der Grundlage der
Vielfalt von Themen, die in der Organisation verankert
sind, und das sind nicht nur die eingefrorenen Konflik-
te. Ein Kernbereich der OSZE spielt dabei natürlich eine
besondere Rolle: Das sind die konventionelle Rüstungs-
kontrolle – nicht zu vergessen! – und, immer wieder
wichtig, gerade jetzt, vertrauensbildende Maßnahmen.
Vertrauensbildung – das Wissen darum scheint zwischen-
durch etwas verlorengegangen zu sein – fällt nicht vom
Himmel, sondern entsteht nur durch Zusammenarbeit an
ganz konkreten Themen. Nur dadurch kann man verlo-
rengegangenes gemeinsames Bewusstsein wieder schaf-
fen. Das gilt auch für die Vorstellung, dass es nicht nur
gemeinsame Bedrohungen gibt, sondern daneben – hof-
fentlich – immer auch gemeinsame Interessen, die sich
verfolgen lassen. So würden wir das sagen, aber aus dem
gemeinsamen Bewusstsein für Interessen und Bedrohun-
gen kann vielleicht sogar noch mehr entstehen, kann ein

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier






(A) (C)



(B) (D)


neuer Geist von Helsinki in ganz anderen Regionen die-
ser Welt erwachen.

Der eine oder andere von Ihnen war mit dabei auf der
Reise in den Iran und nach Saudi-Arabien, zu den, wenn
man so will, schärfsten Konkurrenten in all den Konflik-
ten im Mittleren Osten. Wir haben den Abschluss nach
Teheran, nach Riad bewusst in Amman mit dem Besuch
der OSZE-Konferenz in Jordanien gesetzt. Warum? Weil
wir gerade nach dem Besuch dieser beiden Länder und
nach dem Versuch, sie beim Thema Syrien zusammenzu-
bringen, sagen wollten: Unsere Erfahrung in Europa ist
eben, dass selbst über abgrundtiefe Gräben hinweg Brü-
cken der Zusammenarbeit möglich sind. – Das war die
Botschaft, die wir mit zur OSZE-Konferenz in Jordani-
en, mitten im Zentrum der Konflikte im Mittleren Osten,
gebracht haben. Wir müssen uns auch eingestehen: Das
ist eine Einsicht, die in Europa – man sehe sich nur ein-
mal die letzten zwei, drei Jahrhunderte an – nicht immer
vorhanden war. Sie ist gewachsen; sie war am Ende das
Ergebnis von zwei Weltkriegen im vergangenen Jahrhun-
dert. Ich hoffe – wir werden dafür arbeiten –, dass sich
ähnliche Einsichten auch in anderen Konfliktregionen,
gerade im Mittleren Osten, durchsetzen. Meine Damen
und Herren, auch das wird Aufgabe unseres OSZE-Vor-
sitzes sein.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck NIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich will Ihnen, bevor ich zum Schluss komme, ganz
herzlich danken, dass alle Fraktionen des Deutschen
Bundestages dem Inhalt ihrer Anträge nach den deut-
schen Vorsitz in der OSZE im nächsten Jahr unterstützen.
Ich werde auch auf Sie angewiesen sein werden, gerade
auf die Mitarbeit der Parlamentarier in der Parlamentari-
schen Versammlung der OSZE. Ich weiß als Außenmi-
nister nur zu gut, dass unsere Möglichkeiten, gerade in
Konfliktsituationen, beschränkt sind, wenn wir nicht in
gleicher Weise Austausch auf der parlamentarischen und
auf der zivilgesellschaftlichen Ebene haben.

Deshalb zum Schluss: Ich weiß, dass die Erwartun-
gen an den deutschen OSZE-Vorsitz groß sind. Aber in
stürmischen Zeiten kann eben niemand sagen, was und
wie viel davon sich erfüllen lässt. Ich kann nur sagen,
dass jedenfalls wir uns in Erinnerung an das Erbe von
Helsinki dieser Aufgabe verpflichtet fühlen. Wir wissen
und erinnern uns, dass schon damals, mitten im Kalten
Krieg, die Annäherung mit vielen kleinen, ganz konkre-
ten Schritten, von denen auch damals niemand wissen
konnte, wohin sie führen würden, begonnen hat.

Ganz am Ende noch einmal zurück zu den alten Ge-
sprächsakten, aus denen ich schon zitiert habe. Da be-
schwert sich im Verlaufe des erwähnten Gespräches
Honecker gegenüber Schmidt, dass in der Bundesre-
publik viel zu viele von der, wie er sagte, sogenannten
Wiedervereinigung redeten, wobei sie doch beide als
„nüchterne Leute“ wüssten, dass zwei souveräne Staa-
ten existierten. Helmut Schmidt sagt daraufhin – und
man ahnt das Schmunzeln in seinem Gesicht –: Genau.

Was sollen wir beide schon davon reden; denn „niemand
weiß, wie das 20. Jahrhundert enden wird“.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das stimmt!)


Uns geht es im 21. Jahrhundert wahrscheinlich ganz ge-
nauso. Wir kennen die Zukunft nicht, aber wir wissen:
Sie ist offen. Lassen Sie uns mit und in der OSZE für
diese friedlichere Zukunft arbeiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813606500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Kunert für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813606600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kurz vor Toresschluss kommen die Koalitionsfraktionen
gerade noch auf der Zielgeraden an mit einem Antrag
zum deutschen Vorsitz der Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa. Die Linke hat dazu be-
reits vor der Sommerpause einen Antrag vorgelegt. Man-
ches von dem, was Sie nun vorschlagen, findet sich in
unserem Antrag wieder. Bis zum Ukraine-Konflikt hat
die OSZE im Bundestag kaum eine Rolle gespielt. Es
ist gut, dass wir heute darüber diskutieren; denn aus den
Anträgen geht hervor, dass wir uns zumindest in einem
Punkt wirklich einig sind: Die OSZE soll künftig wieder
eine größere Rolle für Frieden und Sicherheit in Europa
spielen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Vorgängerin der OSZE war die Konferenz für Si-
cherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die Unterzeich-
nung der Schlussakte von Helsinki vor 40 Jahren war ein
Meilenstein für den Frieden. Ich möchte an dieser Stelle
an Egon Bahr erinnern. Er hat sich unermüdlich dafür
eingesetzt, dass aus einstigen Gegnern Partner werden.
Er wollte auch, dass in der aktuellen Ukraine-Krise der
Gesprächsfaden nach Russland niemals abreißt. Dafür
gilt ihm unser Dank.


(Beifall bei der LINKEN)


Zu einer ehrlichen Bilanz gehört: Viele der Erwartun-
gen, die in die Gründung der OSZE und in die Charta von
Paris gesetzt waren, sind enttäuscht worden. Die Hoff-
nung, dass es mit dem Ende des Warschauer Paktes auch
die NATO nicht mehr geben würde, hat sich nicht erfüllt.
Die OSZE hätte als ein System kollektiver Sicherheit die
NATO ersetzen können. Diese Chance ist vertan worden.


(Beifall bei der LINKEN)


Heute stellen wir fest: Die NATO ist bis an die Staats-
grenzen Russlands vorgerückt. Seit den Anschlägen vom
11. September 2001 erleben wir eine verschärfte Auf-
rüstung im Namen des „Kriegs gegen den Terror“. Und
das Vertragswerk zur Abrüstung der konventionellen

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier






(A) (C)



(B) (D)


Waffensysteme ist ein Trümmerhaufen. Daran haben alle
ihren Anteil. Die USA und andere NATO-Staaten haben
sich jahrelang geweigert, den Vertrag über Konventionel-
le Streitkräfte in Europa anzupassen. Daraufhin hat Russ-
land Anfang dieses Jahres den Vertrag aufgekündigt. Der
Vergleichs- und Schiedsgerichtshof der OSZE konnte bis
heute seine Arbeit nicht aufnehmen, weil er nicht von al-
len Mitgliedstaaten anerkannt ist.

Trotzdem leistet die OSZE eine wichtige Arbeit:
Langzeitmissionen zur Verhütung und zivilen Lösung
von Konflikten, Wahlbeobachtungen, Einsatz für Men-
schenrechte und Dialogforum zwischen den Parlamenta-
riern. Das sind alles wichtige Dinge, die geleistet werden.
Tatsache ist, dass seit Anfang September der Waffenstill-
stand in der Ukraine weitgehend hält. Dazu wäre es nicht
gekommen, wenn sich die trilaterale Kontaktgruppe
nicht um Vermittlung bemüht hätte.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie sehen die Herausforderungen der Zukunft aus?

Die OSZE muss sich wieder stärker den großen Fra-
gen zuwenden. Wir brauchen dringend einen Sicherheits-
vertrag von Vancouver bis Wladiwostok, so wie ihn der
damalige russische Präsident Medwedew vorgeschlagen
hat. Verhandlungen für einen neuen KSE-Vertrag müssen
oberste Priorität haben.

Die Linke schlägt weiter vor, die Kompetenzen des
OSZE-Konfliktverhütungszentrums zu erweitern und das
OSZE-Forum für Sicherheitskooperation zu einer Abrüs-
tungsbehörde weiterzuentwickeln.


(Beifall bei der LINKEN)


Damit soll der Bereich der politisch-militärischen Si-
cherheit gestärkt werden, ohne die anderen Sicherheits-
bereiche zu vernachlässigen. Dafür fehlt allerdings der
Koalition bisher der Mut.

Wir fordern von der Bundesregierung einseitige
Abrüstungsschritte, notfalls gegen den Widerstand der
USA. Alle US-Atomwaffen sind unverzüglich von deut-
schem Boden abzuziehen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die OSZE muss sich auch den wirtschaftlichen und
ökologischen Fragen stärker widmen und sich auch ge-
rade den aktuellen Herausforderungen stellen. Das gilt
für die Sicherheit von Atomkraftwerken, die sichere
Endlagerung von Atommüll, neue Risikotechnologien
wie Fracking sowie die Konversion der wehrtechnischen
Produktion. Es erstaunt schon, dass die Grünen als öko-
logische Partei dazu nicht wirklich etwas vorbringen.

Die humanitäre Sicherheit und der Schutz der Men-
schenrechte gehören weiter auf die Agenda. Dabei muss
allerdings genauer und auch selbstkritischer hingeschaut
werden. Menschenrechtsprobleme gibt es nicht nur in
Russland oder in Aserbaidschan; Menschenrechtsproble-
me gibt es auch in Armenien, in den USA, in der EU und

selbst bei uns. Was ist mit Ungarn unter Orban, oder was
ist mit der Türkei unter Erdogan?


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Was ist mit den Menschenrechten in Russland?)


Und brennende Flüchtlingsheime, Rassismus, Obdach-
losigkeit und Kinderarmut sind in Deutschland leider
Realität.

Die Linke fordert: Nutzen Sie den deutschen
OSZE-Vorsitz für eine Initiative, um die Todesstrafe in
den USA und Belarus abzuschaffen,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Folter und andere unmenschliche Behandlung zu ächten
sowie alle unrechtmäßig inhaftierten Personen in den
OSZE-Staaten freizulassen.

Es gibt für den deutschen OSZE-Vorsitz viel zu tun.
Unsere Vorschläge, die wir in unserem Antrag formuliert
haben, sind konsequenter und weitreichender. Wir bitten
Sie um Ihre Unterstützung und Zustimmung. Bei den an-
deren Anträgen werden wir uns enthalten.

Schönen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813606700

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jürgen

Hardt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1813606800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte zu der Rede meiner Vorrednerin, Frau Kunert,
nur Folgendes anmerken: Wer verfolgt hat, was am
9. Mai dieses Jahres anlässlich der Feierlichkeiten zum
Jahrestag des Kriegsendes auf dem Roten Platz in Mos-
kau an Panzern unterwegs war, auch an Prototypen neuer
Panzer, und wer zur Kenntnis genommen hat, wie vie-
le Tausende neue Panzer Russland in Auftrag gegeben
hat und bauen will, der wird sofort erkennen, dass die
Behauptung, hier würde eine Rüstungsspirale von der
NATO angetrieben, doch eine sehr kühne ist.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wo leben Sie denn?)


Auch die Beschlüsse der NATO in Wales sind nicht eine
Aktion, sondern eine Reaktion auf die Aggressionen,


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, ja, wir schießen immer noch zurück!)


die wir nun leider sowohl im Rüstungsbereich als auch
gegen das OSZE-Mitglied Ukraine erleben. Von daher
sollten wir nicht in die Rhetorik der 70er-Jahre zurück-
fallen,


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE] – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, bravo! An die eigene Nase fassen!)


Katrin Kunert






(A) (C)



(B) (D)


sondern die Probleme so ansehen und annehmen, wie sie
sich leider vor uns auftun.


(Beifall bei der CDU/CSU)


40 Jahre Schlussakte von Helsinki – der Vertrag war
im positiven Sinne vielleicht der wirkmächtigste völker-
rechtliche Vertrag des 20. Jahrhunderts. Ich stehe auch
nicht an, zu sagen: Es war ein großes Werkstück des Bun-
deskanzlers Helmut Schmidt, daran mitgewirkt zu haben.
Denn diese Schlussakte hat in ganz vielen Bereichen
Europa und die Welt verändert. Ich freue mich, dass der
Generalsekretär der OSZE heute hier ist, mit dem wir,
die Mitglieder der deutschen Delegation der Parlamen-
tarischen Versammlung, eben schon einen guten Dialog
führen konnten. Auch von meiner Adresse: Herzlich will-
kommen!

Wir haben erlebt, dass die Diskussion in der DDR
über die Veröffentlichung des Textes der Schlussakte, die
die DDR-Regierung ja mit unterschrieben hat – der Text
wurde in der DDR geheim gehalten –, im Grunde ganz
viele Menschen mobilisiert hat; denn das hat ihnen vor
Augen geführt, wie groß der Unterschied zwischen An-
spruch und Wirklichkeit in der DDR war. Als dann das
Dokument im Neuen Deutschland veröffentlicht werden
musste, war es im Grunde eine Niederlage der Staatsfüh-
rung der DDR. Das hat einen starken humanitären Impuls
gegeben, der letztendlich auch zur Überwindung der Tei-
lung geführt hat.

Als dann vor 25 Jahren die Charta von Paris für ein
neues Europa beschlossen wurde, da gab es die ganz
große Erwartung, dass sich damit die pluralistische De-
mokratie in ganz Europa und in der ganzen Welt Bahn
bricht. Es war ja die Forderung und das Versprechen der
Unterzeichnerstaaten, dass sich die pluralistische Demo-
kratie als Staatsform durchsetzt. Heute, 25 Jahre später,
müssen wir leider feststellen, dass wir auf ganz vielen
Feldern arbeiten müssen, obwohl wir dachten, dass die
Geschichte das bereits erledigt hat. Ich glaube, bei diesen
Themen ist jetzt die OSZE gefragt. Sie muss da beharr-
lich weiterbohren.

Das gilt für den Prozess der Demokratisierung. Wir
müssen auch dort scharf hingucken, wo es demokratische
Verfassungen gibt, wo demokratische Wahlen stattfinden,
wo demokratisch gewählte Regierungen am Ruder sind;
denn trotzdem kann Korruption Demokratie behindern,
kann die Beschränkung der Pressefreiheit Demokratie
behindern, kann die Einschüchterung von Andersden-
kenden und Oppositionellen Demokratie behindern. Dies
muss von uns natürlich offen angesprochen werden, nicht
nur in Russland, aber natürlich auch in Russland.

Die OSZE leistet im 40. Jahr ihres Bestehens, wenn
man das so sagen kann, eine enorme Arbeit bei der Über-
wachung der Umsetzung des Minsker Abkommens für
die Ukraine. Damit stellt sie ihre Schlagkraft als Instru-
ment unter Beweis. Wir müssen somit dafür sorgen, dass
sie personell und materiell so ausgestattet ist, dass sie
dazu in der Lage ist. Es gibt nach wie vor einen großen
Bedarf an Personen, die bereit sind, sich zum Beispiel
als Wahlbeobachter zur Verfügung zu stellen und somit
OSZE-Aufgaben mit wahrzunehmen.

Wenn wir in die Zukunft blicken – darüber haben wir
mit dem Generalsekretär gerade diskutiert; der Minister
hat es auch angesprochen –, müssen wir über Vertrauens-
bildung sprechen. Vertrauensbildung – enthalten im ers-
ten Korb der Schlussakte von Helsinki – war im Grunde
der Schlüssel zur Überwindung der Konfrontation, zur
Lösung der Probleme. Vertrauensbildung ist auch und
gerade, wenn es um die Lösung des Ukraine-Konflikts
geht, eine ganz zentrale Aufgabe.

Diesbezüglich kommt auf die Parlamentarier eine gro-
ße Aufgabe zu, weil die parlamentarischen Delegationen
in der Parlamentarischen Versammlung den Boden für
neue Gesprächsangebote bereiten können. Bei allen Vor-
behalten, die wir haben, und trotz der Sanktionen, die wir
gegen einzelne Personen in Form der Einschränkung ih-
rer Freizügigkeit in Europa ausgesprochen haben – zum
Beispiel gegen russische Politiker wegen der Besetzung
der Krim –, sollten wir dafür sorgen, dass wir, sowohl
wenn Europarats- als auch OSZE-Konferenzen durchge-
führt werden, zusammentreffen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist aber kein Problem von Russland!)


Ich finde, dass wir die Schlagkraft der OSZE auch
dadurch unter Beweis stellen können, dass wir im Rah-
men des Outreach der OSZE, wie der Generalsekretär
es genannt hatte, unsere Hilfe anbieten, also bei Missi-
onen über das eigentliche Gebiet der OSZE hinaus. Er
hat angekündigt, dass sich die OSZE auch dem Thema
Mittelmeer und Mittelmeeranrainerstaaten stärker zu-
wenden wird. Daran sind natürlich insbesondere die
OSZE-Mitgliedstaaten am Mittelmeer interessiert. Die
Expertise und die Erfahrung, die die OSZE als Manager
von Dialogen und als Überwacher bzw. Gewährleister
der Einhaltung von Verträgen hat, kann vielleicht auch
im nördlichen Afrika eine wichtige Rolle spielen.

Ich wünsche mir, dass die deutsche Bundesregierung
den Prozess der Erneuerung und weiteren Stärkung der
OSZE unterstützt, vielleicht auch hinsichtlich der Erhö-
hung ihrer operativen Schlagkraft. Ich habe den Bundes-
minister so verstanden, dass dies genau das Ziel ist. Ich
habe den Generalsekretär vorhin so verstanden, dass es
hinsichtlich der Ziele ein großes Einvernehmen zwischen
dem deutschen Vorsitz und dem Generalsekretär gibt.
Wir könnten uns vorstellen, die Rolle des Generalsekre-
tärs gerade im operativen Bereich der OSZE zu stärken.
Das finden Sie auch in unserem Antrag.

Ich hoffe, dass 2016 ein gutes Jahr wird, dass es nicht
nur ein gutes Jahr für die OSZE ist, sondern auch insge-
samt für den Frieden in Europa. Ich bitte Sie deshalb um
Unterstützung des Antrags der Regierungskoalition zum
Jubiläum „40 Jahre Schlussakte von Helsinki“.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck NIS 90/DIE GRÜNEN])


Jürgen Hardt






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813606900

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich

jetzt das Wort der Kollegin Marieluise Beck.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Ge-
neralsekretär! Lieber Frank-Walter Steinmeier! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Für mich ist Helsinki immer
verbunden mit dem Gesicht von Ludmilla Alexejewa.
Die große Dame der russischen Menschenrechtspolitik
ist jetzt 88 Jahre alt, die davon erzählen kann, wie sie
aufgrund der in Helsinki getroffenen Vereinbarungen an-
fangen konnte, in Moskau zu arbeiten, und dass es da-
mals einen ganzen Tag dauerte, um sieben Unterschriften
zusammenzubekommen, weil das Telefonieren zu ge-
fährlich war und man deshalb mit der U-Bahn durch die
große Stadt fahren musste.

Dass das möglich wurde, ist tatsächlich dem Geist
von Helsinki und der Sprengkraft, die Helsinki entfaltet
hat – womit vermutlich auch ein Herr Honecker nicht ge-
rechnet hatte –, zu verdanken. Dass daraus dann tatsäch-
lich die Überwindung von Polizeistaat und Repression in
den Ländern werden konnte, die auch Europa sind, aber
durch Jalta von dem freien Teil Europas abgetrennt wor-
den waren, das ist wirklich eine großartige Geschichte,
die eng mit der OSZE verbunden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Nachdem mit der Überwindung der Folgen von Jalta
sich Freiheit und Demokratie auch in Osteuropa ausdeh-
nen konnten, wurde ein weiterer Schritt möglich, und
die Charta von Paris folgte den Helsinki-Verträgen. Da
gab es noch einmal die Hoffnung, dass wir nun ganz und
vollständig zusammenwachsen würden. Das ist schon
2008 durch den Krieg in Georgien und die faktische Ab-
trennung zweier Gebiete sehr stark erschüttert worden.
Aber noch viel größer war der Schock dann in der Uk-
raine durch die gewalttätige Abtrennung und später sogar
Annexion der Krim und die Aggression im Donbass. Das
heißt, dass wir uns in der OSZE trotz aller Feierlichkeiten
grundsätzlichen Fragen stellen müssen: Warum haben die
Regeln nicht gegriffen? Wie können wir es schaffen, dass
solche Regelverletzungen in Zukunft vermieden werden?
Wie gehen wir mit Teilnehmerstaaten um, die diese Re-
geln verletzen? Für mich folgt daraus, dass wir auf der
Einhaltung von Recht und Regeln beharren müssen; denn
allein die Einhaltung von Regeln und Recht garantiert Si-
cherheit, Schutz und Vertrauen.

Ein großer Abrüstungsschritt, den es hier in Europa
gegeben hat – er ist vielleicht zu wenig beachtet wor-
den –, war, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion so-
wohl Kasachstan als auch Belarus als auch die Ukraine
unter der Assistenz des Westens und bei Zusicherung der
Integrität ihrer Grenzen bereit waren, ihre Atomwaffen
abzugeben und zu akzeptieren, dass die Russische Föde-
ration ihre behielt. Dass dieses Vertrauen nun gebrochen
worden ist, ist ein großer Schlag, auch gegen das Regel-
werk. Das aber ist die einzige innere Kraft der OSZE-Po-

litik; denn wir haben keine Soldaten, sondern wir haben
Ideen und ein geistiges Fundament, auf dem wir stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade für uns beide, für das wiedervereinigte
Deutschland, das nun größer geworden ist, aber auch
für die Russische Föderation, die zu verarbeiten hat,
dass sie nicht mehr die Sowjetunion ist, ist es als große
Länder sehr wichtig, zu verstehen, dass OSZE bedeutet,
eingebunden zu sein. Es kann nicht um eine Achse Ber-
lin–Moskau gehen in dem Sinne – das wäre ja gleichsam
eine Rückkehr zu Bismarck –, dass wir uns schon wieder
einigen werden. Vielmehr geht es um die kleineren Staa-
ten, die zwischen diesen beiden großen Ländern liegen
und immer wieder mit Argwohn auf Berlin, Moskau und
diese mögliche Achse schauen. Es geht vor allen Din-
gen auch um die kleineren Staaten, die auf ihrem Weg
zu Demokratie und innerer Freiheit durchaus mit der
Bedrohung einer Rückkehr zu autoritären Systemen zu
kämpfen haben. Dabei brauchen diese Staaten und ihre
Bürgerinnen und Bürger die OSZE und den Schutz durch
andere Teilnehmer.

Ein Wort sei mir noch erlaubt zum Kernstück der
OSZE, und das ist ODIHR.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813607000

Frau Kollegin Beck, darf ich Sie trotzdem an die Re-

dezeit erinnern?

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ja. – ODIHR ist massiv unter Druck, manchmal auch aus
Deutschland. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen
ODIHR als Kernstück der OSZE mit Haut und Haaren
verteidigen.

Schönen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813607100

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Franz

Thönnes für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1813607200

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Un-

ser Antrag zum deutschen OSZE-Vorsitz versteht sich als
Unterstützung für die Bundesregierung und für den Au-
ßenminister Frank-Walter Steinmeier, ist zugleich aber
auch Selbstverpflichtung für uns und auch ein Dank an
alle Aktiven in der OSZE. Es ist der Gedanke des Geistes
von Helsinki, sich zusammenzufinden, sich auf Augen-
höhe zu respektieren, sich im Dialog auf Grundlage einer
pragmatischen friedlichen Zusammenarbeit zu verabre-
den, ohne gleich alles Bestehende als gut und richtig an-
zuerkennen.






(A) (C)



(B) (D)


Die dabei vereinbarten Prinzipien schienen jahrzehn-
telang eine stabile Basis für eine Sicherheitsordnung in
Europa zu sein. Doch Sicherheit und Vertrauen sind letz-
ten Endes beschädigt worden. Beschädigt worden ist das
Fundament des europäischen Hauses durch die völker-
rechtswidrige Annexion der Krim durch Russland. Doch
an den zentralen Prinzipien der souveränen Gleichheit
der Staaten, der Enthaltung von der Androhung oder An-
wendung von Gewalt, der Unverletzlichkeit der Grenzen
und der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten und der
Achtung der Menschenrechte gibt es deswegen nichts zu
rütteln.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Jugoslawien!)


Ich will kurz fünf nicht alles abdeckende Aspekte für
das europäische Haus benennen.

Erstens: Hausfrieden wieder herstellen durch Umset-
zung der Minsker Vereinbarungen. Alle Unterzeichner
bleiben gefordert. Die schleppenden Fortschritte geben
leichte Hoffnung. Nach dem letzten Pariser Gipfel lässt
sich zunehmend auch eine Verlässlichkeit Russlands er-
kennen. Dieser Weg ist gleichzeitig auch der Weg zum
Abbau von Sanktionen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dann muss man denen mal etwas anbieten!)


Zweitens: Hausordnung einhalten und gestalten. Die
Gültigkeit der Hausordnung kann durch die Unterschrift
der Minsker Signaturmächte unter die Gipfelerklärung in
Absatz 5 als gegeben angesehen werden. Hier heißt es:

Die Staats- und Regierungschefs bekennen sich un-
verändert zur Vision eines gemeinsamen humanitä-
ren und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis
zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränk-
ten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien der
OSZE.

Dieses Bekenntnis gilt es nun zu nutzen, um innerhalb
der OSZE die aktuellen Herausforderungen anzugehen
und gleichzeitig auch einen zügigen Dialog der Euro-
päischen Union mit der Eurasischen Wirtschaftsunion
zu initiieren. Aus meiner Sicht gehört dazu ebenso ein
EU-Russland-Dialog über die jeweilige Nachbarschafts-
politik, und zwar unter Einbeziehung der Nachbarn, nicht
über die Köpfe der Nachbarn hinweg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Drittens gehört dazu: Hausversammlungen im Dia-
log abhalten. Beratungsforen für kooperative Sicherheit,
konventionelle Rüstungskontrolle sowie vertrauens- und
sicherheitsbildende Maßnahmen waren stets zentrale
Themen des KSZE-Prozesses und der OSZE. Das heißt,
Rüstungskontrollregime stärken, regelmäßige Dialoge
von Militär und Politik, Erörterung jeweiliger Sicher-
heitsinteressen und die Weiterentwicklung des KSE-Re-
gimes.

Viertens gilt für die parlamentarische Versammlung
der OSZE wie für die Regierungen: Gemeinsame Haus-
aufgaben machen, um Vertrauen zu schaffen. Wir haben

das Diskussionsformat „Wiener Prozess“ entwickelt,
in dem Abgeordnete der russischen und ukrainischen
Delegationen mit anderen im Rahmen einer parlamen-
tarischen Diplomatie zusammenkommen, um die Um-
setzung von Minsk zu begleiten. Mit einem gemeinsa-
men Seminar in der deutsch-französischen Grenzregion
haben wir angefangen. Wir werden Ende dieses Monats
mit einem Seminar in der deutsch-dänischen Grenzregi-
on weitermachen. Es geht darum, über das Thema Min-
derheiten zu diskutieren. Auch das ist ein Schwerpunkt
der deutschen Präsidentschaft. Kooperativ gemeinsame
Bedrohungen anzugehen wie den internationalen Terro-
rismus, Drogenhandel und Cyberattacken und irreguläre
Migration abzuwehren, kann Zusammenarbeit und Ver-
trauen fördern.

Fünftens geht es darum, die Hausgemeinschaft mit
guter Nachbarschaft zu bilden. Zu einer friedlichen Ge-
meinschaft auf der Basis der Hausordnung im europä-
ischen Haus gehört, die Begegnung der Menschen zu
ermöglichen, insbesondere zwischen den verschiedenen
Organisationen in den Zivilgesellschaften. Die Bundes-
regierung hat unsere volle Unterstützung, wenn es um
solch einen Austausch geht, ganz besonders, wenn es um
die Jugend geht. Vielleicht sollte man hier anfangen, den
stillgelegten Prozess der Visaliberalisierung erneut zu
beginnen und für zusätzliche Erleichterungen für junge
Menschen zu sorgen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Abschließend: Weil insbesondere Abgeordneten die
Aufgabe des Dialoges und der Verantwortung für die öf-
fentliche Diskussion sowie der Unterstützung des Hel-
sinki +40 Prozesses zukommt, halten wir Einreiseverbote
für Parlamentarier in diesem Zusammenhang für völlig
kontraproduktiv.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Ich will mit einem Satz aus der Regierungserklärung
von Bundeskanzler Willy Brandt von 1969 abschließen:

Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und
werden, im Innern und nach außen.

Das könnte ein gutes Motto für alle OSZE-Mitgliedstaa-
ten sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1813607300


Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Alexander Neu für
die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Franz Thönnes






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813607400

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr

Hardt, ein bisschen zu Ihrer Märchenstunde: Der russi-
sche Militärhaushalt beträgt 9 Prozent des NATO-Haus-
halts. Oder umgekehrt: Der NATO-Haushalt ist elfmal so
groß wie der russische Militärhaushalt. Welches Schreck-
gespenst wollen Sie hier aufbauen? Hören Sie mit Ihrer
Märchenstunde auf!


(Beifall bei der LINKEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Können die etwa nicht rechnen, oder was?)


Aber kommen wir zum eigentlichen Thema. Die Über-
nahme des OSZE-Vorsitzes durch die Bundesrepublik
Deutschland Anfang 2016 könnte die Chance für einen
Neustart für die OSZE und für die europäische Sicherheit
eröffnen. Könnte!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Antrag der Regierungsfraktionen hätte eine Grund-
lage dafür sein können. Hätte! Er ist es aber nicht. Im
Forderungsteil heißt es zum Beispiel – ich zitiere –:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf ... weiterhin

– ich unterstreiche: „weiterhin“ –

für einen gemeinsamen Sicherheitsraum zwischen
Vancouver und Wladiwostok einzutreten ...

Diese Aussage ist doppelt realitätsverdrehend:

Wieso denn „weiterhin“? Dies unterstellt eine fal-
sche Vergangenheit. Weder die NATO noch – erst recht
nicht – die NATO-Osterweiterung oder die EU-Osterwei-
terung haben in irgendeiner Weise einen gemeinsamen
Sicherheitsraum in Europa geschaffen.

Wieso „weiterhin“? Das unterstellt ein konstruktives
Vorhaben für die Zukunft. Das wird aus dem Antrag der
Regierungsfraktionen aber nicht ersichtlich. Im Gegen-
teil: Im Feststellungsteil heißt es:

Die grundlegenden Elemente der europäischen Si-
cherheitsarchitektur, wie sie sich nach dem Ende
des Kalten Krieges entwickelt haben, stehen hier in
keiner Weise zur Disposition.

Das heißt im Klartext: Weiter so wie bisher! NATO- und
EU-Osterweiterung, sprich: weiter die Teilung Europas,
wir gegen Russland.


(Lachen des Abg. Niels Annen [SPD])


Dieses Weiter-so sieht man auch an der völkerrecht-
lichen Argumentation in Ihrem Antrag; Herr Steinmeier
hat sie ja gerade mit Blick auf die Ukraine und Russ-
land noch einmal unterstrichen. Es ist schon amüsant,
wie blind man in der Bundesregierung doch gegenüber
den eigenen völkerrechtlichen Verbrechen ist, die man
in den 90er-Jahren – bis heute – gegenüber Jugoslawien
und dem Nachfolgestaat Serbien begangen hat. Bis heu-
te! Übrigens: Auch Jugoslawien war ein Gründerstaat der
KSZE. Aber das hat die anderen Gründerstaaten im Wes-
ten nicht daran gehindert, diesen Staat zu zerschlagen.

Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt, grob gesagt,
drei sicherheitspolitische Konzeptionen:

Die erste und leider auch vorherrschende ist: europä-
ische Sicherheit ohne oder gegen Russland. Sie wird vor
allem von den USA und einigen osteuropäischen Staa-
ten – nicht allen, aber einigen osteuropäischen Staaten –
favorisiert.

Die zweite Konzeption lautet: europäische Sicherheit
nicht gegen Russland, sondern besser mit Russland. Hier
gibt es eine diskursive Annährung, auch in Deutschland.
Jedoch hat das bislang noch keine praktische politische
Relevanz. Deutschland, Frankreich, Ungarn und die Slo-
wakei sind da zu nennen. Aber der Antrag, den Sie uns
vorgelegt haben, fällt weit dahinter zurück.

Es gibt auch einen dritten Ansatz – den sollten vor al-
lem die Damen und Herren von der CDU/CSU und der
SPD nicht übersehen –, nämlich europäische Sicherheit
mit Russland, aber ohne die USA,


(Marieluise Beck DIE GRÜNEN]: Oh ja! Das ist ja euer Kernstück! – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das ist ja eine wirklich verlockende Konzeption!)


falls die USA weiterhin einen gesamteuropäischen Si-
cherheitsprozess mit Russland torpedieren. Es gibt eine
wachsende Zustimmung in der deutschen Bevölkerung
für genau diesen Ansatz.

Kurzum: Was bisher als Sicherheit und Frieden von
Vancouver bis Wladiwostok formuliert ist, könnte in Zu-
kunft auch heißen: Sicherheit und Frieden von Lissabon
bis Wladiwostok. Die Linke fordert vielmehr: Deutsch-
land kann und muss der Motor einer gesamteuropäischen
Sicherheitsarchitektur sein – mit Russland, mit oder ohne
die USA.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813607500

Jürgen Klimke ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1813607600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Generalse-
kretär der OSZE! Als ich vor fünf, sechs Jahren hier im
Deutschen Bundestag vor einer Besuchergruppe über
Frieden in Europa diskutierte, fiel natürlich auch der Be-
griff „OSZE“. Ich musste ihn zunächst einmal erklären
und die Aufgaben der OSZE darstellen. Die OSZE er-
schien vielen, sofern sie überhaupt eine Vorstellung von
ihr hatten, als ein Relikt des Kalten Krieges und zumin-
dest in sicherheitspolitischer Dimension als überflüssig.

Wenn man die Frage nach der OSZE heute stellt, dann
kommt man zu dem Ergebnis: Die OSZE ist den Men-
schen bekannt. Sie kennen die OSZE-Mission zur Über-
wachung des Waffenstillstands in der Ukraine, oder sie






(A) (C)



(B) (D)


haben von den Wahlbeobachtungen gehört, zum Beispiel
in der Ukraine, in Weißrussland oder, wie kürzlich, in der
Türkei.

Die OSZE wird dabei ganz selbstverständlich als not-
wendig angesehen. Allerdings fragen interessierte Bür-
ger inzwischen auch ganz gezielt nach Defiziten und
sehen Reformbedarf. Die OSZE ist heute also wieder ge-
fragt. Die Erwartungen sind hoch – manchmal vielleicht
zu hoch.

Die Etablierung einer dauerhaften Sicherheitspartner-
schaft im OSZE-Raum unter Einbeziehung Russlands,
die uns in der Vergangenheit schon als Realität erschien,
ist heute mehr denn je infrage gestellt. Der Ukraine-Kon-
flikt und die Angst vor einer Eskalation bestimmen das
außen- und sicherheitspolitische Handeln.

Es besteht somit mehr denn je die Notwendigkeit,
multilaterale Gesprächsformate zu etablieren, Waffen-
stillstände umzusetzen und zu überwachen und vertrau-
ensbildende Maßnahmen zu etablieren. Auf all diesen
Gebieten kann die OSZE das Miteinander fördern, weil
nur hier unter Einbeziehung aller Beteiligten über die re-
gionale Sicherheitslage diskutiert werden kann.

Wir sind froh, dass die OSZE auch durch ihre Parla-
mentarische Versammlung unter Einbeziehung der russi-
schen Abgeordneten ein Forum für die Diskussion bilden
kann, ein Forum, in dem sich eben auch die russischen
Delegierten den Beschlüssen unterordnen. Deshalb bin
ich im Übrigen auch eindeutig gegen jede Form von
Ausschluss der russischen Delegierten; denn das stellt
die OSZE infrage.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Parlamentarische Versammlung der OSZE hat
weiterhin einige Beauftragte für regionale und themati-
sche Schwerpunkte ernannt. Ich selbst habe die Ehre, als
Beauftragter für die Ostseeregion mit allen Akteuren dort
an der Förderung der Kooperation und der Stärkung des
Vertrauens mitzuwirken.

Gerade dieser regionale integrative Ansatz ist die
Stärke der OSZE und ermöglicht ihre Akzeptanz in den
Mitgliedstaaten. Wir müssen diese Stärke immer mehr zu
einem echten Kapital machen, indem wir die OSZE in
die Lage versetzen, ihre Aufgaben effizienter wahrzuneh-
men. Dies ist ein wichtiges Ziel, das wir auch in unseren
Antrag aufgenommen haben.

Die Struktur der OSZE ist auf staatliche Akteure und
nicht auf Bürgerkriege oder hybride Kriege ausgerichtet,
in denen Separatisten, Freischärler oder Terroristen agie-
ren. Wie können wir Verbrechen einzelnen Gruppen zu-
ordnen? Wie können wir deeskalieren? Wie können wir
solche Konflikte dauerhaft befrieden? Das sind Fragen, auf
die wir im Rahmen der OSZE Antworten finden müssen.

Wir treten deshalb dafür ein, dass die Empfehlungen
der Hochrangigen Expertengruppe zur Reform der OSZE
sorgfältig geprüft und gegebenenfalls umgesetzt werden,
dass die mit dem Helsinki +40 Prozess verbundenen Re-
formen vorangebracht werden, und natürlich, dass die

OSZE besser finanziert wird. Hier sind die Mitgliedstaa-
ten in einer Pflicht, und es gehört auch zu den Aufgaben
des deutschen Vorsitzes, bei den Mitgliedstaaten für eine
bessere finanzielle Ausstattung zu werben.

Meine Damen und Herren, trotz aller Erwartungen
sollten wir auf dem Boden bleiben. Wir dürfen die OSZE
nicht mit überzogenen Wünschen überfrachten – auch
nicht den deutschen Vorsitz der OSZE im Jahre 2016. Ich
weiß, dass wir – das wurde auch in der Öffentlichkeit
immer wieder deutlich – einen großen Erwartungsdruck
haben. Das gilt noch viel stärker hinsichtlich der Lösung
des Ukraine-Konflikts als in Bezug auf die notwendigen
Reformen der OSZE selbst.

Dabei wissen wir, dass die OSZE diesen Konflikt nicht
aus sich heraus beenden kann. Sie kann ein Gesprächs-
forum anbieten, Missverständnisse ausräumen und die
Akzeptanz bei Kompromissen fördern; ihre eigentliche
Stärke besteht aber in der Umsetzung von Vereinbarun-
gen und in der Überwachung von Absprachen. Gleich-
wohl kann Deutschland im Rahmen seines Vorsitzes
für die Bewältigung der Ukraine-Krise sein politisches
Kapital einbringen, nämlich das Vertrauen, das wir auf
beiden Seiten genießen.

Die OSZE hat sich über 40 Jahre lang entwickelt und
neue Aufgabenfelder besetzt. Sie verfügt auch heute über
eine Dimension, die sich der demokratischen Entwick-
lung und der Stärkung der Menschenrechte verschreibt.
Diese sogenannte menschliche Dimension der OSZE
muss erhalten bleiben und gestärkt werden.


(Beifall der Abg. Marieluise Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Gerade Meinungs- und Medienfreiheit sowie Minder-
heitenschutz gehören weiterhin zum essenziellen Aufga-
benspektrum der OSZE.

Die Betonung der menschlichen Dimension der OSZE
fordern wir deshalb auch in unserem Antrag, trotz der ak-
tuellen sicherheitspolitischen Krisen. Hier gibt es zudem
einen Zusammenhang, gehören doch gerade die Wahlbe-
obachtungen zu den sicherheitsrelevanten Maßnahmen.
Durch den durch die OSZE legitimierten demokratischen
Ablauf von Wahlen ist zum Beispiel in der Ukraine die
Situation vor Ort sichtbar stabilisiert worden.

Die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bun-
destages arbeiten sehr engagiert in der Parlamentarischen
Versammlung. Wir nehmen Anteil an den Tagungen der
OSZE, sind als Wahlbeobachter tätig. Vor diesem Hinter-
grund ist es besonders wichtig, dass wir als Parlamenta-
rier die OSZE in ihrer Arbeit unterstützen. Eine derartige
Diskussion und Anträge, wie sie heute vorliegen, gehö-
ren einfach dazu.

Lassen Sie uns gemeinsam, Koalition und Oppositi-
on, den deutschen OSZE-Vorsitz im Jahr 2016 begleiten.
Lassen Sie uns an einer Stärkung der OSZE mitwirken.
Denn wir brauchen die OSZE heute dringender denn je.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck NIS 90/DIE GRÜNEN])


Jürgen Klimke






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813607700

Die Kollegin Katja Keul erhält das Wort für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813607800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Ge-

neralsekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Juli
waren wir mit der deutschen Delegation der Parlamen-
tarischen Versammlung der OSZE in Helsinki, 40 Jahre
nach der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte. Nach
einer Geburtstagsfeier war die Stimmung dort allerdings
nicht. Der Geist von Helsinki, den wir alle so gerne be-
schworen hätten, war der Veranstaltung ferngeblieben.
Das finnische Außenministerium war leider der irrigen
Auffassung gewesen, die EU-Sanktionen fänden auch
auf die russischen Delegationsmitglieder in der Parla-
mentarischen Versammlung Anwendung, und verweiger-
te ihnen die Einreise. Das war, um es mit den Worten der
Kollegen der Koalition zu sagen, kontraproduktiv.

Der Vorfall verdeutlicht aber nur zu gut, vor welcher
Herausforderung die deutsche Präsidentschaft im nächs-
ten Jahr steht. Das gemeinsame Gespräch zwischen den
57 Mitgliedstaaten ist in vielen Bereichen das Einzige,
was uns noch geblieben ist. Die 1990 in Paris vereinbar-
ten vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen
müssen daher dringend wiederbelebt werden. Darin sind
wir uns, glaube ich, alle einig.

Da ist zunächst der KSE-Vertrag über die konventio-
nelle Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa. Nach
einem ersten erfolgreichen Jahrzehnt wurde der Vertrag
gemeinsam überarbeitet und der veränderten Realität in
Europa angepasst. Leider haben die NATO-Staaten 1999
die Ratifizierung des angepassten Vertrages verweigert in
der fälschlichen Hoffnung, Russland damit zum Abzug
seiner Truppen aus Abchasien und Transnistrien zwingen
zu können. 2007 hat dann seinerseits Russland den Ver-
trag insgesamt suspendiert. Seitdem finden keine gegen-
seitigen Inspektionen mehr statt, und Russland arbeitet
nicht einmal mehr in der Gemeinsamen Beratungsgruppe
mit.

Der gegenseitige Austausch von Informationen und
Verifikationsinspektionen fehlt uns heute mehr denn je.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Mangelnde Informationen über militärische Bestände
schaffen zusätzliches Misstrauen auf beiden Seiten und
führen zu gegenseitigen Drohgebärden und Provokatio-
nen, wie wir sie seit dem Kalten Krieg nicht mehr erlebt
haben. Die zu geringen Notifikationspflichten des Wiener
Dokuments können den KSE-Vertrag nicht ersetzen. Die
deutsche Präsidentschaft muss daher alles tun, um die
Rückkehr zum KSE-Vertrag zu ebnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mindestens aber, sozusagen als Plan B, müssen das Wie-
ner Dokument überarbeitet und die Quoten erhöht wer-
den.

Ein Hoffnungsschimmer in dieser Eiszeit sind die
weiterhin stattfindenden Beobachtungsflüge gemäß dem
Vertrag über den Offenen Himmel. Auf diesem Wege
findet noch eine regelmäßige Beobachtung militärischer
Aktivitäten statt, sogar über der Ostukraine. Und aus-
gerechnet hier mangelt es Deutschland seit Jahren an
geeignetem Flugmaterial. Jedenfalls seit ich im Bundes-
tag bin – das sind sechs Jahre –, reden wir darüber, wie
dringend dieses Flugzeug gebraucht wird, für das immer
irgendwie kein Geld da war.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das kommt!)


Wenn ich daran denke, wie viele Milliarden wir schon
für mangelhaftes oder flugunfähiges Gerät an EADS aus
dem Verteidigungshaushalt ausgegeben haben, dann tut
mir das richtig weh. Wie ich höre, soll es jetzt das Open-
Sky-Flugzeug tatsächlich geben – endlich. Es wäre aber
auch wirklich lamentabel, wenn ausgerechnet diese letzte
funktionierende vertrauensbildende Maßnahme während
der deutschen Präsidentschaft mangels Flugzeug hätte
eingestellt werden müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht gelingt es der Bundesregierung ja sogar, die
von diesem Vertrag abgedeckten Gebiete auszudehnen,
an dem bislang 34 von 57 OSZE-Mitgliedstaaten teilneh-
men.

Um in diesen schwierigen Zeiten wieder Vertrauen
aufzubauen, dürfte die Stärkung der noch existierenden
Instrumente realistischer sein als der Abschluss neuer
Verträge. Dennoch darf die Ratifizierung des KSE-Ver-
trages bei allen Schwierigkeiten nicht aus den Augen
verloren werden.

Als Grüne plädieren wir eindringlich dafür, die all-
seits stattfindende Aufrüstungsspirale einzudämmen, und
unterstützen den Außenminister in seinem erkennbaren
Bemühen um verbale Abrüstung zwischen Ost und West.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist doch mal ein Wort!)


Was die Rüstungskontrolle angeht, sehen wir aber bei
der Kontrolle der eigenen Exporte durchaus noch Luft
nach oben. Unsere Vorschläge für ein Rüstungsexport-
kontrollgesetz liegen Ihnen vor. Anlässlich der Ergebnis-
se der letzten Sitzung des Bundessicherheitsrates erinne-
re ich an dieser Stelle an das Dokument über Kleinwaffen
und leichte Waffen, das die OSZE im Jahr 2000 verab-
schiedet hat.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Nutzen Sie die Präsidentschaft also nicht nur dafür,
zwischen den anderen zu vermitteln, sondern auch dazu,
selbst mit gutem Beispiel in Sachen Rüstungskontrolle
voranzugehen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813607900

Ich erteile das Wort dem Kollegen Fabritius für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Dr. h.c. Bernd Fabritius (CSU):
Rede ID: ID1813608000

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Generalsekretär!

Meine Damen und Herren! 40 Jahre nach Helsinki und
25 Jahre nach Paris beschwört der Antrag, sich des frei-
heitlichen und zukunftsweisenden Geistes dieser beiden
Ereignisse zu erinnern. Sie, Herr Außenminister, haben
diesen Geist mit einem Zitat aus den Archiven untermau-
ert und auch verdiente Politiker genannt, die diesen Geist
befördert haben. Ich ergänze die Aufzählung um Namen
wie Helmut Kohl und Franz Josef Strauß und viele ande-
re. Leider gesellen sich zu diesem Geist von Helsinki in-
zwischen auch die Geister von Simferopol, von Do nezk
und Luhansk. Lieber Herr Dr. Neu, außer der Linken fin-
det das hier niemand amüsant.

25 Jahre nach der Unterzeichnung der Charta von Pa-
ris, welche die Spaltung Europas für beendet erklärte,
müssen wir feststellen, dass die Bruchstellen in unserer
Friedensordnung und unserer Sicherheitsarchitektur sich
wieder deutlicher zeigen und die Organisation für Si-
cherheit und Zusammenarbeit in Europa erneut dringend
gebraucht wird. In dieser schwierigen Lage übernimmt
Deutschland 2016 den Vorsitz in der OSZE. Damit sind
zu Recht große Hoffnungen verbunden.

Angesichts der alles überlagernden Flüchtlingspro-
blematik ist der Konflikt in der Ostukraine vielleicht
nicht ganz in Vergessenheit geraten. In der öffentlichen
Wahrnehmung ist er jedoch deutlich gesunken. Der
OSZE kommt bei der Beilegung dieses Konfliktes eine
entscheidende Rolle zu. Ich empfehle jedem, die fast täg-
lich aktualisierten Berichte der OSZE-Beobachtermissi-
on zu lesen. Man kann so die Fieberkurve des Konflikts
in den verschiedenen Regionen detailliert nachverfolgen.
Die Mission verzeichnete zum Beispiel vergangenen
Donnerstag 52 Explosionen und schweres Maschinen-
gewehrfeuer am Hauptbahnhof von Donezk. Von einem
effektiven Waffenstillstand kann keine Rede sein.

Ja, meine Damen und Herren, die Ukraine ist nicht die
einzige Sorge, die uns momentan umtreibt. Die derzei-
tige Gewichtung des Konflikts wird dessen Bedeutung
für die Sicherheit in Europa jedoch nicht gerecht. Un-
ter schwierigen Umständen dauert die Kontrolle des in
Minsk vereinbarten Abzugs schwerer Waffen an, wobei
die OSZE-Beobachter auf die Mitwirkung der Kon-
fliktparteien essenziell angewiesen sind. Das Fehlen ei-
ner angemessenen technischen Ausstattung sowie man-
gelnde Durchsetzungsmöglichkeiten stellen die OSZE
vor erhebliche Probleme.


(Beifall der Abg. Marieluise Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Besonders der Zugang zu den Stellungen der sogenann-
ten Volksrepubliken Luhansk und Donezk wird den Be-
obachtern verwehrt. Auch wenn es sich hier um nicht-
staatliche, irreguläre Kampftruppen handelt, darf doch

erwartet werden, dass diese sich an die in Minsk getrof-
fenen Vereinbarungen halten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Einschätzung, die OSZE habe seit der Jahrhun-
dertwende an Bedeutung verloren, teile ich nicht. Sie
hat sich in einer Zeit relativen Friedens lediglich neue
Schwerpunkte gesucht. Wichtig war, dass im entschei-
denden Moment die wesentlichen Strukturen der po-
litisch-militärischen Komponente reaktiviert werden
konnten.

Die daraus resultierenden, in der Ukraine gemachten
Erfahrungen müssen jedoch ausgewertet werden und in
ein neues Krisenreaktionskonzept der OSZE einfließen.
Sollten sich derartige Krisen wiederholen – das Poten-
zial dafür ist leider vorhanden –, darf es nicht wie im
aktuellen Fall zu einer Reaktivierung alter Mechanismen
kommen, sondern zu einer schnellen, effektiven Reakti-
on auf Basis eines neuen Krisenmanagements, das der
veränderten Sicherheitslage angepasst ist. Im Antrag ist
von einer 15-köpfigen Expertengruppe die Rede, welche
hierzu Empfehlungen erarbeiten soll, die unter dem deut-
schen Vorsitz dann auch umgesetzt werden könnten.

Ich greife beispielhaft zwei Punkte im Antrag heraus,
die mir besonders zielführend erscheinen. Das ist zum ei-
nen die Aufforderung, einen Schwerpunkt des Vorsitzes
auf den Bereich des Krisenmanagements zu legen und
hierfür die Krisenreaktions- und Krisenmanagementfä-
higkeiten über den gesamten Konfliktzyklus zu verbes-
sern. Auch die Priorisierung der Konfliktprävention und
eine entsprechende Stärkung des heute auch anwesenden
Generalsekretärs sind eminent wichtig.

Ich bin froh, dass der Antrag darüber hinaus „eine
starke politische Führung durch einen handlungsfähigen
Vorsitz“ fordert. Ich bin jedoch gleichsam der Meinung,
dass dies bezogen auf den deutschen Vorsitz und ange-
sichts dieser Bundesregierung selbstverständlich ist.

Ein Beispiel zu meinem zweiten Punkt, einer Stär-
kung der Konfliktprävention, sind die Minderheiten-
rechte: Viele der aktuellen Konflikte sind ethnisch und
religiös begründet. In anderen Fällen, zum Beispiel auf
der Krim oder in der Ostukraine, werden Mehrheiten und
ethnische Minderheiten gegeneinander ausgespielt. Aus
diesem Grund ist die Arbeit der Hohen Kommissarin für
nationale Minderheiten der OSZE für die Konfliktprä-
vention und Konfliktlösung in ihrem frühestmöglichen
Stadium von entscheidender Bedeutung. Sie agiert als
eine Art Frühwarnsystem für Konflikte, bevor diese eine
nicht mehr kontrollierbare Eigendynamik entwickeln.
Für eine verbesserte Konfliktprävention muss ihre Stel-
lung daher weiter gestärkt werden.

Lassen Sie mich mit einer ganz persönlichen Erinne-
rung schließen: Was bereits 1966 in Bukarest im Ansatz
angelegt und dann durch die Schlussakte von Helsinki
1975 beschlossen wurde, hat mich und viele Mitmen-
schen hinter dem Eisernen Vorhang andauernd begleitet:
Es gab keinen Eingabebrief, den meine Eltern an die Be-
hörden des Ceausescu-Regimes geschrieben hatten, um
für uns Kinder Freiheit zu erstreiten, der nicht in seiner






(A) (C)



(B) (D)


Einleitung auf die Konferenz von Helsinki und die in der
Schlussakte zugesagte – ich zitiere – „Achtung der Men-
schenrechte und Grundfreiheiten … für alle ohne Unter-
schied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der
Religion“ erinnerte.

Mir hat dieses Ereignis damals große Hoffnung ge-
macht. Ich wünsche mir, dass der deutsche OSZE-Vorsitz
diese Hoffnung auf eine Festigung des Friedens und der
Freiheit in Europa weiter in die Zukunft trägt.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck Christoph Bergner ist der letzte Redner zu diesem Ta gesordnungspunkt. Herr Präsident! Herr Generalsekretär! Liebe Kolle ginnen und Kollegen! Als letzter Redner einer solchen Debatte steht man in der Pflicht, die eigenen Aussagen in das Licht des schon Gesagten zu rücken. Ich will dies versuchen. Ich stelle fest: Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages begrüßen den Vorsitz Deutschlands in der OSZE im nächsten Jahr. Ich würde aus dieser Begrüßung auch gerne eine Unterstützung der Bundesregierung ableiten. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Der erste Punkt ist okay! Beim zweiten muss man mal schauen!)


(Bremen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813608100
Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1813608200

Zweiter Punkt. Wir alle wissen – deshalb ist mir die-
se Unterstützung so wichtig –, dass dieser Vorsitz mit
einer ungewöhnlichen Verantwortung verbunden ist –
ungewöhnlich deshalb, weil wir uns in kritischen Zei-
ten befinden. Der Bundesaußenminister hat an anderer
Stelle von stürmischen Zeiten gesprochen, in denen wir
die Kommandobrücke betreten. Die Zeiten sind kon-
fliktbeladen. Zu diesem Schluss kommen wir, wenn wir
den Raum außerhalb der OSZE betrachten. So wird die
Forderung an die OSZE erhoben, im Rahmen des Out-
reachings konfliktregulierend über den eigenen Raum
hinaus tätig zu werden. Die Konferenz von Jordanien,
die der Bundesaußenminister erwähnte, zeigt, dass wir
in diesem Zusammenhang aufgrund der Kooperationser-
fahrungen der OSZE durchaus entsprechende Angebote
machen können.

Noch kritischer in diesen unruhigen Zeiten ist die
Krise innerhalb der OSZE. Frau Keul hat die Parlamen-
tarische Versammlung von Helsinki, die eigentlich eine
Jubiläumsveranstaltung war, in Erinnerung gerufen, die
tatsächlich symptomatisch für die innere Krise der OSZE
gewesen ist. Wer die mehrheitlich beschlossenen Texte
liest, der findet Stichworte wie zum Beispiel „tiefe Miss-
billigung der russischen Aggression gegen die Ukraine
einschließlich der Annexion und Besetzung der Krim“
oder „Bedauern über den Austritt Russlands aus dem

Vertrag über konventionelle Streitkräfte“, um nur zwei
Beispiele zu nennen.


(Unruhe)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813608300

Einen Augenblick, Herr Kollege Bergner. – Alle Kol-

leginnen und Kollegen, die in der zutreffenden Annahme,
dass nachher wieder abzustimmen ist, den Saal betreten,
bitte ich dringend, Platz zu nehmen. Es wird ohnehin –
über die Rede des Kollegen Bergner hinaus – dann eine
gewisse Zeit brauchen, weil noch mehrere Abstimmun-
gen durchzuführen sind. Niemand sollte sich zumuten,
das im Stehen zu machen. Deswegen bitte ich hier um ein
geordnetes Verfahren.

Bitte, Herr Bergner.


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1813608400

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte dazu auf-

fordern, dass das, was ich als innere Krise der OSZE be-
zeichne, von uns ernst genommen wird, und zwar in dem
Sinne, dass wir uns darüber klar werden, dass es hier um
die geistigen Fundamente der OSZE geht. Wir werden
in wenigen Tagen, am 21. November, den 25. Jahrestag
der Charta von Paris für ein neues Europa als zentrales
Grundsatzdokument der jüngeren OSZE-Geschichte be-
gehen können. Wenn wir da lesen, dass die Vision eines
Europas aus lauter demokratischen Staaten von Van-
couver bis Wladiwostok gepflegt wurde, und das mit
der heutigen Wirklichkeit vergleichen, dann haben wir
festzustellen, dass sich ganz offensichtlich Risse in den
Wertgrundlagen zeigen. Diese dürfen wir nicht ignorie-
ren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viele Mitgliedstaaten sind beim Aufbau nachhaltiger
demokratischer Strukturen gescheitert. Die Sicherung
der Menschenrechte hat sich als nicht überall durchsetz-
bar erwiesen. Von prominentester Bedeutung ist die Ent-
wicklung in der Russischen Föderation, wo nach meinem
Eindruck Systemerhalt und Systemstärkung eindeutig
Priorität vor den persönlichen Rechten der Bürger be-
kommen haben und wo im Interesse eines starken Staa-
tes das Wohl des Einzelnen auf grundsätzliche Weise der
Staatsräson untergeordnet ist. Vor diesem Hintergrund
brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, dass – ausge-
hend von einem solchen Bild eines starken Staates – auch
die Einhaltung völkerrechtlicher Normen dem Interesse
des starken Staates untergeordnet wird. Auf diese Weise
würde ich gerne die gegenwärtigen Konflikte innerhalb
der OSZE sehen, nicht um die OSZE zu schwächen, son-
dern um den Stärkungsprozess der OSZE, der mit der
deutschen Ratspräsidentschaft verbunden sein soll, auf
ein ehrliches Fundament zu stellen.

Die Kunst des deutschen OSZE-Vorsitzes wird des-
halb darin bestehen, dass wir auf der einen Seite für die
Stärkung der OSZE – das bedeutet für mich die Stär-
kung aller Dimensionen der OSZE – eintreten und auf
der anderen Seite die Risse und die Konflikte betreffend

Dr. Bernd Fabritius






(A) (C)



(B) (D)


die Wertgrundlagen der OSZE nicht bagatellisieren und
nicht ignorieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Nur auf ehrlichen Wertgrundlagen werden wir in der
Lage sein, eine wirkliche Stärkung der OSZE herbeizu-
führen. Dies ist keine einfache Aufgabe. Ich wünsche
unserer Bundesregierung und unserem Bundesaußenmi-
nister dafür viel Erfolg.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813608500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-
che 18/6641 mit dem Titel „40 Jahre nach Helsinki,
25 Jahre nach Paris“. Wer stimmt diesem Antrag zu? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Antrag bei Enthaltung der Opposition angenommen.

Unter dem Tagesordnungspunkt 6 b rufe ich die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Den
deutschen Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa im Jahr 2016 für Frieden und
Abrüstung nutzen“ auf. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/6377,
diesen Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/5108 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich
enthalten? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Frakti-
on Die Linke angenommen.

Unter Tagesordnungspunkt 6 c stimmen wir ab über
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Den deutschen OSZE-Vorsitz 2016 zur Stär-
kung der OSZE nutzen“. Auch hier empfiehlt der Aus-
schuss auf seiner Drucksache 18/6375, diesen Antrag
abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung
zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit
ist auch diese Beschlussempfehlung mit der Mehrheit der
Stimmen der Koalition angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 sowie den Zu-
satzpunkt 2 auf:

33. Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
setzung der Richtlinie 2013/55/EU des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates vom
20. November 2013 zur Änderung der Richt-
linie 2005/36/EG über die Anerkennung von
Berufsqualifikationen und der Verordnung

(EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszu-

sammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-In-
formationssystems („IMI-Verordnung“) für

bundesrechtlich geregelte Heilberufe und an-
dere Berufe

Drucksache 18/6616
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris
Wagner, Agnieszka Brugger, Dr. Tobias Lindner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Radargeschädigte der Bundeswehr und der
ehemaligen NVA zügig entschädigen

Drucksache 18/6649
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss

Hier geht es um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorge-
schlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 34 a bis
34 k. Hier geht es um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 34 a auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelspe-
zialitätengesetzes

Drucksache 18/6164

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(10. Ausschuss)


Drucksache 18/6670

Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 18/6670, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf der Drucksache 18/6164 in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Wer diesem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen möchte, den bitte ich um das Hand-
zeichen. – Das scheinen alle zu sein. Ist jemand dagegen,
oder möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der
Fall. Großer Triumph für die Bundesregierung.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer will dagegenstimmen oder sich der Stimme enthal-
ten? – Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 34 b:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
28. März 2014 zwischen der Bundesrepublik

Dr. Christoph Bergner






(A) (C)



(B) (D)


Deutschland und der Volksrepublik China zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur
Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen

Drucksache 18/6449

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


Drucksache 18/6666

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlus-
sempfehlung auf Drucksache 18/6666, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/6449
anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die-
ser Gesetzentwurf bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Durchführung der Verordnung (EU)

Nr. 1007/2011 und zur Ablösung des Textil-
kennzeichnungsgesetzes

Drucksache 18/6488

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss)


Drucksache 18/6662

Hier empfiehlt der Ausschuss für Wirtschaft und
Energie in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/6662, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/6488 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit
ist der Gesetzentwurf bei Enthaltung der Oppositions-
fraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Abstim-
mungsergebnis, also mit auskömmlicher Mehrheit, ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 34 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph
Lenkert, Birgit Menz, Caren Lay, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Meeresumweltschutz national und interna-
tional stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi
Lemke, Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz der Meere weltweit verankern

Drucksachen 18/4809, 18/4814, 18/5243

Hier empfiehlt der Ausschuss für Umwelt, Natur-
schutz, Bau und Reaktorsicherheit unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5243
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
der Drucksache 18/4809 mit dem Titel „Meeresumwelt-
schutz national und international stärken“. Wer stimmt
dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussemp-
fehlung gegen die Stimmen der Opposition mit Mehrheit
angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/4814 mit dem Titel „Schutz der Mee-
re weltweit verankern“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Niemand. Damit ist diese Beschlussempfehlung
überraschenderweise mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 e:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger,
Azize Tank, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten
Tom Koenigs, Omid Nouripour, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Doppelstandards beenden – Fakultativproto-
koll zum UN­Sozialpakt zeichnen und ratifi-
zieren

Drucksachen 18/4332, 18/6184

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitä-
re Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6184, diesen gemeinsamen Antrag der
beiden Oppositionsfraktionen mit dem Titel „Doppel-
standards beenden – Fakultativprotokoll zum UN-Sozial-
pakt zeichnen und ratifizieren“ abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Dann ist auch diese Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 34 f bis 34 k.

Tagesordnungspunkt 34 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 243 zu Petitionen

Drucksache 18/6561

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 243 ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 244 zu Petitionen

Drucksache 18/6562

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Auch diese Sammelübersicht ist bei Ent-
haltung der anwesenden Mitglieder der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und Ablehnung der Fraktion Die Linke!)


– Die Linke legt Wert darauf, dass sie dieser Sammel-
übersicht nicht zustimmt, was wir hiermit auch im Pro-
tokoll vermerken.

Tagesordnungspunkt 34 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 245 zu Petitionen

Drucksache 18/6563

Zu dieser Sammelübersicht hat der zuständige Be-
richterstatter Gero Storjohann zu einer kurzen ergänzen-
den Erläuterung um das Wort gebeten, für die er selbst-
verständlich die Gelegenheit erhält.

Ein Hinweis für die zahlreichen Kollegen am Ende
des Plenarsaales: Wäre es nicht eine gute Idee, sich diese
erhellenden Erläuterungen im Sitzen anzuhören?


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Bitte, Herr Kollege.


Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1813608600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Petitionsausschuss bearbeitet pro Jahr an die 15 000 Pe-
titionen und hat es Ihnen bisher erspart, jede einzelne
Petition hier im Plenum vorzustellen und zu beraten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Schade!)


Wenn es aber vorkommt, dass der Petitionsausschuss
einstimmig mit großem Votum eine Empfehlung an die
Bundesregierung ausspricht, dann halten wir es für ange-
messen, hier einmal vorzutragen, wie es zu diesem Votum
gekommen ist. So haben wir es im Ausschuss beschlos-
sen. Ein Abgeordneter hat dann die schöne Aufgabe, vor
großem Publikum zu sprechen. Ich danke recht herzlich.


(Beifall im ganzen Hause)


Wir haben am 4. November 2015 vier sachgleiche Pe-
titionen zur Beratung vorliegen gehabt, von denen eine
öffentlich war. Es ging eigentlich darum, dass man sich
über mangelnde Kontrolle auf unseren Autobahnen be-
schwerte, und zwar im Hinblick auf ausländische Lkw,
die auch Kabotage vornehmen. Kabotage bezeichnet das
Erbringen von Transportdienstleistungen innerhalb eines
Landes. Kabotage durch ausländische Verkehrsunter-

nehmen haben wir zugelassen, damit keine Leerfahrten
entstehen: So fahren beispielsweise Lkw, die von War-
schau nach Frankfurt fahren, nach Warschau auch mit
etwas Ladung zurück. Mangelnde Kontrolle konnten wir
nicht nachweisen. Kontrolle findet sehr wohl statt. Wenn
irgendwo Fehler passieren, dann eher bei deutschen als
bei ausländischen Unternehmen.

Was aber auch kritisiert wurde, sind die Arbeitsbedin-
gungen von Lkw-Fahrern. Hier geht es um die Ruhezei-
ten. Wir wollen nicht mehr, dass die Lkw-Fahrer immer
nur in ihren Lkw übernachten müssen.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Volker Kauder [CDU/CSU]: Auf der Wiese! Zelten!)


Vielmehr sollen Lkw-Fahrer ihre Ruhezeiten auch wo-
anders abhalten können. Dieses Problem hat die Bundes-
regierung dankenswerterweise erkannt, und sie ist dabei,
im Fahrpersonalgesetz entsprechende Änderungen vor-
zunehmen.

Wir möchten, dass solche Änderungen europaweit
vollzogen werden. Deswegen lautet unser Votum, die
Petitionen der Bundesregierung zur Erwägung zu über-
weisen und den Fraktionen, Herr Kauder, zur Kenntnis zu
geben. Zudem sollen sie dem Europäischen Parlament zu-
geleitet werden. Wir hoffen, dass das alles Früchte trägt.

Die Arbeit im Petitionsausschuss macht Spaß.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1813608700

Dieser Hoffnung schließt sich das Präsidium an. – Ich

rufe damit zur Abstimmung über die gerade noch ein-
mal in einem wichtigen Punkt erläuterte Sammelüber-
sicht 245 auf der Drucksache 18/6563 auf. Wer stimmt
dafür? – Alle. Wer stimmt dagegen? – Keiner. Wer ent-
hält sich? – Auch keiner. Wie schön. Das ist ein bemer-
kenswertes Ergebnis Ihrer Intervention, Herr Kollege
Storjohann;


(Heiterkeit und Beifall)


denn ohne Ihre Erläuterung wäre dieses stolze Ergebnis
ganz sicher so nicht zustande gekommen.

Tagesordnungspunkt 34 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 246 zu Petitionen
Drucksache 18/6564

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 246 ist bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 247 zu Petitionen
Drucksache 18/6565

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 247 ist gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 248 zu Petitionen

Drucksache 18/6566

Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Wer enthält
sich? – Gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
ist die Sammelübersicht 248 mit Mehrheit angenommen.

Damit sind wir mit den Abstimmungen zu diesem Ta-
gesordnungspunkt fertig.

Wir kommen jetzt zu den Wahlgängen. Wir werden
gleich nacheinander zwei Wahlen durchführen, für die
Sie Ihren grünen und Ihren gelben Wahlausweis benö-
tigen. Die meisten von Ihnen werden auch einen blauen
Wahlausweis vorgefunden haben. Den können Sie ver-
nichten oder als Souvenir an die heutige denkwürdige
Plenarsitzung mit nach Hause nehmen. Jedenfalls brau-
chen wir den heute nicht. Die Wahlausweise können Sie,
soweit noch nicht geschehen, Ihrem Stimmkartenfach in
der Lobby entnehmen. Achten Sie unbedingt darauf, dass
die Wahlausweise Ihren Namen tragen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremi-
ums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaus-
haltsordnung

Drucksache 18/6629

Die Fraktion Die Linke schlägt auf Drucksa-
che 18/6629 den Abgeordneten Roland Claus vor.

Bevor wir zur Wahl kommen, muss ich Ihnen nun die
sorgfältig geregelten Prozeduren kurz erläutern. Laut
Gesetz ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der
Mitglieder des Bundestages auf sich vereint – also nicht
der Anwesenden, sondern der gesetzlichen Mitglieder
des Bundestages –, das heißt, wer mindestens 316 Stim-
men erhält. Die Wahl erfolgt mit der Stimmkarte und dem
Wahlausweis in der grünen Farbe. Die Stimmkarten wer-
den im Saal verteilt. Sollten Sie noch keine Stimmkarte
haben, besteht noch die Möglichkeit, diese bei den Plenar-
assistenten abzuholen. Diese Wahl findet offen statt. Sie
können Ihre Stimmkarte also an Ihrem Platz ankreuzen.
Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei „Ja“,
„Nein“ oder „Enthalte mich“. Ungültig sind demzufol-
ge Stimmkarten, die entweder kein Kreuz, mehr als ein
Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten.

Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen
werfen, übergeben Sie bitte den Schriftführerinnen und
Schriftführern an den Wahlurnen Ihren grünen Wahlaus-
weis. Der gilt als Nachweis der Teilnahme an der Wahl.
Ohne diesen grünen Wahlausweis ist dieser Nachweis
nicht zu führen.

Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen
besetzt? – Nein. Die Opposition wird gebraucht. – Ich

bitte jetzt Frau Keul stellvertretend für die geballte Op-
position, diese Rolle zu spielen. Haben wir ein ähnliches
Problem an den anderen Urnen? – Nein. Dann eröffne ich
den ersten Abstimmungsvorgang.

Ich frage, ob ein anwesendes Mitglied des Hauses sei-
ne Stimmkarte noch nicht abgegeben hat. – Das ist nicht
erkennbar. Damit schließe ich diesen ersten Wahlgang.1)

Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums
gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmecha-
nismusgesetzes

Drucksache 18/6630

Bevor ich auch hier zur Erläuterung des Verfahrens
komme, bitte ich um Aufmerksamkeit für folgenden Hin-
weis:

Die Wahl, die wir jetzt durchführen, ist geheim. Wa-
rum? Weil wir das so festgelegt haben!


(Heiterkeit)


Die Wahl vorher war nicht geheim. Warum? Weil wir
das auch so festgelegt haben! Wenn ich die Relevanz der
beiden Vorgänge betrachte, fällt es mir außerordentlich
schwer, eine offenkundig schlüssige Logik in den unter-
schiedlichen Wahlverfahren zu erkennen.


(Beifall des Abg. Roland Claus [DIE LINKE] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da sind Sie nicht alleine, Herr Präsident!)


Warum die Mitglieder des Vertrauensgremiums nach un-
serer Haushaltsordnung offen gewählt werden können,
dagegen die Mitglieder des Sondergremiums nach dem
Stabilisierungsmechanismusgesetz nicht, erschließt sich
nicht wirklich.


(Marieluise Beck DIE GRÜNEN]: Warum fällt das dem Herrn Präsidenten erst jetzt ein? – Thomas Strobl Ich trage es übrigens nur deswegen vor, weil ich schon einen vergeblichen Anlauf im Ältestenrat hinter mir habe, eine Reihe ähnlich unplausibel unterschiedlicher Wahlverfahren in einer vernünftigen Weise zu harmonisieren. Deswegen würde ich mir für den fälligen zweiten Anlauf gern die Zustimmung des Hauses dazu einholen, dass wir das endlich bereinigen. (Beifall im ganzen Hause – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An mir hat es nicht gelegen!)


(Heilbronn) [CDU/CSU]: Das ist ein Witz!)


Ist jemand anderer Meinung? – Das ist nicht der Fall.
Dann nehmen wir das als einmütige Willensbekundung
zu Protokoll.


(Heiterkeit)


Die Fraktion Die Linke schlägt auf der Drucksa-
che 18/6630 das bisherige stellvertretende Mitglied Ro-
land Claus als ordentliches Mitglied und das bisherige

1) Ergebnis Seite 13285 C

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


ordentliche Mitglied Dietmar Bartsch als Stellvertreter
vor; die Funktionen sollen also getauscht werden; ge-
heim getauscht, versteht sich.

Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich erneut um Ihre
Aufmerksamkeit für die Hinweise zum Wahlverfahren:

Zur Wahl sind die Stimmen der Mehrheit der Mit-
glieder des Bundestages, also wiederum mindestens
316 Stimmen, erforderlich. Für diese Wahl benötigen
Sie Ihren gelben Wahlausweis, der, soweit noch nicht
geschehen, den Stimmkartenfächern in der Lobby zu
entnehmen ist. Die Wahlunterlagen erhalten Sie von den
Schriftführerinnen und Schriftführern an den Ausgabeti-
schen vor den Wahlkabinen. Dort zeigen Sie bitte Ihren
Wahlausweis vor. Sie erhalten dann die gelbe Stimmkarte
für die Wahl des ordentlichen Mitglieds und eine blaue
Stimmkarte für die Wahl des stellvertretenden Mitglieds
sowie einen Wahlumschlag.

Auf jeder der beiden Stimmkarten können Sie jeweils
ein Kreuz machen, also mit „Ja“ oder „Enthalte mich“
votieren. Ungültig sind Stimmkarten, die kein Kreuz
oder mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze
enthalten.

Die Wahl ist geheim. Das heißt, Sie dürfen Ihre bei-
den Stimmkarten nur in der Wahlkabine ankreuzen und
müssen beide Stimmkarten noch in der Wahlkabine in
den Wahlumschlag legen – anderenfalls wäre die Stimm-
abgabe ungültig; die Wahl könnte in diesem Fall vor-
schriftsmäßig wiederholt werden –; darauf werden die
Schriftführerinnen und Schriftführer achten.

Bevor Sie den Wahlumschlag in die Wahlurne werfen,
müssen Sie der Schriftführerin oder dem Schriftführer an
der Wahlurne Ihren gelben Wahlausweis übergeben, der
auch hier als Nachweis für die Beteiligung an der Wahl
gilt. Kontrollieren Sie bitte noch einmal, ob der gelbe
Wahlausweis Ihren Namen trägt.

Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bit-
ten, die Plätze einzunehmen. Bevor ich diesen Wahlgang
eröffne, weise ich nochmals darauf hin – was sich eigent-
lich von selbst versteht –, dass, wie vorhin erläutert, die-
ser blaue Wahlausweis zwar nicht zusätzlich gebraucht
wird, aber hoffentlich niemand auf die Idee kommt, seine
blaue Stimmkarte zu vernichten, es sei denn, er wolle
sich an diesem Wahlgang nicht beteiligen. – Damit eröff-
ne ich jetzt diesen Wahlgang.

Ist jemand im Saal, der seine Stimmzettel noch nicht
abgegeben hat?


(Zurufe: Ja!)


– Ach! Ich habe die Prozession da oben übersehen.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813608800

Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine

Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das ist jetzt
die letzte Chance, die Stimmkarte abzugeben. Wir haben
noch eine lange Tagesordnung vor uns.

Nach meinem Überblick ist es jetzt so, dass alle ihre
Stimmkarten abgegeben haben. Gibt es hier oben links

noch jemanden? – Nein, das ist nicht der Fall. Hier auf
der rechten Seite gibt es auch niemanden mehr.

Dann schließe ich jetzt die Wahl und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt
gegeben.1)

Ich darf Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl eines
Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Ab-
satz 2 der Bundeshaushaltsordnung bekannt geben: ab-
gegebene Stimmen 582, ungültige Stimmen 3, gültige
Stimmen 579. Mit Ja haben gestimmt 464, mit Nein 72,
Enthaltungen 43. Damit wurde die erforderliche Mehr-
heit erreicht, und der Abgeordnete Roland Claus ist ge-
wählt.2)


(Beifall bei der LINKEN)


Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf:

9. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Anja Weisgerber, Marie-Luise Dött,
Andreas Jung, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab-
geordneten Frank Schwabe, Dr. Matthias
Miersch, Marco Bülow, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD

Klimakonferenz in Paris muss ehrgeizi-
ges Abkommen beschließen

Drucksache 18/6642

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Claudia
Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Auf der Klimakonferenz in Paris die
Weichen für mehr Klimaschutz und glo-
bale Gerechtigkeit stellen

Drucksache 18/6648

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Caren Lay, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Deutscher Beitrag zu den UN-Klimaver-
handlungen – Kohlendioxid als Umwelt-
schadstoff definieren, Betriebszeiten von
Kohlekraftwerken begrenzen

Drucksache 18/3313
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hier
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

1) Ergebnisse Seite 13293 A
2) Anlage 2

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin Dr. Barbara Hendricks für die Bundesregie-
rung. – Bitte schön, Frau Bundesministerin.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich komme gerade von umweltpolitischen Gesprächen
in China zurück. Ich war bis gestern Nacht in Peking.
Die Signale, die ich von dort mitgenommen habe, ma-
chen mich für die anstehenden Verhandlungen in Paris
sehr zuversichtlich. Auch China will ein ehrgeiziges und
bindendes Klimaabkommen. Auch China will die Erd-
erwärmung auf maximal 2 Grad begrenzen. Ähnliche
Signale kommen auch aus Brasilien und aus den Verei-
nigten Staaten. In Kanada hat sich die neue Regierung zu
einer engagierten Klimaschutzpolitik bekannt. Insgesamt
haben bereits 162 Länder ihre beabsichtigten nationalen
Minderungsziele bei der UNO eingereicht. Damit sind
über 90 Prozent aller Treibhausgasemissionen schon um-
fasst.

Natürlich: In Paris liegt noch eine Menge Arbeit vor
uns. Wir brauchen einen Vertrag, den alle 195 Länder
dieser Erde mittragen können. Das wird nicht einfach
werden. Aber wir waren einem neuen Klimaschutzab-
kommen noch nie so nah wie heute. Ich werde in Paris
alles daransetzen, damit die Konferenz ein Erfolg wird.
Klar ist: Paris wird nicht der Endpunkt der internati-
onalen Klimaschutzpolitik sein. Wir werden nicht am
14. Dezember aufwachen, und alle Probleme sind gelöst.
Gleichwohl bin ich zuversichtlich, dass Paris ein Mei-
lenstein sein wird, ein Meilenstein, der nach den vielen
Rückschlägen der Vergangenheit deutlich machen wird,
dass sich die Weltgemeinschaft dieser Aufgabe stellt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich danke den Koalitionsfraktionen für ihren Antrag
und die damit verbundene Unterstützung für unsere ge-
meinsame Arbeit. Ich danke auch den Grünen und der
Linken.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Ich weiß, es ist natürlich nicht Ihre Aufgabe, die Regie-
rung zu loben – das werden wir gleich auch wieder hö-
ren –, aber klar ist: Wir haben in dieser Sache das gleiche
Ziel. Ich freue mich deshalb sehr, dass zehn Abgeordnete
dieses Hauses an der Konferenz teilnehmen werden. Das
zeigt: Regierung und Parlament ziehen beim internatio-
nalen Klimaschutz an einem Strang und arbeiten zusam-
men, und zwar über alle Fraktionsgrenzen hinweg.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte auf zwei Punkte aufmerksam machen, die
mir in diesem Zusammenhang wichtig sind.

Erstens müssen wir uns auf ein Langfristziel verstän-
digen. Wir brauchen eine grüne Null, also null CO2 aus
fossilen Energieträgern im Laufe dieses Jahrhunderts;

wir haben das auch als „Dekarbonisierung“ bezeichnet.
Wir brauchen ein klares Signal an Wirtschaft und Gesell-
schaft: Unsere Art, zu wirtschaften, muss sich grundle-
gend verändern. Wir müssen lernen, die ökologischen
Grenzen unseres Planeten zu akzeptieren und zu respek-
tieren; ich sage ganz bewusst „lernen“. Wir sind auf die-
sem Weg eher noch am Anfang. Wir haben noch nicht
für alle Probleme Lösungen gefunden, selbstverständlich
nicht.

Zweitens wollen wir ein Abkommen mit robusten Re-
geln, mit Regeln, die Transparenz sicherstellen und damit
auch Fairness gewährleisten. Das Abkommen wird sich
nur bewähren können, wenn klar ist, dass sich alle an die
vereinbarten Ziele halten. Deshalb ist es entscheidend,
dass der globale Zielpfad nach Paris regelmäßig und in
einem transparenten Verfahren überprüft wird. Ich habe
mich gefreut, dass sich in der vergangenen Woche der
chinesische Staatspräsident und auch der französische
Staatspräsident für diesen Überprüfungsmechanismus
ausgesprochen haben. Das ist ein wichtiger Punkt, auch
auf dem Weg nach Paris.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wissen, dass die vorgesehenen Minderungsbei-
träge der Länder bislang noch nicht ausreichen. Aktuelle
Berechnungen zeigen: Wenn wir die Minderungsbeiträge
zusammenzählen und hochrechnen, dann könnten wir bei
einer Klimaerwärmung von 2,7 Grad ankommen. Das ist
natürlich zu viel. Das ist selbstverständlich und klar, und
das wissen wir auch; denn bis zum Ende des Jahrhun-
derts dürfen wir maximal 2 Grad erreichen. Aber das ist
gleichwohl eine Momentaufnahme. Es wird ja jetzt das
mitgeteilt, von dem die Länder annehmen, dass sie es bis
zum Jahr 2030 leisten können. Selbstverständlich müs-
sen wir das alles auch mit allem Ehrgeiz umsetzen.

Gleichzeitig müssen wir in den Jahren, die vor uns
liegen, noch ehrgeiziger werden. Wir können aber auch
ehrgeiziger werden, weil wir natürlich auch technologi-
sche Fortschritte machen werden. Wir haben übrigens
zum ersten Mal eine 2 vor dem Komma. Bisher war bei
allen Modulationen, bei allen Schätzungen, bei allen An-
nahmen und Berechnungen immer eine 3 bis 4 vor dem
Komma.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis 3,5! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wissen Sie so genau? – Gegenruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU]: Super!)


– Ja, 3 bis 4; klar. – Wenn wir in den Annahmen bzw.
in der Aufsummierung der sogenannten INDCs, also
der nationalen Minderungsbeiträge, jetzt eine 2,7 haben,
dann halte ich das für ein ermutigendes Zeichen.

Wir dürfen dabei natürlich nicht stehenbleiben. Wir
brauchen alle fünf Jahre diesen Überprüfungsmechanis-
mus, um – in der Konferenzsprache sagt man: „to raise
the ambition“ – noch ehrgeiziger zu werden, alle fünf
Jahre noch etwas besser zu werden und der Weltgemein-
schaft zu sagen: Jetzt wissen wir, wie es noch besser geht,

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


das machen wir, und dann kommen wir voran. – So muss
es laufen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tun alles, damit
Paris ein Erfolg wird. Dazu gehört auch, dass wir unsere
eigenen Hausaufgaben erledigen. Diese Bundesregierung
hat sich – Sie wissen das – ehrlich gemacht. Wir haben
klar gesagt, dass wir unser Ziel für das Jahr 2020 – min-
destens 40 Prozent weniger CO2-Ausstoß – nur erreichen
können, wenn wir tatsächlich noch etwas besser werden,
als wir bisher waren. Das haben wir mit dem Aktionspro-
gramm Klimaschutz auch gemacht und 100 zusätzliche
Maßnahmen auf den Weg gebracht.

„Sich ehrlich machen“ bedeutet für mich aber auch,
Transparenz darüber herzustellen, ob diese Maßnahmen
denn auch wirken. In einer der nächsten Kabinettssitzun-
gen werde ich dem Kabinett den ersten Klimaschutzbe-
richt vorstellen. Wir haben ja im Rahmen des Klimaak-
tionsplans beschlossen, dass wir regelmäßig berichten.
Das wird also in einer der nächsten Wochen geschehen.
Wir sind in diesem Jahr gut vorangekommen.

Meine Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben von
der Notwendigkeit eines Langfristziels, der grünen Null,
im Laufe dieses Jahrhunderts gesprochen. In Europa wol-
len wir vorangehen. Bis 2050 wollen wir 80 bis 95 Pro-
zent weniger Treibhausgase ausstoßen. Für Deutschland
heißt das, wir müssen am oberen Ende dieser „range“
liegen. Bis dahin ist es natürlich noch ein langer Weg.
Aber wir müssen jetzt anfangen, ihn zu gehen. Ich werde
deshalb im Frühjahr des kommenden Jahres den Klima-
schutzplan 2050 vorstellen. Der Plan wird unsere be-
kannten Zwischenziele bis zum Jahr 2050 fest verankern.
Die Zwischenziele kennen wir – wir haben sie alle schon
beschlossen –, nämlich bis 2030 eine CO2-Minderung
um mindestens 55 Prozent und bis 2040 um mindestens
70 Prozent; sonst würden wir unser Ziel für 2050 nicht
erreichen können.

Wir zeigen auch Strategien auf, mit denen wir diese
Ziele erreichen können. Es geht darum, national wie in-
ternational die klare Botschaft zu senden: Das Zeitalter
der fossilen Brennstoffe, das Zeitalter der grenzenlosen
Ausbeutung unseres Planeten, unserer Erde, ist vorbei.
Wir müssen eine andere, eine bessere Zukunft gestalten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813608900

Nächste Rednerin ist Eva Bulling-Schröter, Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813609000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe mir den Antrag der Regierungskoalition ange-
schaut. Er liest sich erst einmal ganz ordentlich: In das
neue Klimaabkommen von Paris sollen weltweit verbind-
liche Klimaziele – ich sage: das ist sehr richtig –, unter-

legt mit nationalen Verpflichtungen; das gefällt mir auch.
Im Antrag steht: „Dekarbonisierung der Weltwirtschaft
im Laufe des Jahrhunderts“. Das ist gut. Bis 2050 soll der
Umbau der Energiewirtschaft angestrebt, also raus aus
der Kohle gegangen werden – auch in Deutschland.

Das alles ist sehr lobenswert. Das sind die Verspre-
chen des G-7-Gipfels in Elmau, und diese Forderungen
sind gar nicht so weit weg von denen in unserem Antrag.

Auch die Linke will den Ausstieg aus Kohle und Öl.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen das letzte Kohlekraftwerk aber 2040 abschal-
ten. Es ist ganz wie beim Atomausstieg: In ökologischen
Fragen sind wir Ihnen mal wieder zehn Jahre voraus.


(Beifall bei der LINKEN)


Je mehr es in Ihrem Antrag aber um die konkrete Ver-
antwortung der Bundesregierung auf nationaler Ebene
geht, desto schwammiger wird Ihr Klimafahrplan für
Paris; denn es ist eine Sache, etwas festzustellen, etwas
ganz anderes ist es, zu handeln, und das müssen wir.

Handeln sollten gerade Sie. Sie stellen nämlich die
Regierung und nicht wir. Ich muss Ihnen aber sagen: Sie
machen Ihre Hausaufgaben einfach nicht. Der Antrag be-
deutet nur heiße Luft, und darum lehnen wir den Antrag
auch ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen: Das ist für Paris zu wenig und eigentlich auch
peinlich. Der Antrag enthält nicht einen Deut an Verbind-
lichkeit. Es werden Aktionsprogramme, Aktionspläne
und Evaluierungen gefordert, und das war es.

Wo ist denn die alte SPD-Forderung nach einem Kli-
maschutzgesetz? Das hätten wir unterstützt, und zwar
sofort; das wisst ihr.


(Beifall bei der LINKEN)


Wo ist die Forderung nach einem unabhängigen Exper-
tengremium, das Klimaschutzziele kontrolliert und Vor-
schläge für neue Maßnahmen vorlegt? Auch das hätten
wir unterstützt. Wo ist die Forderung, dass die interna-
tionale Klimaschutzfinanzierung neu, zusätzlich und
aufwachsend sein muss, anstatt sie mit der knappen Ent-
wicklungshilfe zu verrechnen?

Stattdessen liest sich der Forderungsteil wie eine Bro-
schüre des BDI oder von VW, wenn Sie verstehen, was
ich damit meine.


(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: So ein Blödsinn!)


Dabei wissen Sie doch genauso gut wie ich, dass hier der
Gesetzgeber gefragt ist und nicht zahnlose Aktionspro-
gramme, die dann von der Kohlelobby gerupft werden.

Solange Strom aus Kohle und Wärme aus Öl ein gutes
Geschäft sind, kann Dekarbonisierung nur ein leeres Ver-
sprechen bleiben, und solange die Entwicklungsländer
Verlierer des Klimawandels sind, werden die Regierun-
gen erst die Armut bekämpfen und dann in erneuerbare
Energien investieren. Ohne intelligente öffentliche Re-
gelungsmechanismen wird die Wirtschaft keinen Klima-

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


schutz betreiben und werden sich die Finanzminister vor
einer allzu verbindlichen Klimaschutzfinanzierung drü-
cken, wie jetzt Schäubles Ministerium.

Die Linke hat für Paris konkrete Vorschläge im Ge-
päck. Schauen Sie einfach mal in unseren Antrag, damit
Sie verstehen, wie Klimaschutzpolitik aussehen kann,
die ihren Namen auch verdient.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt kommt es: Über das Bundes-Immissionsschutz-
gesetz wollen wir erstens das Verschmutzungsprivileg
von Kohle bei der Stromerzeugung aufheben und CO2
als Umweltschadstoff definieren. Die USA sind diesen
Schritt schon gegangen. In den USA gibt es längst hö-
here Quecksilberobergrenzen für Kohlekraftwerke als in
Deutschland. Ihren Spezis könnten Sie es doch einmal
nachmachen.

Mit einem Kohleausstiegsgesetz wollen wir zweitens
nicht nur ein Verbot neuer Kohlekraftwerke, wir wollen
auch die Betriebszeiten alter Kohlekraftwerke beschrän-
ken.


(Beifall bei der LINKEN)


2040 würde dann das letzte Stück Kohle für unsere Ener-
gieversorgung verfeuert.

Eines möchte ich Ihnen abschließend sagen: Mit ei-
nem Klimaschutzgesetz oder Kohleausstiegsgesetz hät-
ten RWE und Co. für ihre alten Kraftwerke keine Mil-
liardenablöse bekommen. Hier hat die Bundesregierung
eine Scheckbuchpolitik betrieben, aber mit dem Geld der
Bürgerinnen und Bürger, die jetzt für die deutsche Kli-
maschutzlücke blechen müssen. Es müssen also wieder
die Bürger zahlen. Da kann man noch so viele Online-
kampagnen für Klimaschutz starten: Diese Politik sorgt
dafür, dass die Menschen Klimaschutz als Belastung statt
als Chance sehen. Und das darf auf keinen Fall passieren.
Wir müssen die Akzeptanz steigern und dürfen die Bür-
ger nicht immer mehr belasten.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813609100

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt die Kollegin Dr. Anja Weisgerber.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1813609200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Die Uhr tickt. Es sind nur noch 18 Tage bis
zum Beginn der Klimakonferenz in Paris. Jedes Jahr kurz
vor den entscheidenden Klimaverhandlungen haben wir
hier im Bundestag eine Debatte dazu. Wir haben einen
Antrag erarbeitet, in dem wir unsere Forderungen formu-
lieren an die internationale, europäische und nationale
Ebene.

National und europäisch haben wir uns ambitionierte
Klimaziele gesetzt. Nun müssen auch die anderen Staa-
ten der Welt nachziehen, damit es in Paris gelingt, ein
ambitioniertes verbindliches Abkommen zu verabschie-
den. Allein können wir das Weltklima nicht retten. Wir
brauchen auch die anderen Staaten dieser Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


In Medienberichten wird teilweise pessimistisch auf
den Istzustand geblickt. Aber meiner Meinung nach ste-
hen die Zeichen gar nicht so schlecht. Warum? Gerade in
diesem Jahr haben wir einige sehr gute und sehr wichtige
Schritte voran gemacht. Es ging ein Ruck durch die Staa-
ten der Welt.

Erstens. Wir haben auf dem G-7-Gipfel in Elmau un-
ter deutscher Ratspräsidentschaft erreicht, dass die In-
dustrienationen sich zu dem 2-Grad-Ziel bekennen und
auch betonen, dass tiefe Einschnitte erforderlich sind.
Dafür streben die wichtigsten Industrienationen der Welt
den Umbau der Energiewirtschaft bis 2050 und die De-
karbonisierung im Laufe des Jahrhunderts an.

Zweitens. Dieser Schwung hat sich positiv ausge-
wirkt. Denn momentan sind es schon rund 160 Staaten,
die ihre nationalen Klimaziele vorgelegt haben. Und da-
runter sind auch große Staaten, die bislang bei Kioto II
noch nicht dabei waren, wie Amerika, Russland, Japan,
Kanada, und auch viele kleine Staaten wie Haiti, die Ma-
lediven oder viele kleine afrikanische Länder. Wir haben
jetzt viermal so viele Staaten, wie bei Kioto II dabei wa-
ren. Damals waren es 37, jetzt sind es bereits rund 160.
Das ist ein zweiter wichtiger Zwischenerfolg.

Aber es ist kein Geheimnis – die Ministerin hat es
schon gesagt –: Die bislang vorgelegten nationalen Kli-
maziele reichen in Bezug auf die 2-Grad-Obergrenze
noch nicht aus. Aber an dieser Stelle will ich eines ganz
klar sagen: Paris ist nicht der Endpunkt. Paris ist ein Zwi-
schenziel, ein Zwischenschritt, ein wichtiger Zwischen-
schritt. Das Abkommen muss jetzt den Weg aufzeigen,
das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Deswegen brauchen wir
Überprüfungsmechanismen, wie es auch die europäi-
schen Umweltminister gefordert haben. Diese Überprü-
fungsmechanismen müssen zum einen garantieren, dass
die Vertragsstaaten ihre Minderungsverpflichtungen er-
füllen. Zum anderen muss aber auch das Ambitionsni-
veau alle fünf Jahre überprüft werden mit dem Ziel, dass
die Vertragsstaaten regelmäßig aktualisierte Klimaziele
vorlegen.

Die Grünen fordern jetzt ebenso wie die Linken, dass
wir noch eine Schippe drauflegen


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


und das EU-Klimaziel nachbessern.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Aber an dieser Stelle muss ich sagen: Es kann doch nicht
sein, dass wir jetzt unser Ziel nachschärfen, wenn die

Eva Bulling-Schröter






(A) (C)



(B) (D)


Beiträge aller Staaten nicht ausreichen, um das 2-Grad-
Ziel zu erreichen.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unser Beitrag reicht ja auch nicht aus! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Weisgerber, unser Beitrag reicht auch nicht für das 2-Grad-Ziel!)


Dadurch nehmen wir den Druck von den anderen Ver-
tragsstaaten. Das kann nicht unser Weg sein. Das wäre
jetzt vor der Konferenz in Paris genau das falsche Signal.
Wir brauchen die anderen Staaten dieser Welt. Wir haben
unseren Beitrag geleistet


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


und kämpfen jetzt dafür, dass diese Ziele umgesetzt wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir haben unseren Beitrag nicht geleistet! Das ist das Problem!)


Europa hat sich ambitionierte Ziele gegeben. Es ist
kein Geheimnis, dass Deutschland über diese europäi-
schen Ziele hinausgegangen wäre, was zum Beispiel die
nationalen Beiträge im Bereich der Energieeffizienz und
der erneuerbaren Energien angeht.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Richtlinie ist nicht umgesetzt! Genau!)


Da hätten wir von deutscher Seite aus durchaus noch
mehr gewollt.

Aber eines ist klar: Wenn jetzt gefordert wird, dass
Europa seine Ziele nachschärfen muss, dann müsste
Deutschland wieder die Hauptlast tragen. Das wiederum
wäre schlecht für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Industrie auf dem europäischen und auf dem weltweiten
Markt. Die Überprüfbarkeit ist jetzt insofern der richtige
Weg, dass alle liefern müssen, dass alle kontrollieren und
dann nachbessern müssen. Aber alle Staaten sind gefor-
dert. Das soll an dieser Stelle meine klare Botschaft sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])


In Paris müssen wir es übrigens auch schaffen, dass
nicht nur die Industrienationen mitmachen, sondern auch
die Entwicklungs- und Schwellenländer. Gerade die Ent-
wicklungs- und Schwellenländer sind vom Klimawandel
oft am stärksten betroffen. Erst vergangene Woche hatten
wir einen Austausch mit Klimazeugen aus Zentralafrika
und von den Philippinen. Genau diese Staaten brauchen
unsere Unterstützung.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben!)


Auf dem Gipfel in Kopenhagen wurde dazu Wichti-
ges beschlossen. Die Industrienationen haben sich dazu
verpflichtet, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar
für die internationale Klimafinanzierung zu mobilisieren,
und zwar aus öffentlichen und privaten Quellen. Auch
hier übernimmt Deutschland die Verantwortung. Wir wa-

ren die Ersten, die rund 1 Milliarde US-Dollar für die
Erstauffüllung des internationalen Grünen Klimafonds
zur Verfügung gestellt haben. Die Bundeskanzlerin hat
im Mai dieses Jahres angekündigt, die Klimafinanzierung
bis 2020 auf gut 4 Milliarden Euro zu verdoppeln. Auch
hier übernehmen wir als Deutschland und übernimmt die
Bundeskanzlerin höchstpersönlich Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, Verantwortung ist schädlich!)


Zur europäischen Klimapolitik. Herzstück ist der eu-
ropäische Emissionshandel. Er funktioniert: Er spart CO2
ein. Aber wir haben einen Überschuss von rund 2 Milli-
arden Zertifikaten. Das schwächt den Emissionshandel –
das sage ich an dieser Stelle als Klimapolitikerin ganz
klar – und macht ihn ein Stück weit zum zahnlosen Tiger.
Deshalb müssen wir den Emissionshandel stärken. Hier
sind auch wichtige Schritte gemacht worden, etwa mit
der Marktstabilitätsreserve. Jetzt folgt die zweite Reform:
Überschüssige Zertifikate müssen abgebaut werden. Das
ist ganz klar; das sage ich hier als Klimapolitikerin.

Dabei müssen wir aber auch die Situation der ener-
gieintensiven Industrie, die im internationalen Wettbe-
werb steht, berücksichtigen, sonst kommt es in diesem
Bereich zu Standortverlagerungen. Das ist schlecht für
die Wirtschaft, aber auch schlecht für unser Klima, da
sonst außerhalb der Europäischen Union verstärkt CO2
emittiert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir streben jetzt auch an, den Emissionshandel welt-
weit zu exportieren. Am besten wäre es, wenn wir die
bestehenden Emissionshandelssysteme nach und nach
zu einem globalen Kohlenstoffmarkt ausbauen würden.
Da gibt es eine gute Neuigkeit: China führt ab 2017 das
Emissionshandelssystem in der gesamten Republik ein.
Derzeit gibt es erst sieben Pilotprojekte in einzelnen Pro-
vinzen. Jetzt aber will China den Emissionshandel ab
2017 in der gesamten Republik einführen. All das sind
positive Signale, die uns für die Konferenz in Paris hoff-
nungsfroh stimmen.

Lassen Sie mich zum Ende auf die nationale Ebene
zurückkommen. Fakt ist: Die Bundesregierung hat Ak-
tionsprogramme zum Thema Klimaschutz und Energie-
effizienz formuliert und verabschiedet. Diese arbeiten
wir jetzt konsequent ab und setzen sie um. Viele Bun-
desländer in Deutschland haben sich eigene Klimaziele
gegeben. Aber eins ist auch klar: Diese eigenen Klima-
ziele können wir nur dann erreichen, wenn wir erhebli-
che Fortschritte im Bereich der Energieeffizienz und da
insbesondere im Gebäudebereich machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen sage ich an der Stelle ganz klar: Jetzt dürfen
wir doch nicht das Instrument ungenutzt lassen, das er-
hebliche Einsparpotenziale birgt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist eine Frechheit, dass eine CSU-Vertreterin das hier sagt! Das ist eine Dr. Anja Weisgerber Unverschämtheit! Das war Horst Seehofer, und das wissen Sie! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Krischer, lügen Sie doch nicht!)





(A) (C)


(B) (D)


Jeder Deutsche spart gerne Steuern. Deswegen haben
wir trotz unseres Wissens um die Vorbehalte der Finanz-
minister aller Bundesländer – darunter sind auch viele
rot-grün geführte Länder – in unserem Antrag ganz klar
formuliert, dass wir weiterhin das Ziel verfolgen müssen,
die energetische Gebäudesanierung steuerlich zu fördern.
Denn Schwarzer-Peter-Spiel hin oder her: Als Klimapo-
litikerin bin ich nicht bereit, dieses Instrument in der Zu-
kunft einfach fallenzulassen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813609300

Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Annalena

Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Frau Ministerin! Ja, es gibt positive Signale. Nur –
das hat auch die Rede wieder gezeigt –, leider kommen
diese nicht aus Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist doch sehr erstaunlich, dass das Wohl und Wehe
in allen Bereichen nun von China abhängen soll. Dafür
gibt es verschiedene Beispiele.

In der großen Konferenz im Auswärtigen Amt heute
Morgen ging es unter der Überschrift „Klimaabkommen
in Paris“ darum, die globale Transformation in Paris vo-
ranzubringen. Nur hat die Staatssekretärin dann in ihrer
Rede allein davon gesprochen, dass Deutschland für ein
modernes, dynamisches und faires Abkommen kämpft.
Ich habe mich wirklich gefragt: Wo ist da die Verbind-
lichkeit, die Sie angeblich so hochhalten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Ihr Antrag ist ein weiterer Offenbarungseid. Denn was
Sie in Ihrem Antrag auf internationaler Ebene einfordern,
steht in gigatonnenschwerer Diskrepanz zu dem, was Sie
auf nationaler Ebene liefern.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813609400

Frau Kollegin, darf ich Sie kurz unterbrechen? Die

Kollegin Schwarzelühr-Sutter würde gerne eine Zwi-
schenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813609500

Bitte schön, Frau Schwarzelühr-Sutter.


Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1813609600

Liebe Kollegin Baerbock, stehen Sie nicht hinter ei-

nem modernen Klimaschutzabkommen, das mit einem
Ambitionsmechanismus verbunden ist? Wollen Sie keine
Anpassung und keinen Überprüfungsmechanismus? Ste-
hen Sie nicht hinter einem fairen Abkommen, mit dem
die Trennung zwischen Entwicklungsländern und Indus-
trieländern überwunden wird? Wenn Sie nur einen Satz
herausgreifen, dann erklären Sie mir doch, warum Sie ein
faires, modernes und dynamisches Abkommen nicht gut
finden.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde es nicht gut, dass Sie mit der einzigen Bot-
schaft antreten, dass Deutschland für ein faires, modernes
und dynamisches Abkommen steht. Wir wollen, dass es
völkerrechtlich verbindlich ist. Wir wollen ein langfris-
tiges Ziel verankern. Wir wollen die Dekarbonisierung
schaffen und das 2-Grad-Ziel erreichen. Alle kämpfen
dafür, dass es völkerrechtlich verbindlich gemacht wird
und dass wir auch China und die USA mit an Bord ho-
len. Aber davon sprachen Sie in Ihrer Rede kein einzi-
ges Mal. Auf Nachfrage der Journalisten, ob das Ganze
verbindlich sei, wird gesagt: Das ist alles schwierig; wir
müssen gucken, wie wir zueinanderkommen.

Ich erwarte von einer Bundesregierung, dass sie nicht
nur mitschwimmt, sondern vorangeht und dafür eintritt,
dass wir zu einem verbindlichen Vertrag kommen, durch
den alle anderen Elemente mit erfasst sind. Das kam in
Ihrer Rede nicht vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auf Twitter haben Sie dann hinterhergeschickt, dass
der völkerrechtliche Aspekt auch wichtig sei. Aber wenn
man vorangeht, dann muss man diese Botschaft klar set-
zen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Botschaft klar setzen: Wie das aussieht, zeigt Ihr
Antrag. Darin fordern Sie – ich zitiere –:

So soll sichergestellt werden, dass die Staaten ih-
ren Minderungsverpflichtungen nachkommen. Ist
dies nicht der Fall, müssen die Ambitionsniveaus in
denjenigen Staaten nachgeschärft werden, die ihren
Klimabeiträgen nicht gerecht werden.

Schöne Worte. Aber wir werden als Europäische Union
mit unseren eigenen Klimabeiträgen dem 2-Grad-Pfad
nicht gerecht, und deswegen müssen wir nachschärfen.
Das schreiben Sie selber in Ihrem Antrag.


(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Wir haben doch Ziele!)


Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen, sollten wir
lieber vor der eigenen Haustür kehren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE Dr. Anja Weisgerber LINKE] – Zuruf von der CDU/CSU: Wer schreit, hat unrecht!)





(A) (C)


(B) (D)


Denn – das wurde erwähnt – es wurde ausgerechnet,
dass wir uns nicht auf einem 2-Grad-Pfad bewegen, son-
dern auf einem 2,7- oder 3,5-Grad-Pfad. Ich glaube, der
Korridor ist wichtig und sollte hier auch erwähnt werden.
Wir haben uns auf dem Gipfel in Lima in einem Vertrag
verpflichtet, dass die INDCs eingereicht werden und dass
nachgebessert wird, wenn klar wird, dass das 2-Grad-
Ziel nicht erreicht wird. Leider sind wir etwas hinter dem
Zeitplan; denn das sollte schon im Sommer passieren.
Dann sollte rund um das Treffen mit Ban Ki-moon nach-
gebessert werden. Wir sind nun im November. Aber das
befreit uns nicht davon, jetzt nachzubessern. Das haben
Sie als Bundesregierung selber in Lima mit vereinbart:
Wenn wir nicht auf dem 2-Grad-Pfad sind, dann müs-
sen wir nachbessern. Deswegen fordern wir von Ihnen:
Setzen Sie sich als Bundesregierung dafür ein, dass die
Europäische Union das Ambitionsniveau anhebt! Sonst
werden wir die Welt nicht retten können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Ähnlich sieht es beim Emissionshandel aus. Frau
Weisgerber, in dem von Ihnen erwähnten Antrag der Koa-
litionsfraktionen wird gefordert, „sich dafür einzusetzen,
dass die Revision des europäischen Emissionshandels-
systems den Emissionshandel in der vierten Handelsperi-
ode ... als marktwirtschaftliches Klimaschutz instrument
stärkt und die bereits beschlossene Reform ... nicht
schwächt“. Wenn wir uns schon in einem solchen Kor-
ridor bewegen und lediglich wollen, dass es nicht ab-
geschwächt wird, dann werden wir keine tiefgreifenden
Maßnahmen bewirken, die das Erreichen des Dekarboni-
sierungsziels gewährleisten.

Der dritte Punkt ist Ihr Klima-Aktionsprogramm 2020.
Es ist zu lesen, dass Sie sich dafür einsetzen, dass das
Programm in allen Bereichen umgesetzt wird. Dann fra-
ge ich mich nur: Wie passt dazu der Kabinettsbeschluss,
dass die rund 22 Millionen Tonnen im Bereich der Ener-
giewirtschaft – das war auch zu niedrig angesetzt – nicht
mehr eingespart werden sollen und der „Ruhestand“ von
alten Kraftwerken auch noch vergoldet werden soll? Das
hat nichts mit Klimaschutz zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Es gäbe noch einen Punkt, wo Sie vorangehen und
nicht nur mitschwimmen könnten. Wir erleben mo-
mentan einen der größten Industrieskandale in unserer
Geschichte. Es schafft nicht gerade Vertrauen vor einer
internationalen Konferenz, dass ein deutsches Unterneh-
men jahrelang mit gefälschten CO2-Grenzwerten gewirt-
schaftet hat. Wäre es daher nicht ein sinnvolles Signal,
wenn die Bundesregierung sagte: Ja, wir haben daraus
gelernt. Ja, wir wollen Vertrauen schaffen – genauso
wie Sie das in Ihrer Rede gesagt haben –, und deswegen
treten wir für eine radikale Umkehr im Verkehrsbereich
sowie nicht nur für strengere Grenzwerte, sondern auch
dafür ein, dass die E-Mobilität endlich Realität wird. –

Dazu reicht es nicht aus, einen Prüfauftrag im Antrag zu
formulieren, wie Sie es getan haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir appellieren daher in unserem Antrag deutlich: Wir
brauchen erstens eine Offensive für den Ausbau der er-
neuerbaren Energien statt Bestandsschutz für die Kohle
in Deutschland. Wir brauchen zweitens einen globalen
Technologietransfer zugunsten der erneuerbaren Energi-
en statt Subventionen und Bürgschaften für die klima-
schädliche Kohle. Wir müssen in der deutschen Außen-
wirtschaftspolitik klarmachen: Das Zeitalter „Raus aus
den Fossilen, rein in die Erneuerbaren“ hat jetzt begon-
nen. Ich sage Ihnen – das machen die positiven Signale
aus China mehr als deutlich –: Wenn wir es nicht tun,
dann machen es andere; denn weltweit wird bisher mehr
in erneuerbare Energien investiert als in fossile. Wenn
wir jetzt nicht bereit sind, hier das Ruder herumzuwer-
fen, dann ist das nicht nur eine ökologische Schandtat,
sondern auch ökonomischer Irrsinn. Deswegen fordern
wir Sie heute dazu auf: Stimmen Sie für unseren Antrag,
für eine Politik von morgen anstatt für eine Politik von
gestern, wie Sie es formuliert haben!

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813609700

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt

Frank Schwabe das Wort, dem ich von dieser Stelle aus
noch einmal herzlich zu seinem heutigen Geburtstag gra-
tulieren möchte.


(Beifall im ganzen Hause)


45 ist eine Zahl, die man noch nennen darf. Er wird heute
also 45 Jahre jung. Herzlichen Glückwunsch!


Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1813609800

Ich weiß nicht, um wie viele Minuten sich meine Re-

dezeit verlängert.


(Heiterkeit)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Baerbock, es ist die Aufgabe der Opposition,
Kritik zu üben und die Regierung voranzutreiben; das
ist richtig und wichtig. Aber darüber darf nicht der von
Ihnen erweckte Eindruck entstehen – er ist nach meiner
Meinung falsch –, dass wir nicht gemeinsam für ein am-
bitioniertes, rechtsverbindliches Klimaabkommen eintre-
ten; dafür tritt das ganze Haus – genauso wie die Minis-
terin und die Staatssekretärin – ein. Das ist das Ziel, das
wir erreichen wollen. Ich bin sicher, dass wir es auch in
Paris erreichen werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir könnten über all das reden, was auf der Welt
schwierig ist. Wir könnten darüber reden, dass wir mitt-
lerweile schon bei einer Temperaturerhöhung von 1 Grad
Celsius angekommen sind. Wir könnten darüber reden,
dass wir vor kurzem auf Initiative von Frau Höhn Kli-

Annalena Baerbock






(A) (C)



(B) (D)


mazeugen aus dem Tschad und von den Philippinen in
den Ausschuss eingeladen haben. Ich habe vor kurzem
Bangladesch und Myanmar besucht und habe mich da-
von überzeugen müssen, wie schwierig die Lage für viele
Menschen auf der Welt ist, wie viele Klimaflüchtlinge es
gibt. Wir könnten darüber reden, welche Auswirkungen
der Klimaschutz auf die Flüchtlingspolitik hat. Dazu gab
es ein bemerkenswertes Interview von Frau Ministerin
Hendricks. Wir bekommen dieses Thema in der Tat in
einer ganz neuen Dimension auf die Tagesordnung; denn
im Rahmen der Flüchtlingsdebatte wird klar – das war
bei der Klimadebatte für diejenigen, die eingeweiht sind,
schon immer klar –, dass das, was wir hier tun, wie wir
hier leben, wie wir hier wirtschaften und wie wir hier
miteinander umgehen, Auswirkungen auf andere Teile
der Welt hat.

Am Ende ist es nicht nur eine moralische Verpflichtung –
das wäre schon wichtig genug –, sondern auch eine Frage
von Eigennutz, alles zu tun, damit Menschen in anderen
Teilen der Welt ordentlich leben können, damit auch wir
hier ordentlich leben können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Wir stehen jetzt kurz vor der Konferenz von Paris. Ich,
der ich mit meinen 45 Jahren mittlerweile ein Klimave-
teran bin – ich nehme jetzt an der neunten Klimakonfe-
renz teil –,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Klimaveteran“! Urgestein!)


muss sagen: Eigentlich war die Analyse immer, dass die
Konferenzen zu wenig gebracht haben. Es gab solche
Minister und solche. Je nachdem, ob man in einer Re-
gierungskoalition war oder in der Opposition, hat man
das als Politiker etwas anders dargestellt. Aber am Ende
waren wir immer der Meinung, dass es nicht genug ge-
bracht hat. Es gab manchmal radikale Vorstellungen. Ich
erinnere mich an den Minister Gabriel, der auch einmal
gewisse Vorstellungen hatte. Man kann sich jetzt denken,
wie er manchmal auf solchen Konferenzen auftritt.

Das können wir alles lassen, das macht keinen Sinn. –
Es stimmt, es war eigentlich immer zu wenig vor dem
Hintergrund der Herausforderungen, die wir haben.

Trotzdem – das will ich heute sagen – kann man sich
das Ganze auch einmal optimistisch anschauen und fra-
gen: Was hat sich eigentlich in den letzten Jahren wirk-
lich bewegt? Es hat sich eben ganz viel bewegt. Man
muss keine optimistische Sichtweise haben, sondern
schlichtweg eine realistische. Dann stellt man fest, dass
es wirklich eine Revolution gegeben hat, die sich viel-
leicht evolutionär dargestellt hat; aber eine Revolution
war bei der Frage des Klimaschutzes und der Frage, wie
wir zukünftig Energie erzeugen und wirtschaften.

Barbara Hendricks hat die politische Lage angespro-
chen. Auch da muss ich sagen, Frau Baerbock: Dass Chi-
na sich bewegt hat, liegt nicht nur an Deutschland, aber
einen kleinen Anteil daran haben wir schon.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich erinnere an die Kooperationen, zum Beispiel im Rah-
men des Emissionshandels. Es gibt dort wichtige Verän-
derungen. Auch die USA sind ganz wichtig und in der
Tat – auch das hat die Ministerin gesagt – Kanada. End-
lich haben wir eine andere Regierung in Kanada, die sich
sicherlich ganz anders und progressiver verhalten wird.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit der Regierung in Kanada haben Sie nun wirklich nichts zu tun!)


Ich finde im Übrigen, dass wir auch die Frage der Ölsan-
de noch einmal auf die internationale und europäische
Tagesordnung bringen müssen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was sich aber vor allem verändert hat, ist die öko-
nomische Lage. Wir haben eine drastische Trendwende
weltweit in der Frage der erneuerbaren Energien. Wir
haben eine Verfünfzigfachung der Solarstrommenge
zwischen 2004 und 2014. Wir haben alleine im Bereich
der Windkraft einen Zubau in China von 23 Gigawatt
im letzten Jahr. Damit könnten wir alle Atomanlagen in
Deutschland von heute auf morgen ersetzen. Mittlerweile
wird weltweit wesentlich mehr in erneuerbare Energien
investiert als in fossile Energieträger und Atomenergie
zusammen.

Wir haben die sogenannte Divestmentdebatte, also den
Abzug von Investments aus fossilen Energieträgern. Der
norwegische Pensionsfonds ist mehrfach genannt wor-
den, aber es ist auch die Rockefeller-Stiftung zu nennen.
Wir haben jetzt ganz aktuell den Beschluss des Stadtrats
von Münster, dass die beiden städtischen Fonds ab 2016
kein Geld mehr in Kohle, Gas und Öl investieren sollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU])


Es ist die zentrale Veränderung in den letzten Jahren
und vielleicht im letzten Jahrzehnt, dass wir ganz andere
ökonomische Rahmenbedingungen haben und es deswe-
gen den Staaten viel leichter fällt, zu Verabredungen zu
kommen. Deswegen: Die Wegrichtung stimmt – das ist
zweifellos so –, und trotzdem müssen wir einige Dinge in
Paris diskutieren, zum Beispiel die Frage, wie der Ambi-
tionssteigerungsmechanismus konkret aussehen soll. Das
muss konkret und verbindlich sein und muss Auswirkun-
gen auf die Europäische Union haben.

Ich finde auch, dass wir darüber, wie man mit Ent-
wicklungsländern in der Frage von „loss and damage“,
also den Schäden, die es schon gibt, umgehen kann, dis-
kutieren müssen. Da müssen wir einen Schritt weiter-
kommen. Dann geht es in der Tat darum, in Deutschland
und in Europa die Dinge umzusetzen. Ich bitte noch ein-
mal – ich habe es mehrfach hier schon getan – darum,
dass das ganze Haus Umweltministerin Hendricks unter-
stützt. Sie hat uns ehrlich gemacht in der Frage, wo wir
bei der Zielerreichung stehen. Alle müssen mithelfen,
alle Kabinettsmitglieder, aber auch alle Mitglieder des
deutschen Parlaments, damit wir unsere Klimaschutzzie-
le in Deutschland erreichen.

Frank Schwabe






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank und ein herzliches Glückauf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813609900

Vielen Dank. – Bevor ich den nächsten Redner auf-

rufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahlen
bekanntgeben. Zuerst: Wahl eines Mitglieds des Son-
dergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungs-
mechanismusgesetzes: abgegebene Stimmen 583, ungül-
tige Stimmen keine, gültige Stimmen damit 583. Mit Ja
haben gestimmt 430, mit Nein haben gestimmt 109, Ent-
haltungen 44. Damit ist der Abgeordnete Roland Claus
gewählt.1)


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dann kommen wir zum Ergebnis der Wahl eines stell-
vertretenden Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3
Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes: ab-
gegebene Stimmen 579, ungültige Stimmen 3, gültige
Stimmen 576. Mit Ja haben gestimmt 476, mit Nein 79,
Enthaltungen 21. Der Abgeordnete Dr. Dietmar Bartsch
hat damit 476 Stimmen erhalten, und die erforderliche
Mehrheit wurde auch hierbei erreicht.2)


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt hat der Kollege Matern von Marschall, CDU/
CSU-Fraktion, als letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt das Wort. – Bitte schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1813610000

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolle-

ginnen und Kollegen! Vergangene Woche waren wir –
Kollegin Baerbock und Kollegin Bulling-Schröter waren
auch dabei – in der Französischen Botschaft zu Gast;
Frankreich ist ja Gastgeber der Klimakonferenz. Es ging
darum: Was leisten die Parlamentarier in diesem Zusam-
menhang; was leisten sie im Verhältnis zu den verhand-
lungsführenden Regierungen? Sind sie also Sprachrohr
dieser Klimapolitik, oder sind sie eher passive Begleiter?

Ich fand sehr bemerkenswert, dass in diesem Zusam-
menhang die Moderatorin eine ziemlich provokative
Bemerkung gemacht hat. Sie sagte: Ja, wenn man sich
auf internationalen Konferenzen herumtreibt, dann ist es
möglicherweise die beste Art und Weise, wie man in sei-
nem Wahlkreis verlieren kann. – Der Hinweis galt natür-
lich der Frage: Kommt das, was international vereinbart
werden soll, bei den Menschen an? Interessieren sich die
Menschen überhaupt dafür? Ich sagte: Ja, das ist richtig.
Ich als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises
Freiburg muss versuchen, das zu erklären. Ich habe si-

1) Anlage 3
2) Anlage 3

cher Mühe, das einem Winzer am Kaiserstuhl zu erklä-
ren. – Wenige Tage später trafen wir uns in der Parlamen-
tarischen Gesellschaft mit Vertretern der Uni Freiburg.


(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es kam, Frau Künast, ein vormaliger Kollege des Euro-
päischen Parlaments der Grünenfraktion und sagte: Herr
von Marschall, Sie haben, glaube ich, nicht recht. Gera-
de dem Winzer können Sie das wahrscheinlich ganz gut
erklären.


(Ute Vogt [SPD]: Genau!)


Ich gebe zu: Er hat recht. Wir erleben natürlich die
Veränderungen des Klimas auch in Deutschland, wir
erleben sie dadurch, dass zunehmend Schädlinge aus
südlichen, aus wärmeren Regionen zu uns kommen.
Wir erleben sie in der Forstwirtschaft, bei der Planung
für die sehr langfristigen waldbaulichen Ziele, die wir in
Deutschland erreichen wollen. In Freiburg haben wir ein
Weinbauinstitut und ein forstwissenschaftliches Institut,
die sich diesen Fragen widmen: Wie gehen wir mit den
Veränderungen des Klimas in Zukunft um? Wir haben
eine große Universität, die mit fünf Fraunhofer-Instituten
ein nationales Leistungszentrum für Nachhaltigkeit in
Freiburg aufgebaut hat. In diesem Zusammenhang habe
ich erlebt, dass wir in Deutschland in der Forschung stark
sind, sowohl was neue Technologien mit Blick auf die
Erreichung der Minderungsziele, als auch was die Fra-
ge der Anpassung betrifft. Wir sind in Deutschland stark,
aber natürlich sind keineswegs alle Staaten der Erde
diesbezüglich stark. Deswegen ist es von so großer Be-
deutung, dass, um die Vereinbarungen zum Klima zum
Erfolg zu führen, wir insbesondere den Green Climate
Fund mit den notwendigen 100 Milliarden Euro aufsto-
cken müssen.

Wenn ich weiter darüber nachdenke, was ich den
Menschen im Wahlkreis dazu sagen kann, was die in-
ternationalen Vereinbarungen bedeuten, fällt mir ein Ar-
tikel ein, den ich heute früh in den Proceedings of the
National Academy of Sciences aus Washington gelesen
habe. Dieser Artikel, der im Januar erschienen ist, zeigt
auf, dass dem Bürgerkrieg in Syrien eine ausgesprochen
intensive Dürreperiode von mehreren Jahren Dauer vo-
rausgegangen ist. Nun hat man im Bereich des soge-
nannten fruchtbaren Halbmondes durchaus häufig sol-
che Dürreperioden, aber nie in so drastischer Form. Es
mussten eineinhalb Millionen Menschen ihre Ländereien
verlassen. Sie kamen in Städte, in denen auch die Le-
bensgrundlagen schwierig waren.

Sicher hat das – das ist natürlich eine komplexe An-
gelegenheit – zur Beförderung dieser Konflikte beige-
tragen. Natürlich war dafür auch eine Grundlage – das
richte ich jetzt an das BMZ – eine in Syrien über lange
Jahrzehnte betriebene, verfehlte Landwirtschaftspolitik
mit wenig Nachhaltigkeit, mit einer viel zu hohen An-
bauquote bei Baumwolle, die natürlich die Grundwasser-
reserven sehr stark beansprucht. In einer Planwirtschaft,
die nicht auf nachhaltiges Wirtschaften aufgebaut ist und
keine Good Governance kennt, kann sich leichter etwas
entwickeln, was zu einer schwierigen und dramatischen
Klimakatastrophe führt. Dann hat man eine Katastrophe,

Frank Schwabe






(A) (C)



(B) (D)


die sich in der ganzen Komplexität verschlimmert und zu
dem führt, was wir heute erleben.

Insofern müssen wir – ich glaube, das ist die Aufgabe
der Zukunft – unsere Klimapolitik als Teil einer globa-
len Nachhaltigkeitsstrategie begreifen, einer Nachhaltig-
keitsstrategie, die die Vereinten Nationen vor wenigen
Wochen in New York verabschiedet haben und in der der
Klimaschutz eines der wichtigen Elemente ist. Eine wirt-
schaftliche Entwicklung ist wichtig; eine gesellschaft-
liche und eine gute soziale Entwicklung sind genauso
wichtig.

Wir in Deutschland sind stark; andere Länder sind
eben nicht so stark. Deswegen ist der Green Climate
Fund so wichtig. Er trägt dazu bei, dass wir den schwa-
chen Ländern der Erde helfen, sowohl die Anpassung
an die dramatischen Folgen des Klimawandels besser
bewältigen zu können als auch die Minderungsziele zu
erreichen. Wir in Deutschland können und sollten noch
mehr dazu beitragen – ich habe die hiesige starke For-
schung erwähnt –, Technologien zu entwickeln, die die-
sen Ländern dann einigermaßen preiswert zur Verfügung
gestellt werden können; denn das ist eine wesentliche
Voraussetzung dafür, dass sie die Ziele erfüllen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie ich sagte, ist die Zusammenschau der verschie-
denen Ursachen für Konflikte ganz besonders wichtig.
Ich denke, darüber werden wir in Zukunft noch sehr viel
stärker nachdenken müssen. Das sollte ein Bereich sein,
der nicht nur Klima-, Umwelt- und Entwicklungspolitik,
sondern auch Sicherheitspolitik umfasst. Es gibt eine
ganze Summe von Bausteinen, die zur Bewältigung der
Konfliktlage auf der Welt gehören.

Ich habe heute – damit, Frau Präsidentin, möchte ich
zum Schluss kommen – das Glück, hier zu reden. Auf
Lateinisch bedeutet glücklich „felix“, und Felix heißt der
Sohn von Andreas Jung, der gestern zur Welt gekommen
ist. Wegen Felixʼ Geburt stehe ich heute hier. Ich glaube,
wir können Andreas Jung von dieser Stelle aus „Herzli-
chen Glückwunsch!“ sagen.


(Beifall)


Ich finde, dass der Vorsitzende des Nachhaltigkeitsbeira-
tes des Bundestages eine ausgesprochen engagierte Ar-
beit macht zu dem Thema, das wir heute hier debattieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813610100

Vielen Dank. – Auch vom Präsidium dürfen Sie die

besten Glückwünsche ausrichten.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Druck-
sache 18/6642 mit dem Titel „Klimakonferenz in Pa-
ris muss ehrgeiziges Abkommen beschließen“. – Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der
CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Die weiteren Abstimmungen übernimmt die Kollegin
Bulmahn.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813610200

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag

der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/6648 mit dem Titel „Auf der Klimakonferenz in
Paris die Weichen für mehr Klimaschutz und globale Ge-
rechtigkeit stellen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Das
ist die Opposition. Wer stimmt dagegen? – Die Koalition.
Enthaltungen? – Keine. Dann ist der Antrag abgelehnt
worden.

Tagesordnungspunkt 9 c. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 18/3313 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Dörner, Dr. Konstantin von Notz, Dr. Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Besonders gefährdete Flüchtlinge in Erstauf-
nahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsun-
terkünften besser schützen

Drucksache 18/6646
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zu
wechseln.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in der
Aussprache hat Dr. Franziska Brantner von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Gestern sprach hier Innenminister de Maizière
und begründete den Schwenk zurück zu Dublin III bei
den syrischen Flüchtlingen damit, dass es so wichtig
sei, EU-Recht eins zu eins umzusetzen. Wenn Ihnen das
EU-Recht so am Herzen liegt, dann fangen Sie endlich
mit der Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie und der
Schutzvorgaben für Kinder und Frauen bzw. besonders
Gefährdeter, die darin enthalten sind, an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Statt mit Härte gegen die Schwächsten, die syrischen
Kinder, vorzugehen, sollte Herr de Maizière mit Härte
den Schutz von Flüchtlingskindern in unseren Unter-
künften durchsetzen. Das würde unsere Werte klarstel-
len, über die sich der Innenminister ja sonst immer nur

Matern von Marschall






(A) (C)



(B) (D)


auslässt, wenn es darum geht, dass Flüchtlinge sie ein-
zuhalten haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das, Herr de Maizière, würde sicherlich einen ersten
richtigen Schritt zur Integration dieser Flüchtlinge bei
uns leisten.

Wir alle fordern zu Recht, dass sich die Menschen,
die zu uns kommen und bei uns Zuflucht suchen, an das
Grundgesetz sowie an die Kinder- und Frauenrechte hal-
ten, die wir errungen haben. Das gilt dann aber eben auch
für uns. Warum gilt das Bundeskinderschutzgesetz nicht
für Flüchtlingskinder? Mir muss einer irgendwann ein-
mal erklären, warum es für diese Kinder einen weniger
großen Schutz gibt als für jene, die bei uns geboren sind.
Wenn wir die Einhaltung der Rechte fordern – und das zu
Recht –, dann müssen wir diese aber auch garantieren. Es
ist unsere Aufgabe, diese Rechte von Kindern und Frauen
bzw. besonders Schutzbedürftiger überall zu garantieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Vor Ort wird Enormes geleistet, und trotzdem ist es
oft schwierig. Es gibt viele Orte, an denen sich Tausende
von Menschen auf engem Raum befinden – Wöchnerin-
nen, allein reisende Mütter mit Kindern, alleinstehende
Frauen, Schwule und Lesben, ganz viele, die besonderen
Schutz brauchen –, und es gibt keinen sicheren Ort für
sie. Häufig gibt es keinen Ort, wo Kinder spielen kön-
nen, wo sie einmal Ruhe haben, sich sicher fühlen und
gut aufgehoben sind. Das geht vielleicht im Sommer,
wenn die Kinder draußen spielen können; aber im Win-
ter wird das nicht mehr gehen. Studien zeigen, dass sich
der Gesundheitszustand der Kinder bei uns ohne solche
Möglichkeiten verschlechtert. Es ist in jeder UN-Unter-
kunft weltweit absoluter Standard und kein Luxus, dass
es Children‘s Zones gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die EU-Aufnahmerichtlinie formuliert es so:

Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Min-
derjährige Gelegenheit zu Freizeitbeschäftigungen
einschließlich altersgerechter Spiel- und Erholungs-
möglichkeiten in den Räumlichkeiten und Unter-
bringungszentren … sowie zu Aktivitäten im Freien
erhalten.

Fangen Sie an, die Richtlinie endlich umzusetzen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Und was ist mit den allein reisenden Frauen, mit jenen,
die vielleicht traumatisiert zu uns kommen und Gewalt
erfahren haben? Für sie gibt es nicht einmal getrennte
Frauentoiletten geschweige denn abschließbare Räume,
wo sie sich nachts sicher fühlen können. Auch da ist die
EU-Richtlinie sehr genau. Sie gibt vor, „bei der Unter-
bringung Asylsuchender geschlechts- und altersspezifi-
sche Aspekte sowie die Situation von schutzbedürftigen
Personen zu berücksichtigen und geeignete Maßnahmen

zu treffen, damit Übergriffe und geschlechtsbezogene
Gewalt einschließlich sexueller Übergriffe und Belästi-
gung verhindert werden“. Auch das ist sehr deutlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann uns alle nur auffordern, das endlich in deut-
sches Recht umzusetzen. Hier, Herr de Maizière, könn-
ten Sie zeigen, was Ihnen das europäische Recht wirklich
wert ist.

Wir wollen in einem ersten Schritt, dass Gewalt-
schutzkonzepte etabliert werden – in Zusammenarbeit
mit den Ländern. Das bedeutet nicht, dass wir eins zu
eins vorgeben, wie es vor Ort auszusehen hat. Das wird
vor Ort erarbeitet. Aber eine Orientierung dafür sollten
die Empfehlungen von Herrn Rörig bieten, unserem un-
abhängigen Beauftragten gegen sexuellen Missbrauch;
Sie alle kennen diese Empfehlungen. Er hat sehr gut aus-
gearbeitet, was notwendig wäre. Das soll die Orientie-
rung sein. Das soll vor Ort umgesetzt werden. Das ist der
erste Schritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens brauchen wir Möglichkeiten zur Schulung
und Fortbildung von Hauptamtlichen und Ehrenamtli-
chen, damit sie wissen, wie man mit traumatisierten Kin-
dern umgeht, damit sie sensibilisiert werden für Anzei-
chen von Gewalt und für schwierige Situationen. Dazu
gehört auch die Stärkung von bestehenden Einrichtun-
gen, in denen man sich seit Jahren sehr gut um Frauen
und Kinder kümmert, die in solchen Situationen sind.
Diesen Einrichtungen ist es egal, woher die Menschen
kommen; sie nehmen sie auf. Aber sie brauchen dafür
unsere Unterstützung. Auch das fordern wir in diesem
Antrag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens wollen wir in Anlehnung an die Standards der
Kinder- und Jugendhilfe eine Betriebserlaubnis für Ge-
meinschaftsunterkünfte. Ich wiederhole: Gemeinschafts-
unterkünfte. Das sind die Orte, wo Menschen länger
bleiben, wo Kinder erwachsen werden, wo sie teilwei-
se über Jahre sind. Es ist wichtig, dass dort die gleichen
Standards gelten, dass es bei Übergriffen für Kinder
und Jugendliche, die dort leben, Beschwerdemöglich-
keiten gibt. Natürlich braucht es dafür Übergangszeiten
vor Ort. Es ist klar, dass das nicht von heute auf morgen
geschehen kann. Aber das Ziel, dass dieser Standard für
alle Kinder bei uns gilt, muss uns doch gemeinsam viel
wert sein. Wir wissen: Das ist vor Ort schwierig. Aber der
Standard, der Anspruch muss da sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koali-
tion, wir werden Sie wirklich daran messen, wie Sie
die EU-Aufnahmerichtlinie und die darin enthaltenen
Schutzvorgaben umsetzen. Ich hoffe, dass wir nicht nur
Abschreckung betreiben, sondern ernst nehmen, worum
es geht, nämlich Kinder bei uns zu schützen, ihre Integra-
tion zu ermöglichen, ihnen vorzuleben, was es bedeutet,
Rechte zu haben, und zu zeigen, dass diese ihre Rechte

Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


geschützt werden. Ich zähle auf Sie und hoffe, dass wir
uns bei diesen Werten einig sind.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813610300

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Nina Warken

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Nina Warken (CDU):
Rede ID: ID1813610400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frauen und Kinder sind die verletzlichste Gruppe un-
ter den Flüchtlingen und brauchen unseren besonderen
Schutz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Genau!)


– Genau. Da sind wir uns alle einig. – Nach Angaben des
UN-Flüchtlingshilfswerks sind 34 Prozent der Flüchtlin-
ge, die seit Jahresbeginn in Europa angekommen sind,
Frauen und Kinder.

Aus meinen zahlreichen Besuchen in Erstaufnahme-
einrichtungen und in Gemeinschaftsunterkünften weiß
ich, dass man dort bereits alles versucht, um den Bedürf-
nissen von besonders gefährdeten Flüchtlingen gerecht
zu werden. Hilfsorganisationen schulen ihre Mitarbeiter
und geben ihnen Leitfäden an die Hand, wie man Kin-
der und Frauen vor allem in der Erstaufnahme am besten
betreut. THW und Bundeswehr leisten rund um die Uhr
Amtshilfe, um die Unterkünfte bestmöglich herzurich-
ten. Wo es geht, werden Spiel- und Leseecken für Kinder
eingerichtet. Es gibt Unterkünfte nur für alleinstehende
Frauen. Auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist man
bemüht, eigene Bereiche für sie zu schaffen. Darüber hi-
naus werden Gesprächskreise und andere Angebote orga-
nisiert, um die Frauen, die sich häufig aufgrund trauma-
tischer Erfahrungen ganz in sich zurückgezogen haben,
aus ihrer Isolation herauszuholen. Gleichzeitig geht es
darum, Frauen darüber aufzuklären, welche Rechte sie
haben und an wen sie sich wenden können, wenn sie Hil-
fe brauchen. Mein herzlicher Dank dafür – ich glaube,
auch da sind wir uns einig – geht an die vielen ehrenamt-
lichen und hauptamtlichen Helfer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland kann stolz sein auf das Mitgefühl und das
Engagement, das hier trotz des massiven Zustroms nach
wie vor gezeigt wird. Das dürfen wir, liebe Kolleginnen
und Kollegen, nicht kleinreden.

Wie Sie in Ihrem Antrag selbst einräumen, sind die
Kommunen und Träger von Flüchtlingsunterkünften be-
reits dabei, Kriterienkataloge und Konzepte zum Schutz
von Frauen und Kindern zu entwickeln. Das sollten wir
unterstützen. Zum jetzigen Zeitpunkt mit verpflichtenden

Vorgaben zu kommen, wie Sie das in Ihrem Antrag vor-
schlagen, halte ich für den falschen Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist EU-Recht!)


Meine Damen und Herren, lassen Sie es mich noch
einmal auf den Punkt bringen: Es ist völlig unumstritten,
dass Frauen und Kinder besonderen Schutz brauchen.
Wir müssen aber angesichts der aktuellen Flüchtlings-
zahlen bei allen Forderungen immer auch die Mach-
barkeit im Blick haben, und diese blenden Sie in Ihrem
Antrag leider aus. So fordern Sie die dezentrale Unter-
bringung in Wohnungen, nach Geschlechtern getrennte
und abschließbare sanitäre Anlagen und Gemeinschafts-
räume, und Sie fordern, Gemeinschaftsunterkünfte un-
ter die Betriebserlaubnispflicht nach § 45 SGB VIII zu
stellen. Vieles davon ist sicher grundsätzlich wünschens-
wert und wird auch schon versucht umzusetzen. Aber
die Kommunen haben doch vielerorts nicht einmal mehr
genügend Gebäude, um den ankommenden Flüchtlingen
ein winterfestes Dach über dem Kopf zu geben. Da kann
man doch nicht mit neuen Verpflichtungen kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie doch, was da steht!)


Wenn Sie fordern, dass für jede Flüchtlingsunterkunft
künftig ein Konzept vorgelegt werden muss mit Maß-
nahmen zur Qualitätssicherung und mit aufgabenspezifi-
schen Ausbildungsnachweisen von allen Helfern, werden
wir es nicht schaffen, in kürzester Zeit genügend Unter-
künfte bereitzustellen und entsprechende Helfer zu ak-
quirieren.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt eine Übergangsfrist! Lesen Sie doch, was drinsteht!)


Das kann man doch vor Ort keinem erklären.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Statt solche unpraktikablen Forderungen aufzustel-
len, sollten Sie endlich einsehen, dass wir den Zustrom
nach Deutschland begrenzen müssen, weil wir sonst die
Flüchtlinge nicht mehr menschenwürdig versorgen kön-
nen.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, erst gar keine Kinder reinlassen!)


Am härtesten trifft es dann diejenigen, die wir am meis-
ten schützen wollen, nämlich Frauen und Kinder. Sie
kommen im Gros der überwiegend männlichen Flücht-
linge zu kurz. Angesichts der enormen Flüchtlingszahlen
wird diese Tendenz noch weiter verstärkt werden. Ihrem
Antrag entnehme ich viele Wünsche. Zu der Frage, wie
wir das umsetzen wollen, habe ich aber nichts gelesen.

Genauso gekonnt wie die Machbarkeit Ihrer Forde-
rungen blenden Sie aus, was für Frauen und Kinder be-
reits getan wird und mit welchen Maßnahmen wir den

Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


Betroffenen am meisten helfen. In Deutschland genießen
unbegleitete Minderjährige nämlich besonderen Schutz.
Diese Kinder und Jugendlichen werden bei uns vom
Jugendamt in Obhut genommen und in altersgerechten
Einrichtungen mit allem Notwendigen versorgt. Diesen
besonderen Schutzanspruch haben wir mit dem Gesetz
zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und
Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher be-
kräftigt. Wir haben ein bundesweites Verteilungsverfah-
ren eingeführt, das sich an den Bedürfnissen der Jüngsten
orientiert.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Richtig!)


Die Kinder und Jugendlichen, um die es hier geht,
wurden oft in Krieg und Elend hineingeboren und ken-
nen nur Leid und Verzweiflung. Wir wollen ihnen hier in
Deutschland ein Stück Geborgenheit zurückgeben. Das
wird mit vielen kleinen, aber wichtigen Maßnahmen ge-
tan. So hat zum Beispiel die Bundesregierung bundes-
weit sechs regionale Servicebüros geschaffen, die den
Städten und Landkreisen dabei helfen, junge Flüchtlinge
in Kita und Schule zu integrieren und beim Übergang in
das Berufsleben zu begleiten. Vielerorts richtet sich das
ehrenamtliche Engagement gerade an den Bedürfnissen
von Kindern und Jugendlichen aus. Es werden Feste,
Ausflüge und gemeinsame Aktionen mit gleichaltrigen
Einheimischen organisiert.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann man mehr unterstützen!)


Wir können, denke ich, wirklich stolz sein auf das, was in
diesem Bereich geleistet wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns aber
auch darüber reden, wie wir am meisten zum Schutz von
Frauen und Kindern in den Einrichtungen beitragen kön-
nen. Dazu gehört meiner Meinung nach in erster Linie
eine konsequente Verfolgung von Straftaten und Über-
griffen.


(Norbert Müller Dazu habe ich noch nichts gehört!)


Dabei steht völlig außer Frage – was Sie, liebe Kolle-
gen von den Grünen, in Ihrem Antrag schreiben –, dass
Anschläge und Hetze gegen Asylbewerber nicht hin-
genommen werden dürfen. Bund und Länder arbeiten
diesbezüglich eng zusammen. Die Strafverfolgungs- und
Sicherheitsbehörden gehen konsequent gegen diese Ta-
ten vor. Bei Straftaten in Flüchtlingsunterkünften muss
allerdings noch mehr getan werden. Gerade was sexuelle
Übergriffe angeht, ist dort von einer hohen Dunkelziffer
auszugehen. Wir müssen den Opfern zeigen, dass wir auf
ihrer Seite stehen. Straftaten in Flüchtlingsunterkünften
dürfen deshalb nicht mit Begleitumständen der Flucht,
der Religionszugehörigkeit oder der Unterbringung in
Sammelunterkünften entschuldigt werden. Sie müssen
zur Anzeige gebracht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer macht das denn?)


Die Bundesregierung hat sich zusammen mit dem Un-
abhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kin-
desmissbrauchs an die Länder gewandt, um gemeinsam
für den Schutz der Flüchtlingskinder vor Gewalt, insbe-
sondere vor sexueller Gewalt, in Flüchtlingsunterkünften
zu sorgen. Ich glaube, wir brauchen hier eine ganz klare
Linie, die da lautet: Wer Straftaten begeht, hat keinen
Anspruch mehr auf Asyl in Deutschland. Es entspricht
in keiner Weise dem Gedanken des Asylrechts, wenn je-
mand, der selbst Schutz sucht, einem anderen Menschen
Leid zufügt. Das gilt erst recht, wenn es um Frauen und
Kinder geht.


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt denn ihr Schutz?)


Ebenfalls unerträglich ist der Umstand, dass Frauen
und Kinder auf der Flucht nach Europa von Schleusern
sexuell missbraucht werden, wie das UN-Flüchtlings-
hilfswerk berichtet. Das sollte uns in unserem Kampf
gegen diese menschenverachtenden und skrupellosen
Verbrecher bestärken.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann erlauben Sie den legalen Familiennachzug!)


Wir müssen angesichts solcher Berichte noch entschiede-
ner alles daransetzen, Schleuserbanden das Handwerk zu
legen und sie hinter Schloss und Riegel zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möch-
te ich in dieser Debatte, in der wir überlegen, wie wir den
besonders Schutzbedürftigen am meisten helfen können,
Folgendes betonen: Seit Beginn der Flüchtlingskrise ist
es das Kernanliegen unserer Asylpolitik, über Aufnahme-
programme in erster Linie den besonders Schutzbedürf-
tigen zu helfen und sie nach Deutschland zu holen. Ich
finde, wir sollten uns künftig viel stärker auf diesen An-
satz konzentrieren. Statt unbegrenzt alleinstehende junge
Männer bei uns aufzunehmen, die auch anderswo gute
Chancen auf ein besseres Leben haben,


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch selber die Zahlen vorhin genannt! – Zurufe von der LINKEN)


sollten wir uns um diejenigen kümmern, die unsere Hilfe
am meisten brauchen.

Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass Frau-
en und Kinder bei uns den Schutz bekommen, den sie
brauchen.


(Norbert Müller lassen die Kinder im Mittelmeer ersaufen!)


Ich finde, wir sind, was die Konzepte zum Schutz in den
Unterkünften und auch die zahlreichen Maßnahmen für
Flüchtlinge angeht, bereits auf einem guten Weg.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Es gibt viel sicherere Einreisemöglichkeiten!)


Lassen Sie uns deshalb im Interesse der Menschen, die
unsere Hilfe am meisten brauchen, bei allen Maßnahmen

Nina Warken






(A) (C)



(B) (D)


immer fest im Blick behalten, was umsetzbar ist, was un-
ser Land leisten kann und was nicht. Übersteigerte For-
derungen wie die in Ihrem Antrag gehören nicht dazu.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was Schweden leisten kann, kann Deutschland schon lange leisten!)


Wir erbringen den zu schützenden Frauen und Kindern
die größte Hilfe, wenn wir das Machbare im Blick be-
halten und das dann auch umsetzen. Auf Ihre Vorschläge,
die auch machbar sind, bin ich sehr gespannt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813610500

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Norbert

Müller von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813610600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Eigentlich
wollte ich sagen, dass es beschämend ist, dass es über-
haupt dieses Antrages bedarf, um heute über dieses The-
ma zu reden, und fragen, warum die Bundesregierung
nicht längst gehandelt hat. Inzwischen muss ich sagen:
Beschämend ist Ihre Rede, Frau Warken.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will zwei Dinge vorwegschicken, die grundsätz-
lich geklärt werden müssen, damit klar wird, worüber
wir hier eigentlich reden, über Täterinnen und Täter oder
über Opfer. Es ist eine Stärke des Antrags der Grünen –
ich sage vorweg, warum ich ihn gut finde –, dass er sich
mit der Frage befasst, wie wir Opfer von sexuellem Miss-
brauch, von Ausbeutung und Gewalt in Gemeinschafts-
unterkünften und in Erstaufnahmeeinrichtungen – ich
finde, man müsste das weiter fassen – schützen können.
Dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt, Frau Warken.


(Nina Warken [CDU/CSU]: Doch! Zur Anzeige bringen! – Gegenruf der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist es doch schon längst passiert! Das ist doch kein Schutz!)


Sie haben vielmehr gesagt, das sei überflüssig, und davon
gesprochen, wie man die Straftäter am besten bestraft.
Hier geht es aber darum, Prävention zu betreiben. Es geht
nicht nur darum, wie man die Täter am Ende dingfest
macht – was das angeht, wird Ihnen keiner widerspre-
chen –, sondern auch darum, wie man die Opfer best-
möglich schützt. Dazu gibt es Vorschläge, unter anderem
von Herrn Rörig, dem auch von Ihnen eingesetzten unab-
hängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung.
Dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Koalition scheint derart damit beschäftigt zu sein,
eine Asylrechtsverschärfung nach der nächsten auf die
Tagesordnung zu setzen und so eine Sau nach der nächs-
ten durchs Dorf zu treiben und das gesellschaftliche Kli-
ma zu vergiften, dass sie die EU-Aufnahmerichtlinie, zu
der Frau Dr. Brantner gesprochen hat, ganz vergessen
hat; denn dazu haben Sie ebenfalls nichts gesagt.

Wenn der CSU-Parteitag in einigen Tagen beschlie-
ßen sollte, dass wieder europäische Regeln gelten, dann
meinen Sie doch ganz offensichtlich nicht wirklich, dass
wieder europäische Regeln gelten sollen. Sie wollen viel-
mehr den Durchmarsch der CSU nach rechts zur Maxime
machen. Es geht Ihnen überhaupt nicht um europäische
Regeln. Wenn es Ihnen um europäische Regeln gehen
würde, dann würden Sie die EU-Aufnahmerichtlinie
vollumfänglich umsetzen.


(Nina Warken [CDU/CSU]: Die Rückführungsrichtlinie! Genau!)


Das ist auch das Anliegen des vorliegenden Antrages.
Dazu gehören Schutzräume für besonders gefährdete
Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemein-
schaftsunterkünften.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Zustände vor dem Landesamt für Gesundheit und
Soziales in Berlin und die Tatsache, dass da ein vierjäh-
riger bosnischer Junge einfach verschwinden konnte,
mögen die Spitze des Eisberges sein. Das hat zu Recht
alle empört. Viele Menschen haben Mitgefühl gezeigt.
Aber was alltäglich ist, ist die Situation – darauf zielt
der Antrag ab –, die wir in Gemeinschaftsunterkünften
und Erstaufnahmeeinrichtungen haben. Die häufig sehr
großen und sehr vollen Gemeinschaftsunterkünfte und
Erstaufnahmeeinrichtungen sind natürlich besonders an-
fällig für Missbrauchsstrukturen, für individuellen Miss-
brauch, aber auch für systematischen Missbrauch. Des-
wegen brauchen wir hier Präventionskonzepte.

Ja, der Antrag bietet eine gute Grundlage. Wir brau-
chen flächendeckende Gewaltschutzkonzepte in den
Flüchtlingseinrichtungen. Wir brauchen nicht nur Kon-
zepte, um zu gewährleisten, dass die Menschen in den
Einrichtungen sicher sind, dass sie nicht überfallen wer-
den und die Einrichtungen nicht angezündet werden. Wir
brauchen nicht nur Brandschutzkonzepte, sondern eben
auch Gewaltschutzkonzepte und -räume in diesen Ein-
richtungen. Das finde ich völlig selbstverständlich. Dass
es das noch nicht gibt und Sie Ihre eigene Bundesminis-
terin in diesem Zusammenhang bereits zweimal im Kabi-
nett ausgebremst haben, ist eine völlige Katastrophe. Da
fehlen mir fast die Worte.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen Schutz von Frauen und Kindern, von Ho-
mosexuellen und religiösen Minderheiten.

Ja, ich finde die Forderung des Antrags richtig. – Frau
Warken, da haben Sie meine Antwort auf Ihre Frage, was
wir praktisch fordern. Der Forderung der Grünen können
wir uns anschließen. Die Grünen fordern in ihrem Antrag

Nina Warken






(A) (C)



(B) (D)


ein Bundesprogramm. Im Antrag werden die Punkte de-
tailliert dargestellt. Dort können Sie das nachlesen; wir
haben leider nicht so viel Zeit, dass ich Ihnen das alles
vortragen könnte. Mit einem solchen Bundesprogramm
kann der Bund ganz unmittelbar wirken und Standards
setzen.

Ja, auch ich will nicht, dass wir langfristig Sondersys-
teme in Form von Gemeinschaftsunterkünften und Erst-
aufnahmeeinrichtungen schaffen. Ich möchte, dass diese
Einrichtungen in unsere Sozialräume integriert werden,
damit die Menschen, die besonders schutzbedürftig sind,
auf die vielfältigen Strukturen, die wir in Deutschland
haben, zurückgreifen können. Das möchte ich als lang-
fristiges Ziel formulieren. Kurz- und mittelfristig brau-
chen wir aber besondere Schutzstandards und Schutz-
konzepte für die bestehenden und noch zu eröffnenden
Einrichtungen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Antrag hat aber zwei Schwächen, zu denen ich
etwas sagen möchte.

Erstens. In diesem Antrag werden zwei Flüchtlings-
gruppen ausgeblendet, zum einen jene Flüchtlinge, die
aus meiner Sicht, die aus Sicht der Linken ungerechtfer-
tigterweise nicht hierbleiben dürfen, und zum anderen
die Gruppe der Flüchtlinge, die noch unterwegs sind. Ich
sage deutlich: Fluchtsituationen sind besonders belastend
und insbesondere für Kinder und Frauen gefährlich. Wa-
rum kommen so viele junge Männer? Weil verantwor-
tungsvolle Familienväter ihre Kinder nicht in Schlauch-
boote setzen und sie Gefahr laufen lassen, im Mittelmeer
zu ertrinken.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist doch die Situation. Und Sie wollen auch noch
den Familiennachzug verhindern! Flucht heißt häufig
Chaos, den Schleppern ausgeliefert sein, Missbrauchs-
strukturen – diesen Strukturen wird Tür und Tor geöffnet.
Schaffen wir doch endlich sichere, legale Fluchtrouten,
explizit, um Kinder zu schützen, um Frauen zu schützen,
um Homosexuelle zu schützen, weil Flucht für sie ganz
besonders gefährlich ist.

Zur zweiten Schwäche des Antrags. Es gibt jene – ich
komme zum Schluss –, die nicht bleiben dürfen, weil, mit
Zutun der Grünen, zusätzlich eine ganze Reihe angeblich
sicherer Herkunftsländer erfunden wurde, in die wir auch
Frauen, Kinder, Homosexuelle und ethnisch Verfolgte
wie die Roma zurückschicken. Diese besonders Schutz-
bedürftigen hätten wir in unseren Einrichtungen belassen
sollen. Die dürfen wir nicht in Erstaufnahmeeinrichtun-
gen kasernieren und dann zurückschicken. Deswegen
hätte zum Antrag auch eine Ablehnung des Konzepts der
sicheren Herkunftsstaaten gehört.

An diesen Punkten ist der Antrag inkonsequent. Trotz-
dem steht in dem Antrag nichts, was falsch ist. Deswe-
gen werden wir ihm zustimmen. Ich freue mich auf die
Ausschussberatungen und hoffe auf Lerneffekte bei der
Koalition.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813610700

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Gülistan

Yüksel von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Gülistan Yüksel (SPD):
Rede ID: ID1813610800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Was wir die letzten Monate tagtäglich le-
sen, sehen und vor Ort miterleben, ist schwer in Worte zu
fassen. Menschen legen mit dem Mut der Verzweiflung
Tausende Kilometer unter schwierigsten Umständen zu-
rück, um Schutz zu finden. Unter ihnen sind unbegleitete
Kinder, junge Männer, Frauen und Familien mit Kin-
dern – Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen
und dafür sogar ihr Leben riskieren.

Trotz der großartigen Hilfsbereitschaft der Bürgerin-
nen und Bürger vor Ort müssen wir aber feststellen, dass
wir am Rande des Machbaren arbeiten und dass eigent-
lich selbstverständliche Standards momentan nicht über-
all eingehalten werden können. Unsere Ansprüche, wie
wir als Gesellschaft zusammenleben wollen, dürfen wir
aber nicht senken. Ein wichtiger Anspruch muss es sein,
trotz der Ausnahmesituation und der überfüllten Erstauf-
nahmeeinrichtungen und Flüchtlingsheime die besonders
Schutzbedürftigen nicht aus den Augen zu verlieren; das
sind Frauen, Kinder – das ist heute mehrfach gesagt wor-
den –, aber auch Menschen mit Behinderungen, Homo-
sexuelle und andere Gruppen.

Sicherheit – darauf müssen alle Menschen in unse-
rem Land vertrauen können. Wir haben eine menschen-
rechtliche Verpflichtung zum Schutz vor Gewalt, auch in
Flüchtlingsunterkünften. Ich begrüße deshalb die Forde-
rungen im Antrag; denn die Schaffung eines gewaltfreien
und sicheren Umfelds, gerade für die Schutzbedürftigen,
hat hohe Priorität.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kulturelle Hemmnisse, mangelndes Wissen über
Rechte und fehlende Informationen in verständlicher
Sprache sind ein großes Problem. Unkenntnis und Unsi-
cherheit führen dazu, dass sich viele nicht trauen, Hilfe
zu suchen. Die Sorge, das Asylverfahren eventuell nega-
tiv zu beeinflussen, ist sehr groß.

Deutschland ist durch die EU-Aufnahmerichtlinie
dazu verpflichtet, in den Flüchtlingsunterkünften ge-
schlechts- und altersspezifische Aspekte zu berücksich-
tigen und geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen. Eine
Umsetzung der Richtlinie ist längst überfällig. Ich be-
grüße, dass die Richtlinie im Entwurf eines Gesetzes zur
Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsys-
tems enthalten ist und dieser sich unter Federführung des
BMI aktuell in der Ressortabstimmung befindet. Nach
meiner Kenntnis soll es noch in diesem Jahr in Angriff
genommen werden. Der Gesetzentwurf sieht weiterhin

Norbert Müller (Potsdam)







(A) (C)



(B) (D)


vor, Erstaufnahmeeinrichtungen der Heimaufsicht zu un-
terstellen. Damit gelten die Schutzstandards der Kinder-
und Jugendhilfe, welche bisher durch das Asylverfah-
rensgesetz ausgeschlossen sind; eine wichtige Änderung,
die wir sehr begrüßen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Länder sind schon jetzt aufgefordert, geeignete
Schutzmaßnahmen zu treffen, damit Übergriffe und Ge-
walt, einschließlich sexueller Übergriffe, verhindert wer-
den. Die Bundesfamilienministerin hat deutlich gemacht,
dass jeder Fall von Gewalt, Kindesmissbrauch und Ver-
gewaltigung einer zu viel ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Sie appelliert an die Länder, sich dem Thema entschlos-
sen anzunehmen.

Die Checkliste mit Mindeststandards des Unabhängi-
gen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmiss-
brauchs enthält hierzu viele wichtige Forderungen. Sie
sind heute schon mehrmals erwähnt worden, aber einige
möchte ich doch erwähnen: eine separate Unterbringung
von alleinerziehenden Müttern mit ihren Kindern, nach
Geschlechtern getrennte Duschen und eine höhere Sensi-
bilisierung der haupt- und ehrenamtlichen Helfer. Diese
präventiven Maßnahmen gilt es zügig in den Unterkünf-
ten umzusetzen und nicht erst, wenn Verdachtsfälle auf-
treten.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung zu
dem, was wir am vergangenen Wochenende zum Thema
Familiennachzug erleben mussten. Ja, die Debattenkultur
gehört untrennbar zur Demokratie, und man muss sich
auch einmal streiten, um dann eine gemeinsam vertret-
bare Position zu finden. Aber man sollte zuerst unterei-
nander darüber reden, welche Haltung man vertritt. Was
wir erleben mussten, war unprofessionell und unwürdig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben nicht das Recht, Familien auseinanderzurei-
ßen. Sie werden durch diese Beschränkung die Familien
auch nicht davon abhalten, zueinanderzukommen. Dieser
Vorschlag zwingt gerade die Schutzbedürftigsten in die
Boote, und das sind – auch das ist heute mehrmals er-
wähnt worden – die Frauen und Kinder.


(Norbert Müller Genau!)


Klar ist: Asyl ist ein Menschenrecht, an dem wir nicht
rütteln dürfen. Die syrischen Flüchtlinge, die zu uns
kommen, haben ein Recht auf Asyl, sie haben das Recht,
ihre Familien zu holen und damit in Sicherheit zu brin-
gen. Was würde man selbst in einer solch verzweifelten
Situation tun? Diese Frage muss sich jede und jeder im-
mer wieder selber stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Wo-
chen habe ich oft gedacht: Was geht es uns doch gut! Wir
sollten uns jeden Tag glücklich schätzen, in Frieden und
Freiheit leben zu dürfen. – Deutschland hat große Verant-
wortung auf sich genommen. Der Aufgabe, die vor uns
liegt, müssen wir uns als Gesellschaft gemeinsam stellen.
Ich bin zuversichtlich, dass wir das trotz aller Schwie-
rigkeiten am Ende hinbekommen, Schritt für Schritt. Ein
Schritt ist: die Verbesserung der Lebensbedingungen.
Diese müssen stimmen, sowohl für die, die noch zu uns
kommen, als auch für die, die schon hier sind.

Die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie darf nicht
weiter auf Kosten der Schutzlosesten verzögert werden,
sondern muss zügig erfolgen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813610900

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Gudrun

Zollner von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1813611000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen! Ich komme
aus Bayern, meine Heimat ist Niederbayern. In diesem
Regierungsbezirk gibt es zwei Städte, die Ihnen sicher-
lich nicht erst seit der Flüchtlingskrise bekannt sind:
Deggendorf und Passau. Diese beiden Städte kämpften
im Juni 2013 gegen ein unglaubliches Jahrhunderthoch-
wasser. Es war, kurz gesagt, Land unter. Die Bilder von
Menschen, die um ihr Leben, ihre Familie und ihre Exis-
tenz kämpften, gingen wochenlang durch die Medien.

Auch diese beiden Städte kämpfen heute wieder, nicht
mehr gegen brechende Wasserdämme, sondern für Men-
schen, die zu uns kommen und Schutz suchen. Wieder
sind es die Landräte Bernreiter und Meyer, die die Hilfs-
kräfte koordinieren. Wieder sind es Bundeswehr, Bun-
des- und Landespolizei, Technisches Hilfswerk, Baye-
risches Rotes Kreuz und die freiwilligen Feuerwehren,
die an ihre Grenzen kommen. Wieder sind es die Kom-
munalpolitiker vor Ort, die zu Krisenmanagern werden
müssen. Wieder sind es Tausende von ehrenamtlichen
Helfern, die rund um die Uhr nur eines kennen: helfen.
Sie stemmen sich mit aller Kraft gegen eine menschliche
Katastrophe, sammeln Kleidungsstücke und Lebensmit-
tel – wieder.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie auch etwas zur CSU?)


Alle, egal ob haupt- oder ehrenamtlich, leisten Unglaub-
liches.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Gülistan Yüksel






(A) (C)



(B) (D)


Sie sind das freundliche Gesicht von Deutschland. Für
diesen selbstlosen Einsatz möchte ich allen ein herzliches
„Vergelts Gott!“ sagen. Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Doch diesmal kommt eine Flut von Menschen, die vor
Krieg und Gewalt flüchten, bis zu 10 000 am Tag – und
der Strom reißt nicht ab. Auch in Niederbayern wird bald
der Winter einbrechen. Deshalb baut man Traglufthallen,
besetzt Sporthallen und räumt Lagerhallen, die man be-
heizen kann. Sicher, das ist nicht die perfekte Lösung,
aber eine Lösung, damit die Männer und die Frauen mit
ihren Kindern und Babys nicht Kälte und Schnee ausge-
liefert sind.

Ja, es gibt keine Privatsphäre, und Alltagskonflikte
nehmen zu. Die Flüchtlinge kommen aus verschiedenen
Ländern, mit verschiedenen Sprachen, verschiedenen
Bräuchen und verschiedenen Religionen. In der Enge der
Unterkünfte sind Streitigkeiten vorprogrammiert. Die
Frauen und Kinder können sich am wenigsten wehren.
Sie leiden besonders und brauchen deshalb unseren be-
sonderen Schutz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Frauen-Union Niederbayern, deren Vorsitzende
ich bin, hat bereits im Juli dieses Jahres ihren Standpunkt
deutlich gemacht. Wir haben auf die besondere Schutz-
bedürftigkeit von alleinreisenden, alleinerziehenden und
traumatisierten Flüchtlingsfrauen bei allen Schritten des
Asylverfahrens hingewiesen. Genau deshalb habe ich
separate Unterbringungsmöglichkeiten, abschließbare
Zimmer und Sanitäreinrichtungen auch für ethnische
Minderheiten gefordert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Ihren Kollegen!)


Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt dürfen nicht
tabuisiert werden. Sie müssen verhindert werden. Hier
sind wir uns alle einig.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, seit Anfang
September 2015 sind in Bayern mehr als 400 000 Asyl-
suchende angekommen. Wenn man aktuellen Schätzun-
gen glauben darf, werden am Ende des Jahres genauso
viele Unterbringungsmöglichkeiten fehlen. Deshalb wird
geplant und gebaut. Die EU-Richtlinie 2013/33 wird bei
allen Planungen und Neubauten umgesetzt. Es entstehen
größere und kleinere Wohneinheiten, um dem besonde-
ren Schutz von Familien sowie verletzlichen Personen
gerecht zu werden.

Wir können nicht alles sofort umsetzen. Dafür sind die
Flüchtlingszahlen einfach zu hoch.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Auch ich würde mir wünschen, dass jede Frau von An-
fang an ein eigenes Zimmer bekommt; keine Frage. Aber

wenn die Asylsuchenden in der Nacht an der österrei-
chisch-bayerischen Grenze stehen, müssen sie schnellst-
möglich untergebracht, bestmöglich versorgt und bun-
desweit verteilt werden. Leider gibt es immer noch
Bundesländer, die Bayern bei dieser immensen Aufgabe
zu wenig unterstützen und nicht nach dem Königsteiner
Schlüssel Flüchtlinge aufnehmen. Und: Europa muss
sich endlich einigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Alle 28 Mitgliedstaaten müssen zeigen, dass Europa
nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch
eine Wertegemeinschaft ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen, damit
diese Menschen ihre Heimat nicht verlassen und den ge-
fährlichen Weg zu uns nach Europa gehen müssen. Und:
Wir müssen die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns nach
Deutschland kommen will, begrenzen. Ansonsten wer-
den wir uns nicht ausreichend um alle kümmern können.
Vielleicht sollte sich Kollege Müller einmal mit seinem
Parteikollegen Lafontaine unterhalten,


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!)


bevor er versucht, die CSU in die rechte Ecke zu drän-
gen;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


denn auch Kollege Lafontaine spricht von Obergrenzen.

Die Schutzbedürftigen vertrauen darauf, dass wir ih-
nen den notwendigen Schutz und Sicherheit bieten. Eine
erfolgreiche Integration kann nur gelingen, wenn wir
die Menschen, die bei uns bleiben wollen, und die Men-
schen, die hier geboren wurden, nicht überfordern.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bürgerin-
nen und Bürger von Deggendorf und Passau haben die
Wassermassen damals besiegt, weil sie zusammenge-
rückt sind und sich gegenseitig geholfen haben. Die Wel-
le der Flüchtlinge können wir nur meistern, wenn wir alle
zusammen helfen: in den Kommunen, in den Ländern, in
Deutschland, in Europa und in den Parteien.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813611100

Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte

hat Sebastian Hartmann von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gudrun Zollner






(A) (C)



(B) (D)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1813611200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Menschen machen sich auf den Weg nach Europa. Sie
sind auf der Flucht. Sie erreichen Deutschland, und sie
erreichen damit nicht nur einen Raum des Rechts und
der Freiheit, sondern auch einen Raum der Sicherheit.
Sie erreichen Deutschland. Deswegen möchte ich an den
Anfang meiner Ausführungen stellen, dass sich natürlich
nicht aus dem Umfang der Zuwanderung oder des Ein-
reisens ergeben kann, dass sich eine Grenze des Rechts-
staates oder der Geltung des Rechts ergibt. Dieser eine
Gedanke wird sich mit dem anderen nicht vereinbaren
lassen.

Es muss genauso klar sein, wie wir das von allen, die
zu uns kommen, einfordern, dass wir in Deutschland
auch in den Gemeinschaftsunterkünften, in den Erstauf-
nahmeeinrichtungen keine rechtsfreien Räume schaffen,
meine Damen und Herren, und zwar für niemanden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Als Staat und Gemeinschaft müssen wir uns der Ver-
antwortung bewusst sein, die wir für diejenigen tragen,
die zu uns geflohen sind und nun in Gemeinschaftsun-
terkünften leben. Ich bin den Grünen für ihren Antrag
dankbar, da sie darin ein paar Punkte aufgreifen, die wir
teilen, auch partei- und fraktionsübergreifend. Noch inte-
ressanter als der Antrag der Grünen ist jedoch die zugrun-
deliegende Studie, die zitiert worden ist, die es allerdings
sehr bezeichnend auf den Punkt bringt. Darin heißt es:

Die Ergebnisse bieten keine abschließende Bear-
beitung des Themas Gewaltschutz in Flüchtlings-
unterkünften, sondern werfen auf der Grundlage
des explorativen Charakters der Untersuchung erste
Schlaglichter auf ein relativ unbearbeitetes Feld.

Das ist genau die Spannkurve, in der wir uns befinden:
Auf der einen Seite erleben wir enormes ehrenamtliches
Engagement von freiwilligen Helferinnen und Helfern,
die in der Prävention arbeiten, die Sicherheit bieten, die
betroffenen Menschen helfen, egal ob Männern oder
Frauen bzw., anders ausgedrückt, all denjenigen, die in
den Einrichtungen von Gewalt betroffen sind. Das ist eh-
renamtliches Engagement. Auf der anderen Seite gibt es
einen unteilbaren Bereich, der die Sicherheit betrifft, und
dieser Bereich ist nicht privat, sondern hier hat der Staat
seine Aufgabe zu erfüllen. Das müssen wir als Gemein-
schaft organisieren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu unserer vornehmsten Verpflichtung gehört auch die
Umsetzung des gemeinsamen europäischen Asylsystems,
dass Schutzsuchende – ich zitiere – „eine gleichwertige
Behandlung bei Verfahrensgarantien und Aufnahmebe-
dingungen sowie einheitlichen Schutzstatus“ erhalten
sollen, so weit das Zitat des ehemaligen Innenministers
Hans-Peter Friedrich. Das muss doch die Maßgabe sein,
wenn wir uns an die Umsetzung dieser Richtlinie ma-
chen.

Es ist auch nicht so, dass es zu dieser Richtlinie ohne
tatkräftiges Mittun Deutschlands gekommen ist. Genau-
so werden wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten – hier schließe ich mich ausdrücklich den Worten
der Kollegin Gülistan Yüksel an – darauf achten, dass es
zu dieser Umsetzung kommt.


(Beifall bei der SPD)


Ein weiterer Punkt ist wichtig: Es ist sehr schwierig,
einerseits Verfahren vereinfachen und es ermöglichen zu
wollen, dass vor Ort Hilfe geleistet wird, und gleichzei-
tig sofort wieder die nächste Rahmenbedingung und die
nächste verbindliche Regelung vorzugeben. Hier hilft
auch die Übergangsfrist nicht; denn wir müssen vor Ort
dafür sorgen, dass die Helfenden auch helfen können.

An dieser Stelle möchte ich sehr ausdrücklich auch
denjenigen danken, die vor Ort in vielen Freizeitstunden
ehrenamtliche Hilfe leisten. Sie begleiten die von Gewalt
Betroffenen, die traumatisiert und hierher geflohen sind.
Danke schön an all diejenigen für die geleistete Arbeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein großes Bundesland wurde angesprochen. Es gibt
ein weiteres großes Bundesland, nämlich meine Heimat
Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen ist genau an
diesem Punkt vorangegangen. Wir haben schon im De-
zember 2014 konkrete Vereinbarungen getroffen und
für das Haushaltsjahr 2015 einen Fonds in Höhe von
900 000 Euro aufgelegt, mit dem genau an diesen Stellen
vor Ort Schulungsprogramme und Hilfeleistungen finan-
ziert werden, sodass diejenigen, die in den Einrichtungen
ehrenamtliche Hilfe leisten, die die Betreuung überneh-
men und die mit den betroffenen Frauen zusammenarbei-
ten, diese Hilfe auch konkret leisten können.

Darum gilt der Dank auch den Ländern, die willig
sind, daran zu arbeiten und das umzusetzen, was wir als
Nationalstaat im europäischen Rechtsrahmen gemein-
sam vereinbart haben; denn ohne die Länder und ohne
die Kommunen wird es genauso wenig gehen wie ohne
die zahlreichen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer.
Ein Dankeschön an Nordrhein-Westfalen und ein Dank
an alle Kolleginnen und Kollegen, die hier mitwirken.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813611300

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6646 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung
liegt beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zum automatischen Austausch






(A) (C)



(B) (D)


von Informationen über Finanzkonten in
Steuersachen und zur Änderung weiterer
Gesetze

Drucksachen 18/5920, 18/6290

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung
vom 29. Oktober 2014 zwischen den zustän-
digen Behörden über den automatischen
Austausch von Informationen über Finanz-
konten

Drucksachen 18/5919, 18/6291

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


Drucksache 18/6667


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/6682

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst,
Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Die Abgeltungsteuer abschaffen – Kapital-
erträge wie Löhne besteuern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus,
Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Abgeltungsteuer abschaffen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus,
Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz von Kapitaleinkommen stär-
ken – Automatischen Austausch von In-
formationen über Kapitalerträge auch im
Inland einführen

Drucksachen 18/2014, 18/6064, 18/6065,
18/6667

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich kann die Aussprache eröffnen, sobald die Kolle-
ginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben.
Wenn Sie das tun würden, würde das das ganze Verfah-
ren beschleunigen und uns helfen, unsere lange Tages-
ordnung zu bewältigen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in die-
ser Debatte hat Dr. Mathias Middelberg von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1813611400

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen

und Herren! Liebe Kollegen! Obwohl wir hier in diesen
Tagen auch viele andere wichtige Themen zu besprechen
haben, sollten wir dieses Feld der Steuerpolitik und der
Finanzpolitik nicht aus den Augen verlieren; denn wir
gehen hier heute einen ganz grundlegenden Schritt in
Sachen Bekämpfung der Steuerhinterziehung und Be-
kämpfung der illegalen Steuervermeidung. Den gehen
wir höchstwahrscheinlich – da setze ich die Zustimmung
aller einmal voraus, die wir gestern in der Ausschussbe-
ratung hatten – gemeinsam und in wesentlicher Überein-
stimmung. Ich finde, das ist heute ein Tag, den man feiern
kann.

Den Auftakt hat das im Oktober letzten Jahres ge-
nommen, als 51 Staaten die Vereinbarung über den auto-
matischen Informationsaustausch über Finanzkonten in
Berlin – in unserem Bundesfinanzministerium – unter-
schrieben haben, wesentlich initiiert durch unser Finanz-
ministerium, durch Wolfgang Schäuble an der Spitze.
Aber auch weitere Länder waren maßgeblich daran be-
teiligt: Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, aber
eben auch wir Deutsche.

Wenn man verfolgt hat, wie lange es gedauert hat und
wie mühsam es war, sich über die EU-Zinsrichtlinie zu
verständigen, dann ist es bemerkenswert, wie schnell wir
es geschafft haben, uns über diesen internationalen und
automatisierten Austausch von Daten über Finanzkonten
in Europa auch weit über Europa hinaus zu verständigen.
Ich finde, das ist ein höchst bemerkenswertes Ergebnis.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ab 2017 werden die Steuerbehörden in den Unter-
zeichnerstaaten – es waren zuerst 51, jetzt sind es schon
74, und 96 Staaten haben sich politisch schon fest dazu
bekannt, dass sie dieses Abkommen unterstützen – in ei-
nem automatisierten Verfahren Kontoinformationen von
den in ihrem Staat ansässigen Banken erhalten und un-
tereinander austauschen. Das ist – ich habe es eben ge-
sagt – ein maßgeblicher und grundlegender Schritt zur
Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Länder, die dieses
Abkommen unterzeichnet haben und dieses Abkommen
dann exekutieren, stehen in Zukunft als Fluchtort, als
Ort, wo man Kapitalvermögen verstecken kann, nicht
mehr zur Verfügung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ab 2018 gilt das auch für die Schweiz. Die Schweiz
wird dieses Abkommen ein Jahr später exekutieren. Wir
können uns an viele Debatten erinnern, in denen wir uns
hier über Steuerhinterziehung und Steuerbetrüger – ich
will jetzt keine Namen mehr nennen, aber es waren pro-
minenteste Namen dabei – unterhalten haben. Das wird
in Zukunft nicht mehr der Fall sein. In Zukunft werden
wir solche Fälle nicht mehr haben. Fälle dieser Art kön-
nen sich bei dieser neuen Rechtslage nicht wiederholen.
Das ist ein ganz großer Erfolg für Deutschland, für Euro-
pa und weit darüber hinaus, und es ist ein ganz grundle-
gender Beitrag für mehr Steuergerechtigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Zu den Anträgen der Opposition nur so viel: Wir kön-
nen bei aller Einigkeit heute im Kern diesen freundlichen
Anträgen leider die Zustimmung nicht erteilen. Es bedarf
keiner schrankenlosen Transparenz über alle Kapitalein-
künfte und auch keiner vollständigen Auflösung unseres
Bankgeheimnisses. Die Finanzbehörden – das ist ent-
scheidend – werden in Zukunft die Informationen über
Kapitaleinkünfte im Ausland durch den Informationsaus-
tausch umfassend erhalten. Im Inland werden Kapitalein-
künfte bereits heute durch die flächendeckende Kapital-
ertragsteuer erfasst. Schlupflöcher bestehen da nicht;


(Beifall bei der CDU/CSU)


denn die Kapitalertragsteuer wird automatisch durch die
Banken erhoben und in anonymisierter Form an die Fi-
nanzverwaltung abgeführt.

Darüber hinaus haben Sie die Abschaffung der Abgel-
tungsteuer beantragt.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Hierüber kann man durchaus einmal grundsätzlich dis-
kutieren; das ist gar keine Frage. Allerdings sollte man
darüber erst dann diskutieren, wenn wir den Informati-
onsaustausch auch wirklich haben, und nicht schon dann,
wenn wir ihn beschließen. Wenn wir feststellen, dass er
von sämtlichen Unterzeichnerstaaten wirklich exekutiert
wird, dann macht es Sinn, in diesem Kontext auch über
die Abgeltungsteuer zu diskutieren. Dann haben wir eine
tatsächliche Handlungsalternative. Unter dieser Prämis-
se stehen im Übrigen auch alle rechtlichen Betrachtun-
gen, die Sie uns wahrscheinlich gleich vorhalten werden.
Wenn es nämlich diese Alternative in der Tat noch nicht
gibt, machen diese rechtlichen Bewertungen wenig Sinn.

Es gilt, was Wolfgang Schäuble – im Übrigen unter
Bezugnahme auf seinen Vorgänger Steinbrück – gesagt
hat:

Die Abgeltungsteuer ist mit dem Argument ein-
geführt worden ...: 25 Prozent von X ist mehr als
45 Prozent von nix.

Wolfgang Schäuble hat hinzugefügt:

Solange man die Informationen nicht hat, ist eine
Abgeltungsteuer in der Abwägung der Argumente –
pro und kontra – zumindest eine mit guten Argu-
menten versehene Lösung.

Diese Einschätzung war und ist richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


An dieser halten wir so lange fest, bis wir den Informa-
tionsaustausch wirklich exekutieren. Wir sollten deshalb
nicht den zweiten vor dem ersten Schritt tun und deshalb
in diesem Punkt noch zuwarten.

Im Übrigen – das sei an dieser Stelle schon ange-
merkt –: Wenn wir darüber diskutieren, zu einer norma-
len Besteuerung überzugehen, dann müssen wir natür-
lich auch über die Kompensationstatbestände reden, die
damals zusammen mit der Abgeltungsteuer eingeführt
wurden.


(Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]: Genau!)


Dann müssen wir nämlich über den vollständigen Wer-
bungskostenabzug reden. Auch müssen wir über das
Teileinkünfteverfahren bei der Körperschaftsteuer reden.
Wenn, dann ist das ein Paket, aber keine getrennte Ver-
anstaltung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend möchte ich gern eine Bemerkung zu
dem Änderungsantrag machen, den Bußgeldrahmen, den
das BMF auf 5 000 Euro gesetzt hat, zu verhundertfa-
chen. Also, es lag der Antrag vor, den Bußgeldrahmen zu
verhundertfachen. Wir in der Koalition haben uns darauf
verständigt, dass wir den vorgesehenen Bußgeldrahmen
verzehnfachen. Das halten wir für absolut angemessen
und zureichend. Sie müssen sich vor Augen halten, mei-
ne Damen und Herren: Dieser Bußgeldrahmen betrifft
gerade auch kleine Fälle. Betroffen ist der normale Sach-
bearbeiter in einem Finanzinstitut, der Fehler macht. Ihn
wollen wir nicht mit einem Bußgeld von 500 000 Euro
praktisch kriminalisieren. Auch da muss man eine Gren-
ze setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Lothar Binding – Genau, das ist richtig. Vielen Dank an Lothar Binding für den freundlichen Hinweis. Das wäre mein nächster Punkt gewesen. – Auch das muss man sehen: Jeder Fall, bei dem ein Fehler gemacht wird, wird demnächst mit 50 000 Euro bebußt. Wenn es also Fälle fehlerhafter Angaben gibt, dann gibt es in der Regel noch mehr solcher Fälle. Das summiert sich. Dadurch kommt es zu ganz anderen Bußgeldsummen. Wenn es hier um systematisch falsche Angaben geht, so wie das in der Ausschussberatung von einigen, – ich sage einmal, – beispielhaft vorgetragen wurde, dann wird in aller Regel strafbares Verhalten vorliegen. Dann gibt es Betrugssachverhalte oder auch Untreue. Das führt zu einem ganz anderen Strafrahmen, zum Beispiel zu Freiheitsstrafen. Ich glaube, wir haben den vorliegenden Gesetzentwurf insgesamt sehr gut gestaltet. Wir gehen einen Riesenschritt in Sachen mehr Steuergerechtigkeit. Ich sage an dieser Stelle ganz persönlich, dass ich mich für die tolle Vorarbeit meines Kollegen Uwe Feiler, der in den letzten Monaten an der Arbeit gehindert wurde, sehr herzlich bedanke. Ich stehe nur deshalb an dieser Stelle, weil du leider verhindert warst. Ich wünsche dir weiterhin allerbeste Besserung und danke dir für deine Arbeit. Ich bedanke mich auch bei allen anderen, auch beim Bundesfinanzministerium, für die hervorragende Zusammenarbeit. Danke. Dr. Mathias Middelberg Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Richard Pitterle von der Fraktion Die Linke das Wort. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle ginnen und Kollegen! Jahrzehntelang war es den Wohlhabendsten in unserer Gesellschaft möglich, ihre Millionen und Abermillionen vor dem Zugriff des Finanzamtes im Ausland zu verstecken. Wer ohnehin im Reichtum schwelgte, konnte fröhlich Steuern hinterziehen und sich an seinen prallgefüllten Konten in der Schweiz oder Luxemburg erfreuen – auf Kosten der vielen ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aus den unteren und mittleren Einkommensschichten. Der jetzt im Gesetzentwurf vorgesehene automatische Informationsaustausch zwischen den Staaten über Finanzkonten macht es den Vermögenden nun deutlich schwerer, ihr Geld im Ausland zu verstecken. Die Finanzinstitute melden an die jeweiligen Behörden ihres Landes, wer bei ihnen wie viel Geld auf dem Konto hat. Das können die Finanzbehörden der anderen Länder abrufen. Die Linke hat das seit langem gefordert. Ich freue mich, dass die Bundesregierung nun endlich ein Einsehen hatte und unsere Forderung jetzt umsetzt. Wir werden dem Gesetzentwurf daher zustimmen, auch wenn wir nicht mit allen Regelungen einverstanden sind. Dabei ist ein Punkt von herausragender Bedeutung: das Bußgeld der Finanzinstitute bei Nichteinhaltung der Meldepflichten. Im ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung war dafür ein Betrag von maximal 5 000 Euro vorgesehen. Ich bitte Sie, welche Bank hätte sich denn von solchen Peanuts beeindrucken lassen, wenn millionenschwere Kundinnen und Kunden um die Geheimhaltung ihrer Daten gebeten hätten? Nach der Anhörung haben Sie den Bußgeldrahmen jetzt wenigstens auf 50 000 Euro erhöht. Diese Summe dürfte zwar schon etwas mehr wehtun, zeugt aber leider immer noch davon, dass die Steuerhinterzieher bei der Großen Koalition weiterhin eine starke Lobby haben. (Lothar Binding aber pro Fall! Das kann schon teuer werden!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)





(A) (C)


(B) (D)

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813611500

(Beifall bei der LINKEN)

Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813611600

(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, zum Vergleich: Derselbe
Bußgeldrahmen, also bis zu 50 000 Euro, erwartet Sie,
wenn Sie an einem Sonn- oder Feiertag Rasen mähen
oder wenn Sie einen strenggeschützten Käfer wie das
Wachsblumenböckchen verletzen oder gar töten.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Völlig zu Recht!)


Bei aller Liebe zur Feiertagsruhe oder zu seltenen Kä-
fern: Es geht hier um die Bekämpfung der Straftat Steu-
erhinterziehung.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben deswegen zusammen mit den Kolleginnen
und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen in den Aus-
schussberatungen einen noch deutlich höheren Rahmen

für die Geldbuße gefordert. Danach hätten Banken eine
Geldbuße von bis zu 5 Millionen Euro riskiert, wenn sie
die Daten weiter verheimlichen und so der Steuerflucht
weiter Vorschub leisten. Union und SPD haben das leider
abgelehnt. Abgelehnt haben sie im Finanzausschuss auch
unseren Antrag zur Abgeltungsteuer.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns endlich die
unsägliche Abgeltungsteuer abschaffen und Kapitalerträ-
ge wieder dem Einkommensteuersatz unterwerfen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer sein Geld für sich arbeiten lässt, zahlt momentan le-
diglich den pauschalen Abgeltungsteuersatz von 25 Pro-
zent. Wer hingegen sein Einkommen aus der eigenen
Hände Arbeit erzielt, zahlt darauf Einkommensteuer bis
zu 42 oder sogar 45 Prozent. Das ist schlichtweg nicht
gerecht.


(Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding 30 Prozent bei der Körperschaftsteuer vergessen worden! Die sollte man noch addieren! Dann kommt was anderes heraus!)


(Heidelberg) [SPD]: Aber jetzt sind die


Die Linke fordert deshalb seit jeher die Abschaffung
dieses Reichenprivilegs. Die Abgeltungsteuer wurde mit
der Begründung eingeführt, dass man nur so der Steu-
erflucht ins Ausland Herr werden könne. Spätestens
mit dem heutigen Gesetzentwurf ist diese Begründung
hinfällig. Denn wenn die Reichen und Superreichen ihr
Geld aufgrund des Informationsaustausches nicht mehr
im Ausland verstecken können, fehlt der niedrigen Ab-
geltungsteuer die von Ihnen behauptete Existenzberech-
tigung.

Dass der Bundesfinanzminister nun eine Abschaffung
der Abgeltungsteuer erst in der nächsten Wahlperiode
erwägt, ist wieder einmal ein Beispiel für die Verschlep-
pungstaktik der Bundesregierung. Wenn die Damen und
Herren von der CDU/CSU sich zieren, die Privilegien der
Wohlhabenden zu beschneiden, überrascht das nicht wei-
ter. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
geben doch wenigstens Sie sich einen Ruck, und sorgen
Sie gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und Linken
noch hier und jetzt für ein Ende der Abgeltungsteuer und
somit für mehr Gerechtigkeit für alle Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813611700

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Andreas

Schwarz von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Andreas Schwarz (SPD):
Rede ID: ID1813611800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute von
uns zu beschließende Gesetzentwurf zum automatischen
Informationsaustausch ist ein Meilenstein in der Be-






(A) (C)



(B) (D)


kämpfung der Steuerkriminalität. Seit vielen Jahrzehn-
ten diskutiert man darüber, wie man Steuerhinterziehung
wirksam eindämmen bzw. vielleicht sogar verhindern
kann.

Ich denke, im letzten Jahr sind wir mit der Verschär-
fung der strafbefreienden Selbstanzeige einen großen
Schritt vorangekommen. Trotz allen Erfolges des Geset-
zes vom letzten Jahr gilt: Steuerhinterziehung ist nicht
nur mit nationalstaatlicher Gesetzgebung beizukommen;
wir müssen international tätig werden. Dazu brauchen
wir eine internationale Zusammenarbeit.

Bereits am 13. Oktober 1931 hatte der damalige so-
zialdemokratische Reichstagsabgeordnete Dr. Rudolf
Breitscheid in einem Antrag die Reichsregierung Brüning
aufgefordert – ich zitiere –, „der frevelhaften Kapital- und
Steuerflucht deutscher Staatsangehöriger“ zu begegnen.
Breitscheid forderte die damalige Reichsregierung auf,
„über eigene gesetzgeberische Maßnahmen zur Bekämp-
fung der Steuer- und Kapitalflucht hinaus in Verhandlun-
gen mit den Regierungen anderer Staaten einzutreten mit
dem Ziele, eine internationale Rechtshilfe gegen Kapital-
und Steuerfluchthandlungen zu vereinbaren“.


(Beifall bei der SPD)


Dieses über 80 Jahre alte Zitat drückt sehr gut aus, wo-
rum es geht. Steuerkriminalität bekämpft man national
und international. Es fehlte viel zu lange an dieser un-
erlässlichen internationalen Zusammenarbeit. Aber was
alles wurde in den letzten Jahrzehnten tatsächlich unter-
nommen? Untätig waren Europa und die Welt nicht.

1962 erarbeitete Fritz Neumark im Auftrag der
EG-Kommission ein Konzept, das die EG-weite Einfüh-
rung einer einheitlichen, anrechenbaren Quellensteuer
sowie einen gemeinschaftlichen Auskunftsdienst für
eine wirksame Steuerkontrolle vorsah. Realisiert wur-
de es nie. Noch 1989 war der Vorschlag, in Europa eine
Quellensteuer auf die Zinserträge ausländischer Anleger
einzuführen, von den Mitgliedstaaten mehrheitlich abge-
lehnt worden.

Es dauerte viele weitere Jahre, bis dann im Juni 2003
die EU-Zinsrichtlinie verabschiedet wurde. Nach einigen
Verzögerungen trat sie dann im Juli 2005 in Kraft. Ledig-
lich Belgien, Österreich und Luxemburg wollten keine
Zinsdaten austauschen. Sie erhoben zur Wahrung ihres
Bankgeheimnisses eine Quellensteuer. Es hat also über
40 Jahre gedauert, bis endlich ein Instrument für eine ef-
fektive Besteuerung grenzüberschreitender Zinszahlun-
gen zur Verfügung stand. Über 40 Jahre!

Im Jahre 2011 wurde von Schwarz-Gelb mit dem so-
genannten deutsch-schweizerischen Steuerabkommen
der Versuch unternommen, die Besteuerung des gren-
zübergreifenden Kapitalverkehrs zwischen unseren bei-
den Ländern zu regeln. Bei Inkrafttreten dieses Abkom-
mens wären sämtliche Steuerhinterzieher anonym und
straffrei geblieben. Dies war der Hauptgrund, warum wir
es im Jahr 2012 verhindert haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Erst durch diese Ablehnung und die daraus folgende
Aufdeckung all der prominenten Fälle mit nichtversteu-
erten Zinsgewinnen auf Schweizer Konten kam dann
Tempo in die Verschärfung der Gesetzgebung gegen
Steuerbetrug. Für mich persönlich ist die Ablehnung
dieses Abkommens die Geburtsstunde des heute zu be-
schließenden Gesetzes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bereits ein knappes Jahr nach der Unterzeichnung der
mehrseitigen Erklärung Ende Oktober 2014 gießen wir
heute den OECD-Standard in Gesetzesform; das ist wirk-
lich rekordverdächtig. Das zeigt aber auch, dass wir es
ernst meinen mit der Bekämpfung von Steuerbetrug.


(Beifall bei der SPD)


Für diese tolle Leistung möchte ich allen Beteiligten mei-
nen herzlichen Dank aussprechen.

Die im Jahre 2014 überarbeitete Zinsrichtlinie stellte
somit einen guten Zwischenschritt hin zum automati-
schen Informationsaustausch nach OECD-Standard dar.
Es handelt sich deshalb um einen Zwischenschritt, weil
der OECD-Standard weiter geht als die EU-Zinsrichtli-
nie; denn künftig werden zum Beispiel Beteiligungs- und
Veräußerungserträge erfasst. Das ist ein großer Fort-
schritt.

Beim automatischen Informationsaustausch geht es
um den länderübergreifenden Austausch von persönli-
chen Daten. Genau deshalb ist uns hier der Datenschutz
besonders wichtig. An ihm wird nicht gerüttelt.


(Beifall bei der SPD)


Der Datenaustausch nach OECD-Standard bedeutet fak-
tisch auch das Ende des Bankgeheimnisses. Das war
unausweichlich; denn das Bankgeheimnis diente in der
Regel in den vergangenen Jahrzehnten dazu, als Deck-
mantel für Steuerhinterziehungen herangezogen zu wer-
den.

Wir konnten nun im Gesetzgebungsverfahren das
Prüfungsrecht des Bundeszentralamtes für Steuern aus-
weiten. Die Sanktionen bei einer Verletzung der Mel-
depflichten durch die Finanzinstitute wurden ebenfalls
deutlich verschärft. Statt 5 000 Euro werden zukünftig
50 000 Euro pro Fall fällig. Nicht zuletzt haben wir durch
eine Präzisierung der Meldepflichten der Finanzinstitute
die Voraussetzung dafür geschaffen, dass der Informati-
onsaustausch im Fall eines Beitritts weiterer Staaten ein-
fach und schnell erweitert werden kann. Wir begrüßen
ausdrücklich, dass Steuerflüchtigen durch den Ankauf
weiterer Steuer-CDs – wie jüngst durch Nordrhein-West-
falen – zusätzlich Druck gemacht wird.


(Beifall bei der SPD)


Steuerhinterziehung darf sich nicht lohnen. Es lohnt sich
auch deshalb nicht, weil die Gefahr, erwischt zu werden,
immer größer wird.

Die Bekämpfung von Steuerbetrug ist für uns, die
SPD-Bundestagsfraktion, immer auch eng verknüpft mit

Andreas Schwarz






(A) (C)



(B) (D)


dem Thema Gerechtigkeit. Mit der heutigen Verabschie-
dung kommen wir auch hier einen großen Schritt weiter.

Recht herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813611900

Ganz herzlichen Dank. – Als nächste Rednerin hat

Lisa Paus von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813612000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch

wir Grünen begrüßen die Einführung eines internationa-
len automatischen Informationsaustauschs. Wie sollten
wir anders? Wir haben das seit Jahren gefordert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei all der Feierstimmung sollte aber eines dann doch
nicht unter den Tisch fallen: Die Wandlung von Schäuble
vom Saulus zum Paulus in dieser Frage ist nicht einer
visionären Erleuchtung geschuldet, sondern diese Wand-
lung musste wirklich sehr hart erstritten werden. Ohne
die Ablehnung des deutsch-schweizerischen Steuerab-
kommens durch Rot-Grün im Bundesrat – das wurde
gerade schon erwähnt – könnten wir dieses Gesetz heute
gar nicht verabschieden.

Dann hätte sich nämlich nicht der automatische In-
formationsaustausch durchgesetzt, dann hätten wir von
einem Fall Hoeneß oder einem Fall Alice Schwarzer
nichts erfahren, sondern es gäbe weiter viele Fälle von
unentdeckter Steuerhinterziehung. Dann hätten wir statt-
dessen eine Art modernen Ablasshandel bekommen, also
eine Vereinbarung mit ehemaligen Steueroasen, dass sie
uns jährlich eine – ansonsten anonyme – Mindestsumme
Geld überweisen. Gut, dass das Geschichte ist: weil wir
das verhindert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nicht gut ist dagegen, dass die Große Koalition an der
Abgeltungsteuer in Deutschland trotzdem immer noch
festhalten möchte. Wenn massenhafte Steuerhinterzie-
hung durch Parken von Geld auf Auslandskonten nicht
mehr möglich ist, weil die nationalen Finanzbehörden
die Information über Kapitalerträge automatisch austau-
schen, dann löst sich eben die Steinbrück’sche Mathema-
tik von einst endgültig auf, die da lautet: 25 Prozent von
x sind besser als 42 Prozent von nix.


(Lothar Binding stimmt!)


Sie von der GroKo wissen auch ganz genau, dass das
damit zu Ende ist. Deshalb hat sich auch die SPD-Bun-
destagsfraktion inzwischen in einem Positionspapier für
die Abschaffung der Abgeltungsteuer ausgesprochen.


(Lothar Binding „inzwischen“! Das war immer unsere Position!)


Selbst Finanzminister Schäuble hat gesagt, auch gestern
noch, er wäre im Prinzip dafür, nur jetzt noch nicht.


(Lothar Binding zur rechten Zeit! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schade!)


Jetzt könnte man sagen: Das ist immerhin schon ein
Schritt. Aber, meine Damen und Herren, das reicht nicht;
denn die Beibehaltung der Abgeltungsteuer ist heute kei-
ne Petitesse. Wenn dieses Gesetz über den automatischen
Informationsaustausch heute verabschiedet wird, dann
ist die Abgeltungsteuer endgültig verfassungswidrig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist nicht nur unsere Meinung, sondern das bestä-
tigt inzwischen auch ein umfassendes Rechtsgutachten
des Steuerrechtlers Professor Joachim Englisch von der
Universität Münster, der nun wahrlich nicht verdächtig
ist, ein Grüner zu sein. Herr Professor Englisch stellt in
seinem Gutachten fest:

Erstens. Die Abgeltungsteuer hat schon immer gegen
die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung al-
ler Einkunftsarten verstoßen, weil Kapital niedriger be-
steuert wird als Löhne oder Gehälter.

Zweitens. Die Abgeltungsteuer hat schon immer gegen
das in Deutschland geltende Leistungsfähigkeitsprinzip
verstoßen, wonach finanziell starke Einkommensgrup-
pen einen höheren Beitrag zur Finanzierung des Staates
leisten sollen als Einkommensschwache.

Drittens. Die Abgeltungsteuer konnte nur deshalb ge-
rade noch als verfassungsgemäß durchgehen, weil man
die Privilegierung des Einkommens aus Kapital mit der
Konzession an den internationalen Steuerwettbewerb be-
gründete, wie es auch hier heute noch einmal gemacht
wurde.

Aber es gab seit der Einführung der Abgeltungsteu-
er nicht einen einzigen empirischen Hinweis darauf, der
diese Begründung stützen würde. Deswegen ist sie nicht
erst in zwei Jahren, Herr Middelberg, sondern spätestens
heute mit der Verabschiedung des Gesetzes über den
automatischen Informationsaustausch, so jedenfalls das
Fazit von Professor Englisch, nicht mehr ausreichend.
Es gibt keine ausreichende Rechtfertigung mehr für den
Verstoß gegen Gleichbehandlung und das Leistungsfä-
higkeitsprinzip, wie es die Verfassung vorsieht.


(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Das haben Sie gut bestellt, das Gutachten!)


Deswegen ist die Abgeltungsteuer endgültig verfas-
sungswidrig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Seien Sie ehrlich: Tatsächlich gibt es für Sie doch nur
einen einzigen Grund, die Abgeltungsteuer nicht gleich-
zeitig mit der Einführung des automatischen Informati-
onsaustauschs abzuschaffen, und der lautet: Koalitions-
vertrag. Oder genauer: keine Steuererhöhung. Das ist
vereinbart in der GroKo.

Andreas Schwarz






(A) (C)



(B) (D)


Aber, meine werten Damen und Herren, werte Kolle-
gen von der Koalition, der Koalitionsvertrag steht nicht
über dem Grundgesetz. Deswegen müssen wir die Rege-
lung ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Herr Englisch entscheidet nicht, was grundgesetzwidrig ist!)


Aber für die wachsende Schar unter Ihnen, denen auch
Verfassungsverstöße mittlerweile ziemlich egal sind, die
Sie eigentlich kaltlassen, liefere ich doch noch ein Ar-
gument für den Koalitionsvertrag. Die Abschaffung der
Abgeltungsteuer würde gerade nicht – –


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ein bisschen den Stil wahren, Frau Paus! Es war nicht parlamentarisch, zu sagen, dass uns die Verfassung – – Das geht gar nicht, Frau Präsidentin! Irgendwo hört es auch auf!)


– Mein lieber Herr Kollege, wir können uns gerne über
die Ergebnisse der Anhörung zur Erbschaftsteuer unter-
halten,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Dann überprüfen Sie einmal Ihre Formulierung!)


bei der alle Experten unisono festgestellt haben, dass
sich keiner traut, Verfassungsgemäßheit tatsächlich fest-
zustellen. Wir reden darüber, wie Sie mit dem Thema
Grundsteuer umgehen. In all diesen Fragen haben wir
erlebt, dass Ihnen die Verfassung ziemlich egal ist. Des-
wegen finde ich diese Aussage völlig gerechtfertigt und
Ihre Einlassung völlig daneben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Aber kommen wir zurück zu Ihrem Koalitionsvertrag.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wenn man keine guten Argumente hat, muss man Kollegen beleidigen!)


– Das haben Sie getan, und ich musste leider darauf re-
agieren, werter Kollege.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nein! Ganz schwach, Frau Paus, ganz schwach! Das ist Niveaulimbo auf unterstem Niveau, was Sie machen!)


– Ja, das merke ich, dass Sie ganz schön getroffen sind.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten einmal den Experten zuhören, Herr Brinkhaus! – Gegenruf des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das sind Sie, Herr Gambke? Sie sind der Experte?)


– Ich hoffe, Sie können trotzdem noch einen Satz aushal-
ten, werter Kollege.

Ich wollte einfach darauf hinweisen,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ist misslungen!)


dass auch Sie mit Ihrem Koalitionsvertrag eigentlich
überhaupt kein Problem haben, weil das Bundesfinanz-

ministerium bisher der Auffassung war, dass eine Ab-
schaffung der Abgeltungsteuer nicht zu Mehreinnahmen
führt. Auf die Antwort der Kleinen Anfrage der Links-
partei hat das Bundesfinanzministerium festgestellt: Eine
Abschaffung würde zu Mindereinnahmen führen, auch
wenn Herr Schäuble heute behauptet, es käme zu Mehr-
einnahmen. Ich glaube, wir alle miteinander wissen, die
Abgeltungsteuer würde in dieser Niedrigzinsphase zu
keinen Steueraufkommensveränderungen führen, aber
sie würde zu mehr Gerechtigkeit führen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813612100

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813612200

Ich komme zum Schluss. – Auf niedrige Einkommen

würden weniger und auf höhere Einkommen würden
mehr Steuern zu zahlen sein. Deshalb fordere ich Sie
ein letztes Mal auf: Sorgen Sie für mehr Gerechtigkeit!
Schaffen Sie die ungerechte und verfassungswidrige Ab-
geltungsteuer heute ab! Stimmen Sie unserem Antrag zu!

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813612300

Vielen Dank. – Ich möchte die Kollegen darauf hin-

weisen: Wir haben bewährte Instrumente, um einen sol-
chen Diskurs zu führen. Das ist die Zwischenfrage, und
das ist die Kurzintervention. Ich bitte, davon Gebrauch
zu machen, damit wir im Rahmen der Redezeiten blei-
ben.


(Beifall der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, das macht bestimmt der Kollege Brinkhaus! – Gegenruf des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU]: Herr Kollege Schick, wir können ja einmal Ihre Zwischenrufe protokollieren! Sie machen sie doch auch! – Gegenruf des Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich stelle auch Zwischenfragen, wenn es wichtig ist!)


Jetzt hat der Kollege Graf Lerchenfeld von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Graf Philipp Lerchenfeld (CSU):
Rede ID: ID1813612400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Lieber

Kollege Pitterle, eigentlich war das, was Sie uns unter-
stellt haben, schon bodenlos. Sie sagen, wir würden Steu-
erhinterziehung begünstigen.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja!)


Ich finde es unfassbar, dass Sie uns unterstellen, wir wür-
den den Lobbyisten der Steuerhinterziehung hier auch
noch nachkommen. Ich habe Sie bisher immer für einen

Lisa Paus






(A) (C)



(B) (D)


umgänglichen Menschen gehalten. Es hat mich schwer
enttäuscht.

Das, was Sie, Frau Paus, gemacht haben, ist eine Un-
terstellung. Ich finde kaum Worte dafür.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie einmal nach!)


Es ist eine unfassbare Unverschämtheit. Die Gutachten,
die man bestellt, bekommt man so wieder zurück.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie Steuerrechtler! Fragen Sie querbeet!)


Ich möchte Ihnen sagen: Ich habe mich mit diesem Gut-
achten sehr stark auseinandergesetzt. Wenn Sie es genau
lesen würden, dann würden Sie sehen, dass viele Argu-
mente weiterhin für eine Abgeltungsteuer sprechen. Im
Übrigen: Wo ist eine Klage bis zum Verfassungsgericht
gegangen? Wo ist vom Verfassungsgericht festgestellt
worden, dass es sich hier um eine nicht verfassungsge-
mäße Besteuerung handelt? Man kann sehr viele Gut-
achten finden, die dafür sprechen, und auch andere, die
dagegen sprechen. Deswegen bitte ich Sie, uns nicht zu
unterstellen, wie Sie es getan haben, dass uns das Grund-
gesetz egal ist. Wir stehen auf dem Boden des Grund-
gesetzes. Dazu sind wir Parlamentarier in diesem Bun-
destag. Sie sollten sich für diese unglaubliche Frechheit
entschuldigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es tut mir leid, dass man in die Diskussion jetzt eine
Schärfe über Gesetzentwürfe hereingebracht hat, die
wirklich nicht notwendig ist, da wir eigentlich alle dar-
in übereinstimmen, dass wir dieses Gesetz begrüßen. Es
ist erfreulich, dass wir im internationalen Informations-
austausch eine Möglichkeit finden, Steuerhinterziehung,
Steuervermeidung stärker einzuschränken. Ich möchte
mich für das großartige Verhandlungsergebnis ganz be-
sonders herzlich bei allen Verhandlungsführern bedan-
ken, an der Spitze bei unserem Bundesfinanzminister
Dr. Schäuble. Ich bitte Sie, Herr Staatssekretär, ihm das
auszurichten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD])


Es ist schon gesagt worden, dass wir ab Septem-
ber 2017 mit vielen Staaten ganz hervorragende Aus-
tauschmöglichkeiten haben. Diese Möglichkeiten müs-
sen nur noch entsprechend eingeführt werden und sich
in der Praxis bewähren. Es ist ein Meilenstein bei der
Bekämpfung der Steuerhinterziehung auf internationaler
Basis erreicht worden. Wir haben damit auch eine Trans-
parenz auf internationaler Basis erreicht, von der man vor
Jahren noch nicht einmal geträumt hatte.

Was mir in diesem Zusammenhang ganz besonders
wichtig ist, ist aber auch, dass tatsächlich gewährleistet
bleibt, dass die automatische Übermittlung der Daten nur
an Staaten erfolgen soll, die erklärt haben, die Unterlagen
nur aus steuerlichen Gründen zu benötigen. Das muss
streng beachtet werden; denn es wäre fatal, wenn mit den
übermittelten Daten auch andere Ziele in diesen Staaten

verfolgt werden könnten. Ich möchte nur an die inten-
siven Verhandlungen zum DBA mit China erinnern, wo
wir insbesondere in Bezug auf die Todesstrafe erhebliche
Probleme hatten.

Lassen Sie mich auf die Anträge der Opposition zu
sprechen kommen. Sie von Bündnis 90/Die Grünen
haben ein Gutachten bestellt. Darin ist zusammengefasst
dargestellt, dass die Besteuerung der Kapitaleinkünfte
nach § 32 d Absatz 1 EStG in Verbindung mit § 43 Ab-
satz 5 EStG gegen gleichheitsrechtlich verankerte Vor-
gaben der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und
der gleichmäßigen Besteuerung nach der individuellen
Leistungsfähigkeit verstoße. Gleichzeitig führt Ihr Gut-
achter aus, dass die Vorschriften auch einer besonderen
Rechtfertigungsanforderung genügen müssen, wenn sie
weiter angewendet werden können. Nun gebe es erheb-
liche verfassungsrechtliche Bedenken, da die Besteu-
erung aufgrund der vorliegenden Erfahrungen und der
Entwicklung bei der internationalen Bekämpfung der
Steuerhinterziehung inzwischen als unverhältnismäßig
zu beurteilen wäre.

Ich denke, dass der Gutachter, aber auch Sie mit Ihren
Anträgen, eine Reihe von Sachverhalten, die durchaus
immer noch für die Beibehaltung dieser Besteuerungs-
art sprechen, vermissen lassen. Zunächst einmal ist es
doch in unser aller Interesse, dass durch die Abgeltung-
steuer tatsächlich alle – ich betone: alle – inländischen
Kapitalerträge aller Steuerpflichtigen erfasst werden. Bei
diesem Verfahren werden Kapitalerträge von Millionen
Konten in Deutschland in einem einfachen, administra-
tiv leicht handhabbaren Verfahren erfasst, und neben der
Steuer werden auch noch der Solidarbeitrag und sogar
die entsprechende Kirchensteuer, wenn notwendig, abge-
führt. Es gibt nachvollziehbare Berechnungen, dass das
bei einem 25-prozentigen Steuersatz zu einer Besteue-
rung bis zu 61,5 Prozent der Nettoerträge führt, da dabei,
wie es der Kollege Middelberg schon richtig dargestellt
hat, keine Werbungskosten geltend gemacht werden kön-
nen. Das liegt deutlich über dem, was Arbeitseinkommen
heute zu versteuern haben.

Wie gesagt, ist durch das Besteuerungsverfahren ein
vernünftiges, leicht administrierbares und transparentes
System gebildet worden, durch das gewährleistet wird,
alle Kapitalerträge entsprechend zu besteuern. Aus die-
sem Grund sollten wir warten, bis erste Erfahrungen aus
den heute zu verabschiedenden Gesetzen vorliegen, Er-
fahrungen darüber, wie sich der internationale Informati-
onsaustausch in der Praxis bewährt, bevor wir ein einfach
handhabbares Verfahren letztendlich abschaffen.

Liebe Kollegen, Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass
die Daten durch das strikte deutsche Steuergeheimnis ge-
schützt bleiben müssten und sichergestellt werden müs-
se, dass sie nicht für andere Zwecke oder an anderer Stel-
le genutzt werden. Nun will ich niemandem unterstellen,
dass er mutwillig das Steuergeheimnis in Deutschland
verletzt. Aber die Erfahrungen mit Steuerhinterziehungs-
daten prominenter Mitbürger haben doch gezeigt, dass
das Steuergeheimnis so strikt auch nicht immer eingehal-
ten wird. Deswegen, meine ich, sollte man sich in dieser
Sache etwas zurückhalten. Man sollte auch bedenken,

Philipp Graf Lerchenfeld






(A) (C)



(B) (D)


dass wir strenge Datenschutzvorschriften haben. Auch
dies sollte Berücksichtigung finden.

Ich freue mich, wenn wir heute diese beiden Geset-
zesvorhaben annehmen. Ich denke, damit werden In-
stru mente geschaffen, die uns im Kampf gegen Steuer-
hinterziehung wirklich helfen werden. Wir werden Ihre
Anträge ablehnen.

Liebe Frau Paus, ich möchte Sie noch einmal bitten,
über das nachzudenken, was Sie heute gesagt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Andreas Schwarz [SPD])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813612500

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Sarah

Ryglewski von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Sarah Ryglewski (SPD):
Rede ID: ID1813612600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir wollen nicht, dass Steuerhinterzieher ihr
Geld weiter in Steueroasen verstecken können – sei es
in der sonnigen Karibik, auf den Kanalinseln oder bei
Schweizer Banken. Im Moment ist es – seien wir einmal
ganz ehrlich – doch so, dass sich die deutschen Steuer-
zahler im Wesentlichen in zwei Gruppen teilen. Es gibt
die einen, die hier mit ihrer Arbeit ihr Geld verdienen und
auch hier ihre Steuern bezahlen. Und es gibt die zweite
Gruppe, die aus denen besteht, die mit Kapitaleinkünf-
ten noch mehr Geld verdienen und Geld dafür ausgeben,
dieses Geld vor dem deutschen Fiskus im Ausland zu
verstecken.

Mit dem heute vorliegenden Entwurf eines Gesetzes
zum automatischen Austausch von Informationen über
Finanzkonten schaffen wir daher ein Stück mehr Steu-
ergerechtigkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie lang dieser Weg gewesen ist, hat ja der Kollege
Schwarz sehr eindrucksvoll beschrieben.

Wir schaffen hier gemeinsam die Voraussetzung, in-
ternationale Steuerhinterziehung erfolgreich zu bekämp-
fen und Steueroasen den Garaus zu machen. Am Daten-
austausch werden sich nach derzeitigem Stand 95 Länder
beteiligen. Dass so viele mitmachen, zeigt einerseits den
großen internationalen Erfolg des OECD-Vorhabens.
Andererseits stärkt es die Schlagkraft des Vorhabens;
denn je mehr mitmachen, desto besser. Schließlich ge-
winnen die Staaten dank ihrer Kooperation Souveränität
zurück. Wegen des Zugewinns an Transparenz sind sie
nicht länger Getriebene, sondern erhalten Spielräume in
der Besteuerung privater Kapitalerträge.

Gleichwohl können wir uns noch lange nicht zufrie-
den zurücklehnen. Mit der gesetzlichen Grundlage heute
machen wir nur den ersten Schritt; denn mit der Unter-
zeichnung von Erklärungen und dem Verabschieden von
Gesetzen ist es noch lange nicht getan. Jetzt geht es an

die Umsetzung. Wir wissen doch alle: Das beste Gesetz
ist nur dann wirklich gut, wenn es auch gut umgesetzt
wird.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dafür werden verlässliche Systeme, und zwar sowohl für
die Informationsgewinnung als auch für den Informati-
onsaustausch, in Deutschland und auch in allen anderen
beteiligten Staaten benötigt. Denn nur wenn die ausge-
tauschten Daten möglichst vollständig und von hoher
Qualität sind, kann wirklich von Transparenz die Rede
sein. Nur wenn wir uns darauf verlassen können, dass die
Daten über Finanzkonten von Bundesbürgern in der gan-
zen Welt korrekt sind, können wir zufrieden sein. Das ist
die beste Voraussetzung für eine effektive Besteuerung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der He-
rausforderung, die die Umsetzung auch für unser Land
bedeutet, wird deutlich, dass wir noch eine gute Wegstre-
cke vor uns haben. Genau deshalb sollten wir den zwei-
ten Schritt nicht vor dem ersten machen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Damit sind wir bei der Abgeltungsteuer. Liebe Kol-
leginnen und Kollegen von der Linken und vom Bünd-
nis 90/Die Grünen, Sie haben ja bei allen Reden gehört,
dass eine grundsätzliche Offenheit dafür da ist, das The-
ma Abgeltungsteuer anzufassen, und dass wir in dem
Ansinnen geeint sind, sie perspektivisch abzuschaffen.
Uns allen ist klar: Die Abgeltungsteuer ist nicht mehr als
ein Second Best. Sie wurde in einem globalen Finanzsys-
tem nötig, das von Steuerwettbewerb, Intransparenz und
mangelnder Zusammenarbeit geprägt war.

Aus sozialdemokratischer Sicht ist diese steuerliche
Ungleichbehandlung eine klare Ungerechtigkeit. Wir
müssen aber doch zunächst einmal schauen, dass wir das
System, das wir heute beschließen, auch vernünftig in die
Umsetzung bekommen.

Wir wissen: Es ist unfair, dass jemand, der jeden Tag
arbeiten geht, unter Umständen mehr Steuern bezahlen
muss als jemand, der, salopp gesprochen, nur einmal am
Tag den Aktienkurs checkt. Deshalb ist es der richtige
Zeitpunkt, sich von der Abgeltungsteuer zu verabschie-
den, wenn das System des automatischen Informations-
austausches den Praxistest bestanden hat, aber auch erst
dann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich versichere Ihnen, dass Sie zu diesem Zeitpunkt die
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sicher an
Ihrer Seite haben werden. Und wenn ich die Zeitungs-
berichte richtig gelesen habe, dann werden Sie an die-
ser Stelle auch den Bundesfinanzminister an Ihrer Sei-
te haben. Von daher glaube ich, dass wir da vielleicht
schneller zu einer Einigung kommen werden, als wir uns
das heute vorstellen können.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bun-
destag beschließt heute ein wichtiges Gesetz im Kampf
gegen internationale Steuerflucht. Dies ist ein großer Er-

Philipp Graf Lerchenfeld






(A) (C)



(B) (D)


folg in Richtung globale Steuergerechtigkeit. Nun gilt es
sicherzustellen, dass alle beteiligten Länder den nächsten
Schritt gehen und verlässliche Systeme zur Erfassung
und Verteilung von Daten entwickeln.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Karibik,
die Schweiz und vielleicht ja auch die britischen Kana-
linseln mögen attraktive Orte zum Urlauben sein. Ich
glaube, wir sind uns aber einig, dass das Geld in Zukunft
weniger auf Reisen gehen sollte und lieber zu Hause blei-
ben und dort ordentlich besteuert werden sollte.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813612700

Vielen Dank. – Gratulation zu Ihrer ersten Rede!


(Beifall – Sarah Ryglewski [SPD]: Vielen Dank!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Debatte.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum automa-
tischen Austausch von Informationen über Finanzkonten
in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6667, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 18/5920 und 18/6290 in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich
jemand? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Bera-
tung einstimmig angenommen worden.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann
ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Manfred Zöllmer [SPD]: Dafür hat die Opposition aber ganz schön Wind gemacht!)


Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu der
Mehrseitigen Vereinbarung zwischen den zuständigen
Behörden über den automatischen Austausch von Infor-
mationen über Finanzkonten. Der Finanzausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6667, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf den Drucksachen 18/5919 und 18/6291 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Stimmt je-
mand dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig ange-
nommen worden.

Wir kommen zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann
ist auch dieser Gesetzentwurf in der dritten Lesung ein-
stimmig angenommen worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zum
Tagesordnungspunkt 11 b. Wir setzen die Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses
auf Drucksache 18/6667 fort.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2014 mit dem
Titel „Die Abgeltungsteuer abschaffen – Kapitalerträge
wie Löhne besteuern“. Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es eine Ent-
haltung? – Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on angenommen worden.

Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf der Drucksache 18/6064 mit dem Titel „Abgeltung-
steuer abschaffen“. Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich
jemand? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition angenommen worden.

Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, emp-
fiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e seiner Beschlus-
sempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/6065
mit dem Titel „Transparenz von Kapitaleinkommen stär-
ken – Automatischen Austausch von Informationen über
Kapitalerträge auch im Inland einführen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthält sich jemand? – Dann ist auch diese Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Opposition angenommen worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir
zum nächsten Tagesordnungspunkt, zum Tagesordnungs-
punkt 12:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Für ein menschenwürdiges Existenz- und Teil-
habeminimum
Drucksache 18/6589
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

Ich möchte auch hier wieder die Kolleginnen und Kol-
legen bitten, die Gespräche in den vorderen Reihen nicht
fortzusetzen, sondern die Plätze einzunehmen, damit wir
in unserer Beratung fortfahren können.

Sarah Ryglewski






(A) (C)



(B) (D)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in die-
ser Debatte hat Katja Kipping von der Fraktion Die Lin-
ke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813612800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der

Hartz-IV-Regelsatz und alle Sozialleistungen, die davon
abgeleitet werden, decken nicht die Mindestbedarfe. Vie-
le Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind, leiden
nicht nur an Armut, sondern auch an materieller Unter-
versorgung. Das äußert sich zum Beispiel wie folgt:

Die Hälfte aller Menschen, die auf Hartz IV angewie-
sen ist, hat Schulden, das heißt, sie haben keinerlei fi-
nanzielle Polster. Wenn also die Waschmaschine oder der
Kühlschrank den Geist aufgibt, ist das für diese Familien
eine mittlere Katastrophe, weil sie nicht wissen, woher
sie das Geld nehmen sollen, um beispielsweise eine neue
Waschmaschine anzuschaffen. Sie haben ein Problem,
nämlich das Problem, dass am Ende des Geldes immer
noch so viel vom Monat übrig ist.

Die Hälfte der Menschen, die auf Hartz IV angewie-
sen ist, hat kein Geld für medizinische Zusatzleistungen.
Wir reden hier nicht über luxuriöse Sonderbehandlungen,
sondern wir reden hier beispielsweise über elementare
Bedarfe wie eine Brille. Wer eine Brille braucht, muss
dafür zusätzlich bezahlen, und das ist für Menschen, die
auf Hartz IV angewiesen sind, ein Riesenproblem.

80 Prozent sagen, sie haben nicht einmal Geld für
eine Woche Urlaub. Nun mögen einige von Ihnen sagen:
Das steht halt Erwerbslosen nicht zu. – Aber rufen wir
uns einmal in Erinnerung, dass davon auch Familien mit
Kindern betroffen sind, und versetzen wir uns doch we-
nigstens eine Minute lang in die Situation von Kindern,
die nach den Ferien wieder in die Schule kommen. Alle
erzählen von den Urlauben, davon, wo sie waren, von
ihren Ferienreisen, und sie selber können nur von dem
Spielplatz vor der eigenen Haustür berichten. Das ist na-
türlich ein Problem.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Oder von einer Klassenfahrt von Berlin nach New York!)


Sie haben bei der Berechnung des Arbeitslosen-
geld-II-Satzes sehr deutlich gemacht, dass für Menschen,
die auf Hartz IV angewiesen sind, ein Essen im Restau-
rant oder in einem Café unterwegs nicht vorgesehen ist
gemäß dem Motto „Na ja, die haben ja Zeit, tagsüber
selber zu Hause zu kochen“. Aber Sie haben dabei eine
Sache außer Acht gelassen: Sich in einem Café auch ein-
mal auf ein Getränk zu treffen, gehört einfach zur gesell-
schaftlichen Teilhabe dazu. Es ist doch nicht nur so, dass
Abgeordnete sich abends zu Absprachen in einem Res-
taurant oder Lokal treffen. Auch Bürgerinitiativen oder
ganz durchschnittliche Vereine treffen sich in Lokalen,
wo ein Verzehrzwang besteht und wo am Anfang gefragt
wird: Was wollen Sie bestellen? Für jemanden, der vom

Hartz-IV-Regelsatz leben muss, heißt das dann: Wenn
er beispielsweise an der Sitzung einer Bürgerinitiative
teilnehmen will, muss er sich das Geld an anderer Stelle
absparen. Das ist verdammt noch mal ein richtiges Pro-
blem. Deswegen sage ich: Der Hartz-IV-Regelsatz bzw.
das Existenzminimum, so wie es hier bestimmt wird, ist
auch ein Angriff auf die demokratische Teilhabe von Er-
werbslosen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ganz offenkundig ist die Unterdeckung bei den Ener-
giekosten. Die Paritätische Forschungsstelle hat errech-
net, dass in den Jahren 2008 bis 2014 die Energiekosten
um 37 Prozent gestiegen sind. Die Regelleistungen sind
aber eben nicht entsprechend angepasst worden. „Die
im Dunkeln sieht man nicht“, so heißt es bei Brecht. Für
so manchen Haushalt ist das eben nicht nur ein Sprach-
bild, nicht nur eine Metapher, sondern bittere Realität.
Es kam im Jahr 2013 immerhin in rund 350 000 Fällen
zu Stromsperrungen. Menschen saßen also wirklich im
Dunkeln.

Halten wir also fest: Die Hartz-IV-Regelsätze sichern
nicht die Bedarfe. Wir als Linke meinen aber: Die Grund-
sicherung muss alle Menschen sicher vor Armut schüt-
zen, muss ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe
gewährleisten. Das muss drin sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Die jetzige Art, das Existenzminimum zu berechnen,
wird diesem Anspruch nicht gerecht. Es gibt theoretisch
drei Methoden: den Warenkorb, bei dem man schaut:
„Was braucht man im Monat zum Leben?“, die Armuts-
risikogrenze, bei der alle Einkommen wie Orgelpfeifen
nebeneinandergestellt werden und man 60 Prozent vom
mittleren Einkommen nimmt, oder die Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe.

Sie von der schwarz-roten Koalition setzen bei der
Ermittlung des Regelsatzes – wie auch die Bundesregie-
rungen davor – auf die Einkommens- und Verbrauchs-
stichprobe. Um es denjenigen zu erläutern, die sich nicht
jeden Tag damit beschäftigen: Die EVS basiert darauf,
dass die Ausgaben von Haushalten über drei Monate
hinweg festgehalten werden. Um den Regelsatz zu er-
mitteln, wird der Mittelwert der Ausgaben der ärmeren
Haushalte genommen, und davon werden – Pi mal Dau-
men – 30 Prozent abgezogen. Dann heißt es: Das ist, was
die Menschen für ihren Lebensunterhalt brauchen.

Diese Methode hat ein grundlegendes Problem: Wenn
die ärmeren Haushalte immer ärmer werden, können sie
sich lebensnotwendige Dinge nicht mehr leisten. Wenn
man einfach stur schaut, was diese Haushalte ausgeben,
dann gibt es keinerlei Sicherheit hinsichtlich des tatsäch-
lichen Bedarfs, da es ja keine Art Bedarfs-TÜV gibt.
Dann weiß man nicht, ob das Geld überhaupt noch für
ein Mindestmaß an Mobilität ausreicht, ob man sich für
das Geld, das die ärmeren Leute für Fahrkarten ausge-
ben, überhaupt noch eine Monatsfahrkarte kaufen kann
oder ob sie vielleicht sowieso schon einplanen, nicht
mehr irgendwohin zu fahren, oder möglicherweise gar in
die Schwarzfahrerei getrieben worden sind. Wir als Lin-
ke sagen deswegen: Die jetzige Form der Berechnung

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


kann nicht weitergeführt werden. Es müssen hier andere
Methoden eingeführt werden. Es braucht beispielswei-
se eine Art Bedarfs-TÜV, damit sichergestellt ist, dass
Mobilität, Zugang zu Gesundheitsleistungen usw. auch
wirklich garantiert sind.

In der Vergangenheit wurde das Existenzminimum
am Ende immer wieder im Hinterzimmer berechnet. Es
ist natürlich politisch gezielt kleingerechnet worden; da
brauchen wir uns nichts vorzumachen. Als Sie von der
SPD noch in der Opposition waren, haben Sie das auch
kritisiert. Wir als Linke meinen: Damit muss Schluss
sein. Sie müssen die Art und Weise, wie Sie das Existenz-
minimum berechnen wollen, vorher transparent machen.
Wir wollen, dass eine Kommission eingesetzt wird, die
sicherstellt, dass kein Mensch in Armut fällt. Wenn es um
das Existenzminimum geht, braucht es mehr Transparenz
und einen sicheren Schutz vor Armut.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813612900

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Christel

Voßbeck-Kayser von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1813613000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kollegen von den Linken, als ich Ihren Antrag
gelesen habe, da wurde mir wieder eines bewusst: Ihre
Denke und Ihr politischer Ansatz sind vollkommen an-
ders als unsere Denke und unser Ansatz.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Stimmt! Wir sind bei den Menschen und setzen uns für die Armen ein! Da haben Sie völlig recht, Frau Kollegin! Sie nicht! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Für uns von der CDU/CSU-Fraktion steht der Sozialstaat
in einer Solidargemeinschaft auf zwei Pfeilern: Es ist für
uns selbstverständlich, Menschen, die der Hilfe bedür-
fen, zu unterstützen; aber es gehört ebenso zu unserem
Verständnis, dass alle, die einen Beitrag zum Sozialstaat
leisten können, ihren Beitrag auch leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Chancengerechtigkeit fördern wir nicht, indem wir
die Hartz-IV-Regelsätze erhöhen. Chancengerechtigkeit
können wir unter anderem erreichen, indem wir Men-
schen eine Perspektive eröffnen,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir brauchen Chancengleichheit, nicht Chancengerechtigkeit!)


nämlich die Perspektive, am Arbeitsmarkt teilzuhaben.
Und wie erreichen wir dies?


(Zurufe von der LINKEN)


– Hören Sie doch mal zu, Frau Kipping. Ich habe Ih-
nen auch zugehört. – Wie erreichen wir dies? Wir haben
6,1 Millionen Hartz-IV-Bezieher. Für sie stehen im Bun-

deshaushalt zurzeit 20,1 Milliarden Euro zur Verfügung;
das sind 900 Millionen Euro mehr als im vergangenen
Jahr. Davon entfallen auf Arbeitsfördermaßnahmen
3,9 Milliarden Euro; das ist, obwohl sich die Arbeitslo-
senzahl verringert hat, der gleiche Betrag wie 2014.

Ich sagte schon: Wir stehen für eine Solidarität mit
Menschen, die unserer Unterstützung bedürfen oder die
in Not geraten sind. Es wurde uns zuletzt im Juli 2014 be-
stätigt, dass die Sozialgesetzgebung und die sozialrecht-
lichen Regelbedarfsleistungen in unserem Land verfas-
sungsgemäß ausgestaltet sind.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade eben noch!)


Das ist doch eine klare Rechtsprechung, ein klares Urteil.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haben Sie mal mit Betroffenen gesprochen?)


– Ja.

Wie ist ansonsten die Situation in unserem Land? Wir
haben 43 Millionen Menschen in Beschäftigung, davon
31 Millionen in sozialversicherungspflichtigen Beschäf-
tigungsverhältnissen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das hätten die Linken nicht hinbekommen!)


Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote und auch die
niedrigste Jugendarbeitslosigkeitsquote. Diese Zahlen
sprechen für wirtschaftliches Wachstum. Das sind Tatsa-
chen, die ermutigen und die nicht betrüben.


(Zuruf des Abg. Norbert Müller [DIE LINKE])


Von daher kann ich Ihren Pessimismus wahrlich nicht
verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben keinen Pessimismus! Wir wollen, dass den Betroffenen geholfen wird! – Norbert Müller (Potsdam)

seren Antrag, und lesen Sie ihn! – Weiterer
Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])

Nehmen Sie doch einfach mal einen anderen Blick-
winkel ein! Diese vielen Menschen in Beschäftigung
sprechen doch für sich, und Menschen in Beschäftigung
wird doch auch eine Teilhabe am gesellschaftlichen Le-
ben ermöglicht.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Schön wär‘s!)


Und dank der guten Finanz- und Wirtschaftspolitik in
den letzten Jahren haben doch auch viele Menschen den
Sprung in Beschäftigung geschafft, auch Langzeitar-
beitslose.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Darüber haben wir uns gefreut!)


Denen haben wir mit arbeitsmarktpolitischen Program-
men eine Perspektive eröffnet. Sie können ihren Lebens-

Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


unterhalt jetzt aus eigenen Kräften und mit eigenen Mit-
teln finanzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Und die Aufstocker? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kein Wort zum Antrag!)


Kollegen von den Linken, in Ihrem Antrag verwässern
Sie erneut Argumente, Begründungen und Sichtweisen
von höchstrichterlichen Instanzen. Ich gehe einmal auf
die Berechnung des Regelbedarfs, auf das Statistikmo-
dell ein. Ich zitiere aus Ihrem Antrag:

Der Ermittlung der Regelbedarfe liegt kein objekti-
ves Verfahren zu Grunde.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, stimmt!)


Fakt ist aber, dass es sich aus Sicht des Bundesverfas-
sungsgerichts folgendermaßen verhält:

Die Festsetzung der Gesamtsumme für den Regel-
bedarf lässt nicht erkennen, dass der existenzsi-
chernde Bedarf … nicht gedeckt wäre.

Vielmehr wird festgestellt


(Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])


– zuhören! –, dass sich der ermittelte Regelbedarf „mit-
hilfe verlässlicher Daten tragfähig begründen lässt“.


(Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])


Da ist doch ganz klar, dass die Zahlen nicht in einem
luftleeren Raum entstanden sind. Es spricht vielmehr da-
für: Das Statistikmodell ist ein transparentes und nach-
vollziehbares Modell, welches das Bundesverfassungs-
gericht sowohl im Februar 2010 als auch im Juli 2014
bestätigt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: Soll-
ten wir uns dieser Frage nach der Höhe der Regelsätze,
über die wir ja jetzt sprechen, nicht mit einer anderen
Betrachtungsweise nähern? Wir leben in Deutschland
in einer Solidargemeinschaft. Die Fragen sollten des-
halb lauten: Wie kann jeder Einzelne seinen Beitrag zu
dieser Solidargemeinschaft leisten? Wie können wir die
Menschen, die der Unterstützung bedürfen, hierbei auch
unterstützen? Denn Solidarität, also das Einstehen für an-
dere, ist ein wichtiger Wert in unserer Gesellschaft und in
unserem Zusammenleben, aber auch für unsere sozialen
Sicherungssysteme.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813613100

Frau Voßbeck-Kayser, Frau Kipping hat eine Zwi-

schenfrage. Lassen Sie die zu?


Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1813613200

Nein, ich möchte weiterreden. Ich habe ihr auch zu-

gehört. – Solidarität ist auch keine Einbahnstraße; denn
Fakt ist doch auch – das müssen wir sagen, wenn wir

über soziale Sicherheit reden –: Es gibt keine soziale Si-
cherheit, die aus himmlischen Quellen finanziert wird.


(Beifall des Abg. Albert Stegemann [CDU/ CSU])


Es gibt sie nur durch Arbeit, durch unsere Schaffenskraft,
durch unserer Hände Arbeit.


(Zurufe von der LINKEN)


Deshalb ist es wichtig, dass wir das Verantwortungsge-
fühl in unserer Gesellschaft fördern und jedem Betroffe-
nen einen Weg in die Eigenständigkeit bieten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte auf einen weiteren Punkt in Ihrem Antrag
eingehen, auf die Gestaltung des Bildungs- und Teilhabe-
paketes für Kinder und Jugendliche. Fakt ist – das zeigt
der Zwischenbericht, der im Juli 2015 vorgelegt wurde –,
dass im Vergleich zum Vorjahr 11 Prozent mehr Kenntnis
von diesem Teilhabepaket hatten


(Norbert Müller „Kenntnis hatten“!)


und auch 11 Prozent mehr es angenommen haben.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viele sind es denn insgesamt?)


– Das sind 45 Prozent.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Noch nicht einmal die Hälfte!)


Sicherlich kann man immer noch besser werden. Die
Zahlen sind faktisch ausbaufähig. Da gebe ich Ihnen
recht. Aber hieran wird – das wissen Sie – gearbeitet.

Wenn der Bericht aufzeigt, dass in der Praxis bürokra-
tische Hürden bestehen,


(Norbert Müller Was sagt denn der Arbeitgeberverband? Auf den hören Sie doch sonst immer!)


dann ist es für uns selbstverständlich, dass wir daran ar-
beiten und uns konstruktive Gedanken machen, wie man
diese Hürden abbauen kann. Wir wollen sie abbauen,
indem wir für die Institutionen vor Ort Rahmenbedin-
gungen setzen, dass sie flexibler und unbürokratischer im
Sinne der Anspruchsberechtigten handeln können.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: „Unbürokratisch“ beim Bildungsund Teilhabepaket? Guter Witz!)


Insgesamt, Kollegen der Linken, empfinde ich es als
unredlich, wenn Sie mit Ihrem Antrag wieder einmal den
Eindruck vermitteln, als würde in Deutschland zu wenig
für Menschen, die der Hilfe bedürfen, getan.


(Norbert Müller ja absurd!)


Die guten arbeitsmarktpolitischen Programme und Maß-
nahmen, die wir in den letzten Jahren hier auf den Weg
gebracht haben,


(Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])


Christel Voßbeck-Kayser






(A) (C)



(B) (D)


waren eine gute Hilfe. Unser Ansatz ist es, Menschen für
den Arbeitsmarkt fit zu machen und nicht für das Ver-
weilen als Leistungsempfänger im SGB II; denn eines ist
klar: Wir Menschen sind nicht geboren zum Nichtstun.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Was unterstellen Sie den Leuten?)


Dass die Jobcenter und die Arbeitsagenturen heute ih-
ren Blick auf die Potenziale der Menschen und nicht auf
ihre Defizite richten, ist doch der richtige Ansatz bei der
Arbeitsvermittlung;


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Erwerbslose haben genug zu tun! Die haben auch genug Arbeit! Denen fehlt das Geld!)


und den gilt es weiter zu stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zusammenfassend, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Fraktion Die Linke, ist zu sagen: Wenn auf eines Ver-
lass ist, dann auf die wiederholten Formulierungen Ihrer
Anträge und Anfragen.


(Norbert Müller Denn auf Sie ist ja kein Verlass! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Weil Sie ja die Realität nicht ändern!)


Das nehmen wir gerne zur Kenntnis. Aber da Sie aus den
Zahlen, wie ich gezeigt und ausgeführt habe, die falschen
Schlüsse ziehen und Ihrer Denke eine Sichtweise zugrun-
de liegt, die wir absolut nicht teilen können,


(Zurufe von der LINKEN)


wird es Sie nicht verwundern, dass wir Ihrem Antrag
heute nicht folgen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir machen da weiter! Wir haben auch andere Themen später durchgesetzt: Abschaffung der Wehrpflicht, Abschaltung der AKWs!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813613300

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe vorhin

schon darauf hingewiesen, dass wir in unserer Geschäfts-
ordnung Instrumente haben, die es jedem Kollegen Ab-
geordneten ermöglichen, in eine Debatte einzugreifen,
etwa durch Zwischenfragen, aber auch durch Kurzinter-
ventionen. – Das als erster Hinweis.

Als zweiter Hinweis: Zwischenrufe sind erlaubt, aber
nicht Begleitreden oder Begleitsätze. Ich bitte darum, das
ein bisschen zu berücksichtigen. Ich halte es für richtig
und notwendig und unterstütze es, dass eine Debatte leb-
haft verläuft; das ist wichtig für das Parlament, damit man
unterschiedliche Positionen kennenlernt. Natürlich kann
man Zwischenrufe machen, aber der kollegiale Umgang
untereinander gebietet es, dass das Instrument als Zwi-
schenruf zu verstehen ist und nicht als Zwischenrede.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Schmidt Ich darf jetzt den nächsten Redner bitten: Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn hat das Wort. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Voßbeck-Kayser, ich rate Ihnen: Schauen Sie sich
die Armutsstatistiken, unter anderem die des Statisti-
schen Bundesamtes, gerade neu erschienen, an. Armut ist
in Deutschland ein Problem, und davor dürfen wir nicht
die Augen verschließen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Für uns Grüne ist die Grundsicherung kein Almosen,
sondern ein Grundrecht. Mittlerweile haben wir da auch
das Bundesverfassungsgericht auf unserer Seite, das in
den letzten Jahren in mehreren Urteilen betont hat, dass
ein Grundrecht und Menschenrecht auf Existenzsiche-
rung aus dem Grundgesetz folgt. Es ist jetzt an der Poli-
tik, dieses Grundrecht auch umzusetzen.

So müssen wir erstens dafür sorgen, dass die Grundsi-
cherung für alle gleich hoch ist. Unter anderem deswegen
wollen wir das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ein kleiner Nebeneffekt davon wäre, dass die Länder und
Kommunen dadurch deutlich entlastet werden.

Zweitens. Es ist notwendig, die immer noch bestehen-
den Lücken im Grundsicherungsnetz zu schließen. Es
geht nicht an, dass Menschen vom Recht auf Grundsi-
cherung ausgeschlossen werden.

Drittens müssen die Sanktionen so reformiert werden,
dass der Grundbedarf immer gesichert ist.

Und viertens muss in der Tat das Grundsicherungsni-
veau angehoben werden. Dass der Regelsatz der Grund-
sicherung zu niedrig ist, das sieht man schon allein da-
ran, dass es in Deutschland zahlreiche Tafeln gibt, die
Lebensmittel an Bedürftige verteilen. Das ist ein Armuts-
zeugnis! Ziel muss es sein, dass die Tafeln überflüssig
werden und alle Menschen ein Recht auf eine Grundsi-
cherung erhalten, die existenzsichernd ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wie sollen wir nun das Existenzminimum bestim-
men? Die Linken schlagen vor, eine Kommission ein-
zurichten nach dem Motto „Wenn ich nicht mehr weiter
weiß, gründe ich einen Arbeitskreis“, und diese Kommis-
sion soll einen Warenkorb vorschlagen. Das ist äußerst
problematisch. Ein Warenkorb ist enorm kompliziert und
manipulationsanfällig,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mindestlohnkommission gibt es auch!)


und Verhandlungen darüber, ob es zur sozialen Teilha-
be gehört, dass ein Mensch alle vier Wochen oder nur
einmal im Jahr ins Kino gehen kann, bringen uns nicht
weiter.

Christel Voßbeck-Kayser






(A) (C)



(B) (D)


Das Warenkorbverfahren wurde Anfang der 90er-Jah-
re abgeschafft – und das war gut so –, und wurde durch
ein Statistikmodell ersetzt. Ziel des Statistikmodells war
es, ein transparentes Berechnungsverfahren zu erhalten,
das nicht manipuliert werden kann. Aber wenn wir ehr-
lich sind: Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Denn auch
beim bestehenden Statistikmodell wurde im Ministeri-
um so lange herumgerechnet, bis eine vorher festgeleg-
te Zahl herauskam. Das Hauptziel des Statistikmodells,
nämlich dass die Berechnung des Existenzminimums
nicht politisch manipuliert werden sollte, ist nach wie vor
nicht erreicht. Das müssen wir ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dafür gibt es mehrere Alternativen.

Eine Möglichkeit wäre – das wird in dem vorliegen-
den Antrag der Linken auch angedeutet –, einfach die Ar-
mutsdefinition zu nehmen, auf die wir uns auf EU-Ebene
geeinigt haben. Es spricht einiges dafür, aber es gibt auch
einige Nachteile. Unter anderem würde sich dadurch die
Leistung für Kinder reduzieren, und das ist durchaus pro-
blematisch.

Wenn wir bei der Berechnung anhand des Ausgabe-
verhaltens von Vergleichsgruppen bleiben, müssten eini-
ge Punkte geändert werden:

Erstens. Die Referenzgruppe muss eine sein, in der
keine Menschen enthalten sind, die selbst Leistungen
beziehen oder einen Anspruch auf Leistungen haben
könnten, so wie das jetzt der Fall ist, weil es sonst zu
Zirkelschlüssen kommt. Alles andere macht methodisch
keinen Sinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens. Bisher ist es so, dass bei den einzelnen Aus-
gabeposten jeweils unterschiedliche Abschläge gemacht
werden, die teils völlig willkürlich sind. Dadurch wird
der Manipulation Tür und Tor geöffnet und dafür gesorgt,
dass kaum jemand durchschaut, was da warum und wie
berechnet wurde. Sinnvoll wäre es, einen einheitlichen
Abschlag auf die Ausgaben zu machen, der vorher fest-
gelegt wird; denn damit könnten nachträgliche Manipu-
lationen verhindert werden.

All das sind normative Entscheidungen, die uns Ab-
geordnete niemand abnehmen kann. Eine objektive Be-
stimmung des Existenzminimums gibt es nicht; das kann
ich Ihnen als Armutsforscher sagen. Da hilft auch nicht
die Gründung einer Kommission weiter, wie es die Linke
vorschlägt. Das müssen wir als Bundestag schon selber
machen. Das verlangt auch das Bundesverfassungsge-
richt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Beim Mindestlohn habt ihr das anders gesehen!)


Wichtig ist, dass wir dabei ein Verfahren finden, das so
einfach und transparent ist, dass es auch jeder und jede
normale Abgeordnete versteht, damit wir hier eine politi-
sche Debatte darüber führen können. Und es ist wichtig,

dass wir als Bundestag im Vorhinein die Methode fest-
legen


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Genau!)


und dann das Statistische Bundesamt den Regelsatz
ausrechnet. Was es nicht mehr geben darf, ist, dass das
Existenzminimum im Nachhinein durch diverse Rechen-
tricks kleingerechnet wird, wie das bei allen bisherigen
Berechnungen passiert ist. Das müssen wir in Zukunft
ausschließen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813613400

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dagmar

Schmidt von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813613500

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beschäfti-
gen uns heute mit einem wichtigen Thema, das den Bun-
destag alle fünf Jahre erneut fordert; denn alle fünf Jahre
werden die Regelsätze für Leistungen des SGB II und
des SGB XII neu festgelegt. Und das ist deswegen ein
wichtiges Thema, weil davon fast 10 Prozent der Men-
schen in Deutschland direkt betroffen sind. Aber eigent-
lich sind es noch mehr; denn mit den Regelsätzen im
SGB II, der Grundsicherung für Arbeitsuchende, und im
SGB XII, der Sozialhilfe, wird auch die Höhe des steuer-
freien Existenzminimums festgelegt, was wiederum alle
steuerpflichtigen Menschen in Deutschland betrifft.

Wo stehen wir gerade? Das Statistische Bundesamt
hat im September dieses Jahres die Datenaufbereitung
zum privaten Verbrauch der Einkommens- und Ver-
brauchsstichprobe von 2013 abgeschlossen. Auf dieser
Basis können nun die Sonderauswertungen vorgenom-
men werden, die die Grundlage für eine Überprüfung
und Neuermittlung der Regelbedarfe bilden. All das läuft
im Rahmen des sogenannten Statistikmodells, das – das
wurde bereits gesagt – das Warenkorbmodell abgelöst
hat, zu dem Sie gerne zurück wollen – wir allerdings
nicht. Ich sage Ihnen auch, warum.


(Beifall bei der SPD)


Eine rein normative Festlegung des Inhalts eines Wa-
renkorbs, das heißt aller notwendigen Güter und Dienst-
leistungen zur Sicherung des soziokulturellen Exis-
tenzminimums sowie ihrer Menge im täglichen und im
monatlichen Gebrauch sowie ihr jeweiliger Preis, führt
zu einer unglaublichen Bandbreite dessen, was als not-
wendig angesehen wird bzw. angesehen werden kann.
Die Überlegungen der Expertinnen und Experten reichen
je nachdem von 132 bis 685 Euro. Das zeigt, dass keine
wirkliche Objektivierung des Bedarfs durch das Waren-
korbmodell gegeben ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn






(A) (C)



(B) (D)


Im Gegenteil: Das Modell lädt dazu ein, als Gesetzgeber
darüber entscheiden zu wollen, wofür Leistungsberech-
tigte ihr Geld ausgeben dürfen und wofür nicht. Es ist
aber nicht unsere Aufgabe, in einer freien Gesellschaft
erzieherisch oder moralisch ein Konsumverhalten oder
eine Lebensweise zu bewerten, sondern es ist unsere
Aufgabe, soziale Teilhabe auch derer zu ermöglichen, die
nicht auf der Sonnenseite stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813613600

Frau Schmidt, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol-

legin Kipping zu?


Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813613700

Klar.


Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813613800

Frau Schmidt, ich freue mich über Ihre Aussage, dass

es nicht unsere Aufgabe ist, da erzieherisch einzuwirken.
Aber ich frage mich, wie diese Aussage von Ihnen mit
der Praxis bei der Berechnung zusammenpasst. Denn es
wurde, wie Sie wissen, von dem reinen Statistikmodell
Abstand genommen, weil man nicht einfach nur gesagt
hat: „Wir legen einmal zugrunde, was die ärmsten Haus-
halte ausgeben“, sondern man auch noch auf die Idee
kam, festzulegen, dass Verzehr im Restaurant nicht un-
terstützt wird, dass das Halten von Haustieren nicht re-
gelsatzrelevant ist, dass ein Weihnachtsbaum nicht regel-
satzrelevant ist und dass Übernachtungen, und sei es auf
einem Campingplatz, nicht regelsatzrelevant sind.

Das heißt, Sie haben auf das Statistikmodell sehr wohl
das Warenkorbmodell angewandt, nur negativ, indem Sie
gesagt haben: Das und das streichen wir. – Das ist natür-
lich, rein über den finanziellen Zwang, eine sehr schwar-
ze Pädagogik, die Sie angewendet haben.

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir in
unserem Antrag sagen: „Wir wollen den Warenkorb als
ein Prüfinstrument nehmen, um sicherzustellen, dass das,
was ausgegeben wird, wenigstens ein Mindestmaß der
entsprechenden Bedarfe garantiert“?


(Beifall bei der LINKEN)



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813613900

Frau Kipping, danke für die Zwischenfrage. – Sie wis-

sen offensichtlich mehr als ich. Sie haben über die Ver-
gangenheit geredet und gesagt, wie das Ergebnis beim
letzten Mal zustande gekommen ist. Ich hoffe, dass wir
hier und heute darüber reden, welche Festlegung wir
beim nächsten Mal wollen. Wir sind gerade dabei, dar-
zustellen – auch ich werde das im Verlauf meiner Rede
noch tun –, welche Grundlage wir sehen, um einen ge-
rechten Regelbedarf zu ermitteln. Insofern wissen Sie,
wie gesagt, entweder schon mehr als ich, oder das war
ein zusätzlicher Beitrag zu der Debatte, die wir in Zu-
kunft, wenn es um die nächste Festlegung geht, führen
werden.

Wie war Ihre zweite Frage? Ich habe sie vergessen.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ist auch besser so! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


– Ja, das gibt mir aber noch ein bisschen Zeit.


Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813614000

Ich nutze diese Gelegenheit jetzt natürlich gnadenlos,

um noch einmal Werbung für unseren Antrag zu machen,


(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Davon wird er nicht besser!)


der vorsieht, dass man den Warenkorb auch als eine Art
Bedarfs-TÜV einzieht, um sicherzustellen, dass die Min-
destbedarfe garantiert werden. Ist das nicht ein großarti-
ger Punkt, dem man eigentlich zustimmen könnte?


Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1813614100

Nein, das ist er leider nicht; dazu hat Herr

Strengmann-Kuhn eigentlich schon alles gesagt. Dann
wird nämlich ausgiebig über jeden Bestandteil des Wa-
renkorbs diskutiert. Egal ob Prüfinstrument oder Grund-
lage, die Debatte ist am Ende dieselbe. Über den Sinn
oder Unsinn jedes einzelnen Bestandteils eines Waren-
korbes zu debattieren, ist, glaube ich, nicht das richtige
Verfahren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Am Statistikmodell wird häufig kritisiert, dass ein an
einem begrenzten Budget orientiertes Ausgabeverhalten
nicht den eigentlichen Bedarf widerspiegelt. Das ist ein
wichtiger Hinweis. Wenn mein Kind neue Fußballschu-
he braucht, um weiter im Verein mitspielen zu können,
dafür aber kein Geld da ist, dann taucht dieser Bedarf
in der Statistik nicht auf. Er taucht auch nicht auf, wenn
die Oma ihm dann die Fußballschuhe schenkt und dies
nachweislich ein Bedarf ist, der zur sozialen Teilhabe
des Kindes beigetragen werden muss, weil diese soziale
Teilhabe eben nichts Abstraktes, sondern etwas Konkre-
tes ist. Deshalb muss man, wenn man das Statistikmodell
anwendet, aufpassen, dass es nicht solche Auswirkungen
hat.

Es ist also Sorgfalt bei der Umsetzung geboten. Das
gilt vor allem bei der Auswahl der Referenzgruppe; dazu
ist schon einiges gesagt worden. So müssen zum Beispiel
alle Transferleistungsbezieherinnen und -bezieher aus
der Stichprobe herausgenommen werden – das sind Auf-
stocker, Arbeitslosengeldbezieher, Wohngeldbezieher
und -bezieherinnen usw. –, da sonst die Gefahr von Zir-
kelschlüssen – sie ist genannt worden – gegeben ist und
man sich dann der Gefahr aussetzt, dass durch Budget-
res triktion der Bedarf nicht mehr widergespiegelt wird;
das Problem habe ich benannt.

Dazu gehört auch die Herausrechnung sogenannter
verdeckter Armut, also der Menschen, die ein Recht auf
Leistungen des Staates hätten, diese aber – meist aus
Scham – nicht in Anspruch nehmen. Eine in der Refe-

Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)


renzgruppe übliche Teilhabe und ein übliches Ausgabe-
verhalten müssen möglich sein.

Manche Menschen sind der Auffassung: Je niedriger
das Existenzminimum, desto größer die Motivation, sich
allein oder mithilfe des Jobcenters aus dieser Lage zu
befreien. Das setzt voraus, dass das für jeden Menschen
möglich wäre. Aber das ist es eben nicht. Die allermeis-
ten Menschen sind unverschuldet arbeitslos oder haben
Hemmnisse, die ihr Leben ohnehin negativ beeinflussen;
wir reden darüber an vielen anderen Stellen.

Das gilt erst recht für diejenigen, die aufgrund von
Alter, Krankheit und Behinderung keine Möglichkeit
haben, an ihrer Situation durch eigenes Handeln etwas
zu ändern. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem
diesen Menschen die Teilhabe am sozialen Leben un-
möglich gemacht wird, in dem Menschen kein Ehrenamt
ausüben können, weil sie die Fahrtkosten nicht aufbrin-
gen oder sich das Getränk in der Vorstandssitzung oder
beim Gesangsverein nicht leisten können.


(Beifall der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da könnte die CDU jetzt auch mal klatschen!)


Der ehemalige Vizepräsident der Bundesagentur für
Arbeit, Heinrich Alt, hat zu den Regelsätzen 2011 Fol-
gendes gesagt – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Prä-
sidentin –:

Nur Lebenskünstler können auf Dauer von 364 Euro
im Monat leben. Als Überbrückung ist das vertret-
bar, aber auf lange Sicht ist Transferbezug men-
schenunwürdig.

Das lehrt auch meine Erfahrung. Ein Jahr lang – das
sagen auch viele der Betroffenen – kann man damit zu-
rechtkommen. Wenn dann aber verschiedene Gebrauchs-
gegenstände, die man zu Zeiten des Erwerbseinkommens
gekauft hat, anfangen kaputtzugehen, wird es eng oder
unmöglich. Deswegen glaube ich, dass wir auch darü-
ber nachdenken müssen, ob verschiedene langlebige
Gebrauchsgegenstände wirklich über Ansparungen oder
Darlehen finanziert werden können.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Höhe der Regelsätze betrifft insbesondere aber die
Kinder. Noch immer ist in unserem Land Realität, dass
nicht Fleiß und Klugheit, sondern die soziale und regio-
nale Herkunft über die Bildungs- und Berufschancen ei-
nes Kindes und Jugendlichen entscheiden. Es darf nicht
sein, dass Kinder beschämt werden, weil ihre Eltern sich
bestimmte Dinge nicht leisten können. Stigmatisierende
und bürokratische Hilfesysteme sind kein Beitrag zur
Chancengleichheit. Hier ist ein besonders großer Hand-
lungsbedarf. Das betrifft sowohl die Kinderregelsätze als
auch das Bildungs- und Teilhabepaket.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Gerdes [SPD])


Es wird gerne das Stereotyp eines Leistungsberechtig-
ten bemüht, der, wenn man ihm Geld in die Hand drückt,
das für seine Kinder gedacht ist, loszieht und Zigaretten

kauft oder auf Pferde wettet. Damit begründet man dann
Sachleistungen und bürokratische Ungetüme. Das Gegen-
teil ist aber nachweislich der Fall: Untersuchungen haben
gezeigt, dass Eltern von ihrem Teil des Regelsatzes Geld
abzweigen, um es ihren Kindern zur Verfügung zu stellen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)


Hier besteht also dringendster Handlungsbedarf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion
Die Linke, Sie haben in Ihrem Antrag wieder einmal die
Forderung nach einer Kommission aufgestellt. Wir ken-
nen das bereits vom Armuts- und Reichtumsbericht. Die
Antwort, die ich Ihnen gebe, ist ähnlich: Dass Sie nicht
regieren und keine Verantwortung übernehmen wollen,
nehmen wir zur Kenntnis.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nix da! Nix da!)


Dass Sie aber auch nicht wollen, dass wir Verantwor-
tung übernehmen, wundert mich schon. Sie wollen lieber
Kommissionen und Experten als einer gewählten Regie-
rung und demokratisch legitimierten Volksvertreterinnen
und Volksvertretern die Verantwortung für solche zentra-
len Entscheidungen in die Hand geben.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie war das noch mal mit dem Mindestlohn?)


Ich persönlich setze auf verantwortliches Regierungs-
handeln und freue mich auf eine muntere, kontroverse
und erhellende Parlamentsdebatte, die wir im kommen-
den Jahr zu diesem Thema sicher führen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813614200

Das Wort hat der Kollege Stephan Stracke für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Jetzt kommt etwas Erhellendes!)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1813614300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Antrag der Linken fällt aus der Zeit. Wir er-
leben heutzutage den größten Flüchtlingsstrom seit dem
Zweiten Weltkrieg. Jeden Tag kommen Tausende Flücht-
linge zu uns nach Deutschland, und sie kommen nicht
deshalb in unser Land, weil es ihnen schlecht geht, son-
dern weil sie gute Lebensperspektiven für sich erwarten.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Die Leute fliehen nicht aus Syrien, weil es hier Hartz IV gibt!)


Deswegen kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass
Sie ernsthaft darüber diskutieren wollen, dass in unserem
Land Menschen „nicht in Würde leben können“, wie Sie

Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)


dies schreiben, „da ihre Existenz nicht ausreichend gesi-
chert ist“.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum gehen die Leute denn zur Tafel? Gehen Sie mal raus in die Realität!)


Es ist bemerkenswert: Die Linken mausern sich nahe-
zu zu einer Drucksachenfabrik. Sie stellen Anträge und
Anfragen bei der Bundesregierung – das ist ja auch in
Ordnung – und erhalten umfassende Antworten darauf.
Sie haben eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt
und am 2. November – sehr schnell – eine Antwort da-
rauf bekommen, und schon am 5. November lag dann Ihr
Antrag auf dem Tisch. Herr Kollege Birkwald, Sie sind
tatsächlich schnell.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber wir sind auch gründlich!)


Aber Schnelligkeit ist ja kein Wert an sich, sondern auf
die Inhalte kommt es natürlich auch immer an. Hier muss
Masse nach Klasse stehen.

Ich denke, Sie sollten durchaus auch einmal Ihre Mit-
arbeiter wertschätzen, die ja wohl meistens die Anträge
schreiben müssen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Aus Wertschätzung entwickelt sich dann auch Wert-
schöpfung. Insofern wäre es sicherlich ganz gut, wenn
Sie hier auch Ihre Mitarbeiter stärker in den Blick neh-
men würden.

Da lobe ich mir die Anträge der Grünen – zwar nicht
immer, aber in den Schattierungen sind sie jedenfalls oft-
mals durchaus besser.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Zum Thema haben Sie nichts zu sagen, oder?)


Ihr Antrag enthält einen paternalistischen Gestus. Sie
wollen ein Kümmern von oben herab: Seien Sie unbe-
sorgt. Ich sorge für dich. Es gibt auch ein paar Euro mehr,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Leuten das Geld zu kürzen, ist ja überhaupt nicht von oben herab!)


und wir treten beispielsweise für eine unbedingte Grund-
sicherung im Alter und Änderungen beim Existenzmini-
mum ein.

Diese Form des Kümmerns hat ja durchaus etwas
Sympathisches, allerdings nur auf den ersten Blick;


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das wird dem Thema nicht gerecht!)


denn dahinter steht ein defizitärer Ansatz. Sie begreifen
den Menschen eher als Fürsorgeempfänger. Dies teile ich
eben nicht. Es gibt auch ein Kümmern, das auf die Kräfte
des Einzelnen abzielt, das insbesondere darauf gerichtet
ist, verborgene oder verschüttete Kräfte zu wecken und
die Potenziale des Einzelnen in den Blick zu nehmen.
Das ist oftmals viel nachhaltiger als alle finanziellen Zu-
wendungen und Gesten von oben herab. Ein Mensch, der

für sich entdeckt, was in ihm steckt, der hat Freude am
Leben, am Gestalten, an der Leistung; er ist leistungs-
fähig und leistungsbereit. Die Kräfte des Einzelnen zu
wecken, ohne ihn gleichzeitig zu überfordern,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Existenzminimum zu tun? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was sagen Sie dem, der 120 Absagen auf Bewerbungen bekommen hat?)


das ist unser Blick auf den Menschen. Und das ist aus
unserer Sicht auch die Aufgabe des Sozialstaats.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb ist auch Ihre Grundthese im Antrag falsch.
Zitat:

Das strategische Ziel der Einführung von Hartz IV
war die Ausweitung des Niedriglohnsektors.


(Norbert Müller Das war so!)


Unser Ziel ist die Entwicklung von Eigenständigkeit
und Eigenverantwortung, die Schaffung von Arbeit und
die Erhöhung von Chancen auf dem Arbeitsmarkt gera-
de für die Menschen, die es schwer haben, die vielleicht
auch geringere Qualifikationen vorzuweisen haben. Die
Erfolge geben uns ja durchaus recht: Die Arbeitslosigkeit
hat sich seit Rot-Grün von deutlich über 5 Millionen im
Jahre 2005 auf aktuell 2,65 Millionen halbiert.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Armut ist nicht gesunken! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Doch, die Armut ist auch gesunken!)


Diese Erfolge sind gut, weil sie den Menschen guttun,
sehr verehrte Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Die Schlacht um die richtige Methodik zur Ermittlung
des Existenzminimums ist geschlagen. Wir haben uns für
das Statistikmodell entschieden. Das Modell ist bewährt
und auch verfassungskonform. Die Kritik der Linken ist
alt und bekannt. Wir haben in den letzten Jahren häufig
und sehr intensiv diese Debatte geführt. Deshalb ist es
müßig, mit Ihnen hier und heute über die richtige Metho-
dik zu diskutieren.

Außerdem ist Ihre Kritik auch scheinheilig. Im Wahl-
programm für die Bundestagswahl 2013 hat Ihre Partei
ein Programm angekündigt, in dem keine Mindestsiche-
rung unter 1 500 Euro liegen soll.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!)


– Ja, das haben Sie.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Kurzfristig müssten die Hartz-IV-Sätze auf 500 Euro er-
höht werden.

Herr Kollege Birkwald, bitte schön.

Stephan Stracke






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813614400

Moment, das Wort erteile immer noch ich. – Zunächst
frage ich, ob Sie bereit sind, eine Frage oder Bemerkung
des Kollegen Birkwald zuzulassen. Das scheint ja der
Fall zu sein.


Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1813614500

Frau Präsidentin, in aller Demut, ja.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813614600

Gut, dann haben Sie das Wort.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813614700

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Frage zu-

lassen.


(Heiterkeit)


Herr Kollege Stracke, wir müssen einmal deutlich sa-
gen: Das, was Sie hier gerade gemacht haben, ist unbil-
lig, wie das so schön im Rechtsdeutsch heißt.


Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1813614800

Nein.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813614900

Man könnte auch sagen: Wer lesen kann, ist klar im

Vorteil. In unserem Wahlprogramm stand natürlich nichts
von 1 500 Euro, sondern dort stand, dass wir anstreben,
dass keine Mindestsicherung unter 1 050 Euro liegt. Ge-
stehen Sie mir zu, dass das eine Differenz von 450 Euro
ist, dass man mit 1 050 Euro gerade so über die Runden
kommt und von 1 500 Euro nicht die Rede war?


(Beifall bei der LINKEN)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1813615000

Herr Birkwald, zunächst zolle ich Ihnen Respekt, dass

Sie das Wahlprogramm zum einen auswendig können
und zum anderen auch noch richtig wiedergeben.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Was steht eigentlich in Ihrem Wahlprogramm?)


Es ist tatsächlich richtig, was Sie sagen. Zitat:

Wir wollen ein Konzept einbringen, in dem keine
Mindestsicherung mehr unter 1 050 Euro liegt.

Allerdings sagen Sie zum gleichen Zeitpunkt, dass der
Hartz-IV-Satz auf 500 Euro erhöht werden soll. Wie Sie
allerdings auf 500 Euro kommen, darüber schweigen Sie
sich natürlich aus. Uns werfen Sie immer Methodikfeh-
ler vor, aber tatsächlich halten Sie sich an keine eigene
Methodik, sondern setzen diese politisch. Darum geht es
mir.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Dazu haben wir einen Erklärfilm gemacht! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das schicken wir Ihnen zu!)


– Wahrscheinlich können wir es dann wieder als Druck-
sache haben.

Letztlich diskreditieren Sie Ihren eigenen Antrag, in-
dem Sie uns Methodikfehler vorwerfen, während Sie sel-
ber welche machen.

Warum wir jetzt wieder eine Kommission brauchen –
die Kollegin hatte darauf hingewiesen –, weiß ich nicht.
Sämtliche Verbände wurden hier richtigerweise einge-
fügt. Auch ein Blick ins Wahlprogramm zeigt, dass – Zi-
tat – „Teile der LINKEN ... das Konzept des bedingungs-
losen Grundeinkommens“ vertreten:

Dieses Konzept wird in der Partei kontrovers dis-
kutiert. Diese Diskussion wollen wir weiterführen.
Wir befürworten auch die Einsetzung einer Enque-
tekommission zum Grundeinkommen im Deutschen
Bundestag.

Es ist schon erstaunlich, dass man in einem Wahlpro-
gramm schreibt, dass man sich noch auf gar nichts geei-
nigt hat und dass man die Diskussion noch weiterführen
muss. Substanzloser geht es kaum.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Wir diskutieren mit unseren Wählern! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diskussionen gibt es ja in der Union gar keine!)


Ich empfehle, sich zunächst einmal parteiintern zu ver-
ständigen. Aber vielleicht haben Sie ja als Fraktion Ihre
Partei schon überholt. Dadurch, dass in Ihrem Antrag von
einem Mindesteinkommen gar nicht mehr die Rede ist,
habe ich eher den Eindruck, dass Sie dieses Ziel aufge-
geben haben, während sich Ihre Partei noch entscheiden
muss, ob sie dafür oder dagegen ist.

Auch die Ausgestaltung des Bildungs- und Teilhabe-
pakets ist verfassungskonform und hat sich im Übrigen
bewährt. Ihre Kritik geht auch hier ins Leere. Die Ausge-
staltung von ergänzenden Bedarfen für Bildung und Teil-
habe wird die Bundesregierung im Rahmen der anstehen-
den Neuermittlung der Regelbedarfe auf der Grundlage
von Sonderauswertungen der Einkommens- und Ver-
brauchsstichprobe 2013 prüfen. Warten wir einfach die
Ergebnisse ab.

Für diskussionswürdig halte ich aus gegebenem An-
lass eher eine finanzielle Obergrenze des Betrags für
mehrtägige Klassenfahrten. Wenn eine Fahrt nach New
York im Umfang von 38 000 Euro für 15 Schüler gezahlt
werden muss, dann zahlt hierfür der Steuerzahler die Ze-
che. Das ist in keinem Fall gerechtfertigt. Ich halte es
auch für unfair denen gegenüber, deren Einkommen bei-
spielsweise knapp oberhalb der Hartz-IV-Sätze liegt und
die eine solche Fahrt aus eigener Tasche zahlen müssten.
Die einen haben eine große Sause, und die anderen ma-
chen lange Gesichter. Das halte ich in der Tat für unfair.


(Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Das ist ja wohl auch nicht die Regel, Herr Kollege!)


Wir führen heute einmal mehr eine Debatte, die uns
keinen Millimeter weiterbringt; das gilt insbesondere für
Debatten, die von den Linken angestoßen werden. Die
Drucksachenfabrik der Linken arbeitet weiter. Gönnen
Sie sich und Ihren Mitarbeitern eine Denkpause, am bes-






(A) (C)



(B) (D)


ten zum Denken. Aber wahrscheinlich ist es einfach so,
dass Ober Unter schlägt. In diesem Fall hat wahrschein-
lich Frau Kipping gesagt: Ich möchte gerne wieder mein
Lieblingsthema diskutieren. – Deswegen glaube ich, dass
wir in diesem Bereich auch in Zukunft noch erhebliche
Diskussionen zu führen haben werden.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber wir reden über Millionen Menschen in diesem Land, die davon betroffen sind!)


Ein herzliches Dankeschön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813615100

Das Wort hat der Kollege Markus Paschke für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1813615200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Manchmal scheint es ziemlich subjektiv zu sein, ob man
ein Verfahren als objektiv betrachtet.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein Philosoph!)


Ich finde, das Verfahren zur Ermittlung der Regelbedar-
fe ist durchaus objektiv. Es ist nämlich nachvollziehbar,
und ihm liegt eine berechenbare Basis zugrunde. Damit
ist das Verfahren objektiv.

Nun kann man allerdings trefflich darüber streiten, ob
die statistischen Grundlagen und die Inhalte für die Be-
rechnung der Regelbedarfe richtig sind. Reden wir also
über die Grundlagen und darüber, ob die bisherigen Re-
geln zur Deckung des Bedarfs ausreichen.

Das Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem
Jahr 2014 hat uns auf Leistungslücken und Unterdeckun-
gen hingewiesen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! So ist es!)


Die Richter haben allerdings den Gesamtbedarf als gera-
de noch ausreichend gedeckt gesehen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade noch!)


Erfahrungen aus der Praxis zeigen aber auch, dass wir
den Zugang zum Bildungs- und Teilhabepaket verbes-
sern müssen. Immer noch werden damit viele Kinder und
Jugendliche nicht erreicht. Ich finde, wir müssen den Zu-
gang zum Paket vereinfachen und von unnötigem Ballast
befreien.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der bürokratische Aufwand schreckt nämlich immer
noch viel zu viele Eltern ab, die Anträge überhaupt zu
stellen. Außerdem werden wichtige Ressourcen der Job-
center mit Anträgen und Bescheiden blockiert.

Für jede Leistung für jedes Kind ist ein Antrag zu stel-
len, sei es nun der Sportverein, die Nachhilfe oder das
tägliche Mittagessen in der Schule. Weniger bürokrati-
scher Aufwand wäre eine effektive Zugangserleichte-
rung.


(Beifall des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/ CSU])


Hier halte ich Bürokratieabbau für sinnvoll.

Der aktuelle Regelsatz von 399 Euro beinhaltet
25,14 Euro für Mobilität. In Berlin kostet eine Monats-
karte für Empfänger von SGB-II-Leistungen 36 Euro. In
meinem Wahlkreis zum Beispiel gibt es aber keinen So-
zialtarif für eine Monatskarte. Dort kostet sie zwischen
37,30 und 66,80 Euro, je nach Strecke. Mobilität ist aber
gerade im ländlichen Raum sehr wichtig.

Viele Bezieher von SGB-II-Leistungen können sich
auch kein Auto leisten. Mobilität ist jedoch eine Grund-
voraussetzung, um Bewerbungsgespräche führen zu kön-
nen, zum Arzt zu fahren, oder auch, um sich mit Freun-
den zu treffen, kurz: um am gesellschaftlichen Leben
teilzuhaben.

Jedem von uns ist klar, dass die Regelbedarfe sehr eng
gerechnet sind. Da bleibt am Ende des Monats kaum et-
was bis gar nichts übrig, um Rücklagen für Unvorherge-
sehenes zu bilden. Grundlegendes wie eine neue Brille,
weil sich die Sehstärke verändert hat, ein neuer Kühl-
schrank oder eine Waschmaschine können zum Problem
werden. Die Kosten dafür übernimmt das Jobcenter näm-
lich nicht. Da sehe ich bei der Berechnung der Regelsätze
durchaus Handlungsbedarf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die SPD hat ein transparentes und sachgerechtes Ver-
fahren als Ziel, realitätsnah und nachvollziehbar. Das
Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung ent-
sprechende Hausaufgaben aufgegeben. Ich denke, diese
arbeiten wir in gewohnter Weise gemeinsam mit unserem
Koalitionspartner ab.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „In gewohnter Weise“! Das ist eine Drohung!)


Sie von der Opposition – auch die Grünen – sind herzlich
eingeladen, sich daran zu beteiligen.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813615300

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6589 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-

Stephan Stracke






(A) (C)



(B) (D)



(Aktienrechtsnovelle 2014)


Drucksache 18/4349

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/6681

Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. – Ich bitte,
die notwendigen Umgruppierungen nun zügig vorzuneh-
men.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1813615400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Schon im
Jahr 2012 hat sich der Bundestag mit der Aktienrechts-
novelle beschäftigt. Der damals beschlossene Gesetzent-
wurf ist der Diskontinuität anheimgefallen. Grund war,
dass zwei Tage vor der Bundestagswahl der Vermitt-
lungsausschuss angerufen wurde, und das wird auch dem
allerbesten Gesetzentwurf zum Verhängnis.

Wir packen dieses Thema jetzt nochmals an. Nachdem
wir zum Thema Delisting schon eine wichtige Neurege-
lung für Aktionäre beschlossen haben, nehmen wir nun
einige wichtige Änderungen im Aktienrecht vor.

Zum einen geht es uns darum, die Finanzierung der
Aktiengesellschaften, vor allem der Banken, zu verbes-
sern. Die Kreditinstitute müssen in bestimmtem Um-
fang Eigenkapital nachweisen. Vorzugsaktien können
heute nicht als kalkulatorisches Eigenkapital anerkannt
werden, weil nach heutiger Rechtslage bei ausbleiben-
den Dividendenzahlungen diese Gewinnausschüttungen
nachzuholen sind. Wird also der Vorzug in einem Jahr
nicht gezahlt, muss dies im Folgejahr nachgeholt werden.
Nur Vorzugsaktien, bei denen der Vorzug nicht nachzahl-
bar ist, können als sogenanntes regulatorisches Eigenka-
pital anerkannt werden. Deshalb ermöglichen wir nun
Vorzugsaktien, bei denen diese Nachzahlung nicht statt-
finden muss. So kann die Vorzugsaktie als Kernkapital
anerkannt werden mit der Folge, dass den Aktiengesell-
schaften mehr Kapital zur Verfügung steht. Wir sprechen
in der Tat über aktienrechtliche Feinschmeckerei; das
will ich bei diesem Thema ausdrücklich einräumen.

Zudem schaffen wir die Möglichkeit für Aktienge-
sellschaften, durch sogenannte umgekehrte Wandel-
schuldverschreibungen vorab Kapitalerhöhungen zu
genehmigen. Bei Wandelschuldverschreibungen kann
der Gläubiger einer Aktiengesellschaft bestimmen,
ob die Aktiengesellschaft eine Anleihe in Geld oder in
Aktien zurückzahlen muss. Bei umgekehrten Wandel-

schuldverschreibungen kann die Aktiengesellschaft nun
bestimmen, ob sie auf die Wandelanleihe das geliehene
Geld oder in Aktien zurückzahlen möchte. Mit dieser
Neuregelung kann das betreffende Unternehmen etwa in
Krisenzeiten statt der Rückzahlung von Geldbeträgen –
was die Liquiditätskrise verschärfen würde – Aktien zur
Schuldentilgung ausgeben und gleichzeitig das Grund-
kapital, also das gezeichnete Kapital, erhöhen. Das ist
richtig; denn es ist sinnvoll, dass bei Finanzproblemen
einer Aktiengesellschaft zunächst die Gläubiger und die
Aktionäre der Bank dazu beitragen müssen, die Krise
zu entschärfen, und nicht der Staat und damit die Allge-
meinheit und der Steuerzahler.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Den Gesetzentwurf haben wir auch zum Anlass genom-
men, eine ziemlich missglückte Definition des gezeichne-
ten Kapitals in den Bilanzierungsvorschriften des Handels-
gesetzbuches zu korrigieren. Nach dieser sachlich falschen
Definition haftet der Aktionär angeblich für Verbindlich-
keiten der Aktiengesellschaft, was aber bei Kapitalgesell-
schaften gerade nicht der Fall ist. Ein Dank für diesen Hin-
weis auf den Reformbedarf geht in meinen Wahlkreis, an
Professor Feist, dem dies aufgefallen ist und der zu Recht
die Korrektur dieser Gesetzesdefinition anregte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor allem aber – dies ist der wichtigste Teil dieses
Gesetzentwurfes – schaffen wir mehr Transparenz bei
den Inhaberaktien. Die internationale Organisation zur
Bekämpfung von Geldwäsche, aber auch die G 8 2013
und das Bundeskriminalamt haben vermehrt darauf hin-
gewiesen, dass die Aktienrechtslage in Deutschland nicht
börsennotierte Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien
für Geldwäsche attraktiv macht. Vor dem Hintergrund,
dass in Deutschland nach einer Schätzung des Internatio-
nalen Währungsfonds etwa 50 Milliarden bis 60 Milliar-
den Euro kriminell erlangte Gelder jedes Jahr gewaschen
werden, müssen wir auf allen Ebenen handeln, um jede
Möglichkeit der Geldwäsche zu verhindern.


(Beifall des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/ CSU])


– Danke, Herr Ullrich.


(Beifall des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/ CSU])


Denn nach heutiger Rechtslage können bei nicht börsen-
notierten Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien die Ak-
tien auf neue Eigentümer übertragen werden, ohne dass
dies nach außen erkennbar ist. Wir schaffen deshalb mehr
Transparenz, indem wir regeln, dass eine Aktiengesell-
schaft Inhaberaktien zukünftig nur dann ausstellen darf,
wenn sie entweder börsennotiert ist – denn in diesem Fall
unterliegen die Gesellschafter den kapitalmarktrechtli-
chen Veröffentlichungspflichten, das heißt, die Aktionäre
müssen mitteilen und sich offenbaren, wenn sie 3 Pro-
zent der Stimmanteile besitzen – oder, falls sie nicht
börsennotiert ist, wenn die Aktiengesellschaft Anspruch
auf Einzelverbriefung ausschließt. Denn dann gibt es nur
eine Sammelurkunde, die bei einer Wertpapiersammel-
bank oder einem Zentralverwahrer verwahrt wird; die

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Identität des Aktionärs kann dann über den Verwahrver-
trag ermittelt werden. Damit ist sichergestellt, dass es
keine nennenswerten Aktienpakete von anonymen Akti-
onären mehr gibt. Dadurch bekämpfen wir Geldwäsche.
Auch deswegen ist dieses Gesetz eine ganz wichtige
Maßnahme.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Diskutiert haben wir schließlich auch, einen Tag fest-
zulegen, an dem im Vorfeld der Hauptversammlung fest-
zustellen ist, wer Aktionär der Aktiengesellschaft ist. Das
ist der sogenannte Record Date. Problematisch ist näm-
lich, dass viele ausländische Aktionäre sich erst in das
Aktienregister ihrer Aktiengesellschaft eintragen lassen
müssen, bevor sie die Hauptversammlung besuchen kön-
nen. Wir möchten nun möglichst vielen Aktionären den
Besuch der Hauptversammlung erleichtern und ermög-
lichen und meinen, dass ein einheitlicher Record Date
möglich ist. Wir wollen eine einheitliche europäische Re-
gelung; denn die Bandbreite in Europa ist groß: In Malta
sind es 30 Tage, in Irland 2 Tage. Deshalb brauchen wir
einen europaweit einheitlichen Stichtag, damit mehr aus-
ländische Aktionäre zu den Hauptversammlungen kom-
men. Wir fordern deshalb in unserem Entschließungsan-
trag genau zu diesem Thema die EU-Kommission auf,
einen Gesetzgebungsvorschlag für einen einheitlichen
Record Date zu unterbreiten; das ist sinnvoll. Wir wol-
len gut besuchte Hauptversammlungen; denn ansonsten
besteht die Gefahr, dass nur Großaktionäre und Hedge-
fonds über die Unternehmensgeschicke bestimmen. Das
können wir alle nicht wollen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Noch ein Wort zu den Änderungsanträgen, die vorlie-
gen. Auch wir von der SPD-Fraktion wollen, dass unver-
hältnismäßig hohe Managergehälter und Gehaltsexzesse
verhindert werden. Auch wir meinen, dass es sinnvoll ist,
dass ein Aufsichtsrat bei der Vorstandsvergütung ein Ver-
hältnis zwischen der Vergütung der Belegschaft und der
Vergütung des Vorstands festsetzt.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmt ihr zu?)


Allerdings sollten wir uns bei solch detaillierten Rege-
lungen auf die wirklich großen Aktiengesellschaften be-
schränken, weil erfahrungsgemäß auch nur dort die Ex-
zesse stattfinden.

Wir freuen uns sehr, dass die Europäische Kommis-
sion in ihrem aktuellen Vorschlag zur Überarbeitung der
Aktionärsrichtlinie genau diesen Ansatz verfolgt. Große
Aktiengesellschaften müssen danach grundsätzlich das
Verhältnis der Durchschnittsvergütung der Mitglieder
der Unternehmensleitung zur Durchschnittsvergütung
der Vollzeitbeschäftigten angeben. Damit haben wir eine
transparente und gerechte Lösung.

Sie sehen: Dieses Gesetz und auch unser Entschlie-
ßungsantrag enthalten viele für die Aktionäre wichtige
und für die Unternehmen sinnvolle Regelungen, sodass
ich Sie um Zustimmung bitte.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813615500

Das Wort hat der Kollege Richard Pitterle für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813615600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Wir beraten heute mit der Akti-
enrechtsnovelle 2014 Änderungen am Aktienrecht. Die
interessierten Zuhörerinnen und Zuhörer werden aber
vermutlich über die Debatte enttäuscht sein. Der Begriff
„Novelle“ lässt im allgemeinen Sprachgebrauch eher
eine umfassende Reform erwarten. Das ist die Aktien-
rechtsnovelle nicht.

Sie präsentiert sich in der klassischen Wortbedeu-
tung als eine einfache Gesetzesänderung. Daran lässt der
Entwurf, fast wie als Entschuldigung für den markigen
Arbeitstitel, keine Zweifel aufkommen. Bereits im ers-
ten Satz heißt es: „Das geltende Aktienrecht bedarf einer
punktuellen Weiterentwicklung.“ Genau das liefert der
Entwurf: feine Drehungen an Stellschrauben.

Auch die Ergänzung des Titels um die Jahreszahl 2014
erweckt einen falschen Eindruck. Das Aktienrecht ist
keine dynamische Materie, die jährlich angepasst werden
müsste. Ganz im Gegenteil: Beständigkeit und Rechtssi-
cherheit sind im Gesellschaftsrecht essenziell. Leider hat
gesetzgeberischer Aktionismus dieses Haus fest im Griff.
Der vorliegende Entwurf ist davon eine erfrischende
Ausnahme: Bereits 2010 erblickte er das Licht der Welt.

Fachleute adelten diese – ich zitiere – „ungewöhnlich
lange Reifezeit“ daher auch unisono mit den Prädikaten
„sachgerecht“, „überzeugend“ und „begrüßenswert“. Gut
Ding braucht eben Weile. Das gilt ganz besonders für das
sträflich vernachlässigte Handwerk guter Rechtsetzung.
Was bleibt aber zu sagen, wenn sich Fachleute einig sind,
dass ein Gesetz gut ist? Dann wird es schwer, mehr als
nur einzelne Änderungen in einer langweiligen Litanei
vorzubeten. Nun ist es aber Aufgabe der Opposition, das
Haar in der Suppe und den Kork im Wein zu finden.


(Beifall des Abg. Harald Petzold [DIE LINKE] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt immer mehr Schraubverschlüsse!)


Sie werden es ahnen: Das haben wir.

Doch zunächst möchte ich eine gute Änderung vor-
stellen. Diese betrifft die Ausgabeform der Aktien. Akti-
en können bisher entweder auf eine konkrete, namentlich
benannte Person ausgestellt werden, oder sie gewähren
denen, die eine Aktie vorweisen können, das Anteilsrecht
am Unternehmen. Diese letztgenannten Inhaberpapiere
haben jedoch einen schlechten Ruf.

Erst kürzlich veröffentlichte die gegen Steuerhinter-
ziehung und Geldwäsche kämpfende Nichtregierungs-
organisation Netzwerk Steuergerechtigkeit den Schat-
tenfinanzindex für das Jahr 2015. Der Index gibt an, wie
attraktiv ein Staat für Steuerhinterziehung und Geld-
wäsche im internationalen Vergleich ist. Und siehe da:
Deutschland ist auf der Liste der attraktivsten Standorte

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


wiederholt auf den ersten Plätzen, neben den Cayman-In-
seln oder Luxemburg.

Verdient haben wir uns diesen unrühmlichen Platz
auch mit der Intransparenz bei Unternehmensbeteili-
gungen. Zwar werden auch bei uns nur noch in Filmen
Koffer mit Geld gegen Aktien auf schlecht beleuchteten
Parkplätzen ausgetauscht. Ausgeschlossen ist es aber
nicht, dass Inhaberpapiere für Steuerhinterziehung und
Geldwäsche genutzt werden. Wer sich anonym an Unter-
nehmen beteiligen kann, muss nicht fürchten, dass sich
Finanz- und Strafbehörden für die Herkunft und die An-
lage des Geldes interessieren könnten.

In Zukunft sollen daher Namenspapiere die Regel und
Inhaberpapiere nur noch unter bestimmten Vorausset-
zungen zulässig sein. Damit erfüllt Deutschland endlich
auch eine Forderung der Arbeitsgruppe für finanzielle
Maßnahmen gegen Geldwäsche bei der OECD.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein Grund, sich im Kampf gegen Steuerhinterziehung
und Geldwäsche entspannt zurückzulehnen, ist diese Re-
gelung allerdings noch nicht. Echte Transparenz wäre
erst hergestellt, wenn alle Anteilseigner unabhängig von
der Rechtsform in einem öffentlich einsehbaren Register
verzeichnet wären,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


nicht anders also, als es jetzt schon für Einzelkaufleute
oder Gesellschafter einer GmbH, OGH oder KG im Han-
delsregister der Fall ist.

Warum können wir dem Gesetzentwurf dennoch nicht
zustimmen? In dem Entwurf findet sich keine Regelung
zu den Managergehältern. In der letzten Legislaturperio-
de scheiterte die Aktienrechtsnovelle am Widerstand der
SPD im Bundesrat wegen unzureichender Regelungen
zu Managergehältern. Vor einem Jahr schimpfte der Vi-
zekanzler noch öffentlich über – ich zitiere – „obszöne“
Managergehälter und kündigte ein Eingreifen der Poli-
tik an. Von einem SPD-geführten Justizministerium, das
den Gesetzentwurf zu verantworten hat, wäre ein solches
Eingreifen mit tatkräftiger Unterstützung des Vizekanz-
lers zu erwarten gewesen, oder? Aber es findet sich kein
Wort zu diesem wichtigen Thema.

Glaubwürdige Politik, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der SPD, bedeutet, in der Regierung das umzu-
setzen, was zuvor als Opposition gefordert wurde.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Daran fehlt es hier erneut. Deshalb können wir uns heute
nur enthalten.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Bartke [SPD]: Kraftvoll enthalten!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813615700

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Dr. Stephan Harbarth das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stephan Harbarth (CDU):
Rede ID: ID1813615800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Pitterle, als ich Ihrer Rede lauschte, habe ich mich schon
auf ein Novum eingestellt. In der ersten Hälfte Ihrer Rede
haben Sie darauf hingewiesen, dass das, was hier vor-
liegt, gut gemacht ist,


(Karin Binder [DIE LINKE]: In Teilen!)


dass man sich das in Ruhe überlegt hat, dass man im Ein-
zelnen abgewogen hat und zu einem handwerklich und
inhaltlich richtig guten Gesetzentwurf gekommen sei.
Ich dachte schon, dass sich Ihre Rede auch als Blaupause
für Rednerinnen und Redner Ihrer Fraktion zu ganz ande-
ren Themen eignen würde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Zu früh gefreut!)


Sie haben zu meinem Bedauern doch noch die Kurve ge-
nommen und gemeint, das berühmte Haar in der Suppe
suchen zu müssen.

Unsere Wirtschaftspolitik ist von der Überzeugung
geprägt, dass es nicht die Aufgabe des Staates ist, in der
Wirtschaft mitzuspielen, sondern dass es Aufgabe des
Staates ist, gleichsam einem Schiedsrichter die Spielre-
geln zu setzen, nach denen das Wirtschaftsleben statt-
findet. Die Setzung des Ordnungsrahmens ist die große
Bedeutung des Wirtschaftsrechts. Das, was wir heute
debattieren und beschließen werden, trägt genau diesen
Maßstäben Rechnung.

Es geht darum, dass der äußere Rahmen der Rechts-
ordnung fortentwickelt wird. Wir haben das vor wenigen
Wochen – Kollege Fechner hat es angesprochen – im Be-
reich des Aktienrechts bereits hinsichtlich des Delisting
getan, weil wir im Bereich des Delisting der Auffassung
waren, dass durch die veränderte Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs die Kleinaktionäre schutzlos gestellt
wurden und dass es Aufgabe des Gesetzgebers war, den
Kleinaktionären angemessenen Schutz zu gewähren. Die
Große Koalition hat gehandelt, und die Große Koalition
handelt hier im Bereich des Aktienrechts erneut.

Es geht in der Tat um punktuelle Fortentwicklungen.
Es geht nicht darum, das Aktienrecht insgesamt neu zu
schreiben. Aber eine Rechtsordnung punktuell fortzuent-
wickeln, ist nichts Illegitimes. Das ist dann das richtige
Vorgehen, wenn die Rechtsordnung im Übrigen gut funk-
tioniert.

Ich möchte stichwortartig einige Bereiche nennen.
Wir erhöhen zum Beispiel die Rechtssicherheit bei den
Veröffentlichungen im Bundesanzeiger. Wir regeln, um
die Praktikabilität der Dividendenausschüttungen zu ver-
bessern, dass künftig Dividendenzahlungen am dritten
Tag nach der Hauptversammlung fällig werden. Wir re-
geln, dass die Pflicht zur Führung eines Aktienregisters
auch bei fehlender Verbriefung der Anteile gilt. Wir klä-
ren Zweifelsfragen hinsichtlich der Vorbesitzzeit und der
Haltefrist. Das sind zugegebenermaßen technische Mate-
rien, aber es sind wichtige Materien. Immerhin haben wir

Richard Pitterle






(A) (C)



(B) (D)


in Deutschland 16 000 Aktiengesellschaften mit Millio-
nen Beschäftigten.

Ich möchte drei Punkte etwas stärker herausgreifen:

Der eine ist die Frage des sogenannten Record Date,
des maßgeblichen Nachweisstichtags vor der Haupt-
versammlung bezüglich des Aktienbesitzes. Der Regie-
rungsentwurf sah noch vor, hier zu einer Harmonisierung
zwischen Namens- und Inhaberaktien zu kommen. Wir
haben das im parlamentarischen Verfahren auch auf Ba-
sis der Sachverständigenanhörung eingehend debattiert.
Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir diese
gesetzliche Veränderung nicht vornehmen, sondern dass
wir den europäischen Gesetzgeber bitten, aktiv zu wer-
den.

Wir bitten deshalb den europäischen Gesetzgeber, ak-
tiv zu werden – auch das hat Kollege Fechner kurz skiz-
ziert –, weil wir in Europa, veranlasst durch eine Richt-
linie aus dem Jahr 2007, im Augenblick 26 verschiedene
Rechtssysteme in 28 Mitgliedstaaten haben und weil wir
vermeiden wollten, dass für internationale Investoren –
viele Aktien deutscher Aktiengesellschaften liegen in den
Händen internationaler Investoren – ein höheres Maß an
Verwirrung geschaffen wird. Wir wünschen, dass der
Record Date europaweit vereinheitlicht wird und dass
dadurch die Ausübung der Aktienrechte in der Hauptver-
sammlung im Sinne einer verbesserten Hauptversamm-
lungspräsenz und damit auch im Interesse eines besseren
und erfolgreicheren Kapitalmarkts erleichtert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insofern werden wir heute über einen entsprechenden
Entschließungsantrag abstimmen, der sich nach Europa
richtet. Wir werden nacharbeiten, damit aus Europa die
entsprechenden Vorgaben kommen.

Lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen,
der uns wichtig ist: Das ist das Thema des Beschluss-
mängelrechts. Im Regierungsentwurf war vorgesehen,
dass die Nichtigkeitsklagen in bestimmten Fällen einer
sogenannten relativen Befristung unterstellt werden. Wir
haben diese Regelung deshalb aus dem Gesetzentwurf
herausgenommen, weil wir der Auffassung sind, dass es
im Beschlussmängelrecht nicht um punktuelle Fortent-
wicklung geht, sondern dass wir auf diesem Gebiet eher
noch einmal eine grundsätzliche, eine breiter angelegte
Diskussion führen müssen.

Wir haben es etwa mit der Situation zu tun, dass in Fäl-
len, in denen ein Beschluss unter einem besonders schwe-
ren Mangel leidet, die Eintragung im Handelsregister nur
auf Klage eines Aktionärs verhindert werden kann, der
den anteiligen Betrag von mindestens 1 000 Euro hält.
Es erscheint durchaus zweifelhaft, ob es wirklich so sein
sollte, dass die Eintragung von Beschlüssen mit beson-
ders schweren Mängeln nur von Aktionären mit einem
gewissen Beteiligungsbesitz verhindert werden kann.

Wir sehen auch, dass etwa die Eintragung eines Be-
schlusses, der unter einem ganz offensichtlichen Man-
gel leidet, der aber nicht besonders schwer ist, im Han-
delsregister zum Teil gar nicht verhindert werden kann.
Deshalb wollen wir jetzt – dementsprechend ist unsere
Bitte an das Bundesministerium der Justiz und für Ver-

braucherschutz – eine breiter angelegte Reform des Be-
schlussmängelrechts anstoßen. Eine solche Reform lässt
sich nicht übers Knie brechen; sie braucht Vorarbeiten.
Wir denken, diese Vorarbeiten sollten rasch in die Wege
geleitet werden.

Wir haben im parlamentarischen Verfahren gerade
für die kleineren und mittleren Aktiengesellschaften, die
nicht mitbestimmt sind, eine weitere Erleichterung vor-
gesehen. Diese Gesellschaften benötigten bisher einen
Aufsichtsrat, bei dem die Zahl der Mitglieder durch drei
teilbar war. Eine sachliche Rechtfertigung dafür gibt es
nicht. Deshalb streichen wir dieses Erfordernis. Der Auf-
sichtsrat muss sich zwar aus mindestens drei Personen
zusammensetzen, wir überlassen es aber den Aktionären
selbst, ob sie einen Dreier-, Vierer- oder Fünfer-Auf-
sichtsrat haben möchten. Das ist unser Verständnis von
Wirtschaftspolitik. Wir geben einen Rahmen vor. Wir
sind aber überzeugt davon, dass die Unternehmer in al-
ler Regel selbst am besten wissen, wie dieser Rahmen zu
füllen ist.

Dies alles vorausgeschickt, denke ich, dass wir das
Aktienrecht jetzt mit der Aktienrechtsnovelle in einer
sachgerechten Weise weiterentwickeln. Es gibt noch
einige weitere Aufgaben, die ungelöst bleiben. Deren
Bewältigung werden wir in Behutsamkeit vorantreiben.
Ich darf Sie um Zustimmung zu dem nun vorliegenden
Gesetzentwurf bitten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813615900

Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813616000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Das Publikum ist etwas zu bedauern;
aber auch diese rechtstechnischen Themen müssen eben
manchmal sein.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde es spannend!)


Schon der erste Anlauf zur Novellierung des Aktien-
rechts vor fünf Jahren war nicht der große Wurf. Inzwi-
schen ist aus dem ursprünglichen Referentenentwurf von
2010 die Aktienrechtsnovelle 2016 geworden. Und diese
ist nun wirklich ein schlankes Gesetz, um nicht zu sagen:
ein Gerippe. Der Entwurf besteht nur noch aus drei sehr
technischen Punkten:

Erstens sollen Aktiengesellschaften künftig Kernkapi-
tal auch durch Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien
bilden können. – Okay.

Zweitens sollen bestimmte Schuldverschreibungen
künftig nicht nur von den Gläubigern, sondern auch von
der Schuldnerin, also der Aktiengesellschaft selbst, in

Dr. Stephan Harbarth






(A) (C)



(B) (D)


Aktien umgewandelt werden können. Das soll in Krisen-
zeiten helfen, eine Insolvenz zu vermeiden. – Auch okay.

Drittens sollen die Beteiligungsverhältnisse bei nicht
börsennotierten Aktiengesellschaften transparenter wer-
den. Insbesondere bei Inhaberaktien dieser Gesellschaf-
ten gibt es keine hinreichende Transparenz hinsichtlich
der Gesellschafter. Das soll jetzt verbessert werden. – So
weit, so gut.

Und jetzt zu dem, was mal drinstehen sollte: Einen
einheitlichen Stichtag, zu dem der Eigentümer einer Na-
mens- bzw. Inhaberaktie feststehen muss, um dann bei
der Aktionärsversammlung stimmberechtigt zu sein,
wird es nicht geben. Hierzu hat die Koalition einen Ent-
schließungsantrag mit dem Ziel eingebracht, zu einem
europäisch einheitlichen Stichtag zu kommen. Und das
macht auch Sinn. – Also auch hier haben Sie unsere Zu-
stimmung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


– Danke sehr.

Ein weiterer Punkt, der ursprünglich vorgesehen war,
nämlich eine Änderung des Beschlussmängelrechtes in
§ 249 Aktiengesetz, wurde ebenfalls im letzten Moment
zurückgenommen. Zur Verhinderung angeblich miss-
bräuchlicher Nichtigkeitsklagen sollte eine Befristung
eingeführt werden. – Auch hier teile ich Ihre Bedenken.
Bevor man eine Kürzung der Klagebefugnis Einzelner
in Kauf nimmt, um einen Missbrauch von Klagerechten
zu verhindern, sollte man überlegen, ob es nicht andere
Wege gibt.

Nun aber zu den wirklich wichtigen Dingen des Le-
bens, die Sie leider ausgespart haben. Dabei geht es ein-
mal um die Vorstandsvergütung. Hier besteht nach wie
vor dringender Handlungsbedarf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es soll zwar eigentlich schon jetzt darauf geachtet wer-
den, dass die Vergütungsstaffelung beim Vorstand nicht
Maß und Bezug zu den Vergütungsgepflogenheiten im
Unternehmen verliert. Dennoch zahlen viele Unterneh-
men ihren Vorstandsmitgliedern das über 100-Fache des
durchschnittlichen Lohnes eines Facharbeiters. Deshalb
braucht es eine gesetzliche Verpflichtung zur Beachtung
dieses Verhältnisses und mehr Transparenz durch Veröf-
fentlichungen im Jahresbericht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Genau das beantragen wir mit unserem grünen Ände-
rungsantrag.

Interessanterweise war es ja so, dass das Gesetz in
der letzten Legislaturperiode noch „Gesetz zur Verbesse-
rung der Kontrolle der Vorstandsvergütung und zur Än-
derung weiterer aktienrechtlicher Vorschriften“ heißen
sollte. Jetzt heißt es nur noch „Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Aktiengesetzes“. Es ist aber höchste
Zeit, Regelungen einzuführen, die den Aufsichtsrat dazu
verpflichten, auch überhöhte Vorstandsgehälter und maß-

lose Abfindungen zu begrenzen und diese auch stärker
am langfristigen Erfolg des Unternehmens auszurichten.
Das geht nur, wenn man die steuerliche Abzugsfähigkeit
beschränkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Denn letztlich werden Managergehälter und -abfindun-
gen über die steuerliche Anrechenbarkeit von der All-
gemeinheit – also von uns allen – mitfinanziert. Darum
beantragen wir mit unserem zweiten Änderungsantrag,
Gehaltszahlungen von mehr als 500 000 Euro jährlich
und Abfindungen von über 1 Million Euro zu nicht ab-
ziehbaren Betriebsausgaben zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollten die Sozis doch auch mal, oder?)


– Ja. So eine begrenzte Abzugsfähigkeit gibt es auch bei
anderen Betriebsausgaben. Sie sind daher, wie manche
behaupten, keine Verletzung des Nettoprinzips.

Nutzen Sie die Gelegenheit, unseren Änderungsanträ-
gen zuzustimmen und Ihr Gesetz zu vervollständigen!

Ein weiteres Problem, das Ihr Gesetz nicht löst, be-
trifft die Berichtspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei
Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung. Um was geht
es? Die Sitzungen des Aufsichtsrates sind nicht öffent-
lich, und es besteht eine Verschwiegenheitspflicht. Eine
Ausnahme gilt für Aufsichtsratsmitglieder, die auf Ver-
anlassung einer Gebietskörperschaft, also einer Kommu-
ne, in den Aufsichtsrat gesandt werden, also bei Gesell-
schaften mit öffentlicher Beteiligung. Die Frage, die sich
bei diesen Aufsichtsräten stellt, ist die nach der Grenze
zwischen Berichtspflicht und Verschwiegenheitspflicht;
denn die öffentliche Hand, die sich an einem Unterneh-
men beteiligt, muss auch kontrollieren können, ob die-
sem öffentlichen Interesse Rechnung getragen wird.

Der vorliegende Gesetzentwurf stellt nun zwar
klar, wie die Berichtspflicht dieser Aufsichtsräte for-
mell-rechtlich begründet werden kann, doch das eigentli-
che Problem, nämlich das Spannungsverhältnis zwischen
Berichtspflicht und Verschwiegenheitspflicht, wird nicht
gelöst. Hier warten wir jetzt mal wieder auf höchstrich-
terliche Rechtsprechung.

Fazit: Ihr Gesetz spart alle Antworten auf die wesent-
lichen Fragen aus und verdient nicht wirklich den Namen
„Novelle“.


(Beifall der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Richard Pitterle [DIE LINKE])


Die technischen Details sind aus unserer Sicht zwar un-
problematisch und sinnvoll, aber für die fehlende Be-
grenzung von Managervergütungen können wir Ihnen
nicht allen Ernstes noch unsere Zustimmung geben.


(Christian Hirte [CDU/CSU]: Sie haben es doch verhindert in der letzten Legislaturperiode!)


Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


Sollten Sie also unseren Änderungsanträgen nicht zu-
stimmen, werden Sie mit unserer Enthaltung leben müs-
sen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813616100

Der Kollege Dr. Volker Ullrich hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1813616200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir feiern in diesem Jahr „50 Jahre Aktienge-
setz“. Das sollte in dieser Debatte auch Anlass sein, zu
formulieren, dass sich dieses Gesetz bewährt hat, nicht
allein wegen der mehreren Hundert börsennotierten Akti-
engesellschaften, sondern auch vor dem Hintergrund von
insgesamt über 14 000 Aktiengesellschaften in Deutsch-
land. Die Aktiengesellschaft ist eine Rechtsform des Mit-
telstands, und deswegen steht sie im Vordergrund unserer
Wirtschaftsrechtspolitik.

Man muss auch formulieren, dass die Aktiengesell-
schaft durch ihre Formstrenge, durch die Leitung durch
Aufsichtsrat und Vorstand einen deutlichen Vorteil ge-
genüber dem monistischen System in der anglo-amerika-
nischen Welt hat; sie hat sich damit bewährt. Deswegen
sagen wir mit Fug und Recht: Eine Aktienrechtsreform
muss nicht das ganze Haus auf den Kopf stellen. Es
handelt sich hier um ein Gesetz, das sich in der Praxis
bewährt hat. Deswegen sind punktuelle Reformen die
richtige Ansage.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])


Wir werden die Beteiligungsverhältnisse transparen-
ter gestalten. Es wird zukünftig nicht mehr möglich sein,
dass eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft ohne
Weiteres Inhaberaktien ausgibt; die Namensaktie wird
zum Regelfall werden. Damit kommen wir auch einer
Empfehlung der OECD nach, die im Jahr 2010 gesagt
hat: Ihr seid nicht gut genug bei der Bekämpfung der
Geldwäsche. Ihr müsst etwas tun im Bereich der Selbst-
geldwäsche. Aber auch bei den Beteiligungsverhältnissen
von Aktiengesellschaften ist noch viel Luft nach oben.

Wir haben hier vor einigen Wochen die Selbstgeldwä-
sche unter Strafe gestellt. Deswegen ist es konsequent,
dass wir heute auch sagen: Wir schaffen mehr Trans-
parenz bei den Beteiligungsverhältnissen. Das ist ein
wertvoller Schritt zur Bekämpfung der Geldwäsche, und
damit stellen wir uns an die Spitze der Länder, die sa-
gen: Wir setzen Vereinbarungen mit der OECD nahtlos
um. – Ich glaube, das sind wir auch dem Kampf gegen
Kriminalität und Geldwäsche schuldig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


Ich möchte noch mit einem Satz oder zwei Sätzen auf
die Frage von Vorstandsvergütungen eingehen. Ja, es gibt
in der Tat Exzesse bei den Vorstandsvergütungen. Es sind
in Deutschland Fälle augenscheinlich, bei denen sich Ar-
beitnehmer zu Recht fragen, weshalb Vorstandsmitglie-
der sehr hohe Summen bekommen, Summen, die mögli-
cherweise wenig mit dem Unternehmenserfolg selbst zu
tun haben


(Richard Pitterle [DIE LINKE]: Herr Winterkorn!)


und die vielleicht auch nicht mehr anständig sind; das ist
gar keine Frage. „Marktwirtschaft“ und „soziale Markt-
wirtschaft“ heißt, dass sich alles in einem angemessenen
Rahmen abspielen soll und dass die Balance zu wahren
ist.

Ich möchte aber daran erinnern, dass vor einigen Jah-
ren schon der § 87 des Aktiengesetzes, der die Grundzü-
ge der Vorstandsvergütung regelt, so reformiert worden
ist, dass die Aufsichtsräte bei der Festlegung der Vor-
standsvergütung nicht nur eine nachhaltige Unterneh-
mensentwicklung zu berücksichtigen haben; es verbietet
sich, auf kurzfristigen Erfolg zu setzen. Vielmehr sind
mehrjährige und langjährige Ziele zu berücksichtigen.
Deswegen sollte die Botschaft des Bundestages an die
Aufsichtsratsmitglieder sein: Berücksichtigen Sie das
geltende Recht! Dann werden Sie eine Vorstandsvergü-
tung bekommen, die auch mit dem im Einklang steht,
was die Menschen erwarten.

Im Übrigen halte ich nichts davon, einem Aktionis-
mus das Wort zu reden. Der Änderungsantrag der Grü-
nen, der formuliert, die Vorstandsvergütung müsse in
einem gewissen Verhältnis zur Vergütung der oberen
Managementkreise und der Belegschaft stehen, schafft
neue Probleme. Was ist das obere Management? Wel-
chen Durchschnittswert setzen Sie bei der Belegschaft
an? Deswegen ist es der wesentlich bessere Schritt, wenn
wir jetzt gemeinsam darauf drängen, dass in der europä-
ischen Aktionärsrechte-Richtlinie hierzu klare Vorgaben
gemacht werden und europaweit verankert wird, dass die
Hauptversammlungen mehr Kompetenzen bekommen
bei der Beantwortung der Frage: Wie viel verdient das
Management? Ich glaube, das ist die klarere Position.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insgesamt haben wir es mit einer sorgsamen und
punktuellen Verbesserung eines Gesetzes zu tun, das sich
bewährt hat. Deswegen darf ich Ihnen dieses Gesetz zur
Zustimmung empfehlen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813616300

Das Wort hat der Kollege Metin Hakverdi für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU])


Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)



Metin Hakverdi (SPD):
Rede ID: ID1813616400

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Gegenstand der heutigen Debatte ist die
Novelle des Aktienrechts. Mit der Novelle wollen wir
das geltende Aktienrecht in einigen Punkten weiterent-
wickeln; viele davon sind schon angesprochen worden.
Dazu gehört erstens die Flexibilisierung der Finanzie-
rung von Aktiengesellschaften. Zweitens sollen die Be-
teiligungsverhältnisse bei nicht börsennotierten Aktien-
gesellschaften transparenter gemacht werden. Drittens
soll das Aktienrecht im Bereich der Aktionärsklagen wei-
terentwickelt werden, und natürlich müssen wir uns mit
der Stichtagsregelung für Namensaktien beschäftigen.

In der Debatte ist bereits zu vielen Punkten Stellung
genommen worden. Ich will mich deshalb auf zwei
Punkte konzentrieren: zum einen auf den Aspekt der
Transparenz bei den Beteiligungsverhältnissen nicht bör-
sennotierter Aktiengesellschaften und zum anderen auf
die Stichtagsregelung bei Namensaktien.

Hinsichtlich der Transparenz bei den Beteiligungs-
verhältnissen nicht börsennotierter Aktiengesellschaften
gilt bisher: Eigentümer ausgegebener Inhaberaktien die-
ser AGs, bei denen sich die Anzahl der Aktien unterhalb
der Schwelle für Mitteilungspflichten gemäß den §§ 20
und 21 Aktiengesetz bewegt, müssen nicht mitgeteilt
werden. Personen, die Inhaberaktien unter dem Schwel-
lenwert erwerben, müssen daher nicht bekannt sein.
Damit muss bei diesen Gesellschaften die Information
über den Gesellschafterbestand nicht vollständig sein.
Dieser Umstand macht diese Gesellschaften übrigens zu
besonders attraktiven Anlageobjekten für Menschen, die
gerne im Verborgenen arbeiten. Das bestätigen auch die
Erkenntnisse des Bundeskriminalamtes. Diesen zufolge
sind solche Aktiengesellschaften für kriminelle Handlun-
gen im Bereich der Geldwäsche besonders anfällig. Die
Ermittlungstätigkeit ist in solchen Aktiengesellschaften
erschwert. Die Vorstände solcher Aktiengesellschaften
können sich heute auf den Standpunkt stellen, dass die
Aktionäre der Aktiengesellschaft gar nicht bekannt sei-
en. Aus rechtlicher Sicht müssen die Vorstände dies auch
nicht wissen. Dieser Zustand hat Deutschland bereits im
Jahr 2010 eine Rüge der Financial Action Task Force on
Money Laundering eingebracht: Diesen Unternehmen
fehle die Transparenz bezüglich ihrer Gesellschafter-
struktur. Es sei nicht gewährleistet, dass die zuständigen
Behörden rechtzeitig an aktuelle Informationen über die
Aktionäre einer solchen Gesellschaft kämen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist bemerkens-
wert, dass trotz der Rüge der Financial Action Task Force
on Money Laundering aus dem Jahr 2010 und der Hin-
weise des Bundeskriminalamtes diese Gesetzesnovelle
unter der schwarz-gelben Koalition in der letzten Wahl-
periode liegen geblieben ist. Ich bin froh, dass wir diesem
Zustand mit diesem Gesetz heute ein Ende setzen. Wir
begrenzen die Möglichkeit, Inhaberaktien auszustellen.
Wir wollen keine intransparenten Eigentümerstrukturen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der zweite Aspekt, den ich ansprechen will, betrifft
die Stichtagsregelung, den sogenannten Record Date.

Der Record Date ist der Stichtag, an dem festgestellt
wird, wer Aktionär und damit in der Hauptversammlung
stimmberechtigt ist. Bisher gilt, dass jede Aktiengesell-
schaft den Record Date selber in ihrer Satzung festlegt.
Wir hatten uns vorgenommen, dies zu ändern. Wir woll-
ten einen einheitlichen Stichtag für alle börsennotierten
Unternehmen mit Namensaktien. Das sollte der 21. Tag
vor der Hauptversammlung sein. Zwei Ziele hatten wir
damit verfolgt:

Erstens. Wir wollten eine Vereinfachung bei der Fest-
stellung der Aktionärseigenschaft für Namensaktien.

Zweitens. Wir wollten damit mehr Beteiligung der
Kleinaktionäre auf den Hauptversammlungen erreichen.

Die Bestimmung von Unternehmensgeschicken darf
nicht allein die Angelegenheit von Großaktionären
und Hedgefonds sein. Wir müssen daran arbeiten, dass
Kleinaktionäre einen einfacheren Zugang zu den Haupt-
versammlungen haben. Die öffentliche Anhörung war
diesbezüglich aber leider ernüchternd. Welcher einheit-
liche Stichtag der richtige ist, konnten wir nicht klären.
Einige haben die Drei-Wochen-Frist favorisiert, ande-
re wollten eine kürzere. Ferner wurde in der Anhörung
deutlich, dass eine Lösung auf EU-Ebene vorzugswür-
diger sei. Daher sollte der Deutsche Bundestag eine eu-
ropäische Lösung anstreben. Wir sollten die Europäische
Kommission auffordern, einen einheitlichen Record Date
für Aktiengesellschaften festzulegen. Das scheint mir
momentan der bessere Weg zu sein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813616500

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Professor

Dr. Heribert Hirte das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1813616600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe verbliebene Zuhörer!


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So schlimm ist die Debatte jetzt auch nicht!)


Was lange währt, wird endlich gut. Es wurde schon ein
paarmal angesprochen: Hier geht es um die Wiederein-
bringung eines Gesetzentwurfs, der als Aktienrechts-
novelle 2011 schon einmal dieses Haus erblickt hatte und
dann liegen geblieben ist. Er ist lange gereift; aber das,
was übrig geblieben ist, Frau Keul, ist kein „Gerippe“.
Das, was hier vorliegt, enthält eine ganze Reihe wich-
tiger und wesentlicher Änderungen des Aktienrechtes.
Diese wesentlichen Änderungen fokussieren zu einem
ganz erheblichen Teil auf Fragen der Verbesserung der
Eigenkapitalausstattung der deutschen Aktiengesell-
schaften. Dass es hiermit am Ende nicht ganz so eilig
war, wie es am Anfang schien, hängt damit zusammen,
dass die Finanz- und Bankenkrise überwunden wurde
und wir es mit vielen anderen Maßnahmen geschafft






(A) (C)



(B) (D)


haben, die damit verbundenen Probleme erst einmal in
den Griff zu bekommen.

Wir fügen jetzt in diesem Bereich ein weiteres Puzzle-
teil ein. Das ist ein weiterer wichtiger Schritt. Es geht um
die Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der Unter-
nehmen. Dabei muss man in Erinnerung rufen: Eigenka-
pital ist, was die Finanzierung von Unternehmen angeht,
der Puffer, der die Verluste auffängt, wenn es zu einer
Krise kommt. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier zur
Stärkung des Eigenkapitals beitragen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir tun das insbesondere bei Kreditinstituten, bei Ban-
ken, und zwar in zwei Bereichen.

Zum einen geht es – Kollege Fechner hat es ein-
gangs schon angesprochen – um die Vorzugsaktien ohne
Stimmrecht. Solche Aktien kann man ausgeben. Jemand,
der ein bisschen mehr Dividende bekommen oder sie ein
bisschen schneller bekommen will als andere – wir stel-
len klar, dass beides möglich ist –, darf nicht abstimmen,
wenn die entsprechenden Vorzüge gezahlt wurden. Im
Augenblick ist es so: Um ein Aufheben des Stimmrechts
zu vermeiden, muss der Vorzug nachgezahlt werden.
Die Vorzugsaktien werden dann im Bankenaufsichts-
recht nicht als sogenanntes regulatorisches Eigenkapital
angesehen, wie es der Kollege Fechner eben zu Recht
bezeichnet hat. Das heißt, hier haben wir – nach unse-
rer Vorstellung – Eigenkapitaltitel, die trotzdem nicht als
Bankeigenkapital angesehen werden. Wir ändern das und
sagen: Der Vorzug muss nicht mehr nachgezahlt werden.
Das ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Bankenbi-
lanzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir machen in diesem Zusammenhang einen zwei-
ten Schritt, nämlich im Bereich der sogenannten Wan-
del- und Optionsanleihen. Was ist das? Unternehmen,
insbesondere Banken, können Anleihen ausgeben; das ist
Fremdkapital. Bisher ist es jedenfalls nach dem Geset-
zestext so, dass es die Gläubiger in der Hand haben, zu
irgendeinem Zeitpunkt zu sagen: Wir switchen rüber, wir
wandeln um und werden dann zu Aktionären. – Aber im
Hinblick auf die Stärkung der Solvenz der Gesellschaften
wäre es wichtig, das dann zu machen, wenn die Banken
es brauchen. Deshalb drehen wir das Wahlrecht jetzt um:
Wir schaffen die Möglichkeit, dass auch die Gesellschaf-
ten, vor allen Dingen die Kreditinstitute, dafür sorgen
können, dass die Gläubiger dann, wenn es nötig ist, wenn
die Aufsichtsbehörden es erzwingen oder verlangen, auf
die Seite des Eigenkapitals geholt werden. Auch das ist
ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Solvenz unserer
Banken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Damit komme ich zu einigen kleineren Punkten. Einer
der Detailpunkte – Frau Keul hat es angesprochen – ist
die Frage, wie Aufsichtsratsmitglieder, die von öffent-
lich-rechtlichen Körperschaften entsandt sind, ihrerseits
Bericht erstatten können. Wir machen auch hier einen
wichtigen Schritt nach vorne, indem wir klarstellen,

wann sie solche Berichte weitergeben können und dür-
fen.

In einem Punkt bin ich völlig anderer Meinung als Sie:
Die Verschwiegenheitspflicht bleibt bestehen, und da be-
darf es auch keiner Klarstellung; denn es ist selbstver-
ständlich, dass Angelegenheiten des Aufsichtsrates an-
schließend nicht öffentlich in irgendeinem Gemeinderat
diskutiert werden können. Das stünde aktienrechtlichen
Prinzipien entgegen.

Ein letzter Punkt: Vorstandsvergütungen. Sie sagen,
wir hätten diesbezüglich noch einiges tun müssen. Wir
haben das in der letzten Legislaturperiode getan. Sie
haben dadurch, dass Sie den Vermittlungsausschuss an-
gerufen haben, blockiert und damit verhindert, dass die
Änderung, die wir am Ende der letzten Legislaturperiode
vorgeschlagen haben, Gesetz werden konnte. Deshalb
können Sie jetzt guten Gewissens zustimmen. Ich hoffe
auch auf die Zustimmung aller anderen zu dem Gesetz-
entwurf.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813616700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Aktiengesetzes. Der Ausschuss für Recht und Ver-
braucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/6681, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4349 in
der Ausschussfassung anzunehmen.

Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstim-
men. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 18/6690? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositi-
onsfraktionen abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 18/6691? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Opposition angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dr. Heribert Hirte






(A) (C)



(B) (D)


Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6681 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Agnieszka Brugger, Katja Keul, Katharina
Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Panzerlieferung nach Katar sofort stoppen

Drucksache 18/6647

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Agnieszka Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Waffen-
exporte seien ein „Geschäft mit dem Tod“. Es ist „eine
Schande“, dass Deutschland der drittgrößte Waffenliefe-
rant dieser Welt ist. Das waren nicht etwa die Aussagen
der Opposition, sondern das waren die Worte des in der
Bundesregierung dafür zuständigen Ministers, des Wirt-
schaftsministers Sigmar Gabriel.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der eigentlich?)


Herr Gabriel hat damit die Hoffnung geweckt, dass sich
in der Rüstungsexportpolitik endlich wirklich etwas än-
dern würde. Nach zwei Jahren muss man bei einer nüch-
ternen Betrachtung seiner Bilanz sagen: Sigmar Gabriel
hat da versagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist gar nicht da!)


Es gibt eine Reihe von Beispielen, die zeigen, dass
eine große Lücke klafft zwischen den schönen, markigen
Ankündigungen und der hässlichen Realität. Nehmen wir
heute das Beispiel „Panzerlieferungen nach Katar“.


(Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zur Geschäftsordnung)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813616800

Kollegin Brugger, ich bitte Sie einen kleinen Moment

um Geduld. Frau Kollegin Haßelmann, Sie müssen den
Antrag zur Geschäftsordnung gar nicht stellen. Ich habe
vor, die Sitzung zu unterbrechen.

Zur Klarstellung für alle Kolleginnen und Kollegen:
Uns erreichte vor wenigen Minuten die Nachricht, dass
der Minister auf dem Weg aus dem Haushaltsausschuss
hierher ist. Deshalb habe ich im Vertrauen darauf, dass er

es schafft und ihm sich keiner in den Weg stellt, die De-
batte eröffnet. Ich ging davon aus, dass der Minister nach
der Grußformel der Kollegin Brugger hereineilt. Das ist
ihm offensichtlich nicht gelungen. Ich bitte Sie, Kollegin
Brugger, um Entschuldigung dafür, dass das jetzt so ist,
wie es ist.

Ich unterbreche die Sitzung, bis der Herr Bundesmi-
nister hier im Saal ist,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Der ist gar nicht zitiert worden!)


und eröffne die Debatte dann neu.


(Unterbrechung von 18.11 bis 18.19 Uhr)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813616900

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Es wird eine Umbesetzung in der Redeliste geben.
Das heißt, die SPD-Fraktion wird in dieser Debatte als
Redner den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär
Beckmeyer benennen, er wird als Zweiter sprechen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn die Mehrheit im Haushaltsausschuss?)


Es ist eine ungewöhnliche Praxis, dass das jetzt von hier
vorne verkündet wird, aber wir wollen jetzt nicht noch
mehr Zeitverzug durch eine Übermittlung all der techni-
schen Daten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Debatte ist eröffnet. Das Wort hat die Kollegin
Agnieszka Brugger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Waf-
fenexporte seien ein Geschäft mit dem Tod; es sei eine
Schande, dass Deutschland der drittgrößte Waffenliefe-
rant der Welt ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist keine Aussage, die aus einer Rede der Linken oder
der Grünen hier im Bundestag stammt, sondern das hat
der für Rüstungsexporte federführende Minister Sigmar
Gabriel nach Amtsantritt gesagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Er hat damit die Hoffnung geweckt, dass sich bei der
Rüstungsexportpolitik endlich wirklich etwas ändern
könnte und würde. Nach zwei Jahren muss man, wenn
man nüchtern seine Bilanz betrachtet, feststellen: Sigmar
Gabriel hat da eindeutig versagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Es gibt eine Reihe von Beispielen dafür, dass eine sehr
große Lücke klafft zwischen dem, was er schön und mar-
kig ankündigt, und dem, was die hässliche Realität ist.
Heute beschäftigen wir uns mit den Panzerlieferungen
nach Katar. Sigmar Gabriel hat 2014 bei seiner großen
Rüstungsexportrede vor der DGAP – das war, wohlge-
merkt, vor dem Jemen-Krieg – gesagt, Panzerlieferungen
in den arabischen Raum seien nicht zu rechtfertigen. Nun
hätte er die Chance gehabt, seine Worte wahrzumachen
und diesen Panzerdeal zu stoppen, den Schwarz-Gelb
2013 auf den Weg gebracht hat. Das hat er aber nicht
gemacht. Da fragt man sich schon: Gilt sein Wort noch,
oder hat er seine Meinung geändert?

Meine Damen und Herren, statt die Genehmigung zu
versagen, kam es dann zu einem sehr ungewöhnlichen
Vorgang. Wir Abgeordnete haben aus der Süddeutschen
Zeitung erfahren, dass uns in den nächsten Tagen ein
Brief aus dem Wirtschaftsministerium zugeht. Ich über-
spitze das jetzt ein bisschen, aber sinngemäß stand da
drin, man hätte die Genehmigung zur Auslieferung ver-
sagen können, aber das Auswärtige Amt, geführt von
Herrn Steinmeier, und das Bundeskanzleramt seien da-
gegen gewesen, Sigmar Gabriel schon irgendwie dafür.
Dann wird in dem Brief noch darauf hingewiesen, dass
es in diesem Zusammenhang auch sehr hohe Schadens-
ersatzforderungen gegeben hätte. Ich finde, so einfach
kann Herr Gabriel sich hier nicht aus der Verantwortung
stehlen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, die deutschen Gesetze
sehen vor, dass die Exportgenehmigung für Kriegswaf-
fen jederzeit widerrufen werden kann. Sie ist sogar zu
widerrufen, wenn die Gefahr besteht, dass diese Waffen
bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere ei-
nem Angriffskrieg verwendet werden. Da fragt man sich
schon – diese Frage würde ich gerne Herrn Gabriel stel-
len, aber auch den anderen Kolleginnen und Kollegen
aus dem Kabinett, die im Bundessicherheitsrat sind –:
Was kann denn mehr darunterfallen, als wenn ein Land
Teil einer von Saudi-Arabien geführten Kriegsallianz
wird, die den Jemen in die Steinzeit zurückbombt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
was hat es mit Sicherheitspolitik zu tun, wenn Deutsch-
land Panzer an einen Staat liefert, der für die grausame
Gewalt im Jemen mitverantwortlich ist und gerade ange-
kündigt hat, mit noch mehr Bodentruppen hineingehen
zu wollen? Was hat es mit Sicherheitspolitik zu tun, ei-
nem Staat deutsche Waffen zu liefern, der billigend dabei
zuschaut, wenn einflussreiche Personen aus dem Land
heraus den ISIS-Terror finanziell unterstützen? Was hat
es mit Menschenrechtspolitik zu tun, wenn man mit Ka-
tar ein Land beliefert, das eine verheerende Menschen-
rechtsbilanz hat? Ich finde, das sind drei sehr gravierende
Gründe, dieses schmutzige Geschäft zu verhindern; denn

es ist sicherheitspolitisch wahnwitzig und verantwor-
tungslos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der Stopp der Rüstungsexporte nach Russland im
letzten Jahr hat ja gezeigt, dass es möglich ist, wenn der
politische Wille dazu da ist. Aber offensichtlich hatte
die Bundesregierung nicht den politischen Willen dazu,
und offensichtlich konnte sich auch Vizekanzler Sigmar
Gabriel hier nicht durchsetzen.

Meine Damen und Herren, es ist schlimm genug, dass
der Panzerhersteller bei Rücknahme der Genehmigung
für diesen Waffendeal mit deutschem Steuergeld entschä-
digt werden müsste. Aber das ist immer noch besser, als
sich durch die Lieferung von deutschen Waffen an der
Aufrüstungsspirale und der Gewalt im Nahen und Mittle-
ren Osten mitschuldig zu machen. Sigmar Gabriel sollte
vielleicht weniger Reden schwingen und weniger schöne
Worte machen, er sollte vielmehr in den zwei Jahren da-
für sorgen, dass endlich Schluss ist mit einer Rüstungsex-
portpolitik, die Frieden, Sicherheit und Menschenrechte
immer wieder den Gewinninteressen einzelner deutscher
Waffenkonzerne opfert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813617000

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Uwe

Beckmeyer.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


U
Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1813617100


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Kaum ein Thema bewegt die beunruhigten Bür-
gerinnen und Bürger zurzeit stärker als die Flucht von
Millionen von Menschen aus einigen Kriegs- und Kri-
senregionen. In dieser Situation ist es unverantwortlich,
mit falschen Behauptungen Stimmung zu machen. Dazu
gehört auch der Vorwurf an die Bundesregierung, sie tra-
ge mit Waffenlieferungen zur Verstärkung von Krisen
und zur Flucht von vielen Menschen bei.


(Bundesminister Sigmar Gabriel betritt den Plenarsaal – Unruhe)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813617200

Ich habe jetzt erst einmal die Uhr angehalten, Herr

Beckmeyer. Ihnen geht jetzt also keine wertvolle Rede-
zeit verloren.

Selten ist ein Bundesminister mit so viel Freude und
durch ein so zahlreich herbeigeeiltes Auditorium frakti-
onsübergreifend begrüßt worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


U
Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1813617300


Herr Minister, bitte übernehmen Sie!


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813617400

Sie bleiben jetzt bitte am Redepult, Kollege

Beckmeyer. Wir üben hier jetzt sicherlich ein ungewöhn-
liches Format, aber es ist ja nicht ausgeschlossen, dass
wir uns mit diesem Thema auch im Weiteren wieder im
Plenum beschäftigen. Ich appelliere an die natürlich sehr
wichtigen Mitglieder des Haushaltsausschusses, bei der
Neuauflage dieser Debatte Rücksicht auf die Interessen
des Plenums zu nehmen, dieses Thema hier entsprechend
zu behandeln


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und es dem Herrn Bundesminister zu ermöglichen, hier
beim nächsten Mal darüber zu sprechen, wozu er natür-
lich das Recht hat.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und jetzt hat Herr Beckmeyer das Wort!)


Ich denke, es ist für alle ein großer Gewinn, wenn wir
jetzt dem Kollegen Beckmeyer nicht nur zu Ende lau-
schen, sondern wenn auch der Herr Bundesminister das
zur Vertiefung dieser Debatte und dieses Themas mit-
nimmt, was hier zu diesem Tagesordnungspunkt gesagt
wird.


(Sigmar Gabriel, Bundesminister: Mal sehen, ob das stimmt, was er sagt!)


Bitte.

U
Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1813617500


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir finden
es böswillig, den Eindruck zu erwecken, die Bundesre-
gierung bewerte den Profit von Waffenherstellern höher
als die politische Stabilität in den Krisenregionen dieser
Welt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Aber leider ist das wahr!)


Wir, diese Bundesregierung und ich – das will ich an
dieser Stelle auch sagen –, ärgern uns schon darüber, dass
aktuell immer noch Ausfuhrgenehmigungen von Vorgän-
gerregierungen mitzutragen sind, die erst jetzt zur Ab-
wicklung kommen. Das betrifft unter anderem auch die
Panzerlieferungen nach Katar.

Die Vorgängerregierung hat bereits im Jahr 2012
politisch über die Lieferung nach Katar entschieden
und im Jahr 2013 auch die Genehmigung nach dem
Kriegswaffenkontrollgesetz für die Ausfuhr von 62 Le-
opard-2-Kampfpanzern und 24 Panzerhaubitzen sowie
entsprechender Munition erteilt. Über diesen Fall wur-
de also von der Vorgängerregierung politisch, aber auch
rechtlich entschieden. Die aktuelle Bundesregierung soll

nun dafür in Misskredit gebracht werden, weil ihr der
Vollzug und die Berichterstattung darüber obliegen.

Der Bundesminister für Wirtschaft selbst, denke ich,
hätte die Genehmigung für die Lieferung nach Katar ak-
tuell nicht erteilt. Er hat innerhalb der Bundesregierung
erneut eine Abstimmung zu diesem Fall angestoßen, um
zu klären, ob die Entscheidung der Vorgängerregierung
aufrechterhalten werden soll. Dabei wurden im Rah-
men der maßgeblichen außen- und auch sicherheitspo-
litischen Bewertung die Gründe abgewogen, die für und
gegen einen Export der Waffen sprechen. Ebenso wurde
berücksichtigt, dass sich das exportierende Unternehmen
im Vertrauen auf die Genehmigung vertraglich gebunden
und auch entsprechende Investitionen für die Produktion
getätigt hat.


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Uns kommen die Tränen!)


– Dann nehmen Sie ein Taschentuch.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nach intensiver Erörterung ist die Bundesregierung zu
dem Ergebnis gekommen, dass die Lieferungen weiter-
hin außen- und auch sicherheitspolitisch zu rechtfertigen
sind.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerhört!)


Hier geht es nicht zuletzt auch um die Verlässlichkeit
Deutschlands im Hinblick auf einmal getroffene Ent-
scheidungen, gerade wenn andere Nationen darin beson-
deres Vertrauen gesetzt haben.


(Zuruf von der LINKEN)


Allerdings war für das Bundesministerium dabei ent-
scheidend, dass wir eine Zusicherung der katarischen
Regierung erhalten, dass gelieferte Panzer nicht in den
aktuellen Krisenherden der Region, besonders im Jemen,
eingesetzt werden.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich aber beruhigt! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Zusicherung haben wir auch erhalten.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am 09.11. haben Sie die erhalten! – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Fall zeigt deutlich, wie die Genehmigungspra-
xis der alten Bundesregierung heute noch fortwirkt und
rechtliche Bindungen für die Zukunft erzeugt. Deshalb
hat sich der Bundesminister für Wirtschaft in seiner
Amtszeit immer dafür starkgemacht, dass die aktuelle
Bundesregierung eine restriktive Rüstungsexportpolitik
auch in der Praxis lebt.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir ja jetzt erlebt!)







(A) (C)



(B) (D)


Lassen Sie mich exemplarisch auf die Verabschiedung
der Kleinwaffengrundsätze und die geplante Einführung
von Post-Shipment-Kontrollen hinweisen, womit das
Bundesministerium für Wirtschaft ein Zeichen in diesem
Sinne gesetzt hat.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Warum tun Sie sich diese Rede an?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813617600

Das Wort hat der Kollege Jan van Aken für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813617700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Gabriel, die Rede war super vorgetragen, aber inhaltlich
echt schwach.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben sagen lassen, Sie hätten diese Genehmigung
für Panzerlieferungen nach Katar nicht erteilt. Ich sage
Ihnen: Sie haben sie aber erteilt, egal mit welcher Ent-
schuldigung Sie uns jetzt hier plattreden wollen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es bleibt dabei: Sie haben eine Panzerlieferung nach Ka-
tar genehmigt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Gut so!)


Das ist genau der gleiche Sigmar Gabriel, der noch vor
einem Jahr wörtlich hier in Berlin vor der gesamten
Hauptstadtpresse gesagt hat, dass sich die Lieferung von
Leopard-Panzern in den arabischen Raum – ich zitie-
re – „nicht rechtfertigen ließe“. Da haben Sie recht, Herr
Gabriel.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Lieferung ist durch nichts, aber auch gar nichts zu
rechtfertigen. Sie war vor einem Jahr schon falsch, und
Sie wissen, dass sie heute noch viel falscher ist; denn
Katar ist das Land, das jetzt auch mit deutschen Waffen
den Jemen zurück in die Steinzeit bomben will, das im
Jemen jetzt möglicherweise auch mit deutschen Waffen
die Menschen, die Zivilisten angreift, vernichtet, ver-
treibt und verletzt. Das haben Sie mit zu verantworten,
wenn Sie das jetzt genehmigen. Deutlicher kann man
doch gar nicht zeigen, dass, wenn ein Minister sagt, er
finde es falsch, und es trotzdem genehmigt, das gesamte
System der Waffenexportkontrolle in Deutschland über-
haupt nicht funktioniert. Sonst hätten Sie es jetzt nicht
genehmigt.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihr zentrales Argument ist: Ich habe es gar nicht ge-
nehmigt, es war die Vorgängerregierung, und es hätte
sonst Schadensersatz gezahlt werden müssen. Das ist
der entscheidende Punkt. Es geht hier um Geld und nur
um Geld. Ihr Argument ist: Es gibt für jeden Export von
Kriegswaffen zwei Genehmigungen. Die eine hat die
Vorgängerregierung – noch mit der FDP – erteilt; das ist
richtig. Aber die zweite Genehmigung haben Sie jetzt er-
teilt. Und Ihre lauwarme Entschuldigung ist: Wenn ich
sie nicht erteilt hätte, hätte es eine Schadensersatzforde-
rung der Firma gegeben. – Dazu möchte ich Ihnen jetzt
zwei Dinge sagen:

Erstens. Na und? Herr Gabriel, wo ist das Problem?
Wenn es eine Schadensersatzforderung der Panzerbauer
gibt, dann sollen die Panzerbauer doch klagen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Und wenn am Ende wirklich Schadensersatz gezahlt
werden muss, dann ist es eben so. Denn eines ist doch
klar: Irgendwer wird hier verlieren. Entweder verlieren
wir eine Stange Geld, oder die Menschen im Jemen ver-
lieren ihr Leben. Und ich fasse es nicht, dass Sie sich
für das Geld entschieden haben. Das, Herr Gabriel, ist
unmoralisch!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Was ist das für ein System, in dem Sie eine
Waffenexportgenehmigung, die ja noch nicht einmal ab-
schließend war – vielmehr war ja nur der erste Teil ge-
nehmigt –, nicht mehr widerrufen können? Das ist doch
ein schlechter Witz. Die Panzerfirma hat sich ihre Kun-
den selbst ausgesucht. Es ist doch die Schuld der Panzer-
firma, sich eine Diktatur als Kunden auszusuchen. Wenn
dann der Diktator einen Krieg anfängt, dann muss es
doch möglich sein, dass eine deutsche Bundesregierung
eine Genehmigung zurückzieht.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn es heute tatsächlich so ist – ich weiß es nicht;
ich bin Biologe, kein Anwalt –, dass eine deutsche Bun-
desregierung in diesem Fall Schadensersatz zahlen müss-
te, dann ändern Sie die Kriegswaffenexportgesetze.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es kann doch nicht wahr sein, dass es ein Recht darauf
gibt, Waffen in einen Krieg zu liefern, dass man eine
Entscheidung nicht rückgängig machen kann, auch wenn
sich Jahre später die politische Situation ändert. Die Bun-
desregierung muss immer das Recht und die Möglichkeit
haben, eine Waffenexportgenehmigung zu widerrufen:
zu jedem Zeitpunkt – Punkt, aus, Ende – und ohne jede
Zahlung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Ihnen fehlen juristische Kenntnisse!)


Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer






(A) (C)



(B) (D)


Im Übrigen bin ich der Meinung – das wissen Sie
mittlerweile –, dass Deutschland überhaupt keine Waffen
exportieren sollte. Aber eines ist an diesem Fall völlig
klar geworden: dass Ihr System der Waffenexportkon-
trolle nicht funktioniert. Sie müssen endlich einsehen, so
wie das mittlerweile auch die Grünen erkannt haben,


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


dass dieses Exportkontrollsystem der rot-grünen Koali-
tion so nicht funktioniert. Wenn Sie die Zahl der Waf-
fenexporte wirklich reduzieren wollen – ich glaube, Sie
wollen das –, dann müssen Sie punktuelle Exportverbote
erlassen. Daran führt kein Weg vorbei.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813617800

Sigmar Gabriel hat für eine Kurzintervention das

Wort.


Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1813617900

Frau Präsidentin! Herr Kollege van Aken, ich will nur

die Behauptung zurückweisen, dass diese Entscheidung
etwas mit Schadensersatzklagen zu tun hatte.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre ja noch schlimmer!)


Richtig ist, dass es eine nach dem Kriegswaffenkontroll-
gesetz geltende Ausfuhrgenehmigung gibt, die von der
alten Bundesregierung erteilt wurde. Diese Genehmi-
gung gilt fort.


(Zuruf von der LINKEN: Die kann man zurückziehen!)


– Nein, diese kann man eben nicht einfach zurückziehen.
Dazu müssen Sie erst einen Beschluss fassen, den wir
nicht gefasst haben.


(Widerspruch bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813618000

Zurzeit hat überwiegend Sigmar Gabriel das Wort.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Danach hat der Kollege Jan van Aken die Möglichkeit,
auf diese Kurzintervention zu reagieren. Dann geht es in
der Debatte weiter. Ich bitte, das so zu respektieren.


Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1813618100

Also, die gesamte Argumentation, Herr van Aken, es

stehe die Androhung einer Schadensersatzklage ins Haus
und deswegen hätten wir nicht entschieden, ist sachlich
falsch.

Wir haben entschieden, weil wir eine rechtliche Be-
urteilung vorgenommen haben, nämlich dass die Geneh-
migung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz nachwirkt
und dass wir deshalb die AWG-Genehmigung zu erteilen

hatten. Dies haben wir im Bundessicherheitsrat bespro-
chen.

Ich weise ausdrücklich zurück, dass dabei Geldfra-
gen eine Rolle gespielt haben. Die Möglichkeit, eine
Entscheidung nach dem KWKG zurückzunehmen, ist
durchaus vorgesehen. Wir handeln auch nicht auf der
Grundlage von rot-grünen Erlassen oder Verordnungen,
sondern es gibt zwei Gesetze, nach denen wir handeln.
Diese Möglichkeit hätte sich dann ergeben, wenn sich
zwischen dem Genehmigungszeitpunkt, also 2013, und
heute die Lage grundsätzlich geändert hätte.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Das hat sie trotz der Situation im Jemen nicht, weil Ihre
Behauptungen über die Aktivitäten Katars im Jemen nicht
der Realität entsprechen. Wir haben das geprüft. Hätte es
hier eine Möglichkeit gegeben, dann hätten wir versucht,
diese KWKG-Genehmigung rückgängig zu machen.

Sie mögen eine andere rechtliche Beurteilung haben;
das steht Ihnen frei. Aber dann müssen wir uns über
rechtliche Beurteilungen unterhalten. Die Unterstellung,
die Bundesregierung oder wir hätten aus finanziellen Er-
wägungen die Genehmigung nicht rückgängig gemacht,
ist sachlich falsch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813618200

Zur Erwiderung hat der Kollege Jan van Aken das

Wort.


Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813618300

Tja, Herr Gabriel, was soll ich jetzt glauben? Ich höre

Ihnen zu und bin sogar versucht, Ihnen zu glauben. Ich
habe hier in der Hand aber einen Brief, den Ihr Staats-
sekretär, Herr Machnig, uns allen am 22. Oktober 2015
geschrieben hat.


(Sigmar Gabriel [SPD]: Das hat auch eine Rolle gespielt!)


Da steht auf Seite 2, zweiter Absatz – ich zitiere –:

Im Rahmen dieses Prozesses waren allerdings eini-
ge Ressorts trotz der veränderten politischen Rah-
menbedingungen nicht bereit, vor allem aus rechtli-
chen Gründen und

– hören Sie zu –

den damit verbundenen Schadenersatzansprüchen,
die KWKG-Genehmigung zu widerrufen.

Wenn jetzt Herr Gabriel hier behauptet, das hat mit
Geld nichts zu tun, dann lügt entweder er jetzt, oder Herr
Machnig hat mich vor zwei Wochen angelogen. Ent-
scheiden Sie sich!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gab in Ihrem Beitrag gerade auch einen zweiten
sachlichen Fehler. Denn – Sie haben völlig recht – es gibt

Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


zwei Genehmigungen. Das eine ist die Genehmigung
nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Sie war erteilt.
Mit einer KWKG-Genehmigung alleine darf niemand
eine Kriegswaffe ausführen. Das reicht nicht für eine
Ausfuhr, Herr Gabriel. Man braucht immer noch eine
zweite Genehmigung. Das ist die Genehmigung nach
dem Außenwirtschaftsgesetz. Diese Genehmigung lag
nicht vor. Das heißt, wenn Sie keine KWKG-Geneh-
migung erteilt hätten, hätte die Panzerfirma gar nichts
machen können. Insofern hätte auch nichts widerrufen
werden müssen. Sie hätten einfach gar nichts zu tun brau-
chen, aber dazu waren Sie nicht in der Lage, weil es auch
um Schadensersatzansprüche ging. Damit haben Sie eine
ganz schwache Leistung hingelegt, Herr Gabriel.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813618400

Wir machen anders weiter als bisher geplant, aber ganz

streng nach unserer Geschäftsordnung und nach Recht
und Gesetz. Nach unserer Geschäftsordnung haben Mit-
glieder der Bundesregierung jederzeit die Möglichkeit
und das Recht, sich zu Wort zu melden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


– Moment, ich bin noch nicht fertig. Ich will nur für alle
Beteiligten ganz klar erklären, was jetzt hier geschieht.
Das liegt nicht im Ermessen, sondern ist ganz klar ge-
regelt. Danach wird es nicht nur für den noch vorgese-
henen Redner der CDU/CSU-Fraktion, sondern für alle
Fraktionen die Möglichkeit geben, sich auch dazu ent-
sprechend zu verhalten. Wir werden dann mit den Par-
lamentarischen Geschäftsführern klären, wie die zweite
Runde abläuft.

Das Wort hat der Bundesminister Sigmar Gabriel.

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Herr Kollege van Aken, ich werde jetzt notfalls von
dem Recht, aber ich glaube, auch der Pflicht der Bundes-
regierung Gebrauch machen, jeweils dann zu intervenie-
ren und mich in dieser Debatte zu Wort zu melden, wenn
Sie aus meiner Sicht die Tatsachen verdrehen.

Sie haben den Brief korrekt vorgelesen. Darin steht:
Die Bundesregierung war der Überzeugung, dass es
rechtswidrig gewesen wäre, die KWKG-Genehmigung
zu widerrufen. Es ging um Schadensersatzforderungen
wegen eines rechtswidrigen Verhaltens. Das ist etwas
völlig anderes, als zu sagen: Ihr habt Angst vor Scha-
densersatzansprüchen gehabt; deswegen habt ihr das
nicht gemacht.

Eine Regierung wird doch wohl noch über die Fra-
ge reden müssen, Herr van Aken, ob sich eine Entschei-
dung rechtmäßig vollziehen lässt oder nicht. Wenn man
als Regierungsmitglied oder als Bundesregierung weiß,
dass man eine rechtswidrige Entscheidung trifft und da-
raus ein Schadensersatzanspruch erwächst, dann aller-
dings verstößt man gegen seinen Amtseid. Denn man

soll Schaden vom deutschen Volk abwenden. Das ist der
Hintergrund.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sie unterstellen eine moralische Illegitimität des Ver-
fahrens wegen einer Angst vor Schadensersatzforderun-
gen. Ich wiederhole – Sie mögen eine andere Auffassung
haben –: Wir waren an die alte KWKG-Genehmigung
gebunden.

Übrigens ist auch Ihre Darstellung falsch, eine
AWG-Genehmigung könne sozusagen völlig frei entzo-
gen werden. Wir hätten vielmehr die KWKG-Genehmi-
gung zurückziehen müssen, um die AWG-Genehmigung
neu verweigern zu können. Dazu sahen wir uns rechtlich
nicht in der Lage.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum geht es dann bei Russland?)


Deswegen haben wir das so gemacht. Ich finde, das muss
man sauber erklären und darf nicht den Eindruck erwe-
cken, wir würden sozusagen aus Angst vor der Rüstungs-
industrie den Schwanz einziehen. Darum ging es nicht,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


sondern es ging darum: Im Kern hat die alte Regierung
eine Entscheidung getroffen, die aus meiner Sicht falsch
war. Aber so ist das nun einmal: Man ist dann rechtlich
gebunden.

Übrigens bin ich auch in der Lage, noch ein paar an-
dere Entscheidungen früherer Regierungen zum Beispiel
zum Thema Kleinwaffen zu erläutern, bei denen wir
bis heute versuchen, uns zu weigern, sie zu vollziehen.
Daran waren Sie nicht beteiligt, aber der Antragsteller
beispielsweise bei einer Viertelmillion G36 nach Sau-
di-Arabien. Auch da versuchen wir, das zu verhindern,
was Vorgängerregierungen – im Jahr 2003 leider auch
mit Beteiligung meiner Partei – auf den Weg gebracht
haben. Aber rechtlich sauber muss sich jede Regierung
verhalten, ob es einem politisch passt oder nicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813618500

Damit für alle durchsichtig ist, wie wir weiter ver-

fahren: Ganz planmäßig hat jetzt gleich der Kollege
Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort. Danach werden die anderen Fraktionen die Mög-
lichkeit haben, auf den Minister zu reagieren, und zwar
mit jeweils maximal vier Minuten Redezeit.

Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch für die
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1813618600

Danke, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten Da-

men und Herren! Liebe Kollegen! Ich freue mich, dass

Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


der Minister das noch einmal klarstellen konnte. Damit
sind diesbezüglich alle Punkte aus der Welt.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Ich will vor allen Dingen für die Zuschauer, die uns
hier und vor dem Fernseher zuhören, deutlich machen,
dass die Welt eben nicht nur schwarz-weiß ist und dass es
entgegen dem Eindruck, den Sie von den Grünen und der
Linken zu erwecken versuchen, keinesfalls so einfach ist,
als ob man mit Plastikeimerchen oder Speisekartoffeln
handelte. Vielmehr ist alles bei uns hochgradig reguliert.
Rüstungsexportpolitik ist bei uns rechtlich einwandfrei
geregelt.

Wie ist das geregelt? Dem Ganzen liegen die Politi-
schen Grundsätze der Bundesregierung für den Export
von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in der
aktuellen Fassung vom 19. Januar 2000 zugrunde. Kanz-
ler war zu diesem Zeitpunkt Gerhard Schröder; der Au-
ßenminister war Joseph Fischer. Jede Rüstungsexport-
genehmigung ist eine Einzelfallentscheidung. Gemäß
Außenwirtschaftsgesetz und Außenwirtschaftsverord-
nung ist die Ausfuhr aller Rüstungsgüter genehmigungs-
pflichtig. Rüstungsexporte werden grundsätzlich nicht
genehmigt, wenn der hinreichende Verdacht besteht,
dass mit den Rüstungsgütern interne Repressionen oder
sonstige Menschenrechtsverletzungen verübt werden;
das zeigt auch der Prozess, der gerade geschildert wurde.

Die Prüfung und die Genehmigung der Ausfuhr von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern obliegen
dem Bundessicherheitsrat, der geheim tagt. Den Vorsitz
hat die Bundeskanzlerin inne. Weiterhin gehören dem
Sicherheitsrat der Vizekanzler, die Minister der Vertei-
digung, des Auswärtigen, des Innern, der Justiz, der Fi-
nanzen, für Wirtschaft und Energie, für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung sowie der Chef des
Bundeskanzleramts an. Der Regierungssprecher und der
Generalinspekteur der Bundeswehr nehmen ebenfalls an
den Sitzungen dieses Rates teil. Weitere Mitglieder der
Bundesregierung oder andere Personen können hinzu-
gezogen werden. Das alles zeigt – genauso wie dieser
erneute Abwägungsprozess –, dass der Sachverhalt von
allen Seiten beleuchtet und nicht nur eindimensional be-
trachtet wird. Vielmehr wird die Angelegenheit als Gan-
zes in ihrer sicherheitspolitischen, außenpolitischen und
technologiepolitischen Dimension beleuchtet. Daraufhin
wird eine verantwortliche Entscheidung gefällt.

Die Ausfuhrgenehmigung ist kein formeller Akt. Es
besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Ausfuhrge-
nehmigung bei Kriegswaffen. Vielmehr sind zahlreiche
Gesetze und Vereinbarungen zu beachten; diese wurden
schon genannt. Es handelt sich dabei im Einzelnen um
das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen, das
Außenwirtschaftsgesetz über Exporte von Kriegswaf-
fen und sonstige Wirtschaftsgüter, den Verhaltenskodex
der Europäischen Union für Waffenausfuhren und die
Prinzipien zur Regelung des Transfers konventioneller
Waffen der OSZE. Gerade der Export an Nicht-EU- und
Nicht-NATO-Staaten wird, wenn sie nicht zu den be-
freundeten Staaten gehören, äußerst restriktiv gehand-
habt. Eine Genehmigung wird nur in Ausnahmefällen
erteilt. Im Rahmen dieser restriktiven Genehmigungspra-

xis für Drittländer können legitime Sicherheitsinteressen
solcher Länder im Einzelfall für die Genehmigung einer
Ausfuhr sprechen. Ich erinnere an die Diskussion, die wir
über die Küstensicherung geführt haben. Es ist das legiti-
me Recht eines jeden Staates, seine Küste zu sichern und
damit einen Beitrag gegen Piraterie zu leisten, um einmal
ein sehr fassbares Beispiel zu nennen. Weitere Beispiele
sind die Bekämpfung des internationalen Drogenhan-
dels, die Abwehr von Terrorismus sowie das Interesse der
Staatengemeinschaft an der Freihaltung von Seewegen.

Zum konkreten Fall: Im März 2013 – das wurde schon
angesprochen – hat die Bundesregierung unter Beach-
tung der erwähnten Grundsätze eine Ausfuhrgenehmi-
gung für 62 Leopard-2-Panzer und 24 Panzerhaubitzen
nach Katar erteilt, Auftragswert 2 Milliarden Euro. Die
erste Tranche wurde jüngst ausgeliefert.

Rüstungsexporte sind dabei kein Mittel der Wirt-
schaftspolitik, sondern eher ein außenpolitisches Inst-
rument. Vermeintliche Schadensersatzansprüche – das
hat der Minister deutlich gemacht – treten hier gegen-
über den sicherheitspolitischen Erwägungen zurück. Das
zeigt doch der Fall Russland. Die Auslieferung des Ge-
fechtsübungszentrums für Russland ist gestoppt worden,
unbeschadet der Möglichkeit von Schadensersatzforde-
rungen, weil die erneute Beurteilung der sicherheitspoli-
tischen Lage dazu Anlass gegeben hat.

Die erneute Überprüfung, die seitens des Wirtschafts-
ministeriums angestoßen wurde, führte dazu, dass im
Ergebnis die Genehmigung erteilt wird. Es handelt sich
bei Katar natürlich nicht um eine Demokratie rechtsstaat-
licher Prägung; das wissen wir nun alle. Aber es handelt
sich nicht um einen Schurkenstaat. Die deutsch-katari-
schen Beziehungen auf politischer, wirtschaftlicher und
kultureller Ebene sind traditionell gut. Es gab hochrangi-
ge Staatsbesuche in beide Richtungen in den zurücklie-
genden Jahren. Die Bundeskanzlerin war in Katar, um-
gekehrt sind wir hier vom Emir im April 2013 besucht
worden. Zuletzt besuchte der katarische Außenminister
Khalid bin Mohammed Al-Attiyah im August 2013 und
im März 2014 Berlin. Bundeswirtschaftsminister Gabriel
war im März dieses Jahres zu Besuch in Katar. Erst im
September war das katarische Staatsoberhaupt Emir
Scheich Tamim in Deutschland und führte Gespräche mit
dem Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin.

Auf der Homepage des Auswärtigen Amtes – das ist
Teil dieser Gesamtabwägung, die hier vorgenommen
worden ist – heißt es nicht umsonst:

Aufgrund seiner engagierten Außenpolitik ist Ka-
tar auch in vielen regionalpolitischen Fragen für
Deutschland ein wichtiger Partner.


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein sicherer Drittstaat! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So ist Katar Teil der internationalen Koalition gegen den
IS. Wir beobachten natürlich mit Sorge die Entwicklun-
gen auf der arabischen Halbinsel. Wir müssen sehen,
dass al-Qaida dort einen ihrer Hauptschwerpunkte eta-
bliert hat und sich der IS ebenfalls zu etablieren beginnt.

Klaus-Peter Willsch






(A) (C)



(B) (D)


Die Spuren der Attentäter auf die Redaktion von Charlie
Hebdo führen bezeichnenderweise in den Jemen.

Katar ist Teil einer Koalition von arabischen Staaten
und Golfmonarchien, die sich militärisch an dem Kon-
flikt im Jemen beteiligen; auch unsere NATO-Partner
USA, Frankreich und Großbritannien unterstützen den
Golfkooperationsrat. Katar hat – das ist eben dargestellt
worden – nicht aktiv an den Kampfhandlungen teilge-
nommen. Es beschränkt sich auf Grenzsicherung, logis-
tische Dienstleistungen und Ähnliches. Es liefert keine
Kampfausrüstung ins Krisengebiet. In Bezug auf den
Leopard 2 ist ausdrücklich erklärt worden, dass es weder
beabsichtigt noch militärisch sinnvoll oder gar technisch
möglich wäre, diese Panzer jetzt im Jemen einzusetzen.
Diese Erklärung ist abgegeben worden.

Ich weiß nicht, wie sich der eine oder andere einen
Panzer vorstellt. Ich selbst bin Kommandant des Flak-
panzers Gepard gewesen. Das ist kein Roller, auf den
man sich einfach setzen und mit dem man dann losfahren
kann. Das ist ein Hochtechnologieprodukt, wozu man et-
was mehr braucht. Es ist aus meiner Sicht völlig legitim,
dass Katar eine Armee, ein Heer nach unserem westli-
chen Vorbild aufbauen möchte, um das eigene Territori-
um zu verteidigen.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen wen?)


Wir haben Katar sogar empfohlen, eine geordnete Streit-
macht und keine Milizverbände aufzubauen. Es gab
mehrfach Konsultationen zwischen dem Verteidigungs-
ministerium und den Kataris in den vergangenen Jahren
dazu.

Wir können feststellen, dass unsere Rüstungsprodukte
für den Aufbau eines solchen Heeres gesucht sind. Wir
waren nicht die Einzigen, die sich beworben haben. Wir
wissen natürlich auch, dass wir mit Katar weiter reichen-
de Beziehungen haben: Die Kataris sind Investoren in
wichtigen Industrieunternehmen. Sie sind dort gern gese-
hen. Es ist schon ein bisschen bigott, auf der einen Seite
die Investitionen für richtig zu halten, auf der anderen
Seite aber andere Entscheidungen nahezulegen.

Im Jahr 2022 wird in Katar die Fußballweltmeister-
schaft ausgerichtet. Ich glaube, dass wir, wenn wir in der
Welt mit einer sinnvollen Außenpolitik unterwegs sein
wollen, nicht mit all unseren Vorstellungen, wie Rechts-
staat und Demokratie aussehen sollten, in allen Ländern
dieser Welt erfolgreich sein können.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es langsam richtig interessant! Erzählen Sie doch mehr davon!)


Katar bekommt die Panzer auf den Hof gestellt. Wir wah-
ren unseren Einfluss, weil die logistische Kette natürlich
weiterhin zu uns reicht. Munition für die Panzer gibt es
in Katar nicht. Wir haben insofern durch die Zusammen-
arbeit in dieser Frage der Ausrüstung die Möglichkeit,
weiter in dieser Region einen stabilisierenden Einfluss
auszuüben. Wir sind auch nicht alleine: Großbritanni-
en, Frankreich, Italien, Holland, Österreich, Schweden,
Finnland und Griechenland sind beteiligt. Die Ausbil-
dung der Panzerfahrer wird in Griechenland stattfinden.

Sie alle wissen, dass wir als Deutsche unsere Rüstungs-
exportpolitik immer mit großer Selbstbeschränkung aus-
geübt haben. Im Vergleich zu anderen Staaten wie den
USA, Russland, Frankreich oder Großbritannien gibt es
bei uns keine institutionalisierte staatliche Rüstungsex-
portagentur. Wir betreiben kein aktives Marketing.


(Zuruf der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE])


Wir wissen, dass sich unsere Produkte gegen die Kon-
kurrenzprodukte durchgesetzt haben. Das ist auch ein
Punkt, weshalb man auf unsere Spitzentechnologie stolz
sein kann.

Die Franzosen liefern – der Vertrag ist in Anwesenheit
des französischen Präsidenten unterschrieben worden –
24 Rafale-Kampfflugzeuge. Unsere britischen Verbünde-
ten haben eine enge militärische Zusammenarbeit. Die
USA, unser wichtigster NATO-Verbündeter, unterhalten
in Katar einen ihrer weltweit größten Luftwaffenstütz-
punkte.

Insofern müssen wir Entscheidungen in ihrer Mehrdi-
mensionalität sehen. Dazu ist das Instrumentarium, das
wir eingerichtet haben – mit dem Bundessicherheitsrat,
mit der Einbindung der verschiedenen Ressorts –, der
richtige Weg. Insofern halte ich für unsere Fraktion noch
einmal fest, dass dieses Projekt vertretbar ist, dass es
richtig ist, auch vor dem Hintergrund unserer Überlegun-
gen, wo wir zukünftig unsere Schwerpunkte in den Tech-
nologiefeldern, was Verteidigung anbelangt, setzen wol-
len. Dazu gehören ausdrücklich gepanzerte Plattformen.
Mit den paar Panzern, die wir in Deutschland abnehmen,
kann man natürlich keine Innovation erzielen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813618700

Herr Kollege.


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1813618800

Wir sind geradezu auf den Export angewiesen, wenn

wir unseren eigenen Soldaten, die wir in den Einsatz
schicken, das richtige Material und modernes Gerät ge-
ben wollen.

Ich sehe, dass die Präsidentin nachhaltig klingelt, um
mich zum Ende zu ermahnen. Dem will ich nachkom-
men.

Vielen Dank für die Geduld. Ich bedanke mich für die
Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813618900

Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813619000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Außenminister Gabriel!


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Klaus-Peter Willsch






(A) (C)



(B) (D)


– Da sehen Sie einmal, wie es mit der Zuständigkeit ist.
Wir Grüne fordern, die Zuständigkeit für die Rüstungs-
exporte an das Auswärtige Amt zu übertragen. Das war
wohl ein Freud‘scher Lapsus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nichtsdestotrotz freue ich mich, dass wir hier die
Gelegenheit haben, noch einmal ein paar Dinge klar-
zustellen. Jeder Kriegswaffenexport muss drei Hürden
nehmen; das sind: der Vorbescheid – das läuft im Bun-
dessicherheitsrat –, die Genehmigung nach dem Kriegs-
waffenkontrollgesetz und die Genehmigung nach dem
Außenwirtschaftsgesetz. In diesem Fall war es so, dass
im Juli 2012 der Bundessicherheitsrat sich damit be-
fasst hat und einen Vorbescheid erteilt hat. Das alles
läuft geheim; darüber erfahren wir nichts. Dann waren
die Kataris im März/April 2013 bereit, den Kaufvertrag
zu unterschreiben. Das Unternehmen meldet sich beim
Wirtschaftsministerium und sagt: Jetzt gilt es. Es muss
ganz schnell gehen. – Innerhalb von zwei Wochen wird
die Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz
erteilt. Das war im Mai 2013, und der Kaufvertrag wird
unterschrieben. Das ist der entscheidende Punkt für das
Unternehmen. Deswegen ist Krauss-Maffei Wegmann
mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit gegan-
gen und hat es bekannt gegeben. Die Einzigen, denen das
in keinem Exportbericht bekannt gegeben worden ist, ist
das Parlament, bis heute nicht. Das ist ein Skandal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zu Katar muss man sagen: Es ist eine Insel mit
1,2 Millionen Einwohnern, von denen gerade einmal
200 000 Kataris sind. Der Rest sind Dienstboten und
Bauarbeiter. Diese 200 000 Kataris teilen sich jetzt
62 moderne Leopard-Kampfpanzer. Wenn sie die hinter-
einander parken, ist die Insel quasi dicht.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was passiert dann? Es passiert eine ganze Weile
nichts. Es kommt eine neue Bundesregierung, es fin-
den Bundestagswahlen statt, und jetzt kommt das, was
kommen muss, nämlich jetzt soll ausgeliefert werden. Es
kommt der Antrag, die Genehmigung nach dem Außen-
wirtschaftsgesetz zu erteilen.

Herr Minister Gabriel, wenn ein Antrag vorliegt,
dann entscheidet man. Was soll denn ein Antrag, bei
dem die Bundesregierung – angeblich – überhaupt kei-
nen Entscheidungsspielraum mehr hat? Einen solchen
Antrag könnte man sich doch komplett schenken. Natür-
lich ist es so, dass, wenn Sie den Antrag ablehnen, die
KWKG-Genehmigung fortbesteht, und das ist natürlich
das Problem; denn dann stehen Schadensersatzansprüche
im Raum. Das steht sogar so im KWKG-Gesetz. Des-
wegen geht es hier um 1,8 Milliarden Euro; das finde
ich schon schlimm genug. Aber Sie haben es heute noch
schlimmer gemacht; denn Sie haben uns gesagt, es gehe
Ihnen nicht um diese 1,8 Milliarden Euro, sondern Sie

fänden schlichtweg, die außenpolitische Lage habe sich
nicht geändert. Das finde ich noch viel abstruser.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn es denn so ist, dass die KWKG-Genehmigung
verbindlich ist, weswegen Sie überhaupt keinen Ermes-
sensspielraum mehr haben, dann kann man daraus nur
zwei Forderungen ableiten:

Erstens. Wir brauchen in Zukunft in den Rüstungsex-
portberichten an die Parlamente, vor allen Dingen an uns,
Angaben über die Genehmigungen nach dem Kriegswaf-
fenkontrollgesetz; denn diese Angaben sind die entschei-
denden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir wollen, dass sich in Zukunft die Bundesregierung,
die eine solche Genehmigung erteilt hat, vor dem Bun-
destag rechtfertigt. Wir wollen nicht, dass die Stellung-
nahme durch die nachfolgende Bundesregierung erfolgt,
die dann sagt: Wir können nichts dafür; das war die vor-
herige Regierung. – Dieses System kann so nicht fortbe-
stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Darüber hinaus ist das auch aus außen- und sicher-
heitspolitischen Gesichtspunkten unverantwortlich.
Das heißt, wir müssen das Gesetz so ändern, dass die
KWKG-Genehmigungen in Zukunft vorbehaltlich er-
teilt werden, nämlich vorbehaltlich einer Änderung der
außen- und sicherheitspolitischen Lage, damit eine Bun-
desregierung, wenn ein Antrag nach dem AWG gestellt
wird, noch einen Spielraum hat.

Das steht jetzt an. Sie haben gesehen, was für ein Pro-
blem Sie haben. Ändern Sie das Gesetz, damit das zu-
künftig anders wird.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813619100

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Hubertus Heil

von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1813619200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Immer-

hin, Frau Keul, gibt es einen Unterschied zwischen Ihnen
und der Linkspartei. In Ihrer letzten Bemerkung haben
Sie im Gegensatz zu Herrn van Aken eingeräumt, dass
es eine Rechtsbindung gegeben hat. Sie wollen daher
das Gesetz ändern; das ist eine legitime Position. Aber,
Herr van Aken, dann hören Sie der Kollegin von den
Grünen einmal zu: Es gibt eine Rechtsbindung. Nur weil
Sie nicht glauben, dass sich Regierungen an Recht und

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


Gesetz halten müssen, dürfen wir dem nicht folgen. Wir
halten uns an Recht und Gesetz.


(Beifall bei der SPD – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können das trotzdem zurücknehmen! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist ein Entscheidungsspielraum!)


Was ist denn das für ein Verständnis von Rechtsstaatlich-
keit?


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn!)


Wir Sozialdemokraten befinden uns tatsächlich in der
Situation, dass wir diese Entscheidung – Sigmar Gabriel
hat das deutlich gemacht – kritisch sehen. Die Vorgän-
gerregierung hat die Exportgenehmigung erteilt. Ich
glaube, dass Sigmar Gabriel deutlich gemacht hat, dass
er dieses Problem bei der Befassung des Bundessicher-
heitsrats aufgerufen hat, zumal, wie gesagt, die Frage zu
klären war, ob man zu einer anderen Beurteilung kommt.
Dazu ist man nicht gekommen. Ich will das gar nicht
kommentieren; denn diese Sitzungen sind geheim. Ich
kenne die Argumente im Einzelnen nicht. Aber ich will
eines deutlich sagen: Für uns ist ganz klar, dass wir die
Wende zu einer restriktiveren Rüstungsexportpolitik in
dieser Legislaturperiode eingeleitet haben. Das ist unbe-
streitbar, Herr van Aken.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie sich mal die letzten Genehmigungen aus dem Bundessicherheitsrat an! Kleinwaffen!)


Wir haben für mehr Transparenz gesorgt. Die Berichte
werden schneller vorgelegt. Die Öffentlichkeit kann da-
rüber diskutieren. Es ist auch so – schauen Sie sich den
Rüstungsexportbericht an –,


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir!)


dass die Zahl der Rüstungsexportgenehmigungen massiv
zurückgegangen ist,


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee!)


vor allen Dingen im Bereich der Kleinwaffen; das ist ein
ganz wichtiger Punkt. Es gab eine Halbierung im letzten
Jahr.


(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])


Zudem geht ein großer Teil der Kleinwaffenexporte
in Länder, die nun wirklich nicht problematisch sind: in
NATO-Länder, in der NATO gleichgestellte Länder, in
die Schweiz. Es ist unverantwortlich, wenn Sie versu-
chen, das zu bestreiten. Sigmar Gabriel hat dafür gesorgt,
dass wir eine restriktivere Rüstungsexportpolitik betrei-
ben. Für uns stehen bei den Rüstungsexportgenehmigun-
gen Sicherheitsaspekte im Vordergrund und nicht ökono-
mische Aspekte. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813619300

Herr Kollege Heil, lassen Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Brugger zu?


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1813619400

Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr
Kollege. – Weil Sie in Ihrer Rede auf die Kleinwaffenex-
porte und die großen Veränderungen abgestellt haben,
möchte ich fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen
haben, dass wir in der letzten Woche eine Unterrichtung
über die letzten Entscheidungen des Bundessicherheits-
rates bekommen haben, die vor allem darin bestand, dass
in Drittstaaten, in Staaten außerhalb von NATO und EU,
vor allem in den arabischen Raum, Kleinwaffen gelie-
fert worden sind. Deshalb frage ich Sie: Wissen Sie, ob
das aufgrund der strengeren neuen Grundsätze für den
Export von Kleinwaffen geschehen ist, wonach Endver-
bleibskontrollen vorgesehen sind und „Neu für Alt“-Re-
gelungen eingeführt werden sollen? Meines Wissens ist
dies rechtlich ja noch gar nicht umgesetzt. Das heißt, Sie
haben hier entgegen der gewollten Verschärfung eine
große Lieferung an Kleinwaffen in Drittstaaten geneh-
migt. Das ist doch sicherheitspolitisch unverantwortlich
und nichts anderes als das, was wir in den letzten Jahren
gesehen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1813619500

Ich kann Ihnen dazu sagen: Meiner Kenntnis nach

handelt es sich um ungefähr 500 Waffen für den Oman.
Das halten wir sicherheitspolitisch für nicht bedenklich.

Ich habe auf die Dimension hingewiesen. Frau
Brugger, wir müssen uns leider beide – Rot und Grün,
aber vor allen Dingen auch Schwarz und Gelb – eingeste-
hen: In keiner Legislaturperiode in den letzten 15 Jahren
sind die Exportgenehmigungen im Bereich der Kleinwaf-
fen so restriktiv gehandhabt worden wie in der Amtszeit
von Sigmar Gabriel.


(Beifall bei der SPD)


Ich will Ihnen das anhand von Zahlen erklären, auch
weil das ein Stück Vergangenheitsbewältigung ist:
Mit rot-grüner – vor allen Dingen auch mit grüner Zu-
stimmung – sind im Jahre 2003 Sturmgewehre nach
Saudi-Arabien geliefert worden. Das hat diese Regierung
nicht getan. Bei der Frage, wer hier eine höhere Moral für
sich beansprucht, gilt immer: Wenn man mit dem Finger
auf andere zeigt, dann zeigen immer mindestens drei Fin-
ger zurück.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sagen ja, dass das falsch war!)


Jetzt reden wir aber über diese Legislaturperiode; das
sage ich auch in Richtung Bündnis 90/Die Grünen. Sie
wollten die Zahlen hören. Ich will sie Ihnen gerne vortra-
gen. Wir haben im ersten Halbjahr 2015 bei den Klein-

Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


waffen einen Rückgang um 12,5 Millionen. Das ist der
geringste Halbjahreswert für Kleinwaffen seit 15 Jahren.
Und um die Relation deutlich zu machen: 50 Prozent der
Kleinwaffenexporte gingen in Länder wie die Schweiz,
Frankreich und Großbritannien. Das ist moralisch nicht
zu kritisieren; denn das sind unsere Bündnispartner.

Noch einmal: Es wird immer Grenzentscheidungen
geben. Da geht es nicht um Schwarz oder Weiß, sondern
um Abwägungsentscheidungen. Ich will nur für uns und
für Sigmar Gabriel in Anspruch nehmen, dass wir nicht
aufgrund ökonomischer Interessen in Krisenländer ex-
portieren. Das ist nicht unsere Haltung. Wenn wir Ge-
nehmigungen für Exporte in Drittländer erteilen, dann
geschieht das aus einem einfachen Grund, nämlich aus
sicherheitspolitischen Erwägungen.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sind denn die sicherheitspolitischen Erwägungen?)


Wir sorgen für eine restriktivere Politik, weil uns nicht
egal ist, was mit deutschen Waffen auf der Welt passiert,
meine Damen und Herren. Ich finde, es wäre fair gewe-
sen, zumindest das anzuerkennen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dass wir uns aus rechtsförmigen Gründen an Vorgänger-
regierungsentscheidungen halten müssen, ärgert uns; das
ist gar keine Frage. Wir werden aber nicht Rechts- und
Gesetzesbrecher, nur weil Herr van Aken sich das so vor-
stellt.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können doch das Recht ändern! Sie haben doch die Mehrheit!)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813619600

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Jan van Aken

von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813619700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Heil, Sie kennen die Zahlen nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Tatsächlich hat Sigmar Gabriel in der ersten Hälfte dieses
Jahres Rüstungsexporte im Wert von 6,5 Milliarden Euro
genehmigt – 6,5 Milliarden Euro in einem halben Jahr,
genauso viel wie im gesamten Jahr 2014! Und Sie sagen,
das sei restriktiv. Ich lache mich tot.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann kommt immer Ihre Entschuldigung: Na ja, bei
den 6,5 Milliarden Euro war ein U-Boot für Israel mit
dabei. – Das U-Boot für Israel hat 300 Millionen Euro
gekostet. Ich ziehe das ab, wie Sie wollen. Dann bleiben
immer noch 6,2 Milliarden Euro übrig. Wenn sich das

fortsetzt, schaffen Sie es in diesem Jahr auf über 10 Mil-
liarden Euro. Das hat vor Ihnen noch nie eine Regierung
geschafft. Das ist nicht restriktive Rüstungsexportpolitik,
das ist der Rüstungsexporteur Nummer eins.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil (Peine)

van Aken!)

Das zu dem, was Sie gesagt haben.

Herr Heil, ich glaube, Sie haben mir vorhin nicht zu-
gehört. Ich habe gesagt: Ja, es kann gut sein, dass am
Ende jemand zahlen muss. – Aber es geht doch um die
Abwägung: Wollen wir hier Geld verlieren, oder sollen
die Menschen im Jemen ihr Leben verlieren?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Hubertus Heil Argument?)


Ich finde, bei dieser Abwägung sollte es um die Men-
schenleben im Jemen gehen und nicht um eine Schadens-
ersatzklage. Da haben sie eine falsche moralische Ent-
scheidung getroffen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil (Peine)


Noch einmal zu Ihnen, Herr Gabriel: Herr Gabriel, ich
glaube Ihnen, dass Sie die Zahl der Rüstungsexporte ver-
ringern möchten.


(Hubertus Heil doch!)


Aber dann trauen Sie sich doch endlich einmal. Sie stel-
len sich hier hin und sagen, Ihre Aufgabe sei es, Scha-
den vom deutschen Volk abzuwenden. Ja, das ist so. Ich
garantiere Ihnen aber: In dem Moment, in dem Sie die
Rüstungsexporte wirklich herunterfahren, wird Ihnen das
deutsche Volk zujubeln; denn die große Mehrheit möch-
te keine Waffenexporte. Das wissen Sie genauso gut wie
ich.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Also trauen Sie sich einmal: Lassen Sie es einmal auf
eine Schadenersatzklage ankommen. Warum kneifen Sie
denn den Schwanz ein? Nur weil jemand mit dem Ge-
setz wedelt? Versuchen Sie es doch einmal! Sie haben
in Bezug auf den Jemen wunderbare Argumente. Dort
hat sich die politische Situation total verändert. Es gibt
dort Krieg, und Katar ist daran beteiligt; das wissen wir.
Wir können das belegen. Ich finde, einmal können Sie es
versuchen.

Die Briten haben das gemacht. Die Briten haben vor
einigen Jahren, nachdem die Saudis ihre Außenpolitik
geändert haben, tatsächlich einmal schon genehmigte
Waffenexporte noch im Hafen gestoppt. Trauen Sie sich
einmal! Beim Gefechtsübungszentrum haben Sie sich
getraut, als alles schon geliefert war. Lassen Sie es doch
einmal auf einen Prozess ankommen! Wenn dann in ei-
nem solchen Fall, in dem nur eine von zwei Genehmi-
gungen erteilt ist, am Ende wirklich das Urteil kommt,

Hubertus Heil (Peine)







(A) (C)



(B) (D)


dass Schadensersatz zu zahlen ist, dann machen wir es
eben so, wie Frau Keul gesagt hat: Dann ändern wir
das Kriegswaffenkontrollgesetz. Sie bekommen es ge-
richtlich und verfassungsrechtlich wasserdicht hin, dass
solche Waffenexportgenehmigungen immer nur vorbe-
haltlich einer Änderung der politischen Situation erteilt
werden. Das können Sie machen. Sie müssen es nur wol-
len.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da ich Ihnen glaube, dass Sie die Zahl der Rüstungs-
exporte reduzieren wollen, sage ich Ihnen: Wir werden
hoffentlich in einem halben Jahr einmal zusammensitzen
und gemeinsam, vielleicht auch mit einigen Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, daran arbeiten, wie Sie
es wasserdicht und gerichtsfest hinbekommen, dass Sie
eine Genehmigung auch einmal widerrufen können und
eben keine Waffen direkt in den Krieg liefern. Das ist das
Entscheidende. Ansonsten bleibe ich dabei: Das System,
so wie es im Moment ist, funktioniert nicht.

Das Zweite, was ich gern mit Ihnen im Kriegswaffen-
kontrollgesetz ändern würde – da muss ich aber auch die
Grünen noch überzeugen –, ist, dass Sie wenigstens ein
generelles Exportverbot für Kleinwaffen erlassen.


(Beifall bei der LINKEN)


Bleiben wir doch einmal auf dem Teppich! Wertmäßig
sind Kleinwaffen total irrelevant; das sind zwischen
50 und 100 Millionen Euro. Das ist ganz wenig Geld,
bedeutet aber ganz viel Tod. Da würde die Wirtschafts-
macht Deutschland kaum Geld verlieren, aber ganz viel
Leben retten.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Sollen die Peschmerga mit einem Erbsengewehr schießen? – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Kalaschnikow!)


Ringen Sie sich endlich dazu durch, Herr Gabriel! Ich
finde die Argumente, die Sie seit Jahren dazu vortragen,
immer noch schwach. Machen wir es gemeinsam!

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jan van Aken (DIE LINKE)

wehren schießen! ISIS bekämpfen wir anders,
Herr Willsch! Aber davon verstehen Sie schon
mal gar nichts!).


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813619800

Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention

erhält der Abgeordnete Gabriel.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: „Sigmar Gabriel“ bitte!)



Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1813619900

Frau Präsidentin! Herr Kollege van Aken, einmal ab-

gesehen davon, dass die Bemerkung, man solle sich nicht
davon irritieren lassen, wenn einer mit dem Gesetz we-

delt, schon für einen Abgeordneten ein schwieriges Ar-
gument ist, für ein Regierungsmitglied erst recht,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


finde ich, dass Sie bei den Kleinwaffen völlig recht haben.
Deswegen sind wir so stolz darauf, erstens dass diese
Bundesregierung beschlossen hat, Lizenzproduktionen
für Kleinwaffen in Drittländern zu verbieten – das gab
es noch nie –, zweitens dass wir eine so drastische Re-
duktion der Zahl der Kleinwaffenexporte erreicht haben,
wie es Herr Heil vorgetragen hat. Aber ich will trotzdem
sagen, dass Sie aufpassen müssen, dass Sie, wenn Sie an-
deren Leuten vorwerfen, sie kennten die Zahlen nicht,
sich selber nicht als Zahlenverdreher betätigen.

Sie haben völlig recht: Wir haben im ersten Halbjahr
ein hohes Maß an Umsätzen beim Rüstungsexport. Das
zeigt übrigens, dass wir recht haben, wenn wir sagen: Die
Zahlen selber sagen wenig aus. – Es ist natürlich nicht
das U-Boot für Israel, das auch dabei ist – dazu stehe
ich ausdrücklich –, sondern es sind vor allen Dingen fünf
Tankflugzeuge für Großbritannien, die diese Zahl ausma-
chen. Dass Sie das bei der Summe verschweigen


(Beifall des Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/CSU])


und nur sagen: „Guckt mal, das ist eine ganz hohe Sum-
me“, obwohl fünf Tankflugzeuge mit einem großen Vo-
lumen dabei sind – für die Sicherheitslage in der Welt
vermutlich völlig unproblematisch, wohingegen ein
kleines Volumen für Kleinwaffen viel größere Probleme
auslöst –, zeigt, dass Sie in Wahrheit versuchen, die Tat-
sachen zu verdrehen. Das ist das Problem, das ich mit
Ihrer Bemerkung habe.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er will von den Panzern ablenken!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813620000

Herr van Aken, Sie haben das Wort für eine Erwide-

rung.


Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813620100

Danke. – Herr Gabriel, zu dem Verdrehen. Nehmen

wir einmal, was Sie gerade gesagt haben, nämlich Sie
hätten jetzt das Verbot der Lizenzproduktion von Klein-
waffen beschlossen. Nein, das haben Sie nicht beschlos-
sen. Sie haben beschlossen, dass grundsätzlich keine
Lizenzen mehr für Kleinwaffenproduktionen vergeben
werden. Das „grundsätzlich“ hat es auch vorher schon
gegeben; das steht in ganz vielen Rüstungsexportbe-
richten. Nur für die unter uns, die keine Juristinnen
und Juristen sind: „Grundsätzlich“ heißt, dass es davon
Ausnahmen geben kann. Zum Beispiel sagen Sie auch:
Grundsätzlich werden keine Waffen an private Sicher-
heitsdienste geliefert. – Wir haben nachgefragt und eine
lange Liste bekommen. Natürlich gibt es das! Das heißt,
„grundsätzlich“ heißt überhaupt keine Veränderung. Sie
haben sich nicht getraut, das generell zu verbieten, son-

Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


dern eben nur grundsätzlich. Das heißt, es gibt überhaupt
keine Veränderung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sind Wortspielereien und Verdrehereien. Deswegen
haben die Menschen auf der Tribüne überhaupt keine
Lust mehr auf diese Politik. Sie haben keine Lust mehr
darauf, weil sie immer nur angeschmiert werden.


(Widerspruch bei der SPD – Hubertus Heil lenverdreher!)


(Peine) [SPD]: Seien Sie mal ehrlich, Sie Zah-


– Seien Sie einmal ehrlich bei diesem „grundsätzlich“!

Das Zweite: die Tankflugzeuge. Das letzte Mal war
das Argument das U-Boot für Israel. Deshalb habe ich es
ja ehrlicherweise erwähnt. Ich kann auch die Tankflug-
zeuge erwähnen. Ziehen Sie die Tankflugzeuge ab! Sie
sind dann immer noch bei 5 Milliarden Euro in einem
halben Jahr.


(Sigmar Gabriel [SPD]: Nein!)


Damit knacken Sie die 10 Milliarden Euro im ganzen
Jahr auch.


(Sigmar Gabriel [SPD]: Das ist falsch, was Sie sagen!)


Ich muss Ihnen sagen: Auch unter der FDP – Gott hab
sie selig – waren es in einem Jahr die vielen Flugzeuge,
im nächsten Jahr die vielen Schiffe. Jedes Mal war das
Argument: In diesem Jahr ist die Zahl eigentlich ganz
gering; aber es gab das eine große Projekt. – Das haben
Sie im letzten Jahr übrigens auch gesagt, in diesem Jahr
wieder, und im nächsten Jahr sind es wahrscheinlich drei
Fregatten für Algerien, die die Zahlen nach oben treiben.
Unterm Strich – vergleiche ich die Gesamtjahreszah-
len – muss ich sagen: Da haben Sie einfach versagt, Herr
Gabriel.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813620200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/6647 mit dem Titel „Pan-
zerlieferung nach Katar sofort stoppen“. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen beantragt die Abstimmung über
ihren Antrag in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU
und SPD wünschen Überweisung.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum? Da können wir jetzt lange drüber diskutieren! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können wir jetzt abstimmen?)


Mir ist mitgeteilt worden, dass hierzu das Wort zur
Geschäftsordnung gewünscht wird. Frau Haßelmann hat
als Erste das Wort.


(Zuruf von der SPD: Muss das sein?)



Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813620300

Die Zeit haben alle noch. Außerdem ist es ja ganz inte-

ressant, wenn das Parlament mal wieder debattiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zu-
hörer! Ich komme wieder auf den Kern der Debatte zu-
rück. Der Ausgangspunkt für die heutige Debatte in der
Sache ist der Antrag zum Thema „Panzerlieferung nach
Katar sofort stoppen“, über den wir jetzt abstimmen. Die-
ser Antrag beinhaltet nur einen einzigen Satz:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf, die Lieferung von Panzern und anderen
Kriegswaffen nach Katar unverzüglich zu stoppen
und die bereits erteilte Genehmigung an die Firma
Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG zurück-
zunehmen.

Wir haben zu diesem Antrag eine Sofortabstimmung
beantragt. Wir gehen davon aus, dass das Parlament in
der Lage ist, heute über diesen einen Satz zu entscheiden.
Deshalb beantragen wir Sofortabstimmung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Um Ihnen zu erläutern, warum wir jetzt überhaupt das
Wort suchen – wir haben ja öfter mal Streit darüber, ob
es eine Sofortabstimmung oder eine Überweisung geben
soll –, möchte ich Sie auf zwei Punkte hinweisen.

Erster Punkt. Der Wirtschaftsminister und auch sein
Staatssekretär haben in ihren Redebeiträgen deutlich ge-
macht, dass diese Entscheidung längst getroffen ist und
dass diese Entscheidung nicht revidiert wird. Die Tat-
sache, dass nichts revidiert wird und darüber schon ab-
schließend entschieden ist, haben auch alle Rednerinnen
und Redner der Großen Koalition in ihren Redebeiträgen
mehr als deutlich gesagt. Deshalb gibt es aus grüner Sicht
keine Begründung dafür, heute keine Sofortabstimmung
durchzuführen und stattdessen der Öffentlichkeit und
dem Parlament vorzumachen, man habe noch Beratungs-
bedarf zu diesem einen Satz und müsse deshalb den An-
trag an die Ausschüsse überweisen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ein wirklich schwacher Auftritt; denn Sie haben so
was von deutlich gemacht, und zwar für alle im Proto-
koll nachlesbar, dass Sie als Parlamentarier in der Sache
den Vorschlägen und Festlegungen, auch den erneuten
Festlegungen dieser Bundesregierung folgen. Deshalb ist
es doch eigentlich nur ein Täuschungs- und Ablenkungs-
manöver, jetzt eine Überweisung an die Ausschüsse bzw.
eine Versenkung dieses Antrags in den Ausschüssen
vorzunehmen. Aus diesem Grund haben wir heute eine
GO-Debatte gefordert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


Zweiter Punkt. Meine Damen und Herren, zuerst wa-
ren Sie als Koalition mit der Sofortabstimmung einver-
standen. Am Dienstag haben Sie mir erklärt, Sie wollten
prüfen, ob Sie für eine Überweisung sind oder Ihr Ein-
verständnis zur Sofortabstimmung erklären. Dann haben
Sie sich bereiterklärt – was wir sehr gut fanden und be-
grüßt haben –, der Sofortabstimmung im Bundestag zu-
zustimmen. Als Sie dann gehört haben, dass wir eine na-
mentliche Abstimmung beantragen wollen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das geht ja auch nicht!)


haben Sie gesagt: Nein, jetzt ziehen wir unsere Zustim-
mung zurück. Das wird ja unbequem für die Abgeordne-
ten von SPD und Union.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie wollen nicht abstimmen, sondern vorführen!)


Dann wollen wir doch lieber die Überweisung. – Das ist
doch durchschaubar, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Nee! Wir sind Kollektive! Wir wollen nicht eingeordnet werden!)


Dann kam auch noch das billige Argument, der Wirt-
schaftsausschuss sei federführend und leider seien die
Abgeordneten des Ausschusses heute in Brüssel; dadurch
sei ihnen verwehrt, an der namentlichen Abstimmung
teilzunehmen. Meine Damen und Herren, ist das Ihr
Ernst? Ich hoffe, Sie wiederholen das nicht hier am Pult.
Ihre Leute aus dem Wirtschaftsausschuss, die heute nicht
da sind, fehlen bei zwei Wahlen und zwei namentlichen
Abstimmungen, die heute hier im Bundestag stattfinden.
Was sagen Sie denn dazu?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich finde, es gibt keinen Grund, heute keine Sofort-
abstimmung durchzuführen. Das ist ein reines Ablen-
kungsmanöver, weil es Ihnen unbequem ist, sich als Par-
lamentarier zu der Sache zu verhalten. Das wollen wir
Ihnen nicht durchgehen lassen. Deshalb haben wir diese
GO-Debatte beantragt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Frau Haßelmann, sie sind alle da! Sie sagen die Unwahrheit!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813620400

Zur Erwiderung erhält Petra Ernstberger das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Petra Ernstberger (SPD):
Rede ID: ID1813620500

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Das, was hier

gemacht wird, erinnert mich schon sehr viel an Theater-
donner.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen doch einmal auf die sachliche Ebene zurück-
kehren, auf die Ebene der Geschäftsordnung.

Es ist richtig: Die Grünen haben das Recht, eine Be-
schlussfassung zu ihrem Antrag einzufordern. Darüber
gibt es gar keine Diskussion.


(Claudia Roth DIE GRÜNEN: Dann ist ja gut! Dann sind wir ja schon mal weiter!)


Es ist aber auch das Recht der Koalition, die Überwei-
sung an einen federführenden Ausschuss zu fordern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es gibt ein Recht auf Peinlichkeit!)


Ich glaube, es ist berechtigt, zu fordern, dass ein Antrag
in Ruhe besprochen werden kann.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das muss im Wirtschaftsausschuss geschehen.

Übrigens war auch einer von den Grünen in Brüssel.
Inzwischen sind alle wieder da.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist das Problem? – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir an dem
Wunsch festhalten, den Antrag in den Wirtschaftsaus-
schuss zu überweisen,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber warum?)


und zwar aus einem einfachen Grund: Das Thema soll
noch einmal in Ruhe in dem Ausschuss diskutiert wer-
den, in den es gehört,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann brauchen Sie ja Ihren Minister nicht mehr!)


und zwar im Wirtschaftsausschuss. Wenn Sie vorher mit
dem Gedanken gespielt haben, eine namentliche Abstim-
mung zu beantragen, dann frage ich mich schon, warum
Sie sich jetzt weigern, das noch einmal sauber zu disku-
tieren und den Antrag dann zur Abstimmung zu stellen.

Insofern werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen
und für die Überweisung in den federführenden Aus-
schuss für Wirtschaft und Energie einstehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813620600

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stimmen nach

ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschus-
süberweisung ab. Die Fraktionen der CDU/CSU und
SPD wünschen Überweisung der Vorlage auf Drucksa-

Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


che 18/6647 an den Ausschuss für Wirtschaft und Ener-
gie, an den Auswärtigen Ausschuss, an den Ausschuss
für Recht und Verbraucherschutz, an den Verteidigungs-
ausschuss, an den Ausschuss für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe sowie an den Ausschuss für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung. Wer stimmt für
die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthält sich jemand? – Dann ist die Überweisung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on beschlossen.

Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksa-
che 18/6647 nicht in der Sache ab.

Wir müssen nun den federführenden Ausschuss be-
stimmen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wün-
schen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und
Energie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht
Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Ich lasse
zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag, also für die Federführung beim
Auswärtigen Ausschuss? – Wer stimmt dagegen? – Da-
mit ist dieser Überweisungsvorschlag abgelehnt worden
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition.

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Feder-
führung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Überwei-
sungsvorschlag mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der von den Ver-
einten Nationen geführten Friedensmission
in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der
Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011
und Folgeresolutionen, zuletzt 2241 (2015)

vom 9. Oktober 2015

Drucksachen 18/6504, 18/6638


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/6683

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen worden.

Wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze einge-
nommen haben, werde ich der ersten Rednerin das Wort

erteilen. – Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin
spricht Dagmar Freitag von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1813620700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit der Gründung im Jahr 2011 ist die Republik Süd-
sudan der jüngste Staat der Welt. Gleichzeitig ist es ein
weiterer Staat auf dem afrikanischen Kontinent mit un-
endlichen Problemen, mit einer wirklich dramatischen
politischen und humanitären Lage. Korruption, kaum
oder fast nicht vorhandene staatliche Strukturen, ein
verheerender Bürgerkrieg – all das hat zu der aktuellen,
beklagenswerten Situation geführt. Ich füge hinzu: Das
Ausmaß der Kriegsverbrechen ist wirklich unvorstellbar.

Immerhin, ein erster Lichtblick: Am 17. August 2015
unterzeichneten die Konfliktparteien aufgrund massiven
internationalen Drucks ein 77-seitiges Friedensabkom-
men. Ich denke, Herr Minister Steinmeier, an dieser Stel-
le ist Ihnen für Ihren Einsatz für dieses Friedensabkom-
men ausdrücklich zu danken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber man muss leider auch feststellen, dass es erkennbar
an der Bereitschaft zur Unterstützung der Vertragsinhalte
mangelt. Vereinbarte Waffenstillstände werden gebro-
chen, zuletzt vor zweieinhalb Wochen. Zudem bedeutet
die jetzt vorgenommene Zersplitterung der ursprünglich
nur 10 Bundesstaaten in jetzt 28 einen erneuten Rück-
schritt. Im Übrigen verstößt auch das gegen den Geist des
Friedensvertrages.

Es ist klar: Jahrelange kriegerische Auseinanderset-
zungen haben die Bevölkerung zutiefst traumatisiert und
sie natürlich auch – wen wundert es? – zu einem gewis-
sen Grade ihrer Friedensfähigkeit beraubt. Ein stabiler
Friedensaufbau ist daher ohne die weitere Unterstützung
der internationalen Gemeinschaft weder möglich noch
vorstellbar.

Ich räume ein: UNMISS konnte den Bürgerkrieg
nicht verhindern. Aber UNMISS bietet humanitären und
militärischen Schutz für die vertriebene Zivilbevölke-
rung. Die Friedensmission UNMISS läuft – das wissen
wir – seit 2011. Die Neuausrichtung des Mandates im
Jahr 2014 machte den Schutz der südsudanesischen Zi-
vilbevölkerung zum Kernelement der Mission. Erst vor
wenigen Wochen, im Oktober 2015, wurde die Mission
erweitert, und zwar, um die Implementierung des Frie-
densabkommens zu unterstützen.

Rund 4,5 Millionen der rund 12 Millionen Einwohner-
innen und Einwohner des Landes sind in diesem Jahr auf
Nahrungsmittelhilfen der Vereinten Nationen angewie-
sen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich
betonen, wie wichtig die Sicherstellung der Finanzierung
der humanitären Nothilfe ist. Doch es bedarf natürlich
nicht nur einer vernünftigen finanziellen Basis. Nein,
auch ohne eine ausreichende Sicherheit im Land sind
zum Beispiel viele Hilfsmaßnahmen des World Food
Programme überhaupt nicht möglich.

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Wir wissen: Die Kindersterblichkeit im Südsudan ist
extrem hoch. Hauptursache dafür ist Mangelernährung.
Wir wissen auch um einen katastrophalen Bildungsstand
im Land. Rund zwei Drittel der Erwachsenen im Land
können nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben.
Das heißt: Neben Sicherheit und Verteidigung müssen
wir uns dafür einsetzen und Unterstützung leisten, dass
der Staat auch in den Bereichen Gesundheitsversorgung
und Bildung massiv investieren wird. Denn eines ist klar:
Die vielen jungen Menschen im Land brauchen eine Per-
spektive, und ich füge ausdrücklich hinzu: im eigenen
Land. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.

Es muss im Interesse der Weltgemeinschaft sein, dass
dieses Land nicht noch stärker ins Chaos abgleitet,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


im Übrigen auch wegen der fragilen Stabilität in der ge-
samten ostafrikanischen Region. Das heißt auch: Das
Engagement der Regionalorganisationen muss beachtet
werden. IGAD zum Beispiel hat im Rahmen der Frie-
densverhandlungen durchaus dazu beigetragen, dass
erste Schritte unternommen worden sind. Man muss al-
lerdings hinzufügen: Zählbare Erfolge sind im Moment
leider noch nicht zu verzeichnen. Das bedeutet natürlich,
dass die Bemühungen nicht nachlassen dürfen, und auch
im Land selber muss für Frieden und Stabilität gesorgt
und geworben werden. Die internationale Gemeinschaft
darf sich nicht zurückziehen. Vertrauen muss wieder auf-
gebaut werden, und die Umsetzung des Friedensabkom-
mens muss überwacht und begleitet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eines ist klar – ich denke, da sind wir uns alle einig –:
Der Schutz der Zivilbevölkerung muss oberste Priorität
haben.

Das ist die richtige Stelle, um sich bei unseren Solda-
tinnen und Soldaten und Polizistinnen und Polizisten im
Südsudan zu bedanken. Das ist ein Einsatz, der wichtig
und unverzichtbar ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn gerade das deutsche Personal besetzt wichtige
Schlüsselpositionen.

Wir müssen nicht nur gemeinsam dafür werben, son-
dern auch unseren Beitrag dazu leisten, dass der Konflikt
im Südsudan nachhaltig beigelegt werden kann. Dazu –
das ist jedenfalls unsere Überzeugung – brauchen wir die
Fortsetzung der internationalen Unterstützung im Rah-
men der UNMISS-Friedensmission. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, aus diesem Grunde bitte ich um Zustim-
mung zu dem vorliegenden Antrag.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813620800

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Jan van Aken

von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813620900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie alle

hier haben in der letzten Woche – ich finde, vollkommen
zu Recht – auf die Flüchtlingskatastrophe im Südsudan
hingewiesen. Zwei Millionen Menschen sind dort auf der
Flucht. Ich finde auch: Diese Menschen müssen unbe-
dingt Unterstützung bekommen. Aber ein Punkt ist mir
aufgefallen: Niemand hat erwähnt, dass es auch diese
Bundesregierung ist, die im Moment alles daransetzt, den
Menschen im Südsudan die Flucht zu verwehren.

Schon vor einem Jahr hat die Europäische Union mit
einer ganzen Reihe afrikanischer Staaten vereinbart, die
sogenannte irreguläre Migration zu bekämpfen. Im Klar-
text geht es doch darum, Flüchtlinge gar nicht erst bis an
die Mittelmeerküste herankommen zu lassen, damit sie
von dort nicht weiter nach Europa fliehen können. Diese
Initiative gegen Flüchtlinge wird Khartoum-Prozess ge-
nannt.

Ein leitendes Mitglied dieses Khartoum-Prozesses ist
der Südsudan. Das müssen wir uns jetzt einmal im De-
tail vorstellen: Der südsudanesische Präsident Salva Kiir
führt gerade einen grausamen Krieg gegen die eigene Zi-
vilbevölkerung und wird jetzt von Ihnen und von der EU
gemeinsam darin unterstützt, seine Grenzen noch besser
dichtzumachen, damit seine Bevölkerung nicht vor sei-
nen eigenen grausamen Mörderbanden fliehen kann. Ich
finde das widerlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer hier im Saal wirklich Sorge um die Zivilbevölkerung
im Südsudan hat, der muss sich auch darum bemühen,
den Khartoum-Prozess zu stoppen und endlich dafür zu
sorgen, Fluchtmöglichkeiten für die Menschen im Süd-
sudan zu organisieren. – Das erst einmal nur vorweg.

Jetzt sagen Sie alle – das haben Sie auch letzte Wo-
che alle gesagt –, dass UNMISS für den Schutz der Zi-
vilbevölkerung im Südsudan unverzichtbar ist. Fakt ist
aber, dass UNMISS den Schutz der Zivilbevölkerung
von Anfang an nicht sicherstellen konnte und bis heute
nicht kann. Dann kommt von Ihnen immer das Argu-
ment: Es gibt 200 000 Flüchtlinge, die UNMISS an den
eigenen Standorten schützt. – Ja, aber zur Ehrlichkeit
gehört auch, dass 10 Millionen weitere Menschen im
Südsudan vollkommen schutzlos sind, dass 2 Millionen
von ihnen auf der Flucht sind und dass 4 Millionen von
ihnen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Das ist
die ganz erschütternde Bilanz. Dann sagen Sie: Na ja,
ohne UNMISS wäre alles noch viel schlimmer. -


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Wollen Sie ein größeres Mandat?)


Ich sage Ihnen: Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer und
schlimmer. Das liegt auch daran, dass Sie völlig falsche

Dagmar Freitag






(A) (C)



(B) (D)


Prioritäten gesetzt haben, dass Sie eben auf das Militäri-
sche gesetzt haben und nicht auf andere Möglichkeiten.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Welches Mandat wollen Sie?)


Die Frage, die wir uns stellen und die Sie sich, wie ich
finde, auch stellen müssten, ist doch: Was haben wir alles
nicht getan, um den Menschen im Südsudan zu helfen?
Was haben wir nicht getan und somit dazu beigetragen,
dass die Situation im Südsudan immer schlimmer gewor-
den ist? Unsere Antwort ist relativ klar: Sie haben im-
mer einseitig auf das Militärische gesetzt, und wir haben
von Anfang an viele, viele andere Vorschläge gemacht;
das können Sie alles nachlesen. Im Jahr 2011 direkt zur
Gründung des neuen Staates Südsudan haben wir eine
ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, wie man die Ent-
stehung des Bürgerkrieges hätte verhindern können und
wie man später die Zivilbevölkerung hätte schützen kön-
nen. Kaum etwas davon ist gemacht worden.

Ich will nur ein Beispiel nennen, damit Sie wissen,
worum es geht. Wir haben es genau ausformuliert. Ein
Punkt, der 2011 völlig deutlich war, als wir dort vor Ort
waren, war: Es muss darum gehen, den Ausbruch von lo-
kalen Gewaltkonflikten zu verhindern. Deswegen haben
wir gefordert, lokale Friedensfachkräfte auszubilden, und
zwar zu Hunderten, wenn nicht gar zu Tausenden, damit
in allen Teilen des Landes Trauma- und Versöhnungsar-
beit geleistet werden kann, damit in allen Regionen des
Landes entstehende Konflikte gewaltfrei gelöst werden
können. Wir haben, wie gesagt, gefordert, Hunderte aus-
zubilden. Was hat die Bundesregierung gemacht? Sie hat
die letzten fünf Friedensfachkräfte aus dem Sudan auch
noch abgezogen. Das war Ihr Beitrag zu einer friedlichen
Konfliktlösung.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Eines ist doch ganz klar: Ein Ende der Gewalt können
Sie mit UNMISS im Südsudan niemals erreichen, und
ganz sicher können Sie das nicht, wenn Sie auch noch
mit Despoten wie Salva Kiir bei der Flüchtlingsabwehr
zusammenarbeiten. Aus unserer Sicht heißt es deswegen:
Nein zu UNMISS und endlich ein Umdenken hin zu zi-
vilen Interventionen.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen mehr exportieren sollte.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist so langweilig!)


Eines würde mich wirklich einmal interessieren: Kann
mir irgendjemand hier im Raum erklären, zum Beispiel
Sie, warum es heute immer noch legal ist, Waffen in den
Südsudan zu liefern? Das Mindeste, wozu wir uns end-
lich durchringen müssten, wäre doch ein Waffenembargo
durch die Vereinten Nationen. Auch daran scheitern Sie.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Immer die gleiche Leier! Nicht ein Konzeptvorschlag!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813621000

Als nächster Redner hat Roderich Kiesewetter von der

CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1813621100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben
heute früh bei der Debatte über die OSZE über Valletta
gesprochen. Zwischenzeitlich ist der gemeinsame Gip-
fel von Europäischer und Afrikanischer Union zu Ende
gegangen. Neben dem Thema Fluchtursachenbewälti-
gung war ein ganz entscheidendes Thema – dies wurde
auf Bitten der Afrikanischen Union nach vorne getra-
gen – die Forderung nach einem verstärkten Engagement
für Frieden, Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung.
Genau darum geht es im Südsudan, nämlich darum, die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wirtschaftliche
Entwicklung überhaupt stattfinden kann. Wenn internati-
onale Einrichtungen und Staaten zivile Hilfskräfte abzie-
hen, weil es dort nicht sicher ist, ist doch der erste Punkt,
Sicherheit im Südsudan zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das geschieht, indem sich 53 Staaten in dieser Mis-
sion engagieren, davon 15 Staaten aus Afrika. Das ist
genau das, was wir anstreben müssen: dass die Staaten
aus Afrika Verantwortung übernehmen. Wir erleben das
in vielen Bereichen, auch in der unmittelbaren Nachbar-
schaft. Die Unterorganisation der Afrikanischen Union,
die Intergouvernementale Autorität für Entwicklung, die
IGAD, wird von drei Staaten unterstützt: von Kenia, vom
Sudan und von Äthiopien. Wir erleben in der unmittel-
baren Nachbarschaft, dass Uganda das Bestreben dieser
drei Staaten gefährdet, indem es unmittelbar Waffen an
die südsudanesische Regierung liefert.

Wir sehen: Es ist dort eine Gemengelage, die gera-
dezu nach einem internationalen Engagement ruft. Des-
halb ist es im Übrigen richtig, dass die Bundesrepublik
Deutschland dort mehr Polizisten als Soldaten einsetzt.
Wir haben unseren Polizeiansatz dort verdoppelt.

Gerade der Einsatz im Südsudan zeigt, dass wir Deut-
schen unsere drei Prinzipien der Außenpolitik hier auch
praktisch anwenden: erstens ein Vorgehen mit VN-Man-
dat, zweitens nicht allein, sondern in einem vernetzten
Ansatz, und drittens – das halte ich für ganz wichtig – ist
das Militär eingebunden in einen übergreifenden Ansatz
und nicht isoliert, wie wir es in Libyen oder im Irak erlebt
haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, worauf
kommt es jetzt an? Wir haben im Südsudan eine Ent-
wicklung, die dazu führt, dass die Bevölkerung über-
haupt kein Vertrauen in die eigene Regierung hat. Es
ist der jüngste Staat der Erde, es gibt ihn erst seit vier
Jahren. Ich erinnere mich, mit welcher Euphorie dies im
Jahr 2011 im Unterausschuss für Zivile Krisenprävention
als eine gelungene Staatenbildung betrachtet wurde. Ja,
das war es am Anfang auch. Aber in der Zwischenzeit
haben wir gesehen: Wenn Sicherheit der Entwicklung

Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


nicht folgt bzw. wenn Sicherheit mit entwicklungspoliti-
schem Engagement nicht fest einhergeht, dann scheitert
jeglicher entwicklungspolitische Ansatz. Deshalb wird
sich die Bundesrepublik Deutschland dort intensiv betei-
ligen, mit den Fähigkeiten, die die Arbeiten dort weiter-
bringen, nämlich vernünftiger Stabsarbeit und vor allen
Dingen entsprechender Beratung in der Überwachung
des Waffenstillstandsabkommens und, was aus meiner
Sicht auch sehr wichtig ist, in der Überwachung der hu-
manitären Hilfe. Hier liegt das meiste im Argen.

Wir müssen uns, liebe Kolleginnen und Kollegen,
auf einen jahrelangen Einsatz im Südsudan einstellen.
15 000 Helferinnen und Helfer mit und ohne Uniform
werden die nächsten Jahre intensiv gefordert sein. Unser
Ziel muss in allererster Linie sein, dass afrikanische Staa-
ten aus der Nachbarschaft selbst Verantwortung überneh-
men, dass die Afrikanische Union dort mit aller Kraft
zeigt, dass sie fähig ist, und das mit westlicher Hilfe. Das
sehen wir, glaube ich, recht gut in dem Ansatz, den die
Afrikanische Union mit der Europäischen Union jetzt in
Valletta verhandelt hat.

Lassen Sie mich abschließend auf einen weiteren As-
pekt hinweisen. Die Entwicklungen, die wir in Afrika,
in Mali, in der Zentralafrikanischen Republik und auch
in Libyen erleben, erfordern, dass wir uns über einen
stärker vernetzten Ansatz Gedanken machen. Die Eu-
ropäische Union wird viel mehr zur Ertüchtigung dieser
Staaten beitragen müssen als in der Vergangenheit. Wir
Deutschen werden großen Wert darauf legen müssen,
dass bei der Fluchtursachenbekämpfung die Fragen der
guten entwicklungspolitischen Begleitung und der guten
Regierungsführung und die gesamte Unterstützungsleis-
te der Grenzsicherung und der Flüchtlingsbetreuung viel
stärker in den Mittelpunkt geraten. Ich habe großes Ver-
ständnis, Herr van Aken, dass Sie sich heute schon mehr-
fach warmgeredet haben, aber da reicht brühwarme Rhe-
torik nicht. Dort geht es heiß zur Sache. Deshalb müssen
wir uns auf einen langfristigen Einsatz einstellen.

Ich unterstütze den UNMISS-Einsatz, der uns die
nächsten Jahre sicherlich fordern wird, deshalb sehr und
werbe um Ihre Zustimmung.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813621200

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Agnieszka

Brugger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellver-
tretend für viele Frauen im Südsudan, die großes Leid
ertragen müssen, möchte ich Rosa Koang zu Wort kom-
men lassen, die ein wirklich schreckliches Schicksal hin-
ter sich hat. Von ihren fünf Töchtern sind zwei ermordet

worden. Mit dreien konnten sie sich selbst in den Stütz-
punkt der Friedensmission UNMISS retten. Sie sagt:

Wir Frauen im Camp leiden sehr. Um Wasser und
Feuerholz zu holen, müssen wir das Lager verlas-
sen, aber da draußen lauern alle möglichen Gefah-
ren. Es gibt wilde Tiere, aber noch schlimmer ist,
dass wir vergewaltigt werden. Zwei Mal musste ich
schon zusehen, wie sie meinen Töchtern Gewalt an-
taten. Trotzdem müssen wir immer wieder in den
Busch. Wir haben keine andere Wahl, wir brauchen
Holz und Wasser zum Leben. Wir können nur zu
Gott beten.

Meine Damen und Herren, ich finde, diese schreckli-
chen Schilderungen zeigen noch viel dramatischer und
persönlicher als die extrem hohen abstrakten erschre-
ckenden Zahlen, die wir immer wieder nennen, wenn wir
über den Konflikt im Südsudan sprechen, wie wichtig es
ist, dass die internationale Gemeinschaft hier präsent ist
und handelt.

Über 2 Millionen Menschen sind dort auf der Flucht.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen gibt es
13 000 Kindersoldaten im Südsudan. In manchen Dör-
fern gibt es keine Jungen mehr, die älter als 14 Jahre sind.
In großen Teilen des Landes herrscht eine Hungerkatas-
trophe. 30 000 Menschen sind unmittelbar vom Hunger-
tod bedroht.

Ich habe wie viele Kolleginnen und Kollegen hier in
den letzten Monaten bei verschiedenen Konflikten die-
ser Welt gefragt: Wie kann es eigentlich sein, dass die
reichen Staaten dieser Welt und die internationale Ge-
meinschaft es nicht schaffen, im Südsudan und in den
Nachbarländern von Syrien wenigstens sicherzustellen,
dass die Menschen genug zu essen haben?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD])


Ich habe darauf keine gute Antwort bekommen, und ich
finde, die EU – oder wer auch immer – sollte einfach
Geld in die Hand nehmen und wirklich dafür sorgen, dass
die Menschen, die vor Krieg fliehen mussten, jetzt nicht
auch noch den Hungertod fürchten müssen.

Kindersoldaten, Hungerkatastrophe, Massenverge-
waltigungen, mehrere Zehntausend Tote: Das sind die
Folgen des grauenvollen Machtkampfes zwischen Präsi-
dent Kiir und seinem Kontrahenten Machar. IGAD, die
Regionalorganisation der Staaten in Nordostafrika, hat
unermüdlich versucht, zwischen diesen Gruppen zu ver-
mitteln. Es sind zahlreiche Vereinbarungen geschlossen
worden, und zahlreich sind sie auch gebrochen worden.
Auf das neue Friedensabkommen blicken wir daher na-
türlich einerseits mit großer Hoffnung und andererseits
mit einer gewissen Skepsis.

Meine Damen und Herren, die Friedensmission der
Vereinten Nationen UNMISS hat nicht nur den Auftrag,
bei der Umsetzung des Friedensabkommens zu unter-
stützen, sondern sie ist mit vielen Hilfsorganisationen
die Kraft im Land, die trotz aller Gefahren versucht, die
Menschen zu schützen.

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


Es war eine mutige und außergewöhnliche Entschei-
dung, dass nach dem Gewaltausbruch 2013 die damali-
ge Leiterin der UN-Mission beschlossen hat, einfach die
Türen für die Flüchtlinge zu öffnen. Heute, zwei Jahre
später, befinden sich noch immer 184 000 Menschen in
den Camps der Vereinten Nationen.

Denken wir an die Schilderungen von Frau Koang am
Anfang der Rede zurück. Sie zeigen nicht nur das un-
ermessliche Leid, sondern auch die Grenzen von UN-
MISS, die auch der Kollege van Aken hier angesprochen
hat. Aber ist die Schlussfolgerung dann, hier zu sagen:
„Weil UNMISS nicht auch noch im Land präsent sein
und jede Gewalt verhindern kann, wollen wir, dass diese
184 000 Menschen nicht geschützt sind“? Herr Kollege
van Aken, ich kann Ihre zynische Argumentation an die-
ser Stelle nicht nachvollziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ja, die Frauen und Männer haben Angst, das Camp zu
verlassen, weil die Mission auch nicht wirklich außer-
halb wirken kann. Ihr fehlen Fahrzeuge, Hubschrauber
und Aufklärungsmittel. Ja, auch die Lage in den Camps
selbst ist extrem angespannt. Die Versorgung ist schwie-
rig, aber natürlich gibt es auch Übergriffe und hohe Kri-
minalitätsraten. Deshalb fehlt es auch ganz viel an Poli-
zei.

Herr Kollege Kiesewetter, Sie haben recht: Es ist eine
gute Entscheidung, wenn das deutsche Polizeiengage-
ment erhöht wird. Allerdings wird es von 10 auf 20 Po-
lizeikräfte erhöht, und ich denke, wir brauchen hier viel
mehr. Erst wenn wir bei einer Zahl von 100 sind, macht
es einen Unterschied.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, derzeit sind 16 Bundes-
wehrangehörige und 15 Polizisten Teil dieser wichtigen
Friedensmission. Das ist ein sehr bescheidener Beitrag.
Großbritannien hat aktuell 300 zusätzliche Kräfte in den
Raum gestellt. Wir führen hier große Debatten über die
neue deutsche Verantwortung in der Außen- und Sicher-
heitspolitik, und auch Herr Steinmeier als Außenminis-
ter und Frau von der Leyen als Verteidigungsministerin
fordern das immer wieder ein. Hier können wir einen
unmittelbaren Beitrag dazu leisten, dass Menschen vor
Gewalt geschützt werden – zivil, polizeilich, aber auch
militärisch. Ich finde, wir könnten und wir sollten viel
mehr für die Menschen im Südsudan tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813621300

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Julia

Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1813621400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mädchen im
Südsudan an den Folgen von Schwangerschaft und Ge-
burt verstirbt, ist dreimal größer, als dass es eine Grund-
schulausbildung abschließt.

Der Bürgerkrieg, der im Südsudan seit Dezem-
ber 2013 wütet, trifft vor allem die Schwächsten. Jedes
dritte Kind im Südsudan ist unterernährt, und eine Vier-
telmillion Kinder ist vom Hungertod bedroht. Zudem be-
richtet UNICEF von einer immer schlimmer werdenden
Gewalt gegen Kinder.

Es gehört zur grausamen Kriegstaktik beider Parteien,
gezielt Kinder zu vergewaltigen, zu verstümmeln und zu
töten. Unter den 80 Zivilisten, die im Oktober bei Kämp-
fen im Südsudan getötet wurden, waren mindestens
57 Kinder. Damit nicht genug: Etwa 13 000 Minderjähri-
ge werden als Kindersoldaten zum Kämpfen gezwungen.
Die Gewalt in einem der ärmsten Länder Afrikas hat un-
vorstellbare Ausmaße angenommen.

Als der Südsudan vor vier Jahren gegründet wurde,
war die Hoffnung der internationalen Gemeinschaft groß,
dass dort Frieden eintreten könnte. Mittlerweile ist diese
Hoffnung verflogen. Präsident Kiir und sein ehemaliger
Stellvertreter Machar tragen ihren brutalen Machtkampf
auf dem Rücken der Bevölkerung aus. Sie treiben einen
blutigen Bürgerkrieg zwischen den beiden Volksgrup-
pen, der Dinka und der Nuer, an. Bisher forderte dieser
Konflikt Zehntausende Todesopfer.

Auch wenn UNMISS diese grausamen Auswüchse des
Bürgerkriegs nicht verhindern konnte, durch die Mission
wurde und wird zumindest eine noch größere humanitäre
Katastrophe abgewendet. Die Mission ist also wichtig.
Sie schützt unschuldige Menschen und rettet Leben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Viereinhalb Millionen Menschen im Südsudan überle-
ben dank der Nahrungsmittelhilfe der UN. 200 000 Men-
schen haben Schutz vor Krieg und Gewalt in den Camps
von UNMISS gefunden.

Deutschland leistet einen wichtigen Beitrag zur Ver-
sorgung und zum Schutz der Menschen im Südsudan.

Seit Ausbruch des Bürgerkrieges hat Deutschland
über 80 Millionen Euro an humanitärer Hilfe geleistet.
Diese Hilfe kann nur dank UNMISS bei den Bedürfti-
gen ankommen. Daher beteiligt sich die Bundeswehr
seit Beginn an der Mission. Die deutschen Soldatinnen
und Soldaten leisten insbesondere im Stab des Missions-
hauptquartiers einen wichtigen Dienst. Sie sorgen dafür,
dass die über 10 000 Blauhelme gut koordiniert einge-
setzt werden.

Zuletzt haben sich bis zu 16 deutsche Soldatinnen und
Soldaten ihrer Aufgabe gewidmet. Künftig können es bis
zu 50 sein. Wir waren auch jetzt schon bereit, mehr als
16, bis zu 50 dorthin zu senden. Dieser höhere Bedarf
wurde aber bisher noch nicht abgefragt.

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


Auch unterstützen deutsche Polizeikräfte die UN-Mis-
sion. Bisher sind es zehn, und künftig werden es doppelt
so viele sein.

Ein Spezialteam widmet sich insbesondere der Proble-
matik sexueller Gewalt und Gewalt gegen Frauen.

An dieser Stelle danke ich ganz herzlich all unseren
deutschen Einsatzkräften, die im Südsudan tätig sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Durch sie und ihre Mitstreiter der UN-Mission kommen
die überlebensnotwendigen Hilfslieferungen an. Unsere
Soldaten tun ihr Möglichstes, um die Zivilbevölkerung
zu schützen und für Frieden im Südsudan einzutreten.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bitte Sie um Ihre
Unterstützung für den Antrag der Bundesregierung, ins-
besondere um den Kindern im Südsudan eine Hoffnung
auf Frieden zu geben.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813621500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Debatte.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführ-
ten Friedensmission in Südsudan (UNMISS). Der Aus-
schluss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6638, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 18/6504 anzunehmen. Wir stimmen nun
über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen
besetzt? – Dann eröffne ich die Abstimmung über die
Beschlussempfehlung.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Auszählung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zum Tagesordnungspunkt 16 a und 16 b:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über
die parlamentarische Kontrolle nachrichten-
dienstlicher Tätigkeit des Bundes

Drucksache 18/6640

1) Ergebnis Seite 13355 D

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Parlamentarische Kontrolle der nachrichten-
dienstlichen Tätigkeit des Bundes verbessern

Drucksache 18/6645
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss

Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, die
Plätze einzunehmen und die Gespräche zu beenden, da-
mit wir in der Debatte fortfahren können.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser
Debatte hat Dr. André Hahn von der Fraktion Die Linke
das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813621600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Eines möchte ich gleich zu Beginn klarstellen:
An unserer programmatischen Zielsetzung zur Überwin-
dung bzw. zur mittelfristigen Abschaffung der Geheim-
dienste halten wir als Linke nach wie vor fest.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein wichtiger Schritt dahin ist der komplette Verzicht auf
den Einsatz von V-Leuten, wie wir es in unserem Antrag
fordern und wie es Thüringen bereits heute praktiziert.

Solange wir die Geheimdienste nicht auflösen kön-
nen – Mehrheiten dafür sind leider nicht in Sicht –, muss
alles getan werden, um wenigstens die derzeit völlig un-
zureichenden parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten
zu verbessern.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth GRÜNEN])


Im Gesetzentwurf sowie im Antrag schlägt die Linke
daher knapp 20 konkrete Änderungen vor. Aus Zeitgrün-
den kann ich nur einige ausgewählte Punkte nennen. So
gibt es gegenwärtig für das Parlamentarische Kontroll-
gremium keinerlei Stellvertreterregelung.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Doch! Ich bin Stellvertreter!)


Das Kontrollgremium besteht aus neun Mitgliedern. Die
beiden kleinen Fraktionen haben jeweils ein Mitglied im
PKGr. Im Falle einer Erkrankung oder eines anderwei-
tigen Ausfalls sind insbesondere diese Fraktionen wo-
möglich über einen langen Zeitraum überhaupt nicht im

Julia Obermeier






(A) (C)



(B) (D)


Kontrollgremium vertreten. Dies soll mit der vorgeschla-
genen Neuregelung verändert werden.

Nach der bisherigen Rechtslage können sich Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter der Nachrichtendienste bei Pro-
blemen, Missständen oder der Feststellung von Rechts-
verstößen zwar an das PKGr oder eines seiner Mitglieder
wenden; sie sind jedoch zugleich verpflichtet, die Leitung
des jeweiligen Dienstes darüber zu unterrichten. Das hat
in der Praxis dazu geführt, dass es kaum derartige Infor-
mationen an das Kontrollgremium gab, weil Mitarbeiter
der Dienste berufliche Nachteile befürchten mussten.
Deshalb soll dieser Passus nunmehr gestrichen werden.

Die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste sollen
nach unserem Vorschlag nicht länger im geheim tagen-
den Vertrauensgremium, sondern im regulären Haus-
haltsausschuss beraten werden. Wir wollen hier vollstän-
dige Transparenz.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth GRÜNEN])


Nach unserem Gesetzentwurf soll es künftig nach Zu-
stimmung eines Drittels der Mitglieder des PKGr mög-
lich sein, dass zu bestimmten brisanten Vorgängen entge-
gen der grundsätzlichen Pflicht zur Geheimhaltung eine
öffentliche Bewertung abgegeben werden kann. Bislang
ist dafür eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Durch die
vorgeschlagene Neuregelung werden die Minderheiten-
rechte gestärkt.

Zudem wollen wir eine Rechtsgrundlage dafür schaf-
fen, dass die Mitglieder des Kontrollgremiums ihre Frak-
tionsvorsitzenden über wichtige Vorgänge informieren
können. Denn sie sind nicht als Privatpersonen in den
Gremien, sondern als Vertreter ihrer Fraktionen.


(Beifall bei der LINKEN)


Weiterhin soll im Gesetz festgeschrieben werden, dass
von den Sitzungen des Kontrollgremiums ein kompletter
Tonbandmitschnitt anzufertigen ist, um später bei Bedarf
prüfen zu können, ob Aussagen der Bundesregierung
oder der Vertreter der Nachrichtendienste wahrheitsge-
mäß und vollständig erfolgt sind. So waren zum Beispiel
die brisanten BND-Selektoren der Bundesregierung seit
2013 bekannt. Eine Unterrichtung des Kontrollgremiums
erfolgte erst im September 2015, und auch das nur unter
dem Druck absehbarer Medienveröffentlichungen.

Und schließlich: Nach der geltenden Rechtslage kann
das Bundesverfassungsgericht bei Streitigkeiten mit der
Bundesregierung nur dann eingeschaltet werden, wenn
dies von einer Zweidrittelmehrheit des Kontrollgremi-
ums beschlossen wird. Das bedeutet im Klartext, dass
eine Anrufung des höchsten deutschen Gerichts nur dann
möglich ist, wenn die jeweilige Koalition die eigene Re-
gierung verklagt. Das ist nicht nur theoretisch abwegig,
sondern in der Praxis auch noch nie vorgekommen. Des-
halb sollte es künftig einer Fraktion ermöglicht werden,
eine Klage einzureichen, sofern sie sich in ihren Rechten
verletzt sieht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend noch ein letztes Wort zu den jüngsten
Vorwürfen gegen den BND. Wenn es denn stimmen
sollte, dass reihenweise befreundete Regierungen, deren
Botschaften oder sogar deutsche Diplomaten ausgespäht
wurden, dann gibt es dafür keinerlei Rechtfertigung,
nicht juristisch und schon gar nicht politisch.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Umso wichtiger ist eine wirksame parlamentarische
Kontrolle der Geheimdienste. Dem dienen unser Gesetz-
entwurf und unser Antrag.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813621700

Als nächster Redner hat Clemens Binninger von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD])



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1813621800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal bin ich positiv überrascht, dass dieses
Thema heute Abend auf so viel Interesse im Plenum
stößt.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso?)


Das hat sicherlich nichts mit der anschließenden nament-
lichen Abstimmung zu tun. Vielmehr sind Sie alle nur
hier, weil Sie Interesse an der parlamentarischen Kon-
trolle haben.


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Damit wir Sie hören!)


Insofern vielen Dank für Ihr Interesse.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es liegt nicht an Ihnen!)


– Es liegt nicht an mir? Das ist ein harter Zwischenruf.

Ich hoffe, dass es mir gelingt, ein paar Dinge klarzu-
stellen. Ich bin Ihnen dankbar, Kollege Hahn, dass Sie
mit einem Satz begonnen haben, der die ganze Debatte
eigentlich fast überflüssig macht.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Nein, überhaupt nicht!)


– Doch. – Wer zu Beginn seiner Rede zum Tagesord-
nungspunkt betreffend die parlamentarische Kontrolle
der Nachrichtendienste sagt: „Unsere programmatische
Grundaussage, dass wir die Nachrichtendienste abschaf-
fen wollen, bleibt bestehen“, vergibt sich nach meiner

Dr. André Hahn






(A) (C)



(B) (D)


Auffassung das Recht auf die Kontrolle und die Reform
der Kontrolle.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!)


Wenn man eine faire, objektive und nachhaltige parla-
mentarische Kontrolle ausüben will, kann man nicht
gleichzeitig sagen: Eigentlich hat die Kontrolle nur das
Ziel, die von mir zu Kontrollierenden abzuschaffen. –
Dann bekommen Sie auf Dauer ein Glaubwürdigkeits-
problem.

Nun muss man wissen, dass das Parlamentarische
Kontrollgremium durchaus eine besondere Stellung hat.
In Artikel 45 d unserer Verfassung sind wir, die Mitglie-
der des Parlamentarischen Kontrollgremiums, ausdrück-
lich genannt, weil wir etwas machen, was die anderen
Ausschüsse nicht machen können. Wir sind stellvertre-
tend für das ganze Plenum mit dieser Aufgabe betraut.
Wir werden – auch die Vertreter der Opposition – in
geheimer Wahl mit Kanzlermehrheit gewählt – das ist
nichts Triviales –, weil wir hier die Interessen des gan-
zen Hauses vertreten. Wenn wir über parlamentarische
Kontrolle reden und hier Reformbedarf sehen – auch wir
tun das; ich komme gleich darauf zurück –, dann sollten
wir uns bewusst sein, dass es eine Kontrolle sein muss,
die unserem Anspruch genügt und nicht zum Ziel haben
kann, Nachrichtendienste sturmreif zu schießen, weil es
im Parteiprogramm steht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nebenbei glaube ich, dass wir der Sicherheit unseres
Landes keinen Gefallen tun würden, wenn wir auf Ih-
rem Weg, Herr Hahn, voranschreiten würden. Wir sind
uns doch hoffentlich einig, dass die Herausforderungen,
vor denen wir stehen – auch die Bedrohung durch den
islamistischen Terrorismus –, Nachrichtendienste not-
wendig machen. Wie sollen wir sonst an Erkenntnisse
herankommen? Wie sonst sollen wir zu Beurteilungen
gelangen, die für unsere Sicherheit von Bedeutung sind?
Deshalb kann es zumindest für meine Fraktion – das gilt
mit Sicherheit auch für die Kollegen von der SPD und
wahrscheinlich ebenfalls für die Kollegen von den Grü-
nen – an der Grundaussage, dass unsere wehrhafte par-
lamentarische Demokratie Nachrichtendienste braucht –
über die Kontrolle können wir ja reden –, keinen Zweifel
geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich versuche nun, mich mit Ihrem Antrag konkret aus-
einanderzusetzen, auch wenn er das Ziel hat, die Dienste
abzuschaffen. Ich habe die darin enthaltenen Forderun-
gen genau gelesen. Ich will gleich vorausschicken: Bei
zwei oder drei Forderungen können wir uns durchaus
annähern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was?)


– Das kommt vor. Wir versuchen, es objektiv zu machen.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wir auch!)


Eigentlich geht es Ihnen aber nur um eines – das zieht
sich wie ein roter Faden durch –: den Mitwisserkreis ver-
größern, mehr Teilnehmer, weniger Geheimhaltung und
am liebsten gleich alles an das schwarze Brett hängen.


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das nennt man Transparenz!)


So funktioniert die Kontrolle von Nachrichtendiensten
aber wirklich nicht. Deshalb kann man Ihren Vorlagen
überhaupt nicht nahetreten. Wir Mitglieder des Parla-
mentarischen Kontrollgremiums sind gewählt. Aus die-
sem gutem Grund gibt es keine Stellvertreterregelung.

Wenn Sie sagen, wenn jemand länger ausfalle, dann
sei eine kleine Fraktion nicht mehr in dem Gremium ver-
treten, dann antworte ich: Für solche längeren Phasen,
die ich niemandem wünsche, gäbe es auch die Möglich-
keit, ein anderes Mitglied der Fraktion für diese Dauer
zu wählen. Das wird Ihnen niemand verwehren. Es gibt
Möglichkeiten, für Ersatz zu sorgen. Aber einfach nur
mehr Öffentlichkeit herstellen und den Kreis der Perso-
nen, die Brisantes erfahren, einfach erweitern zu wollen,
bringt keinen Mehrwert für die Kontrolle. Wo ist da wirk-
lich der Mehrwert? Sie haben mehr Mitwisser, aber keine
bessere Kontrolle. Deshalb kann man alle diese Punkte
rundherum ablehnen.

Wo ich etwas näher bei Ihnen bin – bei aller Vorsicht,
weil ich weiß, dass auch die Kollegen der SPD und, wie
ich glaube, auch die Kollegen der Grünen es so sehen –,
ist, dass wir als Gremiumsmitglieder zukünftig die Er-
laubnis haben sollten, die Fraktionsvorsitzenden über
besondere Sachverhalte zu informieren. Das halte ich
für notwendig angesichts der Bedeutung, die wir hier
im Hause haben, und auch angesichts der Bedeutung der
Aufgabe. Das sind Punkte, die wir, wie ich glaube, schon
verändern müssen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Lieber nicht!)


– Volker, auch du wirst manches erfahren müssen. So ist
es halt.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kommen wir zum Punkt Öffentlichkeit. Wir tagen
grundsätzlich geheim. Jeder, der das seriös bewertet,
muss das einräumen. Das Dilemma wird sich nicht auf-
lösen lassen, weil die Sachverhalte, die wir erfahren, zu
brisant sind und weil eine Veröffentlichung die Arbeits-
fähigkeit unserer Dienste gefährden würde. Aber dass
man – die USA machen es auch – einmal im Jahr eine
öffentliche Befragung der Präsidenten der Nachrichten-
dienste durchaus anberaumen kann, unter Berücksich-
tigung des Geheimschutzes, könnte am Ende nicht nur
der Kontrolle, sondern auch der Akzeptanz der Dienste
in unserer Gesellschaft dienen. Über solche Dinge kann
man mit uns reden. Aber einfach den Mitarbeiterkreis zu
erweitern, die Zahl der Wissenden zu erhöhen und das
Ganze mit dem Ziel zu machen, die Nachrichtendienste
am Ende abzuschaffen, darüber kann man mit uns nicht

Clemens Binninger






(A) (C)



(B) (D)


reden und auch nicht verhandeln. Das ist eine klare Aus-
sage.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Kollege Hahn, Sie sind derzeit der Vorsitzende
des Gremiums, und ich bin Stellvertreter. Ich hätte mir
gewünscht, dass Sie mit zwei Sätzen den Kollegen, die
heute Abend hier sind, weil sie das Thema interessiert,
sagen, dass sich bei der parlamentarischen Kontrolle
doch schon einiges verbessert hat. Wir haben in dieser
Legislatur, zum ersten Mal übrigens, sieben konkrete
Kontrollaufträge benannt. Das war alles öffentlich, und
ich verrate hier keine Geheimnisse. Die reichen von der
Thematik der V-Leute bis hin zur Zusammenarbeit des
BND in anderen Bereichen.

Wir haben eine Task Force gebildet. Auch das hatten
wir noch nie. Das sind Mitarbeiter, die in unserem Auf-
trag die Nachrichtendienste aufsuchen dürfen, sich dort
Akten zeigen lassen dürfen und dort Mitarbeiter befra-
gen dürfen. Dieses Mittel setzen wir ein. Wir setzen es
auch bei dem aktuellen Thema ein, das Sie angesprochen
haben, nämlich bei der Frage, ob die Suchbegriffe des
BND möglicherweise gegen das Gesetz oder gegen das
Auftragsprofil verstoßen. Auch da haben wir unsere Task
Force eingesetzt.

Wir werden unserer Kontrollaufgabe gerecht. Des-
halb müssen wir, wenn wir über Reformen sprechen,
über die größte Schwachstelle der parlamentarischen
Kontrolle sprechen. Das ist die Selbstkritik, Herr Kol-
lege Hahn. Alle, die in diesem Gremium einmal waren,
werden zugeben müssen, dass man als Abgeordneter, der
noch andere Aufgaben hat, überhaupt nicht die notwen-
dige Zeit hat, um die Kontrollinstrumente, die das Gesetz
vorsieht, anzuwenden. Uns fehlt schlicht und einfach die
Zeit. Man brauchte viele Tage und Wochen im Jahr, um
Behörden aufzusuchen und Mitarbeiter zu befragen. Wir
machen das, aber alles nur sehr punktuell.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813621900

Herr Kollege Binninger, lassen Sie eine Zwischenfra-

ge zu?


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ich wollte eine Kurzintervention!)


– Okay. Dann machen wir anschließend eine Kurzinter-
vention.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1813622000

Ich würde auch die Frage zulassen. Dann sind wir

durch.

Deshalb sind wir zurzeit dabei, die größten Schwach-
punkte mit einer Reform zu beseitigen. Wir sagen ge-
meinsam mit den Kollegen der SPD: Es wäre hilfreich,
wenn wir im Gremium eine hochrangige Person – Sie
können sie Geheimdienstbeauftragter nennen oder Stän-
diger Bevollmächtigter – hätten, die mit einem Arbeits-
stab das ganze Jahr in unserem Auftrag diese Kontroll-
funktion ausübt, sich also ganzjährig dieser Aufgabe
widmet. Dann hätten wir ein Kontrollniveau, das sehr

viel höher wäre als das, das wir erreichen können. Man
hätte am Ende Ergebnisse, und das würde zur Versachli-
chung manch aufgeregter Debatte beitragen.

Wir als vom Parlament Gewählte hätten trotzdem das
Sagen, wir würden die Aufträge erteilen. Dabei kämen
selbstverständlich alle Kollegen gleichermaßen zum
Zuge. Wir verfahren nicht nach Opposition und Regie-
rung. Ich glaube, das ist der zentrale Ansatz. Die Instru-
mente, die wir zwar anwenden dürfen, aber so gut wie
nie anwenden – das ist der ehrliche Befund –, können
wir an einen Stab geben, der uns zugeordnet ist und diese
Aufgabe machen kann. Dann sind wir auch auf einem
Weg, dass die parlamentarische Kontrolle so ausgeführt
wird, dass sie der Dimension der Aufgabe gerecht wird,
dass sie unserem Anspruch gerecht wird, dass sie aber
auch den Diensten nutzt. Ich sage immer: Ich stelle mich
vor die Dienste. Das kann ich aber nur, wenn ich sie vor-
her konsequent kontrolliert habe. Dann kann ich mich
davorstellen. Fehler benennen und sagen: „Das ist kein
Fehler“, beides muss man können. Dazu brauchen wir
diesen Stab.

Wir werden wahrscheinlich im nächsten Jahr einen
konkreten Gesetzentwurf vorlegen. Ich bitte Sie herzlich,
uns dabei zu unterstützen. Das wäre eine wirkliche Re-
form der parlamentarischen Kontrolle. Ihr Papierchen ist
getragen von dem ersten Satz: Eigentlich wollen wir die
Nachrichtendienste abschaffen. Dafür sind wir, aber auch
die Mehrheit in diesem Hause, nicht zu haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813622100

Jetzt erhält der Kollege Dr. Hahn das Wort zu einer

Kurzintervention.


Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813622200

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Kollege Binninger, da

Sie mich mehrfach direkt angesprochen haben, möchte
ich auf drei Punkte kurz reagieren.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie haben vor mir geredet!)


Sie haben sinngemäß gesagt: Wer für die Abschaffung
der Geheimdienste sei, der hätte nicht das Recht, Verbes-
serungs- und Veränderungsvorschläge zu machen. Ich
halte das für ein sehr fragwürdiges Demokratieverständ-
nis – um das klar zu sagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben eine politische Programmatik, und wir arbei-
ten hier im Parlament konstruktiv mit. Sie haben zu Recht
gesagt, es gibt dafür keine Mehrheiten. Dann behalten
wir uns aber auch das Recht vor, konkrete Vorschläge zu
machen, was an der jetzigen Situation verbessert werden
kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweiter Punkt. Sie haben gesagt, Sie hätten sich ge-
wünscht, dass ich einräume, dass sich bei der parlamen-
tarischen Kontrolle das eine oder andere verbessert hat.
Ich habe gestern eine Pressekonferenz gegeben, in der

Clemens Binninger






(A) (C)



(B) (D)


ich unsere Entwürfe vorgestellt habe. Ich habe zehn Mi-
nuten damit verbracht, zu sagen, was sich positiv entwi-
ckelt hat.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Aber hier nicht einen Satz!)


– Herr Kollege Binninger, ich habe die Punkte dort be-
nannt. Ich habe hier, anders als Sie, nur vier Minuten
Redezeit. Da muss ich mich leider darauf beschränken,
unsere Vorschläge vorzustellen.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn Sie uns loben, kriegen Sie von uns Redezeit!)


Dritter Punkt. Herr Kollege Binninger, Sie haben
gesagt, man kann die Nachrichtendienste nicht einfach
sturmreif schießen, weil man die Auflösung in seinem
Parteiprogramm vorgesehen hat. Hier muss ich ganz klar
sagen: Die deutschen Nachrichtendienste haben in den
letzten Monaten und Jahren durch Pannen und Skandale
selbst alles dafür getan, ihre eigene Existenzberechtigung
infrage zu stellen. Darüber müssen wir hier reden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813622300

Herr Kollege Binninger, wünschen Sie das Wort zur

Erwiderung?


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Einfach sagen, es stimmt!)



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1813622400

Ich mache es kurz.

Erster Punkt. Ich habe gesagt, Sie haben ein Glaub-
würdigkeitsproblem. Natürlich können Sie hier Anträge
einbringen, wie Sie es für richtig halten. Aber wie soll
man dem, der sagt, er will die Dienste abschaffen, ernst-
haft abnehmen, dass er in der Lage ist, objektiv und fair
zu kontrollieren? Das ist ein Glaubwürdigkeitsproblem.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht er doch jeden Tag!)


Zweiter Punkt. Dafür, dass Sie nur vier Minuten Rede-
zeit haben, kann ich nichts. Es ist letztendlich Ausdruck
des Wählerwillens, dass Sie vier Minuten haben und ich
zehn Minuten. Das müssen Sie einfach so akzeptieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth Aber die Redezeit ist nicht gewählt! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Die Geschäftsordnung bietet andere Möglichkeiten!)


(Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:


– Es ist halt so. Ich kann nichts dafür.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn Sie loben, kriegen Sie Redezeit! – Gegenruf der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das stimmt überhaupt nicht, Herr Kauder! Das ist doch Quatsch!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813622500

Also, jetzt muss ich einmal unterbrechen. Der Kollege

Binninger hat das Wort.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1813622600

Ich bin auch gleich fertig.

Dritter Punkt. Natürlich gab es in den letzten Jahren
Versäumnisse und schwere Fehler bei den Nachrichten-
diensten, Beispiel NSU. Aktuell gehen wir den Fragen
nach. Das ist richtig und auch unsere Aufgabe. Ich möch-
te aber nicht dieses Pauschalurteil, das besagt, dass die
Dienste per se alle auf dem falschen Dampfer sind, wir
müssen sie abschaffen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)


Differenzierung und faire Kritik gehören auch zur parla-
mentarischen Kontrolle.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813622700

Als nächster Redner spricht Hans-Christian Ströbele

von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Freundinnen und Freunde der
Geheimdienste und liebe Freundinnen und Freunde der
Kontrolle der Geheimdienste!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Jeder kann überlegen, wo er sich da einordnet.

Der Vorschlag, den die Linke relativ überraschend
gemacht hat – ich habe die Vorlagen trotzdem gelesen –
enthält viel Richtiges, vieles von dem, was wir schon seit
Jahren fordern, wozu wir Gesetzesvorschläge gemacht
haben, die leider noch keine Mehrheit im Deutschen
Bundestag gefunden haben. Dazu gehören das stellver-
tretende Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremi-
um – das muss einfach sein; aus unbekannten Gründen
wird das verweigert –, die Unterrichtung des Fraktions-
vorstandes – es ist völlig absurd, dass man das nicht darf;
das war früher schon einmal anders – und natürlich auch
die Anwesenheit von Mitarbeitern bei Sitzungen. Auch
sie sollten dabei sein dürfen.

Aber ich sage Ihnen: Das eigentliche Problem ist ein
anderes. Lieber Kollege Binninger, ich schließe mich
gern an, wenn wir einmal einen Abend lang Selbstkritik
üben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn Sie dabei sind, brauchen wir zwei Abende!)


Bei einigem haben Sie ja recht. Viele Abgeordnete haben
einfach nicht die Zeit, sich ausreichend zu kümmern. Wir
können gerne einen solchen Abend veranstalten; ich ma-
che mit.

Heute will ich einmal sagen, woran die Kontrolle der
Nachrichtendienste in den letzten Jahren, vor allen Din-

Dr. André Hahn






(A) (C)



(B) (D)


gen seit der Snowden-Enthüllung, gescheitert ist, näm-
lich an den Mitgliedern der Bundesregierung, der Ge-
heimdienste, die mich und Sie und andere, die in dem
Parlamentarischen Kontrollgremium sitzen, belogen
haben, die die Unwahrheit gesagt haben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


die verschwiegen haben, die da saßen wie Engel und den
Eindruck erweckten: Wir wissen von nichts; keine Ah-
nung, was der Snowden da will; keine Ahnung, was die
USA machen. Wir kümmern uns doch nicht um Freun-
de. – Sogar hatte die Kanzlerin gesagt, das Abhören von
Freunden gehe gar nicht. Was wir jetzt alles an Infor-
mationen, an Meldungen bekommen, das zeigt, dass das
überwiegend gelogen war, und das darf doch nicht wahr
sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Da müssen Sie etwas verbessern. Deshalb fordere ich
drei Punkte:

Erstens. In solchen parlamentarischen Gremien muss
die Opposition die Möglichkeit haben, allein Sachen
durchzusetzen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Das heißt, wir brauchen Oppositionsrechte, auch wenn
die Opposition noch so klein ist. Denn die Regierungs-
koalition sieht ihre Hauptaufgabe darin – das ist auch
eine Kritik an Ihnen –, sich vor die Geheimdienste zu
stellen, sie zu schützen und zu rechtfertigen, was sie tut.
So ist die Realität. Nur die Opposition kann das durch-
brechen.

Zweitens. Wir brauchen – das fordere ich jetzt seit
zehn Jahren – eine wörtliche Protokollierung von dem,
was in den Sitzungen dieses Gremiums gesagt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Damit man es weiter an die Presse geben kann!)


Es ist doch ein Unding, dass wir uns jetzt nicht über die,
glaube ich, acht oder zehn Sondersitzungen im Jahr 2013
unterhalten können, um der Frage nachzugehen: Was hat
da Herr Schindler gesagt? Was hat da Herr Pofalla ge-
sagt? Was hat der Minister gesagt? Wenn wir das nicht
nachhalten können, können wir sie nicht überführen, dass
sie uns belogen haben; vielmehr sind wir auf unser eige-
nes Gedächtnis angewiesen.

Das, was in anderen Ausschüssen möglich ist, bei-
spielsweise im Auswärtigen Ausschuss – da werden auch
geheime Sitzungen mitgeschnitten –, muss eingeführt
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jeder, der das Kontrollgremium arbeitsfähig machen
will, der muss das wollen. Warum wollen Sie das nicht?

Haben Sie Angst vor Ihrer eigenen Rede, die dann proto-
kolliert worden ist? Das darf nicht sein.

Drittens. Wir brauchen Sanktionen gegen Mitglieder
der Bundesregierung, gegen Mitglieder der Geheim-
dienste, die uns im Parlamentarischen Kontrollgremium
belogen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es reicht nicht, im Gesetz zu verankern, wie es die Linke
jetzt will, dass die Mitglieder von Bundesregierung und
Geheimdiensten vollständig und wahrheitsgemäß infor-
mieren müssen; vielmehr muss es Folgen haben, wenn
sie lügen. Wir müssen gesetzlich verankern, dass es min-
destens ein Disziplinarvergehen ist, wenn dort falsch
ausgesagt wird. Es kann doch nicht angehen, dass zwar
Falschaussagen im Untersuchungsausschuss strafrecht-
liche Konsequenzen haben, während wir Abgeordnete
im Parlamentarischen Kontrollgremium nach Strich und
Faden belogen werden können, ohne dass das irgendeine
Konsequenz hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der letzte Punkt, den ich anfügen will – das ist mein
Lieblingspunkt –: Das sind die Whistleblower. Wir brau-
chen in unseren Gesetzen – wir haben das mehrfach
beantragt – Möglichkeiten, dass, wenn unter dem Deck-
mantel der Geheimhaltung Grundrechte verletzt werden,
wenn die Verfassung von Bund oder Ländern gebrochen
wird, man das als Abgeordneter frei hier von diesem Po-
dium aus oder auch in den Ausschüssen sagen darf, ohne
dass der Staatsanwalt anschließend anklopft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Eine solche Regelung haben wir schon einmal im Straf-
gesetzbuch gehabt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die muss man wieder einführen. Wenn Sie eine wirkliche
Kontrolle haben wollen, dann schließen Sie sich mir an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das steht bei uns drin!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813622800

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Gabriele

Fograscher von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1813622900

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Enthüllun-
gen – Einzelheiten aus geheimen Unterlagen, Skandal-
trächtiges – über die Dienste in den Medien berichtet
wird. Und so fällt es einem in diesen Tagen nicht gerade
leicht, sich für die Nachrichtendienste in Deutschland
und ihre Notwendigkeit für die Sicherheit in Deutschland

Hans-Christian Ströbele






(A) (C)



(B) (D)


und Deutscher im Ausland auszusprechen. Verfassungs-
schutz und Bundesnachrichtendienst haben viel Vertrau-
en und Glaubwürdigkeit verspielt.

Die Unfähigkeit des Verfassungsschutzes von Bund
und Ländern und anderer Sicherheitsbehörden, die Mord-
serie des Nationalsozialistischen Untergrunds aufzude-
cken und Straftaten zu verhindern, beschäftigt bis heute
den Bundestag und die Länderparlamente. Weil es viele
Zweifel und ungelöste Fragen gibt, haben wir gestern
den 2. Untersuchungsausschuss zum NSU eingesetzt. Als
Konsequenz aus dem 1. NSU-Untersuchungsausschuss
haben wir mit Reformen des Verfassungsschutzes begon-
nen. Zufrieden können wir damit aber noch nicht sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Veröffentlichungen von Edward Snowden
im Sommer 2013, der Untersuchungsausschuss zur
NSA-Affäre, Medien und Kontrollgremien des Bundes-
tages decken immer neue Sachverhalte auf. Sie legen
das teilweise problematische Agieren des BND und be-
freundeter Dienste offen. Schwere technische und orga-
nisatorische Defizite sind beim Bundesnachrichtendienst
zutage getreten.

Unsere Antwort auf die Vorwürfe und Affären besteht
in der Aufklärung der Defizite in den Strukturen und der
Ursachen für die Fehlentwicklungen. Daraus müssen und
werden wir Konsequenzen für die Reform und Neuaus-
richtung der Dienste ziehen und diese zügig umsetzen.


(Beifall bei der SPD)


Erste Schritte haben wir bereits unternommen. Wir
haben die Geschäftsordnung des Parlamentarischen
Kontrollgremiums verbessert, es personell aufgestockt
und eine Task Force geschaffen, die Sachverhalte unter-
suchen kann, und die Einsetzung eines Sonderermittlers
ermöglicht. Die Task Force arbeitet. Der Sonderermittler
hat einen Bericht zum Komplex „Corelli“ vorgelegt. Mit
diesen erweiterten Handlungsoptionen kann das Parla-
mentarische Kontrollgremium aktiver agieren, und die
Qualität der Kontrolle hat sich verbessert.

Das reicht uns aber noch nicht. Deshalb wollen wir
den Ständigen Beauftragten mit eigenem Arbeitsstab.
Dieser soll sowohl für das Parlamentarische Kontroll-
gremium als auch für das Vertrauensgremium und die
G10-Kommission arbeiten und diese unterstützen. Wir
erwarten auch noch mehr selbstständige Information
durch die Bundesregierung und die Nachrichtendienste
über Vorkommnisse, die politisch brisant sind oder sein
könnten.

Klar ist für uns: Der Bundesnachrichtendienst braucht
eine neue gesetzliche Grundlage. Dafür haben wir be-
reits vor der Sommerpause Eckpunkte vorgelegt. Wir
fordern: Bei Erstbeauftragung einer Maßnahme muss
der BND-Präsident zustimmen. Weiter fordern wir: aus-
drückliches Verbot der Wirtschaftsspionage; besonderen
Schutz von EU-Bürgern, EU-Mitgliedstaaten und EU-In-
stitutionen; ausdrückliches Verbot eines systematischen
Ringtauschs zur Umgehung nationaler Restriktionen und
deutliche organisatorische Maßnahmen, was heißt, dass
einzelne Abteilungen kein Eigenleben mehr führen dür-
fen.

Die Linke macht in ihrem Antrag und in ihrem Ge-
setzentwurf zahlreiche Vorschläge, die mal mehr, mal
weniger geeignet sind, die parlamentarische Kontrolle
der Dienste zu stärken. Ich frage mich aber: Wozu der
ganze Aufwand, wenn es – ich zitiere aus dem Antrag –
nur als Übergangslösung auf dem Weg zur Abschaffung
der Geheimdienste gedacht ist?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir als Koalition wollen mit unseren Vorschlägen die
Dienste stärken, sie leistungsfähiger und zielgerichteter
aufstellen und befähigen, die Herausforderungen der
heutigen Zeit und der Zukunft bewältigen zu können.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813623000

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/6640 und 18/6645 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich,
bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er-
mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten
Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage
der Resolution 1996 des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zu-
letzt 2241 vom 9. Oktober 2015 bekannt geben: abge-
gebene Stimmen 578. Mit Ja haben gestimmt 518, mit
Nein haben gestimmt 58, Enthaltungen gab es 2. Die Be-
schlussempfehlung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 577;

davon

ja: 517

nein: 58

enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär

Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning

Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser

Gabriele Fograscher






(A) (C)



(B) (D)


Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn

Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla

Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann

Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster


(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier






(A) (C)



(B) (D)


Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold

Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held

Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller (Chemnitz)

Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz

Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler






(A) (C)



(B) (D)


Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)


Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang

Strengmann-Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

SPD

Christian Petry
DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert

Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Pia Zimmermann

Enthalten

SPD

Dr. Ute Finckh-Krämer
Petra Hinz (Essen)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zum Tagesordnungspunkt 17:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hy-
brid-Operation in Darfur (UNAMID) auf
Grundlage der Resolution 1769 (2007) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 31. Juli 2007 und folgender Resoluti-
onen, zuletzt 2228 (2015) vom 29. Juni 2015

Drucksachen 18/6503, 18/6639


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/6684

Über die Beschlussempfehlung werden wir später
ebenfalls namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das auch
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der
Debatte hat Lars Klingbeil von der SPD-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1813623100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch wenn die Zeit schon fortgeschritten ist, halte ich
die Diskussion hier im Deutschen Bundestag über eine
weitere Beteiligung der Bundeswehr am Mandat in Dar-
fur für sehr wichtig. Ich möchte mich auch gleich zu
Beginn dieser Diskussion bei all denen bedanken, die in






(A) (C)



(B) (D)


den letzten Jahren für die Bundesrepublik Deutschland
in Darfur waren, egal ob als Helfer in den NGOs, ob als
Polizisten oder als Soldatinnen und Soldaten. Wir haben
viele Menschen dorthin entsandt. Ich denke, wir alle kön-
nen dankbar sein für den Einsatz, den sie dort geleistet
haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Vereinten Nationen haben die Situation in Darfur
vor wenigen Jahren als eine der schrecklichsten huma-
nitären Katastrophen bezeichnet. Wenn wir uns die Zahl
der Opfer anschauen, dann sehen wir, dass es seit 2003 in
diesen Auseinandersetzungen über 300 000 Tote gegeben
hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gestern
Abend mit einem Zapfenstreich und heute Morgen mit
einer großen parlamentarischen Debatte „60 Jahre Bun-
deswehr“ gefeiert. Ich finde, bei einer Mission wie UNA-
MID sollten wir uns immer wieder bewusst machen: Wir
haben eine Parlamentsarmee. Wir als Parlamentarier sind
es, die die Soldatinnen und Soldaten in den Auslandsein-
satz schicken. – Selbst wenn es im aktuellen Mandat nur
sieben Soldatinnen und Soldaten sind: Trotzdem gehört
eine solche Diskussion in das Parlament, hier in den
Deutschen Bundestag. Wir müssen uns unsere Verant-
wortung bewusst machen. Es ist richtig, dass wir über
jeden Einsatz der Bundeswehr hier im Parlament disku-
tieren und auch namentlich darüber abstimmen.


(Beifall bei der SPD)


Ein Weiteres, was auch eng mit diesem Einsatz zu-
sammenhängt, ist: Es gilt, uns noch einmal bewusst zu
machen, wie sehr die Welt im Umbruch ist. Ich erinne-
re mich daran: Vor sechs Jahren, als ich Mitglied des
Deutschen Bundestages wurde, war die außen- und si-
cherheitspolitische Diskussion eine Nebendebatte. Heute
reden wir eigentlich nur noch über die Außen- und Si-
cherheitspolitik. Wenn wir uns die weltpolitische Lage
anschauen – die Ukraine, Syrien, der Nahe Osten, aber
auch Afrika –, dann sehen wir, wie brachial die weltpo-
litische Lage auf einmal auch in unseren Fokus gerückt
ist. Es ist unsere Verantwortung als Parlament, die ent-
sprechende sicherheitspolitische Diskussion zu führen.
Wir tun das gerade im Rahmen des Weißbuch-Prozesses.
Ich finde aber, wir müssten hier im Parlament noch viel
stärker sicherheitspolitische Diskussionen führen in der
Art, wie es heute Morgen der Fall war. Das gehört auch
zu unserer Verantwortung als Parlamentarier.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Situation in
Darfur ist seit 2003 fragil. Wir haben dort nicht die
Fortschritte, die wir uns wünschen. Nein, viel zu häufig
gibt es sogar Rückschritte vor Ort. Wir sehen, dass un-
terschiedliche ethnische Gruppen, Rebellengruppen und
Regierungen sich immer wieder in Kämpfen befinden.
Aber es ist richtig, dass wir uns dort engagieren. Wenn
man sich die Zahlen anschaut, dann sieht man, dass
4,4 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewie-
sen sind. Allein 2 Millionen Kinder in Darfur sind unter-

ernährt. Und in der Region sind 2,6 Millionen Menschen
als Binnenflüchtlinge unterwegs.

Ich will nur zwei weitere Zahlen nennen, die ver-
deutlichen, wie wichtig unser Engagement in Afrika
ist. Bis 2050 wird sich die Bevölkerungszahl in Afrika
auf 2,4 Milliarden Menschen verdoppeln. Von diesen
2,4 Milliarden Menschen im Jahr 2050 wird 1 Milliarde
unter 18 Jahren sein. Wir können doch heute schon abse-
hen, dass viele dieser Menschen versuchen werden, ein
besseres Leben zu führen, als das heute in Afrika der Fall
ist. Wenn wir in diesen Tagen ausführlich über Fluchtur-
sachen reden, dann müssen wir uns hier im Parlament
bewusst machen, wie wichtig Frieden und Stabilität auf
dem afrikanischen Kontinent sind, wenn wir wollen, dass
die Menschen dort vernünftig leben können. Wir müssen
ihnen eine Perspektive bieten. Deswegen ist unser En-
gagement auf dem afrikanischen Kontinent so wichtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck Eine militärische Stabilisierung der Region kann nicht funktionieren. Eine Gesamtstrategie ist wichtig. Ich will auch hier ein paar Fakten nennen, damit man einfach sieht, wie umfassend das Engagement der Bundesregierung ist. Allein im Jahr 2015 haben wir 7,1 Millionen Euro in humanitäre Hilfe investiert. Am Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre, das vom Auswärtigen Amt gefördert wird, wurden über 300 Polizisten ausgebildet. Das BMZ finanziert über einen Regionalfonds unterschiedlichste NGOs, die an der Sicherung der Wasserund Gesundheitsversorgung arbeiten. Und 16 Millionen Euro fließen vonseiten der Bundesregierung in Projekte, die die berufliche Bildung und Ausbildung in der Region fördern sollen. Hier sieht man, wie unterschiedlich der Ansatz ist. Ich glaube, nur eine solche gemeinsame Strategie im Sinne einer Gesamtstrategie kann erfolgreich sein. Das Mandat, über das wir heute entscheiden, ist ein gemeinsames Mandat der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union und verfolgt drei Ziele: zum Ersten den Schutz von Zivilpersonal und zivilen Helfern, zum Zweiten die Erleichterung bei der Bereitstellung von humanitärer Hilfe und zum Dritten die Unterstützung bei der Vermittlung zwischen den Konfliktparteien. Insgesamt sind es 16 000 Soldatinnen und Soldaten und 1 500 Polizistinnen und Polizisten, die dort unterwegs sind. Noch einmal: Das Mandat sieht vor, dass es bis zu 50 deutsche Soldatinnen und Soldaten sein können. Aktuell sind sieben Soldaten und ein Polizist vor Ort, die vor allem die Stäbe unterstützen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will noch einmal betonen: Ich glaube, dass Militär in dieser Region keinen Frieden bringen kann. Aber Militär und Bundeswehr können eine wichtige Unterstützung bieten, wenn es darum geht, auf dem steinigen Weg politischer Verhandlungen ökonomischen Aufbruch und soziale Stabilität herzustellen. Die Bundeswehr kann helfen, dort einen Rahmen zu setzen. Deswegen halten wir als SPD-Frakti Lars Klingbeil on es für richtig, dass wir heute das Mandat um ein weiteres Jahr verlängern. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich würde mich freuen, wenn wir das mit einem deutlichen Signal hier im Parlament tun (Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau Beck auch!)


(Bremen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])





(A) (C)


(B) (D)


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir auch!)


und damit auch den Soldatinnen und Soldaten, auch wenn
es nur wenige sind, ein klares Signal geben, dass wir ihre
Mission richtig finden und sie unterstützen. Noch einmal:
Wir wünschen ihnen alles Gute für diese Mission.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813623200

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Kathrin

Vogler das Wort.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt fehlen nur noch Sie! Dann sind wir einstimmig!)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813623300

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Gestern haben ja viele von Ihnen bei
Fackelschein und Militärmusik vor dem Reichstagsge-
bäude den 60. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr
gefeiert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: War super!)


– Klatschen Sie ruhig. – Das Volk musste allerdings
draußen bleiben. Dafür sorgten Feldjäger in der Bann-
meile. Heute schicken Sie die Bundeswehr erneut in zwei
bewaffnete Einsätze, von denen Sie genau wissen, dass
die Mehrheit der Bevölkerung diese ablehnt.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Haben Sie eine Umfrage gemacht?)


Die Bundesregierungen der letzten 20 Jahre von Rot-
Grün über Schwarz-Gelb bis zur Großen Koalition haben
die Bundeswehr ja ganz gezielt zu einer weltweit einsetz-
baren Truppe umgebaut. Gerade der Einsatz in Darfur,
über den wir jetzt reden, zeigt, in welches Dilemma Sie
diese Politik der weltweiten Militäreinsätze bringt.

Seit 2007 ist die Bundeswehr an der UNAMID-Missi-
on in der sudanesischen Provinz Darfur beteiligt. Dieses
Mandat wollen Sie heute zum achten Mal verlängern.
Und auch dieses Mal sagt die Linke dazu Nein.


(Beifall bei der LINKEN)


Mehr als genug Gründe für dieses Nein finden sich schon
in Ihrer Mandatsbegründung. Ich fasse es kurz zusam-
men: Sicherheitslage weiter angespannt, Kämpfe sind an
der Tagesordnung, Übergriffe auf humanitäre Helfer –
131 allein in diesem Jahr –, eine äußerst prekäre huma-

nitäre Lage, 2 Millionen Kinder akut unterernährt, eine
desaströse Menschenrechtslage, Vergewaltigungen und,
und, und.

Der UN-Sicherheitsrat hat aufgrund fehlender Fort-
schritte beschlossen, diese Mission zu verlängern, und
dem schließt sich diese Bundesregierung an. Also, damit
ich es noch einmal richtig verstehe: UNAMID ist seit
acht Jahren erfolglos und wird genau deshalb verlängert.
Das ist doch absurd, Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieser Mandatsantrag ist ein einziges Dokument des
Scheiterns, aber diese Bundesregierung hat nicht die
Kraft oder den Mut, aus diesem Scheitern die einzig rich-
tigen Konsequenzen zu ziehen. Wissen Sie, was mich
richtig sauer macht? Es gibt keinen Hinweis darauf, dass
es der Bevölkerung in Darfur jetzt, nach acht Jahren
Mandatsausübung, irgendwie besser ginge.

Nun wissen wir natürlich auch, dass Friedensprozes-
se in Bürgerkriegsgebieten häufig kompliziert sind und
lange dauern können. Aber wenn es um den wirksamen
Schutz der Zivilbevölkerung geht, dann darf man damit
nicht warten, bis alle politischen Konflikte gelöst und
alle Waffen eingesammelt sind.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, was wollt ihr denn machen?)


Ein Blick ins Nachbarland Südsudan könnte einen Weg
aus diesem Dilemma aufzeigen.


(Niels Annen [SPD]: Was? Herr van Aken hat etwas anderes gesagt!)


Dort zeigt nämlich die internationale Organisation Non-
violent Peaceforce, wie man mit gewaltfreien Mitteln,
also ohne Waffen, und mit sehr geringer finanzieller Aus-
stattung den Schutz der Zivilbevölkerung gewährleisten
kann.


(Niels Annen [SPD]: Waren Sie eben dabei in der Debatte? – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Haben Sie das Herrn van Aken gesagt?)


Natürlich kann man das nicht eins zu eins auf Darfur
übertragen. Aber man muss sich schon mal die Frage
stellen, warum man das, was im Südsudan wirkt, was auf
den Philippinen und in Sri Lanka gewirkt hat, nicht auch
als Hoffnungsschimmer für Darfur sehen könnte.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Genau dieser Hoffnungsschimmer wird inzwischen
auch bei den Vereinten Nationen zur Kenntnis genom-
men. Der Bericht des High-level Independent Panel on
Peace Operations und die Globale Studie zur Umset-
zung der Resolution 1325, in der es ganz speziell um den
Schutz von Frauen in bewaffneten Konflikten und um die
Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen geht, emp-
fehlen explizit den Ausbau von Instrumenten zum unbe-
waffneten Schutz von Zivilpersonen. Mit der halben Mil-
lion Euro, die Sie jedes Jahr für den Bundeswehreinsatz
in Darfur mit sieben Soldaten und einem Polizeibeamten
ausgeben wollen, könnte man diesem wichtigen Engage-
ment einen richtigen Schub geben.

Lars Klingbeil






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, setzen Sie nicht weiter auf
gescheiterte Militäreinsätze! Handeln Sie zivil, im Inte-
resse der Menschen! Dabei würde die Linke Sie unter-
stützen. Bei diesem Bundeswehreinsatz unterstützen wir
Sie aber nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Na ja, verkraften wir!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813623400

Als nächster Redner hat Michael Vietz von der CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Vietz (CDU):
Rede ID: ID1813623500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Der Sudan: Nubien,
Kusch, das Königreich von Kerma, 1700 vor Christi
Geburt, immerhin der älteste uns bekannte schwarzafri-
kanische Staat. Aus unserem Geschichtsunterricht ist er
uns als wohlhabendes und geheimnisvolles Land südlich
Ägyptens bekannt. An diese reichhaltige Geschichte soll-
ten wir uns erinnern, um uns eine Zukunft für diese Regi-
on auch vorstellen zu können.

Wenn wir heute den Sudan betrachten, zeichnet sich
ein düsteres Bild. Sudan und Südsudan gehören welt-
weit zu den am stärksten belasteten Krisengebieten. Die
Region Darfur, im Westen Sudans, versinkt seit 2003 im
Chaos. Schätzungen zufolge hat dieser blutige Konflikt
bereits etwa 300 000 Menschenleben gekostet, darunter
viele Zivilisten.

Die brutalen Auseinandersetzungen zwischen Regie-
rungstruppen, Rebellenorganisationen und regierungs-
nahen Milizen schaffen den Nährboden für Terror und
Kriegsverbrechen. Über 2,5 Millionen Menschen haben
ihre Dörfer verlassen und sind auf der Flucht. Fast 2 Mil-
lionen von ihnen leben in Flüchtlingslagern. Annähernd
die Hälfte der Bevölkerung von Darfur ist auf humanitäre
Hilfe angewiesen. 2 Millionen Kinder sind unterernährt.
So sehen Fluchtursachen aus!

Was können wir dem entgegensetzen? Im Rahmen
von UNAMID leisten wir mit der internationalen Ge-
meinschaft, gemeinsam mit der Afrikanischen Union,
einen substanziellen Beitrag zur Bewältigung des Kon-
flikts. Kernaufgabe ist dabei der Schutz der Zivilbevöl-
kerung. Ein besonderes Augenmerk wird aktuell auf die
Vermittlung zwischen den bewaffneten Gruppen gelegt,
die noch nicht das Doha-Dokument unterzeichnet haben,
sich einem weiteren Friedensprozess verweigern. Hier
haben wir alle noch viel zu tun.

Die Herausforderungen an die Mission sind nicht klei-
ner geworden. Der Konflikt flammt in Wellen der Gewalt
immer wieder auf und wirft die Friedensbemühungen zu-
rück. Über 200 Peacekeeper haben seit Beginn der Mis-
sion im Einsatz ihr Leben verloren. Das zeigt, wie riskant
der Einsatz ist, natürlich auch für unsere Kräfte. Daher
müssen wir mit der Fortsetzung unserer Beteiligung ein
deutliches Zeichen setzen, dass wir unser Engagement
weiterverfolgen und die Menschen vor Ort nicht aufge-
ben. Ich danke an dieser Stelle allen Männern und Frau-

en, allen Kräften, die seit Beginn der Mission im Dienst
ihre Pflicht erfüllen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck Wir setzen im Rahmen der Mission auf eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen militärischen, polizeilichen und zivilen Komponenten. Dieser vernetzte Ansatz ist in meinen Augen ein wichtiges Kennzeichen unserer Außenpolitik. Wir sind weiterhin bereit, Verantwortung, wo notwendig, zu tragen. Deshalb ist unsere weitere Beteiligung an UNAMID richtig. Wir sind die einzigen, wir sind die letzten Europäer in Darfur. Wir beteiligen uns mit sieben Soldaten. Hinzu kommt ein Polizist außerhalb dieses Mandats. Dieser Beitrag sendet trotzdem ein wichtiges Signal an unsere Partner in Afrika. Wir könnten dieses Signal noch verstärken. Lassen Sie mich an dieser Stelle deutlich sagen: Wir dürfen Afrika nicht aus den Augen verlieren. Trotz zahlreicher anderer Krisenherde weltweit, die uns beschäftigen, müssen wir auch in Afrika weiterhin aktiv bleiben. Wegschauen ist keine Option. Dies würde die afrikanischen Krisen nur noch weiter verschlimmern und weitere Fluchtursachen schaffen. UNAMID allein – da stimme ich Herrn Kollegen Klingbeil zu – wird die Krise im Sudan nicht lösen können; aber es ist ein wichtiger Baustein für die langfristige Lösung dieses Konflikts. Wir sind bereit, dies weiter anzugehen, damit die Republik Sudan an ihre alte Geschichte als wohlhabende Kultur anschließen und ihrer Bevölkerung eine Perspektive in Sicherheit, Frieden und Freiheit bieten kann. Deshalb stimmt die Koalition dem Antrag der Bundesregierung zu. Ich bitte jeden im Hause darum, die Arbeit an einem dauerhaften Frieden in der Region nicht aufzugeben. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


(Bremen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813623600

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Uwe Kekeritz

von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813623700

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Seit 2007 stimmen wir jährlich über die deutsche Be-
teiligung am UN-Einsatz in Darfur ab. Dies ist notwen-
dig, da eine politische Lösung zurzeit nicht in Sicht ist.
Die Auseinandersetzungen zwischen Rebellengruppen,
Verbrecherbanden, regulären und irregulären Streitkräf-
ten finden weiterhin und verstärkt auf dem Rücken der
Bevölkerung statt. Gewaltausbrüche, Massenvergewal-
tigungen und andere Menschenrechtsverletzungen sind
an der Tagesordnung. Neben den Attacken auf die Zivil-
bevölkerung – das wurde schon richtigerweise gesagt –
kommt es aber auch immer wieder zu gewalt samen
Übergriffen auf Hilfsorganisationen. Das erschwert die

Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


Situation dort natürlich dramatisch. Die Lage ist und
bleibt gefährlich.

Natürlich kann ein Militäreinsatz eine politische Lö-
sung nicht ersetzen; aber der nationale Dialog kommt
eben noch nicht voran. Die Gründe hierfür sind vielfältig.
Problematisch ist auch, dass die Afrikanische Union das
al-Baschir-Regime stützt und auch die Arabische Liga
zur Legitimierung des steckbrieflich Gesuchten beiträgt.
Leider schlägt die EU, und mit ihr auch die Bundesregie-
rung, inzwischen in die gleiche Kerbe. Was die Europäi-
sche Union heute auf dem Gipfel in Valletta beschlossen
hat, ist ein politischer Paradigmenwechsel und zum Teil
auch zynisch. Damit verabschiedet sich die Regierung
Merkel von der immer wieder beschworenen werteorien-
tierten europäischen Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Gipfel von Valletta zeigt auch, dass der Begriff
der wertebasierten Politik wohl nur in politischen Schön-
wetterlagen Bedeutung für diese Regierung hat. Wie
sonst wäre es trotz des europäischen Wertekanons mög-
lich, dass die EU jetzt plant, mit Folterknechten, Diktato-
ren und Mördern, die ihr Volk seit vielen Jahren oder gar
Jahrzehnten schinden, Verträge abzuschließen, die deren
Macht gegenüber ihrem Volk noch verstärken?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit meine ich auch die geplante Unterstützung des
Terrorregimes al-Baschir, das möglichst viele Menschen
an der Flucht aus tödlicher Bedrohung und Elend hindern
soll.

Die Verträge sollen auf Basis des Prinzips „More for
more“ basieren; ein doch sehr euphemistischer Begriff.
Dahinter verbirgt sich auch eine Verlagerung der Außen-
grenzen Europas in Länder, die bisher durch schwerste
Menschenrechtsverletzungen von sich reden machten.
Die Bundesregierung und auch ihre europäischen Ver-
bündeten sollten sich klarmachen, dass es sich um einen
schmutzigen und auch kurzsichtigen Deal handelt. War-
um das so ist, erklärt uns auch Ban Ki-moon. Er sagt: Die-
se Politik ist kontraproduktiv und schädlich für Gesund-
heit, Bildung und Chancen auf ein besseres Leben von
Millionen von Menschen. Die Regierung spricht doch
immer davon, Fluchtursachen zu bekämpfen. Kommt
Ihnen denn nicht in den Sinn, dass Sie mit einer solchen
Politik die Fluchtursachen langfristig vermehren?

In der heutigen Debatte kann es für uns dennoch kei-
ne Frage sein, ob die Menschen in den Flüchtlingslagern
Darfurs Anspruch auf Schutz haben. Ich sage Ihnen: Sie
haben Anspruch, und wir sind moralisch dazu verpflich-
tet, dazu einen Beitrag zu leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD])


In diesem Zusammenhang kann ich die Linke nur auf-
fordern, endlich Farbe zu bekennen. Ihre Kritik an un-
verantwortlichen Waffenlieferungen, an der Klimapolitik
und an der falschen Agrar- und Handelspolitik teilen wir

ja. Aber die Systemkritik darf nicht dazu missbraucht
werden, konkrete Hilfe im Hier und Jetzt zu verweigern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


– Frau Vogler, nennen Sie doch einmal konkrete Maß-
nahmen und Alternativen!


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das habe ich doch gerade gemacht!)


Sie stellen sich hierhin und sagen: Wir wollen zivile
Maßnahmen.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, genau!)


Bitte, schreiben Sie ein Handbuch „Zivile Maßnahmen“
und überzeugen Sie uns damit. Dann werden wir Ihnen
auch folgen. Aber allein die Aussage „Wir wollen zivile
Maßnahmen“, das ist zu wenig; das ist auch zu billig.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813623800

Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte hat

Dr. Karl Lamers von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Karl A. Lamers (CDU):
Rede ID: ID1813623900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist sicher ein Zufall, dass wir heute am 60. Gründungstag
der Bundeswehr über die Fortsetzung der deutschen Be-
teiligung am UNAMID-Einsatz beraten. Gerade die Be-
ratung des vorliegenden Antrags zeigt uns aber, welchen
Weg die Bundeswehr in den 60 Jahren ihres Bestehens
zurückgelegt hat.

Seit dem Ende des Kalten Krieges sind Stabilisie-
rungs- und Friedenseinsätze zu einem festen Bestandteil,
ja zu einem Markenzeichen der Bundeswehr geworden.
Ich bin überzeugt, dass diese Einsätze zum Frieden in der
Welt erheblich beitragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Darauf können auch unsere Soldatinnen und Soldaten
stolz sein. Deswegen, meine ich, müssen wir ihnen im-
mer wieder und gerade auch öffentlich Dank für ihren
Einsatz für Frieden und Stabilität in vielen Teilen der
Welt sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat gute Gründe, heute die Fort-
setzung der deutschen Beteiligung an der gemeinsam
von den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Uni-
on geführten Friedensmission in Darfur für ein weiteres
Jahr bis zum 31. Dezember 2016 zu beantragen. Bis zu
50 deutsche Soldatinnen und Soldaten können eingesetzt
werden für Führungs- und Verbindungsaufgaben und für
Beratungs-, Beobachtungs- und Unterstützungsaufgaben.

Uwe Kekeritz






(A) (C)



(B) (D)


Warum werden wir dort gebraucht? Wir werden dort
gebraucht, weil Deutschland zusammen mit anderen eine
dauerhafte politische Konfliktlösung anstrebt. Davon
sind wir heute aber leider noch weit entfernt. Seit 2003
tobt ein schrecklicher Konflikt zwischen der sudanesi-
schen Zentralregierung und Volksgruppen in den sudane-
sischen Bundesstaaten Darfur, Südkordofan und Blauer
Nil mit bisher 300 000 Toten.

Die Umsetzung des Doha-Friedensabkommens von
2011 geht in meinen Augen viel zu langsam. Der ange-
strebte nationale Dialog zwischen den Kontrahenten hat
bisher auch keine zufriedenstellenden Ergebnisse gezei-
tigt. Die Betroffenen sind die Menschen. Sie leiden un-
ter den Kämpfen. Sie leiden unter den ethnischen Kon-
flikten. Sie leiden unter der zunehmenden Kriminalität.
Hinzu kommt, wie Herr Vietz es bereits beschrieben hat,
das Flüchtlingselend: 4 Millionen Menschen sind ständig
auf humanitäre Hilfe angewiesen, 2,6 Millionen Binnen-
flüchtlinge, 500 000 in den Nachbarländern.

Meine Damen und Herren, was wir wollen, ist klar:
eine dauerhafte Bewältigung des Konflikts und eine Ver-
besserung der humanitären Lage in Darfur. Das ist aber
nur möglich, wenn die Unterstützung und Präsenz der
internationalen Gemeinschaft auch weiterhin bestehen
bleibt. So fordern es die Vereinten Nationen, so fordert
es die Afrikanische Union. Deswegen, Frau Vogler, bin
ich sehr erstaunt, dass Sie sich diesem Erkenntnisprozess
partout penetrant widersetzen. Sie sollten umdenken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Claudia Roth GRÜNEN])


Art und Umfang des deutschen Engagements stimmen
wir wie bisher eng mit unseren internationalen Partnern
ab. Unser Leitgedanke ist Solidarität. Unsere Soldaten
leisten mit ihrer Präsenz einen dauerhaften Beitrag zu
mehr Stabilität in der Region. Der Stärkung der Zivilge-
sellschaft und der Menschenrechte gilt dabei unsere ganz
besondere Aufmerksamkeit. Wir sehen in der deutschen
Beteiligung ein wichtiges Zeichen insbesondere an die
Vereinten Nationen und an die Afrikanische Union, dass
Deutschland die Friedensanstrengungen der internatio-
nalen Gemeinschaft in Darfur tatkräftig unterstützt.

Über diesen militärischen Beitrag zu UNAMID hinaus
soll der Sudan im Sinne der Afrikapolitischen Leitlinien
der Bundesregierung von 2014 weiterhin ein wichtiges
Element deutscher Entwicklungszusammenarbeit in Af-
rika bleiben. Die humanitäre Hilfe wird wie bisher eine
wesentliche Rolle für uns spielen. Der deutsche Beitrag
zur Ausgestaltung des sogenannten Khartoum-Prozesses
mit Staaten entlang der afrikanischen Migrationsrouten
muss gerade angesichts der Flüchtlingssituation in Euro-
pa mit besonderem Engagement erfüllt werden.

Meine Damen und Herren, der UNAMID-Einsatz
bleibt bis auf Weiteres als stabilisierendes Element zur
Verbesserung der Sicherheitslage in Darfur und zur Be-
gleitung der politischen Bemühungen um innere Befrie-
dung unverzichtbar. Meine Fraktion, die CDU/CSU,
stimmt diesem Antrag zu. Ich bitte Sie alle, es uns nach-
zutun.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1813624000

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung be-
waffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hy brid-
Operation in Darfur. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6639, den An-
trag der Bundesregierung auf Drucksache 18/6503 anzu-
nehmen.

Wir stimmen über diese Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich möchte die Schriftführerinnen und
Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze an den Ur-
nen einzunehmen. – Sind jetzt die Plätze an den Urnen
besetzt? – Alle Plätze sind besetzt. Damit eröffne ich die
Abstimmung über die Beschlussempfehlung.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813624100

Ist jemand im Saal, der seine Stimme noch nicht ab-

gegeben hat? – Jetzt frage ich zum letzten Mal: Ist noch
ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme
nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schlie-
ße die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wie im-
mer wird Ihnen das Ergebnis der Abstimmung später mit-
geteilt.1)

Ich bitte, die interessanten Gespräche in den Gängen,
vor allem auf der rechten Seite, aber auch die interessan-
ten Gespräche am Ende des Saals und auf der linken Seite
eventuell draußen fortzusetzen. – Ich meine es wirklich
ernst. Ich möchte gern mit der Tagesordnung weiterma-
chen, weil wir noch einiges vor uns haben.

Schönen guten Abend von mir! Auch den Gästen auf
der Tribüne wünsche ich einen schönen guten Abend und
eine spannende Debatte.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner,
Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Netzneutralität als Voraussetzung für eine
gerechte und innovative digitale Gesellschaft
effektiv gesetzlich sichern

Drucksachen 18/5382, 18/6402


(Unruhe)


– Ich meine es jetzt echt ernst: Wenn Sie quatschen wol-
len, dann gehen Sie raus! Wir wollen hier jetzt eine De-

1) Ergebnis Seite 13366 C

Dr. Karl A. Lamers






(A) (C)



(B) (D)


batte führen, und die Kollegen warten darauf, dass wir
anfangen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch.

Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der
Kollege Matthias Ilgen für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Matthias Ilgen (SPD):
Rede ID: ID1813624200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich
feststellen, dass ich der Forderung im Antrag von Bünd-
nis 90/Die Grünen nach einer dauerhaften Gewährleis-
tung der Netzneutralität durch eine effektive und techno-
logieneutrale gesetzliche Festschreibung auf nationaler
und europäischer Ebene vollkommen zustimme, meine
Fraktion im Kern auch.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön! Bravo!)


– Der Forderung! Allerdings müssen wir jetzt auch ein-
mal über das Timing reden.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso über das Timing?)


Fest steht aber auch, dass im Europäischen Parlament
und im Rat leider keine Mehrheit für eine restriktivere
Regelung da war, was die SPD-Fraktion – ich beson-
ders – bedauert.

Der erreichte Kompromiss ist allerdings das Beste,
was wir im Moment haben können. Dieser Kompromiss
steht auch im Einklang mit unserem Koalitionsvertrag,
in dem vereinbart ist, die Ziele der Netzneutralität im
Telekommunikationsgesetz zu verankern. Ich persönlich
hätte die Ausnahmen, wie gesagt, jedoch enger gefasst.
Darauf werde ich später noch einmal kommen.

Was den Kompromiss angeht, liegt es jetzt an uns
allen, die Situation zu beobachten, zu evaluieren und
gegebenenfalls schnellstmöglich Konsequenzen zu zie-
hen, wenn wir auf Probleme stoßen. Ich halte es hier wie
unser verstorbener Altkanzler Schmidt: „Für mich bleibt
das eigene Gewissen die oberste Instanz.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr Antrag kommt
leider zu einem falschen und unpassenden Zeitpunkt. Wir
alle wollen doch, dass schnelles Internet für jeden Nutzer
in derselben Geschwindigkeit und ohne Diskriminierung
funktioniert, egal ob er E-Mails abruft, einen Film an-
schaut oder über das Netz telefoniert.

Als Berichterstatter für Existenzgründungen, Freie
Berufe und die Kreativwirtschaft liegt es mir übrigens
besonders am Herzen, in diesem Zusammenhang zu er-
wähnen, dass wir natürlich auch Internet-Start-up-Unter-
nehmern, App-Entwicklern und kleinen Leuten, die im
Internet unterwegs sind, möglichst einen diskriminie-
rungsfreien Wettbewerb ermöglichen sollten. Deswegen
geht an dieser Stelle auch ein Appell an Herrn Höttges

von der Telekom, der sich schon geäußert hat, als Erstes
auf Start-ups losgehen zu wollen – wodurch es zu einer
Diskriminierung käme –,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


um sich eine Umsatzbeteiligung zu sichern, was ich, ehr-
lich gesagt, ungeheuerlich finde.


(Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Gerade sie brauchen zu Beginn ihrer Wachstumsphase
das Kapital und können nicht noch weitere Mitbesitzer
oder Unternehmen wie dann die Telekom gebrauchen,
welche ihren Umsatz schröpfen. Das wäre eine klare
Diskriminierung.

Wir alle in der Fraktion haben natürlich bedauert, dass
es bei dem Kompromiss in Europa eine gewisse Dehn-
barkeit gibt. Allerdings hat Herr Höttges die Dehnbarkeit
hier aus meiner Sicht doch arg überstrapaziert, und wir
sollten dem mit allen Kräften entgegentreten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das ist genau sein Gesetz! Nichts überdehnt!)


– Das sagen Sie.

Wir werden auch gucken müssen, wie wir insgesamt
ein pluralistisches Internet erhalten können, in dem es
diskriminierungsfreie Räume und einen funktionieren-
den Wettbewerb gibt.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt „gucken müssen“?)


– Ja, das werden wir sehen müssen. Deswegen wollte ich
darauf hinweisen, dass wir auch einmal auf Formen wie –
das ist gerade im Gespräch – Zero-Rating gucken müssen
und darauf, was das für den Wettbewerb bedeutet.

Zero-Rating könnte die schärfste Form einer Kon-
kurrenzverdrängung werden. Davon profitieren schon
heute eigentlich nur Marktmächtige, nämlich diejenigen,
die große Volumina haben und sozusagen for free, also
umsonst, anbieten können. Das ist eine nicht zu unter-
schätzende Gefahr für unsere Medienvielfalt im Internet
und letztlich auch für die Kultur. Deshalb wäre es gesell-
schaftspolitisch eine fatale Entwicklung, wenn wir dem
so zuschauen würden. Wir werden also gesetzliche Ein-
schränkungen finden müssen, wenn wir feststellen, dass
der Wettbewerb an dieser Stelle nicht mehr funktioniert.

Trotz alledem – ich habe es am Anfang gesagt – ist Ihr
Timing unpassend.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wiederholen sich!)


Wir sollten jetzt abwarten, wie und ob der Kompromiss
trägt, wie dehnbar er von denjenigen gehalten wird, die
am Markt agieren, und dann werden wir gegebenenfalls
auch zu gesetzlichen Regelungen kommen.

Danke schön.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813624300

Vielen Dank, Kollege Ilgen. – Nächste Rednerin in der

Debatte: Halina Wawzyniak für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1813624400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Wir stimmen heute über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Netz-
neutralität als Voraussetzung für eine gerechte und inno-
vative digitale Gesellschaft effektiv gesetzlich sichern“
ab. Die Grünen wollen – und das zu Recht – die Netzneu-
tralität gesetzlich sichern.


(Beifall des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Wenigstens ein Grüner klatscht; das ist schon mal gut.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Recht hat die Frau!)


Netzneutralität bedeutet die grundsätzlich diskrimi-
nierungsfreie Gleichbehandlung aller Datenpakete und
ist, wie der Antrag richtig beschreibt, das konstituierende
Prinzip eines offenen und freien Internets. Die Netzneu-
tralität ist damit neben einem Internetanschluss Grund-
voraussetzung für die gerechte Teilhabe an der digitalen
Gesellschaft. Doch die Netzneutralität beißt sich mit dem
Prinzip des Profits.

Schon vor der EU-Verordnung wurde die Netzneu-
tralität direkt oder indirekt infrage gestellt. Es ging um
„Diensteklassen“ oder „Spezialservices“ und viele an-
dere Bezeichnungen. Am Ende ging es aber immer um
eins: Internetanbieter wollten bestimmte Daten schneller
transportieren und dafür extra Geld kassieren. Die soge-
nannten Kapazitätsengpässe, von denen immer die Rede
war und die angeblich eine Priorisierung von Daten er-
forderlich machen, wurden bisher nicht ansatzweise be-
legt. Aber selbst wenn sie belegt worden wären, wäre die
Alternative nicht die Priorisierung von Daten, sondern
die Erweiterung der Kapazitäten, und zwar durch einen
sinnvollen und schnellen Glasfaserausbau.


(Beifall bei der LINKEN)


Bei der im Antrag aufgeführten Aufzählung der in den
vergangenen Jahren bereits eingereichten Initiativen zur
Sicherung der Netzneutralität fehlt zwar der Antrag der
Linken; darüber sehen wir aber großzügig hinweg und
werden dem Antrag trotzdem zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Da freuen wir uns!)


Und wir sind sogar noch besser: Wir werden dem Bun-
destag demnächst Gelegenheit geben, erneut über das
Thema abzustimmen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut!)


Denn wir haben schon fast einen Antrag fertig, wie die
Netzneutralität trotz EU-Verordnung gesichert werden
kann.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist gut!)


Die EU-Verordnung zum Telekommunikationsbin-
nenmarkt erlaubt tatsächlich Telekommunikationsunter-
nehmen, bestimmte Angebote vom Prinzip der Netzneu-
tralität auszunehmen und sie als priorisierte Dienste zu
behandeln. Der Chef der Telekom – das ist schon gesagt
worden – hat auch gleich angekündigt, davon umfassend
Gebrauch zu machen. Er hat die Absicht, ein Zweiklas-
seninternet zu schaffen. Das Ziel von Konzernen wie der
Telekom ist nun einmal die Etablierung von zweiseitigen
Märkten und Zero-Rating-Angeboten.

Bei zweiseitigen Märkten müssen insbesondere die
Anbieter von Inhalten zusätzlich zum Anschluss an das
Netz auch noch für die Nutzung der Zugangsnetze be-
zahlen. Bei Zero-Rating-Angeboten würde die Nutzung
von spezifischen Diensten vom monatlichen Datentrans-
fervolumen ausgeklammert.

Aus Sicht der Linken enthält nun aber die EU-Verord-
nung trotz der Unbestimmtheit und Auslassung bei einer
strengen Auslegung der betroffenen Bestimmungen und
strengen Auflagen die Möglichkeit, genau diese zweisei-
tigen Märkte und Zero-Rating-Angebote auszuschließen.
Man muss sie nur richtig und bis zum Ende lesen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nun plant die Bundesregierung, die Bundesnetzagen-
tur mit der genauen Umsetzung der EU-Verordnung zu
beauftragen. Das halten wir für falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Angesichts der überragenden wirtschaftlichen und ge-
sellschaftlichen Bedeutung der Netzneutralität muss in
einem demokratischen Rechtsstaat nach dem Wesent-
lichkeitsprinzip der Gesetzgeber die unbestimmten Be-
dingungen der EU-Verordnung untersetzen.

Wir wollen, und zwar nur, weil die EU-Verordnung
das überhaupt ermöglicht, dass bis zur Errichtung ei-
ner flächendeckenden Glasfaserinfrastruktur priorisier-
te Dienste auf 5 Prozent der tatsächlich vorhandenen
Übertragungskapazität begrenzt werden. Wir wollen Ge-
schäftsmodelle untersagen, auf deren Basis die Anbieter
von Inhalten, Diensten oder Anwendungen zusätzlich
zum Anschluss auch für die Nutzung der Zugangsnetze
bezahlen. Das geht nach der EU-Verordnung; denn die-
se besagt, dass auf kommerziellen Interessen beruhende
Erwägungen keine angemessenen Maßnahmen des Ver-
kehrsmanagements darstellen.

Drittens und letztens – damit komme ich auch zum
Ende – wollen wir Zero-Rating-Angebote untersagen, da






(A) (C)



(B) (D)


sie kein spezifisches Qualitätsniveau erfordern und auch
auf kommerziellen Erwägungen beruhen.

Wir stimmen heute dem Antrag der Grünen zu und
hoffen, dass Sie, wenn wir unseren Antrag vorlegen, un-
serem Antrag zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813624500

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Herr Durz, bevor ich

Sie aufrufe, gebe ich das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über das UNAMID-Mandat bekannt: ab-
gegebene Stimmen 575. Mit Ja haben gestimmt 516, mit
Nein haben gestimmt 57, Enthaltungen 2. Die Beschluss-
empfehlung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 573;
davon

ja: 514
nein: 57
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius

Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)


Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne

Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Gerd Müller
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll

Halina Wawzyniak






(A) (C)



(B) (D)


Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster


(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel

Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner

Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi

Ulrich Hampel
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller (Chemnitz)

Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Florian Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim Schabe-

doth
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer

Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar

Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang

Strengmann-Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

SPD

Christian Petry

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke

Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

Pia Zimmermann

Enthalten

SPD

Dr. Ute Finckh-Krämer
Petra Hinz (Essen)


Der nächste Redner ist Hansjörg Durz für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hansjörg Durz (CSU):
Rede ID: ID1813624600


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den






(A) (C)



(B) (D)


Antrag der Grünen zur Netzneutralität müssen wir schon
deshalb ablehnen – es ist bereits angeklungen; vorhin
wurde „Timing“ genannt –, da bereits am selben Tag, als
wir diesen Antrag im Wirtschaftsausschuss debattierten,
parallel in Brüssel der dort zuständige Ausschuss über
Netzneutralität abstimmte. Am 27. Oktober 2015 hat
dann das Europäische Parlament der gemeinsamen eu-
ropäischen Regelung zugestimmt. Dadurch wird Netz-
neutralität erstmals einheitlich europäisch definiert und
festgeschrieben.

Bisher war Netzneutralität ein Konzept, jetzt ist sie
per Verordnung festgeschrieben. Gerade Netzneutra-
lität kann nur im Sinne eines digitalen Binnenmarktes
gemeinsam auf europäischer Ebene festgeschrieben
werden. Netzneutralität darf und kann nicht an innereu-
ropäischen Grenzen haltmachen. Das haben wir im Koa-
litionsvertrag so festgeschrieben, und das ist jetzt auch so
beschlossen und festgelegt.

Die Debatte über Netzneutralität wurde und wird teil-
weise sehr emotional geführt. Das ist auch nachvollzieh-
bar, da neben technischen und wirtschaftlichen Aspekten
auch gesellschaftliche Aspekte und Vorstellungen damit
verbunden sind.

Wie sehen nun in diesem Zusammenhang die wesent-
lichen Herausforderungen aus?

Erstens stellt sich aus technischer Sicht die Frage, wie
die stetig ansteigenden Datenmengen im Internet bewäl-
tigt werden können. Die dazu bekannten Prognosen sind
atemberaubend. Das Volumen der jährlich generierten di-
gitalen Datenmengen weltweit wird in den kommenden
fünf Jahren mindestens um den Faktor acht ansteigen.
Wir sprechen dann von einem jährlichen Datenvolumen,
das sich auf 44 Billionen Gigabyte beläuft. Angesichts
dieser Entwicklung steht außer Frage, dass man sich da-
rüber Gedanken machen muss, welche Maßnahmen zur
Datenverkehrssteuerung möglich und rechtlich zulässig
sein sollen und welche eben nicht.

Zweitens müssen wir uns aus wirtschaftspolitischer
Sicht damit auseinandersetzen, wie gleichzeitig eine
weiterhin offene Infrastruktur aussieht, die durch nied-
rige Zugangsschwellen Start-ups und den Mittelstand in
ihrer Rolle als Innovationstreiber stärkt.

Drittens bleibt aus gesellschaftspolitischer Sicht die
Herausforderung zu bewältigen: Wie kann der freie und
offene Zugang zu Informationen als eine wesentliche Vo-
raussetzung für gesellschaftliche Teilhabe erhalten blei-
ben? Die Sicherung dieser Teilhabe sowie der Schutz von
Meinungsvielfalt und -austausch sind nicht nur erklärtes
Ziel dieser Koalition und auch der Digitalen Agenda der
Bundesregierung, sondern von uns allen, wie wir nun
schon gehört haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Regelungen der Verordnung über den digitalen
Binnenmarkt, wie sie am 27. Oktober dieses Jahres vom
Europäischen Parlament verabschiedet wurden, führen
die verschiedenen Interessen auf europäischer Ebene zu-
sammen und sind ein guter Kompromiss. Als Aspekt der
gesellschaftlichen Teilhabe und auch aus wirtschaftlicher
Sicht ist der Erhalt des offenen Internets unabdingbar.

Bei beiden Punkten bringt uns die beschlossene Rege-
lung einen großen Schritt voran.

Künftig gelten für das Internet klare gesetzliche Rege-
lungen im Sinne der Netzneutralität. Die Internetnutzer
erhalten das Recht auf diskriminierungsfreie Datenüber-
tragung. Das offene Internet, in dem sämtliche Ver-
kehrsdaten unter dem Grundsatz der Gleichbehandlung
transportiert werden, ist und bleibt als Regelfall erhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Netzbetreiber dürfen auch in Zukunft Inhalte nicht aus
kommerziellen Gründen sperren oder verlangsamen.
Die Regulierungsbehörden werden die Einhaltung einer
zeitgemäßen Qualität des Internets mithilfe einer starken
Ex-post-Kontrolle sicherstellen. Wir müssen streng da-
rauf achten, dass dies auch geschieht. Das liegt in unse-
rem ureigenen Interesse; denn eine ausreichende Qualität
ist die wesentliche Voraussetzung für Innovationen.

Der gefundene Kompromiss hilft uns auch, die tech-
nischen Herausforderungen zu bewältigen, indem Rah-
menbedingungen für Investitionen in moderne Breit-
bandnetze verbessert werden. Bereits heute existiert eine
Vielzahl von Mediendiensten. Die Entwicklung wird
noch drastisch an Tempo gewinnen. Es geht aber nicht
nur um den Content. Automatisiertes Fahren, Teleme-
dizin, sämtliche Anwendungen auf dem Gebiet Indus-
trie 4.0: All das wird sehr hohe Bandbreiten in Anspruch
nehmen. Daher brauchen wir neue und verbesserte Infra-
strukturen. Diese sind die Voraussetzung für Wachstum
und Beschäftigung in allen Wirtschaftszweigen und da-
mit das Rückgrat moderner Volkswirtschaften.

Der Staat allein kann diese Herausforderungen aller-
dings nicht stemmen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben so viel Hoffnung auf ihn gesetzt!)


Wir brauchen notwendige Investitionsanreize für privat-
wirtschaftliche Netzbetreiber, damit diese den Netzaus-
bau voranbringen und stetig leistungsfähigere Anschlüs-
se schaffen.

Diensteanbieter können künftig an der Finanzierung
des zusätzlichen Infrastrukturausbaus beteiligt werden,
indem sie für kostenpflichtige qualitätsgesicherte Daten-
übertragungen im Internet bezahlen. Der für mich ent-
scheidende Punkt und die gleichzeitig wesentliche Neu-
erung der Regelung ist: Spezialdienste dürfen nur bei
ausreichender Netzkapazität und nicht als Ersatz für das
offene Internet angeboten werden. Diese Verknüpfung ist
der wesentliche Kern der Vereinbarung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Künftig gilt: Parallel zum offenen Internet sind quali-
tätsgesicherte Datenübertragungen, sogenannte Spezial-
dienste, erlaubt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt
sind: Erstens. Spezialdienste dürfen nur angeboten wer-
den, wenn ein solches Angebot notwendig ist. Zweitens.
Spezialdienste dürfen kein Ersatz für einen offenen In-
ternetzugang sein. Drittens. Spezialdienste dürfen nur bei
ausreichender Netzkapazität erbracht werden. Viertens.

Hansjörg Durz






(A) (C)



(B) (D)


Spezialdienste dürfen die Qualität des Internets nicht be-
einträchtigen.

Damit werden qualitätsbasierte Dienste erlaubt, ohne
dass gleichzeitig andere Dienste und Anwendungen im
offenen Internet diskriminiert werden. Auf diese Weise
können neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen im
Bereich der Spezialdienste entstehen, die den Zugang
zum offenen Internet weder verdrängen noch vereiteln.

Um es noch einmal klar zu sagen: Es geht nicht da-
rum, dass die Netzbetreiber in Zukunft entscheiden kön-
nen, welche Inhalte sie transportieren, sondern darum,
dass Diensteanbieter in bestimmten Bereichen zusätzli-
che entgeltliche Leistungen anbieten können. Damit wird
es wichtig, dass der Zugang zu diesen Spezialdiensten
diskriminierungsfrei für alle Marktteilnehmer ausgestal-
tet wird, um Markteintrittsschwellen in den qualitätsge-
sicherten Bereichen so gering wie möglich zu halten.
Eine Diskriminierung von Inhalten muss ausgeschlossen
bleiben.

Um es noch konkreter zu machen: Es gibt eine Reihe
von Anwendungen und Diensten, bei denen eine schnel-
le Übermittlung von Daten elementar ist. Gerade bei in-
novativen Entwicklungen wie Internet der Dinge oder
Industrie 4.0 werden die mobilen Daten dabei von ent-
scheidender Bedeutung sein. Wir wissen, dass wir immer
kürzere Latenzzeiten benötigen. Wir brauchen das taktile
Internet, Internet ohne Reaktionszeit, damit ferngesteu-
erte Operationen oder selbstfahrende Autos Realität wer-
den können.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll über das normale Internet laufen?)


Wir brauchen zwingend verlässlich hohe Bandbreiten,
um Echtzeitnutzung zu ermöglichen. Die dafür notwen-
dige nächste Mobilfunkgeneration heißt 5G. Sie wird ge-
rade entwickelt. Wir kennen heute bereits die Situation,
dass beispielsweise Internettelefonie nur dann genutzt
wird, wenn die Sprachübermittlung tatsächlich störungs-
frei funktioniert.

Noch viel bedeutsamer ist das Thema Spezialdienste
im Bereich vernetztes Fahren. Als Kommissar Oettinger
das Beispiel als Argument für die Notwendigkeit von
Spezialdiensten nannte, gab es vor allem im Netz eine
Diskussion darüber, ob dies tatsächlich notwendig sei.
Hierzu sagt Professor Fitzek vom Lehrstuhl Kommuni-
kationsnetze der TU Dresden und Koordinator des 5G
Lab:

Die autonomen Autos … wissen nicht, was um der
zweiten Ecke passiert, dafür brauchen wir ein zel-
lulares Netz.

Und damit auch ein Internet, in dem einzelne wichtige
Anwendungen in einem speziellen Netz Vorrang haben.
Ohne diese Möglichkeit der qualitätsgesicherten Daten-
übermittlung wird es nicht gehen.

Professor Fitzek hat vor einigen Tagen im Ausschuss
Digitale Agenda auch gesagt: Wichtig bei der Netzneu-
tralität ist, dass man Mission-critical und Content unter-

scheidet, innerhalb dieser Klassen aber unbedingt Neu-
tralität gewahrt bleiben muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Für uns steht fest: Innerhalb bestimmter Diensteklas-
sen muss gleiches Recht für alle gelten. Es darf zum Bei-
spiel im Bereich automatisiertes Fahren keine Vorrechte
für einzelne Anbieter geben, und der Zugang zu Spezial-
diensten muss diskriminierungsfrei ausgestaltet werden.
Große Player dürfen keine Vorteile gegenüber Mittel-
stand und Gründern haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die formale Ver-
abschiedung durch das Europäische Parlament erfolgte
am 27. Oktober. Eine Umsetzung in nationale Gesetze
ist nicht erforderlich, da die vorliegende Verordnung ab
dem 30. April 2016 unmittelbar in allen Mitgliedstaaten
gilt. Worüber jedoch noch zu sprechen sein wird, sind
jene Fragen, die bis dahin von der nationalen Regulie-
rungsbehörde zu klären sind.

Die Verankerung der Netzneutralität auf europäischer
Ebene ist wichtig und der gefundene Kompromiss ein
gutes Ergebnis. Mit ihm wird eine jahrelange Diskussion
pragmatisch gelöst und erstmals ein Anspruch verankert.
Insgesamt wurde ein guter Kompromiss gefunden, der
auch durch die klare Positionierung der Bundesregierung
in Europa erreicht wurde.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813624700

Vielen Dank, Kollege Durz. – Nächster Redner in der

Debatte: Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grü-
nen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege
Durz, Sie haben ganz viel von 5G und allen möglichen
Dingen erzählt. Es geht aber in dieser Debatte darum,
ob der Zugang zum Netz bzw. zum Wissen vom Porte-
monnaie der Leute abhängt. Das ist die Kernfrage. Daran
haben Sie sauber vorbeigeredet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zehn Minuten! Das muss man erst mal schaffen!)


Die Netzneutralität ist eine der wichtigsten Fragen
oder vielleicht sogar die wichtigste Frage des Internets,
der digitalen Welt von morgen. Wir diskutieren das in
diesem Haus schon lange; da haben Sie völlig recht. Frü-
her haben Sie noch zusammen mit der FDP zu unseren
Anträgen zur gesetzlichen Verankerung der Netzneutrali-
tät immer gesagt: Macht euch keine Sorgen! Das müssen
wir nicht machen. Sobald sie gefährdet ist, machen wir
ein Gesetz.

Nun ist sie gefährdet. Nachdem Sie am Anfang der
Wahlperiode großzügig angekündigt haben, den digita-

Hansjörg Durz






(A) (C)



(B) (D)


len Verbraucherschutz zum Schwerpunkt Ihrer Politik
zu machen, sind die Zeiten, als die Große Koalition, die
Regierung Merkel oder auch die SPD die Netzneutralität
retten wollten, ein für alle Mal vorbei. Das muss man hier
einmal festhalten, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Herr Ilgen, mit Ihrer Aussage „Da muss man mal gu-
cken“ kommt man nicht weiter. Wenn man nur guckt,
dann geschieht das, was jetzt passiert, und das ist
schlecht: Sie verramschen die Netzneutralität über den
Umweg Europa. Das verbrämen Sie hier heute Abend
mit der Aussage, unser Antrag komme Ihnen unpassend.
Das glaube ich gern. Aber um die Netzneutralität zu ret-
ten, versuchen wir einfach alles. Was Sie hier versuchen,
ist peinlich. Sie reden das Problem nämlich klein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Matthias Ilgen [SPD]: Unfug!)


Mit einer Sache hatten Sie recht, Herr Durz: Die Netz-
neutralität wurde am 27. Oktober in einem durchsich-
tigen Deal auf EU-Ebene verramscht. Was machen Sie
hier heute allen Ernstes? Sie erzählen, dass es sich hier
um den ersten Gesetzentwurf handelt, der die Netzneu-
tralität sichert. Allen Ernstes ein guter Kompromiss, Herr
Durz? Ich sage Ihnen: Die Menschen sind nicht dumm.
Sie verstehen, dass ein Gesetz, das es den großen TK-An-
bietern explizit ermöglicht, Überholspuren im Internet,
Diensteklassen und Special Services einzuführen, eben
kein Gesetz zur Sicherung der Netzneutralität ist, son-
dern das Gegenteil, ein Freibrief, der das Tor zu einem
Zweiklasseninternet öffnet. Das braucht kein Mensch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Was wir brauchen, sind starke Verbraucherrechte und
ein Internet, das Informationszugang sichert und Inno-
vationen ermöglicht, statt ohnehin marktmächtige Player
weiter zu stärken, wie Sie das tun. Es ist doch offensicht-
lich: Gerade angesichts immer vorgeschobener Kapa-
zitätsengpässe – als Beispiel nenne ich die Onlineope-
ration; Herr Durz, sobald Sie sich online im normalen
Internet operieren lassen, mache ich das auch – kann eine
Priorisierung bestimmter Daten rein sinnlogisch eben
nicht ohne die gleichzeitig Diskriminierung anderer Da-
ten einhergehen. Wie sollte es auch anders sein? Immer
wenn man bestimmte Daten priorisiert, diskriminiert
man andere Daten. Es hat nur einen Tag gebraucht, da
hat die Telekom gezeigt, was man plant, nämlich all die-
jenigen zur Kasse zu bitten, bei denen man es kann. Nun
stellen Sie sich hier hin, tun ganz entsetzt und überrascht
und ermahnen die Telekom. Das ist bigott.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Matthias Ilgen [SPD]: So ein Quatsch!)


Die SPD-Expertin im Europäischen Parlament Petra
Kammerevert hat das erkannt. Sie attestiert dem jetzi-
gen Kompromiss Rechtsunklarheit gleich an mehreren
Stellen – zu Recht! Sie sagt, der verabschiedete Text

ermögliche ein Blockieren des Datenverkehrs. Auch
Spezialdienste sind nach dem vorliegenden Text explizit
zulässig. Schließlich wird auch das Zero-Rating ermög-
licht, das absehbar zu einer weiteren ganz erheblichen
Marktkonzentration führt. Das bedeutet die völlige Auf-
weichung der Netzneutralität. Deswegen haben 22 von
23 deutschen SPD-Abgeordneten im Europäischen Par-
lament gegen den Entwurf gestimmt, den Sie hier vertei-
digen; das war konsequent. Dieser Kompromiss, der den
großen US-Unternehmen durch Zero-Rating-Verträge in
die Hände spielt, hilft uns nicht weiter.

Wir haben immer gewarnt, nicht so lange abzuwarten,
bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Nun liegt es im
Brunnen. Uns bleibt allerdings eine allerletzte Chance –
das klang eben an –: In den nächsten Monaten können Sie
gemeinsam mit den nationalen Regulierungsbehörden,
die die Einhaltung der Netzneutralität und der Regeln
für Verkehrsmanagement überwachen sollen, technische
Qualitätskriterien festlegen. Zeigen Sie wenigstens hier,
dass Ihnen eines der grundlegendsten Prinzipien eines of-
fenen, demokratischen und innovationsfreundlichen Net-
zes nicht völlig egal ist. Hierzu fordert Sie unser Antrag
noch einmal auf.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813624800

Vielen Dank, Konstantin von Notz. – Der letzte Red-

ner nicht nur in dieser Debatte, sondern auch des heuti-
gen Abends: Lars Klingbeil für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1813624900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vielen Dank für die Möglichkeit, ein weiteres Mal über
das wichtige Thema Netzneutralität hier im Parlament zu
diskutieren. Konstantin von Notz, vielen Dank für das
engagierte Streiten zu später Stunde. Aber ich will dir
schon noch ein paar Sachen sagen. Wenn du hier behaup-
test, die Regierung verramsche die Netzneutralität über
den Umweg Europa, dann frage ich mich: Was ist aus
den Grünen geworden, die eigentlich für Verhandlungs-
prozesse in Europa stehen?

Das kann man doch nicht aberkennen. Dass das nicht
bedeutet, nationale Interessen rigoros durchzusetzen,
sondern dass wir mit 28 Staaten in Europa verhandeln
und nicht immer zu 100 Prozent das bekommen, was wir
wollen, das müsstest du als Grüner doch anerkennen. Das
ist in Europa manchmal schwieriger, als es auf national-
staatlicher Ebene der Fall wäre.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt es blockiert!)


Das Zweite, was ich sagen will, ist: Schau einmal in
den Koalitionsvertrag der Großen Koalition. Darin steht

Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


die gesetzliche Verankerung der Netzneutralität, so wie
wir das jetzt in Europa durchgesetzt haben.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pustekuchen!)


Du weißt, wenn ich alleine hätte entscheiden können,
hätte ich das anders gemacht,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


aber es ist im Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir
in engen Grenzen Spezialdienste zulassen wollen. Man
kann der Politik vieles vorwerfen, aber dass man das
umsetzt, was im Koalitionsvertrag steht, sollte man der
Politik nicht vorwerfen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, wenn es schlecht ist! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Da steht etwas Falsches drin!)


Das hat, glaube ich, auch etwas mit Konsequenz zu tun.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben jetzt in Europa die Einigung erzielt. Ohne
die deutsche Bundesregierung hätte es keine gesetzliche
Verankerung der Netzneutralität gegeben. Wenn man sich
die Gemengelage in Europa anschaut, dann sieht man:
Wir hatten genug Staaten in Europa, die keine gesetzli-
che Verankerung, sondern weiterhin das freie Spiel des
Marktes wollten. Es ist gut, dass die Bundesregierung am
Ende einen Kompromissvorschlag vorgelegt hat.

Herr Oettinger als zuständiger Kommissar hat gesagt,
es dürfe Abweichungen von der gesetzlich vorgeschrie-
benen Netzneutralität geben. Er hat einige Kriterien da-
für genannt. Ich will aus einigen Interviews zusammen-
stellen, was er gesagt hat.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nein! Das haben wir schon so oft gehört!)


Er hat gesagt, es müsse eine technische Notwendigkeit
dafür geben, er hat gesagt, es müsse ein öffentliches In-
teresse geben, und er hat gesagt, es müssten vor allem
ausreichend Bandbreite und Kapazität vorhanden sein,
und das bedeutet wesentlich mehr als 50 Mbit.

Jetzt bin ich einmal gespannt, welche Leistung das am
Ende überhaupt betreffen wird. Ich rate zu etwas mehr
Gelassenheit. Wir haben jetzt die Regelung, und wir
werden sehen, wie das Ganze von den nationalen Regu-
lierungsbehörden umgesetzt wird. Ich bin mir ziemlich
sicher, dass es am Ende sehr wenig Abweichungen von
der Netzneutralität geben wird.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie naiv ist das denn!)


Ich glaube übrigens auch – ein Argument, das wir immer
hören –, dass das automatisierte Fahren die Netzneutrali-
tät nicht aufbricht.

Am Ende will ich eines sagen: Ich glaube, dass der
Telekom-Chef der ganzen Debatte einen Bärendienst er-
wiesen hat.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wohl wahr!)


Wir alle werden aufmerksam schauen, was da passiert.
Herr von Notz, ich will zum Schluss noch sagen: Ich habe
gelesen, dass der Kollege Jarzombek sich kritisch geäu-
ßert hat. Auch ich habe mich kritisch geäußert. Von den
Grünen habe ich zu der Telekom-Debatte nichts gelesen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hast du nichts gelesen?)


Vielen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1813625000

Vielen Dank, lieber Kollege Lars Klingbeil. – Ich

schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Netzneutralität
als Voraussetzung für eine gerechte und innovative di-
gitale Gesellschaft effektiv gesetzlich sichern“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6402, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5382 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit Zustimmung der CDU/CSU und der
SPD bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und
den Linken angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Berufsqualifikations-
feststellungsgesetzes und anderer Gesetze

Drucksache 18/5326

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (18. Ausschuss)


Drucksache 18/6632

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Ist
jemand nicht damit einverstanden? – Alle sind einver-
standen.1)

Dann kommen wir zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes
und anderer Gesetze. Der Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-

1) Anlage 4

Lars Klingbeil






(A) (C)



(B) (D)


che 18/6632, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/5326 anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD,
dagegengestimmt haben die Grünen, Enthaltung von den
Linken.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen mit Zustimmung der CDU/
CSU und der SPD bei Gegenstimmen von Grünen und
Enthaltung von den Linken.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6632 empfiehlt der Ausschuss für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
CDU/CSU und SPD waren dafür, Grüne dagegen, Ent-
haltung von den Linken.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/6668. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt: Zustim-
mung von den Grünen, Gegenstimmen von CDU/CSU
und SPD, Enthaltung von der Linken.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Anerkennung von Kriegsdienstverweigerun-
gen erleichtern

Drucksache 18/6363
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Ist
jemand dagegen? – Nein.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6363 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobili-
täts-Richtlinie

1) Anlage 5

Drucksache 18/6283

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11. Ausschuss)


Drucksache 18/6673


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/6685

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden. – Ich sehe, Sie sind einverstanden. Dann machen
wir es so.2)

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/6673, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 18/6283 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/
CSU, SPD und Grüne, keine Gegenstimmen, Enthaltung
von den Linken.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen mit Zustimmung von CDU/
CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung von
den Linken.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatz-
punkt 3 auf:

22. Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Zwölften Buches Sozi-
algesetzbuch und weiterer Vorschriften

Drucksache 18/6284

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


Drucksache 18/6674

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Keine Anrechnung von NVA-Verletztenrente
auf Grundsicherung im Alter

Drucksachen 18/3170, 18/5278

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden. – Alle sind einverstanden.3)

2) Anlage 6
3) Anlage 7

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den
von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf
zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
und weiterer Vorschriften. Der Ausschuss für Arbeit und
Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6674, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/6284 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD, ent-
halten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Lin-
ken. Niemand hat dagegengestimmt.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen. CDU/CSU, SPD waren dafür,
niemand war dagegen, enthalten haben sich die Linken
und Bündnis 90/Die Grünen.

Zusatzpunkt 3. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/5278, den Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Keine Anrechnung von NVA-Verletztenrente auf
Grundsicherung im Alter“ auf Drucksache 18/3170 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD. Dagegengestimmt haben die Linken und
Bündnis 90/Die Grünen. Niemand hat sich enthalten.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Seearbeitsgesetzes

Drucksache 18/6162

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


Drucksache 18/6675

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Alle sind einverstanden. 1)

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlus-
sempfehlung auf Drucksache 18/6675, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6162 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –

1) Anlage 8

Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Nach-
haftung für Rückbau- und Entsorgungskosten

(Rückbauund Entsorgungskostennachhaftungsgesetz – Rückbauund EntsorgungskostennachhaftungsG)


Drucksachen 18/6615, 18/6671
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Auch hier sind alle einverstanden.2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf den Drucksachen 18/6615 und 18/6671 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Dazu gibt es keine anderweitigen Vorschläge.
Damit ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Hochschulstatistikgesetzes

Drucksache 18/6560
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Innenausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Auch damit sind Sie einverstanden.3)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/6560 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu gibt es
keine anderen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfra-
strukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes

Drucksache 18/6487

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/6669

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Niemand hat etwas dagegen. 4)

2) Anlage 9
3) Anlage 10
4) Anlage 11

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Dann kommen wir zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell-
schaftsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale
Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/6669, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/6487 anzunehmen. Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit in zweiter
Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU,
SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegengestimmt hat
die Linke.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-

setzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/
CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegenge-
stimmt hat die Linke.

Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich hoffe, Sie sind jetzt nicht völlig verzweifelt, weil
die Sitzung viel früher als geplant aus ist. Sie können sich
noch etwas Schönes vornehmen. Es ist ja erst ungefähr
Viertel vor zehn. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen
Abend. Genießen Sie den Abend; genießen Sie die freien
Stunden.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 13. November 2015,
9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.