Protokoll:
18124

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 124

  • date_rangeDatum: 24. September 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:39 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/124 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 124. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 24. September 2015 Inhalt Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Wilfried Lorenz, Gabriele Groneberg und Heike Baehrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11943 A Wahl der Abgeordneten Kerstin Radomski als ordentliches Mitglied der Parlamentari- schen Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11943 B Wahl des Abgeordneten Ansgar Heveling als stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsra- tes der Filmförderungsanstalt . . . . . . . . . . . 11943 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11943 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 23 a . . 11944 A Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zu den Ergebnis- sen des Informellen Treffens der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union am 23. September 2015 in Brüs- sel und zum VN-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung vom 25. bis 27. September 2015 in New York . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11946 C b) Antrag der Abgeordneten Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr . Valerie Wilms, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 1 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Armut in jeder Form und überall been- den Drucksache 18/6045 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11944 B c) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Dr . Valerie Wilms, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 2 in Deutsch- land schon jetzt umsetzen – Den Hunger beenden, Ernährungssouveränität und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern Drucksache 18/6046 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11944 B d) Antrag der Abgeordneten Maria Klein- Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 3 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Gesundes Leben für alle ermöglichen und fördern Drucksache 18/6047 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11944 C e) Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- haltigkeitsziel 4 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern Drucksache 18/6048 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11944 C f) Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- haltigkeitsziel 5 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Geschlechtergerech- tigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen Drucksache 18/6049 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11944 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015II g) Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr . Valerie Wilms, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- haltigkeitsziel 6 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Was- ser und Sanitärversorgung für alle ge- währleisten Drucksache 18/6050 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11944 D h) Antrag der Abgeordneten Dr . Julia Verlin- den, Dr . Valerie Wilms, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- haltigkeitsziel 7 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitge- mäßer Energie für alle sichern Drucksache 18/6051 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11944 D i) Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr . Valerie Wilms, Claudia Roth (Augs- burg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 8 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Dauerhaftes, in- klusives und nachhaltiges Wirtschafts- wachstum, produktive Vollbeschäfti- gung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern Drucksache 18/6052 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11945 A j) Antrag der Abgeordneten Dr . Valerie Wilms, Kerstin Andreae, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 9 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen Drucksache 18/6053 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11945 A k) Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr . Frithjof Schmidt, Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- haltigkeitsziel 10 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten verringern Drucksache 18/6054 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11945 B l) Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr . Valerie Wilms, Britta Ha- ßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 11 in Deutsch- land schon jetzt umsetzen – Städte und Siedlungsflächen inklusiv, sicher, stabil und nachhaltig zu machen Drucksache 18/6055 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11945 B m) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr . Valerie Wilms, Luise Amtsberg, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltig- keitsziel 12 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen Drucksache 18/6056 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11945 C n) Antrag der Abgeordneten Annalena Baer- bock, Dr . Valerie Wilms, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- haltigkeitsziel 13 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Umgehend Maßnah- men zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen Drucksache 18/6057 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11945 C o) Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr . Valerie Wilms, Peter Meiwald, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltig- keitsziel 14 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Ozeane, Meere und Meeres- ressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen Drucksache 18/6058 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11945 D p) Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr . Valerie Wilms, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltig- keitsziel 15 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Nachhaltige Nutzung terre- strischer Ökosysteme schützen, wieder- herstellen und fördern, Wälder nachhal- tig bewirtschaften, die Wüstenbildung bekämpfen, die Bodendegradation auf- halten und umkehren sowie den Verlust der biologischen Vielfalt stoppen Drucksache 18/6059 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11945 D q) Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- haltigkeitsziel 16 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Friedliche und inklusi- ve Gesellschaften im Sinne einer nach- haltigen Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermögli- chen und effektive, rechenschaftspflich- tige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen Drucksache 18/6060 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11946 A r) Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Anja Hajduk, Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltig- keitsziel 17 in Deutschland schon jetzt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 III umsetzen – Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung jetzt wiederbe- leben Drucksache 18/6061 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11946 B s) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Ab- geordneten Tom Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Uwe Kekeritz, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Menschenrechte in der neuen Nachhaltigkeits- und Entwick- lungsagenda der Vereinten Nationen stärken Drucksachen 18/5208, 18/5451 . . . . . . . . . 11946 B Dr . Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 11946 C Dr . Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . 11950 B Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11952 A Dr . Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11955 B Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11957 A Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11959 D Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 11961 A Dr . Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11961 C Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 11962 C Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11963 A Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11964 D Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11966 A Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) . . . . . . . . 11966 D Carsten Träger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11967 D Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11968 C Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Jutta Krell- mann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kettenbefristun- gen abschaffen Drucksache 18/4098 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11970 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krell- mann, Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Das unbefristete Arbeits- verhältnis zur Regel machen Drucksachen 18/1874, 18/2783 . . . . . . . . . 11970 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 11970 A Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11971 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11972 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11974 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11975 B Uwe Lagosky (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11977 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11979 A Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11980 C Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11981 C Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11982 C Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11983 B Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11984 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11986 A Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Artur Auernhammer, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Bernhard Daldrup, Johannes Kahrs, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für gleichwertige Le- bensverhältnisse – Kommunalfreundli- che Politik des Bundes konsequent fort- setzen Drucksache 18/6062 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11986 D b) Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien Drucksache 18/3051 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11987 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbindliches Mitwirkungsrecht für Kom- munen bei der Erarbeitung von Gesetzent- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015IV würfen und Verordnungen sowie im Ge- setzgebungsverfahren Drucksachen 18/3413, 18/6085 . . . . . . . . . 11987 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amts- berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für Kommu- nen in Not Drucksache 18/6069 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11987 B Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11987 C Kerstin Kassner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11989 A Bernhard Daldrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11990 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11992 B Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11994 A Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11995 D Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 11996 C Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 11997 D Bärbel Bas (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11999 A Barbara Woltmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12000 B Tagesordnungspunkt 27: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 17. März 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2010 zwischen der Bundes- republik Deutschland und dem Verei- nigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Dop- pelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5575 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12001 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 19. Okto- ber 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderation St. Kitts und Nevis über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch In- formationsaustausch Drucksache 18/5576 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12001 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Partnerschafts- und Ko- operationsabkommen vom 11. Mai 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits Drucksache 18/5577 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12001 D d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Abkommen vom 21. Au- gust 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Ge- biet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5578 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12002 A e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerver- kürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5579 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12002 B f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batteriege- setzes Drucksache 18/5759 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12002 B g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Energiever- brauchskennzeichnungsgesetzes Drucksache 18/5925 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12002 B h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbe- helfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 Drucksache 18/5927 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12002 B Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Maria Klein- Schmeink, Dr . Konstantin von Notz, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Sicher vernetzt, gut ver- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 V sorgt – Digitalisierung im Gesundheits- wesen im Dienste der Patienten gestalten Drucksache 18/6068 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12002 C b) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer, Matthias Gas- tel, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zum Schutz der Verbraucher – Unzutreffen- de Angaben beim Spritverbrauch und Schadstoffausstoß von PKW beenden Drucksache 18/6070 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12002 C Tagesordnungspunkt 28: a) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Abwicklung der staatlichen Notariate in Baden-Württemberg Drucksachen 18/5218, 18/6087 . . . . . . . . . 12002 D b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlun- gen gegen die Sicherheit der Seeschiff- fahrt und zu dem Protokoll vom 14. Ok- tober 2005 zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festland- sockel befinden Drucksachen 18/5268, 18/6084 . . . . . . . . . 12003 B c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die internationale Zusammenarbeit zur Durchführung von Sanktionsrecht der Vereinten Nationen und über die internationale Rechtshilfe auf Hoher See sowie zur Änderung see- rechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/5269, 18/6089 12003 B d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes Drucksachen 18/5273, 18/6071 . . . . . . . . . 12003 C e)–h) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 220, 221, 222 und 223 zu Petitionen Drucksachen 18/5957, 18/5958, 18/5959, 18/5960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12003 D j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 225 zu Petitionen Drucksache 18/5962 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12004 B Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Neue Dynamik zur politischen Lösung der Syrien-Krise nutzen Dr . Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12004 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 12005 C Dr . Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12006 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12007 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 12009 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 12010 A Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 12011 A Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12012 A Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12013 A Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12014 A Dagmar G . Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12015 A Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12016 B Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Uwe Schummer, Karl Schiewerling, Jutta Eckenbach, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kerstin Tack, Katja Mast, Dr . Matthias Bartke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Integra- tionsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ers- ten Arbeitsmarkt eröffnen Drucksachen 18/5377, 18/6086 . . . . . . . . . . . 12017 B Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12017 B Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12018 C Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12019 D Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12021 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015VI Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12022 B Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 12023 B Tagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner, Katja Dörner, Beate Walter-Ro- senheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Betreuungsgeld in Kitas investieren Drucksache 18/6063 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12024 C b) Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohl- ke, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on DIE LINKE: Betreuungsgeld für den Kitaausbau nutzen Drucksache 18/6041 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12024 C Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12024 D Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12025 D Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 12027 C Dr . Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12029 A Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12030 B Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12032 B Tagesordnungspunkt 8: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des natio- nalen Bankenabwicklungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanis- mus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe (Abwicklungsmechanis- musgesetz – AbwMechG) Drucksachen 18/5009, 18/5325, 18/5458 Nr . 3, 18/6091 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12033 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6092 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12033 D Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12033 D Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12035 A Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12036 B Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12037 C Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12038 D Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 12040 A Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12041 D Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Erziehungsleis- tung von Adoptiveltern würdigen – Müt- terrente anerkennen Drucksache 18/6043 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12043 C b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sa- bine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Anrechnung von Zeiten des Mutterschutzes Drucksachen 18/4107, 18/5279 . . . . . . . . . 12043 C Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 12043 D Dr . Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12045 A Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 12046 D Dr . Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12047 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12047 D Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 12048 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12050 B Dr . Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 12051 A Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhan- delsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer Drucksache 18/6013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12052 C Dr . Ralf Brauksiepe, Parl . Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12052 D Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12054 A Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12055 B Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . 12056 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 VII Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12057 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 12058 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12059 A Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12059 C Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12060 A Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12060 D Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Gesetzliche Grundlage für Angehörigenschmerzensgeld schaffen Drucksache 18/5099 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12061 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12062 A Dr . Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . . . 12063 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12064 B Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 12065 B Dr . Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12066 B Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12067 C Tagesordnungspunkt 12: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Pro- tokollerklärung zum Gesetz zur An- passung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksachen 18/4902, 18/6094 . . . . . . . . . 12068 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6095 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12068 C Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 12068 C Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12069 C Dr . Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12070 B Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12071 A Fritz Güntzler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12072 A Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12073 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Sigrid Hupach, Dr . Petra Sitte, Halina Wawzyniak, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ver- leihbarkeit digitaler Medien entsprechend analoger Werke in Öffentlichen Bibliothe- ken sicherstellen Drucksache 18/5405 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12074 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12074 B Dr . Stefan Heck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12075 B Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12076 B Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12077 A Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12077 D Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12078 D Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbe- kämpfungsgesetzen Drucksache 18/5924 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12079 D b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Evaluation nach Artikel 9 des Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungs- schutzgesetzes Drucksache 18/5935 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12080 A Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Finan- zausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr . Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Dr . Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN sowie der Abgeordneten Richard Pit- terle, Susanna Karawanskij, Dr . Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sonderermittler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte einsetzen Drucksachen 18/3735, 18/6088 . . . . . . . . . . . 12080 B Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD: Prinzipien des deutschen Bildungswesens stärken – Gleichwertig- keit und Durchlässigkeit der beruflichen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015VIII und der akademischen Bildung durch- setzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Ro- semarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbildungsqualität sichern – Gute Aus- bildung für alle schaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Brigitte Pothmer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit einer echten Ausbildungsgarantie das Recht auf Ausbildung umsetzen Drucksachen 18/4928, 18/4931, 18/4938, 18/6040 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12080 C Dr . Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12080 C Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 12081 C Rainer Spiering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12082 C Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12083 C Uda Heller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12084 C Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12085 C Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Niema Movas- sat, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Versöhnung mit Namibia – Ge- denken an und Entschuldigung für den Völkermord in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika Drucksache 18/5407 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12086 D b) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Bezie- hungen zwischen Deutschland und Na- mibia stärken und unserer historischen Verantwortung gerecht werden Drucksache 18/5385 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12087 A Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12087 A Dr . Egon Jüttner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12088 A Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12088 D Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12089 C Dr . Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12090 D Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner Drucksache 18/5901 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12091 D Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12092 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 12093 A Dr . Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 12094 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12095 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12095 D Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 12097 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . 12097 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12098 A Tagesordnungspunkt 19: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen den zuständigen Behörden über den auto- matischen Austausch von Informationen über Finanzkonten Drucksache 18/5919 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12098 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weite- rer Gesetze Drucksache 18/5920 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12098 C c) Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Dr . Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abgel- tungsteuer abschaffen Drucksache 18/6064 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12098 C d) Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Dr . Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transpa- renz von Kapitaleinkommen stärken – Automatischen Austausch von Infor- mationen über Kapitalerträge auch im Inland einführen Drucksache 18/6065 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12098 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 IX Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksache 18/5865 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12098 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12099 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 12101 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlänge- rung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen – der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Evaluation nach Artikel 9 des Geset- zes zur Änderung des Bundesverfassungs- schutzgesetzes (Tagesordnungspunkt 14 a und b) . . . . . . . . . . 12101 C Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12101 C Uli Grötsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12102 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 12102 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12103 C Dr . Günter Krings, Parl . Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12104 A Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sonderermitt- ler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte einsetzen (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . 12104 C Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 12104 D Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . . 12105 C Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 12106 C Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12108 B Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12108 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehr- seitigen Vereinbarung vom 29 . Oktober 2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von In- formationen über Finanzkonten – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zum automa- tischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Än- derung weiterer Gesetze – des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Abgeltungsteuer abschaf- fen – des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Transparenz bei Kapital- einkommen stärken – Automatischen Aus- tausch von Informationen über Kapitaler- träge auch im Inland einführen (Tagesordnungspunkt 19 a bis d) . . . . . . . . . . 12110 A Dr . Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . . 12110 A Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12111 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12112 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 12112 D Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12114 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Än- derung des Atomgesetzes (Tagesordnungs- punkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12115 A Steffen Kanitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12115 A Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12116 D Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12117 D Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12118 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12119 B Textrahmenoptionen: 30,5 mm Abstand oben (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11943 124. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 24. September 2015 Beginn: 9 .00 Uhr
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    Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12101 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Becker, Dirk SPD 24 .09 .2015 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 24 .09 .2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 24 .09 .2015 Hartmann (Wackern- heim), Michael SPD 24 .09 .2015 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24 .09 .2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 24 .09 .2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 24 .09 .2015 Kiziltepe, Cansel SPD 24 .09 .2015 Kolbe, Daniela SPD 24 .09 .2015 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24 .09 .2015 Lach, Günter CDU/CSU 24 .09 .2015 Lenkert, Ralph DIE LINKE 24 .09 .2015 Möhring, Cornelia DIE LINKE 24 .09 .2015 Müller (Chemnitz), Detlef SPD 24 .09 .2015 Nick, Dr . Andreas CDU/CSU 24 .09 .2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 24 .09 .2015 Röspel, René SPD 24 .09 .2015 Scheuer, Andreas CDU/CSU 24 .09 .2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 24 .09 .2015 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 24 .09 .2015 Ulrich, Alexander DIE LINKE 24 .09 .2015 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 24 .09 .2015 Wicklein, Andrea SPD 24 .09 .2015 Wiese, Dirk SPD 24 .09 .2015 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 24 .09 .2015 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terroris- musbekämpfungsgesetzen – der Unterrichtung durch die Bundesregierung Evaluation nach Artikel 9 des Gesetzes zur Än- derung des Bundesverfassungsschutzgesetzes (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Clemens Binninger (CDU/CSU): Der internationale Terrorismus ist unverändert eine weltweite Gefahr, die auch in Deutschland und Europa mittlerweile Realität ist . Das machen die Nachrichten deutlich, die uns besonders auch in den letzten Monaten viel zu häufig erreichten. Ob in Paris im Januar dieses Jahres, in Kopenhagen nur ei- nen Monat später oder erst kürzlich im August im Thalys von Amsterdam nach Paris . Die Zahl der radikalislamischen Salafisten in Deutsch- land steigt . Viele von ihnen, mittlerweile über 700, haben sich aufgemacht, um in Syrien und Irak für die IS-Terror- miliz zu kämpfen . Einige kehren zurück, manche desillu- sioniert, manche aber auch radikalisiert . Damit steigt das Gefährdungspotenzial in Deutschland weiter erheblich, denn es ist nicht auszuschließen, dass Anschläge auch in Deutschland geplant werden . Dabei stehen auch die Nachrichtendienste vor besonderen Herausforderungen . Unsere Aufgabe ist es deshalb, die Dienste weiter mit geeigneten Befugnissen auszustatten, um die erforderli- che Aufklärungsarbeit leisten zu können . Das Terroris- musbekämpfungsgesetz ermöglicht Nachrichtendiensten bisher, bei Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten und Telekommunikationsdiensten Auskünfte einzuholen . Es geht jetzt darum, die Fristen für diese Befugnisse zu ver- längern . Die Grundlage für den heute behandelten Ge- setzentwurf ist ein Evaluierungsbericht des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung . Durch die Evaluierung ist erneut deutlich geworden, dass die Befugnisse für den Erkenntnisgewinn wesentlich sind: Durch die erhobenen Verkehrsdaten stellte etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz im vergangenen Jahr zahlreiche Kontakte von Angehörigen des gewaltbe- reit-salafistischen Spektrums fest und war so in der Lage, Beziehungen und Netzwerke aufzuklären . Einer Person konnte daraufhin die Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nachgewiesen werden . In weiteren Fällen konnten Syrien-Rückkehrer erkannt oder auch die Mitgliedschaft in der PKK erwiesen werden . Leidvolle Erfahrungen hat es in Deutschland in jüngster Zeit auch mit Terrorakten rechtsextremistisch motivierten Hintergrunds gegeben . Die Gefährdung ist angesichts der zunehmenden, sich radikalisierenden Sze- ne längst nicht gebannt . Im Gegenteil, Waffenbeschaf- fungen und Waffendeals in der rechtsextremen Szene waren und sind eine reale Gefahr . Die Befugnisse der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 201512102 (A) (C) (B) (D) Nachrichtendienste aus dem Terrorismusbekämpfungs- gesetz sind deswegen auch in diesem Bereich Grundlage für wertvolle Erkenntnisse: So konnten im Rahmen einer Finanzermittlungsmaßnahme gegen einen Verdächtigen wegen möglicher Waffenbeschaffung für die rechtsext- remistische Szene Kontakte in die Schweiz festgestellt werden . Darüber hinaus war feststellbar, dass der Ver- dächtige über ein Konto im Ausland verfügte, auf das Gelder unbekannter Herkunft einbezahlt wurden, und auch, dass der Verdächtige selbst immer wieder hohe Bargeldbeträge auf sein Konto einzahlte . Zudem zeig- ten Finanztransaktionen an regionale und überregionale Größen der rechtsextremen Szene die Einbindung und Bedeutung des Rechtsextremisten in der Szene . Die Evaluierung hat deutlich gezeigt, dass die Befug- nisse notwendig sind . Ich höre auch immer wieder aus den Reihen der Opposition, es bestehe die Gefahr, die Dienste würden ihre Befugnisse maßlos einsetzen . Aber auch hier hat ist das Ergebnis eindeutig: Die Dienste handeln sehr maßvoll . Genau, wie es der Bundestag als Gesetzgeber beabsichtigt hat . So wurden im Jahr 2014 insgesamt gerade einmal 72 besondere Auskunftsverlan- gen angeordnet . 33 davon sind bei Telekommunikations- diensteanbietern ergangen, um Verkehrsdaten-Auskünfte einzuholen. Von flächendeckender Überwachung kann nicht einmal im Ansatz die Rede sein . Es geht nun darum, die Empfehlungen aus der Eva- luierung umzusetzen und die Befugnisse erneut zu be- fristen . Mit einer weiteren Befristung gewährleisten wir, dass die weitere Entwicklung im Blick bleibt . Alle Ex- perten bestätigen, dass die Gefährdungslage ernst ist . Wir sollten deshalb nicht zur Hysterie neigen, aber wir soll- ten das Notwendige tun für die Sicherheit der Menschen und die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden . Die Sicherheitsbehörden verdienen unser Vertrauen . Es gibt keinen Grund, eine weitere Befristung abzulehnen . Uli Grötsch (SPD): Heute beraten wir den Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vor- schriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen, die wir nach den Anschlägen am 11 . September 2001 eingeführt haben . Bei diesem Wortungetüm handelt es sich um die nachrichtendienstlichen Befugnisse unserer Sicherheitsbehörden zur Auskunftseinholung bei etwa Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten und Telekommu- nikationsdienstleistern . Für die SPD war es von entscheidender Bedeutung, dass wir diese Anti-Terrorgesetze erneut befristen, bis 2021 . Es wird dann erneut auf seine Wirksamkeit hin ge- prüft . Diese zugegebenermaßen weitreichenden Befugnisse haben sich bewährt: Unsere Sicherheitsbehörden arbei- ten auf Hochtouren: Erst im April dieses Jahres konnten in Oberursel Terrorverdächtige verhaftet werden . Um nur ein Beispiel zu nennen . Diese und andere Anschlagspläne konnten unter ande- rem dank dieser Befugnisse verhindert werden . Meiner Meinung nach stellt sich heute und hier deshalb die Frage nicht, ob wir das Gesetz verlängern . Das ist nun die dritte Verlängerung . Ich kann Ihnen heute keine Hoffnung machen, dass die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, den islamischen Terro- rismus, nachlässt . Wir wissen, dass schreckliche Terro- ranschläge wie im Mai 2014 in einem jüdischen Museum in Brüssel oder wie im Januar dieses Jahres auf das Sati- reblatt Charlie Hebdo in Paris auch bei uns in Deutsch- land passieren können . Die Terrormiliz IS ruft ganz kon- kret zu individuellen Terrortaten in Deutschland auf . Wir können und dürfen uns aber nicht darauf verlassen, dass „zivile“ Helden wie im Thalys-Schnellzug in Frankreich ihr Leben für uns riskieren . Unsere Sicherheitsbehörden sind deshalb gut aufge- stellt, in den aktuellen Haushaltsberatungen stocken wir beispielsweise das BKA mit 200 zusätzlichen Beamten und 12 Millionen Euro Sachmitteln auf . Die Bundespoli- zei bekommt 3 000 neue Beamtenstellen . Wir wissen, dass Paragraphen alleine noch keine ef- fektive Terrorbekämpfung sind: Ich setze auf Prävention . In den letzten Wochen und Monaten habe ich mich mit sehr vielen im Bereich Extremismusprävention engagier- ten Vereinen und Trägern getroffen und mir ein Bild von ihrer Arbeit gemacht . Ihre Arbeit ist nachgefragter, denn je . Ich denke da an die Beratungsstelle „Hayat“, die Aus- steigern und Angehörigen von radikalisierten Personen Hilfe anbietet . Und auch an das Violence Prevention Network (VPN), in dem erfahrene Fachkräfte sich in Justizvollzugsanstal- ten um jugendliche Gewalttäter kümmern, um nicht den islamistischen Rattenfängern das Feld zu überlassen . In einem weiteren Projekt betreuen sie von Rekrutierungs- maßnahmen des IS betroffene junge Frauen . Es gibt in den Bundesländern viele solcher niedrigschwelligen Projekte, die sich gegen den gewaltorientierten Islamis- mus wenden und erfolgreich sind . Deshalb war es rich- tig, letztes Jahr das neue Bundesprogramm „Demokratie Leben“ um 10 Millionen Euro auf jetzt 40,5 Millionen Euro aufzustocken . Das ist der richtige Weg, und deshalb danke ich unserer Bundesministerin für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, die früher als andere erkannt hat, dass es auf Prävention ankommt . Wir alle haben in den letzten Monaten Videos und Bilder vom Terrorregime des IS sehen müssen, die men- schenunwürdig sind . Wir sind fassungslos angesichts dieser Enthemmtheit, aber wir dürfen nicht sprachlos sein . Lassen Sie uns als gesamtes Haus ein deutliches Si- gnal senden und unsere Entschlossenheit zeigen . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung be- antragt die weitere Verlängerung einer ganzen Reihe so- genannter Antiterrorgesetze, die seit 2001 nach und nach eingeführt wurden . Auf die Kritik, diese Gesetze griffen unverhältnismäßig in die Grundrechte ein, hieß es bei ihrer Einführung beschwichtigend, sie seien ja befristet, würden also nur vorübergehend gelten . Tatsächlich werden sie aber routinemäßig verlängert, ohne dass die Grundrechtseingriffe überhaupt noch the- matisiert werden. Wir von der Linken finden jedenfalls: Den Geheimdiensten immer mehr Macht einzuräumen, ist nicht Teil einer Lösungsstrategie, es ist Teil des Prob- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12103 (A) (C) (B) (D) lems . Nun gilt es, wieder abzurüsten und den Grundrech- ten die Priorität einzuräumen, die sie verdienen . Die Gesetze, um die es hier geht, berechtigen die Geheimdienste etwa dazu, Kontodaten abzufragen, Ver- kehrsdaten von Telekommunikationsunternehmen und Flugdaten einzusehen, Handy-Standorte zu erfassen und Gespräche abzuhören . Die Anzahl der durchge- führten Maßnahmen beläuft sich im Schnitt nur auf eine zweistellige Zahl pro Jahr . Das allein gibt aber noch kei- nen Aufschluss über deren Verhältnismäßigkeit . Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder dar- auf hingewiesen, dass es bei Grundrechtseingriffen auch auf deren kumulative Wirkung ankommt . Das heißt: Angesichts der Vielzahl von Geheimdienstbefugnissen und der heutigen technischen Möglichkeiten muss jedes Gesetz im Rahmen einer Gesamtschau und in der Wech- selwirkung mit anderen Gesetzen bewertet werden . Aber in der Evaluation, die jetzt die Verlängerung der Gesetze legitimieren soll, ist diese Prüfung einfach unterblieben . In dem Papier heißt es wörtlich: „Eine solch umfas- sende Analyse ist jedoch vom Evaluationsauftrag nicht abgedeckt gewesen“ . Weiter heißt es, eine umfassende Auswertung sei schon – Zitat – ,,mit Blick auf die Be- sonderheiten nachrichtendienstlichen Arbeitens nicht realisierbar .“ Auch eine Langzeitbeobachtung sei weder beauftragt gewesen noch mit den Geheimdiensten über- haupt möglich, heißt es . Schuld daran ist das Bundesinnenministerium, das den Rahmen für dieses Gutachten erstellt hat . Es hat den Auftrag bewusst eng formuliert, um einen Bericht zu bekommen, der die Regierungslinie unterstützt . Anders ausgedrückt: Das Bundesinnenministerium hat sich ein Gefälligkeitsgutachten besorgt . Das zeigt sich zum Beispiel auch bei der Frage nach der Wirksamkeit der Überwachungsgesetze . Da tappen wir auch nach der Evaluation weiterhin im Dunkeln . Denn die Bewertung der Gesetze wurde von den Nach- richtendiensten selbst vorgegeben . Deren Behauptung, die Gesetze seien notwendig und wirksam, sollen wir einfach glauben ohne die Möglichkeit einer unabhängi- gen Nachprüfung . Entschuldigung, aber eine solche Blauäugigkeit zu verlangen, nach Jahren voller NSU- und NSA-Skanda- le, das ist wirklich eine Beleidigung des Parlaments und auch der Bürgerinnen und Bürger . Es gibt für eine solche Art von Bewertungen ein Wort: Gefälligkeitsgutachten . Die Linke ist sehr dafür, Terroristen das Handwerk zu legen . Aber wir werden keinem Gesetz zustimmen, das die Kompetenzen der Geheimdienste erweitert, ohne die Folgen für die Grundrechte zu beachten . Der Nutzen der Gesetze ist nicht erwiesen, daher kann man sie Ende des Jahres getrost auslaufen lassen . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Ursprünge des Gesetzes, dessen Geltung zum dritten Mal verlängert werden soll, reichen in die Zeit un- mittelbar nach den Anschlägen vom 11 . September 2001 zurück . Damals wurden den Geheimdiensten mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz Befugnisse eingeräumt, in Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern einzugrei- fen . Sie sollten Kontendaten, Flugdaten, Passdaten und Verkehrsdaten von Telekommunikationsmedien abfragen dürfen . Auch ging es um den Einsatz von so genannten IMSI-Catchern . Weil es um Grundrechtseingriffe ging, sollten diese an enge Einschränkungen gebunden sein . Schon die Anordnung sollte von höchster Stelle und nur mit parlamentarischer Kontrolle möglich sein . Die Be- troffenen sollten nachträglich informiert werden . Die Regelungen sollten nur dem Kampf gegen Terrorismus dienen und befristet auf zehn Jahre gelten . Wegen der gewollt stark einschränkenden Bedingungen wurde das Gesetz nur restriktiv und in wenigen Fällen angewandt . Befürchtungen, das Gesetz könnte zu massenhaften Grundrechtsverletzungen führen, bewahrheiteten sich nicht . Flugdaten, Kontodaten, Verkehrsdaten wurden im ein- stelligen und unteren zweistelligen Bereich pro Jahr erho- ben, insgesamt 64#$# bis 77#$#mal pro Jahr, Postdaten gar nicht . Gleichwohl wurde die Geltung des Gesetzes 2007 für fünf Jahre verlängert . Die Bedingungen wur- den etwa für Kontodaten gemildert . Nicht mehr Minister mussten die Anordnungen genehmigen . 2011 wurde die Gesetzesanwendung erneut um fünf Jahre verlängert . Beiden Verlängerungen lagen keine unabhängigen Überprüfungen des Nutzens der Verlängerung zugrun- de . Deshalb wurde nun erstmals eine Evaluierung durch Wissenschaftler durchgeführt . Das Ergebnis liegt seit April 2015 vor . Wieder wurde festgestellt, dass das Ge- setz nur in wenigen Fällen angewandt wurde . So gab es zum Beispiel von November 2013 bis November 2014: 23 Kontoabfragen, zwei für Flugverbindungen, für Ver- kehrsdaten 33 und Kontostammdaten 21#$#mal Abfra- gen . Unterrichtungen der Betroffenen erfolgten all die Jahre nur in etwa in einem Drittel der Fälle . Jetzt soll das Gesetz zum dritten Mal verlängert wer- den bis 2021 . Schon angesichts der geringen Zahl der Anwendungsfälle ist zu bezweifeln, ob dies zwingend notwendig ist . Schließlich geht es nicht nur um irgend- welche Befugnisse für die Geheimdienste, sondern um Grundrechtseingriffe . Deshalb wurde das Gesetz 2002 nur beschlossen, um Aufklärungsmöglichkeiten in der besonders angespannten und gefährlichen Situation zu schaffen . Ein Dauergesetz für Jahrzehnte war nicht be- absichtigt . Ein einfaches Durchwinken einer Verlängerung kommt für uns nicht in Betracht . Zur Vorbereitung einer vertretbaren Entscheidung müssen die konkreten Ergeb- nisse der Gesetzesanwendung in den letzten fünf Jahren darauf anhand der konkreten Fälle überprüft werden, wie relevant diese für den Kampf gegen den Terrorismus gewesen sind . Das bisherige Evaluationsergebnis bringt dazu keine ausreichenden Erkenntnisse . Also muss die Bundesregierung uns konkrete Zahlen nachliefern, wie oft durch die Anwendung der fraglichen Befugnisse schwere Terrordelikte verhindert oder aufgeklärt werden konnten . Ohne solche Belege können Grüne dem Ent- wurf nicht zustimmen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 201512104 (A) (C) (B) (D) Dr. Günter Krings, Parl . Staatssekretär im Bundes- ministerium des Innern: Der internationale djihadistische Terrorismus ist nach wie vor eine globale Bedrohung für das friedliche Zusammenleben und die zentrale Heraus- forderung für unsere Sicherheitsbehörden . Erfolgreiche und zum Teil in letzter Minute verhinder- te Anschläge haben sich in jüngster Zeit in unmittelbarer Nähe zu uns ereignet: in Brüssel, Paris und Kopenhagen und im Thalys-Schnellzug in Nordfrankreich . Das zeigt, dass der Terror längst Mitteleuropa erreicht hat . Und es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass nicht auch Deutsch- land längst im Fadenkreuz des islamistischen Terror steht . Ja, und auch bislang mussten wir schon deutsche Terror-Tote und Terror-Tote in Deutschland beklagen . Ein konkretes Anzeichen für die Gefährdung der Men- schen in Deutschland sind vor allem die über 700 Perso- nen mit salafistischem Hintergrund, die aus Deutschland in die Krisenregion Syrien/Irak ausgereist sind . Von den Rückkehrern aus dieser Gruppe geht eine besondere Ge- fahr aus . Sie sind weiter radikalisiert, oft kampferprobt, verroht und zu ungeheurer Brutalität fähig . Die gesetzgeberischen Antworten auf diese Ter- ror-Gefahr basieren auf einer rationalen Gefährdungs- analyse . Und das Terrorismusbekämpfungsgesetz ist ein Herzstück bei dieser besonnenen und rationalen Antwort des Gesetzgebers . Mit dem heute in erster Lesung behandelten Gesetz- entwurf wollen wir die bewährten nachrichtendienstli- chen Befugnisse verlängern, um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus fortsetzen zu können . Im Wesentlichen geht es um Vorschriften zur Auskunftsein- holung bei Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten und Telekommunikationsdiensten, die bis Januar 2016 be- fristet sind . Grundlage des Gesetzentwurfs ist der Evaluierungsbe- richt unabhängiger Wissenschaftler des Instituts für Ge- setzesfolgenabschätzung und Evaluation . Die Auswahl des Instituts war zusammen mit dem Bundestag erfolgt . Lassen Sie mich zu den Evaluierungsergebnissen zwei besonders praxisbedeutsame Maßnahmen herausstellen . Besondere Auskunftsverlangen: Im Untersuchungs- zeitraum November 2013 bis November 2014 wurden gerade einmal 72 Auskunftseinholungen bei Luftfahrtun- ternehmen, Kreditinstituten, Telediensten und Telekom- munikationsdiensten angeordnet . Das ist maßvoll und zeigt wie streng wir die Regelungen gefasst haben . Vielfach konnten dabei Kontakte, Beziehungen und Netzwerkstrukturen auf geklärt werden . Einer Person konnte etwa die Unterstützung einer terroristischen Ver- einigung nachgewiesen werden . Ausschreibung im SJS II: Eine weitere, wichtige Vorschrift ermöglicht den drei Nachrichtendiensten, Personen im Schengenerinformationssystem II auszu- schreiben . Wird dann die ausgeschriebene Person im Schengenraum kontrolliert, erhält die ausschreibende Behörde Informationen über Reisebewegungen und eventuell mitreisende Personen . Im Erhebungszeitraum der Evaluation wurden 329 Personen im SIS II ausgeschrieben, überwiegend durch das Bundesamt für Verfassungsschutz . So konn- ten zum Beispiel wichtige und dringend notwendige Er- kenntnisse über Syrien-Rückkehrer gewonnen werden . Die wissenschaftliche Untersuchung des evaluieren- den Instituts kommt zu glasklaren Ergebnissen: Die Anwendung der nachrichtendienstlichen Befug- nisse ist auch im aktuellen Auswertungszeitraum wiede- rum fokussiert und verantwortungsvoll erfolgt . Und sie hat unverzichtbare Erkenntnisse erbracht . Das Terrorismusbekämpfungsgesetz wahrt die Balan- ce zwischen Freiheit und Sicherheit . Wer diese Befug- nisse beseitigen will, der opfert unsere Sicherheit – und zwar nicht zugunsten der Freiheit . Nein, er beseitigt un- sere Freiheit dabei gleich mit . Ich bitte den Deutschen Bundestag daher um eine ebenso sorgfältige wie zügige Beratung dieses Gesetzes zum Schutze der Menschen in unserem Lande . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sonderer- mittler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte einsetzen (Tagesordnungspunkt 15) Olav Gutting (CDU/CSU): Bereits im Januar, als wir hier im Parlament zum Thema Dividendenstripping, auch bekannt als Cum-/Ex-Trade, debattiert hatten, habe ich klargestellt, dass es sich dabei um kein Steuergestal- tungsmodell findiger Berater, sondern nach meinem Da- fürhalten schlicht um Betrug zulasten des Fiskus gehan- delt hat . Auch wir halten die Rückforderung von Kapitalertrag- steuer, welche tatsächlich nie gezahlt wurde, nicht nur für höchst problematisch und unmoralisch, sondern für rechtswidrig . Auch das Bundesfinanzministerium hatte stets die Rechtsauffassung, dass nur einmal abgeführte Kapitaler- tragssteuer nie doppelt bescheinigt werden darf . Zweck dieses unrechtsmäßigen Geschäftsmodels war es, bei Leerverkäufen über den Dividendenstichtag Zusatzren- diten zu erzielen, weil die deutsche Kapitalertragsteuer durch das Auseinanderfallen von rechtlichem und wirt- schaftlichem Eigentum mehrfach bescheinigt wurde . Jedem, der die doppelte Bescheinigung zu seiner Renditesteigerung nutzte, muss klar gewesen sein, dass er unrechtmäßig doppelt kassiert und damit den Fiskus schädigt . Bereits im Januar habe ich bei meiner Rede gefordert, die rechtliche Einordnung dieser Handlungen den zustän- digen staatlichen Strafverfolgungsbehörden und unserer Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12105 (A) (C) (B) (D) Gerichtsbarkeit zu überlassen . Im Übrigen laufen hierzu bereits verschiedene Ermittlungsverfahren . Der Bundestag und auch die Bundesregierung haben sich aus staatsanwaltlichen Ermittlungen rauszuhalten . Dies gebietet schon unsere Verfassung, in der – mit sehr guten Gründen – die Gewaltenteilung festgeschrieben ist . Gegen die Einsetzung eines Sonderermittlers bestehen auch deshalb verfassungsrechtliche Bedenken, weil un- sere Verfassung einen solchen Ermittlertyp schlichtweg nicht kennt . Ihr Antrag lässt auch nicht erkennen, welchen Mehr- wert Sie sich von der Einsetzung eines solchen verfas- sungsrechtlich bedenklichen Sonderermittlers erhoffen? Schließlich sind alle Erkenntnisse der Bundesregierung hierzu bekannt, weil dieses Thema Gegenstand mehrerer Anfragen war . Der Antrag zur Einsetzung eines unabhängigen Son- derermittlers ist deshalb völlig unnötig, man kann auch sagen schlicht Unfug . Er stellt nur eine Nebelkerze dar, um das zu verschleiern, was Sie mit Ihrem Antrag tatsächlich bezwecken, nämlich die Klärung einer ver- meintlichen politischen Verantwortung, für die es aber das Instrument des Untersuchungsausschusses gibt . Obwohl die Grünen sonst nicht so zimperlich bei der Forderung zur Einsetzung von Untersuchungsausschüs- sen sind, begnügen sie sich hinsichtlich der Cum-Ex-Ge- schäfte mit der Bestellung eines verfassungsrechtlich problematischen Sonderermittlers . Die jeweilige Bundesregierung hat gemeinsam mit dem zuständigen Bundesfinanzministerium – dies muss in diesem Zusammenhang festgehalten werden – stets mit Erlassen auf entsprechende konkrete Hinweise re- agiert . Auch der Gesetzgeber selbst blieb nicht untätig . Ein politisches Aufklärungsbedürfnis sehe ich daher nicht . Ihr Sonderermittler soll auch klären, welche Stellen und welche Personen auf der staatlichen Seite für den entstandenen Schaden zum einen formal und zum ande- ren tatsächlich verantwortlich sind . Mit Verlaub! Dieses Ansinnen ist nun wirklich Unfug, denn eine Mitverant- wortung setzt eine Beteiligung an dem rechtwidrigen Geschäftsmodell voraus . Eine solche Unterstellung ist absurd . Der Bundestag hat in den Jahren 2007 und 2009 sowie zuletzt im Jahr 2011 mit dem OGAW-IV-Umsetzungs- gesetz den Cum-Ex-Geschäften die Grundlage vollends entzogen . Somit liegt die nachträgliche strafrechtliche Aufarbeitung allein bei den zuständigen Staatsanwalt- schaften . Ihr Antrag ist daher abzulehnen . Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Im Antrag wird gefordert, einen unabhängigen Sonderermittler ein- zusetzen, der klären soll, wie es dazu gekommen ist, dass die sogenannten Cum-Ex-Transaktionen zehn Jahre nicht unterbunden wurden, wer letztendlich verantwortlich für den entstandenen Schaden war, ob die getroffenen Maßnahmen zur Schadensbegrenzung adäquat sind und ob Vorkehrungen getroffen wurden, ähnliche Probleme frühzeitig zu erkennen und zu unterbinden . Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob ein Sonde- rermittler tatsächlich eingesetzt werden kann . Dem ste- hen nämlich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber . Unsere Verfassung kennt die Funktion eines Sonderermittlers nicht . Die Einsetzung eines Sonderermittlers ist also verfas- sungsrechtlich zumindest zweifelhaft und schon allein daher abzulehnen . Es stellt sich aber auch die Frage, warum die beiden Oppositionsfraktionen diesen Sonde- rermittler fordern, der ja wohl von der Bundesregierung eingesetzt werden sollte und damit auch erst einmal nur der Bundesregierung gegenüber berichtspflichtig wäre. Das Parlament wäre damit zunächst einmal außen vor . Wenn man so erheblichen Zweifel an der Korrektheit der Vorgehensweise bei den Vorfällen der Cum-Ex-Trans- aktionen anmeldet, dann wäre das geeignete parlamen- tarische Instrument zur Aufklärung aller Fragen und zur Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen ein Untersu- chungsausschuss . Im übrigen wäre zu klären, wer denn überhaupt so die Rolle eines Sonderermittlers übernehmen könnte . Wer hätte das geeignete Fachwissen und gegebenenfalls auch den ausreichend geschulten Apparat, um eine so umfang- reiche Überprüfung der vielen, durchaus unterschiedli- chen Sachverhalte durchzuführen . Die Transaktionen erstreckten sich ja nicht nur auf inländische Kreditinsti- tute, sondern auch auf das Ausland . Auch Landesbanken waren in diese Transaktionen verwickelt . Müsste man dazu dann auch noch entsprechende Landesbehörden be- auftragen? Die Cum-Ex-Transaktionen sind hochgradig kompli- zierte Geschäfte, die nur mit umfänglichen Spezialwissen und mit großem Sachverstand geprüft werden können . Das Bundeszentralamt für Steuern hat bereits zusätzli- che personelle Ressourcen bereitgestellt, damit auffällige Erstattungsanträge, auch aus der Vergangenheit, geprüft werden können . Den Bundesländern wurde vom Bundes- zentralamt in diesem Zusammenhang eine Unterstützung bei Außenprüfungen angeboten . Dabei wird auf Initiative des Bundesministeriums für Finanzen ein Wissenstrans- fer zwischen den mit Cum-Ex-Transaktionen befassten Stellen aus Bund und Ländern ermöglicht, um ständig weitere Erkenntnisse zu dieser komplexen Materie und zur börsentechnischen Abwicklung dieser Geschäfte zu gewinnen . Um den aus Cum-Ex-Transaktionen resultierenden Steuerausfällen entgegenzuwirken, wurden im Jahres- steuergesetz 2007 Dividendenausgleichszahlungen der materiellen Steuerpflicht und damit der Kapitalsteuer- pflicht unterworfen. Abzuführen war damit die Kapita- lertragsteuer auf Rechnung des Erwerbers durch das in- ländische Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut, das für den Veräußerer der Aktien dessen Verkaufsauftrag ausführte . Die von dem Kredit- bzw . Finanzdienstleis- tungsinstitut abgeführte Kapitalertragsteuer wurde dem Konto des Veräußerers zusammen mit der Dividenden- ausgleichszahlung belastet . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 201512106 (A) (C) (B) (D) Die Anwendung dieser Vorschrift erfasst allerdings nicht Geschäfte, die ohne Intermediär oder über einen ausländischen Intermediär abgewickelt wurden . Ab 1 . Januar 2012 wurde deshalb eine weitere ge- setzliche Maßnahme ergriffen, um die missbräuchlichen Gestaltungen unter Einbeziehung ausländischer Ban- ken zu unterbinden . Dividenden müssen jetzt von der ausschüttenden Aktiengesellschaft als Bruttodividende, sprich ohne Kapitalertragsteuerabzug, an die auszahlen- den Stellen weitergeleitet werden . Die Abzugsverpflichtung liegt damit bei dem inlän- dischen Institut, das die Kapitalerträge gutschreibt bzw . auszahlt oder – falls die Gutschrift bzw . Auszahlung durch eine ausländische Stelle erfolgt – bei der letzten inländischen Stelle, die die Beträge an die ausländische Stelle weitergeleitet hat . Steuerausfälle sind mit dem neuen System damit ausgeschlossen . Es wurden also sämtliche gesetzliche Maßnahmen er- griffen, um dem Missbrauch bei Cum-Ex-Transaktionen zu begegnen . Vergangenheitsfälle werden immer wieder aufgedeckt und führen zu entsprechenden Steuer- und Strafzahlun- gen . Ein besonders augenfälliger Streitfall in diesem Zu- sammenhang ist die Klage von einem Steuerpflichtigen gegen die Bank Sarrasin in der Schweiz, in dem meh- rere Kläger Schadensersatz in Millionenhöhe von der Bank wegen falscher Beratung fordert . Die Bank Sarasin in Basel hatte das Cum-Ex-Vehikel im Frühling 2010 aufgebaut mit dem Ziel, dieses groß in Deutschland zu vermarkten . Jetzt sieht sich die Bank und ihr Eigentümer allerdings neben den Privatklagen auch umfänglichen Ermittlungen schweizerischer und deutscher Strafverfol- gungsbehörden ausgesetzt . Die Finanzverwaltung war immer der Auffassung, dass es sich bei diesen Geschäften nicht um ein steuer- liches Gestaltungsmodell handelt, sondern um unzuläs- sige Gestaltungen . Diese Haltung wurde auch vom BFH mehrfach bestätigt . Frühe Hinweise auf diese Handhabungen waren aller- dings so unkonkret, dass erst entsprechende Prüfungen zu den heutigen Erkenntnissen führten . Die Modelle wa- ren außerdem mit größtmöglicher Verschleierung konst- ruiert, womit eine Entdeckung äußerst schwierig war . Alle diese Sachverhalte wurden vom zuständigen Mi- nisterium auf zahlreiche Anfragen von Mitgliedern des Hohen Hauses immer wieder vollumfänglich dargestellt . Es ist nicht notwendig, diese Sachverhalte nochmals durch einen Sonderermittler prüfen zu lassen, weil es zu keiner neuen Erkenntnis führen würde . Für die Einsetzung eines Sonderermittlers gibt es kei- ne Rechtsgrundlage . Die illegalen Machenschaften wer- den von den Steuerbehörden und von der Staatsanwalt- schaft verfolgt . Es wurden auch alle Maßnahmen ergriffen, um miss- bräuchliche Gestaltungen für die Zukunft zu unterbinden und für die Vergangenheit aufzuarbeiten . Aus diesen Gründen wird dieser Antrag von uns ab- gelehnt . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Cum ex? Bei den Cum-Ex-Geschäften handelt es sich um einen der größten Fälle von Steuerbetrug in Deutschland . Einzel- ne Banken und Fonds haben aus dem Steuerbetrug ein Geschäftsmodell gemacht . Der entstandene Schaden für den Fiskus ist immens . Im Kern haben sich die Finanz- marktakteure vom Fiskus Kapitalertragsteuer erstatten lassen, die sie gar nicht bezahlt haben . Aufgrund der Komplexität und Intransparenz der Geschäfte konnten diese Machenschaften lange Zeit nicht aufgedeckt wer- den . Es bedurfte auch mehr als eines Anlaufs, um diesen Geschäften die Grundlage zu entziehen . Die Gestaltun- gen konnten erst durch eine vollständige Umstrukturie- rung des Erhebungsverfahrens der Kapitalertragsteuer abgestellt werden . Grundlage der „Geschäfte“ waren Leerverkäufe von Aktien rund um den Dividendenstichtag . Es wurde dabei ausgenutzt, dass die Stelle, die die Kapitalertragsteuer an den Fiskus abführte, und die Stelle, die die Kapita- lertragssteuerzahlung bescheinigte, auseinanderfielen. Es konnten deshalb mehrere Steuerbescheinigungen erlangt werden, die unberechtigte Erstattungsansprüche begrün- deten . In verschiedenen Gerichtsverfahren geht es inzwi- schen um die Frage, ob die „Geschäfte“ legal waren oder nicht . Die Dreistigkeit der Betrüger ist beispiellos . Sie pochen auf die Legalität der mehrfachen Erstattung einer einmal gezahlten Steuer . Einen rechtmäßigen Er- stattungsanspruch kann es aber nur auf eine zuvor durch einen Steuerabzug erhobene Kapitalertragsteuer geben . Wir sehen erneut: In einer Unkultur, in der alles als er- laubt gilt, was nicht verboten ist, gibt es praktisch keine Grenzen für die Gier – wer „den Staat“ dermaßen be- trügt, betrügt jeden seiner Nachbarn, jeden seiner Freun- de, denn alle anderen im Staat müssen für den Schaden aufkommen, also mehr Steuern bezahlen . Klaus Ott schreibt in der Süddeutschen Zeitung vom 28 . Februar 2015: Bei dieser speziellen Form des Börsenhandels muss sich der Verkäufer der Aktien dieselben erst noch beschaffen, obwohl er die Papiere bereits einem Abnehmer verbindlich zugesagt hat . Bei Cum-Ex-Leerverkäufen konnte es passieren, dass eine- und dieselbe Aktie rein formal betrachtet zwei Eigentümer hatte . Den alten Inhaber mit (Cum) Di- vidende, bei dem sich der Leerverkäufer erst noch mit den von ihm bereits weiter verkauften Papieren eindecken musste . Und den neuen Inhaber, dem der Leerverkäufer das Papier fest versprochen hatte, inklusive (Cum) einer Kompensationszahlung für die Dividende . Zwei Eigentümer, zwei Mal Cum, zumindest auf dem Papier, das bedeutete für den Fiskus bis 2012 in zahlreichen Fällen: Es gab zwei Bescheinigungen über gezahlte Dividende und die darauf fällige Kapitelertragsteuer; ausgestellt von den am Aktienhandel beteiligten Banken . Mit die- sen Bescheinigungen konnten sich beide Aktien- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12107 (A) (C) (B) (D) besitzer die Kapitalertragsteuer später vom Fiskus wieder erstatten lassen; im Wege der Verrechnung mit anderen Abgaben . Tatsächlich aber war die Di- vidende nur einmal geflossen und die darauf fällige Steuer auch nur einmal an das Finanzamt gezahlt worden . Bei Cum-Ex-Leerverkäufen im Inland war es ab 2007 nicht mehr möglich, den Fiskus auszu- nehmen . Doch eine Abwicklung über ausländische Banken machte das noch bis 2012 möglich . Grüne und Linke fordern mit ihrem Antrag – wir wer- den an die USA erinnert – die Einsetzung eines „Son- derermittlers“ zur Aufklärung dieser Cum-Ex-Geschäfte . Für die Einsetzung eines „Sonderermittlers“ gibt es aber weder eine Rechtsgrundlage noch ist sein Nutzen erkenn- bar . Allerdings kein Sonderermittler des Parlaments, sondern der Regierung . Also: Die Regierung soll einen Sonderermittler beauftragen, der gegen die Arbeit der Regierung auf der Grundlage der von der Regierung zur Verfügung gestellten Unterlagen und anschließend dem Parlament – natürlich objektiv – berichtet . Das entspricht in etwa dem naiven Aufsichtsrat, der den Vorstand ent- lastet, weil er die Vorlage des Vorstandes kritisch geprüft hat und deshalb ja 100#$#prozentig Bescheid weiß . Ist ja klar . Wenn der Vorstand das sagt . Natürlich kann ein Sonderermittler der Bundesregie- rung nur von der Bundesregierung eingesetzt werden . Und das ist ihr jederzeit und unbeschränkt möglich . Das Parlament kann das fordern, hat aber keinen Anspruch darauf . Es gibt keine Regelung, keine Rechtsgrundlage . Wir schauen mal auf den Geheimdienst-Untersu- chungsausschuss des Bundestages: Dort ging es um eine „unabhängige Vertrauensperson“ . Die Bundesregierung hatte zur Wahrung der Rechte des Untersuchungsaus- schusses (UA) dem UA den Vorschlag gemacht, einen „Sonderermittler“ einzusetzen, den der UA benennt und der dem UA dann Bericht erstattet . Eingesetzt hat ihn aber die Bundesregierung . Das war ein Kompromiss, weil die Bundesregierung nicht bereit war, den Kolleginnen und Kollegen des UA unmittelbar Akteneinsicht zu gewähren . Die Grünen ha- ben das zusammen mit den Linken gefordert . Sie haben die Vertrauensperson abgelehnt, weil sie sich aus Arti- kel 44 GG berechtigt sahen, selbst Einblick zu nehmen . In diesem Fall gehen die Grünen und Linken vehe- ment gegen einen Sonderermittler vor, obwohl dies mit ein wenig Abstraktionsvermögen eine ganz ähnliche Konstruktion ist, wie sie für die Cum-Ex-Geschäfte nun gefordert wird . Grüne und Linke wollen also selber Einsicht nehmen . Merkwürdigerweise wollen sie das bei der Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte einem „Sonderermittler“ überlas- sen, obwohl dort die Verhältnisse offen liegen . Nachfolgend sei nochmal Klaus Ott aus der SZ vom 28 .2 .1015 zitiert: Die Empörung war groß und parteiübergreifend, als der Bundestag am 15 . Januar 2015 über spezielle Börsengeschäfte mit Namen Cum-Ex diskutierte . Abgeordnete von Union und SPD, Grünen und den Linken entrüsteten sich über „skrupellose“ Metho- den . Von „Betrug“ und „Schweinerei“ war die Rede, und von einem „Raubzug“ von „Multimillionären“ . Gierige Kapitalanleger, gerissene Fondsbetreiber und abgebrühte Banker hätten, so der Tenor, syste- matisch die Staatskasse geplündert . Das sei krimi- nell gewesen . Mit der Einigkeit war es aber sofort vorbei, als die Opposition wissen wollte, warum die Bundesregierung diese Steuertricks in Milli- ardenhöhe erst 2012 endgültig unterbunden hatte, und einen Sonderermittler forderte . Union und SPD spotteten, Grüne und Linke könnten ja einen Unter- suchungsausschuss beantragen . Solch ein Ausschuss ist aber gar nicht nötig, um auf- zuklären, was schief gelaufen ist . Die Süddeutsche Zeitung hat nach dem Informations-Freiheitsgesetz (IFG), das die Bundesbehörden zu weitreichen- den Auskünften verpflichtet, Einblick in mehrere tausend Seiten umfassenden Cum-Ex-Akten des Bundesfinanzministeriums genommen. Die SZ hat zudem interne Dokumente großer Banken sowie Er- mittlungsunterlagen gesichtet und mit Akteuren auf allen Seiten gesprochen . Akten und Auskünfte ge- ben Aufschluss über das Versagen der Politik; über die fragwürdige Rolle großer Banken und weiterer Profiteure; und über die schleppende Aufklärung. So weit Klaus Ott . Wir sehen, dass die Forderung nach einem Sonderer- mittler ein wenig Marketing für die Opposition ist . Tat- sächlich ist hier eine andere staatliche Gewalt gefragt . Die Strafprozessordnung sieht die Staatsanwaltschaften als Ermittlungsorgane vor . Diese ermitteln in eigener Zuständigkeit als zur Objektivität verpflichtete Organe der Rechtspflege. Einen Sonderermittler sieht unsere Strafprozessordnung dagegen nicht vor . Der Beitrag, den ein Sonderermittler für die politische Aufklärung liefern könnte, ist unklar . Ein Mangel an Aufklärung besteht nicht . Die Bundesregierung hat parlamentarische Anfra- gen ausführlich beantwortet . Der Presse wurde umfas- sender Einblick in die Akten des Bundesfinanzministeri- ums gewährt . Klaus Ott, der für die Süddeutsche Zeitung die Vorgänge um die Cum-Ex-Geschäfte recherchiert hat, stellt dies, wie sich aus den Zitaten leicht ergibt, ausdrücklich in seinem Artikel vom 28 . Februar dieses Jahres fest . Derzeit werden verschiedene Gerichtsverfahren über die Frage der Legalität der Cum-Ex-Geschäfte geführt . Die Gestalter sind der Auffassung, dass die Cum-Ex-Ge- schäfte rechtmäßig waren und sie einen Erstattungsan- spruch hätten . Dies begründen sie damit, dass sie ein wirtschaftliches Eigentum an den Aktien erworben hät- ten . BMF vertritt dagegen Auffassung, dass unabhängig von der Erlangung eines wirtschaftlichen Eigentums an einer Aktie nur die durch Steuerabzug erhobene Kapita- lertragsteuer einmal erstattet werden könne – außerdem seien solche Geschäfte von jeher rechtswidrig gewesen und gesetzlich nicht gedeckt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 201512108 (A) (C) (B) (D) Die Cum-Ex-Geschäfte wurden zuletzt am Mittwoch eingehend im Finanzausschuss beraten . Konsequent, jedenfalls formal gedacht, wäre die For- derung nach einem Untersuchungsausschuss . Da Grüne und Linke auf die Einsetzung eines solchen Untersu- chungsausschusses verzichten, scheint ihr Aufklärungs- interesse doch begrenzt zu sein . Seit der Umstellung des Erhebungsverfahrens der Kapitalertragsteuer sind die betrügerischen Cum-Ex-Ge- schäfte ausgeschlossen . Versuche des Steuerbetrugs wird es leider auch in Zukunft geben . Notwendig ist deshalb die Herstellung transparenter Besteuerungsverfahren und die enge Zusammenarbeit der Finanzverwaltung über Grenzen hinweg . Die SPD wird sich auch weiterhin kon- sequent für solche Maßnahmen zur Vorbeugung und Ver- folgung von Steuerbetrug einsetzen . Richard Pitterle (DIE LINKE): Zusammen mit den Grünen fordert die Fraktion Die Linke die Einsetzung ei- nes Sonderermittlers zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Ge- schäfte . Nochmal zur Erinnerung: Bei den sogenannten Cum-Ex-Geschäften handelte es sich um Aktiengeschäf- te, durch welche der deutsche Staat und damit die Steu- erzahlerinnen und Steuerzahler von 2002 bis 2012 um geschätzt zwölf Milliarden Euro gebracht wurde . Dieser Schaden entstand, weil bei diesen Geschäften zweimal Kapitalertragsteuer vom Staat zurückerstattet oder ver- rechnet wurde, obwohl sie nur einmal gezahlt worden war . Banken und Großinvestoren lachten sich ins Fäust- chen und machten ordentlich Kasse . Ob diese Praktiken legales Ausnutzen einer Regelungslücke oder schlicht Betrug waren, ist noch nicht abschließend geklärt, aber das ist bei dem vorliegenden Antrag auch gar nicht die Frage . Die Frage ist: Warum hat die Bundesregierung und insbesondere das Bundesfinanzministerium trotz verschiedener Hinweise auf diese Geschäfte zehn Jah- re lang fast nichts unternommen, um diese Praxis zu unterbinden? Bereits 2002 kam der erste Hinweis des Bankenverbandes an das Ministerium, nichts ist pas- siert . Trifft es zu, dass es nicht nur diesen Hinweis des Bankenverbands gegeben hat, sondern zugleich die War- nung aus den Lobbykreisen davor, gesetzgeberisch ein- zugreifen, weil die Cum-Ex-Geschäfte dann nach Lon- don abwandern würden, womit der Standort Frankfurt gefährdet wäre? Diese Untätigkeit zugunsten der Finan- zindustrie hat die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zwölf Milliarden Euro gekostet, und das lassen wir so nicht durchgehen . Meine Damen und Herren von der großen Koalition, leider haben Sie in den Beratungen zu diesem Antrag kein Interesse an der Aufklärung dieses zahlenmäßig wohl größten Finanzskandals in der Geschichte der Bun- desrepublik gezeigt . Sie haben immer nur abgewiegelt, dass das Ganze ja ohnehin als Betrug zu klassifizieren und dementsprechend strafbar sei . Man müsse stattdes- sen nach vorne schauen, für die Vergangenheit sei alles geklärt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, das kann doch nicht Ihr Ernst sein . Selbst wenn die Gerich- te abschließend zu der Feststellung kommen, dass die Cum-Ex-Geschäfte illegal waren – das Geld der Steu- erzahlerinnen und Steuerzahler ist weg . Um nach vorne schauen zu können, muss erst mal geklärt werden, wel- che Abläufe im Ministerium und bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin, strukturell diese Vorgänge befördert haben, damit sich so etwas eben nicht wiederholt . Und wenn Sie schon stets betonen, dass es sich bei den Cum-Ex-Geschäften um Straftaten han- delte, dann nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, dass es Aufgabe des Staates ist, Straftaten von vornherein zu ver- hindern, insbesondere, wenn diverse Hinweise auf ihre fortwährende Begehung vorliegen . In der ersten Lesung zu diesem Antrag hat der ge- schätzte Kollege Binding von der SPD immerhin ein- gestanden, dass sich hier keiner freisprechen könne und dass dieser gewaltige Schaden zulasten der Steuerzahle- rinnen und Steuerzahler unter den Augen der Politik über Jahre hinweg entstehen konnte . Ich begrüße Ihre Selbst- kritik, sehr geehrter Herr Kollege, aber wieso sehen Sie dann keinen Aufklärungsbedarf? Noch einmal: Zwölf Milliarden Euro Schaden! Zehn Jahre hat das Bundesfinanzministerium fast tatenlos zu- geschaut! Dass Sie, meine Damen und Herren von der großen Koalition, angesichts dieser Eckwerte trotzdem keinen Aufklärungsbedarf sehen wollen, ist unbegreif- lich . Geben Sie sich also einen Ruck und sorgen Sie ge- meinsam mit Grünen und Linken dafür, dass die Steu- erzahlerinnen und Steuerzahler erfahren, wie es dazu kommen konnte, dass sie um zwölf Milliarden Euro ge- bracht wurden . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zehn Jahre lang konnten Betrüger am Finanzmarkt die Bürgerinnen und Bürger unseres Land ausplündern . Schätzungsweise 12 Milliarden Euro konnten uns ge- stohlen werden, weil die verschiedenen staatlichen Stel- len nicht in der Lage waren, diese Betrügereien recht- zeitig zu stoppen. Profitiert haben die beteiligten Banken und die Millionäre, die in die entsprechenden Finanz- produkte investiert haben . Verloren haben die ehrlichen Steuerzahler, deren Geld nicht für öffentliche Leistungen verwendet, sondern ohne Gegenleistung an Millionä- re überwiesen wurde . Das ist der Skandal, der sich mit dem Stichwort Cum-Ex verbindet . Und das schlimme ist, dass das Hase-und-Igel-Spiel am Finanzmarkt unverän- dert weitergeht . Mit den Cum-Cum-Geschäften haben wir ja bereits die nächste Runde in diesem Spiel, bei der es wieder um Milliarden Euro an Steuergeld geht . Umso wichtiger ist es, dass dieser Skandal aufgeklärt wird und daraus Konsequenzen gezogen werden, damit so etwas künftig nicht mehr vorkommen kann . Die Finanzverwaltungen versuchen inzwischen, den Schaden für den Steuerzahler zu mindern . Zahlreiche zi- vilrechtliche Verfahren sind anhängig, in denen die Frage geklärt wird, wie die Geschäfte steuerlich zu behandeln sind, wer Steuern nachzahlen oder erstattete Steuer zu- rückzahlen muss . Doch die Frage, warum die Behörden eigentlich dem Treiben an den Finanzmärkten so spät auf die Spur kamen und nicht in der Lage waren, den Fiskus vor dem Betrug zu schützen, wird in diesen Gerichtsver- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12109 (A) (C) (B) (D) fahren nicht geklärt, das müssen wir politisch klären . Das fehlt bisher . Die Staatsanwaltschaften ermitteln inzwischen gegen eine Reihe von Beteiligten . Natürlich müssen diese Be- trüger bestraft werden . Ich hoffe, dass anders als in vielen anderen Fällen am Finanzmarkt tatsächlich die Verant- wortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können . Was aber die Staatsanwaltschaften nicht untersuchen, sind die Fehler aufseiten der Politik . Das zu klären, ist unsere Aufgabe . Wir müssen doch verstehen, warum wir diese Betrügereien überhaupt ermöglicht haben . Um es in einem Bild zu sagen: Wir wissen alle, dass Einbruch illegal ist . Trotzdem schließen wir unsere Türen ab, wenn wir morgens das Haus verlassen . Was würde Ihre Fami- lie Ihnen sagen, wenn Sie ihre Haustüre und ihre Fenster weit geöffnet gelassen hätten und Einbrecher ihre Woh- nung verwüstet hätten? Was müssten Sie sich anhören, wenn Sie dies nicht einmal aus Versehen gemacht hätten, sondern zehn Jahre lang, jeden Tag die Türen offen gelas- sen hätten und jeden Tag die Einbrecher bei Ihnen ein – und ausgegangen wären? Würde Ihre Familie sich damit zufrieden geben, wenn Sie auf die Gesetze hinweisen würden, dass Einbruch illegal sei? Nein, die Erwartung wäre, dass man die Türen verschließt . Genau das aber ist doch die Situation mit den Cum-Ex-Geschäften . Das Finanzministerium hat die Tür zum Finanzamt weit offen gelassen . Tag für Tag, zehn Jahre lang durften Einbre- cher die Steuergelder Ihrer und unser aller Familien aus- plündern . Niemand hat die Türe abgeschlossen, obwohl es laute Warnung gab, dass sie weit offen stand . Und die Verantwortung dafür und die Konsequenzen daraus müssen geklärt werden, damit in Zukunft das Steuergeld geschützt ist . Durch eine Gesetzesänderung wurden die Verfahren verändert, sodass heute die damaligen Trickerseien in genau dieser Form wohl nicht mehr nötig sind . Doch warum geschah das erst, nachdem schon Milliarden ver- loren waren? Im Jahr 2002 hat der Bankenverband die Bundesregierung schriftlich darauf hingewiesen, dass das System der Kapitalertragsteuer in Deutschland be- trugsanfällig sei . Banken und sehr vermögende Privat- personen könnten sich die Kapitalertragsteuer zweimal vom Fiskus erstatten lassen, obwohl sie nur einmal abge- führt worden sei . In seinem Schreiben hatte der Banken- verband nicht nur abstrakt auf eine Betrugsmöglichkeit hingewiesen, sondern diese klar beschrieben: Es ging um Leerverkäufe von Aktien während des Dividenden- stichtags, sogenannte Cum-Ex-Geschäfte . Besonders betrugsanfällig seien diese Cum-Ex-Geschäfte zwischen einer ausländischen und einer inländischen Bank . Die Bundesregierung ignorierte dieses Schreiben fünf Jahre lang. Warum? Waren das Bundesfinanzministerium und die Länderfinanzministerien so naiv, zu meinen, dass Fi- nanzmarktakteure eine solche Möglichkeit nicht nutzen würden? Oder sollte aus Gründen der Finanzmarktförde- rung möglichst nicht gegengesteuert werden? Im Jahressteuergesetz 2007 wurden Regelungen ein- geführt, die Betrügereien mittels Cum-Ex-Geschäften zwischen inländischen Banken mindern sollten . Die Bundesregierung war sich dessen bewusst, dass es sich hier nur um eine Teillösung handelte und die Betrugs- möglichkeiten durch das Gesetz nur „verringert“ wur- den, wie es in der Begründung des Finanzministeriums zum Gesetz hieß (BT Drucks . 16/2712, Anlage 3, S . 47) . Warum gelang es 2007 nicht, dem Treiben ein Ende zu machen? Das sind auch Fragen, denen wir uns im Finan- zausschuss kritisch stellen müssen . Besonders peinlich für den Staat wird es, wenn man sich die Rolle der Landesbanken anschaut . Warum haben öffentliche Banken mitgemacht beim Betrug an der Öf- fentlichkeit? Auch hier gibt es bislang keine Antworten, wie das geschehen konnte . Angesichts all dieser offenen Fragen ist es dringend erforderlich, aufzuarbeiten, was aufseiten des öffentli- chen Sektors – Bankenaufsicht, Bundeszentralamt für Steuern, Landesbanken, Landesfinanzministerien und Bundesfinanzministerium – politisch, strukturell und or- ganisatorisch schiefgelaufen ist . Wir müssen Fehler ver- stehen, sonst werden wir sie wieder machen . Die Koalition argumentiert nun widersprüchlich . Ei- nerseits wird so getan, als sei der Koalition das Thema auch sehr wichtig und nur das von uns vorgeschlagene Instrument Sonderermittler passe nicht . Andererseits gab es aber keine Bereitschaft für einen anderen Weg der Aufklärung . Wir hatten in mehreren Gesprächen in den letzten Wochen deutlich gemacht, dass wir auch für an- dere Wege der Aufarbeitung dieses Skandals bereit wä- ren . Doch die Koalition hat keinen Vorschlag gemacht, wie es denn anders gehen könnte . Das macht deutlich, was die eigentliche Position der Koalition ist – und das wurde dann in den Ausschussberatungen ja auch am Schluss ehrlich zugegeben: Die Koalition will nicht, dass hier etwas aufgearbeitet wird . Ein anderes Argument gegen unseren Antrag war: Die Unterlagen sind doch alle öffentlich . Doch das stimmt nicht . Über das Handeln oder Nicht-Handeln der Ban- kenaufsicht gibt es keine öffentlichen Informationen . Auch nicht über die interne Kontrolle bei den Landes- banken oder die Meinungsbildung zwischen Bund und Ländern . Vor allem aber ist das eine sehr komplexe Mate- rie, bei der es nicht um eine einzelne Fehlentscheidunge geht, sondern um eine ganze Phase von offenbar unzu- reichendem Handeln staatlicher Organe und Behörden . Sinnvoll wäre daher – und deshalb haben wir genau das vorgeschlagen –, dass ein sachkundiger und unabhängi- ger Experte Zugang zu den entsprechenden Dokumenten bekommt und uns die Zusammenhänge, Ursachen und die Reaktionen der Exekutive aufarbeitet und bewertet . Auf dieser Grundlage könnten wir im Finanzausschuss dann fundiert über notwendige Konsequenzen aus die- sem Skandal für Gesetzgebung und Administration dis- kutieren . In anderen Ländern, aber auch bei uns gibt es zahlreiche Vorbilder für eine solche Vorgehensweise . Ich finde es vor dem Hintergrund des entstandenen Schadens unverständlich und aus der Perspektive der ge- schädigten Bürgerinnen und Bürger unverständlich, dass Sie sich einer solchen konstruktiven Vorgehensweise verweigern . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 201512110 (A) (C) (B) (D) Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automa- tischen Austausch von Informationen über Fi- nanzkonten – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkon- ten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze – des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abgeltungsteuer abschaffen – des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz bei Kapitaleinkommen stärken – Automatischen Austausch von Infor- mationen über Kapitalerträge auch im Inland einführen (Tagesordnungspunkt 19 a bis d) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Bei der Be- kämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermei- dung gehen wir heute einen weiteren – grundlegenden – Schritt voran . Bei der Bekämpfung der illegalen Steuerhinterzie- hung – das sind Fälle wie Hoeneß oder Alice Schwarzer – sind wir einen ganz wesentlichen Schritt vorangekom- men . Im Oktober vergangenen Jahres haben insgesamt 51 Staaten hier in Berlin die multilaterale Vereinbarung über den automatischen Informationsaustausch über Fi- nanzkonten unterzeichnet, die maßgeblich durch diese Bundesregierung initiiert wurde . Danach werden ab 2017 die Steuerbehörden in den Unterzeichnerstaaten in einem automatisierten Verfahren Kontoinformationen von den in ihrem Staat oder Gebiet ansässigen Banken und Fi- nanzdienstleistern erhalten, und sie werden diese Daten untereinander austauschen . Das ist ein grundlegender Schritt im Kampf gegen Steuerhinterziehung . Länder, die sich daran beteiligen, stehen als Fluchtort für Kapitalver- mögen nicht mehr zur Verfügung . Dazu beraten wir heute zwei Gesetzentwürfe, mit denen der automatische Informationsaustausch über Fi- nanzkonten in Steuersachen mit den anderen EU-Mit- gliedstaaten und Drittstaaten ab 2017 in Deutschland umgesetzt wird . Mit der Mehrseitigen Vereinbarung verpflichten sich die Vertragsparteien, die in dieser Vereinbarung bezeich- neten und für das Besteuerungsverfahren in den ande- ren Vertragsstaaten erforderlichen Informationen über Finanzkonten regelmäßig zu erheben und dem anderen Vertragsstaat automatisch zu übermitteln . Mit dem Ge- setz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze soll die Anwendung des Gemeinsamen Meldestandards für den Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden geregelt werden . Es wird ein eigenes Stammgesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen geschaffen . Informationen sollen aber nur mit den Län- dern ausgetauscht werden, die unsere hohen deutschen Datenschutzstandards erfüllen . Dazu wird Deutschland eine besondere Datenschutzklausel bei der OECD hin- terlegen . Durch den jährlichen Informationsaustausch wird es für die Finanzbehörden künftig einfacher, für eine ge- rechte Besteuerung zu sorgen . Indem wir bestehende Steueransprüche durchsetzen, sichern wir die Grundla- gen unseres Gemeinwesens . Unser Bildungswesen, unse- re Verkehrsinfrastruktur, unsere innere Sicherheit, unsere hohe soziale Absicherung – all das hängt davon ab, dass die öffentlichen Haushalte zuverlässig und auskömmlich finanziert sind. Niemand soll sich auf Kosten der Allge- meinheit seiner Steuerpflicht entziehen können. Wir haben aber nicht nur die illegale Steuerhinterzie- hung im Blick, sondern genauso die Probleme legaler Steuervermeidung, vor allem durch international tätige Konzerne . Gemeinsam mit seinem britischen Kollegen hat Fi- nanzminister Schäuble dazu bereits vor vier Jahren auf Ebene der G 20 und im Rahmen der OECD das internati- onale Projekt „Gegen die Aushöhlung von Steuerbemes- sungsgrundlagen und Gewinnverlagerung“ (Base Eros- ion and Profit Shifting – kurz BEPS) initiiert. Ziel des BEPS-Projekts ist es, international abgestimmte Stan- dards zu vereinbaren, um die Möglichkeiten multinati- onal tätiger Unternehmen zur kreativen Steuergestaltung zu begrenzen . Es ist ein veritabler Erfolg, dass Anfang Oktober in Lima die abschließenden Berichte zu BEPS vorgestellt werden . Die nationale Umsetzung steht dann unmittelbar an . Mit dem automatischen Informationsaustausch und der BEPS-Initiative gehen wir deshalb gleichermaßen entschieden gegen Steuerbetrug und legale Steuerver- meidung vor . Die Anträge der Opposition lehnen wir ab . Es bedarf keiner schrankenlosen Transparenz über alle Kapitaleinkünfte und keiner weiteren Lockerung des Bankgeheimnisses . Die Finanzbehörden – das ist entscheidend – werden die Informationen über Kapital- einkünfte im Ausland durch den Informationsaustausch umfassend erhalten . Im Inland werden Kapitaleinkünfte bereits heute durch die flächendeckende Kapitalertrag- steuer erfasst. Schlupflöcher bestehen nicht, denn die Kapitalertragsteuer wird automatisch durch die Banken erhoben und in anonymisierter Form an die Finanzver- waltung abgeführt . Eine Abschaffung der Abgeltungsteuer steht jetzt nicht zur Debatte . Zwar erklären sich immer mehr Staaten zum Informationsaustausch über Kapitaleinkünfte bereit, noch ist aber nicht gesichert, dass wir alle Auslandsein- künfte erfassen können . Im Interesse der Wettbewerbsfä- higkeit unseres Finanzstandortes, der damit verbundenen Arbeitsplätze sowie der daran anknüpfenden Steuerein- nahmen ist die Abgeltungsteuer sinnvoll und richtig . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12111 (A) (C) (B) (D) Andreas Schwarz (SPD): Die vorliegenden Umset- zungsgesetze zum automatischen Informationsaustausch sind ein Meilenstein in der Bekämpfung der Steuerkri- minalität . Seit vielen Jahrzehnten diskutiert die Politik, wie man Steuerhinterziehern auf die Schliche kommt, die ihre Zinsgewinne vor dem Fiskus im Ausland verstecken . Steuerbetrug kann auch mit nationaler Gesetzgebung wirksam bekämpft werden . Das haben wir mit der Ver- schärfung der strafbefreienden Selbstanzeige im vergan- genen Jahr eindrucksvoll unter Beweis gestellt . Bereits die Ankündigung, die Bedingungen für die Selbstanzeige ab 1 .1 .2015 zu verschärfen und vor allem deutlich teurer zu machen, hat im letzten Jahr über 40 000 Steuerflüchti- ge dazu bewogen, sich selbst anzuzeigen . Auch in diesem Jahr wird mit rund 20 000 Selbstanzeigen gerechnet . Das war in dieser Höhe nicht unbedingt zu erwarten . Trotz dieses großen Erfolges eines nationalen Geset- zes: Steuerhinterziehung ist mit nationalstaatlicher Ge- setzgebung alleine nicht beizukommen . Das erreichen wir nur durch internationale Zusammenarbeit . Bereits am 13 . Oktober 1931 hatte der damalige sozial- demokratische Reichstagsabgeordnete Dr . Rudolf Breit- scheid in einem Antrag die Reichsregierung Brüning auf- gefordert – ich zitiere –, „der frevelhaften Kapital- und Steuerflucht deutscher Staatsangehöriger“ zu begegnen. Breitscheid forderte die damalige Reichsregierung auf, ich zitiere–, „über eigene gesetzgeberische Maßnah- men zur Bekämpfung der Steuer- und Kapitalflucht hinaus in Verhandlungen mit den Regierungen anderer Staaten einzutreten mit dem Ziele, eine internationale Rechtshilfe gegen Kapital- und Steuerfluchthandlungen zu vereinba- ren“ . Dieses über 80 Jahre alte Zitat drückt sehr gut aus, um was es geht . Es bedarf nationaler, aber vor allem auch internationaler Gesetze und Vereinbarungen, um Steuer- kriminalität wirksam bekämpfen zu können . Es fehlte viel zu lange an dieser unerlässlichen inter- nationalen Zusammenarbeit, wobei wiederum nicht jedes internationale Abkommen zielführend sein muss . Das deutsch-schweizerische Steuerabkommen ist so ein Bei- spiel . Bei Inkrafttreten dieses Abkommens wären sämt- liche Steuerhinterzieher anonym und straffrei geblieben . Das haben wir damals aus guten Gründen zum Glück verhindern können . Aber was wurde in den letzten Jahrzehnten tatsächlich auf internationaler Ebene unternommen, um ein wirksa- mes Instrument zur Aufdeckung grenzüberschreitender Steuerhinterziehung zu schaffen? 1962 erarbeitete Fritz Neumark im Auftrag der EG-Kommission ein Konzept, das die EG-weite Ein- führung einer einheitlichen anrechenbaren Quellensteu- er sowie einen gemeinschaftlichen Auskunftsdienst für eine wirksame Steuerkontrolle vorsah . Realisiert wurde es nicht . 1989 war der Vorschlag der Europäischen Kommissi- on, eine Quellensteuer in Höhe von 15 Prozent auf die Zinserträge ausländischer Anleger einzuführen, von den Mitgliedstaaten mehrheitlich abgelehnt worden . Es dauer- te viele weitere Jahre, bis dann im Juni 2003 die EU-Zins- richtlinie verabschiedet wurde . Nach einigen Verzöge- rungen trat sie im Juli 2005 in Kraft . Lediglich Belgien, Österreich und Luxemburg scherten aus und erhoben zur Wahrung ihres Bankgeheimnisses eine Quellensteuer . Es hat also über 40 Jahre gedauert, bis endlich ein Instru- ment für eine effektive Besteuerung grenzüberschreiten- der Zinszahlungen zur Verfügung stand . Über 40 Jahre! In der heutigen Zeit kommt es aber vor allem bei den Kapitalströmen entscheidend darauf an, dass wir schnell reagieren, wenn wir einen Missstand beheben wollen . Mit der Umsetzung der Mehrseitigen Erklärung spitzen wir nicht nur den Mund, wir pfeifen auch . Denn bereits ein knappes Jahr nach der Unterzeichnung der Mehrsei- tigen Erklärung Ende Oktober 2014 schaffen wir nun die gesetzlichen Grundlagen für die Anwendung des OECD-Standards . Für diese Leistung spreche ich allen Beteiligten meinen herzlichen Dank aus . Die im Jahre 2014 überarbeitete Zinsrichtlinie ist ein guter Zwischenschritt zum Automatischen Informations- austausch nach OECD-Standard . Ein Zwischenschritt deshalb, weil der OECD-Standard weiter geht als die EU-Zinsrichtlinie . Denn künftig werden zum Beispiel auch Beteiligungs- und Veräußerungserträge erfasst . Mit der Ratifizierung der Mehrseitigen Vereinbarung von Ende Oktober 2014 über den automatischen Aus- tausch von Informationen über Finanzkonten nach dem OECD-Standard und dem Finanzkonten-Informations- austauschgesetz, das die Anwendung des Gemeinsamen Meldestandards für diesen automatischen Informations- austausch über Finanzkonten mit den EU-Mitgliedstaa- ten auf Grundlage der EU-Amtshilferichtlinie sowie mit Drittstaaten auf Grundlage der Mehrseitigen Vereinba- rung regelt, kommen wir endlich den globalen Erfor- dernissen nach . Von Januar 2016 an werden die teilneh- menden Staaten Daten über Konten erheben, die diese ab September 2017 untereinander austauschen . Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich, dass es für unsere Steuerbehörden somit künftig deut- lich einfacher wird, die notwendigen Informationen über Privatkonten deutscher Staatsbürger von ausländischen Steuerbehörden zu erhalten . Die Übermittlung der Finanzkonten-Daten sind uner- lässlich, um Steuerflucht noch wirksamer zu bekämpfen und damit dem Staat die Mittel zukommen zu lassen, die er für die Erfüllung seiner Aufgaben dringend braucht . Das damit einhergehende faktische Ende des Bankge- heimnisses war unumgänglich . Es diente in den vergan- genen Jahrzehnten leider allzu oft als Deckmantel für Steuerhinterziehung . Damit wird jetzt endlich Schluss gemacht . Steuerhinterziehung darf sich nicht lohnen . Es lohnt sich deshalb nicht, weil die Gefahr erwischt zu wer- den immer größer wird . Mit dem neuen OECD-Standard existiert jetzt ein neues Instrument zur Aufdeckung von Steuerstraftaten, das hoffentlich auch dem Letzten klar macht, welche Stunde es geschlagen hat . Ich komme zum Schluss . Die Bekämpfung von Steu- erbetrug bedeutet für uns Sozialdemokraten immer auch ein Stück Steuergerechtigkeit . Mit der heutigen ersten Lesung und der endgültigen Verabschiedung am 13 . No- vember kommen wir auch hier wieder ein gutes Stück voran . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 201512112 (A) (C) (B) (D) Richard Pitterle (DIE LINKE): Vor einem Jahr wur- de das völkerrechtliche Abkommen über den Austausch von Kontodaten zwischen Finanzbehörden der Unter- zeichnerstaaten geschlossen . Ziel des Abkommens ist es, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung durch die Nutzung von Konten im Ausland zu bekämpfen . Das Abkommen gibt den Steuerbehörden die Möglichkeit, Auslandskonten durch einen Datenaustausch weltweit nachzuspüren . Dieses Abkommen erfüllt eine langjährige Forderung der Linken . Wir werden daher das Zustimmungsgesetz zum Abkommen selbstverständlich unterstützen . Was uns der Bundesfinanzminister darüber hinaus zur Beratung vorgelegt hat, verdient nicht einmal die Note ungenügend . Mit dem Finanzkonten-Informationsaus- tauschgesetz soll der vereinbarte Datenaustausch gesetz- lich geregelt werden . Die Stümperhaftigkeit dieses Wer- kes lässt mich fassungslos und ratlos zurück . Es ist eine Ansammlung 1:1 kopierter Textpassagen aus der EU-Amtshilferichtlinie und dem Abkommen . So ist zum Beispiel § 25 des Gesetzentwurfes - mit der schon unverständlichen amtlichen Überschrift „Trusts, die passive NFEs sind“ - der Text der Nr . 5 Anhang II der EU-Amtshilferichtlinie . Der strukturlose Entwurf wim- melt von unverständlichen Formulierungen, Doppelun- gen und Leerplätzen. Unzählige Definitionen sind völlig sinnfrei: Ein „Neukonto natürlicher Personen“ ist überra- schend definiert als „ein Neukonto, dessen Inhaber eine natürliche Person ist“ . Ein „passiver NFE“ ist ein „NFE, der kein aktiver NFE ist“ . Offenkundig ist im Bundesfinanzministerium we- der das vom Bundesjustizministerium herausgegebene Handbuch der Rechtsförmlichkeit noch die seit 2009 be- stehende Sprachberatung in den Bundesministerien für verständliche Gesetze bekannt . Im Vorwort zum Hand- buch der Rechtsförmlichkeit heißt es mahnend: „Es geht aber nicht nur darum, dass eine Vorschrift juristisch stim- mig ist . Wenn sie die Bürgerinnen und Bürger, die Unter- nehmen und die Rechtsanwender erreichen soll, muss die Norm auch übersichtlich gestaltet, klar und verständlich formuliert sein“ . Nichts, aber auch gar nichts davon er- füllt dieser Entwurf! Auch scheint das Bundesfinanzministerium nicht zu wissen, dass Richtlinien und völkerrechtliche Verträge weder nach ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Struktur noch nach ihrer Zielgruppe überhaupt dazu geeignet sind, wörtlich übernommen zu werden . Das nationale Recht ist den Richtlinien anzupassen und hat völkerrechtliche Verträge umzusetzen . Verbindlich ist das Ziel, nicht die Form . So steht es im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union . Schon formell ist das Gesetz handwerklich ein Total- schaden und so miserabel, dass sich die Fehler in unse- rem Haus nicht mehr beheben lassen . Ich habe aber auch inhaltliche Bedenken . Als Finanz- politiker streite ich für maximale Transparenz im Kampf gegen die Steuerhinterziehung . Als Rechtspolitiker sehe ich, dass der automatische Datenaustausch Fragen des Datenschutzes - und damit Grundrechte - vital berührt . Bei der Unterzeichnung des Abkommens hat die Bun- desrepublik zwar die Verwendung der Daten für andere Zwecke als die Besteuerung untersagt und die Zustim- mung an die Wahrung des Datenschutzes geknüpft . Nur finden diese richtigen Beschränkungen keinen Nieder- schlag im Ausführungsgesetz . Mit dem Gesetz werden Finanzinstitute verpflichtet, Daten - wie zum Beispiel Namen, Geburtsort, Geburtstag, Steuernummer, Konten- salden, Zinsen - zu erheben und an das Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln . Dieses speichert und über- trägt die Daten automatisch auf Abruf ins Ausland . Der automatische Austausch von Informationen über Finanzkonten ist damit die anlasslose Vorratsdatenspei- cherung im Steuerrecht. Ich bezweifle, dass der Entwurf der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverfas- sungsgerichtes zur Vorratsdatenspeicherung und zum automatisierten Kontenabruf gerecht wird . Ich sehe im Entwurf keine klaren und präzisen Regelungen hinsicht- lich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes . Ich sehe auch keine Regelungen, die einen wirksamen Schutz personenbezo- gener Daten vor Missbrauchsrisiken, vor unberechtigtem Zugang und unberechtigter Nutzung gewährleisten . Ein Schutz, der bei einer Vielzahl von Unterzeichnerstaaten mit völlig unzureichendem Datenschutzniveau zwingend ist . Abschließend lassen Sie mich erneut für die Abschaf- fung der Abgeltungssteuer werben . Lieber „25 Prozent von X, statt 42 Prozent von nix“ ließ der damalige Bun- desfinanzminister Steinbrück verlauten. Der tragende Grund für die Abgeltungssteuer war die Angst vor einer Kapitalflucht ins Ausland. Mit der Umsetzung des Ab- kommens entfällt dieser Grund . Lassen Sie uns endlich mehr Steuergerechtigkeit herstellen und Kapitalerträge in Zukunft wenigstens genauso besteuern wie Arbeits- einkommen . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Ein- führung des automatischen Informationsaustauschs for- dern wir Grüne im Bundestag seit vielen Jahren . Finanz- minister Schäuble hat sich solch einem automatischen Informationsaustausch lange verweigert . Indem er mit der Schweiz ein auf Anonymität basierendes Steuerab- kommen aushandelte bewies er, dass ihm nichts an ei- nem automatischen Informationsaustausch lag . Erst die rot-grüne Ablehnung dieses Abkommens im Bundesrat hat den Weg für den automatischen Informationsaus- tausch frei gemacht . Ohne unseren Einsatz würden wir heute diesen Gesetzentwurf nicht diskutieren . Die Einführung des automatischen Informationsaus- tauschs ist nur ein erster Schritt hin zu einem gerechte- ren Steuersystem, das Steuerhinterziehung konsequent unterbindet . Meine Fraktion bringt daher zwei Anträge zu dem vorliegenden Gesetzentwurf ein, mit denen wir weitere notwendige Schritte einfordern . Mit dem ersten Antrag fordern wir die längst überfälli- ge Abschaffung der Abgeltungsteuer . Von Anfang an war die Abgeltungsteuer ungerecht und verfassungsrechtlich zweifelhaft, weil sie Kapitaleinkünfte gegenüber zum Beispiel Arbeitseinkommen stark privilegiert . Die steu- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12113 (A) (C) (B) (D) erliche Begünstigung von Fremdkapital gegenüber Ei- genkapital führte zudem zu ökonomischen Verzerrungen bei der Finanzierung und Investitionstätigkeit von Unter- nehmen . Die einzige Begründung für die Abgeltungsteuer war, dass die deutsche Regierung vermeintlich keine Hand- habe gegen illegale Kapitalflucht ins Ausland hatte. Die damalige Bundesregierung kapitulierte und machte den Steuerflüchtigen das Angebot: Ihr bleibt mit eurem Ver- mögen in Deutschland, versteuert eure Kapitalerträge, aber nicht mehr mit bis zu 45 Prozent progressiv, son- dern anonym und linear mit 25 Prozent . Dieser Steuer- satz gilt selbst bei Kapitaleinkünften in Millionenhöhe . Schon die vielen Steuerhinterziehungsskandale wie zum Beispiel Swiss-Leaks, Commerzbank-Leaks und der Fall Uli Hoeneß zeigen deutlich, dass diese Rechnung nie aufging . Auch 25 Prozent sind zu hoch, wenn man woanders gar keine Steuern zahlt . Mit Einführung des automatischen Informationsaustauschs mit allen wichti- gen internationalen Finanzzentren ist die Begründung für die Abgeltungsteuer endgültig hinfällig . Es besteht eine Handhabe gegen Steuerhinterziehung . Im Vergleich zu Arbeitseinkommen liegt der Steuer- satz bei Kapitaleinkünften durch die Abgeltungsteuer um bis zu 20 Prozent niedriger . Das verstößt nicht nur gegen jegliches Gerechtigkeitsempfinden, es verstößt auch ge- gen den Gleichheitsgrundsatz . Spätestens mit der Einfüh- rung des automatischen Informationsaustauschs besteht keine Rechtfertigung mehr für diese steuerliche Begüns- tigung von Kapitaleinkünften . Die Abgeltungsteuer wird somit verfassungswidrig . In unserem Antrag fordern wir daher, dass Kapitaleinkünfte noch in dieser Legislatur- periode dem progressiven Einkommensteuertarif unter- worfen werden . In unserem zweiten Antrag „Transparenz von Kapi- taleinkommen“ setzen wir uns dafür ein, dass deutsche Banken verpflichtet werden, sämtliche Kapitalerträge an die Finanzbehörden zu melden, unabhängig davon, wo der Konteninhaber ansässig ist . Denn für die Frage der Transparenz bei Kapitaleinkommen ist eine Unterschei- dung von ausländischen und inländischen Inhabern deut- scher Konten nicht gerechtfertigt . Spätestens wenn die Abgeltungsteuer abgeschafft ist und Kapitaleinkommen wieder im Rahmen der Einkom- mensteuer erklärt werden, brauchen die Finanzbehörden mehr Befugnisse, um die Richtigkeit der Steuererklärun- gen überprüfen zu können . Die einfachste und gerech- teste Lösung ist dabei ein automatischer Informations- austausch zwischen Banken und Finanzbehörden auch im Inland . Die Meldung sämtlicher Kapitalerträge hätte zum einen den Vorteil, dass die Banken die Ansässigkeit der Kunden nicht mehr aufwendig prüfen müssen, wie es im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen ist . Zum anderen wäre die Besteuerung der Kapitalerträge in Deutschland weitestgehend sichergestellt, wenn die Finanzbehörden automatisch Informationen über die Ka- pitalerträge erhalten . Bei Arbeitseinkommen ist es selbst- verständlich, dass die Löhne vom Arbeitgeber an das Fi- nanzamt gemeldet werden . Wir sehen keinen Grund für die Ungleichbehandlung von Löhnen und Zinsen – hier völlige Transparenz, dort völlige Verschwiegenheit . Die Daten müssen natürlich durch das strikte deutsche Steu- ergeheimnis geschützt werden, um sicherzustellen, dass diese Daten nicht für andere Zwecke verwendet oder an andere Stellen weitergeleitet werden . In den vergangenen Jahren erlebten wir eine Vielzahl an Steuerhinterziehungs-Skandalen, die das Verstecken von Geldern in Steuersümpfen, auf Offshore-Konten oder in Offshore-Firmen zum Hintergrund hatten . Be- zeichnend war, dass die Informationen zu den Steuer- betrügern nicht auf offiziellem Wege zugänglich waren, sondern zufällig durch Datenlecks an die Öffentlichkeit gelangten . Dass die Zahl der Selbstanzeigen während der Berichterstattung über diese Steuerskandale signifikant gestiegen ist, macht deutlich: Nicht die Anonymität von Konten oder gar die Begünstigung von Kapitalerträgen durch eine Abgeltungsteuer führen zu Steuerehrlichkeit bei Steuerbetrügern, sondern ein hohes Entdeckungsri- siko . Ein automatischer Informationsaustausch für sämt- liche Kapitalerträge in Verbindung mit der Abschaffung der Abgeltungsteuer wird die Entdeckungsgefahr erhö- hen . Das ist ein großer Fortschritt im Kampf gegen Steu- erhinterziehung . Einige offensichtliche Schwächen enthält aber auch der vorliegende Gesetzentwurf . Ein mit Vorsatz begange- ner Verstoß gegen die zukünftigen Meldeverpflichtungen der Banken soll lediglich als Ordnungswidrigkeit gelten, die mit maximal 5 000 Euro Geldbuße geahndet wird . Es ist abzusehen, dass von dieser Regelung keine große Abschreckungswirkung ausgeht . Dass wir in Deutsch- land kein Unternehmensstrafrecht haben, darf nicht dazu führen, dass vorsätzlich gegen die Vorschriften handeln- de Personen nicht strafrechtlich belangt werden . Hier bedarf es unbedingt einer Klarstellung oder aber einer Verschärfung der Straf- und Bußgeldvorschriften . An- dernfalls gleicht diese Regelung eher einer Einladung, Konteninformationen von zum Beispiel politisch expo- nierten Personen weiterhin vorsätzlich nicht zu melden . Auch die Regelung, nach der es gerade die Banken selbst sind, die die Ansässigkeit der Konteninhaber und Melde- pflicht prüfen sollen, lässt viel Spielraum für Steuerhin- terziehung . Bei fehlender Strafandrohung darf vermutet werden, dass diese Prüfung eher lax ausfällt . Zielführen- der wäre eine Überprüfung durch die Finanzämter . Weiterhin dürfen wir natürlich nicht vergessen: Es ist gut, dass bisher fast 100 Länder beim automatischen Informationsaustausch mitmachen . Aber das bedeutet eben auch, dass ungefähr 100 Staaten noch fehlen . Der automatische Informationsaustausch wirkt umso besser gegen Steuerhinterziehung, wenn weltweit alle Staaten mitmachen . Deshalb muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass sich die Zahl der Teilnehmerstaaten weiter erhöht . Mit unseren Anträgen wollen wir das deutliche Sig- nal setzen, dass wir beim internationalen automatischen Informationsaustausch nicht stehen bleiben dürfen und auch zu Hause unsere Hausaufgaben machen sollten . Zusätzlich zur Einführung des automatischen Informati- onsaustausches ist die Abgeltungsteuer abzuschaffen und eine Meldepflicht für sämtliche Kapitalerträge unabhän- gig von der Ansässigkeit der Konteninhaber einzuführen . Dadurch erfolgt die Besteuerung von Kapitalerträgen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 201512114 (A) (C) (B) (D) nicht mehr anonym und steuerbegünstigt, sondern pro- gressiv nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit . Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Die Welt hat sich durch mo- derne Kommunikationstechnologie maßgeblich gewan- delt; sie hat sich vernetzt . Damit ist es leichter geworden, Gelder innerhalb kürzester Zeit auf andere Kontinente zu verschieben und damit auch vor nationalen Steuerbehör- den zu verbergen . Es war daher ein großer Erfolg unserer Politik, als sich fast genau vor einem Jahr hier in Berlin über 50 Staaten und Gebiete mit der Unterzeichnung der Mehrseitigen Vereinbarung zu dem OECD-Standard zu Transparenz und effektivem Informationsaustausch für Besteuerungs- zwecke bekannt und sich entsprechend verpflichtet ha- ben, diesen umzusetzen . Inzwischen sind es übrigens schon 61 Staaten und Gebiete und es werden immer mehr . Der grenzüberschreitende Steuerbetrug und die gren- züberschreitende Steuerhinterziehung haben die einzel- nen Staaten in den zurückliegenden Jahren vor erhebli- che und von den einzelnen Ländern nicht mehr allein zu bewältigende Herausforderungen gestellt . Steuergerech- tigkeit und die Gewährleistung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sind unabdingbare Voraussetzungen für ein funktionierendes Gemeinwesen und einen handlungsfä- higen Staat . Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den nationalen Steuerbehörden ist daher unerlässlich, um die ordnungsgemäße Ermittlung der Steuerpflicht zu gewährleisten und damit internationale Steuerhin- terziehung zu bekämpfen . Dabei kommt insbesondere der Schaffung von Transparenz in Steuerangelegenhei- ten und dem automatischen Informationsaustausch eine entscheidende Rolle zu . Das ist ein neues wichtiges In- strument im Bereich der internationalen Amtshilfe . Wir schaffen hierdurch mehr Transparenz und mehr Fairness für unsere globalisierte Welt im 21 . Jahrhundert . Die Bundesregierung wird sich im Rahmen dieses vorgesehenen Informationsaustauschs weiter dafür ein- setzen, dass eine möglichst große Anzahl von Staaten an diesem Informationsaustausch teilnehmen wird . Nur so ist es möglich, weltweit einen einheitlichen internationa- len Standard für einen fairen internationalen Steuerwettbewerb zu schaffen . Steuerhinterziehung kann letztlich nur auf globaler Ebene wirkungsvoll be- kämpft werden . Aufgrund der vorliegenden Mehrseitigen Vereinba- rung erhalten deutsche Finanzbehörden künftig von den anderen Unterzeichnerstaaten Informationen, die zur Si- cherung und dem Erhalt deutschen Steuersubstrats bei- tragen . Ein erster Informationsaustausch ist bereits in 2017 vorgesehen . Durch das Vertragsgesetz soll dieses Abkommen die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften erhal- ten . Die von der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich geprägte Mehrseitige Vereinbarung zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten ist ein weiterer wesentlicher Beitrag in unseren Bemühungen um einen internationalen fairen Steuerwettbewerb, der eben nicht auf Verzerrungen und mangelnde Transparenz aufbaut . Nicht zuletzt unsere Bemühungen im Rahmen des G20-Prozesses haben dazu geführt, dass es zu einer be- schleunigten Umsetzung des bei der OECD entwickelten einheitlichen Common Reporting Standard zum Infor- mationsaustausch für Besteuerungszwecke gekommen ist . Die Bundesregierung wird sich für eine rasche Ent- wicklung von wirksamen Einzelregelungen auf der Grundlage der Mehrseitigen Vereinbarung einsetzen . Hierzu zählt auch der vorliegende eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zum automatischen Austausch von In- formationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze . All diese Gesetze dienen der konsequenten nationalen Umsetzung der von uns einge- gangenen völkerrechtlichen Verpflichtung zum interna- tionalen Informationsaustausch . Hierdurch soll national gewährleistet werden, dass wir der durch die Zeichnung der Mehrseitigen Vereinbarung eingegangenen völ- kerrechtlichen Verpflichtung zum ersten Informations- austausch ab 2017 nachkommen . Durch dieses Gesetz werden daher deutsche Finanzinstitute verpflichtet, die entsprechenden Informationen an das Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln . Das Bundeszentralamt für Steuern leitet diese Informationen dann an die Staaten weiter, die diese Informationen für eigene Steuerzwecke benötigen . Ich möchte nicht verhehlen, dass der vorgegebene Zeitplan sowohl in rechtlicher als auch in technischer Hinsicht sehr ambitioniert ist . Das Bundesministerium der Finanzen arbeitet daher in enger Zusammenarbeit mit dem Bundeszentralamt für Steuern mit Hochdruck an der rechtzeitigen technischen Implementierung des Stan- dards . Wir sind davon überzeugt, die vorgegebenen An- forderungen zeitgerecht umzusetzen . Dies gilt auch für die Umsetzung durch die von dem vorliegenden Gesetz verpflichteten Finanzinstitute. Mit den Gesetzesentwürfen wird der automatische internationale Informationsaustausch in Steuerangele- genheiten als effizientes und wirkungsvolles Instrument der Verwaltungszusammenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland implementiert und stellt einen Pfeiler für unsere Brücke zu mehr internationaler Steuergerechtig- keit dar . Von Beginn an war dabei auch der Schutz der im Rah- men des automatischen Informationsaustauschs zu über- mittelnden Daten ein wesentliches Anliegen der Bundes- regierung . Sowohl bei den Beratungen auf OECD-Ebene als auch bei der Erstellung des Gesetzentwurfs wurde dafür Sorge getragen, dass die Sicherheit und der Schutz dieser personenbezogenen Daten gewährleistet werden . Die Bundesrepublik Deutschland wird durch die Hinter- legung einer sehr umfangreichen Erklärung zu Verwen- dungsbeschränkungen und Datenschutzbestimmungen gewährleisten, dass Informationen, die ein anderer Staat von Deutschland erhält, dem gleichen datensicherheits- rechtlichen Schutz unterliegen, wie Daten die wir von an- deren Staaten erhalten . Zudem stellt die Erklärung klar, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12115 (A) (C) (B) (D) dass die von der Bundesrepublik Deutschland übersand- ten Daten nicht für Zwecke verwandt werden dürfen, die gegen den „Ordre public“ der Bundesrepublik Deutsch- land verstoßen . Zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Abgeltungsteuer abschaffen) Ein abschließendes Wort zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass eine Evaluierung der Notwendigkeit der Abgeltungsteuer erst vorgenommen werden sollte, wenn der internationale Informationsaustausch über Fi- nanzkonten etabliert ist und wirksam umgesetzt wurde . Zieldatum für die Umsetzung des automatischen Infor- mationsaustausches ist 2017 . Die Frage der Evaluierung der Abgeltungsteuer stellt sich vor diesem Hintergrund derzeit nicht .“ Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (Tagesordnungspunkt 20) Steffen Kanitz (CDU/CSU): Mir ist wichtig, dass wir in Deutschland eine tragfähige und verantwortungsvolle Gesamtstrategie der nuklearen Entsorgung entwickeln . Dafür müssen wir in Sachen sichere Endlagerung in Deutschland endlich weiterkommen . Alles andere wäre weder im Sinne der Sicherheit noch im Sinne der Wirt- schaftlichkeit und damit auch nicht im Sinne der jungen Generation. Beide Prinzipien finden sich übrigens im Standortauswahlgesetz . Wir täten gut daran, diese zu be- herzigen . Die nationale Entsorgungsstrategie im Nuklearbe- reich wird maßgeblich von den Empfehlungen der End- lagerkommission mitbestimmt, die diesem Parlament bis Mitte 2016 ihren Abschlussbericht vorlegen wird . Denn das Nationale Entsorgungsprogramm steht explizit unter Revisionsvorbehalt der Ergebnisse dieser Kommission . Um das Ziel eines tragfähigen Gesamtkonzeptes zu erreichen, muss die Endlagerkommission ihren Arbeits- auftrag stringent und pünktlich abarbeiten . Aber die End- lagerkommission ist eben nur ein Meilenstein auf dem Weg zu einer erfolgreichen Gesamt-Entsorgungsstrate- gie . In der Öffentlichkeit, Wirtschaft und Politik wird derzeit im Nuklearbereich nicht nur die Arbeit der End- lagerkommission diskutiert, sondern auch Stresstests, Rückstellungen, Unternehmensabspaltungen, mögliche Atomstiftungen und zuletzt insbesondere ein mögliches Nachhaftungsgesetz . Leider geht in der öffentlichen De- batte dabei vieles durcheinander . Mein Appell ist: Lassen Sie uns die verschiedenen Prozesse im Nuklearbereich miteinander denken: Wenn wir es ernst meinen mit einem vernünftigen Gesamtkon- zept für den Ausstieg aus der Kernenergie, dann müssen wir systematisch vorgehen und nicht das Pferd von hin- ten aufzäumen . Es gibt offene Fragen, die wir zügig und in der richtigen Reihenfolge klären müssen . Um diese noch offenen Fragen zu klären haben wir drei Prozesse in Gang gebracht: Erstens . Wir haben die noch laufende Endlagerkom- mission eingerichtet, die bis Mitte 2016 Empfehlungen für das Verfahren einer neuen Endlagersuche formulieren wird . Das ist auch für die Frage eines Nachhaftungsge- setzes relevant . Denn von dem noch festzulegenden Ver- fahren wird auch der Kostenrahmen der Endlagersuche abhängen . Dieser hängt maßgeblich von der Frage ab, wie viele potenzielle Endlagerstandorte erkundet werden sollen . Erst wenn der Kostenrahmen feststeht, wird man wirklich beurteilen können, ob die 39 Milliarden Euro an Rückstellungen, die die Kernkraftwerkbetreiber bis- her gebildet haben, ausreichen werden . Solange wir das nicht wissen, können wir auch nicht mit dem Finger auf die Unternehmen zeigen und kritisieren, dass die Rück- stellungen nicht ausreichen . Das macht für mich keinen Sinn und ist auch nicht zielführend . Ob die 39 Milliarden ausreichen, kann zurzeit keiner sagen . Auch Zeitungsberichte zu aktuellen Prognosen von Wirtschaftsprüfern würde ich mit Vorsicht genießen . Die Wirtschaftsprüfer haben offenbar mit einem negativen Realzins gerechnet, was dazu führt, dass die notwendi- gen Rückstellungen finanzmathematisch ins unendliche steigen . Dieses Szenario ist völlig unrealistisch . Interessant finde ich, dass die Opposition vor wenigen Jahren noch lautstark kritisiert hat, dass die Kernkraft- werksbetreiber zu HOHE Rückstellungen in ihre Bücher geschrieben hätten mit dem Ziel, Steuern zu sparen . Sie müssen sich schon auf eine Argumentationslinie einigen, wenn Sie glaubwürdig sein möchten . Deutsche Konzerne sind dafür bekannt, dass sie mit einem konservativen Realzins von nur einem Prozent rechnen, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Ländern . Ich sehe uns als Politik in der Pflicht, anhand der Empfehlungen der Endlagerkommission den betroffenen KKW-Betreibern Planungssicherheit zu gewähren . Das erreichen wir, indem das vorgeschriebene Verfahren zur Endlagersuche mit einem Kosten- und Terminplan bele- gen, der dann den KKW-Betreibern vorzugeben ist . Bis dahin gilt es, den Arbeitsergebnissen der Endla- gerkommission nicht durch ein Haftungsgesetz vorzu- greifen, sondern die Robustheit der bestehenden Rück- stellungen zu prüfen und diese in einem sinnvollen Modell zu sichern . Genau zu diesem Zweck haben wir neben der Endlagerkommission zwei weitere Prozesse in Gang gesetzt: Zweitens . Wir haben die noch laufenden Stresstests eingeführt, die Aufschluss über den Status Quo der vor- handenen Rückstellungen und deren Robustheit geben sollen. Ein offizielles Ergebnis liegt uns nicht vor. Drittens . Zusätzlich soll eine Rückstellungskommis- sion eingerichtet werden, die die verschiedenen Modelle zur Sicherung der Rückstellungen diskutiert und Emp- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 201512116 (A) (C) (B) (D) fehlungen erarbeitet – Stichwort öffentlich-rechtliche Stiftung oder Fondsmodell . Ich würde es sehr begrüßen, wenn diese Kommission zeitnah ihre Arbeit aufnähme . Als Blaupause für eine öffentlich-rechtliche Stiftung im Entsorgungsbereich wird häufig die RAG-Stiftung für Ewigkeitslasten genannt . Die RAG-Stiftung ist eine in der deutschen Wirtschaft einzigartige Konstruktion zur Übernahme von langfristiger Verantwortung für die Ära nach dem Steinkohlebergbau; ein Modell das funk- tioniert . Die Herausforderung ist dort eine ähnliche, wie die Unsere, sowohl mit Blick auf den Zeitfaktor, als auch vor dem Hintergrund der Tragweite der Aufgabe . Die RAG-Stiftung finanziert sich durch ihre Anteile an den Gewinnen der abgespalteten RAG-Nachfolge- konzerne – Evonik und Vivawest –, die ihre Profitabilität u .a . durch Unternehmensbeteiligen dynamisch steigern und auf diese Weise hohe Erträge erwirtschaften . Wir sprechen jährlich etwa 330 Millionen Euro, um mal eine Hausnummer zu nennen . Wenn man das Stiftungsver- mögen stattdessen langfristig in Staatsanleihen anlegte, käme man angesichts der aktuellen Niedrigzinsphase auf eine Wertsteigerung von gerade einmal 1,5 Prozent, das ist weniger als die Inflation und käme somit einem Wer- teverlust gleich . Zudem hat die RAG-Stiftung einen sozialverträgli- chen Anpassungsprozess des Bergbaus ermöglicht, den auch wir anstreben sollten . Bisher wurde kein Bergbau- mitarbeiter frühzeitig entlassen, und alles deutet darauf hin, dass dies bis zum endgültigen Ausstieg aus dem Ber- gbau im Jahr 2018 so bleiben wird . Das sollte auch unser Leitmotiv sein . Wenn es um das Lieblingsthema der Opposition – ei- nen externen Fonds mit unbegrenzter Nachschusspflicht der Konzerne – geht, dann kann ich nur den Kopf schüt- teln und mahnen: Haftung und Kontrolle müssen schon zusammengehören . Wenn öffentlicher Fonds, dann muss die Haftung und die Verantwortung für vernünftige Ren- diten auch dort liegen . Sonst schlachten Sie die Kuh, die Sie melken wollen, liebe Kollegen von der Opposition . Vor dem Hintergrund der laufenden Prozesse im Be- reich der nuklearen Entsorgung – Endlagerkommission, Stresstests, Rückstellungskommission – ist es derzeit wenig sinnvoll, ein Haftungsgesetz zu verabschieden . Übrigens wäre ein solches Gesetz im sonstigen Gesell- schaftsrecht ohne Beispiel . Unabhängig von rechtlichen Fragen, sehe ich aber noch eine ganz andere Gefahr: nämlich dass ein solches Gesetz zum Startschuss für die Deindustrialisierung unse- res Landes wird . Eine zeitlich und inhaltlich unbegrenzte Haftung kann nicht verhältnismäßig sein und entfaltet eine gefährliche Signalwirkung für andere, risikobehaf- tete Branchen . Heute wollen Sie ein Einzelfallgesetz für die Energieversorgungsunternehmen und morgen disku- tieren wir über weitere Branchen mit langfristigen Risi- ken – ein verheerendes Signal für den Industriestandort Deutschland! Das Nachhaftungsgesetz geht von der ver- fassungsrechtlich unzutreffenden Prämisse aus, die EVU hätten alles zu bezahlen, was der Staat für gesellschafts- politisch wünschenswert hält . Das ist ein Irrglaube! Als Mitglied der Endlagerkommission liegt mir de- ren Arbeit besonders am Herzen . Daher erlauben Sie mir noch eine kurze Bemerkung: In den letzten Wochen ging das Thema Asseabfälle und die Frage, ob diese in der Endlagerkommission auch behandelt werden sol- len, durch die Presse . Und damit verbunden kamen vie- le besorgte Fragen, ob denn der gesetzte Zeitrahmen bis Mitte 2016 dann noch einzuhalten sei . Dazu möchte ich sagen: Wir werden das Thema „Wohin mit den Asse-Abfäl- len“ in der Kommission bearbeiten und aufzeigen, wel- che Auswirkungen diese Abfälle auf ein Endlager für insbesondere hochradioaktive Abfälle hätten . Und laut unseres Vorsitzenden der entsprechenden Arbeitsgruppe ist das bis Mitte 2016 auch leistbar . Klar muss aber auch sein, dass der Schwerpunkt un- serer Arbeit der Kriterienkatalog für ein HAW-Endlager bleibt . Denn wir haben den Auftrag, einen robusten Weg zur Lösung der Endlagerfrage in Deutschland zu finden. Sollte sich der Zeitplan zur Rückholung der Abfälle aus der Asse verzögern, dann muss das HAW-Endlager trotz- dem unabhängig davon geplant und umgesetzt werden können . Alles andere wäre verantwortungslos . In diesem Sinne werde ich mich weiter für ein konst- ruktives und wissenschaftsbasiertes Ergebnis der Endla- gerkommission einsetzen . Florian Oßner (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes kommt die Bundesrepublik Deutschland nicht nur ihren vertraglichen Verpflichtungen nach, die Richtlinie 2011/70/Euratom in nationales Recht um- zusetzen, sondern es wird mit dem hierdurch erstellten Nationalen Entsorgungsprogramm auch eine unschätzbar nützliche Übersicht geschaffen . Für die Bewältigung der Jahrhundertaufgabe einer si- cheren Einlagerung des radioaktiven Abfalls bietet das Nationale Entsorgungsprogramm ein Verzeichnis, das uns ermöglicht, den nötigen Umfang von Endlagern für Atomabfälle besser einschätzen zu können . Alle derzei- tigen und zukünftig noch anfallenden radioaktiven Ab- fallarten sind hier ebenso aufgelistet wie der Zeitumfang und die Prognose der zu erwartenden Kosten . Über diese Anpassung im Atomgesetz durch die Einführung der Pa- ragrafen 2 c und 2 d sowie 9 h und 9 i werden weitere Vorgaben der Richtlinie 2011/70/Euratom in bundes- deutsches Recht umgesetzt . Bereits mit dem Standor- tauswahlgesetz haben wir 2013 zentrale Vorgaben dieser EU-Richtlinie in Angriff genommen . Wir sind bei der durch das Standortauswahlgesetz vorgegeben Aufgabe, Kriterien und Verfahren für die Endlagerung von insbesondere hoch radioaktiven Abfall- stoffen zu erarbeiten, auch schon ein gutes Stück voran- gekommen . So haben wir in der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, der sogenannten „Endla- gerkommission“, als eines der zentralen Elemente des Standortauswahlgesetzes beispielsweise erste Grundla- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12117 (A) (C) (B) (D) gen für eine mögliche Behördenstruktur der Endlagerung skizziert . Ziel muss eine klare und vernünftige Struktur sein, die im Einklang mit den EU-Vorgaben steht . So sollte die Regulierung und der Betrieb der Endlagerung in einer Bundesbehörde und einer Gesellschaft getrennt voneinander organisiert werden, die unter der Aufsicht unterschiedlicher Bundesministerien stehen . Doch verdeutlicht uns das Nationale Entsorgungspro- gramm auch, dass die Endlagerkommission noch weitere komplexe Fragen zu beantworten hat . Uns wird ausdrück- lich vor Augen geführt, dass wir sowohl hoch radioaktive als auch schwach- und mittelradioaktive Abfallstoffe zu entsorgen haben . Obwohl mit dem Schacht Konrad vor- aussichtlich 2022 ein Endlager für die schwach- und mit- telradioaktiven Abfälle für 303 000 Kubikmeter in Be- trieb gehen wird, bleibt zu klären, was beispielsweise mit den im Nationalen Entsorgungsprogramm aufgeführten 47 000 Kubikmetern schwach- und mittelradioaktivem Abfall aus der Schachtanalage Asse II geschehen soll . Doch darf uns dieser Aspekt nicht daran hindern, im vorgesehenen gesetzlichen Zeitrahmen der Endla- gerkommissionsarbeit bis zum 30 . Juni 2016 einen Ab- schlussbericht zu erstellen . In diesem Bericht sollten wir ein Verfahren für die Suche nach einem Endlager mit Schwerpunkt hoch radioaktive Abfälle entwickeln . Die Verfahrensentwicklung für die Endlagersuche der ande- ren Abfallarten könnte beispielsweise im Anschluss er- folgen . Wir müssen uns der Verantwortung für zukünftige Ge- nerationen bewusst sein . Verschiebungen oder Verzöge- rungen verunsichern und tragen massiv zum Unverständ- nis innerhalb der Bevölkerung bei . Daher ist die Einhaltung der Zeitvorgabe ein klares Zeichen an die Menschen, dass wir das Thema ernst neh- men und pragmatische Lösungsvorschläge zügig erarbei- ten . Gerade für die Bürgerinnen und Bürger an den Standorten der Kernkraftwerke ist es wichtig, zu er- fahren, dass und wann sie mit einem Endlager rechnen können . Schließlich lagern bei ihnen die abgebrannten Brennelemente aus den Kernkraftwerken in den dorti- gen Zwischenlagern . Zudem muss der Rückbau stillge- legter Anlagen zur „grünen Wiese“ schnellstmöglich in Angriff genommen werden, um die vor Ort vorhandene Fachkräftekapazität zu nutzen . Durch die Vorgaben des Standortauswahlgesetzes werden jetzt auch noch 26 Cas- tor-Behälter mit hoch radioaktivem Abfall aus den Wie- deraufbereitungsanlagen La Hague und Sellafield in vier der Kernkraftwerk-Standorte verbracht . Damit die möglichen Zwischenlagerstandorte sich nicht schleichend in Endlager verwandeln, ist es mehr als notwendig, die vorgegeben zeitlichen Fristen im Stand- ortauswahlgesetz einzuhalten . In der Frage der Casto- ren-Rückführung müssen auch die betroffenen Länder und Standortgemeinden rechtzeitig einbezogen werden . So schaffen wir gegenüber den Betroffenen Vertrauen und können gleichzeitig transparente Verfahren der Öf- fentlichkeitsbeteiligung anwenden . Vertrauen und Glaubwürdigkeit sollten wir bei der Ausarbeitung von Kriterien auch in Bezug auf die Stand- orte beachten . Es gilt, dass kein infrage kommender mög- licher Standort vorab ausgeschlossen wird . Die besonde- re Geschichte des Erkundungsbergwerks in Gorleben in diesem Zusammenhang ist mir bewusst . Doch heißt das nicht, dass dieser Standort per se ausscheidet . Das Stand- ortauswahlgesetz spricht hier in Paragraf 29 eine klare Sprache . Das Bundesamt für Strahlenschutz als zustän- dige Bundesbehörde ist daher gefordert, alle rechtlichen, bergmännischen und technisch erforderlichen Maßnah- men zu veranlassen, dass das Grubengebäude in Gorle- ben für eine mögliche Erkundung offen bleibt . Das Nationale Entsorgungsprogramm führt auch die Menge der Abfälle durch Forschungsreaktoren wie zum Beispiel in München/Garching auf . Diese Tatsache sollte uns jedoch nicht dazu veranlassen, ein generelles Export- verbot von hoch radioaktiven Abfällen in der Debatte um die Endlagersuche zu fordern, das auch entsprechende Abfälle aus Forschungsreaktoren betreffen würde . Es gilt, die Grundlagenforschung weiterhin aufrechtzuerhal- ten, um weitere Entwicklungen in der Nuklearmedizin, der Radiologie sowie bei Krebsbehandlungen zu ermög- lichen . Gerade im Hinblick auf die Spitzenstellung des Forschungsstandorts Deutschland sollten wir Augenmaß walten lassen und nicht kopflos unsere Zukunft verspie- len . Das Nationale Entsorgungsprogramm darf hier nicht als Begründung für ein komplettes Exportverbot von ab- gebrannten Brennelementen zweckentfremdet werden, weil man unzutreffend befürchtet, über die Beibehaltung der Atomforschung eine Hintertür für den Wiedereinstieg in die friedliche Nutzung der Kernenergie offen zu hal- ten . Für die nun beginnende Behandlung im Umweltaus- schuss fordere ich ein, dass das Nationale Entsorgungs- programm entsprechend sachlich behandelt wird und nicht im parteipolitischen Streit für einseitige Sichtwei- sen auf das Thema Endlagerung missbraucht wird . Die konsensorientierte Arbeitsweise in der Endlagerkommis- sion könnte bei diesem sensiblen Thema auch beispielge- bend für die Behandlung in den beteiligten Ausschüssen sein . Hiltrud Lotze (SPD): uns liegt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur 14 . Novelle des Atomgesetzes vor . Damit soll eine EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden . Für uns in der Legislative ein an sich normaler, ja manchmal schon routinemäßiger Vorgang . Aber es lohnt, wie immer, eine intensive Beschäftigung mit dem Inhalt und Vorgang . Die EU-Richtlinie 2011/70/Euratom, die nun in wei- teren Teilen in unser Recht aufgenommen wird, ist inso- fern sehr bemerkenswert, weil sie die Grundlage für ganz Europa bildet . Sie setzt den Rahmen dafür, wie wir hier in Zukunft mit den Folgen der Atomwirtschaft umgehen wollen . Es ist eine Gemeinschaftsanstrengung, und das Ziel ist, vergleichbare Bedingungen in ganz Europa zu schaf- fen . Auf dieser Gemeinsamkeit basiert Europa, auch Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 201512118 (A) (C) (B) (D) wenn es sich in der Flüchtlingsfrage gerade anders dar- stellt, leider . In Fragen des Umgangs mit dem Atommüll jedenfalls sind wir ein gutes Stück weiter . Künftige Generationen sollen sich darauf verlassen können, dass in allen Län- dern nach den gleichen Rahmenbedingungen mit dem Müll verfahren wird . Der erste große Schritt, die europäische Norm in nati- onales Recht umzusetzen, ist mit dem Standortauswahl- gesetz vom 23 . Juli 2013 gegangen worden . Einen weiteren Schritt stellt nun die 14 . Novelle des Atomgesetztes dar, wobei der wichtigste Teil die Regeln für die Erstellung eines Nationalen Entsorgungspro- gramms festlegt . Das Nationale Entsorgungsprogramm – kurz NaPro – ist im August endgültig vom Kabinett verabschiedet wor- den, und zwar schon nach den Leitlinien, die wir jetzt erst ins Gesetz aufnehmen wollen . Jetzt zeigt sich auch, wie entscheidend es ist, dass das NaPro explizit unter Vorbehalt der Ergebnisse der End- lager-Suchkommission steht – und nicht umgekehrt, wie von den Linken gefordert . In der letzten Woche vor der Sommerpause haben wir den Antrag der Linken debattiert, in dem gefordert wird, den Auftrag der Endlagerkommission dem Nationalen Entsorgungsprogramm anzupassen . Nun hat das federführende Umweltministerium, ab- weichend von den ersten Entwürfen, ein gemeinsames Lager vorgeschlagen für die Endlagerung von schwach- und mittelradioaktivem Müll, insbesondere dem Müll, der aus der Asse herausgeholt werden soll . Ein höchst umstrittener Vorschlag, der zahlreiche Konsequenzen mit sich bringt . In der Endlagerkommission gab es folgerichtig heftige Debatten über den Umfang des Auftrags der Kommis- sion, über das Ziel und den Zeitplan . Denn laut Gesetz dient die Kommission der Kriterienfestlegung für die Suche nach einem Lager für „insbesondere“ hoch radi- oaktiven Müll . Einige Mitglieder legten den Begriff „ins- besondere“ so aus, dass definitiv ein Endlager nur für den hochradioaktiven Müll gesucht werden soll . Wären wir dem Antrag der Linken gefolgt – ich er- innere: den Auftrag der Endlagerkommission dem Na- tionalen Entsorgungsprogramm anzupassen – hätte die Kommission wieder bei Null anfangen müssen . Denn: Ob man einen Standort und eine geologische Formati- on für 30 000 Kubikmeter hochradioaktiven Müll sucht oder für zusätzlich 300 000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiven Müll, das macht einen erheblichen Unterschied . Auch ich bin alarmiert, wenn ich lese, dass bei einem möglicherweise so riesigen Kombilager eigentlich nur noch eine geologische Formation in Frage kommt, näm- lich Salz . Mit dem Nationalen Entsorgungsprogramm hat die Bundesregierung eine offene und ehrliche Bestandsauf- nahme des vorhandenen und noch anfallenden Mülls ge- macht . Und ich werbe dafür, dass wir jetzt auch so weiterma- chen: offen und ehrlich, ohne Vorfestlegungen . Denn nur dann können wir letztlich zu einer Endlagersuche kom- men, die möglichst breit akzeptiert wird . Ich meine, es ist der richtige Weg, wenn die Kommis- sion weiterhin insbesondere die Kriterien für die Endla- gerung hochradioaktiven Mülls erarbeitet, gleichzeitig aber in einem Kapitel des Endberichts auf die Implikati- onen eines möglichen Kombilagers eingeht . Ob wir, angesichts dieser veränderten Situation, mehr Zeit für die Endlagerkommission benötigen oder die Kommission womöglich nur eine Art Zwischenbericht abliefern kann, müssen wir hier noch einmal intensiv de- battieren . Diese Debatte heute ist aber auch ein guter Anlass, um hier einmal explizit unseren Ministern Barbara Hendricks und Sigmar Gabriel zu danken, denn es be- wegt sich unter ihrer Verantwortung so vieles mehr in und um die Frage des Atommülls als in vielen, vielen Jahren vorher . Sigmar Gabriel hat sich ausdrücklich der Frage angenommen, ob und wie die Atomkonzerne ihren Verpflichtungen auch in Zukunft gerecht werden können und wie wir vermeiden, dass die Allgemeinheit auf den Kosten sitzen bleibt, nachdem die Konzerne die Gewinne eingestrichen haben . Barbara Hendricks hat nicht nur für eine ehrliche Bi- lanz des vorhandenen Atommülls gesorgt, sondern auch dafür, dass sich wieder Vertrauen in diesen Fragen bilden kann . Mit der 14 . Atomrechtsnovelle gehen wir weiter den richtigen Weg, um die Bürden der verfehlten Atompoli- tik der Vergangenheit für die künftigen Generationen so klein wie möglich zu halten . Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Schon wieder Atommüll – und das Thema wird der Republik noch viele Jahre erhalten bleiben . Direkt vor der Sommerpau- se hat der Bundestag bereits über das neue „Nationale Entsorgungsprogramm“ diskutiert . Auf Anforderung der EU hat die Bundesregierung einen Plan erstellt, in dem sie über die immer noch wachsenden Atommüllberge und was sie damit vorhat, berichtet . Und jetzt muss mit der 14 . Atomgesetznovelle der Rechtsrahmen für diesen Atommüllbericht geschaffen werden . Fast 70 000 Menschen, Initiativen und auch Kommu- nen haben zum Bericht des Nationalen Entsorgungspro- gramms (NaPro) Einsprüche erhoben . Die Öffentlichkeit schaut also hin, wenn es um Atommüll und die mit seiner Lagerung verbundenen Risiken geht . Das ist gut so, und der Bundestag ist gut beraten, sich mit diesen Einsprü- chen intensiv zu befassen . Auch deswegen hat Die Linke schon vor den Sommer- ferien einen Antrag zum NaPro-Bericht und zur Kritik daran in den Bundestag eingebracht, und es dürfte sinn- voll sein, den Bericht im Zusammenhang mit der Ge- setzesnovelle hier im Bundestag weiter zu diskutieren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12119 (A) (C) (B) (D) Hier mal eben schnell die ATG-Novelle durchzuziehen und dann den Deckel drauf zu setzen, wäre kein gutes Signal für den angeblichen Neustart beim Umgang mit Atommüll, bei dem doch ein gesellschaftlicher Konsens angestrebt wird . Wir Linken fordern beim Umgang mit den radioak- tiven Abfällen mehr Transparenz und Ehrlichkeit . Der Bericht hat dazu durchaus einige positive Ansätze, die wir ausdrücklich begrüßen . Aber wir sehen auch die er- heblichen Mängel im Nationalen Entsorgungsprogramm . An dieser Stelle nur zwei Hinweise, wo aus unserer Sicht nachzubessern ist: An diversen Standorten sind in den letzten Jahren ver- rostete Atommüllfässer gefunden worden, in Brunsbüttel und in Karlsruhe zum Beispiel . Von diesen Problemen wird im Bericht mit keiner Silbe gesprochen, und es ist nicht gut, wenn diese Wirklichkeit beim Umgang mit Atommüll einfach nicht genannt wird . Der Bericht spricht ferner von einem Eingangslager für Castor-Behälter mit hochradioaktivem Atommüll . Dieses Lager soll dort neu gebaut werden, wo irgend- wann mal ein „Endlager“ für diesen Müll entstehen soll . Doch der Bericht schweigt darüber, dass dort die enorme Menge von bis zu 500 Castoren mit hochgefährlichem Atommüll oberirdisch gelagert werden soll und dass das für Jahrzehnte so sein wird . Diese Information fehlt völ- lig, und damit wird ein ganz wichtiger Aspekt im Grun- de unter den Tisch gefegt . Für Insider ist das völlig klar: Dieses neue Eingangslager ist von zentraler Bedeutung . Nur kann das niemand erkennen, der den Bericht als ge- bildeter Laie liest . Deswegen braucht es nach Auffassung der Linken – und das ist in der jetzt anstehenden Beratung über die 14 . ATG-Novelle dann zu klären und gesetzlich umzu- setzen – klare und ehrliche Anforderungen, wie solche NaPro-Berichte erstellt werden . Ein solcher Bericht muss auch die Probleme beim Umgang mit dem Atommüll be- nennen, er sollte die möglichen Alternativen nennen und auch die Abwägungen beschreiben, warum die eine oder andere Variante am Ende vorgeschlagen wird . Das würde die Qualität und die Ehrlichkeit eines solchen Berichts deutlich verbessern . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Nationale Entsorgungsplan, um den es bei der 14 . AtG-Novelle geht, steht unter Revisionsvorbehalt . Die Endlager-Kommission hat das Recht, ihn durch ihre Empfehlungen zu verändern, und das ist gut so . Denn in der Kommission werden die Dinge – anders als in Aus- schüssen und Plenum mit den eng begrenzten Redezeiten für die Opposition – zwischen allen Beteiligten ausdis- kutiert . Die Grundausrichtung des NaPro ist positiv: das Be- kenntnis zur Inlandsentsorgung, die erstmalige Benen- nung der Abfälle aus der Urananreicherung in Gronau als Atommüll . Doch dieser Grundausrichtung fehlt die klare Konsequenz . Das Bekenntnis zur Inlandsentsor- gung endet an den Forschungsreaktoren . Und der Er- kenntnis, dass Urantails Atommüll sind, folgt nicht die Konsequenz, die Menge des Atommülls festzulegen, in- dem gemäß dem Atomausstieg ein Abschaltdatum für die Urananreicherungsanlage in Gronau verfügt wird . Nein, Urenco soll unbegrenzt weiter Uran anreichern und unbegrenzt Atommüll produzieren dürfen . Das macht diesen Atommüll innerhalb der Aufgabe, die BMUB mit dem NaPro an die Endlager-Kommission weiterreicht, zu einem unberechenbaren Faktor . Das Umweltministerium weiß, dass es für die Suche nach einem Endlager Zahlen nennen muss . Für die Urantails nennt es 100 000 m³ . Die- se Zahl ist logischerweise völlig gegriffen . So unseriös kann die Endlager-Kommission nicht arbeiten . Es wäre eine gute Gelegenheit, Frau Ministerin, die Lücke im Atomausstieg, die die beiden Atomfabriken in Deutschland bilden – die Urananreicherung in Gronau, die Brennelementefabrik in Lingen – zu schließen . Bun- destag und Bundesregierung sollten das Ziel ins Auge fassen, die Atomfabriken in Deutschland abzuschalten, um den Atomausstieg voranzubringen und eine gelingen- de Endlagersuche zu ermöglichen . Der vorgelegte Nationale Entsorgungsplan und die entsprechende 14 . Atomgesetz-Novelle, über die wir heu- te beraten, weist eine entscheidende Veränderung zum ursprünglichen Entwurf auf: Sowohl die Urenco-Abfälle wie auch die Asse-Abfälle nach geglückter Rückholung sollen nicht mehr für das Endlager Schacht Konrad vor- gesehen werden, sondern es soll prioritär geprüft werden, ob diese Abfälle auch im noch zu findenden Standort des Endlagers für hochradioaktiven Atommüll eingelagert werden können . Darüber soll die Endlager-Kommission beraten und eine Empfehlung abgeben . BMUB reagiert hier auf über 70 000 Einwendungen aus der Bevölke- rung, die sich gegen den ursprünglichen Plan verwahren . Ich finde diese Reaktion richtig. Schacht Konrad ist in der Bevölkerung nach wie vor umstritten, es fand kein vergleichendes Auswahlverfahren statt, das Endlager entspricht bei Inbetriebnahme nicht dem Stand von Wis- senschaft und Technik, wenn es nicht in einem neuen An- lauf auf diesen gebracht wird. Im NaPro findet sich dazu allerdings keine Absichtserklärung, sondern ganz im Gegenteil der Hinweis, dass der Stand von Wissenschaft und Technik laut Planfeststellungsbeschluss erst zum Betriebsende hin nachgewiesen sein muss . Frau Minis- terin, so machen Sie den Menschen um Schacht Konrad das Leben mit dem Endlager zusätzlich schwer . Schacht Konrad muss vor der Einlagerung von Atommüll auf den Stand von Wissenschaft und Technik gebracht werden . Hier haben Sie noch nachzuarbeiten . Gleichwohl be- grüße ich, dass Sie der Bevölkerung um Schacht Konrad nicht auch noch zumuten wollen, sich mit der Einlage- rung von doppelt so viel Atommüll wie die Genehmi- gung bisher vorsieht konfrontiert zu sehen . Die Arbeit der Endlager-Kommission wird durch die neue Aufgabe erheblich erschwert . Niemand kann heu- te sagen, wie die Asse-Abfälle genau zusammengesetzt sind und wieviel kontaminiertes Salz mit zu entsorgen sein wird . Das macht es mindestens schwer – einige Kommissionsmitglieder sagen: unmöglich – Sicherheits- kriterien für das Endlager zu erstellen . Klar ist dagegen heute schon, dass Wechselwirkungen zwischen Wärme entwickelnden bzw . hochradioaktiven und nicht Wärme, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 201512120 (A) (C) (B) (D) dafür aber Gas entwickelnden schwach- und mittelradi- oaktiven Abfällen verhindert werden müssen . Das heißt, die Abfälle werden in zwei klar voneinander getrenn- te Endlager eingelagert werden müssen, was an einem Standort entweder ein Wirtsgestein von besonders großer Mächtigkeit erfordert oder zwei eventuell übereinander liegende günstige Wirtsgesteine . Die Zahl geeigneter Standorte wird sich definitiv drastisch verringern. Wir nehmen uns der neuen Aufgabe in der Kommissi- on, an ohne zu wissen, ob wir sie lösen können . Vielleicht können wir zum Ende unserer Tätigkeit im Juni 2016 nur einen Zwischenbericht abgeben, vielleicht müssen wir sagen, dass eine Suche nach einem gemeinsamen Stand- ort für diese unterschiedlichen Abfälle in überschaubarer Zeit aussichtslos ist . Klar muss aber für alle Kommissi- onsmitglieder sein, dass wir die Gesamtgemengelage in den Blick nehmen müssen . Sich mit einer Art Tunnelblick auf die hochradioaktiven Abfälle zu konzentrieren, weil die Verfahrensentwicklung dann immer noch schwer ge- nug, aber einfacher ist, das füllt die Verantwortung nicht aus, die Bundestag und Bundesrat der Kommission über- tragen haben . Letzter Punkt: große Kritik an der laut NaPro beab- sichtigten Errichtung eines Eingangslagers mit der ersten Teilgenehmigung des Endlagers . Liebe Frau Ministerin, wenn man mit dem A . . . wieder einreißen will, was man mit den Händen aufgebaut hat, dann errichtet man nach einer langen ergebnisoffenen transparenten und parti- zipativen Endlagersuche ein Eingangslager am Endla- ger-Standort, bevor es genehmigt ist . So landet man am Ende dann doch wieder beim Prinzip Gorleben . Ich weiß, dass wir mit den Zwischenlagern in schweres Wasser kommen, weil wir aus allen Genehmigungen rauslaufen . Das heilen wir aber damit nicht . Über die Zwischenla- ger-Situation müssen wir uns gesondert Gedanken ma- chen . Die Endlagersuche darf nicht am Ende durch un- angemessenes Faktenschaffen desavouiert werden . Da dürfen Sie, Frau Ministerin, mit unserem erbitterten Wi- derstand rechnen . Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 124. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Regierungserklärung zum Informellen Treffen der EU-Regierungschefs und zum VN-Nachhaltigkeitsg TOP 4 Befristete Arbeitsverhältnisse TOP 5, ZP 3 Unterstützung der Kommunen TOP 27, ZP 4 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 28 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 1 Aktuelle Stunde zur Syrienkrise TOP 6 Förderung von Integrationsbetrieben TOP 7 Investitionen in Kindertagesstätten TOP 8 Anpassung des Bankenabwicklungsrechts an EU-Recht TOP 9 Erziehungsleistungen und Mutterschutz in der Rente TOP 10 Bundeswehreinsatz EUNAVFOR MED TOP 11 Angehörigenschmerzensgeld TOP 12 Anpassung der Abgabenordnung an den EU-Zollkodex TOP 13 Verleihbarkeit digitaler Medien in Bibliotheken TOP 14 Evaluierung von Terrorismusbekämpfungsvorschriften TOP 15 Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte TOP 16 Berufliche und akademische Bildung TOP 17 Beziehungen zu Namibia TOP 18 Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner TOP 19 Austausch von Informationen über Finanzkonten TOP 20 Änderung des Atomgesetzes Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812400000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zu unserer 124 . Plenarsitzung .

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
dem Kollegen Wilfried Lorenz nachträglich zu sei-
nem 73 . Geburtstag gratulieren und den Kolleginnen
Gabriele Groneberg und Heike Baehrens, die jeweils
ihren 60 . Geburtstag gefeiert haben . Allen herzliche
Glückwünsche des Hauses und alles Gute für das neue
Lebensjahr!


(Beifall)


Wir müssen noch zwei Wahlen durchführen . Die
Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, als Vertreter der
Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen
Versammlung des Europarates die Kollegin Kerstin
Radomski für den verstorbenen Kollegen Philipp
Mißfelder als ordentliches Mitglied zu berufen . Ich darf
Sie fragen, ob Sie dem zustimmen . – Das ist offensicht-
lich der Fall . Des Weiteren schlägt die CDU/CSU-Frak-
tion vor, den Kollegen Ansgar Heveling aus gleichem
Grund als stellvertretendes Mitglied des Verwaltungs-
rates der Filmförderungsanstalt zu wählen . – Ich darf
auch hier Ihr Einverständnis feststellen . Dann sind die
Kollegin Radomski und der Kollege Heveling für die ge-
rade genannten Gremien gewählt .

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-
nung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punk-
te zu erweitern:

ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b
GO-BT

zu den Antworten der Bundesregierung auf
die Frage 15 auf Drucksache 18/6019

(siehe 123 . Sitzung)


ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:

Neue Dynamik zur politischen Lösung der Sy-
rien-Krise nutzen

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für
Kommunen in Not

Drucksache 18/6069
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren

(Ergänzung zu TOP 27)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria
Klein-Schmeink, Dr . Konstantin von Notz,
Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sicher vernetzt, gut versorgt – Digitalisierung
im Gesundheitswesen im Dienste der Patien-
ten gestalten

Drucksache 18/6068
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Kühn (Dresden), Oliver Krischer, Matthias
Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zum Schutz der Verbraucher – Unzutreffen-
de Angaben beim Spritverbrauch und Schad-
stoffausstoß von PKW beenden

Drucksache 18/6070
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)







(A) (C)



(B) (D)


Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Haltung der Bundesregierung zu unzutref-
fenden Angaben beim Spritverbrauch und
Schadstoffausstoß von PKW

Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der
Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden .

Der Tagesordnungspunkt 23 a wird abgesetzt . Hier
geht es um den Gesetzentwurf zur Versorgung von
Flüchtlingen mit Leistungen der gesetzlichen Kranken-
versicherung .

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Das ist der Fall . Dann können wir so verfahren .

Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 s auf:

a) Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin

zu den Ergebnissen des Informellen Treffens
der Staats- und Regierungschefs der Europä-
ischen Union am 23. September 2015 in Brüs-
sel und zum VN-Gipfel für Nachhaltige Ent-
wicklung vom 25. bis 27. September 2015 in
New York

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr . Valerie
Wilms, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 1 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Armut in jeder Form
und überall beenden

Drucksache 18/6045
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Dr . Valerie Wilms, Nicole Maisch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 2 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Den Hunger beenden,
Ernährungssouveränität und eine bessere
Ernährung erreichen und eine nachhaltige
Landwirtschaft fördern

Drucksache 18/6046
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria
Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche,
Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 3 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Gesundes Leben für
alle ermöglichen und fördern
Drucksache 18/6047
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan
Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 4 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Inklusive, gerechte
und hochwertige Bildung gewährleisten und
Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für
alle fördern
Drucksache 18/6048
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle
Schauws, Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 5 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Geschlechtergerech-
tigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen
und Mädchen erreichen
Drucksache 18/6049
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Dr . Valerie Wilms, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 6 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Verfügbarkeit und
nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und
Sanitärversorgung für alle gewährleisten
Drucksache 18/6050
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Julia
Verlinden, Dr . Valerie Wilms, Oliver Krischer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 7 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Zugang zu bezahlba-
rer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemä-
ßer Energie für alle sichern
Drucksache 18/6051

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin

(Augsburg)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 8 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Dauerhaftes, inklusi-
ves und nachhaltiges Wirtschaftswachstum,
produktive Vollbeschäftigung und menschen-
würdige Arbeit für alle fördern

Drucksache 18/6052
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales

j) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Valerie Wilms, Kerstin Andreae, Claudia
Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 9 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Eine belastbare Infra-
struktur aufbauen, inklusive und nachhaltige
Industrialisierung fördern und Innovationen
unterstützen

Drucksache 18/6053
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Dr . Frithjof Schmidt, Dr . Valerie Wilms,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 10 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Ungleichheit innerhalb
und zwischen Staaten verringern

Drucksache 18/6054
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

l) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christian Kühn (Tübingen), Dr . Valerie Wilms,
Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 11 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Städte und Siedlungs-
flächen inklusiv, sicher, stabil und nachhaltig
zu machen

Drucksache 18/6055
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Dr . Valerie Wilms, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 12 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Für nachhaltige Kon-
sum- und Produktionsmuster sorgen

Drucksache 18/6056
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

n) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Dr . Valerie Wilms, Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 13 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Umgehend Maßnah-
men zur Bekämpfung des Klimawandels und
seiner Auswirkungen ergreifen

Drucksache 18/6057
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Haushaltsausschuss

o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi
Lemke, Dr . Valerie Wilms, Peter Meiwald, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 14 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Ozeane, Meere und
Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen
Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen

Drucksache 18/6058
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi
Lemke, Dr . Valerie Wilms, Harald Ebner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 15 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Nachhaltige Nutzung
terrestrischer Ökosysteme schützen, wieder-
herstellen und fördern, Wälder nachhaltig be-
wirtschaften, die Wüstenbildung bekämpfen,
die Bodendegradation aufhalten und umkeh-
ren sowie den Verlust der biologischen Vielfalt
stoppen

Drucksache 18/6059
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Keul, Volker Beck (Köln), Dr . Valerie Wilms,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 16 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Friedliche und inklusi-
ve Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen
Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang
zur Justiz ermöglichen und effektive, rechen-
schaftspflichtige und inklusive Institutionen
auf allen Ebenen aufbauen

Drucksache 18/6060
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Anja Hajduk, Dr . Valerie Wilms, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Nachhaltigkeitsziel 17 in Deutschland
schon jetzt umsetzen – Globale Partnerschaft
für nachhaltige Entwicklung jetzt wiederbele-
ben

Drucksache 18/6061
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Haushaltsausschuss

s) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17 . Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Claudia Roth

(Augsburg), Uwe Kekeritz, weiterer Abgeord-

neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Menschenrechte in der neuen Nachhaltig-
keits- und Entwicklungsagenda der Vereinten
Nationen stärken

Drucksachen 18/5208, 18/5451

Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 96 Minuten vorgesehen . – Auch das ist offensicht-
lich einvernehmlich .

Dann erteile ich das Wort zur Abgabe einer Re-
gierungserklärung der Frau Bundeskanzlerin Angela
Merkel .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1812400100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Noch nie seit dem
Zweiten Weltkrieg waren so viele Menschen auf der
Flucht wie heute . Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten
Nationen nennt eine Zahl von knapp 60 Millionen welt-
weit . Es braucht nur diese eine Zahl, um zu verstehen,
dass wir es nicht allein mit einer deutschen Herausfor-
derung, auch nicht allein mit einer europäischen Heraus-
forderung, sondern mit einer globalen Herausforderung
zu tun haben, zu deren Bewältigung jede Region, jedes
Land, jede politische Ebene, jede Institution ihren Teil
beizutragen hat . Dies umfasst alles . Und alles hat Hand
in Hand zu gehen: die Bekämpfung der Fluchtursachen,
der Schutz der Außengrenzen, menschenwürdige Le-
bensbedingungen in Flüchtlingslagern und sogenannten
Hotspots, deutlich schnellere Asylverfahren, die Rück-
führung derjenigen, die keine Bleibeperspektive haben,
die Integration der tatsächlich Schutzbedürftigen . Je kla-
rer diese Herausforderung national, europäisch und glo-
bal gemeinsam angenommen wird, umso schneller wird
sie erfolgreich gemeistert werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Genau in diesem Sinne versteht die Bundesregierung
gemeinsam mit Bund, Ländern und Kommunen und der
ganzen Gesellschaft diese Aufgabe als nationale, als eu-
ropäische und als globale Kraftanstrengung .

Am Dienstag letzter Woche haben wir mit den Minis-
terpräsidenten der Länder in vielen nationalen Einzel-
fragen Verbesserungen vereinbart . Heute werden wir, so
hoffe ich jedenfalls, weitere notwendige Beschlüsse fas-
sen, insbesondere auch zur Frage der finanziellen Unter-
stützung von Ländern und Kommunen durch den Bund .

Ich will die Gelegenheit nutzen, neben den unverän-
dert vielen ehrenamtlichen Helfern ganz ausdrücklich
auch den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der
öffentlichen Verwaltung, der Polizeikräfte, der Bundes-
wehr, des Technischen Hilfswerks und im Übrigen auch
der Deutschen Bahn AG zu danken, die immer wieder
alles geben, um auch in schwieriger Lage möglichst rei-
bungslose Abläufe sicherzustellen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dies gilt auch für die alles andere als einfache Durchfüh-
rung der temporären Grenzkontrollen, die wir im Augen-
blick durchführen .

Es geht also um die Bewältigung der akuten, ganz
praktischen Aufgaben, aber mindestens so sehr geht es
um die Bewältigung der längerfristigen Aufgaben, also
vorneweg um die Integration der Menschen, die dauer-
haft bei uns bleiben werden . Dazu gehört, dass wir von

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


ihnen erwarten, die Regeln und Werte zu respektieren,
die unsere Verfassung vorgibt, und sich auf dieser Grund-
lage in unsere Gesellschaft zu integrieren, vorneweg mit
der Bereitschaft, die deutsche Sprache zu erlernen und zu
beherrschen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Um denjenigen, die vor Krieg und Verfolgung nach
Europa geflohen sind, tatsächlich angemessen helfen zu
können, ist es außerdem unerlässlich, die Asylverfahren
deutlich zu beschleunigen . So nachvollziehbar die jewei-
ligen Motive für ein Verlassen der Heimat auch sein mö-
gen, wir müssen gerade in den Fällen, in denen die Men-
schen nicht aufgrund von Krieg oder Verfolgung zu uns
kommen, deutlich schneller entscheiden und die notwen-
digen Rückführungen auch konsequenter durchsetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, neben der nationalen Ebe-
ne muss die europäische Ebene ihren Teil leisten . Men-
schenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und Solidari-
tät verbinden uns in Europa nicht nur kulturell . Sie sind
Gründungsidee, sie sind fester Bestandteil der Verträge
und Grundlage des gemeinsamen Handelns der Europäi-
schen Union . Unser Umgang mit der aktuellen Krise wird
unseren Kontinent auf lange Sicht prägen . Ich möchte,
dass Europa diese gesellschaftliche, ökonomische, kultu-
relle und moralische Bewährungsprobe besteht .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft
und als solche eine Rechts- und Verantwortungsge-
meinschaft . Sie muss in der Praxis zeigen, dass dieser
Anspruch auch trägt . Dazu gehört, dass die Mindest-
standards eingehalten werden müssen, die wir in Europa
für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen
und für die Durchführung von Asylverfahren festgelegt
haben . Wir erleben gegenwärtig eine Situation, in der
diese Mindeststandards nicht überall gegeben sind . Zur
Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft gehört auch,
die Lage an den EU-Außengrenzen besser zu kontrol-
lieren und zu organisieren . Ebenso gehört dazu eine ef-
fektive Rückführung derjenigen, die keinen Anspruch
auf Schutz in der Europäischen Union haben . Und dazu
gehört die Einbindung und Unterstützung wichtiger Her-
kunfts- und Transitstaaten bei der Unterbringung und
Versorgung von Flüchtlingen, bei der Eindämmung der
Schleuserkriminalität sowie – das wird uns noch sehr
fordern – bei der Bekämpfung der Fluchtursachen . Das
kann nur gemeinsam mit unseren transatlantischen Part-
nern wie den Vereinigten Staaten von Amerika sowie mit
Russland und mit den Staaten der Region des Nahen und
Mittleren Ostens gelingen . Denken wir nur an die deso-
late Lage in Syrien .

Die Europäische Kommission hat vor zwei Wochen
ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgeschlagen, das
aus unserer Sicht die richtigen Ansätze enthält . Auf die-
ser Grundlage müssen wir jetzt schnell zu konkreten Er-
gebnissen kommen .

In einigen Bereichen hat Europa bereits konkrete
Fortschritte erzielen können . Wir haben uns im Grund-
satz auf eine gemeinsame europäische Liste sicherer
Herkunftsstaaten verständigt . Zudem haben die Innen-
und Justizminister vorgestern eine Umverteilung von
120 000 Flüchtlingen aus besonders betroffenen Mit-
gliedstaaten beschlossen . Das Europäische Parlament
hatte zu diesem Vorhaben bereits im Vorfeld des Minis-
terrats in einer Dringlichkeitssitzung seine notwendige
Stellungnahme abgegeben . Das Europäische Parlament
hat damit ebenfalls ein hohes Maß an Verantwortungsbe-
wusstsein bewiesen, und ich möchte dafür danken .

Eine solche Umverteilung kann jedoch nur funktionie-
ren, wenn wir an den EU-Außengrenzen zu einer kon-
sequenten Registrierung und Überprüfung der Schutz-
bedürftigkeit der einreisenden Flüchtlinge kommen . Das
sollen die sogenannten Hotspots sicherstellen, die Grie-
chenland und Italien jetzt rasch einrichten müssen, gege-
benenfalls auch Bulgarien .

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Europa nicht
nur punktuelle Umverteilungen, sondern vielmehr ein
dauerhaftes Verfahren für eine faire Verteilung von
Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten braucht . Die Bun-
desregierung unterstützt die Vorschläge, die die Europä-
ische Kommission hierzu vorgelegt hat . Das heißt, wir
haben jetzt einen ersten Schritt gesehen, aber wir sind
noch lange nicht am Ende, also dort, wo wir hinkommen
müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Aber auch dieser erste Schritt hat viel Arbeit erfordert .
Deshalb möchte ich unserem Innenminister Thomas de
Maizière ganz herzlich danken für die Arbeit, die da ge-
leistet wurde .


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg . Volker Beck GRÜNEN])


Nach dem Treffen der Innenminister vorgestern fand
gestern Abend ein informelles Treffen der Staats- und
Regierungschefs der Europäischen Union statt . Bei die-
sem Treffen haben alle Teilnehmer in Brüssel – ich beto-
ne: alle Teilnehmer –


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Der Orban war ja in Bayern! Der konnte ja nicht kommen!)


die gesamteuropäische Dimension der Flüchtlingskrise
anerkannt . Alle haben den Willen bekräftigt, gemeinsam
und engagiert an tragfähigen Lösungen zu arbeiten . Die-
ses Signal der Einigkeit müssen wir jetzt nutzen, um in
den vielen Einzelfragen weiter voranzukommen .

Außerordentlich große Folgen hat die Lage in Syrien
ja auch für die Nachbarstaaten: Jordanien, Libanon oder
die Türkei, wo sich Millionen syrische Flüchtlinge auf-
halten, haben mit noch weit größeren Herausforderungen
zu kämpfen, als wir uns das in Europa vorstellen kön-
nen – mit Herausforderungen, die ihre eigenen Kräfte bei
weitem oder zumindest fast übersteigen . Der EU-Rat-
spräsident Donald Tusk hat deshalb gestern von seinen

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


Reisen berichtet, die er in den vergangenen Tagen in die
Region unternommen hat . Wir waren uns alle einig, dass
diese Staaten unsere Unterstützung brauchen – nicht nur
aus Gründen der Humanität, sondern auch, weil dies di-
rekt mit der Frage zusammenhängt, wie viele Menschen
sich von dort aus auf den Weg nach Europa machen . In-
sofern war es richtig und wichtig, dass wir gestern be-
schlossen haben, 1 Milliarde Euro für UN-Institutionen,
insbesondere für das Welternährungsprogramm, zur Ver-
fügung zu stellen, teils aus Mitteln der Kommission, teils
aus Mitteln der Mitgliedstaaten . Deutschland wird sich
daran natürlich beteiligen .

Besonders ausführlich haben wir beim Europäischen
Rat darüber gesprochen, wie wir unsere Unterstützung
für die Türkei stärken können, mit der die Europäische
Union eine gemeinsame Außengrenze teilt . Jean-Claude
Juncker und Donald Tusk werden sich am 5 . Oktober mit
dem türkischen Präsidenten Erdogan treffen . Wir haben
die beiden und alle europäischen Institutionen dazu er-
muntert, intensive Gespräche mit der Türkei zu führen .
Wir werden nur gemeinsam mit der Türkei unsere Au-
ßengrenzen sichern können, meine Damen und Herren .

Wir haben beim Europäischen Rat natürlich auch darü-
ber gesprochen, dass zu der Sicherung der Außengrenzen
der Aufbau von sogenannten Hotspots gehört . Sie sollen
helfen, die Lage dort besser zu organisieren und zu kont-
rollieren . Ich freue mich, dass wir uns darauf geeinigt ha-
ben und dass sowohl Italien als auch Griechenland bereit
sind, bis Ende November solche Hotspots aufzubauen,
mit dem Ziel, dort Registrierungen vorzunehmen, Fin-
gerabdrücke abzunehmen, Identifikationen vorzunehmen
und die Fähigkeit zu entwickeln, sowohl Verteilungen als
auch Rückführungen von dort aus durchzuführen . Wer
die entsprechenden Prozesse bei uns im Inland kennt,
hat eine Ahnung davon, dass das eine sehr ambitionierte
Planung ist . Trotzdem habe ich mich gefreut, dass es von
beiden Ländern, Italien und Griechenland, die Bereit-
schaft gab, diese Arbeiten jetzt zu beschleunigen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind an den Außengrenzen – ich hatte es am Bei-
spiel der Türkei schon gesagt – auch ganz entscheidend
auf die Zusammenarbeit mit unseren unmittelbaren
Nachbarstaaten angewiesen . Lassen Sie mich in diesem
Zusammenhang deshalb ausdrücklich auf die konstrukti-
ve Rolle Serbiens hinweisen und auf die enormen Belas-
tungen, die die bisherige Situation für Mazedonien mit
sich gebracht hat . Auch das sollten wir vor Augen haben .

Meine Damen und Herren, wir waren uns beim gest-
rigen Europäischen Rat alle einig, dass die Bekämp-
fung von Fluchtursachen eine ebenso europäische wie
globale Aufgabe ist . Die globalen Ursachen von Flucht
und Vertreibung sind sehr unterschiedlich; sie umfassen
Gründe wie Kriege, Konflikte und politische Verfolgung,
wie wir es etwa in Syrien und in Eritrea erleben . Hinzu
kommen Flüchtlinge aufgrund von Naturkatastrophen
wie Überschwemmungen oder Dürre . Es gibt auch vie-
le Menschen, die wegen Armut und Perspektivlosigkeit
flüchten; denn noch immer leben 1,3 Milliarden Men-
schen weltweit in extremer Armut, noch immer leiden

800 Millionen Menschen weltweit Hunger, noch immer
sind Frauen besonders von Armut betroffen,


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Und Ihre Antworten?)


noch immer haben Frauen einen viel schlechteren Zu-
gang zu Bildung, Ausbildung und zum Arbeitsmarkt als
Männer, noch immer sterben zu viele Frauen bei der Ge-
burt eines Kindes, obwohl sie gerettet werden könnten,
und noch immer haben zu viele Menschen keinen Zu-
gang zu menschenwürdigen Sanitäreinrichtungen . Um
zentrale, globale Zukunftsaufgaben wie diese geht es in
der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die wir an
diesem Wochenende in New York verabschieden werden .

Im Oktober jährt sich der 70 . Jahrestag der Gründung
der Vereinten Nationen . Noch nie in ihrer Geschichte
stand die Menschheit vor so großen gemeinsamen Auf-
gaben . Armut in ihrer schlimmsten Form kann und muss
endlich weltweit überwunden werden, um allen Men-
schen ein Leben in Würde zu ermöglichen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig sind die Belastungsgrenzen unseres Pla-
neten zum Teil bereits weit überschritten . Das erfordert
einen dringenden Wandel hin zu einer nachhaltigen Ge-
staltung unserer Welt . Die 2030-Agenda setzt bei diesen
Missständen an und entwirft umfassende, nachhaltige
Lösungen; denn langfristige Erfolge werden wir nur ha-
ben, wenn wir globale Herausforderungen wie Ernäh-
rungssicherung, Gesundheit, Bildung, Menschenrechte
oder die Gleichberechtigung der Geschlechter als Ganzes
annehmen und angehen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


wenn wir die wirtschaftlichen, sozialen und ökologi-
schen Aspekte gleichermaßen ins Auge fassen .

Meine Damen und Herren, die sich seit Jahren zuneh-
mend zuspitzende Flüchtlingskrise zeigt wie kein anderes
Thema, wie notwendig der in der 2030-Agenda für nach-
haltige Entwicklung gewählte Ansatz ist . Diese Agenda
kann somit auch als ein globaler Plan zur Verringerung
von Fluchtursachen begriffen werden . Und alle sind Teil
dieser Agenda, nicht mehr nur die Entwicklungsländer;
alle müssen ihren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung
leisten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das wird auch bei vielen Treffen und Gesprächen am
Rande des Gipfels eine wichtige Rolle einnehmen .

Ich will meine Begegnungen mit Kollegen aus den
afrikanischen Staaten für die Vorbereitung der EU-Afri-
ka-Konferenz in Valletta im November nutzen . Ich be-
grüße es, dass auch der Generalsekretär der Vereinten
Nationen zu einem hochrangigen Treffen einlädt, um eine
verbesserte Zusammenarbeit in Flüchtlings- und Migrati-
onsfragen zu erreichen . Die Bundesregierung wird durch
den Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ver-

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


treten sein . Ihm möchte ich dafür danken, dass er sich
mit den Außenministern der G 7 sowie weiterer Staaten,
aber beispielsweise auch im Rahmen seiner Reise in die
Türkei in der letzten Woche für eine verbesserte Unter-
stützung der Länder einsetzt, die unmittelbar an Krisen-
und Konfliktherde angrenzen und einen großen Teil der
Flüchtlinge aufnehmen . Herzlichen Dank!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, einige der neuen Ziele
werden nicht kurzfristig und nicht einfach zu erreichen
sein . Wenn wir jedoch auf die im Jahr 2000 verabschie-
deten Millenniumsentwicklungsziele zurückschauen,
dann stellen wir fest, dass diese Millenniumsziele der
erfolgreichste globale Plan gegen Armut waren . Beein-
druckende Fortschritte wurden dabei erzielt, die Zahl der
in extremer Armut lebenden Menschen zu halbieren und
den Anteil der Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser
zu erhöhen . Schon 2000 hatten viele nicht gedacht, dass
man ein solches Ziel erreichen kann . Trotzdem ist es ge-
lungen . Es gab Fortschritte im Gesundheitsbereich, etwa
im Kampf gegen Malaria und Tuberkulose . Ebenso zeig-
ten sich sichtbare Verbesserungen bei der Grundschulbil-
dung, wenngleich längst nicht alle Ziele erreicht wurden .

Was wir in den kommenden Jahren erreichen wollen,
wird im Herzstück der 2030-Agenda festgelegt: 17 kon-
krete Ziele mit 169 Unterzielen, also die sogenannten
Sustainable Development Goals, die die Weltgemein-
schaft bis zum Jahr 2030 umsetzen will . Zentraler Be-
standteil der neuen Agenda sind dabei unter anderem
der Schutz des Klimas und die nachhaltige Nutzung der
natürlichen Lebensgrundlagen . Diese spielen für die heu-
tigen, vor allem aber für die kommenden Generationen
in Entwicklungs- wie in Industrieländern eine übergeord-
nete Rolle .

Auf internationaler Ebene wollen wir im Dezember
in Paris ein umfassendes und verbindliches Klimaab-
kommen erreichen . Die Europäische Union hat dazu
ihre Position festgelegt . Das ist sehr erfreulich . Vom Pa-
ris-Gipfel muss, anknüpfend an die G-7-Beschlüsse von
Elmau, das klare Signal einer zukünftigen Dekarbonisie-
rung unserer Wirtschaft zur Einhaltung des 2-Grad-Ziels
ausgehen. Dafür müssen sich alle Staaten verpflichten,
entsprechende nationale und internationale Maßnahmen
umzusetzen .

Für uns Industrieländer bedeutet dies darüber hinaus,
dass wir unsere bereits 2009 in Kopenhagen gegebene
Zusage, nämlich jährlich 100 Milliarden US-Dollar an
öffentlichen und privaten Mitteln ab 2020 für die Klima-
schutzfinanzierung in Entwicklungsländern zu mobili-
sieren, glaubwürdig erfüllen müssen . Deutschland wird
seine Mittel für die Klimaschutzfinanzierung bis 2020
gegenüber 2014 verdoppeln und geht damit mit gutem
Beispiel voran .

Auf nationaler Ebene wird Deutschland die Umset-
zung der Ziele vorantreiben . Darüber hinaus setzen wir
uns weiter für einen Wandel unserer Wirtschaft hin zu
einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise mit verminderten
klimaschädlichen Emissionen ein . Dazu haben wir uns

das Ziel gesetzt, die Emission von Treibhausgasen ge-
genüber 1990 bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent und bis
zum Jahr 2050 um mindestens 80 bis 95 Prozent zu sen-
ken .

Die Weltgemeinschaft hat sich mit der 2030-Agenda
für die kommenden 15 Jahre also viel vorgenommen . Die
Bundesregierung verpflichtet sich zu einer ehrgeizigen
Umsetzung dieser Agenda . Denn auch in Deutschland
sind wir an einigen Stellen noch zu weit von einem nach-
haltigen Leben, Wirtschaften und Umgang mit unseren
natürlichen Ressourcen entfernt .

Gleichwohl ermöglicht unsere nationale Nachhaltig-
keitsstrategie mit ihren konkreten Zielen und Indikatoren
bereits seit 2002 ein politikübergreifendes Monitoring
unserer Nachhaltigkeitsanstrengungen . Sie wird auch ein
wesentlicher Rahmen für die Umsetzung der 2030-Agen-
da durch Deutschland sein . Bis Herbst 2016 werden wir
sie unter Berücksichtigung der 2030-Agenda in allen
wesentlichen Aspekten überprüfen und, wo nötig, auch
weiterentwickeln . Über die Strategie wird dann festge-
legt werden, mit welchen nationalen Zielen, Indikatoren
und Maßnahmen wir zu welchem Ziel der Sustainable
Development Goals beitragen wollen .

Im Lichte einer globalen Partnerschaft baut die Bun-
desregierung dabei auf weitere Partner, auf die organi-
sierte Zivilgesellschaft mit ihren vielfältigen Aktivitäten,
auf Wirtschaft und Wissenschaft, auf Länder und Kom-
munen . Alle sind gefragt, eigene ehrgeizige Beiträge zu
definieren, die sie jeweils zur Verwirklichung der Agenda
leisten können .

Auf der Ebene der Europäischen Union wirbt die
Bundesregierung in Brüssel mit Nachdruck für eine neue
EU-Nachhaltigkeitsstrategie . Auf der Ebene der Verein-
ten Nationen wird das sogenannte Hochrangige Poli-
tische Forum zentraler Akteur bei der Überprüfung der
Umsetzung der Agenda sein . Deutschland wird mit gu-
tem Beispiel vorangehen und im Rahmen dieses Gremi-
ums bereits im nächsten Jahr als einer der ersten Staaten
weltweit seine Umsetzungsanstrengungen international
vorstellen .

Um alle Ziele zu erreichen, brauchen wir erstens effi-
ziente Strukturen . Auch im 70 . Jahr ihres Bestehens sind
die Vereinten Nationen durch ihre einzigartige Legitimi-
tät unersetzlich; aber auch sie müssen sich an die neuen
Herausforderungen anpassen . Deutschland wird sich in
den notwendigen Reformprozess aktiv einbringen .

Um alle Ziele zu erreichen, brauchen wir zweitens die
notwendigen finanziellen Ressourcen. Deutschland steht
zu seinen Verpflichtungen. Der Etat des Bundesentwick-
lungsministers wächst in den nächsten Jahren verlässlich .
Wir werden Milliarden mehr für Entwicklungshilfe aus-
geben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


Um aber sinnvoll Investitionen zu ermöglichen, müssen
wir auch privates Engagement fördern . Nur mit öffentli-
chen Mitteln werden wir das nicht schaffen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


In den nächsten Tagen werden wir all diese Fragen
in den Vereinten Nationen diskutieren . Gemeinsam mit
den ebenfalls nach New York reisenden Bundesministern
werde ich mich für die Lösung aktueller Fragen sowie
für die Bewältigung der langfristigen Herausforderungen
einsetzen . Dafür bietet uns die neue Agenda für nachhal-
tige Entwicklung eine gute Grundlage .

Meine Damen und Herren, um die großen Herausfor-
derungen unserer Zeit erfolgreich bewältigen zu können,
wird es entscheidend sein, dass alle Maßnahmen, alle
Ebenen und alle Institutionen sinnvoll ineinandergreifen .
Was wir auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebe-
ne tun können, besprechen wir heute und natürlich immer
wieder fortlaufend mit den Ministerpräsidenten der Län-
der . Was wir auf europäischer Ebene tun können, war am
Dienstag Thema bei den Innen- und Justizministern und
gestern bei den Staats- und Regierungschefs . Was wir auf
globaler Ebene tun können, besprechen wir in den kom-
menden Tagen in New York .

Die Bundesregierung wird auch in den kommenden
Wochen, Monaten und Jahren mit aller Kraft und auf
allen Ebenen darauf hinwirken, dass die erforderlichen
Entscheidungen getroffen und dann auch umgesetzt wer-
den . So wird es uns gelingen, auch die großen Aufgaben,
vor denen wir stehen, erfolgreich zu meistern .

Ich bin fest überzeugt: Die Chancen sind so viel grö-
ßer als die Risiken . Wir müssen sie nur erkennen und nut-
zen . Und wer, wenn nicht wir, hätte die Kraft dazu? Ich
bin überzeugt, dass wir das schaffen .

Herzlichen Dank .


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812400200

Ich eröffne die Aussprache . Für die Fraktion Die Lin-

ke erteile ich das Wort der Kollegin Sahra Wagenknecht .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812400300

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Frau Bundeskanzlerin, Sie selbst haben die Zahl genannt:
60 Millionen Menschen sind weltweit gegenwärtig auf
der Flucht . Viele von ihnen hatten ihre Heimat früher
in Ländern wie dem Irak, wie Afghanistan, Libyen oder
auch Syrien. Sie fliehen nicht vor Naturkatastrophen;
sie fliehen vor Terrorbanden wie den Taliban oder dem
IS, sie fliehen auch vor Assad, aber sie fliehen vor allem
vor den Folgen westlicher Politik; denn es waren die als
humanitäre Intervention maskierten Ölkriege der Verei-
nigten Staaten und ihrer europäischen Verbündeten, die
in Afghanistan und im Irak verbrannte Erde hinterlassen
haben und die Mördermilizen des IS und jetzt auch die

Taliban in Afghanistan erst wieder so stark gemacht ha-
ben, wie sie gegenwärtig sind . Und es waren westliche
Interventionen, die die staatlichen Strukturen in Libyen
zerstört und die auch in Syrien den Bürgerkrieg immer
weiter angeheizt haben . Und es sind nicht zuletzt deut-
sche Waffen, die in all diesen Ländern Tod und Schre-
cken verbreiten .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb: Wer von Flüchtlingen redet, der darf über Krie-
ge, Drohnenterror und Waffengeschäfte nicht schweigen .


(Beifall bei der LINKEN)


Werte Kolleginnen und Kollegen, wir werden das
Flüchtlingsproblem nicht durch weitere Einschränkun-
gen beim Asylrecht lösen und auch nicht durch Gefeil-
sche um europäische Quoten und schon gar nicht durch
neue Mauern und noch höhere Zäune . Wir werden es
nur lösen, wenn Europa endlich aufhört, die Vereinigten
Staaten dabei zu unterstützen, immer größere Teile des
Nahen und Mittleren Ostens in einen Brandherd zu ver-
wandeln . Das muss endlich aufhören .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Stattdessen müssen wir sie unter Druck setzen, endlich
den ihrer Verantwortung angemessenen Beitrag an den
Kosten zu leisten .


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Bundeskanzlerin, stoppen Sie sofort alle Waffen-
lieferungen in Spannungsgebiete,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


und erteilen Sie all denen eine Absage, die schon wieder
dafür trommeln, dass wir nun auch in Syrien mitbomben
sollen! Unter Bombenteppichen wächst kein Frieden,


(Beifall der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


sondern sie bewirken nur, dass noch mehr verzweifelte
Menschen zur Flucht gezwungen werden .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Also Russland raus aus Syrien? Soll Russland raus aus Syrien? Sie sind ja nicht nur auf einem Auge blind, sondern auf beiden!)


Nur eine kleine Minderheit der Flüchtlinge schafft es
bis Europa . Millionen leben unter unwürdigen Bedingun-
gen in den Lagern der Nachbarstaaten . Vor kurzem muss-
te die Welternährungsorganisation dort die Nahrungsmit-
telrationen halbieren, weil selbst der erbärmliche Betrag
von 27 Dollar pro Person und Monat nicht mehr finan-
zierbar war .

Ich muss sagen: Auch das, was jetzt als großes Ergeb-
nis des gestrigen Gipfels verkündet wird, nämlich dass
man 1 Milliarde Euro mehr an Mitteln zur Verfügung
stellt, ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein .
Das ist einfach lächerlich und unangemessen . Flüchtlinge
hungern, und ihre Kinder bekommen keine angemessene

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


Bildung, weil die reichen Länder Milliarden für Kriege
ausgeben, aber nur lächerliche Beträge für humanitäre
Hilfe. Ich finde, das ist eine Schande. Es zeigt auch sehr
deutlich die wirklichen Werte der gelobten westlichen
Wertegemeinschaft .


(Beifall bei der LINKEN)


Ja, viele von denjenigen, die auf der Flucht sind, flie-
hen auch vor wirtschaftlichem Elend und blanker Not .
Aber auch dafür sind die Industriestaaten mitverantwort-
lich . Frau Merkel, Sie haben hier sehr vieles gesagt, was
ich unterschreiben kann . Aber dann nehmen Sie doch
endlich die UN-Ziele zur Bekämpfung von Armut und
Ungleichheit ernst, und beteiligen Sie sich nicht länger
daran, armen Ländern Freihandelsabkommen zu diktie-
ren, die ihre Landwirtschaft und ihre Industrie zerstören,
die ihre Menschen arm und ihre Märkte zur Beute inter-
nationaler Konzerne machen! Das sind doch die Folgen .
Wenn Sie da nicht die entsprechenden Konsequenzen
ziehen, dann nützen all die schönen Worte hier nichts .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sie lernen nie etwas!)


Niemand sollte sich wundern, dass immer mehr Men-
schen ihre letzte Hoffnung darin sehen, sich auf den ge-
fährlichen Weg nach Europa zu machen . Dafür, dass die,
die bis nach Deutschland kommen, hier eine freundliche
Aufnahme finden, haben in den letzten Wochen vor allem
das großartige Engagement der vielen ehrenamtlichen
Helfer und die Spendenbereitschaft der Bevölkerung ge-
sorgt .


(Beifall bei der LINKEN)


„Wir schaffen das“, haben Sie, Frau Bundeskanz-
lerin, gesagt . Das klang gut . Dafür wurden Sie gelobt,
aber auch aus den eigenen Reihen kritisiert . Ich habe den
Eindruck, inzwischen hat Sie die Angst vor der eigenen
Courage befallen .


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Haben Sie gerade zugehört? Zuhören bildet!)


Zumindest muss man sehen, dass die Politik der Bundes-
regierung mehr und mehr in Kontrast zu Ihren warmen
Worten steht. Wir finden es unverantwortlich, Länder
und Kommunen mit dem übergroßen Teil der Integrati-
onskosten alleinzulassen . So organisiert man nicht Will-
kommenskultur, sondern Überforderung und Spannun-
gen .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie wissen doch, wie die Situation in vielen Städten
und Gemeinden ist, wie viele Krankenhäuser privatisiert
und wie viele marode Straßen nicht repariert wurden,
weil die Kassen gähnend leer sind . Sie wissen, dass die
meisten Bundesländer im Korsett der Schuldenbremse
Probleme haben, ihre ganz normalen Aufgaben zu erfül-
len . Jetzt kommen Hunderttausende in unser Land, die
Deutschkurse und Hilfe brauchen, Wohnungen, Bildung
für ihre Kinder und letztlich auch Arbeitsplätze . Wollen
Sie wirklich, dass Stadtkämmerer ihren Bürgern dem-
nächst erklären müssen, dass das öffentliche Schwimm-

bad leider nicht mehr zu halten ist, weil sonst die Miet-
zuschüsse für Flüchtlinge nicht gezahlt werden können?
Wollen Sie, dass die Finanzierung von Deutschkursen
gegen die Finanzierung von Bibliotheken aufgerechnet
wird? Wer so etwas zulässt, der vergiftet das Klima in
unserem Land .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die zusätzlichen Ausgaben des Bundes will Herr
Schäuble über Kürzungen in anderen Haushaltsposten
finanzieren. Ist der Bundesregierung nicht klar, dass sie
so die hiesige Bevölkerung, und zwar gerade diejenigen,
denen es nicht gut geht – die niedrige Renten, schlech-
te Löhne haben oder von Hartz IV leben –, in unverant-
wortlicher Weise gegen die Flüchtlinge ausspielt? Denn
nicht die Wohlhabenden, sondern vor allem die Ärmeren
werden betroffen sein, wenn zur Finanzierung von Integ-
ration andere Budgets gekürzt werden .


(Christian Petry [SPD]: Sich selbst erfüllende Prophezeiung!)


Nicht die Wohlhabenden, sondern die Ärmeren woh-
nen in den Wohngebieten, in denen in Zukunft auch die
Flüchtlinge nach Wohnungen suchen werden . Es ist kei-
ne irrrationale, sondern eine absolut plausible Angst, dass
dort dann die Mieten weiter steigen werden . Seit Jahren
werden in diesem Land kaum noch Sozialwohnungen
gebaut . Viele Gemeinden haben ihren Wohnungsbestand
privaten Renditejägern überlassen . Öffentliche Investiti-
onen in guten und erschwinglichen Wohnraum sind seit
Jahren überfällig, und sie werden mit jedem ankommen-
den Flüchtling dringender .

Natürlich sind es auch nicht die Spitzenverdiener, son-
dern diejenigen im ohnehin viel zu großen Niedriglohn-
sektor, die es zu spüren bekommen werden, wenn Un-
ternehmen Flüchtlinge für Lohndumping missbrauchen .
Auch das könnten Sie verhindern: durch Erhöhung des
Mindestlohns und Abschaffung der Ausnahmen, durch
Verbot von sachgrundloser Befristung, Leiharbeit und
Missbrauch von Werkverträgen . Es ist die verdammte
Verantwortung der Politik, dafür Sorge zu tragen, dass
die Integration nicht zu einer neuen Welle von Lohndum-
ping und Sozialabbau führt .


(Beifall bei der LINKEN)


Denn wer das zulässt, der nährt genau die Ängste und
Ressentiments, die rechten Hasspredigern den Boden
bereiten . Ist Ihnen, Frau Bundeskanzlerin Merkel, die
schwarze Null wirklich so heilig, dass Sie dafür in Kauf
nehmen, braune Nullen beim Stimmenfang zu unterstüt-
zen? Ich finde das unverantwortlich.


(Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Frechheit!)


Zumal Sie ja noch nicht einmal große neue Schulden
machen müssen . Ohne all die Steuergeschenke an die
oberen Zehntausend und ohne Ihre Untätigkeit bei der
Verhinderung von Steuerflucht hätten Bund, Länder und
Kommunen heute ganz andere Spielräume . Denn die
wirklich teuren Flüchtlinge sind nicht die, die vor Krieg
und Terror fliehen. Die wirklich teuren sind die Steuer-
flüchtlinge, die Konzerne und reichsten Familien, die mit

Dr. Sahra Wagenknecht






(A) (C)



(B) (D)


tausend Tricks die öffentliche Hand in Deutschland jedes
Jahr um bis zu 100 Milliarden Euro prellen .


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen: Sorgen Sie endlich für eine ordentliche
Besteuerung der großen Vermögen, und machen Sie die
Grenzen dicht für Steuerflüchtlinge,


(Beifall bei der LINKEN)


statt die Kosten für die Integration ausgerechnet auf den
Teil der Bevölkerung abzuwälzen, der schon in den letz-
ten Jahren durch Ihre Politik ständig an Wohlstand verlo-
ren hat! Ich bin überzeugt: Nur dann, wenn sich das Ge-
fühl „Es geht bei uns gerecht zu“ wieder einstellt, werden
wir es tatsächlich schaffen, die Integration zu leisten und
die Willkommenskultur zu erhalten .


(Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss sel I)

besser!)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812400400

Für die SPD-Fraktion erhält nun Thomas Oppermann

das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1812400500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch nach

Monaten ist die große Bereitschaft der Deutschen, Flücht-
linge bei uns aufzunehmen und freundlich zu behandeln,
ungebrochen . Der ehemalige polnische Botschafter Ja-
nusz Reiter spricht in einem Zeitungsbeitrag von einem
„Triumph der Menschlichkeit“ . Ich glaube, wir können
uns damit viel Respekt und eine große Wertschätzung in
der Welt erarbeiten .

Aber viele Bürgerinnen und Bürger sind auch verunsi-
chert . Sie sind verunsichert, weil so viele Flüchtlinge in
so kurzer Zeit kommen . Ich denke, die Menschen glau-
ben, dass wir es schaffen können, 800 000 oder 1 Mil-
lion Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren . Aber
sie fragen natürlich auch: Wie geht es weiter? Können
wir die Zahl der Flüchtlinge verringern? Kommen im
nächsten Jahr wieder 1 Million Menschen, oder werden
es sogar noch mehr? Wie verändert das unser Land, und
wie verändert das das Leben der Menschen in diesem
Land? – Die Ungewissheit erzeugt Angst, und ich finde,
diese Angst müssen wir ernst nehmen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb gilt es jetzt, mit aller politischen und finanzi-
ellen Kraft, zu der wir in der Lage sind, dafür zu sorgen
und dazu beizutragen, dass weniger Menschen die Flucht
ergreifen, sodass wir die Geschwindigkeit des Flücht-
lingszuzugs in Deutschland deutlich verringern .

Zuallererst müssen wir die Lage der Flüchtlinge in
den Nachbarländern Syriens verbessern . Viel zu lange
haben wir über die dramatische Verschlechterung der
Lage der Flüchtlinge dort hinweggesehen . Was Sigmar
Gabriel von seiner Reise nach Jordanien berichtet hat, ist

niederschmetternd . Die Menschen leben unter erbärmli-
chen Verhältnissen: Es gibt keine Zukunftsperspektive,
wegen Geldmangels muss das Welternährungsprogramm
die Rationen kürzen, es gibt keine Arbeit, die Hälfte der
Kinder geht nicht zur Schule, und in den Lagern ist von
einer verlorenen Generation die Rede .

Immer mehr Menschen sitzen jetzt auf gepackten
Koffern . Wenn wir die humanitäre Situation und die Bil-
dungsmöglichkeiten für Kinder in diesen Ländern nicht
schnell verbessern, dann werden sich viele auf die Reise
machen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das weiß man seit Jahren!)


Ich finde die Entscheidung der Staats- und Regie-
rungschefs von gestern Abend, mindestens 1 Milliarde
Euro bereitzustellen, gut . Das wird aber nicht reichen .
Deshalb ist es notwendig, dass die USA und die Golf-
staaten diese Summe verdoppeln .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir erreichen wollen, dass die Menschen ihre
Fluchtentscheidung noch einmal überdenken oder auf-
schieben, dann brauchen wir auch ein weiteres Signal der
Hoffnung . Ein starkes Signal für die Menschen wäre es,
wenn Russland und die USA gemeinsam mit den Europä-
ern und den Regionalmächten Gespräche aufnähmen, um
für Syrien eine Lösung zu finden.

Dass man mit Russland in der Syrien-Frage konstruk-
tiv zusammenarbeiten kann, haben wir im Sommer 2013
gesehen . Damals haben Russland, die USA und weitere
Staaten vereinbart, das syrische Chemiewaffenarsenal
unter internationale Kontrolle zu stellen . Auch die Bun-
deswehr hat einen wichtigen Beitrag zur Vernichtung der
Chemiewaffen geleistet . Das könnte eine Blaupause für
neue Syrien-Gespräche sein .

Ich bin Frank-Walter Steinmeier für seine Syrien-Ini-
tiative dankbar . Es ist gut, dass jetzt möglicherweise alle
an einen Tisch kommen . Vielen Dank dafür .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ebenfalls finde ich gut, dass die Bundeskanzlerin ges-
tern klar gesagt hat: Wir müssen auch mit Assad reden,
auch wenn das schwerfällt . Wir müssen mit allen reden,
die dazu beitragen können, dass dieser Konflikt gelöst
wird .

Natürlich kann sich niemand vorstellen, dass Assad
eine dauerhafte Rolle bei der Herstellung von Frieden in
Syrien spielen kann . Die meisten der 250 000 Toten die-
ses Bürgerkriegs gehen auf seine Verantwortung, und wir
wissen, dass ein Kriegsverbrecher nicht der Garant für
Frieden sein kann . Wir müssen jetzt aber mit allen reden,
um zu einer Befriedung dieses Konfliktes zu kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Sahra Wagenknecht






(A) (C)



(B) (D)


Eines steht für mich auch eindeutig fest, Frau
Wagenknecht – da bin ich ausnahmsweise Ihrer Mei-
nung; allerdings haben Sie kein Wort darüber gesagt, dass
Russland gerade Kampfflugzeuge nach Syrien gebracht
hat –: Eine Eskalation der militärischen Auseinanderset-
zung kann diesen Konflikt ganz sicher nicht befrieden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Nicht nur bei der Bekämpfung der Fluchtursachen,
sondern auch bei der Gestaltung einer neuen europäi-
schen Flüchtlingsordnung müssen wir die Unterstützung
aller Länder in Europa haben . Wenn wir Freizügigkeit
und offene Grenzen erhalten wollen, dann brauchen wir
sichere EU-Außengrenzen, und wir brauchen Aufnahme-
zentren in den Hauptankunftsländern Italien und Grie-
chenland .

Ich bin froh, dass der Europäische Rat bzw . die Staats-
und Regierungschefs gestern informell eine klare Ent-
scheidung für die Sicherung der Außengrenzen und die
Einrichtung von Hotspots getroffen haben . Die Siche-
rung der Außengrenzen wird aber nur dann funktionie-
ren, wenn wir auch legale Möglichkeiten des Zuzugs von
Flüchtlingen schaffen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Anders werden wir nicht in der Lage sein, den Zuzug der
Flüchtlinge besser zu steuern und vor allen Dingen den
Schleusern ihr menschenverachtendes Handwerk zu le-
gen .

Ich finde, Kontingente von Flüchtlingen zu überneh-
men, wie es Herr de Maizière formuliert hat, ist kein
schlechter Gedanke .


(Claudia Roth GRÜNEN]: Das hat er aber nicht gemeint!)


Die Resettlement-Programme der Vereinten Nationen
sind insbesondere für Frauen und Kinder oft die einzige
Möglichkeit, wirklichen Schutz zu finden. Deshalb soll-
ten wir darüber nachdenken . Dass Artikel 16 a Grundge-
setz davon nicht beeinträchtigt werden darf, halte ich für
selbstverständlich .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Europa muss seine humanitären Verpflichtungen
aus der Genfer Konvention erfüllen . Das geht aber nur,
wenn wir die Flüchtlinge in Europa fair verteilen . Dass
sich die Innenminister am Dienstag – wenn auch nur
mit Mehrheitsentscheidung – auf die Verteilung von
120 000 Flüchtlingen verständigt haben, ist ein erster
Schritt . Ich bin froh, dass auch Polen dem Kompromiss
zugestimmt hat . Bundesinnenminister de Maizière hat
daran entscheidenden Anteil gehabt .

Wir können aber natürlich bei diesem Kompromiss
nicht stehen bleiben . Bei der Flüchtlingsfrage brauchen
wir – genauso wie in der Griechenland-Krise – ein Min-
destmaß an europäischer Solidarität . Es steht nicht in
Einklang mit europäischem Recht, wie in den letzten

Wochen in Ungarn, Serbien und Kroatien die Flüchtlinge
hin- und hergeschoben worden sind .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Auch in der Slowakei!)


– Auch in der Slowakei, auch in Slowenien . – Noch im-
mer gibt es EU-Mitglieder, die eine solidarische Vertei-
lung der Flüchtlinge kategorisch ablehnen – ausgerechnet
die Länder, die so sehr von der Solidarität der Europäi-
schen Union profitieren. Tschechien bekam 2013 knapp
3,4 Milliarden Euro mehr, als es eingezahlt hat . Ungarn
verbuchte ein Plus von 5 Milliarden Euro . Wer so viele
Vorteile von der EU hat, der muss auch Verantwortung
übernehmen und helfen, um humanitäre Katastrophen
abzuwenden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn in Europa im Augenblick nur kleine Fortschritte
möglich sind, dann brauchen wir in der deutschen Innen-
politik einen großen Fortschritt . Heute Abend beim Tref-
fen der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten
werden die Grundlagen dafür geschaffen, dass wir in die-
sem Jahr 800 000 Flüchtlinge aufnehmen und versorgen,
aber auch integrieren können – jedenfalls die meisten
derjenigen, die bei uns bleiben werden . Diese Menschen
müssen in Kitas und Schulen . Wir brauchen Sprachkurse,
Lehrstellen, Arbeitsplätze und menschenwürdige Woh-
nungen . All das ist ein Kraftakt .

Was die Menschen deshalb zuallererst von uns erwar-
ten, sind ein tatkräftiges Krisenmanagement und eine zü-
gige Bearbeitung der Asylverfahren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Menschen, die bei uns Asyl suchen, brauchen schnell
Gewissheit, ob sie bleiben können oder nicht . Abgelehnte
Bewerber, die keine Perspektive haben, müssen schnell
in ihre Heimatländer zurückgeführt werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben bereits vor dem heutigen Treffen verabre-
det, dass der Bund die Kapazitäten in der Erstaufnahme
deutlich erhöht . Wir müssen aber auch die ungeregelte
Einreise der Flüchtlinge an den Grenzen wieder unter
Kontrolle bringen . Ich war in der letzten Woche in Passau
und habe mir das angesehen . Ich habe gesehen, wie die
Bundespolizei dort die Flüchtlinge an unterschiedlichen
Stellen aufgreift, sie einsammelt und auch registriert .
Das ist hervorragend organisiert . Vor allen Dingen geht
die Bundespolizei mit den Flüchtlingen respektvoll und
sensibel um . Ich muss sagen: Bei dem ganzen Durchein-
ander in dieser Krise, in der vieles nicht, jedenfalls noch
nicht, rundläuft, ist die Bundespolizei ein stabiler Faktor,
auf den man sich absolut verlassen kann . Deshalb bin ich
froh, dass wir hier 3 000 neue Stellen bewilligt haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


Aber die Registrierung, die zunächst durch die Bun-
despolizei erfolgt, wird anschließend noch einmal und
in manchen Fällen ein drittes Mal gemacht: Die Regis-
trierung der Polizei landet am Ende im Papierkorb, weil
die Erstaufnahmeeinrichtung sie noch einmal durchführt;
dann macht das BAMF diese Arbeit unter Umständen
noch einmal. Ich finde, wir können uns in diesen schwie-
rigen Zeiten doppelte und dreifache Arbeit nicht leisten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heute Abend geht es vor allem um die finanzielle Ent-
lastung der Kommunen und der Länder . Wir wollen, dass
sich die Finanzhilfe an der tatsächlichen Entwicklung
orientiert . Dabei geht es nicht um eine einmalige groß-
zügige Unterstützung, sondern es geht um eine auf Dauer
angelegte und dynamisch an der Zahl der Flüchtlinge ori-
entierte Mitfinanzierung des Bundes bei der Aufnahme
und Integration von Flüchtlingen .

Dabei handelt es sich um eine doppelte Integration:
eine Integration in unsere Gesellschaft und eine Integrati-
on in unseren Arbeitsmarkt . Bei der Integration in unsere
Gesellschaft ist klar, dass die Flüchtlinge das Wertesys-
tem, das unserer Verfassung zugrunde liegt, akzeptieren
müssen . Bei der Integration in den Arbeitsmarkt geht es
darum, dass die Flüchtlinge möglichst bald ihren Lebens-
unterhalt mit Arbeitseinkünften bestreiten können . Ange-
sichts dieser doppelten Integrationsanforderung ist es ein
Glücksfall, dass wir mit Frank-Jürgen Weise künftig je-
manden haben werden, der sowohl die Bundesagentur als
auch das BAMF leitet . Ich glaube, das wird gut .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch wenn wir gewaltig investieren müssen, dürfen
wir nicht nur die Belastungen sehen, sondern wir müssen
auch die Chancen für eine alternde Gesellschaft erken-
nen . Deutschland hat nach Japan die älteste Bevölkerung
aller Industrieländer . Ein Land, in dem schon heute über
1 Million Stellen vakant sind und über 40 000 Ausbil-
dungsplätze nicht besetzt werden können, ist auf Ein-
wanderung dringend angewiesen . Wir wollen die Flücht-
linge schnell in Arbeit bringen . Dabei müssen wir auf
eine Sache ganz besonders aufpassen, nämlich dass die
Flüchtlinge nicht eine billige Reservearmee für den Ar-
beitsmarkt werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Der Vorschlag, dass der Mindestlohn für Flüchtlinge aus-
gesetzt werden soll, ist unverantwortlich . Genau das dür-
fen wir nicht tun .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn jemand, der lange darauf warten musste, dass er
endlich 8,50 Euro in der Stunde verdient, sieht, dass
Flüchtlinge für 6,50 Euro die gleiche Arbeit anbieten,
dann muss er logischerweise Angst um seinen Arbeits-

platz haben . Genau das ist der Weg, diese Gesellschaft zu
spalten . Den sollten wir nicht gehen .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen ein kräftiges Wohnungsbauprogramm,
und zwar nicht nur für Flüchtlinge . Es gibt in Ballungs-
zentren und Universitätsstädten in diesem Land auch
unter Nichtflüchtlingen genügend Menschen, die auf der
Suche nach einer bezahlbaren Wohnung sind . Deshalb
ist ein Wohnungsbauprogramm die entscheidende Vor-
aussetzung für die Integration der Flüchtlinge, aber auch
für alle anderen auf der Suche nach menschenwürdigen
Wohnungen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Ich möchte kurz etwas zum Sicherheitsproblem sagen .
Der Kollege Hans-Peter Friedrich hat gesagt: Wir haben
die Kontrolle verloren .


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Er hat die Kontrolle verloren!)


Zigtausende strömen unkontrolliert ins Land . Wir
können nicht abschätzen, wer ein islamistischer Schläfer
ist .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich habe mehr Angst vor Nazis!)


Richtig ist, dass wir an den Grenzen die Kontrolle über
die einreisenden Menschen zurückgewinnen müssen .
Wir dürfen es nicht zulassen, dass die staatliche Ordnung
aus den Fugen gerät . Dass unter den Flüchtlingen auch
Islamisten sein können, kann niemand ausschließen .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und unter Demonstranten auch Nazis!)


Deshalb müssen wir auch wachsam sein . Aber für viel
gefährlicher halte ich es, wenn die 800 deutschen Got-
teskrieger, die auf der Seite des „Islamischen Staates“
kämpfen, wieder nach Deutschland zurückkehren .


(Beifall bei der SPD)


Ich sage Ihnen: Die allermeisten Menschen, die aus Sy-
rien kommen, haben die Nase gestrichen voll von Got-
teskriegern und gewalttätigen religiösen Eiferern . Damit
das so bleibt, sollten wir sicherstellen, dass die radikalen
Salafisten in Deutschland jetzt nicht die Betreuung der
Flüchtlinge übernehmen, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


So gesehen ist unsere Gastfreundschaft eine gute In-
tegrationspolitik und eine Investition in die innere Si-
cherheit . Muslime sagen vor laufenden Kameras: Die
Dschihadisten sagen uns, ihr seid Ungläubige; aber in
Wirklichkeit seid ihr es, die den Muslimen in Not hel-
fen . – So ganz nebenbei führen wir wahrscheinlich ge-
rade den effektivsten Kampf gegen den Islamismus, der

Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


möglich ist . Auch das sollten wir sehen, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Marieluise Beck NEN])


Es ist gut, dass inmitten der größten Flüchtlingskri-
se seit dem Zweiten Weltkrieg am Wochenende die
UN-Vollversammlung in New York stattfindet. Auf der
Tagesordnung steht die Verabschiedung einer nachhal-
tigen, weltweit gültigen Entwicklungsagenda, und die
Kanzlerin hat zu Recht darauf hingewiesen: Die Agenda
2030 richtet sich nicht nur an Entwicklungsländer, son-
dern sie verpflichtet alle Länder auf diesem Globus, ihre
Aufgaben zu erfüllen .

Wie viele Flüchtlinge in den nächsten 10 oder 20 Jah-
ren nach Deutschland und Europa kommen, hängt ganz
wesentlich auch davon ab, ob die Verhandlungen in New
York gut laufen . Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, wün-
sche ich Ihnen gutes Gelingen bei der UN-Vollversamm-
lung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812400600

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,

möchte ich darauf hinweisen, dass die heutige Regie-
rungserklärung und die Debatte zum ersten Mal live in
Gebärdensprache und mit Untertitelung im Internetange-
bot des Deutschen Bundestages übertragen werden


(Beifall)


und dass wir das in Zukunft für alle Kernzeitdebatten
und besondere Veranstaltungen im Bundestag als zusätz-
liches Angebot ermöglichen . Ich begrüße deswegen alle,
die davon heute zum ersten Mal Gebrauch machen, und
hoffe, dass Sie lange dabeibleiben .


(Beifall)


Nun hat der Kollege Anton Hofreiter für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812400700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie haben
früher öfters gesagt: Scheitert der Euro, dann scheitert
Europa . – Aus heutiger Sicht müssten wir eigentlich sa-
gen: Scheitern wir an einer humanen Flüchtlingspolitik,
dann scheitert Europa .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben selbst davon gesprochen, Frau Merkel, dass
weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind . Bei
dem Gipfeltreffen gestern haben sich die europäischen
Länder immerhin darauf geeinigt, 120 000 Menschen in
Europa zu verteilen . Jetzt kann man sagen: Ja, das ist ein
erster richtiger Schritt in die richtige Richtung . Aber an-
gesichts von 60 Millionen Menschen, die weltweit auf

der Flucht sind, sind 120 000 maximal ein Tropfen auf
den heißen Stein . Da muss doch noch viel mehr erfolgen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Angesichts dessen, was gerade in Ungarn passiert, wo
wir einen Regierungschef haben, der Flüchtlinge nieder-
knüppeln lässt – es gibt Bilder, auf denen sich Mädchen
weinend um ihre Mütter kümmern, weil sie von ungari-
schen Grenzpolizisten niedergeknüppelt und mit Tränen-
gas beschossen worden sind –, und angesichts dessen,
dass es eine Regierungspartei gibt, die, statt heftig dage-
gen zu protestieren, den dafür Verantwortlichen hofiert,
hätte ich mir von Ihnen, Frau Merkel, sehr, sehr deutliche
Worte gewünscht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist nicht so, wie viele behauptet haben – ich gebe
offen zu, dass ich selbst das ebenfalls vermutet habe –,
nämlich dass Sie, Frau Merkel, gar nicht zu klaren Wor-
ten in der Lage sind . Das dachte man lange Zeit . Aber Sie
haben in letzter Zeit den einen oder anderen klaren Satz
gesagt: „Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolg-
te kennt keine Obergrenze .“ Sie können also klare Sätze
sagen . Dann sagen Sie doch auch einen klaren Satz in
Richtung CSU und Herrn Seehofer,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sind unsere Freunde!)


einen Satz, der deutlich zum Ausdruck bringt, dass es so
nicht geht, dass man mit unseren Werten so nicht umge-
hen kann und dass das ein Herumtrampeln auf der euro-
päischen Wertegemeinschaft ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN )


Wenn man jetzt wieder auf Abschottungspolitik setzt,
dann schädigt man die europäische Wertegemeinschaft .
Dann haben wir vielleicht noch eine EU, aber eine EU,
die im Kern nichts mehr wert ist, weil wir unsere Werte
nicht verteidigen . Ich erwarte von Ihnen, dass Sie dafür
sorgen, dass die europäischen Werte verteidigt werden
und dass man nicht erneut auf Abschottungspolitik setzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir alle haben – ich muss traurigerweise sagen: in den
letzten Jahren – die schrecklichen Bilder davon gesehen,
was im Mittelmeer passiert, dass dort Menschen regel-
mäßig ertrinken . Deshalb hätte ich erwartet, dass beim
Gipfel etwas zu sicheren Wegen gesagt und Beschlüsse
gefasst worden wären, die es den Menschen ermöglichen,
den schrecklichen Bürgerkriegen in Richtung Europa zu
entkommen, damit sie nicht auf Schlepper angewiesen
sind und darauf, auf vollkommen unsichere Boote zu ge-
hen und sich in Lastwagen zu quetschen, in denen sie un-
ter Umständen ersticken . Wenn Europa wirklich zeigen
will, was es wert ist, dann sorgen Sie, dann sorgen wir
gemeinsam dafür, dass es sichere Wege nach Europa gibt

Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


und dass die Menschen nicht auf Schlepper angewiesen
sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie haben einen weiteren richtigen Punkt gesagt . Sie
haben gesagt: Wir müssen unbedingt das World Food
Programme ausreichend ausstatten . – Dieses Programm
soll nun 1 Milliarde Euro erhalten . Aber können wir uns
nicht darauf einigen, dass das in Zukunft vorausschau-
end passiert? Es ist dieses Jahr nicht das erste Mal, dass
dem World Food Programme das Geld ausgeht, dass die
Flüchtlinge hungern müssen und dass die Portionen auf
50 Cent pro Tag heruntergesetzt werden . Das ist bereits
letztes und vorletztes Jahr vorgekommen . Können wir
uns nicht wenigstens darauf einigen, wenn wir schon
nicht die ganz großen Krisen von heute auf morgen lösen
können, dass wir, das reiche Deutschland – es geht um
einige Millionen Euro; das ist für eine Privatperson viel
Geld; aber für uns als Bundesrepublik Deutschland ist
das leistbar –, rechtzeitig dafür sorgen, dass dieses Pro-
gramm ausreichend finanziert wird, bevor ihm das Geld
ausgeht . Das sollte der Mindestkompromiss sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Volker Kauder [CDU/ CSU])


Ich möchte ganz herzlich den Ehrenamtlichen danken,
die innerhalb Deutschlands Unglaubliches leisten und
sehr viel auf die Beine stellen .


(Beifall im ganzen Hause)


Man muss auch den Menschen in der öffentlichen Ver-
waltung danken, die zum Teil bis zum Anschlag arbeiten .
Aber deshalb ist es umso wichtiger, dass am heutigen
Nachmittag beim Gipfel mit den Ministerpräsidenten
wirklich realistische Lösungen herauskommen, Lösun-
gen, die wirklich tragen . Es dürfen nicht weitere Schi-
kanen beschlossen werden, und es darf keine seltsame
Symbolpolitik betrieben werden . Man sollte nicht glau-
ben, dass die Menschen nicht mehr aus Syrien flüchten,
weil nur noch ein Taschengeld gezahlt wird . Vielmehr
müssen echte Entlastungen für die Kommunen und ech-
te Hilfen für die Flüchtlinge beschlossen werden . Man
muss bestimmten bürokratischen Unsinn abschaffen,
zum Beispiel die Regelung, dass nach drei Jahren alle
anerkannten Flüchtlinge noch einmal überprüft werden .
Ich erwarte vom Gipfel am heutigen Nachmittag, dass
man die Probleme tatsächlich angeht, den Kommunen
und den Flüchtlingen hilft und dafür sorgt, dass die Ar-
beit der Ehrenamtlichen nicht entwertet wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Merkel, Sie haben auch vom Gipfel in New York
gesprochen, bei dem es darum geht, die Nachhaltigkeits-
ziele zu beschließen, die es dann zu erreichen gilt . Der
Gipfel in New York ist etwas Besonderes; denn wir be-
schließen diesmal Nachhaltigkeitsziele, die nicht nur für
die Länder des globalen Südens gelten . Bei den letzten
Millenniumszielen haben wir noch so getan, als ob sie
uns kaum etwas angingen, als ob sie nur für die armen

Länder des globalen Südens gelten würden und als ob bei
uns alles toll wäre . Das Besondere ist diesmal, dass die
UN und die reichen Länder anerkennen, dass die Nach-
haltigkeitsziele uns alle betreffen .

Frau Merkel, Sie haben davon gesprochen, dass wir mehr
Geld für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben wollen .
Es gibt das 0,7-Prozent-Ziel, das das erste Mal 1970 auf
UN-Ebene beschlossen wurde . Das ist das Jahr, in dem
ich geboren worden bin . Es ist also schon ziemlich lang
versprochen, dieses Ziel zu erreichen . Jetzt haben Sie
gesagt, zur Erreichung dieses Ziels sollen weitere Mil-
liarden Euro zur Verfügung gestellt werden . Aber wenn
ich mir die mittelfristige Finanzplanung des Bundes an-
schaue, dann stelle ich fest, dass der Anteil am Bundes-
haushalt, der zur Erreichung dieses Ziels zur Verfügung
gestellt wird, weiter bei 0,4 Prozent stehen bleibt . Des-
halb: Es hilft nicht, hier nur zu sagen, dass Milliarden
Euro mehr zur Verfügung gestellt werden sollen, sondern
das Ganze muss sich auch im Haushalt niederschlagen
und umgesetzt werden . Das ist es, was wir jetzt erwarten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Bärbel Kofler Immer wieder ist die Rede von der Bekämpfung der Fluchtursachen . Ja, sie ist richtig und wichtig . Auch wir sind der Meinung, dass die Fluchtursachen dringend bekämpft werden müssen . Es gibt auf der einen Seite die Fluchtursachen Krieg und massive Verfolgung . Zu deren Bekämpfung brauchen wir mehr diplomatische Initiativen, eine Stärkung der UN und ihres Systems . Aber es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Fluchtgründe. Aus Westafrika zum Beispiel fliehen Menschen, weil ihnen die Lebensgrundlage entzogen worden ist . Warum ist Menschen dort die Lebensgrundlage entzogen worden? Weil mit europäischem Geld, auch mit deutschem Geld, große Fischfangflotten dorthin fahren, die Meere leerfischen. Dadurch haben die Fischer dort keine Möglichkeit mehr, Fische zu fangen . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was glauben Sie, warum die Leute von dort fliehen?
Dennoch wird hier so getan, als wären es Wirtschafts-
flüchtlinge. Erst helfen wir mit, ihnen ihre Lebensgrund-
lage zu entziehen, und dann diffamieren wir sie hier als
Wirtschaftsflüchtlinge. So kann es doch nicht gehen; so
etwas muss man doch abstellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wenn wir in den letzten Wochen und Monaten wirk-
lich etwas gelernt haben, dann ist es, dass wir keine
Wohlstandsinsel sind und dass unser Wohlstand von den
Problemen der restlichen Welt nicht abgekoppelt ist .
Deshalb sollten wir gemeinsam dafür sorgen, dass es
nicht nur uns gut geht, sondern auch der restlichen Welt
und den zukünftigen Generationen gut geht; dann haben
wir eine richtige Politik gemacht, und dann haben wir
wirklich etwas geschafft .

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812400800

Das Wort erhält nun der Kollege Volker Kauder für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1812400900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Das, was uns zurzeit als Aufgabe gestellt ist, ist wahr-
scheinlich die größte Herausforderung im Nachkriegs-
deutschland . Wir hatten schon viele schwierige Aufgaben
zu lösen . Aber dies ist deswegen eine große Herausfor-
derung, weil wir es mit Menschen zu tun haben, die un-
tergebracht werden müssen, für die wir eine Perspektive
schaffen müssen; das ist die eine Gruppe . Außerdem ha-
ben wir es mit Menschen zu tun, die wir ebenfalls anstän-
dig und menschenwürdig behandeln müssen, aber denen
wir auch sagen müssen, dass sie in unserem Land keine
Zukunft haben können . Dies ist nicht immer einfach, und
trotzdem muss es geleistet werden . Beides muss von uns
allen geleistet werden . Es geht nicht, dass die einen glau-
ben, wir kümmerten uns nur um diejenigen, die bleiben
könnten, und ließen die anderen die andere, nicht minder
schwere Aufgabe allein machen . So geht es nicht in un-
serem Land . Beides ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Für beides müssen auch die Voraussetzungen ge-
schaffen werden . Der entscheidende Punkt ist, dass die
Menschen in unserem Land wissen: Es wird alles getan,
was möglich ist, um diese Aufgabe erfüllen zu können .
Auch ich weiß, dass es da Fragen gibt, dass es da Zweifel
gibt . Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich als
junger Beamter in einem Landratsamt mit einem großen
Andrang von Menschen zu tun hatte . Auch ich musste
damals Hallen belegen und mit Sportvereinen sprechen .
Ich erinnere mich, wie auch ich damals Fragen gehört
habe wie: Kann man das nicht einfach abstellen?

Da ist natürlich dann auch mal die Versuchung groß,
in diese Fragen und in das, was kritisch angemerkt wird,
einzustimmen . Aber ich kann Ihnen nur sagen: Das hilft
nichts . Die Menschen erwarten von uns in einer Situati-
on, wo sie Fragen haben und sich auch unsicher fühlen,
nicht, dass wir sie in ihrem Unsichersein bestätigen, son-
dern sie erwarten, dass wir ihnen sagen: Wir – Kommu-
nen, Länder und die Bundesregierung – haben die Kraft
in diesem Land, um dieses Problem zu lösen . – Das ist
die Ansage, die wir machen müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dafür gibt es natürlich mehrere Ebenen . Die Bundes-
kanzlerin hat von gestern Abend, Thomas de Maizière
hat von Anfang dieser Woche berichtet darüber, was man
auf der europäischen Ebene gemacht hat . Ich muss sagen:
Es sind richtige Schritte, aber für die Größe der Aufgabe

ist das, was erreicht worden ist, noch nicht groß genug,
liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte schon, dass die Menschen in unserem Land
von Europa nicht den Eindruck haben: In kleinen Dingen
ist Europa groß, aber in den großen Dingen ist Europa
klein . – Das kann nicht die Botschaft für Europa sein,
liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich höre und sehe ich das eine oder andere, was
in dem einen oder anderen Land stattfindet. Aber wenn
wir Lösungen wirklich weiter fortentwickeln wollen,
dann müssen wir immer alles betrachten . Ich höre, dass
an Ungarn Kritik geübt wird .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zu Recht!)


Da gefällt mir das eine oder andere auch nicht . Aber ich
muss Ihnen sagen: Ich habe kein Wort dazu gehört – auch
nicht aus der Fraktion unseres Koalitionspartners –, dass
es einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten der
Slowakei gibt, der Sachen sagt, die genauso unerträglich
und nicht akzeptabel sind .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Wir laden den aber nicht ein! – Weitere Zurufe von der SPD)

Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1812401000

- Ja, ja, es ist immer so: Die Wahrheit ist konkret, und das
muss im ganzen Umfang betrachtet werden . Ich habe es
mir gerade noch einmal angeschaut . Da ist gesagt wor-
den: Wir nehmen keine muslimischen Flüchtlinge, weil
wir keine Moscheen haben . Wir wollen nur Christen . –
Jetzt, wo man eine gemeinsame Lösung mit Mehrheit ge-
funden hat, wie es in der Demokratie üblich ist, sagt der
slowakische Ministerpräsident, er akzeptiere das nicht
und werde dagegen klagen . So wird es mit einem starken
Europa nichts . In beiden Fällen muss dies klar und deut-
lich gesagt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich wünsche der Bundeskanzlerin weiterhin viel
Kraft . Es ist nicht einfach für uns, diese Herausforderung
zu bewältigen .

Aber ich finde auch, dass dieses Land in einer Sache,
die doch ziemlich schnell und überraschend auf uns zu-
gekommen ist – natürlich gibt es ein paar, die das schon
letztes Jahr gewusst haben –, Enormes leistet . Aus eige-
ner Erfahrung – ich musste selber so etwas einmal ma-
chen – kann ich nur sagen: Ich habe großen Respekt vor
dem, was Thomas de Maizière leistet . Die Bundespolizei
gehört genauso in seinen Bereich wie das BAMF . Des-
wegen haben wir allen Grund, Thomas de Maizière dank-

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


bar zu sein für das Engagement, das er aufbringt, liebe
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin dem SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel
sehr dankbar dafür, dass er in der ihm eigenen klaren
Sprache die Kritik an Thomas de Maizière als Quatsch
bezeichnet hat . Ich wünsche ihm jetzt nur noch viel Er-
folg dabei, diese Erkenntnis bei seinen eigenen Truppen
wirklich durchzusetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Ich werde ihm dabei helfen! – Weiterer Zuruf des Abg . Swen Schulz – Ja, lieber Thomas Oppermann, wenn du mir zusagst, dass du dich daran beteiligst, dann ist das eine sehr gute Entscheidung . Herzlichen Dank dafür! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir schaffen also die Voraussetzungen, um weitere gute Ergebnisse zu erzielen . Jetzt muss ich einmal sagen, Herr Hofreiter: Es macht keinen Sinn, rein pragmatische Fragen ideologisch zu überhöhen . Wir sollten uns vielmehr danach richten, was jetzt notwendig ist . (Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


(Spandau) [SPD])


(Beifall bei der CDU/CSU)


Und wenn Sie – mit Recht – sagen, dass wir den Kom-
munen helfen müssen, die vor Ort die Verantwortung
haben – auch den Ländern, aber vor allem den Kommu-
nen –, dann würde ich Ihnen doch raten, den Experten,
die Sie in Ihren eigenen Reihen haben, nämlich Ihren
Oberbürgermeistern aus Baden-Württemberg, mal ein
bisschen besser zuzuhören . Die sagen Ihnen nämlich,
was gemacht werden muss . Boris Palmer hat es for-
muliert und zugleich gesagt, dass das für Sie noch ein
schmerzlicher Erkenntnisprozess werden würde . Okay .
Wenn man also schon eigene Oberbürgermeister hat, die
etwas Richtiges sagen, dann sollte man auch in Berlin
darauf hören, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Thomas Oppermann [SPD] – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle anderen Oberbürgermeister von uns sagen was anderes!)


Ja, Thomas Oppermann, auch ich finde, dass das
Ergebnis, das wir heute zu erwarten haben, natürlich
auch die finanzielle Seite mit einbeziehen sollte. Dabei
ist wichtig, zu berücksichtigen, dass derjenige, der die
Aufgabe erfüllt, auch die Mittel bekommt . Und in dem
Umfang, in dem der Bund bei den Erstaufnahmeplätzen
eigene Aktivitäten entwickelt, muss der Bund dafür auch
die Mittel erhalten . Und an den Stellen, an denen die
Kommunen die Aufgabe erfüllen, müssen die Kommu-
nen die Mittel erhalten . Da kann ich die Verhandler und
die Bundesregierung nur bitten, bei den Verhandlungen
heute Nachmittag darauf zu achten, dass dies auch ein-
tritt .

Meine bisherigen Erfahrungen sind folgende: Wenn
wir Geld für die Kommunen zur Verfügung stellen, dann
kommt es meistens nicht zu 100 Prozent bei den Kom-
munen an . Und wenn ich mir die Ausstattung der Kom-
munen anschaue, dann stelle ich fest, dass Bayern die
Kommunen jetzt schon zu 100 Prozent ausstattet .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich weiß ja, dass ihr bei Kritik an NRW besonders sen-
sibel seid .


(Christine Lambrecht [SPD]: An Hessen vielleicht!)


Aber die Wahrheit ist ja nie Kritik . Und es stimmt halt,
dass NRW seine Kommunen besser ausstatten muss, als
es das bisher gemacht hat .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Hessen auch!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich geht es
auch darum, dass wir angemessen reagieren . An die-
ser Stelle möchte ich schon darauf hinweisen, dass es
gar nicht in erster Linie um das Asylrecht geht – darü-
ber werden ja Diskussionen geführt ; denn nicht einmal
2 Prozent derjenigen, die zu uns kommen, erhalten nach
Artikel 16 a des Grundgesetzes Asylrecht . 98 Prozent der
anerkannten Flüchtlinge erhalten vielmehr nach der Gen-
fer Flüchtlingskonvention diesen Schutz .

Deswegen, glaube ich, muss man auch klar sagen:
Diejenigen, die vom Westbalkan stammen, haben we-
der nach der Genfer Flüchtlingskonvention noch nach
unserem Grundgesetz Anspruch auf Schutz . Sie haben
einen Anspruch darauf, dass ihr Asylantrag konkret ge-
prüft wird . Aber es muss auch klar sein, dass diejenigen,
die eine gute Perspektive haben, hierzubleiben, anders
behandelt werden müssen, was Leistungen, die wir für
Integration usw . gewähren, angeht, als diejenigen, die
übermorgen wieder in ihr Land zurückkehren müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Thomas Oppermann [SPD])


Dafür dürfen auch keine zusätzlichen Anreize gesetzt
werden . Dazu haben wir im Koalitionsausschuss gemein-
sam Ergebnisse erzielt .

Ich habe gehört, was gestern und heute Morgen dazu
gesagt wurde, und ich werde mir anhören, was heute den
ganzen Tag noch dazu gesagt wird . Ich kann nur sagen:
Wenn wir als Fraktionsvorsitzende im Koalitionsaus-
schuss stundenlang mit verhandeln und Ergebnisse erzie-
len, dann dürfen wir auch erwarten, dass diese Ergebnis-
se eins zu eins umgesetzt werden . Ich erwarte auch, dass
dieses heute Nachmittag geschieht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Thomas Oppermann [SPD])


Danach werden wir auch die Ergebnisse beurteilen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeskanzle-
rin hat auch von der Nachhaltigkeitsstrategie gesprochen,
die jetzt bei der UNO beraten wird . Diese passt natürlich
sehr gut in die konkrete Situation . Denn viele Probleme,

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


die im Zusammenhang mit dieser Nachhaltigkeitsstrate-
gie diskutiert werden, sind, wenn das entsprechende Ziel
bisher noch nicht erfüllt wurde, durchaus eine Fluchtur-
sache .

Ein Thema – vielleicht das schwerste; obwohl die an-
deren auch nicht einfach sind – wurde im Rahmen der
Diskussion über diese Nachhaltigkeitsstrategie noch
nicht erwähnt . Es gibt eine Reihe von Kolleginnen und
Kollegen, die am letzten Wochenende in New York da-
bei waren, als 150 Abgeordnete aus fast der ganzen Welt
auch über dieses Thema gesprochen haben . Es treiben
Menschen nämlich nicht nur Armut, Wassernot und viele
andere Dinge aus ihrem Land . Viele Menschen – auch
die aus Syrien, die im Augenblick die Hauptgruppe der
Flüchtlinge bilden – sind nicht in erster Linie wegen
Armut aus ihrem Land fortgegangen, sondern weil eine
verantwortungslose Terrorgruppe ihnen nach dem Leben
trachtet . Wenn Menschen in Syrien sehen, dass der IS
selbst Kindern die Köpfe abschneidet, dann werden sich
die Eltern überlegen, ob sie dort eine Perspektive haben
oder nicht .

Besonders dort, wo es keine staatliche Autorität mehr
gibt, sehe ich seit einiger Zeit eine ganz schlimme Ent-
wicklung . Dort sind die Menschen am meisten betroffen,
sowohl was die Religionsfreiheit als auch was andere
Menschenrechte angeht . Wenn es keine ordnende Kraft
mehr gibt, dann können Verbrecher und Terroristen mit
anderen Menschen machen, was sie wollen . Deswegen
gehören die Frage nach guter Regierungsführung und die
Frage „Was können wir tun, um so etwas zu verhindern?“
ebenfalls zur Nachhaltigkeitsstrategie .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daher ist es auch richtig, dass man mit Assad spricht .
Vielleicht hätte man schon viel früher ernsthafter darüber
reden müssen .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir haben das vorgeschlagen!)


Zu Ihnen komme ich gleich . Bleiben Sie mal ganz ruhig .

Vielleicht muss man noch öfter und noch eingehen-
der darüber reden – damit komme ich zu Ihnen, Frau
Wagenknecht; das gehört auch dazu –, dass nicht nur
Menschenrechte unteilbar sein müssen, sondern auch
die Wahrheit unteilbar sein muss . So zu tun, als ob die
Russen überhaupt keinen Beitrag zu den Irritationen in
Afghanistan geleistet hätten, ist schon eine Frechheit, um
es einmal so zu formulieren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Thomas Oppermann [SPD])


Sie stellen sich hierhin und fordern: „keine Gewalt
und keine Waffen“, sagen aber kein Wort zu dem, was
Russland unabgesprochen tut .


(Sabine Weiss es!)


Hat Russland nun Kampfhubschrauber und 1 700 Solda-
ten dort hingeschickt oder nicht? Ich habe ja gar nichts
dagegen, dass man gemeinsam überlegt, was man tun

kann . Aber sich dann als Russlandfreundin an diesem
Rednerpult im Deutschen Bundestag hinzustellen, ohne
zu sagen, was nicht in Ordnung ist, finde ich einfach
nicht wahrheitsgemäß .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie verdrehen mal wieder alles! Sie sind ein Meister des Verdrehens!)


Jetzt muss ich Ihnen einmal eines sagen: Wenn ich über
dieses Thema spreche, ist mir nicht zum Lachen zumute .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie mal lieber was zu Heckler & Koch!)


Das zeigt einiges, wenn Sie hier lachen können; das muss
ich auch einmal sagen . Mir ist da nicht zum Lachen zu-
mute .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zu Heckler & Koch, Herr Kauder! Da hört man gar nichts!)


Die Aufgabe ist schwer genug .

Wenn ich zum Beispiel Afrika betrachte und sehe, dass
aus Eritrea Flüchtlinge kommen und aus dem Nachbar-
land Äthiopien nicht, dann hat das natürlich auch etwas
damit zu tun, wer in diesem Land Macht ausübt . Ich mei-
ne, über diese Dinge müssten wir schon auch klar reden .


(Abg . Marieluise Beck NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Frau Kollegin Beck, normalerweise lasse ich keine Fra-
gen zu . Bei Ihnen mache ich eine Ausnahme .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das lässt ja tief blicken!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812401100

Das nehmen wir so zu Protokoll . – Bitte schön, Frau

Kollegin Beck .

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sie haben recht, wenn Sie auf die schützende Hand
von Staatlichkeit verweisen . Aber sind Sie auch bereit,
mit einzubeziehen, dass gerade in Syrien derzeit und
auch in der Vergangenheit der überwiegende Teil der
Menschen vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit ge-
flüchtet ist, die von der Staatlichkeit, die dort herrscht,
ausgegangen sind?

Kenneth Roth von Human Rights Watch hat uns für
diese Debatte noch einmal in Erinnerung gerufen, dass
das Assad-Regime vor allen Dingen durch den bewuss-
ten Einsatz von Fassbomben in zivile Bereiche hinein –
eindeutiger Bruch des Völkerrechts – einen wesentli-
chen Teil der Flucht ausgelöst hat . Insofern meine ich:
Wenn wir nach den Ursachen fragen und alle sagen, dass
Fluchtursachen bekämpft werden müssen, dann gehört
dazu der Dialog mit allen Seiten, aber auch eine klare
Sprache, wer wofür verantwortlich ist .

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1812401200

Frau Kollegin Beck, ich teile diese Auffassung hun-

dertprozentig . Deswegen habe ich auf das Beispiel Erit-
rea hingewiesen . Sie können dort noch so viele Food-Pro-
gramme machen, und doch wird sich nichts daran ändern,
dass die jungen Leute von dort verschwinden .

Ich habe gesagt, dass wir staatliche Gewalt brauchen,
die Ordnung schafft . Das muss ich noch einmal klar be-
tonen . Aber dies hat Assad nicht gemacht, sondern er hat
sein eigenes Volk bekämpft . Hier kommt die entschei-
dende Frage, von der ich sage, dass sie so verdammt
schwer zu beantworten ist: Hätten wir dort früher mehr
tun müssen? Müssten wir nicht häufiger in der UNO mit
heißem Herzen öffentlich darauf hinweisen, dass natür-
lich auch in Syrien Stellvertreterkriege stattgefunden
haben und dass es wahrscheinlich ein Vorteil gewesen
wäre, mit dem Iran schon viel früher zu Ergebnissen zu
kommen . Völlig richtig, völlig klar . Hier sieht man, dass
es manchmal schwer ist, in außenpolitischen Fragen vor-
anzukommen . Sie haben völlig recht .

Ich meine auch: Wenn alle miteinander – Putin und
die Amerikaner – zusammen zu einer Lösung kommen
können und mit Assad gesprochen wird, dann ist das der
einzige Weg . Wir sind uns sicher auch darin einig, dass es
sehr schnell eine ordnende Gewalt geben muss, sonst gibt
es in Syrien ein Verbluten von noch mehr Menschen, als
es ohnehin der Fall ist . Es reicht eben nicht – das haben
wir im Irak, in Libyen und anderswo gesehen –, dass eine
schlechte, schlimme Regierung geht . Man muss auch da-
für sorgen, dass dann in diesem Land Stabilität herrscht .

Jetzt kommt noch ein weiteres schwieriges Thema . Es
wird im Zweifel nicht allein aus der Luft möglich sein,
sondern es muss am Boden einiges getan werden . Jetzt
fragt mich Frau Göring-Eckardt sicher: Wollen Sie auf
einmal Bodentruppen entsenden, obwohl Sie doch etwas
ganz anderes gesagt haben? Ich sage: Nein, das will ich
nicht . Das machen wir auch nicht . – Bei der Klausurta-
gung des Fraktionsvorstandes hatten wir den jordani-
schen Außenminister zu Gast . Bei der Tagung in New
York, bei der es um Religionsfreiheit weltweit ging, ha-
ben sich dazu christliche und auch muslimische Theolo-
gen aus dieser Region geäußert . Sie sagen: Das ist nicht
eure Aufgabe, sondern es ist unsere Aufgabe . Die müs-
sen wir machen, nicht ihr im Westen müsst den IS in die
Schranken weisen . Das ist unsere Aufgabe . Die müssen
wir als Muslime annehmen .

Wenn Länder wie Jordanien sagen, dass sie das tun
müssen, dann müssen wir sie bei dieser Aufgabe unter-
stützen und ihnen helfen, dass sie diese Aufgabe bewälti-
gen können . Hier müssen wir auch sagen – ich will jetzt
niemanden von meinen Kollegen aus anderen Fraktionen
des Deutschen Bundestages zitieren –: Es gibt Situati-
onen, wo ISIS allein mit Worten nicht daran gehindert
werden kann, den Menschen die Köpfe abzuschneiden .
Das gehört auch zur ganzen Wahrheit, meine sehr verehr-
ten Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Hofreiter, als Sie die Fluchtursachen genannt
haben, habe ich Ihnen ausdrücklich Beifall gespendet .
Ich habe die Flüchtlingslager in Zaatari, aber auch in
Kurdistan gesehen . Ich habe im Übrigen sehr frühzeitig
hier im Deutschen Bundestag darauf hingewiesen: Wenn
es uns nicht gelingt, dafür zu sorgen, dass die Flücht-
lingseinrichtungen in Erbil und Dohuk besser ausgestat-
tet werden, dann kommen die Menschen ins Laufen . - Es
steht wieder ein Winter vor uns, und noch immer sind
Hunderttausende in dieser Region in Lagern . Wenn es in
diesem Winter nicht besser wird als im letzten, werden
sie sich natürlich überlegen, ob sie den nächsten Sommer
dazu nutzen sollten, sich auch auf den Weg zu machen .
Deswegen ist es richtig, dass wir Geld geben, damit das
World Food Programme weiterlaufen kann . Dazu muss
ich jetzt allerdings sagen: Wegen jedes kleinen Themas
kommen UNHCR und andere UN-Organisationen auf
mich zu; aber dass das Geld für das World Food Pro-
gramme ausgeht, haben sie mir nicht gesagt . Sonst hätten
wir uns früher darum kümmern können .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das haben sie letztes Jahr schon in unserem Ausschuss gesagt!)


Jetzt stimme ich Ihnen zu, dass wir dies selber aktiv
begleiten und beobachten müssen sowie dafür sorgen
müssen, dass Ernährung und Versorgung in den Lagern
sichergestellt werden, damit die Menschen nicht aus die-
sem Grund woandershin unterwegs sein müssen .

Dieses Unterwegs-sein-Müssen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, bedeutet für viele Menschen, vor allem
für Kinder, den sicheren Tod, bevor sie sich richtig auf
den Weg gemacht haben . Es wird sehr viel darüber ge-
sprochen, dass die Situation auf dem Mittelmeer unhalt-
bar ist und man die Flüchtlinge retten muss . Aber wenn
ich mir vor Augen führe, wie viele Menschen auf dem
Weg von Zentralafrika durch die Wüste bis nach Nordaf-
rika sterben, wie viele Menschen auf dem Weg von Erbil
oder Dohuk durch Krisengebiete sterben, dann muss ich
sagen: Wir müssen alles dafür tun das hat auch etwas
mit Menschlichkeit zu tun , dass die Menschen nicht auf
diesen gefährlichen Weg geschickt werden, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wie denn, Herr Kauder?)


Wir haben eine Reihe von Aufgaben . Ich kann nur
hoffen, dass sich Ministerpräsident Ramelow besser ein-
bringt - ich habe den Eindruck - als Sie von der Linken
hier im Deutschen Bundestag .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Machen Sie sich keine Sorgen!)


So ist es meistens: Wenn man konkret vor Ort Verantwor-
tung trägt, sieht es anders aus, als wenn man hier in der
Opposition in der ersten Reihe sitzt und ein bisschen vor
sich hin redet; das ist eine ganz andere Sache . Nein, wir
sagen den Menschen: Wir wissen, dass die Lage schwie-
rig ist, wir wissen, dass ihr es vor Ort auch nicht leicht
habt, aber wir wissen auch, dass wir in diesem Land die






(A) (C)



(B) (D)


Kraft und die Stärke haben, um diese Aufgabe zu meis-
tern .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812401300

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gehrcke

das Wort .


(Unruhe bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812401400

Schönen Dank, Herr Präsident . – Nicht aufregen! Das

müssen Sie jetzt ertragen .

Herr Kauder, ich bin wirklich dafür, dass jede Frak-
tion, jeder Abgeordnete über seine Fehler auch hier im
Bundestag offen redet .


(Sabine Weiss sagen ausgerechnet die Linken!)


Nur mit dem Finger auf andere zu zeigen, bringt über-
haupt nichts . Ich gestehe Ihnen – ich habe das schon
mehrfach hier im Plenum gesagt –: Es war ein Fehler
meiner Politik, den russischen Einmarsch in Afghanistan
zu rechtfertigen .


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Der Anfang von allem!)


Wir haben mehrfach darüber gesprochen; ich habe es nie
verhehlt: Es war ein Fehler .

Gerade weil wir in unserer Fraktion über diese Fehler
gesprochen haben, waren wir uns einig: Wir wollen diese
Fehler nicht mit anderen Argumenten wiederholen . Ge-
nau deshalb konnten wir ehrlich und überzeugt die NA-
TO-Intervention und das Vorgehen der USA in Afghanis-
tan kritisieren . Das halte ich für eine vernünftige Politik .

Jeder soll über seine Fehler reden; Sie haben viel über
unsere geredet .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn ich viel geredet hätte, wäre ich ja noch nicht fertig!)


Über die Fehler Ihrer Fraktion habe ich kein einziges
Wort gehört . Das ist eine gewisse Art der Selbstgerech-
tigkeit .

Was Syrien angeht, sage ich Ihnen: Viele meiner
Freunde in Syrien – ich habe sehr viele dort – haben über
Jahre, Jahrzehnte in den Gefängnissen von Assad geses-
sen . Wer die Haftbedingungen in Syrien kennt, kann .plä-
dieren – andere haben das gemacht –, Leute nach Syrien
auszuliefern; denn sie werden in den Gefängnissen dort
verhört und gefoltert . Auch darüber ist mal zu reden . Ge-
rade meine Freunde, die in Syrien in den Gefängnissen
waren, haben mir immer wieder gesagt: Man muss mit
Assad verhandeln, man muss eine politische Lösung her-
beiführen; eine militärische Lösung wird es nicht geben .

Ich finde, in dieser Art und Weise sollten die Frakti-
onen miteinander umgehen . Ich würde Sie sehr bitten:

Zeigen Sie nicht nur auf uns, sondern reden Sie auch über
Ihre eigenen Fehler . Wenn jeder über seine Fehler redet,
kommen wir ein Stückchen weiter .

Schönen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812401500

Das Wort erhält nun der Kollege Lars Castellucci für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1812401600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verbinden
heute zwei Themen miteinander, nämlich den Nachhal-
tigkeitsgipfel der Vereinten Nationen, auf dem globale
Entwicklungsziele für mehr Nachhaltigkeit verabschie-
det werden sollen, mit der Flüchtlingspolitik . Es ist sehr
gut, dass wir diese Themen miteinander verbinden; denn
die Ziele, die in New York verabschiedet werden sollen –
Armut endlich entschlossen bekämpfen, den Klimawan-
del erfolgreich bekämpfen, den Menschen Zugang zu
sauberem Wasser geben, Gleichberechtigung durchset-
zen –, sind nichts anderes als ein globales Programm zur
Bekämpfung von Fluchtursachen, und das ist genau das,
was wir heute brauchen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die angekündigten Beschlüsse halte ich für unglaub-
lich . Obwohl wir derzeit in der Welt ein großes Durchei-
nander erleben, obwohl so viel auseinanderläuft, schaf-
fen es alle Staaten der Welt, sich auf ein gemeinsames
Programm zu verständigen . Das ist eine gute Nachricht,
die wir nach draußen tragen müssen . Ich danke allen, die
vonseiten unserer Ministerien daran mitgewirkt haben,
die Verhandlungsergebnisse schon so weit vorzubereiten,
wie sie heute vorliegen .

Gestern hatte ich eine Schülerklasse zu Besuch, und
die hat die entscheidende Frage gestellt, nämlich: „Jetzt
habt ihr das alles aufgeschrieben . Aber passiert denn jetzt
auch etwas?“ Frau Bundeskanzlerin, ich nehme Sie beim
Wort . Sie haben eben gesagt: Das wollen wir jetzt ent-
schlossen umsetzen . Lassen Sie mich in diesem Zusam-
menhang drei Punkte nennen:

Erstens . Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie soll
im nächsten Jahr fortgeschrieben werden . Sie muss diese
globalen Entwicklungsziele aufgreifen, und sie muss zur
leitenden Strategie unserer Regierungspolitik werden .

Zweiter Punkt . Wir sehen bei der Flüchtlingspolitik,
dass wir alleine – als Politik, als Verwaltungen und als
Hauptamtliche – überfordert sind, die notwendigen Maß-
nahmen umzusetzen . Wir brauchen ein breites Bündnis,
um die großen Fragen unserer Zeit zu bearbeiten . „Alle
sollen einen Beitrag leisten können .“ – Ich möchte noch
einmal die Bundeskanzlerin zitieren . Wir brauchen, wie

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


wir das auch 1992 nach dem UN-Gipfel hatten, einen
Aufbruch für mehr Nachhaltigkeit, der die Zivilgesell-
schaft, die Wissenschaft, die Politik und die Wirtschaft
einschließt .

Dritter Punkt . Was würden Sie machen – da spreche
ich alle Kolleginnen und Kollegen, aber insbesondere
unsere Haushälter an –, wenn wir sagen würden: Um das
Thema Bundeshaushalt kümmert sich die Regierung al-
leine, wir nehmen ihn nur zur Kenntnis? Ich sage an die-
ser Stelle: Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie muss
eine Strategie für das ganze Land werden . Wir müssen
sie im Parlament beraten und beschließen .


(Beifall bei der SPD)


Zur Flüchtlingspolitik . Wir werden unserer Verant-
wortung gerecht, wenn wir auf unsere Sprache achten,
und wir werden unserer Verantwortung gerecht, wenn
wir beherzt handeln . Ich möchte noch einmal die Bun-
deskanzlerin ansprechen . Ich danke ihr ausdrücklich für
ihre Entscheidung, die Menschen, die in Ungarn festge-
sessen haben, ins Land zu lassen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Claudia Roth NEN])


Lassen Sie mich folgenden Satz zitieren: „Wenn wir uns
jetzt noch entschuldigen müssen dafür, dass wir in Not-
situationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das
nicht mein Land .“ Ich halte diesen Satz schon heute für
einen der wichtigsten Sätze ihrer Kanzlerschaft .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Gunther Krichbaum [CDU/CSU])


– Vielleicht könnte man an dieser Stelle den Beifall ge-
trennt ausweisen . Denn wenn ich nach Bayern schaue,
Frau Hasselfeldt und alle, die hier sitzen, muss ich schon
sagen: Dem Geist eines Klosters hätte eine prominente
Pfarrerstochter als Gast besser entsprochen als der Gast,
den Sie eingeladen haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE])


Noch ein paar Worte zu Herrn Orban, der uns mora-
lischen Imperialismus vorgeworfen hat . Wenn er damit
meint, dass wir glauben, dass Europa eine Wertegemein-
schaft ist, dann hat er sogar etwas verstanden .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist gesagt
worden, mit welcher Haltung wir nach draußen gehen
müssen . Herausforderungen sind dazu da, dass wir sie
annehmen . Krisen können auch Chancen bergen .

Wenn wir das so betrachten, dann können wir das
nicht nur schaffen, sondern dann können wir an dieser
Aufgabe auch wachsen . Mit dieser Haltung werden wir
weiterarbeiten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812401700

Heike Hänsel ist die nächste Rednerin für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812401800

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Die Weltgemeinschaft will am kommenden Wo-
chenende in New York neue Entwicklungsziele verab-
schieden. Alle Staaten wollen sich verpflichten, Armut
zu bekämpfen und eine nachhaltige Entwicklung und den
Schutz des Klimas zu befördern .

Nach wie vor 1 Milliarde Menschen, die hungern, und
zahllose Flüchtlinge, die nach Europa kommen, zeigen
uns, dass die herrschende Wirtschaftsordnung und die
politische Ordnung nicht dazu geeignet sind, für alle ein
menschenwürdiges Leben zu organisieren . Deswegen
brauchen wir eine neue Politik, um weltweit ein gutes
Leben für alle zu erreichen .


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Unsere Wirtschaft ist so anziehend!)


Frau Bundeskanzlerin, Sie haben heute viel über Ar-
mut gesprochen, aber Sie haben kein Wort zu dem im-
mensen Reichtum in der Welt, zu dieser Konzentration
von Reichtum gesagt . 86 Menschen auf der Welt besitzen
so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung . Ge-
nau deswegen fordern die Staaten des Südens, dass wir
endlich zu einer Politik der weltweiten sozialen Umver-
teilung kommen . Diese ist überfällig . Am besten fangen
wir mit den Milliardären hier in Deutschland an .


(Beifall bei der LINKEN)


Angesichts von 2,5 Billionen Euro Privatvermögen in
Deutschland muss ich sagen,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Mit Enteignungen habt ihr ja Erfahrung!)


dass die 1 Milliarde Euro der gesamten EU für die Flücht-
lingslager mehr als bescheiden ist . Da muss deutlich mehr
kommen . Deshalb müssen wir auch die Reichen für diese
Politik der Umverteilung zur Verantwortung ziehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Merkel, Sie haben auch nichts zur Handelspolitik
der Europäischen Union gesagt . Obwohl Entwicklungs-
hilfeminister Müller, der gerade auch nicht anwesend ist,
immer von fairem Handel spricht, habe ich nichts von Ih-
nen dazu gehört, ob vielleicht ein Überprüfen der europä-
ischen Handelspolitik notwendig ist, welche Auswirkun-
gen diese hat und wie sie sich konkret in Afrika auswirkt,
wenn Märkte geöffnet werden, wenn die afrikanischen
Länder gezwungen werden, ihre Zölle zu senken, wenn
im Grunde genommen mit den Wirtschaftspartnerschafts-
abkommen ein TTIP für Afrika verabschiedet wird .

So können wir nicht weitermachen . Wir müssen eine
andere Handels- und Wirtschaftspolitik entwickeln,
wenn wir einen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in der
Welt leisten wollen .

Dr. Lars Castellucci






(A) (C)



(B) (D)


Sie haben auch nur wenig zu den aktuellen Entwick-
lungen in der Außenpolitik gesagt . Die Friedensnobel-
preisträger haben zu viel mehr Abrüstung und dazu auf-
gerufen, die Ressourcen zu mobilisieren, um eine neue
soziale und gerechte Weltordnung zu finanzieren.

Was erleben wir aber im Moment? Wir erleben die
Gefahr einer neuen atomaren Aufrüstungsspirale mitten
in Europa . Modernisierte neue US-Atomwaffen werden
derzeit in Deutschland stationiert, konkret in Büchel in
Rheinland-Pfalz . Das ist eine brandgefährliche Politik .
Der Bundestag hat aber bereits 2010 beschlossen, dass
wir diese Atomwaffen abziehen wollen . Jetzt wird im
Oktober im Rahmen eines NATO-Manövers der Einsatz
dieser Atomwaffen trainiert . Diese Politik einer neuen
Aufrüstungsspirale, die so viele Ressourcen für mehr
Rüstung bindet, muss beendet werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Denn – und das fordern die Friedensnobelpreisträ-
ger – Friedenspolitik bekämpft Fluchtursachen und ist
der beste Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812401900

Das Wort erhält die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1812402000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

erleben in diesen Tagen immer wieder aufs Neue eine
überwältigende Hilfsbereitschaft, eine überwältigende
Solidarität von vielen Menschen im Land: in den Hilfs-
organisationen, von Mitarbeitern von Behörden, in den
Kirchen, von Privatmenschen, von den Sicherheitskräf-
ten, bei der Polizei, bei der Bundeswehr und vielen an-
deren Einrichtungen . Vor dem Hintergrund der Erfahrun-
gen, die ich in meiner Heimat unmittelbar gemacht habe,
darf ich sagen: Diese Hilfsbereitschaft und der Einsatz
der Beamten sowie der Mitarbeiter der Organisationen
ist in Bayern ganz besonders gefragt und ganz besonders
ausgeprägt gewesen; Sie haben das alles mitbekommen .
Bayern war in den letzten Wochen verstärkt gefordert .
Die bayerische Bevölkerung hat hervorragend gearbeitet
und hervorragend reagiert . Ich danke dafür sehr herzlich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Bevölkerung schon! Im Gegensatz zur Staatsregierung! – Gegenruf des Abg . Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Staatsregierung war spitze! Die Staatsregierung war die ganze Zeit am besten!)


– Lieber Herr Hofreiter, die Staatsregierung hat einen
maßgeblichen Anteil daran, dass das alles hervorragend
organisiert, durchgeführt und rechtsstaatlich ausgerichtet
wurde . Auch das gehört in diesem Kreis einmal gesagt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Staatsregierung ganz sicher nicht! Stadt München zum Beispiel!)


Zur Wahrheit über die Situation im Land gehört aber
auch, dass sich die Menschen – zu Recht – fragen: Wie
viel können wir noch schultern? Ist unsere Integrations-
kraft an der Grenze? Zur Wahrheit gehört, dass wir or-
ganisatorisch, personell und in manchen Bereichen auch
finanziell an der Grenze angelangt sind.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: 21 Milliarden Mehreinnahmen!)


Deshalb muss klar sein: Diese große Aufgabe der Bewäl-
tigung der Flüchtlingsströme kann nicht nur mit natio-
nalen Anstrengungen bewältigt werden, sondern das ist
eine globale Aufgabe, der sich alle Europäer in globaler
Verantwortung widmen müssen und für die globale Ant-
worten gefunden werden müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist gut – das ist der richtige Zeitpunkt –, dass an
diesem Wochenende der Gipfel der Vereinten Natio-
nen stattfindet, auch wenn dort nicht nur diese Frage im
Mittelpunkt stehen wird . Wenn wir Fluchtursachen be-
kämpfen wollen und eben nicht nur Symptome kurieren
wollen, dann müssen wir uns alle miteinander weltweit
um eine nachhaltige Entwicklung in allen Teilen der Welt
kümmern . Deshalb ist dieser Gipfel von ganz besonderer
Bedeutung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass sich gestern die Staats- und Regierungschefs und
am Tag zuvor die Innenminister auf europäischer Ebe-
ne intensiv mit dieser Problematik auseinandergesetzt
und intensiv um Lösungen gerungen haben, wenigstens
um Teillösungen, und dabei auch einiges erreicht ha-
ben, macht deutlich: Das geht nicht nur mit nationalen
Anstrengungen . Europa ist hier in besonderer Weise ge-
fordert . Ich unterstreiche ausdrücklich das, was Volker
Kauder vorhin gesagt hat: Europa darf sich nicht nur mit
allem möglichen Kleinkram beschäftigen . Wenn wir uns
so manche EU-Richtlinie und so manches Vertragsver-
letzungsverfahren anschauen, müssen wir sagen, dass
vieles davon angesichts der Probleme, die wir heute zu
bewältigen haben, Kleinkram ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Europa muss sich um die Sicherheit Europas, um die Be-
wältigung der Flüchtlingsströme, um die Sicherheit der
Menschen in den Krisengebieten und außenpolitisch um
die Bekämpfung der Fluchtursachen und nach Möglich-
keit auch um die Beseitigung der Krisen kümmern .

Dazu ist es notwendig, mit allen zu reden, offiziell, in
den Gremien, aber auch unter uns, auf Parteiveranstal-
tungen und in Fraktionsgremien . Deshalb war und ist es
auch richtig, dass die bayerische Landtagsfraktion der
CSU mit Viktor Orban gesprochen hat .


(Zuruf der Abg . Christine Lambrecht [SPD])


Heike Hänsel






(A) (C)



(B) (D)


Er ist ein Hauptbetroffener an der Außengrenze zu Euro-
pa . Wenn wir mit den Leuten nicht reden, wie sollen wir
dann die Probleme gemeinsam lösen?


(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Er ist das Problem! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Vielleicht sprechen Sie einmal mit der griechischen Regierung! Da kommen noch viel mehr Menschen an!)


Das Gleiche gilt natürlich für andere Situationen . Wir
haben vorhin viel über die Situation in Syrien gehört .
Insgesamt sind 60 Millionen Menschen weltweit auf
der Flucht, 12 Millionen allein in und um Syrien . Fünf
Jahre nach Beginn des Bürgerkrieges dort ist es an der
Zeit, den außenpolitischen Stillstand zu überwinden . Alle
müssen an einen Tisch . Ich bin sehr dankbar dafür, dass
dies auch von einer ganzen Reihe von Europäern erkannt
wird, dass Initiativen ergriffen werden, dass miteinander
gesprochen wird, dass miteinander gerungen wird, um
nicht nur in dem Land, sondern in der gesamten Region
Frieden zu erreichen . Ich weiß auch, und wir alle wissen,
dass das nicht von heute auf morgen geht, dass das nicht
schnell geht, dass wir einen langen Atem dazu brauchen,
aber ein Stillstand der Gespräche wird mit Sicherheit
nicht zur Lösung der Probleme führen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


95 Prozent der syrischen Flüchtlinge leben noch ir-
gendwo dort in der Region; sie sind in Flüchtlingslagern
im Libanon, in Jordanien untergebracht, und zwar zum
Teil unter katastrophalen Zuständen . Es ist vorhin ange-
sprochen worden: Die Mittel beim Welternährungspro-
gramm sind reduziert worden . Es ist dringend notwendig,
es ist ein Gebot der Moral, hier aufzustocken und mit
zusätzlichen Mitteln im Welternährungsprogramm, aber
auch mit einer Winterhilfe angesichts des jetzt nahenden
Herbstes und Winters zu helfen . Auch hier hat die Eu-
ropäische Union gestern meines Erachtens die richtigen
Zeichen gesetzt .

Es geht aber auch darum, dass wir nicht nur in den
Flüchtlingslagern, sondern auch in den Krisengebie-
ten insgesamt Zeichen dafür setzen, dass die Menschen
dort bleiben können . Es ist ein Gebot der Moral, diesen
Menschen dort in den Flüchtlingslagern zu helfen, und
es ist meines Erachtens ein Gebot der Klugheit, alles zu
tun, dass die Menschen in ihrer Heimat oder zumindest
in der Nähe ihrer Heimat, in ihrem Kulturkreis bleiben
können und nicht den weiten Weg woandershin gehen,
wo sie dann in fremden Kulturen und fremden Gebie-
ten völlig neu beginnen müssen, wenn sie überhaupt dort
ankommen und beginnen können . Das ist ein Gebot der
Klugheit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb möchte ich dem Bundesentwicklungsminis-
ter herzlich dafür danken, dass er mit einem neuen In-
frastrukturprogramm in den Flüchtlingsgebieten dafür
ein Zeichen gesetzt hat und setzt . Dadurch gibt es dort
neue Programme, die es ermöglichen, dass Zigtausen-
de Kinder in die Schulen kommen, die es ermöglichen,
dass die Stromversorgung und die Wasserversorgung für
Hunderttausende von Menschen in diesen Gebieten wie-

der gesichert sind, die es ermöglichen, dass Arbeits- und
Ausbildungsplätze geschaffen werden .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das können Sie nicht alles mit 1 Milliarde Euro machen!)


Das alles trägt dazu bei, dass die Menschen in ihrer Hei-
mat oder in der Umgebung ihrer Heimat bleiben können
und dort auch mithelfen können, ihre Heimat wieder
aufzubauen . Auch das ist weltpolitische Verantwortung,
ist humanitäre Verantwortung, ist Verantwortung für die
Menschen dort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben in den letzten zwei Wochen intensiv dar-
an gearbeitet, auch bei uns unsere Hausaufgaben im Zu-
sammenhang mit diesem Problem zu machen. Ich finde,
dass Gutes auf den Weg gebracht wurde, immer mit dem
Grundgedanken bzw . mit der doppelten Aufgabe, zum
einen im Zeichen von Humanität und Solidarität für eine
menschenwürdige Versorgung der Menschen, die zu uns
kommen, zu sorgen, und zum anderen aber auch deut-
lich zu machen, dass wir nicht alle Probleme dieser Welt
auf deutschem Boden lösen können und dass diejenigen,
die aus rein wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen,
nach einem rechtsstaatlich sauberen Verfahren wieder in
ihre Heimat zurückkehren sollten und dies auch von den
Ländern so praktiziert werden muss . Der Bund hat jetzt
die Weichen für schnellere Verfahren und alles, was dafür
notwendig ist, gestellt . Er wird auch die Weichen dafür
stellen, dass die Kommunen und die Länder bei der Be-
wältigung dieser Aufgabe nicht alleine gelassen werden,
meine Damen und Herren . Das haben wir in der Vergan-
genheit unter Beweis gestellt, und das werden wir auch
künftig tun .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das, was wir heute leisten, was unsere Gesellschaft
leistet, können wir deshalb leisten, weil wir stark sind:
stark durch eine solide Haushaltspolitik, stark durch eine
solide Investitionspolitik, stark durch Mitmenschlich-
keit, stark durch eine hohe Stabilität unserer Gesellschaft
und unseres Landes insgesamt . Damit wir in der Zukunft
stark bleiben, ist es aber notwendig, auch die Grenzen
der Integrationskraft zu sehen und klar zu erkennen, dass
wir nicht die Probleme der ganzen Welt bei uns lösen
können, sondern auch alles tun müssen, um Gerechtig-
keit, sowohl bei uns als auch in Europa, walten zu lassen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812402100

Das Wort erhält die Kollegin Claudia Roth für die

Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen .

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Lieber Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kolle-
gen! António Guterres hat es sehr deutlich gesagt: Das
akute und beispiellose Flüchtlingselend ist ein Symptom

Gerda Hasselfeldt






(A) (C)



(B) (D)


für den aktuellen Zustand der Welt, einer Welt, die in Un-
ordnung ist, einer Welt, in der wir die Auflösung der post-
kolonialen Staatenordnung erleben, einer Welt, in der die
Klimakatastrophe droht, die viele weitere 100 Millionen
Menschen zur Flucht zwingen wird, in der wir ein gi-
gantisches Artensterben und eine Vermüllung der Meere
erleben, in der die reichsten 80 Menschen genauso viel
haben wie 3,5 Milliarden Menschen . Es ist eine Welt, in
der noch nie so viele Menschen auf der Flucht waren; die
schlimmste Zahl ist vielleicht, dass darunter 31 Millio-
nen Kinder sind .

Wir erleben das Entstehen einer Weltgesellschaft,
wie Dirk Messner es ausgedrückt hat, wenn Klimakol-
laps, Ebola, Griechenland-Krise, Charlie Hebdo und
die derzeitige Fluchttragödie in unseren Hauptstädten,
in unseren Dörfern ankommen und uns so gezeigt wird,
dass die Probleme dieser Welt nicht mehr weit weg blei-
ben . Das wird auch jedem klar, der die Bilder von der
dramatischen Einreise nach Europa sieht, der sieht, wie
Menschen versuchen, über Stacheldrahtzäune von Ser-
bien nach Ungarn zu klettern, der sieht, wie sie in völlig
überfüllten Booten von Libyen oder von der Türkei aus
über das Mittelmeer kommen wollen, der die Bilder von
Zügen und Lastwagen sieht, mit denen Menschen inner-
halb Europas von Land zu Land geschickt werden .

Ich sage: Mein Europa ist nicht das Europa eines Vik-
tor Orban, der zum Dank für Mauern, Zäune, Tränengas
und für den Einsatz von Militär gegen Flüchtlinge von
der CSU ins Kloster Banz eingeladen wurde .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Er ist als Ehrengast eingeladen worden, als Ehrengast,
der rechtspopulistisch gegen Muslime hetzt, Stimmung
gegen Humanität und Menschenwürde macht und – mit
Verlaub – unflätig gegen Angela Merkel hetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Diese EU muss endlich gemeinsam Verantwortung
in der Welt und für die Welt übernehmen . Denn Europa
trägt mit seiner Menschenrechtspolitik, die gescheitert
ist, mit seiner Rüstungspolitik, seiner Handelspolitik,
seiner Fischereipolitik, seiner Ressourcenpolitik, seiner
Agrarpolitik und mit gebrochenen Versprechen, wenn es
um globale Gerechtigkeit und Klimaschutz geht, doch
dazu bei und hat eine große Mitverantwortung dafür,
dass überhaupt so viele Menschen gezwungen sind, ihre
Heimat zu verlassen .

Deutschland als reiches Industrieland in der EU trägt
eine ganz besondere Verantwortung . Genau darum geht
es bei der neuen globalen Nachhaltigkeitsagenda . Denn
anders als noch bei den Millenniumszielen steckt in den
SDGs das Wissen, dass die Welt nur dann gerechter wird,
wenn sich alle bewegen, also auch und zuerst die reichen
Industrieländer, also auch und mit zuerst wir .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eine wirkliche Nachhaltigkeitsagenda kann die Welt ge-
rechter machen . Sie ist damit auch eine aktive Fluchtur-
sachenbekämpfung und Konfliktprävention.

Ich warne aber davor, so zu tun, als sei Deutschland
schon jetzt Nachhaltigkeitsweltmeister . Wir sind näm-
lich weltspitze im Fleischverbrauch, in der Kohlever-
stromung und im Kleidungsverbrauch, und wir sind in
der Euro-Zone Meister in der sozialen Ungleichheit . Das
heißt, wir sind überhaupt nicht gut auf die Anforderun-
gen der globalen Nachhaltigkeitsagenda vorbereitet .

Weil es nicht schon wieder passieren darf, dass man
von der UNO am Wochenende nur feierliche Erklärun-
gen hört und dass Minister Müller, dem ich es wirklich
abnehme, dass diese 17 Ziele Herzensanliegen für uns
sind, nur gut gemeinte Worte spricht, haben wir Grünen-
fraktion 17 Anträge zu den 17 Zielen erarbeitet und ge-
zeigt, was zur Erreichung dieser Ziele für Deutschland
und für unsere Politik konkret notwendig ist . Wir haben
diese 17 SDGs aus dem Elfenbeinturm herausgeholt, her-
unterdekliniert und konkrete politische Handlungsanfor-
derungen daraus gemacht:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


für artgerechte Tierhaltung statt Massentierqual, für
Wohlstand statt blindem Wachstum, für eine faire Han-
delspolitik statt TTIP, für einen Stopp des Artensterbens
statt einer Überfischung der Weltmeere, für eine voraus-
schauende Friedenspolitik statt Rüstungsexporten, für
eine humanitäre Schutzverantwortung statt neuen Mau-
ern, für eine globale Partnerschaft und für das 0,7-Pro-
zent-Ziel, das endlich erreicht werden muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812402200

Frau Kollegin .

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Ich komme zum Schluss, lieber Herr Präsident . – Wir er-
warten jetzt, dass wirklich jede und jeder von Ihnen ge-
nau das Gleiche tut, nämlich herunterdekliniert und sagt,
welche Verantwortung die 17 Ziele für jedes Ministerium
mit sich bringen . Dann muss es an die Umsetzung gehen .
Nur dann ist diese Politik kohärent, und nur dann ist es
glaubwürdig, dass auch diese Regierung die Fluchtursa-
chen bekämpfen will .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812402300

Bärbel Kofler ist die nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)


Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1812402400

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Viele Vorredner sind auf das Thema
Flucht eingegangen, das uns alle berührt . Die Bilder, die
wir sehen, und die Situation, in der die Menschen dort
leben und die sie erleiden müssen, berühren uns, glaube
ich, alle – sowohl hier im Land als auch in Europa . Viele
Menschen müssen in den Flüchtlingslagern seit Jahren
unter wirklich schrecklichen Umständen existieren .

Das Entscheidende für dieses Wochenende und, ich
glaube, auch in dieser Debatte ist, dass wir uns dauer-
haft dafür einsetzen müssen, die Flucht von morgen zu
vermeiden .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Genau dazu dient der Nachhaltigkeitsgipfel, genau dazu
dienen die 17 Ziele . Es ist unsere Aufgabe, diese Ziele in
ganz konkrete Handlungsschritte und eine ganz konkrete
Politik zu übersetzen .


(Beifall bei der SPD)


Ich versuche, das einmal an ein paar Beispielen deut-
lich zu machen:

Wir haben 17 Nachhaltigkeitsziele aufgeschrieben .
Dabei geht es ganz global um die Themen „Extreme
Armut abschaffen“, „Bildung und Gesundheit für Men-
schen“, „Menschenwürdige Arbeit“, „Die Grenzen des
Planeten respektieren und einhalten“ und – das ist neu –
„Die Bekämpfung von Ungleichheit auf diesem Plane-
ten“ . Das halte ich für eine ganz zentrale Aufgabe dieses
Prozesses, die mit den SDGs verbunden ist . Daran kön-
nen wir uns nämlich messen lassen, ob es uns gelingt, die
Armut wirklich nachhaltig zu bekämpfen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Sabine Weiss In Ziel 10 geht es um das Thema Ungleichheit . Dabei geht es auch um die Staatlichkeit, also darum, dass Staaten existieren können, dass sie eine administrative, finanzielle und wirtschaftliche Basis haben, um ihren Menschen Schutz, Bildung und Nahrung bieten zu können und um Arbeitsplätze schaffen und wirtschaftliche Wertschöpfung erzielen zu können . Es muss uns gelingen, unser Verhalten hier in unseren Handelsbeziehungen zu ändern . Ich möchte das betonen: Wir brauchen verbindliche Standards in unseren Handelsverträgen mit unseren Partnern, mit denen wir Transparenz bei Rohstoffentnahmen, die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzrechten und Kernarbeitsnormen und das Verbot von Kinderarbeit einfordern . Das muss sanktionierbar und in all unseren Handelsverträgen verbindlich sein . Nur daran können wir uns messen lassen, ob wir hier einen Beitrag zur Bekämpfung der Ungleichheit leisten . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE] – Max Straubinger [CDU/ CSU)


Es geht also um das Ziel einer friedlichen, inklusiven
Gesellschaft, die Institutionen aufbaut – genau das ist in

den SDGs gefordert –, damit die Staaten ihren Menschen
all das bieten können . Was braucht man dazu als Staat?
Man braucht – das haben wir in den Haushaltsberatun-
gen erlebt – vernünftige Mittel und Einnahmen . Es geht
also auch um die Steuereinnahmen der Staaten und um
die Frage, wie wir Steuerflucht bzw. Steuerhinterziehung
verhindern können und welche Beiträge wir hier leisten,
damit Steuerhinterziehung den ärmsten Ländern der Erde
nicht die wirtschaftliche Grundlage für ihr Handeln ent-
zieht .


(Beifall bei der SPD)


Weiter geht es darum, menschenwürdige Arbeitsbe-
dingungen – Ziel Nummer 8 der SDG-Agenda – umzu-
setzen . Es geht darum, dass Menschen, die hart arbeiten,
von dieser Arbeit leben können . Die ILO hat Anfang die-
ses Jahres Zahlen herausgebracht, die uns alle erschüt-
tern müssen . Fast 900 Millionen Menschen auf diesem
Planeten arbeiten Vollzeit und verdienen unter 2 Dollar
am Tag. Das entspricht der Definition für Armut bzw.
extreme Armut . Das kann nicht das sein, was wir auf
diesem Planeten befördern, um Menschen aus Armut zu
erlösen . Wir brauchen vernünftige Arbeitsbedingungen
und Mindeststandards . Ich betone es noch einmal: Wir
müssen sie in Handelsverträgen verankern, sonst sind sie
nur auf dem Papier beschlossen .

Wir müssen uns in den nächsten Wochen und Monaten
darum kümmern, dass gute Messzahlen, gute Indikato-
ren und gute Implementierungsmechanismen entwickelt
werden, damit wir all das, was an diesem Wochenende
richtigerweise in New York von der Staatengemeinschaft
beschlossen wird, auch wirklich in Handeln umgesetzt
wird .

Die Nachhaltigkeitsziele sind ambitioniert und auch
komplex . Nun ist es sicher schwierig, sie immer wieder
in der öffentlichen Debatte am Leben zu erhalten; aber
sie sind unverzichtbar . Sie sind die einzige Chance, wenn
wir Elend, wie wir es heute in vielen Bildern aus Flücht-
lingslagern sehen, in Zukunft vermeiden wollen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812402500

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Schönen Vormittag von

hier aus. Es gab gerade einen fliegenden Wechsel. Ich
grüße Sie recht herzlich, grüße auch die Gäste auf unse-
rer Tribüne und rufe die nächste Rednerin in der Debatte
auf: Kollegin Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sabine Weiss (CDU):
Rede ID: ID1812402600

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren oben auf der
Tribüne! Wir haben es heute mehrfach gehört: „Fluchtur-
sachen bekämpfen“ . Der Begriff ist in aller Munde . Für
die Entwicklungspolitik allerdings sind weder dieser zu-
gegebenermaßen etwas sperrige Begriff noch die Zielset-
zung neu . Schon Bundesentwicklungsminister Spranger
sah in den 90er-Jahren angesichts des damaligen Flücht-
lingszustroms in der Entwicklungspolitik zu Recht ein






(A) (C)



(B) (D)


zentrales Mittel, um Fluchtursachen entgegenzuwirken .
Heute ist diese Zielsetzung der Entwicklungspolitik
drängender denn je .

Wir konnten gerade noch aus dem Munde der Kanz-
lerin hören, dass wir in den nächsten Jahren weiterhin
mit einer deutlichen Erhöhung der Haushaltsansätze im
Entwicklungsetat rechnen können . Dafür an dieser Stel-
le – sicherlich im Namen aller Entwicklungspolitiker –
herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich habe die Debatte heute verfolgt . Ein kurzes Wort
zu den Kolleginnen und Kollegen insbesondere von den
Linken, aber auch von den Grünen: Natürlich ist die Op-
position zur Kritik verpflichtet. Das ist die natürliche
Aufgabe der Opposition . Angesichts der vergangenen
Tage, Wochen und Monate sehe ich hier aber nieman-
den – und erst recht nicht bei Ihnen –, der auch nur im
Ansatz diese Leistung erbringen würde, die unsere Kanz-
lerin und andere Mitglieder der Bundesregierung in der
letzten Zeit erbracht haben und noch erbringen werden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Vor allen Dingen der de Maizière!)


Klar ist: Fluchtursachenbekämpfung – das haben wir
auch gehört – ist eine Gemeinschaftsaufgabe . Deshalb ist
es umso wichtiger geworden, dass die Vereinten Natio-
nen am Ende der Woche durch ihre Staats- und Regie-
rungschefs in New York die Nachhaltigkeitsagenda 2030
beschließen werden. Ich finde, es ist ein hoffnungsvolles,
ja vielleicht sogar in diesen Zeiten imposantes Zeichen,
dass sich die Vereinten Nationen – das sind immerhin
193 Länder – in einem drei Jahre andauernden Prozess
auf 17 Ziele mit 169 Unterzielen geeinigt haben . Zusam-
mengefasst ist dies ein grundlegendes Versprechen auf
ein menschenwürdiges Leben .

Wichtig ist auch, dass alle Länder – dieses Mal eben
Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländer – in die
Pflicht genommen werden. Wichtig ist auch, dass alle
Akteure, auch die Zivilgesellschaft, die Privatwirtschaft
und die Wissenschaft, ins Boot genommen werden und
den Kurs mitbestimmen können .

Interessanterweise kommt im Katalog der 17 Ober-
ziele und der 169 Unterziele das Wort „Flüchtling“ kein
einziges Mal vor . Dabei hätte dieses Wort sicherlich bei
jedem einzelnen Unterziel auftauchen können . Alle Ziele
und Maßnahmen, die die Lebensbedingungen der Men-
schen nachhaltig verbessern, sind eben ein Beitrag zur
Fluchtursachenbekämpfung . Genau dies leistet unser
Entwicklungsministerium seit seiner Gründung von 1961
bis zum heutigen Tag . Ich möchte nicht wissen – Dagmar
Wöhrl hat es letztens schon angesprochen –, wie unsere
Welt aussähe, wenn diese Arbeit nicht seit 54 Jahren ge-
macht worden wäre .

Auch unser Bundesminister Dr . Müller hat diese Ziel-
setzung der Entwicklungspolitik gerade durch seine Son-
derinitiative zur Fluchtursachenbekämpfung frühzeitig

ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt . Dafür gebührt
unserem Minister ein herzlicher Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auf den Punkt gebracht: Die Umsetzung der Nachhaltig-
keitsziele ist ein Schlüssel zur langfristigen Vorbeugung
von Flüchtlingskrisen .

Erlauben Sie mir, kurz auf ein Ziel einzugehen, das
mir besonders am Herzen liegt, nämlich die Stärkung
der Rechte von Frauen und Mädchen, damit Frauen
und Mädchen in Zukunft selbstbestimmt leben können .
Hierzu ein paar Aussagen zum aktuellen Zustand . In Ent-
wicklungsländern zum Beispiel sind es überwiegend die
Frauen, 80 Prozent, die für die Produktion der Nahrung
zuständig sind . Der Boden aber, auf dem die Nahrung
produziert wird, gehört überwiegend den Männern . In
vielen Entwicklungsländern verdienen arbeitende Frau-
en nur 60 bis 75 Prozent dessen, was arbeitende Männer
bekommen .

Entwicklungspolitik kann und muss künftig einen
stärkeren Beitrag dazu leisten, diese Ungleichheiten ab-
zubauen . Man könnte diese Liste unendlich lange fort-
führen, aber die Zeit dafür ist heute leider nicht da . Ich
wünsche mir, dass aus dem anlaufenden starken Mittel-
zuwachs ein substanzieller Teil in unseren Bereich flie-
ßen wird .

Ein starkes Signal für die Verbesserung der Situation
von Frauen hat auch das Gipfeltreffen führender Frau-
en aus 30 Ländern im Bundeskanzleramt letzte Woche
ausgesandt . Das ist angesichts der derzeitigen Situation
etwas untergegangen . Aber auch wegen solcher Initiati-
ven mitten in arbeitsreichen Zeiten gilt mein besonderer
Dank unserer Bundeskanzlerin für ihr Engagement in der
Entwicklungspolitik .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ab morgen – da bin ich sicher – wird sie beim New Yor-
ker Gipfel wieder eine führende Stimme sein .

Ich fasse zusammen: Die Agenda ist ambitioniert und
detailliert . Manche meinen, zu detailliert; andere ver-
missen Punkte . Diese Kritik ist bekannt und dennoch
kurzsichtig . 193 Länder auf dieser Welt haben sich auf
diese Agenda geeinigt . Das ist beachtlich und ein Erfolg .
Wir sollten diesen jetzt nicht zerreden . Es ist nun an uns,
diese Agenda mit Leben zu erfüllen . Wie wichtig und
dringend dies ist, erleben wir tagtäglich und immer mehr .
Gehen wir es also an!

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812402700

Vielen Dank, Kollegin Weiss . – Nächster Redner in

der Debatte: Carsten Träger für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Carsten Träger (SPD):
Rede ID: ID1812402800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Wir haben heute und die letzten Tage und

Sabine Weiss (Wesel I)







(A) (C)



(B) (D)


Wochen viel über Krisen und Kriege, Flüchtlinge und
Fluchtursachen debattiert und auch darüber, wie wir die-
se Herausforderungen stemmen können . All das ist rich-
tig und wichtig .

Trotzdem darf neben all dem eine wirklich gute Nach-
richt nicht untergehen . Am Wochenende werden die
Staats- und Regierungschefs auf dem UN-Gipfel in New
York 17 neue Ziele für eine nachhaltige Entwicklung
verabschieden . Sie werden gewissermaßen den Weltzu-
kunftsvertrag unterschreiben . Angesichts der schweren
internationalen Krisen ist es mehr als ein Lichtblick – es
ist fast ein kleines Wunder –, dass sich über 190 Staaten
der Welt auf diesen Zukunftsvertrag verständigen konn-
ten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dafür herzlichen Dank an Bundesumweltministerin
Barbara Hendricks und an den Minister Gerd Müller, die
das auf deutscher Seite verantwortlich begleitet haben!

In dem Vertrag verpflichten sich alle Staaten – das ist
das Neue: alle Staaten, und damit auch der sogenannte
reiche Norden – auf gemeinsame Entwicklungsziele .
Alle Staaten heißt: auch unser Land. Damit ist es offizi-
ell: Deutschland ist ein Entwicklungsland .

Wir erkennen an, dass auch wir als hochindustrialisier-
tes Land noch einen weiten Weg zu gehen haben . Längst
nicht bei allen 17 Zielen sind wir vorbildlich . Eine Stu-
die der Bertelsmann-Stiftung vergleicht den Stand der
Entwicklung der 34 OECDStaaten . Insgesamt schneidet
Deutschland mit Platz 6 sehr ordentlich ab, aber es lohnt
sich ein zweiter Blick, der ein differenzierteres Bild er-
gibt .

Während wir bei der Wirtschafts- und Beschäftigungs-
förderung mit führend sind und auch unsere Umwelt-
schutzanstrengungen ausdrücklich gelobt werden, ist der
Einsatz von Stickstoff und Phosphor eine ernsthafte Be-
drohung für die Nachhaltigkeit unserer Landwirtschaft .
Auch bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung durch
Feinstaub kommen wir nicht entscheidend voran . Das
sind nur zwei Punkte, die angepackt werden müssen, und
zwar ressortübergreifend .

Gegen Umweltschäden, die etwa eine überzogen in-
tensive Landwirtschaft anrichtet, kann keine noch so en-
gagierte Umweltministerin alleine erfolgreich angehen,
und der angesprochene Feinstaub entsteht in erster Linie
durch die Abgase von Autos und Lkws . Das müssen wir
angehen, und zwar alle gemeinsam .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind dafür gut aufgestellt: mit unserer nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie und einer ganzen Reihe von In-
stitutionen, die ihre Umsetzung begleiten, zum Beispiel
mit dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Ent-
wicklung, um den uns viele Nationen beneiden .

Wir sind in einer sehr guten Ausgangsposition . Nun
gilt es, die Nachhaltigkeitsstrategie im Lichte der Be-
schlüsse von New York weiterzuentwickeln und vor al-
lem anzupacken . Wir dürfen uns nicht zurücklehnen . Ich

nenne nur die Stichworte Klimaschutz und Biodiversität .
Mit einem Nachlassen drohen wir die Belastungsgrenzen
unseres Planeten zu überschreiten .

Sehr geehrte Damen und Herren, die heutige Debatte
hat gezeigt, wie umfassend die Herausforderungen sind –
international und national –, und sie zeigt mit dem Nach-
haltigkeitsgipfel nun einen Pfad auf . Ich bin überzeugt,
dass wir mit der gemeinsamen internationalen Arbeit an
der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele zwei Ziele errei-
chen können: Durch Verhandlungen finden Völker und
Nationen friedlich zueinander, und ein ganzes Bündel
von Fluchtursachen wird langfristig minimiert .

Es ist noch ein langer Weg, der vor uns liegt . Aber mit
dem Weltzukunftsvertrag von New York erreichen wir
einen historischen Meilenstein . Das ist die wirklich gute
Nachricht der heutigen Debatte .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812402900

Vielen Dank, Herr Kollege Träger . – Der letzte Red-

ner in dieser Debatte ist Jürgen Klimke für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1812403000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte der Bun-
deskanzlerin noch einmal ein ausdrückliches Danke-
schön dafür sagen, dass sie in dieser Debatte über die
Nachhaltigkeitsziele gesprochen hat, einerseits deshalb,
weil das ein gutes Signal für das Wochenende ist, und
andererseits dafür, dass sie auch persönlich in New York
dabei sein wird . Wir waren mit dem Unterausschuss Ver-
einte Nationen kürzlich in New York, und auch dort war
es schon ein Thema, dass dies ein hervorragendes Signal
ist .

Wir hatten in den vergangenen Monaten eine heterogene
Debatte zu der Tragfähigkeit der neuen Ziele . Für 2015
gab es acht Ziele, von denen nur zwei oder drei, wenn
überhaupt, richtig erreicht worden sind . Jetzt gibt es
17 Ziele mit 169 Unterzielen . Das ist eine Herausforde-
rung . Es geht auch nicht um einen Eckpunkt oder darum,
das Ganze jetzt zu beenden, sondern um eine Roadmap
bzw . eine Agenda für die nächsten Jahre . Es ist im Übri-
gen unsere Agenda . Es ist nicht nur eine To-do-Liste für
die Entwicklungszusammenarbeit, sondern wir müssen
alle dahinterstehen . Wir alle müssen als Entwicklungs-
politiker für eine kohärente Politikgestaltung sorgen,
zum Beispiel auch in unseren Ministerien . Wir müssen
die Verbände und die Wissenschaft, aber vor allem auch
die Privatwirtschaft und die Zivilgesellschaft einbezie-
hen; das ist ganz wichtig . Denn wir wollen mit den neuen
Entwicklungszielen nicht nur Armut und Krankheit be-
kämpfen – „nur“ ist relativ zu verstehen –, sondern auch
die Globalisierung sozial und ökologisch nachhaltig ge-
stalten und damit auch auf die akute Flüchtlingssituation
reagieren .

Carsten Träger






(A) (C)



(B) (D)


Wir wollen auch den Bereich der Geber- und der Neh-
merländer neu aufstellen . Wir wollen nicht mehr von
Gebern und Empfängern, sondern von Partnerländern
sprechen und damit der Eigenverantwortung aller Staa-
ten für die eigene Entwicklung einen höheren Stellenwert
geben; das begrüßen wir ganz ausdrücklich . Gleichzeitig
schreiben die neuen Ziele erstmals nachhaltige und glo-
bale Entwicklungsvorhaben für alle Unterzeichner vor .
Somit werden mit den neuen Zielen klare Erwartungen
an die bisherigen Geberländer insbesondere in den Be-
reichen Klimaschutz, Produktion und Konsumgewohn-
heiten formuliert .

Für die Erreichbarkeit und die Akzeptanz der Ent-
wicklungsziele kommt es darauf an – ich möchte das be-
tonen –, dass wir alle an einem Strang ziehen . Ob dies in
der Breite möglich sein wird, wird man in den nächsten
Jahren sehen . Für den schnellen Erfolg im Verhandlungs-
prozess war die Inflation von Zielen und Unterzielen
zwar ein gutes Rezept . Aber in der Umsetzung muss sich
das erst beweisen .

Deutschland ist eigentlich gut aufgestellt . Wir leisten
mit unseren Entwicklungsprojekten bereits sehr inten-
siv Hilfe vor Ort . Die Schaffung einer wirtschaftlichen
Grundlage in den Entwicklungsländern ist ein wichtiges
Instrument . Wer eine gute Arbeit in seiner Heimat hat
und für seine Familie sorgen kann, wird sich nicht auf
eine gefährliche und teure Flucht begeben . Wir müssen
zusätzlich nachhaltige und langfristige Investitionen täti-
gen, insbesondere im Bildungsbereich . Das duale System
ist ein Erfolgsschlager . Mit einer entsprechenden Koope-
ration in den Entwicklungsländern sorgen wir dafür, dass
Menschen eine berufsnahe Ausbildung bekommen und
damit für sich selbst Licht am Ende des Tunnels und eine
Zukunft sehen .

Lassen Sie mich noch ein Beispiel zur Einbindung der
Privatwirtschaft nennen, die Corporate Social Respon-
sibility, also die Unternehmensverantwortung . Unsere
Privatwirtschaft soll künftig unter fairen Bedingungen
in den Entwicklungsländern produzieren . Das von Mi-
nister Müller initiierte Bündnis im Textilbereich ist ein
gutes Beispiel dafür; denn hier handelt es sich um eine
Kooperation von Partnerländern, nämlich des Entwick-
lungslandes mit dem Land, aus dem das privatwirtschaft-
liche Unternehmen stammt . Das Entwicklungsland hat
die Verantwortung, soziale Standards, beispielsweise
vernünftige Arbeitsbedingungen für Frauen, zu schaffen .
Zudem binden wir die Verbraucher in Deutschland ein .
Erstens . Die Verbraucher sehen auf diese Weise, dass ihr
Geld, das Entwicklungsgeld, gut angelegt ist und „un-
ten“ ankommt . Zweitens können die Verbraucher, wenn
sie „social made“, also unter guten sozialen Bedingungen
produzierte Textilien kaufen, einen eigenen Beitrag dazu
leisten – genauso wie bei Bio- und Fairtradeprodukten –,
dass das soziale Engagement in den Entwicklungslän-
dern honoriert wird . Dies ist also ein hervorragendes
Beispiel für die Zusammenarbeit in den nächsten Jahren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich einen anderen Punkt ansprechen .
Wir haben an der Finanzierungskonferenz im Entwick-
lungsbereich in Addis Abeba teilgenommen . Dort haben

wir insbesondere von deutscher Seite besonders intensiv
neue Punkte angesprochen . Wir müssen funktionierende
Steuer- und Zollsysteme in den Entwicklungsländern vo-
ranbringen . Es kann nicht sein, dass bei uns die öffentli-
chen Einnahmen 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
ausmachen, während es in den Entwicklungsländern in
der Regel noch nicht einmal 10 Prozent sind . Nein, auch
da müssen Steuern gezahlt werden . Dafür müssen ent-
sprechende Systeme eingeführt werden . Zudem muss die
Korruption bekämpft werden; das ist in diesem Zusam-
menhang ebenfalls ein wichtiger Punkt .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir sind gut aufgestellt .
Deutschland hat in diesem Zusammenhang klare Be-
kenntnisse und klare Maßnahmen formuliert . Außer-
dem darf ich in Bezug auf Entwicklungsziele bis zum
Jahr 2030 sagen: Wir schaffen auch das .

Danke sehr .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812403100

Vielen Dank, Kollege Klimke . – Damit schließe ich

die Aussprache .

Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/6083 soll zur federführenden Beratung
an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung und zur Mitberatung an den Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union, an den
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, an den
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe,
an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit, an den Ausschuss für Wirtschaft und
Energie sowie an den Auswärtigen Ausschuss überwie-
sen werden . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Tagesordnungspunkte 3 b bis 3 r . Interfraktionell
wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa-
chen 18/6045 bis 18/6061 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall . Dann sind die Über-
weisungen der 17 Anträge so beschlossen .

Tagesordnungspunkt 3 s . Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Menschenrechte in der neuen Nachhaltigkeits- und
Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen stärken“ .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/5451, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5208 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlus-
sempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Dagegen gestimmt haben Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:

Jürgen Klimke






(A) (C)



(B) (D)


4 . a) Beratung des Antrags der Abgeordne-
ten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion Die Linke

Kettenbefristungen abschaffen

Drucksache 18/4098
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Arbeit und So-
ziales (11 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst,
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion DIE LINKE

Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur
Regel machen

Drucksachen 18/1874, 18/2783

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Der erste Redner in der Debatte ist für die Linke Klaus
Ernst .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812403200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Dieses Thema steht durchaus im Zusammen-
hang mit dem, was wir hier eben diskutiert haben, näm-
lich „Zuwanderung in unser Land“ . Ich möchte all denen
zustimmen, die in der vorherigen Debatte überfraktionell
darauf hingewiesen haben, dass die Menschen, die zu uns
kommen – als Flüchtlinge oder sonst wie –, keinesfalls
als billige Reservearmee auf dem Arbeitsmarkt benutzt
werden dürfen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das steht deshalb im Zusammenhang mit diesem
Tagesordnungspunkt, weil unser Arbeitsmarkt, wie Sie
alle wissen, in Unordnung gekommen ist . 2,7 Millionen
Menschen in Deutschland haben nur noch einen befriste-
ten Job . Ich kann mich erinnern: Es war einmal ganz nor-
mal – auch ich habe einmal etwas Anständiges gelernt;
viele andere hier ebenfalls –, dass man nach der Aus-
bildung – Kollege Rützel weiß es – einen unbefristeten
Arbeitsplatz erhalten hat . Heute sind fast 50 Prozent der
Neueinstellungen nur noch befristet . Davon sind über-
wiegend Junge und Frauen betroffen . Der Arbeitsmarkt
ist in Unordnung . Wir haben den Fakt hinzunehmen, dass
wir heute dreimal so viel befristet Beschäftigte haben wie
vor 20 Jahren . Meine Damen und Herren, das alles ist
nicht hinzunehmen, und es ist dringend notwendig, dass
wir das ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Warum stellen die Unternehmen zunehmend nur noch
befristet ein? Die Antwort ist sehr einfach: Sie wollen den
Kündigungsschutz umgehen, und die befristete Beschäf-
tigung ist eine Möglichkeit dazu, dass man letztendlich
den Betriebsrat bei Kündigungen außen vor lässt, dass
man das Kündigungsschutzgesetz bei Kündigungen au-
ßen vor lässt und dass man den Betroffenen den Rechts-
weg, gegen den Verlust des Arbeitsplatzes zu klagen,
nimmt . Auch das ist ein entscheidender Grund dafür, dass
wir sagen: Bei den Befristungen muss sich etwas ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Für die Betroffenen bedeutet ein befristeter Job, nicht
ein normales Leben führen zu können . Wer die Verhält-
nisse auf dem Wohnungsmarkt kennt, der weiß, dass oft
der Vermieter einen Arbeitsvertrag vorgelegt haben will,
dass ein Vermieter guckt: Der hat nur einen befristeten
Job . – Wenn man von der Bank einen Kredit will, ist es
oft viel schwieriger, einen solchen zu bekommen, wenn
man nur einen befristeten Job hat . Und: Wer gründet denn
schon eine Familie, meine Damen und Herren, wenn er
nicht weiß,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Genau!)


ob er in ein oder zwei Jahren, wenn sein Arbeitsvertrag
ausläuft, einen neuen Arbeitsvertrag bekommt und ob er
die Kinder, die er in die Welt gesetzt hat, dann überhaupt
noch ernähren kann? Deshalb sage ich Ihnen: Auch aus
familienpolitischen Erwägungen ist die Abschaffung
dessen, was wir zurzeit mit Befristungen erleben, ein Ge-
bot der Stunde .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Regierungsparteien halten immer gern die Fahne
der Tarifautonomie hoch . Richtig! Aber für die Tarifauto-
nomie brauchen wir selbstbewusste, im Zweifelsfall auch
streikende Arbeitnehmer; sonst funktioniert Tarifautono-
mie nicht . Das bedeutet, wir müssen uns überlegen: Wie
wirkt denn eigentlich ein befristeter Job auf die, die im
Betrieb die Tarifautonomie durchsetzen sollen, nämlich
auf die Beschäftigten? Da sage ich Ihnen – das wissen
Sie im Grunde auch selber –, dass sich einer, der einen
befristeten Job hat, natürlich kaum traut, sich zu wehren,
dass er kaum aufmuckt, wenn die Überstunden nicht be-
zahlt werden, dass er sich kaum bereit erklärt, bei einem
Streik mitzumachen, weil er damit rechnen muss, dass er
dann seinen Vertrag nicht verlängert bekommt, dass er
seinen Job verliert .

Meine Damen und Herren, wenn wir wieder Ordnung
auf den Arbeitsmarkt bringen wollen, muss die befriste-
te Beschäftigung eine absolute Ausnahme bleiben . Ja,
es gibt Gründe für Befristungen, die wir auch akzeptie-
ren . Als Krankheitsvertretung möglicherweise kann man
jemanden befristet einstellen, weil das nicht auf Dauer
ist . Das gilt auch bei Mutterschaftsvertretungen oder bei
Ähnlichem, auch bei Auftragsspitzen, wenn sie tatsäch-
lich begrenzt sind .

Wir erleben zurzeit aber etwas ganz anderes . Wir wis-
sen, dass es inzwischen eine ganze Reihe von Menschen
in den Betrieben gibt, die immer nur am selben Arbeits-
platz mit immer weiteren Befristungen beschäftigt wer-

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


den . Das sind die Kettenarbeitsverträge . Es gibt nur ganz
wenige Fälle, wo das sinnvoll sein kann . In der Regel
ist es nicht sinnvoll . Deshalb fordern wir auch: Kettenar-
beitsverträge dürfen nicht zulässig sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das beeindruckt uns sehr!)


Meine Damen und Herren, dass befristete Verträge in
großer Zahl zur Übernahme in einen festen Job führen, ist
ein Märchen . Vielmehr lässt sich feststellen: Je mehr Be-
fristungen in einer Branche, desto weniger Übernahmen
gibt es . Ich will ein Beispiel bringen . 2012 wurden im
Bereich Erziehung und Unterricht 76 Prozent der Neu-
eingestellten nur befristet eingestellt . Von denen wurden
nur 18 Prozent auf einen festen Arbeitsplatz übernom-
men, was bedeutet, dass die Arbeitgeber letztendlich die
Situation ausnutzen, die Möglichkeit der Befristung nut-
zen, um Dauerarbeitsplätze, unbefristete Arbeitsplätze
abzubauen . Das müssen wir per Gesetz verhindern .


(Beifall bei der LINKEN)


Wie kriegen wir wieder Ordnung auf dem Arbeits-
markt hin?

Erstens . Wir brauchen eine gesetzliche Regelung,
dass befristete Beschäftigung nur dann zulässig ist, wenn
es dafür einen ganz besonderen sachlichen Grund gibt .
Wenn es den Grund nicht gibt, darf auch nicht befristet
beschäftigt werden . – Erster Punkt .

Zweiter Punkt . Wir müssen bei den Sachgründen gu-
cken, ob wir tatsächlich akzeptieren, dass Erprobung ein
Befristungsgrund ist . Dafür gibt es andere Regelungen
in Tarifverträgen und im Gesetz . Wir müssen auch den
Grund „Befristung der Haushaltsmittel“ infrage stellen .

Meine Damen und Herren, ich weiß, dass auch viele
Sozialdemokraten und viele aus dem Arbeitnehmerflügel
der CDU das so sehen . Insofern hätten wir hier die Mög-
lichkeit, tatsächlich etwas Vernünftiges zu schaffen .

Ein letzter Punkt – das brennt uns auf den Nägeln –
ist die Kettenbefristung . Es kann nicht sein, dass immer
wieder derselbe Arbeitsplatz in einem Betrieb mit einem
befristet Beschäftigten besetzt wird . Das ist dann kein be-
fristeter Job, sondern das ist dann ein Dauerarbeitsplatz .
Deshalb müssen wir Kettenbefristungen verhindern .

Machen Sie mit uns mit! Schaffen Sie Ordnung auf
dem Arbeitsmarkt! Das nützt den Beschäftigten, das
nützt übrigens auch Ihren Wählern, und das nützt den
Menschen, die hier zuwandern .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812403300

Vielen Dank, Klaus Ernst . – Nächster Redner in der

Debatte: Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1812403400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute die Anträge der Fraktion Die
Linke zum Befristungsrecht bei Arbeitsverträgen, in de-
nen zum einen die Abschaffung der Kettenbefristungen
und zum anderen das unbefristete Arbeitsverhältnis als
Regelfall gefordert wird .

Die Überschriften dieser Anträge und die dazu ver-
fassten Begründungen erwecken den Eindruck, dass die
Gesamtsituation in Deutschland in dem Bereich der be-
fristeten Arbeitsverträge in Schieflage geraten ist und ein
gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht .


(Zurufe von der LINKEN: Ja! – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 50 Prozent der Neueinstellungen!)


Schaut man sich die vom Statistischen Bundesamt
ermittelten aktuellen Zahlen an und vergleicht diese mit
den Zahlen der Vorjahre, so stellt man fest, dass diese
Schieflage gar nicht besteht und ein gesetzgeberischer
Handlungsbedarf mitnichten vorliegt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dabei sei zunächst erwähnt, dass bei der Bewertung
der Gesamtsituation auf die Kernerwerbstätigen abzu-
stellen ist, da hierbei die Erwerbstätigen erfasst werden,
die sich nicht in Bildung, Ausbildung oder Freiwilligen-
diensten befinden. Es liegt in der Natur der Sache, dass
diese Beschäftigungsverhältnisse nur auf Zeit angelegt
sind . Bei deren Einbeziehung kann die Gesamtsituation
nicht korrekt dargestellt werden .

Schaut man sich also die Erhebungen des Statistischen
Bundesamtes für das Jahr 2014 an, so stellt man fest, dass
von den Kernerwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jah-
ren lediglich 6,9 Prozent befristet beschäftigt sind . Das
ist der niedrigste Stand seit 2005 – dem Jahr, in dem die
derzeitige, genauere Erhebungsmethode eingeführt wur-
de .

Zur Erläuterung . Bis einschließlich 2004 wurde vom
Statistischen Bundesamt die Anzahl der befristeten Ar-
beitsverträge lediglich in einer einzigen Woche, der so-
genannten Berichtswoche, erfasst; seit 2005 erfolgt die
Auswertung über das ganze Jahr verteilt . Da durch die
alte Methode die Zeiten im Jahr, in denen es aus saisona-
len Gründen jeweils eine erhöhte Anzahl von befristeten
Arbeitsverträgen gibt, nicht korrekt erfasst wurden, muss
man davon ausgehen, dass die Anzahl der befristeten
Arbeitsverträge vor 2005 zu niedrig ermittelt war . Dies
zeigt auch beim Wechsel von 2004 auf 2005 der Sprung
von 7,1 auf auf einmal 8,6 Prozent .

Geht man also davon aus, dass die Werte vor 2005 in
jedem Jahr um circa 1,5 Prozent zu niedrig ermittelt wur-
den und die Quote in der Zeit von 1991 bis einschließlich
2004 daher fälschlicherweise zwischen 6 und 8 Prozent
lag, während sie eigentlich zwischen 7,5 und 9,5 Prozent
hätte liegen müssen, kommt man zu dem Schluss: Wir

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


haben derzeit den geringsten Stand an befristeten Ar-
beitsverhältnissen seit 1991 .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das halten wir mal fest!)


Ich spanne diesen Bogen deshalb bis 1991 zurück,
weil die Fraktion Die Linke beide Anträge mit den Wor-
ten einleitet, die Zahl der befristeten Arbeitsverträge
bzw . der befristet Beschäftigten sei in den vergangenen
20 Jahren deutlich gestiegen bzw . habe sich verdreifacht .
Die dargestellten Zahlenbeispiele belegen aber eindeutig,
dass diese Aussage einfach nur falsch ist .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Aufgrund der gewählten Formulierung werde ich persön-
lich den Eindruck nicht los, dass Sie lediglich Panikma-
che betreiben und die Realität einfach nicht wahrhaben
wollen .

Lassen Sie es mich auch in absoluten Zahlen ausdrü-
cken: Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes
hatten wir in 2014 insgesamt 34 000 befristete Arbeits-
verhältnisse weniger als in 2005 – und das bei einem
zwischenzeitlichen Anstieg auf 9,2 Prozent, auf den ich
gleich noch eingehen werde .

Diese Entwicklung kann man im Ergebnis nur als
positiv bezeichnen . Diese Zahlen verdeutlichen auch
eindrucksvoll, dass die gewählte Überschrift des einen
Antrags der Fraktion Die Linke unzutreffend ist . Denn es
wird etwas gefordert, was schon existiert: Das unbefris-
tete Arbeitsverhältnis ist bereits jetzt die Regel, und zwar
nach der derzeitigen Rechtslage .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN)


Damit fällt auch die gesamte Begründung Ihrer Anträ-
ge in sich zusammen . Da das befristete Arbeitsverhältnis,
wie oben geschildert, nur den Ausnahmefall darstellt,
kann es seiner Bedeutung als Flexibilisierungsinstrument
in der Arbeitswelt eindrucksvoll nachkommen .

Das wird auch durch folgenden Vergleich deutlich: In
2005 lag die Quote noch bei 8,6 Prozent, und sie stieg
in den Folgejahren mit einer leichten Wellenbewegung
bis auf 9,2 Prozent im Jahr 2010 . In dieser wirtschaftlich
schwierigen Zeit haben die Unternehmen im Rahmen von
Neueinstellungen vorsichtig agiert, was durchaus nach-
vollziehbar ist . Seit 2010 zieht nicht nur die Wirtschaft
wieder an und erreicht neue Rekordwerte, sondern sank
auch die Befristungsquote stetig bis auf 6,9 Prozent in
2014 . Das zeigt doch eindeutig, dass das Instrument der
befristeten Arbeitsverhältnisse in der derzeitigen Form
unverzichtbar ist, um flexibel auf eine geänderte wirt-
schaftliche Lage reagieren zu können . Man kann doch
wirklich nichts dagegen haben, wenn in Krisenzeiten von
dem Flexibilisierungsinstrument Befristung mehr Ge-
brauch gemacht wird – das kann ja in besseren Zeiten
wieder rückgängig gemacht werden –, um so Menschen
in Arbeit zu halten . Gerade dafür ist es ja auch gedacht
und da .

Berücksichtigt man die geschilderte Entwicklung der
befristeten Arbeitsverhältnisse unter Berücksichtigung
der jeweiligen wirtschaftlichen Gesamtsituation, so
kommt man zu dem Ergebnis, dass die Unternehmen mit
dem Flexibilisierungsinstrument in der derzeitigen Form
bisher verantwortungsvoll umgegangen sind . Mit dieser
Feststellung kann ich natürlich nicht ausschließen, dass
in Einzelfällen Missbrauch getrieben worden ist bzw . ge-
trieben wird . Diese Fälle sind aber mit der derzeitigen
Rechtslage lösbar . Hierzu gilt es jedoch, die Gerichte
anzurufen . Einzelne Missbrauchsfälle dürfen in meinen
Augen nicht dazu führen, dass gesetzliche Regelungen
verschärft werden; denn damit verhindert man nicht die
Missbrauchsfälle . Man verhindert sie nur dadurch, dass
sie gerichtlich geklärt und sanktioniert werden .

Mit einer Verschärfung trifft man zuallererst diejeni-
gen, die sich redlich verhalten, und schränkt diese weiter
ein, da sie die neue Gesetzeslage umsetzen werden . Es
kann aber nicht das Ziel sein, den Großteil der Unter-
nehmen, die redlich handeln, durch schärfere Regelun-
gen zu bestrafen . Das ist auch nicht nötig . Zum Beispiel
gibt es zu der Thematik Kettenbefristungen – Herr Ernst,
Sie sprachen es an – eine umfangreiche Rechtsprechung,
die sehr einzelfallbezogen ist . Bisher hat die Rechtspre-
chung stets gerechte und vertretbare Entscheidungen ge-
troffen, auch wenn hierzu das eine oder andere Mal der
Instanzenzug voll ausgeschöpft werden musste . Damit ist
eventuell vorliegender Missbrauch sanktioniert worden,
sodass sich die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen
bestätigt haben . Auch angesichts der pauschalen und we-
nig substanziierten Antragsbegründung meine ich: Es
gibt keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf .

Neben der bereits geschilderten Flexibilisierungs-
funktion erfüllt die Befristung noch eine weitere Funkti-
on sehr deutlich: Die Befristung dient als Brücke in den
Arbeitsmarkt .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812403500

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung des Kollegen Ernst?


Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1812403600

Ja .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812403700

Gut .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Klaus, du lebst ja auch in einer Kettenbefristung!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812403800

Herr Oellers, ich habe Ihnen lange zugehört, auch Ih-

ren statistischen Ausführungen . Ich möchte Ihnen einige
ganz konkrete Fragen stellen: Ist es aus Ihrer Sicht in Ord-
nung, dass es nach der gegenwärtigen Rechtslage mög-
lich ist, am selben Arbeitsplatz – am selben Arbeitsplatz;
möglicherweise bis zu zwei Jahre lang – einen Menschen
befristet zu beschäftigen? Halten Sie es für akzeptabel,
dass dieser Mensch nicht nur im selben Unternehmen,
sondern auch von einem Unternehmen zum anderen im-

Wilfried Oellers






(A) (C)



(B) (D)


mer nur einen befristeten Job hat, wie es in meiner Re-
gion übrigens üblich ist, und sich damit nie selber eine
vernünftige Existenz aufbauen kann, weil er nie wirklich
weiß, ob er eigentlich in zwei Jahren noch einen Job hat?
Halten Sie es für richtig, dass inzwischen die Betriebs-
räte, wie wir wissen, in den Betrieben darum kämpfen
müssen, über Tarifverträge bzw . tarifvertragliche oder
betriebliche Vereinbarungen sicherzustellen, dass ihre
Auszubildenden dort beschäftigt und übernommen wer-
den? Das ist alles nach der gegenwärtigen Rechtslage
möglich . Jetzt möchte ich von Ihnen eigentlich nur eine
ganz einfache Antwort – ohne Statistik –: Halten Sie das
für okay, oder sind Sie bereit, mit uns daran mitzuwirken,
dass wir diesen Unfug beenden?


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Differenzierung ist der Feind der Ideologie!)



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1812403900

Herr Kollege Ernst, an der Stelle muss ich doch ein-

mal sagen: Wenn Ihre Einbringungen und Darstellungen
immer so substanziiert wären,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die ganze Zeit!)


wie sie emotional begleitet werden, dann wäre, glaube
ich, schon vielen geholfen . Sie selber haben die Anfrage
gestellt; ich berufe mich auf die Zahlen, die Sie in der
Antwort auf Ihre eigene Anfrage erhalten haben . Merk-
würdigerweise haben Sie diese Zahlen in Ihrer Rede gar
nicht erwähnt .

Ich habe gerade auch deutlich gemacht, dass es sicher-
lich Fälle gibt, die man sich genau anschauen muss .


(Zuruf des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


– Herr Ernst, das sind aber auch Einzelfälle . Die muss
man sich anschauen . Ich bin bei der derzeitigen recht-
lichen Lage davon überzeugt – das Beispiel Kettenar-
beitsverträge zeigt das auch; schauen Sie sich einmal die
Rechtsprechung an; es ging bis zum Europäischen Ge-
richtshof –: Die Rechtsprechung ist in der Lage, Miss-
brauch zu vermeiden . Nur, dann muss man es auch klä-
ren . Man kann nicht immer sagen: Wir wollen schärfere
gesetzliche Regelungen haben – ich habe alles das, was
ich jetzt wiederhole, gerade erwähnt –, um den Miss-
brauch in Einzelfällen einzudämmen . – Damit werden
Sie der Gesamtsituation nicht gerecht . Missbrauch möch-
te ich auch nicht; das möchte keiner . Aber Sie werden es
in allen gesetzlichen Lagen nicht erreichen, dass Sie kei-
nen Missbrauch haben . Den werden Sie immer irgend-
wo haben . Nur, diesen Leuten müssen Sie auf die Spur
kommen und sie entsprechend gerichtlich sanktionieren .
Dafür sind die Gerichte auch da .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür ist die Politik da!)


Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen . Wie ge-
sagt, ich sehe keinen gesetzgeberischen Handlungsbe-
darf . Die Zahlen, die ich gerade dargelegt habe, zeigen
das eindrucksvoll .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich darf dann fortfahren . Ich war bei der Brückenfunk-
tion am Arbeitsmarkt . Herr Ernst hat dazu auch schon
Zahlen genannt; ich kann diese Zahlen nicht bestätigen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist klar!)


– Das sind die Zahlen aus der Anfrage, die Sie gestellt
haben .

Bei weniger als 43 Prozent befristete Neueinstellun-
gen im Jahr 2014 lag die Übernahmequote bei 58 Pro-
zent . Diese Zahl haben Sie nicht erwähnt, Sie nannten
eine andere . Sie ist eindeutig nachgewiesen . Wenn man
berücksichtigt, dass der Anteil der befristeten Neuein-
stellungen 2005 etwa bei 40 Prozent lag und damit nur
marginal geringer war, aber eine Übernahmequote von
lediglich 39 Prozent vorhanden war, wird man eindeutig
sehen, dass wir auf einem positiven Weg sind .

Betrachtet man darüber hinaus die Entwicklung der
befristeten Arbeitsverträge in den jeweiligen Altersgrup-
pen, so stellt man fest, dass mit steigendem Alter der An-
teil der befristeten Arbeitsverhältnisse stetig sinkt . – Ihre
Anfrage, Ihre Zahlen .


(Zuruf der Abg . Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Liegt der Anteil in der Altersgruppe von 15 bis 24 Jah-
ren noch bei 21 Prozent, so sinkt er über die folgenden
Altersgruppen bis hin zur Altersgruppe von 55 bis 64 auf
3,7 Prozent . Beide Zahlenbeispiele zeigen deutlich, dass
die Befristung eine Hilfe für die Menschen ist, in Arbeit
zu kommen .


(Zuruf der Abg . Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Sie werden zunächst befristet eingestellt und zum größ-
ten Teil anschließend unbefristet weiterbeschäftigt . Da-
mit erfüllt die Befristung in der derzeitigen Form ihre
Brückenfunktion zum Wohle der Menschen in bemer-
kenswerter Weise und ist mit ursächlich für die niedrige
Arbeitslosigkeit . Genau das ist das Ziel, und das wird
auch erreicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ergänzend sei noch auf Folgendes hingewiesen: Mit
den oben genannten Werten liegt Deutschland im europä-
ischen Vergleich unter dem Durchschnitt; das sollte man
auch einmal heranziehen . Dies zeigt wiederum, wie sorg-
sam die deutschen Unternehmer mit diesem Instrument
umgehen . Darüber hinaus liegt die Befristungsquote in
der öffentlichen Verwaltung höher als im verarbeitenden
Gewerbe . Weiter ist auch zu berücksichtigen, dass ein be-
trächtlicher Teil der befristeten Arbeitsverträge im hoch-
qualifizierten Bereich zu finden ist, zum Beispiel auch im
Rahmen von Projektarbeiten .

Wie bereits erwähnt: Mit all dem Gesagten möchte ich
nicht ausschließen, dass es einzelne Fälle gibt, wo Miss-
brauch getrieben wird . Aber hiervor kann man in keinem
rechtlichen Gebiet sicher sein . Sollte ein Missbrauch
festgestellt werden, so muss er gerichtlich sanktioniert
werden; das steht außer Frage . Aber aufgrund solcher

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


Einzelfälle darf man nicht die gesamte derzeitige erfolg-
reiche Rechtslage infrage stellen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Befristete Arbeitsverhältnisse sind ein zentrales und
wichtiges Arbeitsmarktinstrument . Sie leisten einen
wichtigen Beitrag zur Flexibilität der Gesamtwirtschaft,
bauen Einstellungshürden ab und erhöhen die Jobchan-
cen . All dies kommt der Allgemeinheit, aber vor allem
dem einzelnen Menschen zugute . Ziel muss es sein,
Menschen in Arbeit zu bringen, natürlich am liebsten so-
fort unbefristet . Die Befristung trägt jedoch in ihrer der-
zeitigen Form einen erheblichen Teil dazu bei, dass das
Ziel eines unbefristeten Arbeitsvertrages erreicht wird .
Eine Gesetzesänderung ist daher nicht erforderlich . Das
ändert sich auch nicht durch das Haareraufen von Frau
Krellmann .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812404000

Vielen Dank, Herr Kollege Oellers . – Nächste Redne-

rin: Beate Müller-Gemmeke von den Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Die Betriebe brauchen natürlich ein
gewisses Maß an Flexibilität – das steht außer Frage –,
aber das Bedürfnis der Beschäftigten nach Sicherheit und
Perspektiven muss ebenso berücksichtigt werden . Genau
diese Balance stimmt für viele Beschäftigte nicht mehr,
wenn es um Befristungen oder Leiharbeit geht . Darüber
haben wir schon häufig debattiert, aber passiert ist nichts:
Wir warten noch immer auf den Gesetzentwurf zur Leih-
arbeit, und bei den Befristungen stellen Sie von der Uni-
on auf Durchzug . Die fehlende Balance können Sie nicht
weiter ignorieren; Sie müssen sie endlich ernst nehmen .
Herr Oellers, es geht nicht nur um Zahlen . Hinter jeder
Zahl stehen Menschen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Das ist völlig richtig, aber die Zahlen belegen das, was ich gesagt habe!)


Heute geht es wieder einmal konkret um die Befris-
tungen, und die sind und bleiben ein Problem . Auch die
Fakten sind längst bekannt: Befristet Beschäftigte sind
stärker von Arbeitslosigkeit bedroht . Sie machen sich
mehr Sorgen über Krankheit und über Armut im Alter .
Lebens- und Familienplanung ist nur begrenzt möglich .
Wer eine befristete Stelle hat, verdient häufig weniger
und hat auch kaum Chancen auf Weiterbildung oder Kar-
riere und Aufstiegsmöglichkeiten . Wie oft müssen wir
das eigentlich noch – wie auf einer steckengebliebenen
Schallplatte – wiederholen? Wann nehmen Sie das end-
lich zur Kenntnis?

Wir Grünen wollen die fehlende Balance wiederher-
stellen . Deshalb wollen auch wir die sachgrundlose Be-

fristung abschaffen . Im Detail sind wir an manchen Stel-
len anderer Meinung als die Linke – das ist bekannt –,
aber die Richtung stimmt . Deshalb werden wir heute dem
Antrag zustimmen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Damit sind aber nicht alle Verwerfungen aufgehoben;
denn manche Arbeitgeber missbrauchen auch die Mög-
lichkeiten der Befristung mit sachlichem Grund . Sie
setzen auf Kettenverträge, und darunter leiden die Men-
schen ganz besonders . Die Beschäftigten wissen manch-
mal erst zwei bis drei Wochen vor Vertragsende, wie es
weitergeht . Sie leben in einer permanenten Unsicherheit .
Sie haben aber die Gewissheit, dass sie jederzeit plötzlich
auf der Straße stehen können . Das bedeutet Stillstand im
Leben der Betroffenen . Sie haben keinerlei Zukunftsper-
spektiven, und das geht gar nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Und doch gibt es genügend Beispiele dafür, dass Be-
schäftigte über Jahre die gleiche Tätigkeit, zum Teil so-
gar am gleichen Arbeitsplatz, ausüben, und zwar immer
befristet . Bei der Deutschen Post AG gab es mal wieder
den krassesten Missbrauch: 17 Jahre und 88 Arbeitsver-
träge für eine Postbotin – und nach einer Krankheit war
dann Schluss . Das ist nicht akzeptabel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Uwe Lagosky [CDU/CSU])


Das ist rechtsmissbräuchlich, und das sieht die Recht-
sprechung mittlerweile auch so . Die Beschäftigten kön-
nen also klagen und feststellen lassen, ob es überhaupt
einen Befristungsgrund gibt, und, wenn nein, entsteht ein
unbefristetes Arbeitsverhältnis .

Herr Oellers, Sie sagen: Es gibt diese Gerichtsurtei-
le, und das reicht aus . – Nein, sage ich, natürlich nicht!
Denn das ist ein steiniger Weg, und viele Beschäftigte
schrecken davor zurück . Vor allem darf sich Politik nicht
so aus der Verantwortung stehlen . Das wäre ein Armuts-
zeugnis . Der Schutz vor Kettenverträgen ist nicht Aufga-
be der Richter, sondern Aufgabe der Politik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Linke schlägt nun vor, dass eine Befristung mit
sachlichem Grund nur zweimal zulässig sein soll . Ich bin
mir nicht sicher, ob es nicht doch immer wieder beson-
dere Konstellationen geben kann, in denen diese zwei
Befristungen zu wenig sind . Das wäre dann eventuell
zum Nachteil der betroffenen Beschäftigten . Vor allem
liegt bei mir aktuell eine Petition auf dem Tisch: In einem
Konzern mit zwölf eigenständigen Gesellschaften gibt es
Kettenverträge, das heißt, da werden die Beschäftigten
immer weitergereicht . Mit der vorgeschlagenen Rege-
lung könnte dort eine Person 24 befristete Arbeitsver-
träge erhalten . Der Vorschlag verhindert also den Miss-
brauch in Konzernen eher nicht .

Sie merken: Ich bin noch unsicher . Deshalb werden
wir den Antrag der Linken bei uns in der Fraktion noch
einmal intensiv beraten . Wir werden auch im Ausschuss,

Wilfried Oellers






(A) (C)



(B) (D)


hoffentlich in einer Anhörung mit Expertinnen und Ex-
perten, darüber diskutieren .

Mein Fazit heute ist: Ja, wir brauchen Regelungen,
aber sie müssen gut überlegt sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das finde ich auch!)


– „Wir brauchen Regelungen“, habe ich gesagt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach, so! Ich dachte: „Gut überlegt“!)


Eines ist mir noch wichtig . Es gibt viele Betriebe, die
mit der Möglichkeit der Befristung verantwortungsvoll
umgehen . Neue Regelungen sind nur notwendig, weil
manche Unternehmen jeglichen Anstand verloren haben
und alle Gesetze dehnen und ausnutzen, immer zum eige-
nen Vorteil und ohne jegliche Empathie für die Beschäf-
tigten . Auch eine neue gesetzliche Regelung wird diese
Unternehmen wenig beeindrucken . Sie werden weiterhin
Zeitverträge abschließen, dann halt mit immer neuen
Personen. Sie werden wieder neue Schlupflöcher suchen
und nutzen . Gesellschaftliche Verantwortung ist für sie
ein Fremdwort . Ich meine, das darf niemand in diesem
Haus akzeptieren . Deshalb erwarte ich, dass auch Sie, die
Regierungsfraktionen, etwas gegen diese Kettenverträge
unternehmen; denn die Menschen leben nicht, um zu ar-
beiten, sondern sie arbeiten, um gut zu leben .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812404100

Vielen Dank, Kollegin Müller-Gemmeke . – Nächste

Rednerin für die SPD: Gabriele Hiller-Ohm .


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1812404200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, auch auf

den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen
der Linken! Bei Ihren vorliegenden Anträgen fühle ich
mich an einen Song von Cindy & Bert erinnert,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ach, wie süß!)


den Sie sicherlich alle noch kennen werden:


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, klar!)


Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Ernsthaft! Ist das Ihre Reaktion auf das Thema? – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist für die SPD anscheinend notwendig, immer wieder daran zu erinnern!)


Nun ist heute nicht Sonntag, aber Ihr Ziel, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der Linken, scheint es zu sein,

mit ständig ähnlichen Anträgen zum selben Thema einen
Ohrwurm zu kreieren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Singen Sie doch mal! Vorsingen!)


Wir schließen heute einen Antrag zu befristeten Ar-
beitsverhältnissen ab, und, schwupp, Herr Ernst, liegt uns
schon der nächste in erster Lesung vor .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Darauf können Sie sich verlassen! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bis ihr was lernt!)


So machen Sie es seit mehr als einem Jahr . Wir disku-
tieren immer wieder über dasselbe Thema – im Plenum,
in den Ausschüssen . Alle Argumente sind bereits ausge-
tauscht


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir können uns das auch sparen, wenn Sie zustimmen würden!)


und die Positionen der einzelnen Fraktionen klar .

Ihr neuer Antrag trägt nun den Titel „Kettenbefristun-
gen abschaffen“ .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Gute Idee!)


Das werden wir heute leider nicht hinbekommen, aber
möglicherweise würde es eine Zustimmung geben zu der
Forderung „Kettenanträge abschaffen“ .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Tätä, tätä, tätä!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle kennen die
Fakten . Sie haben sich seit der letzten Debatte wenig
verändert: Knapp die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer wird heute nur noch befristet eingestellt .
Jüngere Menschen und Frauen sind davon besonders
betroffen. Sehr häufig geschieht diese Befristung sogar
ohne jegliche sachliche Begründung . Die Beschäftigten
wissen oft bis zum letzten Arbeitstag nicht, ob es für sie
im Betrieb weitergeht oder ob sie auf der Straße landen
werden. Das ist unwürdig. Das finden wir falsch.


(Beifall bei der SPD – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, dann machen Sie etwas dagegen! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Regiert ihr, oder appelliert ihr?)


Deshalb stimmen wir Sozialdemokratinnen und Sozial-
demokraten dem grundsätzlichen Ziel der vorliegenden
Anträge der Linken, die Befristungsregelungen zu verän-
dern, inhaltlich durchaus zu .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ach!)


Weil das so ist, haben wir in der letzten Legislaturperio-
de, bereits im Mai 2010,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: „Letzte“! Wir sind jetzt schon weiter!)


Beate Müller-Gemmeke






(A) (C)



(B) (D)


genau zu diesem Thema einen Antrag vorgelegt mit dem
Titel „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Be-
fristung“ .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber jetzt seid ihr doch an der Regierung! Jetzt können Sie es doch tun!)


Das war übrigens deutlich vor den Initiativen der Lin-
ken und der Grünen . Sie sehen daran: Das Thema ist uns
wichtig .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sie können sich aber nicht durchsetzen gegen die Union, oder was?)


Deshalb haben wir es auch in unserem Wahlprogramm
verankert . Ich zitiere:

Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von
Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das wird ja immer schlimmer!)


den Katalog möglicher Befristungsgründe überprü-
fen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gilt nach wie
vor . Das ist die SPD-Position .


(Beifall bei der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das nützt aber nichts! Wenn ihr in der Regierung seid, macht ihr es nicht!)


– Das möchte ich Ihnen gerne beantworten .

In einer Koalition ist es leider nicht möglich, alle
Wünsche und Forderungen eins zu eins umzusetzen .
Man ist zu Kompromissen verdonnert . An dieser Stelle
mussten wir in den sauren Apfel beißen . Wir haben das
getan, weil es zum Glück Licht am Ende des Befristungs-
tunnels gibt . Befristete Verträge sind wegen der guten
Konjunktur rückläufig.


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Klang bei Herrn Ernst anders!)


Trotzdem sind Befristungen für viele Beschäftigte nach
wie vor meist Mist .

Zu welchen Extremen Befristungen führen können,
haben wir hier schon mehrfach debattiert . Da haben wir
die Postbotin mit sage und schreibe 88 befristeten Ver-
trägen in 17 Jahren . Solche Kettenbefristungen sind mit
Sachgründen – beispielsweise Elternzeit oder Krank-
heitsvertretung – also durchaus möglich . Richtig und nö-
tig ist so etwas aber auf gar keinen Fall, schon gar nicht
in großen Unternehmen wie bei der Post .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb sollten Befristungsgründe enger gefasst werden,
um gegen Missbrauch besser vorgehen zu können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und auch
der Grünen, es lohnt ein differenzierter Blick auf die

Zahlen . Es ist schließlich nicht so, dass wir in Deutsch-
land nur noch befristete Arbeitsverhältnisse hätten .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat, glaube ich, auch niemand gesagt!)


Je nach Quelle und Berechnungsmethode sind dies 8 bis
10 Prozent . Das heißt im Umkehrschluss: Über 90 Pro-
zent der Beschäftigten haben ein unbefristetes Arbeits-
verhältnis .

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, der Titel
Ihres Antrags – „Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur
Regel machen“ – ist also Gott sei Dank zu über 90 Pro-
zent Realität in Deutschland .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum Glück nähern wir uns immer weiter den 100 Pro-
zent an . Sie können das nachlesen in einer Pressemittei-
lung vom 21 . August, die das Statistische Bundesamt he-
rausgegeben hat . Sie lautet: „Normalarbeitsverhältnisse
nehmen an Bedeutung zu .“ Dies belegt auch die Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken
vom 20 . August dieses Jahres . Daraus geht hervor, dass
die Zahl der Übernahmen aus befristeter Beschäftigung
in unbefristete Arbeitsverhältnisse steigt . Gott sei Dank .

Trotzdem würden wir Sozialdemokraten und Sozial-
demokratinnen die sachgrundlose Befristung gerne ab-
schaffen und die Auswüchse bei befristeten Verträgen
mit Sachgrund angehen . Leider sind uns hierbei jedoch
zurzeit die Hände gebunden .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind freie Abgeordnete!)


Deshalb, meine Kolleginnen und Kollegen von der Lin-
ken, werden wir Ihren Initiativen auch nicht zustimmen .

Nun bedeutet eine Koalition zum Glück nicht Still-
stand auf Teufel komm raus . Deshalb gibt es im Hinblick
auf die Befristungen zumindest im Wissenschaftsbereich
durchaus Bewegung in unserer derzeitigen politischen
Lebensabschnittspartnerschaft mit der CDU/CSU . Wir
konnten das Vorgehen gegen den Befristungsmissbrauch
in der Wissenschaft im Koalitionsvertrag verankern .
Diese Vereinbarung lösen wir jetzt ein . Kürzlich hat das
Bundeskabinett den Gesetzentwurf für die geplante Re-
form des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auf den Weg
gebracht . Was für ein Wort! Damit werden wir für besse-
re Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbereich sorgen .
Hier arbeiten weit über eine halbe Million Menschen,
und leider sind befristete Verträge in diesem Bereich
gang und gäbe .

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
Linken, Sie sehen, wir reden nicht nur, nein, wir setzen
Schritt für Schritt Verbesserungen für die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer in unserem Land um . Was
für ein Kraftakt war die Einführung des gesetzlichen
Mindestlohns!


(Beifall bei der SPD)


Gabriele Hiller-Ohm






(A) (C)



(B) (D)


Ja, wir haben es geschafft . Es gibt ihn wirklich, und das
schon seit neun Monaten . 4 Millionen Menschen haben
dadurch mehr Geld in der Tasche .


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen endlich Frauen in den Führungsetagen und
in den Aufsichtsräten sehen . Dafür haben wir die Quote
durchgesetzt .

So wird es weitergehen . Dafür nur zwei Beispiele: Wir
werden den Weg frei machen und gerechte Löhne für die
vielen fleißigen und gut qualifizierten Frauen in unserem
Land durchboxen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir machen Schluss mit Ausbeutung durch Werkverträ-
ge und Leiharbeit .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812404300

Frau Kollegin, „Schluss machen“ war ein gutes Stich-

wort, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist .


Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1812404400

Wir freuen uns auf Ihre Unterstützung .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812404500

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Uwe Lagosky, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Lagosky (CDU):
Rede ID: ID1812404600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es
stimmt: In den vergangenen 20 Jahren nahm die Zahl
befristeter Arbeitsverträge, absolut betrachtet, zu . Laut
aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes – wir
haben es schon gehört – ist diese Zahl in den letzten vier
Jahren allerdings gesunken . Von den Arbeitnehmern ab
25 Jahren – das ist die Datenbasis – waren 2011 8,9 Pro-
zent befristet beschäftigt . Diese Zahl sank auf 8,1 Pro-
zent im Jahr 2014 .

Bereits in der Anhörung zur sachgrundlosen Befris-
tung am 17 . März 2014 stellte der Sachverständige des
Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bun-
desagentur für Arbeit fest:

Insgesamt kann man feststellen, dass befristete Ar-
beitsverträge durchaus in ihrer Bedeutung zuge-
nommen haben . Wenn man den Zeitraum zwischen
2001 und 2011 betrachtet – von 1,7 auf 2,7 Millio-
nen . Befristungen sind also eine relevante Größe auf
dem deutschen Arbeitsmarkt .

Wenn man sich die Neueinstellungen ansieht, dann
sieht man, dass mittlerweile etwa 42 Prozent aller
Neueinstellungen auf Basis eines befristeten Ar-
beitsvertrages erfolgen . Befristungen sind somit ein

wichtiges Instrument, wenn es um die Beschäfti-
gungsanpassung der Betriebe geht .

In der Folge sagte er:

Die Entwicklung der befristeten Arbeitsverträge
ist sozusagen kein naturwüchsiger Prozess – wir
werden immer flexibler –, sondern es kann durchaus
sein, dass auch ohne weitere Eingriffe in die Gesetz-
gebung die Anzahl der befristeten Arbeitsverträge
eher zurückgeht .

Das war 2014, und recht hatte er, wie die Zahlen des Sta-
tistischen Bundesamtes zeigen .

Die Linke möchte nun, dass der Deutsche Bundestag
feststellt, dass dies ein „hochproblematischer Zustand“
sei, der „dringend gesetzgeberisches Handeln erfordert“ .
Das steht in Ihrem Antrag . Hochproblematisch ist, wie
ich finde, nur eines: der stete Reflex der Linken, in glei-
cher Sache immer wieder gesetzgeberisch tätig werden
zu wollen . – Nutzen Sie daher gerne die heutige Debatte
ganz im Sinne von Konrad Adenauer, der sagte:

Man braucht nicht immer denselben Standpunkt zu
vertreten, denn niemand kann einen daran hindern,
klüger zu werden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Hieß bei ihm aber: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“!)


Mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz sind gute Lö-
sungen sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitge-
ber vorhanden .

Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist zulässig,
wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfer-
tigt ist . Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor,
wenn

1 . der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung
nur vorübergehend besteht,

2 . die Befristung im Anschluss an eine Ausbil-
dung oder ein Studium erfolgt, um den Über-
gang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbe-
schäftigung zu erleichtern,

3 . der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen
Arbeitnehmers beschäftigt wird . . .

Es gibt noch andere Gründe; das sind auszugsweise
nur drei .

Ebenfalls im Teilzeit- und Befristungsgesetz ist die
sachgrundlose Befristung geregelt . Danach dürfen Ar-
beitsverträge, die bis zu einer Dauer von zwei Jahren
abgeschlossen werden, in dieser Zeit dreimal verlängert
werden . Sachgrundlose Befristung ist nicht zulässig,
wenn mit demselben Arbeitgeber zuvor ein befristetes
oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat . Die
Regelungen für die sachgrundlose Befristung sind im
Jahr 2000 angepasst worden, um zu verhindern, dass es
zu weiteren Kettenbefristungen kommt .

Für die 2,7 Millionen Arbeitslosen – im Übrigen
122 000 weniger als im Vorjahr – sowie für Berufsein-
steiger sehe ich in befristeten Arbeitsverhältnissen daher

Gabriele Hiller-Ohm






(A) (C)



(B) (D)


auch die Chance, in unbefristete Beschäftigungsverhält-
nisse zu kommen . Stichwort „Beschäftigungsverhält-
nisse“: Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass unbefristete
Arbeitsverhältnisse wieder die Regel werden müssen; die
Kollegin hat das gerade auch gesagt . Das hat mich stutzig
gemacht . Denn mit einem Anteil von 92,6 Prozent sind
unbefristete Arbeitsverträge die Regel .

Nehmen Sie in diesem Zusammenhang bitte noch fol-
gende gute Nachricht auf: Wir haben auf dem deutschen
Arbeitsmarkt 42,8 Millionen Beschäftigte . Das ist die
höchste Zahl in der Nachkriegsgeschichte . Auch die Zahl
von aktuell 30,5 Millionen sozialversicherungspflichti-
gen Beschäftigten ist die höchste Zahl in der Nachkriegs-
geschichte .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Vollzeit?)


Während meiner Zeit als Betriebsrat habe ich unter-
schiedliche Gründe für Befristungen erlebt . Zwischen
2001 und 2007 in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und ei-
ner unklaren Wirtschaftslage hatten wir im Betrieb be-
fristete Arbeitsverhältnisse . Dies wurde damit begründet,
dass vor dem Hintergrund noch anstehender notwendiger
Prozessvereinfachungen und Automatisierungen – diese
standen tatsächlich an – keine Festeinstellungen im Be-
trieb erfolgen sollten . Das war keineswegs schön . Doch
wenn bei allen Beteiligten Klarheit darüber herrscht, ist
dies schon ein probates Mittel für ein Unternehmen, um
nicht in wirtschaftliche Schieflage zu geraten oder auch
die Stammbelegschaft zu entlasten . Klarheit in diesem
Zusammenhang bedeutet, dass wir den befristeten Be-
schäftigten zu dieser Zeit gemeinsam mit dem Arbeit-
geber gesagt haben: Eine Anschlussbeschäftigung kann
es für euch nicht geben, insofern bewerbt euch in diesen
zwei Jahren auch auf eine Dauerbeschäftigung bei ande-
ren Arbeitgebern . – Es ist allerdings am Ende so gewe-
sen, dass diese befristet Beschäftigten bei uns geblieben
sind . Das zeigt mir auch, dass die Alternative die Arbeits-
losigkeit gewesen wäre .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Angesichts der demografischen Entwicklung in
Deutschland hätte man ja davon ausgehen können, dass
befristete Beschäftigungsverhältnisse in ihrer Zahl zu-
rückgehen . Allerdings haben wir mit dem aktuellen Zu-
strom an Flüchtlingen nach Deutschland – die Regierung
rechnet im Jahr 2015 mit 800 000 – eine neue Variable
auf dem Arbeitsmarkt, von der wir wissen, dass sie uns
vor erhebliche Herausforderungen stellt . Daher ist es
umso wichtiger, dass wir uns flexible Arbeitsmarktinst-
rumente erhalten . Ich denke, in diesem Zusammenhang
sollten die Möglichkeiten, die sich aus dem Teilzeit- und
Befristungsgesetz ergeben, von Arbeitgebern zukünftig
mehr genutzt werden .

Aber noch einmal: Befristungen stellen für mich eine
Brückenfunktion dar . Es stimmt, dass der Befristungs-
anteil in den sozialen und öffentlichen Dienstleistungen
35 Prozent beträgt . Es gibt auch Extremfälle wie den
vorhin genannten von 2012; dabei ging es um 13 auf-
einanderfolgende Befristungen in elf Jahren bei einer
Arbeitnehmerin . Damals antwortete der Europäische
Gerichtshof auf eine entsprechende Anfrage des Bundes-
arbeitsgerichtes, dass Arbeitgeber bei ständigem Vertre-

tungsbedarf selbst bestimmen dürfen, ob sie ihn durch
befristete oder unbefristete Stellen abdecken . Weil die
Klägerin in einer großen Behörde tätig war, machte das
BAG in seinem Urteil deutlich, dass bei jahrelangem
kontinuierlichem Vertretungsbedarf durchaus Bedarf
für eine unbefristete Vertretungskraft besteht . Deshalb
müssen staatliche Stellen alle Umstände, die mit einer
Verlängerung von befristeten Verträgen zu tun haben, in-
tensiv prüfen . So kann dafür gesorgt werden, dass sich
Befristungen im Einzelfall als missbräuchlich herausstel-
len . Insofern sind die einzelnen Bereiche gefordert . Ext-
remfälle zur Regel zu adeln, ist vielleicht die öffentlich-
keitswirksamere Lösung, jedoch der falsche Weg .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um die Regel, sondern darum, solche Fälle zu verhindern!)


Gewohnt abenteuerlich finde ich das von den Linken
in ihrem Antrag gezeigte Finanzverständnis . Sie führen
als Grund für Befristungen im öffentlichen Dienst eine
strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Hand an
und begründen dies mit einer sozial ungerechtfertigten
Steuerpolitik, Spardiktaten und der Schuldenbremse .

Sie haben es einfach nicht verstanden, dass wir mit einer
weitsichtigen Haushaltspolitik dazu beitragen, dass die
deutsche Wirtschaft floriert


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und zu welchem Preis?)


und wir mit den zusätzlichen Steuereinnahmen auch zu-
sätzliche Leistungen an die Kommunen geben können .
Das Hohe Haus wird heute, gleich im Anschluss, einen
Antrag zu den Kommunen verabschieden und in den
Mittelpunkt der Diskussion stellen .

Nie zuvor wurden Kommunen durch den Bund so
stark unterstützt wie in den vergangenen Jahren . Unter
den unionsgeführten Koalitionen von 2010 bis 2018 wer-
den die Länder und Kommunen um insgesamt 125 Mil-
liarden Euro entlastet . Das setzt freilich voraus, dass die
Länder ihrer Verantwortung nachkommen, dieses Geld
auch an die Kommunen weiterzureichen und es nicht im
eigenen Haushalt zu behalten .

Papiersparend, auf nur zwei Seiten, unternehmen Sie
einen kühnen Streifzug durch die Arbeitsmarkt- und Fi-
nanzpolitik . Am Ende Ihres Antrags verweisen Sie auch
noch auf Zeitarbeit und missbräuchliche Werkverträge .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!)


Dieses Themas nehmen wir uns an; es steht im Koaliti-
onsvertrag und wird von uns bearbeitet . Allerdings wol-
len wir das für die Wirtschaft und die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in gleichem Maße machen . Wir haben
ein Interesse an Wachstum und Beschäftigung . Dies wol-
len wir in unserem Land fördern . Das unterscheidet uns
von Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zusammengefasst entspricht Ihr Antrag nicht den Kri-
terien eines ausgewogenen Verhältnisses zur Realität .

Uwe Lagosky






(A) (C)



(B) (D)


Schließlich verfügen wir mit dem Teilzeit- und Befris-
tungsgesetz über einen vernünftigen Rechtsrahmen, der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Arbeit-
gebern gleichermaßen gerecht wird . Missbräuchliches
Verhalten wird durch die Rechtsprechung bekämpft . Den
vereinzelten Unternehmen, die überproportional viele
befristete Arbeitsverträge schließen, sei aber auch ge-
sagt, dass sie damit Forderungen nach einer Änderung
des Teilzeit- und Befristungsgesetzes Vorschub leisten,
möglicherweise zulasten der vielen Betriebe, die im Sin-
ne des Gesetzes handeln .

Ausschlaggebend und von überwiegender Bedeutung
ist für mich jedoch, dass Befristungen eine wichtige Brü-
ckenfunktion für die Übernahme in unbefristete Beschäf-
tigung haben . Dass Sie diese Brücken einreißen, werden
wir nicht mitmachen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812404700

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812404800

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Frau Hiller-Ohm, ich finde es klasse, dass wir
heute wieder über unseren Antrag zur Abschaffung von
Befristungen ohne Sachgrund und von Kettenbefristun-
gen reden .


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das habe ich mir gedacht!)


Ich weiß gar nicht, welche Probleme Sie damit haben .
Ich finde das toll!


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ich habe keine Probleme damit!)


Im Grunde ist es so: Arbeitgeber missbrauchen mitt-
lerweile genau diese Befristungen als arbeitsmarktpoli-
tisches Instrument gnadenlos für Lohndumping und Be-
hinderung von Mitbestimmung und Betriebsratsarbeit;
das wissen Sie eigentlich ganz genau . Sachgrundlose
Befristungen sind dabei nur die Spitze des Eisberges . Die
Auswahl für Arbeitgeber ist nahezu unendlich: Leihar-
beit, Werkverträge, Ausgliederungen usw . Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer haben keine Wahl: Entwe-
der sie akzeptieren die Befristung im Arbeitsvertrag, oder
sie kriegen das Arbeitsverhältnis nicht . Andere Chancen
haben sie an dieser Stelle doch nicht .

Zum Thema Befristungen schweigt die Bundesregie-
rung leider seit Jahren . Weil von der Regierungsbank
rein gar nichts in Richtung einer Verbesserung für die
Beschäftigten kommt,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Unglaublich, Regierungsbank!)


werden wir als Opposition nicht aufhören, diesen Antrag
immer wieder zu stellen – und wenn er Ihnen aus den
Ohren rauskommt!


(Beifall bei der LINKEN)


Im letzten Jahr wurde jeder vierte Beschäftigte unter
25 Jahren mit einem befristeten Arbeitsvertrag abge-
speist . Da lockt die Bundesregierung junge Beschäftigte
erst verbal mit der Möhre „Fachkräftemangel“, und dann
lässt sie sie über die Klinge der Befristung springen . Das
geht doch alles gar nicht, was da gemacht wird!


(Beifall bei der LINKEN)


Stellen Sie sich einmal vor, es geht um Ihre Kinder .
Was wird aus deren Lebensplanung? Was wird aus einer
eigenen Wohnung? Was wird möglicherweise aus En-
keln, die auch in die Welt gesetzt werden müssen?


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Der jungen Generation wird die Möglichkeit der Beteili-
gung an betrieblicher Mitbestimmung und an der Gestal-
tung menschenwürdiger Arbeit regelrecht vorenthalten,
und das alles mit Zustimmung dieser Regierung . Wenn
ich das mitbekomme, kommt mir persönlich immer wie-
der die Galle hoch .

Kettenbefristungen setzen diesem Befristungswahn
noch die Krone auf . Dutzende Arbeitsverträge, immer für
den gleichen Arbeitsplatz, immer befristet, und das über
einen Zeitraum von Jahren oder teilweise sogar von Jahr-
zehnten: Das ist nicht unsere Vorstellung von guter Ar-
beit und gutem Leben . Damit muss endlich Schluss sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich persönlich werde mich so lange wiederholen, Frau
Hiller-Ohm, bis es allen hier aus den Ohren rauskommt
und bis es endlich gerade auch für die junge Generation
die Möglichkeit gibt, aus dieser schrecklichen Situation
herauszukommen .

Für die Qualität von Arbeit ist entscheidend, ob ein
Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht . Befristet Be-
schäftigte haben Angst vor dem Verlust ihrer Arbeit . Sie
schleppen sich krank zur Arbeit und halten bei Missstän-
den im eigenen Betrieb die Klappe . Sie wehren sich nicht
gegen Ungerechtigkeiten und beteiligen sich nicht an
Warnstreiks . Befristet Beschäftigte werden ihre Arbeit-
nehmerrechte niemals ganz nutzen .

Ich finde, es ist ein Armutszeugnis für ein Land wie
die Bundesrepublik, dass sich an dieser Stelle ganz ein-
fach nichts tut, und das seit 1985, weil es davor keine
Befristung ohne Sachgrund gab, Herr Oellers . Das war
einfach so, und die Wirtschaft hat trotzdem funktioniert .


(Beifall bei der LINKEN)


Das zeigt für mich einmal mehr, auf wessen Kosten in
unserem Land Reichtum entsteht .

Mit dieser Meinung stehen wir nicht alleine, sondern
ganz viele Beschäftigte sehen das ganz genauso, und
auch viele Gewerkschaften haben damit ein Riesenprob-
lem, wenn sie sehen, was hier passiert . Sie können auch
ein Lied davon singen, was befristete Arbeitsplätze für

Uwe Lagosky






(A) (C)



(B) (D)


die Mitbestimmung, die Gewerkschaftsfreiheit und die
demokratische Beteiligung bedeuten .

Bei Amazon in Brieselang in Brandenburg beispiels-
weise arbeiten über 1000 Beschäftigte . Der Befristungs-
grad beträgt 80 Prozent . 80 Prozent der Beschäftigten
haben einen befristeten Arbeitsvertrag .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Für die Statistiker!)


Das ist nur ein Betrieb. Hier findet doch Missbrauch statt.
Das ist überhaupt nicht in Ordnung . Es geht hier doch
nicht um Auftragsspitzen, von denen da geredet wird .


(Beifall bei der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Kann man nichts machen! Das ist halt so! Gottgegeben!)


Im Grunde genommen ist es Wahnsinn, dass so viele
Menschen nur ein befristetes Arbeitsverhältnis erhalten .

Die sachgrundlose Befristung wird bei Amazon als
systematisches Mittel gegen Gewerkschaften, gegen Be-
triebsräte und gegen die Belegschaft genutzt .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812404900

Die Zeit .


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812405000

Danke für den Hinweis .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812405100

Das war eigentlich kein Hinweis . – Frau Kollegin, im

Europäischen Parlament wird das Mikrofon nach Ende
der Redezeit automatisch abgestellt . Damit hätten die
letzten 35 Sekunden von Ihnen gar nicht mehr gehört
werden können . Es wäre also nett, wenn Sie jetzt zum
Schluss kommen würden .


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812405200

Danke für den Hinweis; ich komme zum Schluss . –

Die SPD hat die Chance, unserem Antrag jetzt zuzustim-
men . Vielleicht können wir über diesen Weg eine Mehr-
heit über die Koalition hinweg herstellen . In Richtung
CDU mag ich gar nicht schauen .


(Katja Mast [SPD]: Frau Krellmann, Sie wissen nicht, was im Koalitionsvertrag steht! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Wäre das Mikrofon mal ausgestellt worden!)


Sie haben jetzt die Chance . Nutzen Sie sie, stimmen Sie
unserem Antrag zu, damit wir an dieser Stelle endlich
einmal vorankommen!

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812405300

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten

Markus Paschke, SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1812405400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hier
im Parlament gilt es, Rahmenbedingungen zu setzten,
Rahmenbedingungen für einen Ausgleich zwischen der
notwendigen Flexibilität für Unternehmen und der eben-
so notwendigen Sicherheit für die Menschen . Dazu ge-
hört immer auch eine Überprüfung, ob die bisherigen
Gesetze dem politischen Willen entsprechend angewandt
werden . Wir sollten uns dabei die Frage stellen: Erzielt
das Gesetz die gewollte Wirkung, oder werden Lücken
genutzt, die negative Folgen für unsere Gesellschaft ha-
ben? Als ich den Antrag „Kettenbefristungen abschaf-
fen“ gelesen habe, habe ich gedacht: Na, den kennst du
doch . Und richtig: Der Antrag ist inhaltlich zu 95 Pro-
zent deckungsgleich mit dem Antrag „Das unbefristete
Arbeitsverhältnis zur Regel machen“, den wir im letzten
Jahr hier diskutiert haben .


(Ulli Nissen [SPD], an die LINKE gewandt: Hätten Sie einmal ein bisschen mehr in die Bearbeitung stecken sollen! Das Datum war das Einzige, was anders war! – Gegenruf der Abg . Katja Kipping [DIE LINKE]: Der Unterschied ist, wir wollen die Verhältnisse ändern, Sie wollen den Text ändern!)


In Ihrem Antrag bezeichnen Sie die Befristung als
zentrales Merkmal für Qualität oder Nichtqualität von
Arbeit . Zu guter Arbeit gehört aber viel mehr . Die Frage
der Beschäftigungsform ist wichtig, ja, aber sie ist nicht
das zentrale Qualitätskriterium .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wie war denn die Umfrage bei der IG Metall?)


Es würde aber auch heute den Rahmen meiner Redezeit
sprengen, wenn ich jetzt hier erschöpfend alle Merkmale
guter Arbeit erklären wollte .

Zusammenfassend möchte ich zu dem Antrag eines
feststellen: Es ist nicht alles falsch, was da drinsteht . Ich
habe im letzten Jahr, als wir hier über dieses Thema ge-
sprochen haben, von Keno berichtet, der Mitte 30 war,
bevor er das erste Mal einen unbefristeten Arbeitsvertrag
hatte . Ich will heute einmal einen anderen Aspekt in die
Diskussion einbringen, denn ich denke, man muss auch
ein bisschen Abwechslung bringen .


(Beifall bei der SPD)


Ich spreche regelmäßig mit Arbeitnehmern und Unter-
nehmern und stelle fest, dass es zurzeit sehr viel Bewe-
gung auf beiden Seiten gibt . Letztens habe ich zum ersten
Mal einen richtig sprachlosen Arbeitgeber erlebt . Er hatte
eine Bewerberin im Vorstellungsgespräch, die richtig gut
qualifiziert war und ideal auf die Stelle gepasst hätte. Sie
hat aber zu ihm gesagt: Ich bin nur bereit, hier erst einmal
einen befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Dieses eine Beispiel gegen hundert andere!)


Sie hat das auch begründet . Sie begründete ihre Entschei-
dung nämlich damit, dass sie erst einmal sehen wollte,
wie im Unternehmen die Vereinbarkeit von Familie ge-
lebt wird . Sie wollte wissen, wie das Betriebsklima ist

Jutta Krellmann






(A) (C)



(B) (D)


und welche Entwicklungsperspektiven sie hat . Diese
junge Frau ist eine Arbeitnehmerin, die überhaupt nicht
in die Zielgruppe passt, für die dieser Antrag geschrieben
wurde, die aber trotzdem betroffen gewesen wäre .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die kann dann kündigen, wenn sie muss!)


Sie entwerfen in Ihrem Antrag nämlich das Bild, dass
alle Arbeitnehmer ohne Hilfe in absoluter Wehrlosigkeit
verharren . Das ist eine Verallgemeinerung, die der Sache
und vor allem den Menschen nicht gerecht wird .


(Beifall bei der SPD)


Klaus Ernst hat die Lage eines Teils der Betroffenen
zutreffend beschrieben . Aber das gerade von mir genann-
te Beispiel zeigt, dass die Lebenswirklichkeit nicht ein-
dimensional betrachtet werden kann, dass es sehr viele
unterschiedliche Entwürfe für das Leben gibt .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812405500

Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwi-

schenfrage von Frau Vogler . Wollen Sie die zulassen?


Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1812405600

Nein, heute nicht .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812405700

Sie wollen weitersprechen .


Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1812405800

Ich bin davon überzeugt, dass wir der Vielfalt der

Bedürfnisse der Menschen in unserem Land entspre-
chen müssen . Das können wir aber nicht, indem wir ein
Korsett schaffen, das allen die Luft zum Atmen nimmt,
sondern wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die
Missbrauch und das Ausnutzen von Menschen verhin-
dern . Es ist kein Geheimnis, dass meine Fraktion und ich
die berechtigte Kritik an der exzessiven Nutzung sach-
grundloser Befristung teilen .

Planungssicherheit – egal ob privat oder beruflich – ist
mit befristeten Arbeitsverhältnissen nicht zu haben . Es
gibt Menschen, die wollen und brauchen Sicherheit, zum
Beispiel um eine Familie zu gründen . Andere wollen sich
derzeit nicht langfristig binden . Aber auch denen würden
wir die Chancen nehmen, wenn wir Ihren Antrag so um-
setzen, wie er geschrieben ist .

Viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen
für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben wir be-
reits in den ersten zwei Jahren unserer Regierungszeit
erreicht: die Einführung eines flächendeckenden Min-
destlohns, die Rente ab 63, die Beendigung der Genera-
tion Praktikum, Verbesserung bei der Gleichstellung von
Mann und Frau, um nur einige Beispiele zu nennen . Wir
ruhen uns auf dem bisher Erreichten nicht aus . Noch in
diesem Jahr werden wir den Gesetzentwurf zur Bekämp-

fung von Missbrauch bei Werkverträgen und Leiharbeit
vorlegen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben wir erst, wenn was vorliegt!)


Das alles und noch viel mehr haben wir mit unserem
Koalitionspartner vereinbart . Große Ziele erfordern aber
auch Kompromisse . Fakt ist: Mit unserer Forderung nach
Abschaffung der sachgrundlosen Befristung haben wir
uns bei unserem Koalitionspartner bedauerlicherweise
nicht durchgesetzt . Aber da wir uns darauf verständigt
haben, diesen Koalitionsvertrag vier Jahre lang zu leben
und die darin vereinbarten Dinge umzusetzen, werden
wir heute leider auch gegen die richtigen Teile dieses An-
trags stimmen müssen .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Was sagt deine Gewerkschaft dazu? – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt mal ein bisschen Pfeffer hier!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812405900

Danke schön . – Als nächstem Redner erteile ich dem

Abgeordneten Dr . Thomas Gambke, Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin bei der Debatte
ein bisschen versucht, an den chinesischen Dreisatz, den
ich aus der Wirtschaft kenne, zu denken: Die einen for-
dern 10, die anderen sagen 0, und man trifft sich irgend-
wo bei 1 oder 2 .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wir haben doch keine Koalition mit denen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir sind nicht auf dem Jahrmarkt!)


Lassen Sie mich einmal über die 1 oder 2 reden .

Erstens . Herr Oellers, Sie haben beim Thema „sach-
grundlose Befristung“ einfach gesagt, es gebe gar keinen
Missbrauch, wir brauchten nichts zu tun, die Gerichte re-
gelten schon alles .


(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)


Sachgrundlose Befristungen gehören abgeschafft –
Punkt!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens . Wir müssen uns den Katalog der Sachgrün-
de sehr genau anschauen und da etwas tun . Dass bei der
sachgrundlosen Befristung Missbrauch passiert, den man
gesetzlich in den Blick nehmen muss, lasse ich mir nicht
ausreden, auch nicht angesichts Ihrer Ausführungen zum

Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


Lobe der Gerichte . Aber wir müssen auch die Wirklich-
keit sehen . Die Wirklichkeit ist zweigeteilt .

Ich bin Mittelstandsbeauftragter meiner Fraktion


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist ein Widerspruch in sich!)


und bin viel unterwegs . Da sehe ich Betriebe mit Mitar-
beitern mit durchschnittlichen Betriebszugehörigkeiten
von 10 oder 13 Jahren . Genau das sind die erfolgreichen
Betriebe . Es stimmt ja: Eine gute Personalpolitik mit
unbefristet beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern ist erfolgreich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber wir können die Augen nicht davor verschließen,
dass es verschiedene Gründe für Befristungen gibt . Herr
Ernst, wie lange sind Sie im Bundestag? Seit 2005, wie
ich gerade nachgesehen habe . Ich gehe einmal davon aus,
dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ihrem Büro
einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genauso lange, wie ich ihn habe! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Bis zum Ende der Wahlperiode!)


– Genau das ist der Punkt . Was ist, wenn man nach zwei
Wahlperioden eine dritte Periode mit seinen Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern antreten will? Na also .

Wir müssen uns die Gründe für die Befristungen
schon angucken,


(Katja Mast [SPD]: Sachgrundlose Befristungen!)


die übrigens oft auch sozialpolitischer Art sind . Ich meine
Instrumente wie Mutterschutz und Elternzeit, die Befris-
tungen notwendig machen . Da ist es schon richtig, sich
darüber Gedanken zu machen, wie man mit den damit
bewirkten Unsicherheiten am Arbeitsplatz umgeht .


(Zuruf von der LINKEN: Wie machen Sie das denn? Unbefristete Jobs?)


– Unbefristete Mitarbeiterverträge habe auch ich nicht .
Deshalb sage ich: Wir müssen uns darum kümmern, wie
wir diese Unsicherheiten auffangen . Im gesamten kreati-
ven Bereich und bei vielen Projekten im karitativen Be-
reich gibt es immer wieder Befristungen, die eben durch
die Sache begründet sind und bei denen man sich in der
Tat fragen muss: Wie geht man damit um?

Herr Oellers, die Lebenswirklichkeit ist nun einmal
so, dass viele Menschen vor einer Familienplanung, dem
Kauf einer Wohnung oder eines Hauses immer wieder
zurückschrecken, weil eben durch die Befristungen Un-
sicherheiten am Arbeitsplatz gegeben sind . Es ist sicher
richtig, sich damit zu befassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass es deshalb notwendig ist, sich über
die Instrumente, wie man mit diesen Unsicherheiten um-
geht, Gedanken zu machen . Das kann nicht allein in der
Frage liegen: Will man Kettenarbeitsverträge zulassen?

Vielmehr geht es auch um die Art, wie man sie ausge-
staltet .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812406000

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Oellers?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bitte sehr .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Oellers, lassen Sie es lieber! Das geht nicht gut für Sie aus! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/ CSU und der SPD)



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1812406100

Das habe ich gehört . Zu gegebener Zeit werden wir

auch darüber sprechen .

Vielen Dank, Herr Präsident . – Ich musste mich jetzt
doch noch einmal zu Wort melden . Vielleicht können Sie
mir eine Frage beantworten, nämlich an welcher Stelle
ich in meiner Rede heute von sachgrundloser Befristung
gesprochen habe . Ich nehme die Antwort vorweg: Das
habe ich nicht . Sie können das im Protokoll nachlesen .
Aber sagen Sie mir bitte, wo ich das Ihrer Ansicht nach
gemacht habe .

Erlauben Sie mir des Weiteren eine kurze Anmer-
kung, was die sachgrundlose Befristung als solche be-
trifft . Wenn Sie mich schon darauf ansprechen, darf ich
auf die Ausführungen von Uwe Lagosky verweisen . Die
sachgrundlose Befristung ist nun einmal gesetzlich ein-
geschränkt . Ich denke, dass man bei einer Höchstdauer
von zwei Jahren auch ausnahmsweise einen befristeten
Arbeitsvertrag ohne Sachgrund abschließen kann .

Darüber hinaus haben Sie gerade die Planungssicher-
heit für junge Menschen angesprochen . Vielleicht kön-
nen Sie dazu noch etwas sagen . Ich bin da grundsätzlich
voll bei Ihnen . Ich habe auch in meinen Ausführungen
abschließend gesagt: Wünschenswert wäre immer das
unbefristete Arbeitsverhältnis . Ich will auch Missbrauch
gar nicht in Abrede stellen . Den gibt es sicherlich auch;
dafür sind die Gerichte zuständig . Aber man muss auch
zur Kenntnis nehmen – ich weiß nicht, ob Sie das getan
haben; vielleicht können Sie das bestätigen –, dass, wie
ich eben geschildert habe, der Anteil der befristeten Ar-
beitsverhältnisse mit zunehmendem Alter abnimmt . Das
widerspricht meiner Ansicht nach Ihrer Aussage . Viel-
leicht könnten Sie dazu noch etwas sagen .

Danke schön .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank für diese Fragen, die mir Anlass geben
würden, meine Redezeit noch vier Minuten zu verlän-
gern, was ich nicht tue, Herr Präsident . Ich will aber zwei
Dinge sagen, die ich als Zusammenfassung Ihrer Rede
sehr gut verstanden habe . Erstens haben Sie gesagt: Es

Dr. Thomas Gambke






(A) (C)



(B) (D)


gibt keinen Regelungsbedarf, sondern wir haben Gerich-
te, die Missbrauch verhindern .


(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: So ist es!)


Das stelle ich in Abrede, und genau das habe ich gemeint,
als ich Sie vorhin zitiert habe .

Zweitens haben Sie in der Art und Weise, wie Sie die
Situation darstellen – nämlich dass es zwar im Einzel-
fall, aber eben nur im Einzelfall, Probleme gebe –, die
Lebenswirklichkeit der Menschen nicht getroffen . Diese
sieht in der Tat so aus, dass die Unsicherheiten zuneh-
men . Das mag meine subjektive, im Verlauf der letzten
20 Jahre erworbene Erfahrung sein, aber diese Erfahrung
wird auch durch die Zunahme der befristeten Arbeits-
verhältnisse vor allem im Dienstleistungsbereich und im
kreativen Bereich belegt . Insofern glaube ich, dass wir
mehr tun müssen, als auf die Kraft der Gerichte zu ver-
trauen, und gesetzliche Regelungen brauchen . Genau das
war meine Aussage .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole:
Sachgrundlose Befristungen müssen abgeschafft wer-
den, wir müssen uns mit dem Katalog befassen, und wir
müssen uns darüber Gedanken machen – das lassen Ihre
Anträge im Grunde genommen völlig offen; darin halte
ich sie für substanzlos –, welches die richtigen Instru-
mente sind . Es ist kein richtiges Instrument, einfach nur
zu sagen: Wir wollen nur noch Befristungen zulassen,
die höchstens zweimal aufeinanderfolgen . Dann müssen
wir uns vielmehr fragen, wie wir eine Abfederung der
notwendigen Befristungen im sozialen Bereich gestalten .
Das kann zum Beispiel dadurch erfolgen, dass man sich
Gedanken darüber macht, welche nachträglichen Ver-
pflichtungen ein Arbeitgeber bei einer Befristung hätte,
wenn er mehr als zwei Befristungen aussprechen muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812406200

Apropos Befristung .


(Heiterkeit)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich danke für die Aufmerksamkeit und Ihnen, Herr
Präsident, für Ihre Geduld .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812406300

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten

Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1812406400

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Die Schlagzeilen über die Postbotin aus

Wittenburg, die über 17 Jahre befristete Arbeitsverträge
hatte, haben wir alle noch in guter Erinnerung .


(Ulli Nissen [SPD]: In guter?)


Sie hat innerhalb von 17 Jahren 88 befristete Arbeitsver-
träge erhalten . Dieser Fall sorgte bei allen Parteien für
Unverständnis und Ärger . Dieses missbräuchliche Ver-
halten entspricht nicht unseren Positionen und Grundsät-
zen . Die Rechtsprechung hat aber diesen Kettenbefris-
tungen inzwischen Grenzen gesetzt .

Heute befassen wir uns erneut mit Anträgen der Frak-
tion Die Linke zu befristeten Arbeitsverträgen, darunter
der Antrag „Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Re-
gel machen“ . Wenn man sich die aktuellen und auch die
vergangenen Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung anschaut, dann kann man zweifelsfrei
feststellen, dass befristete bzw . atypische Arbeitsverhält-
nisse die Ausnahme darstellen . Nach einer Studie des
IAB lag 2014 der Anteil der befristeten Arbeitsverträge
in Deutschland bei 6,9 Prozent . Das bedeutet umgekehrt,
dass weit über 90 Prozent aller Arbeitsverträge unbefris-
tet sind . Aufgrund dieser Zahlen werden Sie mir doch zu-
stimmen, dass befristete Arbeitsverträge tatsächlich eher
eine Ausnahme sind .

Befristete Beschäftigungen sind für viele Unterneh-
men – so möchte ich behaupten – unverzichtbar . Sie
dienen insbesondere dazu, familienbedingte oder tem-
poräre Arbeitszeitreduzierungen auszugleichen . Sachli-
che Gründe für eine Befristung können entstehen, wenn
Eltern- oder Pflegezeiten, Zeiten des Mutterschutzes oder
Erkrankungen kompensiert werden müssen .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das hat Herr Ernst schon alles vorgetragen! Das akzeptieren wir auch!)


Der Arbeitnehmer kann wie in jedem anderen Arbeits-
verhältnis seine Fähigkeiten erweitern, sich im Betrieb
einsetzen und dadurch mit seinen Kenntnissen überzeu-
gen .

Eine Übernahme in ein unbefristetes Verhältnis ist
nicht garantiert . Aber selbstverständlich kann sich der
Arbeitnehmer im Unternehmen bewähren . 2014 lag
die Übernahmequote bei befristet Beschäftigten bei
37,5 Prozent . Natürlich wünsche ich mir, dass sich die-
se Quote steigern lässt . Selbstverständlich halte auch
ich unbefristete Arbeitsverhältnisse für Arbeitnehmer
als sicherer . Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass
befristete Arbeitsverträge auch dazu dienen können, Ar-
beitslosigkeit zu beenden . In Deutschland gibt es trotz
des Erfolgsmodells der dualen Ausbildung Menschen
ohne Ausbildung . Zudem können Hochschulabsolventen
ohne Berufserfahrung erste Erkenntnisse erwerben und
Unternehmensstrukturen kennenlernen . Befristete Ar-
beitsverträge erhöhen die Einstellungsmöglichkeiten für
diese Beschäftigten . Deshalb halte ich befristete Arbeits-
verhältnisse für ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches
Instrument, das nicht nur Unternehmen und dem öffent-
lichen Dienst dient .

Ich sehe die Gefahr, dass die von Ihnen geforderte Ab-
schaffung der sachgrundlosen Befristung viele Arbeitge-
ber zögern lassen wird, Beschäftigte mit unterbrochenen

Dr. Thomas Gambke






(A) (C)



(B) (D)


Erwerbsbiografien einzustellen. Zudem fordern Sie, den
Gesetzestext so zu ändern, dass § 14 des Teilzeit- und
Befristungsgesetzes ausschließlich abschließend Grün-
de auflistet. Ich möchte hervorheben, dass der nicht ab-
schließende Katalog in § 14 keine unbegrenzte Öffnung
für weitere Befristungen darstellt . Jeder Grund für eine
Befristung muss sachlich gerechtfertigt sein . In Ihrem
Antrag kritisieren Sie, dass besonders junge Menschen
von befristeten Arbeitsverträgen betroffen sind . Hierbei
übersehen Sie jedoch, dass insbesondere in der Alters-
gruppe der 15- bis unter 25-jährigen Beschäftigten auch
Ausbildungsverhältnisse mitgezählt wurden . Zudem ar-
gumentieren Sie – ich zitiere aus Ihrem Antrag –:

Für die Qualität von Arbeit ist es entscheidend, ob
ein Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht .

Damit unterstellen Sie allen befristet eingestellten Be-
schäftigten, dass sie nicht so gut arbeiten wie unbefristet
eingestellte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was ist das denn? Das ist absurd!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812406500

Herr Kollege, Frau Kollegin Krellmann möchte eine

Zwischenfrage stellen . Wenn Sie den nächsten Satz Ihrer
Rede noch zu Ende sprechen, können Sie überlegen, ob
Sie diese Zwischenfrage zulassen wollen .


Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1812406600

Herr Präsident, ich will gerne zusammenhängend vor-

tragen .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812406700

Okay .


Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1812406800

Diese Unterstellung möchte ich als Mitglied der CDU/

CSU-Arbeitnehmergruppe entschieden zurückweisen .
Die Qualität einer Arbeitsleistung hängt keineswegs da-
von ab, ob das Arbeitsverhältnis befristet oder unbefristet
ist .

Ich möchte noch einmal betonen, dass ich Arbeitsver-
träge mit unterschiedlichen Befristungsmöglichkeiten
für ein notwendiges arbeitsmarktrechtliches Instrument
halte . Als Mitglieder des Bundestages, unabhängig wel-
cher Partei wir angehören, haben wir die Verpflichtung,
zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und der Un-
ternehmen genau abzuwägen .

Arbeitnehmer haben ein Interesse daran, dass ihre
Arbeitsplätze sicher sind und ihre Leistung dauerhaft
gewünscht ist. Unternehmer hingegen müssen flexibel
auf wirtschaftliche und marktbedingte Veränderungen
reagieren können . Somit können auch Wettbewerbsnach-
teile für deutsche Unternehmen verhindert werden . Ein
gesetzliches Verbot von befristeten Verträgen könnte
ohne Frage erhebliche Auswirkungen auf den Arbeits-
markt haben . Beiden Parteien werden damit im Sinne der
Privatautonomie Rahmenbedingungen für ihre Verträge
gesetzt .

Arbeitnehmer und Unternehmer können sich auf die
gesetzlichen Vorschriften berufen und diese auf dem
Rechtsweg geltend machen . Die bestehenden gesetzli-
chen Vorschriften haben sich in der Praxis bewährt . In
der heutigen Debatte ist es schon gesagt worden: Gera-
de wegen der guten konjunkturellen Entwicklung ist der
Anteil der befristeten Arbeitsverträge zurückgedrängt
worden . Deshalb lehnen wir den Antrag der Fraktion Die
Linke ab .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Bärbel Bas [SPD])



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812406900

Herzlichen Dank . – Als nächstem Redner erteile ich

das Wort dem Abgeordneten Bernd Rützel, SPD-Frakti-
on .


(Beifall bei der SPD)



Bernd Rützel (SPD):
Rede ID: ID1812407000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die
Linke fordert, dass das unbefristete Arbeitsverhältnis zur
Regel wird . Gabi Hiller-Ohm hat es schon festgestellt:
Gott sei Dank ist das unbefristete Arbeitsverhältnis die
Regel – 90 Prozent aller Arbeitsverhältnisse sind unbe-
fristet . Aber ich will schon sagen, dass 90 Prozent nicht
automatisch eine hohe Qualität bedeutet . Wenn 90 Pro-
zent aller Flugzeuge sicher landen oder 90 Prozent aller
Operationen gelingen, dann möchte ich nicht mehr flie-
gen und auch nicht mehr krank werden .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Ich erinnere mich an einen Spruch auf einem Schild
im Klassenzimmer der dritten Klasse in meiner Grund-
schule in Rieneck . Darauf stand: „Feuer, Gas und Wasser
sind drei gute Diener, aber drei schlimme Herren .“ Heu-
te, 40 Jahre später, müsste man sagen: Befristete Arbeits-
verhältnisse, Leiharbeit und Werkverträge sind drei gute
Diener, aber drei schlimme Herren .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg . Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Befristung in der Beschäftigung nimmt zu, gerade
bei jungen Menschen, und das schadet ihnen und unserer
gesamten Gesellschaft .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Eine sachgrundlose Befristung verbaut Lebenschancen .
Beschäftigten wird eine langjährige Perspektive verwei-
gert . Heute früh, vor zwei Stunden, hat die Kanzlerin auch
zur Nachhaltigkeit, zur internationalen Zusammenarbeit
gesprochen . In Artikel 23 der Charta der Menschenrechte
steht – ich habe es noch einmal nachgelesen –, dass jeder
das Recht auf „befriedigende Arbeitsbedingungen“ und
„Schutz vor Arbeitslosigkeit“ hat .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Ein wichtiges Argument!)


Matthäus Strebl






(A) (C)



(B) (D)


Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen ein
Mindestmaß an Sicherheit, um eine Familie zu gründen,
um sich gesellschaftlich zu engagieren . Durch die befris-
teten Jobs wird eine fundierte Lebensplanung eben behin-
dert . Wenn junge Menschen ein Haus bauen wollen oder
eine Wohnung kaufen wollen und zur Bank gehen, um
einen Kredit aufzunehmen, dann werden sie gefragt: Was
haben Sie denn für Sicherheiten? Wer dann antwortet:
„Ich habe noch sechs Monate einen befristeten Arbeits-
platz“, dem helfen auch die momentan günstigen Zinsen
nichts . Ständig stecken junge Leute in einer erneuten Be-
werbungsphase, statt sich auf ihre Arbeit konzentrieren
zu können . Nur wer ein sicheres Arbeitsverhältnis hat,
kann gute Arbeitsergebnisse abliefern .

Wie singt Herbert Grönemeyer – ich bin ein Her-
bert-Grönemeyer-Fan-:


(Beifall der Abg . Katja Mast [SPD])


– da ist noch ein Grönemeyer-Fan –: „Angst stellt ru-
hig, Angst kriegt klein“ . Das, glaube ich, brauchen wir
nicht . Wir brauchen, um die Zukunftsherausforderungen
zu bewältigen, selbstbewusste und gute Mitarbeiter, die
anpacken, die sich in ihrem Job bestätigt fühlen . Wer als
Unternehmer ein gutes Geschäftsmodell hat, der stellt
diese Leute auch unbefristet und auf Dauer ein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was folgt jetzt daraus?)


Die Probezeit wird oft als Argument verwendet, um
befristete Arbeitsverträge zu machen . Das ist eine Hin-
tertür . Wir haben das heute schon oft gehört . Der Kün-
digungsschutz wird geschleift . Ich bin mit meiner Partei
und meiner Fraktion einig darin, dass die sachgrundlose
Befristung abgeschafft werden muss .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg . Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bevor die Frage „Warum tut ihr das nicht?“ kommt,
sage ich: Im geltenden Koalitionsvertrag – auch das ist
heute schon besprochen worden – konnten wir eine Ab-
schaffung der sachgrundlosen Befristung leider nicht
vereinbaren . Das war nicht zu machen . Ich sehe über-
all Zustimmung, auch in Teilen der Union . Die CDA hat
einen Antrag auf Ihrem Bundesparteitag gestellt . Es ist
schade, dass es nicht geklappt hat . Wir haben noch zwei
Jahre Zeit . Vielleicht können wir noch einmal darüber
reden .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden können wir über alles! – Max Straubinger [CDU/ CSU]: Es ist die Frage, was wir tun!)


– Reden können wir über alles; ich komme auf Sie zu-
rück .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber das nützt nichts! – Gegenruf der Abg . Ulli Nissen [SPD]: Dann kommt es ins Protokoll! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden können wir über alles, immer!)


Ich will zur Ehrenrettung aber schon sagen – jetzt hört
Herr Kauder nicht mehr zu –, dass wir gemeinsam eine
Menge erreicht haben . Wir – die SPD, die CDU, die CSU
und die Grünen – haben den Mindestlohn eingeführt .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Das war notwendig .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das reicht nicht, Herr Kollege!)


Ich glaube, Sie von der Linken ärgern sich ewig, dass Sie
dem Mindestlohn nicht zugestimmt haben .


(Beifall bei der SPD)


Es ist gut, dass der Mindestlohn gerade jetzt gilt, wo auch
die Flüchtlinge zu uns kommen .

Andere Themen sind angesprochen worden . Liebe
Kolleginnen, liebe Kollegen, auch im Bereich des Wis-
senschaftsbetriebs führen wir Verbesserungen herbei .
Die Qualifizierungsbefristung muss für die Dauer der
Qualifizierung gelten. Wenn eine Qualifizierung drei Jah-
re dauert, dann muss auch der Arbeitsvertrag drei Jahre
gelten . Das ist eine Menge . Ich glaube, das war in diesem
Monat im Kabinett .

Es sind verschiedene Bausteine, die zur Bekämpfung
prekärer Beschäftigung notwendig sind . Man kann nicht
das eine tun und das andere lassen . So warnt zum Bei-
spiel das heute schon zitierte IAB, das Institut für Ar-
beitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für
Arbeit, dass eine Abschaffung der sachgrundlosen Be-
fristung dazu führen kann, dass auf andere Formen wie
Leiharbeit oder freie Mitarbeit ausgewichen wird .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Muss man regeln!)


– Genau, das muss man regeln, Klaus; ich bin da bei dir .
Von daher haben wir das auch vor . Das ist bekannt .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das wissen wir!)


Wir sind mitten in den Gesprächen zu Leiharbeit und
Werkverträgen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt das denn?)


Sie werden es bald erleben, dass wir die Leiharbeit auf
ihre Funktion zurückführen,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt denn der Gesetzentwurf?)


nämlich nicht Herr zu sein, sondern Diener, wie es in
meiner dritten Klasse auf dem Schild stand . Auch die
Werkverträge werden wir wieder auf ein vernünftiges
Maß zurückführen . Dazu werden wir das Arbeitnehme-
rüberlassungsgesetz an die aktuellen Entwicklungen an-
passen .

Bernd Rützel






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sehr geehrte Da-
men und Herren, es gibt in dieser Koalition noch genug
zu tun .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Wir haben bisher schon viel erreicht . Wir packen das
auch weiterhin intensiv an . Auf diese Arbeit freue ich
mich, und dazu lade ich alle ganz herzlich ein .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812407100

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten
Krellmann noch einmal das Wort .


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812407200

Vielen Dank, dass Sie mir noch einmal das Wort geben . –
Ich muss sagen: Der Kollege Bernd Rützel


(Ulli Nissen [SPD]: Das war klasse, oder?)


hat mein Verständnis von der SPD wieder geradegerückt .
Nach den anderen SPD-Rednern war ich ein bisschen am
Zweifeln .


(Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Na, na, na! Das müssen wir doch bestreiten!)


Im Grunde wollte ich gerne etwas zu Herrn Strebl
sagen . Es ist ausdrücklich so, dass Ausbildungsverhält-
nisse nicht in den Statistiken enthalten sind, davon aus-
genommen sind . Um Ausbildungsverhältnisse geht es
auch nicht, wenn wir über sachgrundlose Befristungen
reden . Das muss man einfach klarstellen, und das wollte
ich klarstellen .

Ansonsten, Herr Strebl: Arbeitgeber haben die Möglich-
keit, bei Arbeitsverhältnissen eine Probezeit von einem
halben Jahr zu vereinbaren . In dieser Probezeit kann ein
Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen gekündigt
werden; nur die Kündigungsfrist muss eingehalten wer-
den . Das heißt mit anderen Worten: Jeder Arbeitgeber hat
die Chance, bis zu einem halben Jahr zu überprüfen, ob
ein Arbeitnehmer in Ordnung ist oder nicht . Ich persön-
lich kenne wenige Arbeitsplätze, bei denen es notwendig
wäre, einen Arbeitnehmer über einen noch längeren Zeit-
raum zu beurteilen, um sagen zu können, ob er gut oder
schlecht ist .

Deswegen braucht man die sachgrundlose Befristung
einfach nicht . Und ein Arbeitsverhältnis an dieser Stelle
auf zwei Jahre zu befristen, geht einfach nicht; das ist völ-
lig überflüssig. Wenn so etwas doch passiert, und jemand
sagt, dass er das braucht, dann würde ich sagen: Mensch,
das ist aber eine faule Personalabteilung; das hätte die
alles schon viel früher sehen und beurteilen können .


(Beifall bei der LINKEN)


Beschäftigte sind keine Beamten . Und auch wenn
sie ein unbefristetes Arbeitsverhältnis haben, heißt das
nicht, dass sie bis zu ihrem Lebensende in einem Betrieb
beschäftigt sind, sondern auch dann gibt es immer die

Möglichkeit, Kündigungen auszusprechen . Das alles ist
eigentlich sauber geregelt . Das hat bis 1985 immer gut
funktioniert . Seitdem ist das anders . Ich meine, solche
Befristungen sind heute nicht nötig; das ist Missbrauch,
insbesondere gegenüber der jungen Generation, die da-
von besonders betroffen ist .

Wenn man sagt, dass so viele ein unbefristetes Ar-
beitsverhältnis haben, dann ist das ja okay . Aber schauen
Sie sich einmal die Situation der unter 25-Jährigen an!
Da liegt doch das Problem . Die jungen Leute bekommen
keine Chance . Deswegen ist unser Antrag notwendig .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812407300

Gibt es Reaktionsbedarf? – Nicht . – Danke schön .

Tagesordnungspunkt 4 a . Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 18/4098 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall .
Dann ist die Überweisung beschlossen .

Tagesordnungspunkt 4 b . Wir kommen zur Beschlus-
sempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Das
unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/2783, den Antrag der Fraktion die Linke
auf Drucksache 18/1874 abzulehnen . Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlus-
sempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen worden .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c so-
wie den Zusatzpunkt 3 auf:

5 a) Beratung des Antrags der Abgeordne-
ten Ingbert Liebing, Artur Auernhammer,
Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU sowie der
Abgeordneten Bernhard Daldrup, Johannes
Kahrs, Doris Barnett, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der SPD

Für gleichwertige Lebensverhältnisse
– Kommunalfreundliche Politik des Bun-
des konsequent fortsetzen

Drucksache 18/6062
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss Digitale Agenda

Bernd Rützel






(A) (C)



(B) (D)


b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Kommunen von den Kosten für bauliche
Maßnahmen an Kreuzungen von Eisen-
bahnen und Straßen befreien

Drucksache 18/3051
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Innenausschuss
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Beschlussempfehlung und

(4 . Ausschuss)

Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion Die Linke

Verbindliches Mitwirkungsrecht für
Kommunen bei der Erarbeitung von Ge-
setzentwürfen und Verordnungen sowie
im Gesetzgebungsverfahren

Drucksachen 18/3413, 18/6085

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten

(Tübingen)

ter und der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜ-
NEN

Dauerhafte und strukturelle Entlastun-
gen für Kommunen in Not

Drucksache 18/6069
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

Es lohnt sich für alle, hierzubleiben; aber diejenigen,
die nicht hierbleiben wollen, sollten allfällige Gespräche
bitte vor dem Saal führen, damit wir ordnungsgemäß
weitermachen können .

Auf der Tribüne zu meiner Linken begrüße ich
62 Oberbürgermeister, Landräte und Bürgermeister des
Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“


(Beifall)


mit ihren Sprechern Frau Oberbürgermeisterin Dagmar
Mühlenfeld aus Mülheim und Herrn Oberbürgermeister
Peter Jung aus Wuppertal .


(Beifall – Volker Kauder [CDU/CSU]: Alle aus NRW, oder?)


– Um einen Zwischenruf des verehrten Fraktionsvorsit-
zenden Kauder aufzugreifen: Es sind in der Tat viele Kol-

leginnen und Kollegen aus NRW, aber auch Kolleginnen
und Kollegen aus anderen Ländern dabei .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber da muss es besonders schlimm sein, in NRW!)


Darüber können wir uns ja hinterher in der Debatte mit-
einander austauschen .


(Bernhard Daldrup [SPD]: Darauf kommen wir gleich zurück! – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Aus Baden-Württemberg sind keine dabei! Aus Bayern aber auch nicht!)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen . – Ich höre keinen
Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Als erstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Ingbert Liebing, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1812407400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wir führen heute eine Debatte über die Lage der
Kommunen in Deutschland, die unter anderem auf die
Initiative des Aktionsbündnisses zurückgeht . Es ist gut,
dass wir diese Debatte heute führen .

Diese Debatte findet vor einem besonderen Hinter-
grund statt . Denn in diesen Tagen erleben wir wie selten
zuvor, wie wichtig leistungsstarke Kommunen sind .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unsere Städte und Gemeinden stehen mit der Bewälti-
gung der Flüchtlingskrise vor einer besonderen Heraus-
forderung . Und alle leisten einen gewaltigen Kraftakt:
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltun-
gen der Städte und Gemeinden, die Oberbürgermeisterin-
nen und Oberbürgermeister, die Bürgermeisterinnen und
Bürgermeister und die Landrätinnen und Landräte an der
Spitze . Viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer or-
ganisieren die Aufnahme von Flüchtlingen aus anderen
Ländern, die aus Not zu uns kommen, und Hilfe für diese
Flüchtlinge . Diese großartige Leistung, dieser Kraftakt,
verdient unser aller Dank und Anerkennung .


(Beifall im ganzen Hause)


In dieser Zeit kommt es ganz besonders auf die Kom-
munen an . Nicht in Berlin, nicht hier im Deutschen Bun-
destag, nicht in den Landeshauptstädten, nicht in den
Staatskanzleien oder in den Landtagen, sondern vor Ort,
in den Städten und Gemeinden, entscheidet es sich, ob
wir in der Lage sind, diese Herausforderung tatsächlich
in der Praxis zu meistern . Das entscheidet sich in Städten
wie Essen, Gelsenkirchen oder Wuppertal oder in kleinen
Dörfern wie Seeth oder Boostedt, wo in den Erstaufnah-
meeinrichtungen der Länder inzwischen mehr Flüchtlin-
ge leben als Einheimische im Dorf .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch in Passau!)


Vizepräsident Peter Hintze






(A) (C)



(B) (D)


Umso wichtiger ist es, dass wir heute zu klaren Verstän-
digungen zwischen Bund und Ländern kommen; und da
geht es um drei Bereiche .

Es geht jetzt erstens darum, alle Kräfte zu mobilisie-
ren, um Hilfe zu leisten, und diesen Kraftakt vor Ort zu
organisieren, Menschen, die aus Not zu uns kommen, zu
helfen .

Zweitens gehört aber auch dazu, den Zuzug zu be-
grenzen; denn – das wissen wir auch – die grenzenlose
Fortsetzung dessen, was in den letzten Tagen und Wo-
chen geschehen ist, würde die Städte und Gemeinden
restlos überfordern .

Drittens geht es auch um finanzielle Hilfe des Bundes.
Es ist zugesagt, dass diese Hilfe strukturell und dauerhaft
erfolgt . Dies wird sicherlich heute vereinbart werden; da
bin ich zuversichtlich .

Dies alles, was heute Nachmittag zwischen der Bun-
desregierung und den Ministerpräsidenten verhandelt
und vereinbart wird, liegt im Interesse der Kommunen .
Dazu leisten wir unseren Beitrag . Uns liegt die Leis-
tungsfähigkeit der Kommunen sehr am Herzen, bei die-
sem Thema, aber – das ist in diesen Zeiten auch wichtig –
auch bei allen anderen Aufgaben, die die Kommunen ja
auch weiterhin leisten müssen, etwa wenn es um ein aus-
reichendes Kitaangebot geht, wenn es um Schulen geht,
wenn es um Straßen geht, wenn es um Wohnungsbau
geht oder um Sport- und Freizeitangebote . Das ist das,
was die Menschen auch von ihrer Gemeinde, von ihrer
Stadt erwarten .

Wir helfen, wo wir helfen können . Aber wir müs-
sen auch feststellen, dass die Lage der Kommunen in
Deutschland sehr unterschiedlich ist . Es gibt einzelne
Kommunen in einzelnen Ländern, die keine Kassenkre-
dite kennen, aber es gibt andere Länder, wo die Kassen-
kredite explodieren . Über die Hälfte der Kassenkredite
in der Größenordnung von 48 Milliarden Euro deutsch-
landweit haben die Kommunen in einem einzigen Bun-
desland aufgenommen, nämlich in Nordrhein-Westfalen .
Das gehört auch zur Wahrheit .


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: In Rheinland-Pfalz ist es genauso!)


Es gibt einzelne Länder, die ihren Kommunen helfen und
sie zu 100 Prozent von den Kosten nach dem Asylbewer-
berleistungsgesetz freihalten, wie zum Beispiel Meck-
lenburg-Vorpommern und Bayern .


(Sabine Weiss das Saarland!)


Und es gibt andere Länder, die ihre Kommunen hier
herzlich im Stich lassen .

Dies können wir auf der Bundesebene nicht ausglei-
chen . Ich möchte das auch nicht als ein Schwarzer-Pe-
ter-Spiel verstanden wissen,


(Petra Hinz nicht! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, überhaupt nicht! Das wiederholen Sie doch jedes Mal! Bei jeder Debatte! – Gegenruf der Abg . Sabine Weiss (Wesel I)

gespielt! So einfach ist das!)

sondern es geht um die Verfassungsordnung in unserem
Land . Es ist schlichtweg eine Tatsache, dass laut unserer
Verfassungsordnung die jeweiligen Bundesländer für die
aufgabengerechte Finanzausstattung ihrer Kommunen
die Verantwortung tragen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen ist es für uns doch auch so bitter, zu erleben,
dass Gelder, die wir auf der Bundesebene mobilisieren
und die den Kommunen helfen sollen, teilweise vor Ort
gar nicht erst ankommen, sondern in den Landeskassen
landen . Das ist ein gefährliches Spiel, das einzelne Län-
der hier treiben .


(Petra Hinz Die Finanzprobleme vieler Kommunen haben im Wesentlichen etwas mit der Ausgabenseite zu tun, weniger mit der Einnahmenseite, und hier insbesondere mit den gestiegenen Sozialkosten . Wir wissen – das zeigen die Zahlen –, dass die Sozialkosten schneller und stärker steigen als die Einnahmen . Genau deswegen war es ja auch richtig, dass wir als Bund entschieden haben, die teure und dynamisch wachsende Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu übernehmen . Damit sorgen wir für eine dauerhafte strukturelle Entlastung auf der kommunalen Ebene, in diesem Jahr in einer Größenordnung von immerhin 5,4 Milliarden Euro . (Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Eingliederungshilfe? Da wurde doch auch was besprochen!)


Es gilt die Zusage, dass wir auch im Bereich der Ein-
gliederungshilfe etwas tun . Wir erneuern mit dem An-
trag, den wir heute vorlegen, unsere Zusage aus dem
Koalitionsvertrag, dass die Kommunen in diesem Feld
ab 2018 in einer Größenordnung von 5 Milliarden Euro
entlastet werden sollen .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In dieser Legislaturperiode!)


Ich kenne die Sorgen, dass diese Reform mit zusätzlichen
neuen Ausgaben verbunden sein könnte . Deswegen gebe
ich hier ausdrücklich die Zusage der CDU/CSU-Frakti-
on, dass wir dafür sorgen, dass das weder zu einer neuen
Kostendynamik noch zu einer neuen Kostenbelastung
der Kommunen führt . Wir wollen an dieser Stelle die
Kommunen strukturell und dauerhaft entlasten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bis 2018 leisten wir auch etwas . In diesem und im nächs-
ten Jahr helfen wir mit je 1 Milliarde Euro . Im Jahr 2017
wächst das auf 2,5 Milliarden Euro auf .

Ich nenne auch das Investitionsprogramm, das wir
auf den Weg gebracht haben. 3,5 Milliarden Euro für fi-
nanzschwache Kommunen, um die Investitionskraft zu
stärken . Das tun wir ganz bewusst zugunsten Ihrer Städte
und Gemeinden, von denen Sie hier als Oberbürgermeis-
ter, Bürgermeister und Landräte zu uns gekommen sind,
weil wir die Gießkanne einmal im Schrank lassen wollen

Ingbert Liebing






(A) (C)



(B) (D)


und denjenigen zielgerichtet helfen wollen, die unter be-
sonderer Finanznot leiden . Ich glaube, dass das gerade
Ihren Städten und Gemeinden besonders hilft .

Wir tun dies alles, um die Leistungsfähigkeit der
Kommunen zu stärken . Wir erleben in diesen Tagen im-
mer wieder, wie wichtig die Leistungsfähigkeit der Kom-
munen vor Ort ist . Aber es wird uns nicht gelingen, dies
dauerhaft zu tun, wenn es nicht gleichzeitig auch gelingt,
die mit der Flüchtlingskrise zusammenhängenden Her-
ausforderungen zu lösen . Deswegen hoffe ich auf gute
Ergebnisse heute Nachmittag, die dann in den Ländern
im Interesse der Leistungsfähigkeit unserer Kommunen
umzusetzen sind .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812407500

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Kerstin Kassner, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Kerstin Kassner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812407600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach fast zwei Jahren hier im Deutschen Bundestag
gibt es viele Dinge, an die ich mich gewöhnt habe, viel-
leicht auch daran, dass ich hier über einen Antrag spre-
chen muss, den ich erst vorgestern Abend erhalten habe .
Aber daran, dass wir erst heute, sechs Monate nachdem
sich das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“
an uns gewandt hat, darüber debattieren und noch nicht
einmal wissen, wie die Lösung des Problems tatsächlich
aussehen kann, werde und will ich mich nie gewöhnen .


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich zu dem
Antrag der Regierungsfraktionen komme, möchte ich
noch einmal kurz auf die zwei Anträge, die meine Frakti-
on gestellt hat, eingehen .

Zum einen haben wir auf der Drucksache 18/3413
ein kommunales Mitwirkungsrecht eingefordert . Dabei
geht es darum, dass das Mitspracherecht der Kommunen
deutlich erweitert wird . Nicht nur ein Anhörungsrecht
soll ihnen gewährt werden, sondern ein wirkliches Mit-
wirkungsrecht . Das geht von eigenen Vorschlägen bis hin
zur tatsächlichen Mitarbeit an den Gesetzesentwürfen .
Wie man so etwas beispielsweise regeln könnte, haben
wir in unserer Fraktion eingeführt: Bei uns gibt es einen
Kommunal-TÜV . Bei jedem Vorhaben, das aus den ein-
zelnen Arbeitskreisen – also gewissermaßen vergleichbar
mit den Ministerien – kommt, muss die Auswirkung auf
die Kommunen zwingend geprüft werden .


(Lothar Binding doch selbstverständlich!)


Damit kommen am Ende Bewertungen zustande, die uns
erlauben, zu entscheiden, was den Kommunen hilft oder

was sie belastet . Ich denke, dies wäre ein gutes Modell,
das man auch in der Bundespolitik umsetzen könnte .


(Beifall bei der LINKEN)


Der zweite Vorschlag betrifft das Eisenbahnkreu-
zungsgesetz . Auf Drucksache 18/3051 haben wir den
Vorschlag wiederholt, die Kommunen von den sich dar-
aus ergebenden Kosten zu befreien . Allein das, was jetzt
im Bundeshaushalt steht, belastet die Kommunen im Jahr
2016 mit über 50 Millionen Euro . Das ist Geld, das den
Kommunen für andere Aufgaben fehlt . Deshalb fordern
wir, dass die Kommunen von den sich aus dem Eisen-
bahnkreuzungsgesetz ergebenden Kosten befreit werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, komme ich zu
dem Antrag der Koalition . Hier lautet das Motto: „Für
gleichwertige Lebensverhältnisse – Kommunalfreundli-
che Politik des Bundes konsequent fortsetzen“ .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! – Zurufe von der SPD: Genau!)


Ja, da frage ich mich: Ist das, was von Ihnen getan wird,
denn wirklich konsequent kommunalfreundlich? Es
werden viele Gelder in Aussicht gestellt, zum Beispiel
werden ab 2018 Kosten, die sich aus dem Teilhaberecht
ergeben, übernommen . Aber jetzt und hier fehlt es Kom-
munen am Nötigsten . Nicht zuletzt deswegen haben sich
63 Kommunen aus sieben Ländern, Herr Kauder, die 10
Millionen Menschen unseres Landes vertreten, zusam-
mengeschlossen – völlig parteiübergreifend –, um auf
ihre Situation aufmerksam zu machen . Der Weg hierher
fiel ihnen sicherlich nicht leicht, aber die Situation macht
unkonventionelle Maßnahmen einfach notwendig .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen hier ja nichts, was meiner Fraktion
oder den Kollegen dort oben auf der Besuchertribüne
eingefallen ist . Wenn Sie das KfW-Kommunalpanel oder
die regelmäßig von der Bertelsmann-Stiftung veröffent-
lichten Kommunalen Finanzreports aufmerksam studie-
ren, dann stellen Sie fest, dass die Disparität wirklich so
groß ist, dass man grundsätzlich etwas an der Situation
der Kommunen ändern muss; denn sonst geht die Schere
weiter und weiter auseinander: Diejenigen, die Schulden
haben, werden immer ärmer, und diejenigen, die ausrei-
chend Geld haben – das sind inzwischen immerhin 20
Prozent, es waren mal 13 Prozent –, werden immer rei-
cher . Das ist schön für die Kommunen, die Geld haben,
aber schlecht für unsere Gesellschaft . Der erste Teil des
Titels Ihres Antrages – wir wollen uns noch mal daran
erinnern – lautete ja: „Für gleichwertige Lebensverhält-
nisse“ . Um sie zu erreichen, müssen wir etwas gegen die
vorhandene Disparität tun .

Im Moment ist es so: Es gibt Gemeinden mit großer
Steuerkraft, und es gibt Gemeinden mit geringer Steuer-
kraft . Kurz ein Beispiel: Der Kreis München – es wird
Sie nicht überraschen – verfügt über eine Steuereinnah-
mekraft von 3 440 Euro pro Einwohner . Der Kreis Vor-
pommern-Greifswald aus meinem Heimatland verfügt

Ingbert Liebing






(A) (C)



(B) (D)


über 518 Euro Steuereinnahmen pro Einwohner . Das ist
knapp ein Siebtel davon .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Da muss man auch nicht so viele S-Bahnen bauen! Mann, Mann, Mann!)


Umgekehrt sind die Ausgaben pro Kopf in diesem
Kreis sehr hoch . Wir haben dort nämlich nach wie vor
etwa 18 Prozent Arbeitslosigkeit . Das zieht hohe Kos-
ten nach sich, zum Beispiel im Bereich Kosten der Un-
terkunft . Auch dazu habe ich ein paar Beispiele mitge-
bracht: Die Pro-Kopf-Ausgaben im Bereich Kosten der
Unterkunft liegen in Mecklenburg-Vorpommern bei 244
Euro, in Bayern bei 78 Euro . Und wie sind die Kreise
belastet? Zum Beispiel der Kreis Rostock mit 324 Euro
und der Kreis Unterallgäu mit 19 Euro pro Einwohner .

Das heißt, nicht nur die Einnahmeseite ist unterschied-
lich strukturiert – von den Schlüsselzuweisungen der
Länder an die Kreise habe ich da noch gar nicht gespro-
chen –, sondern auch die Ausgaben sind ungleichmäßig
verteilt . Dort, wo schon wenig ist, ist viel zu leisten .

Wir wollen auch an die Kosten der Grundsicherung im
Alter erinnern . Auch daran haben viele der jetzt schwach
aufgestellten Kreise tatsächlich noch lange zu knabbern,
weil sie nämlich über viele Jahre hinweg die Kosten die-
ser Leistungen alleine tragen mussten . Noch etwas – nur
mal so für den Hinterkopf –: Die Kreise, in denen viele
Menschen Grundsicherung im Alter bekommen, müssen
auch zukünftig die Kosten für das Personal tragen, das
für die Bewilligung dieser Leistung zuständig ist; denn
diese werden nicht vom Bund übernommen . Die Kreise,
in denen es viele Menschen gibt, die eine Grundsiche-
rung im Alter bekommen, brauchen also auch viele Men-
schen, die die entsprechenden Anträge bearbeiten und
hoffentlich bewilligen . Diese Kosten bleiben wieder bei
den Kommunen hängen . Das ist auch bei anderen Aufga-
ben so . – Das nur für den Hinterkopf .

Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir hier
unsere Aufgabe gemeinsam wahrnehmen, dass wir für
einen Ausgleich sorgen, dass wir diese Disparität nicht
fortschreiben, sondern gemeinsam Wege finden, um sie
aufzulösen . Das ist eine Aufgabe, die der Bund natürlich
gemeinsam mit den Kreisen angehen sollte; auch die
Länder sollten eingebunden werden . Es ist eine wirkliche
Gemeinschaftsaufgabe, die wir gemeinsam zu lösen ha-
ben . Denn wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern, die
in diesen Kreisen wohnen, wirklich schuldig .

Damit bin ich bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik . In
allen Kreisen wird wirklich eine hervorragende Arbeit
geleistet . Man hilft sich gegenseitig, man geht unkonven-
tionelle Wege . Ich denke, wir dürfen es nicht zulassen,
dass die schwierigen Herausforderungen zulasten der
Bürgerinnen und Bürger gehen . Das würde ein ungutes
Klima schaffen .

Lasst uns deshalb gemeinsam diese Aufgabe in An-
griff nehmen – im Interesse der Bürgerinnen und Bürger
in den Kommunen . Sie haben es verdient .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812407700

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1812407800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Liebing, wir
arbeiten, wie Sie wissen, gut zusammen . Ich bedanke
mich auch für die Erarbeitung des vorliegenden Antrags,
den wir gemeinsam formuliert haben . Ich hätte aber nicht
vermutet, dass Sie reflexartig in NRW-Bashing verfallen.
Aus der Perspektive eines ehemaligen Bürgermeisters
von Sylt-Ost ist Nordrhein-Westfalen nicht so leicht zu
verstehen; das kann ich wohl nachvollziehen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich jedenfalls bin da ganz aufgeschlossen . So sollten Sie
sich, wie ich denke, einmal anschauen, was zum gegen-
wärtigen Zeitpunkt in Hessen läuft: nämlich so ziemlich
dasselbe, was früher Herr Rüttgers in Nordrhein-Westfa-
len gemacht hat . Wissen Sie, was das Ergebnis war? Herr
Rüttgers ist abgewählt worden .


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Na, schauen wir mal!)


Und wir machen das dann anders .

Jetzt zur Sache . 60 Bürgermeister – Frau Kassner,
Sie haben darauf hingewiesen – waren vor einiger Zeit,
im Februar, bei uns . Sie sind heute wieder hier . Sie alle
kommen aus Kommunen mit einer ausgesprochen ange-
spannten Haushaltslage und haben sich in einem Bünd-
nis zusammengeschlossen, das die Überschrift „Für die
Würde unserer Städte“ trägt .


(Beifall der Abg . Petra Hinz Natürlich geht es ihnen ums Geld; das ist keine Frage . Es geht ihnen aber auch um die Wertschätzung kommunaler Selbstverwaltung . Es geht um eine Kommunalpolitik, die die Freiheit hat, die Lebensbedingungen der Menschen zu gestalten, statt sie immer nur einzuschränken . Sie zeigen auch: Unsere Kommunen hier in der Bundesrepublik Deutschland sind systemrelevant für unsere Demokratie . Dafür bin ich ihnen dankbar . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Kerstin Kassner [DIE LINKE])


Der Kernbestand kommunaler Selbstverwaltung ist
in einigen Kommunen in der Tat gefährdet . Diejenigen,
die heute hier sind, repräsentieren – Frau Kassner hat es
eben gesagt – immerhin 10 Millionen Menschen; das ist
nicht wenig . Wir, die Koalitionsfraktionen, zeigen heute
aber auch, dass uns die Kommunalpolitik, dass uns das
Leben in den Städten und Gemeinden wichtig ist und
dass wir die Notlagen sehr ernst nehmen . Das zeigt auch
unser Antrag heute, Frau Kassner . Ich bin all denjenigen
aus den beiden großen Fraktionen, die daran mitgewirkt
haben, sehr dankbar .

Kerstin Kassner






(A) (C)



(B) (D)


Ich will die vier Kernprobleme, die die Kommunen
haben, stichwortartig benennen: erstens die anhaltend
hohe Verschuldung inklusive der wachsenden Kassen-
kredite, zweitens die dauerhafte Investitionsschwäche
bei einem gleichzeitigen Rückstand von Investitionen,
der bei 120 Milliarden Euro, vielleicht auch bei 150 Mil-
liarden Euro liegt, dem allerdings nur eine Investitions-
quote von 20 Milliarden Euro gegenübersteht, drittens
die dramatisch steigenden Soziallasten – 2005 betrugen
die Sozialausgaben noch 35 Milliarden Euro, heute lie-
gen sie bei über 50 Milliarden Euro; all das sind Kosten,
die bei den Kommunen auflaufen – und viertens – das ist
sozusagen die Quintessenz – die auseinanderdriftenden
Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland .

Diese langfristigen Kernprobleme werden seit min-
destens einem Jahr durch die große Zahl von Flücht-
lingen in den Städten und Gemeinden überlagert – ich
sage ausdrücklich „überlagert“ und nicht „verursacht“ ;
sie stellen nämlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine
neue, eine zusätzliche Herausforderung für die Städte
und Gemeinden dar . Deshalb erwarten wir seitens der
SPD, dass die beim heutigen Flüchtlingsgipfel getroffe-
nen Entscheidungen auch zeitnah und konkret umgesetzt
werden, weil nur dann aus dem Appell der Kanzlerin
„Wir können das schaffen!“ die Zuversicht entsteht: Ja,
wir schaffen das auch .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Kern stehen die Kommunen vor vier großen Her-
ausforderungen .

Die erste große Herausforderung sind die internatio-
nalen und europäischen Aufgaben zur Bekämpfung von
Fluchtursachen . Darüber ist heute Morgen gesprochen
worden; das ist nicht Thema dieser Debatte .

Hier in Deutschland geht es insbesondere um die fi-
nanzielle Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden .
Deswegen halten auch wir eine prozentuale Beteiligung
des Bundes an den Kosten jedes einzelnen Flüchtlings
für richtig . Die 3 Milliarden Euro, die bisher bundesseitig
angeboten worden sind, sind ein richtiger Schritt in die
richtige Richtung, aber vor dem Hintergrund der Zahlen,
auf denen sie basieren, die aber nicht mehr aktuell sind,
ist das einfach zu wenig . Ich habe auch Zweifel daran,
dass die heute Morgen in den Nachrichten und im Fern-
sehen vom hessischen Ministerpräsidenten geforderten
4 Milliarden Euro hinreichend sind .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nee, nee, nee! 5, 6, 7, 8 Milliarden! Immer druff! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Nach oben keine Grenze!)


– Er hat es gesagt . – Zur Debatte gehört jedenfalls, zu
betonen, dass eine strukturelle und dauerhafte Bundesbe-
teiligung wichtig ist . Dazu gehört nicht nur, die Gesund-
heitskarte verfahrensmäßig einzuführen, sondern auch
die Übernahme der Kosten .

Überdies geht es um Verfahren zur Verteilung von
Flüchtlingen und damit verbundene organisatorische und
technische Regelungen, die vorhin schon angesprochen
worden sind und die ich hier nicht wiederholen will .

Ich will mich gerne für die SPD dem Dank an die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Ver-
waltung und an die Zivilgesellschaft anschließen . Ihr
Engagement kann man aber nur dann aufrechterhalten,
wenn der Planungshorizont vor Ort über den nächsten
Tag hinausreicht .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich komme zurück zu den langfristigen Problemen .
Wenn die Schere zwischen den Kommunen weiter aus-
einandergeht, ist die Gleichwertigkeit der Lebensver-
hältnisse in Deutschland gefährdet . Das ruft den Bund
auf den Plan . Der Bund hat den verfassungsrechtlichen
Auftrag, für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse
zu sorgen . Das ist quasi die räumliche Seite des Sozial-
staatsgebots, und das ist eine Aufgabe des Bundes .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ebenso wie die dramatische Verschuldung klafft in
der Tat – es ist schon richtig, was vorhin gesagt worden
ist – auch die Investitionskraft auseinander . Es ist richtig,
dass selbst innerhalb Bayerns Disparitäten festzustellen
sind . Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner liegt in
München bei fast 90 000 Euro, während es im Landkreis
Bayreuth gerade einmal 19 000 Euro sind . Mit anderen
Worten: Auch hier gibt es eine Unterschiedlichkeit der
Lebensverhältnisse und der Lebensbedingungen .

Es erscheint – ich zitiere aus dem Kommunalen Fi-
nanzreport der Bertelsmann-Stiftung –

ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die doku-
mentierten Disparitäten das Ergebnis von politi-
schen Fehlentscheidungen, Unterschieden in der
Effizienz der Aufgabenerfüllung oder anderen
selbstverschuldeten Aktivitäten sind .

Das ist das Fazit der Bertelsmann-Stiftung . Deswegen
muss es, so sage ich es einmal, andere, zusätzliche Ver-
ursachungen geben .

Wir als Koalition haben meines Erachtens schon eine
ganze Menge erreicht . Das Thema Übernahme von So-
ziallasten durch den Bund ist bereits angesprochen wor-
den; da ist nicht nur an die Grundsicherung im Alter, son-
dern auch an die jeweils 1 Milliarde Euro in den Jahren
2015 und 2016 für die Eingliederungshilfe zu denken .
Auch ist die Stärkung der Investitionskraft angesprochen
worden . 3,5 Milliarden Euro sind keine Kleinigkeit . Wir
haben etwas für gleiche Lebenschancen getan, indem wir
die Mittel für das Sondervermögen für Kitaplätze aufge-
stockt haben und eine ganze Reihe weiterer Punkte mehr
angegangen sind .

Wir erwarten allerdings auch, dass auf dem Flücht-
lingsgipfel konkrete zusätzliche Vereinbarungen getrof-
fen werden . Wir werden beispielsweise die Mittel für den
sozialen Wohnungsbau deutlich erhöhen, damit nicht nur
jeder Flüchtling, sondern jeder, der über geringe Mittel

Bernhard Daldrup






(A) (C)



(B) (D)


verfügt und eine Wohnung benötigt, auch tatsächliche
eine Wohnung bekommt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812407900

Herr Kollege, die Zeit .


Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1812408000

Der letzte Punkt, den ich noch erwähnen möchte,

betrifft die Frage, wie es mit den Bund-Länder-Finanz-
beziehungen weitergeht . Das ist in der Tat eine Angele-
genheit, die zunächst einmal Bund und Länder zu regeln
haben . Man kann sich die Frage stellen, ob es nicht ein
interessanter Vorschlag ist, beispielsweise die Verteilung
des Umsatzsteueraufkommens nicht nur an die Wirt-
schaftskraft zu koppeln, sondern möglicherweise mit an-
deren sozialen Indikatoren zu verknüpfen . Ich persönlich
habe große Sympathien für Altschuldentilgungsfonds
und Ähnliches mehr. Nur: Es muss tatsächlich auch fi-
nanzierbar sein .

Ob es gelingt, die kommunalen Finanzbeziehungen
gänzlich auf neue Beine zu stellen, weiß ich zum gegen-
wärtigen Zeitpunkt nicht . Als Sozialdemokrat und als
Mitglied dieser Großen Koalition stelle ich jedoch gerne
fest: Die Kommunen und ihre Interessen haben großes
Gewicht in der Politik der SPD, in der Politik dieser Ko-
alition und auch, wie ich glaube, dieser Bundesregierung .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812408100

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Britta Haßelmann, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen .


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812408200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Liebe Mitwirkende im Aktions-
bündnis „Für die Würde unserer Städte“! Ich finde es
gut, dass wir heute diese Debatte führen . Diese Debatte
haben wir mit Ihnen innerhalb der Fraktionen im Feb-
ruar geführt . Viele von uns haben diese Debatte schon
über Jahre hinweg geführt; denn das Aktionsbündnis gibt
es nicht erst seit diesem Jahr . Wir haben uns mit Ihnen
darauf verständigt, heute über die Lage der Kommunen
zu diskutieren. Ich finde es richtig, dass alle Fraktionen
übereingekommen sind, dies auch zu tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Liebing, beginnen wir gleich einmal damit: Die
Welt ist nicht so einfach, dass man in ein kleines Nord-

rhein-Westfalen-Bashing eintreten kann, wenn man über
Disparitäten bei der Lage der Kommunen redet .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das sowieso niemals!)


Das haben wir Ihnen in den vergangenen Jahren immer
wieder versucht beizubringen . Leider haben Sie das bis
heute immer noch nicht verstanden . Das wird heute viel-
leicht mit nicht so viel Verve vorgetragen, weil Gäste da
sind . Ich will Ihnen aber sagen: Weder Cuxhaven noch
Ludwigshafen, noch Mainz, noch Salzgitter, noch Saar-
brücken, noch Neuwied liegen in Nordrhein-Westfalen .
Das sind jedoch Mitglieder dieses Aktionsbündnisses .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Und die Mitglieder dieses Aktionsbündnisses beschrei-
ben eine Situation, die seit Jahren vorherrscht, sehr prä-
zise . Sie beschreiben die Disparität, die unterschiedliche
Entwicklung der Kommunen in Richtung einer Zweiklas-
sengesellschaft . Es gibt prosperierende Kommunen und
strukturschwache Kommunen,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Die sind alle rot-grün regiert! – Gegenruf der Abg . Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Cuxhaven?)


in denen sich die Probleme kumulieren, die aufgrund ei-
ner hohen Arbeitslosenquote oder aufgrund von Struktur-
reformen – ich denke zum Beispiel an das Ruhrgebiet –
mit hohen Kosten konfrontiert sind . Deshalb können wir
längst nicht mehr von den Kommunen reden . Wir haben
längst eine Zweiklassengesellschaft . Gut 60 Kommunen
haben sich zusammengefunden in einem Aktionsbündnis
der armen Städte, um ihre Bedürfnisse zu formulieren
und zu artikulieren . Das ist ihr gutes Recht; denn sie ver-
treten 10 Millionen Bürgerinnen und Bürger .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Schauen wir uns die Entwicklung an: Wir wissen, dass
wir eine kommunale Verschuldung in Höhe von 135 Mil-
liarden Euro haben; und bitte hören Sie auf, das im Sinne
einer Farbenlehre einzelnen Bundesländern zuzuschrei-
ben .


(Alois Karl [CDU/CSU]: Das tut weh, was? Das ist unangenehm, was?)


135 Milliarden Euro kommunale Verschuldung – das
zeigt mir, dass es ein Fehler ist, dass bei den Bund-Län-
der-Finanzbeziehungen die Kommunen bisher keine
Rolle spielen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bernd, du hast das gerade auch angesprochen . Warum
finden wir nicht die Kraft, im Rahmen der Neuverhand-
lungen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen endlich
auch über einen Altschuldenfonds zu diskutieren?


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir geben eh schon 5 Milliarden aus Bayern!)


Bernhard Daldrup






(A) (C)



(B) (D)


Das wäre eine gute Gelegenheit, quasi ein Korridor, um
darüber zu sprechen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jede und jeder, die bzw . der sich damit auskennt, weiß,
dass die Länderentschuldungsfonds und -stärkungspakte
nicht ausreichen, um diesen großen Berg an kommunaler
Verschuldung – 135 Milliarden Euro plus x – abzutragen .
Wenn die betroffenen Kommunen wieder Land gewin-
nen sollen, müssen wir das Thema Altschulden angehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein Weiteres: Meine Damen und Herren, innerhalb
der letzten zwölf Jahre gab es eine enorme Entwicklung
bei den sozialen Pflichtaufgaben. Das sind keine Aufga-
ben, die sich eine Stadt oder Gemeinde selbst aussucht,
sondern das sind bundesgesetzlich vorgeschriebene Auf-
gaben, für die wir eine Gesamtverantwortung haben, für
die auch der Bund Verantwortung trägt . Ein verfassungs-
rechtlicher Diskurs und der Hinweis auf die Zuständig-
keit der Länder helfen da nicht weiter . Die Ausgaben der
Kommunen für soziale Pflichtaufgaben lagen 2005 bei
30 Milliarden Euro . 2017 werden es 54 Milliarden Euro
sein .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr habt ja draufgesattelt!)


Als Bund haben wir die Verantwortung, sicherzustellen,
dass die sozialen Pflichtaufgaben erfüllt werden können.
Nicht die Länder, sondern wir als Bund tragen dafür die
Verantwortung . An der Entwicklung sieht man doch,
dass die Kommunen diese Aufgaben nicht allein bewäl-
tigen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr wart das! Jetzt schlägt es dem Fass den Boden aus!)


Deshalb ärgert es mich so, dass Sie nicht zu Ihrem
Wort gegenüber den Ministerpräsidentinnen und Mi-
nisterpräsidenten stehen . In der Vereinbarung über den
Fiskalpakt stand nicht – das wissen alle, die sich damit
beschäftigen –, dass es 2018 5 Milliarden Euro für die
Eingliederungshilfe geben wird, sondern da stand drin,
dass in dieser Legislaturperiode ein neues Bundesleis-
tungsgesetz zur Eingliederungshilfe erarbeitet wird, das
die Kommunen um 5 Milliarden Euro entlastet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das steht auch nicht drin!)


Man muss immer wieder deutlich sagen, dass diese
5 Milliarden Euro im Moment erst für den Haushalt 2018
etatisiert sind . Da beißt die Maus keinen Faden ab – gu-
cken Sie einfach einmal in den Haushalt –: Für 2018 ste-
hen 5 Milliarden Euro drin . Sie haben den Kommunen
diese 5 Milliarden Euro aber für jetzt zugesagt .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Das stimmt ja gar nicht!)


Jetzt finanzieren Sie aber nur eine Übergangsmilli-
arde . Diese Übergangsmilliarde – das gehört auch zur
Wahrheit; ich sage das in Richtung Städtetag – wird zur
Hälfte über die Kosten der Unterkunft an die Kommunen

gegeben – das hilft den armen Städten, den Städten mit
Strukturschwäche – und zur Hälfte über die Umsatzsteu-
er . Innerhalb der Städtegemeinschaft wird nun natürlich
darum gerungen, wo es eine wirkliche Entlastung gibt .
Aus Sicht der Grünen wäre es bedeutsam, zu sagen: Wir
haben kein Geld für das Gießkannenprinzip . Wir wollen
uns besonders dem Thema Strukturschwäche widmen
und damit den Städten und Gemeinden, die struktur-
schwach sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb ist unser Anknüpfungspunkt ganz klar bei
den sozialen Pflichtausgaben; denn Arbeitslosigkeit,
Strukturschwäche und hohe Sozialausgaben sind immer
miteinander kombiniert . Da hilft es, deutlich zu sagen:
Das priorisieren wir . Hier ist Unterstützung notwendig .
Deshalb sind Fragen wie die Eingliederungshilfe, die zu-
gesagt war, die Kosten der Unterkunft und die Grundsi-
cherung im Alter, die wir als Bund zu 100 Prozent über-
nehmen – das ist richtig und gut –, Anknüpfungspunkte,
um hier einen Beitrag zu leisten und wirklich Unterstüt-
zung zu geben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Punkt ist aus meiner Sicht das Thema In-
vestitionsstau . Wir reden über einen Investitionsstau in
Höhe von 132 Milliarden Euro auf der kommunalen Ebe-
ne . Deshalb ist es notwendig, von Bundesseite stärker in
das Thema einzusteigen . Wir wissen: Die Investitions-
quote im Haushalt ist viel zu niedrig, um dieses Thema
anzugehen . Wir müssen auch hier Angebote und Anreize
für die Kommunen schaffen, damit sie endlich wieder in-
vestieren können, in Instandhaltung, in energetische Sa-
nierung und in weitere Bereiche . Ein Stichwort ist schon
gefallen: sozialer Wohnungsbau . Diesen brauchen wir
zwingend und ganz notwendig in den Städten und in den
großen Ballungsräumen . Deshalb wäre hier eine Förde-
rung nicht in Höhe von 500 Millionen, sondern in Höhe
von 2 Milliarden Euro richtig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihre Bauministerin hat doch auch schon einmal einen
Vorschlag dazu gemacht . Das ist richtig und notwendig .

Zuletzt will ich noch kurz etwas zu Flüchtlingen sa-
gen . Wir haben großen Respekt vor dem, was vor Ort in
den Städten und Gemeinden geleistet wird:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Sabine Weiss Kauder [CDU/CSU]: Jawohl!)


von der öffentlichen Verwaltung, von ehrenamtlich-bür-
gerschaftlich engagierten Menschen und von THW, ASB,
DRK und vielen Hauptamtlichen . Die Arbeit ist ohne sie
wirklich nicht zu schaffen . Umso irritierender ist es, dass
vonseiten des Bundes heute in den Verhandlungen 3 Mil-
liarden Euro als Unterstützung für die Länder und Kom-
munen angeboten werden . Angesichts dessen, dass die
Kommunen im Bereich der Flüchtlingsbegleitung und
-betreuung 1,2 Milliarden Euro ausgeben – das ist die ak-
tuelle Zahl von heute, und das ist doch ein Statement für
sich –, sind 3 Milliarden Euro auf jeden Fall zu wenig .

Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


Deshalb muss es heute aufseiten des Bundes Bewegung
geben. Wir müssen Geflüchteten und Kommunen unsere
Unterstützung anbieten .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812408300

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Alois Karl, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1812408400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen
Bundestages! Liebe Kollegen aus Nordrhein-Westfalen
und aus den anderen Bundesländern, ich darf mich Ihnen
vorstellen: Ich war früher selber Oberbürgermeister einer
nicht so großen Stadt wie Wuppertal, Köln oder Berlin,
aber immerhin . Einmal Kommunalpolitiker, bleibt man
irgendwie immer Kommunalpolitiker . Das ist gut so . Ich
meine, dass die Kollegen hier alle eine gute Verwurze-
lung in der Kommunalpolitik haben sollten und dass sie
ihren Fundus, ihre Kraft, ihre Herkunft aus der Kommu-
nalpolitik nie verschweigen dürfen . Meine lieben Kolle-
gen auf der Tribüne, wir aus der CDU/CSU-Fraktion sind
zu ganz großen Teilen kommunalpolitisch verankert . Da-
her weiß ich, dass die kommunalpolitischen Themen bei
uns in der CDU/CSU-Fraktion sehr gut aufgehoben sind .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich weiß, dass wir diesen Antrag miteinander geschrie-
ben haben, lieber Herr Daldrup . Trotzdem meine ich, die
Handschrift der CDU/CSU gut erkennen zu können .


(Petra Hinz Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Gemeinsam sind wir stark!)


Vor zehn Jahren war Bundestagswahl . Vor zehn Jahren ist
Volker Kauder zum Fraktionsvorsitzenden gewählt wor-
den, und seit dieser Zeit gibt es eine kommunalfreundli-
che Politik in der Bundesregierung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Dies wird auch durch den Antrag dokumentiert .


(Volker Kauder [CDU/CSU], an die SPD gewandt: Ich habe das bezahlt, was ihr den Kommunen draufgelegt habt in der letzten Koalition!)


– Lieber Volker, ich habe dich gerade gelobt; bitte höre
mir schön zu .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die glauben es halt nicht! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Wir haben seit zehn Jahren – ich gehe auch kurz auf
den Beitrag des Kollegen Liebing ein – eine mit mehr als
180 Mitgliedern aus unserer Fraktion hervorragend aus-

gestattete Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik . Die
Quantität ist hervorragend und die Qualität – das muss
ich sagen – fast noch besser .


(Zuruf von der SPD: Oh! Oh! – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ihr seid einfach toll! Ihr seid so toll!)


In diesem Gremium werden die Themen, die Sie, die uns
alle bewegen, in der Tat profund bewältigt .

Meine Damen und Herren, in dem Antrag, den wir
heute einbringen, sind 14 Forderungen enthalten . In der
katholischen Kirche gibt es die 14 Nothelfer . Man meint
fast, der Bund müsse sich jetzt in die Gruppe der 14 ein-
reihen und den 15 . spielen . Wir tun das allerdings, in un-
terschiedlicher und seit zehn Jahren ganz hervorragender
Art und Weise . Ich meine, dass wir unseren Auftrag er-
füllen, die Städte und Gemeinden in unserem Lande fi-
nanziell hervorragend auszustatten .

Die Städte und Gemeinden sind mehr als Kostgänger
beim Bund .


(Petra Hinz richtig!)


Wir müssen der Würde der Städte, der Würde der Bür-
germeister und Oberbürgermeister auch dadurch Rech-
nung tragen, dass wir dafür sorgen, dass sie nicht in je-
der schwierigen Situation zum Bund oder Land kommen
müssen, um zu betteln . Vielmehr müssen wir sicherstel-
len, dass sie ihre Stärken entfalten und selber Einnahmen
generieren können . Allein aus diesem Grunde war es eine
große Leistung, auch dieser Fraktion, dass wir die Ge-
werbesteuer erhalten haben .


(Lachen bei der SPD – Petra Hinz [SPD]: Ach was! Wer wollte sie denn abschaffen in der letzten Periode?)


Auch dieses Vorhaben wurde angefeindet . Aber heute
fließen 33 Milliarden Euro auf diesem Weg an die Städte
und Gemeinden .


(Ulli Nissen [SPD]: Ich habe das ganz anders in Erinnerung, Herr Kollege! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt bleibt mal ganz ruhig da drüben!)


– Ja, ja . Ihr Gedächtnis trügt vielleicht ein bisschen . – Wir
haben das mit sehr großer Standfestigkeit durchgezogen .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, den Städten
und Gemeinden geht es unterschiedlich: den einen sehr
gut und den anderen weniger gut . Ich kann mich aller-
dings erinnern, dass Dr . Articus, der Hauptgeschäftsfüh-
rer des Deutschen Städtetages, und Professor Henneke,
der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages,
auf der gleichen Veranstaltung gesagt haben, dass die
Kommunen vom Bund finanziell noch nie so gut ausge-
stattet worden sind, wie es heute der Fall ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch das ist ein Punkt, den man hier erwähnen muss .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


Natürlich – Herr Daldrup, Sie haben das gesagt –:
In Hessen könnte die Regierung abgewählt werden . Da
muss ich sagen: Dann hätten wir ja noch ein Geberland
weniger .


(Ulli Nissen [SPD]: Hat das was mit der Regierung zu tun, wer Geberland ist?)


Wir haben sowieso bloß noch drei Geberländer in
Deutschland, die in den Länderfinanzausgleich einzah-
len . Dazu gehören Hessen – wenn auch nicht in überwäl-
tigendem Maße –, Baden-Württemberg und Bayern . Ich
glaube, es wäre eine Katastrophe, wenn nur noch zwei
Länder einzahlen würden .

Meine Damen und Herren, ich sage ganz bewusst,
dass wir unsere Städte und Gemeinden auch deshalb fi-
nanziell starkmachen müssen, weil es so ist, wie es in
der Bayerischen Verfassung heißt – in anderen Länder-
verfassungen ist das ähnlich –: Die Gemeinden sind die
ursprünglichen Körperschaften des Staates,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


nicht der Bund und nicht die Bundesländer, die oft weni-
ger als 70 Jahre alt sind . Seit Jahrhunderten, seit tausend
Jahren sind es die Gemeinden, die den Staat prägen und
die Aufgaben in unserem Lande lösen .

Vorhin ist von Ingbert Liebing und Nachrednern
schon gesagt worden, dass es in der Tat die Gemeinden
sind, die auch bei der neuen Aufgabenstellung der Asyl-
und Flüchtlingsfrage die Kastanien aus dem Feuer holen
müssen . Natürlich: Die Bürgermeister sind immer da; sie
müssen die Probleme vor Ort lösen . Minister und Vize-
kanzler kommen und gehen, schauen sich alles an, und
dann sind sie wieder weg .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Bas [SPD]: Die ganzen Regierungen kommen und gehen!)


Aber der Bürgermeister ist immer da . Er muss für all die
Leistungen oder Nichtleistungen, die vor Ort erbracht
werden, geradestehen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten
zehn Jahren direkte oder indirekte Leistungen in ei-
nem Volumen von mehr als 170 Milliarden Euro an die
Kommunen gezahlt . Wir hätten das nicht machen kön-
nen, wenn wir noch die gleiche Situation wie im Jah-
re 2005 hätten . Erinnern Sie sich doch bitte, dass wir
im Jahre 2005 ein strukturelles Haushaltsdefizit von fast
60 Milliarden Euro hatten, dass Hans Eichel den Haus-
halt nur dadurch ausgleichen konnte, dass er neue Schul-
den in Höhe von 30 Milliarden Euro aufgenommen hat .
Die Gemeinden hatten ein Gesamtdefizit von 8,5 Milliar-
den Euro aufzuweisen . In diesen Tagen verzeichnen wir
hingegen einen Finanzierungsüberschuss – wohlbedacht:
die einen mehr und die anderen weniger .

Die Arbeitslosigkeit haben wir gewaltig gesenkt;
auch das kommt unseren Gemeinden zugute . Ein Segen
ist, dass wir die Ausgaben für Bildung und Forschung
deutlich erhöhen konnten und die Konjunkturprogramme

auch in unseren Städten und Gemeinden hervorragend
angekommen sind .

Meine Damen und Herren, das Potpourri der Leistungen
könnte man fortführen . Wie weit müssten wir unsere
Leistungen einschränken oder sogar einstellen, wenn wir
noch die Politik von vor zehn Jahren hätten und wenn
sich in den letzten zehn Jahren nichts grundlegend ge-
bessert hätte?

Meine Damen und Herren, ich bin zuversichtlich, dass
wir unsere Aufgaben erfüllen werden . Wir werden auch
in unserem Eifer, die Gemeinden systematisch zu unter-
stützen, nicht nachlassen . Beispiele dafür sind schon ge-
nannt worden .

Ich nenne hier nur noch einmal die Leistungen für die
KdU, die Kosten der Unterkunft, für die in diesem Jahr
ungefähr 5 Milliarden Euro zur Verfügung stehen . Nota
bene: 2005 sollte das noch abgeschafft werden . Das muss
man sich einmal in Erinnerung rufen . Ab 2018 werden
jährlich 5 Milliarden Euro für die Eingliederungshilfe –
das wurde ja beschlossen – bereitgestellt . Daneben über-
nehmen wir jetzt zu 100 Prozent die Kosten der Grundsi-
cherung . Das sind großartige Leistungen .

Ich könnte das weiter fortführen, Herr Präsident .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812408500

Nein, das können Sie nicht mehr .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1812408600

Wenn Sie meine Redezeit verdoppeln würden, dann

könnte ich das tun . Ich befürchte aber, dass Sie mir diese
Bitte abschlagen .

Daher sage ich Ihnen, liebe Kollegen aus der Kom-
munalpolitik: Wir haben großen Respekt vor Ihrer Arbeit
und Ihrer Leistung . Ich habe auch großen Respekt vor der
Arbeit unserer Koalition


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Auch vor dem Präsidenten!)


und in Sonderheit vor der Arbeit meiner Fraktion, der
CDU/CSU .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812408700

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Petra Hinz,

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Petra Hinz (SPD):
Rede ID: ID1812408800

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen

und Kollegen aus den Kommunen! Sehr geehrte Ober-
bürgermeisterinnen und Oberbürgermeister sowie Stadt-
kämmerer, die Sie heute zum zweiten Mal in diesem Jahr
hierher nach Berlin gekommen sind! Für das eine oder
andere muss ich persönlich mich nicht entschuldigen,

Alois Karl






(A) (C)



(B) (D)


weil ich jetzt für meine Fraktion und nicht für die Koali-
tion reden werde .


(Beifall bei der SPD)


Lieber Alois Karl, ich bin jetzt fast auf den Tag ge-
nau seit zehn Jahren im Deutschen Bundestag . Eines hat
mich dabei ständig begleitet, nämlich das Thema Gewer-
besteuer . Es war bei der CDU/CSU bereits in der Gro-
ßen Koalition ein Thema, die Gewerbesteuer zu opfern .
Das kann man alles nachlesen . In der zurückliegenden
schwarz-gelben Koalition war das wieder ein großes The-
ma . Minister Schäuble hat damals nämlich eine Kommis-
sion eingesetzt, um die Gewerbesteuer abzuschaffen .


(Ulli Nissen [SPD]: Pfui!)


Da Sie aber keine Alternative finden konnten, um Ein-
nahmen für die Kommunen zu rekurrieren, haben Sie
dieses Projekt gezwungenermaßen beiseitegelegt . Wenn
also jemand für sichere Einnahmequellen für Kommunen
steht, dann ist es weiß Gott nicht die CDU/CSU dieses
Hauses .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen ja im-
mer sehr viel über strukturschwache Regionen . Ich heiße
Petra Hinz, und als Namenszusatz habe ich Essen . Essen
liegt bekanntlich in Nordrhein-Westfalen . Ich möchte
deutlich machen, dass wir in NRW aufgrund des Struk-
turwandels in den zurückliegenden Jahrzehnten vor gro-
ßen Herausforderungen standen . Aufgrund der Zechen-
schließungen und der Krise im Bereich Kohle und Stahl
haben wir über eine halbe Million Arbeitsplätze verloren .
Das muss man einfach so zur Kenntnis nehmen . Davon,
dass die Kommunen in meinem Bundesland diese He-
rausforderungen gestemmt haben, hat das Land Bayern
in den zurückliegenden Jahrzehnten definitiv profitiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/ CSU]: Dabei arbeiten wir so charmant zusammen!)


Was bedeutet das eigentlich für die alltägliche Arbeit
der Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister, der
Stadtkämmerer und der ehrenamtlichen Ratsmitglieder?
Das muss man hier heute doch auch einmal in dieser
Form sagen:


(Beifall der Abg . Annette Sawade [SPD])


Auf der einen Seite entscheiden der Bund und die Län-
der über Programme für den Kitaausbau, die Pflege, die
Gesundheitsvorsorge, die Prävention usw ., auf der ande-
ren Seite müssen die Kommunen diese ganzen Maßnah-
men umsetzen . Auf der einen Seite geben wir mehr Geld
für Infrastrukturmaßnahmen, auf der anderen Seite sind
einige Kommunen und Gemeinden völlig davon ausge-
schlossen, die notwendigen Fördergelder abzurufen . Wa-
rum?


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812408900

Frau Kollegin .


Petra Hinz (SPD):
Rede ID: ID1812409000

Ja?


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812409100

Der Kollege Karl möchte Ihnen eine Zwischenfrage

stellen . Darf er das?


Petra Hinz (SPD):
Rede ID: ID1812409200

Ja, dadurch bekomme ich mehr Redezeit . Sehr gerne .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812409300

Ja, ich halte die Zeit an .


Petra Hinz (SPD):
Rede ID: ID1812409400

Bitte .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812409500

Kollege Karl .


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1812409600

Liebe Frau Kollegin, Sie haben jetzt davon gespro-

chen, dass Bayern jahrzehntelang von Nordrhein-West-
falen profitiert hat.


Petra Hinz (SPD):
Rede ID: ID1812409700

Ja .


(Ulli Nissen [SPD]: Das muss man anerkennen!)



Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1812409800

Das stimmt zwar, aber wir haben, wie Sie wissen, einen
Länderfinanzausgleich. Über 20 Jahre haben wir dadurch
etwas bekommen, etwa 2 Milliarden Euro, umgerechnet
auf die heutigen Verhältnisse . Heute, Frau Hinz, zahlen
wir in einem Jahr mehr als 4 Milliarden Euro an Ihr Land
und an andere Länder . Ich meine, Sie hätten genug Chan-
cen gehabt, das Thema nicht anzusprechen . Sie tun das
aber, und darum muss ich Ihnen sagen, dass wir unser
Obligo durchaus erfüllt haben .


(Ulli Nissen [SPD]: Sie gehen doch vor Gericht dagegen, weil Sie das nicht mehr wollen!)


Vielleicht ist Ihnen auch bekannt, dass wir das einzige
Bundesland sind, das von einem Nehmerland zu einem
Geberland geworden ist, das mit seiner Leistungskraft
dazu beiträgt, dass die Verschuldung bei Ihnen und an-
deren Bundesländern nicht so dramatisch ausfällt, wie es
ansonsten der Fall wäre . Dafür brauchen Sie sich nicht zu
bedanken; Sie sollten es aber auch nicht verschweigen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Petry [SPD]: Leitungskosten! Strom!)



Petra Hinz (SPD):
Rede ID: ID1812409900

Es ist schon einmal der erste Schritt, dass jetzt gerade

ein Kollege der CSU – also aus Bayern – eingestanden
hat, dass einige Bundesländer dazu beigetragen haben,

Petra Hinz (Essen)







(A) (C)



(B) (D)


dass Sie in den zurückliegenden Jahrzehnten das aufbau-
en konnten, was Sie aufgebaut haben . Das ist ja schon
mal ein erster Fortschritt .


(Beifall bei der SPD)


Zweitens gibt es einen 24 . Subventionsbericht . Dort
ist nachzulesen, welche Subventionen das Land Bayern
bezieht, womit genau das, was Sie an Agrarwirtschaft ha-
ben, mitfinanziert wird. Darüber können wir uns gerne
unterhalten . Wenn dies bei allen anderen Bundesländern
genauso gemacht werden würde, würde es in Bezug auf
unsere Kommunen möglicherweise ein bisschen gerech-
ter zugehen .


(Beifall bei der SPD)


Deswegen sind die Kolleginnen und Kollegen aus den
unterschiedlichsten Bundesländern – aus sieben Bun-
desländern – hierhergekommen . Insofern gebe ich Ihnen
recht, wenn Sie hier heute bestätigen, dass das Land Bay-
ern immer von anderen Ländern – unter anderem auch
von Nordrhein-Westfalen – profitiert hat.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Seid doch nicht so kleinkariert! Redet mal über die Kommunen und nicht über so einen Quatsch!)


– Herr Kauder, man versteht Sie am Bildschirm sowieso
nicht . Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen, aber
bitte nicht dazwischenreden, wenn ich rede . Ich möchte,
dass Sie das bitte respektieren .


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Nein, reden Sie doch jetzt über die Kommunen!)


Warum sind Infrastrukturmaßnahmen in einigen Bun-
desländern bzw . Kommunen nicht abrufbar?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na also! Mannomann!)


Ganz einfach: Weil Ihnen die Möglichkeit der Finanzie-
rung der Komplementärmittel fehlt; das heißt, der Ei-
genanteil ist von diesen Kommunen nicht finanzierbar.
Aus diesem Grunde sind sie abgehängt, während andere
die gesamten Fördermittel, die der Bund bereitstellt, ent-
sprechend abrufen können . Sie sind auch deshalb abge-
hängt, weil im Rahmen der Haushaltssicherungskonzep-
te, die die Kommunen stemmen und die weiß Gott in den
sieben Bundesländern eine große Herausforderung dar-
stellen, so viele Personalstellen abgebaut worden sind,
dass sie gar nicht mehr in der Lage sind, die entsprechen-
den Programme und Maßnahmen abzurufen .

Ich sehe, Herr Präsident, meine Zeit läuft gleich ab .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist gut so!)


Dann komme ich jetzt zum Schluss . – Wir haben in den
zurückliegenden Jahren häufig darüber diskutiert – zum
Ende der ersten Großen Koalition haben wir dazu einen
sehr guten Antrag verfasst –, was den Kommunen helfen
könnte . Wir, die Ruhrgebiets-MdBs der SPD-Bundes-
tagsfraktion, sind seit zwei Jahren mit den kommunalen
Vertretern im Gespräch; es gibt gemeinsame Anträge und
Maßnahmen . Die Kommunen sind weiß Gott keine Bitt-

steller, sondern sie sind das Fundament unserer Demo-
kratie .

Die Kommunen brauchen verlässliche Einnahmen . Da
gebe ich meiner Kollegin von der Bundestagsfraktion der
Grünen eindeutig recht: Wir auf Bundesebene müssen
verlässliche Partner sein. Da reicht eine Anschubfinan-
zierung nicht aus, sondern für die Programme im Sozial-
bereich müssen die entsprechenden Gesetze auf den Weg
gebracht werden, und vor allem müssen wir dafür sorgen,
dass die Mittel bereitgestellt werden, die die Kommunen
im Bereich der Infrastruktur, der Bildung und des Sozial-
wesens benötigen .

Ich hoffe, dass sich das, was die Kommunen jetzt ge-
rade im Bereich der Flüchtlingshilfe leisten, heute Abend
beim Gipfel, der gemeinsam mit den Ministerpräsiden-
tinnen und Ministerpräsidenten stattfindet, widerspiegelt.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine gute Bera-
tung .

Vielen Dank, dass Sie hierhergekommen sind .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die kommen nimmer, wenn Sie so reden!)


Sie können davon ausgehen, dass es in diesem Bundestag
verlässliche Partner an Ihrer Seite gibt .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812410000

Frau Kollegin Hinz, Sie waren in etwa in der Zeit .

Sonst hätte ich etwas gesagt . Die Redezeit wird bei einer
Zwischenfrage angehalten . Insofern haben Sie sich kor-
rekt im Zeitkorsett befunden .


(Beifall bei der SPD)


Jetzt kommt der Kollege Jürgen Hardt für die CDU/
CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1812410100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte mich zunächst herzlich dafür bedanken, dass
ich als Fachfremder hier reden darf . Aber mein Wahl-
kreis ist im Zusammenhang mit Kommunalpolitik ein
ganz besonderer . Er umfasst drei Großstädte: Solingen
mit 160 000 Einwohnern, Remscheid mit 110 000 Ein-
wohnern und den Süden Wuppertals mit 40 000 Einwoh-
nern . Ansonsten sind die Kollegen Hintze und Zöllmer
die Wuppertaler Abgeordneten . Von daher ist für uns das
Thema alltäglich .

Liebe Frau Kassner, einen Kommunal-TÜV braucht
die CDU/CSU-Fraktion nicht .


(Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Doch, doch!)


Bei uns ist jeder sein eigener Kommunal-TÜV, wir sind
der Kommunal-TÜV . Wir haben in unseren Reihen er-
fahrene Kommunalpolitiker, zum Beispiel den früheren
Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, der heute Ge-
burtstag hat, Oliver Wittke .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Petra Hinz (Essen)







(A) (C)



(B) (D)


Ein Wort zu Herrn Daldrup . Dass unser kommunal-
politischer Sprecher über viele Jahre Erfahrung in einer
Kommune gesammelt hat, die im Norden Deutschlands
liegt und vielleicht von der einen oder anderen Wit-
terungslage begünstigt ist, bedeutet nicht, dass wir die
Dinge in der Kommunalpolitik anders sehen . Ich glaube,
dass Ingbert Liebing nicht nur das Zeug zu einem guten
Bürgermeister hat, sondern dass er auch das Zeug zu ei-
nem guten Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein
hat .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte dennoch den Blick auf das Grundproblem
richten und auf den Beitrag, den wir dazu leisten, das
Problem zu lösen . Wir haben in den drei Großstädten,
die ich vorhin genannt habe, und in vielen anderen Kom-
munen, die in dem angeführten Bündnis vertreten sind,
über viele Jahre die Situation gehabt, dass man sich als
Stadtverordneter, als Bürgermeister oder als Kämmerer
in einer Art Vergeblichkeitsfalle fühlte . Man konnte trotz
aller Zumutungen für die Bürger, etwa Schließungen von
Kultureinrichtungen, die Nichtsanierung notwendiger In-
frastruktur oder die Erhöhung von Grund- und Gewerbe-
steuer, das Problem nicht an der Wurzel packen . Man hat
im Stadtrat häufig gesagt: Warum sollen wir denn jetzt
das Schwimmbad schließen? Das nützt uns nichts . Ob
wir 50 Millionen Euro oder 49,5 Millionen Euro kommu-
nales Defizit im Jahr haben, ist doch egal. Wir kommen
aus den Schulden nicht raus .

Es ist den Kommunen zum Glück gelungen – daran
hat der Bund einen ganz maßgeblichen Anteil –, einen
Ausweg aus dieser Misere, aus dieser Krise zu finden –
das gilt konkret für viele nordrhein-westfälische Kom-
munen, auch für Solingen, Remscheid und Wuppertal –,
indem wir in den Kommunen Konzepte entwickelt ha-
ben . Nach diesen Konzepten müssen die Kommunen
selbst enorme Anstrengungen unternehmen, um Kosten
einzusparen oder die Einnahmesituation durch höhere
Steuern zu verbessern . Außerdem wird das Land in die
Pflicht genommen, und wir vertrauen darauf, dass uns
der Bund mit finanziellen Entlastungen massiv hilft, und
zwar da, wo die Lage am schlimmsten ist, nämlich bei
den steigenden Sozialausgaben .

Im Zeitraum 2010 bis 2018 werden die Länder und
Kommunen vom Bund um insgesamt 125 Milliar-
den Euro entlastet . Das ist eine Hausnummer . Damit
wird im Übrigen deutlich die Summe überstiegen, die
von dem einen oder anderen Bundesland – ich möchte
den Streit an dieser Stelle nicht fortführen – als Entlas-
tung der Kommunen mit Blick auf deren Finanzsituation
gewährt wird . Der Bund trägt einen ganz entscheidenden
Anteil .

Die Kämmerer und die Oberbürgermeister dieser
Städte haben im Grunde drei Sorgen, die sie umtreiben .
Die erste Sorge ist: Was würde in Bezug auf die Altschul-
den passieren, wenn die Zinsen explodierten und all un-
sere Bemühungen, aus den Schulden herauszukommen,
vergebens wären? Ich sehe das tatsächlich als drängen-
des Problem an . Es ist Gott sei Dank nicht akut, weil die
Zinssätze derzeit auch bei Kassenkrediten niedrig sind .
Aber ich möchte an dieser Stelle schon sagen: Gemäß

unserer Verfassung sind die Länder für die Finanzausstat-
tung der Kommunen zuständig . Deswegen müsste von
dort aus die Initiative kommen, dahin gehend etwas zu
machen .

Die zweite Sorge der Kommunen ist, dass von dem
Geld, das der Bund, verfassungsrechtlich bedingt, den
Kommunen häufig auf dem Umweg über die Länder zu-
kommen lässt, etwas an den Fingern des einen oder an-
deren Finanzministers hängen bleibt . Auch das ist sicher-
lich ein Problem, das in allen Bundesländern nicht ganz
von der Hand zu weisen ist . Ich könnte an dieser Stelle
wieder konkrete Beispiele aus meinem Bundesland nen-
nen, was ich aber nicht mache .

Wir müssen sicherstellen – das ist eine ganz wichti-
ge Aufgabe in der Abstimmung zwischen dem Bund und
den Ministerpräsidenten –, dass die Entlastungen durch
den Bund, zum Beispiel die geplante Entlastung bei der
Eingliederungshilfe, bei den Kommunen tatsächlich an-
kommen . Wenn man die Diskussion über die Eingliede-
rungshilfe verfolgt, merkt man sofort, dass die Länder
ihren Anteil haben wollen und dass Leistungsverbesse-
rungen in großem Umfang zu den Ideen gehören, die auf
den Tisch kommen . Das alles könnte möglicherweise ein
Stück weit das Geld aufzehren, das wir zur Verfügung
stellen . Nein, wir müssen darauf bestehen, dass dieses
Geld auch tatsächlich bei den Kommunen ankommt .

Die dritte große Sorge, die bei Kämmerern zu
schlaflosen Nächten führt, ist, dass durch die gegenwärti-
ge Flüchtlingspolitik und die massive Zuwanderung von
Menschen nach Deutschland die Kommunen finanziell
überfordert werden und sie deswegen ihre Einsparziele
und damit einen ausgeglichenen Haushalt in den vorge-
gebenen Rahmenbedingungen nicht erreichen können .

Das ist, glaube ich, die zentrale Forderung auch an
die Runde, die heute noch tagt, nämlich dass wir einen
Weg finden – ich glaube, der Vorschlag, den die Regie-
rungskoalition dazu unterbreitet, ist gut –, dass die Kom-
munen trotz der vielen Arbeit, die sie damit haben, und
dem enormen Einsatz, den sie zeigen, sicher sein können,
dass die Kosten nicht an ihnen hängen bleiben . In mei-
nem Bundesland zum Beispiel leisten die Kommunen
ganz viel in Amtshilfe für die Landesregierung . Es wird
zwar gesagt: Irgendwann machen wir einen dicken Strich
darunter und rechnen ab . Ich sage aber ganz konkret: Wir
werden in den Wahlkreisen die Landesregierung daran
messen, ob es tatsächlich so ist, dass die Kommunen für
das, was sie im Rahmen der Amtshilfe für das Land on
top zu dem leisten, was sie sowieso tun müssen, glatt-
gestellt werden und dass sie insgesamt bei der enormen
Aufgabe, die Flüchtlinge willkommen zu heißen und gut
aufzunehmen, nicht auch noch finanziell darunter leiden
müssen .

Ich möchte zum Schluss noch etwas mit Blick auf
Deutschland und die Nachbarstaaten sagen . Es glaube
doch keiner, dass wir ohne kommunale Selbstverwal-
tung – ohne das, was die eigenverantwortlichen Bürger-
meister und Stadträte in diesen Wochen zusammen mit
den Sozialverbänden und den Ehrenamtlichen leisten –,
sondern allein mit irgendeiner Zentralverwaltung auf
Bundes- oder Landesebene bei der enormen Zahl von

Jürgen Hardt






(A) (C)



(B) (D)


Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, auch nur
annähernd so relativ gut mit dem Thema klarkämen .
Nein, auch da beweist sich: Es ist ein enormer Trumpf,
ein enormer Vorteil und eine enorme Stärke unserer De-
mokratie, dass wir diese starken selbstverwalteten Kom-
munen haben, und dabei muss es bleiben . Dafür setzen
wir uns ein . In diesem Sinne ist der gemeinsame Antrag
zu verstehen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812410200

Wie wir gerade erfahren haben, feiert der Kollege

Oliver Wittke seinen Geburtstag durch Teilnahme an der
Plenarsitzung des Deutschen Bundestages . Dazu herzli-
chen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen für das kommen-
de Lebensjahr Glück, Gesundheit und Gottes Segen .


(Beifall)


Jetzt spricht unsere Kollegin Bärbel Bas für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bärbel Bas (SPD):
Rede ID: ID1812410300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Gäste! Ich will die Debatte noch etwas anreichern und
ein bisschen konkretisieren, was das aus Sicht einer ein-
zelnen Stadt, nämlich der Stadt Duisburg, bedeutet . Sie
ist bei vielen Themen als schlechtes Beispiel genannt
worden . Ich will jetzt auch einmal eine positive Nach-
richt verkünden: Es ist uns seit 1992 erstmalig gelun-
gen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen . Das ist
sicherlich auch unserer Politik zu verdanken, weil wir
den Kommunen Mittel für ihre Aufgaben im sozialen
Bereich zur Verfügung gestellt haben . Dass das Land
Nordrhein-Westfalen einen Stärkungspakt Stadtfinanzen
aufgelegt hat, hat dabei sicherlich geholfen . Deshalb will
ich auch dem Kämmerer, der die Debatte auf der Besu-
chertribüne verfolgt, noch einmal herzlich danken . Es
war, glaube ich, sein letzter Haushalt, weil er bald in den
Ruhestand gehen wird . Vielen Dank für diesen Kraftakt!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man darf dabei aber eines nicht verschweigen – dar-
um ging es auch bei meinen Vorrednern –: Die Stadt Du-
isburg hat einen Mühlstein mitzuschleppen . Ich glaube,
das ist beispielhaft für viele andere Kommunen . Duis-
burg hat 1,75 Milliarden Euro Altschulden . Die Kredit-
kosten für diese Altschulden betragen 30 Millionen Euro
im Jahr . Wir reden hier oft über Milliardenbeträge . Aber
für eine einzelne Stadt sind 30 Millionen Euro, die sie
bei Niedrigzinsen für die Altschulden aufbringen muss,
verdammt viel . Der Kollege Hardt hat es gerade erwähnt:
Wenn die Zinslage anders wäre, wären die Kreditkosten
noch viel höher . Dieses Geld fehlt für Investitionen .

Ich will noch einmal deutlich machen, zu was für Um-
trieben das manchmal führt die Düsseldorfer Kollegen

in beiden Fraktionen mögen es mir nachsehen, wenn ich
das sage:

Wir Duisburger haben mit den Düsseldorfern eine ge-
meinsame Stadtbahnlinie . Weil die Stadt Duisburg die
Investitionskosten für diese Stadtbahn nicht mehr tragen
konnte, bestand in der Tat die Gefahr, dass diese Linie an
der Stadtgrenze aufhört und dass die Menschen ausstei-
gen müssen, um mit Bus und Bahn nach Düsseldorf zu
fahren . Das hätte auch in umgekehrter Richtung gegol-
ten . Das sind ganz praktische Probleme . So etwas müs-
sen wir verhindern; das ist entscheidend .

Ich komme auf die sozialen Ausgaben zu sprechen .
Die Quote der Langzeitarbeitslosen in Duisburg liegt bei
43 Prozent . Daran wird deutlich, dass die Stadt massive
soziale Ausgaben hat, die sie nicht alleine tragen kann,
wenn sie keine Unterstützung durch Arbeitsmarktmaß-
nahmen bekommt . Andrea Nahles hat mit ihrem Minis-
terium erste entsprechende Programme aufgelegt . Aber
100 Plätze für eine Stadt, in der 30 000 Menschen in der
Langzeitarbeitslosigkeit leben, sind deutlich zu wenig .
Ich wünsche mir, dass wir hier in Berlin an solche Punkte
denken, wenn wir in den Haushaltsdebatten über die Res-
sorts Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sprechen .


(Beifall bei der SPD)


Ein Thema wurde heute noch gar nicht angesprochen .
Ich glaube, das ist ein Grund, warum sich damals ein ent-
sprechendes Bündnis gebildet hat . Duisburg hat seit 2007
eine enorme Zuwanderung von EU-Bürgern aus Südeu-
ropa, hauptsächlich aus Bulgarien und Rumänien, zu
verkraften . Inzwischen leben fast 13 000 zugewanderte
Menschen in der Stadt . Das erfordert eine enorme Integ-
rationsleistung . – Der Kollege Rebmann aus Mannheim
nickt gerade zustimmend, wie ich sehe . – Andere Städte
im Ruhrgebiet sehen sich mit einer ähnlichen Situation
konfrontiert . Ich habe die Sorge, dass dieses Thema auf-
grund der aktuellen Flüchtlingsdebatte völlig untergeht .
Hier ist aber eine enorme Integrationsleistung zu erbrin-
gen . Die zugewanderten Menschen nutzen die EU-weite
Freizügigkeit und leben dann in unseren Städten . Hier
lässt sich nichts begrenzen . Das wollen wir auch nicht,
weil uns die Freizügigkeit in Europa wichtig ist . Aber die
zugewanderten Menschen sind nicht immer gut ausge-
bildet. Sie bringen sicherlich Qualifikationen mit. Aber
wir brauchen Umschulungen und eine arbeitsmarktge-
rechte Sprachförderung . Die dafür benötigten Mittel
können arme und strukturschwache Städte nicht alleine
aufbringen . Deshalb appelliere ich: Es geht nicht nur um
die Lasten, die wir aufgrund der Flüchtlinge, die zu uns
kommen, nun zusätzlich stemmen müssen . Vielmehr sind
es 12, 15 oder vielleicht sogar 20 Kommunen, die eine
massive Zuwanderung zu verzeichnen haben und die-
se auch bewältigen wollen . Sie wollen diese Menschen
integrieren . Dafür brauchen sie einen gut funktionieren-
den Wohnungsmarkt und Arbeitsmarktmaßnahmen . Ich
hoffe, dass die Debatten, die wir in diesem Haus über
Flüchtlinge führen, nicht dazu führen, dass wir diese
Städte und Kommunen vergessen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jürgen Hardt






(A) (C)



(B) (D)


Der SPD-Fraktion ist es zu verdanken, dass – im Ko-
alitionsvertrag verankert – 25 Millionen Euro für Sofort-
hilfen im Jahr 2014 zur Verfügung gestanden haben . Ich
bin dem Koalitionspartner dankbar, dass er das mitge-
macht hat . Aber diese Summe reicht nicht aus; denn täg-
lich wandern mehr Menschen zu . Wenn von einem Tag
auf den anderen hundert Kinder mehr in einem Stadtteil
leben, dann weiß die betreffende Kommune nicht, wie
sie der Schulpflicht nachkommen und die Gesundheits-
versorgung gewährleisten soll, wenn sie keine finanzielle
Hilfe von Bund und Land – das sage ich ganz deutlich –
bekommt . Ich hoffe, dass die Debatte dazu führt, dass
wir noch einmal über einen Altschuldenfonds und Hilfe
bei besonderen Nöten, bei Besonderheiten in bestimmten
Regionen nachdenken .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das würde den betreffenden Kommunen und ihren Ver-
tretern, die gerade auf der Zuschauertribüne sitzen und
zuhören, sicherlich sehr helfen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812410400

Abschließende Rednerin in dieser Debatte ist die Kol-

legin Barbara Woltmann für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1812410500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wer wie ich aus der Kommunalpolitik kommt,
weiß, wie wichtig starke Kommunen sind . Ohne starke
Kommunen kein starkes Deutschland! Auch in dieser
Legislaturperiode stehen wir alle als verlässliche Partner
an der Seite der Städte und Gemeinden . Wir haben die
Kommunen an vielen Stellen bereits nachhaltig entlastet
und werden dies weiterhin tun . Aber eines möchte ich an
dieser Stelle ausdrücklich sagen – meine Vorredner ha-
ben das teilweise schon getan –: Es ist und bleibt verfas-
sungsrechtliche Aufgabe der Länder, eine ausreichende
Finanzausstattung der Kommunen sicherzustellen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ärgert mich zunehmend, dass immer nur Forde-
rungen an den Bund gestellt werden, ohne diese Verfas-
sungsmäßigkeit im Auge zu behalten; denn wir müssten
als Bund die Verfassung ändern, um zu einer direkten Fi-
nanzbeziehung zu den Gemeinden zu kommen .

Ich will nicht verschweigen, dass nach Artikel 106 des
Grundgesetzes der Bund für einheitliche Lebensverhält-
nisse zu sorgen hat . Aber der Bund tut bereits eine ganze
Menge; ich werde das gleich noch an einigen Beispielen
erläutern .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte auch an den gestern von Iris Gleicke vor-
gestellten Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand
der Deutschen Einheit 2015 erinnern, in dem steht, dass
das Ziel der deutschen Einheit weitestgehend erreicht sei,

auch wenn noch einiges zu tun ist . Wir sind da auch noch
nicht am Ende . Wie gesagt: Wir müssen die Verantwort-
lichkeiten einmal ganz klar darstellen . Ich glaube, das
kommt zu kurz .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr richtig, dass das gesagt wird!)


Ich möchte an einigen Beispielen verdeutlichen, was
der Bund schon alles tut . Da kann ich Ihnen jetzt einige
Zahlen nicht ersparen; denn sie sollten einmal genannt
werden: Der Bund hat mit der Übernahme der Kosten
für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminde-
rung die Kommunen bereits ganz deutlich entlastet . Auch
beim Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige
haben wir zu unserem Wort gestanden . Über das Son-
dervermögen „Kinderbetreuungsfinanzierung“ erfolgte
allein bis 2014 eine Unterstützung von 5,4 Milliarden
Euro . In dieser Wahlperiode haben wir das bestehende
Sondervermögen nochmals um 550 Millionen Euro auf
jetzt 1 Milliarde Euro aufgestockt . Auch für den Betrieb
von Kinderkrippen und Tagespflegestellen tragen wir
Sorge und fördern bis Ende des Jahres die Sprachförde-
rung mit 400 Millionen Euro . Wir reden immer von der
Vereinbarkeit von Beruf und Familie; auch da unterstützt
der Bund . Allerdings müssen die Länder das Geld, das
für die Kommunen vorgesehen ist, auch weiterleiten . Wir
haben ja von den „klebrigen Fingern der Länder“ gehört .
Die Länder sollen, bitte schön, nicht immer jammern,
ihre Kommunen bekämen nicht genug Geld, sondern das
Geld, das für die Kommunen vorgesehen war, auch in
Gänze weiterleiten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir tun auch sonst sehr viel . Wir erarbeiten etwa
eine Reform des Teilhaberechts für Menschen mit Be-
hinderungen . Die Ausgaben für die Eingliederungshilfe
für Menschen mit Behinderungen sind die am stärksten
wachsende Sozialausgabe der Kommunen . Auch da stel-
len wir 1 Milliarde Euro zur Verfügung . Diese Summe
wird 2017 auf 2,5 Milliarden Euro angehoben . Ab 2018
steigt sie auf 5 Milliarden Euro an .

Mit der Verabschiedung des Nachtragshaushaltes
2015 und des Gesetzes zur Förderung von Investitionen
finanzschwacher Kommunen haben wir einen weiteren
Schritt zur Stärkung der Kommunen vollzogen .

Es gibt viele weitere Maßnahmen, die von meinen
Vorrednern auch schon genannt worden sind . Eine dieser
Maßnahmen will ich noch erwähnen: Die 3,5 Milliarden
Euro, die wir als Sondervermögen veranschlagt haben,
stehen für Investitionen finanzschwacher Kommunen zur
Verfügung, die damit einen wichtigen Schritt zum Abbau
ihres Investitionsstaus vornehmen können .

In unserem Antrag wird auch der Breitbandausbau an-
gesprochen . Er ist gerade für den ländlichen Raum wich-
tig . Wir fördern die interkommunale Zusammenarbeit
und vieles andere mehr .

Ich möchte an dieser Stelle aber auch die viele Kom-
munen stark belastende Flüchtlingskrise ansprechen .
Das, was die Bürgermeister uns bei unseren Wahlkreis-
besuchen immer wieder sagen, ist: Wir sind eigentlich

Bärbel Bas






(A) (C)



(B) (D)


am Limit angekommen . – Es gibt Städte, wo viele Sport-
hallen und andere Hallen schon in Anspruch genommen
werden mussten . Diese Hallen stehen für die Sportver-
eine, für die Schulen, für die Kinder generell nicht mehr
zur Verfügung . Das ist schon ein schwerer Einschnitt,
eine Beeinträchtigung; das muss man so sagen . Die Bür-
germeister in meinem Wahlkreis sagen mir: Na ja, die
Zuweisungen bis Ende des Jahres können wir mit Ach
und Krach noch schaffen . Aber dann ist Schluss; dann
wissen wir einfach nicht mehr, wohin . Ihr müsst etwas
tun, damit dieser Flüchtlingsstrom zumindest gebremst
wird . – Ein Problem, das hier schon oft geschildert wor-
den ist, ist, dass auf einmal ganz viele Menschen in eine
Kommune kommen, obwohl sie dort in der notwendigen
Schnelligkeit gar nicht untergebracht werden können .

Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei al-
len bedanken, bei den Kommunen, bei den ehrenamtli-
chen Helfern . Man kann das überhaupt nicht hoch genug
anerkennen: Ohne dieses ehrenamtliche Engagement wä-
ren wir an dieser Aufgabe, glaube ich, schon gescheitert .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bürger, die mit ihrer Hilfe auch dazu beitragen,
möchte ich ebenfalls in den Dank einschließen .

Zurzeit ist ein Gesetz in der Diskussion, mit dem wir
etliche Veränderungen im Asylverfahren vornehmen
wollen . Im Koalitionsausschuss liegt ein ganzes Paket
auf dem Tisch, das wir in der nächsten Woche aller Vor-
aussicht nach in erster Lesung beraten werden .

Auf den Flüchtlingsgipfel, der heute noch stattfinden
wird, wurde schon hingewiesen . Ich hoffe und gehe erst
einmal davon aus, dass wir dort zu guten Beschlüssen
kommen werden; denn es ist eine gesamtstaatliche Auf-
gabe, eine Aufgabe aller Ebenen: des Bundes, der Länder
und der Kommunen . Nur gemeinsam können wir diese
Herausforderung schaffen . Ich habe die Hoffnung, dass
alle sich dieser Verantwortung bewusst sind . Insofern
hoffe ich beim Flüchtlingsgipfel heute auf gute Beschlüs-
se .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812410600

Frau Kollegin Woltmann, Sie denken an die verein-

barte Redezeit?


Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1812410700

Ich tue das und will schließen, nur noch ein letzter

Satz . – Da ich die letzte Rednerin bin, möchte ich noch
einmal betonen: Wir haben einen guten Antrag vorgelegt,
und das ist gut für die Kommunen in diesem Land . Ich
hoffe nach Ihrem Auftritt hier, Frau Hinz, dass die SPD
nach wie vor zu diesem Antrag steht . Sie sagten, Sie hät-
ten allein für die SPD gesprochen . Es ist unser gemein-
samer Antrag . Wir wollen das gemeinsam voranbringen .
Dazu stehen wir auch .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812410800

Ich schließe damit die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/6062, 18/3051 und 18/6069 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe je-
denfalls keinerlei Widerspruch . Die Überweisungen sind
somit beschlossen .

Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des In-
nenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Lin-
ke mit dem Titel „Verbindliches Mitwirkungsrecht für
Kommunen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen
und Verordnungen sowie im Gesetzgebungsverfahren“ .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/6085, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/3413 abzulehnen . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlus-
sempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 h
sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf:

27 . a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zu dem Protokoll vom 17. März
2014 zur Änderung des Abkommens vom
30. März 2010 zwischen der Bundesrepu-
blik Deutschland und dem Vereinigten
Königreich Großbritannien und Nordir-
land zur Vermeidung der Doppelbesteu-
erung und zur Verhinderung der Steuer-
verkürzung auf dem Gebiet der Steuern
vom Einkommen und vom Vermögen

Drucksache 18/5575
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 19. Oktober 2010
zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Föderation St. Kitts und
Nevis über die Unterstützung in Steuer-
und Steuerstrafsachen durch Informati-
onsaustausch

Drucksache 18/5576
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Partnerschafts- und Kooperations-
abkommen vom 11. Mai 2012 zwischen
der Europäischen Union und ihren Mit-
gliedstaaten einerseits und der Republik
Irak andererseits

Drucksache 18/5577

Barbara Woltmann






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

d) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zu dem Abkommen vom 21. Au-
gust 2014 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und dem Staat Israel zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung und
der Steuerverkürzung auf dem Gebiet
der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen

Drucksache 18/5578
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

e) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Protokoll vom 3. Dezember
2014 zur Änderung des Abkommens vom
30. März 2011 zwischen der Bundesre-
publik Deutschland und Irland zur Ver-
meidung der Doppelbesteuerung und zur
Verhinderung der Steuerverkürzung auf
dem Gebiet der Steuern vom Einkommen
und vom Vermögen

Drucksache 18/5579
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

f) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Batteriegeset-
zes

Drucksache 18/5759
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit

g) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Energiever-
brauchskennzeichnungsgesetzes

Drucksache 18/5925
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsge-
setzes zur Umsetzung des Urteils des Eu-
ropäischen Gerichtshofs vom 7. Novem-
ber 2013 in der Rechtssache C-72/12

Drucksache 18/5927

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Maria Klein-Schmeink, Dr . Konstantin von
Notz, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Sicher vernetzt, gut versorgt – Digitali-
sierung im Gesundheitswesen im Dienste
der Patienten gestalten

Drucksache 18/6068
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer,
Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zum Schutz der Verbraucher – Unzu-
treffende Angaben beim Spritverbrauch
und Schadstoffausstoß von PKW been-
den

Drucksache 18/6070
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte .

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist of-
fensichtlich der Fall . Dann sind diese Überweisungen so
beschlossen .

Bevor wir zu den abschließenden Beratungen ohne
Aussprache kommen, möchte ich Ihnen mitteilen, dass
interfraktionell vereinbart ist, den Tagesordnungs-
punkt 28 i – es handelt sich dabei um die Sammelüber-
sicht 224 zu Petitionen – von der Tagesordnung abzuset-
zen, das heißt, heute nicht zu beraten . – Ich sehe, dass
Sie alle damit einverstanden sind . Dann verfahren wir so .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 h
und 28 j auf . Es handelt sich um die Beschlussfassung
zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .

Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 28 a:

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abwick-
lung der staatlichen Notariate in Baden-Würt-
temberg

Drucksache 18/5218

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Recht und Verbraucherschutz (6 . Ausschuss)


Drucksache 18/6087

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/6087, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf der
Drucksache 18/5218 anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen . – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? –
Niemand . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung angenommen .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand .
Der Gesetzentwurf ist damit angenommen .

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 28 b:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005
zum Übereinkommen vom 10. März 1988 zur
Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen ge-
gen die Sicherheit der Seeschifffahrt und zu dem
Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Protokoll
vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrecht-
licher Handlungen gegen die Sicherheit fester
Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel be-
finden

Drucksache 18/5268

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/6084

Der zuständige Ausschuss für Verkehr und digitale In-
frastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6084, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/5268 anzunehmen .

Wir kommen zur

zweiten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand .
Dann ist dieser Gesetzentwurf ebenfalls angenommen .

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 28 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die internationale Zusammenarbeit zur
Durchführung von Sanktionsrecht der Vereinten
Nationen und über die internationale Rechtshilfe
auf Hoher See sowie zur Änderung seerechtli-
cher Vorschriften

Drucksache 18/5269

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Verkehr und digitale Infrastruktur (15 . Ausschuss)


Drucksache 18/6089
Der zuständige Ausschuss für Verkehr und digitale In-

frastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6089, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/5269 anzunehmen . Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Wir kommen zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 28 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgab
engesetzes
Drucksache 18/5273
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Verkehr und digitale Infrastruktur (15 . Ausschuss)


Drucksache 18/6071
Der zuständige Ausschuss für Verkehr und digitale In-

frastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6071, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/5273 anzunehmen .

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Niemand . Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung angenommen .

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch hier
niemand . Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen
des gesamten Hohen Hauses angenommen .

Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 28 e bis 28 h
und 28 j .

Tagesordnungspunkt 28 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 220 zu Petitionen
Drucksache 18/5957

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand .
Die Sammelübersicht 220 ist damit mit den Stimmen des
gesamten Hohen Hauses angenommen .

Tagesordnungspunkt 28 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 221 zu Petitionen

Drucksache 18/5958

Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand .
Die Sammelübersicht 221 ist ebenfalls mit den Stimmen
des gesamten Hauses angenommen .

Tagesordnungspunkt 28 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 222 zu Petitionen

Drucksache 18/5959

Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammel-
übersicht 222 ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen .

Tagesordnungspunkt 28 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 223 zu Petitionen

Drucksache 18/5960

Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand .
Die Sammelübersicht 223 ist damit mit allen Stimmen
des Hohen Hauses angenommen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 28 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 225 zu Petitionen

Drucksache 18/5962

Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Sammelübersicht 225 mit den Stimmen von SPD, CDU/
CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen .

Damit haben wir diesen Teil der Abstimmungen ab-
geschlossen .

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD

Neue Dynamik zur politischen Lösung der Syri-
en-Krise nutzen

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Dr . Rolf Mützenich für die SPDFrak-
tion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1812410900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Syrien zerfällt, Tod und Verzweiflung sind ge-
genwärtig – wir erleben tagtäglich schreckliche Bilder aus
diesem Land, aus der Region . Aber das ist kein Schicksal
des Landes . Es ist von Menschenhand gemacht,

und deswegen kann es der Mensch, wenn er es will, auch
verändern. Ich finde, wir sollten alles tun, um den Weg zu
bereiten, das Schicksal dieser Menschen zu verbessern .
Wir haben heute Morgen bereits über das Thema Flücht-
linge gesprochen . Ich will noch einmal daran erinnern,
dass die Bundesregierung, aber auch andere Regierungen
in Europa und darüber hinaus im vergangenen Herbst in
Deutschland zusammengekommen sind, um die Situati-
on der Nachbarländer in den Fokus zu nehmen, Geld in
die Hand zu nehmen und letztlich Hilfe gegenüber dem
Libanon, Jordanien und dem Irak anzubieten .

Zum Zweiten . Auch wenn mir vieles bei der Politik
der gegenwärtigen türkischen Regierung und des türki-
schen Präsidenten nicht gefällt, ist zu sagen: Dieses Land
beheimatet 2 Millionen Flüchtlinge und hat bisher 8 Mil-
liarden Euro für deren Unterbringung, für deren Gesund-
heit und andere Dinge aufgewandt .

Zum Dritten . Es ist gut, dass wir im Deutschen Bun-
destag die Mittel für die humanitäre Hilfe erhöht haben,
dass die Europäische Union für das World Food Pro-
gramme, das Welternährungsprogramm, mehr Mittel be-
reitgestellt hat, genauso der UNHCR . Dank an die Bun-
desregierung und an den Deutschen Bundestag, der in der
Vergangenheit den Institutionen immer wieder Mittel zur
Verfügung gestellt hat .


(Beifall bei der SPD)


Deswegen gibt es jetzt die Möglichkeit, politisch initiativ
zu werden .

Ich möchte von den Überschriften der letzten Tage
auf ein anderes Thema kommen . Ich will gar nicht so
sehr über Russland sprechen, sondern über das, was die
Bundesregierung gemeinsam mit anderen Regierungen
geschafft hat, nämlich die Vereinbarung des Atomab-
kommens mit dem Iran . Es ging nicht allein darum, eine
mögliche Atomkrise zu beherrschen, sondern darum,
dieses Land wieder in die internationale Gemeinschaft
zurückzuholen . Der Historiker Jürgen Osterhammel, den
die Bundeskanzlerin zu ihrem Geburtstag eingeladen hat,
sagte zu Recht: Vielleicht war 1979, als sich der Iran auf
den Weg gemacht hat, wieder eine besondere Bedeutung
in der Region zu bekommen, ein epochales Datum . –
Deswegen ist es jetzt den Versuch wert, den Iran daran zu
messen und zu fragen, ob er weiterhin Verantwortung tra-
gen und auf diejenigen Einfluss nehmen will, die für das
Blutvergießen in Syrien verantwortlich sind . Wir müssen

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


den Iran fragen, ob er bereit ist, in der internationalen
Gemeinschaft mitzuwirken .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt weitere hoffnungsvolle Anzeichen . So war es
ein gutes Zeichen, dass es zur Vernichtung der Chemie-
waffen in Syrien eine Resolution des Sicherheitsrates ge-
geben hat . Ich glaube im Nachhinein – vielleicht sehen
die Vertreter und Vertreterinnen der Linkspartei das auch
so –, der gesamte Deutsche Bundestag hätte gut daran
getan, der Vernichtung der Chemiewaffen zuzustimmen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die neue Resolution des Sicherheitsrates über weitere
Erkundungen in Syrien bietet Gelegenheit, hier anzu-
knüpfen . Wir ermutigen die Bundesregierung, insbe-
sondere den Bundesaußenminister, in New York alles zu
unternehmen, um mit den Vereinten Nationen weiter an
dieser Frage zu arbeiten; denn die Situation ist gefähr-
lich . Sie ist gefährlich, weil noch immer die militärische
Logik im Vordergrund steht – in Russland, aber auch bei
den anderen Beteiligten . Ich erinnere gerne daran, dass
es ein Irrtum ist, zu sagen: Nur wenn wir den IS bekämp-
fen, werden wir die Flüchtlingsströme stoppen . – Wahr-
scheinlich geht es insbesondere darum, Assad daran zu
hindern, weiter Fassbomben zu werfen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade deswegen sollten wir an den Iran und andere
Länder appellieren .

Selbst wenn es aber zu einer Verabredung auf inter-
nationaler Bühne in den nächsten Monaten, vielleicht
auch erst in den nächsten Jahren kommen wird, heißt
das nicht, dass sich die Verantwortlichen vor der inter-
nationalen Strafjustiz verstecken dürfen . Das darf nicht
die Verabredung sein . Dies sage ich zumindest für meine
Fraktion sehr deutlich . Es gilt das Statut von Rom; letzt-
lich gilt auch das deutsche Völkerstrafgesetzbuch . Daran
ist zu erinnern .

Wir stehen in der Tat vor einem Dilemma . Das sehen
wir jeden Tag; die Bundeskanzlerin hat es heute Morgen
noch einmal gesagt . Aber wir müssen aus diesem Dilem-
ma die richtigen Konsequenzen ziehen, nämlich der Di-
plomatie noch stärker zum Durchbruch verhelfen, damit
es Waffenruhen, Waffenstillstand und vielleicht irgend-
wann auch wieder Frieden in Syrien geben kann .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812411000

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke

für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812411100

Danke sehr, Herr Präsident . – Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich muss der Versuchung widerstehen, Ihnen
vorzurechnen, wie oft wir Ihnen das, was jetzt vorge-
schlagen wird – Verhandlungen unter Einbeziehung des
Staates Syrien –, schon vorgeschlagen haben und wie oft
Sie es zurückgewiesen haben . Ich streiche das; es ist für
mich im Moment nicht so interessant .

Ich möchte gern, dass wir uns erstens auf ein Ziel der
ganzen Debatte verständigen, das wir als Deutscher Bun-
destag – möglichst auch die Bundesregierung – ansteu-
ern sollten . Ich biete Ihnen ein Ziel an: Für uns ist das
Ziel, den Krieg, das Morden und Töten in Syrien sofort
zu stoppen . Wir sind bereit, alles andere diesem Ziel un-
terzuordnen; denn das ist die entscheidende Sache .


(Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Und wie, Wolfgang?)


Ich biete Ihnen an, zweitens gemeinsam das Ziel zu
formulieren, Syrien als nationalen Staat zu erhalten, sei-
ne säkulare Staatsverfassung zu retten und diesen Staat in
Gänze zu demokratisieren und sozial wiederaufzubauen .
Ich finde, wenn wir ein solches gemeinsames Ziel for-
muliert haben – ich biete Ihnen das zumindest an –, dann
können wir über Einzelheiten streiten und da auch unter-
schiedlicher Auffassung sein .

Wenn man in diese Richtung gehen will, muss man
mit aller Kraft die UNO-Vermittlungsmission von Staf-
fan de Mistura unterstützen . Seine Vorgänger hatten kei-
ne weltweite Unterstützung . Es muss nun besser gelin-
gen, sich international gemeinsam hinter diese Mission
zu stellen. Kofi Annan hatte gute Vorschläge, Lakhdar
Brahimi ebenfalls, aber sie hatten nicht diese breite Un-
terstützung .

Ich möchte nicht noch einmal lesen müssen, was ich
Ihnen jetzt vorlese . Friedensnobelpreisträger Martti Ah-
tisaari, den ich in der Kosovo-Frage – da war er ja Ver-
mittler – immer kritisiert habe, schrieb über seine Wahr-
nehmung der Verhandlungsprozesse: Bereits 2012 habe
der russische Unterhändler Witalij Tschurkin einen Drei-
Punkte-Plan zur Lösung des Konfliktes unterbreitet, der
auch einen Rücktritt von Syriens Präsidenten Baschar
al-Assad vorsah . Darauf seien aber Frankreich, Großbri-
tannien und die USA nicht eingegangen, weil sie davon
überzeugt waren, dass der Sturz Assads ohnehin bevor-
stünde . Zu diesem Zeitpunkt, so Ahtisaari, belief sich die
Zahl der Opfer auf 7 500 . Seine Schlussfolgerung ist: Wir
hätten das ganze Chaos vermeiden können . – Ich möchte
nicht, dass wir uns noch einmal zu Recht solche Vorhal-
tungen machen lassen müssen . Also muss man in der Po-
litik eine andere Richtung einschlagen .


(Beifall bei der LINKEN)


Was ich von der Bundesregierung wünsche, ist eine
diplomatische Offensive – nicht Waffenlieferungen und
einseitige Parteinahmen, sondern eine Vermittlung von
Verhandlungen . Eine solche diplomatische Offensive ist
das Gebot der Stunde .

Bei der Planung muss man über folgende Punkte nach-
denken und reden: Es muss über lokale Waffenstillstände

Dr. Rolf Mützenich






(A) (C)



(B) (D)


verhandelt werden . Ein Waffenstillstand für das gesamte
Syrien ist eher unwahrscheinlich . Also muss es ein Netz
von Gebieten geben, in denen lokale Waffenstillstände
ausgehandelt und dann durchgesetzt werden . Ich möch-
te gern, dass diese Verhandlungen unter dem Dach der
Vereinten Nationen zusammen mit den Konfliktparteien
stattfinden. Nachdem sich Herr Kauder heute dazu geäu-
ßert hat, sage ich: Ich bin unbedingt dafür, dass die USA
und Russland – was auch immer man von ihrer Politik
hält – in diesen Prozess einbezogen werden . Ohne die
USA und ohne Russland wird man nicht zu einem sol-
chen Prozess der Waffenstillstände und der Beendigung
des Krieges kommen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich glaube, dass man über die Einbeziehung verschiede-
ner Verhandlungsparteien nachdenken muss; es wird sich
entscheiden . Nicht alle werden sofort an einem Tisch
sitzen können; aber in diese Richtung muss es gehen:
Iran, Irak, Saudi-Arabien, Katar und die Türkei sollten
am Tisch sitzen – obwohl eine ganze Reihe der Regime
mir überhaupt nicht passen, aber das ist jetzt nicht die
Frage –, und auch die Regierung des Präsidenten Assad
sowie die verschiedenen Oppositionsgruppen, die in Sy-
rien auf Gewalt verzichten, die Kurden, müssen zu den
Verhandlungsparteien gehören . Ich habe nie verstanden,
warum die Bundesregierung im Vorfeld der Verhandlun-
gen nicht ein einziges Mal mit den Oppositionsgruppen
gesprochen hat, die erklärt haben, sie wollen keine Ge-
walt . Auch hier muss sich die Politik der Bundesregie-
rung ändern .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn die Oppositionsgruppen ihrerseits bereit wären –
was ein großes Zugeständnis wäre –, in die Verhandlun-
gen auch die sogenannte syrische Exilregierung einzube-
ziehen, dann wäre das für beide Seiten ein Schritt nach
vorne . Wir sollten das befördern .

Ich bitte Sie sehr, ebenfalls zu überlegen, wie man
diese humanitäre Situation wenigstens ein bisschen ver-
bessern kann . Dazu gehört auch, mit doppelten Standards
Schluss zu machen . Durch unsere doppelten Standards
blamieren wir uns in der ganzen Welt . Wir fordern von
Russland, keine Soldaten nach Syrien zu schicken –


(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Die sind ja schon da!)


das ist durchaus in meinem Sinne, um das deutlich zu
machen –, ich möchte aber, dass es glaubwürdig wird, in-
dem die Bundesregierung erklärt: Wir liefern keine Waf-
fen, wir werden die Waffenexporte in den Nahen Osten
verbieten . Wenn man nicht nur darüber nachdenkt, wen
man anklagen bzw . schwächen könnte, dann kann man
solche Forderungen auch besser aufstellen .


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss sage ich Ihnen: Wir brauchen eine Über-
gangsregierung . Ich bin sehr dafür, dass in Syrien darü-
ber nachgedacht wird, die Oppositionsgruppen, die auf
Gewalt verzichten, die Kurden und andere, in eine Über-
gangsregierung aufzunehmen . Eine Übergangsregierung
wird unter der Präsidentschaft Assads stehen . Was am

Ende steht, das sollen die Syrierinnen und Syrier durch
freie Wahlen in ihrem Land in einem gewaltfreien Um-
feld selber entscheiden . Das haben nicht wir hier zu ent-
scheiden . Das wird nicht über die Köpfe der Syrier hin-
weg entschieden; vielmehr sollten die Syrier in Wahlen
selbst entscheiden, welchen Präsidenten sie wollen . Das
wird man als Demokrat doch mit befördern dürfen . Das
wäre eine politische Konzeption, über die der Bundestag
nachdenken sollte . – Ich höre Gequake von der Regie-
rungsbank, aber das nimmt sowieso keiner ernst .

Danke sehr .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812411200

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege

Dr . Johann Wadephul .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1812411300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Der syrische Bürgerkrieg geht in sein fünftes Jahr .
Bisher wurden 240 000 Todesopfer gezählt, 4 Millionen
Menschen sind auf der Flucht und halten sich in den
Nachbarländern Syriens auf, sind Binnenflüchtlinge oder
begeben sich nach Europa bzw . nach Deutschland . Das
ist Anlass genug, dass wir die Außenpolitik in den Mittel-
punkt der Flüchtlingsdiskussion in Deutschland rücken;
denn die Flüchtlinge, die hierherkommen, haben Gründe,
zu fliehen. Wir sollten uns diesen Gründen ehrlich stel-
len . Wir sollten auch darüber nachdenken, was wir in der
Vergangenheit vielleicht verkehrt gemacht haben, was
wir versäumt haben .

Es ist notwendig, dass wir hier in der Diskussion über
Ursachen der Flucht aus dem Mittleren Osten sprechen .
Aber natürlich zwingt uns auch unsere humanitäre Ver-
antwortung, darauf zu schauen, was dort geschieht . Denn
die Städte und Dörfer in Syrien sind zerstört . Schon jetzt
ist dieses Land durch die Konfliktparteien um Jahrzehnte
zurückgebombt worden . Es wird Jahrzehnte dauern, das
Land wieder aufzubauen . Ich denke insbesondere an die
vielen jungen Menschen, deren Zukunft brachliegt und
denen wir kaum helfen können . Wir tragen hier eine gro-
ße Verantwortung .

In dieser Situation, lieber Herr Gehrcke, muss man in-
ternationale Organisationen stärken . Was aus dem Prin-
zip der Schutzverantwortung konkret folgt, darüber kann
man im Einzelfall streiten . In der vergangenen Legisla-
turperiode hat sich Deutschland bei einem Votum über
einen Militäreinsatz in Libyen enthalten . Das hat uns
sogar die Kollegin Wieczorek-Zeul damals vorgehalten;
ich sage das ohne Vorwurf . Auch Herr Gehrcke hat uns
damals in der Diskussion unterstützt; das war richtig .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das würde ich auch wieder tun!)


Aber man muss genauso sagen, dass ein Prinzip der
Schutzverantwortung seine Glaubwürdigkeit verliert,
wenn am Ende die internationale Gemeinschaft einem
fünfjährigen Morden, Krieg, Fassbomben- und Chemie-

Wolfgang Gehrcke






(A) (C)



(B) (D)


waffeneinsatz schlicht und ergreifend tatenlos zusieht .
Das kann nicht die Lehre aus Srebrenica oder Ruanda
sein . Wir als internationale Gemeinschaft müssen in der
Lage sein, zu handeln .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Man muss die internationale Gemeinschaft unterstützen,
Herr Gehrcke. Ich finde es ein bisschen bedauerlich, dass
Sie dazu nichts gesagt haben .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Hinsichtlich der Zerstörung von Chemiewaffen gab es
wenig Konsens . Sie müssen mir wirklich erklären, Herr
Gehrcke, wie man unter Zurückhaltung aller ideologi-
schen Argumente irgendeinen humanitären Grund finden
kann, sich gegen die Vernichtung von Chemiewaffen
auszusprechen . Das ist schlicht und ergreifend unver-
ständlich gewesen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das hat er nicht gemacht!)


Wir haben hier ein Minimum erreicht, und da muss man
doch Unterstützung leisten .

Die Situation in den Nachbarländern ist angesprochen
worden . Ich halte es für einen internationalen Skandal,
dass der UNHCR das Fehlen von 2,8 Milliarden Dollar
beklagt hat. So wenig wir bei diesem Konflikt auch tun
können, kann es aber nicht angehen, dass es am Ende
am Geld fehlt . Hier sind wir alle gefordert, meine sehr
verehrten Damen und Herren . Insofern kann ich uns nur
auffordern, dafür zu sorgen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Marieluise Beck Derzeit laufen die Haushaltsberatungen . Es gibt einen ersten Ansatz in Höhe von 400 Millionen Euro . Geld ist nicht alles, aber wenn wir Probleme mit Geld lösen oder zumindest lindern können, dann müssen wir auch Geld in die Hand nehmen . Wir sind uns doch gewiss, dass wir in dieser Situation in Deutschland und in Europa für manches Geld brauchen . Nach meiner Überzeugung muss aber auch der Haushalt des Auswärtigen Amtes hinreichend ausgestattet werden . Ich glaube, dass diese 400 Millionen Euro nicht ausreichen werden angesichts der großen Probleme, die wir haben . (Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD] und . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE] .)


(Bremen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


(Beifall des Abg . Ulli Nissen [SPD])


Deswegen ermutige ich uns alle, an dieser Stelle mehr
Geld in die Hand zu nehmen und dem Auswärtigen Amt
und all denjenigen, die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge
vor Ort leisten, mehr Mittel zuzuweisen, damit sie mehr
Möglichkeiten haben, meine sehr verehrten Damen und

Herren . Dieses Signal des Hauses ist meines Erachtens
insgesamt erforderlich .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Noch ein Wort zu Herrn Assad . Politik beginnt mit der
Wahrnehmung der Realität . Deswegen ist es vollkom-
men richtig, was die Bundeskanzlerin gesagt hat . Da hat
es auch nie eine andere Position gegeben, Herr Gehrcke .
Die Verhandlungen in Genf haben durchaus auch unter
Beteiligung des Regimes stattgefunden . Es ist aber am
Ende so, dass dieser Mensch nicht nur den Einsatz von
Fassbomben, sondern auch und insbesondere – das finde
ich nach den Erfahrungen des Ersten und Zweiten Welt-
kriegs besonders erschreckend – den Einsatz von Che-
miewaffen zu verantworten hat .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, so sehr wir
Realitäten anerkennen und auch mit Machthabern ver-
handeln müssen – das ist selbstverständlich –, darf es
nicht hingenommen werden, dass dieser Mensch, der den
Einsatz von Chemiewaffen zu verantworten hat, am Ende
straflos davonkommt. So darf kein Abkommen aussehen.
Die internationale Strafgerichtsbarkeit muss an dieser
Stelle handlungsfähig sein .

Ich glaube, wenn wir diese Möglichkeiten miteinan-
der nutzen, dann besteht die Chance, endlich etwas zu
erreichen . Ich glaube, es ist den Einsatz jeder Diplomatie
wert, dass wir für die Menschen in Syrien etwas tun .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812411400

Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für
Bündnis 90/Die Grünen .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812411500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich zitiere:

Seien wir ehrlich: Bislang sind alle Anläufe der in-
ternationalen Gemeinschaft für eine politische Lö-
sung gescheitert .

Dieser Satz ist ein Zitat des Herrn Außenministers aus
dem Tagesspiegel . Dies ist Ausdruck der notwendigen
Demut, die wir hinsichtlich des Syrien-Konflikts sicher
alle empfinden. Für die Politik der Bundesregierung gilt
dieses Eingeständnis des Scheiterns aber nicht; denn da-
für hat sie in den vergangenen viereinhalb Jahren viel zu
wenig gemacht .

Herr Wadephul, Sie haben internationale Schutzver-
antwortung als Prinzip angeführt . Ich frage mich, ob
irgendetwas in der Politik der Bundesregierung dieses
Prinzip abbildet . Ich sehe das leider nicht .

Es gibt natürlich in allen Fraktionen Kolleginnen und
Kollegen, die sich in den vergangen vier bis fünf Jahren
intensiv mit diesem Thema beschäftigt haben . Wir müs-
sen uns alle die Augen reiben, weil die Flüchtlinge, die

Dr. Johann Wadephul






(A) (C)



(B) (D)


jetzt kommen, dazu führen, dass die Bundesregierung
mehr tun will, aber nicht die 250 000 Toten und Millio-
nen von Opfern des Krieges .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gutes Argument!)


Besser spät als nie . Es gilt aber natürlich das Wort des
Außenministers: Seien wir ehrlich .

Seien wir ehrlich: Wir versagen kläglich bei der Ver-
sorgung der Flüchtlinge . Es ist gut, dass dem Welternäh-
rungsprogramm jetzt mehr Mittel zur Verfügung gestellt
werden . Es ist jetzt aber schon im dritten Jahr ein gewis-
ses Ritual, dass das Welternährungsprogramm im Früh-
jahr darauf hinweist, dass das Geld spätestens im Herbst
ausgehen werde – ich weiß, da gibt es keinen Dissens –,
und im Oktober werden dann die Rationen für Kinder
gekürzt . Das muss uns alle mit Scham erfüllen .

Seien wir ehrlich: Die Bundesregierung hat nach vier
Jahren Krieg immer noch keine Vorstellung davon, wie
sie die Nachbarstaaten unterstützen will . Der Libanon
ist andauernd kurz vor dem Kollaps . Kein Mensch kann
erklären, wie es dieses Land schafft, zu überleben . Sie
brauchen keine humanitäre Hilfe mehr für Projekte von
sechs Monaten Dauer . Sie brauchen Entwicklungszu-
sammenarbeit . Sie brauchen Infrastruktur . Sie brauchen
Strukturen, die langfristig halten, aber nicht die Frage-
stellung im BMZ: Ist der Libanon ein Schwerpunktland
unserer Politik? Wo müssen wir jetzt mehr Geld geben
und wo nicht? Investitionen in die Infrastruktur im Liba-
non sind jetzt schlicht Friedenspolitik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das gilt im Übrigen auch für den Irak . Irak war das
erste Land und ist hoffentlich auch das letzte Land, das
vom Konflikt in Syrien so heftig betroffen ist, und es ist
das zweite große Land, in dem ISIS sein barbarisches
Unwesen treibt . Ich bin gestern aus dem Irak zurückge-
kommen . Die zentrale Frage, die mir dort gestellt wurde,
ist dieselbe wie im letzten Jahr: Wo sind eigentlich die
Deutschen? Wo ist das deutsche Kapital? Welches poli-
tische Kapital bringt Deutschland in der zentralen Frage
der Reintegration der Sunniten, in der Frage der nationa-
len Aussöhnung ein? – Diesbezüglich gibt es eine sehr
große Leerstelle .

Ja, in Syrien wird ein sehr brutaler, harter und viel-
schichtiger Stellvertreterkrieg geführt, und ja, es gibt
Staaten, die das Land mit in den Abgrund gerissen haben .
Mit den Vertretern dieser Staaten muss man trotzdem
sprechen, und man muss zu diesen Staaten auch Bezie-
hungen unterhalten; es hilft nichts, den Kopf in den Sand
zu stecken wie der Vogel Strauß und so zu tun, als hätte
sich an der Situation nichts geändert .

Die Türkei ist gerade genannt worden . Die Türkei hat
2 Millionen Menschen aufgenommen . Der Außenminis-
ter war vor kurzem in Deutschland und hat dankenswer-
terweise eine Migrationspartnerschaft angeboten . Das ist
gut, und das ist richtig . Man muss aber auch einmal laut
und hörbar – so, dass Herr Erdogan sich nicht verstecken
kann – das Grenzmanagement der Türkei ansprechen;
denn dadurch wurden die Barbaren von ISIS zumindest
in den letzten zwei Jahren unterstützt . Man muss sagen,

dass ISIS zumindest indirekt immer wieder sehr stark aus
der Türkei heraus unterstützt worden ist . Trotz meiner
persönlichen Antipathie gegenüber der PKK muss ich
sagen: Es kann nicht sein, dass man versucht, einen Bür-
gerkrieg anzuzetteln, weil ein Wahlkampf bevorsteht . –
Das alles ist indiskutabel, aber das muss angesprochen
werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es muss auch gesagt werden, dass Saudi-Arabien viel-
leicht nicht von ISIS, aber von vielen anderen dschiha-
distischen Gruppen ein Hauptfinanzier ist. Es kann doch
nicht sein, dass daraus keinerlei Lehren gezogen worden
sind, zum Beispiel für Rüstungsexporte .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Beispiel Iran ist gerade genannt worden . Ja, es
gibt natürlich die Hoffnung, dass infolge des Nuklearab-
kommens eine Dynamik entsteht und die Iraner eine an-
dere, in Zukunft hoffentlich konstruktive Rolle bezogen
auf Syrien spielen werden . Das Gegenteil ist aber auch
möglich – auch das muss man benennen –: Es besteht das
Risiko, dass die Kriegskassen der Revolutionswächter
durch das Atomabkommen, für das ich sehr bin, gefüllt
werden und am Ende des Tages das erste Opfer dieses
Abkommens – noch einmal: für das ich sehr bin – das
syrische Volk ist . Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu .
Auch das muss man ansprechen .

Bezogen auf Russland ist die Situation ganz schwie-
rig, sogar dramatisch . Der Kollege Kiesewetter hat neu-
lich gesagt, dass Deutschland sich an Luftschlägen betei-
ligen möge . Man muss sagen – das gehört zur Ehrlichkeit
dazu –, dass das zurzeit nicht in erster Linie aus legalisti-
schen Gründen nicht geht, sondern weil Russland zurzeit
jede Ankündigung sehr schnell und sehr deutlich mit mi-
litärischer Eskalation beantwortet . So werden in Latakia
jetzt ein zweites und ein drittes Militärlager aufgebaut .
Es wird alles andere als einfach, Russland ins Boot zu
bekommen .

Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der
Umgang mit Assad . Das ist nicht die einzige zentra-
le Frage, da es zurzeit drei zentrale Gruppen in Syrien
gibt: die Assad-Schergen, die ISIS-Leute und nun auch
noch die al-Nusra, die ab und an einmal die Zivilisten
beschützt . Al-Nusra ist im Übrigen eine al-Qaida-Fili-
ale; das ist hochdramatisch . Die Bundeskanzlerin hat
ja recht, wenn sie sagt: „Vielleicht wird es irgendwann
einmal notwendig sein, mit Assad zu reden“, was aber
nicht geht, ist – da bin ich bei Ihnen –, ihn zum Partner
zu machen . Zum Partner können wir ihn nicht machen .
Wir können ihn nicht reinwaschen . Wir können nicht
sagen: „Im Irak ist die Reintegration der Sunniten, die
dort in der Minderheit sind, eine zentrale Aufgabe“, und
der Mehrheit in Syrien – das sind die Sunniten – sagen,
dass Assad unser Partner wird, obwohl eindeutig ist, dass
er verantwortlich ist für die Ruinen in ihren Städten, für
die Fassbomben, für das Töten ganzer Familien, für den
Tod von 250 000 Menschen . Wir können nicht sagen:
Wir haben viereinhalb Jahre nichts gemacht, und jetzt,

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


da die Flüchtlinge zu uns kommen, paktieren wir mit
dem größten Mörder der gesamten Region, damit wir die
Flüchtlinge von uns fernhalten . – Das wäre das falscheste
Signal, das wir zurzeit aussenden könnten . Ich glaube,
das wäre kein Beitrag zur Befriedung Syriens .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812411600

Jetzt spricht die Kollegin Elisabeth Motschmann für

die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1812411700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist

gut, dass wir heute eine außenpolitische Debatte führen,
nachdem wir mit Blick auf die Flüchtlinge viele innenpo-
litische Debatten geführt haben .

Fluchtursachen bekämpfen – diese Formulierung ist in
aller Munde . Das ist leicht gesagt, aber schwer getan . Die
Fluchtursachen liegen natürlich nicht nur in Syrien – wir
konzentrieren uns heute aber auf Syrien –, sondern sie
liegen in der gesamten Region und weit darüber hinaus .
Die Fluchtursachen beschäftigen nicht nur uns, sondern
viele Menschen im Land . Sie sind beunruhigt und ängst-
lich, was da noch auf uns zukommt . Die Herausforderun-
gen sind in der Tat extrem für Deutschland, für Europa
und die internationale Gemeinschaft . Die Fluchtursa-
chen – das wissen wir – sind vielfältig: Krieg, Hunger,
politische und religiöse Verfolgung, Enthauptungen, Ver-
gewaltigungen und vieles mehr . Viele meinen, die Situ-
ation sei aussichtslos, aber wer so denkt, der kann nichts
positiv verändern und verbessern . „Das größte Laster ist
die Verzagtheit“, sagte Franz von Assisi . Das sollten wir
uns zu Herzen nehmen .

Die Mitgliedstaaten der EU haben gestern und vorges-
tern sehr gute Beschlüsse im Hinblick auf die Flüchtlin-
ge, die Registrierungszentren in Italien und Griechenland
sowie zusätzliche Milliarden für die Welthungerhilfe ge-
fasst . Das alles sind erste richtige und wichtige Schritte,
aber sie lindern die Not nur bedingt .

Zurück zu Syrien . Von dort kommen zurzeit die meis-
ten Flüchtlinge. Sie fliehen vor dem Terror des IS, sie
fliehen aber insbesondere auch vor den Fassbomben und
dem Chlorgas von Assad . Er ist verantwortlich – das sage
ich hier noch einmal ausdrücklich – für viele Tote, Ver-
letzte und übrigens auch verstümmelte Menschen in sei-
nem eigenen Land .

Es gibt keine isolierte Lösung für Syrien . Der IS macht
vor keiner Grenze halt und hält zum Beispiel auch viele
Teile des Irak besetzt . Eines aber steht fest: Es ist unsere
politische und moralische Pflicht, dem Töten in Syrien
endlich ein Ende zu setzen . Seit fünf Jahren schaut die
Weltgemeinschaft zu – Herr Wadephul hat es gesagt –,
wie dort gemordet wird . 250 000 Tote und 4 Millionen

Flüchtlinge sind die bisherige Bilanz . Das darf so ganz
bestimmt nicht weitergehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb muss die Entschärfung dieser Krise absolute
außenpolitische Priorität haben . Wir müssen ja abschich-
ten bei den vielen Krisenherden in der Welt . Da steht na-
türlich die Frage im Raum, Kollegin Beck: Kann oder
darf man mit Assad reden und verhandeln? Ich glaube,
dass unser Außenminister recht hat, wenn er sagt, dass
es mit Assad keine Zukunftsperspektive für das Land Sy-
rien geben kann . Ich glaube aber auch, dass es ohne ihn
auch keinen Waffenstillstand geben kann . Das ist genau
das Problem . Deshalb muss man mit ihm reden . Als Ver-
handlungspartner müssen aber auch der Iran, die Türkei,
Saudi-Arabien, Katar und alle anderen umliegenden Län-
der beteiligt werden .

Wie ist es mit Russland? Herr Gehrcke, ausnahmswei-
se bin ich bei Ihnen .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dafür kann ich nichts!)


Wir müssen mit Russland natürlich verhandeln, ohne –
auch das sage ich ganz klar – dass wir die Ukraine-Krise
dadurch aus den Augen verlieren .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das werde ich mit Sicherheit nicht tun!)


Das kann nicht sein . Der US-Außenminister hat erklärt –
ich zitiere –: „Wir haben die gleichen Ziele . Der IS muss
zerstört, komplett gestoppt werden .“

Gespräche mit Russland seien deshalb notwendig, um
die militärischen Operationen – da geht es jetzt in eine
andere Richtung – gegen den IS zu koordinieren . – Man
kann ja vielleicht zunächst einmal Flugverbotszonen ein-
richten und dadurch Schutzzonen organisieren .

Ich stimme übrigens mit Volker Kauder überein, wenn
er sagt: Eine militärische Operation muss vorrangig aus
der Region selbst kommen, wenn sie denn kommen
muss . Wenn das Land ohne militärischen Einsatz nicht
befriedet werden kann, dann ist das Aufgabe der Nach-
barstaaten, zum Beispiel Saudi-Arabiens oder anderer .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das machen die ja gerade im Jemen!)


Dieser religiös motivierte Krieg findet zwischen mus-
limischen Völkern und Gruppen statt . Deshalb sind sie
zuallererst aufgerufen, dem Schrecken ein Ende zu be-
reiten .

Wir müssen die politischen Prozesse steuern . Wir
müssen diplomatische Lösungen suchen . Wir müssen die
humanitäre Hilfe leisten und in die Offensive gehen . Für
diese schwierigen Verhandlungen kann man denjenigen,
die für uns verhandeln, nämlich der Bundeskanzlerin und
unserem Außenminister, nur viel Geschick, viel Kraft
und viel Geduld wünschen .

Vielen Dank, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812411800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz für
die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812411900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Leid

der Bevölkerung in Syrien, die unter den Fassbomben
von Assad, dem Terror des IS und einer immer unerträg-
licheren wirtschaftlichen und sozialen Lage lebt, muss
ein Ende haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Den
Eindruck zu erwecken, Herr Wadephul, die Linke sei ge-
gen die Vernichtung des syrischen Giftgases, ist blinde
Demagogie .


(Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Sie haben dagegen gestimmt! – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Na, na! Vorsicht!)


Wir haben immer unterstützt, dass das Giftgas auch in
Deutschland vernichtet wird . Wir waren allerdings dage-
gen, dass die Bundeswehr diese Vernichtung im Mittel-
meer begleitet .


(Ulli Nissen [SPD]: Das wäre aber sinnvoll gewesen! – Dr . Johann Wadephul [CDU/ CSU]: Da muss man aber schon besonders dialektisch veranlagt sein, wenn man das noch versteht!)


Wir haben darauf hingewiesen, dass es die Bundesre-
gierungen bis 2011 waren, die zugelassen haben, dass
Giftgasbestandteile nach Syrien, an das Regime Assad,
geliefert wurden . Ihre Argumente sind pure Heuchelei .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Sie machen sich einen schlanken Fuß! – Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Das ist unterste Schublade!)


Die Vorredner haben über diplomatische Lösungen
der Syrien-Krise gesprochen . Keiner redet über die ei-
gentlichen Ursachen dieses Krieges: die jahrzehntelange
Intervention der USA, aber auch anderer Großmächte, in
der Region . Es fällt auch auf, dass die Groß- und Regio-
nalmächte, die jetzt über diplomatische Lösungen reden,
eigene Interessen in der Region haben und bereits direk-
ter oder indirekter Teil des Krieges sind .

Seit nunmehr einem Jahr bombardiert eine US-geführ-
te Kriegsallianz Ziele im Irak und in Syrien . Wir hören
fast nichts über diese Angriffe – auch kaum etwas über
den Drohnenkrieg, der geführt wird . Doch das Bombar-
dement ist massiv . In einem Jahr haben die US-Streit-
kräfte und ihre Verbündeten mehr Bomben abgeworfen
als in den letzten fünf Jahren des Krieges in Afghanistan
zusammen . Diese Bomben treffen natürlich nicht nur
Terroristen . Gleich in der ersten Woche der US-Angrif-
fe auf syrisches Gebiet wurde ein Getreidespeicher in
Manbidsch getroffen . Nach einem Angriff am 30 . Ap-
ril 2015 auf das Dorf Bir Mahli räumte das Pentagon
offiziell ein, zwei Zivilisten getötet zu haben. Eine Men-

schenrechtsgruppe zählte 64 Opfer, darunter 31 Kinder .
Darüber spricht keiner . Warum? Ich glaube, weil man zu-
geben müsste, dass der sogenannte Antiterrorkrieg selbst
Terror ist . Bomben bringen keinen Frieden .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung unterstützt diesen Antiterror-
krieg politisch, aber auch durch die Entsendung von
Waffen und militärischen Ausbildern in den Irak . Nun
werden auch noch Stimmen in der Großen Koalition
laut – wie die von Herrn Kiesewetter –, die die Entsen-
dung von Bundeswehrtornados zur Unterstützung des
US-Luftkrieges fordern . Das, meine Damen und Herren,
ist der absolut falsche Weg .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein Blick nach Afghanistan zeigt, wohin ein solcher
Krieg führt . Nach zehn Jahren NATO-Krieg ist die Si-
cherheitslage dort angespannter, und die Taliban sind
stärker als je zuvor . Die soziale Misere ist dieselbe ge-
blieben oder hat sich verschlimmert . Glauben Sie denn
wirklich, dass sich durch das ständige Wiederholen der-
selben Fehler nun in Syrien und im Irak irgendetwas ver-
bessern würde?

Nein, zur Wahrheit gehört: Der sogenannte „Islami-
sche Staat“ wäre ohne die US-Intervention im Irak ab
2003 gar nicht entstanden .


(Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Das ist wirklich Unfug! Das stimmt doch gar nicht!)


Die USA und ihre Verbündeten haben im Irak Menschen
verschleppt und gefoltert . Sie haben ein politisches Sys-
tem etabliert, das Schiiten gegen Sunniten ausspielt – bis
heute . In diesem Klima konnte der IS, der einen barbari-
schen Krieg gegen Andersdenkende und Andersgläubige
führt, entstehen . Wer diesen Terror stoppen will, muss
das Klima des Hasses zwischen Bevölkerungsgruppen
und Religionsgemeinschaften beseitigen . Aber der soge-
nannte Antiterrorkrieg selbst schürt dieses Klima . Des-
halb scheitert er auch .


(Beifall bei der LINKEN)


Alle Erfahrungen zeigen: Die militärische Einmi-
schung äußerer Mächte in die Bürgerkriege in Syrien und
im Irak hat den Krieg nur noch schlimmer gemacht . Ob
Iran, Türkei, Saudi-Arabien, die USA oder Russland –
sie alle heizen diesen Krieg mit immer mehr Waffen, mit
Ausbildern, mit eigenen Soldaten oder Söldnern an . Das
muss ein Ende haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Und die Bundesregierung mischt auch mit . Ich sage
Ihnen: Sie will im Kielwasser der USA Schritt für Schritt
zu einer Macht werden, die auch im Kriegsgebiet „Mitt-
lerer Osten“ an Gewicht gewinnt und militärisch mithal-
ten kann . Die Linke sagt: Ziehen Sie die Bundeswehr aus
der Krisenregion ab, und hören Sie endlich mit den Waf-
fenlieferungen an die Türkei, an Saudi-Arabien und an
den Irak auf; denn diese Staaten heizen den Krieg mit an .


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, es ist schlimm genug, dass
erst die Fluchtbewegung nach Europa den Blick auf die
Lebensbedingungen von Millionen Menschen im Nahen
und Mittleren Osten geöffnet hat . Beenden Sie endlich
die Ignoranz gegenüber der Situation der Menschen in
Flüchtlingslagern im Irak, in der Türkei, in Jordanien und
im Libanon .

Wenn Sie nicht endlich verstehen, dass diese Men-
schen eine zivile Perspektive brauchen, dann überlassen
Sie sie den Rekrutierern der Armeen und Milizen vor Ort,
und das kann doch wirklich nicht Ihr Ziel sein .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812412000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . Ute Finckh-Krämer
für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1812412100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! Ich möchte an das erinnern, wo-
rum es heute in der Aktuellen Stunde eigentlich gehen
sollte, was aber bei den letzten Beiträgen etwas aus dem
Blick geraten ist, nämlich um die Frage, wie es jetzt po-
sitive Impulse für einen Friedensprozess in Syrien geben
kann .

Die wichtigste Person ist hier der UN-Sonderbeauf-
tragte Staffan de Mistura, der aus keinem der Länder
stammt, die dort im Augenblick in irgendeiner Weise mi-
litärisch beteiligt sind . Er ist ein erfahrener Diplomat mit
italienischer und schwedischer Staatsangehörigkeit und
hat lange Erfahrungen im Bereich der humanitären Hilfe
und in Konfliktregionen. Er ist einer der Menschen, die
das vermeintlich Unmögliche schaffen können .

Sein Verhandlungsansatz, der vorgestern vorgestellt
wurde, basiert darauf, dass in vier Arbeitsgruppen unter
Leitung von Fachleuten aus vier europäischen Ländern
über eine mögliche Entwicklung Syriens im Rahmen
eines Friedensprozesses gesprochen werden soll . Die
vier Fachleute kommen aus vier Ländern, nämlich aus
der Schweiz, aus Deutschland, aus Norwegen und aus
Schweden .

Weil mein Thema heute die humanitäre Hilfe ist,
möchte ich etwas mehr auf den norwegischen Arbeits-
gruppenleiter eingehen, Jan Egeland, der ebenfalls ein
langjährig erfahrener Diplomat ist und aus dem Bereich
der humanitären Hilfe kommt . Im Augenblick ist er Ge-
schäftsführer der größten norwegischen Hilfsorganisati-
on, die sowohl im Bereich der Flüchtlingshilfe als auch
im Bereich der humanitären Hilfe in den Nachbarländern
Syriens und in Syrien selber mit zweistelligen Millionen-
beträgen aktiv ist .

Ganz so allein, wie das eben teilweise dargestellt wur-
de, sind wir Deutschen bei der Unterstützung eines Ver-
handlungsprozesses im Augenblick also auch nicht, und

wir sind in Bezug auf Syrien ganz sicher nicht Teil des
Problems, sondern Teil der Lösung .


(Beifall bei der SPD)


Vielleicht kennen Sie die Plakatkampagne von Mise-
reor . Auf einem Plakat heißt es: „Mut ist, dahin zu ge-
hen, wo andere fliehen“. Das gilt natürlich in besonderem
Maße für Kriegsgebiete wie Syrien .

Hilfsorganisationen schaffen oft das vermeintlich Un-
mögliche, zum Beispiel, Zugänge auch dort zu erhalten,
wo es nach landläufiger Meinung zu gefährlich ist. Sie
tun das durch geduldige Verhandlungen mit den Bürger-
kriegsparteien vor Ort, durch Zusammenarbeit mit loka-
len Organisationen, durch immer wieder neue Analysen
der aktuellen Lage und auf Basis der vier humanitären
Prinzipien: Neutralität, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit
und Menschlichkeit .

Sie sind als Grundlage für internationale humanitäre
Hilfe unverzichtbar und die Grundlage dafür, dass Hilfe
nach Bedürftigkeit und nicht nach Zugehörigkeit zu po-
litischen, ethnischen, religiösen oder sonstigen Gruppen
gewährt wird . So kann im Augenblick auch ein großer
Teil der 2,7 Millionen Menschen, die in Syrien in von
ISIS kontrollierten Gebieten leben, mit humanitärer Hil-
fe versorgt werden . Unmöglich wird humanitäre Hilfe
allerdings meist dort, wo Kampfhandlungen stattfinden.
Deswegen ist es so wichtig, lokale Waffenstillstände zu
erreichen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutsche Hilfsorganisationen können Unparteilich-
keit und Neutralität in Bezug auf Syrien auch deswegen
so glaubhaft machen, weil Deutschland im Syrien-Kon-
flikt eben voll auf Diplomatie und nicht auf Waffenlie-
ferungen an direkt oder indirekt Konfliktbeteiligte setzt.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Es gibt doch Waffenlieferungen!)


Konfliktbeteiligte sind diejenigen, die im Augenblick in
Syrien bomben . Wir liefern aber keine Waffen an eine der
Gruppen, die in Syrien kämpfen .


(Beifall bei der SPD)


Wir setzen auch nicht auf den Einsatz von deutschem Mi-
litär oder die Unterstützung von denen, die dort im Au-
genblick mit militärischen Mitteln kämpfen . Das kann,
muss und soll auch so bleiben, weil die Unabhängig-
keit der humanitären Hilfe bzw . die deutsche Leistung
in diesem Bereich sonst gefährdet wäre . Insofern, Herr
Wadephul, wäre ich froh, wenn wir auch innerhalb der
Koalition eine Initiative für eine weitere Erhöhung der
Mittel sowohl für die humanitäre Hilfe als auch für die
Hilfe in den Nachbarländern, die im Zusammenhang mit
Entwicklungszusammenarbeit steht, erreichen könnten .
Ich bin gerne bereit, daran mitzuarbeiten .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE Christine Buchholz LINKE]: Nehmen Sie uns auch außerhalb der Koalition!)





(A) (C)


(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812412200

Als Nächste hat Dr . Franziska Brantner, Bündnis 90/

Die Grünen, das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Damen und Herren!
Wir haben es hier heute schon mehrfach gehört: Die Lage
in Syrien ist dramatisch . Sie ist es nicht erst seit gestern .
Auch ich möchte noch einmal daran erinnern, dass über
80 Prozent der zivilen Opfer Opfer Assads sind . Wir
haben heute viel über die Fassbomben gesprochen . Ich
möchte aber gerne auch noch einmal erwähnen, dass As-
sad die Menschen systematisch aushungert . Es ist eine
seiner Strategien, ganze Gebiete auszuhungern, während
er die anderen weiter bombardiert .

Frankreich und Großbritannien und auch Russland
beteiligen sich jetzt am Kampf gegen ISIS . Russland be-
teiligt sich natürlich vor allem für Assad . Mich wundert
es ein wenig, wie wir hier heute Russland fast schon als
Feuerlöscher feiern, der jetzt kommt, da wir doch eigent-
lich alle wissen, dass Russland jahrelang der Brandbe-
schleuniger war und diesen Krieg mit angefeuert hat,
indem es Assad unterstützt hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU)


Russland interveniert gerade militärisch . Alle sagen:
Jetzt aber unbedingt! Russland hat es sehr klug hinbe-
kommen, sich dadurch mit an den Tisch zu bomben . Ich
glaube, wir müssen es einfach auch im Kopf haben, dass
das keine einfache Rolle sein wird .

Alle sagen: Es geht jetzt gegen ISIS . Und wieder ein-
mal fallen der Bürgerkrieg an sich und die Rolle von As-
sad hinten herunter . Aber das ist doch schon seit einem
Jahr die Strategie . Seit einem Jahr wird gegen ISIS bom-
bardiert . Und wozu hat das geführt? Zu einem stärkeren
ISIS, zu einer Ausbreitung von ISIS in Syrien . Es hat
eben nicht dazu geführt, dass ISIS wirklich geschwächt
wurde . Von daher ist es dringend notwendig, jetzt einen
Prozess einzuleiten bzw . eine Kontaktgruppe im Rahmen
der Vereinten Nationen einzusetzen . Wir müssen de Mis-
tura mit allem unterstützen, was wir leisten können . Na-
türlich ist klar, dass der Iran, dass Russland, die Türkei,
Katar und Saudi-Arabien dabei sein müssen .

Ich möchte gerne noch etwas zu Saudi-Arabien sagen .
In Bezug auf die Verhandlungen höre ich, dass Saudi-Ara-
bien nicht gerade freiwillig und gerne an diesen Verhand-
lungstisch kommt, vielmehr ist es einer der Akteure vor
Ort, bei dem es am schwersten ist, ihn überhaupt an den
Tisch zu bekommen . Da hätten wir Deutsche vielleicht
noch einmal eine Aufgabe, unser Gewicht dafür einzu-
setzen, dass sich Saudi-Arabien daran beteiligt und bereit
ist, mit dem Iran an einem Tisch zu sitzen, auch wenn
das natürlich eine Herausforderung ist . Ich nenne nur das
Stichwort „Waffenexporte“ .

Wir haben uns jetzt hier heute geeinigt, dass man na-
türlich irgendwie mit Assad verhandeln muss, auch wenn
er danach nicht Teil der Lösung sein kann . Trotzdem
möchte ich hier gerne noch einmal die Opposition erwäh-
nen, die zwar vielfältig ist, aber trotzdem noch existiert .
Wer kann denn jetzt von den Oppositionellen verlangen,
dass sie bei einer Bombardierung mit Fassbomben wei-
terverhandeln? Wer gibt ihnen Zusicherungen, dass sie
danach nicht massakriert werden? Wir reden alle über
Assad . Er darf mit Geleit nach Moskau kommen – viel-
leicht muss er danach irgendwann nach Den Haag . Aber
wer redet über die Oppositionellen und darüber, welche
Garantien wir ihnen dafür geben können, damit sie bereit
sind, sich auf diesen Prozess einzulassen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Gehrcke, Sie sprachen davon, dass eine Waffen-
ruhe durchgesetzt werden müsse . Wer setzt denn diese
Waffenruhe durch?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gab unbewaffnete Beobachter, deren Einsatz aber zu
nichts geführt hat . Wenn wir hier ehrlich diskutieren und
sagen: „Wir wollen im Rahmen der Vereinten Nationen
einen Prozess anstoßen und eine Lösung finden“, dann
müssen wir auch sagen: Dieses Ergebnis werden wir
im Rahmen der Vereinten Nationen absichern . – Herr
Gehrcke, ich zähle dann auf Ihre Unterstützung, diese
Waffenruhe auch umzusetzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das machen wir schneller, als Sie denken können!)


Erste Prämisse für diese Verhandlungen ist, dass Mit-
tel zur Befriedigung der humanitären Bedürfnisse vor Ort
endlich bereitgestellt werden . Herr Wadephul, Sie haben
es angesprochen: Das World Food Programme braucht
bis Ende des Jahres 278 Millionen Euro . Das ist eigent-
lich eine Summe, die Herrn Schäuble keine schlaflosen
Nächte beschert . Da könnte doch Deutschland vorange-
hen und sagen: Das zahlen wir jetzt . – Anschließend gibt
es einen Nachtragshaushalt für 2015 .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


278 Millionen Euro könnte Deutschland auf den Tisch
legen . Da könnten wir vorangehen . Frau Merkel hat es
gesagt: Wir schaffen das . Wir gehen voran . Wir warten
nicht, bis alle hinterherkommen .

Bei dieser Sache, nämlich das Geld für das Programm
bis zum Winter aufzubringen, kann ich nur an uns alle ap-
pellieren, das möglich zu machen, und zwar nicht nur für
das nächste Jahr . Diese Mittel müssen verstetigt werden,
damit das World Food Programme nicht jedes Mal bet-
teln und im April wieder sagen muss: Das Geld geht uns
aus . – Das würde dazu führen, dass es im Herbst wieder
nur verringerte Essensrationen gibt . Das ist doch schon
seit vier Jahren ein Problem . Lassen Sie uns die Mittel
dafür verstetigen . Wir werden dazu Anträge stellen . Ich

Dr. Ute Finckh-Krämer






(A) (C)



(B) (D)


freue mich sehr darauf, für diese Anträge die Stimmen
der Koalition zu erhalten .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812412300

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Roderich

Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD])



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1812412400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktu-
elle Stunde sollte uns Anlass geben, den Blick nach in-
nen, in unser Land zu richten; denn die neue Dynamik
berührt auch unsere Gesellschaft in erheblichem Maße .
Ich möchte an dieser Stelle den vielen tausend freiwilli-
gen Helferinnen und Helfern, die sich um die Aufnahme
und Eingliederung von Flüchtlingen in unserem Land
kümmern, ganz herzlich danken .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben am Montag dieser Woche in beeindru-
ckender Weise beim Parlamentarischen Abend des Ar-
beiter-Samariter-Bundes gehört, welche Leistungen im
Ehrenamt erbracht werden . Wir haben diese Woche ei-
nen Aufruf an die Reservisten der Bundeswehr gestartet,
sich ehrenamtlich zu kümmern, und zwar mit einer sehr
erfreulichen Resonanz .

Zugleich erleben wir – deswegen bin ich froh, dass
wir diese Aktuelle Stunde haben – eine Flut von Hass-
botschafen und Hass-E-Mails aus der nationalistischen,
rechtsextremen Ecke . Es ist gut, dass von diesem Parla-
ment ein Zeichen der Hilfsbereitschaft ausgeht und dass
wir unserer Bevölkerung deutlich sagen: Lasst euch von
diesen Menschen nicht verunsichern! Steht für den Zu-
sammenhalt unserer Gesellschaft ein!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, da ich heute
aus der Opposition zweimal gezielt angesprochen wurde,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Zu Recht!)


möchte ich gerne von meinem nicht vorhandenen Manu-
skript abweichen und zwei Punkte ansprechen . Ein Wort
zu Syrien: Wir haben allein im August 46 000 syrische
Flüchtlinge aufgenommen, insgesamt bisher 140 000 .
15 Millionen Menschen sind innerhalb und außerhalb
Syriens auf der Flucht . In der Landeserstaufnahmestelle
in Ellwangen, die einmal für 500 Menschen vorgesehen
war, befinden sich jetzt 4 500 Menschen, darunter knapp
2 000 Menschen aus Syrien, die alle nicht unmittelbar
aus Syrien geflohen sind, sondern aus den Flüchtlings-
lagern im Libanon, in Jordanien und in der Südosttür-
kei . Ich war mit etlichen Kollegen in diesen Lagern . Wir

wissen, wovon wir sprechen . Der erste Vorschlag muss
dahin gehen, Staaten wie Libanon und Jordanien stärker
zu helfen, als wir das bisher getan haben, und zwar im
Rahmen der Bildung, der Nothilfe, im Rahmen der Lehr-
lingsausbildung, beispielsweise mit sauberem Wasser,
medizinischer Versorgung und anderem .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Verabreden!)


Wir müssen alles tun, dass diese Staaten nicht zerfal-
len, dass diese Staaten ihre Grenzen wirksam sichern und
dass die Flüchtlinge so etwas wie Geborgenheit in der in-
ternationalen Hilfe finden. Ich kann meinen Vorrednerin-
nen, abgesehen von der Rednerin der Linken, und Herrn
Wadephul nur zustimmen: Genau das sind die richtigen
Wege .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das nehme ich persönlich!)


Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass wir mehr
leisten müssen . Vielleicht kann die Operation im Rah-
men von UNIFIL vor der Küste Libanons, an der wir uns
beteiligen, einer der möglichen Hebel sein, mehr zu tun .
Möglicherweise müssen wir auch mithilfe von Polizei,
Technischem Hilfswerk und anderen an den Grenzen
zum Libanon und zu Jordanien mehr Hilfe für die Flücht-
linge leisten .

Der zweite Gedanke ist weniger angenehm . Nächste
Woche, am 28 . September, wird Wladimir Putin vor der
Generalversammlung der Vereinten Nationen sprechen .
Putin wird sicherlich gutklingende Vorschläge unterbrei-
ten . Wir haben heute früh in der Regierungserklärung
schon einiges darüber gehört, was möglicherweise auf
uns zukommen wird . Wir müssen uns darüber im Klaren
sein, dass Assad nicht Teil der Lösung, sondern Teil des
Problems ist . Es ist aber sehr gut, wenn Russland mithilft,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Für was?)


dass wir endlich die Blockade im Weltsicherheitsrat be-
seitigen, und wenn wir zu einem VN-Mandat kommen .

Ich glaube, wir müssen für ein Mandat der Vereinten
Nationen mit dem Minimalziel der Schaffung von siche-
ren Schutzzonen und Flüchtlingskorridoren werben . Wer
soll – das klang gerade bei meiner Vorrednerin an – diese
Sicherheitszonen durchsetzen? Saudi-Arabien zeigt zur-
zeit, was die arabische bzw . die sunnitische Gemeinschaft
zu tun in der Lage ist . Sie organisieren eine Streitmacht
mit 150 000 Soldaten – von Senegal über Marokko bis
Pakistan – mit 100 Kampfflugzeugen, die möglicherwei-
se dort zum Einsatz kommen .


(Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD]: Pakistan ist nicht dabei!)


Warum um alles in der Welt sind diese Staaten nicht in
der Lage, sich aufgrund von Druck aus den Vereinten Na-
tionen und diplomatischen Verhandlungen, die wir auch
auf der Ebene E3+3 führen müssen, für die Schaffung ei-
ner sicheren Flüchtlingszone in Syrien und im Irak einzu-
setzen? Ich halte es für ganz entscheidend, dass die Hilfe
aus der Region kommt . Die Unterstützung kann von uns
kommen .

Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


Auf ein Thema wurde ich gezielt angesprochen – ich
habe nichts dagegen, dass wir ganz offen darüber disku-
tieren –: Warum sollen wir nicht mit deutschen Aufklä-
rungstornados


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So hat es immer angefangen!)


die Stellungen von ISIS aufklären und einer wie auch
immer gearteten arabischen Kraft aus der Region die
Zieldaten übermitteln? Wir brauchen sichere Häfen für
die Flüchtlinge und dazu ein regionales Forum unter Ein-
bindung der Türkei, Russlands, des Iran und Saudi-Ara-
biens mit starker europäischer Unterstützung . Wenn wir
das schaffen, dann können wir die Flüchtlingsflut in der
Region zu einem Segen für die Menschen machen und
uns Europäer stärker mit unserem Fachwissen einbrin-
gen . Das ist bitter nötig . Eine isolierte militärische Lö-
sung ist keine Lösung .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812412500

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Stefan Rebmann,

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1812412600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als Entwicklungspolitiker beschäftigen uns
das Thema Syrien und die Fluchtbewegungen schon eine
ganze Zeit lang. Ich finde, wir dürfen auch bei der heu-
tigen Debatte die zunehmenden Fluchtbewegungen aus
Afghanistan nicht vergessen . Auch sie dürfen wir in der
Gesamtdebatte nicht außer Acht lassen .

Ich kann mich noch an eine Unterrichtung im Aus-
schuss erinnern, bei der wir auf einer Karte von Syrien
sehen konnten, wer wo stationiert ist: wo die Freie Syri-
sche Armee und wo die syrische Armee stationiert ist und
wo damals noch ISIS stationiert war . Das waren einige
kleine Punkte . Wir wurden auch darüber unterrichtet, wer
jeweils dahintersteckt, was deren Ziele sind und wie sie
sich über Spenden aus Saudi-Arabien und aus Kuwait fi-
nanzieren .

Wir müssen auch sehen, dass außenpolitisch schon
viel unternommen worden ist, um nach Lösungen zu
suchen . Man kann zwar kritisieren, dass wenig erreicht
worden ist . Aber ich glaube, der Bundesregierung und
insbesondere Frank-Walter Steinmeier vorzuwerfen, er
hätte zu wenig getan, geht an der Realität vorbei .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Und ist noch dazu auch eine Frechheit!)


Immerhin war er als einziger Außenminister mehrfach in
den Flüchtlingslagern, und er war auch derjenige, der zu
einer Konferenz nach Berlin eingeladen hat .

Ich habe in der letzten Haushaltswoche von einer Reise
der Kollegin Dagmar Wöhrl und mir nach Jordanien und

in den Libanon berichtet . Ich habe davon berichtet, dass
wir in der Beeka-Ebene eine junge Dame gesehen haben,
die in einem Plastikzelt eine mobile Klinik aufgebaut
hatte . Wir hatten dabei den Geruch der nur wenige Me-
ter entfernt vorbeischwimmenden Fäkalien von hunder-
tausend Menschen in der Nase . In Jordanien haben wir
in einer Klinik einen jungen Mann getroffen, der sich –
wegen schrecklicher Erlebnisse selbst schwer traumati-
siert – um traumatisierte Kinder kümmerte . Wir haben in
Saatari gesehen, dass die Menschen auf Containern stan-
den und Richtung Syrien telefoniert haben, während im
Hintergrund explodierende Fassbomben zu hören waren .
Aber egal mit wem wir damals gesprochen haben, die
Botschaft lautete immer: Ich will nach Syrien zurückkeh-
ren . Ich will mein Land wieder aufbauen . – Dieser Wille
war allgegenwärtig zu spüren .

Am vergangenen Montag und Dienstag haben wir
zusammen mit Sigmar Gabriel, Kollegin Beck, Kolle-
ge Hahn und einem Kollegen von der CDU/CSU Saa-
tari erneut besucht . Ich weiß nicht, welchen Eindruck
die Kollegin und Kollegen dort gewonnen haben . Mein
Eindruck ist jedenfalls, dass es einen kompletten Stim-
mungswechsel gegeben hat und dass Perspektivlosigkeit
herrscht . Keiner hat mehr gesagt, dass er in sein Heimat-
land zurückkehren will, um es aufzubauen .

Was bedeutet es für die gesamte Region, wenn die-
jenigen weggehen, die gut ausgebildet und noch fit sind
und auch finanziell in der Lage sind, zu flüchten? Wer
bleibt dann zurück? Wer kann dann Syrien wieder auf-
bauen? Es kann doch nicht in unserem langfristigen Inte-
resse liegen, dass dort eine komplette Region entvölkert
wird . Deshalb ist es so wichtig, dass wir dort nicht nur
humanitäre Hilfe leisten . Vielmehr müssen wir die ge-
samte Region stabilisieren . Das bedeutet, dass wir den
Jordanierinnen und Jordaniern Angebote in Form von
Handelserleichterungen und Infrastrukturprojekten zum
Beispiel im Wasserbereich machen müssen . Wir müssen
uns vergegenwärtigen: Das Flüchtlingslager Saatari mit
80 000 Einwohnern steht auf dem größten fossilen Was-
servorkommen in ganz Jordanien, das sonst nur über sehr
wenig Wasser verfügt. Damit sind Konflikte vorprogram-
miert . Deshalb ist es so wichtig, dass die Bundesregie-
rung mit Frank-Walter Steinmeier vorangeht und Lösun-
gen findet. Ich bin dankbar, dass wir hier im Parlament
eine einhellige Meinung zu der Aufstockung der Mittel
für die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusam-
menarbeit haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich schließe mich dem Dank vieler meiner Vorredner,
insbesondere meines Kollegen Kiesewetter, an die Kom-
munen und die ehrenamtlichen Helfer an . Aber Städte
wie meine Heimatstadt Mannheim, die überproportio-
nal viele Armutsflüchtlinge aufnehmen und bereit sind,
noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen, dürfen am Ende
nicht die Leidtragenden eines Pingpongspiels zwischen
der Staatskanzlei in Stuttgart und dem Bundesinnenmi-
nisterium sein . Das würde im Endeffekt dazu führen,
dass milliardenschwere kommunale Investitionen auf der
Strecke blieben . Das darf nicht sein; denn so versetzen
wir Kommunen nicht in die Lage, das Flüchtlingspro-

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


blem konstruktiv zu lösen . Kämpfen und streiten wir alle
dafür, dass die Ansätze für humanitäre Hilfe und Ent-
wicklungspolitik deutliche Aufwüchse erfahren .

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812412700

Vielen Dank . – Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion

hat jetzt die Kollegin Dagmar Wöhrl .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1812412800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Viereinhalb Jahre ist es inzwischen her, dass die
Syrien-Krise begann . Viereinhalb Jahre mit mehr als
280 000 Toten und 13 Millionen Flüchtlingen . Davon
werden bis zum Ende des Jahres laut der Vereinten Na-
tionen 4,7 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern
Jordanien, Libanon und der Türkei unterkommen .

Ein Problem ist, dass nicht mehr genug Nahrungsmit-
tel zur Verfügung gestellt werden können, dass nur noch
40 Prozent des für die Familien und Kinder Notwendigen
da ist . Kinder werden von der Schule genommen, damit
sie arbeiten gehen und Geld wenigstens für die notwen-
digsten Nahrungsmittel verdienen können .

Ich glaube, wir versuchen von Deutschland aus, das
Beste zu tun . Wir sind einer der größten Finanziers in
diesem Bereich . Allein das BMZ hat seit 2012 über
1 Milliarde Euro in diese Region investiert . Das geht von
Abwasserentsorgungen über humanitäre Hilfe und vie-
les, vieles andere mehr . Aber wir wissen natürlich auch,
dass die Fluchtbewegungen nicht abreißen werden, so-
lange dort die Sklavenhalter und die Kopfabschneider
des ISIS ihr Unwesen treiben werden und solange Assad
Fassbomben auf die eigene Bevölkerung wirft .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen sind wir froh, dass ein bisschen Bewe-
gung in die diplomatischen Verhandlungen zu kommen
scheint . Wir sind froh, dass nach Washingtons jahrzehn-
telanger Strategie der Isolation Teherans das Nuklea-
rabkommen mit dem Iran auch unter Mitwirkung von
Russland zustande gekommen ist . Das schafft die Chan-
ce zur Flexibilität . Es schafft die Chance, dass man sich
international annähert . Wir wissen: Iran und Russland
sind die Patronatswächter von Assad . Wir wissen auch,
dass Russland jahrelang alle Sanktionen, die der UN-Si-
cherheitsrat gegen Assad hätte beschließen können, mit
seinem Veto boykottiert hat .

Jetzt verstärkt Russland in der Tat seine Militärprä-
senz . Wir erleben die größte Militäraktion Russlands
außerhalb des exsowjetischen Raums seit einem Vier-
teljahrhundert . Warum macht Putin das? Bestimmt nicht
wegen der Flüchtlinge; von denen hat er nämlich in den
letzten vier Jahren nur 2 000 aufgenommen .


(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Da will ja auch keiner hin!)


Putin hat als jahrelanger Verbündeter von Assad –
Russland war auch schon mit Assads Vater verbündet –
Eigeninteressen . Er hat das Eigeninteresse, eine Strategie
für eine mögliche Neuordnung am Ende des Krieges zu
entwickeln . Er hofft natürlich auch, mit dieser Strategie
auf die Weltbühne zurückzukommen, um so von Sank-
tionen befreit zu werden, die gegen sein Land als Folge
seiner Repressionen gegenüber der Ukraine und der An-
nexion der Krim verhängt worden sind . Natürlich spielt
auch der IS eine Rolle; aber das ist für ihn nicht primär .

Wir sind froh, dass inzwischen auch Saudi-Arabien
und die Türkei bereit sind, sich dem Kampf gegen den IS
anzuschließen . Wir müssen hier allerdings auf die Türkei
aufpassen und auf die Türkei einwirken – Erdogan wird
am 5 . Oktober dieses Jahres nach Brüssel kommen –,
dass sie sich die Bekämpfung des IS nicht gleichzeitig
für den Krieg gegen die Kurden zunutze macht .

Der IS kontrolliert inzwischen 50 Prozent des gesam-
ten Territoriums Syriens, das Assad-Regime nur noch
etwa ein Drittel. Ich glaube, der Syrien-Konflikt wird
nicht ohne Hilfe zu lösen sein, weder durch Bombardie-
rungen von außen noch durch die Unterstützung beson-
derer Gruppen im Inneren . Das wird vor allem durch die
vollständige Fragmentierung der Opposition deutlich .

Es gab nach zwei Jahren ein erstes Treffen zwischen
den Außenministern der Vereinigten Staaten von Ameri-
ka und Russland in Sotschi, bei dem man eine Strategie
zur Bekämpfung des IS diskutiert hat . Auch wenn Kerry
anschließend gesagt hat, es gehe nicht um eine Zusam-
menarbeit, sondern nur um eine Konfliktlösung, ist das,
glaube ich, egal . Denn man hat hier ein gemeinsames
Ziel erkannt, den IS zu bekämpfen . Wir brauchen hier die
Vereinigung der Kräfte . Zu sagen: „Okay, USA, kümme-
re dich um den Nahen Osten, und Europa kümmert sich
um die Ukraine“, ist, glaube ich, in diesem Zusammen-
hang das falsche Denken .

Ich hoffe, dass die Chance besteht, unter dem Dach
der Vereinten Nationen wenigstens einige, wenn auch
nicht alle – dass das nicht möglich ist, wissen wir – an ei-
nen Tisch zu bekommen . Sicherlich wird die zukünftige
Rolle Assads dabei eine wichtige Frage sein; man kommt
daran nicht vorbei . Aber wir wissen auch: Um Frieden zu
erreichen, nützt es nichts, wenn man allein mit Freunden
redet, sondern man muss auch mit den Feinden reden .
Das heißt nicht, dass man Assad von seinen sämtlichen
Untaten und Gräueltaten, die er begangen hat – er ist ja
der Verursacher dieses Krieges in Syrien –, zukünftig
freisprechen kann und wird .

Wir sind froh, dass sich Erdogan mittlerweile das
erste Mal bereit erklärt hat, nicht mehr die Kondition
zu stellen, dass Friedensverhandlungen nur stattfinden,
wenn Assad sofort abgelöst wird . Er hat sich heute bereit
erklärt, diese Kondition nicht mehr zugrunde zu legen .
Ich bin froh darüber; denn das heißt auch, dass die sy-
rische Opposition von ihrem Nein, sich an den Tisch zu
setzen, vielleicht ein Stückchen abrückt . Wir brauchen
einen Waffenstillstand – auch wenn es nur eine Serie von
kleinen Waffenstillständen ist –, sodass wir endlich die
Möglichkeit haben, zu erreichen, dass das Töten beendet
wird, dass humanitäre Hilfe erlaubt wird . 12 Millionen

Stefan Rebmann






(A) (C)



(B) (D)


Menschen sind in Syrien auf humanitäre Hilfe angewie-
sen . Wir kommen an 9 Prozent der Bevölkerung gar nicht
heran, weil große Teile des Gebiets, wo humanitäre Hilfe
notwendig ist, vom IS besetzt sind . 5,6 Millionen Kinder,
die Schwächsten der Schwachen, sind betroffen . Es gibt
da keine Möglichkeit, auch nicht mit unseren Hilfsorga-
nisationen, vor Ort an die Menschen, die Hilfe brauchen,
heranzukommen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812412900

Frau Kollegin Wöhrl, denken Sie an die Zeit .


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1812413000

Vielen Dank; ich komme auch zum letzten Satz . –

Wenn wir es schaffen, in den Verhandlungen zu errei-
chen, dass die Fassbombenangriffe von Assad auf seine
eigenen Leute aufhören, ich glaube, dann schaffen wir
es auch, die Fluchtursachen erheblich zu reduzieren . Die
Flüchtlinge haben nicht nur Anspruch darauf, dass man
sich ihrer als Flüchtlinge annimmt, sondern sie haben
auch Anspruch darauf, dass man den Krieg in ihrem Land
als Ursache der Fluchtbewegung sieht und ihn zu stoppen
versucht . Ich glaube, Weltpolitik erlaubt keine Verweige-
rung, und danach sollten wir auch handeln .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812413100

Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Aktuel-

len Stunde erhält jetzt der Kollege Thorsten Frei, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1812413200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben in dieser Stunde über das bittere Fazit der
vergangenen viereinhalb Jahre gesprochen, darüber, wie
viele Menschen gestorben sind, und darüber, dass zwei
Drittel der 23 Millionen Syrerinnen und Syrer innerhalb
oder außerhalb des Landes auf der Flucht sind . Ja, es ist
richtig: Die Tatsache, dass große Flüchtlingsströme nach
Deutschland kommen, verändert den Fokus und zwingt
uns ein gutes Stück weit, auch unser außenpolitisches
Denken und Handeln konstruktiv zu hinterfragen und zu
überlegen, welche Schlüsse wir daraus ziehen .

Wenn man sich anschaut, dass etwa die Hälfte der
Menschen, die nach Europa kommen, ihren Asylantrag
in Deutschland stellen, wenn man sieht, dass davon wie-
derum 48 Prozent Syrer sind oder sich jedenfalls als sol-
che ausgeben, dann wird vor allen Dingen klar, dass das
Auswirkungen der Globalisierung sind, dass die starren
Grenzen zwischen Außen- und Innenpolitik verschwim-
men und dass uns außenpolitische Handlungsnotwendig-
keiten auch als ganz konkrete innenpolitische Herausfor-
derungen vor die Füße fallen: in unserer Gesellschaft, in
unserem Land, vor Ort, in der Nachbarschaft von jedem
Einzelnen von uns . Deshalb, glaube ich, müssen wir es
als Gesamtheit angehen, wenn es darum gehen soll, eine
Lösung zu finden.

Ich will an dieser Stelle einen Aspekt erwähnen, näm-
lich dass wir in den vergangenen Monaten – vielleicht
als eine gewisse Art Selbstschutzmechanismus, so muss
man fast sagen – uns bei den außenpolitischen Proble-
men immer nur auf das Thema, das gerade das aktuellste
war, fokussiert haben – das ist aber nicht richtig, weil
die Wirklichkeit komplexer und vielschichtiger ist –:
Wir haben vorgestern über die Ukraine und gestern über
Griechenland gesprochen, sprechen heute über Syrien
und morgen vielleicht über den afrikanischen Kontinent .
Die Zusammenhänge liegen aber auf der Hand . Deshalb
müssen wir das Gesamtbild stärker im Blick behalten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Niels Annen [SPD])


Es wäre falsch, glaube ich, heute hier an dem zu nör-
geln, was in der Vergangenheit war, oder zu behaup-
ten, man hätte irgendetwas besser gewusst . Ich glaube,
dass das falsch wäre, weil sich die Bundesregierung in
der Vergangenheit da sehr stark bemüht hat, nicht nur
der Bundesaußenminister, auch der Bundesminister für
wirtschaftliche Zusammenarbeit beispielsweise, weil
viel passiert ist – wir haben es in dieser Debatte schon
gehört – und weil es auch zutreffend ist, dass unsere
Mittel und Möglichkeiten begrenzt sind . Wenn man auf
der Grundlage einer wertebasierten, aber eben auch in-
teressengeleiteten Außenpolitik Schlussfolgerungen zie-
hen möchte, dann sind es drei Aspekte, die man dabei im
Blick behalten sollte:

Erstens . Es geht zunächst einmal darum, unmittelba-
re humanitäre Hilfe zu leisten . Es geht aus meiner Sicht
auch darum, auf die Herausforderung der Flüchtlings-
ströme, mit denen wir konfrontiert sind, nicht nur eine
innenpolitische, sondern auch eine außenpolitische Ant-
wort zu finden. Und da ist es natürlich ein Erfolg, dass
man vereinbart hat, 400 Millionen Euro zusätzlich für
die Bekämpfung der Fluchtursachen zur Verfügung zu
stellen . Da ist es ein Erfolg, dass 1 Milliarde Euro aus
EU-Mitteln zur Verfügung gestellt werden soll, wie ges-
tern Abend beschlossen wurde . Aber ich will auch sagen:
Das ist zu wenig . Das ist keine glaubwürdige außenpo-
litische Antwort mit Blick auf das, was notwendig ist .
Deshalb sollten wir uns meines Erachtens auch in den
Haushaltsberatungen noch einmal mit diesem Aspekt be-
schäftigen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Zweitens will ich die Tatsache ansprechen, dass es –
das merkt man, wenn man sich die Reden auf der Mün-
chener Sicherheitskonferenz des vergangenen Jahres in
Erinnerung ruft – eine gewisse Diskrepanz zwischen
Anspruch und Wirklichkeit gibt. Ich finde, der Anspruch,
uns früher, entschiedener und substanzieller gemäß un-
serer Stärke und Kraft international einzubringen, ist
richtig . Aber dann muss man das auch glaubwürdig un-
terlegen . Und das bedeutet eben auch, dass wir uns an
die Finanzierungszusagen halten, die wir gegeben haben .
Das gilt beispielsweise in der Entwicklungspolitik für
das 0,7-Prozent-Ziel – auch angesichts dessen, was wir
in der Vergangenheit schon getan haben . Das gilt aber

Dagmar G. Wöhrl






(A) (C)



(B) (D)


auch für das in der NATO vereinbarte 2-Prozent-Ziel im
Bereich Sicherheit und Verteidigung .


(Zuruf von der LINKEN: Nein! Dafür gilt es eben nicht!)


An dieser Stelle müssen wir uns stärker engagieren und
auf die künftigen Herausforderungen vorbereiten . Und es
gilt letztlich auch im Bereich des Auswärtigen Amtes für
die Mittel der zivilen Krisenprävention – Stichwort „Sta-
te Building“ . Wir müssen die Voraussetzungen schaffen,
um mit diesen Dingen fertigzuwerden .

Der dritte und letzte Aspekt, Frau Präsidentin, den ich
ansprechen wollte: Ich glaube in der Tat – die Vorred-
ner haben es gesagt –, dass es ein Zeitfenster gibt, die
zentralen Akteure an den Tisch zu bekommen . Das sind
neben den USA und Russland vor allen Dingen die Re-
gionalmächte Iran und Saudi-Arabien sowie das Schlüs-
selland Türkei . Wir sollten dieses Zeitfenster nutzen, und
ich glaube, dass Deutschland eine konstruktive Rolle
übernehmen kann, um in dieser schwierigen Situation zu
vermitteln .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812413300

Vielen Dank .

Wir sind damit am Ende der Aktuellen Stunde ange-
kommen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozi-
ales (11 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Uwe Schummer, Karl Schiewerling,
Jutta Eckenbach, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Kerstin Tack, Katja Mast, Dr . Matthias Bartke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen
für schwerbehinderte Menschen auf dem ers-
ten Arbeitsmarkt eröffnen

Drucksachen 18/5377, 18/6086

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Tack,
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Uwe Schummer [CDU/CSU])



Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1812413400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt kommen
wir zu einem wirklich guten Thema, nämlich zum Aus-
bau der Integrationsbetriebe in Deutschland . Die rund

850 Integrationsbetriebe, die wir derzeit in Deutschland
haben, sind eine wahre Erfolgsgeschichte .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sind 2001 von der damaligen schwarz-, nein, rot-grü-
nen Regierung – herrje! –


(Dr . Matthias Bartke [SPD]: Ja, genau! – Beifall bei Abgeordneten der SPD)


im damals neuen SGB IX verankert worden, um Men-
schen mit einer wesentlichen Behinderung eine Arbeits-
möglichkeit im allgemeinen, ersten Arbeitsmarkt zu bie-
ten .

Heute sind die, – wie gesagt, – rund 850 Integrations-
betriebe in Deutschland, die zwischen 25 und 50 Prozent
Menschen mit wesentlicher Behinderung beschäftigen,
Wirtschaftsunternehmen mit einer ganz besonderen so-
zialen Aufgabe .

Von den rund 22 000 Beschäftigten insgesamt sind
etwa 10 000 Beschäftigte mit wesentlicher Behinderung .
Es ist uns ein großes Anliegen, in dieser Legislatur den
inklusiven Arbeitsmarkt für Menschen mit wesentlicher
Behinderung auszubauen und ihnen die Möglichkeit zu
geben, aus unterschiedlichen Angeboten am Arbeits-
markt auszuwählen . Da haben wir auf der einen Seite die
sehr beschützten Werkstätten für behinderte Menschen .
Wir haben auf der anderen Seite den allgemeinen Arbeits-
markt, auf dem wir mit Lohnkostenzuschüssen und mit
Mitteln zum Umbau des Arbeitsplatzes massiv Unterstüt-
zung leisten, und wir haben die Integrationsbetriebe als
Teil des allgemeinen Arbeitsmarktes . Wir erleben, dass
es heute zum Glück mehr Anträge auf Unterstützung,
Ausbau und Weiterentwicklung der Integrationsbetriebe
gibt, als wir in den letzten Jahren Mittel zur Verfügung
gestellt haben . Wir wollen diesen Ausbau vorantreiben .
Deshalb ist es gut, dass wir heute den Beschluss fassen
wollen, den Integrationsämtern, die für die Förderung in
den Ländern zuständig sind, innerhalb der nächsten drei
Jahre 150 Millionen Euro zum Ausbau genau dieser so
wesentlichen und wichtigen Betriebe an die Hand zu ge-
ben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sie sind ein Baustein des inklusiven Arbeitsmarktes .

Wir haben in dieser Legislatur noch mehr vor . Aber
ein wesentlicher Meilenstein wird heute mit diesem An-
trag erreicht . Wir möchten, dass auch die Menschen, die
aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht mehr im
allgemeinen, ersten Arbeitsmarkt, aus dem sie in der Re-
gel kommen, eine Weiterbeschäftigung finden können,
künftig in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder
in einem Integrationsbetrieb eine Beschäftigung erhalten,
entweder ganztags, halbtags oder – auch das verändern
wir – als Zuverdienstbeschäftigung mit zwölf Stunden
pro Woche . Denn für viele ist eine Arbeit in Halb- oder
Vollzeit aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht
leistbar . Momentan liegt die Grenze für den Zuverdienst
in den Integrationsbetrieben bei 15 Wochenstunden . Aber
das ist für viele zu viel auf dem Weg der Integration in
den allgemeinen Arbeitsmarkt . Deshalb werden wir mit

Thorsten Frei






(A) (C)



(B) (D)


diesem Antrag diese Grenze auf zwölf Stunden reduzie-
ren, damit noch mehr Menschen die Möglichkeit haben,
im Rahmen des ersten Arbeitsmarktes einen Einstieg zu
erhalten . Ich glaube, das ist richtig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Rahmen der neuen Vergaberichtlinie werden wir
vorsehen, dass wir die Integrationsbetriebe, die wir für
besonders wichtig und unterstützungswürdig halten, bei
der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugen können .
Wenn eine Kommune, ein Landkreis, ein Land oder der
Bund öffentliche Aufträge zu vergeben hat, dann können
Integrationsbetriebe vorrangig von diesen Aufträgen pro-
fitieren; denn sie sind ja ganz besonders schützenswert
und unterstützungswürdig . Das ist auch richtig und gut
so . Damit stärken wir die Wirtschaftskraft genau dieser
Unternehmen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Uwe Schummer [CDU/CSU])


Viele fragen: Was passiert, wenn die drei Jahre um
sind, die Anschubfinanzierung von 150 Millionen Euro
verbraucht ist und wir dann weiteres Geld benötigen?
Wenn das der Fall ist, wovon wir ausgehen, werden wir
ab 2018 auch hierfür eine Lösung benötigen . Dieser Pro-
blematik sind wir uns bewusst . Ich glaube, angesichts
der neuen Beschäftigungsmöglichkeiten, die wir damit
schaffen, werden wir auch die dafür notwendigen Mittel
zur Verfügung stellen .

In unserem Antrag fordern wir auch, zu prüfen, ob
weitere Zielgruppen in den Integrationsbetrieben künf-
tig Arbeitsmöglichkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt
erhalten können . Insbesondere die Langzeitarbeitslosen
könnten eine solche Zielgruppe sein .

Aber wir sind vorsichtig und sagen: Sie dürfen auf keinen
Fall auf die Quote der behinderten Menschen angerech-
net werden . Wenn im Einzelfall auch Langzeitarbeitslose
in diese Betriebe hineinkönnen, dann dürfen für sie nicht
die Fördergelder, die für Menschen mit Behinderung
vorgesehen sind, ausgegeben werden; vielmehr muss das
aus Mitteln der BA erfolgen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben in dieser Legislatur noch mehr für den all-
gemeinen und inklusiven Arbeitsmarkt vor . Wir merken,
dass gerade kleine und mittelständische Unternehmen
häufig nicht wissen, welche Unterstützungsmöglichkei-
ten sie bekommen können, wenn sie jemanden mit we-
sentlicher Behinderung einstellen, welche Möglichkeiten
sie beim Lohnkostenzuschuss haben, was ihnen die öf-
fentliche Hand zur Umgestaltung des Arbeitsplatzes gibt,
und vieles mehr . Deshalb haben wir zum Beispiel mit der
Kampagne „Wirtschaft inklusiv“ Extragelder zur Verfü-
gung gestellt, damit genau diese Klarstellung erfolgen
kann . Wer nicht weiß, dass und wie er unterstützt wird,
hat auch größere Schwierigkeiten damit, sich für die Ein-
stellung schwerbehinderter Menschen zu entscheiden .

Ich will auch sagen, dass es gut ist, dass die Bundesre-
gierung bereits vor einigen Monaten entschieden hat, die

Mittel für 10 000 Plätze für unterstützte Ausbildung zur
Verfügung zu stellen, damit assistierte Ausbildung – von
der Schule in die Ausbildung – auch für die Personen-
gruppe der wesentlich behinderten Menschen erfolgen
kann . Das ist ein richtiges, ein gutes Zeichen . Wir ver-
stehen Inklusion so, dass wir Menschen mit Behinderung
mit allen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, in
den ersten, allgemeinen Arbeitsmarkt integrieren wollen,
und zwar so viele wie möglich .

Heute machen wir einen ganz wesentlichen Schritt in
diese Richtung . Ich freue mich, dass wir uns fast alle ei-
nig sind. Ich finde es richtig schade, dass sich die Linke
nicht entscheiden kann, den Ausbau der Integrationsbe-
triebe zu unterstützen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812413500

Vielen Dank . – Ich darf alle Kolleginnen und Kolle-

gen noch einmal daran erinnern, dass wir bestimmte Re-
dezeiten vereinbart haben, und möchte darum bitten, dass
wir sie einhalten .

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Werner .


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Werner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812413600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Es wurde Zeit, dass Sie sich endlich des
Themas annehmen und Integrationsbetriebe ausbau-
en und unterstützen wollen . Und dennoch, sehr geehrte
Regierungsmitglieder: Ihr Antrag greift viel zu kurz und
kommt auch reichlich spät .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ehrlich gesagt, an manchen Stellen habe ich leider den
Eindruck, dass auch ein bisschen Show dabei ist .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Show? Das ist Ihr Metier!)


Sie benennen Integrationsunternehmen in „Inklusions-
unternehmen“ um . Aber wenn es darum geht, „Integra-
tion“ durch „Inklusion“ im deutschen Gesetzestext für
die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu
ersetzen, bleiben Sie stur .

Menschen mit Behinderung sind nach wie vor über-
durchschnittlich oft arbeitslos, und das meist auch sehr
lange . Ihre Arbeitslosenquote ist doppelt so hoch wie die
nichtbehinderter Menschen, und die Anzahl der Men-
schen in Werkstätten nimmt ständig zu . Menschen mit
Behinderung werden bei der Teilhabe am Arbeitsleben
ganz klar diskriminiert . Viele junge Menschen mit Be-
hinderung sind ausgezeichnet ausgebildet . Vor Arbeitslo-
sigkeit schützt sie aber auch eine gute Ausbildung nicht .
Deshalb sind Integrationsbetriebe bei der Integration von

Kerstin Tack






(A) (C)



(B) (D)


Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt
unverzichtbar .


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Albert Stegemann [CDU/CSU])


Sie eröffnen berufliche Perspektiven. Sie tragen wegwei-
send zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben von
Menschen mit Behinderung bei .

800 Integrationsunternehmen sind einfach nicht ge-
nug . Da gebe ich Ihnen völlig Recht .


(Kerstin Tack [SPD]: Das ist der Grund zur Ablehnung?)


Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren der Ko-
alition, Integrationsbetriebe dürfen nicht zum Verschie-
bebahnhof für Menschen werden, die von der Teilhabe
am Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind . Die Teilhabe von
langzeitarbeitslosen Menschen ohne Schwerbehinderung
am ersten Arbeitsmarkt darf auf keinen Fall auf Kosten
der Inklusion von Menschen mit Behinderung gehen . Es
darf nicht zur Verdrängung kommen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Förderung von Langzeitarbeitslosen ohne Schwer-
behinderung in Integrationsbetrieben aus Mitteln der
Ausgleichsabgabe lehnen wir strikt ab . Und damit sind
wir nicht alleine . Wieso befristen Sie die jährliche Förde-
rung von 50 Millionen Euro bis zum Jahr 2017, wenn –
Frau Tack, Sie sagten es – Sie heute schon wissen, dass
es nicht ausreicht? Wie soll denn in so einem kurzen Zeit-
raum eine nachhaltige Entwicklung möglich sein? War-
um planen Sie nicht von vornherein mehr Geld ein? Sie
nehmen das Geld aus dem Topf der Ausgleichsabgabe,
aus dem in absehbarer Zeit nichts mehr zu greifen ist .

Sie wollen den für eine Förderung durch das Integ-
rationsamt erforderlichen Mindestbeschäftigungsumfang
von 15 Stunden ausnahmslos auf 12 Stunden kürzen .
Aber wissen Sie, was Sie damit auch tun? Sie fördern
weiter prekäre Arbeitsverhältnisse und treiben damit
Menschen in Altersarmut . Das kann nicht wirklich Ihr
Ernst sein .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Matthias Bartke [SPD]: Das ist eine Logik!)


Eine eingleisige finanzielle Förderung der Integrati-
onsbetriebe reicht absolut nicht aus . Wir brauchen paral-
lel dazu eine strukturelle, schrittweise Umgestaltung des
gesamten Werkstattsystems, so wie wir es in unserem
Antrag „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung“
fordern .

Noch immer liegt der durchschnittliche Lohn der
etwa 300 000 Menschen, die in einer Werkstatt tätig
sind, bei circa 180 Euro monatlich, und das oft bei ei-
nem Achtstundentag . Sie kennen das: Wir alle erhalten
Bürgerschreiben . Neulich bekam ich einen Brief, in dem
mir ein Mann berichtete, dass ihm jeden Tag pauschal
2,50 Euro für sein Essen abgezogen werden . Damit sind
circa 75 Euro von den 180 Euro weg . Das heißt, ihm blei-

ben im Monat 105 Euro zusätzlich . Das ist keine gerechte
Entlohnung, und dagegen verwahren wir uns .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, 180 Euro monatlich für die
tägliche Arbeit sind diskriminierend und viel zu wenig,
um davon zu leben .


(Katja Mast [SPD]: Darum geht es hier doch gar nicht! – Dr . Matthias Bartke [SPD]: Ich dachte, wir reden hier über Integrationsbetriebe!)


– Dann hören Sie doch bis zum Ende zu! – Alle Men-
schen haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben .
Sie haben das Recht, eine tarifliche Entlohnung zu erhal-
ten und damit ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren zu
können . Deshalb will die Linke bei der Umstrukturierung
des Arbeitsmarktes für Menschen mit Behinderung ne-
ben einer unbefristeten Förderung von Integrationsbe-
trieben vor allem dreierlei erreichen:

Wir wollen – erstens – Integrationsbetriebe nicht nur
durch eine bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge för-
dern, sondern sie zusätzlich und langfristig durch Inves-
titionsförderungen und Steuerentlastungen in der Grün-
dungsphase unterstützen .

Wir wollen – zweitens – ein Budget für Arbeit, das es
jedem Arbeitnehmer und jeder Arbeitnehmerin erlaubt,
den Arbeitsplatz frei zu wählen .

Und wir wollen – drittens – eine unabhängige Bera-
tung durch Menschen mit Behinderung, die alle Betrof-
fenen beim Zugang zu Integrationsbetrieben unterstützt .
Damit meinen wir vor allen Dingen eine Beratung für
Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten tätig sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Sehr geehrte Mitglieder der Regierungskoalition, un-
sere Vorschläge liegen auf dem Tisch . Wenn Sie sie auf-
greifen wollen, sind wir Ihnen gerne behilflich. Wir wer-
den uns bei der Abstimmung über den Antrag enthalten .


(Katja Mast [SPD]: Beim Mindestlohn enthalten, bei Integrationsbetrieben enthalten!)


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812413700

Vielen Dank . – Nächster Redner für die CDU/

CSU-Fraktion ist der Kollege Uwe Schummer .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Uwe Schummer (CDU):
Rede ID: ID1812413800

Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren!

Kollegin Werner, die einzige Show, die es heute bei die-
sem Thema gab, kam von Ihnen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und SPD)


Katrin Werner






(A) (C)



(B) (D)


Sie haben nicht zum Thema, nämlich Integrationsfirmen,
geredet . Stattdessen haben Sie einen Standardvortrag
gehalten, den Sie wahrscheinlich seit zwei, drei Jahren
in der Schublade haben . Es wäre schön gewesen, wenn
Sie zumindest jetzt, wo wir gemeinsam 150 Millionen
Euro für die Förderung von Integrationsunternehmen in
die Hand nehmen wollen, ein Stück weit pragmatisch ge-
wesen wären und im Sinne der Betroffenen zum Thema
geredet hätten .

Wir fördern die Integrationsunternehmen – es sind
850, wie Kerstin Tack eben gesagt hat – bisher mit
68 Millionen Euro pro Jahr . Diese 68 Millionen Euro
werden in den nächsten drei Jahren mit Bundesmitteln
aus der Ausgleichsabgabe um jeweils 50 Millionen Euro
aufgestockt . Natürlich wird es so sein, dass wir in die-
sem Jahr nicht die gesamten 50 Millionen Euro verge-
ben können; aber dieses Geld wird dann auf die nächsten
beiden Jahre übertragen, sodass insgesamt auf jeden Fall
150 Millionen Euro für die Förderung der Integrations-
unternehmen zusammenkommen und ihre segensreiche
Wirkung entfalten werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Kerstin Tack [SPD] und Gabriele Hiller-Ohm [SPD])


Das ist dann keine Show, sondern Praxis, praktische Ar-
beit für die Menschen .

Wir hatten gestern eine Präsentation dieses Antrages,
gemeinsam mit Herrn Dr . Baur von der Bundesarbeitsge-
meinschaft Integrationsfirmen. Mit der Bundesarbeitsge-
meinschaft Integrationsfirmen ist dieses Thema aufgear-
beitet worden . Sie hat uns klar und eindeutig unterstützt
und Dankeschön dafür gesagt, dass die Große Koalition
jetzt dieses Zeichen aus dem Parlament heraus setzt . Wir
werden in den weiteren Beratungen bis Anfang nächsten
Jahres den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes entwi-
ckeln, das vorsieht, über das Budget für Arbeit und ande-
re Instrumente die Förderung der Inklusion auf dem ers-
ten Arbeitsmarkt weiter zu verstetigen und auszubauen .

Insgesamt 1,3 Millionen anerkannt schwerbehinderte
Menschen arbeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt . 300 000
wesentlich behinderte Menschen sind in Werkstätten
tätig. Es gibt 850 Integrationsfirmen. Ich glaube nicht,
dass Bußgelder oder Strafandrohungen der richtige Weg
sind, um mehr Unternehmer zu motivieren, anerkannt
schwerbehinderte Menschen einzustellen oder weiter zu
beschäftigen . Ich glaube, dass diese Menschen Potenzi-
ale haben, und diese Potenziale müssen wir benennen .
Wir müssen uns überlegen, wie wir unterstützen können,
wie wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten können, auch für
Unternehmen, wenn technische Umbauarbeiten notwen-
dig sind . Wir werden die „Unterstützte Beschäftigung“
weiter ausbauen, sodass möglichst viele behinderte
Menschen inklusiv auf dem ersten Arbeitsmarkt unterge-
bracht werden können .

Es ist zu wenig bekannt, dass in diesem Bereich Po-
tenziale zu heben sind . Zu viele haben noch Vorbehalte
und Bedenken . Sie haben Angst, dass sie mit technischen
Problemen, mit Umbaumaßnahmen und mit der erfor-
derlichen Assistenz alleine gelassen werden . Deshalb ist
die Assistierte Ausbildung so wichtig . Wir brauchen eine

Informationskampagne, und zwar eine positive und kei-
ne, die nach dem Motto verfährt: Sei nett, beschäftige
einen behinderten Menschen . – Vielmehr muss deutlich
gemacht werden: Das sind Menschen mit Potenzial . Die
müssen auch in Ihrem Unternehmen eine Chance haben .
Jeder Unternehmer, der das nicht erkennt, ist ein schlech-
ter Unternehmer .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Bernhard Kaster [CDU/CSU])


Wir müssen mit den positiven Eigenschaften und Fähig-
keiten werben, um die Entwicklung auf dem inklusiven
Arbeitsmarkt voranzutreiben .

Lotsenboote auf diesem ersten Arbeitsmarkt sind die
Integrationsfirmen, die zeigen, dass sie auch bei einer
Behindertenquote von 25, 30 oder 40 Prozent in ihren
Belegschaften effizient arbeiten können. Die Bundesar-
beitsgemeinschaft Integrationsfirmen hat nachgewiesen,
dass die Insolvenzrate bei den Integrationsfirmen gerin-
ger ist als in der übrigen Wirtschaft, weil die Beschäf-
tigten motiviert sind und sich sehr stark mit dem Unter-
nehmen identifizieren. Das zeigt, dass der soziale Frieden
durchaus eine produktive Kraft hat . Damit haben sie Vor-
bildcharakter für alle anderen Unternehmen auf dem ers-
ten Arbeitsmarkt . Diese Lotsenboote, die auch für größe-
re Unternehmen Vorbildcharakter haben, wollen wir mit
dem Förderprogramm des Bundes in besonderer Weise
fördern und dafür sorgen, dass sie in der Wirtschaft und
in den Unternehmen Schule machen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Integrationsfirmen sind in allen Bereichen ange-
siedelt: von der Produktion über Dienstleistungen bis hin
zu Gartenbau . Auch bei der Zeitarbeit gibt es Dienstleis-
tungs- und Service-GmbHs, die sehr vorbildlich arbeiten .

Ich bin überzeugt: Durch unsere Mobilisierung wird
sich die Zahl der 850 Integrationsfirmen in den nächsten
vier Jahren auf 1 600 oder 1 700 verdoppeln . Der „Da-
vid“, den wir heute vor uns haben, wird heranwachsen
und vor allen Dingen auf dem ersten Arbeitsmarkt viel in
Bewegung setzen .

Wir müssen das Thema Minderleistungsausgleich in
Beschäftigungsverhältnissen dauerhaft klären; wir sind
bereits auf dem Weg . Die Förderung durch die Vergabe
öffentlicher Aufträge ist ein weiterer Baustein, um diese
Unternehmen zu unterstützen . Durch ihren sozialen Cha-
rakter kommen sie für kommunale, Landes- und Bundes-
aufträge hervorragend in Betracht . Auch das europäische
Vergaberecht ist hier kein Hindernis . Vielmehr können
wir mit öffentlichen Aufträgen die Integrationsfirmen
oder auch Integrationsabteilungen in den Unternehmen
gezielt unterstützen .

Wir wollen auch den Ausbildungsort Integrationsfir-
ma stärken . Ohne die verschiedenen Systeme vermischen
zu wollen – SGB II für Langzeitarbeitslose auf der einen
Seite, Eingliederungshilfe und Ausgleichsabgabe auf der
anderen Seite –: Warum sollen nicht auch ältere Lang-
zeitarbeitslose, die viel Erfahrung haben, einen Ausbil-
derschein erwerben können, um in den Integrationsfir-
men Ausbildungsgänge durchzuführen?

Uwe Schummer






(A) (C)



(B) (D)


Es gibt oftmals eine Kette: von der Förderschule rein
in die Werkstatt, und dort kommt man dann nicht mehr
raus . Das ist oftmals bei lernbehinderten jungen Men-
schen der Fall . Es gibt Bausteine, zweijährige Ausbil-
dungsberufe und andere Möglichkeiten, für eine Qualifi-
kation in Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt . Wir
wollen Langzeitarbeitslose, aber auch behinderte junge
Menschen zusammenführen und dafür sorgen, dass der
Ausbildungsort Integrationsunternehmen gestärkt wird .

Ich habe in Plauen in Sachsen ein Integrationshotel
besucht, in dem gemeinsam mit einer Rehaeinrichtung
solche Ausbildungsgänge angeboten werden . Die arbei-
ten effizient, sind auf dem ersten Arbeitsmarkt vertreten
und schaffen neue Potenziale und Perspektiven für junge
Menschen .

In meinem Bundestagsbüro arbeite ich mit einer Re-
haeinrichtung aus Berlin zusammen . Ich habe regelmäßig
Praktikanten, die psychisch, die seelisch erkrankt sind .
Dieses Thema wird im Übrigen durch die Fluchtbewe-
gungen an Bedeutung zunehmen . Oftmals ist es so, dass
diese Praktikanten an zwei Tagen exzellent arbeiten und
sich hervorragend einsetzen, aber am dritten Tag sagen:
Tut mir leid . Heute geht es nicht .

Für ein klassisches Unternehmen ist es natürlich
schwierig, das einzuschätzen . Trotzdem müssen wir
über Integrationsfirmen Arbeitszeitmodelle und Gesund-
heitsmodelle entwickeln, mit denen wir das Potenzial an
den zwei Tagen nutzen und dann weiter aufbauen und
die Menschen nicht in die Werkstatt verschieben . Das ist
eine gemeinsame Anstrengung. Integrationsfirmen kön-
nen modellhaft für die übrige Wirtschaft solche Arbeits-
zeitsysteme entwickeln .

Daher ist der heutige Tag ein guter Tag für die Inklusi-
on und für die Integrationsfirmen. Es wäre gut gewesen,
wenn wir dazu einstimmig ein klares positives Votum ge-
setzt hätten . Das kann man eigentlich nur unterstützen .
Ich bin sicher, dass wir diese produktive Kraft der so-
zialen Teilhabe, die von den Integrationsfirmen ausgeht,
weiter stärken werden und dass wir damit auch einen
Punkt setzen, sodass man sagen kann: Gut, dass es diesen
Antrag gibt . Gut, dass wir ihn umgesetzt haben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812413900

Vielen Dank . – Als Nächstes hat die Kollegin Corinna
Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Sag nichts Falsches!)



Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812414000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-

legen! Liebe Gäste! Herr Schummer, so einfach werde
ich es Ihnen jetzt nicht machen .

In den vergangenen mehr als anderthalb Jahren habe
ich von dieser Stelle aus oft geschimpft, weil hier behin-
dertenpolitisch viel diskutiert worden ist, im Endeffekt
aber nichts dabei herumgekommen ist . Insofern muss ich
Ihnen anrechnen, dass wir heute endlich einmal zu einem

Beschluss kommen zu einer in der Tat wichtigen Angele-
genheit: Integrationsfirmen zu fördern und eine Perspek-
tive für die nächsten drei Jahre abzusichern .

Frau Tack, wenn Sie hier von „Meilenstein“ reden,
dann finde ich das ein Stück weit überhöht – ich kom-
me gleich dazu –, weil dieser Antrag selbstverständlich
auch noch Probleme in sich birgt und noch nicht die
Lösung ist für die Finanzierung der Integrationsbetriebe
und weil die Frage eines inklusiven Arbeitsmarktes – mit
Verlaub – eine bedeutendere Frage ist als die Diskussion
über 4 500 zusätzliche Plätze in ganz Deutschland .

In absoluten Zahlen gesehen ist es in der Tat so, dass
Integrationsfirmen in ihrer Bedeutung überschaubar
sind. Es sind bundesweit 800 Integrationsfirmen. Es sind
11 000 Plätze für Menschen mit teilweise schweren Be-
hinderungen, die dort einen sozialversicherungspflichti-
gen – das ist wichtig – Arbeitsplatz gefunden haben . Die
Bedeutung dieser Integrationsfirmen geht aber über den
Anschein dieser lediglich 800 Firmen deutlich hinaus .
Sie zeigen nämlich, wie es geht . Sie haben über drei Jahr-
zehnte Erfahrungen mit der Beschäftigung schwerbehin-
derter Menschen . Sie machen das nicht erst seit gestern,
sondern schon seit mehr als 30 Jahren . Sie stehen im
Wettbewerb mit anderen Unternehmen . Sie zeigen, dass
Menschen mit Behinderung zum wirtschaftlichen Erfolg
beitragen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Finanzierung über die Ausgleichsabgabe bleibt in
der Tat ein Problem, weil dadurch eine immanente De-
ckelung geschaffen wird . Jetzt muss ich einige Anmer-
kungen an Sie richten. Unser Bundesfinanzminister hat
zu Beginn der Sommerpause gefordert, die Ausgleich-
sabgabe zu verdoppeln . Ich habe noch nicht gehört, dass
das hier aufgenommen worden ist . Im Gegenteil: Im Pe-
titionsausschuss haben Sie als Regierungskoalition eine
Petition abgelehnt, mit der genau das gefordert worden
ist . Konkret ging es noch nicht einmal um eine Verdoppe-
lung, sondern um eine Erhöhung . Dazu muss ich sagen,
dass das einfach bigott ist . Ich möchte, dass Sie hier und
auch im Petitionsausschuss dazu stehen und diese Forde-
rung mittragen; denn das wäre tatsächlich wichtig für die
Stabilisierung des Systems der Integrationsfirmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir stellen fest, dass diese Firmen schon längst an die
Grenze gekommen sind, was den Ausbau an Plätzen an-
geht .

Das gilt zum Beispiel für Nordrhein-Westfalen . Herr
Schummer, Sie wissen das . Ich glaube, das ist eine Trieb-
feder für Sie . Ich glaube, dass Sie das mobilisiert hat, was
ich Ihnen sehr hoch anrechne . Wir brauchen aber sehr
viel mehr inklusive Angebote . Wir brauchen Alternati-
ven . Wir müssen nicht nur Alternativen zum Werkstatt-
platz schaffen, sondern wir müssen die Werkstätten ins-
gesamt transformieren und zu einem Teil des inklusiven
Arbeitsmarktes umgestalten . Das ist doch die Aufgabe .
Dazu können Integrationsfirmen einen ganz wichtigen

Uwe Schummer






(A) (C)



(B) (D)


Beitrag leisten. Insofern finde ich das Bild vom Lotsen-
boot ziemlich gelungen, weil es Orientierung bietet, weil
es eine Richtung aufzeigt . Weil dieser Antrag – das kann
man nicht vom Tisch wischen – in die richtige Richtung
geht, werden wir diesem Antrag zustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


150 Millionen Euro sind, gemessen an der Zahl, die
Sie gerade genannt haben – zurzeit 68 Millionen jähr-
lich –, kein Pappenstiel; das geht in Richtung Verdoppe-
lung . Das ist zwar immer noch zu wenig, aber eine Haus-
nummer, mit der man arbeiten kann .

Jetzt will ich aber doch etwas Wasser in den Wein gie-
ßen, was mir als Mosel-Bewohnerin besonders schwer-
fällt . Ich verstehe nicht, warum Sie die Hinweise und
Vorschläge in den wohlwollenden Stellungnahmen vieler
Verbände nicht aufgegriffen haben, so vom Sozialver-
band Deutschland, vom Paritätischen Wohlfahrtsver-
band, von der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrations-
firmen, in deren Beirat wir gemeinsam sitzen und über
diese Themen intensiv diskutieren . Ich verstehe nicht,
warum wir über diese Vorschläge und Hinweise nicht
noch einmal diskutiert haben, warum wir nicht nach einer
Anhörung versucht haben, diesen Antrag gemeinsam zu
verbessern . An verschiedenen Stellen hätten wir Ände-
rungen vornehmen sollen .

Es geht hier – das muss man sich klarmachen – um
eine Anschubfinanzierung, mit der bestimmte Probleme
verbunden sind: Die Anschlussfinanzierung ist nicht ge-
sichert, die Öffnung für Langzeitarbeitslose birgt Fragen,
auch die Vergabe öffentlicher Aufträge . Aus Zeitman-
gel – ich habe nicht so viel Redezeit wie Sie – kann ich
das leider nicht näher ausführen . Die Bundesregierung –
das ist der springende Punkt – spricht ständig von Be-
teiligung . Immer, wenn es um das Bundesteilhabegesetz
geht, immer wenn es um behindertenpolitische Initiativen
geht, geht es um Beteiligung . Sie sagen immer: Nichts
ohne uns . – Ich frage mich: Warum gilt das nicht auch in
diesem Fall? Warum waren wir nicht gemeinsam in der
Lage, diesen Antrag an bestimmten Stellen wesentlich zu
verbessern?

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812414100

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Dr . Matthias

Bartke, SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1812414200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Mein
Wahlkreis ist Hamburg-Altona, und da sind Leuchttürme
nie ganz weit weg. Vielleicht finde ich Integrationsbetrie-
be deshalb so gut; denn Integrationsbetriebe sind auch

Leuchttürme, Leuchttürme der Inklusion auf dem allge-
meinen Arbeitsmarkt .


(Beifall bei der SPD)


Genau das ist der Grund, warum wir nicht nur in Nord-
deutschland Integrationsbetriebe ausbauen wollen . Wir
Koalitionsfraktionen wollen Integrationsbetriebe künftig
mit 150 Millionen Euro fördern . Das ist viel Geld, Frau
Werner . Das ist keine Show .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Warum wollen wir das? Integrationsbetriebe agieren
wirtschaftlich . Sie tun das erfolgreich, und sie haben ei-
nen klaren sozialen Auftrag . Sie bieten Menschen mit
Behinderung einen Arbeitsplatz, aber nicht irgendeinen,
sie bieten ihnen einen sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt; Frau
Rüffer hat das eben ausgeführt .

Integrationsbetriebe sind eine wichtige Ergänzung zu
den Werkstätten für Menschen mit Behinderung, eine Er-
gänzung, die für viele genau richtig ist; denn Menschen
mit Behinderung sind zuverlässige und motivierte Mit-
arbeiter und Mitarbeiterinnen . Arbeitslose Menschen mit
Behinderung sind häufig gut ausgebildet, haben es aber
trotzdem deutlich schwerer, in Arbeit zu kommen, als
Nichtbehinderte . Wer gestern beim Parlamentarischen
Abend des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenver-
bandes war, weiß, wovon ich spreche . Das war eine sehr
eindrucksvolle Veranstaltung .

Menschen mit Behinderung machen einen guten Job .
Alles, was sie brauchen, ist häufig nur ein geeigneter Ar-
beitsplatz . In meiner Heimatstadt Hamburg lief dafür von
2012 bis 2014 das Modellprojekt „Raus aus der Werk-
statt, rein in den Betrieb!“ .


(Katrin Werner [DIE LINKE]: Genau! Raus aus der Werkstatt!)


– Ja, ist ja richtig . – Dabei wurden dauerhafte Lohn-
subventionierung, Prämien für Arbeitgeber und berufli-
che Assistenzleistungen gestellt . Das Projekt hat große
Wirkung gezeigt: Über 100 Menschen mit Behinderung
haben auf diesem Weg einen Arbeitsplatz in einem Inte-
grationsbetrieb bekommen . In diesem Jahr hat der Ham-
burger Senat das Modellprojekt in eine Regelförderung
überführt . Das Projekt zeigt uns erneut, welche Möglich-
keiten wir durch gezielte Förderung auftun können .

Seit Jahren wird in Integrationsbetrieben Teilhabe am
Arbeitsmarkt und Inklusion schon gelebt – ein echtes
Vorbild . Die UNBehindertenrechtskonvention gibt uns
den Anreiz, dieses Vorbild voranzutreiben . Mit der UN-
Konvention geben wir uns aber auch den Anspruch, den
Integrationsbetrieben einen neuen Namen zu geben . Was
sie leisten, ist Inklusion, und deswegen sollen sie auch so
heißen: Inklusionsbetriebe .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit den veranschlagten 150 Millionen Euro können
wir bis zu 4 500 neue Arbeitsplätze in Integrationsbetrie-
ben schaffen, 4 500 neue Arbeitsplätze für echte Inklusi-

Corinna Rüffer






(A) (C)



(B) (D)


on . Integrationsbetriebe schaffen nicht nur einen Mehr-
wert für die gesamte Gesellschaft . Sie tragen dafür auch
besondere Kosten . Hierfür erhalten sie Gelder von Integ-
rationsämtern . Die Gelder reichen bisher aber nicht aus .
Daher konnten in der Vergangenheit nicht alle Anträge
auf Neugründung oder Erweiterung genehmigt werden;
Frau Tack hat das ausgeführt . Das ist verschenktes Poten-
zial . Dem stellen wir diesen Antrag entgegen .

Wir wollen nicht nur, dass Integrationsbetriebe ange-
schoben werden, sondern wir wollen auch, dass sie im
Wettbewerb bestehen können . Deshalb: Bei der Vergabe
von öffentlichen Aufträgen sollen Integrationsbetriebe
neben WfbMs künftig bevorzugt berücksichtigt werden .
Das europäische Vergaberecht ermöglicht eine solche
Bevorzugung . Voraussetzung dafür ist die soziale und
berufliche Integration von Menschen mit Behinderung
als Hauptzweck des Betriebes, also genau das, was In-
tegrationsbetriebe machen . Es ist also höchste Zeit, das
zu nutzen .

Meine Damen und Herren, gestärkte Integrationsbe-
triebe haben die Chance, Menschen mit ihren individu-
ellen Stärken und Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu
stellen. Davon profitieren die Betriebe, aber natürlich vor
allem die Beschäftigten selbst .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812414300

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Dr . Astrid Freudenstein .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1812414400

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Unsere heutige
Debatte und Beschlussfassung wird ja von einer kleinen
PR-Kampagne der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrati-
onsfirmen flankiert. Sie hat die Politik angeschrieben und
eingeladen, in diesen Wochen Integrationsbetriebe zu be-
suchen . Immerhin mehr als 100 Abgeordnete sind dieser
Einladung gefolgt und haben sich in der vergangenen
Woche und in dieser Woche einen Integrationsbetrieb an-
geschaut. Dies ist, wie ich finde, eine schöne Aktion, die
gut zu unserem Antrag passt, der auch gut und richtig ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die gut 800 Integrationsbetriebe in Deutschland gel-
ten völlig zu Recht als Vorzeigeprojekte der Inklusion,
weil sie sozialversicherungspflichtige Stellen auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt bieten, und zwar inzwischen
für mehr als 10 000 behinderte und etwa ebenso viele
nichtbehinderte Menschen . Sie zahlen den Mindestlohn
und holen sich Aufträge auf dem freien Markt . Sie be-
weisen auch, dass sich wirtschaftliches Handeln und die
Beschäftigung behinderter Menschen nicht ausschließen .
Integrationsbetriebe zeigen so auch, dass die Befürchtun-
gen und Ängste, die es in vielen Unternehmen gibt, wenn
es darum geht, Menschen mit Behinderung zu beschäfti-
gen, nicht nötig und auch nicht begründet sind .

Wenn in diesen Tagen die großen Arbeitgeberverbän-
de mit großer Leidenschaft und öffentlichkeitswirksam
sagen, dass sie sich freuen über die vielen Flüchtlinge,
die in unser Land kommen, weil sie helfen können, un-
seren Fachkräftemangel zu beheben, dann würde ich
mir wünschen, dass die großen Arbeitgeberverbände mit
gleicher Leidenschaft und ebenso öffentlichkeitswirksam
sagen, dass sie sich freuen über die vielen Menschen mit
Handicap in unserem Land, die hochqualifiziert sind und
ein Potenzial darstellen, das bisher nicht gehoben wurde .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich selbst war jetzt nicht unter den 100 Abgeordneten,
die in diesen Tagen in die Integrationsfirmen gegangen
sind . Ich kenne aber die Unternehmen in meiner Hei-
matstadt sehr gut . Weit weg von Hamburg, Herr Kollege
Bartke, im Binnenland von Regensburg, gibt es zum Bei-
spiel vier solcher Leuchttürme .


(Dr . Matthias Bartke [SPD]: Am Fluss!)


– Am Fluss, ja, das ist richtig, aber da stehen keine
Leuchttürme . – Ich schätze diese Unternehmen auch
deswegen, weil ich ihre Dienstleistungen und Angebote
schon lange und immer wieder gerne in Anspruch neh-
me, sei es, um vom Werkhof der Diakonie einen Baum
pflanzen, Pflaster verlegen oder einen Gartenzaun hoch-
ziehen zu lassen oder bei labora, der Integrationsfirma in
der Kantine des Rathauses in Regensburg, zu essen .

Ich kann Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
versichern: Das, was die Integrationsbetriebe leisten, ist
allerbeste Arbeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber allein das Loblied zu singen, wäre zu wenig .
Viele Integrationsfirmen haben eine lange und auch recht
wechselhafte Geschichte hinter sich . Viele haben auch
nicht erst als Integrationsbetriebe begonnen, sondern
waren vorher schon als Sozialunternehmen aktiv . Viele
wurden von den Betreibern von Behindertenwerkstätten
ausgegründet . Zwei der Integrationsunternehmen in mei-
nem Wahlkreis, retex und der Werkhof, haben schon ihr
30-jähriges Bestehen als sozial agierendes Unternehmen
gefeiert . Da lief natürlich nicht immer alles ganz glatt .
Der Werkhof hat zuerst ältere arbeitslose Handwerker
beschäftigt, später waren es junge Arbeitslose, und dann
kamen die behinderten Menschen dazu . Jetzt wissen wir,
wie gut diese Integrationsfirmen arbeiten, und wünschen
uns, dass sie mehr Menschen Arbeit geben . Ich bin ganz
sicher, dass diese Firmen das schaffen werden, weil sie
auch bisher eine ganze Reihe von Problemen gut gemeis-
tert haben . Viele haben ihr Angebot verändern müssen
und es dem Markt angepasst . Es ist für die Integrations-
betriebe eben nicht immer ganz einfach, kostendeckend
zu arbeiten und am Ende eine schwarze Null zu schrei-
ben .

Der Mindestlohn – auch dies gehört zur Wahrheit –
war zunächst eine große Herausforderung für die Integ-
rationsunternehmen . Umso respektabler ist die Leistung
derer, die diese Unternehmen teilweise seit vielen Jahren
leiten .

Dr. Matthias Bartke






(A) (C)



(B) (D)


Die Betriebe leisten einen ganz wertvollen Beitrag zu
dem, was wir uns alle wünschen, nämlich zum inklusiven
Arbeitsmarkt . Sie helfen, dass Menschen mit Handicap
einen versicherungspflichtigen Arbeitsplatz bekommen.
Wir wissen ja inzwischen aus der Erfahrung, dass viele
bzw . die allermeisten der behinderten Beschäftigten vie-
le Jahre, manche auch fast ihr ganzes Berufsleben dort
verbringen .

Unser Antrag ist deshalb ein guter und richtiger . Wir
werden in diesem und in den kommenden beiden Jah-
ren jeweils 50 Millionen Euro aus dem Ausgleichsfonds
zur Verfügung stellen . Das ist umso wichtiger, als sich
in den vergangenen Jahren die Beschäftigungschancen
für Menschen mit Handicap nicht so verbessert haben,
wie wir es uns wünschen würden . Deswegen müssen wir
noch ein paar Schritte mehr unternehmen . Dazu gehört
zum Beispiel das Budget für Arbeit, das wir mit dem
Bundesteilhabegesetz flächendeckend und bundesweit
einführen wollen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir müssen – das ist mir ein großes Anliegen – auch
die Arbeitgeber besser informieren und unterstützen .
Ein Schwerpunkt muss auf dem Bürokratieabbau liegen .
Momentan muss ein Handwerksmeister eine 320-stündi-
ge Zusatzausbildung absolvieren, wenn er einen behin-
derten Jugendlichen zum Fachpraktiker ausbilden will .
Acht volle 40-Stunden-Wochen! In diesen acht Wochen
lernt der Schreiner- oder Bäckermeister auch Grundlagen
der Medizin und der Rechtswissenschaft . Er beschäftigt
sich mit der Geschichte der Rehabilitation und mit dem
ganzen Spektrum der ICD-10-Klassifikation. Diese reha-
bilitationspädagogische Zusatzqualifikation für Ausbil-
der – kurz: ReZA – geht zurück auf eine Empfehlung des
Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung .
Seit alle Kammern diese Zusatzqualifikation fordern,
geht die Zahl neuer Ausbildungsverträge mit behinderten
Jugendlichen rapide zurück . Meine Damen und Herren,
so ein Wahnsinn behindert unsere behinderten Jugendli-
chen . Wir müssen ihn wieder abschaffen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden also zunächst die Integrationsfirmen stär-
ken und dann weitere Schritte unternehmen, damit jeder
Mensch, auch wenn er ein Handicap hat, seinen Platz auf
dem Arbeitsmarkt findet.

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812414500

Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che angekommen .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Integrations-
betriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte
Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung

auf Drucksache 18/6086, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5377 anzuneh-
men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlus-
sempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Franziska Brantner, Katja Dörner, Beate
Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Betreuungsgeld in Kitas investieren

Drucksache 18/6063

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole
Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Betreuungsgeld für den Kitaausbau nutzen

Drucksache 18/6041

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (f)

Finanzausschuss
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so entschieden .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Dr . Franziska
Brantner, Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Am 21 . Juli 2015 erklärte das Bundesverfas-
sungsgericht das Betreuungsgeld für verfassungswid-
rig . Seither gibt es den Streit darüber, was mit dem Geld
passiert . Für 2016 sind es 500 Millionen Euro und für
2017 1 Milliarde Euro . Für uns müssen dabei drei Dinge
im Vordergrund stehen: Erstens . Das Geld muss im Fa-
milienhaushalt bleiben . Zweitens . Es darf nicht für den
Mehrbedarf beim Elterngeld genutzt werden . Drittens .
Es muss dorthin gehen, wo es gebraucht wird, nämlich
in die Kitas .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Schäuble möchte den Zuwachs beim Elterngeld
gerne mit den Mitteln für das Betreuungsgeld decken . Der
zusätzliche Bedarf ist aber nicht über Nacht gekommen,
sondern deshalb, weil wir hier gemeinsam neue gesetz-
liche Ansprüche geschaffen haben . Die Partnerschafts-
monate gibt es eben nicht für umsonst, und wenn mehr
Väter das Elterngeld nutzen, was wir uns alle wünschen,
dann wird es teurer . Das hängt mit dem Lohnunterschied
zwischen Männern und Frauen zusammen . Das Geld hät-
te also ohnehin im Haushalt gefunden werden müssen,

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


egal ob das Betreuungsgeld abgeschafft wird oder nicht .
Wenn wir jetzt das wegfallende Betreuungsgeld dafür
nehmen würden, dann würden wir den Familienhaushalt
dafür bestrafen, dass das Elterngeld erfolgreich ist . Das
kann ja wohl nicht die Logik sein, die wir hier vertreten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eigentlich sind wir uns doch sicher, dass das Geld in den
Kitas gut angelegt ist und dass das auch das ist, was die
Eltern brauchen und sich wünschen .

Ihr Haus, Frau Marks, hat nicht nur festgestellt, dass
wir in Deutschland ohnehin noch 185 000 Kitaplätze
brauchen, sondern auch, dass wir für die Kinder, die
jetzt zu uns kommen, 68 000 Plätze zusätzlich brauchen
werden . Diese Lücke besteht, und sie ist groß . Ich wür-
de sagen: Ihre Zahlen sind ziemlich gut geschätzt, aber
sie könnten auch gut noch ein bisschen höher liegen . Es
ist doch in unserem Interesse, dass diese Kinder früh in
die Kitas gehen und dort Deutsch lernen, ankommen und
teilhaben können . Es ist doch wirklich unser originäres
Interesse, dass das möglich ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns deswegen jetzt doch vorausschauen –
dieser Bedarf wird entstehen – und nicht erst wieder dann
handeln, wenn die Schlangen vor den Kitas in sechs Mo-
naten existieren und sich die Frage stellt, wer den Kita-
platz bekommt, nämlich das Flüchtlingskind oder das
Kind, das schon hier geboren wurde . Ich möchte nicht,
dass sich diese Frage stellen wird . Deswegen möchte ich,
dass wir jetzt vorausschauen und die Gelder jetzt, da wir
sie haben, in die Kitas investieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir alle wissen, dass das nicht einfach wird .

Wir brauchen auch mehr Sprachförderung . Wir haben
in Ihrem Haus angefragt, ob Sie vorhaben, im nächsten
Jahr mehr Geld für die Sprachförderung auszugeben . Ich
finde, auch hier kann man schon ziemlich sicher davon
ausgehen, dass das notwendig sein wird . Die Antwort von
Ihnen war bis jetzt, dass es bei den 100 Millionen Euro
bleiben wird . Auch hier ist klar: Wir brauchen mehr Geld
für weitere Sprachförderung im Jahr 2016 und in den
Jahren danach .

Wir können die Kommunen und die Länder damit
nicht alleinlassen . Manche werden es vielleicht schaffen,
andere haben aber einfach nicht die Kapazitäten und Gel-
der dafür .

Vor allem dürfen wir auch die Erzieherinnen und Er-
zieher damit nicht alleinlassen .

Die leisten ja heute schon Enormes, machen auch heu-
te schon unglaublich viel . Sie machen viel mehr als das,
was ursprünglich ihr Auftrag war, und sie werden immer
noch viel zu gering bezahlt .

Eine Erzieherin für sieben Kinder unter drei Jahren ist
doch schon heute kaum vorstellbar . Schon heute brau-
chen wir kleinere Gruppen . Die brauchen wir in Zukunft,

wenn es um diese Integrationsaufgabe geht, doch erst
recht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir wollen, dass das klappt, müssen wir jetzt hier
rechtzeitig ansetzen . Unsere Aufgabe ist es, dass Kin-
der – egal ob sie neu zu uns kommen oder hier geboren
sind – gute Förderung, Bildung und Betreuung bekom-
men . Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen . Denn für
alle Kinder gilt: Was sie in jenen jungen Jahren lernen,
das entscheidet über ihre Chancen später . Diese Chancen
müssen wir allen – denen, die hier geboren sind, und de-
nen, die jetzt zu uns kommen – geben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen lassen Sie uns heute für morgen investie-
ren . Liebe SPD, kämpfen Sie! Damit Sie heute zustim-
men können, haben wir für Sie den Antrag auch wirklich
ganz einfach gemacht .


(Lachen bei der SPD – Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: Ein vergiftetes Lob, Frau Brantner!)


– Nein . – Damit Sie – man kennt das ja – nicht sagen
können, dass Ihnen ein Halbsatz nicht gefallen hat, haben
wir es so formuliert:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundes-
regierung auf, die frei werdenden Mittel aus
dem Betreuungsgeld in Kindertageseinrich-
tungen zu investieren .

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie uns unterstüt-
zen und mit uns kämpfen, liebe SPD, und wir hier ge-
meinsam investieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich freue mich darauf, das hinzubekommen .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812414600

Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Josef Rief,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Josef Rief (CDU):
Rede ID: ID1812414700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Besu-
cher auf der Plenartribüne und vor dem Parlamentsfern-
sehen! Das Bundesverfassungsgericht hat keine inhaltli-
che Bewertung zum Betreuungsgeld abgegeben, sondern
lediglich die Zuständigkeit für die Gesetzgebung beim
Bund verneint .

Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das Be-
treuungsgeld richtig war . Die Zahlen sprechen übrigens
für sich . Das Betreuungsgeld wurde von den Famili-
en – in meiner Region sind es über 70 Prozent der El-
tern – sehr gut angenommen, und es ist nach wie vor
hoch attraktiv . Nach der aktuellen Statistik für das zwei-
te Quartal 2015 gab es noch einmal eine Steigerung der
Bezugszahlen . In Baden-Württemberg zum Beispiel gab

Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


es aktuell eine Steigerung um über 15 Prozent auf über
100 000 Kinder, und das, obwohl mittlerweile schon
viele Kinder aus der Bezugsdauer herausgefallen sind .
Betreuungsgeld wird jetzt für über eine halbe Million
Kinder bezogen –eine sehr beachtliche Zahl . 150 Euro
monatlich sind nicht viel Geld, aber sie waren eine Hilfe .

Die Hamburger Klage war daher ein Pyrrhussieg für
die Familie . Die Koalition hat es wenigstens geschafft,
dass das Betreuungsgeld – zum Teil auch gegen Ihre Wi-
derstände – für die bereits bewilligten Anträge noch ge-
zahlt wird . Vertrauensschutz ist für diese Regierung ein
hohes Gut .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wenn Sie sonst keine Argumente mehr haben!)


Sollen kleine Kinder in der Kita oder zu Hause betreut
werden? Diese Frage, meine Damen und Herren, muss
sich jede Familie mit Kindern früher oder später stellen .
Wir haben immer gesagt: sowohl als auch, beides, Kita
und häusliche Betreuung . Deshalb werden wir jetzt nicht
sagen: nur das eine, nur die staatliche Kinderbetreuung .
Die vorliegenden Anträge von Grünen und Linken gehen
aber in diese Richtung .

Wie Sie alle wissen, geben wir viel Geld für staatli-
che Kinderbetreuung aus . Das soll in Zukunft noch mehr
werden . Das tun wir gern, und das ist auch sinnvoll . Es
gibt aber auch noch etwas anderes in unserem Land,
nämlich die häusliche Betreuung bzw . die häusliche För-
derung von kleinen Kindern . Denn Kinder in den ersten
Lebensjahren brauchen eine verlässliche Bindung . Bin-
dung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in den
ersten Lebensjahren wichtiger, als Bildung sein kann .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb ist die häusliche Betreuung gut und sinnvoll .
Das Betreuungsgeld ist immer noch eine Anerkennung
für Eltern, die die Kindererziehung zu Hause überneh-
men . Es hat für viele den Übergang nach dem Ende des
Elterngeldbezuges wesentlich erleichtert .

Kinder sollen sich wohlfühlen, und die Gesellschaft
soll sich mit Kindern wohlfühlen . Wenn aber das Auf-
wachsen der Kinder zuerst in Krippen und dann in Ganz-
tagsschulen erfolgt, finden Familien in der Gesellschaft
im Alltag nicht mehr statt . Kinder sehen sich heute oft
mit abgehetzten Eltern konfrontiert, die in der knappen
gemeinsamen Zeit noch den Haushalt schmeißen müs-
sen. Großeltern stehen häufig nicht zur Verfügung, da sie
entweder selbst noch berufstätig sind oder nicht in der
Nähe wohnen .

Kinder in unserer Gesellschaft finden jedenfalls nach
dem Willen von Linken und Grünen nicht mehr zwischen
8 .30 und 17 Uhr statt . Da haben Kinder in den Kitas zu
sein .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Glauben Sie eigentlich diesen Unsinn?)


Anschließend geht es auf den Heimweg und zu Hause
ins Bett .


(Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ein hartes Schicksal!)


Für junge Menschen, die darüber nachdenken, Kinder
zu bekommen, sollte offensichtlich sein: In Deutschland
sind Kinder erwünscht . In Deutschland sind Kinder im
Alltag überall anzutreffen . Sie sind mit ihrer Neugier, ih-
rem Bewegungsdrang und ihrer Lautstärke akzeptiert, ja
gewünscht . Kindergeschrei ist Zukunftsmusik .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Junge Menschen müssen sehen, dass unser Staat sie
bei ihrer Lebensplanung unterstützt . Diese Planung muss
nicht zwangsläufig eine schnelle Rückkehr ins Berufsle-
ben vorsehen, sondern kann durchaus ein Familienleben
zu Hause bedeuten . Jeder, der Kinder hat, weiß: Kinder
bleiben nicht lange klein . Rasend schnell werden sie er-
wachsen . Ein Arbeitsleben hingegen dauert in der Regel
mehrere Jahrzehnte . Warum gönnen wir den Eltern nicht
mehr Zeit mit ihren kleinen Kindern?

Ich sage es noch einmal: Kitas sind gut und wichtig
und werden von unseren Fraktionen gerne gefördert .
Wir haben den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ein-
geführt . Mütter und Väter, die ihren Beruf wieder auf-
nehmen möchten, sollen ausreichend Kitaplätze zur
Verfügung haben . Der Kitaausbau wurde und wird stark
gefördert . Das wird auch in Zukunft, gerade im Hinblick
auf die Flüchtlingsproblematik, weitergehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber es gibt noch etwas anderes, und auch diesen
anderen Bedürfnissen müssen wir gerecht werden . Wir
finden, finanzielle Ressourcen sollen dazu dienen, ein
kinderfreundliches Umfeld zu entwickeln und es gerade
auch Paaren mit Kinderwunsch zu ermöglichen, nicht
nur über ein Kind oder zwei Kinder nachzudenken, son-
dern sich vielleicht auch ein Leben mit drei oder mehr
Kindern vorzustellen .

Es gibt viele Ansatzpunkte, die Familienfreundlich-
keit zu verbessern: angefangen beim bezahlbaren und
ausreichend großen Wohnraum über weitere Unterstüt-
zung für Alleinerziehende bis hin zu steuerlichen Entlas-
tungen oder Kindergeld . Im Koalitionsvertrag haben wir
daher einen Dreiklang vereinbart: Zeit für Familien, gute
Infrastruktur und materielle Sicherheit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nicht die Ideologie steht im Fokus unserer Politik,
sondern das, was sich die Familien wünschen . Die Fami-
lien wünschen sich mehr Zeit für Kinder und mehr Zeit
mit Kindern .


(Eckhard Pols [CDU/CSU]: Genau!)


Diese Wünsche sollten wir finanziell unterstützen. Geben
wir den Müttern und Vätern mehr Zeit für ihre kleinen
Kinder . Das Betreuungsgeld hat diesen Wünschen ent-
sprochen . Wir werden jetzt nicht alles, wofür wir uns ein-

Josef Rief






(A) (C)



(B) (D)


gesetzt haben, ins Gegenteil verkehren . Wir werden uns
für die Familien weiterhin starkmachen und weiter für
finanzielle Mittel kämpfen, um Eltern und Kinder sinn-
voll zu unterstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie noch etwas zum Antrag sagen?)


Ich fordere die Damen und Herren von den Linken
und Grünen auf, mit uns daran zu arbeiten, dass Eltern
mehr Zeit für ihre Kinder haben und dass Familien ihr
Leben nach ihren Wünschen gestalten können .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es so schwer, einen so kurzen Antrag zu lesen?)


Wir Familienpolitiker müssen dafür eintreten, dass
sich der Arbeitsmarkt und die finanzielle Situation an den
Bedürfnissen der Familien orientieren


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch kein CSU-Ideologie-Seminar!)


und nicht die Familien nach der Arbeitswelt organisiert
werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Tagtäglich – das wurde heute angesprochen – lauern hier
große Gefahren . Lassen Sie uns dafür sorgen,


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Moderne Familienpolitik!)


dass sich Familien möglichst für mehrere Kinder ent-
scheiden können .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie positionieren Sie sich denn zum Antrag?)


statt dass wegen Überlastung eine einseitige Fokussie-
rung auf Arbeitsmarkt und Karriere die Kinderzahl mi-
nimiert .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll ich Ihnen die Drucksachennummer noch sagen?)


Ich trete dafür ein, dass wir das Geld den Ländern
zweckgebunden geben und die familiäre Betreuung der
Kinder damit unterstützen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die vorliegenden Anträge gehen in die falsche Richtung,
und wir werden sie ablehnen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812414800

Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt Norbert Müller,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812414900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Wie Ihnen
sicherlich nicht entgangen ist, bin weder ich noch ist,
glaube ich, die Mehrheit dieses Hauses ein Fan der Herd-
prämie, der Fernhalteprämie oder des Betreuungsgeldes .
Nennen Sie es, wie Sie wollen .

Ihr Betreuungsgeld war und ist – das hat sich gera-
de wieder gezeigt – Ausdruck einer zutiefst reaktionären
und konsequent verfehlten Familien-, Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik .


(Beifall bei der LINKEN)


Es war von Anfang an skandalös, dass sich die Sozial-
demokratie wider besseres Wissen auf ein solches Un-
terfangen eingelassen hat . Ich weiß, dass man in Koali-
tionen Kompromisse eingeht, und diese sind manchmal
nicht besonders schön . Aber ein Kompromiss muss im-
mer in die richtige Richtung gehen . Das Betreuungsgeld
war ein Schritt in die falsche Richtung . Gott sei Dank ist
es korrigiert worden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lieber Kollege Rief, Sie kennen die Zahlen zur Aus-
bausituation von Kinderbetreuungsplätzen . Ja, es sind in
den letzten Jahren Fortschritte erzielt worden, und das
hat auch etwas mit der Politik der Bundesregierung zu
tun . Auch das stimmt . Aber wenn man – und das ist nach
wie vor der Status quo – zu wenige und zu unattrakti-
ve Betreuungsplätze in den Ländern organisiert, wie es
zum Beispiel in Baden-Württemberg und insbesondere
in Bayern noch der Fall ist,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Woher wissen Sie, wie es in Bayern aussieht? Hinter dem Mond leben Sie!)


dann darf man sich auch nicht wundern, wenn jene, die
keinen Betreuungsplatz finden, dann das Betreuungsgeld
in Anspruch nehmen . Woher kommen denn die 70 Pro-
zent? Sie kommen zustande, weil eben keine ausreichen-
de Zahl adäquater Betreuungsplätze vor Ort geschaffen
wurde .

Aus politischer Sicht kann man also dankbar sein,
dass unser Verfassungsgericht diesem CSU-Irrsinn Ein-
halt geboten hat, weil es im Deutschen Bundestag kei-
ne Mehrheit dagegen gab . Die Leittragenden sind jetzt
die Familien – darin gebe ich Ihnen recht –, die sich im
Vertrauen auf das verfassungswidrige Versprechen der
Bundesregierung auf die zusätzliche Unterstützung ein-
gestellt haben . Zumindest die Garantie des Vertrauens-
schutzes – darin möchte ich Ihnen widersprechen – für
die bewilligte Hilfe begrüße ich . Es hat auch niemand
in diesem Hause gesagt, dass wir den Vertrauensschutz
nicht wollen . Denn es ist selbstverständlich, dass das
Geld, wenn es einmal bewilligt wurde, auch bis zum
letzten Tag ausgezahlt werden muss . Damit haben die
Grünen und wir überhaupt kein Problem .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Josef Rief






(A) (C)



(B) (D)


Mit dem von uns vorgelegten Antrag zeigen wir auf,
wo das freigewordene Geld benötigt wird und wie es
nachhaltig und sinnvoll verwendet werden kann . Diese
Mittel wären eine gute Startfinanzierung für das dringend
benötigte Engagement des Bundes in mehr frühkindliche
Bildung . Ich sage auch – das werden Sie von uns so lange
hören, bis es das gibt –: Das wäre eine gute Startfinanzie-
rung für ein Kitaqualitätsgesetz, das auch die Verbände
der freien Wohlfahrtspflege immer wieder fordern.


(Beifall bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Nicht alle!)


Im kommenden Jahr stehen bis zu 550 Millionen
Euro zur Verfügung – 2017 sind es sogar 900 Millionen
Euro –, und die Geier kreisen schon, wie es so schön
heißt. Bundesfinanzminister Schäuble fordert die Mittel
für den allgemeinen Haushalt oder will Leistungen, die
sowieso gesetzliche Leistungen sind, daraus finanzieren.


(Marcus Weinberg Die kommen aus dem allgemeinen Haushalt!)


Oder er wird wie gerade eben von seinen bayerischen
Kollegen flankiert, frei nach dem Motto: Wenn Bayern
die Fernhalteprämie nicht bekommt, soll im Familienbe-
reich auch niemand anders einen Anspruch darauf haben .


(Zuruf von der CDU/CSU: Wolkenschieber!)


Um es mit den Worten von Hans Monath, Redakteur
des Tagesspiegels, zu sagen, den auch Ihre Fraktion ger-
ne als Referenten einlädt:

Nun schmerzt die Wunde, CDU und SPD sollen der
bayerischen Andersartigkeit gefälligst Respekt zol-
len .

Schöne Worte .

Ich könnte mich sogar damit anfreunden, dass die
Mittel an die Länder weitergereicht werden, wie Sie
es vorgeschlagen haben, allerdings mit einer anderen
Zweckbindung, als Sie sich das vorstellen . Zumindest
Brandenburg und Thüringen, wenn nicht sogar 15 Bun-
desländer würden die Mittel sinnvoll für den Ausbau der
Kitaqualität, eine bessere Bezahlung des Betreuungsper-
sonals, der Erzieherinnen und Erzieher, und die Vermin-
derung der Gebühren für die Eltern verwenden .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Deshalb steigt die Qualität nicht!)


Das fänden wir gut . 15 Länder würden das garantiert tun,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


wäre da nicht Bayern . Das haben Sie gerade gezeigt .

Allein das Wissen, dass im Süden der Republik an-
geblich christliche und soziale Politiker eine moderne
Familienpolitik scheuen wie der Teufel das Weihwas-
ser – davon haben wir gerade wieder eine Kostprobe be-
kommen –, lässt mich vor einer Verteilung der Mittel an
die Länder zurückschrecken . Es ist auch nicht Aufgabe
des Bundes, der CSU jetzt die nächsten Wahlversprechen
zu finanzieren.

Nun zur SPD . Ich unterstelle Ihnen ein ehrliches Inte-
resse daran, die Betreuungsgeldmittel für den Ausbau der
Kitaqualität und die Aufstockung der Kapazitäten ver-
wenden zu wollen . Nun wissen Sie ganz genau, dass es
längst eine Mehrheit im Bundestag gibt, die das auch so
sieht, zumindest seit 2013, wenn nicht sogar zuvor . Aber
weil Sie wieder Angst vor der eigenen Courage haben,
werden Sie das am Ende nicht durchsetzen . Weil Sie das
frustriert – das kann man gut nachvollziehen –, werden
Sie unsere Anträge nachher in den Familienausschuss
überweisen und dann dort so lange auf Eis legen, bis sich
die Koalition – das kann lange dauern, wie wir wissen –
geeinigt hat . Sie haben aber auch nicht den Mumm, es
einfach abzulehnen . Liebe SPD, Sie sind mit harten An-
sagen gestartet – ich zitiere noch einmal Frau Bundesmi-
nisterin Schwesig vom 24 . Juli –: „Das Geld darf nicht
im Haushalt des Bundesfinanzministeriums versickern.“
Aber ich befürchte, dass Sie als Bettvorleger der Union
landen werden . Das ist sehr schade . Aber vielleicht täu-
sche ich mich, und es wird anders .


(Sönke Rix [SPD]: Das soll bei der Linksfraktion vorkommen: dass sie sich täuscht!)


Zumindest lässt die gestrige Ankündigung von Frau
Schwesig in der Zeitung Die Welt Hoffnung aufkommen .

In der letzten Sitzungswoche habe ich vorgeschlagen,
die freiwerdenden Mittel, wenn schon nicht für die Fi-
nanzierung eines Kitaqualitätsgesetzes – das finden Sie
fürchterlich –, dann zumindest zur Verfügung zu stellen,
um jedem Flüchtlingskind einen Kita- oder Schulplatz zu
gewährleisten und so die Länder und Kommunen nicht
zusätzlich zu belasten .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin froh, dass Frau Schwesig – genauso wie die Grü-
nen – diese Initiative aufgegriffen hat, und hoffe, dass
Sie hierfür die notwendige Mehrheit findet. Wir stehen
jedenfalls bereit .

Kollege Weinberg, Sie waren das letzte Mal noch we-
nig begeistert von diesem Vorschlag – das habe ich im
Protokoll nachgelesen –, wohl auch deshalb, weil er von
uns kommt . Aber jetzt kommt er ja von Ihrem geschätz-
ten Koalitionspartner . Vielleicht überzeugt Ihr Koaliti-
onspartner bzw . Frau Schwesig Sie ja, dass es sich um
eine sinnvolle Maßnahme handelt . Frau Brantner hat be-
reits alle Argumente dafür ausgeführt; mir fehlt für eine
nähere Ausführung die Zeit . Oder Herr Rix, Ihr Koaliti-
onspartner, die Sozialdemokraten trauen sich einmal et-
was im Deutschen Bundestag . Ein sinnvoller Einsatz der
Betreuungsgeldmilliarde wäre jedenfalls auch ohne die
Union schon heute möglich . Er wäre nötig, wünschens-
wert und durchsetzbar .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Norbert Müller (Potsdam)







(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812415000

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt

Carola Reimann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1812415100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haltung
der SPD zum Betreuungsgeldurteil des Bundesverfas-
sungsgerichtes und zur weiteren Verwendung der frei-
werdenden Mittel lässt sich kurz und knapp in drei Punk-
ten zusammenfassen:

Erstens . Es ist gut, dass das Betreuungsgeld der Ver-
gangenheit angehört .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Die durch das Urteil freiwerdenden Mittel
müssen den Familien und Kindern zugutekommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Einsparungen zulasten der Familien kommen für uns
nicht infrage .

Drittens . Wir wollen eine bessere Kinderbetreuung,
und deshalb wollen wir die freiwerdenden Mittel in die
Kitaqualität investieren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie gut dieses Geld investiert ist, davon konnte ich
mich in der vergangenen Woche im Rahmen der Kitaak-
tionswoche der SPD-Bundestagsfraktion selbst überzeu-
gen . In meinem Wahlkreis Braunschweig habe ich zwei
Kindertagesstätten der Arbeiterwohlfahrt besucht . Es ist
bewundernswert, mit welchem Engagement Erzieherin-
nen und Erzieher diese ebenso anspruchsvolle wie for-
dernde Aufgabe tagein, tagaus erfüllen .


(Zuruf von der CDU/CSU: Die Mütter auch!)


Kinder fordern zu jeder Zeit 100 Prozent und zu jeder
Zeit volle Aufmerksamkeit . Dabei bleibt keine Zeit, zu
verschnaufen oder auf das Handy zu schauen, wie das
hier einige tun . Nicht nur unsere Kinder, sondern auch
unserer Erzieherinnen und Erzieher haben es verdient,
dass wir ihr Engagement unterstützen und verstärkt in
die Kitaqualität investieren .

Alle Fachleute sind sich einig: Der Kitaausbau ist
die wirkungsvollste familienpolitische Maßnahme über-
haupt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hat auch die Gesamtevaluation ehe- und familien-
bezogener Leistungen bestätigt, die von der Vorgängerin

von Frau Schwesig, Frau Schröder, in Auftrag gegeben
wurde . Investitionen in die Kitabetreuung schaffen die
Basis für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf .
Sie ermöglichen die gute und frühe Förderung von Kin-
dern, allerdings nur bei guter Qualität .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das tun Eltern auch, Frau Reimann!)


Genau deshalb ist es so wichtig, dass wir die freiwer-
denden Mittel aus dem Betreuungsgeld an dieser Stelle
investieren .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hätten Sie den Familien belassen sollen!)


Das gilt erst recht vor dem Hintergrund der neuen He-
rausforderungen, die durch die Flüchtlinge auf uns zu-
kommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darin bestärkt hat uns auch der aktuelle „Ländermo-
nitor Frühkindliche Bildungssysteme“ . Ich sage das, weil
man sich hier häufig die Namen von Ländern gegenseitig
zuspielt .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: In diesem Monitor ist aber Bayern immer vorn, zufälligerweise!)


– Sie sollten diesen Text einmal lesen: Es ist leider nicht
so .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Natürlich ist es so!)


Bayern hat sogar das schlechteste Betreuungsverhältnis .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber die besseren Ergebnisse!)


Dieser Ländermonitor hat uns in Sachen Kitaquali-
tät einen positiven Trend bescheinigt . Dennoch, so der
Bericht, bedarf es weiterer Investitionen, um für Kinder
eine gute Tagesbetreuung zu ermöglichen und für Fach-
kräfte gute Rahmenbedingungen zu schaffen .

Ich freue mich, dass wir bei der Frage Kitaausbau
auf breite Unterstützung bauen können, nicht nur aus
der Wissenschaft . Erst am Montag hat die Familienmi-
nisterin Manuela Schwesig das „Memorandum Familie
und Arbeitswelt“ gemeinsam mit Gewerkschaften und
Arbeitgebern vorgestellt. In zehn Leitsätzen verpflichten
sich Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft, die Verein-
barkeit von Familie und Beruf zu verbessern, unter an-
derem durch flexible Arbeitszeitmodelle und qualitativ
hochwertige Betreuungsangebote . Dazu passt auch die
Forderung von DIHK-Präsident Eric Schweitzer, der die
durch den Wegfall des Betreuungsgeldes freiwerdenden
Summen für weitere Impulse im Bereich der Kinder- und
Schülerbetreuung nutzen will .


(Beifall bei der SPD – Sönke Rix [SPD]: Guter Mann!)


Sie sehen also: Qualität in den Kitas ist nicht nur der
Wunsch von Eltern, Erzieherinnen, Wissenschaft und der






(A) (C)



(B) (D)


Politik, sondern auch ein Anliegen der Sozialpartner . Ich
bin überzeugt, dass wir die wenigen, die das anders se-
hen – auch wenn sie hier unter uns sitzen –, auch noch
überzeugen werden .


(Norbert Müller Hoffentlich werden es bald noch weniger!)


Im Übrigen sind Mehrausgaben beim Elterngeld je-
denfalls kein Grund für Mittelkürzungen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mehrausgaben sind auch keine bösen Überraschungen .
Sie sind ein Erfolg . Wir in der SPD freuen uns jedenfalls,
dass es bei Müttern – und zunehmend auch bei Vätern –
so gut ankommt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Es ist schon reichlich absurd, dass die beiden wirk-
samsten familienbezogenen Leistungen auf Kosten der
Familien miteinander verrechnet werden sollen . Das
wäre nichts anderes als Sparen zulasten der kommenden
Generation, und das ist nicht nur familienpolitisch falsch,
sondern auch kontraproduktiv für einen nachhaltigen
Haushalt . Da ist die SPD klar positioniert .

Was wir bei diesem Thema allerdings nicht brauchen,
ist parlamentarische Effekthascherei . Diese Effektha-
scherei drückt sich aus in dem Wunsch, statt einer – wie
in diesem Haus eigentlich üblich – sachlichen Beratung
im Fachausschuss jetzt eine Abstimmung durchzuführen .
Das lehnen wir ab . Die Entscheidung fällt im Rahmen
der Haushaltsberatungen und nicht jetzt durch eine Ab-
stimmung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Sie können sich sicher sein: Die SPD setzt sich für die
Kitas ein; denn das ist eine Investition in die Zukunft .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812415200

Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt der Kollege Paul

Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1812415300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Frau Brantner, Sie haben in Ihrer Ein-
gangsrede ausgeführt: Gute Förderung, Bildung und Be-
treuung sind für die Kinder wichtig . Ich will ausdrücklich
betonen, dass eine gute Förderung und auch Bildung und
Betreuung von ein- bis dreijährigen Kindern zu Hause
von den Eltern, also von der Mutter, aber auch von der
Schwiegermutter, von der Oma vorgenommen werden

können . Ich bitte darum, dass man diese dogmatischen
Grabenkämpfe allmählich einmal überwindet .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit Vätern und Opas? – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Opa vergessen!)


– Der Opa kommt natürlich auch infrage, Frau Brantner .
Danke für diesen Hinweis . Den Opa habe ich übersehen .
Er kann das Kind genauso betreuen . Er kann genauso aus
einem Buch vorlesen . Er kann dem Kind genauso gut
die Welt erklären . Er kann genauso eine Eins-zu-eins-
Betreuung des Kindes ermöglichen . In manchen Fällen
ist das vielleicht sogar noch besser als ein Schlüssel von
1 : 6 oder 1 : 8, wie er in der Kita praktiziert wird .


(Sönke Rix [SPD]: Das ist gegenüber ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern unverschämt und anmaßend!)


Bitte, lassen Sie uns da alle abrüsten .

Das gilt insbesondere für den jungen Kollegen von
der Linken . Herr Kollege Müller, Sie müssten es doch
eigentlich besser wissen . Sie haben eben die sogenannte
Herd- oder Fernhalteprämie thematisiert . Wir haben vor
einem halben Jahr die Bertelsmann-Studie bekommen . In
ihrem Rahmen wurden junge Eltern, junge Väter, junge
Mütter, gefragt: Was macht Ihnen am meisten Sorge?
Geäußert wurde nicht die Sorge, dass man für sein Kind
keinen Kitaplatz oder nicht genug Elterngeld bekommt .
Häufig wurde einfach die Sorge geäußert, etwas falsch zu
machen . Wir dürfen uns nicht wundern, dass viele nicht
mehr wissen, ob ihr Erziehungsmodell richtig ist, wenn
wir über Jahre die jungen Eltern mit Kampfbegriffen ver-
unsichern .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lassen Sie es doch sein!)


Lassen wir den jungen Leuten wieder ein bisschen mehr
Vertrauen zukommen! Lassen wir insbesondere den jun-
gen Eltern die Wahlmöglichkeit! Nicht mehr und nicht
weniger haben wir mit dem Betreuungsgeld geschaffen .

Ja, es wird ein Landesbetreuungsgeld auf jeden Fall
in Bayern geben . Ich bin gespannt . Ich habe mir einmal
die Zahlen herausgesucht . 105 000 berechtigte Familien
sind es in Bayern, 104 000 in Nordrhein-Westfalen . Ich
wünsche mir, dass die Kollegin Kraft in Nordrhein-West-
falen die Courage hat, diese 104 000 Eltern, die zu Hause
erziehen wollen, weiterhin zu beglücken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist also kein bayerisches Thema, Frau Kollegin
Reimann . Es wurde immer gern so getan, als ob das Be-
treuungsgeld nur bayerischen Eltern zugutekommt . Nein,
es kommt im selben Umfang nordrhein-westfälischen
Vätern und Müttern zugute . Denen müssen Sie dann er-
klären: Für die Kitas hätten wir das Geld, aber für eure
häusliche Betreuung, für diese 104 000 Familien, haben

Dr. Carola Reimann






(A) (C)



(B) (D)


wir es nicht . – Ich freue mich darauf . Die Diskussion
wird spannend werden .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So sind sie halt, die Sozis!)


Meine Damen und Herren, Investitionen in die Kin-
der sind Investitionen in eine gute Zukunft; darauf wurde
von den Vorrednern schon hingewiesen . Den Grundstein
für diese gute Zukunft legen wir unter anderem mit dem
weiteren Ausbau der Betreuung für die Kleinsten . Wich-
tig ist in diesem Zusammenhang jedoch auch – ich habe
bereits darauf hingewiesen –, den Familien eine echte
Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Betreuungsmodel-
len zu geben


(Norbert Müller Dann müssen Sie die erst einmal schaffen!)


– stellen Sie eine Frage; dann habe ich mehr Zeit, Herr
Müller –, da wir nur so den verschiedenen Interessen der
Familien gerecht werden .

„Für die Kinder ist das Beste gerade gut genug .“
Johann Wolfgang von Goethe hat das einst gesagt . Ich
denke, die meisten hier werden dem zustimmen . Was
aber ist das Beste? Das sollten Eltern individuell für ihr
Kind entscheiden können .

Wir alle sind uns einig, dass uns die Thematik der
Wahlfreiheit und der Unterstützung für Familien wei-
ter intensiv beschäftigen wird und eine zentrale Rolle
in der Familienpolitik in unserem Land einnimmt . Die
freigewordenen Mittel aus dem Bundesbetreuungsgeld
sollten jedoch nicht zweckentfremdet für anderweitige
familienpolitische Maßnahmen verwendet werden . Fast
500 000 Familien in Deutschland – ich wiederhole es:
eine halbe Million – beziehen bereits Leistungen aus
dem Erfolgsmodell Betreuungsgeld . Ich habe darauf hin-
gewiesen: In Nordrhein-Westfalen sind es 104 000 . Das
freut mich persönlich mit am meisten – neben der baye-
rischen Zahl natürlich .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Phantomschmerz!)


Es wäre ein verheerendes familienpolitisches Signal,
Familien den Zugang zum Betreuungsgeld künftig zu
verweigern . Ich plädiere daher dafür, die für das Be-
treuungsgeld vorgesehenen Mittel ungeschmälert den
Ländern für eine Verbesserung der Kinderbetreuung zur
Verfügung zu stellen, wobei den Ländern hinsichtlich der
Verwendung eine eigene Schwerpunktsetzung obliegt –
obliegen muss .

Die Länder – darauf hat das Bundesverfassungsgericht
hingewiesen – sind dafür zuständig . Die Länder müssen
letztendlich selbst entscheiden, ob sie die Erfolgsge-
schichte des Betreuungsgeldes fortsetzen, indem sie den
vielen Familien, insbesondere in Nordrhein-Westfalen,
die dringend benötigte finanzielle Unterstützung bei der
Betreuung ihrer Kleinkinder gewähren oder nicht .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich appelliere aber an die jeweiligen Landesregierun-
gen, die Mittel dann dergestalt zu verwenden, dass ein
Landesbetreuungsgeld, wie Bayern es schaffen wird, die

Wahlfreiheit und Unterstützung der Familien weiterhin
sicherstellt .

Das Bundesverfassungsgericht – darauf hat der Kolle-
ge Rief in seiner Weisheit völlig zu Recht hingewiesen –
hat nicht über die Rechtmäßigkeit des Betreuungsgeldes
an sich entschieden,


(Beifall der Abg . Barbara Lanzinger [CDU/ CSU])


sondern sich lediglich hinsichtlich der Zuständigkeit des
Bundes geäußert und seine Entscheidung mit der fehlen-
den Gesetzgebungskompetenz des Bundes begründet .
Das heißt, der Bund ist nicht für die Einführung eines Be-
treuungsgeldes zuständig . Mit anderen Worten: Für die
Einführung eines Betreuungsgeldes sind die Länder zu-
ständig . Diese Verantwortung werden wir uns anschau-
en . – Ihr könnt ruhig klatschen . Ich denke, es wäre jetzt
an der Zeit, Sylvia .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ob es richtig ist, Eltern, die ihre Kinder ausschließlich zu
Hause betreuen, eine staatliche Anerkennung zukommen
zu lassen, war ausdrücklich nicht Gegenstand der Prü-
fung durch das Bundesverfassungsgericht; ich war bei
der Verhandlung in Karlsruhe .

Insofern halte ich die Einführung eines Landesbetreu-
ungsgeldes für den richtigen Weg, Eltern auch weiterhin
selbst entscheiden zu lassen, was das Beste für ihr Kind
ist . Dieses Vertrauen in die jungen Eltern sollten wir ha-
ben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Neben der Möglichkeit, von den öffentlichen Betreu-
ungseinrichtungen Gebrauch zu machen, können sich die
Familien somit auch entscheiden, ihr Kind selbst zu be-
treuen, ohne dabei – dank der finanziellen Unterstützung
durch das Landesbetreuungsgeld – eine Benachteiligung
erfahren zu müssen .

Im Übrigen möchte ich noch einmal darauf hinweisen,
dass sich der Bund bereits in erheblichem Maße an der
Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuung beteiligt
hat und in den nächsten Jahren auch weiter in erhebli-
chem Maße beteiligen wird .

Es ist jetzt September 2015 . Am 1 . August 2013 trat
der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter Drei-
jährige in Kraft . Ich kann mich noch gut erinnern an die
letzte Große Koalition, 2005 bis 2009, in der unsere da-
malige Familienministerin, Frau Ursula von der Leyen,
genau diese Diskussion mit uns geführt hat . Wir haben
gesagt: Jawohl, wir machen das Elterngeld . Wir machen
den Kitaausbau . Wir machen auch den Rechtsanspruch
ab 2013 . Ich war positiv überrascht, wie die Länder und
Kommunen mitgezogen haben, sodass dieser Rechtsan-
spruch auf einen Kitaplatz am 1 . Januar 2013 in Kraft
treten konnte . Dafür auch ein Lob an die Länder und
Kommunen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Neben der größten kommunalen Entlastung durch die
Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter
und bei Erwerbsminderung sowie der Entlastung bei der

Paul Lehrieder






(A) (C)



(B) (D)


Eingliederungshilfe im Rahmen des Bundesteilhabege-
setzes sorgt der Bund damit weiterhin für leistungsfähi-
ge Kommunen . Und wir haben vor zwei Stunden eine
intensive Debatte im Bundestag über die Entlastung der
Kommunen mit den Kommunalpolitikern geführt .

Mit dem Gesetz zur weiteren Entlastung von Ländern
und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qua-
litativen Ausbau der Kindertagesbetreuung stockt der
Bund das Sondervermögen zum Kindertagesbetreuungs-
ausbau um 550 Millionen Euro auf rund eine 1 Milliarde
Euro auf . Zudem erhalten die Länder in den Jahren 2017
und 2018 weitere 100 Millionen Euro zur Finanzierung
der Betriebskosten für den Ausbau weiterer Betreuungs-
plätze .

Sehen Sie, Frau Brantner, wir passen auf, dass die
Kitas weiterhin qualitativ und quantitativ ausgebaut wer-
den können . Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir
derzeit über das Programm „KitaPlus“ für längere Öff-
nungszeiten von Kindertagesstätten diskutieren . In den
Jahren 2016, 2017 und 2018 werden jeweils 33 Milli-
onen Euro – wenn man es zusammenrechnet, sind das
100 Millionen Euro – in den Qualitätsausbau und in die
Verbesserung der Öffnungszeiten von Kitas investiert .

Frau Präsidentin, meine Redezeit läuft ab – ich hätte
noch viel zu sagen . Ich bedanke mich für die Aufmerk-
samkeit und wünsche Ihnen gute Beschlüsse . Wie gesagt,
wir werden den Antrag der Grünen – damit ich dazu auch
etwas gesagt habe –, Frau Brantner, selbstverständlich
ablehnen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812415400

Vielen Dank . – Der letzte Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt ist der Kollege Dr . Fritz Felgentreu,
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1812415500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist

für mich heute keine Debattenrede wie jede andere . Im
Wahlkampf bin ich wirklich Sturm gelaufen gegen das
Betreuungsgeld . Es war mein Hauptthema – es war übri-
gens erfolgreich .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich war Kandidat und bin Abgeordneter für Berlin-Neu-
kölln – eines der bekanntesten Brennpunktquartiere in
Deutschland . Die Vorstellung, dass wir Geld ausgeben,
damit Kinder nicht in die Kita gehen, war und ist mir
immer noch schlichtweg unerträglich .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich gebe offen zu: Dass wir die Abschaffung des Be-
treuungsgeldes damals nicht durchsetzen konnten, hat es

mir schwergemacht, dem Koalitionsvertrag zuzustim-
men – und das trotz Mindestlohn und Mietpreisbremse,
die ich für die Menschen in Neukölln unbedingt haben
wollte .

Und trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehe
ich die Abschaffung des Gesetzes durch das Bundes-
verfassungsgericht ein wenig mit gemischten Gefühlen .
Kollege Rief, ich hätte mir gewünscht, dass eine kritische
und konstruktive Debatte in diesem Haus eine politische
Mehrheit für eine bessere Verwendung der Betreuungs-
geldmittel hervorgebracht hätte . Die Abschaffung durch
Verfassungsrecht ersetzt diese Debatte nicht .


(Josef Rief [CDU/CSU]: Richtig!)


Aber sie gibt uns immerhin den Anlass, diese notwen-
dige Debatte jetzt zu führen . Es ist deswegen auch gut,
dass die Fraktionen der Opposition dazu heute einen
Aufschlag machen . Offensichtlich ist aber auch: Eine Ei-
nigung über die Verwendung der Betreuungsgeldmittel
wird es ohne die Union nicht geben .


(Norbert Müller Das ist aber schade!)


Deshalb werden wir uns auch von Ihren Anträgen, Frau
Kollegin Brantner, Herr Kollege Müller, als Koalition
nicht treiben lassen . Der Versuch, vorzupreschen, immer
der Erste zu sein, der die richtige Lösung gesehen und
gefordert hat, ist der Sache nicht immer dienlich .


(Norbert Müller Besser als gar keiner! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange diskutieren wir schon? Wir waren die Einzigen, die immer dagegen waren!)


Die SPD geht mit ganz klaren Vorstellungen in diese
Verhandlungen . Wir wollen, dass die Betreuungsgeldmit-
tel weiter den Familien zugutekommen .


(Beifall bei der SPD)


Kinder und Familien fördern wir am besten und am ge-
rechtesten durch erstklassige Kitas und Schulen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb wollen wir dieses Geld zusätzlich in unsere
Kitas investieren . Darüber werden wir mit der Union re-
den . Und verlassen Sie sich darauf: Diese Koalition wird
eine gemeinsame Lösung finden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen ja eine gute Lösung, nicht irgendeine!)


Dass die Betreuungsgeldmittel weiter für Kinder und
Familie eingesetzt werden, ist der SPD-Fraktion auch
vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Flüchtlingsbe-
wegung sehr wichtig . Denn wir dürfen jetzt einen Fehler
nicht machen: Wir dürfen nicht auf sinnvolle und not-
wendige Maßnahmen verzichten und dann als Begrün-
dung angeben, dass dafür wegen der Flüchtlinge kein
Geld mehr da sei .


(Beifall im ganzen Hause)


Paul Lehrieder






(A) (C)



(B) (D)


Wer so argumentiert, meine Damen und Herren, der
legt die Axt an die Wurzeln des guten Willens, mit dem
sich die Gesellschaft zurzeit den Herausforderungen der
Flüchtlingsbewegung stellt . Was die Kitas angeht, ist so-
wieso das Gegenteil richtig: Wer etwas für unsere Kitas
tut, der tut zugleich etwas dafür, dass Flüchtlingsfamilien
schnell in unserer Gesellschaft ankommen .

Nach Schätzungen des Familienministeriums werden
wir für Flüchtlingskinder zusätzlich knapp 70 000 Kita-
plätze brauchen . Und die, meine Damen und Herren,
müssen wir auch bereitstellen . Ich will jedes einzelne
dieser Flüchtlingskinder in unseren Kitas sehen . Dort ler-
nen sie Deutsch .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dort lernen sie, dass Jungen und Mädchen bei uns die
gleichen Rechte haben . Dort erleben sie, nach welchen
Regeln das Zusammenleben in unserer Gesellschaft
funktioniert . Diese sozialisierende Funktion der Kita, die
über eine einfache Bildungsfunktion weit hinausgeht, ist
gerade für die Kinder aus Flüchtlingsfamilien ungeheuer
wichtig . Ich will die Wahlfreiheit der Familien überhaupt
nicht einschränken . Aber diese Kinder gehören in unsere
Kitas .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber damit die Kitas das alles auch leisten können,
brauchen sie unsere Unterstützung . Das heißt, mit jedem
Euro, den wir heute in die Kitas stecken, tun wir etwas
für alle: Wir tun etwas für die einheimischen Familien,
die natürlich diese Kitabetreuung in hoher Qualität brau-
chen, sie in Anspruch nehmen und das auch weiter tun
sollen, und wir tun etwas für die, die jetzt neu dazukom-
men . Vor allem aber tun wir etwas für eine gute gemein-
same Zukunft .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist unsere Pflicht – davon bin ich fest überzeugt,
meine Damen und Herren –, dem Ernst der Lage, in der
wir uns befinden, mit Realismus, aber auch mit gutem
Willen und mit Optimismus zu begegnen . Gerade bei den
Beratungen über die Betreuungsgeldmittel können wir
beweisen, dass uns das gelingen wird .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812415600

Vielen Dank, Fritz Felgentreu . – Einen schönen Nach-

mittag Ihnen von meiner Seite, auch unseren Gästen!

Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6063 . Die Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der
Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen
Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie mitbe-

ratend an den Haushaltsausschuss . Darüber stimmen wir
jetzt ab .

Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage des-
halb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Überweisung beschlossen bei Zustimmung von CDU/
CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen . Damit stimmen wir logischerweise
über den Antrag in der Sache nicht ab .

Tagesordnungspunkt 7 b . Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 18/6041 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall .

Hat dazu eigentlich jemals jemand Nein gesagt?


(Sönke Rix [SPD]: Machen Sie jetzt keinen Scheiß – Entschuldigung!)


Ich muss das immer fragen, aber niemand sagt Nein .
Frau Noll, Sind Sie einverstanden? – Gut . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf – ich lese
schon einmal vor, worum es geht, und bitte, zügig Platz
zu nehmen –:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung des nationalen Bankenabwick-
lungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungs-
mechanismus und die europäischen Vorgaben

(Abwicklungsmechanismusgesetz – AbwMechG)

Drucksachen 18/5009, 18/5325, 18/5458 Nr. 3
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/6091
– Bericht des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)


gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/6092
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für

die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich sehe, dass langsam die Expertinnen und Experten
Platz nehmen, und eröffne die Debatte mit der Wortertei-
lung an Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1812415700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir

schließen mit dem heute vorliegenden Gesetz die Anpas-
sung des Bankenabwicklungsrechts ab . Das ist der letzte
Baustein auf dem Weg zur Bankenunion, die auf europä-
ischer Ebene vorgegeben wurde . Das Ziel ist, zukünftig
nicht mehr den Steuerzahler in die Pflicht zu nehmen,
wenn aufgrund von Krisen die Banken in Schieflagen ge-
raten . Wir wollen, dass sie rechtzeitig Eigenkapital auf-

Dr. Fritz Felgentreu






(A) (C)



(B) (D)


bauen und weitere Maßnahmen treffen, damit so etwas
gar nicht erst passiert . Sollte es aber passieren, dann ist es
notwendig, dass die Banken und die Gläubiger hier in die
Pflicht genommen werden. Deswegen werden wir jetzt
gemäß der europäischen Richtlinie die Vorgaben für den
Abwicklungsbereich umsetzen, die dann zum 1 . Januar
2016 in Kraft treten werden .

Ich bedanke mich hier beim Bundesfinanzministerium
und den Kollegen für die zügige Arbeit . Wir in Deutsch-
land sind hier Vorreiter, da wir entsprechend vorange-
hen . Darum will ich heute auch primär den Blick auf die
europäische Ebene lenken, weil es nicht sein kann, dass
Deutschland alleine vorangeht, sondern auch auf europä-
ischer Ebene muss dieses Gesetz gemeinsam umgesetzt
werden .

Der Steuerzahler soll zukünftig nicht mehr haften . Um
das zu erreichen, wird eine Haftungskaskade aufgebaut .
Dazu soll ein Fonds gegründet werden, der erst natio-
nal aufgebaut wird und dann entsprechend europäisiert
wird; aber zunächst bauen wir ihn eben national auf . Hier
möchte ich einen Punkt, der sicherlich in der weiteren
Debatte diskutiert werden wird, herausgreifen . Ich danke
ausdrücklich dem Bundesfinanzminister – sein Staats-
sekretär ist stellvertretend anwesend –, dass er durchge-
setzt hat, dass Rechtsgrundlage dieses Fonds eben nicht
das europäische Gemeinschaftsrecht ist, sondern dass er
ein intergouvernementaler Fonds ist . – Herr Schick, Sie
schauen so?


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde es falsch!)


– Ich halte das dezidiert für richtig; denn wir diskutie-
ren jetzt ja die Einlagensicherung auf europäischer Ebe-
ne . Hätten wir hier auf europäischer Ebene das Präjudiz
geschaffen, dass entsprechende Zahlungen auf Basis
des europäischen Gemeinschaftsrechts erhoben werden
könnten, dann hätten wir jetzt eine ganz andere Lage bei
den Diskussionen über die europäische Einlagensiche-
rung . Hier mögen wir uns inhaltlich unterscheiden, ich
jedenfalls halte eine europäische Einlagensicherung zum
jetzigen Zeitpunkt für falsch .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dadurch, dass der Fonds intergouvernemental ver-
einbart wurde, haben wir als Deutscher Bundestag noch
ein Wörtchen mitzureden, und wir können die Vorgaben
entsprechend mitgestalten . Ich werde zum Thema Mitge-
staltung bei einem anderen Punkt, wo wir nicht überein-
stimmen, noch etwas sagen .

Wichtig ist aber auch – das ist meine Bitte an das Bun-
desfinanzministerium –, genau darauf zu schauen, wie
die Umsetzung in den Nationalstaaten momentan läuft .
Bail-in war immer eine Forderung Deutschlands . Wir
stehen dahinter, aber wir wissen aus den Diskussionen
im Rat und im Parlament, dass Bail-in – dass also Gläu-
biger, dass diejenigen, die in den Banken engagiert sind,
also die Aktionäre, herangezogen werden – nicht der
Herzenswunsch aller anderen Mitgliedstaaten war . Ich
beobachte, dass derzeit Bail-in in anderen Staaten nicht
so strikt umgesetzt wird . Darum müssen wir genau dar-
auf schauen und auch die Kommission ermuntern, hier

entsprechend zu intervenieren, wenn es nicht in dieser
Form umgesetzt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben die Rangfolge der Papiere entsprechend
definiert. Hier geht Deutschland voran. Auch bei diesem
Punkt ist es notwendig, dass die Europäische Zentral-
bank den Rahmen mit definiert. Auch bei der Frage der
Zentralbanktauglichkeit hatten wir heftige Diskussionen .
Ich hätte mir gewünscht, dass die Europäische Zentral-
bank, die sich bei dem einen oder anderen Punkt sehr
stark engagiert hat, zumindest rechtzeitig eine Antwort
hätte geben können, ob dieser Gesetzestext die Zentral-
banktauglichkeit der Papiere beeinflusst oder nicht. Das
war leider nicht in wünschenswertem Maße der Fall .

Ein heftiger Diskussionspunkt von deutscher Seite
war das Thema Verordnungsermächtigung bei MaRisk .
Ich halte den Beschluss, den wir heute fassen werden,
für richtig. Wir ermächtigen das Bundesfinanzministe-
rium, hier eine Verordnung zu erlassen . Ich halte es für
notwendig und für richtig, weil wir beim Aufbau einer
europäischen Aufsicht sind . Viele Mechanismen, die das
Funktionieren der europäischen Aufsicht bedingen, wer-
den in den nächsten Monaten und Jahren greifen . Das
Argument, das ich gegen Ende der Beratungen gehört
habe, man könne in ein, zwei Jahren eine Verordnungs-
ermächtigung nachreichen, halte ich, gelinde gesagt, für
blauäugig angesichts der Tatsache, dass die Europäische
Zentralbank dann ja schon zwei Jahre lang definiert hat;
da kann man dann nicht mehr nachträglich kommen . Und
dem BMF und der BaFin jetzt die Waffen zu nehmen,
um hier entsprechenden Einfluss auszuüben, ist kontra-
produktiv .

Auch den Argwohn, der hier bei manchen mitschwingt,
die behaupten, dass das BMF oder die BaFin keine euro-
päische Aufsicht möchten, halte ich für bemerkenswert .
Natürlich wollen wir eine europäische Aufsicht .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seien Sie ehrlich!)


Allen, die hier im Plenum, im Ausschuss und in ihren
Sonntagsreden immer sagen – Herr Schick, dazu gehören
auch Sie –, dass die Struktur des deutschen Bankensys-
tems mit seinen Regionalbanken auf europäischer Ebene
berücksichtigt werden muss, sei gesagt: Die Aufsicht-
spraxis wird jetzt definiert, und es gibt auf europäischer
Ebene ein ständiges Ringen darum, wie die Normen rich-
tig gesetzt werden sollen . Von daher halte ich es, gelinde
gesagt, für indiskutabel, das BMF nicht in die Lage zu
versetzen, auf europäischer Ebene tätig zu werden . Die
parlamentarische Kontrolle bleibt ja erhalten . Wir wer-
den dem BMF klar sagen: Wenn eine entsprechende Ver-
ordnung erlassen werden sollte, nachdem zuvor die EZB
kontaktiert wurde, dann möge ein Vertreter des BMF zu
uns in den Finanzausschuss kommen .

Ich erwarte gerade von der BaFin, dass sie auf euro-
päischer Ebene Einfluss auf die Aufsichtspraxis nimmt.
Denn die Schaffung von Aufsicht auf europäischer Ebe-
ne darf nicht bedeuten, dass nur Regeln für Banken wie
BNP Paribas, Barclays und UniCredit geschaffen wer-
den; es sollte das ganze Spektrum abgedeckt werden .

Alexander Radwan






(A) (C)



(B) (D)


Ich vertraue hier dem BMF und der BaFin, dass sie es
entsprechend sorgsam handhaben werden, damit wir zu
einer europäischen Aufsicht kommen, die der Vielfalt in
Europa gerecht wird . Die Verordnungsermächtigung, die
wir heute beschließen wollen, ist also notwendig, damit
wir die Diskussion aktiv mitgestalten können und nicht
nur abwarten und zuschauen müssen . Übrigens sorgen
wir damit auch für Transparenz und parlamentarische
Kontrolle, die Sie in anderen Bereichen immer fordern .
In diesem Bereich fordern Sie sie zu meinem großen Er-
staunen nicht . Auf jeden Fall lehnen wir Ihren Antrag ab .

Besten Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812415800

Vielen Dank, Kollege Radwan . – Nächster Redner in

der Debatte: Dr . Axel Troost für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812415900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das hier vorliegende Gesetz passt deutsches Recht an
europäisches Recht an, das schon längst beschlossen ist .
Insofern sind die Spielräume bescheiden . Ich will mich
deswegen hier nicht an Details abarbeiten . Sicher ist aber
natürlich, dass eine europäische Bankenrettung insge-
samt besser sein wird als das, was zum Teil handwerklich
schlecht in den Jahren 2008 und folgende in einzelnen
Ländern gemacht worden ist .

Erinnern wir uns: Auch in Deutschland ist viel, viel
Geld in die Stabilisierung der Banken geflossen, viel
mehr Geld als jemals für die Sanierung Griechenlands .
Anders als die Bevölkerung in den Krisenstaaten werden
sich die Finanzjongleure von damals immer noch einen
komfortablen Lebenswandel leisten können .

Die Bankenunion hat sicherlich auch Schwächen .
Eine Schwäche ist und bleibt die Tatsache, dass Groß-
britannien nicht wirklich miteinbezogen ist . Eine zweite
Schwäche ist – sie ist von Herrn Radwan angesprochen
worden –, dass man abwarten muss, mit welcher Ge-
schwindigkeit die festgelegten Regeln in den einzelnen
Ländern dann wirklich ratifiziert und umgesetzt werden.

Zu den Schwächen zählt aus meiner Sicht sicherlich
auch der Bankenabwicklungsfonds; denn wenn alles be-
schlossen ist, soll auf europäischer Ebene als letzte Stufe
bei der Rettung von Banken ein Fonds in einer Größen-
ordnung von 50 Milliarden Euro entstehen . Dieser Fonds
löst dann den deutschen Fonds ab . Der deutsche Fonds
umfasst 70 Milliarden Euro; jetzt haben wir sinniger-
weise einen für Gesamteuropa im Umfang von nur noch
50 Milliarden Euro .


(Manfred Zöllmer [SPD]: 55 Milliarden!)


– 50 Milliarden Euro insgesamt . – Die Frage ist natür-
lich: Wird das reichen, wenn wir wirklich eine große
Bank abwickeln müssen? Es bleiben auch die Fragen:
Wer zahlt da in welcher Form ein? Und: Was geschieht
mit unserem deutschen Fonds?

Ich möchte, weil ich da gerade Zahlen bekommen
habe, die restliche Zeit nutzen, um mich mit der Praxis
der Einzahlung in den deutschen Fonds zu beschäftigen,
der nicht aufgelöst wird, sondern bestehen bleibt, wobei
keiner so genau weiß, was mit dem Geld dort passieren
soll .

Von 2011 bis 2014 sollten die Banken entsprechend ih-
rer Risikogewichtung in den Fonds einzahlen . Wenn sie
dementsprechend eingezahlt hätten, dann hätte der Fonds
jetzt ein Volumen von 7 Milliarden Euro . Tatsächlich
sind aber nur 2,3 Milliarden Euro im Fonds enthalten .
4,7 Milliarden Euro sind nicht erhoben worden . Für die-
jenigen, die es interessiert, sei nebenbei bemerkt: Auf der
Internetseite meiner Fraktion und auf meiner Internet-
seite kann man all das statistisch nachvollziehen . – So,
und woran liegt das? Aufgrund von Verschonungsregeln
haben die Großbanken 70 Prozent ihrer eigentlich einzu-
zahlenden Beiträge nicht eingezahlt, sondern sie wurden
ihnen gestundet, während die Sparkassen und Genossen-
schaftsbanken, also die Blöden, ihre Beiträge in vollem
Umfang eingezahlt haben .


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wie hoch waren die Beiträge? – Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU]: Wie hoch waren denn die Beiträge?)


– Entsprechend der Risikogewichtung, so wie das hier
beschlossen worden ist .


(Manfred Zöllmer [SPD]: Nennen Sie einmal Zahlen! – Lothar Binding Wie viel Euro waren das denn jetzt? – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: 12 Millionen!)


– Die Aufregung kann ich schon verstehen .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nee, nee, nee!)


Jetzt gibt es eine sogenannte Zumutbarkeitsregel,
gemäß der Beiträge zur Bankenabgabe nur maximal in
Höhe von 20 Prozent des Jahresgewinns abgeführt wer-
den müssen, ansonsten muss die Zahlung erst einmal
gestundet werden . Gegen Stundung spricht auch nichts .
Aber die Stundung gilt nur für zwei Jahre, und wenn die
zwei Jahre vorüber sind, wird das Geld endgültig gestri-
chen; das gilt bisher schon für 2,6 Milliarden Euro .

Um es klar und deutlich zu sagen: Wir haben hier Re-
geln beschlossen, die besagen, dass die Großbanken, dass
die systemrelevanten Banken – die Einzelzahlen liegen
mir vor – entsprechend einzahlen sollen, um Wiedergut-
machung zu leisten für die vielen Milliarden, die wir in
diese Banken gesteckt haben . Anschließend werden die
Beiträge zur Bankenabgabe festgelegt . Wenn die Banken
diese nicht zahlen können, dann werden diese nicht ge-
stundet, sondern zum großen Teil endgültig gestrichen .
Mit der Schaffung der Bankenunion gilt das dann auch
für die restlichen 2,1 Milliarden Euro, die noch ausste-
hen .


(Richard Pitterle [DIE LINKE]: Skandal!)


Alexander Radwan






(A) (C)



(B) (D)


Da kann man nur sagen: Das ist ein absoluter Skandal .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn ein normales Unternehmen Zahlungen zu tätigen
hat und sie nicht leisten kann, dann werden diese gestun-
det, aber sie werden doch nicht nach zwei Jahren gestri-
chen und sind damit weg .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Was hat das mit diesem Gesetz zu tun?)


– Nein, das hat mit dem vorliegenden Gesetz gar nichts
zu tun,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Eben!)


aber es passt in den Gesamtzusammenhang . Dass Sie das
nicht gerne hören wollen, kann ich gut verstehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine der vielleicht kriminellsten Banken der Welt,
nämlich die Deutsche Bank


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Oh! Oh! Oh! Das ist justiziabel! Frau Präsidentin, das ist justiziabel!)


– ja, ja –, die jedes Jahr in den USA zu Strafzahlungen in
Milliardenhöhe verknackt wird und diese auch bezahlt,
kann anschließend, weil das sozusagen gewinnmindernd
ist, ihre Beiträge nicht in unseren Bankenrettungsfonds
einzahlen .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ja unsäglich! Das kann man doch so nicht sagen!)


Das ist aus meiner Sicht ein wirklicher Skandal .

Wir verhandeln ja derzeit darüber, ob wir Kommunen
und Ländern genug Geld für die Flüchtlingshilfe zur Ver-
fügung stellen können; in diesem Rahmen sind Beträge
in Höhe von 2,1 Milliarden Euro eine große Summe .
Diese erlassen wir aber systemrelevanten Großbanken in
Deutschland .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Sie müssen sich bei der Bank entschuldigen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812416000

Danke, Herr Troost . – Herr Brinkhaus, Sie müssen

noch ein bisschen warten, dann können Sie auf die Rede
von Herrn Troost eingehen .

Nächster Redner: Manfred Zöllmer von der SPD .


(Beifall bei der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1812416100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Warum beschließen wir heute eigentlich ein Gesetz, das

Abwicklungsmechanismusgesetz heißt? Wenn wir das
besser verstehen wollen, müssen wir uns gedanklich
noch einmal in die Krisenjahre 2007 und 2008 zurück-
versetzen . Auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise
mussten auch in Deutschland Banken gerettet werden .
Dies war notwendig, weil es sonst zu einem Zusammen-
bruch der Finanzmärkte mit unabsehbaren Folgen für
Wirtschaft und Ersparnisse gekommen wäre . Gerettet
wurden damals die Banken mit unserem Geld, dem Geld
der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler . Das war damals
unausweichlich . Aber wir haben uns in die Hand verspro-
chen: Das darf nicht noch einmal geschehen . Wir wollen
nicht noch einmal für die Zockereien der Banken bluten .

Banken werden auch in Zukunft pleitegehen können
wie jedes andere Unternehmen auch . Ein „too big to fail“
wird der Vergangenheit angehören; denn zukünftig wer-
den Eigentümer und Gläubiger vorrangig haften, nicht
mehr die Steuerzahler . Risiko und Haftung gehören in
Zukunft auch bei systemrelevanten Banken wieder zu-
sammen . Dazu waren viele gesetzliche Änderungen not-
wendig . Deshalb hat es lange gedauert, bis wir an diesem
Punkt angekommen sind . Wir haben eine europäische
Bankenunion geschaffen und umgesetzt . Wir haben ei-
nen europäischen Bankenfonds eingerichtet, finanziert
von den Beiträgen der Banken . Wir haben sehr viele Ge-
setze gemacht, um dieses Ziel zu erreichen .

Jetzt sind wir dabei, das, was wir bisher in Deutsch-
land gemacht haben, an die europäischen Vorgaben an-
zupassen . Wir haben die FMSA, die Bundesanstalt für
Finanzmarktstabilisierung, die als nationale Behörde tä-
tig ist . Auf europäischer Ebene haben wir eine Abwick-
lungsbehörde, die von der ehemaligen BaFin-Chefin,
Frau König, geleitet wird .

Was haben wir umgesetzt? Mit einer sogenannten
Haftungskaskade ist nun gesetzlich festgeschrieben,
wer mit welchen Wertpapieren in welcher Reihenfolge
haftungsmäßig im Fall der Insolvenz einer Bank heran-
gezogen wird . Neusprachlich heißt das Bail-in . Diese
Neuregelung hat nicht alle Verfahrensbeteiligten begeis-
tert, weil nun bestimmte Papiere an Wert verloren haben,
weil sie zukünftig im Insolvenzfall herangezogen werden
können . Dies war aber notwendig, um das Ziel der soge-
nannten Bail-in-Fähigkeit zu erreichen . Wir haben aber
die Übergangsfrist verlängert, damit sich die betroffenen
Finanzinstitute auf diese veränderten Bedingungen ein-
stellen können .

Es wäre sehr gut, wenn diese Haftungskaskade, die
wir hier beschlossen haben, in Zukunft zur Blaupause für
ähnliche Beschlüsse in anderen europäischen Ländern
wird . Der Kollege Radwan hat eben deutlich gemacht,
dass in vielen Ländern in Europa das Ganze noch nicht
umgesetzt worden ist . Das ist etwas, was so nicht sein
kann .

Über die Verordnungsermächtigung zur Umsetzung
der sogenannten Mindestanforderungen an das Risiko-
management, über die sogenannten MaRisk, haben wir
längere Zeit diskutiert . Es hat ein bisschen öffentliche
Kritik der EZB gegeben . Diese fürchtete, damit sei die
einheitliche europäische Bankenaufsicht bedroht . Man

Dr. Axel Troost






(A) (C)



(B) (D)


muss aber wissen, eine Reihe anderer Länder in Europa
haben bereits ähnliche Verordnungen beschlossen .

Für die beiden regierungstragenden Fraktionen gilt,
dass niemand eine einheitliche europäische Aufsicht be-
hindern will .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben dafür gesorgt, dass sie eingeführt wird .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Interessant, was Sie da so sagen!)


Es muss aber darum gehen, lieber Kollege Schick, die
Besonderheiten des deutschen Bankensystems – wir sind
uns doch sicher einig, dass das deutsche System eine
ganze Reihe von schützenswerten Besonderheiten hat –


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Sehr wahr!)


angemessen zu berücksichtigen . Zudem müssen wir si-
cherstellen, dass die BaFin in Zukunft auf Augenhöhe
agieren kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf Augenhöhe mit wem?)


– Auf Augenhöhe mit der EZB . – Deshalb haben wir
einen vernünftigen Kompromiss gefunden: Nicht die
BaFin, sondern das Finanzministerium erlässt diese Ver-
ordnung; dies geschieht auf der Basis europäischer Rege-
lungen, und der Finanzausschuss des Deutschen Bundes-
tags ist entsprechend einzubinden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Ge-
setzentwurf stellen wir sicher, dass auch in der Über-
gangsphase genügend Geld zur Verfügung steht, um in
einem Insolvenzfall leistungsfähig zu bleiben . Die Mit-
tel der deutschen Bankenabgabe stehen zur Verfügung .
Durch eine Kreditermächtigung haben wir die Leistungs-
fähigkeit der deutschen Kammer des europäischen Ab-
wicklungsfonds erheblich erhöht, bis dieser Fonds im
Jahr 2024 mit 55 Milliarden Euro, lieber Axel Troost,
gefüllt sein wird .

Schaut man sich die europäische Ebene genauer an, so
muss es jetzt darum gehen, dass die einheitliche Umset-
zung der europäischen Regelungen Vorrang hat . Es soll-
te Aufgabe der Europäischen Kommission sein, darauf
hinzuwirken, dass diese Richtlinien zügig in nationales
Recht umgesetzt werden . Man sollte nicht öffentlich über
irgendwelche zu vergemeinschaftende Einlagensiche-
rungssysteme nachdenken . Das schafft nur Verwirrung .
Deshalb unterstützen wir ausdrücklich unseren Finanz-
minister, der deutlich gemacht hat, dass so etwas zum
jetzigen Zeitpunkt mit Deutschland nicht zu machen ist .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz mar-
kiert einen guten Tag für den Steuerzahler, einen guten
Tag für die soziale Marktwirtschaft .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Feststehender Textbaustein bei euch!)


Risiko und Haftung fallen zukünftig wieder zusammen .
Wer schlecht wirtschaftet, geht in Insolvenz . Das gilt zu-
künftig auch für Banken .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812416200

Vielen Dank, Herr Kollege Zöllmer . – Nächster Red-

ner in der Debatte: Dr . Gerhard Schick für Bündnis 90/
Die Grünen .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812416300

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Uns liegt ein Gesetzentwurf vor, der zeigt, dass
die Bundesregierung und die Koalition das Eigentliche
gar nicht mehr regeln müssen . Weil das auf europäischer
Ebene schon geregelt ist, konnten sie zum Glück gar
nicht so arg viel schlecht machen .


(Lothar Binding haben viel gut gemacht, heißt das!)


Die grundlegende Idee, einen Abwicklungsmechanismus
auf europäischer Ebene einzuführen, finden wir richtig,
und dafür sind technische Anpassungen erforderlich .
Deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen .


(Lothar Binding gut!)


Es gibt allerdings drei Punkte, die ich ansprechen
muss, bei denen wir ganz klar eine andere Position ver-
treten – diese sind ja teilweise in den Redebeiträgen, die
wir gehört haben, bereits angeklungen –:

Der erste Punkt betrifft die Verordnungsermächtigung
zum Risikomanagement; Herr Kollege Zöllmer, Sie ha-
ben das schon angesprochen . Wir haben in Europa ja nun
endlich eine Bankenaufsicht . Wir Grünen hätten sie lie-
ber parlamentarisch kontrolliert;


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)


aber es wurde der Weg eingeschlagen, den die Bun-
desregierung vorgeschlagen hatte . Das war der einzige
Vorschlag, der damals auf dem Tisch lag . Deswegen ist
jetzt die Europäische Zentralbank für die Bankenaufsicht
zuständig . Jetzt ist es erforderlich, dafür zu sorgen, dass
diese einheitliche europäische Aufsicht ihre Arbeit sinn-
voll machen kann . Wenn jetzt jeder Staat sein Bankenauf-
sichtsrecht einzeln definiert, dann müssen die Aufseher
der Europäischen Zentralbank bei ihrem Agieren ständig
unterschiedliche nationale Aufsichtsrechte zugrunde le-
gen . Das wäre kompliziert, und vor allem hätten wir das
Ziel dann immer noch nicht erreicht, nämlich ein einheit-
liches Spielfeld für die Banken in Europa . Wir wollen
nicht, dass jeder Staat Ausnahmeregelungen gestalten
kann, weil dadurch das Gesamtsystem instabil würde .

Sie sprechen in diesem Zusammenhang von Waffen .
Darüber wundere ich mich schon . Sie gehen also in eine
neue Auseinandersetzung über die Gestaltung des Play-
ing Fields in Europa, anstatt konstruktiv daran mitzuwir-
ken, dass wir endlich eine sinnvolle Aufsichtsstruktur in

Manfred Zöllmer






(A) (C)



(B) (D)


Europa erhalten . Sie sind damit einmal mehr europapoli-
tisch auf dem Holzweg .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt, den ich ansprechen will, hat mit
einem Aspekt zu tun, den wir schon seit langem the-
matisieren, übrigens auch gemeinsam mit den Sozial-
demokraten, als sie noch in der Opposition waren . Es
geht darum, dass wir hinsichtlich des Umgangs mit den
Abwicklungsanstalten eine gesetzgeberische Lücke ha-
ben: Während man für die Vergütungen der Vorstände
der Banken, die gerettet wurden, einen Deckel festgelegt
hat, hat man einen solchen Deckel für die Vergütungen
der Vorstände von Abwicklungsanstalten, die von diesen
Banken abgespalten wurden, nicht festgelegt . Deswegen
hat uns der Bundesrechnungshof aufgefordert, auch für
die Abwicklungsanstalten Gehaltsbeschränkungen ein-
zuführen . Wir haben einen entsprechenden Antrag im
Ausschuss vorgelegt. Sie haben das abgelehnt. Ich finde,
das ist ein Fehler; denn auch an dieser Stelle müssen wir
dafür sorgen, dass nicht zulasten der Steuerzahler Millio-
nen kassiert werden . Es ist ja so, dass auf dem Finanzsek-
tor insgesamt zu hohe Gehälter gezahlt werden . Dort, wo
wir sinnvolle Regelungen schaffen können, sollten wir
das tun, um diese zu begrenzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Axel Troost [DIE LINKE])


Der dritte Punkt betrifft die Frage, ob das Geld für den
europäischen Fonds ausreicht . Die vorgesehenen 55 Mil-
liarden Euro werden – das wird deutlich, wenn wir die
Erfahrungen der letzten Finanzkrise zugrunde legen –
nicht ausreichen, wenn es noch einmal zu einer schweren
Krise kommt . Es wäre aber auch nicht sinnvoll, einen
extrem großen Topf zu schaffen . Das Entscheidende ist,
dass man eine Kreditlinie hat . Das gilt umso mehr für
die Phase des Übergangs, für die Zeit, in der sich dieses
System aus den nationalen Töpfen heraus aufbaut . Ein-
mal mehr waren Sie europapolitisch auf dem Holzweg .
Sie haben nicht für die Schaffung einer Kreditlinie zum
ESM, also für eine europäische Lösung, plädiert, sondern
Sie schaffen jetzt eine neue Kreditmöglichkeit auf nati-
onaler Ebene . Damit stehen wir wieder vor genau dem
Problem, das Sie vorgeben lösen zu wollen, nämlich ei-
ner Verbindung von Bankenrisiken und Staatenrisiken .
Wenn es zu einer Bankenkrise in einem finanziell nicht
so starken europäischen Mitgliedstaat käme, könnte das
erneut Probleme bei der Staatsfinanzierung auslösen, und
dann wären wir in genau dem Schmodder, der eigentlich
bekämpft werden soll . Wir halten das für falsch . Wir ha-
ben Sie aufgefordert, das anders zu machen . Da ist auf
jeden Fall noch eine wichtige Korrektur vorzunehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will mit Blick auf die weitere Diskussion über die
Abwicklung von Banken noch zwei Punkte ansprechen .
Das muss man an dieser Stelle einfach sagen, weil nicht
der Eindruck entstehen darf, mit diesem Gesetz und den
Institutionen, die bisher geschaffen wurden, seien die
Probleme gelöst .

Es bleibt dabei, dass die großen Banken zu komplex
sind, zu groß und auch in ihrer internen Struktur so, dass

man sie nicht wirklich abwickeln kann . Deswegen bleibt
die Frage des Trennbankensystems auf der Tagesord-
nung . Es ist dringend notwendig, dass Sie von der Brem-
se heruntergehen und hier für ein europäisches Trennban-
kengesetz eintreten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lothar Binding wir ja! – Zurufe von der CDU/CSU)


– Aber auch eines mit Biss .

Das Zweite ist etwas, über das wir noch nicht so
viel diskutiert haben, nämlich das „No creditor worse
off“-Prinzip . Ich glaube, dass an dieser Stelle ein Prob-
lem darin liegt, dass man in der Situation der Abwicklung
nachweisen muss, dass keiner der Gläubiger schlechter
gestellt wird als in einem Insolvenzverfahren . Das wird
die Verfahren möglicherweise erschweren . Hier gilt es,
harte Vorgaben umzusetzen . Es bleibt also in Sachen
Bankenabwicklung noch viel zu tun, damit das Ziel, den
Steuerzahler vor Bankenrisiken zu schützen, erreicht
wird .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812416400

Vielen Dank, Gerhard Schick . – Nächster Redner in

der lehrreichen Debatte: Ralph Brinkhaus für die CDU/
CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1812416500

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Wenn der Kollege

Troost von den Linken gar nicht zu diesem Gesetzent-
wurf redet und dann auch noch teilweise beleidigend und
ausfallend wird, muss dieser Gesetzentwurf ja ganz gut
sein .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Aber die Zahlen waren doch ganz interessant, oder nicht?)


Denn sonst hätte er über das geredet, was hier heute zur
Debatte steht .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Werfen Sie sich schützend vor die Deutsche Bank und die vielen kriminellen Sachen! Das ist ja krass!)


Meine Damen und Herren, am 29 . Juni 2012 ist Fol-
gendes passiert: An diesem Tag hat man sich in Europa
darauf geeinigt, dass man eine Bankenunion einführt,
dass man alle wichtigen Banken in Europa gemeinsam
beaufsichtigt, damit in Griechenland, Spanien, Portugal,
aber auch in Deutschland kein Unsinn mehr geschehen
kann . Man hat gesagt: Wenn eine Bank in die Insolvenz
geht, dann soll nicht der Steuerzahler bluten, sondern
dann sollen zuerst die Eigentümer bluten, dann die Gläu-
biger, dann ein Fonds, der von den Banken selber zu fi-
nanzieren ist, und erst dann, wenn etwas schiefgeht, ist
der europäische Steuerzahler dran . Genau das setzen wir
heute wieder einmal mit einem Gesetz um, indem wir
das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz, das Kreditwe-

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


sengesetz und das Restrukturierungsfondsgesetz ändern .
Dies ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur euro-
päischen Bankenunion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es wäre schön gewesen, wenn in dem einen oder an-
deren Debattenbeitrag auch darauf hingewiesen worden
wäre, dass dieses Prinzip, dass nicht mehr der Steuerzah-
ler für Bankeninsolvenzen zahlen soll, in Deutschland
schon seit 2010 gilt, dass wir schon 2010 ein Restruktu-
rierungsgesetz auf den Weg gebracht haben


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt der alte Textbaustein wieder!)


und 2011 mit dem Restrukturierungsfondsgesetz das not-
wendige Geld dafür eingesammelt haben . Das zeigt, dass
Finanzpolitik, dass Regulierungspolitik in Deutschland
immer besonders innovativ war, auch im Gegensatz zu
Europa . Wir sind nicht nur mit dem Restrukturierungsge-
setz vorangegangen . Wir haben wahrscheinlich als erstes
Land auf der Welt schon 2010 die toxischen Leerverkäu-
fe reguliert und teilweise verboten .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Rede schon einmal gehalten!)


Wir haben als erstes Land auf der Welt den Hochfre-
quenzhandel reguliert . Wir waren die Ersten – das haben
Sie, Herr Schick, nicht gesagt –, die ein Trennbankenge-
setz auf den Weg gebracht haben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es schon fünfmal gesagt! Dieses Trennbankensystem ist Mist!)


Deutschland war immer sehr innovativ und ist im Be-
reich der Bankenregulierung und der Sicherheit der Ban-
ken vorangegangen . Wir haben auch an den europäischen
Projekten sehr konstruktiv mitgearbeitet, zum Beispiel
an der CRD IV und der CRR; da ging es um Eigenkapi-
tal und Liquidität . Wir haben im Schattenbankenbereich
bei der AIFM-Richtlinie mitgearbeitet, und wir haben bei
der Regulierung der für den Finanzmarkt sehr gefährli-
chen Derivate, bei der EMIR-Paketlösung, mitgearbeitet .
Auch das haben wir in Deutschland gemacht, weil wir
eins immer wussten – das war die Leitplanke unseres
Handelns –: Es muss unser Ziel sein, jedes Produkt, je-
den Finanzmarkt und jeden Vertriebsweg zu regulieren .
Das ist der Weg, auf dem wir 2008, damals noch in der
ersten Großen Koalition, aufgebrochen sind . Jetzt, sieben
Jahre später, sind wir schon viel weiter .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir waren auch diejenigen, die immer gewusst ha-
ben, dass Geld keine Grenzen kennt, dass man deswe-
gen am besten internationale Lösungen findet und dass
wir, wenn internationale Lösungen nicht möglich sind,
europäische Lösungen brauchen . Deswegen akzeptieren
wir, dass wir eine europäische Aufsicht und eine europä-
ische Regulierung haben . Europa hat es uns dabei nicht
immer leicht gemacht . Es war immer sehr schwierig, zu

vermitteln, dass es in Deutschland so etwas wie Spar-
kassen und Volksbanken gibt und einen Mittelstand, der
Kredite braucht . Das waren viele Kämpfe . Aber wenn
diese Kämpfe ausgestanden waren, wenn diese Gesetze
und Direktiven fertig waren, dann waren es meistens wir
in Deutschland, die diese Dinge am schnellsten und am
gründlichsten umgesetzt haben, teilweise zum Leidwe-
sen der Wirtschaft, und die das nicht nur in die Geset-
zesblätter hineingeschrieben haben, sondern auch dafür
gesorgt haben, dass das im täglichen Aufsichtshandeln,
in der täglichen Bankenpraxis Einzug gefunden hat .

Deswegen, meine Damen und Herren, braucht uns
niemand, weder in Frankfurt bei der EZB noch in Brüs-
sel bei der Kommission, darüber zu belehren, was eine
europäische Bankenunion und was europäische Finanz-
marktregulierung ist . Uns muss auch deswegen niemand
belehren, weil wir ganz genau wissen, welche Schwä-
chen dieses System hat .

Um einige Beispiele für die Schwächen zu nennen:
Die Europäische Zentralbank hat versprochen, dass Ban-
ken nur besenrein, also ohne Risiken, in dieses System
hineinkommen . Was haben wir in Griechenland gesehen?
Wenn Griechenland in die Knie geht, ist das griechische
Bankensystem nicht in der Lage, das zu kompensieren .
Wir haben in Zypern gesehen: 50 Prozent der Bilanzsu-
mme bestehen dort aus sogenannten notleidenden Kredi-
ten, und die dortigen Banken sind nicht durch den Stress-
test gefallen . In Portugal und Spanien haben wir gesehen,
dass dort mit bestimmten steuerlichen – ich will nicht
„Tricks“ sagen – Instrumenten dafür gesorgt worden ist,
dass der Stresstest überhaupt bestanden wurde .

Wir wissen, dass es diese Fehler gibt . Wir wissen
auch, dass wir keine Trennung von Steuerzahlerrisiken,
Länderrisiken und Bankenrisiken hinbekommen, wenn
griechische Banken das meiste Geld an den griechischen
Staat, portugiesische an den portugiesischen Staat und
deutsche an den deutschen Staat ausleihen . Wenn die
ganze Sache nicht mit Eigenkapital zu unterlegen ist,
dann haben wir auch kein geringeres Risiko . Deswegen
müssen wir da nacharbeiten .

Wir müssen auch an einer anderen Stelle nacharbei-
ten . Sehen Sie sich doch einmal an, wer die ganzen Re-
gulierungen im Zusammenhang mit der Bankenunion in
Europa umgesetzt hat – und zwar vollständig –, wer Geld
in seinen Restrukturierungsfonds einzahlt, wer tatsäch-
lich die Einlagensicherungsrichtlinie und die Abwick-
lungsrichtlinie umgesetzt hat .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wir!)


Zum Schluss sage ich eines ganz klar – das ist die
Botschaft, die hier und heute von der CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion und, weil es im Koalitionsvertrag steht,
auch von der SPD ausgeht –: Es ist vor diesem Hinter-
grund absolut unverständlich, dass die Kommission und
die Europäische Zentralbank zu diesem Zeitpunkt über
eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung reden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, das können wir nicht akzep-
tieren; wir werden uns an geeigneter Stelle und in ande-

Ralph Brinkhaus






(A) (C)



(B) (D)


ren Debatten noch dazu äußern . Das ist eine Provokation
von Brüssel, zeigt aber auch einen archetypischen Hand-
lungsstrang, den wir in Brüssel erleben: Anstatt Hüter der
Verträge zu sein, anstatt darauf zu achten, dass das, was
beschlossen worden ist, richtig gemacht wird, geht man
immer weiter in Richtung weiterer Vergemeinschaftun-
gen .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Genau! Die lernen nicht dazu!)


Dann muss man sich nicht wundern, wenn das Vertrau-
en in Europa darunter leidet . Dann muss man sich auch
nicht wundern, wenn Länder wie Großbritannien darüber
nachdenken, dieses Europa zu verlassen .

Wir wollen ein Europa . Wir wollen ein gutes Europa .
Aber dazu muss ein Schritt nach dem anderen gemacht
werden . Dazu gehört: keine Vergemeinschaftung der
Einlagensicherung, zumindest nicht in dieser Phase .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812416600

Danke, Herr Brinkhaus . – Nächster Redner: Lothar

Binding für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1812416700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr verehrte Damen und Herren! Was der Kollege
Brinkhaus eben zur Einlagensicherung und zur Verge-
meinschaftung gesagt hat, findet unsere uneingeschränk-
te Unterstützung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist aber sehr vernünftig!)


Das ist sehr gut . Es ist nämlich ein stabilisierendes Ele-
ment in Europa, auch wenn es im Moment national or-
ganisiert ist .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und ich dachte, ihr wollt eine Schuldenund Haftungsunion! Das ist jetzt aber neu!)


Ich bin mit dem Fahrrad hierhergefahren und habe auf
dem Weg und eben im Restaurant einige Leute gefragt,
was sie sich unter dem Abwicklungsmechanismusgesetz
vorstellen . Es wird niemand glauben: Keiner wusste, was
damit gemeint ist .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Dafür habe ich vollstes Verständnis; deshalb will ich
dazu einen Satz sagen .

Wir hatten ja eine Krise . Die Banken waren insolvent,
also zahlungsunfähig . Aber es war unklar, wie die Banken
und wir damit umgehen, weil es kein Insolvenzrecht für
Banken gibt . Was haben wir dann gemacht? Wir haben
die Banken mit Steuergeld gerettet . Das hat die Steuer-
zahler und uns natürlich sehr geärgert . Denn wir wollten

die Sparer schützen, aber jene an den Kosten beteiligen,
die die Krise verursacht haben, also zum Beispiel Spe-
kulanten, Erfinder von toxischen Produkten und, wie wir
inzwischen wissen, Leute, die den Libor manipuliert und
daran verdient haben . Diese Leute sollten für die Krise
bezahlen .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE], an die CDU/ CSU gewandt: Die Deutsche Bank!)


Das ging aber nicht .

Das Gute an einem Insolvenzverfahren ist, dass man
sich nach einer Insolvenz anschaut, was an dem betref-
fenden Unternehmen gut ist – das will man erhalten –
und was an ihm schlecht und nicht mehr tragfähig ist;
das will man vom Markt nehmen . Dieses Ziel verfolgen
wir mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf, dessen
komplizierten Namen ich eben genannt habe .

Damit wollen wir künftig Sparer, Steuerzahler und
Kreditnehmer schützen . Wir wollen dafür sorgen, dass
die betreffenden Banken im Rahmen eines Bail-in all das
bezahlen, was in der Bank ist, und auch die Risiken, die
dort eingegangen wurden, übernehmen . Es gibt aber im-
mer wieder Kritik an der letzten Instanz . Wir sagen: Die
Banken sollen 55 Milliarden Euro in einen Fonds einzah-
len . – Diese Zahl wird kritisiert . Gelegentlich tun es die
Grünen; eben hat es auch Axel Troost wieder getan .

Ich will einmal meinen berühmten Zollstock herausho-
len und Ihnen etwas zeigen: Das ist in etwa so, als wenn
man eine Treppe in den ersten Stock baut . Dabei kann
man oben oder unten anfangen, je nachdem, was für eine
Treppe es ist . Axel Troost sagt immer: Diese Stufe ist viel
zu niedrig; da kann man das erste Stockwerk gar nicht er-
reichen . – Wir sagen dann: Moment mal, du hast ja vom
Gesamtzusammenhang gesprochen . Wir müssen uns die
ganze Treppe anschauen .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Es weiß aber keiner, wie die Treppenstufen aussehen im Einzelnen!)


Wenn man die nämlich geht, dann erreicht man auch das
oberste Stockwerk .

Um das mit den Stockwerken etwas genauer zu be-
schreiben: Du hast ganz vergessen, dass zunächst das
harte Eigenkapital haften muss .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist richtig!)


– Ja, das ist richtig . – Danach muss das zusätzliche Ei-
genkapital haften .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist auch richtig!)


– Das ist auch richtig . – Dann muss das Ergänzungskapi-
tal haften; das ist auch richtig .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Dann sind wir immer noch weit unter 50 Prozent!)


Dann wird Fremdkapital in Eigenkapital umgewan-
delt; das ist auch richtig . Im Anschluss daran greifen Ab-
schreibungsvorschriften; auch das ist richtig .

Ralph Brinkhaus






(A) (C)



(B) (D)


Ich will das gar nicht zu Ende führen .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Mach mal ruhig weiter mit den Einlagen, die dann weg sind auf einmal!)


Wir merken: Diese 55 Milliarden Euro sind nur die letzte
Stufe . Alle anderen hast du vergessen . Deshalb nennst du
auch den Gesamtbetrag nicht . Es wäre doch interessant,
in deiner Rechnung zu erfahren, wie hoch eigentlich die
gesamte Sicherung ist, die aus dieser Gesetzgebung folgt .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Das weiß keiner!)


– Das weiß keiner, auch nicht der Axel Troost .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Nein, aber ihr ja auch nicht!)


Deshalb und weil er alles andere nicht berücksichtigt,
kann er das auch nicht kritisieren, jedenfalls nicht in der
Form, dass 55 Milliarden Euro nicht genügen .


(Beifall bei der SPD)


Wenn man alles weglässt, dann hat man natürlich zu we-
nig; das ist klar .


(Manfred Zöllmer [SPD]: Nicht dein Tag heute, Axel!)


Ich mache hier eine kleine Zäsur und will auch sagen,
was uns geärgert hat: Der Bankenverband hat immer
wieder versucht, zu erreichen, dass die Bankenabgabe
als Betriebsausgabe steuerlich geltend gemacht wer-
den kann . Dazu muss ich sagen: Das hat uns geärgert .
Anfangs haben wir noch gesagt: Das muss in Europa
gleichmäßig geregelt werden; fast alle anderen haben das
nicht . – Der Bankenverband wollte das aber auch noch,
als Frankreich schon längst auf dem Weg war, diese
Möglichkeit wieder abzuschaffen .

Ich finde, die Banker haben hier eine Logik nicht ver-
standen; denn wenn wir es zulassen würden, dass die
Bankenabgabe als Betriebsausgabe steuerlich geltend
gemacht werden kann, dann hieße das, dass sich der
Steuerzahler an dem, was die Banken zu ihrer eigenen
Rettung einzahlen, mit 30 Prozent beteiligt . Das wollten
wir nicht .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Aber wenn die Großbanken nichts einzahlen, können sie auch nichts absetzen! Ist doch klar!)


Deshalb sind wir für den von uns allen gefundenen
guten Kompromiss dankbar . Dass die Anrechnungsfähig-
keit als Steuersparmodell hier nicht durchgesetzt wurde,
ist eine sehr gute Sache .


(Beifall bei der SPD)


Ich will noch kurz darlegen, woran wir erkennen, dass
unsere Regulierungen gut funktioniert haben: Ich kom-
me zwar ungern auf die Rating-Agenturen zurück – jeder
weiß, dass Fitch und Standard and Poor’s Rating-Agen-
turen sind, und jeder kennt meine guten Englischkennt-
nisse und weiß, dass „Rating“ für mich von „Raten“
kommt, weshalb ich nicht gerne darauf zurückkomme –,
aber sie haben etwas Gutes gemacht . Sie haben nämlich

die Bonitätsnoten vieler Banken gesenkt . Daraus folg-
te für die Banken zwingend, dass sie sich selbst darum
kümmern müssen, mehr Eigenkapital aufzubauen und
die innere Sicherheit der Banken zu stabilisieren . Daran
merkt man, dass unsere Regulierungen auch via Urteile
der Rating-Agenturen sehr gut funktionieren .

Ich hoffe, dass sie so gut funktionieren, dass der Steu-
erzahler tatsächlich nie mehr zur Kasse gebeten wird,
weil Manager Fehlentscheidungen getroffen haben .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Hoffnungen sind immer gut!)


Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812416800

Vielen herzlichen Dank, Lothar Binding – auch für die

Treppe, die Sie präsentiert haben .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die war schief! Darauf kann keiner gehen!)


Für uns hier oben ist auch viel Neues dabei .

Letzter Redner in dieser sehr emotionalen Debatte:
Klaus-Peter Flosbach für die CDU/CSU-Fraktion . Sie
müssen das jetzt toppen . Das wird nicht leicht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1812416900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir diskutieren heute, wie wir so schön sagen, über den
letzten Teil der Bankenunion . Bankenunion bedeutet:
Aufsicht in erster Linie über große internationale, sys-
temrelevante Finanzunternehmen und auch deren Ab-
wicklung, wenn sie in die Schieflage geraten.

Diese Maßnahme darf man aber niemals alleine sehen,
sondern man muss sie in die 40 Maßnahmen einbetten,
die wir in den letzten sieben Jahren umgesetzt haben,
um den Finanzmarkt nicht nur in Deutschland, sondern
auch in Europa zu stabilisieren und um das sicherzustel-
len, was unser Credo ist: Wir wollen nicht mehr, dass der
Steuerzahler für Banken haftet, die in die Schieflage ge-
raten . – Das ist der Kern .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lieber Kollege Troost, ich bitte Sie, noch einmal in
den Berichten der Bundesanstalt für Finanzmarktstabili-
sierung nachzusehen . Sie haben gerade nämlich davon
gesprochen, was die damalige Krise alles ausgelöst hat .

Keine der Garantien, die wir damals durch den Soffin
gegeben haben – der Gesamtumfang betrug 168 Milliar-
den Euro –, musste eingelöst werden .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Lothar Binding (Heidelberg)







(A) (C)



(B) (D)


Unser größter Verlust war der Schuldenschnitt in Grie-
chenland mit über 9 Milliarden Euro .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist das! Genau!)


Viele Banken haben alles zurückgeführt . Das sollten wir
hier erst einmal festhalten, bevor wir hier mit falschen
Zahlen kommen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Aber bei der HRE stimmt das nicht! Die HRE ist immer noch mit 9 Milliarden dabei!)


Das Wichtigste für die Banken und für die Stabilisierung
des Marktes ist ohne Zweifel, dass genügend Eigenkapi-
tal zur Verfügung steht . Ich bin auch froh, dass die G 20
im November festlegen wollen, wie viel Kapital die gro-
ßen, systemrelevanten Banken vorhalten müssen und wie
die Roadmap für die sogenannten Schattenbanken ausse-
hen soll . Das ist wichtig für die gesamte Marktstabilität .

Für uns ist einfach wichtig, dass wir, wenn eine Bank
wirklich in Schieflage gerät, wissen, wie abgewickelt
wird . Da sind wir mit diesem Gesetzentwurf, mit der
Umsetzung der Anpassung an die europäischen Vorga-
ben, ein wesentliches Stück weitergekommen .


(Beifall des Abg . Lothar Binding berg)


Dann wird, lieber Kollege Binding, eben nicht mehr zu-
nächst der Steuerzahler herangezogen, sondern in erster
Linie die Aktionäre selbst und das Eigenkapital in Höhe
von 8 Prozent der Bilanzsumme . Dann sind die Gläubi-
ger an der Reihe – die Größenordnung wird ja im Markt
diskutiert; es geht um 600 Milliarden Euro Schuldtitel -;
das ist die sogenannte Bail-in-Phase . Das heißt, sie kön-
nen als haftendes Eigenkapital herangezogen werden .
Erst dann kommt der gemeinsam von den Banken zu fi-
nanzierende Fonds in Höhe von 55 Milliarden Euro, der
in der Tat erst im Aufbau begriffen ist .

Nun sage ich dem Kollegen Troost – weil er hier heute
dargestellt hat, dass das alles nur ein Geschenk an die
Banken gewesen ist – Folgendes: Sie haben eine Anfrage
an das Ministerium gerichtet . Das habe ich mir natürlich
genau angeguckt . In der Antwort steht ausdrücklich, dass
die Nachhaftung nur für zwei Jahre besteht, weil erstens
der Bundesrat das verlangt hat und weil zweitens erheb-
liche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, das noch
länger auszuführen . Es war insofern kein Geschenk .

Außerdem gab es bei jeder Bank eine Begrenzung
auf 20 Prozent ihres Jahresgewinns . Die zahlen natürlich
erst einmal ihre normalen Steuern . Dann kommen noch
einmal 20 Prozent darauf, und dieser Betrag ist nicht ab-
zugsfähig .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Ja! Ist doch klar!)


Damit hat man auch die Belastung .

Deshalb bitte ich Sie als Nächstes: Gucken Sie sich
einmal den Bericht der Bundesbank über die Rentabilität
deutscher Banken an . Da werden wir gewarnt . Wir ha-
ben hier so viele Maßnahmen zur Regulierung der Ban-

ken durchgesetzt, dass die Bundesbank davor warnt und
uns sagt, doch bitte aufzupassen, dass alles miteinander
abgestimmt ist und wir nicht den Weg beschreiten, die
Rentabilität in deutschen Banken total herunterzufahren .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Die kann ich stunden, aber die muss ich doch nicht erlassen!)


Wir fragen natürlich: Reichen all diese Maßnahmen
aus? Hier ist mehrfach der europäische Fonds angespro-
chen worden, der von den Banken bezahlt werden soll .
Gut, das wissen wir einfach nicht . Wir wissen nur eines:
Ein Grund der Krise war, dass Haftung und Verantwor-
tung auseinandergefallen sind . Ich halte es für richtig,
dass Deutschland auch in den Verhandlungen dafür ge-
sorgt hat, dass nicht sofort der europäische Rettungs-
fonds, der ESM, wieder einspringt, wenn im Fonds nicht
mehr genug Geld sein sollte; denn das wäre der falsche
Weg . Es geht heute darum, die Risiken zu minimieren,
nicht darum, sie auf die anderen Länder zu verteilen . Das
wäre, Herr Troost, der falsche Weg . Den wollen wir nicht
beschreiten, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir erleben in der Tat derzeit eine Asymmetrie; vie-
le Länder haben die Bankenabwicklungsrichtlinien
noch nicht umgesetzt . Wir sind in der Tat – der Kolle-
ge Brinkhaus hat das noch einmal dargelegt – immer die
Ersten gewesen: beim Restrukturierungsgesetz und bei
vielen anderen Maßnahmen . Wir sind die Schnellsten, um
Stabilität in unserem Markt hinzubekommen . Deswegen
ist es für mich auch äußerst wichtig, dass wir nicht auf
die falschen Felder gehen, indem wir jetzt schon wieder
vergemeinschaften wollen . Dazu kommt nun auch noch
die sogenannte Einlagensicherung bei unseren Banken .
Das betrifft insbesondere die Sparkassen und die Volks-
banken . Es darf nicht sein, dass diese mit ihren Einlagen
dafür geradestehen müssen, wenn in anderen Ländern
Fehler passieren . Das machen wir auf jeden Fall nicht
mit, liebe Kolleginnen und Kollegen .

Herr Schick, Sie haben davon gesprochen, dass Sie
keine Verordnung haben wollen, was die Mindestan-
forderung an das Risikomanagement angeht . Sie sagen
hier – obwohl viele Länder eigene Verordnungen haben –
in der jetzigen Phase, wo die europäische Abwicklung
noch nicht steht, dass wir die deutsche Position jetzt auf-
geben sollen . Dabei entscheidet es sich in den nächsten
zwei Jahren, wie die Regeln auf europäischer Ebene sein
werden . Damit würden Sie unsere Position völlig freige-
ben . Das werden Sie mit uns niemals machen können .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Sie haben gesagt, wir sollten in Deutschland nicht den
Fehler machen, bei Abwicklungsanstalten Millionenge-
hälter zu zahlen . In der Tat ist es so, dass wir in Deutsch-
land zwei große Abwicklungsanstalten haben, die soge-
nannten Bad Banks, die derzeit Papiere in dreistelliger
Milliardenhöhe verkaufen und sie in den Markt hinein-
geben . Sie machen das sehr erfolgreich . Bisher sind die
Gehälter dort nicht über die Maßen hoch, sondern ent-

Klaus-Peter Flosbach






(A) (C)



(B) (D)


sprechen in etwa dem, was Firmen, die in die Krise ge-
kommen sind, an ihre Manager bezahlen .

Wir haben immer dafür plädiert, da keine Begrenzung
einzuführen . Nach dem Vorschlag, der in Ihrem Antrag
enthalten ist, hätte jeder Sparkassendirektor ein Mehr-
faches an Rentenansprüchen gegenüber denjenigen, die
hier für uns die Kastanien aus dem Feuer holen sollen,
die für uns dreistellige Milliardenbeträge retten sollen .
Wenn sie einen Fehler machen, dann gnade uns Gott .
Wir müssen dafür sorgen, dass wir die besten Leute ha-
ben, die hinter diesem Staat stehen und diese schwierige
Aufgabe übernehmen, sodass wir in Deutschland keine
Verluste erleben .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812417000

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit .


Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1812417100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin,

ich glaube, mit diesem Gesetzentwurf zum letzten Teil
der Bankenunion tragen wir einen erheblichen Teil zur
Stabilisierung der Märkte, zur Stabilisierung des Finanz-
systems und dazu bei, dass der Steuerzahler nicht mehr
herangezogen wird, wenn Banken in eine Schieflage ge-
raten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812417200

Vielen herzlichen Dank, lieber Klaus-Peter Flosbach .

Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur Anpassung des nationalen Bankenabwick-
lungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanis-
mus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe .
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/6091, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5009 und
18/5325 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und den Grünen bei Enthaltung von der
Linken angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ge-
setzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD,
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken ange-
nommen . – Vielen Dank für die wirklich lehrreiche De-
batte . Dass man darüber so emotional diskutieren kann,
hat mich begeistert .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nicht nur über Menschenrechte!)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
W . Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdi-
gen – Mütterrente anerkennen

Drucksache 18/6043
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Matthias W . Birkwald, Sabine
Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch –
Anrechnung von Zeiten des Mutterschutzes

Drucksache 18/4107

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11 . Ausschuss)


Drucksache 18/5279

Ich bitte, zügig die Plätze zu wechseln, damit wir
gleich anfangen können .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache mit Matthias W . Birkwald
für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812417300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher auf
den Tribünen! Das Rentenpaket ist jetzt mehr als ein
Jahr alt . Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden,
haben profitiert. Chronisch Kranke, die eine Erwerbs-
minderungsrente beantragen müssen, und Beschäftigte,
die 45 Jahre lang geschuftet haben und dieses Jahr ab
63 Jahren in Rente gehen können, profitieren ebenfalls
vom Rentenpaket .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Ist doch gut!)


– Da könnt ihr auch klatschen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD)


Aber jetzt werden wir über zwei Gruppen von Müt-
tern sprechen, die durch das Rentenpaket massiv be-
nachteiligt werden . Ingrid Berger hat neben ihren zwei
leiblichen Kindern drei Kinder aus Indien und Vietnam
adoptiert . Für diese drei Kinder erhält sie keinen Cent
sogenannter „Mütterrente“, weil die Bergers ihre Kinder
erst nach deren erstem Geburtstag adoptiert haben . Hät-
ten die Bergers ihre Kinder nach dem Juli 2014 adoptiert,
dann würden sie die Kindererziehungszeiten anteilig an-
gerechnet bekommen und erhielten mehr „Mütterrente“ .

Klaus-Peter Flosbach






(A) (C)



(B) (D)


So gehen sie leer aus . Das ist ein Schlag ins Gesicht die-
ser Adoptiveltern, und davon gibt es viele .

Der Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien
spricht von sage und schreibe 40 000 betroffenen Famili-
en . Sozial gerecht ist das nicht .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darum fordere ich Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von Union und SPD, nachdrücklich auf: Lassen Sie
die 40 000 Adoptiveltern nicht im Regen stehen! Legen
Sie bald eine gerechte und angemessene Lösung für die
„Mütterrente“ der Adoptiveltern auf den Tisch!


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, nicht nur die Adoptivmüt-
ter werden benachteiligt . Nein, viele Mütter müssen ei-
nen Monat länger arbeiten als alle anderen, damit sie die
Rente ab 63 bzw . 65 ohne Abschläge bekommen . Auch
sie werden bestraft . Warum? Ein Monat Mutterschutz vor
der Geburt wird den Müttern nicht auf die 45 Jahre – oder
die 540 Monate – Wartezeit angerechnet, die sie brau-
chen, um ab 63 bzw . künftig ab 65 abschlagsfrei in Rente
gehen zu dürfen . Das ist ein Monat, in dem Müttern das
Arbeiten von Gesetzes wegen verboten ist – zu Recht .

Sie beziehen dafür Mutterschaftsgeld, aber die Kran-
kenkassen zahlen keinen Cent Beitrag für sie in die Ren-
tenversicherung ein . Und zack: Der Monat taucht auf
dem Rentenkonto nicht als Wartezeit auf . Herr Kollege
Dr . Zimmer, Sie sagen bestimmt gleich, dass es diesen
Fall in Wirklichkeit gar nicht gebe . Wir Linken sagen:
Das ist falsch . Denn bei keiner Mutter, deren Kind im
ersten Drittel eines Monats geboren wurde und die nicht
bereits zehn Jahre zuvor schon ein Kind geboren hatte,
zählt der Mutterschutzmonat vor der Geburt zur Warte-
zeit der Rente ab 63 . Bei keiner einzigen! Das, meine
Damen und Herren, ist frauendiskriminierend, verfas-
sungswidrig und völlig inakzeptabel .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Dr . Zimmer, wenn es die Rente ab 63
schon früher gegeben hätte, wäre auch bei Ihrer Mutter
der Mutterschutzmonat nicht für die Rente angerechnet
worden . Warum? Sie sind an einem 3 . Mai geboren .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Gut recherchiert!)


Der Mutterschutz begann am 23 . März . Davor hat Ihre
Mutter weder gearbeitet noch geboren . Darum zählt der
komplette Monat April dazwischen nicht als Wartezeit
für die Rente für besonders langjährige Versicherte . We-
gen Ihres Gesetzes! Sie und die SPD sind dafür verant-
wortlich .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Vielleicht ist er zu spät gekommen!)


Ja, Sie haben recht: Wegen dieses einen Monats wird
keiner Mutter die vorgezogene Altersrente komplett ver-
wehrt . Darum aber geht es den Betroffenen gar nicht,
die sich in Briefen, E-Mails und Petitionen an uns Abge-
ordnete gewandt haben: Frau Sendelbeck aus Nürnberg,

Frau Blankenhagen aus dem schönen Harz und Frau Au-
gustin-Grau aus dem noch schöneren Köln . Ihnen geht
es nur darum, dass sie nicht durch den Umstand, dass
sie Kinder geboren haben, benachteiligt werden und dass
sie nicht einen Monat länger auf die Rente ab 63 warten
müssen als Männer . Das ist doch nur gerecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
CDU, CSU und SPD, diesen Müttern antworten, dass es
ihr Problem gar nicht gebe? Sagen Sie ihnen, dass sie mit
ihrem Gerechtigkeitsempfinden völlig danebenliegen?
Bitte schön: Das Ehepaar Blankenhagen und das Ehe-
paar Grau sitzen dort oben auf der Tribüne . Ich heiße Sie
herzlich willkommen!


(Beifall bei der LINKEN)


Die vier sind schon ganz gespannt, was Sie ihnen zu
sagen haben . Herr Blankenhagen hat sich die Mühe ge-
macht und die erste Debatte hier im Bundestag genau
analysiert . Er hat einige der damals von Ihnen vorgetra-
genen Argumente zurechtgerückt . Ist das nicht eine gera-
dezu vorbildliche Bürgerbeteiligung?

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
lesen Sie doch mal, was die Betroffenen so aufregt! Ant-
worten Sie nicht uns Linken, sondern antworten Sie den
Betroffenen!


(Beifall bei der LINKEN)


Sie sind nämlich dafür heute extra nach Berlin gereist .

Frau Kollegin Schmidt, vielleicht werden Sie als So-
zialdemokratin gleich Ihr Argument wiederholen, dass
Frauen noch ganz andere Probleme bei der Rente hätten .
Stimmt. Aber warum finden wir dann nicht gemeinsam
eine Lösung für dieses eine konkrete Problem, das of-
fenkundig das Gerechtigkeitsempfinden von Müttern be-
sonders stört? Das ist kein Wunder; denn auf die 45 Jahre
werden folgende Zeiten angerechnet: Pflichtbeiträge aus
Beschäftigung und Minijobs, Pflichtbeiträge aus selbst-
ständiger Tätigkeit, freiwillige Beiträge unter bestimm-
ten Bedingungen, Wehr- oder Zivildienstzeiten, Zeiten
der nicht erwerbsmäßigen Pflege von Angehörigen,
Zeiten der Kindererziehung bis zum zehnten Lebens-
jahr des Kindes, Leistungen bei beruflicher Weiterbil-
dung, Arbeitslosengeld, Teilarbeitslosengeld, Kranken-
geld, Verletztengeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld,
Schlechtwettergeld, Winterausfallgeld, Insolvenzgeld,
Konkursausfallgeld und Ersatzzeiten zum Beispiel für
politische Haft in der DDR . Aber ausgerechnet die vier
Wochen Mutterschutz gehören nicht dazu . Ich fordere
Sie auf: Rechnen Sie den Mutterschutz als Wartezeit an!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Martin Rosemann [SPD]: Das ist aber nicht neu, Herr Birkwald!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812417400

Achten Sie auf Ihre Redezeit!


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812417500

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin .

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


Der DGB-Frauenausschuss hat den SPD-Abgeordne-
ten dazu einen Brief geschrieben und genau das gefor-
dert . Antworten Sie den DGB-Frauen! Hören Sie auf sie!
Unterstützen Sie den Gesetzentwurf der Linken, oder le-
gen Sie einen eigenen vor! Dann gäbe es eine Gerechtig-
keitslücke weniger in der Rente . Alle betroffenen Mütter
würden es Ihnen danken .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812417600

Vielen Dank . – Der nächste Redner ist Dr . Matthias

Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1812417700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Kollege Birkwald, dass meine Mutter einmal so vom So-
zialismus vereinnahmt werden würde,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Hätte sie sich auch nicht träumen lassen!)


würde sie heute noch mit Empörung ablehnen, und sie
hätte damit recht .

Mit dem Rentenpaket, das im Juli 2014 in Kraft ge-
treten ist, haben wir deutliche Verbesserungen für die
Rentnerinnen und Rentner in Deutschland eingeführt,
Verbesserungen, die so noch keine andere Regierung zu-
vor umgesetzt hat . Die Große Koalition hat‘s gemacht .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Mütterrente verbessert die soziale Absicherung
der Rentnerinnen, die vor 1992 Kinder bekommen und
erzogen haben . Sie erhalten einen weiteren Entgeltpunkt
für jedes Kind zusätzlich zu ihrem bestehenden Renten-
anspruch . Damit sorgt die Mütterrente dafür, dass die Er-
ziehung von Kindern bei der Rente stärker ins Gewicht
fällt, und das ist auch gut so .

Mit der abschlagfreien Rente ab 63 Jahren können
Menschen, die 45 Jahre Beiträge zur Rentenversicherung
gezahlt haben, ohne Abzüge in den Ruhestand gehen;
bisher mussten Versicherte für jeden Monat, den sie vor
der Regelaltersgrenze in Rente gehen, 0,3 Prozent Kür-
zungen bei ihrer Rente in Kauf nehmen . Damit wird ho-
noriert, dass diese Menschen über einen langen Zeitraum
ihren Beitrag zur Stabilisierung des Rentensystems und
unserer Gesellschaft geleistet haben .

Das wollte ich vorwegschicken, weil es die beiden
Vorlagen der Linken in eine bestimmte Perspektive
rückt . Bei dem Antrag geht es darum, dass Adoptiveltern
in jedem Fall die Mütterrente erhalten . Der Gesetzent-
wurf problematisiert Zeiten des Beschäftigungsverbots
nach dem Mutterschutzgesetz bei der Anrechnung von
Wartezeiten von 45 Jahren bei der abschlagsfreien Rente .

Fangen wir mit Letzterem an . Der Mutterschutz um-
fasst die Zeiten sechs Wochen vor und acht Wochen nach

der Geburt eines Kindes . Die werdende Mutter und ihr
Kind sollen in dieser Zeit vor Gefährdungen, Überforde-
rungen und Gesundheitsschädigungen am Arbeitsplatz,
vor finanziellen Einbußen, aber auch vor dem Verlust
des Arbeitsplatzes während der Schwangerschaft und ei-
nige Zeit nach der Geburt geschützt werden . Während
dieser 14 Wochen, sechs Wochen vor der Geburt, acht
Wochen danach, besteht ein Beschäftigungsverbot . Diese
Zeiten unterliegen damit nicht der Versicherungs- oder
Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Während dieser Zeiten werden aber Mutterschaftsgeld
und ein Arbeitgeberzuschuss gezahlt . Auch diese gewähr-
ten Leistungen unterliegen nicht der Versicherungs- und
Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Rentenrechtlich handelt es sich danach also nicht um
Beitragszeiten, sondern um Anrechnungszeiten, die auch
nicht bei der 45-jährigen Wartezeit für die abschlagsfreie
Rente ab 63 berücksichtigt werden .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ja genau das Problem!)


Nun haben die Linken eine Lücke entdeckt, die aber
vermutlich keine ist . Ich will das an einem Beispiel klar-
machen: Geht eine Mutter zum Beispiel im März in den
Mutterschutz und wird das Kind im April geboren, wird
bereits der gesamte April von der Anrechnung aufgrund
der Kinderberücksichtigungszeiten erfasst .

Kommt das Kind erst im Mai auf die Welt, wird der ge-
samte Mai erfasst . Bei sechs Wochen Mutterschutz kann
aber für den Fall, dass die Geburt des Kindes weder in
den einen noch den anderen Monat fällt, also weder
von der Beschäftigung noch von der Kinderberücksich-
tigungszeit erfasst wird, ein Problem entstehen . Dafür
müssen zwischen dem Beginn des Mutterschutzes und
der Geburt des Kindes zwei Monatswechsel liegen . Dann
wird ein Monat nicht erfasst; folglich kann frau erst einen
Monat später in Rente gehen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Richtig!)


Nicht zu vergessen: Dies kommt nur bei denjenigen zum
Tragen, die die Voraussetzungen für den Bezug einer
Rente mit 63 im Übrigen erfüllen, und eben auch nur
dann, wenn genau ein Monat bei der Anrechnungszeit
fehlt . – Das scheint mir ein eher theoretischer Fall zu
sein .

Ich darf hier den Kollegen Kurth von den Grünen an-
führen, der im März dieses Jahres bei der ersten Lesung
des Gesetzentwurfs gesagt hat, ihn beschleiche der Ge-
danke, dass die vierwöchige Lücke – ich zitiere – „im
wirklichen Leben … so gut wie keine Rolle spielen
wird“ . Die Kollegin Schmidt von der SPD hat damals
sekundiert:

Sie machen hier einen großen Bahnhof für ein sehr
kleines, theoretisches Problem .

Ich glaube, die beiden Kollegen haben recht . Wohl der
Regierung, deren Opposition sich im ganz kleinen Karo
verliert .

Aber man kann ja einmal genau hinschauen; das ist in
Ordnung . Das hat der Kollege Peter Weiß getan .

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812417800

Herr Kollege Zimmer, gestatten Sie eine Zwischenfra-

ge des Kollegen Birkwald?


Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1812417900

Herr Präsident, ich würde meine Argumentation gerne

zu Ende führen .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812418000

Jawohl .


Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1812418100

Der Kollege Weiß hat im März berichtet, er habe im

Ministerium nachgefragt, ob es tatsächlich solche Fälle
gibt, Fälle also, bei denen aus den genannten Gründen
genau vier Wochen fehlen . Die Antwort war, dem Minis-
terium sei kein solcher Fall bekannt .

Ich habe mich heute selbst erkundigt und die Aussage
erhalten, es handele sich um einen theoretischen Fall – so
jedenfalls die Rentenversicherung und das Ministerium .
Eine weitere Aussage war: Alle Fälle, die bisher im Mi-
nisterium vorgebracht worden sind, hätten ergeben, für
den rentenrechtlichen Abschlag seien andere Faktoren
wie etwa die Unterbrechung der Erwerbsbiografie ver-
antwortlich gewesen . Im Übrigen gilt das auch für den
von Ihnen geschilderten Fall: keine Unterbrechung der
Erwerbsbiografie, aber eine Übertragung von renten-
rechtlichen Zeiten auf den Ehemann .

Wenn das stimmt – ich habe keinen Grund, an die-
ser Aussage zu zweifeln –, dann gilt für mich der Satz:
Politik sollte keine Probleme lösen, die Menschen nicht
haben .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Sie das den Menschen auf der Empore!)


Deswegen können wir dem Gesetzentwurf der Linken
nicht zustimmen . Wir haben die begründete Vermutung,
dass es hier nicht um das Wohl der Mütter geht, sondern
dass ein Einfallstor geschaffen werden soll, um die Leis-
tungen der Rente mit 63 weiter auszuweiten . – Ein netter
Versuch, aber nicht mit uns .

Lassen Sie mich noch kurz auf die zweite Vorlage
der Linken, auf den Antrag, eingehen, in dem die Erzie-
hungsleistungen von Adoptiveltern thematisiert werden .

Mit dem Rentenpaket gilt, dass ab dem 1 . Juli 2014
die ersten 24 Monate nach Ablauf des Geburtsmonats
des Kindes als Kindererziehungszeit in der gesetzlichen
Rentenversicherung anerkannt werden . Kindererzie-
hungszeiten werden Adoptiveltern sowie leiblichen El-
tern, Stiefeltern oder Pflegeeltern dabei nach denselben
Grundsätzen anerkannt. Damit profitieren alle Eltern
gleichermaßen von den verbesserten Regelungen zur
Mütterrente . Wer in den ersten 24 Monaten seinen Bei-
trag zur Kindererziehung geleistet hat, dem werden diese
Zeiten ganz oder auch teilweise angerechnet .

Bei den Bestandsrentnerinnen und -rentnern wurde
ein pauschaliertes Verfahren gewählt; denn nur so war zu
gewährleisten, dass die Mütterrente für Eltern, die bereits
in Rente sind, auch ohne zusätzliche Bürokratiekosten

zum Tragen kommt . Von der Ausweitung der Kinderer-
ziehungsregelung profitiert man, wenn einem der zwölfte
Kalendermonat der Kindererziehungszeiten angerechnet
wurde . Damit konnte die vereinfachte Mütterrente für
Bestandsrentnerinnen und -rentner als ein Zuschlag an
persönlichen Entgeltpunkten umgesetzt werden . Eine in-
dividuelle Prüfung findet hier für keine der etwa 9,5 Mil-
lionen Betroffenen statt .

Eine Ausnahmeregelung, wie sie für die Adoptivel-
tern vorgeschlagen wird, wäre aber nicht nur aus verwal-
tungstechnischen und Kostengründen schwierig . Wenn
man für Adoptiveltern eine individuelle Prüfung einfüh-
ren möchte, dann müsste man dies unter Gleichbehand-
lungsgrundsätzen auch für alle anderen Eltern einführen,
die ähnlich betroffen sind, zum Beispiel bei Pflegekin-
dern und auch Kindern, die in den ersten Monaten im
Ausland erzogen worden sind .

Das pauschale Verfahren, das eine Auszahlung der Müt-
terrente für Bestandsrentnerinnen und -rentner erst mög-
lich macht, wäre damit insgesamt hinfällig .

Unter dem Strich bleibt von dem, was die Linke gefor-
dert hat, ein großer bürokratischer Aufwand für ein mini-
males Ergebnis, das mit gesteigertem Pathos vorgetragen
wird . Es blitzt ein wenig auf, was Sozialismus eigentlich
ist . Aus diesem Grund lehnen wir beide Vorlagen ab .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812418200

Für eine Kurzintervention erteile ich das Wort dem

Kollegen Birkwald .


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812418300

Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzinter-

vention zulassen . – Herr Kollege Dr . Zimmer, zunächst
zu Ihrem letzten Vorwurf, es handele sich um einen gro-
ßen bürokratischen Aufwand: Ich habe unseren Gesetz-
entwurf natürlich dabei . Es handelt sich bei der Änderung
des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch um fünf Zeilen .
Fünf Zeilen! Das ist also eine ganz kleine Geschichte .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verwaltungsvollzug ist aber was anderes als Gesetzestext!)


Zweitens ist es völlig egal, wie viele Betroffene es
gibt . Selbst wenn es so wenige wären, wie Sie behaupten,
wäre das überhaupt kein Grund, die Gleichberechtigung
von Mann und Frau außer Kraft zu setzen .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Soweit mir bekannt ist, können bisher nur Frauen die
Kinder kriegen . Deswegen müssen viele Frauen vier Wo-
chen länger arbeiten, wenn sie die Voraussetzungen für
die Rente ab 63/65 erfüllen wollen . Das sind nicht so we-
nige; das Gesetz gilt ja erst seit dem 1 . Juli vergangenen
Jahres .

Sie können ja einmal in der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion den Test machen . Lassen Sie da doch bitte ein-






(A) (C)



(B) (D)


mal alle Frauen aufstehen, deren Kinder zwischen dem
Ersten und dem Zehnten eines Monats geboren wurden .
Sie werden feststellen, dass das ungefähr ein Drittel aller
Mütter sind, die sich im Raum befinden. Sie werden wei-
ter feststellen, dass dieses Problem in Zukunft aufwach-
sen wird; denn bis dato haben viele der Betroffenen über-
haupt nicht gemerkt, dass ihnen dieser eine Monat fehlt,
weil er bei den Renteninformationen oder auch bei den
Rentenauskünften nicht auftaucht . Erst dann, wenn es in
die Nähe des 63 . Geburtstags geht, wird überlegt: Habe
ich die erforderlichen Monate zusammen? – Wenn die
Versicherten daraufhin die Renteninformationen durch-
sehen, fällt ihnen – und auch der Rentenversicherung –
auf, dass der Monat fehlt .

Ich habe eben gesagt, dass ich den Betroffenen eine
Stimme verleihen will . Deswegen lese ich das einmal
kurz vor: Eine Grundschullehrerin aus den neuen Bun-
desländern hatte nach ihrem dreijährigen Studium an ei-
nem Institut für Lehrerbildung am 1 . August 1969 ihre
Arbeit im Schuldienst begonnen


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Das haben Sie schon vorgelesen!)


– nein, das habe ich noch nicht vorgelesen, Herr Dr .
Rosemann – und aufgrund durchgängiger Beschäftigung
am 31 . Juli 2014 mit 64,5 Jahren die 45 Beitragsjahre
voll . Infolge der Tatsache, dass ihre erste Schwanger-
schaftsfreistellung am 28 . Februar 1971 begann und die
Geburt am 11 . April 1971 erfolgte, ist ihr der Monat März
1971 nicht als Wartezeit für die Rente 63/65 angerechnet
wurden . Sie ist deshalb statt am 1 . August 2014 erst am
1 . September 2014 in den wohlverdienten Ruhestand
nach den Bedingungen der Rente ab 63/65 gegangen .

Genau darum geht es . Sie sagen: Frauen sind Beschäf-
tigte und Rentnerinnen zweiter Klasse . Sie dürfen für ein
und dieselbe Rente vier Wochen länger arbeiten . – Das
ist ungerecht .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812418400

Herr Kollege Birkwald, für eine Kurzintervention

haben Sie nur ein begrenztes Zeitfenster, und dieses ist
ausgeschöpft .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ich bin schon fertig!)


– Prima .

Dann darf ich den Kollegen Dr . Zimmer fragen, ob er
darauf erwidern möchte .


Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1812418500

Herr Präsident, das lasse ich mir natürlich nicht entge-

hen, weil es mir die Gelegenheit gibt, im Sinne der Stoff-
festigung durch Wiederholung die wesentlichen Aussa-
gen noch einmal vorzutragen .

Ich glaube, der eigentliche Punkt, lieber Kollege
Birkwald, ist folgender: Die abschlagsfreie Rente nach
45 Beitragsjahren – an der Stelle sind wir uns vielleicht
einig – bevorzugt Männer, weil die Erwerbsbiografien

von Frauen auf eine völlig andere Art und Weise ge-
brochen sind und deshalb vermutlich erheblich weniger
Frauen davon Gebrauch machen können .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was folgt aus der Analyse?)


Auf der anderen Seite, lieber Kollege Birkwald, haben
Sie diese Beispiele . Ich habe beim Ministerium und bei
der Rentenversicherung nachgefragt und eine sehr ein-
deutige Auskunft erhalten .

Die Auskunft war: Es ist ein theoretisches Problem . Bis-
lang ist bei allen Fällen, die vorgebracht worden sind, der
Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren an anderen Fakto-
ren gescheitert . – Das hatte mit dem von Ihnen beschrie-
benen Problem überhaupt nichts zu tun . Deshalb meine
dringende Bitte: Legen Sie diese Fälle dem Ministerium
vor! Der SPD-Fraktion haben Sie sie offensichtlich vor-
gelegt – der CDU/CSU-Fraktion leider nicht, sodass wir
bisher nicht die Möglichkeit hatten, das zu prüfen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Frau Schmidt hat das nur verstanden!)


Bislang verlasse ich mich darauf, dass die Aussage des
Ministeriums steht: Wir wissen von keinem solchen Fall .
Wenn entsprechende Fälle vorgebracht wurden, ließen
sie sich alle mit anderen Faktoren erklären . – Ich bitte
Sie, das zur Kenntnis zu nehmen . Das würde uns viele
Debatten hier ersparen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist überhaupt nicht der Punkt!)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812418600

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Markus Kurth

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812418700

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Herr Birkwald, eine Bemer-
kung kann ich mir nicht verkneifen: Nach Ihrer Art von
Statistik müsste ja jede fünfte Person hier im Raum ein
Chinese sein . Das ist aber offenkundig nicht der Fall . In-
sofern kann ich mich damit nicht anfreunden .


(Beifall und Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Herr Zimmer, Sie haben mich korrekt zitiert: Ich habe
in der ersten Lesung gesagt, ich hätte den Verdacht, dass
es sich nur um sehr, sehr wenige Fälle handelt . Aber das
heißt ja nicht, dass man sich diesen nicht zuwenden soll-
te .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Gerade wenn es so wenige Fälle sind, kann man, glaube
ich, an dieser Stelle doch versuchen, eine pragmatische
Regelung zu finden. Das gilt auch für den Fall der Adop-

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


tiveltern. Ich finde, man sollte noch einmal genau prüfen,
ob wirklich so viel Verwaltungsaufwand entstünde . Ich
glaube, das ließe sich einfacher regeln . In der Tat zeigen
diese beiden Vorlagen der Linken, dass das Rentenpaket
unzählige Schieflagen hat, und das ist schlecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Vorlagen zeigen aber auch, wie wenig geschlech-
tersensibel die Bundesregierung bei ihrem Gesetzesvor-
haben vorgegangen ist . Wenn von den Begünstigten der
abschlagsfreien Rente ab 63 oder nach 45 Beitragsjahren
nur jeder Vierte eine Frau ist, dann hat das mit Geschlech-
tergerechtigkeit nicht viel zu tun . Auch das ist schlecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Davon kann auch die sogenannte Mütterrente nicht
ablenken; denn auch da entstehen für viele Frauen Ge-
rechtigkeitslücken . Was ist denn mit all den Frauen, die
die Grundsicherung im Alter beziehen? Bei ihnen wird
die Mütterrente angerechnet; sie haben nichts davon, ob-
wohl gerade sie ein Rentenplus nötig hätten .

Zudem wirkt das Rentenpaket dämpfend auf das Ren-
tenniveau; das haben wir bei den Beratungen im letzten
Jahr rauf- und runterdiskutiert . Auch davon sind insbe-
sondere Frauen betroffen . Gerade Frauen sind auf eine
starke gesetzliche Rente angewiesen; denn sie verfügen
seltener als Männer über zusätzliche Versorgungsmög-
lichkeiten aus Privatversicherungen und Betriebsrenten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nein, das Rentenpaket ist in der Hinsicht nicht aus-
gewogen . Ich habe eine Kleine Anfrage zum Thema
„Rentenlücke zwischen Männern und Frauen“ an die
Bundesregierung gestellt . Wir müssen uns gerade mit der
geschlechterspezifischen Rentenlücke hier im Deutschen
Bundestag in den nächsten Wochen und Monaten noch
einmal ernsthaft auseinandersetzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Problem ist, dass sich die Verwerfungen auf dem
Arbeitsmarkt, die vielfältigen Benachteiligungen von
Frauen – ich erinnere nur an die Lohnlücke, die Minijob-
und Teilzeitfalle – im Laufe eines Erwerbslebens über-
einanderlagern und zu einer viel größeren Rentenlücke
führen . Zurzeit liegt die Rentenlücke zwischen Frauen
und Männer bei der gesetzlichen Rente bei 57 Prozent,
bei den privaten Lebensversicherungen bei 70 Prozent
und bei der betrieblichen Altersversorgung sogar bei
79 Prozent; das ist ein enormes Gefälle . Zwar hat sich
die Rentenlücke in den letzten Jahrzehnten verringert,
aber wenn wir nicht grundsätzlich etwas ändern, dann
akzeptieren wir, dass es noch 50, 60 oder 70 Jahre dau-
ert, bis sich die Rentenwerte von Männern und Frauen
angeglichen haben werden . So lange können wir einfach
nicht warten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Daher sagen wir: Nicht pauschale Lösungen wie die so-
genannte Mütterrente können das Problem lösen . Natür-

lich können wir uns hier mit Details beschäftigen, wie es
die vorliegenden Vorlagen tun . Aber ich meine, dass wir
das Problem grundsätzlich lösen müssen .

Was wir neben der vollen Gleichberechtigung auf dem
Arbeitsmarkt primär wollen, ist ein Mentalitätswandel,
der eben auch Männer bei der Erziehung und Pflege in
die Pflicht nimmt.

Wir brauchen auch einen Mentalitätswandel bei den Ar-
beitgebern, damit Frauen eine größere Zeitsouveränität
bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Und Männer! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Und Männer!)


– Das wollte ich gerade sagen; das ist mein nächster
Satz . – Unseres Erachtens geht das nur über positive An-
reize, die es auch für Männer attraktiver machen, sich an
Erziehungsarbeit, Hausarbeit und Fürsorgearbeit stärker
zu beteiligen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich spreche hier zum Beispiel von einem verbesserten
Elterngeld, das partnerschaftlich aufgeteilt wird, und ei-
ner echten Pflegezeit, die es auch Männern ermöglicht,
Gehaltseinbußen auszugleichen . Auch im Rentenrecht
gibt es zahlreiche Möglichkeiten der emanzipatorischen
Weiterentwicklung, die ich in ganzer Breite und Schön-
heit im Rahmen dieser Debatte mangels Zeit nicht mehr
ausführen kann .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Schade!)


Aber das werden wir nachholen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Aufwertungsmöglichkeiten gibt es eben auch im Ren-
tenrecht . Ich fände es gut, wenn wir neben den Detailpro-
blemen – das werden wir anstoßen – hier im Plenum und
in den Ausschüssen ergebnisoffen und mit klarem Blick
auf das Problem der geschlechtsspezifischen Rentenlü-
cke diskutieren könnten .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812418800

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dagmar

Schmidt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812418900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Birkwald, ja, es ist ungerecht,
dass manchen Adoptivmüttern, die zum Zeitpunkt der
Einführung der Mütterrente bereits in Rente waren, die
Erziehungszeit nicht angerechnet wird . Es war bei ei-

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


ner so großen Reform nicht möglich, jeden Einzelfall
zu berücksichtigen . Diese Pauschalregelung – Stichtag:
12 . Kalendermonat nach der Geburt des Kindes – kann
auch an anderen Stellen zu Ungerechtigkeiten führen .
Das liegt in der Natur der Sache bei pauschalen Lösun-
gen und bei Stichtagsregelungen . Das war für uns aber
kein Grund, deswegen die Mütterrente gar nicht einzu-
führen . Dazu wird mein Kollege Martin Rosemann noch
etwas sagen .

Ja, es ist auch ungerecht, dass Zeiten des Mutterschut-
zes, also die sechs Wochen vor dem Geburtstermin und
die acht Wochen nach der Entbindung, bei der Altersren-
te für besonders langjährig Versicherte nicht anerkannt
werden . Das hat damit zu tun, dass anders als im Krank-
heitsfall für die Mutterschutzzeiten keine Rentenbeiträge
gezahlt werden . Wenn Sie mich fragen, können wir da-
rüber gerne mit dem Bundesgesundheitsminister reden .


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE] – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Machen Sie das bitte!)


Wie groß ist das Problem wirklich? Jeder Monat, in
dem die Frau nur einen Tag arbeitet und Beiträge bezahlt,
wird voll angerechnet . Die Monate nach dem Zeitpunkt
der Geburt werden dann als Kinderberücksichtigungs-
zeiten angerechnet . Das heißt – Sie haben es gesagt –,
im Endeffekt geht es um vier Wochen, die Frauen länger
arbeiten müssten als Männer . Davon können nur Frauen
betroffen sein . Deswegen ist es ungerecht .

Wenn Sie aber von dem großen Gerechtigkeitsemp-
finden reden, dann muss ich, ehrlich gesagt, sagen: Wir
wurden gebeten, uns um ganz andere Probleme zu küm-
mern . Wir haben uns auch erfolgreich darangemacht,
diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen, und große sozia-
le Fortschritte erzielt . Die Aufzählung erspare ich Ihnen
nicht . Ich hoffe, dass auch die Familien auf der Tribüne
das eine oder andere darin finden, was ihre persönliche
Lebenssituation verbessert bzw . erleichtert hat .

Uns haben viele Menschen geschrieben, die lange in
die Rentenversicherung eingezahlt haben, die oftmals
mit 14 oder 15 Jahren zu arbeiten begonnen haben und
ihren solidarischen Beitrag geleistet haben . Wir haben
entschieden, dass, wer 45 Jahre gearbeitet und eingezahlt
hat, zwei Jahre früher abschlagsfrei in Rente gehen kann .
Davon haben bisher 240 000 Menschen profitiert. Das ist
auch verdient und gerecht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben mit der Mütterrente 9,5 Millionen Men-
schen, zum überwiegenden Teil Frauen, zu mehr Gerech-
tigkeit verholfen . Die höhere Mütterrente hat die Aus-
zahlbeträge für Frauen insgesamt um 10 Prozent erhöht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist schon eine Hausnummer . Auch wenn wir es lieber
aus Steuermitteln bezahlt hätten: Das ist gerecht, und sie
haben es verdient .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir kennen wie Sie viele Menschen, die aus ge-
sundheitlichen Gründen nicht bis zur Regelalters-
grenze arbeiten können . Deswegen haben wir die Er-
werbsminderungsrente und die Reha gestärkt und im
Präventionsgesetz mehr Mittel für die betriebliche Ge-
sundheitsprävention zur Verfügung gestellt . Aber das
reicht uns noch nicht . Wir wollen verhindern, dass Men-
schen ihre Gesundheit durch Arbeit gefährden, und ihnen
zusätzliche Unterstützung beim Gesundheitsschutz am
Arbeitsplatz zukommen lassen . Wir haben das hier schon
unter dem Stichwort „Ü45-Check-up“ diskutiert . Durch
flexible Übergänge in die Rente wollen wir eine indivi-
duelle Anpassung des Renteneinstiegs bezogen auf die
Gesundheit und die Erwerbsbiografie ermöglichen, ohne
dass die Menschen Angst vor Altersarmut haben müssen .

Jede Rente – das wissen Sie – ist nur so gut wie die
Erwerbsbiografie. Hier gibt es viele Baustellen, die wir
angehen und abarbeiten, und zwar vor allem zugunsten
der Frauen .

Erstens: die Bekämpfung des Niedriglohnsektors . Wir
haben einen Mindestlohn eingeführt . 4 Millionen Men-
schen, davon 60 Prozent Frauen, haben jetzt mehr Geld
in der Tasche . Das ist verdient und gerecht, und das war
überfällig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens: die sogenannte gläserne Decke . Karriere
hängt nicht nur vom Können ab . Uns sind Frauen be-
kannt, denen, obwohl sie klüger und gebildeter waren,
der Mann vorgezogen wurde . Frauen machen seltener
Karriere als Männer, nicht weil sie dümmer und fauler
sind, sondern weil man gerne diejenigen unterstützt, die
genauso sind wie man selbst . Männer helfen Männern bei
der Karriere . Um dieses System zu durchbrechen, haben
wir jetzt eine Frauenquote .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Drittens: ungleicher Lohn trotz gleicher Arbeit . Trotz
gleicher Arbeit verdienen Frauen weniger als Männer .
Deswegen wollen wir ein Gesetz für Lohngerechtigkeit .
Wir wollen mehr Transparenz bei der Bezahlung und
eine Diskussion darüber, wie systematische Ungerech-
tigkeiten überwunden werden können . Bei uns heißt das
Entgeltgleichheitsgesetz .

Viertens: ungleiche Bezahlung bei gleichwertiger Ar-
beit . Hier geht es um die bessere Bezahlung in typischen
Frauenberufen . Wir wollen eine angemessene Bezahlung
von Erzieherinnen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wollen wir auch! Und was hat das mit dem Thema zu tun?)


Deswegen wäre es aus unserer Sicht sinnvoll, das Betreu-
ungsgeld in die Kitas zu stecken .

Herr Birkwald, es geht hier um die Frage – Herr Kurth
hat das ebenfalls angesprochen –, wie wir dafür sorgen,

Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)


dass Frauen am Ende ihres Erwerbslebens eine ordentli-
che Rente bekommen .


(Beifall bei der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Dafür sind wir auch!)


Das ist ein Thema, das eigentlich auch Sie beschäftigen
sollte . Die Gerechtigkeitsfrage wird in Briefen und Ge-
sprächen an uns herangetragen . Deswegen rede ich an
dieser Stelle darüber, auch wenn Sie uns unsere Erfolge
vielleicht neiden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Wir haben uns beim Rentenpaket enthalten!)


Fünftens: Frauen arbeiten oftmals unfreiwillig in Teil-
zeit . Deswegen wollen wir das Recht auf Rückkehr in
Vollzeit . Ich hoffe, dass wir das noch in diesem Jahr hin-
bekommen . Wir fördern den Ausbau der Kitas mit mehre-
ren Milliarden Euro; das ist kein Geld aus der Portokasse,
sondern viel Geld für Verbesserungen . Wir wollen auch
mehr Partnerschaftlichkeit bei Familienarbeit und Kin-
dererziehung . Das fördern wir mit dem Elterngeld Plus .

Wenn ich alles zusammenfasse, dann erzielen 4 Milli-
onen Menschen durch den Mindestlohn ein besseres Ein-
kommen, erfahren jetzt schon 240 000 Menschen durch
die Rente nach 45 Versicherungsjahren eine Erleichte-
rung und erhalten 9,5 Millionen Frauen durch die Müt-
terrente eine gerechtere Rente . Es sind Millionen Frauen,
denen durch die Frauenquote, durch Entgeltgleichheit,
durch Recht auf Vollzeit, durch bessere Kinderbetreu-
ung und mehr Partnerschaftlichkeit mehr Gerechtigkeit
widerfährt und widerfahren wird . Darauf, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, sind wir sehr stolz .

Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812419000

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Matthäus

Strebl .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1812419100

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Als eine der wichtigsten sozialen Errungen-
schaften dieser Legislaturperiode hat die Regierungs-
koalition zum 1 . Juli 2014 die sogenannte Mütterrente
eingeführt. Wie wir schon gehört haben, profitieren da-
von 9,5 Millionen Frauen, die vor 1992 Kinder geboren
haben . Wir geben jährlich rund 6,7 Milliarden Euro dafür
aus . Das Geld ist zweifellos – darin sind wir uns sicher
alle einig – gut angelegt . Wir haben mit der Mütterrente
für mehr Gerechtigkeit gesorgt und die Erziehungsleis-
tung von Millionen Müttern anerkannt .

Die Fraktion Die Linke hat nun einen Antrag vor-
gelegt, in dem sie fordert, dass die Erziehungsarbeit ab
dem Zeitpunkt der Adoption in vollem Umfang in der

gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt wird, und
zwar unabhängig vom Alter des Kindes zum Zeitpunkt
der Adoption .

Lassen Sie mich kurz die Rechtslage erläutern . Kin-
dererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung werden Adoptiveltern nach denselben Grundsätzen
wie leiblichen Eltern, Stief- und Pflegeeltern gewährt.
Danach wurden zunächst die ersten 36 Monate nach der
Geburt des Kindes als Kindererziehungszeit anerkannt .
Seit dem 1 . Juli 2014 sind es die ersten 24 Monate bei
der Geburt vor 1992 . Das bedeutet: Auch Adoptiveltern
profitieren sehr wohl von der Mütterrente, wenn sie in
diesem Zeitraum ein Adoptivkind erzogen haben .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist falsch!)


Adoptiveltern haben jedoch dann keinen Anspruch auf
die Mütterrente, wenn das Kind bei der Aufnahme in die
Familie bereits 24 Monate beziehungsweise 36 Monate
alt oder älter war .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Schon wenn es 13 Monate alt oder älter war!)


Eine solche altersmäßige Grenzziehung bedeutet keine
Willkür . Es wäre nicht vermittelbar, wenn zum einen die
leiblichen Eltern oder der Elternteil, der die Erziehungs-
arbeit geleistet hat, und zum anderen auch noch die Ad-
optiveltern die Mütterrente erhielten .

Eine Ausnahmereglung, die ausschließlich in Fällen
einer Adoption auf die tatsächliche Erziehungsleistung
im zweiten Lebensjahr abstellen würde, ist verfassungs-
rechtlich unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten si-
cherlich problematisch . Denn das hieße, dass sie für alle
Eltern gelten müsste, die aufgrund ähnlicher Sachver-
halte auch ein Interesse an einer individuellen Prüfung
haben .

Werte Kolleginnen und Kollegen, bei den Diskussi-
onen um die Einführung der Mütterrente war allen Be-
teiligten klar, dass für die Bestandsrenten, die ebenso
von der Mütterrente profitieren sollten, eine praktikable
Lösung gefunden werden musste . Die gesuchte Lösung
musste also praktikabel sein und die Umsetzung der Müt-
terrente zeitnah ermöglichen . Rentnerinnen und Rentner
erhalten deshalb die Mütterrente in vereinfachter und
pauschaler Form als einen Zuschlag an persönlichen
Entgeltpunkten . Eine individuelle Prüfung bzw . Neube-
rechnung der etwa 9,5 Millionen Bestandsrenten unter
Berücksichtigung der Erziehung von vor dem Jahr 1992
geborenen Kindern wäre zeitnah nicht umsetzbar gewe-
sen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: 47 000! Nicht 9,5 Millionen!)


Auch wenn es ungerecht erscheint, so ist doch festzu-
halten, dass ein anderes Verfahren aufwendige Vorbe-
reitungs- und Bearbeitungszeiten erfordert hätte . Die
Mütterrente hätte dann nicht zum 1 . Juli des vergangenen
Jahres in Kraft treten können . Millionen Frauen hätten
dann das Nachsehen gehabt .

Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Wenn den leibli-
chen Eltern die Anrechnung von Kindererziehungszeiten

Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)


zugestanden wurde, können Adoptiveltern nicht zusätz-
lich Kindererziehungszeiten angerechnet bekommen .
Eine solche Besserstellung ist rentenrechtlich allein
schon aus Gründen der Gleichbehandlung im Verhältnis
zu den leiblichen Eltern ausgeschlossen .

Völlig unerwähnt bleibt in dem vorliegenden Antrag,
dass die Leistungsverbesserung im Zusammenhang mit
der Mütterrente auch für Adoptiveltern zu einer länger
anzurechnenden Kindererziehungszeit führen kann .
Möglich ist auch, dass im Vergleich zur vorherigen
Rechtslage überhaupt erst ein Anspruch auf Kindererzie-
hungszeiten entsteht, dann nämlich, wenn die Adoption
im zweiten Lebensjahr erfolgte .

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dem Antrag der
Fraktion Die Linke können wir nicht folgen . Deswegen
lehnen wir ihn ab .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812419200

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der

Kollege Dr . Martin Rosemann für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1812419300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Zunächst
einmal will ich festhalten: Die Mütterrente ist ein Erfolg .
Auch infolge der Einführung der Mütterrente sind die
Renten der Frauen in Deutschland um sage und schreibe
10 Prozent gestiegen, die Renten der Frauen mit Kindern
sogar um 12 Prozent .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Aber die Ostkinder sind immer noch weniger wert!)


Das, meine Damen und Herren, ist ein Erfolg der Politik
dieser Koalition . Das haben wir erreicht, weil wir – im
Gegensatz zu allen anderen Verbesserungen, die es im
Rentenrecht gegeben hat – auch Bestandsrentnerinnen
und Bestandsrentner davon profitieren ließen. Insofern
war es richtig und wichtig, dass wir genau dies gemacht
haben, sprich: die Mütterrente auch Bestandsrentnerin-
nen und Bestandsrentnern zugutekommen ließen .

Dies führte aber, meine Damen und Herren, zu der
Problematik bei Adoptionen, die wir heute hier debattie-
ren . Um es klar zu sagen: Das ist bei allen, die zukünftig
in Rente gehen, kein Problem . Hier wird die Erziehungs-
leistung im zweiten Lebensjahr eines Kindes uneinge-
schränkt denen zugerechnet, die sie erbracht haben . Das
gilt selbstverständlich auch für Pflege- und Adoptivel-
tern .

Damit aber auch Bestandsrentnerinnen von der Müt-
terrente profitieren können – das ist schon gesagt wor-
den –, musste auf eine Pauschalregelung zurückgegrif-

fen werden: Bestandsrentnerinnen bekommen pauschal
einen Entgeltpunkt für das zweite Jahr der Kindererzie-
hungszeit .

Dabei bekommt derjenige den Punkt für das zweite Le-
bensjahr des Kindes, für den die Berücksichtigung der
Kindererziehung im ersten Lebensjahr erfolgte .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist das Problem!)


Alles andere wäre bei 9,5 Millionen Versichertenbiogra-
fien schlicht nicht durchführbar gewesen.


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Etwa 40 000!)


Damit wird in den meisten Fällen auch die Realität abge-
bildet und damit die Lebensleistung der Kindererziehung
an der richtigen Stelle gewürdigt .

Natürlich kommt es in Einzelfällen zu Ungerechtig-
keiten . Ich will aber darauf hinweisen, dass die Adop-
tion kurz nach dem ersten Geburtstag eines Kindes nur
ein Beispiel dafür ist . Ein anderes ist, wenn der Vater im
zweiten Lebensjahr des Kindes die Kindererziehung über-
nommen hat, die Mutter im ersten Jahr . Dann bekommt
trotzdem die Mutter den zusätzlichen Entgeltpunkt, nicht
der Vater; das ist vor allen Dingen bei Scheidungen ein
Problem . Wenn die Eltern das Kind im ersten Lebensjahr
im Ausland erzogen haben, bekommt keiner den zusätzli-
chen Rentenentgeltpunkt . Wenn ein Kind beispielsweise
nur bis zum zwölften Monat in einer Pflegefamilie gelebt
hat, danach aber wieder bei seinen leiblichen Eltern oder
in einer anderen Pflegefamilie, dann bekommt die Mutter
der Pflegefamilie des ersten Jahres den Entgeltpunkt.

Es gibt aber umgekehrt auch Beispiele dafür, bei de-
nen sich die pauschale Zurechnung des Entgeltpunktes
für die Erziehungszeiten für die betroffenen Versicherten
positiv auswirkt, beispielsweise wenn durch die pauscha-
le Anrechnung keine Kappung an der Beitragsbemes-
sungsgrenze erfolgt .


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Meine Damen und Herren von den Linken, all dies ver-
schweigen Sie in Ihrem Antrag . Eine umsetzbare Lösung
für diese Probleme bieten Sie nicht an .


(Beifall der Abg . Kerstin Griese [SPD] – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, einen Vorschlag zu machen!)


Natürlich wäre es theoretisch möglich, all diese Fälle
noch einmal händisch zu überprüfen . Der Aufwand für
die Einzelfallprüfung von Hunderttausenden von Be-
standsrentnern wäre aber schlicht zu hoch . Was nicht
geht – und das verschweigen Sie den Betroffenen –, ist,
dass eine Einzelfallprüfung eben nur für eine Gruppe, die
Sie jetzt besonders interessiert, nicht möglich ist .


(Zuruf des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Matthäus Strebl






(A) (C)



(B) (D)


Ich will dazu sagen, dass im Fall von Adoptionen im
Zweifel jemand anderem der Entgeltpunkt wieder weg-
genommen werden müsste, der aber gar nicht bekannt ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die einzige Alternative wäre also gewesen, Bestands-
rentnerinnen von der zusätzlichen Berücksichtigung der
Kindererziehungszeiten auszunehmen . Genau das woll-
ten wir nicht, weil das noch mehr Ungerechtigkeiten pro-
duziert hätte .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Mich erreichen immer wieder Briefe von Adoptivel-
tern, die ein Kind adoptiert haben, das fünf oder sechs
Jahre alt ist. Diese profitieren von der Mütterrente gar
nicht . Ich kann sehr gut mit ihnen fühlen, weil ich das
Thema Adoption aus meiner eigenen Familie gut kenne .
Deswegen will ich an der Stelle sagen: Die Berücksichti-
gung der Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene
Kinder beschränkt sich grundsätzlich auf die ersten bei-
den Lebensjahre und danach auf die ersten drei Lebens-
jahre .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Auch das ist ungerecht!)


Der Grund dafür ist, dass insbesondere in den ersten
Monaten nach der Geburt die Möglichkeit, Familienar-
beit und Erwerbsarbeit zu verbinden, besonders einge-
schränkt ist .

Mir ist klar – und ich glaube, das ist uns allen klar –,
dass wir damit die Lebensleistung der Erziehung eines
Kindes insgesamt natürlich nicht angemessen würdigen .
Ich will an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass es
im Rentenrecht weitere Ansatzpunkte gibt: für Zeiten vor
1992 die Aufwertung von geringen Rentenanwartschaf-
ten im Rahmen der Renten nach Mindesteinkommen und
ab 1992 die Höherwertung niedriger Entgeltpunkte bzw .
die Gutschrift von zusätzlichen Entgeltpunkten im Rah-
men der Kinderberücksichtigungszeiten .

Wenn man darunter den Strich zieht, muss man sagen:
Das, was wir tun konnten, um Erziehungszeiten für vor
1992 geborene Kinder besser anzuerkennen, das haben
wir als Koalition auch getan .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812419400

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 9 a .
Interfraktionell wird Überweisung dieser Vorlage auf
Drucksache 18/6043 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 9 b, zur
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die
Linke zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetz-
buch – Anrechnung von Zeiten des Mutterschutzes .

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5279,
den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/4107 abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke und von BÜNDNIS 90/Die
Grünen . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf-
te an der EU-Operation EUNAVFOR MED
als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur
Unterbindung des Geschäftsmodells der Men-
schenschmuggel- und Menschenhandelsnetz-
werke im südlichen und zentralen Mittelmeer

Drucksache 18/6013
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für. Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für. Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Weil ich kei-
nen Widerspruch vernehme, gehe ich davon aus, dass Sie
alle damit einverstanden sind .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär
Dr . Ralf Brauksiepe .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1812419500


Vielen Dank, Herr Präsident . – Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In der Nacht vom 18 . auf den 19 . April
dieses Jahres kam es im Mittelmeer zu einem tragischen
Unglück . Ein Flüchtlingsschiff war vor der Küste Liby-
ens gekentert . 28 Personen konnten gerettet werden . Die
italienische Küstenwache musste 24 Leichen bergen .
Weitere Suchaktionen blieben erfolglos . Ein Überleben-
der berichtete jedoch, dass bis zu 950 Menschen an Bord
gewesen seien, teils von ihren Schleusern im Laderaum
eingeschlossen, darunter rund 200 Frauen und 50 Kinder .

Diese Tragödie hat uns alle fassungslos gemacht und
sowohl der Politik als auch der Zivilgesellschaft in Eu-
ropa das grauenvolle Leid der Flüchtlinge vor Augen
geführt . Leider blieb dieser zutiefst erschütternde Vorfall
kein Einzelfall .

Laut UN-Angaben traten seit Beginn dieses Jahres
mehr als 300 000 Menschen die gefährliche Überfahrt
über das Mittelmeer an . Tausende von Frauen, Männern
und Kindern haben bei ihrem Versuch, auf diesem Weg
nach Europa zu gelangen, ihr Leben verloren .

Dr. Martin Rosemann






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung
hat deshalb bereits Ende April dieses Jahres schnell und
entschlossen gehandelt und zwei Schiffe der deutschen
Marine in das Mittelmeer gesandt, um zu verhindern,
dass noch mehr Menschen auf See ums Leben kommen .

Der Einsatzgruppenversorger Berlin und die Fregat-
te Hessen sowie mittlerweile der Versorger Werra und
die Fregatte Schleswig-Holstein haben bislang über
8 030 Menschen aus Seenot gerettet . Das ist eine ganz
außerordentliche Leistung unserer Soldatinnen und Sol-
daten, und zwar sowohl fachlich als auch menschlich, für
die wir dankbar sind .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Engagement zeigt sich auch dieser Tage, in
denen es darum geht, dass wir denjenigen, die Bürger-
krieg und Not entfliehen und Asyl brauchen, hier bei uns
in Deutschland Schutz gewähren . Überall dort, wo ihre
Unterstützung gebraucht wird, helfen unsere Soldatinnen
und Soldaten zusammen mit vielen anderen helfenden
Händen mit . Auch dafür gebührt ihnen allen unser beson-
derer Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Ausmaß der Flüchtlingsbewegungen der vergan-
genen Wochen zeigt uns sehr deutlich, dass in Europa
eine gemeinsame Antwort auf die vielfältigen Dimen-
sionen der Flüchtlingsbewegungen erforderlich ist, von
der Bekämpfung der Fluchtursachen bis hin zu einer
menschlichen Versorgung der Bedürftigen hier bei uns .

Wir mussten leider feststellen, dass die Anstrengun-
gen zur Unterstützung der Seenotrettung allein nicht das
schreckliche Sterben im Mittelmeer stoppen konnten .
Dazu war und ist das Geschäftsmodell der Schleuser ein-
fach zu perfide und zu lukrativ.

Im Gegenteil: Unsere humanitäre Hilfe wird von den
Kriminellen sogar schamlos ausgenutzt .

Deshalb haben wir am 18 . Mai dieses Jahres mit un-
seren Partnern in der Europäischen Union die Operation
EUNAVFOR Med ins Leben gerufen . Unser europäi-
scher Ansatz umfasst vier Ziele:

Erstens . Die Seenotrettung ist und bleibt ein Hauptan-
liegen unseres Engagements im südlichen und zentralen
Mittelmeer .

Zweitens . Wir müssen aktiv gegen die kriminellen
Schleusernetzwerke vorgehen .

Drittens . Wir müssen mit den Herkunfts- und Transit-
ländern zusammenarbeiten, um die strukturellen Ursa-
chen von Flucht und Migration zu bekämpfen .

Viertens schließlich . Die innereuropäische Solidarität
und Verantwortung bei der Aufnahme dieser verzweifel-
ten Menschen in der Europäischen Union ist gefordert .

Die deutsche Marine ist seit Beginn dieser EU-Opera-
tion im Juni 2015 an EUNAVFOR Med beteiligt . In der
Phase 1 dieser Mission ging und geht es neben der akuten
Seenotrettung auch darum, das Vorgehen der Schlepper,
für die es ein abscheuliches Milliardengeschäft darstellt,

all diese Menschen auf ihre lebensgefährlichen Reisen
zu schicken, genau zu beobachten . Dies ist in den letz-
ten Monaten gelungen . Wir haben ein deutlich besseres
Lagebild aufbauen können, als wir es in der Vergangen-
heit hatten . Wir konnten wertvolle Erkenntnisse über die
Schleusernetzwerke, ihre Routen und ihre Methoden ge-
winnen . Diese wollen wir nun gezielt nutzen und dafür
sorgen, dass diese mit äußerster Brutalität vorgehenden
Schleuser nicht länger schalten und walten können, wie
sie wollen .

Dazu wollen wir mit der Phase 2 i beginnen . Mit einer
deutschen Beteiligung von bis zu 950 Soldatinnen und
Soldaten soll in dieser Phase beschränkt auf die inter-
nationalen Gewässer im südlichen und zentralen Mittel-
meer gezielt und effektiv gegen die kriminellen Schleu-
sernetzwerke vorgegangen werden . Es ist zu erwarten,
dass die Schleuser zu Herbstbeginn, bei aufkommendem
schlechteren Wetter auch seetüchtigere Schiffe als bisher
außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer einsetzen, dass
sie Schiffe aus Ägypten und Tunesien an die westliche
Küste Libyens, nahe Tripolis, heranschaffen oder Schiffe
zur Erkundung einsetzen, um die Flüchtlingsboote in der
Nähe von EUNAVFOR-Med-Einheiten auszusetzen .

Mit dem Übergang in die Phase 2 i können jetzt in in-
ternationalen Gewässern verdächtige Schiffe angehalten
und durchsucht werden . Wenn sich der Verdacht bestäti-
gen sollte, dass sie für Menschenschmuggel oder Men-
schenhandel benutzt werden, sind wir nun in der Lage,
die Schleuserschiffe umzuleiten oder zu beschlagnah-
men . Ziel dieser Phase 2 i ist es somit, die Bewegungs-
freiheit der Schleuser einzuschränken und damit ihr kri-
minelles, menschenverachtendes Geschäft schwieriger
zu machen . Zugleich – das betone ich noch einmal – wird
die Seenotrettung selbstverständlich weiterhin uneinge-
schränkt fortgesetzt .

Es ist ein richtiger und ein sinnvoller Schritt, jetzt auf
hoher See gegen Schleuserschiffe vorzugehen, um dem
Übel auf den Grund zu gehen und den kriminellen Ma-
chenschaften das Handwerk zu legen .

Die Soldatinnen und Soldaten an Bord unserer Schif-
fe, im Hauptquartier in Rom und auf dem italienischen
Führungsschiff leisten bereits jetzt einen erfolgreichen
und sehr wichtigen Dienst . Deutschland ist nach Italien
der zweitgrößte Truppensteller und eine tragende Säule
der gesamten Operation . Wir sollten weiterhin zu un-
serem Wort stehen und zeigen, dass auf uns Verlass ist .
Dieser Einsatz ist eine wichtige gemeinsame Leistung
der Europäischen Union für Menschen in Not und gegen
kriminelle Menschenschleusung . Wir stehen nicht allein,
wir sind eingebunden in ein Bündnis, eingebunden in
eine Wertegemeinschaft, und gemeinsam mit dieser han-
deln wir . Ich bitte Sie deswegen um Unterstützung für
das vorliegende Mandat .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812419600

Der Kollege Stefan Liebich spricht jetzt für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812419700

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie-

be Kolleginnen und Kollegen! Herr Brauksiepe, nicht
dass hier Missverständnisse entstehen: Wir debattieren
und entscheiden nicht über die Rettungsaktion im Mit-
telmeer . Dafür ist überhaupt kein Mandat notwendig; sie
läuft schon . Wir reden heute einzig und allein über die
Entscheidung, Soldatinnen und Soldaten auf hohe See zu
schicken, um dort militärisch gegen Schlepper vorzuge-
hen . Das ist hier das Thema .

Ich möchte in die Vergangenheit schauen: Ein Flucht-
helfervertrag „verstößt weder gegen ein gesetzliches
Verbot noch ohne Weiteres gegen die guten Sitten“ .
Wer Flüchtende dabei unterstütze, das ihnen zustehende
Recht auf Freizügigkeit zu verwirklichen, kann sich auf
billigenswerte Motive berufen und handelt sittlich und
nicht anstößig .

– So hat der Bundesgerichtshof 1977 geurteilt . Sie ahnen
es: Damals ging es um die Flüchtlinge, die aus der DDR
in die Bundesrepublik Deutschland geflohen sind, die das
Risiko ihres Todes an der Mauer und dem Stacheldraht
nicht eingehen wollten .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht vergleichbar!)


Diejenigen, die ihnen damals geholfen haben, wurden
von den DDR-Oberen als kriminelle Menschenhändler
bezeichnet und in der Bundesrepublik als Helden ge-
feiert . Es gibt selbstverständlich viele Unterschiede zu
damals, aber eines galt damals wie heute: Wo Grenzen
geschlossen sind, wird es immer Versuche geben, sie zu
überwinden . Deshalb müssen Mauern abgebaut werden
und nicht Stacheldrahtzäune errichtet .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Es ist ein Unterschied, ob man raus will oder rein will!)


Stattdessen schicken Sie Soldaten in das Mittelmeer,
um Schiffe anzuhalten, zu durchsuchen, umzuleiten, und,
wenn es Widerstand gibt, mit Waffengewalt zu agieren .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was ist das denn für ein Quatsch?)


Sie suggerieren, dass dadurch weniger Menschen auf
diese lebensgefährliche Überfahrt gehen . Das wird nicht
klappen . Ja, es gibt grausame Geschäftemacher, die
skrupellos die Not der Menschen ausnutzen, die um ihr
Leben fliehen, ja, sie setzen sie auf seeuntüchtige Boote
auf die Gefahr hin, dass sie ertrinken, oder stecken sie in
hermetisch abgeschlossene Lastkraftwagen, in denen sie
ersticken . Aber diese Schlepper und ihre Hinterleute sind
nicht die Ursache der Flucht, sondern eine ihrer Folgen .

Sie bekämpfen die Symptome, statt die Ursachen anzu-
gehen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/ CSU]: Haben Sie Mitleid mit den Schleppern?)


Ich höre manchmal, dass die Menschen mit Lügen
über ein Leben in Wohlstand hierher gelockt werden . Für
denjenigen, der tagtäglich um sein Leben bangen muss,
der nicht einmal mehr Gras zu essen hat – Sie kennen ja
die Berichte aus den belagerten syrischen Städten –, ist es
ein immenser Wohlstand, nachts ohne Assads Fassbom-
ben oder den Terror des IS schlafen zu können und eine
regelmäßige Mahlzeit zu bekommen . Es ist doch normal,
dass man so einer Hölle entfliehen möchte. Würde das
nicht jeder von uns tun?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Hahn [CDU/ CSU]: Niemand negiert das!)


In meinem Wahlkreis in Pankow hat kürzlich die In-
tegrationsbeauftragte über den Ansturm der Menschen
geklagt . Wissen Sie, was sie meinte? Sie meinte nicht
den Ansturm der Flüchtlinge, sondern den Ansturm der
Helferinnen und Helfer in Prenzlauer Berg, Pankow und
Weißensee, die in den Kleiderkammern und bei der Es-
sensausgabe arbeiten wollen . Sie alle kennen das auch
aus Ihren Wahlkreisen .

Dieses Bild vom guten Deutschland, dem Angela
Merkel ein Gesicht gegeben hat, zerstören Sie mit diesen
Entscheidungen . Dieses Bild wird korrigiert . Wir schi-
cken Soldaten an Grenzen .


(Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Können Sie mal zum Thema kommen?)


Wir wollen das individuelle Asylrecht durch willkürliche
Festlegung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten ein-
schränken . Es soll geringere Leistungen für Menschen
geben, die ihr Recht auf Asyl wahrnehmen wollen .

Das Schlimmste ist: Es gab ein einvernehmliches Tref-
fen des CSU-Vorsitzenden, immerhin dem Vorsitzenden
einer Regierungspartei in Deutschland, mit dem – ich
kann es nicht mehr anders sagen – rechtsradikalen Mi-
nisterpräsidenten Ungarns .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Pfui! Pfui!)


Wissen Sie, was das für ein Mann ist, mit dem Sie sich
da getroffen haben? Wir alle haben das Bild des kleinen
Aylan gesehen, der tot am Strand von Bodrum gelegen
hat . Orban sagt:

Die Türkei ist ein sicheres Land . Bleibt dort! Es ist
riskant, zu kommen . Und wir können nicht garantie-
ren, dass ihr hier akzeptiert werdet .

Wie kaltherzig kann man eigentlich sein?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ungarns Regierung schaltet Anzeigen in jordanischen
und libanesischen Zeitungen auf Englisch und Ara-






(A) (C)



(B) (D)


bisch: Wir Ungarn sind gastfreundlich, aber ergreifen
die strengstmöglichen Maßnahmen gegen jene, die ver-
suchen, hier illegal einzureisen . – Orban sagt über Men-
schen, die um ihr Leben fliehen:

Sie klopfen nicht nur an die Tür, sie schlagen die
Tür ein . Unsere Grenzen sind in Gefahr, . . . Ungarn
und ganz Europa sind in Gefahr .

Mit dem heutigen Antrag der Bundesregierung geben
Sie Orbans abstoßender Polemik recht . Sie stellen sich
gegen die Mehrheit der Menschen in Deutschland, die
hier die Flüchtlinge willkommen heißen wollen . Dieses
neue Mandat ist der traurige Höhepunkt Ihrer Abschot-
tungspolitik . Es werden doch nicht weniger Flüchtlinge
kommen . Es wird gefährlichere Routen geben, und es
wird höhere Preise für diejenigen geben, die fliehen wol-
len . Das ist doch alles Irrsinn .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Dann sollte man Kriminelle unterstützen?)


Richten Sie stattdessen eine zivile Rettungsmission
ein . Schaffen Sie legale Wege für Menschen, die einfach
ihr Recht auf Asyl wahrnehmen wollen . Nur so können
Sie den Schleppern die Geschäftsgrundlage entziehen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Stoppen Sie bitte endlich Waffenverkäufe in Kriegs-
und Krisengebiete .


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Für den Frieden und dagegen, dass Menschen fliehen
müssen, ist das das Beste, was Deutschland tun kann .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Eine typische Bausteinrede eines Linken!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812419800

Der Kollege Niels Annen spricht als Nächster für die

SPD .


(Beifall bei der SPD)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1812419900

Vielen Dank . – Herr Präsident! Lieber Herr Kollege

Liebich, ich glaube, es gibt gar keinen Grund für so viel
Aufregung, die Sie hier eben inszeniert haben .


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Doch!)


Ich habe, weil Sie das allgemein angesprochen haben,
trotzdem eine Bitte – darauf lege ich schon Wert -: Meine
Fraktion hat sich nicht mit Herrn Orban getroffen, und
wir haben auch nicht vor, das zu tun .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir beraten heute über ein Mandat – manchmal hilft
ja ein Blick in den Mandatstext –, bei dem es im We-
sentlichen darum geht – das hat der Kollege Brauksiepe
richtig dargestellt –, dass wir das, was unsere Soldatin-
nen und Soldaten in den letzten Monaten bereits getan

haben, fortsetzen wollen, nämlich durch die Präsenz der
deutschen Marine dafür zu sorgen, dass Menschen aus
Seenot gerettet werden . Etwa 8 000 Menschen sind von
unseren Soldatinnen und Soldaten gerettet worden . Wir
wollen, dass das fortgesetzt wird .

Der zweite Grund, aus dem wir heute hier zusammen-
kommen, ist – mir leuchtet überhaupt nicht ein, wie man
sich darüber so sehr aufregen kann –, dass diese nationale
Aufgabe, die wir uns gestellt und die unsere Soldatin-
nen und Soldaten erledigt haben, jetzt in eine europäi-
sche Mission eingebettet wird . Deswegen, Herr Kollege
Liebich, muss ich Ihnen bei aller Wertschätzung an die-
ser Stelle widersprechen: Diese Bundesregierung – mit
Unterstützung der Fraktionen der Großen Koalition – be-
kämpft beides: die Fluchtursachen, aber auch die Aus-
wirkungen .


(Zuruf von der LINKEN: Na ja!)


Ich finde, es ist nicht besonders redlich, hier einen Wi-
derspruch zu konstruieren . Wenn Ihre Annahme richtig
wäre, dass wir uns nicht um die Fluchtursachen kümmer-
ten, dann könnte man über alles Mögliche reden . Aber
das ist nicht der Fall . Diese Bundesregierung hat gerade
Millionen Euro an Extramitteln bereitgestellt und sich in
Brüssel dafür eingesetzt, dass jetzt 1 Milliarde Euro mo-
bilisiert wird . Unser Außenminister ist, glaube ich, der
einzige westliche Außenminister, der in den letzten Jah-
ren mehrfach die Flüchtlingslager in den Nachbarstaaten
besucht hat . Er hat António Guterres zu einer Konferenz
eingeladen und dem Hohen Flüchtlingskommissar der
Vereinten Nationen eine Bühne geboten . Er hat dafür ge-
arbeitet – nicht immer auf der Bühne; manchmal auch
hinter den Kulissen –, dass finanzielle Zusagen nicht nur
gemacht, sondern auch eingehalten werden .

Ja, wir sind nicht so weit gekommen, wie wir kommen
wollten; niemand beklagt das mehr als ich . Aber jetzt ha-
ben wir in dieser Frage ein Momentum . Ich glaube, wir
bekommen hier etwas hin . Es gibt auch wieder politische
Bewegung . Aber eines muss man sehr klar sagen: Wer
sich hier hinstellt und sagt: „Wir müssen die Fluchtur-
sachen bekämpfen; wir brauchen einen regionalen Blick
auf die Krise und einen umfassenden Ansatz“, dem wür-
de ich immer sagen: Genau das ist es, worum wir uns
jeden Tag bemühen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da werden manchmal Fehler gemacht . Das reicht auch
nicht immer aus . Auch das ist richtig; daher diskutieren
wir hier darüber . Aber die Finanzierung der Flüchtlings-
lager in Syriens Nachbarländern gehört genauso zur Ur-
sachenbekämpfung wie die Operation, über die wir hier
und heute miteinander diskutieren .

Nun zu der Frage: Wer nimmt eigentlich Flüchtlin-
ge auf? In Deutschland haben wir Hunderttausende von
Menschen aufgenommen . Ich glaube, wir sind uns alle
einig: Es ist eine großartige Leistung der Bürgerinnen
und Bürger in diesem Land, aber auch der öffentlichen
Verwaltung, der Kommunen, der Landesregierungen und

Stefan Liebich






(A) (C)



(B) (D)


des Bundes, dass wir das gemeinsam und miteinander
hinbekommen .


(Beifall des Abg . Dr . Rolf Mützenich [SPD])


Dazu gehört aber auch, dass wir in einer europäischen
Dimension nicht nur über Quoten reden – ich hoffe, auch
da machen wir langsam Fortschritte –, sondern auch den
Ländern, die von diesem Unglück ganz besonders betrof-
fen sind, helfen .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812420000

Kollege Annen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Neu?


Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1812420100

Selbstverständlich, Herr Präsident .


Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812420200

Herr Kollege Annen, wir haben jetzt mehrfach den Be-

griff „Fluchtursachen“ gehört . Ich habe von Ihnen aber
noch keine konkrete Fluchtursache genannt bekommen,
außer dass die Flüchtlingslager im Nahen Osten eine Ur-
sache sein könnten . Aber es dürfte doch wesentlich mehr
dazugehören . Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass
die Flüchtlingslager im Nahen Osten nicht die tatsächli-
che Ursache, sondern auch ein Symptom sind . Vielleicht
können Sie das etwas präzisieren .


Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1812420300

Ja, das kann ich sehr gerne machen, Herr Kollege . –

Ich glaube, wer die Entwicklung der letzten Wochen
und Monate durch Zeitungslektüre aufmerksam verfolgt
hat – ich empfehle ja immer ein Qualitätsprodukt aus
meinem Wahlkreis, die Tagesschau –, der wird sicherlich
wissen, dass die desaströse Lage in den Flüchtlingslagern
eine Ursache ist . Inzwischen ist, glaube ich, allgemein
bekannt – darüber bin ich übrigens froh –, dass die finan-
ziellen Mittel des Welternährungsprogramms nicht mehr
ausreichen, um die etwa 30 Dollar pro Monat zu bezah-
len . Wir liegen aktuell bei etwa 13 Dollar pro Monat .

Viele Familien haben keine Perspektive mehr . Da es
keine Perspektive gibt, während des Krieges in das Hei-
matland Syrien zurückzukehren, richtet man sich natür-
lich in Richtung Europa aus; das ist auch nachvollzieh-
bar .

Es gibt aber auch Gründe, die wir nicht unmittelbar be-
einflussen können.

Das Assad-Regime ist in den letzten Monaten mili-
tärisch unter Druck geraten . Das bedeutet – das werden
Sie sicherlich auch verfolgt haben, Herr Kollege Neu –,
dass inzwischen auch im Kernland des Assad-Regimes
gekämpft wird . Ich weiß nicht, ob Sie sich mit der Lage
in Syrien beschäftigt haben, aber bei einem Blick auf die
Landkarte werden Sie sehr schnell feststellen, dass die
Gebiete, die Assad kontrolliert, die Gebiete in Syrien
sind, in denen die meisten Menschen leben . Das heißt,
der Krieg, den der IS führt, betrifft nur einen relativ klei-
nen Teil der Bevölkerung .

Es gibt also ein Zusammentreffen von unterschiedli-
chen Ursachen: die Kampfhandlungen, eine Unterfinan-
zierung und eine Perspektivlosigkeit . Ich glaube, all das
hat mit dazu beigetragen, dass wir heute eine solche Si-
tuation haben .

Ich denke, damit ist meine Antwort beendet, und Sie
dürfen sich gerne wieder hinsetzen .

Ich komme nun zu dem Thema, auf das ich sowieso
zu sprechen kommen wollte: Es gibt in der gesamten
nordafrikanischen Region – vor allem aber in Libyen –
eine Destabilisierung . Diese hat dazu geführt, dass es
in Libyen nach der Intervention keine funktionierenden
staatlichen Strukturen mehr gibt . Ich will an dieser Stelle
einmal sagen: Hier geht es auch um die Bekämpfung von
Fluchtursachen, Herr Kollege Liebig .

Unser Außenminister hat mit vielen hochengagier-
ten Kolleginnen und Kollegen im Auswärtigen Amt Tag
und Nacht daran gearbeitet, dass der UN-Vermittler un-
terstützt wird . Wir haben jetzt einen Vertragstext für ein
Übereinkommen, das – ich will es vorsichtig formulie-
ren – die Chance zu einer Einheitsregierung eröffnet . Wir
müssen alles dafür tun, dass diese Chance ergriffen wird;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


denn nur eine Einheitsregierung in Libyen versetzt uns in
die Lage, am Ende wieder staatliche Strukturen in diesem
Land aufzubauen . Das wird natürlich nicht von heute auf
morgen gehen .

Da wir heute über die Operation EUNAVFOR MED
sprechen, die sich übrigens auf die internationalen Ge-
wässer bezieht – auch das hat der Staatssekretär hier ja zu
Recht erwähnt –, müssen wir hier natürlich auch erwäh-
nen – wir tun das im Übrigen auch; wir verschweigen das
ja nicht –, dass wir das Problem nicht allein durch eine
militärische Operation der europäischen Partner in den
Griff bekommen, sondern dass wir in Nordafrika wieder
eine Staatlichkeit brauchen .

Es geht natürlich auch um die Schleuserbekämpfung .
Herr Kollege Liebig, ich finde, man darf das, was dort
passiert, nicht relativieren . Dort werden Leute in nicht
mehr seetüchtigen Booten geradezu gestapelt . Diejeni-
gen, die oben einen Platz bekommen, haben am meisten
bezahlt, und diejenigen, die unten sitzen, haben mögli-
cherweise überhaupt keine Überlebenschance . Wir reden
hier also über keine Banalität .

Um die Chance zu nutzen, diese Kriminalität wirk-
lich nachhaltig zu bekämpfen, brauchen wir polizeiliche
Maßnahmen . Diese können wir aber erst dann gewähr-
leisten, wenn es dort wieder staatliche Strukturen gibt .
Deswegen hängt das alles miteinander zusammen . Ich
glaube, es ist der Sache und auch der Arbeit unserer Sol-
datinnen und Soldaten nicht angemessen, das so zu ver-
einfachen, wie Sie es getan haben .


(Beifall der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD])


Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Niels Annen






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812420400

Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812420500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unab-

hängig davon, wie wir zu einzelnen Einsätzen stehen, ist
es hier eine gute Tradition, dass wir denjenigen, die wir
am Ende des Tages entsenden – mit welchen Stimmen-
verhältnissen auch immer –, für ihren Einsatz danken .

Ich möchte an dieser Stelle etwas Persönliches sagen,
weil mich das sehr ergriffen hat: Vor ziemlich genau
48 Stunden war ich in Erbil, und ich habe den deutschen
Kontingentführer dort getroffen, der dort auch die Aus-
bildung des Peschmerga verantwortet hat . Wenige Stun-
den danach ist er leider Gottes verstorben . Ich glaube,
dass das für seine Familie unheimlich hart sein muss . Ich
kann mir das gar nicht vorstellen . Ich glaube, es ist wich-
tig, dass von dieser Stelle aus auch ein Zeichen des Mit-
gefühls an sie ergeht. Wir können nicht nachempfinden,
wie es der Familie und den Angehörigen geht .

Nun zur Sache: Herr Staatssekretär, das Thema
Fluchthelfer hatte bei Ihnen aus meiner Sicht einen et-
was komischen Zungenschlag . Es gibt Fluchthelferinnen
und Fluchthelfer, die eine unglaubliche Arbeit leisten,
und zwar jeweils auch in dem eigenen Land – jenseits
der Legalität . Das sind Leute – das ist jetzt angemerkt
worden –, die vor 26, 27 Jahren in diesem Land noch ein
Bundesverdienstkreuz erhalten hätten . Ich kenne solche
Leute im In- und Ausland und bin dankbar, dass sie in
unmöglichen Situationen den Menschen beim Überleben
helfen. Ich finde, auch das muss man hier sagen, auch
wenn viele der Leute, die im Mittelmeer tätig sind, nicht
unter diese Kategorie fallen .

Das ist zweifelsfrei so . Es gibt also schon einen großen
Unterschied zwischen Fluchthelfern und Schleppern . Ich
finde, dass das auch betont werden muss. Ich würde mich
wirklich freuen, wenn ein Vertreter der Bundesregierung
das irgendwann einmal an irgendeiner Stelle zum Aus-
druck bringen würde .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das vorliegende Mandat stellt eine Symptombekämp-
fung dar . Es ging hier schon ein paar Mal um Symptom-
bekämpfungen . Denen haben wir – zum Beispiel am
Beginn von Atalanta – zugestimmt . Es muss aber immer
klar sein, welcher politische Rahmen existiert, und es
muss klar sein, wie man das Problem denn eigentlich an-
gehen will .

Wenn man gegen das Geschäftsmodell der Schlepper
im Mittelmeer, unter denen – ich sage es noch einmal –
sich sehr viele Schwerkriminelle befinden, vorgehen will,
dann muss man natürlich auch legale Wege finden. Dabei
geht es zum Beispiel um das Resettlement . Man muss na-
türlich auch über eine Einwanderungsgesetzgebung bzw .
darüber nachdenken, wie man Einwanderung regulieren
kann . Natürlich muss man ebenfalls darüber nachdenken,
wie man den Nachbarstaaten helfen kann . Der Kollege
Annen hatte ja mit der Antwort, die er gerade gegeben

hat, völlig Recht . Er hat davon gesprochen, wie es in den
Lagern aussieht und dass es für die Menschen dort nicht
auszuhalten ist . Natürlich müssen wir alles daran setzen,
dass die Nachbarstaaten stabil sind und dass die humani-
täre Hilfe auch kommt .

Ich schaue mir jetzt einmal das Umfeld und das, was
Sie vorlegen, an: Das CDU-Präsidium hat beschlossen,
dass ein Einwanderungsgesetz sinnvoll ist . Es will nach
2017 darüber beraten . Das wurde komplett vertagt . Also
Fehlanzeige!

Ich komme zur Transparenz: Wir müssen doch wis-
sen, worüber wir als Parlament abstimmen . Wir müssen
doch wissen, was die Bundeswehr darf und nicht darf .
Wir müssen doch überprüfen können, ob das Refoule-
ment-Verbot wirklich eingehalten wird . Das heißt, dass
Menschen, die dort ankommen oder in internationalen
Gewässern aufgegriffen werden, auch Asylanträge stel-
len können . Das kann die Bundesregierung – auch auf
Nachfrage nicht – gar nicht nachprüfen . Mir liegt hier die
Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage meines
Kollegen Jürgen Trittin vor . Dort wird einfach nur – um
es mit meinen Worten zu sagen – festgestellt: Na ja, wir
wissen es nicht so genau .

Um das aber zu wissen, müssen wir in den Operati-
onsplan gucken können . Das war bisher bei jedem Man-
dat üblich gewesen . Der Operationsplan lag schön brav
in der Geheimschutzstelle . Man ist dorthin gegangen und
hat sich ihn angeguckt . Aus irgendeinem Grund – nach
vielen Nachfragen – weigert sich die Bundesregierung
einfach, uns den Plan zu zeigen . Das ist nicht unbedingt
ein Vertrauensvorschuss . Damit können wir hier nicht ar-
beiten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Nächste Woche!)


Herr Staatssekretär, Sie haben doch gerade gesagt,
dass die Seenotrettung natürlich weitergeht . Das ist rich-
tig so . Wir haben aber Zahlen, welche die Frau Kolle-
gin Brugger erfragt hat . In zwei Monaten wurden 6 000
Menschen gerettet . Danach gab es in der Statistik einen
Bruch . Der trat in dem Augenblick ein, als nicht mehr das
nationale Kommando, sondern das EU-Kommando galt .
Seit dem wurden in zweieinhalb Monaten 2 500 Men-
schen gerettet . Die Zahl ging also von 6 000 auf 2 500
herunter . Das zeigt eindeutig, dass da andere Dinge Prio-
rität haben . Wenn man richtig hört, geht es jetzt in erster
Linie um Aufklärung und nicht nur um Seenotrettung .
Auch das ist eine Prioritätensetzung, mit der wir einfach
nicht leben können .

Genauso steht es auch um das gesamte Krisenmanage-
mentkonzept . Wir sind jetzt bei Phase 2 i) . Die Phase 1
betraf die Seenotrettung . Wir waren – mit den Konse-
quenzen, die ich gerade beschrieben habe – dafür . Jetzt
steht Phase 2 i) an . Dabei geht es um die Bekämpfung der
Schlepper . Die Bundesregierung hat in Brüssel ja längst
den weiteren Phasen – also 2 ii) und 3 ii) – zugestimmt .
Dabei geht es um die libyschen Häfen bzw . um die Frage,
was man dort tun soll .






(A) (C)



(B) (D)


Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie in Libyen eine
Einheitsregierung haben wollen, dann sollten Sie, wie es
der Kollegen Annen gerade völlig zu Recht beschrieben
hat, vielleicht auch einmal auf die Stimmen von Libyen
hören . Die klingen nicht unbedingt so, als ob irgendeine
der beiden Regierungen davon begeistert wäre, dass jetzt
demnächst Schiffe in Häfen versenkt werden sollen, bei
denen man tagsüber aus der Luft nicht sehen kann, ob das
ein Schlepperboot oder ein Schleuserboot ist . Von daher
kann das einfach nicht funktionieren .

Man hat auch nicht das Gefühl, dass es für die Opti-
on, an Land gegen Schleuser vorzugehen, in Libyen eine
große Begeisterung gibt . Jetzt wird es spannend: Es sollte
ja im Sicherheitsrat ein Mandat dafür geben . Wenn man
sich aber anschaut, wie die afrikanischen Vertreter dort –
Angola, der Tschad und Nigeria – dazu stehen, erkennt
man: Alle drei Länder lehnen dieses Ansinnen höchst
vehement ab . Von daher muss man eigentlich sagen: Es
geht nicht nur um das Binnenverhältnis zwischen Schlep-
pern und EU, sondern es gibt im Übrigen auch noch ein
paar lokale Akteure . Deren Stimme bzw . Zustimmung
haben Sie aber nicht .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812420600

Herr Nouripour, bitte, versuchen Sie jetzt, einen Punkt

zu setzen .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812420700

Ich komme zum letzten Punkt: Wenn nicht noch ein

Wunder passiert, wenn das Mandat so bleibt, wenn Sie
uns den Operationsplan nicht vorlegen und weiterhin so
argumentieren, wie Sie es tun, kann ich meiner Fraktion
leider Gottes bei aller Ablehnung des Geschäftsmodells
der Schlepper nur empfehlen, dieses Mandat abzulehnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812420800

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Jürgen

Hardt das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1812420900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Nouripour, in der gegenwärtigen Situation gilt das
humanitäre Gebot: Wir müssen verhindern, dass Men-
schen im Mittelmeer ertrinken . Das können wir zum
einen dadurch tun, dass wir diese Menschen aus den
seeuntüchtigen Booten retten, mit denen sie von den
Schleppern fahrlässigerweise aufs Meer hinausgeschickt
werden . Das können wir zum anderen dadurch tun, dass
wir verhindern, dass Schlepper diese Menschen mit fal-
schen Versprechungen und unter Verharmlosung des Ri-
sikos in diese Boote locken und damit in Lebensgefahr
bringen .

Ich glaube, dass in diesem Einsatz, sowohl so, wie
er bisher in Stufe 1 abgelaufen ist, als auch so, wie er
jetzt geplant ist, genau diese Kombination vorgesehen
ist . Es geht darum, Menschen zu retten . Nach heutigem

Stand konnten durch Schiffe der deutschen Marine 8 030
Menschen gerettet werden . Es geht auch darum, zu ver-
hindern, dass dieser äußerst gefährliche, für viele leider
tödliche Weg beschritten wird .

Frau Brugger hat – darüber haben wir im Bundestag
nicht debattiert – zu diesem Thema mit Spiegel Online
gesprochen, was wir natürlich alle lesen werden . Ich
glaube nicht, dass der Einsatz der Stufe 2 i), wie er jetzt
von der Bundesregierung in diesem Antrag beschlossen
werden soll, dazu führen wird, dass weniger Flüchtlinge
gerettet werden .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er aber schon! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zahlen liegen vor!)


Erstens . Die Zahl der Schiffe, die unter EU-Mandat
fahren, wird sich von vier auf acht erhöhen . Zweitens .
Die Zahl der Schiffe, die auf andere Weise zur Rettung
beitragen, hat in der letzten Zeit zugenommen, sodass
möglicherweise die Notwendigkeit, dass Marineschiffe
Flüchtlinge aufnehmen müssen, nicht mehr in dem Maße
gegeben ist, wie das in der Anfangsphase der Fall war . Es
ist allerdings auch so, dass das Wetter im Herbst strenger
wird und dass es dann offensichtlich wird, wie gefährlich
eine Flucht auf dem Meer ist, und vielleicht auch deswe-
gen der eine oder andere davor zurückschreckt .

Ich möchte den Blick auf das wenden, was wir in der
EU auch noch vereinbart haben . Wir haben gesagt: Wenn
es eine libysche Regierung gibt – es liegt jetzt ein Frie-
densvertrag vor, der von den Parlamenten in Tobruk und
Tripolis abgesegnet werden muss, was vielleicht bald ge-
schehen wird –, mit der wir zusammenarbeiten können,
dann werden wir sicherlich auch darüber nachdenken,
ob wir weitergehen und die Stufe 2 ii), so ist es offiziell
formuliert, und dann gegebenenfalls die Stufe 3, also ein
konkreter Einsatz vor der libyschen Küste, umsetzen .

Das ist im Grunde das, was wir anstreben, nämlich
den Flüchtlingen ein sicheres Zuhause jenseits des Mit-
telmeers zu geben . Wir möchten ihnen zusichern können,
dass ihrem Antrag auf Schutz vor politischer Verfolgung
im Einvernehmen mit der libyschen Regierung entspro-
chen wird . So können wir vermeiden, dass diese Men-
schen nach Europa kommen müssen, um hier ihren An-
trag zu stellen .

Ich glaube, Ihre Ablehnung und Ihre Skepsis gegen-
über dem Antrag der Bundesregierung fußen ganz we-
sentlich darauf, dass Sie wissen: Wenn Sie heute zustim-
men, wird es bei einem späteren Antrag, der vielleicht
in wenigen Wochen oder Monaten vorliegen wird, noch
schwieriger, Nein zu sagen . Ich glaube, dass wir diesen
Weg konsequent weitergehen sollten, um zu vermeiden,
dass Menschen im Mittelmeer ertrinken .

Ich möchte an dieser Stelle noch ergänzen, dass wir
die Bemühungen der Bundesregierung, die Mittel der
UN-Ernährungsprogramme zur Versorgung von Flücht-
lingen deutlich aufzustocken, damit es nicht zu finanzi-
ellen Engpässen kommt, welche zu einer erneuten Flucht
und zu einer Verunsicherung der Menschen führen, mas-
siv unterstützen . Wir stellen uns aber schon die Fragen:

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


Wie konnte es so weit kommen? Wie können wir die
Strukturen der UN und ihrer Tochterorganisationen op-
timieren und verbessern?


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812421000

Kollege Hardt, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung der Kollegin Keul?


Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1812421100

Ja, gerne .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812421200

Vielen Dank, Herr Kollege . – Sie haben eben gesagt:

Wir werden in wenigen Wochen mit der Stufe 3, also mit
der Erteilung eines Mandats, vor der libyschen Küste
tätig zu werden, zu rechnen haben . Die Lage in Libyen
sieht nicht gerade rosig aus .

Sie wissen, dass Sie dafür eine völkerrechtliche Grund-
lage brauchen . Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte
dafür, dass Russland sich in diesem Zusammenhang ir-
gendwie bewegen wird und es im UNSicherheitsrat hier-
zu eine Einigung geben wird?


Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1812421300

Zunächst einmal habe ich meine Erwartung zum Aus-

druck gebracht, dass wir in dem Fall, dass es eine legi-
time libysche Regierung gibt, gemeinsam über weitere
Schritte nachdenken können und dass wir dann auch kon-
sequenterweise, weil wir in der EU einen Mehrstufen-
plan vereinbart haben, die weiteren Schritte gehen .

Man könnte sich in diesem Fall zuallererst vorstellen,
dass die libysche Regierung uns einlädt, dies zu tun . Wir
werden jetzt im Rahmen der Stufe 2 i) zwar die Schlepper,
die wir identifizieren, erkennungsdienstlich behandeln,
aber wir werden sie nicht an eine libysche Regierung zu
einer weiteren strafrechtlichen Verfolgung übergeben .
Ich glaube, dass es zunächst dazu kommen wird, dass wir
auf Einladung einer libyschen Regierung gegebenenfalls
mit ihr zusammenarbeiten und mit ihr gemeinsam das
Schlepperwesen bekämpfen und vor allem – das ist mei-
nes Erachtens noch viel wichtiger – gemeinsam zu einem
Weg kommen, wie mit den Flüchtlingen auf libyschem
Boden in humanitärer Hinsicht vernünftig umgegangen
werden kann .

Ich war bei den Programmen der Vereinten Nationen
stehen geblieben . Wir erleben jetzt, dass die Bundesre-
gierung dabei konsequent vorangeht . Sie hat auch schon
vor einigen Monaten in Berlin eine Konferenz einberu-
fen. Trotzdem finde ich es unbefriedigend, dass wir bei
den Vereinten Nationen nicht zu Strukturen kommen, die
dafür sorgen, dass wir erst gar nicht in eine solche Situ-
ation geraten. Ich finde, es muss klare Vereinbarungen
und Frühwarn- und Vorwarnmechanismen geben, die das
verhindern . Im 70 . Jahr der Vereinten Nationen sollten
die Vereinten Nationen so weit entwickelt sein, dass die
großen Hilfsprogramme nicht von der Hand in den Mund
leben müssen . In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir
uns gemeinsam dafür einsetzen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812421400

Der Kollege Dr . Fritz Felgentreu hat für die SPD-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1812421500

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Lieber Kollege

Jürgen Hardt, ich denke, es ist auch in Ihrem Sinne, wenn
ich an dieser Stelle auch im Namen des Verteidigungsaus-
schusses ganz allgemein den Männern und Frauen vom
Tender „Werra“ und von der Fregatte „Schleswig-Hol-
stein“ für ihren großartigen Einsatz im Mittelmeer und
vor allen Dingen auch für die humanitäre Wirkung dieses
Einsatzes danke, die heute bereits mehrfach angespro-
chen worden ist . Das möchte ich hiermit gerne tun .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Linke hat kritisiert, dass wir mit der Erweiterung
und dem Eintritt in die Phase 2 des Einsatzes auch ein
politisches Bekenntnis dazu ablegen, die Schleuserkri-
minalität zu bekämpfen . Ich möchte dieses politische
Bekenntnis gerne noch einmal ausdrücklich unterstrei-
chen . Die Tatsache, dass es sich bei der Bekämpfung von
Schleuserkriminalität in der Tat um Symptombekämp-
fung handelt, heißt doch nicht, dass es nicht sinnvoll ist,
diese Symptome zu bekämpfen .


(Beifall bei der SPD)


Die Schleuser im Mittelmeer nutzen mit krimineller
Intention die Notlage der Menschen aus und setzen deren
Not manipulativ ein, um selber viel Geld zu verdienen und
die Europäer zu einem humanitären Einsatz zu zwingen .
Diese Art der Herangehensweise verdient es, bekämpft
zu werden . Wenn dafür der EUNAVFOR-MED-Einsatz
ein effektives Mittel ist, dann müssen wir unbedingt zu
diesem Mittel greifen .

Das heißt nicht – ich glaube, das ist der Punkt, über
den wir eigentlich reden müssen –, dass wir die Bekämp-
fung der Fluchtursachen deswegen aufgeben . Das eine
ist die Ebene der Symptombekämpfung, um die wir uns
auch im Sinne einer europäischen Solidarität kümmern
müssen . Das andere ist die Frage, wie wir damit umge-
hen können, damit in Zukunft weniger Menschen den
Wunsch entwickeln, den gefährlichen Weg der Flucht
über das Mittelmeer zu gehen .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812421600

Kollege Felgentreu, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung des Kollegen Liebich?


Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1812421700

Selbstverständlich, gerne .

Jürgen Hardt






(A) (C)



(B) (D)



Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812421800

Herr Kollege Felgentreu, selbstverständlich hat die

Linke gar nichts dagegen, dass Kriminalität bekämpft
wird . Unser Argument war, dass die Bekämpfung, wie
Sie sie vorschlagen, aussichtslos sein wird . Denn solange
die Grenzen geschlossen sind, wird es immer Leute ge-
ben, die versuchen, illegal über die Grenzen zu kommen .
Mich würde interessieren, was Sie zu diesem Argument
sagen .

Dann habe ich noch eine Frage:

Finden Sie nicht auch, dass die Bekämpfung von Krimi-
nalität Aufgabe der Polizei und nicht der Armee ist?


Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1812421900

Sie kommen auf einen Punkt zu sprechen, auf den ich

in meiner Rede gerade eingehen wollte . Eines ist doch
vollkommen klar: Wenn wir erreichen wollen, dass die
Menschen nicht mehr den Wunsch haben, über eine ge-
fährliche Flucht nach Europa zu gehen, dann müssen wir
die Fluchtursachen bekämpfen . Die Bekämpfung der
Fluchtursachen erreichen wir nicht, indem wir die Krimi-
nellen bekämpfen, die die Not der Flüchtlinge ausnutzen .
Das ist aus meiner Sicht ein völlig klarer Zusammen-
hang . Insofern brauchen wir eine Strategie, die an allen
Punkten ansetzt .

Die Grenzsicherung in Europa ist ebenfalls eine mi-
litärische Aufgabe . Dass diese im Rahmen des EUNAV-
FOR-MED-Einsatzes auch von der Bundeswehr wahrge-
nommen wird, halte ich für eine Selbstverständlichkeit .
Bei der Bekämpfung der Fluchtursachen müssen wir
allerdings wesentlich tiefer ansetzen . Dazu gehört na-
türlich auch der Vorschlag der Grünen, legale Wege der
Einwanderung zu schaffen . Ich würde an diesem Punkt
gerne weitermachen, erspare Ihnen aber, das im Rahmen
meiner Antwort zu tun .

Herr Nouripour, Sie haben vollkommen recht – die
SPD-Fraktion hat sich bereits mehrfach in diesem Sin-
ne geäußert –, dass die legalen Wege der Einwanderung
ausgeweitet werden müssen . Das wollen wir auch tun .
Deswegen wollen wir gerne ein Einwanderungsgesetz
schaffen . In einem Punkt glaube ich allerdings nicht,
dass dies weit genug trägt . Die bloße Möglichkeit einer
legalen Einwanderung wird niemals so ausgestaltet wer-
den können, dass sie den gesamten Druck nimmt . Wenn
wir legale Wege der Einwanderung schaffen, die für die
einzelnen Menschen mit unerträglich langen Wartezeiten
verbunden ist, dann wird es trotzdem viele Menschen
geben, die den gefährlichen Weg der Flucht weitergehen
wollen . Deswegen kann das nur ein Baustein einer Stra-
tegie sein und niemals die gesamte Strategie ersetzen .

Der heute bereits mehrfach gegebene Hinweis auf
den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Libyen
ist wichtig . Hier nähern wir uns einem Punkt an, über
den wir bei der Bekämpfung der Fluchtursachen zu we-
nig diskutiert haben . Wir haben über die unerträglichen
Verhältnisse in den Lagern und die Tatsache gesprochen,
dass das Leben in Libyen unsicher geworden ist . Wenn
wir aber den Blick über Libyen hinaus richten, dann se-
hen wir, dass überall dort, wo Menschen in dem tödli-
chen Dreieck aus organisierter Kriminalität, Terror und

Korruption versuchen müssen, ein Leben aufzubauen,
eine echte Perspektive nicht entstehen kann . Es ist ge-
rade diese Perspektivlosigkeit, die anständige Menschen
in die Flucht treibt . Deswegen meine ich, dass wir als
Europäer auf ganz andere Weise als bisher – konsequen-
ter und stringenter – und mit größerer Bereitschaft die
Machtmittel, über die wir verfügen, bei der Bekämpfung
der organisierten Kriminalität und der Korruption einset-
zen müssen . Da haben Sie vollkommen recht, Herr Kol-
lege Liebich: Das wird eher die Aufgabe der Polizei, von
Interpol und Europol, sein als die der Bundeswehr . Aber
wir müssen es tun .

Wir dürfen nicht nur die Schleuser verhaften, die Boo-
te über das Mittelmeer steuern . Vielmehr müssen wir
auch die Geldströme offenlegen, die durch die Schleu-
serkriminalität generiert werden . Wir müssen das Geld,
das damit verdient wird, beschlagnahmen . Wir müssen
internationale Haftbefehle gegen die für solche Schleu-
seraktivitäten verantwortlichen Hintermänner ausstellen
können, die an vielen Stellen als scheinbare Ehrenmän-
ner ihrer Arbeit nachgehen und die wir als Ansprech-
partner nicht gebrauchen können . Das ist der eigentliche
Punkt . Die Bekämpfung von Fluchtursachen setzt an vie-
len Stellen an . Armutsbekämpfung ist eine davon .

Letzter Hinweis . Kollege Nouripour, Sie haben be-
mängelt, dass der Operationsplan bislang nicht vorliegt .
Damit haben Sie natürlich recht . Aber er soll im Laufe
dieser Woche eingehen . Es ist sicherlich eine Selbstver-
ständlichkeit, dass man in den Ausschüssen nicht ver-
nünftig über EUNAVFOR MED diskutieren kann, wenn
man keinen Zugang zum Operationsplan hat . Sie haben
auch gesagt, Sie könnten so nicht darüber abstimmen . Sie
müssen aber auch noch nicht darüber abstimmen . Heu-
te ist die erste Beratung . Seien Sie versichert: Bis zur
Abstimmung wird die Bundesregierung auch in diesem
Punkt ihre Hausaufgaben gemacht haben, sodass wir
dann eine vernünftige Beratungsgrundlage haben .

Ich danke Ihnen für Ihre Geduld .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812422000

Der Kollege Florian Hahn hat für die CDU/CSU-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1812422100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

135 000 Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten sind in
den ersten drei Wochen im September 2015 in Bayern
angekommen . Das sind mehr als im gesamten Jahr zuvor .

Das fordert von unseren Behörden, von den Beam-
ten, von der Polizei, von den vielen Ehrenamtlichen, von
Organisationen wie den freiwilligen Feuerwehren, vom
THW, von anderen Rettungsdiensten und vor allem auch
von unseren kommunalen Entscheidungsträgern, den
bayerischen Landräten, den bayerischen Bürgermeistern,
unglaubliche Kraft, Kreativität und Courage . Denn die
Menschen müssen erstversorgt und untergebracht wer-
den . Außerdem müssen sich gerade die Kommunalpoliti-






(A) (C)



(B) (D)


ker bei unzähligen Bürgerversammlungen, bei Interviews
mit den Lokalmedien und in direkten Gesprächen mit den
zunehmend besorgten Bürgern auseinandersetzen, die
sich fragen, wie das alles weitergehen soll . Ich möchte
deshalb ausdrücklich der Bundeskanzlerin danken, dass
sie für den kommenden Montag ein Gespräch mit den
bayerischen kommunalen Spitzenverbänden zugesagt
hat . Das ist ein gutes Zeichen . Das zeigt, dass wir uns in
der Bundespolitik dieser Belastung vor Ort bewusst sind .

Der Zustrom Hunderttausender Menschen nach Euro-
pa, nach Deutschland, fordert die Politik, also uns alle,
auf allen politischen Ebenen . Die CSU hat in einem Pa-
pier ihres außen- und sicherheitspolitischen Arbeitskrei-
ses am 5 . September dieses Jahres und heute mit einer
Erklärung ihrer Landtagsfraktion zu diesem Thema zahl-
reiche Lösungsideen ausgearbeitet .

Um auch in Zukunft den Menschen, die Hilfe am drin-
gendsten benötigen, zeitnah und direkt helfen zu können,
sind aus unserer Sicht folgende Punkte unerlässlich: Wir
müssen den Zustrom insgesamt eindämmen .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zustrom eindämmen – das spricht Bände!)


Wir brauchen mehr europäische Solidarität, und wir
müssen nationale Handlungsspielräume ausschöpfen
und schaffen . Übrigens, wenn wir über mehr europäische
Solidarität reden und diese erreichen wollen, dann müs-
sen wir feststellen: Diese Solidarität erreicht man nicht,
wenn wir andere Regierungschefs beschimpfen . Viel-
mehr müssen wir mit anderen Regierungschefs sprechen,
und genau das hat die CSU getan .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Tolle Solidarität!)


Wenn Sie von der Linken konsequent wären, dann
würden Sie auch Herrn Tsipras beschimpfen, der offen-
sichtlich wieder bereit ist, mit den finsteren Nationalisten
in Griechenland zu paktieren . An dieser Stelle höre ich
bei Ihnen irgendwie gar nichts .

Aber wenn es darum geht, die Dinge anzupacken,
dann geht es auch darum, Asylmissbrauch abzustellen,


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keinen Asylmissbrauch! Das ist ein Grundrecht!)


Verfahren zu beschleunigen und bleibeberechtigte
Flüchtlinge zu integrieren, auszubilden und sie mögli-
cherweise auch auf die Zeit nach dem Bürgerkrieg in ih-
rer Heimat vorzubereiten . Außerdem müssen wir, wo wir
dies können, Fluchtursachen und Schleuserkriminalität
bekämpfen . Vieles, was diese Woche entschieden wurde
bzw . noch vorbereitet und entschieden wird, geht in die
richtige Richtung und wird dem gerecht .

Das sehen wir auch bei der Mission EUNAVFOR
MED, deren Ziel es ist, die kriminellen Aktivitäten der
Menschenschleuser im Mittelmeer vor der nordafrikani-
schen Küste zu bekämpfen . Diese Mission war bislang
erfolgreich, nicht nur, weil es den Besatzungen deutscher
Schiffe gelungen ist, mehr als 800 000 Menschen von

hochseeuntauglichen Kähnen und Schlauchbooten zu
retten, sondern auch, weil es möglich war, wichtige In-
formationen über die Organisationen der Schleusernetz-
werke im Mittelmeer, über ihre Routen und über ihre
Taktiken zu sammeln .

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Sol-
datinnen und Soldaten der Marine .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich konnte mir mit Kollegen vor Ort auf der Fregatte
„Schleswig-Holstein“ einen Eindruck davon verschaf-
fen, welchen physischen und psychischen Belastungen
unsere Frauen und Männer bei einer solchen Seenotret-
tung ausgesetzt sind . 10 bis 16 Stunden dauert eine sol-
che Evakuierung . Die Soldaten stecken während dieser
Zeit bei hohen Außentemperaturen gerade im Sommer in
Ganzkörperschutzanzügen, müssen dafür sorgen, dass es
zu keinen Tumulten kommt, dass Flüchtlinge nicht ins
Wasser fallen und ertrinken und dass sie sich selbst nicht
in Gefahr bringen . Ich habe vor dieser Leistung aller-
höchsten Respekt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Jetzt ist es sinnvoll, zügig in die Phase 2 i) dieser
Operation einzutreten und die Bewegungsfreiheit der
Schleuser einzuschränken, um deren kriminellen Akti-
onen Grenzen setzen zu können. Dabei findet natürlich
weiter Seenotrettung statt; das ist doch gar keine Frage .
Aber der Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist auf mittlere
Sicht sinnvoll, wenn der Schwerpunkt tatsächlich auch
auf die Bekämpfung der Schleuseraktivitäten übergeht .
Dazu wird mit diesem neuen, erweiterten Mandat ein ent-
scheidender Schritt getan . Deswegen ist dieses Mandat
absolut sinnvoll .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812422200

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6013 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul,
Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Gesetzliche Grundlage für Angehörigenschmer-
zensgeld schaffen

Drucksache 18/5099
Überweisungsvorschlag:

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen in den
Fraktionen zügig vorzunehmen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812422300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Während der
Sommerpause haben wir erlebt, wie sich die Auseinan-
dersetzung zwischen der Lufthansa und den Opferanwäl-
ten hinsichtlich der Entschädigung der Hinterbliebenen
der Opfer des Flugzeugabsturzes verschärfte . Die Luft-
hansa hat den Angehörigen einen Betrag angeboten, in
dem unter anderem die Trauer der nächsten Angehörigen
mit 10 000 Euro bemessen wurde . Das haben nun einige
als unangemessen zurückgewiesen .

Ich will hier und heute auch nicht darüber debattie-
ren, welcher Betrag für den Verlust eines Angehörigen
angemessen ist oder nicht . Das Problem im deutschen
Recht ist ein ganz anderes . Danach steht den Angehöri-
gen nämlich gar kein eigener Schmerzensgeldanspruch
zu; es stehen ihnen also genau 0,00 Euro zu . Sie müssten
durch die Trauer erst selbst krank werden; dann würden
sie entschädigt . Bei – in Anführungszeichen – normaler
Trauer besteht kein Rechtsanspruch . Alles, was die Luft-
hansa hier angeboten hat, ist reine Kulanz .

Das gilt nicht nur in Fällen der gesetzlichen Gefähr-
dungshaftung, wie sie für eine Fluggesellschaft oder
den Halter eines Kfz gilt, sondern auch bei schuldhaf-
tem Handeln . Das heißt: Auch dann, wenn Sie jemanden
töten, egal ob vorsätzlich oder fahrlässig, brauchen Sie
keinen Cent an die Angehörigen zu zahlen . Teuer wird es
nur, wenn das Opfer mit seinen Schmerzen überlebt . Ich
will es mal etwas krasser formulieren: Sollten Sie einen
Menschen überfahren haben, setzt das deutsche Zivil-
recht den Anreiz, noch mal zurückzusetzen und die Sa-
che zu Ende zu bringen . Das sollten wir als Gesetzgeber
so nicht stehen lassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ich einen Arm oder ein Bein verliere, habe ich
erhebliche Schmerzen . Wenn ich mein Kind verliere,
habe ich auch Schmerzen . Es wird Ihnen vielleicht so
gehen wie mir: Ich würde eher einen Arm oder ein Bein
hergeben als das Leben meines Kindes . – Warum also
dieser Schmerz nicht auch beziffert werden könnte, ist
nicht ersichtlich, zumal wir damit im europäischen Ver-
gleich ziemlich isoliert sind .

Wenn sich jetzt die Kfz-Versicherer zu Wort melden
und davor warnen, die Beiträge würden erheblich stei-
gen, können wir ganz gelassen bleiben . Es geht ja nicht
darum, amerikanische Verhältnisse einzuführen . Die
Höhe des Schmerzensgeldes steht im deutschen Recht
im Ermessen der Richter, deren Entscheidungen in soge-

nannten Schmerzensgeldtabellen gesammelt werden, die
für eine gewisse Gleichbehandlung und Transparenz sor-
gen . Das Gleiche würde auch für das von uns geforderte
Angehörigenschmerzensgeld gelten . Dabei sind keine
Millionenbeträge zu erwarten . Soweit es um Verkehrsun-
fälle geht, ist die Summe der materiellen Schäden, also
der Blechschäden, ohnehin um so vieles höher als die
Schmerzensgelder, dass letztere in der Gesamtheit kaum
ins Gewicht fallen .

Was machen unsere Nachbarn? In der Schweiz beträgt
das Angehörigenschmerzensgeld bis maximal 48 000
Euro, in Frankreich bis zu 30 000 Euro, in Italien bis zu
80 000 Euro . Vielleicht entscheiden sich deutsche Ge-
richte für einen niedrigeren Betrag . Am Ende wird sich
der Betrag in die bisherige Schmerzensgeldtabelle ein-
fügen müssen .

Entscheidend ist aber, dass wir überhaupt erst mal den
Weg für diesen Anspruch frei machen . Die Nulllösung
ist keine Lösung. Sie ist eine Schieflage im deutschen
Zivilrecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ihre Beseitigung ist rechtssystematisch auch nicht allzu
schwierig . Wir müssen das BGB dazu nicht neu schrei-
ben .

Die zentrale Anspruchsnorm für das Schmerzensgeld ist
§ 253 Absatz 2 BGB, der da lautet:

Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesund-
heit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestim-
mung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen
des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine
billige Entschädigung in Geld gefordert werden .

Wenn wir nun dieser Aufzählung die Worte „dem
Tode eines nahen Angehörigen“ beifügen, sind wir schon
ein ganzes Stück weiter . Das Gleiche müssten wir dann
noch im § 823 Absatz 1 BGB machen . Damit hätten
wir für den Bereich des Verschuldens ein Angehörigen-
schmerzensgeld begründet . Für die gesetzlichen Fälle
der Gefährdungshaftung müssten wir nur jeweils die Er-
gänzungen in den entsprechenden Anspruchsgrundlagen
vornehmen .

Mit unserem Antrag wollen wir einen konstruktiven
Beitrag zu der Lösung dieses rechtspolitischen Problems
leisten . Wir hoffen, dass das Justizministerium bald einen
entsprechenden Gesetzentwurf erstellt und einbringt .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812422400

Das Wort hat der Kollege Dr . Hendrik Hoppenstedt für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU):
Rede ID: ID1812422500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich
beginne, möchte ich kurz auf einen Punkt von Ihnen
eingehen, Frau Keul . Sie haben gesagt: Wenn Sie einen
Verkehrsteilnehmer überfahren haben, macht es zivil-
rechtlich viel Sinn, wieder zurückzusetzen . – Ich will das
gar nicht auf die Schnelle beurteilen, aber ich will auf je-
den Fall sagen: Strafrechtlich haben Sie dann ein deutlich
größeres Problem .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das sage ich deswegen, weil wir hier eine ganze Menge
Zuschauer haben, die nicht auf dumme Gedanken kom-
men sollen .

Meine Damen und Herren, die Debatte um die Einfüh-
rung eines Schmerzensgeldanspruches hat, wie viele an-
dere Debatten, einen etwas bizarren Verlauf genommen .
Begonnen hat diese Debatte nämlich nicht etwa mit der
Verabredung im Koalitionsvertrag, einen Schmerzens-
geldanspruch für Angehörige ins BGB zu schreiben . Dort
heißt es – ich zitiere –:

Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Ver-
schulden eines Dritten verloren haben, räumen wir
als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids
einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein


Das hat übrigens – das darf ich an dieser Stelle in Be-
scheidenheit anmerken – unsere Fraktion in den Koaliti-
onsvertrag mit hineinverhandelt .

Nein, die Debatte begann am 24 . März dieses Jahres,
als unter tragischen Umständen ein Germanwings-Flug-
zeug in den französischen Alpen zerschellt ist . In der
Presse war dazu zu lesen:

Der Germanwings-Absturz hat die Koalition aufge-
rüttelt, die Opferentschädigung weiter zu fassen .

Oder:

Die Koalition ist wegen des Germanwings-Abstur-
zes unter Druck geraten .

Das ist aus zweierlei Gründen, meine Damen und
Herren, ziemlich falsch . Erstens haben wir uns in der
Koalition – und zwar gerade unabhängig von tragischen
Unglücksfällen – zur Einführung eines solchen Hinter-
bliebenenschmerzensgeldanspruches verabredet . Das
Unglück setzt uns also nicht unter Druck, sondern bestä-
tigt und untermauert – das tut übrigens auch der Antrag,
den Sie hier stellen – die Richtigkeit dessen, was wir in
diesem Vertrag vereinbart haben – so schmerzlich das für
den einen oder anderen sein mag .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zweitens – das möchte ich gerne auch deshalb dar-
stellen, weil Sie die Lufthansa Gruppe erwähnt haben –
leistet die Lufthansa nicht nur materiellen Schadenser-
satz für den Tod der Passagiere – zum Beispiel in Form
von Unterhaltszahlungen an die Angehörigen – und zahlt
ein Schmerzensgeld, welches Passagiere aufgrund der

letzten Minuten an Bord zugesprochen bekommen haben
und welches jetzt auf die Erben übergeht, sondern die
Lufthansa zahlt auch 10 000 Euro Schmerzensgeld für
jeden nächsten Angehörigen .

Eine solche Schmerzensgeldzahlung kommt nach der
Schockschaden-Rechtsprechung eigentlich nur dann in
Betracht, wenn der Angehörige Gesundheitsschäden er-
litten hat, für die er im Übrigen auch noch beweispflich-
tig ist . Die Lufthansa hat auf den Beweis verzichtet, was
im Ergebnis in vielen Fällen de facto der Zahlung eines
Hinterbliebenenschmerzensgeldes gleichkommt, wel-
ches gesetzlich ja noch gar nicht verankert ist .

Daher ist jedenfalls nach meinem Empfinden das Ver-
halten der Lufthansa Gruppe ein denkbar schlechter An-
lass, nach dem Gesetzgeber zu rufen – abgesehen davon,
dass die Lufthansa Gruppe ein großer Konzern ist, was ja
in Teilen unserer Gesellschaft inzwischen schon an sich
als schlecht bewertet wird .

Ein wichtiger Anlass, um über das Thema zu debattie-
ren, wären allerdings die vielen trauernden Angehörigen
der Straßenverkehrstoten, die jeden Tag aufgrund des
Verschuldens Dritter zu beklagen sind . Diese Angehöri-
gen haben eben keinen Anspruch auf Anerkennung ihres
seelischen Leids – darauf liegt im Übrigen auch kein me-
dialer Fokus .

Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Bundesministeri-
um für Justiz und Verbraucherschutz noch in diesem Jahr
einen – wie üblich – sehr anständigen Gesetzentwurf vor-
legen wird .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört! – Zurufe)


– Also, meistens sind die Gesetzentwürfe anständig;


(Heiterkeit – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Steht schon im Protokoll!)


ich will ja nicht, dass der Staatssekretär hier in Freu-
dentänze ausbricht .

Um noch einmal klarzustellen, worum es eigentlich
geht: Es geht nicht darum, wie vielfach fälschlicherwei-
se in der Diskussion behauptet wird, Leben materiell zu
bewerten, sondern es geht vielmehr darum, einen symbo-
lischen Ausgleich für den Trauerschmerz nächster Ange-
höriger zu leisten, in dem Bewusstsein, dass eine solche
Geldleistung den Verlust eines geliebten Menschen nie-
mals wird ausgleichen können .

Bei der konkreten Ausgestaltung treten wir als Uni-
on erstens dafür ein, dass dieser Anspruch nicht nur bei
Verschulden ausgelöst wird, sondern auch im Falle der
Gefährdungshaftung, weil wir den Angehörigen langwie-
rige und schwierige Beweisprozesse ersparen möchten .

Wir treten zweitens dafür ein, dass der Anspruch in
seiner Höhe in richterliches Ermessen gestellt wird und
nicht wie in vielen anderen Rechtsordnungen Europas
mit einer Fixsumme abgegolten wird, weil wir nämlich
glauben, dass die Qualität von Opfer und Angehörigem
in weiten Bereichen ganz unterschiedlich sein kann . Das
muss gerecht und vernünftig gelöst werden, deswegen
das richterliche Ermessen .






(A) (C)



(B) (D)


Drittens treten wir dafür ein, dass sich die Anspruchs-
höhe in einem maßvollen Rahmen bewegt, zum Beispiel
in dem Rahmen, in dem sich auch die Rechtsprechung
zu Schockschäden bewegt . Denn klar ist, dass kein Geld
dieser Welt einen geliebten Menschen zurückbringen
kann . Unser Gesetzesvorhaben soll zeigen, dass die
Rechtsgemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger ein
Signal des Mitgefühls an diejenigen aussendet, die durch
Fremdverschulden den Tod eines nächsten Angehörigen
zu verarbeiten haben .

Meine Damen und Herren, zum Schluss . Wir haben es
hier mit einem Antrag der Grünen zu tun, der nahezu aus-
schließlich aus dem Koalitionsvertrag abschrieben ist .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na!)


Ich begrüße, dass Sie den Koalitionsvertrag regelmäßig
lesen . Ich kann Sie nur ermuntern, das weiter zu tun . Ich
finde, dass die intellektuelle Leistung des Abschreibens
an sich ausbaufähig ist .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812422600

Kollege Hoppenstedt .


Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU):
Rede ID: ID1812422700

Ich bin sofort fertig . – Ich meine, dass das zumindest

ein Anlass und Indiz dafür sein könnte, dass wir in die-
sem Hohen Hause eine große Mehrheit für die Einfüh-
rung eines solchen Anspruches finden können.

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812422800

Der Kollege Jörn Wunderlich hat für die Fraktion Die

Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812422900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauer auf den Rängen! Mit dem vorliegenden
Antrag der Grünen wird die Bundesregierung aufgefor-
dert, einen eigenen gesetzlichen Schmerzensgeldan-
spruch für Hinterbliebene zu schaffen . Dazu sollen die
entsprechenden Paragrafen im BGB geändert werden . Im
Falle der Gefährdungshaftung – die Kollegin Keul hat es
ausgeführt – soll der gesetzliche Schadensersatzanspruch
um ein Schmerzensgeld für Hinterbliebene erweitert
werden, und im Opferentschädigungsgesetz soll ergänzt
werden, dass Hinterbliebene im Falle der Zahlungsun-
fähigkeit auch einen Anspruch gegen den Staat geltend
machen können . Es ist hier schon festgestellt worden: In
diesem Antrag wird letztlich das gefordert, was im Koa-
litionsvertrag steht und was sich die Koalition vorgenom-
men hat . Denn auch die Koalition will diesen eigenstän-
digen Schmerzensgeldanspruch beim Verlust eines nahen
Angehörigen durch Verschulden eines Dritten .

Wer nach den Ausführungen meines werten Vorred-
ners jetzt aber denkt, dass dieser Antrag hier einstimmig
angenommen wird und die Bundesregierung schnell ei-
nen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegt, dem sage
ich: Das wäre ja ein Novum . Es hieß ja schon: Es ist ein
Antrag der Grünen . – Das wäre ja das erste Mal, dass ich
hier erlebe, dass ein Antrag der Opposition zustimmend
abgeschlossen wird .


(Dr . Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)


Ich meine, ihr überlegt euch ja jetzt schon, mit welcher
Begründung ihr im Ausschuss diesen Antrag dann ab-
lehnt, anstatt mal das Problem anzugehen .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Nein! Das wissen wir jetzt schon! – Beifall bei der LINKEN)


Die Standardbegründung ist dann immer: Wir brau-
chen eure Anträge nicht, wir lösen das selber . – Aber ihr
macht es ja nicht . Im Koalitionsvertrag steht: Wir wollen
das . – Zwischen Wollen und Tun klafft in dieser Koaliti-
on eine Kluft, die kein Mensch überspringen kann .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Problem ist erkannt, und es bleibt dabei: Es muss
behoben werden . Wir wissen, wie die jetzige Rechtspre-
chung ist: sehr restriktiv . Es ist ja schon gesagt worden:
Anspruch für Hinterbliebene gibt es nur bei einer trau-
matischen Schädigung der psychischen oder physischen
Gesundheit, die medizinisch fassbar ist und deshalb
Krankheitswert besitzt und über das normale Maß einer
seelischen Erschütterung hinausgeht . Dieser Anspruch
ist also ganz eng gefasst . Das ist es ja, was wir beheben
wollen – alle miteinander hier im Hause .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Genau!)


Aber ihr macht es eben nicht . Denn, Kollege Fechner,
im Juli, nach dem schweren und schlimmen Unfall in den
Alpen, haben Sie selber noch gesagt: Das wollen wir ma-
chen .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Natürlich! – Dr . Matthias Bartke [SPD]: Alles zu seiner Zeit!)


Das ist auch schon zwei Monate her . Und was ist seither
passiert? Nichts .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Sommerpause!)


Es heißt jetzt wieder: „Ja, wir machen“ und „bis zum
Jahresende“ . Das glaube ich wohl . Dann könnt ihr doch
sagen: „Gut, wir stimmen dem Antrag zu“, und die Re-
gierung legt das entsprechende Gesetz vor, das ja hier
schon angekündigt wurde, das ich aber noch nicht sehe .

Deshalb ist es gut, dass die Grünen mit ihrem Antrag die
Koalition noch einmal auffordern, ihrer eigenen Agenda
endlich gerecht zu werden und den Schmerzensgeldan-
spruch endlich gesetzlich zu normieren .


(Beifall der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dr. Hendrik Hoppenstedt






(A) (C)



(B) (D)


Mir ist auch klar – das ist bereits gesagt worden –, dass
Geld diese Verluste nicht ersetzen kann .

Auf eines muss ich noch hinweisen: Wie Sie alle
wissen, gibt es im SGB II, im SGB XII und im Asyl-
bewerberleistungsgesetz Regelungen, nach denen ein
Anspruch auf Leistungen nur besteht, wenn nicht ausrei-
chend Einnahmen oder Vermögen zur Verfügung stehen .
Bei all diesen Transferleistungen gilt das sogenannte
Zuflussprinzip. Wir müssen also bei der Erarbeitung des
Gesetzentwurfes – ich spreche hier den Staatssekretär an,
der mitten in der Arbeit ist, wie es heißt –


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – Christian Lange, Parl . Staatssekretär: So schlimm ist es auch wieder nicht!)


klarstellen, dass das Schmerzensgeld wegen eines Scha-
dens, der kein Vermögensschaden nach § 253 Absatz 2
BGB ist, nicht als Einkommen berücksichtigt wird . Wir
müssen darauf achten, dass der gesetzliche Anspruch auf
Schmerzensgeld für Hinterbliebene entweder im § 253
Absatz 2 BGB geregelt wird oder in den entsprechenden
Transfergesetzen, damit es nachher nicht heißt: Du bist
zwar ein Angehöriger und hast seelisches Leid, und wir
versuchen, eine wie immer geartete Geldsumme an dich
auszukehren, um dieses Leid ein wenig zu lindern . Aber
es tut uns furchtbar leid, du bist arm und deshalb wird
dieses Geld verrechnet . – Auch arme Menschen leiden
und sollen eine entsprechende Entschädigung bekom-
men . Darauf müssen wir dringend achten .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812423000

Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Dr . Johannes

Fechner das Wort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1812423100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Auch die SPD-Frak-
tion wollte in den Koalitionsverhandlungen diese Rege-
lungen . In meiner früheren Tätigkeit als Rechtsanwalt
hatte ich den Fall, dass bei einem Verkehrsunfall eine
Familie die Katastrophe erlebt hat, dass ein einjähriges
Kind zu Tode kam . Für eine Familie kann man sich nichts
Schlimmeres vorstellen . Auch wenn wir den Verlust ei-
nes Kindes nie durch eine Geldzahlung aufwiegen kön-
nen, so ist es eine wertvolle Hilfe in solchen schwierigen
Zeiten, der Familie finanzielle Unterstützung zu gewäh-
ren . Deshalb brauchen wir den Lückenschluss; wir brau-
chen diese Regelung im BGB .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Die Hürden – das ist schon gesagt worden – sind zu
hoch . Nach der Rechtsprechung kann nur derjenige einen
Anspruch auf Schmerzensgeld geltend machen, der den
Nachweis erbringt, dass er eine über das normale Maß
der Trauer hinausgehende psychische Beeinträchtigung

hat . An diesen Formulierungen merkt man schon, dass
es sehr schwierig ist, den Nachweis zu erbringen . Des-
wegen brauchen wir im Sinne der Rechtsklarheit diese
Regelung .

Wir sind dabei in unseren Beratungen schon recht
weit . Wir wollen über die bloße Verschuldenshaftung
hinaus auch die Gefährdungshaftung in den Anspruch
einbeziehen, etwa bei Verkehrsunfällen . Es ist eine wich-
tige Regelung . Wir sind uns darüber hinaus einig, dass
wir die Frage, ob wir beim Opferentschädigungsgesetz
etwas machen, zunächst zurückstellen . Wir wollen also
mit der BGB-Regelung beginnen . Kollege Bartke wird
dazu noch Ausführungen machen . Für uns ist auch klar,
dass der Anspruch für die Hinterbliebenen nur greifen
soll, wenn die nahestehende Person verstirbt . Bei schwe-
ren Verletzungen wollen wir diesen Anspruch nicht zu-
billigen .

Einigen müssen wir uns noch in der Frage, ob wir den
Vorschlag aufgreifen, einen Mindestbetrag in das Gesetz
zu schreiben, wie es ihn in anderen Ländern gibt . Ich per-
sönlich würde dies nicht tun . Ich glaube, es wäre sys-
temfremd und zu weit gegriffen, wenn wir uns als Par-
lamentarier anmaßen würden, den Wert eines Menschen
zu beziffern und eine konkrete Summe in die BGB-Norm
zu schreiben . Aber ich kann mir sehr wohl vorstellen,
dass wir als eine Art Richtschnur für die Rechtsprechung
in der Gesetzesbegründung einen Korridor benennen .
20 000 Euro könnte ich mir als Mindestbetrag durchaus
vorstellen . Es soll kein Almosen, sondern den Menschen
in einer solchen schwierigen Situation eine Hilfe sein . In
vielen anderen Ländern gibt es das, etwa in Belgien oder
in Finnland . Deswegen meine ich: Auch in Deutschland
sollte dies möglich sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich teile die Bedenken der Versicherungswirtschaft,
dass in der Folge Unsummen an Schadensersatz- und
Schmerzensgeldbeträgen auszubezahlen sein werden
und dann die Beiträge explodieren werden, ausdrück-
lich nicht . Wir beschränken den Anspruch, wie gesagt,
auf Todesfälle . Wenn man sich die Rechtsprechung bei
Schockschäden anschaut, dann weiß man: Schon heute
sind keine Millionenbeträge, sondern deutlich niedrigere
Beträge zu zahlen .

Im Übrigen meine ich, dass die Feststellung, wie hoch
das Schmerzensgeld sein sollte, beim jeweiligen Einzel-
richter gut aufgehoben ist . Auch das ist ein Grund, war-
um wir keine Summe ins Gesetz schreiben sollten .

Sie sehen also: Wir sind in unseren Beratungen schon
weit . Ich hoffe, dass wir noch in diesem Jahr den Ge-
setzesentwurf vorlegen können . Dass dies notwendig ist,
hat auch das Gefeilsche nach der Germanwings-Katast-
rophe gezeigt . Ich fand es unwürdig . Ich glaube, wenn
wir schon heute eine klare gesetzliche Regelung hätten,
würden diese Diskussionen anders verlaufen . Man kann
einem Hinterbliebenen, der sein Kind oder einen nahen

Jörn Wunderlich






(A) (C)



(B) (D)


Angehörigen verloren hat, nicht zumuten, in dieser Trau-
ersituation auch noch um Gelder zu feilschen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie sehen: Wir sind schon recht weit . Deswegen müs-
sen wir im Ausschuss nicht lange überlegen, mit welcher
Begründung wir den Antrag dort ablehnen werden . Es ist
schlicht nicht notwendig, dass der Bundestag die Bun-
desregierung zum Handeln auffordert, weil wir das jetzt
schon tun . Im Übrigen erheben Sie im Zusammenhang
mit dem Opferentschädigungsgesetz eine Forderung, die
wir so nicht unterstützen .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die steht doch gar nicht drin im Antrag! – Gegenruf des Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD]: Natürlich!)


– Doch, Frau Keul: unter Ziffer 3 auf der zweiten Seite .
Ich zeige Ihnen gern Ihren Antrag .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812423200

Das müssen Sie jetzt bitte auf die Ausschussberatun-

gen verschieben .


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1812423300

Das verschieben wir . Gestatten Sie mir bitte einen letz-

ten Satz. – Ich finde es sehr wohltuend, dass wir uns hier
im Sinne der Hinterbliebenen, für die diese Regelung so
wichtig ist, wohl parteiübergreifend auf einen Vorschlag
einigen und zu einer einvernehmlichen Lösung kommen
werden .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812423400

Die Kollegin Dr . Silke Launert hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Silke Launert (CSU):
Rede ID: ID1812423500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach
Massenunglücken stellt sich immer wieder die Frage –
es wurde mehrfach angesprochen – nach Schadensersatz
und Schmerzensgeld . Wir kennen es vom Zugunglück in
Eschede, vom Seilbahnunglück in Kaprun und jetzt, wie
schon mehrfach angesprochen, vom Absturz der Ger-
manwings-Maschine in den französischen Alpen . Ganz
häufig – mein Kollege Hoppenstedt hat es zu Recht schon
erwähnt – kommt die Frage in der Praxis nach tödlichen
Verkehrsunfällen auf .

Damit geht immer konkret die Frage nach einem
Schmerzensgeld für die Angehörigen der Opfer einher .
Bislang ist im BGB vorgesehen, dass die nahen Ange-
hörigen grundsätzlich nur einen Anspruch auf Ersatz der
materiellen Schäden haben, aber nur ausnahmsweise auf
Ersatz der immateriellen Schäden, wobei eine Gesund-

heitsverletzung die Voraussetzung dafür ist . Das heißt,
in diesen Fällen, bei sogenannten Schockschäden, ist
es erforderlich, dass eine Gesundheitsbeeinträchtigung
vorliegt, die deutlich über das hinausgeht, was Naheste-
hende als mittelbar Betroffene in derartigen Fällen er-
fahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden . Da sieht
man: Das aktuelle Recht ist sehr eng, die Anforderungen
sind sehr streng, die Rechtsprechung ist sehr restriktiv .
Das wird von den Angehörigen der Opfer oft als nicht
nachvollziehbar empfunden .

Der heutige Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen fordert jetzt die Bundesregierung auf, dieses Defi-
zit zu beseitigen und einen Schmerzensgeldanspruch für
Angehörige einzuführen . Ich freue mich über den An-
trag; denn er zeigt, dass wir uns zumindest bei diesem
hochsensiblen Thema offensichtlich einig sind und in die
gleiche Richtung gehen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja dem Antrag zustimmen!)


Ich möchte daran erinnern, dass die CSU schon 2012
auf ihrem Parteitag einen entsprechenden Entschluss ge-
fasst hat, dass wir eine entsprechende Forderung in den
Koalitionsvertrag aufgenommen haben, dass sich unser
bayerischer Justizminister, Herr Bausback, dafür stark-
gemacht hat und übrigens schon im Januar dieses Jah-
res einen sehr ausdifferenzierten Vorschlag vorgelegt hat
und dass die Vorlage des Entwurfs des Bundesjustizmi-
nisteriums bevorsteht; im August hat man sich schon auf
Eckpunkte geeinigt . Ich verstehe also nicht, wieso man
sagen kann: Da ist nichts passiert . Deshalb brauchen wir
jetzt den Antrag der Grünen, um Druck auf die Bundes-
regierung zu machen . – Seit Januar liegt ein ausdifferen-
zierter Vorschlag des bayerischen Justizministeriums vor .
Sehr gut!


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind hier nicht in Bayern! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist hier der Bundestag und nicht der Landtag Bayern!)


Ich hoffe, das Bundesjustizministerium orientiert sich
daran; Eckpunkte sind ja auch schon beschlossen . Der
Antrag der Grünen ist für mich ein Schaufensterantrag .


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch besser, Frau Kollegin!)


– Ganz genau: Wir machen es besser . Wir, Bayern, die
CSU, haben etwas vorgelegt . Der Punkt ist doch: Was
steht in Ihrem Antrag drin? Fast nichts!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Also, wenn ich einen Vorschlag mache, dann schreibe ich
auch etwas Konkretes rein .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum reden wir dann darüber?)


– Weil fast nichts in Ihrem Antrag steht . Sonst könnten
wir uns über Details unterhalten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt reden wir nur darüber, ob der Antrag Sinn macht
oder nicht .


(Zuruf der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Es steht nicht drin, wie Sie sich die Gefährdungshaftung
konkret vorstellen . Sie bringen keine eigenen Ideen ein .
Es steht nicht drin, welche Vorstellung Sie in Bezug auf
die Höhe des Schmerzensgeldes haben oder in welchem
Rahmen sich ein Anspruch bewegen soll . Das hätte ich
mir gewünscht .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja einen Änderungsantrag stellen! Den nehmen wir sogar an! – Heiterkeit der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


– Glauben Sie mir, es wird nicht mehr lange dauern, dann
legen wir einen ganz konkreten Antrag vor und nicht nur
Blabla .


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen auch nur Blabla und nix Konkretes!)


– Doch! Hören Sie zu!


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU], an den Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Kommen Sie einmal in den Rechtsausschuss und diskutieren Sie mit!)


– Ja, genau .

Ich möchte, dass wir uns hinsichtlich der Bezifferung
an der ausdifferenzierten Rechtsprechung, die wir in
Deutschland haben, orientieren . Ich möchte nicht, dass
wir in den Sog großer Summen geraten, wie man sie aus
den USA kennt . Das würde zum einen dem Ansinnen des
Anspruchs und zum anderen dem System des bestehen-
den Schadensersatzrechtes, das wir in Deutschland ha-
ben, nicht gerecht . Wir haben eben kein Strafschadens-
ersatzrecht .

Wichtig ist, dass wir dabei nicht aus den Augen ver-
lieren, warum wir diesen Anspruch einführen wollen . Es
geht um das Schutzbedürfnis, aber auch um den Wer-
tungswiderspruch, der heute schon mehrfach angespro-
chen wurde . Schon im Koalitionsvertrag steht: Es geht
uns darum, ein Zeichen der Anerkennung des seelischen
Leids zu setzen . Es geht uns nicht darum, den Eindruck
zu erwecken, dass wir den Verlust eines Menschen auf-
wiegen oder finanziell ausgleichen wollen. Mehr als die-
ses Stückchen Anerkennung kann es nicht sein .

Abschließend möchte ich noch sagen: Sicher wird das
Schmerzensgeld für Angehörige niemals Trost bieten,
und gewiss wird es nicht gutmachen, was nicht gutzu-
machen ist, so wie es das Schadensersatzrecht eigentlich
vorsieht . Doch ist es für die Angehörigen ein Zeichen in
schweren Zeiten . Ich freue mich darauf, dass uns bald der
ausdifferenzierte, hoffentlich am bayerischen Entwurf


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Gibt es den auch schon in der übersetzten Fassung?)


orientierte Entwurf des Bundesjustizministeriums vorlie-
gen wird . Dann können wir richtig im Detail verhandeln .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812423600

Das Wort hat der Kollege Dr . Matthias Bartke für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1812423700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-

ren! Auch wenn es zuweilen nicht den Anschein hatte:
Wir reden hier über eine Situation, die wir alle niemals
erleben möchten . Wir alle hoffen inständig, niemals als
Hinterbliebene Schmerzensgeld fordern zu müssen . Wir
haben eben schon verschiedene Beispiele für eine solche
furchtbare Situation gehört . Die vielen Einzelschicksa-
le bleiben oft unbemerkt . Allerdings ist der Absturz des
Germanwings-Flugzeugs im März dieses Jahres in unser
aller Bewusstsein gedrungen: Von einem Tag zum ande-
ren können wir durch ein Verbrechen unser Kind oder
unseren Ehepartner verlieren .

In vielen europäischen Ländern wird in solchen Fäl-
len Angehörigenschmerzensgeld gezahlt – das ist schon
gesagt worden –, in Deutschland ist das bisher nicht der
Fall . Nur wenn Hinterbliebene eine schwere seelische
Erschütterung über das „normale“ Maß an Trauer hinaus
nachweisen können, steht ihnen ein Schadensersatz zu .

Es bleibt aber noch eine andere Möglichkeit: Der
Schmerzensgeldanspruch des Getöteten kann vererbt
werden; das hat Frau Keul eben ausgeführt . Das geht
aber nur, wenn er nicht gleich tot war . Das führt zu Versi-
cherungsschreiben der folgenden makaberen Art:

Aufgrund des erlittenen Genickbruchs ist nicht da-
von auszugehen, dass der Verstorbene noch gewis-
se Zeit gelebt hat . Ein Schmerzensgeld kann daher
nicht gewährt werden .

Im Zweifelsfall steht damit der Schädiger im Falle der
Tötung besser da, als wenn das Opfer mit Beeinträchti-
gungen überlebt . Das, meine Damen und Herren, kann
nicht richtig sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Beerdigungskosten und entgangener Unterhalt der
Hinterbliebenen werden bisher abgedeckt, Trauer und
Leid werden es nicht . Diese Lücke wollen wir schließen .
Darauf haben wir uns bereits im Koalitionsvertrag geei-
nigt . Aktuelle Beispiele machen den Bedarf nur deutli-
cher .

Wir werden den Hinterbliebenen nun einen eigenen
Schmerzensgeldanspruch einräumen . Dabei ist eines
ganz klar: Trauer ist unermesslich und kann nie mit Geld
aufgewogen werden .

Meine Damen und Herren, wir haben bereits erste
Vorstellungen von dem Hinterbliebenenanspruch . Dazu
gehört, dass der Anspruch nur im Falle des Todes eines

Dr. Silke Launert






(A) (C)



(B) (D)


nahestehenden Menschen gewährt wird . Der Anspruch
soll außerdem nicht nur bei Verschulden, sondern auch in
den Fällen der Gefährdungshaftung bestehen .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das freut mich sehr!)


Liebe Frau Keul, Sie merken, mit Ihrem Antrag schlagen
Sie mit diesen beiden Punkten also genau unsere Rich-
tung ein . Das freut mich sehr .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr konkret auch!)


Ihre Forderung zum Opferentschädigungsgesetz se-
hen wir allerdings sehr kritisch . Im OEG gibt es derzeit
weder Schadenersatz noch Schmerzensgeld . Es soll viel-
mehr Schädigungsfolgen ausgleichen . Ein Angehörigen-
schmerzensgeld widerspricht diesem Zweck deutlich .
In Ihrem Antrag steht auch etwas zum OEG . Wenn Sie
Ihren Antrag noch einmal lesen, werden Sie das auch
nachvollziehen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie wollen mit dem Angehörigenschmerzensgeld eine
Leistung in das Opferentschädigungsgesetz einführen,
die nicht einmal die Geschädigten selbst durch das Ge-
setz erhalten . Ich halte das aus Gleichheitsaspekten für
völlig unvertretbar .

Meine Damen und Herren, wir werden das Recht
der sozialen Entschädigung neu ordnen . Ich würde es
aber für falsch halten, wenn wir dabei ein Angehörigen-
schmerzensgeld in dieses Gesetz einfügten . Ich bin mir
aber sicher, dass eine zivilrechtliche Lösung, wie sie sich
derzeit in Vorbereitung befindet, eine bedeutende positi-
ve Änderung für Hinterbliebene einleitet .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812423800

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5099 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Umsetzung der Protokoller-
klärung zum Gesetz zur Anpassung der Ab-
gabenordnung an den Zollkodex der Union
und zur Änderung weiterer steuerlicher
Vorschriften

Drucksache 18/4902

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/6094


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/6095

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Olav Gutting für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1812423900

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Was

passiert, wenn man zu sperrige Gesetzestitel wählt, das
sehen wir hier an der Medienwand, nämlich „Anpassung
der Abgabenordnung an den EU-Zollkodex“ . Das haben
wir jedoch bereits 2014 beschlossen . Hier geht es um et-
was anderes, nämlich um die Umsetzung der Protokol-
lerklärung dazu .

Ich freue mich, dass wir eigentlich nicht darüber de-
battieren, sondern heute abschließend über das Steuerän-
derungsgesetz 2015 beraten, aber nicht über das Gesetz
zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur
Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der
Union und zur Änderung weiterer steuerlichen Vorschrif-
ten .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bereits in der ersten Lesung habe ich gefordert, dass
wir dringend an der Namensgebung dieses Gesetzes eine
Änderung vornehmen müssen . Auch wenn sich das ur-
sprüngliche Wortungetüm in der Praxis der beratenden
Berufe über die Dauer der Beratungen etwas verfestigt
hat, so muss man doch sagen: Wir machen Gesetze auch
und gerade für die Bürgerinnen und Bürger und auch für
die Bundestagsverwaltung . Diese müssen ja nicht gleich
kollabieren oder in Schockstarre verfallen, wenn sie die-
sen Gesetzestitel lesen .

Inhaltlich ist das Gesetz natürlich auch gelungen, auch
wenn es sich in weiten Passagen quasi um eine Auftrags-
gesetzgebung nach den Wünschen des Bundesrates han-
delt .

Mit dem Wegfall des Funktionsbenennungserforder-
nisses bei § 7 g des Einkommensteuergesetzes vermeiden
wir Anwendungsunsicherheiten bei Unternehmen . Dies
ist im Übrigen auch ein Beitrag zur Entbürokratisierung .
Denn bisher ist für die Inanspruchnahme des Investiti-
onsabzugsbetrages die Funktion des anzuschaffenden
oder herzustellenden begünstigenden Wirtschaftsgutes
bis zu drei Jahre im Voraus zu benennen .

Mit dem Steueränderungsgesetz 2015 hätten wir ger-
ne auch die Problematik der überschießenden Wirkung
bei der Wegzugsbesteuerung nach § 50 i des Einkom-
mensteuergesetzes endgültig korrigiert . Diese äußerst
komplexe Vorschrift ist ein Dauerbrenner bei unseren
Beratungen und wird von vielen Verbänden fundiert und
völlig zu Recht kritisiert . Auch die eigens geschaffene
Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat festgestellt, dass diese
Norm in der aktuellen Fassung überschießende Wirkung

Dr. Matthias Bartke






(A) (C)



(B) (D)


erzeugt, die wir mit dem ursprünglichen Ziel der Rege-
lung so nicht verfolgen wollten .

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass wir es bis
zum Abschluss der Beratungen zu diesem Gesetz nicht
geschafft haben, eine rechtssichere, europarechtssichere,
praktikable gesetzliche oder auch untergesetzliche Rege-
lung zu erarbeiten . Wir werden aber an diesem Thema
dranbleiben und eine Lösung suchen und sicherlich auch
finden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Änderungen im Umwandlungssteuerrecht waren
im Koalitionsvertrag so vereinbart . Ob es hier überhaupt
eine systemwidrige Lücke gibt oder gab, die es zu schlie-
ßen gilt, darüber gehen die Meinungen durchaus ausein-
ander . Uns war es wichtig, dass wir bei der neuen Rege-
lung wenigstens eine Mittelstandskomponente einbauen .
Dies ist mit der Anhebung der Grenze auf 500 000 Euro
zumindest in Teilen gelungen . Wirtschaftlich sinnvolle
Umstrukturierungen im Mittelstand wollen wir nicht ver-
hindern . Wir wollen auch nicht an die Eigenkapitalbasis
dieser Unternehmen herangehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bezüglich des zweimaligen Anfalls der Grunderwerb-
steuer bei der Abwicklung von offenen Immobilienfonds
haben wir uns darauf geeinigt, diese Fehlstellung im Ge-
setz zu beseitigen .


(Beifall des Abg . Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU])


Spätestens im anstehenden Gesetzgebungsverfahren zur
Modernisierung des Besteuerungsverfahrens werden wir
hier die Situation für unsere Verbraucherinnen und Ver-
braucher entscheidend verbessern .

Die Umsatzsteuer bei der interkommunalen Zusam-
menarbeit wird mit diesem Gesetz ebenfalls rechtssi-
cher gestaltet . Die durch die Rechtsprechung des Bun-
desfinanzhofs bestehende Unsicherheit wird durch die
Schaffung eines neuen § 2 b des Umsatzsteuergesetzes
beseitigt . Um es kurz zu sagen: Die Kommunen dürfen
Leistungen umsatzsteuerfrei nur dort erbringen, wo sie
dadurch nicht unternehmerisch tätig werden . Das ist uns
wichtig; denn wir wollen auch die berechtigten Interessen
von kleinen und mittelständischen Unternehmen wahren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir hatten das Ziel, die Beratungen zu diesem Steu-
eränderungsgesetz – man kann auch sagen, das war eine
Art Jahressteuergesetz – rechtzeitig vor Ende dieses
Jahres abzuschließen, sogar mehrere Monate vor Ende
dieses Jahres . Dieses Ziel haben wir erreicht . Warum ist
das wichtig? Weil wir den steuerberatenden Berufen und
denjenigen, die diese Gesetze anwenden müssen, auch
in der Verwaltung, genügend Zeit geben wollen, um sich
darauf vorzubereiten . Die meisten der Regelungen treten
ja zum 1 . Januar 2016 in Kraft .

Dies ist uns gelungen . Deswegen möchte ich mich an
dieser Stelle bei den Kolleginnen und Kollegen Bericht-

erstattern bedanken . Ich darf Sie alle ermuntern, diesem
Gesetz heute zuzustimmen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Lothar Binding mit dem 50 i war ein bisschen kritisch! Aber sonst war die Rede gut! – Heiterkeit bei der CDU/CSU!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812424000

Jetzt hat der Kollege Richard Pitterle für die Fraktion

Die Linke das Wort .


Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812424100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Lieber Herr Gutting, ich befürchte,
dass das Beste an dem heute vorliegenden Gesetzentwurf
tatsächlich die vorgeschlagene Namensänderung ist .
Statt „Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung zum
Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zoll-
kodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher
Vorschriften“


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das war jetzt eine Minute Redezeit!)


soll es jetzt schlicht „Steueränderungsgesetz 2015“ hei-
ßen .


(Lothar Binding ke kann auch loben! Das ist schon mal was!)


Aber auch als „Steueränderungsgesetz 2015“ wird es den
Erwartungen, zum Beispiel hinsichtlich der Bekämpfung
von Steuerumgehung, nicht gerecht . Ich will mich ange-
sichts der mir zustehenden vier Minuten Redezeit auf ein
paar Punkte beschränken .

Erstens . Die Bundesregierung unternimmt nichts, um
die Steuerumgehung durch hybride Gestaltungen zu ver-
hindern . Bei hybriden Gestaltungen nutzen grenzüber-
schreitend tätige Unternehmen eine Rechtsform, die in
zwei Staaten steuerrechtlich unterschiedlich behandelt
wird . Auf diese Weise können sie eine doppelte Nicht-
besteuerung erreichen und sich so vor dem Steuerzahlen
drücken, auf Kosten aller anderen Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler .

Die OECD hat konkrete Vorschläge gemacht, welche
Maßnahmen hiergegen getroffen werden müssten . Sogar
der Bundesrat hat Sie, meine Damen und Herren von der
Bundesregierung, aufgefordert, zu handeln:

Ein weiteres Abwarten mit der Folge weiterer Steu-
ermindereinnahmen für die öffentlichen Haushalte
ist nicht hinnehmbar .

Doch anstatt mit diesem Gesetz endlich konkrete
Maßnahmen umzusetzen, gründen Sie stattdessen nach
dem Motto „Wenn ich nicht weiter weiß, gründe ich ei-
nen Arbeitskreis“ eine Bund-Länder-Gruppe, die irgend-
wann einmal ein Zwischenergebnis liefert, wenn wir bis
dahin nicht alle gestorben sind .

Zweiter Punkt: der Investitionsabzugsbetrag bei der
Einkommensteuer . Bisher konnten kleine und mittlere
Unternehmen ihre Anschaffungskosten für bestimmte

Olav Gutting






(A) (C)



(B) (D)


Wirtschaftsgüter wie zum Beispiel eine neue Maschine
oder einen Firmenwagen steuerlich sozusagen im Vo-
raus absetzen, um für die Investition genügend Mittel
ansparen zu können . Sie mussten jedoch, vereinfacht
ausgedrückt, klipp und klar sagen, was mit dem Geld
angeschafft werden soll . Diese Bedingung haben Sie
jetzt gestrichen, sodass die vorverlagerte Abschreibung
von Investitionen in Höhe von 200 000 Euro jetzt quasi
voraussetzungslos gewährt wird . Das öffnet einem Miss-
brauch des Investitionsabzugsbetrags Tür und Tor . Des-
wegen lehnen wir das ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Letzter Punkt: die Schließung von Lücken im Um-
wandlungssteuergesetz . Beim VW-Porsche-Deal Mit-
te 2012 wurden bestimmte Regelungslücken so ausge-
nutzt, dass dem Fiskus geschätzte 1,5 Milliarden Euro an
Steuereinnahmen entgangen sind . Es ist schon peinlich,
dass die Bundesregierung drei Jahre gebraucht hat, um
darauf zu reagieren . Noch schlimmer ist, dass Sie hier
nur halbherzige Regelungen vorlegen, die immer noch
Steuerschlupflöcher lassen. Das ist für uns nicht hin-
nehmbar .


(Beifall bei der LINKEN)


Ihre in der ersten Lesung zu diesem Gesetz noch voll-
mundig angekündigte Schließung von Regelungslücken
war offensichtlich wieder einmal nur heiße Luft .

Nach alldem kann die Linke diesem Gesetzentwurf
nicht zustimmen . Da aber an anderer Stelle im Gesetz
zumindest ein paar gute Ansätze, zum Beispiel bei der
notwendigen Anpassung der Grunderwerbsteuer an das
kürzlich ergangene Urteil des Bundesverfassungsge-
richts, vorhanden sind, werden wir den Gesetzentwurf
auch nicht ablehnen, sondern uns der Stimme enthalten .
Man muss ja schließlich schon froh sein, wenn Sie hier
ausnahmsweise einmal nicht kompletten Murks präsen-
tieren .


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)


Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding geht es auch positiv!)


(Heidelberg) [SPD]: Wenn er sich anstrengt,



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812424200

Der Kollege Dr . Jens Zimmermann hat für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Jens Zimmermann (SPD):
Rede ID: ID1812424300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sage

einmal so: Wenn sich die Opposition enthält, ist das ei-
gentlich ein Prädikat für dieses Gesetz und zeigt, dass wir
hier offensichtlich ein gutes Ergebnis abgeliefert haben .
Ob „Murks“ parlamentarisch ist, weiß ich nicht, aber, ich
glaube, insgesamt haben wir bei diesem Gesetz gute Ar-
beit gemacht . Es ist immer eine große Herausforderung
für alle Beteiligten, für die Mitarbeiterinnen und Mitar-

beiter, für die Parlamentarier und für das Ministerium .
Es sind viele Runden, die wir da drehen . Aber jetzt sind
wir zu einem guten Ergebnis gekommen . Es ist schon er-
wähnt worden: Wir setzen eine Protokollerklärung um,
die wir dem Bundesrat bei der Umsetzung des Zollko-
dex-Anpassungsgesetzes gegeben haben . Ich glaube, es
ist sehr wichtig, dass wir Zusagen, die wir treffen, am
Ende einhalten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Auch wenn die Bundesratsbank nicht so voll ist, wie
man es sich vielleicht wünschen könnte, wenn wir hier
Dinge umsetzen, die der Bundesrat so vehement gefor-
dert hat,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


ist es doch wichtig, dass wir an dieser Stelle arbeitsfähig
bleiben . Natürlich haben wir wieder Klassiker dabei, bei
denen es um redaktionelle Änderungen geht . Aber wir
haben eben auch eine ganze Menge Themen, bei denen
wir auf Rechtsprechung eingehen . Es ist wichtig, dass
wir unsere Steuergesetzgebung in regelmäßigen Abstän-
den entsprechend anpassen .

Ich will auf zwei Punkte eingehen, weil sie für uns als
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten von großer
inhaltlicher Bedeutung sind .

Das eine ist die Änderung von § 20 des Umwand-
lungssteuergesetzes . Der Begriff „VW-Porsche-Deal“
hat ja in den heutigen Tagen fast schon ein schwieriges
Geschmäckle, aber auch damals hat man gedacht – vie-
le sagen das noch heute –, dass diese Fusion ein Ge-
schmäckle hatte, weil dort keine Steuern angefallen sind .
Es ist sehr aufschlussreich, die einschlägigen juristischen
Internetforen zu konsultieren . Dort werden schon heute
Tipps gegeben, wie man auf unser Gesetz, das wir gleich
verabschieden wollen, zu reagieren hat, welche Bera-
tungsansätze es gibt . Das ist für mich Zeichen genug,
dass wir hier etwas Richtiges machen, dass wir eine Lü-
cke schließen . Wir wollen die Möglichkeiten des Mittel-
standes, sich zusammenzuschließen, nicht beschränken,
aber wir wollen hier ein ganz legales Steuerschlupfloch
schließen, und das ist gut so .


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie mich im zweiten Teil der Rede noch auf
§ 50 i EStG eingehen . Da geht es um die Entstrickung .
Auch da haben wir sehr lange diskutiert . Das ist ja ein
Thema, das nicht im Gesetz enthalten ist, sondern wir
diskutieren immer noch darüber, was zu tun ist . Wir
haben eine Protokollerklärung mit aufgenommen, und
es gibt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich über
dieses Thema unterhält . Aber es gibt da natürlich einige
Probleme: Auf der einen Seite wird behauptet, er hätte
überschießende Tendenz, hier würden also Steuerpflich-
tige übermäßig belastet . Auf der anderen Seite haben wir
bis heute aber keinen konkreten Fall vorliegen, in dem
das wirklich nachgewiesen wurde .

Aus diesem Grund sind wir der Meinung, dass wir da
weitermachen müssen . Hier kann ich auch unsere Ge-
sprächsbereitschaft signalisieren; wir sind bereit, weiter

Richard Pitterle






(A) (C)



(B) (D)


über dieses Thema zu diskutieren . Aber wir können erst
dann Zustimmung signalisieren, wenn ein Vorschlag auf
dem Tisch liegt, der auch europarechtskonform ist . Denn
die Problematik ist – das kennen alle, die sich damit be-
schäftigen –: Bei allen Lösungen, über die momentan
diskutiert wird, besteht die Gefahr, dass europäische In-
länder und Ausländer wieder diskriminiert werden, und
dann fliegt uns das ganze Thema genauso um die Ohren
wie die Autobahnmaut . Das kann nicht unser Ziel sein .


(Beifall bei der SPD)


Alles in allem glaube ich, dass wir ein ordentliches
Gesetz auf den Weg gebracht haben . Es wird – leider –
nicht das letzte Gesetz dieser Art sein . Ich schaue einmal
alle Beteiligten an und sehe: Wir alle freuen uns schon
wieder sehr darauf, in vielen Runden über die nächsten
Änderungen zusammen zu debattieren . Aber ich glaube,
wenn wir alle das genauso besonnen machen, wie wir es
diesmal gemacht haben, dann werden wir ein gutes Steu-
eränderungsgesetz 2016 hinbekommen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812424400

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-

lege Dr . Thomas Gambke das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr verehrte Präsidentin! Liebe späte Besucher im
Plenum! Werte Kolleginnen und Kollegen! Hätten Sie
doch diesen ersten Änderungsantrag nicht eingebracht,
in dem Sie das Gesetz als „Steueränderungsgesetz 2015“
bezeichnen! Das ist ein Etikettenschwindel, meine Da-
men und Herren vor allen Dingen von der Union .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ach ja? Der Vorredner hat das Gegenteil gesagt!)


Denn ein Steueränderungsgesetz 2015 hätte genau die
Punkte aufgreifen müssen – Kollege Pitterle hat schon
ein paar genannt –, die wir hätten regeln müssen .

Ich war gerade im Mittelstandsbeirat beim Bundes-
wirtschaftsministerium . Da haben wir über die Abschrei-
bung geringwertiger Wirtschaftsgüter und die Anhebung
der viel zu niedrigen Schwelle für die Sofortabschrei-
bung gesprochen . Ein Handy beispielsweise muss man
heute über fünf Jahre abschreiben . Da hätten Sie anpa-
cken müssen . Und Sie hätten die Steuergestaltung ver-
hindern müssen; Herr Pitterle hat es angesprochen .

Haben Sie schon einmal etwas von der Atomisierung
in Bezug auf die Zinsschranke gehört?


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Haben Sie denn schon mal etwas von der schwarzen Null gehört?)


Dabei geht es um Immobilienfonds, die man bis zur
3-Millionen-Euro-Freigrenze bei der Zinsschranke füllt,
um die Gewinne dann, weil die Zinsschranke nicht greift,
ins Ausland zu transferieren . Das, was hier Zinsen wären,

sind dann Dividenden, die im Ausland nicht versteuert
werden .

Meine Damen und Herren, ich könnte noch ein paar
weitere Themen nennen . Und ich will auch noch eines
nennen, weil es mir wirklich auf den Nägeln brennt: das
Thema Umsatzsteuerbetrug . Es ist für Sie als Zuschauer
vielleicht ganz interessant, zu hören: Es wird nicht nur
bei VW der Dieselmotor mit Elektronik frisiert, sondern
es werden auch Kassen im Handel frisiert . Es wird in die
Software von Kassen eingegriffen, um den Umsatz zu
verringern und Umsatzsteuer zu hinterziehen .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was? Wo denn? Sagen Sie mal, wo!)


– Das ist gerichtsnotorisch . Eine Eisdiele im Saarland
beging einen Umsatzsteuerbetrug in Höhe von 1,9 Mil-
lionen Euro .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ja ein Straftatbestand!)


Sie sollten sich das einmal anschauen . Das geschieht
mithilfe einer modifizierten Software. Da hätten Sie re-
agieren müssen . Die Länder haben mit 16 gegen 0 einen
Bericht dazu vorgelegt. Aber das Bundesfinanzministeri-
um hat diesen Bericht nicht zur Kenntnis nehmen wollen .
Meine Damen und Herren, wir müssen etwas tun . Wenn
man „Steuergesetz 2015“ draufschreibt, dann sollte auch
„Steuergesetz 2015“ drin sein, und dann müssen solche
Sachen angepackt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Richard Pitterle [DIE LINKE] – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Also, diese Eisdiele müssen Sie mir mal zeigen!)


Richtig, die Protokollerklärung ist umgesetzt worden .
Da stehen eine Menge Dinge drin, die gemacht werden
mussten; das hat unsere volle Zustimmung . Aber es gibt
eben auch ein paar andere Sachen, die gemacht wurden,
zum Beispiel bei den Regelungen für die Versicherungs-
industrie . Sie haben vorgesehen, dass die Rücklagen für
Beitragserstattungen bis Ende 2015 weiterhin als Eigen-
kapital gelten sollen . Das ist branchenbezogen vielleicht
eine Sache, die man sich überlegen kann, aber die fi-
nanziellen Auswirkungen sind erheblich . Ehe man eine
solch einschneidende Regelung macht, hätte man noch
zweimal darüber nachdenken müssen . In einem anderen
Punkt haben Sie ja sogar noch in der letzten Minute eine
Änderung zurückgezogen .

Meine Damen und Herren, das ist kein Steuerände-
rungsgesetz 2015 . Das ist die Umsetzung einer Protokol-
lerklärung, ja . Aber das Etikett, das Sie dem Gesetzent-
wurf gegeben haben, hat er nicht verdient . Sie können
ihn ja noch ablehnen . Dann heißt es nach wie vor „Um-
setzung der Protokollerklärung“ .

Ich sage: Wir werden ihn zwar nicht ablehnen, aber
bei den handwerklichen Mängeln, die wir immer noch er-
kennen, können wir uns bei der Abstimmung über diesen
Gesetzentwurf nur der Stimme enthalten .

Dr. Jens Zimmermann






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Richard Pitterle [DIE LINKE] – Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Was ist das denn?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812424500

Das Wort hat der Kollege Fritz Güntzler für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Fritz Güntzler (CDU):
Rede ID: ID1812424600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Lieber Herr Gambke, da wir das Steuerrecht
ändern, ist der Begriff „Steueränderungsgesetz 2015“ an
sich schon richtig . Nur weil Sie sich mit Ihren Vorstellun-
gen bisher nicht durchsetzen konnten – vielleicht können
Sie das ja einmal,


(Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind Ihre!)


wenn es hier andere Mehrheiten gibt –, können Sie die
Begrifflichkeit an sich nicht abwählen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Was kann es ei-
gentlich Schöneres geben, als hier an einem Donnerstag-
abend über Steuerpolitik und Steuerrecht zu diskutieren?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Lothar Binding [SPD]: Das meinen wir auch!)


Als Steuerberater habe ich das Steuerrecht über Jahre
anwenden dürfen, müssen, können, und jetzt darf ich es
mitgestalten . Über manche Debattenbeiträge bin ich teil-
weise aber doch etwas verwundert .

Ich bin froh, dass wir mit diesem Gesetzentwurf Teile
des Koalitionsvertrages umsetzen . Das gilt insbesondere
für die interkommunale Zusammenarbeit . Wir haben im
Koalitionsvertrag vereinbart, dass es keine steuerrechtli-
che Behinderung der interkommunalen Zusammenarbeit
geben soll . Wir wollten keine Belastung mit Umsatzsteu-
er und wünschten uns eine EU-rechtliche Lösung, die
es aber so schnell nicht geben wird – das mussten wir
erfahren –, sodass wir als nationaler Gesetzgeber gefor-
dert waren, zu handeln, und wir haben gehandelt . Damit
haben wir Wort gehalten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Handeln war dringend notwendig, nachdem der
EuGH und der Bundesfinanzhof in mehreren Entschei-
dungen entschieden haben, dass die kommunalen Bei-
standsleistungen nicht mehr steuerfrei sind . Früher hatten
wir ja das System, dass bei einer Kommune steuerbar nur
das war, was im Rahmen eines Betriebes gewerblicher
Art geschah; die Beistandsleistungen wurden vom BFH
eben nicht als eine Tätigkeit im Rahmen eines Betriebes
gewerblicher Art gesehen . Daher hätten wir, wenn auf

die Urteile nicht reagiert worden wäre, jetzt das Prob-
lem, dass alle Kommunen mit den Beistandsleistungen
in der interkommunalen Zusammenarbeit in die Umsatz-
steuerschuld hineingewachsen wären . Ich glaube, gerade
aufgrund der finanziellen Situation einiger Kommunen
wäre das sehr problematisch gewesen . Wir wollen ja die
interkommunale Zusammenarbeit – aufgrund der demo-
grafischen Entwicklung in vielen Regionen, aber auch
aufgrund der finanziellen Ausstattung der Kommunen.
Die Anpassung war also notwendig . Wir mussten den
Artikel 13 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie berück-
sichtigen, haben aber auch im Auge haben müssen, dass
es immer ein gewisses Spannungsfeld zwischen der kom-
munalen wirtschaftlichen Tätigkeit und der Wirtschaft
gibt .

Ich finde, die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat hier ei-
nen guten Kompromiss gefunden, den wir umsetzen, und
ich bin auch froh, dass sich zum Beispiel der Zentral-
verband des Deutschen Handwerks und die kommunalen
Spitzenverbände darauf verständigt haben – es kam zu
einer gemeinsamen Auslegung, die wir ja auch in den
Bericht des Finanzausschusses noch aufgenommen ha-
ben –, dass sie mit diesen Dingen leben können .

Ich sage auch in Richtung Wirtschaft, dass ich sehr
aufmerksam beobachte, was die Kommunen machen,
und ich habe meine Zweifel, ob eine Kommune im Bun-
desland A unbedingt etwas über einen Zweckverband
im Bundesland C anbieten muss . Die Frage ist aber, ob
das Umsetzsteuerrecht das richtige Vehikel ist, sich mit
diesen Dingen auseinanderzusetzen, oder ob es nicht
das Gemeindewirtschaftsrecht ist, das wir überall haben .
Vielleicht müsste auch die Kommunalaufsicht hier und
da einmal ein bisschen besser hinschauen, ob das, was
uns teilweise berichtet wird, wirklich noch im kommuna-
len Bereich geschieht .

Ich glaube, wir haben, wie gesagt, einen guten Kom-
promiss gefunden . Wir betreten steuerrechtliches Neu-
land . Wir haben das Vergaberecht herangezogen, um die
Kriterien für eine sogenannte größere Wettbewerbsver-
zerrung zu erzeugen . Das ist eine gute Lösung .

Man muss der Wirtschaft auch sagen, dass das für
die Kommunen heißt: Was bis jetzt steuerpflichtig war,
wird auch in Zukunft steuerpflichtig sein, und was bis
jetzt nicht steuerbar war, wird in Zukunft steuerbar und
steuerpflichtig sein. Der Status quo wird für die Kom-
munen gar nicht gehalten, sondern sie werden in diesem
Punkt unter Umständen einiges verlieren . Das werden
wir uns genau angucken müssen . Von daher ist es auch
richtig, dass wir die Übergangsregelung haben, dass die
Kommunen bis zum 1 . Januar 2021 wählen können, nach
welchem Regime sie die Umsatzbesteuerung durchfüh-
ren wollen .

Ich sage auch in Richtung Kommunen und kommu-
naler Spitzenverbände – insbesondere in Richtung der
Berater in den Kommunen, von denen ich viel kenne –,
dass wir uns das genau angucken werden . Wenn dieses
Vehikel des § 2 b Umsatzsteuergesetz dazu genutzt wird,
den Vorteil von 19 Prozent für andere Dinge des Wettbe-
werbsrechts zu nutzen, werden wir uns mit dem Gesetz
noch einmal neu beschäftigen müssen; denn das ist nicht

Dr. Thomas Gambke






(A) (C)



(B) (D)


intendiert . Wir haben aber die Zusage der kommunalen
Spitzenverbände, sich damit zu beschäftigen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der neue § 2 b Umsatzsteuergesetz ist also, wie ich finde,
eine gute Lösung für die Kommunen, aber auch für die
Wirtschaft .

Lassen Sie mich jetzt noch zwei oder drei kleine An-
merkungen zu dem machen, was vorher gesagt wurde .
Über das Umwandlungssteuergesetz – §§ 20, 21 und
24 – könnte man jetzt viel sagen . Man könnte sich dazu
äußern, ob das gerechtfertigt ist oder nicht, ob es – Fach-
leute sehen das teilweise anders – wirklich eine Miss-
brauchsregelung oder ein Steuerschlupfloch ist. Ich finde
nur, es ist schade, dass wir uns nicht einigen konnten,
dass diese Regelung nicht rückwirkend angewandt wird .
Im Gesetz steht ja jetzt: 1 . Januar 2015 . Das heißt, alle
Einbringungen, die in dieser Zeit – bis heute – gelaufen
sind, werden den Beratern unter Umständen – so lange
sie nicht unter dem Freibetrag oder unter 25 Prozent lie-
gen – auf die Füße fallen. Ich finde, wir haben auch eine
Treuepflicht gegenüber Anwendern unseres Rechtes.
Diese sollten die Möglichkeit haben, sich darauf einzu-
stellen . Man kann von ihnen auch nicht verlangen, dass
sie Bundesratsprotokolle lesen . Ich sage immer: Wer das
tut, liest auch Telefonbücher . Ich glaube, wir dürfen die
Erwartungshaltung da nicht zu hoch schrauben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme zum § 50 i EStG, Herr Binding . Ich hof-
fe, dass wir im Rahmen des Steueränderungsgesetzes –
Herr Dr . Zimmermann hat das für 2016 schon angekün-
digt – endlich einen § 50 i EStG verwirklichen . Denn
die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat ja festgestellt, dass
es diese überschießende Wirkung gibt . Die bezweifeln
Sie immer noch . Beschäftigen Sie sich einmal mit den
Ergebnissen .


(Dr . Jens Zimmermann [SPD]: Sie hat aber keine Lösung gefunden!)


– Ja, wir brauchen aber eine Lösung, denn die Fälle sind
ja schon verwirklicht . Wenn Sie sagen, dass sie Ihnen
nicht bekannt sind, lade ich Sie gerne einmal zu mir in
die Kanzlei ein . Ich kann Ihnen die Fälle zeigen, die wir
zurzeit nicht bearbeiten können . Dabei handelt es sich
um reine Inlandsfälle, die wir nicht gestalten können .
Wir haben hier einen dringenden Handlungsbedarf beim
§ 50 i EStG .

Ich könnte noch etwas zu den hybriden Gestaltungen
sagen, wenn meine Redezeit nicht vorbei wäre . Herr
Pitterle, Sie wissen genau, dass wir im BEPS-Prozess
sind . Wir haben 15 Maßnahmen und sind da auf dem
Weg, missbräuchliche Gestaltungen – auch die hybriden
Gestaltungen – anzugehen . Es macht keinen Sinn, dass
der nationale Gesetzgeber da alleine vorgeht . Uns zu un-
terstellen, dass wir da untätig wären, ist einfach unrichtig .

Ich bitte Sie jetzt einfach, dem Gesetz zuzustimmen .
Ich hoffe, der Bundesrat tut das auch möglichst schnell,
damit sich die Steuerpflichtigen darauf einstellen können.

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812424700

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Andreas

Schwarz das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Andreas Schwarz (SPD):
Rede ID: ID1812424800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An-
gesichts meiner knapp bemessenen Redezeit möchte ich
mich nur auf einen Aspekt dieses umfassenden Steuer-
gesetzes konzentrieren, der mich als ehemaliger Bürger-
meister und immer noch amtierender Kommunalpolitiker
mit besonderer Freude erfüllt . Es handelt sich hier ganz
genau um die Neuregelung der Umsatzbesteuerung von
Leistungen der öffentlichen Hand .

Mich haben dazu zahlreiche Briefe von Kommunen
aus meinem Wahlkreis erreicht, denn die Kommunen wa-
ren angesichts der Rechtsprechung des Bundesfinanzho-
fes mehr als verunsichert, was die steuerliche Belastung
und natürlich auch die damit verbundene interkommuna-
le Zusammenarbeit angeht . Die Zusammenarbeit öffent-
licher Einrichtungen ist nicht zuletzt aufgrund knapper
Haushalte und des demografischen Wandels von großer
Bedeutung . Ob bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben
oder bei Leistungen der Daseinsvorsorge: Die Nutzung
von Synergieeffekten und die Auslastung vorhandener
personeller und sachlicher Ressourcen liegen im öffentli-
chen Interesse und erfolgen nicht im Wettbewerb mit pri-
vaten Leistungen . Daher soll dieser Leistungsaustausch
öffentlicher Einrichtungen weiterhin nicht mit Umsatz-
steuer belastet und dadurch verteuert werden . Das ist,
denke ich, ein Vorteil für die Bürgerinnen und Bürger in
unserem Land .

An dieser Stelle sei klargestellt: Hier geht es nicht da-
rum, dass etwa die Kommunen den Wettbewerb stören
oder behindern . Im Wettbewerb erbrachte Leistungen un-
terliegen ja, wie es der Kollege gerade erklärt hat, auch
künftig der Umsatzsteuer . Das ist auch richtig so . Die
SPD-Bundestagsfraktion hat sich jedoch immer dafür
eingesetzt, die Zusammenarbeit öffentlicher Einrichtun-
gen bei hoheitlichen Tätigkeiten nicht zu besteuern .


(Beifall bei der SPD)


Das gilt für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten,
die Kirchen und insbesondere die Kommunen . Schon im
Koalitionsvertrag haben wir das Bekenntnis zur inter-
kommunalen Zusammenarbeit verankert . Gemeinsam
mit unserem Koalitionspartner ist es nun gelungen, in
diesem Gesetz klare Regeln für die Umsatzbesteuerung
öffentlicher Leistungen zu entwickeln . Mit der Neurege-
lung haben wir unser Ziel für beide Seiten erreicht, für
die öffentlichen Einrichtungen auf der einen Seite und
für die Wirtschaftsunternehmen auf der anderen Seite,
eine dauerhafte und auch rechtssichere Planungsgrund-
lage zu schaffen .

Fritz Güntzler






(A) (C)



(B) (D)


Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812424900

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur An-
passung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Uni-
on und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften .
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/6094, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/4902 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Enthaltung der Opposition angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sigrid
Hupach, Dr . Petra Sitte, Halina Wawzyniak, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke

Verleihbarkeit digitaler Medien entsprechend
analoger Werke in Öffentlichen Bibliotheken
sicherstellen

Drucksache 18/5405
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Ausschuss Digitale Agenda
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen . – Ich bit-
te, gegebenenfalls notwendige Gespräche außerhalb des
Plenums zu führen .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die sind überflüssig!)


Das gilt bitte auch für die Kollegen der Unionsfraktion .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Jetzt mal hurtig raus, wenn ihr quatschen wollt!)


Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Sigrid Hupach für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812425000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir legen heute einen Antrag vor, der dafür wirbt, glei-

che Regelungen für den Verleih von digitalen und körper-
lichen Medien, kurz E-Books und klassischen Büchern,
in öffentlichen Bibliotheken einzuführen .

Das ist in unserer digitalen Zeit eigentlich eine
Selbstverständlichkeit, sollte man meinen . Die Realität
sieht aber anders aus . Obwohl die öffentlichen Biblio-
theken zu den meistgenutzten Bildungseinrichtungen in
Deutschland gehören und Bücher immer öfter auch als
E-Books erscheinen, stehen die Nutzerinnen und Nutzer
unserer Bibliotheken häufig vor einem enttäuschend ma-
geren E-Book-Angebot . Das Wenige, das auszuleihen ist,
ist meist nicht das Aktuelle oder das Gesuchte .

Wer sich in seiner Lektüre zum Beispiel an der Spie-
gel-Bestsellerliste orientiert, wird hier kaum auf seine
Kosten kommen . Noch immer ist es so, dass von den Ti-
teln dieser Liste nur die Hälfte in den Bibliotheken aus-
geliehen werden kann . Betroffen sind davon einmal mehr
Menschen mit niedrigem Einkommen; denn gerade für
sie bieten die öffentlichen Bibliotheken die Möglichkeit,
am kulturellen Leben teilzunehmen .

Die Bibliotheken fürchten, durch das reduzierte An-
gebot an elektronischen Medien an Attraktivität zu ver-
lieren . Seit Jahren setzen sie sich deshalb in Deutschland
und auf europäischer Ebene für eine Gleichstellung von
digitalen und analogen Medien im Urheberrecht ein .
Dennoch unterscheidet sich das E-Book in seiner recht-
lichen Stellung erheblich vom gedruckten Buch, auch
wenn der darin transportierte Inhalt identisch ist .

Elektronische Medien werden auf der Basis von zeit-
lich befristeten Lizenzverträgen zwischen Verlagen oder
Anbietern wie der divibib GmbH mit ihrem Onleihe-An-
gebot und den Bibliotheken angeboten . Genau hier liegt
das Problem . Bei den digitalen Medien können öffentli-
che Bibliotheken nicht ausschließlich selbst bestimmen,
welche Titel sie einkaufen . Denn die Anbieter diktieren
hier die Bedingungen von Auswahl und Preis . Große Ver-
lage wie Fischer, Rowohlt oder die Holtzbrinck-Gruppe
verweigern gar den Verleih von E-Books . Bibliotheken
haben aber den Auftrag, die Meinungsvielfalt widerzu-
spiegeln . Bei den digitalen Medien jedoch bestimmen
wirtschaftliche Interessen das Angebot .

Wir fordern mit unserem Antrag die Bundesregierung
auf, zu einer Klarstellung in den §§ 17 und 27 des Urhe-
berrechtsgesetzes zu kommen,


(Beifall bei der LINKEN)


mit dem Ziel, unsere Bibliotheken endlich zukunftssicher
zu machen . Die Erweiterung des Erschöpfungsgrundsat-
zes auf nicht körperliche Werke, das damit verbundene
Schaffen von fairen Lizenzvergabemodellen und die
Ausweitung und Aufstockung der Bibliothekstantieme
würden die Bibliotheken in die Lage versetzen, ihren Le-
sern ein aktuelles und vielfältiges Angebot zu unterbrei-
ten und dieses zu fairen Preis- und Lizenzkonditionen zu
erwerben .

Diese Anpassung des Urheberrechts ist eine so ein-
fache wie überfällige Maßnahme, mit dem Effekt, dass
eigentlich alle davon profitieren würden: sowohl die Nut-
zer als auch die Bibliotheken, Autoren und auch die Ver-
lage . Der Verleih von gedruckten Büchern hat die Verla-

Andreas Schwarz






(A) (C)



(B) (D)


ge trotz aller Unkenrufe in den 60er-Jahren nicht in den
Ruin getrieben; er hat vielmehr die Lesefreudigkeit ge-
stärkt . Beim Verleih von E-Books wird das genauso sein .

Besinnen Sie sich also auf Ihren Koalitionsvertrag,
in dem schon angekündigt wurde, zu prüfen, ob den öf-
fentlichen Bibliotheken gesetzlich das Recht eingeräumt
werden soll, elektronische Bücher zu lizenzieren! Zwei
Jahre hatten Sie Zeit dafür; aber noch immer liegt kein
Entwurf vor . Da lassen Sie uns einmal mehr Ihre Arbeit
machen .

Auch Frau Grütters kritisierte erst kürzlich die aufwen-
dige Lizenzierungspraxis für E-Books seitens der Verla-
ge . In den Handlungsempfehlungen der Internet-Enquete
heißt es deutlich: Der Verleih digitaler Medien soll wie
bei analogen Werken sichergestellt werden .

Auch auf europäischer Ebene gibt es in dieser Fra-
ge deutlich mehr Bewegung als im Bundestag: Im Juli
stimmte das Europäische Parlament über den Reda-Be-
richt zur Reform der InfoSoc-Richtlinie von 2001 ab .
Auch hier heißt es: Neue Ausnahmen beim Urheberrecht
sollen das Ausleihen von E-Books ermöglichen .

Unser Antrag versetzt Sie, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der Koalition, jetzt in die komfortable Lage,
mit einer einfachen Zustimmung zu diesem Antrag den
nächsten Schritt ins digitale Zeitalter zu tun und vielen
Menschen in diesem Land einen einfachen und kosten-
günstigen Zugang zu Information, Wissen und Kultur zu
ermöglichen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812425100

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr . Stefan

Heck das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Stefan Heck (CDU):
Rede ID: ID1812425200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bitte gestatten Sie, dass ich die Rede mit einem schon
etwas älteren Zitat beginne:

Überdem zwingt das deutsche Publicum seine
Schriftsteller, nicht nach dem Zuge des Genius, son-
dern nach Speculationen des Handelns [ihre Tätig-
keit] zu wählen .

So beklagt sich schon 1784 der erst 25-jährige Theater-
dichter Friedrich Schiller . Er wandte sich mit diesem und
anderen Hilferufen wahllos an glühende Bewunderer,
deren Briefe er zuvor in den kalten Wintermonaten aus
materiellen Gründen unbeantwortet gelassen hatte .

Friedrich Schiller konnte von dem erst nach seinem
Tod 1805 etablierten Autorenschutz nicht mehr profi-
tieren . Er lebte vielmehr von dem Ertrag seiner Auffüh-
rungen und seiner Herausgebertätigkeit . Seinen Lebens-
unterhalt konnte er mit seinen Werken, die heute noch
immer zur Weltliteratur gehören, nicht bestreiten .

Seit den Zeiten Friedrich Schillers hat sich das deut-
sche Urheberrecht zum Glück gewandelt . Das moderne
Urheberrecht schützt nicht nur die Urhebereigenschaft
des Autors, sondern es stellt auch sicher, dass ihm ein
finanzieller Ertrag aus seinen Werken zusteht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, wenn Friedrich Schiller heute gelebt hät-
te, hätte er bestimmt gute Erfahrungen mit der VG Wort
gemacht . Aber spätestens seit dem Aufkommen von Tab-
let-Computern und E-Book-Readern hat die Digitalisie-
rung aller Lebensbereiche auch den Buchmarkt erreicht .
Die neuen Möglichkeiten, die damit verbunden sind, sind
in ihrer Revolution wahrscheinlich vergleichbar mit der
Erfindung des Buchdrucks vor über 550 Jahren.

Komplizierter als damals ist aber die Frage, welche
Verkaufsmodelle sich in Zukunft durchsetzen werden .
Deshalb ist es uns, der CDU/CSU-Fraktion, besonders
wichtig, dass wir diese neue technische Entwicklung
von Anfang an auch rechtlich angemessen begleiten und
dabei einen umfassenden Autorenschutz sicherstellen .
Die Autoren von heute müssen die Schwierigkeiten von
Friedrich Schiller jedenfalls nicht mehr kennenlernen .

Vielleicht darf man noch erwähnen, dass auch hinter
jedem E-Book ein Autor steht . Ebenso wie bei „körperli-
chen Medien“ ist er darauf angewiesen, dass er aus dem
Verkauf seiner Werke einen Ertrag erhält . Insbesondere
für Schriftsteller und Autoren von nicht wissenschaft-
lichen Werken ist dieser Ertrag entscheidend beim Be-
streiten des Lebensunterhalts . Dafür handeln Kopierge-
rätebetreiber und Verleiher von gedruckten Werken eine
Vergütung mit der VG Wort aus . Diese wird dann an-
schließend an die Autoren ausgeschüttet . Deshalb macht
es schon einen Unterschied – damit sind wir bei den Bib-
liotheken –, ob ein gedrucktes Buch verliehen wird oder
ob für den Download ein E-Book zur Verfügung gestellt
wird . Bei dem Verleih gedruckter Bücher bleibt nämlich
die Anzahl der in Verkehr gebrachten Bücher stets gleich .
Der Autor hat für jedes Exemplar, das sich im Umlauf
befindet, bereits ein Honorar erhalten.

Ganz anders verhält es sich bei der „Ausleihe“ von
E-Books . Sie sind auf einem Datenträger gespeichert und
können der Bibliothek nicht mehr im eigentlichen Sinne
zurückgegeben werden . Deshalb ist es technisch schwie-
rig, zu gewährleisten – eine Garantie ist wahrscheinlich
ausgeschlossen –, dass das ausgeliehene E-Book nicht
einfach an Dritte weitergegeben wird . Deshalb kann bei
dem sogenannten Verleih von E-Books auch nicht si-
chergestellt werden, dass der Autor für jedes im Umlauf
befindliche Exemplar ein Honorar erhalten hat. Sobald
ein einziges Exemplar herausgegeben wurde, kann dieses
zumindest technisch zum Nulltarif und unkontrollierbar
weitergegeben werden . Der Autor droht so um die ver-
dienten Früchte seiner Arbeit gebracht zu werden . Wir
wollen deshalb dafür Sorge tragen, dass der Erschöp-
fungsgrundsatz auch zukünftig für gedruckte und digitale
Medien unterschiedlich gehandhabt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sigrid Hupach






(A) (C)



(B) (D)


Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz, den Erschöp-
fungsgrundsatz auf digitale Medien, E-Books und Hör-
bücher, auszudehnen, ziemlich sachfremd . Was würde
das denn für die Autoren von E-Books und Hörbüchern
bedeuten? Hat ein Nutzer der Bibliothek das E-Book auf
einem Datenträger gespeichert, oder hat ein Käufer bei
einem Onlinehändler das Hörbuch heruntergeladen, dür-
fen diese Werke beliebig weiterverbreitet werden . Das
Urheberrecht des Autors wäre praktisch nutzlos .


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Kann man ja begrenzen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, entwe-
der wollen Sie diesen Unterschied zwischen gedruckten
und digitalen Werken nicht verstehen, oder Sie trampeln
ganz bewusst auf dem geistigen Eigentum der Urheber
herum . Auf jeden Fall lassen Sie mit Ihrem Antrag die
Kreativen und die Intellektuellen in diesem Land im
Stich, auf die Sie sich sonst so gerne berufen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Ein Buch kann man auch einscannen!)


Die CDU/CSU-Fraktion wird weiterhin dafür streiten,
dass im Grundsatz der Autor darüber entscheiden darf,
wer sein Werk zu welchen Konditionen nutzen darf . Die
von der Linken offensichtlich betriebene Sozialisierung
geistigen Eigentums wird es mit uns nicht geben . Wir
werden deshalb gegen den vorliegenden Antrag stimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ihr bleibt beim Papier!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812425300

Das Wort hat die Kollegin Tabea Rößner für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen .


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812425400

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Sehr geehrte Damen

und Herren! Examenszeit, und das Standardwerk ist in
der Bibliothek nicht auffindbar oder über Monate vorge-
merkt, oder wichtige Seiten sind herausgerissen . Viele
von Ihnen kennen das vielleicht, sofern Sie Ihre Arbeiten
selbst geschrieben haben .


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das müsste in digitalen Zeiten mit Internet, iPad, Toli-
no und Co . eigentlich vorbei sein . Das ist es aber nicht .
Auch in der digitalen Bibliothek können Bücher vergrif-
fen sein, weil nur so viele Exemplare verliehen werden
können, wie Lizenzen erworben wurden .

Die öffentliche Bibliothek muss sich für die digitale
Zukunft neu aufstellen . Hierfür braucht sie – da trifft der
Antrag der Linken den richtigen Nerv – ein breitgefä-
chertes digitales Angebot und dafür finanzielle Unterstüt-
zung . Die Bibliothek muss als Bildungseinrichtung für
alle sozialen Schichten und Altersstufen, für Schul- und

Erwachsenenbildung sowie als Anlaufpunkt für Migran-
tinnen und Migranten erhalten bleiben, auch digital .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich habe aber Zweifel, ob die hier vorgeschlagenen Än-
derungen den Verbraucherinnen und Verbrauchern tat-
sächlich einen Mehrwert bringen . Mehr noch: Sie könn-
ten ihnen sogar einen Bärendienst erweisen .

Der Buchmarkt versucht gerade, sich mit kommerzi-
ellen Leihportalen für E-Books auf die neuen Lesege-
wohnheiten einzustellen . Das ist übrigens etwas, was wir
immer eingefordert haben . Das Angebot der Bibliothe-
ken erscheint da schädlich . Es ist kostenfrei, und für die
Ausleihe zahlen die Bibliotheken an Autoren und Verla-
ge die Bibliothekstantieme; sie liegt jetzt bei 4 Cent . Bei
Skoobe oder Readfy erhalten Autoren und Verlage zwi-
schen 16 Cent und 1,10 Euro pro Leihe . Mit der Biblio-
thekstantieme würden sie also nur noch einen Bruchteil
bekommen . Die Kreativen dürfen aber eben nicht zu den
Verlierern der Digitalisierung werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Da könnten Sie von der Union eigentlich auch klat-
schen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei ist es richtig, die Bibliotheken finanziell besser
auszustatten . Es sollte ihnen weiterhin möglich sein, eine
dem öffentlichen Auftrag entsprechende qualitative Aus-
wahl anzubieten .

Ich hadere hier allerdings vor allem mit der geplan-
ten Änderung in § 17 Urheberrechtsgesetz . Abgesehen
davon, dass wir damit erst einmal Brüssel durchlaufen
müssten: Digitale Medien könnten dann an jeden weiter-
verkauft werden . Das klingt zwar erst einmal wunderbar,
hat aber einen Haken: Ein florierender Gebrauchtwaren-
handel mit digitalen Gütern könnte eine ungewollte Spi-
rale nach unten auslösen . Anbieter wie Amazon oder Ap-
ple stehen bereits mit Secondhand-Verkaufsplattformen
für Digitales in den Startlöchern .

Sollte es hier grünes Licht geben, wäre die Konkurrenz
für Verlage enorm . Digitales verrottet nicht . Gebrauchte
E-Books wären mit einem Klick in alle Welt weiterver-
kauft, zu Spottpreisen, und zwar ohne Riss oder Kaf-
feefleck. Das stärkt geschlossene Systeme wie das von
Amazon, und es schadet dem kulturellen Angebot . Denn
wer investiert dann noch? Wer nimmt das wirtschaftli-
che Risiko eines Flops auf sich, und wer setzt noch auf
unbekannte Autoren oder vielleicht auf gewagte Inhalte?
Unter idealen Bedingungen sind das die Verlage . Es sind
zumindest nicht die digitalen Verkaufsplattformen .

Wir dürfen das wirtschaftliche Fundament nicht derart
erschüttern, dass die kulturelle Vielfalt darunter leidet .
Wenn nur noch risikofreie Bestseller auf dem Markt sind,
kann das sicher nicht im Sinne der Verbraucherinnen und
Verbraucher sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sprechen hier ja nicht nur von E-Books . Digitale Me-
dien, das sind ja auch Musik- oder Filmdateien .

Dr. Stefan Heck






(A) (C)



(B) (D)


Ich möchte festhalten: Öffentliche Bibliotheken müs-
sen ein facettenreiches digitales Angebot bereithalten,
und sie dürfen keine Nischeninstitutionen werden . Wir
brauchen aber eine sozialverträgliche Lösung, und dafür
sollten sich alle Seiten ins Zeug legen .

Um dies zu schaffen, müssen Länder und Kommunen
dringend in die Lage versetzt werden, digitale Bibliothe-
ken finanziell ausreichend auszustatten. Die Belange der
Kreativen müssen mitgedacht werden . Zudem braucht es
Mut bei den Verlagen, auch Neues zu wagen, und die be-
teiligten Kreise müssten aufeinander zugehen und eine
gemeinsame Lösung erarbeiten, die dann allen Seiten
zugutekommt . Dabei sind faire Lizenz- und Nutzungsbe-
dingungen Pflicht. Wenn diese Chance aber vertan wird,
dann muss der Gesetzgeber die Lösung für sie finden.

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812425500

Das Wort hat der Kollege Christian Flisek für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Stephan Harbarth [CDU/CSU])



Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1812425600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kol-

leginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Hupach,
offen gesprochen, ich begrüße es außerordentlich, dass
sich auch die Linke um ein modernes Urheberrecht
im digitalen Zeitalter bemüht . Das ist keine Selbstver-
ständlichkeit . Ich begrüße es aber umso mehr, dass vor
allen Dingen die Koalition und hier insbesondere Bun-
desjustizminister Heiko Maas dem urheberrechtlichen
Stillstand insbesondere der letzten Legislaturperiode ein
Ende setzt und sich mit einer sehr klar umrissenen ur-
heberrechtlichen Agenda mit uns gemeinsam aufmacht,
den modernen Rechtsrahmen für den Kreativstandort
Deutschland zu setzen .


(Beifall bei der SPD)


Man muss kein Prophet sein, um festzustellen, dass
die nächsten Monate für alle urheberrechtlich Interes-
sierten in diesem Hause sehr intensiv sein werden . Der
Bundesjustizminister hat jetzt innerhalb kurzer Zeit zwei
Referentenentwürfe vorgestellt . Das eine ist ein Refe-
rentenentwurf für ein Verwertungsgesellschaftengesetz .
Damit wird in Umsetzung einer EU-Richtlinie das Wahr-
nehmungsgesetz, der Rechtsrahmen der Verwertungsge-
sellschaften, komplett auf neue Füße gestellt . Insbeson-
dere werden die Abgabe für Geräte und Speichermedien
und der damit verbundene Prozess der Tariffindung straf-
fer gefasst; er wird effizienter gestaltet. Das sind sehr
gute Signale an die Branche .

Lieber Herr Dr . Heck, Sie haben eingangs Ihrer Rede
Friedrich Schiller angesprochen . Wir werden vor allen
Dingen die Schillers des 21 . Jahrhunderts in ihrer Po-
sition stärken . Wir werden nämlich dafür sorgen, dass
das Urhebervertragsrecht weiterentwickelt wird, modern

weiterentwickelt wird . Wir werden insbesondere dafür
sorgen, dass Urheber aus ihrer Einzelkämpferstellung
herausgeholt werden . Wir werden gemeinsame Vergü-
tungsregelungen stärken . Wir werden auch die kollektive
Rechtsdurchsetzung stärken . Das ist ein gutes Zeichen
für alle Kreativen in diesem Land .

Man kann also mit Fug und Recht sagen: Es tut sich
einiges im Urheberrecht, meine Damen und Herren, und
dabei wird es nicht bleiben . Der Bundesjustizminister hat
am Montag dieser Woche beim Max-Planck-Institut für
Innovation und Wettbewerb in München eine viel beach-
tete Rede zur Zukunft des Urheberrechts gehalten . Ich
empfehle jedem die Lektüre . Er hat dort angekündigt,
dass er in Kürze eine Studie von diesem Max-Planck-In-
stitut vorlegen wird, die sich damit beschäftigt, wie wir
es schaffen, die Nutzergewohnheiten, die in den nächs-
ten 5, 10, 15 Jahren aufkommen werden, so in unserem
Urheberrecht zu berücksichtigen, dass das Urheberrecht
endlich einmal auf der Höhe der Zeit ist, dass wir also
proaktiv tätig werden und nicht immer nur reaktiv den
technischen Entwicklungen hinterherlaufen .

Wenn man sich vor allen Dingen mit der Metho-
dik dieser Studie auseinandersetzt, erkennt man etwas
sehr Beachtliches: Es werden – so ist es angekündigt –
40 hochinnovative Geschäftsmodelle von Start-ups em-
pirisch analysiert, um genau diese modernen Nutzerge-
wohnheiten einmal vor Augen zu haben . Ich glaube – das
sage ich dann auch an die Kolleginnen und Kollegen von
der Linkspartei –, das wird eine sehr gute empirische
Grundlage sein, sodass wir dann gemeinsam in diesem
Hause einmal eine grundsätzliche Debatte über den Mo-
dernisierungsbedarf des Urheberrechtsgesetzes führen
können und bewerten können, wo wir tatsächlich einen
Regelungsbedarf haben .

Es ist von meinen Kolleginnen und Kollegen schon
angesprochen worden: Man muss sehr vorsichtig sein,
wenn man zum Beispiel beim Erschöpfungsgrundsatz
Hand anlegt . Das bezieht sich nicht nur auf die Bibliothe-
ken oder auf Einzelproblemlagen . Das sind sehr grund-
sätzliche Normen, die eine Vielzahl von Fällen regeln .
Da muss man mit Bedacht herangehen . Ich glaube, das
Vorgehen des Bundesjustizministers bietet uns hierfür
eine wirklich gute empirische Grundlage . Ich bin sehr
zuversichtlich, dass wir noch in dieser Legislaturperiode
hierzu weitere Vorschläge machen werden .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812425700

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr . Volker

Ullrich das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1812425800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wenn Sie sich in einer der 10 000 Leihbüche-
reien in Deutschland ein Buch ausleihen, hat es zuvor

Tabea Rößner






(A) (C)



(B) (D)


die Kommune oder der Staat gekauft, und pro Ausleihe
werden 3 bis 4 Cent Bibliothekstantieme fällig . Wenn Sie
sich ein gedrucktes Buch selbst kaufen, wird damit der
Urheber entschädigt, und Sie können das Buch frei wei-
tergeben . Das nennt sich „Erschöpfungsgrundsatz“ .

Die Vertriebswege ändern sich jedoch mit der Digi-
talisierung . Wir haben im letzten Jahr knapp 5 Prozent
E-Books im deutschen Markt gehabt . In den Vereinig-
ten Staaten ist man mittlerweile bei etwa 20 Prozent an-
gelangt . Wer meint, dass die Verhältnisse des digitalen
Marktes eins zu eins mit denen des analogen vergleichbar
sind, der irrt, und der liegt falsch . Es geht um die Frage:
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen setzen wir im
Bereich der zunehmenden Digitalisierung, um geistiges
Eigentum zu schützen? Ihr Ansatz, die wesentlichen Ele-
mente des Schutzes des geistigen Eigentums im analogen
Bereich – Bibliothekstantieme, Erschöpfungsgrundsatz –
in die digitale Welt zu übertragen, geht fehl . Dieser An-
satz, meine Damen und Herren, ist geprägt von einem
grundsätzlichen Missverständnis vom Funktionieren der
digitalen Welt und – ich füge hinzu – auch von einem
grundsätzlichen Mangel an Sensibilität dem geistigen Ei-
gentum gegenüber .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vielleicht sollten Sie sich einmal ein paar Zitate vor
Augen führen . Der – inzwischen verstorbene – Heraus-
geber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Frank Schirr-
macher hat gesagt:

Die Vorstellung, dass das Netz an sich frei und kos-
tenlos sei, ist eine der stärksten Illusionen der Ge-
genwart .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da hat er recht!)


Und weiter:

Es ist aber eine Schlüsselfrage der digitalen Zu-
kunft, dass sich jedermann der unerwünschten Ver-
breitung . . . seines geistigen Eigentums widersetzen
kann .

Oder lesen Sie die vielbeachtete Rede von Jaron La-
nier, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhan-
dels, nach! Er hat auch davor gewarnt, dass Autoren ihr
Recht verlieren und ein erhebliches Maß an Ungerechtig-
keit erleiden müssen .

Oder lesen Sie gar beim britischen Unternehmer James
Daunt nach, der gewarnt hat, dass die E-Book-Ausleihe
eine zerstörerische Kraft ist, die den Markt so zerstören
kann, dass Autoren nichts mehr davon haben werden .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und Oscar Wilde!)


Das sind sicherlich dramatische Worte . Aber die-
se Worte müssen uns zu einer wesentlichen Erkenntnis
bringen: Welcher Vertriebsweg auch immer gewählt
wird, wie sehr die Digitalisierung Aspekte unseres Le-
bens umfasst – der Schutz des geistigen Eigentums und
die Vergütung des Urhebers bleiben für uns gültige und
eherne Rechtsgrundsätze .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich muss Ihnen sagen, liebe Kollegen der Linkspar-
tei: Sie haben mir einen zu sorglosen Umgang mit dem
geistigen Eigentum! Wir mussten erst kürzlich über die
Abschaffung des Leistungsschutzrechtes debattieren


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Hätten Sie mal zugestimmt!)


und haben Ihren Antrag dazu zu Recht niedergestimmt .
Heute haben wir eine weitere Schleifung des Urheber-
rechts zu bereden, und ich sage Ihnen: Der Schutz des
geistigen Eigentums hat bei uns hohen Wert . Wir werden
Ihre Anträge nicht unterstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Das hat doch nichts mit geistigem Eigentum zu tun!)


Ich kann für unsere Fraktion festhalten: Die Heraus-
forderungen einer Wissensgesellschaft werden wir nur
dann meistern, wenn wir geistigem Eigentum und Kreati-
vität schützenden Raum geben . Das sind wir den Autoren
und den Künstlern schuldig . Wir stehen an der Seite der
Autoren . Sie stehen an der Seite derjenigen, die kopieren
wollen und diejenigen zurückdrängen, die an geistigen
Materien hart arbeiten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Na, na, na! Vorsichtig!)


Man kann es vielleicht, wenn wir in die Zukunft des
Urheberrechts blicken, auch an einer sprachlichen Fines-
se festmachen: Im Englischen heißt es „copyright“ – das
Recht, zu kopieren . Im Französischen spricht man über
„le droit d’auteur“ – das Recht des Autors .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und auf Spanisch?)


Wir werden am Ende des Tages das Recht des Autors
schützen – das geistige Eigentum als wesentliches Ele-
ment der Wissensgesellschaft . Diesen Weg lassen wir
uns nicht nehmen; deswegen lehnen wir Ihren – untaug-
lichen – Antrag ab .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812425900

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Siegmund

Ehrmann das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Siegmund Ehrmann (SPD):
Rede ID: ID1812426000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung des
Buchmarktes zeigt, dass Bücher schon lange nicht mehr
das alleinige Trägermedium sind . Lässt man die Fach-
bücher und die Schulbücher außen vor, sieht es auf dem
sogenannten Publikumsmarkt so aus, dass im zweiten
Quartal des Jahres 2015 die E-Books einen Anteil von
etwa 5,6 Prozent am Markt hatten . Das ist ein Zuwachs
gegenüber dem Vergleichsquartal des Jahres 2014 um
etwa 12 Prozent .

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


Wenn man sich dann noch vergegenwärtigt, dass in der
ersten Hälfte des Jahres 2015 bei den über Zehnjährigen
2,9 Millionen E-Books erworben haben, dann zeigt das,
wie sich die Nachfrage auf dem Markt verändert hat . Es
ergibt sich damit aber auch ein Reflex mit Blick auf die
Situation der öffentlichen Bibliotheken . Denn die Verän-
derungen im Markt müssten sich in der Angebotspalette
der Bibliotheken widerspiegeln .

Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag formuliert,
dass öffentliche Bibliotheken auch im digitalen Umfeld
ihrem Auftrag nachkommen können müssen . Sie sind
die am stärksten genutzten Kultur- und Bildungseinrich-
tungen in Deutschland . Insgesamt 10 000 Bibliotheken
halten jährlich 440 Millionen Medien bereit, die dort
nachgefragt werden können . So vollzieht sich Teilhabe
an Wissen, und das ist eine ganz wichtige öffentliche
Leistung, die wir über die öffentlichen Bibliotheken dar-
bieten .


(Beifall der Abg . Bärbel Bas [SPD])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Lin-
ken zielt auf diesen Kontext . Ich würde nicht so weit
gehen wie mein Vorredner, das mit dem Untergang des
Abendlandes und dem Schleifen des geistigen Eigentums
gleichzustellen .


(Heiterkeit bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist von Oswald Spengler!)


Es sind erwägenswerte Aspekte in ihm formuliert, aber
die entscheidende Frage ist – das gebietet fairer parla-
mentarischer Umgang –, zu prüfen, ob sie tragen . Da
habe ich meine Zweifel .

Nicht zu verkennen ist: Den Bibliotheken werden be-
reits heute E-Medien über private Anbieter – es wurde
erwähnt – wie Onleihe, ciando eBooks oder OverDrive
angeboten . Das ist gut, hat aber Schwächen . Wenn da-
bei lediglich rund 1 400 öffentliche Bibliotheken mitma-
chen, kann man nicht von einem flächendeckenden An-
gebot sprechen . In der Tat ist es so, dass Bestseller nur
zu 50 Prozent über die Onlineangebote, die dargeboten
werden, zugänglich sind . Zudem liegt die Einkaufsent-
scheidung bei der privaten Wirtschaft, bei den Partnern
in den Unternehmen, bei den Anbietern und nicht wie bei
analogen Medien bei den öffentlichen Bibliotheken .

Meine Damen und Herren, alleine die rechtliche
Gleichstellung von digitalen und körperlichen Medien
führt nicht automatisch zu einem vernünftigen, angemes-
senen und gerechten Interessenausgleich zwischen Au-
toren, Übersetzern und Verlagen auf der einen Seite und
den Bibliotheken auf der anderen Seite . Hierzu bedürfte
es genauerer Eckpunkte der anzustrebenden Lizenzver-
träge . Das ist vorhin in Debattenbeiträgen formuliert
worden . Da bleibt der Antrag also vage .

Schließlich und zuletzt – es wurde erwähnt –: Heiko
Maas hat eine wirklich beachtliche und beeindruckende
Rede in München gehalten


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Kennen wir noch nicht!)


und dabei die urheberrechtlichen Projekte der Großen
Koalition vorgetragen . Auch das Thema „E-Books in Bi-
bliotheken“ wurde darin erwähnt, und es wurde auf die
europarechtliche Dimension abgestellt . So ganz einfach
und allein können wir das hier nicht verhandeln, unab-
hängig von den Aspekten, die ich vorgetragen habe . Das
wird mit Sicherheit in den Gesetzesvorlagen der Koali-
tion, die uns erreichen werden, zu verhandeln sein . Ihr
Gesetzentwurf ist gut gemeint, löst aber die zu Recht be-
schriebenen Probleme nicht wirklich .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812426100

Herzlichen Dank . – Wir sind am Ende der Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5405 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Wie auch sonst
manchmal ist die Federführung strittig . Die Fraktionen
der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, die Frakti-
on Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für
Kultur und Medien .

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Die Linke – Federführung beim Ausschuss für
Kultur und Medien – abstimmen . Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Dieser Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke abgelehnt .

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Federführung beim
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz – abstim-
men . Wer stimmt für diesen Vorschlag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvor-
schlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlän-
gerung der Befristung von Vorschriften nach
den Terrorismusbekämpfungsgesetzen

Drucksache 18/5924
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Verteidigungsausschuss

Siegmund Ehrmann






(A) (C)



(B) (D)


b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Evaluation nach Artikel 9 des Gesetzes zur
Änderung des Bundesverfassungsschutzgeset-
zes

Drucksache 18/5935
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden .1) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/5924 und 18/5935 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall .
Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses (7 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Gerhard
Schick, Kerstin Andreae, Dr . Thomas Gambke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten
Richard Pitterle, Susanna Karawanskij, Dr . Axel
Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Sonderermittler zur Aufarbeitung der
Cum-Ex-Geschäfte einsetzen

Drucksachen 18/3735, 18/6088

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden .2) – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann
ist so beschlossen .

Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/6088, den Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die
Grünen und Die Linke auf Drucksache 18/3735 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlus-
sempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Prinzipien des deutschen Bildungswesens
stärken – Gleichwertigkeit und Durchläs-
sigkeit der beruflichen und der akademi-
schen Bildung durchsetzen

1) Anlage 2
2) Anlage 3

– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Ausbildungsqualität sichern – Gute Ausbil-
dung für alle schaffen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer, Brigitte Pothmer, Kai
Gehring, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mit einer echten Ausbildungsgarantie das
Recht auf Ausbildung umsetzen

Drucksachen 18/4928, 18/4931, 18/4938,
18/6040

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte, die Plätze einzunehmen und die Gespräche,
die noch notwendig sind, vielleicht außerhalb des Plen-
arsaales zu führen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Dr . Thomas
Feist, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1812426200

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Wir beraten heute in dieser Debat-
te abschließend unseren hervorragenden Antrag


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


„Prinzipen des deutschen Bildungswesens stärken –
Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen
und der akademischen Bildung durchsetzen“ .

Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre an-
schaut, dann erscheint es mir so, dass wir für die beruf-
liche Bildung etwas mehr tun müssen, als wir das bisher
getan haben .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hindert Sie denn?)


Genau darauf zielt unser Antrag, und deswegen werden
wir ihm heute mit großer Mehrheit zustimmen . Das wer-
den auch Sie, Herr Kollege Mutlu, nicht verhindern kön-
nen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wo wir jetzt über die Gleichwertigkeit akademischer
und beruflicher Bildung reden, stelle ich mit Freude fest,
dass der Bundesregierung unsere Diskussionen, auch die,
die wir dazu im Ausschuss geführt haben, nicht verbor-
gen geblieben sind . So sind im Regierungsentwurf des
Haushaltes die Themenbereiche, deren Unterstützung
wir im Antrag gefordert haben, schon mit Mitteln unter-
setzt, die mich fröhlich stimmen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind aber leicht zufriedenzustellen!)


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Der Ansatz für die Berufsorientierung, den wir um
27 Prozent aufgestockt haben, bleibt in dieser Höhe be-
stehen . Das ist genau der richtige Weg, jungen Menschen
eine gute Berufs- und Studienorientierung zu ermögli-
chen . Bei der Vielzahl der Wege, die man über das Studi-
um und über den Beruf in eine Karriere hinein hat, ist es
wichtig, so vorzugehen und damit alle jungen Menschen,
egal welcher Schulform, zu erreichen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Darüber hinaus machen wir etwas für die überbetrieb-
lichen Ausbildungsstätten . Die überbetrieblichen Ausbil-
dungsstätten liefern genau dort einen Mehrwert, wo Be-
triebe entsprechende Fertigkeiten und Fähigkeiten nicht
vermitteln können . Bei der Förderung dieser überbetrieb-
lichen Ausbildungsstätten ist im Haushaltsentwurf ein
Aufwuchs von 25 Prozent vorgesehen . Auch das ist ein
Ergebnis unserer Beratungen, ein Ergebnis, worüber wir
uns freuen können .

Die Begabtenförderwerke assoziiert man gemeinhin
mit Studienförderwerken, aber es gibt Begabtenförde-
rung auch sehr erfolgreich in der beruflichen Bildung und
beruflichen Weiterbildung. Im Haushalt haben wir einen
Aufwuchs von 7 Prozent .

Ich komme noch zu einer anderen Zahl: Wenn wir
über Internationalisierung und Gleichwertigkeit im aka-
demischen Bereich reden, dürfen wir den beruflichen
Bereich nicht außen vor lassen . Auch dort gibt es einen
Mittelaufwuchs von 15 Prozent .

Von unserem Antrag sind also genau die richtigen Si-
gnale ausgegangen, meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Einen Punkt müssen wir noch in den Blick nehmen –
auch das ist im Antrag beschrieben –: die Berufsschulen .
Der Kollege von der SPD freut sich . Vielleicht wird der
Punkt nachher auch noch von der SPD erwähnt . Wir sind
uns aber völlig einig – ich glaube, im ganzen Haus –,
dass wir für die Berufsschulen mehr tun müssen;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Bernhard Kaster [CDU/CSU])


denn sie haben in den Ländern oft nicht den Stellenwert,
der ihnen eigentlich zustände . Da wird uns sicherlich
noch irgendetwas Gutes einfallen, was wir hier im Deut-
schen Bundestag auf den Weg bringen können, um die
Qualität an den Berufsschulen nicht nur sicherzustellen,
sondern sie auch dort, wo es nötig ist, ganz gezielt zu
erhöhen .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Bei den Berufsschulen, den überbetrieblichen Ausbil-
dungsstätten, geht es vor allen Dingen um Qualität . Wenn
ich an Qualität im internationalen Maßstab denke, dann
fallen mir die WorldSkills ein, die Berufsweltmeister-
schaften . Sie sind nicht nur deswegen gut, weil sie vor
zwei Jahren in meiner Heimatstadt Leipzig stattgefunden

haben . In diesem Jahr haben sie in São Paulo stattgefun-
den . Dort haben 1 200 junge Leute aus 50 Ländern in
59 Disziplinen miteinander gewetteifert, wer der Beste
ist. Ich finde, dass wir den Drive der WorldSkills nutzen
sollten, um etwas für Exzellenz im Bereich der berufli-
chen Bildung und Weiterbildung zu tun . Wir haben, um
ein Bild zu verwenden, einen super Breitensport, aber im
Spitzensport fehlt noch etwas . Ich will mich gerne mit
Ihnen in Zukunft für mehr Exzellenz in der beruflichen
Bildung einsetzen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812426300

Vielen Dank . – Als Nächste hat Dr . Rosemarie Hein,

Fraktion Die Linke, das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812426400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Dr . Feist, Ihre Fröhlichkeit kann ich nicht teilen .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist schade! Würde Ihnen gut stehen!)


Sie haben hier zum Beginn des neuen Ausbildungsjahres
eine Haushaltsrede gehalten . Ich will über andere Zahlen
reden .

Im vergangenen Jahr gab es in der beruflichen Bildung
bekanntlich einige Sorgen . Sie haben die Sorgen durch-
aus geteilt; zum Teil hatten wir sie gemeinsam . Auch aus
diesem Grund hat sich die Allianz für Aus- und Weiter-
bildung, in der Unternehmerverbände, Gewerkschaften,
Bundesagentur für Arbeit, Bund und Länder vertreten
sind, zusammengesetzt, um Lücken zu schließen . Es
wurde ein umfangreicher Maßnahmenkatalog verab-
schiedet, der zum Teil schon in diesem Ausbildungsjahr
umgesetzt werden sollte . Ich will mich nur mit zwei der
Maßnahmen befassen:

Erstens . Angesichts der hohen Zahl unversorgter Be-
werberinnen und Bewerber sollten der Bundesagentur für
Arbeit 20 000 zusätzliche Ausbildungsstellen gemeldet
werden . Das hielten wir für zu wenig . Wir haben auch be-
zweifelt, dass es zu schaffen ist . Nun hat die DGB-Jugend
am 1 . September einen Bericht auf Basis der Zahlen der
Bundesagentur vorgelegt, aus dem hervorgeht, wie es im
Monat August aussah . Fakt ist: Zur Erreichung des Ziels
von 20 000 zusätzlichen Stellen fehlten einen Monat vor
Ausbildungsbeginn noch 15 000 Stellen . Nun werden Sie
sicherlich sagen: Warten Sie mal ab, der 30 . – –


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Ich höre zu! Ich sage gar nichts!)


– Ich weiß doch, was Sie denken . So gut ist das schon .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das wusste man in der DDR schon immer!)


– Das war jetzt eine Bemerkung, die Sie sich gut hätten
schenken können .


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Thomas Feist






(A) (C)



(B) (D)


Sie werden also einwenden, dass am 30 . September ab-
gerechnet wird und bis dahin noch Zeit ist . Aber es ist ja
wohl nicht anzunehmen, dass man 15 000 Stellen in ei-
nem Monat schafft, wenn man in acht Monaten nur 5 000
geschaffen hat .

Vielmehr ist festzustellen, dass es jetzt noch weniger
Betriebe als im vergangenen Jahr gibt, die ausbilden . Die
Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze – es sind immer-
hin 123 000 bundesweit – ist hoch; aber mehr als doppelt
so viele Ausbildungsplätze werden noch gesucht, näm-
lich über 300 000 . Es ist also zu befürchten, dass dieses
wichtige Ziel der Allianz schon im ersten Jahr nicht er-
reicht wird .

Zweitens . Die Allianz wollte die soziale Chancen-
gleichheit beim Zugang zur Ausbildung verbessern .
Dazu wurde die Möglichkeit der assistierten Ausbildung
geschaffen und im SGB III verankert . Es gab dazu Mo-
dellprojekte, in denen sehr gute Erfahrungen gesammelt
wurden . Nun lasse ich mal beiseite, dass dafür die Bedin-
gungen im SGB III verschlechtert worden sind; es bleibt
trotzdem ein gutes Instrument . Also habe ich mich in der
Sommerpause umgehört, wie denn jetzt der Start gelun-
gen ist . Ich habe mit Unternehmen, mit der Bundesagen-
tur und mit Trägern geredet . Alle haben mir gesagt: Gute
Idee, aber wir haben Schwierigkeiten bei der Umsetzung .
10 000 Plätze sollten geschaffen werden, 5 000 sind es in
diesem ersten Jahr geworden, und nicht einmal die konn-
ten besetzt werden .

Es ist also offensichtlich schwierig, sowohl Betriebe
als auch Jugendliche davon zu überzeugen, dass eine as-
sistierte Ausbildung ihnen tatsächlich bei den Schwierig-
keiten helfen kann, die sie sonst hätten, zum Beispiel ihre
Ausbildung überhaupt anzutreten oder auch sie erfolg-
reich zu absolvieren . Vielleicht müssen wir bei unseren
Anstrengungen noch etwas nachlegen . Vielleicht müssen
wir überprüfen, ob die Instrumente überhaupt greifen .
Vielleicht muss man sich die Konditionen noch einmal
ansehen . Vielleicht muss man auch anders dafür werben .
Vielleicht muss man den bürokratischen Aufwand über-
prüfen usw .

Ich finde, man muss auch die Erfahrung der Träger,
die in der Modellphase gut gearbeitet haben, nutzen . Ich
verstehe überhaupt nicht, warum die Ausschreibungsbe-
dingungen so gestaltet wurden, dass viele Modellträger
aus der Modellphase keine Chance hatten, wieder den
Auftrag zu bekommen. Ich finde, da müssen Sie etwas
tun . Sie haben auch noch Zeit . Die nächste Ausschrei-
bung endet am 5 . November . Vielleicht können Sie da
noch etwas nachsteuern .

Verehrter Herr Dr . Feist, die Berufsschulen zu verän-
dern und ihre Qualität zu verbessern, das finden wir auch
wichtig; da sind wir uns einig . Ich muss Ihnen nur sagen:
Das ist dummerweise nicht Aufgabe des Bundes; viel-
mehr unterliegt das der Länderhoheit .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das sagen sonst immer nur andere! Sie sonst nie!)


– Das ist richtig . Ich würde da auch mitmachen . Aber Sie
sind doch immer der Hemmschuh an dieser Stelle .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Warten Sie doch einmal ab!)


– Schauen wir einmal, was Ihnen einfällt .

Sie können natürlich auch eines machen, nämlich un-
serem Antrag heute zustimmen . Dann wären eine ganze
Menge Probleme erledigt .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812426500

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Rainer Spiering,

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1812426600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-

legen! Ich habe nachgeschaut: Vor fast genau einem Jahr,
übrigens fast zur gleichen Zeit, habe ich an diesem Red-
nerpult gestanden und Bemerkungen zur universitären
Lehrerausbildung gemacht . Ich möchte mich ausdrück-
lich beim Kollegen Feist bedanken, dass er den Ball
aufgenommen hat und das Thema Berufsschule in den
Fokus der CDU/CSU-Fraktion gerückt hat .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das steht schon im Antrag drin!)


Auch ich möchte eindringlich begründen, warum das so
eminent wichtig ist .

Ich habe im letzten Jahr die Diskussion hier im Hau-
se verfolgt und festgestellt – Frau Dr . Hein, auch Ihre
Anmerkungen belegen das –, dass der Fokus hinsichtlich
beruflicher Ausbildung häufig auf die Nachfrageseite,
also auf die der Betriebe, gelegt wird . Wir sollten unseren
Fokus aber deutlicher auf die ganz starke Seite dessen
richten, was der Staat macht .

Sie dürfen nie vergessen: Berufsausbildung der Ju-
gend ist arbeitsmarktabhängig . Der Arbeitsmarkt kann
dabei helfen, den Jugendlichen einen viel besseren Start
ins Leben zu ermöglichen . Das ist eine Säule . Wir ver-
treten eine andere Säule – hinsichtlich der Zuständigkeit
der Länder bin ich übrigens auch nicht Ihrer Meinung –:


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Ist aber so!)


Staatliche Aufgabe ist die Berufsschulbildung . Wir ha-
ben übrigens, wenn ich auch das sagen darf, ein Berufs-
bildungsgesetz, und das ist Bundesangelegenheit .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Da kommen die Berufsschulen nicht vor!)


– Wenn Sie möchten, dann können Sie gern eine Zwi-
schenfrage stellen .

Dr. Rosemarie Hein






(A) (C)



(B) (D)


Was die Unterstützung der Länder oder die Frage der
Länderkompetenzen angeht, so möchte ich auf die „Qua-
litätsoffensive Lehrerausbildung“ eingehen, für die der
Bund 500 Millionen Euro frisches Geld freigegeben hat .
Darüber hatten nicht die Länder zu entscheiden . Viel-
mehr konnten sich die Universitäten bewerben . 500 Mil-
lionen Euro frisches Geld! Jetzt liegen die Ergebnisse
vor . In 2 von 30 Bewerbungen der Universitäten geht
es um Berufsschullehrerausbildung . Eine Bewerbung
möchte ich herausgreifen, weil ich sie schon im letzten
Jahr eingefordert habe: Die TU Berlin, die übrigens einen
richtig guten Ruf hinsichtlich der Berufsschullehreraus-
bildung hat, verfolgt ein Projekt, bei dem es um Profes-
sions- und Forschungsorientierung in berufsbezogenen
Lehramtsstudien geht . Das heißt, die TU Berlin geht auf
die Metaebene und hinterfragt: Was passiert eigentlich in
unserem Land? Das ist der richtige Ansatz . Nur wenn wir
Forschungsergebnisse haben, auch sozialwissenschaftli-
cher Art, die sich am Beruf orientieren, können wir auch
Antworten geben .

Ich möchte deutlich machen, warum das für uns alle
so wichtig ist . Wir sind ein Hightech-Land geworden .
Wir haben in den letzten zehn Jahren im Forschungs-
bereich elementar viel erlebt und erreicht . Im Bereich
Ingenieurwissenschaften haben wir einen Riesensprung
nach vorne gemacht . Berufsschule leistet den Transfer
dieser Erkenntnisse ins reale Leben . Dabei geht es um die
Kernkompetenz . Berufsschullehrerausbildung beinhaltet
nämlich Berufspädagogik, -methodik und -didaktik, und
zwar zehn Semester lang

Es geht mir darum, diese Qualität, die wir ehemals
vorzeigbar weltweit gehabt haben, wieder zu erreichen .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Das bedeutet, dass wir wesentlich elementarere Anstren-
gungen unternehmen müssen . Wir müssen unsere Uni-
versitäten auffordern, in diesem Bereich tätig zu werden .
Das ist keine Ländersache, sondern universitäre Sache .
Die Universitäten waren frei, sich zu bewerben .

Daraus, dass zwei Universitäten den Zuschlag be-
kommen haben, kann man zwei Varianten ableiten . Ers-
te Variante: Bei der Berufsschullehrerausbildung an den
Universitäten ist die Welt so in Ordnung, dass es keinen
Bedarf gibt . Zweite Variante, über die man auch mal
nachdenken kann: Die Berufsschullehrerausbildung ist
zurzeit nicht unbedingt im Fokus aller Universitäten .
Wenn dem so sein sollte, dann ist es Aufgabe dieses Ho-
hen Hauses, dies zu benennen und sich damit auseinan-
derzusetzen, und zwar sowohl mit den Mitteln der poli-
tischen Rede als auch mit den Mitteln eines Haushalts .

Wenn ich Herrn Dr . Feist richtig verstanden habe, hat
er den Ball vom vergangenen Jahr aufgenommen, und er
erkennt gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion die ele-
mentare und wichtige Bedeutung von Berufsschulen in
unserem Land . Wenn wir uns in diesem Hohen Hause da-
rüber einig sind, dann werden wir auch Mittel und Wege
finden, um die Berufsschulen in Zukunft wesentlich stär-
ker zu unterstützen, als wir das heute tun .

Herzlichen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812426700

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Am 1 . Septem-
ber hat ein neues Ausbildungsjahr begonnen – ein wei-
teres Jahr ohne Ausbildungsgarantie, ein weiteres Jahr,
in dem junge Menschen in Deutschland keine Garantie
auf einen Ausbildungsplatz haben . Diese Ausbildungs-
garantie haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der SPD und von der Union, in Ihrem Koalitionsvertrag
groß angekündigt . Heute wissen wir: Dieses Verspre-
chen haben Sie nicht eingelöst . Auch in den kommenden
Wochen werden deshalb wieder Hundertausende junger
Menschen in den Maßnahmen des Übergangsdschungels
landen . Das, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kol-
legen, ist für diese jungen Menschen eine herbe Enttäu-
schung und, wie ich finde, politisch untragbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sicher, im Bereich der Ausbildungspolitik hat sich ei-
niges getan . Das haben wir auch gehört . Wir begrüßen
zum Beispiel ausdrücklich, dass mit der assistierten Aus-
bildung – auch auf Druck der grünen Bundestagsfrakti-
on –


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Oh! – Zuruf des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Recht hat sie!)


– das finde ich schon – ein sehr sinnvolles Instrument
ausgebaut wird .

Die bisherigen Schritte sind jedenfalls für eine Gro-
ße Koalition und eine noch größere Allianz für Aus- und
Weiterbildung ziemlich klein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Och!)


– Ja, seien Sie doch nicht so verzagt! Wagen Sie doch
einmal einen großen Wurf! Das wäre auch eine Möglich-
keit .

Der Zugang zu Bildung ist der Schlüssel zu echter ge-
sellschaftlicher Teilhabe . Das wissen auch Sie . Ich den-
ke, in diesem Punkt sind wir uns auch einig . Das gilt für
diejenigen, denen das Lernen leichter fällt, und auch für
diejenigen, die etwas mehr Zeit brauchen . Das gilt ganz
besonders für die vielen jungen Menschen, die in diesen
Tagen als Flüchtlinge zu uns kommen . Auch das ist ein
Aspekt bei der beruflichen Bildung.

Die Hälfte der Flüchtlinge, die jetzt bei uns ankom-
men und in Deutschland Sicherheit und Schutz suchen,

Rainer Spiering






(A) (C)



(B) (D)


sind unter 25 Jahre alt und brauchen Bildung und Aus-
bildung .


(Beifall des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das sind nach Schätzungen allein in diesem Jahr etwa
400 000 bis 500 000 junge Menschen . Das stellt eine
gewaltige Herausforderung für unser Bildungssystem
dar und erfordert schnelles und entschiedenes Handeln .
Denn eins ist klar: All diese jungen Menschen werden
nicht einfach wieder verschwinden, auch wenn sich die
CSU das scheinbar immer noch anders wünscht .

Gerade Ihnen möchte ich sagen: Nehmen Sie doch
einmal ernst, was Ihre Freunde bei den Industrie- und
Handelskammern, beim Handwerk und den Arbeitgebern
seit Monaten fast gebetsmühlenartig vortragen: Junge
Flüchtlinge bringen Potenzial mit, sie sind wissbegierig,
sie wollen lernen, sie wollen arbeiten . Gleichzeitig su-
chen viele Unternehmen händeringend nach Azubis und
engagieren sich vorbildlich für Flüchtlinge . Das, liebe
Kolleginnen und Kollegen, verdient auch großen Res-
pekt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Von der Bundesregierung wird dieses große Engagement,
wie ich finde, viel zu wenig unterstützt.

Nehmen Sie einmal das Beispiel des Bleiberechts
während der Berufsausbildung . Seit vielen Monaten
fordern wir Sie gemeinsam mit den Sozialpartnern auf,
dafür zu sorgen, dass Asylsuchende und Geduldete wäh-
rend der Ausbildung nicht mehr abgeschoben werden
dürfen . Man kann kaum glauben, was Sie hier liefern .
Schaffen Sie doch endlich eine anständige und rechtssi-
chere Lösung!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das Gleiche gilt übrigens auch für den Zugang zu
staatlicher Unterstützung während der Ausbildung .
Junge Flüchtlinge sollen schnell in Ausbildung und Ar-
beit kommen . Das unterstützen wir voll und ganz . Wir
fragen uns aber schon, warum Sie so wenig tun, wenn
auch Sie dafür sind . Wir fordern Sie deshalb auf: Unter-
stützen Sie junge Flüchtlinge in der Ausbildung endlich
ordentlich!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer von Teilhabe und Integration spricht, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, der darf über Bildung nicht
schweigen . Lassen Sie Ihren schönen Worten also endlich
handfeste Taten folgen! Und sorgen Sie dafür, dass auch
junge Flüchtlinge die Hilfe bekommen, die sie für ihren
Ausbildungserfolg brauchen; das ist menschlich gebo-
ten, das ist integrationspolitisch wichtig, und das ist auch
volkswirtschaftlich sinnvoll . Lassen Sie uns gemeinsam
dafür sorgen, dass das duale System in Deutschland auch

bei der Integration von Flüchtlingen sein großes Potenzi-
al entfalten kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812426800

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Uda Heller .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Uda Heller (CDU):
Rede ID: ID1812426900

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Heute findet zeitgleich der erste Bund-Län-
der-Sondergipfel zum Thema Flüchtlinge statt . Es ist
mir daher ein besonderes Anliegen, der aktuellen Flücht-
lingsproblematik auch in dieser Debatte zur Berufsbil-
dung einen Platz einzuräumen .

Unsere Ministerin, Frau Wanka, hat in der gestrigen
Ausschusssitzung schon aufgezeigt, welch wichtige Im-
pulse gesetzt werden sollen . So werden beispielsweise
1,2 Milliarden Euro aus dem Haushalt für Berufsorien-
tierung und Potenzialanalysen eingesetzt . Davon sollen
500 000 Jugendliche und auch Flüchtlinge profitieren.

Wir alle kennen die Folgen des demografischen Wan-
dels . Mein Bundesland ist davon besonders betroffen:
Sachsen-Anhalt soll bis zum Jahr 2060 rund ein Drittel
seiner Bürger verloren haben . Meine Damen und Herren,
diese Entwicklung spiegelt sich auch deutlich in unserem
Ausbildungs- und Arbeitsmarkt wider . Uns allen ist be-
kannt, dass Unternehmen seit Jahren den zunehmenden
Mangel an Fachkräften und unzureichende Ausbildungs-
bewerber beklagen . Aus diesem Grund ist die deutsche
Wirtschaft auf Zuwanderung angewiesen . Wir sollten
diese dramatische Situation als Chance ansehen und un-
seren Flüchtlingen eine Perspektive geben . Gleichzeitig
warne ich davor, zu hohe Erwartungen zu wecken . Die
Mehrzahl der Jugendlichen hat keine Deutschkenntnisse
und ist nicht auf dem Stand, um sofort in eine Ausbildung
eingegliedert zu werden . Hier müssen wir eine Menge
Unterstützungsarbeit leisten . Dazu sind wir als Koalition
bereit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Problematisch ist auch, dass Jugendliche oft nicht an
Ausbildungsstandorten bleiben, die sie als unattraktiv
empfinden. Bei meinen Besuchen in gastronomischen
Einrichtungen wird mir berichtet, dass Auszubildende
aus dem Ausland ihre Ausbildungsstätten im ländlichen
Raum häufig verlassen und in attraktivere Städte wech-
seln . Viele Unternehmen haben dies bereits erkannt und
versuchen, durch wohnortnahe Ausbildung, durch An-
schlussperspektiven und andere Anreize Auszubildende
zu gewinnen . Hier denke ich beispielsweise an die In-
itiativen und Programme des Handwerks, der Siemens
AG oder auch an die Ausbildungsprojekte der Deutschen
Bahn für Migranten .

Neben den großen gibt es auch zahlreiche kleine Un-
ternehmen, beispielsweise den Fahrradhersteller MIFA

Beate Walter-Rosenheimer






(A) (C)



(B) (D)


in meiner Heimatregion . Auch dort will man versuchen,
junge Flüchtlinge über eine Berufsausbildung zu inte-
grieren . Im Moment versuchen wir, eine Ausbildungs-
klasse für Fahrradmonteure am Berufsschulstandort zu
bilden .

Besonders freue ich mich auch über die kürzlich un-
terzeichnete Erklärung aller 14 Partner der Allianz für
Aus- und Weiterbildung . Sie enthält zahlreiche Maß-
nahmen, damit Flüchtlinge schnellstmöglich in Bildung,
Ausbildung oder Beschäftigung kommen . Hierfür müs-
sen sich Bund, Länder, Wirtschaft, Gewerkschaften und
natürlich die Agentur für Arbeit intensiv abstimmen und
vernetzen . Meine Damen und Herren, ich denke, wir sind
uns alle einig, wenn ich sage, dass „Menschen in Sprache
und Arbeit zu bringen … der Schlüssel zum Integrations-
erfolg“ ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung hat durch zahlreiche Maßnah-
men bereits viel erreicht, um Flüchtlingen den Zugang
zum Arbeitsmarkt zu erleichtern . Zum Beispiel haben
wir das Gesetz zur Aufhebung des Arbeitsverbotes für
Asylsuchende und Geduldete verabschiedet . Seit dem
1. August 2015 sind Geduldete, die eine qualifizierte
Berufsausbildung aufnehmen wollen, für die Dauer der
Ausbildung vor einer Abschiebung geschützt . Auch die
Wartefrist für die Aufnahme einer Beschäftigung wur-
de auf 3 Monate gekürzt, und nach 15 Monaten entfällt
auch die Vorrangprüfung . Die Aufnahme von Praktika
sowie der Zugang zu ausbildungs- und berufsbegleiten-
den Maßnahmen für junge Asylsuchende und Geduldete
wurde erleichtert .

Dass sich jedes Engagement für die duale Ausbildung
lohnt, zeigt sich beispielsweise daran, dass nach Zeiten
sinkender Ausbildungszahlen im Handwerk nun ein An-
stieg der Zahl der Lehrverträge verzeichnet werden kann .

Wenn der Anstieg auch nicht allzu hoch ist, so sind auch
2 Prozent etwas . In den ostdeutschen Ländern sind es so-
gar 4,3 Prozent mehr als im Vorjahr .

Einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichwertigkeit
beider Bildungssäulen sind wir kürzlich gegangen, indem
wir die Leistungen nach dem AFBG deutlich verbessert
und so das Meister-BAföG erhöht haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit unserem Antrag wollen wir die Qualität und At-
traktivität der Berufsausbildung weiter stärken und junge
Menschen im Ausbildungssystem unterstützend beglei-
ten, egal ob Deutsche oder Migranten . Lassen Sie uns
diesen Weg gemeinsam gehen . Ich lade Sie herzlich ein,
unserem Antrag zuzustimmen und die Gleichwertigkeit
beider Bildungssäulen zu befürworten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812427000

Vielen Dank . – Als letzter Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt erhält jetzt der Kollege Willi Brase,
SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1812427100

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Unser gemeinsamer Antrag
zur Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit der beruflichen
und der akademischen Bildung zeigt sehr deutlich Wege
auf, wie wir dies Zug um Zug auch im Sinne von Qualität
nach vorne bringen werden. Wenn man sich die berufli-
che Bildung und die hochschulische Bildung anschaut –
auch das, was wir im Bachelor-Bereich mittlerweile an
vielfältigen Ordnungen haben –, dann sieht man, dass die
berufliche Bildung einen Vorteil hat, nämlich den, dass
die Ordnungen der über 320 Ausbildungsberufe eine bun-
desweite Gültigkeit haben . Diese bundesweite Gültigkeit
sollten wir erhalten und weiter unterstützen . Das ist ein
positives Merkmal . Um die Durchlässigkeit kümmern
wir uns . Das haben wir mit den Ländern verabredet und
beschlossen . Es gibt nach wie vor diese zwei wunderba-
ren Wege für die jungen Leute, um bis ganz nach oben
zu kommen . Das wird auch in unserem Antrag deutlich .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte – er
ist auch schon von Vorrednern dargestellt worden –, ist
die Situation mit den Flüchtlingen . Ich glaube, dass wir
ein großes und gutes Instrumentarium haben, um die
jungen Flüchtlinge, deren aufenthaltsrechtlicher Status
geklärt ist, sozusagen in Qualifizierung zu nehmen. Ich
möchte hier für die Einstiegsqualifizierung verbunden
mit Sprachkursen als ein wesentliches Mittel werben .
Bei der Einstiegsqualifizierung können junge Leute ein
Stück weit praktisch arbeiten und gleichzeitig Sprach-
kurse machen; dies orientiert sich an einer Ordnung der
dualen Ausbildung . Wenn wir das in der Allianz mit den
Arbeitgebern, mit den Unternehmen, mit den Organisa-
tionen und mit den Arbeitgeberverbänden gemeinsam
hinbekommen, machen wir etwas sehr Gutes und Sinn-
volles für die jungen Flüchtlinge in unserem Land . Dafür
möchte ich sehr herzlich werben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ein weiterer Punkt ist sicherlich die Frage – das haben
wir auch im Antrag formuliert –: Wie schaffen wir es, die
Wege des Aufstiegs durch die duale Ausbildung stärker
bekannt zu machen? Was haben wir an Fortbildungsord-
nungen? Ein Teil der Fortbildungsordnungen ist bundes-
weit geregelt . Wir haben auch vielfältige Ordnungen, die
in den jeweiligen Industrie- und Handelskammern oder
in den Handwerkskammern, sprich: in den zuständigen
Stellen, verankert sind . Für mich bedeutet Qualität der
dualen Ausbildung, diese Aufstiegsmöglichkeiten noch
viel stärker als bisher in der Berufsorientierung, in der
Berufsberatung deutlich zu machen, damit junge Leute
wissen, welchen wunderbaren Weg sie über die duale

Uda Heller






(A) (C)



(B) (D)


berufliche Ausbildung gehen können. Das halte ich für
richtig und notwendig .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch ganz kurz zwei Bemerkungen
zur assistierten Ausbildung und zur Unterstützung der
Bundesländer machen . Die assistierte Ausbildung wird
von der Allianz ausdrücklich gefordert . Wir haben sie im
Frühjahr dieses Jahres hier im Bundestag beschlossen .
Man kann bemängeln, dass das noch nicht genug ist; aber
wenn man sich die Verlautbarung der Allianz zur Betreu-
ung und zur Unterstützung von jugendlichen Flüchtlin-
gen anschaut, dann sieht man, dass dort die assistierte
Ausbildung neben anderen Maßnahmen angeführt wird .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Aber die Betriebe machen nicht mit!)


– Doch, auch die Betriebe machen mit .

Schauen Sie sich in der Presse an, was derzeit von Un-
ternehmen gesucht und was angeboten wird . Die Indus-
trie- und Handelskammern nicht nur in meiner Region,
sondern auch anderswo führen teilweise schon Kurse mit
Flüchtlingen durch; Ehrenamtliche erteilen dort Spra-
chunterricht . Das bürgerschaftliche Engagement ist ge-
waltig . Es ist gigantisch, was dort abläuft, nicht nur in der
direkten Betreuung, was Unterkunft, Kleidung und Essen
angeht, sondern auch im Hinblick auf die Maßnahmen
der Industrie- und Handelskammern . Da kann man nur
Danke schön sagen, dass dies so schnell und unmittelbar
vonstattengeht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Was die Berufsschulen angeht, Frau Kollegin Hein:
Wir haben 2002 – damals in Anbetracht der Zinserspar-
nisse aufgrund der Versteigerung der UMTS-Frequen-
zen – ein Programm aufgelegt und den Ländern Mittel
gegeben, um die sächliche, technologische Ausstattung
der Berufskollegs zu verbessern . Das war ein sehr gutes
Programm . Ich denke, auch da ist es richtig, wenn wir bei
den Berufsschullehrern anfangen . Wir brauchen zur Qua-
litätssicherung gute Berufsschullehrer . Ich halte das, was
Kollege Spiering, Kollege Feist und auch Sie gesagt ha-
ben, für richtig: Lassen Sie uns das gemeinsam machen!

Frau Präsidentin, jetzt muss ich noch einen ganz kur-
zen Satz zitieren, wenn ich darf .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812427200

Aber wirklich einen kurzen .


(Heiterkeit)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1812427300

Es ist ein ganz kurzer Satz .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812427400

Es ist immer verdächtig, wenn jemand von kurzen

Sätzen spricht .


Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1812427500

Am Ende wird alles gut . Wenn es nicht gut wird, ist
es noch nicht das Ende .

In diesem Sinne: Glück auf!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812427600

Danke . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind

damit am Ende dieses Tagesordnungspunktes angekom-
men .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung auf Drucksache 18/6040 . Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD auf Drucksache 18/4928 mit dem Titel „Prin-
zipien des deutschen Bildungswesens stärken – Gleich-
wertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der
akademischen Bildung durchsetzen“ . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
angenommen .

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 18/4931 mit dem Titel „Ausbildungsqualität si-
chern – Gute Ausbildung für alle schaffen“ . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen .

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/4938 mit dem Titel „Mit einer echten Ausbil-
dungsgarantie das Recht auf Ausbildung umsetzen“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim-
men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema
Movassat, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Versöhnung mit Namibia – Gedenken an und
Entschuldigung für den Völkermord in der
ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika

Drucksache 18/5407
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Uwe Kekeritz, Kordula Schulz-Asche,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Willi Brase






(A) (C)



(B) (D)


Die Beziehungen zwischen Deutschland und
Namibia stärken und unserer historischen
Verantwortung gerecht werden

Drucksache 18/5385
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Niema Movassat, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812427700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwi-

schen 1904 und 1908 beging das Deutsche Kaiserreich
in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem
heutigen Namibia, einen brutalen Völkermord . Bis zu
100 000 Menschen wurden damals ermordet . Es war
Generalleutnant Lothar von Trotha, der damals den Ver-
nichtungsbefehl gegen die Herero erteilte . Ich zitiere ihn:

Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit
Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik .
Ich vernichte die aufständischen Stämme in Strö-
men von Blut …

Die deutschen Truppen trieben daraufhin die Herero,
darunter Alte, Frauen und Kinder, in die Wüste und lie-
ßen sie dort verhungern und verdursten . Die deutschen
Kolonialherren steckten Herero und Nama in Konzent-
rationslager, deportierten sie und missbrauchten sie für
rassistische, pseudowissenschaftliche Experimente . Die
deutsche Wirtschaft zog Herero und Nama zur Zwangs-
arbeit heran . Doch nicht nur ihre Freiheit, sondern auch
ihr Land und ihr Vieh wurden ihnen geraubt .

Dies alles ist über 100 Jahre her . In diesen über
100 Jahren hatte kein einziges deutsches Staatsoberhaupt
den Mumm und den Anstand, das Wort „Völkermord“
in den Mund zu nehmen und offiziell um Vergebung zu
bitten. Ich finde das beschämend.


(Beifall bei der LINKEN)


Erst in den letzten Jahren bewegte sich endlich etwas:
2004 entschuldigte sich die ehemalige Entwicklungsmi-
nisterin Heidemarie Wieczorek-Zeul im eigenen Namen
erstmals für die Verbrechen . Seit dem letzten Jahr führt
das Auswärtige Amt einen Dialog mit der namibischen
Regierung, in dem es die Definition „Völkermord“
endlich anerkannt hat . In diesem Jahr schließlich, zum
100 . Jahrestag des Endes der deutschen Kolonialherr-
schaft im damaligen Deutsch-Südwestafrika, hat Bun-
destagspräsident Lammert unmissverständlich von Völ-
kermord gesprochen . Das alles ist sehr zu begrüßen .


(Beifall bei der LINKEN)


Zwei wesentliche Schritte zu einer echten Versöhnung
mit Namibia stehen aber noch aus:

Erstens eine offizielle Entschuldigung durch den Bun-
despräsidenten und die Bundeskanzlerin, am besten im
Rahmen eines Besuchs in Namibia, bei dem vor den
Nachfahren der Opfer um Vergebung gebeten wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Einige denken vielleicht: Das ist so lange her . Warum
müssen wir uns jetzt noch entschuldigen? Es hat etwas
mit Anstand zu tun, die Verbrechen der eigenen Vorfah-
ren beim Namen zu nennen und um Vergebung dafür zu
bitten . Das gehört zu einem anständigen Verhalten dazu .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens – und das ist sehr bedeutsam – leiden die
Nachfahren der Opfer bis heute an den Folgen des da-
maligen Völkermordes und insbesondere des Land- und
Viehraubs . Noch heute sind fast 80 Prozent ihres ur-
sprünglichen Farmlandes in der Hand von Weißen . Die
Nachfahren der Opfer sind bitterarm und haben keine
wirtschaftliche Grundlage für ein menschenwürdiges Le-
ben . Deshalb ist es notwendig, dass wir auch über eine
Wiedergutmachung diskutieren .


(Beifall der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


Dabei geht es nicht um individuelle Entschädigungen,
sondern darum, strukturelle Nachteile auszugleichen . Es
geht darum, diejenigen, deren Vorfahren Land und Vieh
genommen wurden und die deshalb bis heute in bitterer
Armut leben, zu unterstützen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung sollte diese Fragen in einem
transparenten und ergebnisoffenen Dialog mit der nami-
bischen Regierung und den Nachfahren der betroffenen
Volksgruppen diskutieren . Ich möchte auch darauf hin-
weisen, dass es dem internationalen Ansehen der Bun-
desrepublik schaden würde, wenn diese Dinge erst vor
internationalen Gerichten landen müssten – egal wie die
Entscheidung dann ausgeht .

Lassen Sie uns endlich die richtigen Schritte gehen .
Der Völkermord wird jetzt von der Bundesregierung
auch als solcher bezeichnet . Nun muss die Entschuldi-
gung folgen, und der Dialog über Wiedergutmachung
muss beginnen .

Ich finde es übrigens bedauerlich, dass die Regierungs-
koalition bisher keinen eigenen Antrag zu diesem Thema
hier vorgelegt hat . Insbesondere von der SPD bin ich
enttäuscht; denn in der letzten Legislatur haben Sie noch
einen recht vernünftigen Antrag mit der Unterschrift des
heutigen Außenministers Steinmeier vorgelegt .

Wir müssen endlich gemeinsam eine Lösung finden
und dafür sorgen, dass Deutschland seiner kolonialen
Vergangenheit offen ins Auge blickt . Das sind wir den
Nachfahren der Opfer schuldig .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812427800

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Professor Dr . Egon

Jüttner, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Egon Jüttner (CDU):
Rede ID: ID1812427900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Während der deutschen Kolonialzeit zwischen
1884 und 1915 sind in Deutsch-Südwestafrika die Men-
schenrechte schwer verletzt worden . Den traurigen Hö-
hepunkt stellt die brutale Niederschlagung des Aufstan-
des der Herero, der Nama und der Damara dar, in deren
Folge Zehntausende Menschen auf grausamste Weise
umkamen .

Als im August 1904 der Aufstand der Herero nieder-
geworfen wurde, floh der größte Teil von ihnen in die
fast wasserlose Kalahari-Wüste, wo sie mitsamt ihren
Frauen und Rinderherden verdursteten . Von rund 80 000
bis 100 000 Hereros im Jahre 1904 lebten 1911 nur noch
15 130 .

Die verbrecherische und menschenverachtende Vor-
gehensweise bei der Niederschlagung der Revolte der
Herero war bezeichnend für die Denkweise der damals
Verantwortlichen . Gefangene Herero und Nama wurden
von den Deutschen in eigens für sie errichtete Konzentra-
tionslager gebracht, in denen nicht einmal die Hälfte der
Gefangenen überlebte .

Die Verurteilung der damaligen Ereignisse ist par-
teiübergreifend . So wurden sowohl im Jahre 1989 unter
der von der CDU/CSU geführten Bundesregierung als
auch im Jahre 2004 unter der sozialdemokratisch geführ-
ten Regierung weitreichende Anträge beschlossen, die
das deutsch-namibische Verhältnis betreffen . In diesen
Anträgen bekennen sich die Antragsteller zu Schuld und
Verantwortung und stehen nach wie vor dazu .

Meine Damen und Herren, diese parteiübergreifen-
den Bekenntnisse machen deutlich, dass sich die Bun-
desrepublik Deutschland der historischen Verantwor-
tung Deutschlands für die Ereignisse im ehemaligen
Deutsch-Südwestafrika bewusst ist, zu ihrer Verantwor-
tung steht und deshalb besondere Beziehungen zu Nami-
bia pflegt.

Integraler Bestandteil, tragende Säule und Ausdruck
der besonderen Beziehungen zwischen Namibia und
Deutschland ist dabei die Entwicklungspolitik . Erwähnt
sei die seither gezahlte Summe der deutschen Entwick-
lungshilfe, die etwa 800 Millionen Euro beträgt . Damit
ist Namibia nicht nur afrikaweit Spitzenreiter deutscher
Zuwendungen pro Einwohner, sondern auch das Land,
das von Deutschland weltweit die höchste Entwicklungs-
hilfeleistung pro Einwohner erhält .

Im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenar-
beit werden Fachkräfte entsandt und beispielsweise für
den Transportbereich Ausbildungsprogramme erarbeitet .
Das Straßennetz wird verbessert . Bisher wurden etwa
1 000 Kilometer Straßen mit deutscher Unterstützung
gebaut oder erneuert . Im Jahre 2007 wurde außerdem
die deutsch-namibische Sonderinitiative begonnen, für

die Deutschland 31 Millionen Euro bereitgestellt hat .
Mit diesen Mitteln werden Maßnahmen der Kommunal-
entwicklung in den Siedlungsgebieten derjenigen Volks-
gruppen finanziert, die unter der deutschen Kolonialherr-
schaft besonders gelitten haben .

Im kulturellen Bereich – um nur ein weiteres Beispiel
zu nennen – gibt es ebenfalls eine gute Zusammenarbeit
zwischen Deutschland und Namibia . Das bilaterale Kul-
turabkommen zwischen beiden Ländern umfasst weit-
reichende Kooperationen in den Bereichen Hochschule,
Sprachförderung, Medien, Film, Literatur und Sport .

Meine Damen und Herren, es ist wohl unbestritten,
dass das, was vor 111 Jahren in Namibia geschehen ist,
nach heutigen Maßstäben des Völkerrechts als Völker-
mord bezeichnet wird . Die Rechtsnorm des Völkermords
wurde allerdings erst 1948 geschaffen, sodass ein Rück-
bezug nicht möglich ist und Rechtsansprüche daraus
auch nicht hergeleitet werden können . Dennoch gibt es
seit dem 2 . Juni 2014 – das muss man betonen – zwi-
schen dem deutschen Außenminister und der namibi-
schen Außenministerin einen politischen Dialogprozess,
der einen gemeinsamen Beitrag dazu leisten soll, die
Fragen der Kolonialzeit zu überwinden und eine würdige
Kultur des Gedenkens und Erinnerns an die damaligen
Gräuel zu finden.

Die Gespräche verlaufen, wie aus dem Auswärtigen
Amt zu hören ist, sehr gut, sind aber noch nicht abge-
schlossen . Diesem Prozess und seinem Ergebnis sollten
wir jetzt nicht durch Beschlüsse des Bundestages vor-
greifen . Vielmehr sollte erst der zwischen den beiden Re-
gierungen gefundene Konsens abgewartet und danach im
Deutschen Bundestag diskutiert werden .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812428000

Vielen Dank . – Als Nächster hat jetzt der Kollege Tom

Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812428100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir sind uns also hier im Hause einig: Das war
Völkermord . Es war der erste Völkermord im 20 . Jahr-
hundert, und es war einer, bei dem wir Schuld auf uns
geladen haben . Generalleutnant von Trotha, der damals
Verantwortliche, sagte:

Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero,
mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh, erschos-
sen . Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf,
treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie
schießen .

Das erfüllt den Tatbestand der wissentlichen und gewoll-
ten Ausrottung dieses Volkes .

Jetzt kann man sagen: Das ist lange her, wir sind uns
einig, und wir haben eigentlich schon alles gemacht . – In
anderen Versöhnungsprozessen zwischen Ländern, in de-
nen schwerste Verbrechen verübt worden sind – aktuell
gerade in Kolumbien –, fordern die Opfer immer Wahr-






(A) (C)



(B) (D)


heit, Gerechtigkeit, Entschädigung und die Garantie der
Nichtwiederholung .

Wir müssen uns schon fragen, wie weit die Wahrheit
über die koloniale Verantwortung Deutschlands in unse-
ren Schulen bekannt ist . Wissen wir, dass zum Beispiel
i
Marco Bülow (SPD):
Rede ID: ID1812428200


Wir wollen niemanden in den Schatten stellen, aber
wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne .

Das war unsere Sonne, nicht die Sonne in Afrika .

Wissen wir auch, dass zum Beispiel August Bebel in
diesem Hause an dieser Stelle vehement gegen den Ko-
lonialismus polemisiert hat?


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau! Liebknecht auch!)


Das ist weitgehend nicht bekannt . Das gehört aber zur
Wahrheit . Das muss in die Schulen .

Der zweite Punkt ist Gerechtigkeit . Wie kann man den
Nachkommen der Opfer Gerechtigkeit angedeihen las-
sen? Ich glaube, da ist sehr vieles nötig: das Anerkennen
der Schuld, etwa in einer Resolution dieses Bundestages,
die Bitte um Entschuldigung, auch durch eine Resolution
dieses Bundestages, aber vor allem die Wiederherstel-
lung der Würde der Opfer . Deshalb muss man die Nach-
kommen der Opfer anhören, und zwar auf Augenhöhe .
Das ist sehr schwierig . Da gibt es aber ein paar Dinge,
zum Beispiel die Rückgabe der Schädel, an die man
übrigens auf scheußliche Weise gekommen ist und die
angeblich zu wissenschaftlichen Zwecken – das waren
fadenscheinige Gründe – hierhergeschickt worden sind .
Aber es gibt auch andere Dinge, etwa Austausch oder
Zusammenarbeit .

Dann kommt der schwierige Punkt Entschädigung .
Was kann das sein? Richtig: Es geht nicht darum, jedem
Nachkommen oder jedem, der behauptet, ein Nachkom-
me zu sein, 1 000 Euro in die Hand zu drücken . Aber
eines ist ganz offensichtlich: Wer schon einmal in Nami-
bia war, der weiß, dass es in Namibia eine fast perfekte
Rassentrennung gibt . Von den wunderschönen Loggias
gehört keine einzige einem Schwarzen. Sie finden in den
Restaurants in Windhuk keinen einzigen weißen Kellner
und keinen einzigen schwarzen Gast. Sie finden in den
Slums in Namibia keinen einzigen Weißen . Das kann
doch kein Zufall sein .

Ich glaube, da müssen wir ansetzen . Wir müssen se-
hen: Da ist noch einiges im Argen . Das ist Rassismus,
wenn auch nicht so aggressiv wie damals in Südafrika,
den es anzugehen gilt . In diese Richtung müssen wir un-
sere Initiativen lenken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das darf nicht durch entwürdigenden Paternalismus ge-
schehen oder in der Art: Wir wissen schon, wie es geht .
Vielmehr muss dies mit der Bevölkerung, auch mit der
armen Bevölkerung des Landes geschehen und auch mit
Kritik an der reichen, der weißen Bevölkerung, die das
immer hintanstellt .

Ich glaube – das hat Professor Jüttner richtig gesagt –,
wir brauchen eine ganz besondere Beziehung zu der Re-
publik Namibia . Diese Beziehung muss so besonders und
so intensiv wie mit anderen Staaten sein, deren Angehö-
rige wir zu Opfern gemacht haben .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!)


Ich würde mich freuen, wenn sich das auf allen Ebenen
unseres Staates und auch in diesem Parlament ausdrü-
cken würde .

Danke sehr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812428300

Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar

Freitag, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1812428400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben heute Abend schon einiges über die deutsche
Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika, wie es da-
mals hieß, gehört . Ohne Zweifel gehört dieses Kapitel zu
den ganz dunklen in der deutschen Geschichte .

Natürlich – ich denke, darin sind wir uns hier alle
einig – ist es an der Zeit, eine politische und morali-
sche Verantwortung für die Gräueltaten an den Herero,
den Nama und Angehörigen weiterer Volksgruppen zu
übernehmen . Ich glaube, wir sind uns fraktionsübergrei-
fend dieser nicht geringen, sondern sehr großen Verant-
wortung bewusst . Ebenso sind wir uns – Herr Kollege
Koenigs, ich stimme Ihnen darin ausdrücklich zu – der
Schuld bewusst, die die kaiserlichen Kolonialtruppen auf
sich geladen haben, und ich wiederhole – auch wenn es
heute Abend schon mehrfach festgestellt worden ist –:
Der Vernichtungskrieg vor über 100 Jahren war ein
Kriegsverbrechen, ja, es war auch Völkermord .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundesaußenminis-
ter Dr . Frank-Walter Steinmeier nahm Mitte letzten Jah-
res mit seiner namibischen Amtskollegin Gespräche auf
mit dem Ziel, dem deutsch-namibischen Dialogprozess
neue Dynamik zu geben und endlich die ungeregelten
Fragen aus unserer Vergangenheit aufzuarbeiten . Ziel
dieses Dialoges ist es, gemeinsam – auf diesem Wort
liegt die Betonung – eine angemessene und natürlich
auch würdige Form des Gedenkens und des Erinnerns
an die entsetzlichen Taten der Vergangenheit zu finden.
Denn natürlich haben Deutschland und Namibia eine ge-
meinsame Vergangenheit, und diese muss auf der Basis
des gegenseitigen Vertrauens aufgearbeitet werden . Ich
glaube, die Initiative unseres Außenministers ist sehr

Tom Koenigs






(A) (C)



(B) (D)


dazu angetan, genau diese Basis des Vertrauens zu schaf-
fen .


(Beifall bei der SPD)


Die ersten Gespräche verlaufen auf beiden Seiten sehr
konstruktiv, aber – und das sollten wir nicht unterschät-
zen – sie werden ihre Zeit brauchen . Diese Zeit sollten
wir ihnen, denke ich, geben . Denn Sorgfalt geht in dieser
schwierigen Phase sicherlich vor Schnelligkeit .

Wichtig ist aus unserer Sicht – auch das möchte ich
erwähnen –, dass die namibische Seite mit abgestimmten
Wünschen in die formellen Gespräche mit Deutschland
hineingehen kann .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Es gibt
bereits einen eng abgestimmten Dialog auf Regierungse-
bene . Hinzu kommen – das werden auch die Kolleginnen
und Kollegen aus der SADC-Parlamentariergruppe be-
stätigen können – ausgesprochen gute parlamentarische
Beziehungen, nicht nur vonseiten der Präsidenten der
beiden Parlamente, sondern auch vonseiten der Fraktio-
nen des Hohen Hauses .

Im Juni dieses Jahres leitete ich als Vorsitzende der
SADC-Parlamentariergruppe eine Delegationsreise, die
uns selbstverständlich auch nach Namibia führte; das
war in der Gruppe von vornherein völlig klar . Wir hatten
dort einen ausgesprochen intensiven Meinungsaustausch
mit Abgeordneten sowohl der Regierungspartei als auch
der Opposition und mit zahlreichen Vertretern der Regie-
rung . Dies gilt es unbedingt aufrechtzuerhalten und, wo
möglicherweise noch notwendig, vielleicht auch noch zu
intensivieren . Denn wir dürfen eines nicht unterschätzen:
All das, was in der Vergangenheit von deutscher Seite in
Namibia geschehen ist, ist bis heute tief im geschichtli-
chen Bewusstsein der Menschen im Lande präsent .

Das heißt, ein offener Diskurs zur deutschen Koloni-
alvergangenheit ist aus unserer Sicht unverzichtbar . Wir
befürworten und unterstützen daher auch eine Vielzahl
von Förderprogrammen im In- und Ausland, die an die
Gewalttaten von damals erinnern . Ich will nur beispiel-
haft auf Maßnahmen des Auswärtigen Amtes wie die
„Aktion Afrika“ oder das Kulturerhaltprogramm ebenso
wie auf die Programme des Goethe-Instituts verweisen .

In diesem Zusammenhang ist es für Sie sicherlich
auch von Interesse, dass wir einem langgehegten namibi-
schen Wunsch nachkommen, indem wir das Goethe-Zen-
trum in Windhuk in ein Goethe-Institut umwandeln und
damit aufwerten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Nachgang des
100 . Jahrestages der Schlacht am Waterberg und der be-
reits zitierten Äußerungen der damaligen Entwicklungs-
ministerin Heidi Wieczorek-Zeul wurde die Sonderiniti-
ative „Namibian-German Special Initiative Programme“
ins Leben gerufen . Diese Sonderinitiative hat das Ziel,
durch mit der Bevölkerung abgestimmte Projekte die Le-
bensbedingungen in den Siedlungsgebieten derjenigen
Volksgruppen zu verbessern, die in besonderer Weise
unter der deutschen Kolonialherrschaft gelitten haben .

Zurzeit läuft eine gemeinsame Auswertung dieser Initi-
ative von namibischer und deutscher Seite . Eines wurde
in unseren Gesprächen in Namibia ganz deutlich – die
Kollegen werden das bestätigen können –: Eine Fortset-
zung dieser Sonderinitiative über das Jahr 2015 hinaus
würde begrüßt . Ich denke, wenn die Evaluierung posi-
tiv ist, werden wir uns fraktionsübergreifend – so ist es
jedenfalls verabredet – dafür einsetzen, diese Initiative
weiter zu verfolgen .

Zum Schluss noch ein Wort zu den Anträgen der Kol-
leginnen und Kollegen der beiden Oppositionsfraktio-
nen . Sie enthalten sehr viele richtige Ansätze und sinn-
volle Impulse . Aber viele der von Ihnen angesprochenen
Elemente sind ohnehin fester Bestandteil des laufenden
Dialogprozesses . Ich sage ganz offen: Ich halte es für
wenig sinnvoll, wenn in dieser sensiblen Phase der Ge-
spräche durch Anträge möglicherweise eine Diskussion
in Gang gesetzt wird, die nicht als ausgesprochen hilf-
reich bezeichnet werden könnte . Der Gedanke unseres
Handelns sollte wie ein roter Faden die Versöhnung zwi-
schen beiden Ländern sein . Das gilt für die Versöhnung
zwischen den Ländern genauso wie für die innernamibi-
sche Versöhnung; denn nach Möglichkeit sollen – auch
das ist wichtig – keine neuen innernamibischen Gräben
aufgerissen werden .

Wir sind auf einem wirklich guten Weg, unserer his-
torischen Verantwortung gegenüber Namibia – ich sage
ausdrücklich: endlich – gerecht zu werden . Daher begrü-
ße ich natürlich, dass beide Länder im Rahmen des Di-
alogprozesses an einer gemeinsamen Zukunft arbeiten .
Vergangenheit aufarbeiten bedeutet in der Konsequenz,
Zukunft zu gestalten . Das ist der Weg unserer beiden
Länder .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812428500

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Dr . Bernd Fabritius .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Dr. h.c. Bernd Fabritius (CSU):
Rede ID: ID1812428600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Was vor nunmehr 111 Jahren im heutigen Na-
mibia begann, ist sicher mehr als nur ein sehr trauriges
Kapitel deutscher Kolonialgeschichte . Ein beachtlicher
Teil der Historiker sowie letztlich die Aufzeichnungen
der deutschen Kolonialherren selbst zeichnen ein bruta-
les Bild des Grauens . Nachdem es zu einem Aufstand der
unterdrückten Völker und des damaligen Deutsch-Süd-
westafrikas kam, rächte sich die sogenannte deutsche
Schutztruppe gnadenlos und rottete mit menschenver-
achtender Konsequenz beträchtliche Teile der Stämme
aus .

Im vergangenen April haben wir in einer anderen
Debatte hier im Haus über das erbarmungslose Vorge-
hen des Osmanischen Reiches gegen die Armenier vor
100 Jahren gesprochen . Dabei wurde festgehalten, dass
die UN-Völkermordkonvention, die erst 1951 in Kraft

Dagmar Freitag






(A) (C)



(B) (D)


getreten ist, selbstverständlich hinsichtlich ihrer Rechts-
folgen nicht rückwirkend angewendet werden kann .
Gleichzeitig haben wir aber einhellig bekräftigt, dass die
in der Konvention enthaltene Definition von Völkermord
keine zeitlich beschränkende Komponente beinhaltet .
Deshalb haben wir damals klar gesagt, dass die an den
Armeniern verübten Verbrechen den Tatbestand des Völ-
kermordes erfüllen und daher selbstverständlich als Völ-
kermord zu bezeichnen sind .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Volker Beck GRÜNEN])


Lassen Sie es mich an dieser Stelle ganz klar sagen:
Selbstverständlich muss bei Beurteilung der Verbrechen
im damaligen Deutsch-Südwestafrika derselbe Maßstab
angelegt werden . Das Vorgehen der Kolonialtruppen
unter dem berüchtigten General von Trotha erfüllt bei
genauer Betrachtung und nach heutigen Erkenntnissen
den gleichen Tatbestand und kann daher – so meine fes-
te Überzeugung – ebenfalls als Völkermord bezeichnet
werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bereits in besagter Debatte im April habe ich daran
erinnert, dass eine wahrheitsgetreue, kritische Auseinan-
dersetzung mit der jeweils eigenen Geschichte Grundlage
jedweder Versöhnung ist . Ein solcher Aufarbeitungspro-
zess ist in Bezug auf die Verbrechen, die an den Herero,
Nama und anderen Völkern verübt wurden, seit länge-
rem im Gange . Das eindeutige Bekenntnis zur deutschen
Verantwortung hat auch der Bundestag bereits 1989 und
2004 bekräftigt, was Sie, Herr Kollege Jüttner, schon zu
Recht erwähnt haben .

Nicht nur aus diesem Grund bin ich allerdings über
den Zeitpunkt der Einbringung der Oppositionsanträge
etwas verwundert . Auch die Kolleginnen und Kollegen
der Grünen und der Linken müssten wissen, dass derzeit
ein Dialogprozess zwischen Deutschland und Namibia in
die entscheidende Phase geht, in dem gemeinsam eine
ganze Reihe der von Ihnen zu Recht – das betone ich –
vorgebrachten Punkte thematisiert werden . Am Ende die-
ser intensiv und erfreulich konstruktiv geführten Gesprä-
che soll ein würdiges Gedenken, ein würdiges Erinnern
an die damaligen Verbrechen gefunden werden . Es wäre
äußerst unklug – hier teile ich ebenfalls die Meinung des
Kollegen Jüttner –, den Ergebnissen dieses Dialogpro-
zesses vorzugreifen .

Ihre Anträge verwundern auch aus einem anderen
Grund: Es gibt in Afrika nun wahrlich eine ganze Rei-
he akuter Probleme zu bewältigen . Von Somalia über
Boko Haram bis hin zu den Nachwehen des sogenann-
ten Arabischen Frühlings reicht die Bandbreite, um nur
einige dieser Probleme zu nennen . In Europa wiederum
stehen wir derzeit vor der größten Herausforderung für
Staat und Gesellschaft seit Jahrzehnten . Die Asylkrise in
Deutschland ist Symptom einer humanitären Katastro-
phe gigantischen Ausmaßes . Wir werden mit einer Völ-
kerwanderung konfrontiert, auf die unser Asylrecht – als
Individualanspruch für einzelne Personen und nicht für
ganze Völker – nicht eingerichtet ist und die, wenn es

so weitergeht, zu einem Kollaps staatlicher Systeme füh-
ren wird . Sie verweigern sich einer Realpolitik zu dieser
Thematik, erschöpfen sich in Symbolpopulismus und be-
schäftigen uns mit solchen Anträgen, die nur eine weitere
emotionale Betroffenheit befeuern sollen . Dem kann ich
nicht zustimmen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das sind schon böse Unterstellungen! Das sind sehr mutwillige Unterstellungen!)


Was Sie in Ihren Anträgen leider auch ausblenden,
auch wenn Sie, Herr Kollege Movassat, es vorhin zu-
gegeben haben: Parallel zu dem angesprochenen Di-
alogprozess findet seit vielen Jahren gerade wegen der
besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber
Namibia eine ausgeprägte Entwicklungszusammenar-
beit statt . Diese ist integraler Bestandteil der besonderen
Beziehungen beider Länder, was auch im Umfang der
deutschen Leistungen deutlich zum Ausdruck kommt:
Bis zum Jahr 2014 belief sich das Volumen der Entwick-
lungszusammenarbeit auf insgesamt über 800 Millionen
Euro .

Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar – damit
komme ich zum Ende –, dass die bilateralen Beziehungen
zu Namibia weiterhin so hohe Priorität genießen . Noch
mehr freut es mich, dass in den vergangenen Jahren ge-
radezu freundschaftliche Bande zwischen unseren beiden
Ländern aufgebaut werden konnten . Gerade deshalb bin
ich sehr zuversichtlich, dass der laufende Dialogprozess
zeitnah und vor allem mit einem positiven Ergebnis im
Sinne einer angemessenen Aufarbeitung abgeschlossen
werden kann . Die Anträge der Opposition brauchen wir
dazu nicht, erst recht nicht zum jetzigen Zeitpunkt .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812428700

Vielen Dank . – Wir sind damit am Ende der Ausspra-

che .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/5407 und 18/5385 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall .
Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Berei-
nigung des Rechts der Lebenspartner

Drucksache 18/5901
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Dr. Bernd Fabritius






(A) (C)



(B) (D)


Ich eröffne die Aussprache . Für die Bundesregierung
hat der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange
das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


C
Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1812428800


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung ist ein weiterer wichtiger Schritt hin zum Ziel der
vollständigen Gleichstellung von Ehe und Lebenspart-
nerschaft .


(Volker Beck GRÜNEN]: Ich dachte, es geht um Rechtsbereinigung!)


In gleichgeschlechtlichen Partnerschaften werden
Werte gelebt, die grundlegend für unsere Gesellschaft
sind . Die Bundesregierung verfolgt daher das Ziel, be-
stehende Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen
Lebenspartnerschaften und damit eine unterschiedliche
Behandlung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen
Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen zu been-
den . Dies umfasst insbesondere die Beseitigung rechtli-
cher Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspart-
nerschaften im Vergleich mit der Ehe schlechterstellen .

Lebenspartnerschaften – in kaum einem anderen Be-
reich des Rechts dürfte es in den letzten Jahren einen
so erheblichen und rasanten gesellschaftlichen Wandel
und, damit verbunden, eine Änderung des Rechts gege-
ben haben . Diese Entwicklung dauert noch an . Erst seit
dem 1 . August 2001 können gleichgeschlechtliche Paare
durch Begründung einer Eingetragenen Lebenspartner-
schaft ihrer Beziehung einen rechtlichen Rahmen ge-
ben, nicht einmal zehn Jahre nach der ersatzlosen Auf-
hebung der Strafandrohung in § 175 Strafgesetzbuch .
Um die Schlechterstellung von Lebenspartnerinnen und
Lebenspartnern zu beseitigen, wurden in der Folgezeit
weitere Anpassungen, unter anderem im Steuerrecht und
im Beamtenrecht, vorgenommen . Noch immer gibt es je-
doch im deutschen Recht Vorschriften, in denen Ehe und
Lebenspartnerschaft unterschiedlich behandelt werden,
ohne dass dafür ein überzeugender Grund ersichtlich
wäre, und genau das wollen wir ändern .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat
nach der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsur-
teils zur Sukzessivadoption im letzten Jahr nunmehr den
Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der
Lebenspartner auf den Weg gebracht .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812428900

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Beck?

C
Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1812429000


Nein, das gestatte ich nicht; denn ich bringe den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung ein .


(Volker Beck GRÜNEN]: Sie sollten hier mal erläutern, warum da was drinsteht und anderes nicht!)


Der Gesetzentwurf sieht gleichstellende Regelungen
für Ehe und Lebenspartnerschaft in zahlreichen Gesetzen
und Verordnungen aus ganz unterschiedlichen Rechtsge-
bieten vor . Die vorgeschlagenen Änderungen betreffen
insbesondere das Zivilrecht, das Sozialrecht und das Ver-
fahrensrecht .

Ich möchte hervorheben, dass der Entwurf mehrere
Änderungsvorschläge enthält, die durchaus sehr große
praktische Auswirkungen entfalten, zum Beispiel die
geplante Einführung einer Bescheinigung zur Begrün-
dung einer Lebenspartnerschaft im Ausland . Der Ge-
setzentwurf sieht die Möglichkeit der Ausstellung einer
Bescheinigung für gleichgeschlechtliche Paare vor, die
im Ausland eine Partnerschaft auf Lebenszeit begründen
wollen . Die Behörden einiger Staaten verlangen näm-
lich eine Bescheinigung einer deutschen Behörde, dass
der Begründung einer Partnerschaft auf Lebenszeit kein
rechtliches Hindernis entgegensteht . Eine deutsche Be-
scheinigung ist daher notwendig . Ihre Einführung ent-
spricht nicht nur dem Wunsch der Betroffenen; auch die
deutschen Auslandsvertretungen haben einen entspre-
chenden Bedarf mitgeteilt .

Als wichtigen Schritt auf dem Weg hin zur vollständi-
gen Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft
sehe ich ferner, dass mit dem Inkrafttreten des Gesetzes
eine Gleichstellung im gesamten Mietrecht erreicht wird .
Dann wird nämlich beim Tod eines Mieters dessen Le-
benspartner ein vorrangiges Eintrittsrecht in das Miet-
verhältnis zustehen . Nach derzeitigem Recht hat nur ein
Ehepartner ein solches vorrangiges Eintrittsrecht .

Sie sehen: Mit diesem Gesetzentwurf kommen wir
auf dem Weg der vollständigen Gleichstellung der Le-
benspartnerschaft mit der Ehe ein Stück weiter .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck NIS 90/DIE GRÜNEN]: „Ein Stück“ und „vollständig“! Die Formulierung ist ja kabarettreif!)


Deshalb, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bitte
ich um Ihre Zustimmung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812429100

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Harald Petzold,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812429200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Sehr verehrte Besucherinnen und Besucher! Der
vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des
Rechts der Lebenspartner, wie er genannt wird, ist aus
Sicht meiner Fraktion eine einzige Mogelpackung .


(Beifall bei der LINKEN)


Er täuscht etwas vor, was er im Endeffekt nicht einhält .


(Volker Beck GRÜNEN]: Er bereinigt!)


– Na ja . Volker, du wirst uns nachher noch ganz ge-
nau erklären, was er bereinigt . – Ich sage: Man könnte es
auch Betrug nennen .


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)


Es ist bezeichnend, dass sich Herr Staatssekretär
Lange als Vertreter eines SPD-geführten Bundesministe-
riums hier weigert, eine Zwischenfrage zu dem Gesetz-
entwurf zuzulassen,


(Mechthild Rawert [SPD]: Ein bisschen auf dem Teppich bleiben! – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das ist jedermanns Sache! – Volker Beck GRÜNEN]: Dann hätte er die Hosen runterlassen müssen!)


weil nämlich die SPD im Wahlkampf versprochen hat:
100 Prozent Gleichstellung nur mit uns .


(Mechthild Rawert [SPD]: Das wollen wir immer noch!)


Jetzt wird wieder ein Gesetzentwurf vorgelegt, der
nicht vollständig gleichstellt . Das ist ein Betrug an all
denjenigen, die an die Umsetzung des Koalitionsvertra-
ges glauben und auf das vertrauen, was dort zugesichert
wird, dass nämlich bestehende Diskriminierungen von
gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und von
Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen ge-
sellschaftlichen Bereichen beendet werden .


(Mechthild Rawert [SPD]: Daran arbeiten wir noch!)


Das wird mit diesem Gesetzentwurf nicht eingehalten .
Ich frage Sie: Ist es Ihnen nicht peinlich, dass Sie die
Umsetzung des Koalitionsvertrages nicht einmal von Ih-
rem SPD-geführten Bundesministerium einfordern, ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bankrotterklärung!)


An die Bundesregierung gerichtet, sage ich: Wir ha-
ben jetzt die Halbzeit der Wahlperiode . Sie feiern sich als
Bundesregierung rauf und runter,


(Zurufe von der CDU/CSU: Zu Recht!)


aber kommen uns hier wieder mit einem Gesetzentwurf,
den Sie noch dazu als großen Wurf feiern, der nicht
gleichstellt – im Gegenteil . Sie schreiben ja selbst:

Es handelt sich hierbei im Wesentlichen um redakti-
onelle Änderungen von Vorschriften von geringerer
praktischer Bedeutung .

Genau das ist es .


(Mechthild Rawert [SPD]: Mietrecht ist nicht so ohne!)


Die Bundesländer – wenigstens diejenigen mit Regie-
rungsbeteiligung von SPD, Grünen und Linken – haben
inzwischen begriffen, dass man das Problem mit einem
einzigen Satz lösen könnte: der Öffnung der Ehe für
gleichgeschlechtliche Partnerschaften .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Genau das hat die Linke bereits im Dezember 2013 mit
einem Gesetzentwurf vorgeschlagen, der seitdem im
Rechtsausschuss zur Behandlung vorliegt, genauso wie
es Bündnis 90/Die Grünen in diesem Sommer beantragt
haben; ihr Gesetzentwurf liegt ebenfalls im Rechtsaus-
schuss . Sie haben immer mit dem Verweis darauf, dass
die Bundesregierung einen eigenen Gesetzentwurf ein-
bringen wird, eine öffentliche Anhörung zu unseren Ge-
setzentwürfen verhindert oder verschoben,


(Dr . Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: Kommt doch jetzt!)


und jetzt legen Sie hier einen solchen Witz vor .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist ja eine Sauerei!)


Kommenden Freitag werden die Bundesländer uns
wieder ins Stammbuch schreiben, was eigentlich ver-
langt wird, nämlich die volle rechtliche Gleichstellung .
Die Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg,
Schleswig-Holstein, Thüringen, Bremen, Hamburg,
Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – alles Bundes-
länder, in denen die Linke, die SPD und die Grünen an
der Regierung beteiligt sind – werden einen entsprechen-
den Gesetzentwurf vorlegen . Brandenburg wird dem als
neuntes Bundesland ebenfalls zustimmen . Damit ist die
Mehrheit gesichert . Dieser Gesetzentwurf ermöglicht die
Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare durch
Ergänzung des § 1353 des BGB .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie hier im Bundestag die Abstimmung schon
nicht freigeben, sodass jeder Abgeordnete nach seinem
Gewissen abstimmen kann, dann nehmen Sie sich doch
wenigstens ein Beispiel an dem Abstimmungsverhalten,
das im Bundesrat gepflegt wird. Wenn sich dort eine Ko-
alitionsregierung nicht einig ist, dann enthält sie sich .
Enthalten Sie sich hier doch einfach der Stimme, wenn
über die Gesetzentwürfe von Grünen und Linken abge-
stimmt wird! Dann reichen unsere Stimmen nämlich aus .
Dann haben wir eine Mehrheit dafür, dass endlich gleich-
gestellt werden kann .






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812429300

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Dr . Sabine Sütterlin-Waack .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU):
Rede ID: ID1812429400

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Be-
reinigung des Rechts der Lebenspartner, den wir heute
in erster Beratung lesen, ist ein weiterer wichtiger Schritt
zur rechtlichen Gleichstellung von Ehegatten und Le-
benspartnern; der Herr Staatssekretär hat das ausgeführt .
Die Bundesregierung hat ein Artikelgesetz ausgearbeitet
ähnlich dem Gesetz zur Anpassung steuerlicher Regelun-
gen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts, das wir im letzten Jahr verabschiedet haben .


(Volker Beck GRÜNEN]: Dafür haben Sie gleich zwei Gesetze gebraucht, weil es im ersten Anlauf nicht geklappt hat!)


Mithilfe des Gesetzes sollen Vorschriften verschiedens-
ter Rechtsbehelfe angepasst werden, Vorschriften, in de-
nen Ehegatten und Lebenspartner bislang unterschiedlich
behandelt wurden .

Gleich vorweg: Die gemeinsame Adoption durch
gleichgeschlechtliche Paare sowie die Öffnung der Ehe
stehen heute nicht zur Debatte bzw . sind – wenig über-
raschend – nicht Regelungsgegenstand des vorliegenden
Gesetzentwurfs .


(Mechthild Rawert [SPD]: Was nicht ist, kann ja noch kommen!)


Der Entscheidungsfindung mit Blick auf diesen Ge-
setzentwurf und einige andere Gesetzentwürfe wird
sicherlich die öffentliche Anhörung am kommenden
Montag dienen . Dem Kenner der Materie wird nicht
entgangen sein, dass uns vor einigen Monaten ein Ar-
tikelgesetz, eingebracht von der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen, vorgelegt wurde, das eine höhere Anzahl an
zu verändernden Gesetzen zum Inhalt hat . Aus diesem
quantitativen Unterschied lässt sich nun aber wirklich
nicht der Schluss ziehen, die Regierungskoalition wol-
le weitere Ungleichheiten bewusst aufrechterhalten . Das
wäre falsch .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Fast alle im vorliegenden Gesetzentwurf ungeregelten
Angleichungen werden auf andere Art und Weise regu-
liert, teils durch Wegfall, teils durch grundlegende Über-
arbeitung der entsprechenden Gesetze .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812429500

Frau Kollegin, der Kollege Beck möchte Ihnen eine

Frage stellen .


Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU):
Rede ID: ID1812429600

Ich folge der Tradition des Staatssekretärs und möchte

diese Frage nicht zulassen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812429700

Der Kollege Beck hat danach auch noch das Wort .


(Volker Beck GRÜNEN]: Weil die Koalition nicht in der Lage ist, ihren Gesetzentwurf zu verteidigen!)



Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU):
Rede ID: ID1812429800

Heute geht es überwiegend um redaktionelle Ände-

rungen von Vorschriften des Zivil- und Verfahrensrechts
sowie des sonstigen öffentlichen Rechts . So sieht der Ge-
setzentwurf gleichstellende Regelungen unter anderem
in der Insolvenzordnung, im Bereich der Vollstreckung,
im Bundesvertriebenengesetz sowie in vielen anderen
Gesetzen und Verordnungen vor . Konkret heißt es zum
Beispiel, dass die Vorschriften bezüglich der Insolvenz-
masse nicht nur für die ehelichen Partner, sondern auch
für die Gütergemeinschaft der Lebenspartner gelten .
Darüber hinaus wird geregelt, dass ein eingetragener
Lebenspartner gegenüber seinem Partner nun auch die
einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bean-
tragen kann, allerdings nur, wenn diese der Aufhebung
der Miteigentümergemeinschaft dient und Kinder sonst
in Mitleidenschaft gezogen werden würden . Ansprüche
aus dem Bundesvertriebenengesetz können dem Gesetz-
entwurf folgend jetzt nicht nur durch Ehegatten, sondern
auch durch die eingetragenen Lebenspartner geltend ge-
macht werden .

In einigen wenigen Fällen gab es sogar Besserstellun-
gen der Lebens- gegenüber den Ehepartnern .


(Volker Beck GRÜNEN]: Das ist Quatsch!)


Auch diese werden nun beseitigt . So wird künftig nicht
nur die Begründung der doppelten Ehe, sondern auch die
Eingehung der doppelten Lebenspartnerschaft strafbar
sein . Wir beraten also heute keine spektakulären, aber
dennoch wichtige Änderungen .


(Volker Beck GRÜNEN]: Können Sie das Frau Kramp-Karrenbauer gleich durchgeben?)


Besonders hervorheben möchte ich die Änderung im
Personenstandsgesetz sowie die Änderung im BGB im
Bereich des Mietrechts .

Im Personenstandsgesetz ist ein bisher wichtiger
Sachverhalt nicht geregelt, nämlich das Ausstellen von
Ehefähigkeitszeugnissen für diejenigen, die im Ausland
eine Partnerschaft auf Lebenszeit mit einem gleichge-
schlechtlichen Partner begründen wollen . Bisher war das
Ausstellen solcher Zeugnisse den Ehewilligen vorbehal-

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


ten . Eine derartige Bescheinigung ist in einigen Staaten
eine Voraussetzung, um zu heiraten oder die Partner-
schaft eintragen zu lassen . Deswegen ist die Neuregelung
des § 39 a Personenstandsgesetz sehr zu begrüßen . Durch
diese Vorschrift wird es dem zuständigen Standesamt
künftig möglich sein, ein Äquivalent zum Ehefähigkeits-
zeugnis auszustellen .

Wir haben es schon gehört: Eine weitere Änderung,
die ich ausdrücklich erwähnen möchte, ist die Ergänzung
im Mietrecht . Konkret: Jetzt können Lebenspartner ge-
nau wie Ehepartner nach dem Tod des alleinigen Mieters
vorrangig vor den Kindern in den Mietvertrag eintreten .

Wir gehen also mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
den seit 2001 beschrittenen Weg weiter, Lebenspartner
und Ehegatten rechtlich gleichzustellen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812429900

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Volker Beck,

Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Endlich! – Mechthild Rawert [SPD]: Jetzt sind wir aber neugierig!)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812430000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war

ein Beispiel für Feigheit vor der Wahrheit, wenn Koaliti-
onsredner nicht Rede und Antwort stehen wollen zu der
Frage


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Was wollten Sie denn fragen? Wir sind schon sehr gespannt!)


– das will ich gerade sagen; vielleicht kann der Anschluss-
redner das aufklären –, warum bestimmte Regelungen
in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung enthalten
sind, inwiefern das Recht da bereinigt wird, wie es in der
Überschrift des Gesetzentwurfs heißt, und warum andere
Regelungen darin fehlen . Es ist ja nicht so, dass dieses
Gesetz konkurrenzlos ist . Sie haben es erwähnt: Ein Ge-
setzentwurf meiner Fraktion, der tatsächlich Schluss ma-
chen würde mit allen Rechtsungleichheiten zwischen der
Lebenspartnerschaft und der Ehe, liegt seit einem Jahr im
Rechtsausschuss . Sehen wir einmal von dem Streit beim
Adoptionsrecht ab, bleiben trotzdem noch einige Fragen
offen: Warum werden die Schutzrechte im Transsexuel-
lengesetz, die für Ehegatten gelten, nicht auf Lebenspart-
ner übertragen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [DIE LINKE])


Warum wird bei der Einbürgerung des Lebenspartners
eines Spätaussiedlers – das interessiert vielleicht Herrn
Fabritius – ein anderes Recht angewandt, als wenn beide
verheiratet wären?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Welches Defizit haben homosexuelle Menschen, dass
beim Sprengstoffgesetz für Ehegatten und Lebenspartner
ein anderes Recht gelten soll?


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unglaublich!)


Haben Sie sich etwas dabei gedacht, oder haben Sie ein-
fach den Überblick verloren?

Dass Sie den Überblick verloren haben, mag schon
sein . Wir haben im Mai nachgefragt, ob die Bundesre-
gierung weiß, wie oft das Lebenspartnerschaftsrecht seit
2001 geändert wurde . Die Bundesregierung konnte das
nicht sagen . Mittlerweile wissen die Ressorts nicht mehr,
wann und wo sie etwas angeglichen haben oder wo sie
bei einer Reform etwas vergessen haben, was hinterher
wieder angeglichen werden muss . Das zeigt: Das Herum-
doktern am Lebenspartnerschaftsgesetz sollte ein Ende
haben . Nehmen Sie sich an der großen Zahl der Länder
ein Beispiel, und öffnen Sie die Ehe!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das wäre ein Beitrag zur Entbürokratisierung, und das
würden die Menschen verstehen . Wie wollen Sie eigent-
lich den vielen Menschen, die gerade zu uns kommen,
erklären, was den Gesetzgeber getrieben hat, ein Le-
benspartnerschaftsgesetz zu verabschieden, und was es
beinhaltet?


(Dr . Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: Die Flüchtlinge haben andere Probleme!)


Lassen Sie uns die Ehe öffnen . Jeder weiß, was darunter
zu verstehen ist . Von Finnland bis Südafrika, von Kanada
bis Argentinien gibt es die Ehe für gleichgeschlechtliche
Paare . Was läuft in diesem Land verkehrt, dass das bei
uns nicht möglich sein soll?

Frau Kramp-Karrenbauer, Ihre Parteivorsitzende im
Saarland, hat kürzlich vor Publikum erklärt, worum es
geht . Ja, es ginge um Bauchgefühl . – Ich sage Ihnen: Es
wäre ganz schön, Frau Merkel kaufte sich einen Kamil-
lentee, widmete sich der Besserung ihrer Stimmung im
Bauch


(Mechthild Rawert [SPD]: Magen!)


und sagte auch bei diesem Thema: Ja, gleiche Rechte für
Lesben und Schwule, Respekt vor der Verschiedenheit
der Menschen . Wir schaffen das .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812430100

Vielen Dank . – Als Nächster hat Alexander Hoffmann,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1812430200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Kollege Beck, ich habe Ihren Einwurf

Dr. Sabine Sütterlin-Waack






(A) (C)



(B) (D)


bezüglich der Flüchtlingssituation nicht so recht verstan-
den .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich schon!)


Die Zuwanderungssituation stellt uns im Moment vor
besondere Herausforderungen. Ich finde es wichtig, dass
auch die Regierungskoalition keinerlei Zweifel daran
lässt, dass die Menschen, die in diesen Tagen zu uns kom-
men, unser Rechtsgefüge, unsere Rechtsordnung akzep-
tieren müssen . Dazu gehört auch, dass gleichgeschlechtli-
che Menschen bei uns in Form einer Lebenspartnerschaft
gegenseitige Verantwortung auf Lebenszeit übernehmen
können. Aber, Herr Kollege Beck, Sie pflichten mir si-
cher bei, dass das eine große Herausforderung sein wird,
weil es gerade im muslimischen Kulturkreis noch das
eine oder andere Vorurteil zu beseitigen gilt .


(Volker Beck GRÜNEN]: Vor allen Dingen, wenn Sie die Differenzierung im Sprengstoffgesetz erklären müssen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass
wir heute die Gelegenheit haben, über dieses Thema zu
debattieren . Es ist ein Thema, das sensibel ist und Emo-
tionen betrifft . Deswegen ist es wichtig, dass wir darüber
reden und nicht nur etwas aufschreiben und zu Protokoll
geben . Was mich an dieser Debatte grämt – das will ich
ganz offen sagen –, ist, dass die Opposition heute wieder
keine Gelegenheit ausgelassen hat, das Bild von einer
Union zu zeichnen, die offensichtlich durchsetzt ist von
homophoben Spinnern .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja!)


Wenn man genau hinsieht, dann muss man ehrlich sagen:
Über 90 Prozent der Regelungen, die wir heute verab-
schieden, können Sie unterschreiben . Warum kann man
an der Stelle nicht fernab von jeglicher Parteipolitik sa-
gen: „Mensch, das ist ein gewaltiger Schritt in die rich-
tige Richtung“?


(Harald Petzold Weil es kein gewaltiger Schritt ist, Herr Kollege!)


Das ist ein Schritt in die richtige Richtung . Es sind über
31 Gesetze, die heute ihre Überarbeitung finden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Petzold waltiger Schritt!)


(Havelland) [DIE LINKE]: Das ist kein ge-


Man muss konstatieren: Wir sind uns doch im Ergeb-
nis einig . Wir alle wollen nicht, dass Menschen aufgrund
ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Wir wollen Gleichstellung . Das Einzige, was uns im Mo-
ment noch unterscheidet, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, ist der Weg dorthin .

Wir wollen Gleichstellung, wenn auch – das gebe ich
zu – mit einer unterschiedlichen Bezeichnung . Wir wol-
len uns die Zeit nehmen, uns die Gesetze vorzunehmen .


(Volker Beck DIE GRÜNEN]: Und warum nicht beim Sprengstoffgesetz?)


Und Sie wollen – Kollege Beck, das war doch Ihr neues-
ter Antrag – eigentlich die Ehe für alle öffnen und deswe-
gen alle Zweifel beseitigen .


(Volker Beck GRÜNEN]: Aber warum machen Sie das mit der Gleichstellung so unvollständig? Hat das einen Sinn? Haben Sie sich etwas dabei gedacht?)


Aber dass eine gleichgeschlechtliche Lebenspartner-
schaft etwas anderes ist als eine Ehe,


(Volker Beck GRÜNEN]: Das machen wir am Sprengstoffgesetz fest!)


sagt zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht . Am
7 . Mai 2013 bestätigte es, dass das Institut der Ehe allein
der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehalten ist .


(Mechthild Rawert [SPD]: Aber der Gesetzgeber kann es ändern!)


Man beachte die Wortwahl: „vorbehalten“ .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle haben seit
Jahren über Gleichstellung gesprochen . Mit der Verwen-
dung des Wortes „Gleichstellung“ haben wir immer be-
stätigt, dass wir dem Grunde nach davon ausgehen, dass
es sich um verschiedene Konstellationen handelt, die wir
gleichwertig behandeln wollen . Wenn man im Duden,
wenn man in Wikipedia nach dem Begriff „Gleichstel-
lung“ forstet, dann findet man folgende Erklärung: Es ist
die „Angleichung der Lebenssituation von im Prinzip als
gleichwertig zu behandelnden Bevölkerungsgruppen“ –
gleichwertig zu behandeln, aber eben nicht gleich .


(Mechthild Rawert [SPD]: Ich wusste schon immer, warum ich Frauenpolitikerin bin! – Volker Beck GRÜNEN]: Wikipedia als Rechtsquelle!)


Dinge, die gleich sind, können wir gleich bezeichnen .
Bei Dingen, die gleichwertig sind, schadet eine unter-
schiedliche Bezeichnung aber doch nicht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck GRÜNEN]: Es sei denn, die Leute müssen einen Antrag auf Grenzübertritt stellen!)


So sind wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, über Jah-
re hinweg an dieses Thema der Antidiskriminierung, der
Gleichstellung herangegangen – so wie bei Mann und
Frau, die unterschiedlich bezeichnet werden, die aber bei
uns über genau dieselben Rechte verfügen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Erst in den letzten Monaten hat ein Schwenk stattge-
funden, vielleicht unter dem Eindruck eines gesellschaft-

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


lichen Mainstreams . Und jetzt ist die Diktion: Wir wollen
die Ehe für alle . –


(Volker Beck GRÜNEN]: 1989 habe ich die Ehe für alle zum ersten Mal gefordert!)


Ich empfehle uns: Nehmen wir uns die Zeit, zu einer ech-
ten Gleichstellung zu kommen . Ich glaube, das ist sehr
im Interesse aller Beteiligten .

Ich freue mich auf die weitere Beratung und bedanke
mich für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812430300

Vielen Dank . – Als letzter Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt hat jetzt der Kollege Karl-Heinz Brunner
das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1812430400

Geschätzte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und

Kollegen! Schön, dass zu dieser späten Stunde noch so
viele der Debatte zu diesem wichtigen Thema folgen! Ich
befürchtete schon eine etwas schütterere Anwesenheit .
Die Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne ma-
chen es noch besser .

Es hat mich eigentlich gefreut, heute festzustellen:
Schön, dass es die SPD gibt! Denn wenn es uns nicht
gäbe, woran könnte sich sonst jetzt die Opposition abar-
beiten und reiben?


(Harald Petzold Da finden wir schon etwas!)


Eine wirkliche Gleichstellung gibt es nur mit uns . Des-
halb war der Slogan „100 % Gleichstellung nur mit uns“
richtig; er ist richtig und wird richtig bleiben . Denn die
Beseitigung von Diskriminierungen bei schwulen und
lesbischen Ehen und Familien gibt es nur mit uns .


(Volker Beck GRÜNEN]: In wie vielen Wahlkämpfen wollen Sie das noch plakatieren?)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, eigentlich
ist es ja beschämend, dass es bei uns 14 Jahre nach der
Einführung des Instituts der Lebenspartnerschaft immer
noch Diskriminierung, Ausgrenzung und Intoleranz gibt .
Schlimm ist für mich immer noch, wenn gegen diese Dis-
kriminierung und Intoleranz nicht entschieden vorgegan-
gen wird, obwohl die breite Mehrheit der Gesellschaft,
die Mehrheit der Abgeordneten dieses Hauses – aus allen
Fraktionen – sowie inzwischen die Mehrheit in Europa
längst für die Ehe für alle ist .


(Beifall bei der SPD)


Aber das ist heute leider nicht das Thema .

Heute geht es nur um die Angleichung der Rechtsvor-
schriften . Meine Damen und Herren, für mich ist es abso-
lut unverständlich und auch nicht hinnehmbar, dass selbst

die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele unterlaufen,
ignoriert und torpediert werden . Man müsste erwarten –
ja, man sollte es –, dass das Wohl aller Deutschen ein-
schließlich der Schwulen und Lesben Richtschnur des
Handelns ist, und zwar im Kanzleramt, bei der Kanzlerin .

Warum sage ich das? Ich wiederhole, was ich schon
im Frühjahr gesagt habe: Schon seit Sommer 2014 lag
der entsprechende Gesetzentwurf im Kanzleramt . Ich
frage: Warum hat ihn Frau Merkel bis zum Koalitions-
gipfel im Frühjahr 2015 in ihrem Hause blockiert? Und
warum hat Frau Merkel die Bedenkenträger und Bewah-
rer miefiger Intoleranz weitere sieben Monate das Ver-
fahren verzögern lassen?

Warum geht es mit dem Nationalen Aktionsplan gegen
Homophobie im federführenden Innenministerium nicht
voran? Schließlich zeigt unsere Familienministerin, wie
das gehen könnte .


(Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!)


Warum sind hier die kleinen Schritte so klein, dass es
auch mir schwerfällt, überhaupt noch Bewegungen fest-
zustellen? Warum ist die Entscheidung über die feste
Verbindung zweier Menschen eine politische und keine
Gewissensfrage?


(Volker Beck GRÜNEN]: Hat die Kanzlerin auch das Explosionsstoffgesetz gestoppt?)


Ich will nicht, dass wir auf der Stelle treten . Ich als
Sozialdemokrat will Bewegung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich will ein weltoffenes Land ohne Diskriminierung von
Asylbewerbern, Flüchtlingen, Schwulen, Lesben, Bi-
und Transsexuellen . Ich will dies, das sage ich deutlich,
mit dieser Regierung, und das möglichst bald .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812430500

Gestatten Sie noch eine Frage des Kollegen Hoffmann?


Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1812430600

Gerne, wenn wir schon einmal beieinander sind . Kol-

lege Beck darf auch noch eine Frage stellen . Wir haben
heute Abend, bis das Licht ausgeht, noch etwas Zeit hier
im Hause .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD])



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1812430700

Kollege Brunner, ich denke, die Zeit haben wir . – Sie

haben über die Kanzlerin und über das Innenministerium
referiert . In meinem Kopf ist noch ein Fragezeichen ge-
blieben . Der Entwurf, über den wir reden, ist ein Entwurf
des Justizministeriums?

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1812430800

Selbstverständlich . Im Sommer 2014 wurde er dem

Kanzleramt vorgelegt, und bis zum Koalitionsgipfel im
Frühjahr 2015 ist er im Kanzleramt liegen geblieben .


(Dr . Katarina Barley [SPD]: Das geht ja gar nicht!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812430900

Jetzt darf der Kollege Beck endlich seine Frage stel-

len .


(Dr . Katarina Barley [SPD]: Ja, endlich! – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Was ist denn jetzt mit dem Sprengstoffgesetz?)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812431000

Zunächst einmal lobe ich ausdrücklich Ihren Mut und

Ihre kollegiale Fairness, die anderen Rednern vorhin ab-
gingen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Ich wollte Sie fragen, ob Sie wissen, warum das
Rechtsbereinigungsgesetz von Heiko Maaß zahlreiche
Regelungen wie das Explosionsstoffgesetz, die Einbür-
gerungsregelung für Lebenspartner von Spätaussiedlern
oder verschiedene Laufbahnverordnungen des Bun-
des nicht enthält? Gibt es dafür einen rechtspolitischen
oder einen verfassungsrechtlichen Grund? Oder war das
Schlamperei? Oder hat die Bundeskanzlerin diese Artikel
eigenhändig aus dem Gesetzentwurf herausgerissen?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Hat die Kanzlerin herausgenommen! Genau!)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1812431100

Da ich nicht weiß, was die Bundeskanzlerin in dem

Fall denkt bzw . was im Gesetzentwurf enthalten ist, kann
ich nur die Vermutung anstellen, man wollte auch der
Opposition die Gelegenheit geben, in der Beratung in den
Ausschüssen an diesem Gesetzentwurf zu feilen .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Beck NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie unserem Änderungsantrag ja sicher zu!)


Ich sage herzlichen Dank und wünsche allen einen
schönen Abend .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812431200

Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende dieser Aus-

sprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/5901 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht
der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 d auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der
Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Okto-
ber 2014 zwischen den zuständigen Behörden
über den automatischen Austausch von Infor-
mationen über Finanzkonten

Drucksache 18/5919
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum auto-
matischen Austausch von Informationen über
Finanzkonten in Steuersachen und zur Ände-
rung weiterer Gesetze

Drucksache 18/5920
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa
Paus, Dr . Thomas Gambke, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Abgeltungsteuer abschaffen

Drucksache 18/6064
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa
Paus, Dr . Thomas Gambke, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz von Kapitaleinkommen stärken
– Automatischen Austausch von Informatio-
nen über Kapitalerträge auch im Inland ein-
führen

Drucksache 18/6065
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/5919, 18/5920, 18/6064 und
18/6065 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen . – Ich sehe, Sie sind damit einver-
standen . Damit sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Geset-
zes zur Änderung des Atomgesetzes

Drucksache 18/5865
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie






(A) (C)



(B) (D)


Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden .1) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/5865 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht
der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .

1) Anlage 4

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 25 . September 2015,
9 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen .

Ich wünsche Ihnen allen noch einen wunderschönen
Abend . Auf Wiedersehen .