Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines FünfzehntenGesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes.Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Bun-desminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, HerrAlexander Dobrindt . Bitte schön, Herr Minister .Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben heuteim Kabinett das Fünfzehnte Gesetz zur Änderung desLuftverkehrsgesetzes beschlossen, das zwei ganz we-sentliche Elemente beinhaltet .Eines dieser Elemente ist die ausdrückliche Klarstel-lung, dass die gesamten räumlichen Einwirkungen ei-nes Flughafens, das heißt auch die Beeinträchtigungen,die durch Flugverfahren entstehen können – Lärm undÄhnliches –, in die Umweltverträglichkeitsprüfung mit-einbezogen werden müssen . Mit dieser Regelung wer-den also auch die Bereiche erfasst, in denen An- undAbflugverkehr zukünftig nicht ausgeschlossen werdenkann. Das wirkt sich auf Planfeststellungsverfahren aus;denn im Zuge eines Planfeststellungsverfahrens müssenPrognosen über die Lärmbetroffenheit erstellt werden .Diese Prognosen dürfen sich zukünftig nicht mehr aufrepräsentative Flugrouten beschränken, sondern müssensich im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung aufden gesamten Einwirkungsbereich des Flughafens er-strecken. Dabei muss auch der Tatsache Rechnung ge-tragen werden, dass sich Flugverfahren ändern können.Insoweit muss in einem Planfeststellungsverfahren vorabauf mögliche Konflikte hingewiesen werden, und dieseKonflikte, die durch abweichende Flugverfahren späterentstehen können, müssen dann auch im Planfeststel-lungsbeschluss bewältigt werden .Die Regelungen werden also deutlich weitgreifendergefasst, als wir es aus der Vergangenheit gekannt haben.Das führt dazu, dass man sich schon zu Beginn einesPlanfeststellungverfahrens und nicht erst zu einem späte-ren Zeitpunkt über mögliche Varianten von Flugverfah-ren unterhalten muss, was die Transparenz im Hinblickauf mögliche Belastungen deutlich erhöht .Ein zweiter wesentlicher Punkt, der Teil der heutebeschlossenen Änderung des Luftverkehrsgesetzes ist,beschäftigt sich mit der Frage der Landestellen von Hub-schraubern im Bereich von Krankenhäusern. Sie kennendie Debatte aus der Vergangenheit: Es bestand Unsicher-heit, ob Hubschrauber weiterhin auf den bisherigen Lan-deplätzen an Krankenhäusern starten und landen können.Ich habe in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass wir dieLandestellen als „Landeplätze im öffentlichen Interesse“ausgewiesen und damit quasi die Situation geschaffenhaben, dass sie weiterhin in Betrieb bleiben konnten. Dasist allerdings keine langfristige Möglichkeit. Wir müssenhier ein höheres Maß an Rechtssicherheit schaffen .Grundsätzlich kann in Deutschland Luftverkehr nurauf Flugplätzen stattfinden. Die Landestellen, wie wir siean Krankenhäusern kennen, sind eher Außenlandestel-len und deswegen nicht einfach so als Flugplatz geneh-migungsfähig . Wir brauchen sie aber trotzdem, um dieschnelle Versorgung sicherzustellen . Deswegen habenwir mit dieser Gesetzesänderung dafür gesorgt, dass dieFlächen, um die es geht, auch zukünftig zur Verfügungstehen, und zwar, indem sie als besondere Landestellenausgewiesen werden, die keiner Genehmigungspflicht alsFlugplatz mehr unterliegen. Somit können wir sicherstel-len, dass in Deutschland die Landeplätze vorwiegend anKrankenhäusern in ihrer bisherigen Form gesichert sind.Ich glaube, das ist ein bedeutendes und wichtiges Si-gnal gerade an diejenigen, die sich in der Vergangenheitsehr engagiert haben und Gedanken machten, ob die bis-herige Praxis der Landeplätze an den Krankenhäusernweiter sichergestellt ist. Heute können wir sagen: Sie istsichergestellt .Danke schön.
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Herzlichen Dank. – Erster Fragesteller ist der Abge-
ordnete Stephan Kühn, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Vielen Dank, Herr Minister, für die Vorstellung des
Gesetzentwurfs . – Wenn ich es richtig verstanden habe,
haben Sie bezüglich der Festlegung von Flugrouten oder
Flugverfahren einen Vorschlag gemacht, der sozusagen
auf das reagiert, was von EU-Seite seit 2013 angemahnt
wird, nämlich dass bei der Festlegung von Flugverfahren
eine UVP-Pflicht – sprich die Erfüllung von Umweltrecht
auf europäischer Ebene – umgesetzt wird. Vielleicht kön-
nen Sie das noch einmal genauer darstellen .
Man stellt es sich, wenn man den Begriff „Flugrou-
ten“ hört, ja so vor, als ob alle Flugzeuge auf einer Linie
fliegen. Die Realität ist aber nicht so; vielmehr gibt es
Einzelfreigaben . 80 Prozent der Flugrouten beruhen auf
Einzelfreigaben . Dafür fehlen Kriterien . Insofern wird
anders geflogen, als der Bürger denkt, wenn er Flugrou-
ten vor Augen hat . Entsprechend sind dann auch andere
Menschen vom Fluglärm betroffen .
Insofern die Frage: Wollen Sie dieses Problem, zu
dem ja der Sachverständigenrat für Umweltfragen in sei-
nem Gutachten im letzten Jahr Stellung genommen hat,
angehen? Das ist ja für die Frage der Betroffenheit von
Flugverkehr und der Festlegung von Flugverfahren ent-
scheidend .
Herr Minister .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Ich habe, ehrlich gesagt, nicht ganz verstanden, auf was
die Frage abzielt. Vielleicht können Sie es auch noch ein-
mal erläutern .
Tatsache ist jedenfalls, dass wir das Planfeststellungs-
verfahren gegenüber den bisherigen Planfeststellungs-
verfahren deutlich aufweiten . Im Planfeststellungsver-
fahren werden die Flugrouten, die vorgestellt werden, auf
ihre Auswirkungen bezüglich Lärm geprüft. Wir gehen
jetzt den Weg, dass wir sagen: Es muss davon ausgegan-
gen werden, dass es auch Änderungen gegenüber diesen
Flugrouten gibt, und in einem Planfeststellungsverfahren
muss versucht werden, diese vorauszudenken. So entwi-
ckelt sich an einem Flughafen zum Beispiel durch Ka-
pazitätserhöhungen oder andere auf die Flugrouten ein-
wirkende Elemente die Situation der Flugrouten. Damit
gibt es andere Betroffenheiten . Wir wollen, dass diese
anderen Betroffenheiten schon im Vorhinein und nicht
erst später einkalkuliert, diskutiert und einer Umweltver-
träglichkeitsprüfung unterzogen werden.
Noch einmal eine Nachfrage des Abgeordneten Kühn .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Danke für die Präzisierung. – Das heißt also, dass sich
Ihr Vorschlag rein auf die Festlegung von Flugrouten
bezieht, die im Zusammenhang mit Planfeststellungsver-
fahren festgelegt werden . Es stellt sich da natürlich die
Frage, da wir aktuell kaum Planungen für große Flug-
hafenneubauten haben – ich wäre ja schon froh, wenn
der eine oder andere einmal fertiggestellt würde –: Mit
wie vielen Planfeststellungsverfahren aufgrund von Neu-
oder Ausbau von Flughafeninfrastruktur rechnen Sie
denn in der nächsten Zeit, bei denen dann diese Frage,
die Sie gerade beschrieben haben, relevant wird?
Meines Erachtens muss es um die Frage gehen, wie
bei der Festlegung von Flugrouten generell mit der Frage
der Umweltverträglichkeitsprüfung umgegangen wird.
Bezieht sich also Ihr Gesetzesvorschlag nur auf Planfest-
stellungsverfahren, von denen wir künftig wenige haben
werden, oder geht es auch um den Bestand der Flugha-
feninfrastruktur und die Frage der Flugrouten in diesem
Zusammenhang?
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Wir reden über Planfeststellungsverfahren. Ich kann
keine Prognose darüber treffen, wie viele Planfeststel-
lungsverfahren wir in der Zukunft haben werden; denn
das hängt davon ab, ob Planfeststellungen notwendig
werden, weil an Flughäfen Veränderungen anstehen . Im-
mer dann, wenn zukünftig Planfeststellungen vorgenom-
men werden, erfassen sie auch die Bereiche, in denen zu-
künftige An- und Abflugverkehre nicht ausgeschlossen
werden können. Das bedeutet gegenüber dem bisherigen
Verfahren eine deutlich breitere Erfassung, auch geogra-
fisch gesehen.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der Kabinettssit-
zung? – Das ist nicht der Fall . Gibt es sonstige Fragen
an die Bundesregierung? – Herr Abgeordneter Krischer,
dann Frau Höhn und Frau Künast . – Bitte, Herr Abgeord-
neter Krischer .
Herr Kollege Dobrindt, wir diskutieren im Momenteine schwere Krise bei VW, die möglicherweise aucheine Krise für die deutsche Automobilindustrie werdenkann.
Könnten Sie mir erläutern, seit wann genau Sie von Soft-ware wussten, die dazu benutzt wird, um Emissionsgrenz-werte in einem Prüfzyklus einzuhalten, durch die aber imrealen Betrieb entsprechende Vorrichtungen abgeschaltetwerden?Und ist es zutreffend, wie Sie in einer Antwort aufmeine Kleine Anfrage erläutert haben, dass die Bundes-regierung über diesen Themenkomplex des Einsatzes
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solcher Abschaltvorrichtungen genau zu diesem Zweckmit der EU-Kommission diskutiert hat?
Herr Minister .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Herr Krischer, wir haben ja gerade zu diesem Zusam-
menhang im Verkehrsausschuss zusammengesessen,
und ich habe da auch darauf hingewiesen, dass ich das
Verhalten, das ich bei Ihnen feststellen muss, zutiefst
missbillige . Ich habe dies gerade auch gegenüber der Öf-
fentlichkeit gesagt.
Sie haben gestern in einem Interview der Bundesregie-
rung vorgeworfen – wörtlich zitiert –:
Es ist … ganz offensichtlich so, dass man hinge-
nommen hat, dass diese Manipulationen stattfinden.
Das werfen Sie der Bundesregierung vor .
Ich halte das nicht nur für falsch; ich halte Ihr Verhalten
für unanständig, Herr Krischer .
Lassen Sie das an dieser Stelle gesagt sein .
– Nicht dass mich das wundert, dass Sie so ein Verhalten
an den Tag legen . Aber anhören sollten Sie es sich viel-
leicht schon .
Sie haben eine Anfrage gestellt, auf die Sie sich be-
ziehen . Im Juli wurde sie von uns beantwortet . In dieser
Kleinen Anfrage steht klar und unübersehbar auf Ihre
Frage nach dem Einsatz von Abschalteinrichtungen:
Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkennt-
nisse vor .
Von daher ist der Vorwurf, den Sie formulieren, falsch .
Ich habe von den Vorfällen – auch das habe ich im
Ausschuss gesagt – am Wochenende erfahren .
Ich habe die Initiative ergriffen, habe am Montag die ers-
ten Gespräche mit Volkswagen geführt, habe nach dem
Gespräch angeordnet, dass es strenge spezifische Nach-
prüfungen von unabhängigen Gutachtern bei den Diesel-
fahrzeugen von Volkswagen geben muss – das wird vom
Kraftfahrt-Bundesamt auch so durchgeführt –, habe dann
gestern nach den Berichterstattungen und einem Ge-
spräch mit Volkswagen eine Untersuchungskommission
eingesetzt .
Diese Untersuchungskommission ist jetzt schon aktiv.
Sie ist bereits heute in Wolfsburg, um Gespräche zu füh-
ren und um Einsicht in die Unterlagen zu bekommen.
Das ist die Art der notwendigen Aufklärung, die wir vor-
nehmen, um festzustellen, ob und wie Fahrzeuge, die in
Deutschland und in Europa im Verkehr sind, betroffen
sind .
Volkswagen hat gestern darauf hingewiesen, dass
11 Millionen Fahrzeuge mit einem entsprechenden Chip
ausgestattet sind, aber dieser Chip – so die Auskunft uns
gegenüber – sei nicht aktiv. Das ist aber für uns Grund
genug, mittels einer Untersuchungskommission erstens
nachzuprüfen, was dieser Chip tut, und zweitens, wann er
aktiv ist oder nicht aktiv ist, was er kann und was er nicht
kann. Das ist die Art der Aufklärung, die wir betreiben.
Herzlichen Dank. – Wir haben jetzt eine ganze Rei-
he von spontanen Fragewünschen: Frau Höhn, BÜND-
NIS 90/Die Grünen, Frau Künast, BÜNDNIS 90/Die
Grünen, Herr Meiwald, BÜNDNIS 90/Die Grünen,
Herr Kühn, BÜNDNIS 90/Die Grünen, Frau Pothmer,
BÜNDNIS 90/Die Grünen, Frau Leidig, Die Linke, Frau
Lemke, BÜNDNIS 90/Die Grünen, und Herr Gastel,
BÜNDNIS 90/Die Grünen .
Frau Abgeordnete Höhn, bitte .
Herr Minister, die EU sieht in mehreren Rechtsetzun-gen vor, dass Mitglieder Sanktionen für den Fall in nati-Oliver Krischer
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onales Recht umsetzen müssen, dass ein Autoherstellermit Abschaltvorrichtungen etc . beim Schadstoffausstoßschummelt . Mindestens seit 2012 gibt es den Hinweis,eine entsprechende Verordnung umzusetzen . Ist hier inDeutschland eine entsprechende Umsetzung erfolgt, undwenn nein, warum nicht? Wenn Sie die Verordnung innationales Recht umgesetzt hätten, könnten wir jetzt,ähnlich wie die EPA in den USA, VW mit einem Buß-geld belegen?
Herr Minister .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Frau Höhn, es gibt eine ganze Reihe von Sanktions-
möglichkeiten unterschiedlichster Art und unterschied-
lichster Intensität, die allerdings erst ausgesprochen wer-
den können und greifen können, wenn der Sachverhalt
ermittelt ist . Das ist Aufgabe der eingerichteten Unter-
suchungskommission und natürlich Ziel der strengen
Nachprüfungen, die ich angeordnet habe . Bevor die Fra-
ge, ob der deutsche bzw. der europäische Markt betroffen
ist, inhaltlich nicht geklärt ist, kann man auch nicht über
Sanktionen sprechen.
Wenn Sie die Ereignisse verfolgt haben, wissen Sie,
dass die amerikanische Umweltbehörde offensichtlich
länger damit beschäftigt war, dieses Thema zu bearbei-
ten. Jetzt ist sie zu einem Ergebnis gekommen, das aber
auch noch keine Sanktionen beinhaltet. Vielmehr finden
jetzt, meiner Kenntnis nach, entsprechende Dialoge mit
Volkswagen statt.
Wir sind am dem Punkt, dass wir aufgrund der Er-
kenntnisse, die in Amerika gewonnen worden sind, jetzt
entsprechende Nachprüfungen durchführen lassen . Wenn
diese abgeschlossen sind, kann man Ergebnisse präsen-
tieren; vielleicht kann man auch Zwischenergebnisse
präsentieren . Aber das muss natürlich jetzt erst einmal
erledigt werden .
– In unserem Recht sind eine ganze Reihe von Sanktions-
möglichkeiten vorgesehen.
Jeder darf alles fragen, und der Minister antwor-
tet dann . – Nächste ist die Abgeordnete Frau Künast,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . Bitte schön .
Wenn Sie sagen, dass wir eine ganze Menge Sankti-
onsmöglichkeiten haben, obwohl das europäische Recht
nicht umgesetzt wurde, will ich Sie zu Ihrer Art der Auf-
klärung, die Sie mit der von Ihnen eingesetzten Unter-
suchungskommission betreiben wollen, wie Sie gerade
gesagt haben, nach etwas fragen, was ich dabei nicht ver-
stehe: Ist es eigentlich State of the Art, für Sie, für das
Verkehrsministerium und für die anderen Ministerien,
erst dann eine Untersuchungskommission einzurichten,
wenn eine Krise hochkocht?
Spätestens seit 2012 gibt es ja laut EU-Recht die
Pflicht, entsprechende Tricksereien zu sanktionieren, und
seit Jahren haben wir Hinweise darauf, dass bei den Tests
andere Ergebnisse erzielt werden als in der Realität, also
unter Zugrundelegung des Fahrverhaltens von normalen
Autofahrerinnen und Autofahrern . Diese Differenz ist Ih-
nen doch nicht erst letztes Wochenende zugetragen wor-
den, Herr Dobrindt, sondern es ist Allgemeinwissen in
der Bevölkerung, dass hier irgendwie getrickst wird. Des-
halb ist meine konkrete Frage: Was haben Sie vor diesem
Wochenende unternommen? Seit dem Wochenende sind
weltweit alle Autobesitzer und alle Minister bösgläubig .
Vorher gab es aber Hinweise auf die Differenz zwischen
Angaben der Hersteller und realem Verbrauch .
Welche Maßnahmen haben also Sie und welche Maß-
nahmen hat das Bundesverkehrsministerium zum Bei-
spiel in der Zeit seit 2012 konkret ergriffen? Welche
Gespräche sind geführt worden? Haben Sie selber eigen-
ständige Tests initiiert? Haben Sie zum Beispiel initiiert,
dass der TÜV, statt nur das Testprogramm abzuziehen,
in dem er durch die dank Software erreichten falschen
Werte selber geleimt wird, tatsächlich die Werte hinten
am Auspuff kontrolliert? Also, ich möchte hören, welche
konkreten Maßnahmen Sie in den letzten Jahren ergriffen
haben .
Herr Minister, bitte .Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Erstens, Frau Künast, wird unsere Kommission un-tersuchen, ob die betreffenden Fahrzeuge innerhalb derbestehenden deutschen und europäischen Vorschriftengebaut, in Verkehr gebracht und auch geprüft wordensind und ob dies konform zu den Fahrzeugzulassungengeschehen ist . Wir wissen, dass alle diese Fahrzeuge eineTypenzulassung haben, und es stellt sich für uns auch dieFrage, ob diese Fahrzeuge konform zu den Typenzulas-sungen gebaut worden sind oder ob es Veränderungengegeben hat, die so nicht hätten stattfinden dürfen. Dasist die konkrete Aufgabe auch der Kommission.
Ich glaube, wir alle hier haben ein Interesse daran, dasswir auch diese Ergebnisse kennen.Zweitens rate ich nicht dazu, zwei Dinge zu vermi-schen, was Sie sicherlich jetzt versehentlich getan haben,nämlich auf der einen Seite die Tatsache, dass wir daranarbeiten, die Tests, die Prüfmechanismen zu optimieren,Bärbel Höhn
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und auf der anderen Seite die Situation, dass widerrecht-lich eine Veränderung an einem Motor vorgenommenworden ist .
– Ich will ja nur, dass Sie verstehen, was ich Ihnen erklä-re . Das ist doch in Ordnung .
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Of-
– Da mein Mikrofon immer noch an ist, gehe ich davonaus, dass ich dran bin, Herr Präsident . Frau Künast, ichglaube, auch Sie hören leichter zu, wenn Sie aufhören,zu sprechen . Aber ich weiß nicht, ob das für alle so gilt .
Ich möchte nur kurz sagen: Ich bitte um friedliche
gegenseitige Befassung . Der Minister ist ja noch dabei,
zu antworten . Bevor wir uns empören, dass die Antwort
nicht vollständig ist, sollten wir das Ende der Antwort
vielleicht erst einmal entspannt abwarten . – Bitte, Herr
Minister .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Wir haben zwischen den europäischen Ländern und
mit der Europäischen Kommission seit 2011 eine intensi-
ve Diskussion darüber, wie wir die Tests optimieren kön-
nen . Wir wollen hin zum RDE-Test . Das heißt, wir wol-
len, dass zukünftig nicht die Verbrauchssituationen und
die Abgassituationen auf der Rolle, das heißt, auf dem
Laborfeld, sondern letztlich auf der Straße geprüft wer-
den . Wir wollen mit unseren Tests näher ran an das echte
Fahrverhalten der Menschen . Das ist der Unterschied zu
dem, wie wir bisher diese Tests europaweit gestaltet ha-
ben . Wir haben uns Anfang dieses Jahres darauf geeinigt,
dass wir diese Tests auf der Straße gemeinschaftlich in
Europa durchführen wollen .
Zurzeit gibt es Verhandlungen zwischen den Verkehrs-
ministern und der Kommission darüber, was diese Tests
beinhalten müssen .
Das heißt, wenn man mit diesem Test auf die Straße geht,
muss natürlich festgelegt sein, wie er ablaufen soll, damit
er standardisiert ist. Nur wenn er standardisiert ist, kön-
nen die unterschiedlichen Fahrzeuge auch miteinander
verglichen werden . Wir arbeiten daran, ein Ergebnis zu
finden. Wenn eine Einigung erzielt werden kann, werden
wir diesen neuen Test nach einer Übergangszeit für alle
verbindlich entsprechend umsetzen .
Es ist unsere Einstellung, dass wir dadurch einen op-
timierten Test haben, der genauere Auskünfte über den
Verbrauch von Fahrzeugen bietet, als dies die bisherigen
Tests, die auch gemeinschaftlich in Europa durchgeführt
werden, leisten können.
Nächste Frage vom Abgeordneten Meiwald, BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN .
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, wenn
Sie heute sagen, dass die EPA schon seit über einem Jahr
ermittelt, stellt sich ja die Frage, inwieweit auch an die
Bundesregierung, an das UBA, an das Kraftfahrt-Bun-
desamt Amtshilfeersuchen gerichtet worden sind, inwie-
weit um Unterstützung bei den Ermittlungen gebeten
worden ist . Deswegen muss ich die Frage des Kollegen
Krischer ein bisschen konkretisieren: Seit wann hatte die
Bundesregierung Kenntnis davon, dass Abschalteinrich-
tungen für SCR-Katalysatoren in der Automobilbranche
üblich sein könnten und möglicherweise auch angewen-
det werden, und was ist daraufhin seitens der Bundesre-
gierung initiiert worden?
Des Weiteren: Da Sie Aufklärung angekündigt haben
und gesagt haben: „Wir tun da was, und Volkswagen wird
das alles schon gut machen“, möchte ich Sie fragen: In-
wieweit sind die Hersteller, die Vertreiber, die Entwickler
der Software, die offensichtlich auf dem Markt erhältlich
ist, in diese Aufklärungsbemühungen einbezogen?
Vielen Dank.
Herr Minister .Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Herr Meiwald, ich habe nicht gesagt, dass die ameri-kanische Umweltbehörde schon seit einem Jahr ermittelt,sondern ich habe gesagt, dass sie, wie Sie in den Zei-tungen wahrscheinlich lesen konnten, seit längerem mitdiesem Fall befasst ist . Das ist eine Kenntnis, die auchich der Zeitung entnommen habe. Ich habe keine andereErkenntnis und hatte auch früher keine andere Kenntniserlangt. Ich habe Ihnen das mitgeteilt. Ich kann es auchnoch einmal zitieren – ich weiß, dass Sie diesen Satznicht gerne hören, aber er steht nun einmal in der Ant-wort der Bundesregierung vom Juli auf die Kleine Anfra-ge der Grünen –:Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkennt-nisse vor .Bundesminister Alexander Dobrindt
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Auch durch mehrmaliges Nachfragen kann dieser Satzheute nicht mehr verändert werden . Ich bitte um Ver-ständnis, und ich bitte darum, ihn zu verwenden undnicht das Gegenteil zu behaupten,
was Sie in Ihrer Partei leider Gottes ganz offensiv tun .Sie haben gefragt, inwieweit sich die Untersuchungjetzt auch auf Software oder anderes erstreckt. Ich ver-mute, Sie meinen grundsätzlich Bauteile. Darüber kön-nen wir zurzeit keine weitere Auskunft geben, weil wirmit der Kommission erst einmal in Erfahrung bringenmüssen, was für Teile betroffen sind und woher dieseTeile kommen. Im Zweifelsfall müssen wir auch fragen:Wer hat wie und warum was programmiert?Ich habe gegenüber dem Volkswagenkonzern zumAusdruck gebracht, dass wir natürlich nicht nur an derrein technischen Frage Interesse haben, sondern auch ander Frage des Prozesses, das heißt, daran, wann welcheEntscheidungen getroffen worden sind. Der Volkswagen-konzern hat uns volle Unterstützung zugesagt. Ich glau-be, das zeigt, dass wir mit unserem Vorgehen – Nach-prüfungen durch eine Kommission – auf dem richtigenWege sind . Es ist übrigens im Interesse aller, dass manan dieser Stelle Vertrauen zurückgewinnt. Dazu sind inerster Linie Aufklärung und Transparenz erforderlich.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Stephan
Kühn, BÜNDNIS 90/Die Grünen, danach die Abgeord-
nete Frau Pothmer, BÜNDNIS 90/Die Grünen .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Vielen Dank. – Herr Minister, ich wiederhole die Fra-
ge aus dem Ausschuss in der Hoffnung, dass sie diesmal
verstanden wird und auf die Frage vielleicht auch geant-
wortet wird . Die Bundesregierung wusste, dass Abgas-
werte im realen Verkehr deutlich über den Grenzwerten
liegen . Das hat sie auch der EU-Kommission mitgeteilt .
So steht es auch in Ihrer Antwort auf unsere Kleine An-
frage . Die Bundesregierung wusste auch, dass Hersteller
sogenannte Abschalteinrichtungen nutzen, um die Emis-
sionswerte auf dem Rollenprüfstand sozusagen herunter-
zurechnen .
Die Angaben der Hersteller wurden trotzdem – ich
frage danach, wie das vor diesem Wochenende war –,
obwohl diese Umstände, die ich gerade genannt habe,
bekannt waren, kein einziges Mal in irgendeiner Form
kontrolliert. Warum gab es keine entsprechenden Nach-
prüfungen? Sie wären ja sinnvoll gewesen, zumal nach-
geordnete Behörden diese Differenzen in mehreren
Studien bereits deutlich herausgearbeitet haben . Warum
haben entsprechende Nachprüfungen der Angaben der
Hersteller nie stattgefunden?
Herr Minister .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Ich kann es gerne noch einmal vorlesen:
Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkennt-
nisse vor .
Daran ändert sich nichts, egal wie oft Sie weiterhin etwas
Falsches behaupten .
Der andere Fall, den ich auch Frau Künast schon zu
erklären versucht habe, ist, dass wir seit 2011 auf eu-
ropäischer Ebene dabei sind, die Testverfahren zu opti-
mieren . Die Testverfahren zu optimieren, heißt auch, die
Testergebnisse, also den Verbrauch, der heute auf dem
Prüfstand ermittelt wird, an das reale Fahrverhalten der
Käufer anzunähern .
Deswegen wollen wir von dem Prüfstand herunter auf
die Straße . Das hat nichts, aber auch gar nichts damit
zu tun – Sie versuchen jetzt, es damit zu vermischen –,
dass es bewusste Eingriffe in beispielsweise das Motor-
management oder das Abgasmanagement gibt, die nicht
erlaubt sind . Ich halte es für unseriös, dass Sie jetzt ver-
suchen, dies miteinander zu vermengen . Ich weiß na-
türlich, warum Sie es versuchen, aber unseriös bleibt es
trotzdem .
Zweitens . Sie haben nach der Kontrolle gefragt .
Selbstverständlich führt die Bundesregierung mit dem
Kraftfahrt-Bundesamt Kontrollen durch, und zwar wenn
eine Typzulassung stattfindet. Der Hersteller hat die
Nachweispflicht; er muss gegenüber dem KBA genau er-
klären, dass das Fahrzeug den rechtlichen Rahmenbedin-
gungen in Deutschland und Europa entspricht . Das wird
an dieser Stelle geprüft. Zu späteren Zeitpunkten werden
Fahrzeuge stichprobenartig daraufhin untersucht, ob es in
der Laufzeit einer Typgenehmigung – eine Typgenehmi-
gung führt dazu, dass man beliebig viele Fahrzeuge die-
ses Typs bauen darf –, das heißt, solange das identische
Fahrzeug gebaut wird, zu Veränderungen gekommen ist,
die nicht hätten sein dürfen oder die hätten angemeldet
werden müssen. Das ist das übliche und wirkungsvolle
Verfahren, wie es heute besteht .
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Frau
Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen, danach die Abgeord-
nete Frau Leidig, Fraktion Die Linke. – Frau Pothmer,
bitte .
Sie haben hier gerade von Aufklärung und Transpa-renz gesprochen. Ihre Antworten, finde ich, spiegeln dasnicht unbedingt wider . Aber ich versuche es jetzt trotz-dem noch einmal .Bundesminister Alexander Dobrindt
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Sie haben darauf hingewiesen, dass die Bundesregie-rung jetzt, nachdem das Kind in den Brunnen gefallenist, beabsichtigt, die in Rede stehenden VW-Modelle zuüberprüfen. Ich frage Sie jetzt: Warum konzentrieren Siesich in Ihrer Überprüfung ausschließlich auf VW, obwohldoch hinlänglich bekannt ist, dass auch andere deutscheMarken die Clean-Diesel-Kampagne fahren? Warumprüfen Sie jetzt nicht auch diese Marken vorsorglich?
Herr Minister .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Die Kommission beschäftigt sich jetzt weniger mit der
Marke Volkswagen an sich, sondern mehr mit dem Motor,
der dahinter steht; denn der Eingriff auf den Motor ist ja
das auslösende Element . Das heißt, wir werden natürlich
auch die Fahrzeuge betrachten, die einen entsprechenden
Motor haben, aber einer anderen Marke angehören.
Des Weiteren sind wir natürlich in Gesprächen mit der
Automobilindustrie, übrigens auch mit der amerikani-
schen Umweltbehörde, um Kenntnis zu erlangen, ob es
weitere Sachverhalte gibt. Bisher liegen uns keine weite-
ren Erkenntnisse vor. Daher führen wir jetzt die Prüfun-
gen durch, bei denen wir davon ausgehen, dass sie richtig
und notwendig sind .
Die Abgeordnete Frau Leidig, Fraktion Die Linke,
und danach die Abgeordnete Frau Lemke, Bündnis 90/
Die Grünen . – Frau Kollegin Leidig, bitte .
Ich würde gerne an diese Antwort anknüpfen und in
Erinnerung rufen, dass es tatsächlich nicht so ist, dass nur
VW künstlich oder bewusst Abgasnormen herunterregu-
liert oder Verbrauchswerte heruntermanipuliert, sondern
dass das die übliche Praxis vieler Automobilhersteller ist,
wie übrigens die Deutsche Umwelthilfe sehr dezidiert
nachgewiesen hat . Dazu gab es Seminare, an denen viele
Abgeordnete teilgenommen haben – leider nicht von al-
len Fraktionen.
Dass es sich jetzt nur um einen VW-Skandal handelt,
stimmt nicht; denn das ist ein Skandal, der tatsächlich die
ganze Automobilindustrie betrifft . Das Softwaremodul,
das da eingesetzt wird, stammt von Bosch . Die Firma
hat gestern offiziell mitgeteilt, dass dieses Modul, das
übrigens als „Förder- und Dosiermodul zur Abgasnach-
behandlung“ bezeichnet wird, Industriestandard sei und
auch an viele andere Autohersteller geliefert wird .
Ich habe zwei konkrete Fragen an Sie, Herr Minister
Dobrindt:
Erstens . Es gab schon in der Vergangenheit die Forde-
rung nach unabhängigen Kontrollen und einer unabhän-
gigen Kontrollkommission, die vor allen Dingen mit Ex-
perten zu bestücken ist, die von den Umweltverbänden,
auch von der Deutschen Umwelthilfe, vorgeschlagen
werden. Jetzt ist eine Kontrollkommission eingesetzt.
Meine Frage lautet: Wer sitzt da drin, und wer hat diese
Experten vorgeschlagen?
Wenn es möglich ist, würde ich gerne zweitens noch
die Frage stellen, welche personellen Konsequenzen ei-
gentlich zumindest im VW-Konzern thematisiert werden,
ob die Verantwortlichen auch individuell haftbar gemacht
werden oder ob der Schaden, der da angerichtet wurde,
wieder von den Beschäftigten alleine auszubaden ist .
Bitte schön, Herr Minister .Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Frau Leidig, um es klar zu sagen: Das, was Sie hierzu Beginn Ihres Beitrags an Verdächtigungen formulierthaben,
kann ich nicht bestätigen, und ich habe davon auch keineKenntnis . Dass Sie diese Kenntnis haben, ist interessant .
Zumindest wir als Bundesregierung halten uns an dieserStelle an die Fakten.
Wir werden unsere Untersuchungen durchführen, unsjetzt aber nicht an Verdächtigungen beteiligen, die mög-licherweise – ich formuliere es einmal freundlich, FrauLeidig – jeglicher Grundlage entbehren .
Ich finde, auch Sie sollten sich an der Aufklärung betei-ligen, wenn Sie wollen . Ich berichte gerne über die Er-kenntnisse, die wir haben. Aber es ist wenig hilfreich,sich an Spekulationen zu beteiligen.Die Kommission, die ich eingesetzt habe, besteht ausFachleuten des Bundesverkehrsministeriums und desKraftfahrt-Bundesamtes. Hinzu kommt eine wissen-schaftliche Begleitung, die davon abhängig ist, welchertechnischen Expertise wir uns bedienen müssen . Dasliegt daran, dass es ja auch um IT- und Softwarefragengeht . Da ist man, glaube ich, gut beraten, sich von weite-ren Fachleuten – über die Frage der Motorentechnik undder Abgasbewältigung hinaus – informieren und beratenzu lassen .Zu der Frage nach personellen Konsequenzen . Mei-ne Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass wir in Kenntnisgesetzt werden: Welche Auswirkungen hat das Vorge-hen, das wir hier sehen, auf den deutschen und den eu-ropäischen Markt? Welche Regelungen sind eingehaltenworden? Gibt es Normen, die nicht eingehalten wordenBrigitte Pothmer
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 123 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 23 . September 201511890
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sind? – Es ist nicht meine Aufgabe, über weitere Fragenzu spekulieren und zu diskutieren.
Ich mache jetzt einmal eine kurze Bemerkung, wie
wir weiter fortfahren. Nach Absprache mit der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mache ich es jetzt so: Ich lasse
alle, die sich zum ersten Mal zu Wort gemeldet haben –
ich lese die Namen gleich vor –, noch zu Wort kommen.
Diejenigen, die sich zum zweiten oder dritten Mal gemel-
det haben, streiche ich . Da die weiteren Fragesteller alle
vom Bündnis 90/Die Grünen sind, können Sie zündende
Gedanken ja noch an diese weitergeben. Aber sonst kom-
men wir nicht mehr durch .
Ich lasse jetzt auch keine weiteren Fragen mehr zu und
lese einmal vor, wer noch auf der Liste steht: Frau Ab-
geordnete Lemke, Bündnis 90/Die Grünen, Herr Abge-
ordneter Gastel, Bündnis 90/Die Grünen, Frau Hajduk,
Bündnis 90/Die Grünen, Herr Christian Kühn, Bünd-
nis 90/Die Grünen, Frau Dr . Wilms, Bündnis 90/Die
Grünen, und, zu einer anderen Fragestellung, Herr Beck,
Bündnis 90/Die Grünen .
– Nein, das ist ein anderer Kühn . Es gibt beim Bünd-
nis 90/Die Grünen zwei Kollegen mit dem Namen Kühn .
Insofern unterliegen diejenigen, die mich darauf hinwei-
sen, dass er schon gesprochen haben soll, einem Irrtum
aufgrund der Namensgleichheit .
Das ist der Stand; ich lasse keine weiteren Fragen zu.
Ich hoffe, es sind alle damit einverstanden .
Als Nächstes hat die Abgeordnete Lemke das Wort,
und danach spricht der Abgeordnete Gastel, beide Bünd-
nis 90/Die Grünen .
Herr Minister, da ich davon ausgehe, dass Sie und
Ihr Ministerium sich in solch einer brisanten Situation,
in der wir uns gerade befinden und in der es um Hun-
derttausende Arbeitsplätze geht, äußerst sorgfältig und
präzise auf Ausschusssitzungen des deutschen Parlamen-
tes vorbereiten, möchte ich Sie gerne Folgendes fragen:
Herr Ferlemann, Ihr Staatssekretär, hat heute Morgen
im Umweltausschuss erklärt, dass die Bundesregierung
Kenntnis von der Existenz dieser Abschalttechnik hatte,
Sie aber davon ausgegangen sind, dass diese nicht zum
Einsatz kommt.
Ich würde gerne wissen, wovon Sie ausgegangen sind,
wofür diese Abschalttechnik sonst entwickelt worden ist.
Herr Minister .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Ich war heute im Verkehrsausschuss und kann deswe-
gen über die Diskussion im Umweltausschuss und Ihren
Bericht darüber jetzt nicht urteilen .
Ich kann Ihnen aber noch einmal den Hinweis geben:
Das, wonach Sie fragen, steht eindeutig in der Antwort,
die Sie im Juli auf Ihre Kleine Anfrage bekommen haben:
Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkennt-
nisse vor .
Die Frage „Wie definiert die Bundesregierung eine
‚Abschalteinrichtung‘ . . .“ wurde ebenfalls in dieser Ant-
wort beantwortet, und zwar folgendermaßen:
Der Begriff „Abschalteinrichtung“ wird in . . . der
Verordnung Nr. 715/2007 definiert.
Das heißt, die Definition findet sich im europäischen
Recht. In Artikel 5 Absatz 2 ist darüber hinaus klarge-
stellt, welche Abschalteinrichtungen verboten sind
und welche Ausnahmen es an dieser Stelle gibt . Genau
darüber wird Sie Staatssekretär Ferlemann informiert ha-
ben .
Frau Kollegin, es gibt noch eine ganze Reihe von Kol-legen aus Ihrer Fraktion, die Fragen stellen.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Gastel, Bünd-nis 90/Die Grünen . Bitte schön .Bundesminister Alexander Dobrindt
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(C)
(D)
Der VW-Skandal in den USA ist groß, aber leider nur
ein Teil des Gesamtskandals. 70 Prozent der Messstellen
in Deutschland weisen nämlich Schadstoffüberschreitun-
gen auf, worunter viele Menschen gesundheitlich leiden .
Das ganze Problem geht also noch viel weiter .
Es gibt neuere Untersuchungen bezüglich NOx, die
besagen, dass der Grenzwert für Euro-6-Norm-Motoren
durch die Autos, die dieser Norm angeblich gerecht wer-
den sollen, um den Faktor 1,6 bis 8,5 überschritten wird.
Dies ist überwiegend bei Dieselfahrzeugen ein Problem .
Deswegen habe ich folgende Frage an Sie, Herr Minis-
ter: Wie geht die Bundesregierung mit der Tatsache um,
dass Dieselkraftstoff steuerlich begünstigt ist? Ist hier
angesichts dieses Skandals und angesichts der Probleme
durch Luftschadstoffe seitens der Bundesregierung eine
Änderung geplant?
Herr Minister, bitte .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Herr Gastel, nein .
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Frau
Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, ich möchte Sie vor dem Hintergrund
der Frage meiner Kollegin Steffi Lemke fragen, ob Sie
die Antwort Ihres Staatssekretärs Enak Ferlemann kor-
rigieren wollen, dass die Bundesregierung Kenntnis von
der Existenz der Abschalttechniken hatte. Oder glauben
Sie, dass es lösungs- und zielorientiert ist, hier eine Aus-
einandersetzung über die Definition des Wortes „Ab-
schalttechnik“ zu führen? Ich muss diese Frage anschlie-
ßen; denn wir haben es mit der Krise eines sehr großen
Automobilkonzerns zu tun, und Sie müssen Ihre Rolle
beim Handeln dieser Krise wahrnehmen . Deswegen
möchte ich Sie bitten, darauf noch einmal einzugehen .
Gleichzeitig möchte ich Sie fragen, mit welchen recht-
lichen Konsequenzen Sie für den VW-Konzern rechnen,
sollte sich herausstellen, dass VW auch in Europa vor-
sätzlich Abgasmessungen manipuliert hat . Ich gehe da-
von aus, dass Sie sich auch auf diesen Krisenfall vorbe-
reiten und dazu Stellung nehmen können.
Herr Minister .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Sehr geehrte Frau Hajduk, ich habe auf das hingewie-
sen, was Teil der Fragestellung der Grünen in der Klei-
nen Anfrage war, nämlich: Wie definiert die Bundesre-
gierung die Abschalteinrichtung? Darauf nehmen Sie ja
immer gerne Bezug . Ich habe darauf hingewiesen, dass
die Abschalteinrichtung in der EG-Verordnung 715/2007
definiert ist, und zwar in Artikel 3 Absatz 10, und dass in
Artikel 5 Absatz 2 der EG-Verordnung die Unzulässig-
keit der Verwendung von Abschalteinrichtungen und die
Ausnahmen beschrieben werden . Dem ist nichts weiter
hinzuzufügen . Die Tatsache, dass diese EG-Verordnung
mit der Ziffer „2007“ versehen ist, sagt aus, dass sie –
wenn das für Sie noch von Interesse ist – von 2007 ist .
Zu den rechtlichen Konsequenzen, die Sie hinterfra-
gen, kann ich Ihnen nur sagen: Es wäre hilfreich, erst
einmal den möglichen Schaden festzustellen . Dafür
haben wir gestern und vorgestern – mit der Einsetzung
der Kommission und der Einleitung der erforderlichen
Untersuchungen durch das KBA – die notwendigen Ent-
scheidungen getroffen . Wenn man am Ende weiß, was
in Deutschland und in Europa passiert ist – über diese
Situation reden wir hier ja ganz offensichtlich; denn nur
in diesem Fall könnten wir rechtliche Konsequenzen zie-
hen –, werden wir uns über die anderen Fragen unterhal-
ten können.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Christian
Kühn, Bündnis 90/Die Grünen .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Herr Dobrindt, meine Frage bezieht sich darauf, dass
Sie gesagt haben, Sie seien mit den US-Umweltbehörden
in Kontakt. Seit wann ist die Bundesregierung – Ihr Haus
und die nachgeordneten Behörden – mit der US-Ad-
ministration zum Thema „Betrugsfälle von VW in den
USA“ in Kontakt, was sind die Themen, die Sie dort be-
handeln, und welche Maßnahmen haben Sie seit der Ant-
wort auf unsere Kleine Anfrage – aus der Sie ja in dieser
Fragestunde sehr fleißig zitieren – vom Juli im Hinblick
auf Abschalteinrichtungen unternommen?
Herr Minister, bitte .Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Herr Kühn, erstens ist es die Aufgabe meiner Kommis-sion, mit den US-Behörden in Kontakt zu sein. Ich kannIhnen heute nicht sagen, wann und wie dies geschieht;aber die Kommission wird, sobald dies stattfindet, dannauch entsprechend berichten können.Zweitens habe ich vorhin sehr ausführlich erklärt,dass wir auf europäischer Ebene daran arbeiten, vondem Rolltest, bei dem momentan der Verbrauch und dieSchadstoffe gemessen werden, zu einem Test auf derStraße zu kommen. Die entsprechenden Verhandlungendauern stetig an – schon das ganze Jahr über bis zum heu-tigen Tag und darüber hinaus .
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(C)
(D)
– Ich habe Ihnen doch gerade gesagt: Es ist Aufgabe derKommission, die ich gestern eingesetzt habe, mit denUS-Behörden in Kontakt zu treten.
Sie sind aber jetzt leider nicht mehr dran, Herr Kol-
lege .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Aber ich kann es ihm trotzdem noch einmal sagen,
wenn er es beim ersten Mal nicht verstanden hat . –
Es ist Aufgabe der gestern eingesetzten Kommission,
mit den US-Behörden in Kontakt zu treten.
Jeder hat die Frage gehört, jeder hat die Antwort ge-
hört . – Als nächste Fragestellerin: die Abgeordnete Frau
Dr . Wilms, Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Dobrindt, die
Antworten hier sind so ähnlich wie die im Verkehrsaus-
schuss. Ich will den Blick ein bisschen weiten und eine
weiter gehende Frage stellen – vielleicht trauen Sie sich,
an dieser Stelle ein bisschen mehr zu sagen als bei dem
Einzelfall VW –: Welche Konsequenzen müsste die Bun-
desregierung ziehen, wenn sich jetzt herausstellen sollte,
dass bei der Überprüfung von Dieselfahrzeugen – bezie-
hen wir das erst einmal nur auf VW-Dieselfahrzeuge –
neueren Typs, die nach der Euro-6-Norm homologisiert
sind, die Prüfbedingungen nicht eingehalten wurden?
Kann es dann passieren, dass die Bundesregierung die
Typgenehmigung zurückzieht?
Herr Minister .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Ich würde es für ausreichend und für ausgesprochen
hilfreich halten, wenn man sich aufgrund der Erkenntnis,
die man aus einer Prüfung gewinnt, über die Konsequen-
zen Gedanken macht, statt bereits heute den Versuch zu
unternehmen, ein Prüfergebnis vorwegzunehmen, das Ih-
nen vielleicht besonders recht wäre – ich weiß es nicht;
ich habe zumindest keine Vorstellung, warum Sie genau
danach fragen –, und statt schon vorher zu sagen, für wel-
che Möglichkeit man sich aus der Vielzahl der Möglich-
keiten entscheiden würde.
Nein, wir gehen seriös vor . Wir bleiben dabei: Wir
werden das Ergebnis der Untersuchung abwarten und
dann natürlich diskutieren, ob und welche Konsequenzen
notwendig sind .
Letzter Fragesteller in der Regierungsbefragung: der
Abgeordnete Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Am 18 . September war auf der Web-
site des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu
lesen, dass als Nachfolger des Präsidenten Schmidt Herr
Weise Präsident des BAMF wird . Da gibt es ein Problem .
Nach SGB III ist es dem Vorstandsvorsitzenden der Bun-
desagentur für Arbeit verboten, ein weiteres besoldetes
Amt auszuüben . Laut Beamtenrecht ist es dem Präsiden-
ten des BAMF wiederum verboten, auf seine Besoldung
ganz oder teilweise zu verzichten .
Vor diesem Hintergrund stelle ich einem Vertreter des
Bundesinnenministeriums die Frage: Wann wird wer als
Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlin-
ge benannt, und wer hat dann die dienstrechtliche und
fachliche Leitung des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge?
Die Frage ist zugelassen . Aber wer antwortet, ent-
scheidet die Bundesregierung . – Ich sehe, Herr Staatsse-
kretär Dr. Schröder vom Bundesinnenministerium wird
antworten . Bitte schön .
D
Herr Kollege Beck, Sie haben die Vorschrift richtig zi-
tiert. Darin ist klar geregelt, dass es dem Präsidenten des
Bundesamtes nicht möglich ist, ein weiteres besoldetes
Amt zu bekleiden.
Es ist so, dass Herr Weise keine zusätzliche Besoldung
erhält. Insofern ist dies dienstrechtlich kein Problem und
wird entsprechend geregelt .
Doch, er hat die Frage beantwortet .
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(C)
(D)
– Herr Kollege Beck, ich darf Sie bitten, entspannt Platzzu nehmen . Die Bundesregierung hat die Frage aus mei-ner Sicht beantwortet .
– Die Frage ist: Wer leitet die Sitzung? Das bin ich .
Will die Regierung doch noch etwas dazu sagen, umden Frieden herzustellen? – Also noch einmal der Vertre-ter der Regierung . Bitte .D
Ich habe die Frage bereits implizit beantwortet . Ent-
scheidend ist ja, ob Herr Weise Präsident dieses Amtes
werden kann. Ich habe gesagt: Selbstverständlich ist das
nach den von Ihnen zitierten Vorschriften möglich, und
selbstverständlich leitet der Präsident des Bundesamtes
für Migration und Flüchtlinge dann auch das Amt .
Damit sind wir am Ende der Regierungsbefragung .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/6019
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die
Fragen 1 und 2 des Kollegen Herbert Behrens und die
Frage 3 der Kollegin Tabea Rößner werden schriftlich
beantwortet .
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-
aktorsicherheit. Auch die Frage 4 des Kollegen Christian
Kühn wird schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Oliver Krischer auf:
Was unternimmt die Bundesregierung gegen die nach mei-
nen Informationen angestellten Überlegungen, die Förderung
der Atomkraft erstmals zu einem Teil der Klimainvestitions-
strategie der Europäischen Investitionsbank zu machen, und
wie wird die Bundesregierung sich in dem Board of Governors
Meeting am 22 . und 23 . September 2015 diesbezüglich, gege-
benenfalls auch bei Abstimmungen, verhalten?
Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staats-
sekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter bereit. – Frau Staats-
sekretärin, bitte.
Ri
Lieber Herr Kollege Krischer, der Verwaltungsrat der
Europäischen Investitionsbank hat gestern, am 22. Sep-
tember 2015, eine Klimaschutzstrategie für die Mobili-
sierung von Finanzierungsmitteln für den Übergang zu
einer CO
2
-armen klimaresilienten Wirtschaft angenom-
men. Darin macht die Europäische Investitionsbank klar,
dass sie dem Klimaschutz höchste Priorität einräumt . Sie
zählt im Bereich Klimaschutz bereits heute zu den füh-
renden internationalen Finanzierungsinstitutionen .
Die Bundesregierung hat bereits während des Konsul-
tationsprozesses ihre Bedenken hinsichtlich der Einbe-
ziehung von Kernenergieprojekten in das Portfolio der
Europäischen Investitionsbank deutlich gemacht, und sie
hat sich entschieden dafür eingesetzt, dass EU-Förderung
nur für Technologien gewährt wird, die aus ihrer Sicht si-
cher, nachhaltig und kohlenstoffarm sind. Im Energiebe-
reich beinhaltet das vor allem den Ausbau erneuerbarer
Energien und Technologien zur Steigerung der Energie-
effizienz. Diese Position hat die Bundesregierung gestern
im Rahmen der Abstimmung im Verwaltungsrat der Eu-
ropäischen Investitionsbank erneut vorgetragen.
Die Förderkriterien der Europäischen Investitions-
bank verfolgen einen technologieoffenen Ansatz, der
eine Förderung von Kernkraftwerken bislang nicht ex-
plizit ausschließt . Dies spiegelt die divergierenden ener-
giepolitischen Interessen der Mitgliedstaaten wider .
Die Annahme der Klimaschutzstrategie lässt der Bun-
desregierung auch weiterhin die Möglichkeit offen, im
Verwaltungsrat der Europäischen Investitionsbank im
Rahmen von einzelnen Projektbewilligungen gegen Pro-
jekte zu votieren, die die Förderung der Kernenergie be-
inhalten .
Jetzt muss ich erst einmal Guten Tag sagen . Ich wün-
sche Ihnen einen schönen Tag, meine Kolleginnen und
Kollegen, auch Ihnen auf der Regierungsbank, und auch
den Gästen . – Und sofort meldet sich Oliver Krischer für
eine Nachfrage .
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatsse-kretärin, darf ich Ihre Antwort dann so interpretieren,dass gestern explizit beschlossen worden ist, dass dieFörderung von Kernenergieprojekten im Rahmen derEIB möglich ist? Meine Frage dazu ist: Hat die Bundes-regierung diesem Beschluss, der diese Möglichkeit derFörderung beinhaltet, zugestimmt, oder hat sie das ab-gelehnt?Vizepräsident Peter Hintze
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(C)
(D)
Ri
Sie haben gefragt, ob es explizit beschlossen wor-
den ist . Explizit hat sie es nicht beschlossen, sondern es
wurde die Klimaschutzstrategie beschlossen, und diese
Strategie sieht vor, dass 25 Prozent der europäischen In-
vestitionsfördergelder in Klimaschutzprojekte investiert
werden müssen . Die übrigen 75 Prozent der Fördergelder
unterliegen strikten Vorgaben, die im Einklang mit den
EU-Klimazielen stehen .
Natürlich hat die Bundesregierung aufgrund dessen,
dass Investitionen in Klimaschutzprojekte und erneu-
erbare Energien erfolgen sollen, nicht alles abgelehnt,
sondern die Bedenken vorgetragen. Sie wird sie, wie ich
gerade gesagt habe, bei Einzelprojekten, die bewilligt
werden müssen, erneut vortragen bzw . dagegen votieren .
Aber sie hat nicht alles abgelehnt, weil damit verbunden
gewesen wäre, dass man auch Investitionen in Klima-
schutzprojekte abgelehnt hätte.
Noch eine Nachfrage von Herrn Krischer .
Herzlichen Dank für die Erläuterungen. Das heißt,
Sie haben trotz Bedenken betreffend die Förderung der
Atomkraft durch die EIB am Ende zugestimmt.
Ich konkretisiere meine Frage. Ich habe Vorentwürfe
des entsprechenden Programms gesehen . Dort wurde die
Atomkraft explizit erwähnt. Ist die Atomkraft in dem Be-
schluss erwähnt?
Ri
Herr Krischer, ich habe Ihnen gerade versucht zu er-
klären, dass wir nicht explizit der Förderung der Kerne-
nergie zugestimmt haben .
Sie sollten nicht versuchen, mir etwas anderes zu un-
terstellen . Sie wollen doch genauso wie die Bundesre-
gierung in erneuerbare Energien investieren; das ist ein
wichtiger Punkt. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass das
quasi gesetzt ist. Es ist daher klar, dass die Bundesregie-
rung trotz der Bedenken, die ich Ihnen gerade zum Aus-
druck gebracht habe, für diese Strategie gestimmt hat.
Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Nachfragen.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung . Die Fragen 6
und 7 des Abgeordneten Kai Gehring werden schriftlich
beantwortet .
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich der Bundes-
kanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Frage 8 der
Kollegin Tabea Rößner wird schriftlich beantwortet .
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Energie . Ich begrüße die
Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries, die
zur Beantwortung der Fragen bereitsteht .
Wir beginnen mit Frage 9 der Kollegin Sylvia Kotting-
Uhl:
Kann die Bundesregierung bestätigen, dass nach den Re-
gelungen des am 2 . September 2015 von ihr in die Länder-
und Verbändeanhörung gegebenen Referentenentwurfs eines
Gesetzes zur Konzernnachhaftung im Nuklearbereich die
vom Eon-Konzern geplante Unternehmensausgliederung na-
mens Uniper im Sinne des Entwurfes nicht für den künftigen
gen des Entwurfs bereits vollständig einem Haftungsentzug
durch Auslagerung von Vermögenswerten vor oder nicht vor?
B
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau
Abgeordnete, die Bundesregierung kann die von Eon
beabsichtigte Abspaltung von Geschäftsteilen mangels
genauerer Kenntnis nicht abschließend beurteilen . Eine
Entscheidung des Bundeskabinetts über das geplante
Nachhaftungsgesetz ist noch nicht erfolgt .
Das Ziel dieses Gesetzes ist allerdings, sicherzustel-
len, dass Energiekonzerne langfristig für die Verpflich-
tungen der von ihnen beherrschten Kraftwerksbetreiber-
gesellschaften haften, und zwar sowohl für den Rückbau
der Kraftwerke als auch für die Entsorgung der radioak-
tiven Abfälle . Wir wollen deshalb Änderungen der Un-
ternehmensstruktur verhindern, die auf eine Verlagerung
der nuklearen Aktivitäten und der entsprechenden Haf-
tung auf längerfristig nicht tragfähige, selbstständige
Gesellschaften hinauslaufen . Aber man muss natürlich
sehen, dass die Energiekonzerne genauso wie jedes an-
dere Unternehmen frei in ihren Entscheidungen sind,
solange – das ist die Voraussetzung – eine Deckung der
Rückstellungen mit Vermögen sichergestellt ist.
Frau Kollegin Kotting-Uhl .
Danke schön. – Frau Staatssekretärin, habe ich Sie
richtig verstanden, dass sich Ihr Ministerium angesichts
der Tatsache, dass Eon seine Abspaltungs- und Umstruk-
turierungspläne geändert hat und die AKW-Sparte beim
Mutterkonzern Eon belassen und nicht wie geplant zu
Uniper auslagern will, noch kein klares Bild darüber ge-
macht hat, ob das geplante Gesetz noch wirksam ist?
B
Da haben Sie mich falsch verstanden . Das Ministeri-um hat den Gesetzentwurf in die Anhörung gegeben . Wirwerden ihn überprüfen . Dann wird sich das Kabinett mitihm befassen .
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(D)
Eine weitere Nachfrage .
Noch einmal zur Klärung, weil das meine Frage nicht
beantwortet hat – wir haben vielleicht ein bisschen anei-
nander vorbeigeredet –: Es besteht die Möglichkeit, dass
der neue Konzern Uniper zwar kapitalkräftiger sein wird
als Eon selbst, nicht aber für den Mutterkonzern haftet.
Nach Ihrem Gesetzentwurf soll schließlich die Nach-
haftung nur umgekehrt gelten. Das heißt, es besteht die
Gefahr, dass das im Mutterkonzern verbliebene Kapital
nicht ausreichend sein wird, um die anfallenden Kosten
für Rückbau und Entsorgung zu decken. Wie gedenkt das
Ministerium dieser Gefahr zu begegnen?
B
Ich wiederhole gerne den entsprechenden Teil meiner
Antwort . Das Gesetz hat das Ziel, Änderungen der Un-
ternehmensstruktur zu verhindern, die auf eine Verlage-
rung der nuklearen Aktivitäten und der entsprechenden
Haftung auf längerfristig nicht tragfähige, selbstständige
Gesellschaften hinauslaufen . Wir wollen sicherstellen –
deswegen machen wir das alles –, dass Haftungskapital
in ausreichendem Maße vorhanden ist .
Ich sehe keine weiteren Nachfragen.
Wir kommen zu Frage 10 der Kollegin Sylvia Kotting-
Uhl:
Wann sollen nach aktuellem Stand der Bundesregierung
die Ergebnisse des von ihr beauftragten sogenannten Stress-
ne vorliegen, und hält die Bundesregierung es noch für rea-
listisch, dass die von ihr geplante Kommission zur Frage des
Reformbedarfs bei diesem System ihre Ergebnisse bis Ende
Ich fasse für unsere Gäste auf der Zuschauertribüne
einmal zusammen, worum es in dieser Frage geht: Es
geht um die Vorlage der Ergebnisse des Stresstests des
Systems der Rückstellungsbildung für den Rückbau der
Atomkraftwerke.
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Sehr freundlich, Frau Präsidentin . Ich weiß nur nicht,
ob das jemand verstanden hat .
Es geht darum, dass die Bundesregierung ein Gutach-
ten in Auftrag gegeben hat; das nennen wir Stresstest. Mit
diesem Gutachten soll geklärt werden, ob genug Geld da
ist, um den Rückbau der Atomkraftwerke zu finanzieren.
Die Ergebnisse dieses sogenannten Stresstests erwarten
wir in den nächsten Wochen; ein genaues Datum dafür
haben wir nicht . Zwischenergebnisse sind nicht vorgese-
hen, sodass ich dazu auch keine weitere Auskunft geben
kann.
Außerdem haben Sie nach den Vereinbarungen der
Parteivorsitzenden gefragt . Die Parteivorsitzenden von
CDU, CSU und SPD haben am 1 . Juli dieses Jahres
„Eckpunkte für eine erfolgreiche Umsetzung der Ener-
giewende“ beschlossen, und diese Eckpunkte sehen auch
vor, dass eine Kommission eingesetzt wird, die Emp-
fehlungen erarbeiten soll, wie die Sicherstellung der Fi-
nanzierung von Stilllegung und Rückbau der Kernkraft-
werke sowie die Entsorgung der radioaktiven Abfälle so
ausgestaltet werden können, dass – jetzt kommen wir
wieder zum selben Thema – die Unternehmen langfris-
tig wirtschaftlich in der Lage sind, ihre Verpflichtungen
aus dem Atombereich zu erfüllen . Eine Entscheidung des
Kabinetts zur Einsetzung dieser Kommission steht noch
aus. Deswegen kann ich Ihnen keine weiteren Angaben
zur Zeitplanung machen .
Frau Kotting-Uhl .
Danke, Frau Staatssekretärin. – Sie haben jetzt sozu-
sagen schon im Vorhinein die Antworten auf alle mög-
lichen Rückfragen mehr oder weniger ausgeschlossen.
Ich werde jetzt also nicht versuchen, darauf zu drängen .
Deshalb eine andere Frage .
Sie haben ursprünglich vorgesehen, heute im Kabinett
über diese Kommission zu entscheiden . Also gehe ich
einmal davon aus, dass bestimmte Vorbereitungen durch-
geführt worden sind, auch wenn der Entschluss verscho-
ben worden ist . Welche Kompetenzen sollen sich denn
der Planung nach in dieser Kommission wiederfinden?
B
Die Kommission soll eingesetzt werden, um Empfeh-
lungen zu erarbeiten, wie die Sicherstellung der Finan-
zierung von Stilllegung und Rückbau der Kernkraftwerke
sowie die Entsorgung der radioaktiven Abfälle so ausge-
staltet werden können, dass die Unternehmen langfristig
in der Lage sind, ihre wirtschaftlichen Verpflichtungen
aus dem Atombereich zu erfüllen . Das wird der Auftrag
der Kommission sein .
Eine weitere Zusatzfrage .
Frau Präsidentin, dank Ihrer Erlaubnis möchte ich eineweitere Nachfrage stellen. – Frau Staatssekretärin, IhreAntwort auf meine erste Zusatzfrage, nimmt mir jetztdie Möglichkeit, eine inhaltlich andere Zusatzfrage zustellen; denn ich muss auf Ihre Antwort auf meine ersteZusatzfrage eingehen .
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(C)
(D)
Ich hatte ja nicht nach der Aufgabe der Kommissiongefragt – die kenne ich auch schon –, sondern nach denKompetenzen, die darin vertreten sein sollen . Also, Ju-risten, Wirtschaftsprüfer, Ökonomen – welche Experten-gruppen sollen darin vertreten sein?B
Das war dann ein Missverständnis. – Dazu kann ich
Ihnen weiter nichts sagen . Die Parteivorsitzenden haben
vereinbart, dass die Besetzung der Kommission im Ein-
vernehmen mit den Parteispitzen und den Fraktionen der
Regierungskoalition erfolgt. Ich kann Ihnen dazu im Mo-
ment keine weiteren Angaben machen.
Danke, Frau Kotting-Uhl. – Der Kollege Krischer hat
eine Nachfrage .
Frau Staatssekretärin, es soll eine Kommission geben.
Über diese Kommission wurde auch in der Presse schon
berichtet . Frau Kotting-Uhl hat ja zu Recht darauf hinge-
wiesen: Es war sogar angekündigt, dass darüber heute im
Kabinett beschlossen werden soll .
Ich finde es jetzt schon ein bisschen erstaunlich, dass
Sie hier gar nichts über diese Kommission sagen können.
Kann ich daraus schließen, dass es in der Bundesregie-
rung bisher kein entscheidungsreifes Konzept für diese
Kommission gibt?
B
Sie können daraus schließen, dass es manche Dinge
gibt, die von der Bundesregierung nicht nach außen ge-
meldet werden .
Ich sehe dazu keinen weiteren Nachfragewunsch. –
Ich bin gerade zu Recht darauf hingewiesen worden, dass
ich das Thema einer Frage nicht notwendigerweise nen-
nen muss; man kann es nämlich auf den Medienwänden
rechts und links von mir ablesen.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Krischer auf:
Wie sieht der weitere Zeitplan zum Konzernhaftungsgesetz
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
hat am 2 . September dieses Jahres die Länder- und Ver-
bändeanhörung zum „Entwurf eines Rückbau- und Ent-
sorgungskostennachhaftungsgesetzes“ – so ist die offizi-
elle Kurzform dieses Gesetzentwurfes – eingeleitet . Eine
Kabinettsentscheidung über den Gesetzentwurf wird
nach Abschluss der Ressortanhörung und Ressortabstim-
mung erfolgen .
Wir hatten eben schon gesagt: Der Stresstest dauert
noch an . Wir rechnen mit Ergebnissen in einigen Wo-
chen. Deswegen kann ich Ihnen keinen genauen Zeitplan
nennen, wann die Ergebnisse des Stresstests veröffent-
licht werden sollen .
Herr Krischer .
Frau Staatssekretärin, danke für die Antwort. – Das
verstehe ich jetzt, ehrlich gesagt, nicht . Das Konzernhaf-
tungsgesetz hat erst einmal nichts mit dem Stresstest zu
tun . Ich habe Herrn Bundesminister Gabriel und auch an-
dere Mitglieder der Bundesregierung so verstanden, dass
die Verlängerung der Konzernhaftung überhaupt eine
Voraussetzung ist, um später Lösungen zu finden, wie
die Atomrückstellungen gesichert werden können und
wie ein Risiko des Steuerzahlers minimiert werden kann.
Deswegen verstehe ich nicht, warum Sie, wenn das Kon-
zernhaftungsgesetz jetzt in der Verbändeanhörung war –
B
Ist!
– ist –, nicht sagen können, wie der weitere Fahrplan ist.
Vor allen Dingen erstaunt mich jetzt der Zusammenhang
mit dem Stresstest, den Sie an der Stelle herstellen . Kön-
nen Sie mir diesen Zusammenhang erläutern?
B
Es erstaunt mich jetzt ein bisschen, dass Sie das er-
staunt; denn eigentlich denke ich ja, dass Sie in diesen
Themen sehr sachkundig sind. Der Stresstest hat doch
die Aufgabe, festzustellen: Welche Werte sind angesetzt?
Was kann man in diese Werte hineinrechnen?
– Na ja, das hat natürlich schon etwas mit der Konzern-
haftung zu tun. Es gibt den bekannten deutschen Spruch:
Haben Sie schon mal einem nackten Mann in die Tasche
gefasst? – Man kann natürlich zehnmal sagen: „Die Kon-
zerne haften“, und man kann ein Gesetz dazu machen,
aber man braucht natürlich Vermögenswerte, mit denen
die Konzerne haften, und man muss sicherstellen, dass
man darauf Zugriff hat . Wenn sonst nichts mehr da ist,
dann ist natürlich auch keine Haftung mehr da.
Herr Krischer .Sylvia Kotting-Uhl
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 123 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 23 . September 2015 11897
(C)
(D)
Frau Staatssekretärin, das verstehe ich jetzt noch we-
niger . Sie sagen mir also, dass die Konzernhaftung nur
dann relevant wird, wenn der Stresstest irgendwie das
Ergebnis erbringt, dass noch Geld da ist .
B
Nein, da verstehen Sie mich falsch .
Das haben Sie mir gerade erklärt.
B
Da verstehen Sie mich falsch . Der Stresstest hat die
Aufgabe, festzustellen, wie die Werte angesetzt sind,
ob sie richtig angesetzt sind . Das ist eine der Vorausset-
zungen .
– Na ja, das ist schon eine Voraussetzung dafür; denn
man muss sich entscheiden, wie man dieses Gesetz aus-
gestaltet .
Eine Nachfrage der Kollegin Kotting-Uhl .
Frau Staatssekretärin, ich muss mich dem Unver-
ständnis meines Kollegen Krischer anschließen, zumal
Ihr Minister uns das auch anders dargestellt hat . Der Mi-
nister sagte ganz klar: Das Nachhaftungsgesetz ist der
erste Schritt, um klarzumachen, dass durch Umstruktu-
rierungen usw. sich Mutterkonzerne nicht der Haftung
entziehen können.
B
Genau .
Der zweite Schritt ist dann: Wie gestalten wir es, dass
nicht die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler am Ende
zahlen, sondern dass die Rückstellungen tatsächlich da
sind? Also: Stiftung, Bad Bank, öffentlich-rechtlicher
Fonds usw.; es schwirren ja viele Ideen durch die Ge-
gend . Dafür muss der Stresstest gemacht werden . Das
hat also in der Tat mit dem Konzernhaftungsgesetz erst
einmal nichts zu tun .
Bei dem Konzernhaftungsgesetz ist Eile geboten;
denn Eon hat für den 1 . Januar 2016 die Abspaltung von
Uniper angekündigt. Vorher sollte dieses Gesetz grei-
fen . Deshalb wiederhole ich die Frage vom Kollegen
Krischer: Wie sieht der Zeitplan dazu aus? Ist das ein-
zuhalten?
B
Wir gehen davon aus, dass der Zeitplan eingehalten
werden kann. Wir haben das Gesetz in der Abstimmung,
und wir werden es rechtzeitig, in Kürze ins Kabinett brin-
gen und werden auch in Kürze – „wenige Wochen“ ist „in
Kürze“ – die Ergebnisse des Stresstests haben, und wir
werden im Zusammenhang mit dem Nachhaftungsgesetz
auch über die Besetzung der Kommission entscheiden .
Vielen Dank. – Keine Nachfragen.
Die Fragen 12 und 13 des Kollegen Hubertus Zdebel
werden schriftlich beantwortet .
Dann kommen wir zur Frage 14 des Kollegen Hans-
Christian Ströbele:
Wie will die Bundesregierung gewährleisten, dass der Ex-
portgrundsatz „Neu für Alt” bei Waffenlieferungen tat-
sächlich angewandt wird, insbesondere vor dem Hintergrund
der aktuellen Berichterstattung, wonach bei Exporten von
G36-Gewehren und Maschinenpistolen der Firma Heckler &
Koch in den Jahren 2006 bis 2008 dieser Grundsatz umgangen
wurde und die Bundesregierung danach trotzdem weitere Aus-
fuhren von 7 700 G36-Sturmgewehren sowie 3 200 MP5-Ma-
schinenpistolen mit der Begründung genehmigte, trotz feh-
lender Umsetzung des Grundsatzes NfA sei das besondere
Verantwortung – als genehmigende Instanz der Waffenexporte
nach Mexiko – mit Blick auf den am 26. September anstehen-
den Jahrestag des Massakers in Iguala und darauf, dass deut-
sche G10-Sturmgewehre bei diesem Angriff der Polizei auf
die Studenten benutzt wurden, etwa durch Unterstützung bei
der Aufklärung des Geschehens?
Frau Staatssekretärin.
B
Der „Neu für Alt“-Grundsatz wurde in dem Zeitraum,den der Abgeordnete nachfragt, in der Weise umgesetzt,dass der Antragsteller grundsätzlich aufgefordert wurde,seine Lieferverträge so auszugestalten, dass die staatli-chen Endempfänger sich verpflichten, Kleinwaffen, dieaufgrund von Neulieferungen ausgesondert werden, zuvernichten . Die Bundesregierung ist fallweise über Waf-fenvernichtungsaktionen unterrichtet worden.Wir haben jetzt neue Kleinwaffengrundsätze verabschie-det, wie Sie wissen, am 18 . März 2015 . Da haben wirden „Neu für Alt“-Grundsatz auf eine neue Grundla-ge gestellt . Danach muss seit März 2015 der staatlicheEmpfänger von kleinen und leichten Waffen grundsätz-lich eine Verpflichtungserklärung dahin gehend abgeben,dass die durch die Neubeschaffung zu ersetzenden klei-nen und leichten Waffen vernichtet werden . Sofern dieseNeubeschaffung einen plausiblen Mehrbedarf deckt unddeshalb Altwaffen nicht vernichtet werden, wird ersatz-
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weise grundsätzlich die Verpflichtung gefordert, die jetztzu liefernden neuen Waffen bei einer späteren Außer-dienststellung zu vernichten . Das ist die Variante „Neu,Vernichtung bei Aussonderung“ .Die Bereitschaft zur Abgabe und Einhaltung einerderartigen Erklärung ist entscheidungserheblich für dieGenehmigung der Ausfuhr . Die Bundesregierung trägtdafür Sorge, dass die Umsetzung des Exportgrundsatzes„Neu für Alt“ sowie die Variante „Neu, Vernichtung beiAussonderung“ überwacht wird . Dazu führt die Bundes-regierung zeitnah eine Abstimmung herbei .Zu dem anderen Aspekt: Die Bundesregierung unter-stützt die Aufklärung der Entführung und anschließendenTötung der 43 Studenten im Bundesstaat Guerrero imRahmen des mexikanischen Ermittlungsverfahrens. Siewird die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft insbe-sondere mit einem vom Auswärtigen Amt finanziertenRechtsstaatsprojekt unterstützen, das unter anderem eineForensikkomponente vorsieht.
Herr Ströbele .
Frau Staatssekretärin, ich weiß nicht, ob ich mich
angesichts der Tragödie, die sich derzeit in Mexiko ab-
spielt, dafür bedanken soll.
Ist der Bundesregierung bekannt, dass der Grundsatz
„Neu für Alt“, also dass alte Gewehre vernichtet wer-
den, wenn neue geliefert werden sollen, in der Vergan-
genheit umgangen worden ist? Ist der Bundesregierung
bekannt – vielleicht lesen auch Sie die Bild-Zeitung, zum
Beispiel von heute –, dass das Bundeswirtschaftsministe-
rium, also Ihr Ministerium, darauf hingewirkt haben soll,
das Genehmigungsverlangen der Firma Heckler & Koch
so zu manipulieren, dass erneut über 2 000 G36-Geweh-
re geliefert werden konnten, obwohl wir wissen, Frau
Staatssekretärin – das ist das Schreckliche daran –, dass
G36-Gewehre bei diesem Massaker – nächsten Samstag
jährt sich dieses furchtbare Ereignis – benutzt worden
sind? Der Mörder soll ein G36-Gewehr aus deutscher
Produktion gehabt haben. Warum liefert die Bundesre-
gierung angesichts dieser Fakten weiter Gewehre in die-
sen Mörderstaat, in dem hunderttausend Menschen in
diesem Krieg ermordet worden sind? Ist Ihnen das die
2 Millionen Euro wert, die Heckler & Koch daran ver-
dient?
Frau Zypries .
Herr Abgeordneter, Sie vermischen jetzt offenbar die
Zeiten . Die Bundesregierung hat Ende 2010 die Bearbei-
tung von Ausfuhrgenehmigungsanträgen für Kleinwaf-
fen nach Mexiko ausgesetzt. Seither werden nach Mexi-
ko keine Kleinwaffen mehr genehmigt.
Was den ersten Teil Ihrer Frage anbelangt: Es besteht
eine Verpflichtung, diese Waffen zu vernichten. Fallwei-
se haben Vertreter beispielsweise der deutschen Bot-
schaften solchen Vernichtungsaktionen beigewohnt.
Herr Ströbele .
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen ein Herr Claus W. be-
kannt – dessen Nachname ist hier nicht voll ausgeschrie-
ben –, der Abteilungsleiter und Ministerialrat bei Ihnen
im Wirtschaftsministerium gewesen sein soll und der –
ich habe es nicht gesehen, aber so steht es in der Bild-Zei-
tung – in seiner Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft
ausgesagt haben soll – ich zitiere wörtlich –:
Mit Heckler und Koch haben wir darauf hingewirkt,
dass die Anträge für die kritischen Bundesstaaten
zurückgezogen werden.
Anstelle dieser kritischen Staaten sind unkritische
Staaten eingetragen worden, obwohl alle wissen, dass in
der Vergangenheit die Ausnahmen für bestimmte Staaten
nicht eingehalten worden sind . Ist Ihnen ein solcher Mi-
nisterialrat bekannt? Ist Ihnen bekannt, dass er, also ein
Mitglied Ihres Hauses, mit dafür gesorgt haben soll, dass
trotz dieser Umstände G36-Gewehre weiter nach Mexiko
geliefert werden?
B
Herr Abgeordneter, wir reden von einem Zeitpunkt, an
dem ich noch nicht in diesem Hause gearbeitet habe . Ob
ich diesen Herrn kenne oder nicht, kann ich Ihnen nicht
sagen, weil ich nicht weiß, wer das sein könnte. Es mag
sein, dass ich ihn aus vorhergehenden Tätigkeiten kenne.
Es mag auch sein, dass ich ihn nicht kenne. Diese Frage
kann ich nicht beantworten.
Sie zitieren aus Unterlagen, die offenbar Gegenstand von
Anhörungen der Staatsanwaltschaft sind, wenn ich Sie
richtig verstanden haben . Dieses Zitat haben Sie der Zei-
tung entnommen. Ich kenne diese Unterlagen nicht im
Original . Ich habe diesen Anhörungen nicht beigewohnt .
Es handelt sich dabei um ein staatsanwaltschaftliches
Ermittlungsverfahren, und die Staatsanwaltschaft wird
ihres Amtes walten .
Vielen Dank. – Die nächste Nachfrage stellt Herr
Behrens . Bitte schön .
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-rin, Sie haben eben erwähnt, dass die Geschäftsbeziehun-gen in Form von Lieferungen von Kleinwaffen nach Me-xiko Ende 2010 eingestellt wurden. Nun wissen wir aber,dass doch eine ganze Reihe von neuen G36-GewehrenParl. Staatssekretärin Brigitte Zypries
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nach Mexiko geliefert worden ist. Sie haben den Grund-satz „Neu für Alt“ erwähnt . Können Sie denn, sollte esdiese Lieferung von über 10 000 neuen G36-Gewehrenan Mexiko gegeben haben, konkrete Angaben darübermachen, wie viele alte Gewehre dafür vernichtet wordensind?
Frau Zypries .
B
Herr Abgeordneter, ich habe Ihre Frage nicht richtig
verstanden . Wollen Sie, obwohl ich Ihnen gesagt habe,
dass die Bundesregierung die Ausfuhrgenehmigung für
Kleinwaffen nach Mexiko Ende 2010 ausgesetzt hat, un-
terstellen, dass trotzdem Gewehre geliefert wurden? Ist
das die Frage?
Das war die Frage; ja.
B
Dann kann ich diese Frage nicht beantworten. Dazu
liegen mir keine Erkenntnisse vor.
Die nächste Nachfrage hat die Kollegin Hänsel .
Danke schön, Frau Präsidentin. – Sie haben sich darauf
berufen, dass die Waffenlieferungen im Jahr 2010 einge-
stellt worden sind. Das Massaker von Ayotzinapa liegt
jetzt ein Jahr zurück; das stimmt. Aber seit Jahrzehnten
haben wir in Mexiko einen blutigen Krieg und seit 2006
einen blutigen Drogenkrieg mit Hunderttausenden Toten.
Die Situation hat sich seit 2006 verschärft . Es herrscht
eine hundertprozentige Straflosigkeit. Und in genau die-
ser Zeit wurde die Lieferung von Tausenden Gewehren
genehmigt. Das ist doch die Problematik.
Es wurden Tricks angewandt. Man hat die Firmen
nämlich aktiv beraten, wie man trotz des blutigen Bür-
gerkrieges und der wahnsinnigen Menschenrechtsver-
letzungen und Verbrechen Waffen liefern kann. Das ist
doch der entscheidende Punkt. Da gab es Mithilfe aus
Ihrem Ministerium. Das wollen wir doch hier aufklären.
Es gab die Idee „Neu für Alt“, und es gab die Idee, nur
bestimmte Bundesstaaten aufzuführen . Das sind doch al-
les Hilfen .
Meine Rückfrage lautet ganz konkret: Was ist das au-
ßenpolitische Interesse der Bundesregierung, trotz dieser
Menschenrechtsverletzungen Waffenlieferungen zu ge-
nehmigen?
Frau Zypries .
B
Frau Abgeordnete, Sie stellen die Sache schon wieder
so dar, als würden wir heute noch Kleinwaffen geneh-
migen .
Diese Bundesregierung hat ganz im Gegenteil neue
Grundsätze für die Genehmigung von Kleinwaffen auf-
gestellt; diese habe ich eben referiert. Wir haben seit 2008
keine Anträge auf G36-Ausfuhren nach Mexiko und seit
2010 auch keine Anträge für den Export von sonstigen
Kleinwaffen mehr genehmigt .
Wenn es Beschuldigungen gibt, dass im Haus oder
aus dem Hause heraus – das hat eben auch der Kollege
Ströbele suggeriert – irgendwelche unzulässigen Dinge,
über die heute in den Medien zu lesen ist, geschehen sind,
dann kann ich Ihnen dazu jetzt und an dieser Stelle nichts
weiter sagen . Wir werden selbstverständlich den heute in
den Medien veröffentlichten Vorwürfen nachgehen; das
versteht sich von selbst. Aber ich kann dazu jetzt nichts
sagen . Wir müssen das erst überprüfen .
Danke, Frau Zypries. – Die nächste Nachfrage hat
Herr Liebich .
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-
rin, ich verstehe, dass es für die heutige Bundesregierung
kompliziert ist, das Agieren der vorherigen Bundesregie-
rung zu bewerten . Es nützt aber nichts . Wir sind hier das
Parlament . Wir stellen hier die Fragen an die Bundesre-
gierung – wer auch immer damals gerade im Amt war .
B
Das ist auch in Ordnung .
Meine Frage ist folgende: Es gibt Bilder, auf denen
zu sehen ist, dass nicht etwa G36-Gewehre, sondern ur-
alte Kalaschnikow-Gewehre vernichtet und dafür neue
G36-Gewehre geliefert wurden . Kennen Sie diese Bil-
der? Ist Ihnen das bekannt? Können Sie ausschließen,
dass konfiszierte alte Gewehre der Drogenmafia vernich-
tet und im Gegenzug neue G36-Gewehre nach Mexiko
geliefert wurden?
Frau Zypries .
B
Nein, darüber weiß ich nichts. Ich kenne das Bild nichtund weiß auch sonst nichts über solche Umstände . Aberwenn Sie wollen, kann ich gerne im Haus nachfragen,ob jemand etwas darüber weiß, und dann können wir esgerne schriftlich nachliefern .Herbert Behrens
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Eine weitere Nachfrage hat Frau Buchholz .
Vielen Dank. – Ich beziehe mich jetzt auch auf die
Vergangenheit . Der Kollege Liebich hat ja recht: Wir
müssen uns heute mit dem Fall beschäftigen, und wir
wollen, dass es in Zukunft anders wird.
Hat die Bundesregierung durch die Botschaft – zum
Beispiel durch Besuche vor Ort oder in Augenscheinnah-
me – kontrollieren lassen, ob in den zu beanstandenden
Bundesstaaten Sicherheitskräfte mit dem G36 ausgerüs-
tet sind?
Frau Zypries .
B
In welcher Weise die Botschaft vor Ort tätig war, kann
ich nicht sagen . Ich weiß nur, dass im Jahre 2006 Ver-
treter der Botschaft in Mexiko bei der Vernichtung von
Kleinwaffen dabei waren .
Nachfrage, Kollegin Brugger .
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-
rin, ich beziehe mich einmal auf die heutige Zeit . Die
schreckliche Tragödie in Mexiko ist schon länger be-
kannt. Am Tag danach wurde klar, dass wahrscheinlich
deutsche G36-Gewehre bei diesem Massaker zum Ein-
satz gekommen sind.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass sich die Bundes-
regierung erst heute aufgrund der Presseveröffentlichung
auf den Weg begibt, nachzuforschen, wie es sein kann,
dass deutsche Gewehre in einer Provinz gelandet sind,
in der sie nicht hätten eingesetzt werden dürfen? Es sind
6 Menschen zu Tode gekommen und 43 verschwunden.
B
Frau Abgeordnete, die Lieferung dieser Gewehre ist
Gegenstand eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungs-
verfahrens .
Es ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft, diese Sache auf-
zuklären. Solange staatsanwaltschaftliche Ermittlungs-
verfahren laufen, ist es deren Job, das zu machen .
Nachfrage des Kollegen van Aken.
Frau Zypries, bei aller Wertschätzung, Herr W ., der
hier schon zitiert wurde, arbeitet immer noch bei Ihnen
in der gleichen Position . Es hat sich in Ihrem Ministeri-
um strukturell nichts geändert. Seit fünf Jahren, nicht erst
seit heute, wissen Sie, weiß das ganze Haus Bescheid,
dass bei den Waffenexporten nach Mexiko ganz viel
schiefgelaufen ist . Zu sagen: „Das muss die Staatsan-
waltschaft machen, bis dahin machen wir beide Augen
zu; wir kümmern uns nicht darum, gucken nicht, was
strukturell schiefläuft“, geht gar nicht.
Sie haben gerade einiges falsch gesagt . Sie haben bei-
spielsweise behauptet, es gebe eine Verpflichtung der
Mexikaner, die alten Waffen zu vernichten. Das haben
Sie gerade gesagt. Das ist falsch; das wissen Sie selber.
Da haben Sie sich versprochen. Diese Verpflichtung gab
es nie . Es gab schon letzte Woche die Bilder von der an-
geblichen Vernichtung, und es wurde die Zahl der Waffen
genannt, die vernichtet worden sind . Das sind nämlich
700. Das hätten Sie wissen können, wenn Sie, Ihr Mi-
nister oder irgendwer im Ministerium, sich darum ge-
kümmert hätten. 700 wurden vernichtet, 10 097 wurden
geliefert . Was ist das für ein Grundsatz: „Neu für Alt“?
Sie kümmern sich nicht einmal darum.
Jetzt konkret meine Frage: Kennen Sie außer Mexiko
einen einzigen Fall irgendwo auf der Welt, wo „Neu für
Alt“ stattgefunden hat? Ich habe das mehrfach nachge-
fragt. Ich höre immer nur, dass keine Statistiken geführt
werden . Sie haben gerade gesagt, dass es das fallweise
gab . Nennen Sie mir bitte einen Fall .
Frau Zypries .
B
Ich kann Ihnen keinen Fall nennen, aber ich kann ger-
ne im Hause nachfragen, ob es solche Fälle gab .
– Dann frage ich noch einmal, vielleicht kommen wir
dann weiter .
Frau Dröge hat noch eine Nachfrage .
Ganz herzlichen Dank. – Ich komme noch einmal aufdie Frage von Frau Brugger zurück, die Sie eben beant-wortet haben . Frau Brugger hatte ja gesagt, dass nachdem Massaker in Mexiko öffentlich geworden ist, dassdort G36-Gewehre zum Einsatz gekommen sind. FrauBrugger hat Sie gefragt: Was haben Sie im Haus intern,nachdem es öffentlich gemacht worden ist, getan, umdiesen Vorfall aufzuklären? Sie haben nur auf die staats-anwaltschaftlichen Ermittlungen verwiesen . Gehe ichrecht in der Annahme, dass Sie ansonsten nichts im Hau-se getan haben, um diesen Sachverhalt zusätzlich internaufzuklären?
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B
Ich kann Ihnen nicht sagen, was das Haus intern ge-
macht hat, weil mir darüber keine Erkenntnisse vorlie-
gen . Ich gehe davon aus, dass etwas getan wurde . Wenn
es staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gibt, gehen diese
vor. Das wissen Sie. Wir können nicht anfangen, noch
einmal selber zu ermitteln . Das Haus wird im Zweifel
Umsetzungen vorgenommen haben. Das können wir Ih-
nen gerne schriftlich nachreichen .
Da ich die Hüterin der Geschäftsordnung bin, muss
ich leider Herrn van Aken und Frau Brugger darauf hin-
weisen, dass bei der Fragerunde nur eine Nachfrage mög-
lich ist .
Deswegen kommen wir jetzt zur Frage 15 der Kolle-
gin Heike Hänsel:
Weshalb stehen die im Jahr 2008 an Mexiko gelieferten
gierung in diesem Zusammenhang weitere Waffenlieferungen
bekannt, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Ener-
gie und vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle
genehmigt wurden und die nicht von den Rüstungsexportbe-
richten der letzten zehn Jahre erfasst wurden?
B
Die im Jahr 2008 an Mexiko gelieferten Gewehre ste-
hen nicht im Rüstungsexportbericht 2008, weil es sich
um eine Genehmigungserweiterung aus dem Jahre 2008
handelte, die nicht mehr in die statistische Erfassung für
2008 eingeflossen ist. Das war ein fehlerhaftes Handeln
der Behörde, des Bundesamtes . Durch diese fehlerhafte
Erfassung ist das nicht eingeflossen.
Zu der Frage, ob uns weitere entsprechende Waf-
fenlieferungen bekannt sind, kann ich sagen: Nein, uns
sind keine weiteren Waffenlieferungen bekannt, die vom
BAFA genehmigt wurden und die nicht von den Rüs-
tungsexportberichten der letzten zehn Jahre erfasst wur-
den .
Frau Hänsel .
Da möchte ich schon noch mal nachhaken; denn die
Gewehre tauchen im Bericht für das nächste Jahr auch
nicht auf . Der Fehler führte also nicht nur dazu, dass die
Gewehre nicht mehr im Bericht für das Jahr 2008 vor-
kamen, sondern sie tauchen überhaupt nicht auf. Ich fin-
de es, ehrlich gesagt, schon sehr bedenklich, wenn eine
Lieferung von über 2 000 Gewehren einfach mal so aus
der Statistik verschwindet. Meine Fragen: Welche Kon-
sequenzen ziehen Sie daraus für Ihre Berichte? Wieso ist
Ihnen das eigentlich überhaupt nicht aufgefallen? Warum
braucht es eigentlich immer Journalisten und Zivilgesell-
schaft, um die Bundesregierung darauf aufmerksam zu
machen, welche Waffen wo landen?
B
Das ist jetzt falsch . Es geht nur um die Frage der No-
tifizierung. Es handelt sich um 1 393 Gewehre und nicht
um 2 000 . Diese 1 393 Gewehre sind aufgrund einer ver-
waltungsmäßig – wie ich persönlich als Verwaltungsju-
ristin finde – fehlerhaften Bearbeitung auf den Verwal-
tungsakt von 2007 geschrieben worden, also er ist quasi
ergänzt worden . Dadurch sind die Gewehre ganz aus der
Statistik herausgefallen, weil sie 2008 nicht wahrgenom-
men wurden und in den Folgejahren natürlich auch nicht;
denn sie waren ja auf dem Bescheid von 2007 notifiziert.
Das ist ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln gewesen .
Das haben wir festgestellt . Es gab eine entsprechende Or-
ganisationsänderung. Inzwischen ist klar, dass man Ver-
waltungsakte dieser Form oder Bescheide dieser Form
nicht weiter ergänzen darf, sondern man immer einen
neuen Bescheid erstellen muss . Seither ist Entsprechen-
des auch nicht wieder vorgekommen.
Frau Hänsel, die zweite Nachfrage .
Weil Sie gerade selbst bestätigt haben, dass 2007 Waf-
fen, Gewehre, nach Mexiko geliefert wurden und sie
dann im Bericht 2008 nicht auftauchten, sind wir wieder
bei der Frage, die ich vorhin gestellt habe und die sich
darauf bezog, dass bereits 2006 ein blutiger Krieg in Me-
xiko begonnen hatte – formal gegen die Drogenbanden,
aber verbunden mit massiven Menschenrechtsverletzun-
gen und hundertprozentiger Straflosigkeit. In dieser Zeit
wurden also Gewehre nach Mexiko geliefert. Ich hätte
gerne eine Antwort darauf, wie die Bundesregierung
dazu kommt, in solch einer Situation Lieferungen von
Gewehren an die Polizei, die Bestandteil dieser Men-
schenrechtsverletzungen ist, zu genehmigen .
Frau Zypries .
B
Das Verfahren läuft so, dass solche Genehmigungen
vom Bundessicherheitsrat erteilt werden; der Bundessi-
cherheitsrat entscheidet darüber . Die Verhandlungen des
Bundessicherheitsrates sind nicht öffentlich . Was den
damaligen Bundessicherheitsrat dazu bewogen hat, kann
ich Ihnen also nicht sagen .
Herr Kollege van Aken, Ihre Nachfrage.
Ich glaube, in diesem Fall war es nicht der Bundessi-cherheitsrat, sondern der vorbereitende Ausschuss; aber
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das ist jetzt mal egal . – Ich habe zu diesem Export nachMexiko noch eine Frage. Es scheint ja so zu sein, dassman, wenn man Gewehre irgendwohin liefert, zusätzlichErsatzteile im Umfang von 10 Prozent des Exportwertesliefern darf . Das scheint die Standardregelung zu sein .Jetzt sind in der letzten Woche Dokumente veröffentlichtworden, die den Vorwurf belegen – den Vorwurf gibtes nicht erst seit heute, er ist schon ein bisschen älter;Sie hätten das im Ministerium also schon mal verfolgenkönnen –, dass auf einmal die 10-Prozent-Regelung fürHeckler & Koch auf 30 Prozent ausgeweitet worden ist.Meine Fragen an Sie: Stimmt das? Wissen Sie davon?Gilt die 30-Prozent-Regelung immer noch, und gilt siefür Heckler & Koch nicht nur für Mexiko, sondern auchfür andere Länder?B
Ich weiß nicht, ob das stimmt . Ich weiß nur – das
haben mir meine Mitarbeiter in der Vorbesprechung zu
dieser Fragestunde mitgeteilt –, dass im Hause derzeit
entsprechende Überprüfungen vorgenommen werden .
Danke schön. – Nächste Nachfrage, Kollegin
Agnieszka Brugger.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-
rin, im Zuge der Genehmigungen der Lieferungen der
G36-Gewehre nach Mexiko hat man bestimmte Provin-
zen, in denen die Menschenrechtslage noch schlimmer
war als im Rest des Landes, von den Lieferungen explizit
ausgeschlossen . Aber dort sind die Waffen anschließend
aufgetaucht . Ist ein solcher Ausschluss also überhaupt
möglich? Wie kontrolliert die Bundesregierung einen
solchen Ausschluss? Haben Sie die verlässliche Zusage
von mexikanischer Seite gehabt, dass diese Provinzen
nicht mit G36-Gewehren beliefert werden? Wie wollen
Sie in Zukunft solche Lieferungen kontrollieren? Ist es
überhaupt ein praktikabler Weg, den Verantwortlichen
eines Landes zu sagen: „Diese Stadt und diese Provinz
bitte nicht mit den von uns gesendeten Gewehren belie-
fern“?
Frau Zypries .
B
Normalerweise ist es so, Frau Abgeordnete, dass es
einen Adressaten gibt, also beispielsweise das Innen-
ministerium eines Landes; das kann auch das Innenmi-
nisterium eines Teilstaates sein . Wenn Sie unser födera-
listisches System als Beispiel nehmen, dann könnte das
auch der Innenminister von Nordrhein-Westfalen sein;
das wäre theoretisch denkbar. Die Personen, an die ge-
liefert wird, müssen dann dafür sorgen, dass der richtige
Adres sat die Waffen auch behält . Die Behauptung, die
seit kurzem in den Medien kursiert, dass angeblich gera-
ten wurde, vier Provinzen nicht zu beliefern, wird derzeit
im Hause überprüft .
Danke schön. – Nächste Nachfrage, Kollege Ströbele.
Frau Staatssekretärin, Sie berufen sich immer auf das
laufende strafrechtliche Ermittlungsverfahren, das in-
zwischen fünfeinhalb Jahre andauert . Wenn das noch ein
paar Jahre andauert – man weiß ja nicht, wie das aus-
geht –, heißt das dann, dass die Bundesregierung über die
Geschäfte so lange keine Auskünfte gibt mit Rücksicht
auf das laufende Strafverfahren? Oder ist die Bundesre-
gierung bereit, auf die mehrfach gestellten Fragen end-
lich Auskünfte zu geben? Die Frage ist doch: Wenn die
Bundesregierung die Bedingungen stellt, zum Beispiel,
dass in bestimmte Staaten nicht geliefert werden soll,
wie garantiert dann die Bundesregierung, dass diese Be-
dingungen auch eingehalten werden? Wir wissen: Wenn
die USA solche Bestimmungen vertraglich vereinbaren,
dann wird die Einhaltung vor Ort in den Ländern kontrol-
liert . Die Bundesregierung tut das nicht .
Ich war selber in Mexiko und habe mich dort erkun-
digt. Die dortige Regierung hat erklärt, ihr seien solche
Bedingungen überhaupt nicht bekannt gewesen. Dann
kann sie natürlich auch nicht verhindern, dass diese Ge-
wehre in bestimmte Staaten geliefert werden, in die sie
gar nicht geliefert werden sollten .
Frau Zypries .
B
Ich habe Ihnen schon gesagt, dass die jetzige Bun-desregierung mit einem entsprechenden Regelwerk dieBedingungen weiter verschärft hat . Das eine sind dieauf Initiative von Bundesminister Gabriel beschlossenenKleinwaffengrundsätze, von denen eben schon die Redewar. Mit diesen neuen Kleinwaffengrundsätzen könnenwir über die früher schon übliche Reexportklausel hin-aus die ausdrückliche Zusage der Einhaltung der Endver-bleibserklärung einfordern,
und zwar derart, dass die genehmigten Waffen, wennnicht eine erneute Zustimmung der Bundesregierungvorliegt, weder an andere Länder noch innerhalb desEmpfängerlandes an andere als die genehmigten Emp-fänger weitergegeben werden dürfen .Das andere ist die sogenannte Post-Shipment-Kontrol-le, die auch auf Initiative von Bundesminister Gabriel imAugust 2015 beschlossen wurde . Mithilfe dieser Kont-rollen können die Angaben, die Empfänger zum Verbleibder Waffen machen, vor Ort überprüft werden . Dadurchkönnen wir sicherstellen, dass die exportierten Waffenam angegebenen Bestimmungsort ankommen und auchverbleiben .Jan van Aken
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Vielen Dank. – Jetzt habe ich noch eine Nachfrage von
Frau Buchholz .
Vielen Dank. – Aus anderen Zusammenhängen wissen
wir, dass Heckler & Koch keine allzu schlechten Verbin-
dungen zum Beispiel ins Verteidigungsministerium hat .
Ich habe daher eine Frage an Sie: Gibt es zum Beispiel
die Praxis, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ih-
rem Ministerium, die mit der Genehmigung von Rüs-
tungsexporten betraut sind, regelmäßig auf andere Pos-
ten versetzt werden, damit Korruption vorgebeugt wird?
Gibt es so eine Praxis?
B
Die jetzige Leitung des Bundesministeriums legt Wert
darauf, dass genau so eine regelmäßige Umsetzung von
Referatsleitern, die mit solchen Themen befasst sind –
das bezieht sich jetzt nicht nur auf Kleinwaffenexporte,
sondern auch auf zahlreiche andere Gebiete –, stattfindet.
Ja, wir haben mit dieser Praxis begonnen .
Vielen Dank. – Eine Nachfrage von Frau Dröge.
Vielen Dank. – Sie haben ja gerade in der Antwort auf
die Frage von Herrn Ströbele auf die neuen Grundsätze
zur Endverbleibskontrolle hingewiesen. Ich habe Ihnen
ja auch heute Morgen schon im Ausschuss die Frage
gestellt, wie verbindlich denn so eine Endverbleibskon-
trolle funktionieren kann; denn Sie haben auf die Kleine
Anfrage meiner Kollegin Agnieszka Brugger geantwor-
tet, dass so eine Endverbleibskontrolle im Endeffekt im
Goodwill des Empfängerlandes liegt . Wenn das nicht
zustimmt, dann wird eine Endverbleibskontrolle nicht
funktionieren. – Heute Morgen haben Sie mir gesagt,
es ist völkerrechtlich nicht anders möglich. Das ist dann
aber ein Problem, wenn Sie auf der anderen Seite gera-
de diese Endverbleibskontrolle als positive Neuerung so
nach vorne stellen . Deswegen einfach noch einmal die
Frage an Sie: Wie können Sie diese Endverbleibskontrol-
le wirklich durchsetzen?
Frau Zypries .
B
Ich habe es Ihnen ja eben gerade schon gesagt in der
Antwort auf die Frage von Herrn Ströbele . Zum einen
gibt es Verpflichtungserklärungen, die abgegeben wer-
den müssen . Zum anderen ist es durch diese Post-Ship-
ment-Kontrolle auch möglich, im Land tatsächlich zu
kontrollieren, ob die Waffen da sind, wo sie hinsollen.
Aber Sie wissen ja auch, wie die Welt ist. Wir können
jetzt nicht jemanden danebenstellen, der das dann die
ganze Zeit fortlaufend kontrolliert.
So, jetzt habe ich noch eine Nachfrage von Matthias
W. Birkwald.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wir haben jetzt
zahlreiche Antwortversuche der Staatssekretärin gehört.
Wir sind mit den Antworten nicht zufrieden . Die Fragen
wurden aus unserer Sicht nicht hinreichend beantwortet .
Deswegen beantragen wir, jetzt eine Aktuelle Stunde zum
Thema „Rüstungsexporte nach Mexiko“ durchzuführen.
Ein Blick in die Geschäftsordnung: Die Fraktion hat
jetzt zur Antwort der Bundesregierung auf die Frage 15
eine Aktuelle Stunde verlangt. Die Bedingungen dafür
sind gegeben . Das entspricht der Nummer 1 b Anlage 5
der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aktuelle
Stunde findet im Anschluss an die Fragestunde, also um
15 .35 Uhr, statt .
Dann machen wir jetzt ganz regulär weiter und kom-
men zur Frage 16 der Abgeordneten Heike Hänsel:
Wird die Bundesregierung angesichts des Krieges und der
katastrophalen Lage für die Menschen im Jemen, wo bereits
80 Prozent von humanitärer Hilfe abhängig sind und Sau-
di-Arabien weiterhin Hilfstransporte blockiert, die Waffenlie-
ferungen an Saudi-Arabien und seine Bündnispartner Katar
Frau Zypries .
B
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung beobach-tet die Situation im Jemen mit Sorge und hat die Kon-fliktparteien wiederholt zu einer humanitären Feuerpausesowie zur schnellstmöglichen Rückkehr zu Verhandlun-gen unter der VN-Ägide aufgerufen .Über die Erteilung von Genehmigungen für Rüstungs-exporte entscheidet die Bundesregierung im Einzelfallund im Lichte der jeweiligen Situation nach sorgfältigerPrüfung unter Einbeziehung außen- und sicherheitspoli-tischer Erwägungen . Grundlage hierfür sind die Politi-schen Grundsätze der Bundesregierung für den Exportvon Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern ausdem Jahr 2000, der Gemeinsame Standpunkt des Ratesder Europäischen Union vom 8 . Dezember 2008 betref-fend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhrvon Militärtechnologie und Militärgütern sowie der Ver-
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(C)
(D)
trag über den Waffenhandel vom 2. April 2013. AktuelleEntwicklungen in den jeweiligen Ländern werden in dieEntscheidungsfindung selbstverständlich immer einbe-zogen. Für jeden Einzelfall findet eine differenzierte undsorgfältige Einzelfallprüfung statt, insbesondere unteraußen- und sicherheitspolitischen Gesichtspunkten.
Vielen Dank, Frau Zypries. – Heike Hänsel.
Danke schön. – Frau Staatssekretärin, das war jetzt
aber keine Antwort. Es geht um eine Einzelfallprüfung.
Ich habe konkret gefragt, ob angesichts dieses Krieges,
ob angesichts der Bombardierungen im Jemen, die von
Saudi-Arabien bzw . den Golfstaaten durchgeführt wer-
den, und der katastrophalen Situation der Bevölkerung
im Jemen, ob in diesem Einzelfall – Saudi-Arabien führt
Krieg – weiterhin Waffen an Saudi-Arabien geliefert
werden . Darum geht es jetzt .
Frau Zypries .
B
Frau Abgeordnete, ich habe Ihnen gesagt, dass die
Bundesregierung alles Mögliche unternimmt, um die
Rückkehr zu Verhandlungen unter der Ägide der Ver-
einten Nationen möglichst schnell hinzubekommen.
Wir glauben, dass Saudi-Arabien mit seiner gewichti-
gen Stimme in der Arabischen Liga und im Golfkoope-
rationsrat eine Schlüsselrolle für die Sicherheit der von
Krisen geprägten Region einnimmt . Mehr ist dem nicht
hinzuzufügen .
Frau Hänsel .
Das ist ja sehr aufschlussreich. Das heißt, ein krieg-
führender Staat wird weiterhin beliefert, weil er viel-
leicht eine Friedensrolle einnehmen könnte. Das ist eine
sehr interessante Argumentation der Bundesregierung .
Ich möchte zur Endverbleibskontrolle kommen. Sie
haben vorhin angekündigt, dass man mehr verbindli-
che Erklärungen einfordern will, bezogen auf das, was
mit den Waffen passiert . Aber das ist doch das generelle
Problem: Sie lassen sich alle möglichen Papiere unter-
schreiben. Die Endverbleibskontrollen bestehen aus Er-
klärungen, wo die Waffen hingehen oder auch nicht und
wofür sie eingesetzt werden oder auch nicht . Aber die
Waffen werden trotzdem zweckentfremdet eingesetzt.
Saudi-Arabien hat im Zusammenhang mit der Lizenzpro-
duktion von Heckler-&-Koch-Gewehren unterschrieben,
dass sie nur im eigenen Land eingesetzt werden, und jetzt
werden sie im Jemen im Kampf gegen die Huthi-Rebel-
len eingesetzt . Was ist denn da mit Ihrer Kontrolle, und
wo bleiben die Konsequenzen? Diese Waffen werden
jetzt in diesem Krieg eingesetzt, obwohl sie von der Bun-
desregierung dafür nicht vorgesehen sind .
Frau Zypries .
B
Frau Abgeordnete, ich hatte schon mehrfach darauf
hingewiesen, dass wir auf Basis der neuen Grundsätze
für Kleinwaffenexporte, die wir im Mai 2015 veröffent-
licht haben, und der Post-Shipment-Kontrolle, die im Juli
2015 beschlossen wurde, deutlich schärfere Kontrollen
durchführen können und das auch tun. Ich würde Sie bit-
ten, das einfach einmal zur Kenntnis zu nehmen .
Herr Kollege van Aken.
Jetzt mal Butter bei die Fische! Die allgemeinen Re-
geln haben Sie verlesen; die kennen wir alle. Seit drei
Monaten führt Saudi-Arabien Krieg, seit kurzem auch
VAE und Katar . Diese Länder stellen regelmäßig Anträge
auf Export von deutschen Kriegswaffen . Jetzt frage ich
Sie ganz konkret: Wurde seit Beginn der Kriegshandlun-
gen im Jemen, seit dem Einmarsch der Golfkooperati-
onsrattruppen in den Jemen auch nur ein einziger Antrag
auf Export von Kriegswaffen aus Deutschland in diese
Länder abgelehnt oder nicht?
B
Die Antwort kann ich Ihnen hier nicht geben, die müs-
sen wir Ihnen schriftlich nachreichen .
Ich brauche hier, glaube ich, keine Auskunft über abge-
lehnte Anträge zu geben, wenn ich das richtig weiß .
Herr Ströbele .
Frau Staatssekretärin, was sind eigentlich Waffenex-portrichtlinien wert, wenn darin steht, dass in Krisenge-biete keine Kriegswaffen geliefert werden sollen? Kri-sengebiete – dort muss nicht einmal Krieg herrschen .Und nun haben wir ein Land, das aktiv Krieg führt, undzwar ganz erheblich mit Waffen, die aus Deutschland ge-liefert worden sind, mit Fuchs-Panzern und Kleinwaffenaus Deutschland . Die sollen ja sogar eine eigene G36-Fa-brik haben, die aus Deutschland geliefert wurde. Führtsich die angeblich andere, alternative Rüstungsexport-politik nicht selbst ad absurdum, wenn man selbst in soParl. Staatssekretärin Brigitte Zypries
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einer Situation, in der aktiv Krieg geführt wird – das istein Krieg, der auch unendlich vielen Zivilisten das Lebenkostet, nicht nur Kämpfern, sondern auch Zivilisten –,einfach so weitermacht, ohne zu sagen: „Hört mal, sohaben wir uns das eigentlich nicht gedacht; es war nichtgeplant, dass ihr die Waffen anwendet, es sei denn, ihrwerdet selbst überfallen“? Und es kann ja keine Rede da-von sein, dass der Jemen Saudi-Arabien bedroht .
Frau Zypries .
B
Herr Ströbele, welche Bewertungen Sie aus dem Ver-
halten und den Aktionen der Bundesregierung ziehen,
ist Ihnen überlassen . Ich möchte nur noch einmal darauf
hinweisen, dass sich die Position der Bundesregierung
geändert hat, dass die Kontrollen der Waffenlieferungen
deutlich verschärft worden sind .
Ich würde gerne aus der Rede des Bundesministers
am 10 . September hier im Deutschen Bundestag zitieren .
Der Minister hat eindeutig gesagt:
Die Große Koalition ist weit restriktiver als alle Vor-
gängerregierungen …, und wir haben keine Kampf-
panzer für Regionen genehmigt, in denen Krieg
herrscht und aus denen die Leute fliehen.
Er sagte weiter: Entscheidend ist: Wir dürfen nicht mit
deutschen Waffen Bürgerkriege anheizen. Wir müssen
helfen, ein erträgliches Leben dort zu ermöglichen, wo
heute Krieg und Verwüstung herrschen .
Und wörtlich:
Statt Waffen brauchen wir einen neuen Nord-Süd-Di-
alog . Das fängt damit an, mehr Mittel für internati-
onale Hilfsorganisationen zur Verfügung zu stellen .
Gerade diesen letzten Aspekt, mehr Hilfe für die Hel-
fer, die Flüchtlinge in Jordanien, im Libanon oder im
Irak versorgen, hat der Minister auf seiner Reise nach
Jordanien gestern nochmals betont .
Frau Buchholz .
Das sind ja alles schöne Worte, aber ich frage mich,
wie es vor Ort wirklich aussieht. Gerade gestern hat ein
Luftbombardement 20 Zivilisten in Sanaa das Leben ge-
kostet, darunter Ärzte und andere, die in zivilen Häusern
getroffen worden sind. Auch die Aushungerungspolitik
Saudi-Arabiens gegenüber dem Jemen wird ja in erster
Linie nicht mit Leopard-Kampfpanzern durchgeführt,
sondern durch eine Seeblockade. Nun ist es so, dass eine
Lieferung von Patrouillenbooten nach Saudi-Arabien
genehmigt wurde . Ich würde gerne wissen, ob diese Pa-
trouillenboote jetzt tatsächlich ausgeliefert wurden und
ob sie von Saudi-Arabien im Rahmen der Seeblockade
eingesetzt werden. Das wäre doch ein sehr direktes In-
diz dafür, dass sie massiv mit dazu beitragen, dass Sau-
di-Arabien diesen Krieg und diese Seeblockade durch-
führen kann.
Frau Zypries .
B
Die Frage, Frau Abgeordnete, müssen wir Ihnen
schriftlich beantworten .
Ich sehe keine weiteren Nachfragen zu dieser Frage.
Dann kommen wir jetzt zur Frage 17 der Kollegin
Dröge:
Kann die Bundesregierung erläutern, wie sie aufgrund von
Kapitel 34 Artikel X.02 Absatz 2 des Entwurfes zum Freihan-
delsabkommen CETA zwischen der Europäischen Union
und Kanada zu der Auffassung kommt, dass der CE-
TA-Hauptausschuss nur Empfehlungen aussprechen und nicht
Entscheidungen treffen kann, angesichts der Tatsache, dass in
Kapitel 30 Artikel X.03 Absatz 2 des CETA-Entwurfes von
dass in Kapitel 30 Artikel X.03 Absatz 3 des CETA-Entwurfes
explizit zwischen Empfehlungen und Ent-
scheidungen unterschieden wird?
Frau Zypries .
B
Frau Abgeordnete, die Passage, die Sie in Ihrer Frage
zitieren, ist in dem CETA-Text enthalten, der am 26 . Sep-
tember letzten Jahres veröffentlicht wurde . Das war nicht
der endgültige Text des Abkommens, sondern ein Ent-
wurf . Die Kommission der Europäischen Union führt
derzeit eine Rechtsförmlichkeitsprüfung durch und prüft
den umfänglichen Text, um etwaige missverständliche
oder inkonsistente Formulierungen zu beseitigen.
In Bezug auf die Änderungen von Annexen und An-
hängen bestimmt der Entwurf des CETA-Abkommens
in den Schlussbestimmungen in Kapitel 34 Artikel X.02
Absatz 2, dass Entscheidungen des CETA-Hauptaus-
schusses erst dann verbindlich werden, sofern die Ver-
tragsparteien nach ihren jeweiligen internen Vorschriften
und Verfahren, also nach den nationalstaatlichen, zuge-
stimmt haben . Eine entsprechende Regelung speziell für
das Kapitel zu sanitären und phytosanitären Maßnahmen
enthält Kapitel 7 Artikel 15 Absatz 2 d. Damit wird si-
chergestellt, dass der CETA-Hauptausschuss insoweit
keine bindenden Entscheidungen aussprechen kann, son-
dern eben nur Empfehlungen .
Nach Kenntnis der Bundesregierung wird die von Ih-
nen zitierte möglicherweise missverständliche Passage
zu den allgemeinen institutionellen Bestimmungen in
Kapitel 30 Artikel X.03 Absatz 2 im Rahmen der Rechts-
förmlichkeitsprüfung noch angepasst werden.
Frau Dröge .Hans-Christian Ströbele
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(D)
Sehr geehrte Frau Zypries, vielen Dank für Ihre Ant-
wort . – Jetzt muss ich noch einmal nachfragen: Ist die
Textstelle im Vertrag schon geändert, oder ist weiterhin
das, was ich zitiert habe, Gegenstand des Vertragsent-
wurfes und noch nicht geändert? Ich muss mich ja in
meinen Fragen auf das stützen, was veröffentlicht wurde .
Sie haben mir in der Antwort auf meine schriftliche Fra-
ge gesagt: Das trifft nicht zu . – Ich weiß nicht, was im
Rahmen der Rechtsförmlichkeitsprüfung vielleicht noch
geändert werden soll, da ich keine Informationen darüber
habe .
B
Deswegen sage ich Ihnen ja, dass nach unserer Kenntnis
diese Passage zu den institutionellen Bestimmungen in
Kapitel 30 Artikel X.03 Absatz 2 noch angepasst wer-
den wird. Der Text, aus dem Sie zitieren, befindet sich
im Moment in der rechtsförmlichen Überprüfung durch
die Kommission . Das heißt, er liegt noch nicht in einer
geänderten Fassung endgültig vor . Was es im Moment
gibt, ist die alte Fassung. Aber diese befindet sich in der
Überprüfung .
Frau Dröge .
Vielen Dank. – Da ich ja jetzt noch keine Sicherheit
habe, dass das am Ende so kommen wird, muss ich noch
einmal fragen, ob das, was jetzt in dem Vertragstext, der
veröffentlicht wurde, drinsteht, dem entspricht, was ich
in meiner schriftlichen Frage angenommen habe, dass
nämlich bislang der Hauptausschuss auf Grundlage des
Entwurfes, der am 26 . September letzten Jahres veröf-
fentlicht wurde, verbindliche Entscheidungen treffen
kann.
B
Das ist insofern nicht richtig, als dieser Text ja in der
Überarbeitung befindlich ist.
Der Text gilt ja noch nicht; das ist ja kein gültiges Ab-
kommen.
– Diese Regelung im Entwurf wird im Moment einer
rechtsförmlichen Prüfung unterzogen .
Dann hat die Kollegin Haßelmann eine Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretärin
Zypries, ich will an das anknüpfen, was meine Kollegin
Katharina Dröge gerade gefragt hat; auf meine Frage
nach dem CETA-Text und dem Vertragsentwurf haben
Sie mir ja dankenswerterweise genau das Gleiche geant-
wortet .
Die Frage der beiden Abgeordneten Dröge und
Haßelmann war ganz klar. Sie bezog sich auf den Ver-
tragsentwurf, der vorliegt . In diesem Vertragsentwurf ist
das, was Frau Dröge gerade beschrieben hat, enthalten .
Deshalb irritiert uns Ihre Antwort, in der Sie uns sagen,
der Hauptausschuss habe keinerlei Befugnis, völker-
rechtlich verbindliche Entscheidungen zu treffen . Bisher
ist im Vertragsentwurf vorgesehen, dass der Hauptaus-
schuss dies tun kann. Sollten Sie das jetzt anders sehen,
dann bitte ich Sie, unsere schriftlichen Fragen noch ein-
mal – und zwar anders – zu beantworten, da möglicher-
weise nachzusteuern oder etwas zu korrigieren.
Sie haben gerade darauf Bezug genommen, dass die
internen Vorschriften und Verfahren der EU eine Einbin-
dung des Europäischen Parlamentes vorsehen . Das ist
aber definitiv nicht zwingend der Fall.
Frau Zypries, bitte .
B
Das ist, glaube ich, ein Missverständnis . Ich habe Ih-
nen eben gesagt, dass in Bezug auf die Änderungen von
Annexen und Anhängen der Entwurf des CETA-Ab-
kommens in den Schlussbestimmungen vorsieht, dass
Entscheidungen des CETA-Hauptausschusses erst dann
verbindlich werden, wenn die Vertragsparteien nach ih-
ren jeweiligen internen Vorschriften und Verfahren zuge-
stimmt haben .
Keine weitere Nachfrage .
Dann kommen wir zur Frage 18 von Frau Dröge:
Ergibt sich aus Sicht der Bundesregierung zwingend ein
Ratifikationserfordernis an das Kapitel 34 Artikel X.02 Ab-
satz 2 des CETA-Entwurfes?
Frau Zypries .
B
Die Frage 18 beantworte ich wie folgt: Aus Kapitel 34
Artikel X.02 des Entwurfs ergibt sich, dass Vorschläge
des CETA-Hauptausschusses der Zustimmung der Ver-
tragsparteien im Einklang mit ihren jeweiligen anwend-
baren internen Vorschriften und Verfahren bedürfen . –
Das ist dasselbe wie das, was wir eben schon einmal
hatten .
Frau Dröge .
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(D)
Frau Zypries, dass Sie das ständig wiederholen, macht
es nicht besser . Was wir gefragt haben, ist, ob das Eu-
ropäische Parlament in die Entscheidungen zwingend
eingebunden werden muss . Sie verweisen immer wieder
auf die internen Verfahren und Vorschriften der Europä-
ischen Union . Diese müssen Sie aber interpretieren und
mir dann sagen, ob aus diesen Verfahren ableitbar ist,
dass das Europäische Parlament zwingend einbezogen
werden muss, oder ob Sie das nicht sicher sagen können.
Wenn Sie immer wieder auf die Verfahren verweisen,
frage ich mich: Kennen Sie denn die Verfahren?
B
Artikel 218 Absatz 10 des Lissabonner Vertrages sieht
vor, dass das Europäische Parlament umfassend und
unverzüglich in allen Phasen des Verfahrens informiert
werden muss .
Frau Dröge .
Noch eine Nachfrage . Sie haben gesagt: „in allen
Phasen des Verfahrens“ . Wir haben es ja mit sogenann-
ten Living Agreements zu tun, und wir fragen nach der
Einbeziehung des Parlaments nach Abschluss, also nach
Ratifizierung, des Abkommens. Meine Frage ist: Können
Sie ausschließen, dass die Kommission nach Artikel 218
Absatz 7 des Lissabonner Vertrages ermächtigt wird,
den Entscheidungen des Gremiums nach Kapitel 34
Artikel X.02 Absatz 2 zum CETA-Entwurf – Änderung
der Anlagen und Protokolle sowie Anmerkungen – ohne
Zustimmung des Europaparlaments völkerrechtlich ver-
bindlich zuzustimmen?
Können Sie ausschließen, dass dieser Artikel nach der
Ratifizierung des CETA-Abkommens zur Anwendung
kommt, oder können Sie es nicht? Es geht hier um unsere
demokratischen Rechte – in diesem Falle um die des Eu-
ropaparlamentes und im Falle eines gemischten Abkom-
mens auch um die des Deutschen Bundestages . Es ist ja
keine Trivialität, ob die Parlamente nach dem Abschluss
eines Vertrages noch einbezogen werden oder nicht . Das
muss mir die Bundesregierung doch sicher beantworten
können.
B
Frau Dröge, ich habe bei der Beantwortung Ihrer an-
deren Frage eben ja schon gesagt, dass wir noch keinen
endgültigen Vertragstext vorliegen haben, weil der ausge-
handelte Vertragstext jetzt sprachlich und juristisch um-
fangreich überprüft wird . Wie soll ich etwas ausschließen
können, solange dieser Text nicht endgültig vorliegt?
Keine weitere Nachfrage. – Ich danke Frau Zypries.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Aus-
wärtigen Amtes . Ich begrüße Staatsminister Michael
Roth .
Die Fragen 19 und 20 des Abgeordneten Omid
Nouripour, die Frage 21 der Abgeordneten Dr. Franziska
Brantner und die Fragen 22 und 23 der Abgeordneten
Sevim Dağdelen werden schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Volker Beck
auf:
Wie stellt die Bundesregierung jederzeitige und uneinge-
schränkte Inspektionen undeklarierten nuklearen Materials
International Atomic Energy Agency vor dem Hinter-
grund der Frist von 24 Tagen in den Vertragspunkten 74 bis 78
des JCPOA und Presseberichten, die von einer Überschreitung
über angebliche Zusatzverträge (Die Welt vom 21 . August
2015) im Einzelnen?
Diese Frage wird mündlich beantwortet .
Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin. Herr AbgeordneterBeck, Ihre Frage bezieht sich auf den sogenannten ge-meinsamen umfassenden Aktionsplan. Wir nennen ihnauch kurz „Iran-Deal“.In diesem sogenannten Iran-Deal verpflichtet sich derIran zur Anwendung des Zusatzprotokolls der Internatio-nalen Atomenergie-Organisation, IAEO . Dieses Zusatz-protokoll räumt der IAEO weitreichende und sehr kurz-fristige Zugangsrechte ein. In der Regel können binnen24 Stunden Nuklearanlagen oder andere entsprechendeOrte im Iran von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern derIAEO aufgesucht werden . Dadurch wird gewährleistet,dass ein etwaiger Verdacht auf undeklariertes Nuklear-material umgehend geklärt werden kann. Dies gilt – daswill ich noch einmal unterstreichen – an jedem beliebi-gen Ort des Iran .Für die Durchführung der IAEO-Inspektionen gibt eseine Vereinbarung zwischen der IAEO und dem Iran überdie genauen Modalitäten und Inhalte der Arbeit zwischendem Iran und der IAEO bzw. entsprechende Zusatzdoku-mente . Diese sind vertraulich . Das gilt generell, also füralle Inspektionstätigkeiten der IAEO in allen Ländern –im Übrigen auch in Deutschland . Dabei geht es um de-taillierte Fragen, die auch die Anlagen selber betreffen .Das ist also nichts Iran-Spezifisches. Darauf möchte ichnoch einmal hinweisen .Einige Verpflichtungen aus dem gemeinsamen um-fassenden Aktionsplan gehen aber über den anerkann-ten internationalen Standard des Zusatzprotokolls deut-lich hinaus . Der Iran unterliegt insoweit präzedenzlosenTransparenzmaßnahmen, zum Beispiel für die Kontrollevon Zentrifugenbestandteilen oder Rohmaterialien fürdie Anreicherung . Für diese zusätzlichen Maßnahmenwurde ein weiterer Zugangsmechanismus geschaffen,der eine Verifikation binnen 24 Tagen sicherstellt. Dieses
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Transparenzverfahren gibt es für kein anderes Land derWelt, sondern ausschließlich für den Iran .
Vielen Dank, Herr Roth. – Volker Beck.
Vielen Dank, Herr Roth. – Wenn ich mir die Ziffer 78
des Joint Comprehensive Plan of Action anschaue, dann
bin ich mir nicht sicher, ob das so stimmen kann. Die
24 Tage ergeben sich rechnerisch ja aus dem Dreischritt
von 14 Tagen, einer Woche und drei Tagen .
Es geht hier um nichtdeklariertes nukleares Material,
um undeclared nuclear materials or activities or activi-
ties inconsistent with the Joint Comprehensive Plan of
Action. – Die Abkürzung kann ich vielleicht auch noch
radebrechen .
Vielleicht sagen Sie es auf Deutsch .
Gemeint ist also der gemeinsame umfassende Akti-
onsplan . Dafür gilt die 24-Tage-Frist . Eine Verletzung
der Bestimmungen dieses Vertragstextes löst eine 24-Ta-
ge-Frist – sie ist das Maximum – aus. Wie können Sie
dann sagen, dass jederzeit binnen 24 Stunden überall
Überprüfungen vorgenommen werden können? Und wie
stehen Sie zu Berichten darüber, dass es dem Iran – ein-
fach bedingt durch die 24-Tage-Frist – möglich ist, in
entsprechenden Forschungseinrichtungen und derglei-
chen etwas zu beseitigen?
Danke, Herr Beck. – Herr Roth, bitte
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Abgeordneter
Beck, der Text in der englischen Version ist zugegebe-
nermaßen in der Tat ausgesprochen kompliziert. Ich ver-
mute aber, dass er in der deutschen Übersetzung ähnlich
kompliziert sein wird.
Ich möchte gerne noch einmal – bezugnehmend auf
Ihre Frage – den Zusammenhang zwischen diesen angeb-
lichen Zusatzverträgen und der 24-Tage-Frist herstellen,
damit noch einmal deutlich herausgearbeitet wird, was
der Unterschied zwischen der 24-Stunden-Frist und der
24-Tage-Frist ist .
Der Iran ist in zweifacher Hinsicht gefordert . Erstens
muss er in Zukunft die Verpflichtungen des gemeinsa-
men umfassenden Aktionsplans umsetzen. Der Iran muss
zweitens seine sogenannte nukleare Vergangenheit glaub-
würdig aufarbeiten . Diese glaubwürdige Aufarbeitung
der nuklearen Vergangenheit des Irans durch die IAEO
ist Voraussetzung für das Inkrafttreten des gemeinsamen
umfassenden Aktionsplans. Dafür ist eine entsprechende
Roadmap erarbeitet worden . Die genauen Modalitäten
bzw. etwaige Zusatzdokumente sowie die Inhalte dieser
Arbeit zwischen dem Iran und der IAEO sind vertraulich .
Das ist – ich habe es schon ausgeführt – bei Inspektions-
tätigkeiten der IAEO üblich und entspricht den internati-
onalen Standards, ist also keine Besonderheit.
Vielen Dank, Herr Roth. Wir haben gerade ein biss-
chen Chaos in Bezug auf die Zeit . Das wird aber gleich
bei der Nachfrage von Volker Beck wieder richtig einge-
richtet. – Volker Beck, bitte.
Tut mir jetzt leid, aber dafür kann ich ausnahmsweise
nichts . Oder?
Dafür haben Sie auch länger geredet .
Herr Roth, aus Ihren Ausführungen ist nicht klar ge-
worden: Was ist der Gegenstand, der mit der 24-Stun-
den-Frist bezeichnet ist? Im Vertragstext steht unter Zif-
fer 78: jede Verletzung dieser Vertragsvereinbarung und
jedes Auffinden von nicht vorher der IAEO angezeigten
nuklearen Materials. – Das scheint mir also schon der Re-
geltatbestand in diesem Vertragstext zu sein . Wenn sich
der Iran nicht in Übereinstimmung mit seinen Zusagen
verhält, hat er diese 24-Tage-Frist . Die Befürchtung be-
steht nämlich darin, dass er in 24 Tagen etwas beseitigen
bzw. woandershin schaffen kann, sodass es die IAEO,
wenn sie endlich zur Kontrolle kommen darf, nicht mehr
auffindet, obwohl es vorher da war.
Ich denke, dieser Vertrag kann wirklich zur Sicherheit
in der Region beitragen . Das hängt aber davon ab, ob wir
denen wirklich bei jedem Vorgang auf die Schliche kom-
men, mit dem sie versuchen, sich im Hintergrund doch an
der weiteren atomaren Bewaffnung zu versuchen . Des-
halb ist es schon wichtig, dass Sie das aufklären.
Danke, Herr Beck. – Herr Roth, eine Minute.
Vielleicht ist es hilfreich, wenn ich einfach noch ein-mal ein paar konkrete Beispiele benenne, bei denen dieVerabredung mit dem Iran über das Zusatzprotokoll mitden üblichen Verpflichtungen hinausgeht. Dabei geht esinsbesondere um die Überwachung der Zentrifugenpro-duktion bzw. den Ausschluss von kernwaffenrelevanterForschung und Entwicklung, wofür die ausschließlichzivile Anwendung von Dual-Use-Technologien sicherge-stellt sein muss .Die Entscheidung über ein Zugangsgesuch der IAEOtrifft eine gemeinsame Kommission, in der sowohl dieStaaten, die den Deal ausgehandelt haben, vertreten sind,aber auch der Iran . Hier haben die westlichen Staateneine entsprechende Mehrheit und können den Zugangbinnen 24 Tagen einfordern . Das relativiert aber über-haupt nicht das, was ich in . meiner Eingangsantwort zuder 24-Stunden-Frist erklärt habe.Staatsminister Michael Roth
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Vielen Dank, Herr Kollege Roth.
Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern . Ich begrüße den Parlamentari-
schen Staatssekretär Dr. Günter Krings.
Wir kommen zur Frage 25 des Abgeordneten Volker
Beck:
Aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hält die Bun-
desregierung die Wiedereinführung von Kontrollen an der
deutsch-österreichischen Grenze für vereinbar mit den Vorga-
ben der Artikel 23 ff. des Schengener Grenzkodex vor dem
Hintergrund, dass „Migration und das Überschreiten der Au-
ßengrenzen durch eine große Anzahl von Drittstaatsangehö-
rigen … nicht von vornherein als Gefahr für die öffentliche
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober
2013), und inwiefern haben Konsultationen mit den anderen
Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission im Sinne
von Artikel 24 Absatz 3 und 4 des Schengener Grenzkodex
stattgefunden?
Herr Dr . Krings .
D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Beck, der gleiche Fragesteller,
ein anderer Antwortender. Die bekannte Situation unge-
steuerten und unkontrollierten Zustroms von Drittstaats-
angehörigen in das Bundesgebiet haben die Bundesre-
gierung nach sorgfältiger Abwägung in Abstimmung mit
den Bundesländern und auch mangels effektiver Alter-
nativen veranlasst, zunächst gemäß Artikel 25 der Ver-
ordnung 562/2006, dem sogenannten Schengener
Grenzkodex, temporär Grenzkontrollen an den deutschen
Schengen-Binnengrenzen wieder einzuführen . Umfang
und Intensität der Grenzkontrollen werden sich auf das
für die Sicherheit jeweils notwendige Maß beschränken.
Diese Maßnahme ist angesichts des vorgenannten
gewaltigen Zustroms von Drittstaatsangehörigen zwin-
gend, um wieder zu einem geordneten Verfahren bei der
Einreise zurückzukehren. Wir müssen wissen, wer nach
Deutschland einreist und sich bei uns aufhält . Ein wei-
terer unkontrollierter Zugang würde zur Gefährdung der
öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit führen .
Nach dem geltenden europäischen Recht ist Deutsch-
land für den allergrößten Teil der Schutzsuchenden nicht
zuständig . Das Dublin-Verfahren und die Eurodac-Re-
gelungen gelten unverändert fort . Das heißt, dass der
zuständige Mitgliedstaat Asylsuchende nicht nur regis-
triert, sondern das Asylverfahren auch durchführt sowie
im Falle der Ablehnung des Schutzersuchens aufent-
haltsbeendende Maßnahmen ergreift . Auch andere Mit-
gliedstaaten – das darf ich anfügen – wie Österreich und
Slowenien haben temporäre Grenzkontrollen an ihren
Binnengrenzen eingeführt .
Diese Maßnahme ist in der Koalition einvernehmlich
beschlossen und mit den Landesinnenministern bespro-
chen worden . Auch die Opposition ist von dem Herrn
Minister bekanntermaßen unterrichtet worden. Ferner
sind nach Maßgabe des Schengener Grenzkodex der Rat
der Europäischen Union, die Europäische Kommission
und die EU-Schengen-Mitgliedstaaten über diese tem-
porären Grenzkontrollen informiert worden.
Vielen Dank, Herr Dr. Krings. – Volker Beck.
Das haben Sie jetzt schön vorgelesen . Aber ich bin ein
bisschen erstaunt über die Rechtsauskunft, die Ihnen Ihre
Beamten aufgeschrieben haben . In Erwägungsgrund 5
der Verordnung des Rates vom 22. Oktober 2013, die die
Rechtsgrundlage für das Schengen-Abkommen ist, heißt
es wörtlich:
Migration und das Überschreiten der Außengrenzen
durch eine große Anzahl von Drittstaatsangehörigen
sollte nicht an sich als Gefahr für die öffentliche
Ordnung oder die innere Sicherheit betrachtet wer-
den .
Was Sie hier aber vorgetragen haben, war nichts an-
deres als die Tatsache, dass dieser Vorgang an sich zur
Bejahung der Voraussetzung von Artikel 25 führt. Ich
frage Sie: Welche spezifischen Umstände, die von die-
sem Regelfall, der hier eben nicht greift, abweichen, die
über das Überschreiten der Außengrenzen in einer gro-
ßen Zahl hinausgehen, veranlassten die Bundesregierung
zu diesem Schritt, abweichend von der Bestimmung des
Erwägungsgrunds 5 dieser Verordnung?
Dr . Krings .
D
Ich habe meinen Text gerne vorgetragen, weil wir imInnenministerium gute Beamte haben .
– Auch den Erwägungsgrund kenne ich. Wir können jetztlange Ausführungen zum Europarecht machen, welcherechtliche Bedeutung Erwägungsgründe haben . Ich mussSie aber hinsichtlich deren Wirkung offensichtlich ent-täuschen .Im Übrigen besagt dieser Erwägungsgrund, dass eingroßer Zustrom zwar nicht generell ein Problem oder ei-nen Grund für eine temporäre Einführung der Grenzkon-trollen darstellt, aber in bestimmten Konstellationen, wiewir sie angesichts der Zahlen von Flüchtlingen in denletzten Tagen hatten . Dieser Zugang ist ohne Präzedenz-fall . Angesichts der Tatsache, dass diese Menschen Asylbeantragen und innerhalb Deutschlands verteilt werdenmüssen, ist das sicherlich eine besondere Situation . Wirkönnen kein Verfahren zur Verteilung organisieren, wennwir nicht wissen, wer über die Grenze kommt.In dem Erwägungsgrund wird ausdrücklich nichtszum Thema Überschreiten der Grenze zum Beantragen
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von Asyl und zur Anerkennung eines Status als Flücht-ling genannt . Insofern bitte ich Sie, diesen Erwägungs-grund nicht überzuinterpretieren .
Volker Beck.
Europarechtlich bewegen Sie sich auf sehr dünnem
Eis. – In Artikel 24 der Verordnung ist vorgesehen, dass
die Mitgliedstaaten die europäischen Gremien konsul-
tieren müssen . Darin ist auch eine Vier-Wochen-Frist
genannt . Wann hat die Bundesregierung die nach der
Verordnung erforderlichen Konsultationen mit den euro-
päischen Gremien durchgeführt, um diese Maßnahmen
zu ergreifen?
Herr Krings .
D
Zum exakten Zeitpunkt kann ich Ihnen hier und jetzt
nichts sagen . Die Information habe ich nicht . Aber die
Konsultation ist vor der Maßnahme durchgeführt wor-
den .
Dürfen wir das schriftlich präzisiert bekommen, um
zu sehen, ob hier Europarecht verletzt worden ist?
D
Können wir gerne machen .
Eine Nachfrage des Kollegen Ströbele .
Danke. – Guten Tag, Herr Staatssekretär.
D
Guten Tag .
Habe ich Sie richtig verstanden? Ich habe gerade nicht
ganz genau aufgepasst .
D
Das ist nicht gut .
Die Schengen-Verordnung ist eigentlich faktisch nicht
mehr in Kraft, und die Dublin-Verordnung auch nicht .
Wenn ich abends fernsehe – ich komme zwar immer spät
nach Hause, aber ich schalte dann noch den Fernseher
ein –, wird das durch die Bilder bestätigt . Heißt das, dass
Sie das irgendwann wieder rückabwickeln wollen? Heißt
das, dass Sie das bei den Personen, die nicht in dem euro-
päischen Schengen-Land, das sie zuerst betreten, regist-
riert und interniert bzw . untergebracht werden, im Nach-
hinein vollziehen wollen, in einer Woche, einem Monat
oder vielleicht in einem halben Jahr? Was sind dazu die
Vorstellungen der Bundesregierung?
Herr Dr . Krings .
D
Ihre Einschätzung, die Dublin-Verordnung sei nicht
mehr in Kraft, ist falsch, Herr Abgeordneter .
Leider ist keine Nachfrage mehr möglich. – Vielen
Dank, Herr Dr. Krings.
Die Fragen 26 und 27 des Kollegen Andrej Hunko
werden schriftlich beantwortet .
Dann kommen wir zu der Frage 28 der Kollegin
Martina Renner:
In wie vielen Fällen von Brandanschlägen und Sachbeschä-
digungen gegen geplante und/oder bewohnte Flüchtlingsun-
terkünfte seit Jahresanfang 2015 gab es vorab Hinweise vom
Bundesamt für Verfassungsschutz an die Strafverfolgungsbe-
hörden oder die Landesämter für Verfassungsschutz, dass mit
Straftaten gegen die jeweils betroffene Unterkunft zu rechnen
sei ?
Herr Dr . Krings .
D
Vielen Dank für die Frage, Frau Renner. Ich glaube,wir sind uns auf allen Seiten des Hauses einig, dass essich um furchtbare, unsägliche Anschläge handelt undwir alles dafür tun müssen, dass wir hier zur Aufklärungkommen, was sich aber nicht allzu einfach gestaltet.Das Bundesamt für Verfassungsschutz, nach dem Sieausdrücklich fragen, nimmt natürlich diese unsäglichenAnschläge ebenso, wie wir es tun, sehr ernst . Es verfüg-te bisher aber in keinem Fall im Vorfeld über konkreteHinweise zu geplanten Anschlägen auf Flüchtlingsunter-künfte. Die Sicherheitsbehörden des Bundes haben dieLänder – zum Beispiel bereits in einer Gefährdungsbe-wertung vom März 2014 – jedoch darauf hingewiesen,dass zukünftig wohl eine weitere Steigerung der Zahlvon Straftaten gegen Asylunterkünfte leider in Betrachtzu ziehen ist .Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
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Vielen Dank, Dr. Krings. – Frau Renner.
Ich gehe davon aus, Herr Dr . Krings, dass Sie zuerst
die erste Frage beantwortet haben . Deswegen würde ich
mich dann auf die Thematik „Erkenntnisse im Vorfeld“
beziehen .
Sie haben im Zusammenhang mit einer Kleinen An-
frage von mir zur Neonazi-Kleinstpartei Der Dritte Weg,
die möglicherweise eine Blaupause für rassistische Het-
ze, aber auch für Anschläge liefert durch ihr Netzange-
bot „Leitfaden ‚Kein Asylantenheim in meiner Nachbar-
schaft!‘“ und einer entsprechenden Google-Maps-Karte,
die Gott sei Dank mittlerweile vom Netz genommen
wurde, auf die Frage, ob sich in dieser Neonazi-Kleinst-
partei auch V-Leute befinden, geantwortet – ich zitiere –,
„dass die Partei Der Dritte Weg nur über etwa 200 Mit-
glieder verfügt, was das Risiko einer Enttarnung erhöhen
würde“, und somit die Frage nach den V-Leuten nicht
beantwortet werden könnte. Ich schließe daraus sozusa-
gen im Umkehrschluss, dass wir davon ausgehen dürfen,
dass es in dieser Organisation auch Zuträger gibt . Daher
rührt meine Verwunderung, da diese Organisation auch
in Bayern ganz maßgeblich an der Vorbereitung der Po-
gromstimmung beteiligt ist, dass man im Vorfeld von
entsprechenden aggressiven Tätigkeiten, aber auch An-
griffen und Anschlägen im Bundesamt für Verfassungs-
schutz keine Kenntnis hat. Wie kommt dann eigentlich
das Attribut Frühwarnsystem zustande?
Herr Dr . Krings .
D
Mir ist bekannt, Frau Renner, dass Ihre Fraktion eine
kritische Grundhaltung zum Bundesamt für Verfassungs-
schutz einnimmt. Man kann in dieser konkreten Frage
sicherlich anderer Auffassung sein als die Bundesre-
gierung. Ich finde nur, wir sollten das nicht zu sehr an
diesem konkreten Phänomen festmachen. Denn dass das
Bundesamt für Verfassungsschutz alles tut, um solche
Vorfälle aufzuklären, dürfen wir glauben. Es ist auch im
Interesse des Bundesamtes, seinen Beitrag dazu zu leis-
ten .
Es ist bisher aber in keinem Fall dazu gekommen,
dass man vor einem konkreten Anschlag aufgrund der
besonderen Struktur genau wusste, dass ein bestimmtes
Flüchtlingsheim beispielsweise Opfer eines solchen An-
schlages werden könnte.
Wir haben es hier mit einer Szene zu tun, die nicht
zu Bekennerschreiben neigt. Solche Schreiben könnten
helfen, künftige Strukturen aufzudecken. Wir haben es
hier oft mit verschlüsselter Kommunikation zu tun. Inso-
fern bedeutet die Tatsache, dass wir keine Erkenntnisse
im Vorfeld gewonnen haben, nicht, dass das Bundesamt
für Verfassungsschutz nicht sehr aktiv ist.
Eine Nachfrage, Frau Renner .
Im Zusammenhang mit der Frage, ob Vorbereitungs-
handlungen zu Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte
führen, spielt auch die Oldschool Society, eine Organi-
sation der Neonazis, eine gewisse Rolle . Gegen diese
Organisation hat es intensive Exekutivmaßnahmen von
Bund und Ländern gegeben. Es soll konkrete Anschlags-
pläne gegeben haben . Die Beschaffung von Sprengstoff
zum Beispiel sei vorbereitet gewesen . Kann ich daraus
schließen, dass es sich bei dieser Organisation um einen
Beobachtungsgegenstand handelt, bei dem keine V-Leu-
te eingesetzt wurden?
Herr Dr . Krings .
D
Dazu kann ich Ihnen jetzt und hier jedenfalls keine
Auskunft geben. Allerdings ist das von Ihnen genann-
te Beispiel sehr gut; denn es zeigt, dass es den Sicher-
heitsbehörden – auch dem Bundesamt für Verfassungs-
schutz – trotz der Schwierigkeiten, die wir in diesem
Milieu und mit diesen furchtbaren Tätergruppen haben,
im Einzelfall gelingt, solche Organisationen auszuheben .
Sie stehen also im absoluten Fokus des Bundesamtes für
Verfassungsschutz und anderer Sicherheitsbehörden . In
diesem Fall war man erfolgreich .
Ich sehe keine weiteren Nachfragen.
Dann kommen wir zu Frage 29 der Kollegin Martina
Renner:
In wie vielen Fällen von Brandanschlägen und Sachbe-
schädigungen gegen geplante und/oder bewohnte Flücht-
lingsunterkünfte seit Jahresanfang 2015 gab es im Nachgang
Hinweise vom Bundesamt für Verfassungsschutz an die Straf-
verfolgungsbehörden oder die Landesämter für Verfassungs-
Herr Dr . Krings, bitte .
D
Hier geht es sozusagen um die retrospektive Be-trachtung . Seit Februar 2014 erfolgt im GemeinsamenExtremismus- und Terrorismusabwehrzentrum zweimalwöchentlich ein Austausch zwischen Bundesamt undLandesämtern sowie zwischen Verfassungsschutz undPolizeibehörden über alle wesentlichen Straftaten mitBezug zur Asylthematik und über die allgemeine Ent-wicklung. Darüber hinaus hat das Bundesamt für Ver-fassungsschutz dem Bundeskriminalamt im Jahr 2015bisher zu 50 Tatverdächtigen verfassungsschutzrelevanteErkenntnisse übermittelt.
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(C)
(D)
Frau Renner .
Herr Staatssekretär, ich möchte gerne zugespitzt fra-
gen . Wir haben heute Morgen grobe Analysen zu den
Täterhintergründen gehört. Die Aussagekraft ist da-
bei eingeschränkt, weil sich bei einer Quote von unter
10 Prozent Ermittlungserfolge keine Aussage zu der Ge-
samtzahl der Täter treffen lässt . Aber es hieß, 30 Prozent
der Tatverdächtigen hätten einen PMK-rechts-Hinter-
grund . Da wir davon ausgehen, dass dieser Phänomen-
bereich beobachtet wird, und aus der Geschichte des
Bundesamtes wissen – ich erinnere an die Anti-Antifa in
den 90er-Jahren –, dass es einen intensiven Quellenein-
satz in der militanten Szene gibt, lautet meine konkrete
Frage: Können Sie ausschließen, dass Erkenntnisse im
Bundesamt für Verfassungsschutz, die durch Quellen
zu bevorstehenden oder durchgeführten Anschlägen auf
Flüchtlingsunterkünfte gewonnen wurden, nicht an die
Sicherheitsbehörden, also die Polizeien und die Staatsan-
waltschaften, weitergereicht wurden?
D
Das waren mir zu viele Verneinungen . Können Sie die
Frage noch einmal so formulieren, dass ich sie verstehen
kann?
Das gilt aber nicht als zweite Nachfrage .
Ist jede Erkenntnis, die das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz durch den Einsatz von Quellen in der neo-
nazistischen Szene zu durchgeführten oder geplanten
Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte gewonnen hat, an
die Sicherheitsbehörden weitergegeben worden?
D
Wenn ich das richtig verstanden habe, befürchten Sie,
dass man aus irgendwelchen taktischen Gründen Infor-
mationen zurückhält, weil man der Meinung ist, dass man
besser eingreifen kann, wenn man den Sicherheitsbehör-
den nichts sagt. Dazu liegen mir keine Anhaltspunkte vor.
Ich kann es mir, offen gestanden, angesichts der Qualität
der infragestehenden Straftaten nicht vorstellen .
Es sieht nicht so aus, als ob Sie noch eine Nachfrage
hätten. – Danke, Herr Dr. Krings.
Die Frage 30 des Abgeordneten Christian Kühn, die
Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Dr . André Hahn so-
wie die Frage 33 der Abgeordneten Ulla Jelpke werden
schriftlich beantwortet .
– Sorry, aber Frage 32 stammt von Dr . André Hahn . Dann
haben Sie sich sehr verändert . Wir gehen davon aus, dass
Sie Herr Ströbele sind und nicht Herr Hahn .
– Gut .
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz . Ich
begrüße den Staatssekretär Christian Lange.
Wir kommen zu Frage 34 der Kollegin Ulle Schauws:
Was sind die Gründe dafür, dass das Bundeskanzleramt
den vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher-
schutz vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Strafgesetzbuches zur Verbesserung des Schutzes der sexuel-
Sachverständigen in der Anhörung des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages vom
28 . Januar 2015 bestätigte, dass die von Deutschland unter-
zeichnete Istanbul-Konvention des Europarates, nach der alle
nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe ge-
stellt werden müssen, Änderungen im deutschen Sexualstraf-
rerecht notwendig macht?
C
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wenn Sie gestatten,
würde ich gerne die Fragen 34 und 35 gemeinsam beant-
worten . Ist das erlaubt?
Ja .
C
Wunderbar . Dann mache ich das gerne .
Dann rufe ich auch Frage 35 auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, den Gesetzent-
wurf in das parlamentarische Verfahren einzubringen?
C
Frau Kollegin, das Bundesministerium der Justizund für Verbraucherschutz hat den Entwurf eines Ge-setzes zur Änderung des Strafgesetzbuches erarbeitet,der dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dient .Am 14 . Juli 2015 ist die Ressortabstimmung zu diesemGesetzentwurf eingeleitet worden, die noch nicht abge-schlossen ist . Eine Beteiligung der Länder und Verbändeist noch nicht erfolgt . Länder und Verbände sollen grund-sätzlich nach Abschluss der Ressortabstimmung beteiligt
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(C)
(D)
werden . Hierfür sind nach der Gemeinsamen Geschäfts-ordnung der Bundesministerien das Einvernehmen mitden beteiligten Bundesministerien und die Zustimmungdes Bundeskanzleramtes erforderlich.Es ist beabsichtigt, die Abstimmung innerhalb derBundesregierung zügig durchzuführen . Nähere Angabenzum Zeithorizont können zum gegenwärtigen Zeitpunktnicht gemacht werden .
Vielen Dank. – Kollegin Ulle Schauws mit einer
Nachfrage, bitte .
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich habe Sie gera-
de richtig verstanden, dass die Information, die uns aus
einem Artikel der taz vorliegt, dass das Bundeskanzler-
amt ein Veto gegen diesen Gesetzentwurf eingelegt hat,
so nicht richtig ist; denn – Sie haben es ja gerade betont –
es ist nach meinem Kenntnisstand in der Ressortabstim-
mung mit dem Innenministerium, mit dem Arbeits- und
Sozialministerium, mit dem Familien-, Senioren-, Frau-
en- und Jugendministerium durchaus Zustimmung er-
folgt. Aber im Bundeskanzleramt hat es, wie gesagt, ein
Veto gegeben. Vielleicht können Sie dazu noch etwas
sagen; denn nach meinem Kenntnisstand besteht auch in
den Fraktionen von CDU/CSU und SPD und im gesam-
ten Bundestag Übereinstimmung darüber, dass wir zur
Umsetzung der Istanbul-Konvention die EU-Vorgaben
umsetzen müssen und dass wir hier strafrechtlich nach-
bessern müssen, dass also Änderungsbedarf besteht .
C
Frau Kollegin, ich kann mich nicht erinnern, dass ich
in meiner Antwort zu irgendeinem Ministerium Stellung
genommen habe . Ich darf vielmehr noch einmal darauf
verweisen: Nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung
der Bundesministerien sind das Einvernehmen mit den
beteiligten Bundesministerien und die Zustimmung des
Bundeskanzleramtes erforderlich. Die noch nicht abge-
schlossenen ressortübergreifenden Abstimmungspro-
zesse zur Vorbereitung von Kabinettsentscheidungen
gehören zum Kernbereich der exekutiven Eigenverant-
wortung. Deswegen kann ich Ihre Frage weder bestäti-
gen noch dementieren .
Frau Schauws, Sie haben das Wort zu einer weiteren
Nachfrage .
Dann würde ich gerne nachfragen, ob Sie eine Ein-
schätzung dazu abgeben können, wie der Zeitplan aus-
sieht . Haben Sie eine ungefähre Einschätzung, wann die
verschiedenen Abstimmungen erfolgt sind, um ratifizie-
ren und die Istanbul-Konvention einhalten zu können?
C
Frau Kollegin, ich haben eben bereits gesagt, dass wir
die Ressortabstimmung so zügig wie irgend möglich vor-
antreiben, und danach wollen wir die weiteren Prozedere
einhalten .
Da Kollege Lange zwei Fragen gemeinsam beantwor-
tet hat, haben Sie, Frau Schauws, die Möglichkeit, insge-
samt vier Nachfragen zu stellen . Wenn Sie jetzt also noch
zweimal nachfragen wollen, haben Sie die Chance dazu .
– Gut. – Vielen Dank, Christian Lange.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Finanzen .
Ich stelle fest, dass der Parlamentarische Staatssekre-
tär Spahn nicht anwesend ist . – Ich erfahre gerade, dass
Herr Spahn im Haushaltsausschuss ist; deswegen kann
er jetzt nicht hier sein. Vielleicht könnte das Kanzler-
amt antworten . – Herr Ströbele, sind Sie gegebenenfalls
bereit, zu akzeptieren, dass Ihre Frage schriftlich beant-
wortet wird, oder wollen Sie diese Frage und auch die
damit verbundenen Nachfragen trotzdem stellen? – Herr
Ströbele möchte etwas sagen . Gut, dann gebe ich ihm das
Wort .
Ich glaube, der Parlamentarische Staatssekretär hat
gestern oder vorgestern bei mir angerufen und mögliche
Probleme, hier zu erscheinen, angedeutet .
Es wäre natürlich gut, wenn wir das auch erfahren
würden . Es ist ja nett, wenn Sie eine Männerfreundschaft
haben; aber wir wollen das auch gerne wissen.
Ich kenne ihn gar nicht. Ich habe mit ihm noch kein
Wort gewechselt . Ich war auch nicht selber am Telefon,
als er anrief .
Ich verzeihe ihm, dass er jetzt nicht hier ist . Es handelt
sich hier um eine sehr spezielle Frage . Allein schon die
Frage zu verstehen, ist nicht so einfach, obwohl sie re-
lativ kurz ist. Ich traue selbst dem Staatssekretär Krings
nicht zu, sie ganz schnell zu beantworten .
Obwohl wir ihm natürlich viel zutrauen, aber dasnicht . Gut, dann wird die Frage 36 des Kollegen Ströbeleschriftlich beantwortet .Parl. Staatssekretär Christian Lange
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(D)
Die Frage 37 der Kollegin Walter-Rosenheimer wirdschriftlich beantwortet. – Vielen Dank, Herr Spahn –wenn Sie gekommen wären.Ganz knapp vor der Aktuellen Stunde kommen wirjetzt noch zum Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums für Arbeit und Soziales . Frau Kramme ist da .Die Frage 38 der Kollegin Walter-Rosenheimer, dieFrage 39 der Kollegin Rüffer sowie die Fragen 40 und41 der Kollegin Sabine Zimmermann werden schriftlichbeantwortet .Vielen herzlichen Dank, Frau Kramme.Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft . Ich be-grüße Herrn Bleser, der sich schon einmal auf die schrift-liche Beantwortung der Fragen 42 und 43 des KollegenOstendorff vorbereiten kann.Ich lasse jetzt noch eine Frage zu, bevor wir den Dia-log hier abbrechen, und das ist die Frage 44 des KollegenEbner:In welcher Weise unterscheidet sich die aktuelle Einschät-zung des Bundesinstituts für Risikobewertung zur Gly-phosat-Monographie der Internationalen Krebsforschungs-agentur der WHO von dervorläufigen Einschätzung auf Grundlage der Veröffentlichungder IARC in der Fachzeitschrift The Lancet vom März 2015,und welche Schlussfolgerungen bzw . Empfehlungen leitet dasBfR aus der aktuellen Einschätzung im Hinblick auf die Ge-fährlichkeit von und den Umgang mit Glyphosat ab?Herr Bleser, bitte .P
Frau Präsidentin! Die aktuelle Einschätzung des
Bundesinstituts für Risikobewertung, BfR, zur Glypho-
sat-Monographie der Internationalen Agentur für Krebs-
forschung, IARC, einer Einrichtung der Weltgesundheits-
organisation, WHO, wurde am 31 . August 2015 in Form
eines Addendums abgegeben und durch das Bundesamt
für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL,
der zuständigen EU-Behörde, der Europäischen Behörde
für Lebensmittelsicherheit, EFSA, und der EU-Kommis-
sion übermittelt .
Die aktuelle Einschätzung unterscheidet sich von der
vorläufigen Einschätzung vom 1. April 2015 insofern, als
nunmehr eine abschließende Einschätzung zu allen von
der IARC verwendeten Studien und deren Beurteilung
durch die IARC-Arbeitsgruppe im Rahmen des EU-Ge-
nehmigungsverfahrens zu Glyphosat vorgenommen wer-
den konnte. Dies war auf Basis der Veröffentlichung der
IARC in der Fachzeitschrift The Lancet vom März 2015
nicht möglich. Zu dem Zeitpunkt standen dem BfR keine
hinreichenden Informationen der IARC zur Verfügung . –
Das ist schwierig vorzutragen .
Die aktuelle Einschätzung des BfR konnte mittlerwei-
le von allen EU-Staaten kommentiert werden und wird in
einem EFSA-Experten-Fachgespräch am 29 . September
2015 erörtert werden. Somit kann die resultierende euro-
päische Einschätzung der IARC-Monographie
noch in das laufende Verfahren zur erneuten Genehmi-
gung von Glyphosat einfließen.
Die aktuellen Schlussfolgerungen bzw. Empfehlun-
gen, die das BfR aus der aktuellen Einschätzung im Hin-
blick auf die Gefährlichkeit von und den Umgang mit
Glyphosat ableitet, sind in dem Bericht an die EU-Kom-
mission und die EFSA enthalten . Sie sind Bestandteil des
EU-Wirkstoff-Genehmigungsverfahrens. Die Beurtei-
lung durch die zuständigen Behörden der anderen Mit-
gliedstaaten sowie die EFSA bleiben abzuwarten .
Vielen Dank. – Herr Ebner, Sie haben jetzt die Mög-
lichkeit, eine Nachfrage zu IARC zu stellen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir können gern wieder einen kleinen Sprachkurs ma-
chen . Ein Tipp: Wenn Sie „IARC“ als Wort aussprechen,
dann geht es schneller .
Ich würde gern nachfragen . Die Welt dreht sich da
weiter . Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie oder zieht
die Bundesregierung aus den am Freitag veröffentlichten
und am Wochenende in der Presse diskutierten Empfeh-
lungen der JMPR-Taskforce? Noch einmal etwas zum
Üben: Das ist das Joint Meeting on Pesticide Residues
der WHO, also ein Ad-hoc-Expertengremium, das einge-
setzt wurde, um die Unstimmigkeiten aufzuklären.
Diese Empfehlungen besagen ja, dass nicht nur
eine vollständige Neuevaluation von Glyphosat auf
JMPR-Ebene notwendig ist, sondern dass – auch das ist,
glaube ich, sehr wichtig – die internen Richtlinien bezüg-
lich der Auswahl der verwendeten Literatur überarbeitet
werden sollen, weil zahlreiche Studien nicht berücksich-
tigt wurden – und das auch vor dem Hintergrund der Stel-
lungnahme des BfR, das uns jetzt weismachen möchte,
es ginge nur um eine Aktualisierung neuerer Studien;
darum geht es aber im Kern überhaupt nicht .
Herr Staatssekretär.
P
Herr Kollege Ebner, ich möchte Sie darauf hinweisen,dass wir uns hier in einem laufenden Verfahren befinden.Das Bundesinstitut für Risikobewertung ist kraft Geset-zes für die Risikobewertung zuständig. Es hat den gesetz-lichen Auftrag, hierzu eine Einschätzung vorzunehmen .Davon abgesehen, wird jetzt innerhalb der WHO eineeigene Einschätzung konsentiert. Studien, die Daten von2004 und 2011 enthalten, werden bis zum nächsten Som-Vizepräsidentin Claudia Roth
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(D)
mer in der WHO ausgewertet bzw . vorgelegt . Die Ergeb-nisse sollen dann in die weitere Bewertung einfließen.
Herr Ebner, haben Sie dazu eine Nachfrage?
Ich hätte eine Nachfrage .
Gut . Dann stellen Sie sie .
Danke, Frau Präsidentin. – Es geht im Kern nicht um
eine Aktualisierung der neueren Studien, sondern auch
um all die Studien von vor 2004, die nicht berücksichtigt
wurden. Genau das hat die Taskforce jetzt angemahnt.
Herr Staatssekretär, trifft es denn zu, dass der Mit-
arbeiter des Bundesinstituts für Risikobewertung, Herr
Pfeil, der 2004 und 2011 für dieses WHO-Gremium,
das JMPR, federführend die Risikobewertungsberich-
te zu Glyphosat verfasst hat, die diesem Wirkstoff eine
gesundheitliche Unbedenklichkeit bescheinigen, auch an
der Erstellung des aktuellen EU-Bewertungsberichts des
BfR für Glyphosat beteiligt war?
Herr Staatssekretär.
P
Zu handelnden Personen unserer Institute werde ich
aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht Stellung neh-
men .
Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind,
dass wir die eine Frage, die jetzt noch offen ist – der Herr
Staatssekretär und der Fragesteller sind hier –, noch be-
handeln. – Dann kommen wir zu der Frage 45 des Kolle-
gen Harald Ebner:
Mit welcher Position hat sich die Bundesregierung in die
Diskussion um das EU-Guidance-Document zu „negligib-
le exposure” im Rahmen
des Standing Committee on Plants, Animals, Food and Feed
auf EU-Ebene eingebracht, und welche Auswir-
kungen könnte eine Definition von „negligible exposure“ nach
Meinung der Bundesregierung auf die Wiederzulassung von
Glyphosat haben?
Herr Staatssekretär.
P
Frau Präsidentin! Auf die vernachlässigbare Expo-
sition wird in der Verordnung Nr . 1107/2009 –
EU-Pflanzschutzmittelverordnung – Bezug genommen.
Auf EU-Ebene wird hierzu zurzeit ein Leitlinienpapier
erörtert, das den zuständigen Behörden eine Richtschnur
geben soll, wie das Prinzip im Rahmen der Prüfung und
Zulassung von Pflanzenschutzmitteln anzuwenden ist.
Bei rein fachlichen Fragen der Risikobewertung stimmen
sich die zuständigen Behörden hierzu untereinander ab
und vertreten die notwendigen Positionen selbstständig .
Zum Entwurf des hier nachgefragten Leitlinienpapiers
haben sich sowohl im Gesundheitsbereich als auch im
Umweltbereich die zuständigen Behörden bislang gemäß
ihren Zuständigkeiten fachlich eingebracht.
Bei Fragen von politischer Tragweite und bei Fragen,
die die Rechtsauslegung des Basisregelwerks – wie ge-
sagt: der Verordnung 1107/2009 – über das Inverkehr-
bringen von Pflanzenschutzmitteln betreffen, stimmen
sich die zuständigen Ressorts innerhalb der Bundesregie-
rung ab .
Im Anschluss bringt unser Haus die Position unter
anderem in den zuständigen Ständigen Ausschuss für
Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel, Sektion
Pflanzenschutzmittelgesetzgebung, auf EU-Ebene ein.
Für das in Rede stehende Leitliniendokument gibt es
noch keine finale abgestimmte Position der Bundesregie-
rung. Mögliche Auswirkungen auf die Wiedergenehmi-
gung des Wirkstoffs Glyphosat oder auf die Zulassung
von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln lassen sich
derzeit noch nicht abschätzen .
Herr Ebner .
Danke, Herr Staatssekretär. – Keine finale Position der
Bundesregierung – das habe ich mir fast schon gedacht .
Die erfahren wir dann wieder hinterher . Deshalb möchte
ich fragen, ob Sie sich denn dafür einsetzen werden, dass
bei einer Verabschiedung der Guideline zu vernachläs-
sigbarer Exposition bei krebsauslösenden Stoffen – ich
bitte, da genau hinzuhören – weiterhin das Vorsorgeprin-
zip gilt . Wird sich die Bundesregierung bei entsprechen-
den Stoffen für ein Anwendungsverbot einsetzen?
Herr Staatssekretär.
P
Dass wir uns nach wie vor zu dem Vorsorgeprinzip
bekennen, kann ich bestätigen. Ich habe schon vorhin
ausgeführt, dass wir eine unabhängige Behörde haben,
die nicht weisungsgebunden ist und die die Risiken zu
prüfen hat . Dann wird eine Entscheidung erfolgen .
Herr Ebner .
Am Ende wird aber auch die Bundesregierung Stel-lung nehmen müssen. Dann kann sie sich nicht hinter Be-hörden verstecken, egal wie unabhängig sie sind, sondernParl. Staatssekretär Peter Bleser
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sie muss selber Stellung beziehen . Das erwarte ich auchvon Ihnen .Jetzt möchte ich aber auch noch den Staatssekretärfragen – denn das ist auch eine Konsequenz dieser Gui-delines zu vernachlässigbaren Expositionen –, wann,wie und mit welchen Methoden die Bundesregierung dieExposition der Bevölkerung beispielsweise gegenüberGlyphosat erheben möchte . Denn die Kenntnisse darübersind wichtig, wenn man überhaupt etwas über vernach-lässigbare Expositionen sagen will. Erst dann kann ichwissen, ob eine Genehmigung zu Recht erteilt wurde,oder nicht .
Herr Staatssekretär.
P
Ich kann mich da leider nur wiederholen: Wir haben
durch Gesetz unser Bundesinstitut für Risikobewertung.
Es bewertet die Pflanzenschutzmittel und spricht dann
eine Empfehlung aus. Genehmigen wird, was die Wirk-
stoffe angeht, die EFSA; sie ist auf EU-Ebene hierfür
zuständig . Insofern wird der Rechtsweg eingehalten . Sie
können sich darauf verlassen, dass die Grundsätze des
vorsorgenden Verbraucherschutzes hier Berücksichti-
gung finden.
Es gibt keine weiteren Nachfragen. – Vielen herzli-
chen Dank.
Die Frage 46 der Kollegin Dr. Franziska Brantner zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend wird schriftlich beantwor-
tet .
Wir sind damit am Ende der Fragestunde .
Wir kommen gleich zur Aktuellen Stunde. – Ich würde
die Sitzung aber gerne für eine Minute unterbrechen . Ich
hoffe, Sie erlauben mir das . Wir machen dann auch sofort
weiter .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun
zur Aktuellen Stunde, die aus der Fragestunde heraus
beantragt worden ist . Die Voraussetzungen dafür waren
gegeben. Ich rufe daher den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion Die Linke gemäß An-
lage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT
zu den Antworten der Bundesregierung auf
die Frage 15 auf Drucksache 18/6019
Ich begrüße alle Kolleginnen und Kollegen . Das Wort
hat der Kollege Jan van Aken für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Me-xiko werden Menschen mit deutschen Gewehren ermor-det. Jetzt kommt heraus: Eine Mitschuld tragen auchdeutsche Beamte, tragen auch deutsche Politiker. DerSkandal reicht bis hinauf zu Außenminister Steinmeier,bis mitten hinein ins Bundeswirtschaftsministerium vonSigmar Gabriel . Ich glaube, die beiden werden in dennächsten Tagen und Wochen einige sehr unbequeme Fra-gen beantworten müssen .Ich fange einmal ganz von vorne an: Vor etwa zehn Jah-ren wollte die Waffenfirma Heckler & Koch Sturmge-wehre vom Typ G36 nach Mexiko exportieren. Schon da-mals wussten wir alle hier, dass die Menschenrechtslagein Mexiko katastrophal ist. In vielen Gegenden Mexikossind die Sicherheitskräfte, die Polizeien von der Dro-genmafia unterwandert. Da wird gefoltert und gemordet,auch von staatlichen Sicherheitskräften, im Auftrag derMafia. So wurden vor ziemlich genau einem Jahr 43 Stu-denten von der Polizei entführt und brutalst ermordet .Das war damals bekannt. Deshalb sagte damals, im Jahre2005, das Außenministerium Nein zu den Waffenexpor-ten nach Mexiko. So weit, so gut, die Geschichte könntevorbei sein. Was dann aber geschah, ist ein Lehrstück inSachen Lug und Betrug . Es ist einfach unfassbar, wie sichdeutsche Behörden und deutsche Politiker zu Helfershel-fern der Rüstungsindustrie gemacht haben, um diesenschmutzigen Deal doch noch auf den Weg zu bringen .
Also: Das Außenministerium sagte Nein . Dann gab esim September 2005 Wahlen in Deutschland. Es kommtdie Große Koalition. Außenminister wird Frank-WalterSteinmeier . Kurz darauf sagt das Auswärtige Amt plötz-lich Ja zu den deutschen Waffenexporten . Neuer Minis-ter, 180-Grad-Drehung des Ministeriums . Ich glaube,Herr Steinmeier hat uns in den nächsten Tagen einigeszu erklären.
Es ging natürlich nicht einfach so . Irgendeinen Vor-wand musste er erfinden. Den Vorwand, der gefundenwurde, finde ich fast schon genial. Die Idee war, dass mansagt: Mexiko vernichtet einfach ein paar alte Gewehre,und dann können wir ihnen als Ersatz neue Gewehre lie-fern. Das wäre ja keine Aufrüstung, sondern „nur“ einErsatz für die alten Gewehre . – Dieses Prinzip heißt: Neufür Alt. Es hat genau einen einzigen Zweck: Es dienteinzig und allein der Rechtfertigung und Legitimierungvon kritischen und falschen Waffenexporten. Wir habenvorhin die Staatssekretärin des Wirtschaftsministeriumsgefragt. Sie sagte: Nein, es ist kein einziger Fall bekannt,dass so etwas tatsächlich stattgefunden hat . – Wir habenin den letzten Jahren zigmal nachgefragt. Es gibt keinenkonkreten Fall.Wissen Sie, was in Mexiko passiert ist? Es gibt Fotos.Es sind ein paar Hundert alte, verrostete Kalaschnikowseingeschmolzen worden, nur damit der Außenminis-Harald Ebner
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(C)
(D)
ter Steinmeier sagen konnte: Es werden alte vernichtet,und ich kann neue liefern. – Nach Mexiko wurden aberZehntausende geliefert; genau waren es 10 096 nigelna-gelneue deutsche Sturmgewehre. Es fand überhaupt keinAustausch statt . Das war nicht „Neu für Alt“, sondern daswar nur eine Legende, die im Außenministerium erfun-den worden ist .
Der zweite Trick, der danach kam, ist noch viel per-fider. Irgendjemand aus dem Wirtschaftsministerium hatdann der Firma Heckler & Koch die Information gesteckt:Nehmt lieber ein paar besonders kritische Bundesstaatenaus der Lieferung heraus; dann könnt ihr die Genehmi-gung schon bekommen. – So sollte zum Beispiel derberüchtigte Bundesstaat Chihuahua nicht mehr mit deut-schen Gewehren beliefert werden. Was macht Heckler &Koch? Am nächsten Tag reichen sie einen neuen Antragein, und tatsächlich ist Chihuahua nicht mehr unter denbelieferten Bundesstaaten. Aber – und das ist jetzt keinWitz – die Gesamtzahl aller nach Mexiko geliefertenWaffen ist gleich geblieben . Wenn ich die beiden Anträ-ge nebeneinanderlege, dann sehe ich, dass die 450 Ge-wehre für den Bundesstaat Chihuahua in einen anderenBundesstaat gegangen sind . Das wurde tatsächlich sogenehmigt, obwohl die Bearbeiter im Bundesministeri-um genau wussten, dass sie damit Beihilfe zum illegalenWaffenexport leisten .
Das müssen wir uns auf der Zunge zergehen lassen:Das Ministerium, das die Aufgabe hat, tödliche Waffe-nexporte zu kontrollieren, guckt nicht nur einfach weg,sondern erzählt der Waffenindustrie sogar noch, wie sieseine eigenen Kontrollen unterlaufen kann. Das ist dietraurige Realität Ihrer Waffenexporte bis heute . Ich fragemich die ganze Zeit: Wer kontrolliert eigentlich die Kon-trolleure, wenn nicht wir?
Vieles davon ist erst in den letzten Tagen an die Öf-fentlichkeit gekommen. Das erinnert mich daran, dasswir alle gemeinsam im letzten Jahr eine richtige Heck-ler-&-Koch-Seilschaft im Verteidigungsministerium auf-geklärt haben. Dort saßen Beamte in den verschiedenenEbenen, die jahrelang ihre schützende Hand über dasUnternehmen gehalten haben. Jetzt legen diese Doku-mente nahe, dass es die gleiche Seilschaft auch im Wirt-schaftsministerium gibt. Das wollen wir aufklären, undzwar lückenlos. Wir wollen alle Dokumente haben. Sowie das Verteidigungsministerium in den letzten Mona-ten alles offengelegt hat, so wollen wir auch von Ihnenalle E-Mails, alle Dokumente der gesamten schmutzigenDeals haben .
Wenn irgendwer Zweifel an der Geschichte hat, demgebe ich eine Empfehlung: Schauen Sie heute Abend ein-mal Fernsehen . Im Ersten läuft ein richtig guter Spiel-film: Meister des Todes . Es ist ein Krimi, der sehr dichtan der Realität dieser schmutzigen Deals in Mexiko ist.Er basiert auf vielen E-Mails, vielen Dokumenten. Hierkönnen Sie noch einiges lernen.Ich komme zum Schluss. Am Beispiel Mexiko wirdaus meiner Sicht vor allem eines deutlich: Ihre Waffen-exportkontrolle ist eine einzige Farce. Sie funktionierteinfach nicht; denn überall auf der Welt werden mit deut-schen Gewehren, mit deutschen Waffen Verbrechen be-gangen . Auch das ist für mich ein Grund, warum ich imÜbrigen der Meinung bin, dass Deutschland überhauptkeine Waffen mehr exportieren sollte.
Vielen Dank, Herr Kollege van Aken. – Nächster Red-
ner in der Debatte: Dr . Joachim Pfeiffer für die Union .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zum wiederholten Male wird hier heute „Skandal!“ ge-rufen, werden Dinge, die längst bekannt sind, in einerAktuellen Stunde hochgezogen. Um was geht es? Es gehtdarum, dass von 10 102 G36, deren Export im Zeitraum2004 bis 2008 genehmigt wurde, durch ein technischesVersehen tatsächlich 1 393 G36 nicht im Rüstungsex-portbericht 2008 auftauchen,
weil sie dem Jahr 2007 zugeordnet waren und dann ebennicht im Bericht von 2008 aufgetaucht sind .
So wurde es heute Morgen ja auch im Ausschuss vor-getragen . An irgendwelchen Verschwörungstheorien, dieSie jetzt hier aufstellen, will ich mich überhaupt nicht be-teiligen . Bereits 2009 wurde dem Abgeordneten Schäferdieser Sachverhalt in einer schriftlichen Antwort darge-stellt .Ehrlich gesagt hätte ich mir viel mehr gewünscht, dassSie heute hier eine Aktuelle Stunde beantragt hätten, dieaktuelle Fragen thematisiert,
nämlich die Fragen: Wie können wir Fluchtursachen vorOrt bekämpfen?
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 123 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 23 . September 201511918
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Welche Rolle kann und muss die Außen- und Sicher-heitspolitik dort spielen? Sie sollten sich nicht wegdu-cken, ins Schneckenhaus zurückziehen und sagen: Dasgeht uns nichts an . -
Sie sollten die Diskussion führen: Wie können wir dort,wo Menschen bedroht sind – wir haben es dieses Jahrbeim IS in Kurdistan und anderswo schon getan –,
mit Rüstungsexporten, mit deutscher Sicherheitstechnik,auch deutschen Waffen, dafür sorgen, dass Stabilität undFrieden erhalten werden, dass Menschen nicht umge-bracht werden?
Diese Diskussion sollten wir heute mal führen,
nicht eine rückwärtsgewandte Diskussion, die an Absur-dität wirklich nicht zu überbieten ist.Da stellt sich die Frage: Was ist Deutschlands Rolle?
Welche Rolle wollen wir in Europa spielen? Ich glaube,wir würden uns übernehmen, wenn wir Deutschen alleineine Antwort finden wollten. Deshalb ist es richtig, dasssich die Ministerien jetzt verständigt haben und sagen:Wir streben eine europäische Harmonisierung an . – Wirmüssen uns darüber klar werden: Welche Technolo-gien brauchen wir in Europa, welche brauchen wir inDeutschland?Nehmen wir einen aktuellen Fall, den Sie auch schonwieder skandalisiert haben: Krauss-Maffei und Nexter,die jetzt fusionieren .
Selbstverständlich werden noch die Lieferungen vonTechnologien abgewickelt, für die französische Geneh-migungen, für die deutsche Genehmigungen vorliegen .Wir sollten uns fragen: Wie geht es denn zukünftigweiter? Was ist die europäische Antwort? Ich glaube,wenn wir es ernst damit meinen, dass wir Fluchtursachenso bekämpfen wollen, dass die Menschen erst gar nichthierherkommen müssen, dann müssen wir dies anderstun, als wir es in der Vergangenheit getan haben .
– In der Tat! Da ist auch die Frage: Welche Rolle könnendeutsche Sicherheitsgüter bei der Sicherung des Friedensdort spielen?
Diese Diskussion ist zu führen. Rüstungsexporte sind einlegitimes Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik;sie gilt es entsprechend abzuwägen .Hier wurde die Diskussion zu Mali geführt. In Malibilden wir die Polizei und auch andere Sicherheitskräfteaus
und sagen ihnen, dass sie dort das Gewaltmonopol desStaates wiederherstellen und erhalten sollen, damit dortnicht der IS oder irgendwelche vergleichbaren Gruppendie Macht übernehmen
und die Menschen umbringen . Wir sagen: Wir bildeneuch aus, aber die notwendigen Sicherheitstechnologien,auch Waffen, liefern wir euch nicht . – Das ist aus meinerSicht doch verlogen, um es in aller Deutlichkeit zu sagen.
Insofern müssen wir uns hier mal ehrlich machen undüberlegen, was denn unsere Position ist, was unsere Vor-stellungen sind . Unsere Position muss eine andere seinals in der Vergangenheit .Sie versuchen, alles zu skandalisieren. Für mich sindRüstungsexporte und auch Waffenexporte nicht per seschlecht,
sondern ein Instrument, das wir einsetzen müssen . Wirwerden das Problem der aktuellen Flüchtlingsströme
und die Flüchtlingsfragen nicht in Deutschland und Eu-ropa allein lösen; sie müssen auch vor Ort, im Nahen Os-ten und in Afrika, gelöst werden.
Diese Diskussion hätten wir heute hier führen sollen. Wirbrauchen nicht den Popanz, den Sie hier zum wiederhol-ten Male aufbauen .
Dr. Joachim Pfeiffer
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Vielen Dank, Herr Kollege Pfeiffer. – Nächste Red-nerin in der Debatte: Agnieszka Brugger für die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am26. September 2014 kam es in der mexikanischen StadtIguala zu einer unfassbaren Tragödie und zu einemschrecklichen Verbrechen. Vor fast einem Jahr griffendort lokale Polizisten und Söldner der Kartelle und derMafia Studenten an und feuerten in die Menge. 6 vonihnen starben, und 43 Studenten wurden mit Gewalt aufTrucks geladen und sind bis heute spurlos verschwunden.Herr Kollege Pfeiffer, ich muss sagen: Ihre Rede der zy-nischen Kälte, das ist einfach nur ein Schlag in das Ge-sicht der Angehörigen dieser Menschen .
Relativ schnell war nämlich klar, dass bei diesem Angriffdeutsche Sturmgewehre aus dem Hause Heckler & Kocheingesetzt worden sind, die laut Bundesregierung nie-mals dorthin hätten geliefert werden dürfen. Es klingthart, aber es ist wahr: Die deutsche Bundesregierungträgt eine Mitschuld an dieser Gräueltat .
Das ist kein Unsinn.
Lesen Sie doch einmal die Details nach! Und es sindnicht olle Kamellen, über die wir heute hier diskutieren.Es sind nämlich keine ollen Kamellen, was jetzt über dasVerfahren der Bundesregierung zur Genehmigung derG36Gewehre herausgekommen ist. Das offenbart daserschreckende Bild einer Politik, die den Kompass fürSicherheit und Menschenrechte völlig verloren hat .Was 2005 und in den folgenden Jahren unter der letz-ten Großen Koalition passiert ist, das hat mit einer re-striktiven Rüstungsexportpolitik rein gar nichts zu tun.Sie haben die strengen Regeln, die es in Deutschland aufdem Papier gibt, in der Realität in ihr perverses Gegenteilverkehrt. Ich mache Ihnen das gerne konkret, damit Siedas nachvollziehen können.Das Auswärtige Amt hat, bevor der erste Deal geneh-migt wurde, gesagt: Es gibt keine besonderen deutschenaußen- und sicherheitspolitischen Interessen, Mexikomit G36-Gewehren zu beliefern . Das Auswärtige Amthat auch auf Gefahren in Bezug auf Menschenrechte hin-gewiesen . Die deutschen Regeln besagen: Keine Kriegs-waffenexporte in Staaten außerhalb von NATO und EU,es sei denn, es gibt besondere außen- und sicherheitspo-litische Interessen . Die deutschen Richtlinien besagen:Keine Exporte in Staaten, in denen die Menschenrechteverletzt werden. – Aber dann waren die Bedenken desAuswärtigen Amtes – das ist doch komisch – vom Tisch.Ich frage Sie: Wessen Interessen sind hier zum Zuge ge-kommen? Doch nicht die der Menschenrechte, nicht dieder Bundesrepublik Deutschland, sondern offensichtlichdie Interessen eines einzelnen Rüstungsunternehmens .
Dann lesen Sie doch einmal die Zeitung .Ich kann Ihnen gerne noch ein anderes Beispiel nen-nen .
Irgendwann wurden bestimmte Provinzen von den Ge-nehmigungen ausgenommen, als klar war, dass dort dieMenschenrechtslage noch schlimmer und die Polizeinoch korrupter ist. Aufgrund eines Tipps aus dem Bun-deswirtschaftsministerium hat Heckler & Koch seinenAntrag entsprechend angepasst. Jetzt kommt heraus, dassdem Mitarbeiter aus dem Bundeswirtschaftsministeriumvon Anfang an klar war, dass man diese Regelung nichtüberprüfen kann, dass von Anfang an klar war, dass dieWaffen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit genau dort ge-landet sind, wo sie eigentlich nicht sein dürften .Ein drittes Beispiel: Neu für Alt . Diesen wichtigenGrundsatz haben wir eben auch schon gehört . Er besagt,dass der Empfänger in dem Umfang, in dem er neue Waf-fen erhält, alte Waffen aus seinen Beständen vernichtenmuss . Und dann lässt man sich abspeisen mit einem Bild,auf dem eine Mitarbeiterin der deutschen Botschaft miteinem Mitarbeiter von Heckler & Koch posiert, auf demzu sehen ist, wie ein paar Hundert alte Gewehre vernich-tet werden . Daraufhin liefert man mehrere Tausend neueGewehre .
Ich muss Ihnen sagen: Sie missbrauchen diesen wich-tigen Grundsatz . Das ist nichts anderes als eine einzigegroße Heuchelei .
Ich finde es erschreckend, wie sich Beamte der Bun-desregierung zu willfährigen Helfern einer Waffen-schmiede gemacht haben, um einen sehr hohen Preis .
Eine solche Vetternwirtschaft in diesem Ministerium darfwirklich nicht akzeptiert werden.
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Meine Damen und Herren, wir Grüne verlangen vonBundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, von Au-ßenminister Frank-Walter Steinmeier und von der Ver-teidigungsministerin Ursula von der Leyen und all denanderen Ministerinnen und Ministern, die hinter denverschlossenen Türen des Bundessicherheitsrates sitzenund über Rüstungsexporte entscheiden: Kommen Sie janicht auf die Idee, wie einige Kollegen aus der Union,diesen Vorfall kleinzureden! Sorgen Sie für lückenloseAufklärung, und ziehen Sie strukturelle und personelleKonsequenzen, damit sich so etwas nie wiederholt!
Es ist höchste Zeit, dass sich die deutsche Politik derWaffenexporte endlich umfassend und radikal ändert.
Wir Grüne werden nicht aufgeben, für eine Politik zustreiten, die sich Frieden, Sicherheit und Menschenrech-ten verpflichtet fühlt und diese nicht irgendwelchen Ge-winninteressen einzelner Rüstungsunternehmen opfert .Wir können das, was in Mexiko geschehen ist, nichtwiedergutmachen. Wir können das Leid der Menschen,die dort gestorben sind, der Menschen, die dort entführtworden sind, das Leid der Angehörigen und Freunde, diesie bis zum heutigen Tage verzweifelt suchen, nicht rück-gängig machen. Wir können und wir müssen aber dafürsorgen, dass sich so etwas niemals wiederholt .
Vielen Dank, Frau Kollegin Brugger. – Für die Bun-
desregierung: Brigitte Zypries .
B
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehr-ten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Kollegin Brugger, die Bundesregierung hatschon vor Jahren etwas dafür getan, dass sich so etwasnicht wiederholt. Seit 2008 wurden keine Anträge aufG36-Ausfuhren nach Mexiko mehr genehmigt, und seit2010 werden überhaupt keine Anträge für den Exportvon Kleinwaffen nach Mexiko mehr genehmigt. Damitist klar, dass die Causa Mexiko schon 2008 und 2010 ex-tra bearbeitet wurde . Darauf wurde reagiert . Wir habeneben in der Befragung der Bundesregierung auch schondarauf Bezug genommen, und ich habe Ihnen erklärt,dass wir darüber hinaus in dieser Großen Koalition wei-tere Anstrengungen unternommen haben, um den Exportvon Kleinwaffen deutlicher zu kontrollieren und nochklarer zu machen, dass wir nur unter ganz bestimmtenengen Voraussetzungen überhaupt noch Kleinwaffen ex-portieren . Ich will jetzt nicht alles wiederholen, was wirda schon diskutiert haben.
– Das haben wir vorhin schon dreimal gehabt . – Ich habesowohl auf die Kleinwaffengrundsätze hingewiesen, diewir im Mai dieses Jahres veröffentlicht haben, als auchauf die sogenannte Post-Shipment-Kontrolle, Herr Kol-lege, die wir beschlossen haben, nach der die Angaben,die Empfänger zum Verbleib von Waffen machen, vorOrt von Menschen überprüft werden, die unser Vertrauenhaben . Sie sehen also, dass wir alles tun, um Vergleich-bares zu vermeiden .Daneben gibt es eine staatsanwaltschaftliche Aufar-beitung . Seit Jahren schon läuft ein staatsanwaltschaft-liches Verfahren gegen die Firma Heckler & Koch, wasauch zu einer weiteren Form der Aufarbeitung führenwird .Ich würde gerne noch auf einen Gesichtspunkt ein-gehen, den der Kollege Pfeiffer angesprochen hat, undwürde gerne noch einmal erläutern, dass die Bundesre-gierung seit dem Jahr 2000 jährlich einen Rüstungsbe-richt vorlegt, in dem wir detailliert über die jeweiligenRüstungsexporte berichten . Seit letztem Jahr machen wirjährlich auch noch einen Zwischenbericht, sodass immeraktuelle Diskussionen möglich sind und auch der Bun-destag immer aktuell auf diese Berichte eingehen kann.Die jeweiligen Rüstungsexportberichte enthalten de-taillierte Angaben, aufgeschlüsselt nach den beliefertenLändern, nach der Anzahl der Genehmigungen, nach Gü-terlisten und nach dem Gesamtwert .
Diese Berichte – jetzt kommt leider ein Fehler, lieberHerr Kollege Kampeter – sind auch für die Jahre 2007und 2008 erfolgt . Allerdings ist da ein Fehler passiert . Esgeht um die Genehmigung der Lieferung von G36-Sturm-gewehren . In den Jahren 2004 bis 2007 wurden mehrereLieferungen genehmigt, die insgesamt vollständig ab-gebildet wurden . 2008 hat die Firma noch einmal eineErhöhung der Stückzahlen beantragt. Das ist dann auchgenehmigt worden . Aber in der verwaltungsmäßigenUmsetzung der Genehmigung dieser 1 393 Stück ist nichtein neuer Genehmigungsbescheid ergangen, wie das anund für sich lege artis der Fall hätte sein müssen, sonderndiese Zahl wurde auf die bereits erfolgten Genehmigun-gen von 2007 quasi aufgesattelt . Das führte dann zu einerfehlerhaften Darstellung im Rüstungsexportbericht . DieZahl, die in den Genehmigungsunterlagen von 2007 war,wurde nicht in den Rüstungsexportbericht 2008 über-nommen und wurde auch in der Folge nicht übernom-men, weil sie nämlich quasi in den Akten verschwundenwar und nicht wieder auftauchte .Dieses Handeln – das kann man wohl nicht anderssagen – war fehlerhaft . Es wurde begünstigt durch dieMöglichkeit, Bescheide quasi nachträglich bei den ge-Agnieszka Brugger
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nehmigten Stückzahlen zu ändern, nachträglich aufzusat-teln – eine etwas befremdliche Vorstellung für mich alsÖffentlich-Rechtlerin. Für dieses Verfahren können wiruns nur entschuldigen . Es lag an einer fehlerhaften Or-ganisation, dass das möglich war . Diese fehlerhafte Or-ganisation wurde bereinigt. Es gibt inzwischen eine klareAnweisung, dass auf alte Bescheide nichts mehr stück-zahlmäßig draufgesattelt werden darf. Insofern kann einsolches Verfahren nicht wieder passieren . Jetzt müssenjedes Mal neue Ausfuhrgenehmigungen beantragt underteilt werden, wenn sie denn erteilt werden .Ich denke, die Bundesregierung hat dieses Fehlenauch nicht verschwiegen oder verschleiert, sondernnach außen kommuniziert. Der damalige Staatssekretär Pfaffenbach hat auf eine Frage des Abgeordneten Schäferin seiner Antwort vom 14 . Dezember 2009 geschrieben:2006 wurden Genehmigungen für die Ausfuhr vonfünf G36 nach Mexiko erteilt, im Jahr 2007 für6 667 G36 und im Jahr 2008 für 1 393 G36 .Da taucht diese Zahl also wieder auf . Sie war veröffent-licht, aber sie war natürlich nicht, wie es richtig gewesenwäre, in den Berichten veröffentlicht. Dafür kann ich nurnoch einmal um Entschuldigung bitten. Ich kann Ihnenversprechen, dass ein solcher Fehler nicht wieder vor-kommen wird.
Vielen Dank, Frau Zypries. – Nächster Redner in der
Debatte: Klaus-Peter Willsch für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kollegen! Mit der gleichen Regelmäßig-keit, mit der der Herbst auf den Sommer folgt, beschäf-tigt uns Herr van Aken in dieser Legislaturperiode weitermit diesem Thema. Jeder Anlass dazu ist willkommen.Der Anlass, der dieses Mal gewählt worden ist, istgeradezu ein Musterbeispiel dafür, dass die Dinge gutkontrolliert funktionieren, dass Fehler, die passieren,im Haus korrigiert werden, dass von der Staatsanwalt-schaft Ermittlungsverfahren eingeleitet werden und allesnach rechtsstaatlichen Verfahren abgewickelt wird. Wasden Anschein hat, vielleicht nicht richtig zu sein, liegtdann in den Händen der Justiz . Ansonsten ist der gesamteVorgang ein Musterbeispiel für ein Fall-für-Fall-Vorge-hen . Dieses Vorgehen wird der Sache gerecht, und derVorgang zeigt – Frau Staatssekretärin Zypries hat denLernprozess geschildert –, dass man für Lernfortschrittezugänglich ist .Ihre Aussage, Herr van Aken: „Überall in der Weltwerden mit deutschen Waffen Menschen erschossen“,hat ungefähr die gleiche Aussagekraft wie die Aussage:„Überall in der Welt werden mit Waffen aus SolingerStahl Menschen erstochen“, oder die Aussage: „Überallauf der Welt kommen durch deutsche Pkws Menschenzu Tode .“
Wenn man eine Welthandelsnation ist, gibt es die Pro-dukte nun einmal in der ganzen Welt.
Gleichwohl sagen wir nicht, dass mit Waffen zu han-deln etwas Alltägliches sei,
sondern wir haben ganz strikte Regeln aufgestellt, dieeingehalten werden . Wir haben uns in ein dichtes Ge-flecht von Verpflichtungen hineinbegeben:
Unsere eigene Außenwirtschaftsverordnung macht zu-nächst einmal die Ausfuhr aller Rüstungsgüter geneh-migungspflichtig; grundsätzlich wird nicht genehmigt,wenn hinreichender Verdacht besteht, dass damit interneRepressionen oder sonstige Menschenrechtsverletzun-gen ausgeübt werden . Die Prüfung der Genehmigung derAusfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgü-tern obliegt dem Bundessicherheitsrat, der geheim tagt –Sie wissen, wie er zusammengesetzt ist . Bei der Ertei-lung der Ausfuhrgenehmigungen handelt es sich nichtum einen formellen Akt. Das wird von Ihnen häufig sodargestellt, aber genau das ist es nicht. Es besteht keinAnspruch auf Erteilung einer Genehmigung zur Ausfuhrvon Kriegswaffen . Die Einhaltung zahlreicher Geset-ze und Vereinbarungen wird zunächst abgeprüft . Inso-fern kann man eben nicht davon sprechen, dass hier inDeutschland der Handel mit Rüstungsgütern oder Waffeneine alltägliche Sache wäre .Dagegen sprechen auch die Zahlen . Angesichts derGüte unserer Produkte muss man ja einen Moment darü-ber nachdenken, warum wir bei Rüstungsgütern nicht ander Spitze stehen .
Der Grund ist, dass wir sehr zurückhaltend sind, dass wiruns beim Export solcher Systeme und Waffen eine Zu-rückhaltung auferlegen, die wir in der Koalition für rich-tig halten . Wir glauben, dass es auf der einen Seite na-türlich legitime Sicherheitsinteressen von Ländern gibt,denen wir dann auch helfen sollten, wenn wir in unseremBereich die Systeme und Waffen haben, die benötigt wer-den. Diese muss man selbstverständlich exportieren kön-nen, wenn die Voraussetzungen in dem entsprechendenLand vorliegen .Wir müssen uns auf der anderen Seite, wie KollegeDr . Pfeiffer es in seinem Beitrag angesprochen hat, natür-Parl. Staatssekretärin Brigitte Zypries
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lich auch immer um unsere eigenen Interessen Gedankenmachen .
Welche strategischen Interessen haben wir in der Welt?Wo müssen wir Systeme stabilisieren, um Situationen,wie wir sie jetzt mit der Flüchtlingswelle erleben, zuvermeiden, nicht eintreten zu lassen? Darüber würde ichgerne eine breitere Diskussion führen. Mit dem simplenEinschlagen auf den – ich glaube, Sie nennen es so – „mi-litärisch-industriellen Komplex“, oder wie das bei Ihnenheißt, kommen wir kein Stück weiter.
Wir sollten froh sein über technologische Leistungen,die unsere Industrie, unsere Wirtschaft, unsere Wissen-schaft vollbringen . Wir sollten dazu beitragen, dass siezum Nutzen der Menschen und zum Stiften von Friedenund Rechtssicherheit eingesetzt werden können. Wirwerden weiterhin sorgfältig darauf achten, dass Waffenaus deutscher Herkunft nicht fahrlässig in irgendwelcheRichtungen verbreitet werden . Das System, das hier er-richtet ist, funktioniert. Daran haben die die Regierungtragenden Parteien den höchsten Anteil .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Danke, Kollege Willsch. – Nächste Rednerin: Heike
Hänsel für die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Herr Willsch, was Sie gerade gesagt haben, zeigt,dass Sie überhaupt keine Ahnung haben. Sie haben hierdarauf hingewiesen, dass es jetzt eine strafrechtlicheVerfolgung, Untersuchungen usw. gibt. Das alles findetüberhaupt nur statt, weil es eine Anzeige eines Rüstungs-gegners, nämlich von Jürgen Grässlin, gab, der zusam-men mit dem Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauerdas Ganze ins Rollen gebracht hat .
Wir haben es überhaupt nur der Zivilgesellschaft und denFriedensaktivisten zu verdanken, dass hier einmal Lichtins Dunkel dieser ganzen Verflechtungen kommt.
Man sieht doch, dass hier auf Initiative der Ministeri-en, der Regierung, überhaupt gar keine Untersuchungeneingeleitet werden . Sie schieben sich gegenseitig ständigden Schwarzen Peter zu, wer für die Rüstungsexportenach Mexiko verantwortlich ist und welche Vereinba-rung es mit Heckler & Koch gab oder nicht. Sie habendoch überhaupt keine Ahnung von dem, worüber Sie hierreden .Ich muss sagen: Frau Zypries, Sie waren in dieser Zeitder Waffenlieferungen Justizministerin . Es wäre interes-sant, zu wissen, ob Sie als Mitglied des Bundessicher-heitsrates eigentlich Informationen über Rüstungsex-porte nach Mexiko erhalten haben, und zwar zu einemZeitpunkt, zu dem Mexiko schon in einem massivenSumpf von Menschenrechtsverletzungen und Verschwin-denlassen versunken war. Das ist doch der Skandal.
Ayotzinapa, diese Tragödie, die von uns angesprochenwurde, diese 43 verschwundenen Studenten, das ist nurdie Spitze des Eisbergs. Wir sprechen in Mexiko vonüber 25 000 Menschen, die verschwunden sind, und vonüber 100 000 Toten allein seit 2006; das muss man sicheinmal vorstellen . In dieser Zeit gab es Waffenlieferun-gen nach Mexiko von Heckler & Koch. Das ist in meinenAugen verbrecherisch . Die dafür Verantwortlichen müs-sen bestraft werden .
Man bekommt vom Ministerium immer gesagt: Wirhaben überhaupt keine bestimmten Bundesstaaten ge-nannt. Heckler & Koch beruft sich aber darauf, dass essolch eine Absprache gab. Es wird nichts an Aufklä-rung betrieben . Die Staatsanwaltschaft in Stuttgart, HerrWillsch, ermittelt seit fünfeinhalb Jahren, hat aber nochnicht einmal Anklage erhoben. Das ist der nächste Skan-dal: dass hier sehr viele Informationen vorhanden sindund Jahr für Jahr nur ermittelt wird . Das ist die Realitäthier in Deutschland bezüglich Rüstungsexporten . Des-halb brauchen wir eine grundsätzliche Änderung .
Ich möchte Ihnen etwas zeigen .
Ich war auch in Ayotzinapa, in Guerrero, und habe amStraßenrand dieses Foto eines Polizisten mit einem Ge-wehr von Heckler & Koch, G36, gemacht, das eigentlichnie dort sein dürfte . Ich war gerade einmal einen Tag inAyotzinapa. Das zeigt doch, dass es eine Systematik anAusrüstung mit deutschen Gewehren an Orten gibt, wosie nicht hingehören. Das kritisieren wir.
Ich möchte zu Ihnen, Herr Pfeiffer, noch etwas sagen .Wohin ist er denn verschwunden? Ist er schon gegangen?Mich wundert auch, wo der Kollege Volker Kauder ist.Von ihm, der für den Wahlkreis, in dem sich Heckler &Koch befindet, zuständig ist – Heckler & Koch hat seinenSitz in Oberndorf –, sieht und hört man überhaupt nichts .Seit Jahren hält er die Hand schützend über diesen Kon-zern, und zu keinem einzigen Skandal hat er auch nureine einzige Silbe gesagt . Ich erwarte, dass Herr Kauderhier einmal etwas zu den deutschen Rüstungsexportensagt .
Klaus-Peter Willsch
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Herr Pfeiffer ist leider nicht mehr da. Aber er, denkeich, hat – da kommt er wieder – im wahrsten Sinne desWortes den Vogel abgeschossen, als er uns hier erzählthat, mit Rüstungsexporten würden Fluchtursachen be-kämpft. Einen größeren Blödsinn habe ich in den letztenzehn Jahren nicht gehört .
Wir alle diskutieren hier rauf und runter darüber, dassdie deutschen Rüstungsexporte eine der Hauptfluchtursa-chen sind, weil sie Krisen und Kriege massiv verschär-fen. Saudi-Arabien kämpft und tötet derzeit im Jemenmit deutschen Waffen . Das Land hat sogar eine Lizenzvon Heckler & Koch bekommen, um die Waffen zu pro-duzieren – und sie laut Bundesregierung angeblich wie-der nur im eigenen Land einzusetzen . Sie werden jetzt imKampf gegen die Huthi-Rebellen im Jemen eingesetzt .Als Folge gibt es jetzt schon über 100 000 Flüchtlin-ge . 80 Prozent der Bevölkerung sind von humanitärerHilfe abhängig. Diese Politik halten Sie auch noch fürrichtig? Es ist unglaublich, was hier passiert . Da musssich die Bevölkerung angesichts der vielen Flüchtlinge,mit denen wir es derzeit zu tun haben, wirklich an denKopf greifen . Und Sie reden weiterhin Rüstungsexpor-ten das Wort, weil sie eine effektive Möglichkeit wären,Fluchtursachen zu bekämpfen!
Abstruser geht es wirklich nicht mehr.
Ich muss sagen: Dazu fällt mir überhaupt nichts mehr ein .Da kann ich nur noch einmal auf heute Abend verwei-sen und der Bevölkerung nahelegen: Schauen Sie sichdie Dokumentation „Meister des Todes“ in der ARD an!
Wir sehen hier: Rüstungsexporte sind Geschäfte mit demTod . Deswegen lehnen wir sie grundsätzlich ab .
Vielen Dank, Frau Kollegin Hänsel. – Nächster
Redner in der Debatte ist der Kollege Westphal für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wo-rum geht es in dieser Aktuellen Stunde? Im Jahr 2008wurden 1 393 nach Mexiko exportierte G36-Gewehre imRüstungsexportbericht des Wirtschaftsministeriums un-ter der Verantwortung des damaligen Ministers MichaelGlos nicht registriert . Deshalb ist es unredlich, den jet-zigen Wirtschaftsminister für dieses Versäumnis verant-wortlich zu machen . Es ist jedoch unsere Aufgabe, diesenVorfall aufzuklären und dafür zu sorgen, dass so ein Ver-säumnis nicht wieder vorkommt. Diesen Anspruch mussein Parlament haben .
Nach den Informationen des Ministeriums, die unsbis heute vorliegen, ist im Jahr 2008 eine Genehmigungnach dem Kriegswaffenkontrollgesetz aus dem Jahr 2007zur Ausfuhr von G36-Gewehren nach Mexiko erweitertworden . Für den Rüstungsexportbericht des Jahres 2007konnten diese Lieferungen nicht mehr berücksichtigtwerden, da die Erhebung bereits abgeschlossen war, undfür 2008 wurden diese zusätzlichen Lieferungen nicht er-fasst, weil sie aus der Ursprungsgenehmigung von 2007resultierten . So ein Fehler hätte nicht passieren dürfen .Wenn wir vom Wirtschaftsministerium einen Rüstungs-exportbericht hier im Parlament vorgelegt bekommen,müssen wir als Abgeordnete davon ausgehen, dass ervollständig und verlässlich ist .
Wie es nun 2007 und 2008 war, hat die Staatssekre-tärin hier meiner Meinung nach gut vorgetragen . Das istsicherlich nicht in Ordnung gewesen; das hat sie zugege-ben. Aber dieser Fall taugt nicht zur Skandalisierung, wiees meine Vorredner hier versucht haben .
Damit sich so ein Fall in Zukunft nicht wiederholt,sind erste Maßnahmen, auch beim BAFA, getroffen wor-den . Eine Erweiterung von bereits erteilten Ausfuhrge-nehmigungen ist grundsätzlich nicht mehr zulässig . Ichdenke, die Maßnahmen, die das Ministerium unter derLeitung von Sigmar Gabriel hier getroffen hat, kann mannur begrüßen .Aber was auch zur Wahrheit gehört, ist, dass bereitsdie Fragen hier im Parlament zu diesem Fall 2009 – da-mals auf Anfrage des Abgeordneten Paul Schäfer von denLinken – beantwortet wurden. Der damalige Staatssekre-tär hat die genauen Stückzahlen genannt, bei denen ver-säumt wurde, sie im Rüstungsexportbericht aufzuführen .Ich denke, das ist etwas, was man mit erläutern muss.Ebenso muss darauf hingewiesen werden, dass dieBundesregierung seit einigen Jahren die Bearbeitung vonAusfuhrgenehmigungsanträgen im Hinblick auf Klein-waffen für Mexiko ganz ausgesetzt hat, weil es genaudie genannten Gründe gibt, diese Waffen nicht in dieseRegion zu liefern .Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die neuenTransparenzmaßnahmen, die wir in dieser Legislatur-periode eingeführt haben, werden das Parlament unddie Öffentlichkeit rechtzeitig und umfassend informiert.Dieser Rüstungsexportbericht wird zeitnah und zweimalim Jahr veröffentlicht. Das ist eine neue Entwicklungund bedeutet eine wesentliche Verbesserung gegenüberder bisherigen Praxis, dass die Veröffentlichung andert-Heike Hänsel
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halb Jahre gebraucht hat . Durch die Änderung der Ge-schäftsordnung werden nun auch die Entscheidungen desBundessicherheitsrates dem Parlament und dem Wirt-schaftsausschuss zeitnah mitgeteilt . Die Transparenz beiExporten von deutschen Rüstungsgütern wurde damiterheblich verbessert .Es zeigt sich, dass die bisherigen Mechanismen funk-tionieren. Ich denke, dass hier den berechtigten Interes-sen des Parlaments und der Öffentlichkeit Rechnung ge-tragen wird, aber ich sage auch ganz deutlich: Wir dürfenan diesem Punkt nicht stehen bleiben. Auch hier brau-chen wir eine Weiterentwicklung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-rung hat im Juli 2015 auf Vorschlag des Bundesminis-ters Sigmar Gabriel Eckpunkte für eine neue Regelungzur Kontrolle des Endverbleibs von Rüstungsgütern be-schlossen, die sogenannten Post-Shipment-Kontrollen .Es gilt der Grundsatz „Alt gegen Neu“ . Daneben sollkünftig nachträglich vor Ort im Empfängerland auchdie Ausfuhr von Kleinwaffen in Drittstaaten kontrolliertwerden . Empfänger von Waffen in Drittländern müssensich künftig in den geforderten Endverbleibserklärungenmit Kontrollen vor Ort einverstanden erklären. Die Vor-bereitung und die Durchführung erfolgen durch das Bun-desamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.Die Bundesregierung hat sich in Bezug auf die Ex-porte von Rüstungsgütern für eine strikte, restriktivePolitik ausgesprochen. Dies ist im Koalitionsvertragauch so verankert worden, ebenso wie die politischenGrundsätze von 2000 über Rüstungsexporte . In den Koa-litionsverhandlungen wurde darüber hinaus ausdrücklichfestgestellt, dass diese politischen Grundsätze weiterhinGültigkeit haben. Auf dieser Grundlage gibt es ebenfallseinen europäischen gemeinsamen Standpunkt, der sichdiesem Thema widmet, sodass diese Regeln ebenfallsgelten .Vor allem hinsichtlich der Genehmigung von Klein-waffen ist in den aktuellen Berichten zu sehen, dass diesepolitischen Maßnahmen greifen und es erhebliche Redu-zierungen gab . Das Volumen der genehmigten Exportevon Kleinwaffen an Drittländer betrug im Jahr 2014 rund22 Millionen Euro . Dieses ist auf 15 Millionen Euro re-duziert worden . Daran sieht man, dass schon eine Wir-kung eingetreten ist.Durch die sozialdemokratische Regierungsbeteiligunggibt es erfreuliche Fortschritte bei der Reduzierung undder Kontrolle von Rüstungsgütern . Deshalb werden wirden Wirtschaftsminister Gabriel auf diesem Weg weiterunterstützen .Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Westphal. – Nächster Red-ner in der Debatte: Hans-Christian Ströbele für Bünd-nis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich fand es in Ordnung, dass die Staatssekretärin Zyprieszugegeben hat, dass da etwas schiefgegangen ist, dassnämlich 1 393 G36-Gewehre in dem Bericht nicht aufge-taucht sind, und dass sie sich dafür entschuldigt hat . FrauZypries, es wäre vielleicht aber auch angemessen gewe-sen, an dieser Stelle einmal etwas zu dem eigentlichenProblem zu sagen, weshalb wir uns hier heute zu einerAktuellen Stunde treffen.
Dazu, dass mithilfe der Bundesregierung, mithilfedeutscher Waffen, mithilfe der Waffenlieferungen, diedie Bundesregierung genehmigt hat, obwohl sie wissenkonnte und musste, dass diese Waffen in falsche Händegeraten, unter anderem das Massaker in Iguala angerich-tet worden ist, bei dem 5 Studenten zum Teil bestialischermordet und 43 entführt worden sind, hätten Sie docheinmal etwas sagen können. Sie hätten sagen können,dass Sie das bedauern, dass es peinlich ist, dass in diesemZusammenhang G36-Gewehre auftauchen, und dass Siesich das zur Lehre dienen lassen . – Das hätte ich erwartet .
Stattdessen erzählt uns Herr Pfeiffer hier, dass es ei-gentlich richtig ist, G36-Gewehre zu liefern .
Er nennt Mali als Beispiel – gemeint war aber genausoMexiko –, und vielleicht hätte man noch mehr G36-Ge-wehre liefern sollen . Dies wird dann immer damit zuentschuldigen versucht, dass man sagt: Damit kann manüberhaupt erst rechtsstaatliche Verhältnisse herstellen,Sicherheit in dem jeweiligen Land schaffen und verhin-dern, dass es zu Flüchtlingen kommt und Menschen er-mordet werden .Wollen Sie nicht einmal zur Kenntnis nehmen, lieberHerr Kollege, dass hier genau das passiert ist, was wirimmer befürchtet und angemahnt haben? Wir haben im-mer gesagt: Es droht die Gefahr, dass vielleicht auch diedortige Polizei, an die wir die Gewehre liefern, die fal-sche Adresse sein kann. – Der Mann, der einen Studentenmit einem G36-Gewehr bestialisch ermordet haben soll,soll ein Polizist gewesen sein . Nehmen Sie doch einmalzur Kenntnis: Es gibt keine „guten“ Waffenexporte, mitdenen Kriminalität verhindert werden kann, die Sicher-heit schaffen und eine moralische Welt irgendwie in dieWege leiten .
Das ist genau der falsche Weg . Sie sollten vielleichtdas tun, was die Kollegin und auch ich gemacht haben,nämlich einmal nach Mexiko fahren, um sich dort mit derRegierung und der Industrie – oder wen Sie dort gerneBernd Westphal
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besuchen –, aber auch mit Menschenrechtsorganisatio-nen sowie mit Angehörigen von Betroffenen zu unterhal-ten .Ich war im April dort . Ich habe mit den Eltern einesder entführten Studenten gesprochen . Ich habe mit einemStudenten gesprochen, der sich gerade noch unter einemBus verbergen konnte und von dort aus die Tötung seinerKommilitonen miterlebte . Der hat mir das berichtet . Alldenen war klar – sie haben das auch kritisiert und hervor-gehoben –, mit welcher Waffenausrüstung die Polizei unddie Mafia – zum Teil zusammen – dort vorgehen. Dabeihandelte es sich unter anderem um G36-Gewehre . LangeZeit ist das bestritten worden, bis Fotos aufgetaucht sind,auf denen man die Nummern der G36-Gewehre feststel-len konnte. Man konnte auch genau feststellen, zu wel-chem Zeitpunkt sie aus Deutschland dorthin geliefertworden sind .Das sollten Sie sich einmal merken, wenn Sie viel-leicht in der Tradition der Bundeswehr denken: Wir ge-hen dorthin, helfen beim Kriegführen bzw . beim Aus-bilden . Wenn wir Waffen dorthin liefern, tun wir schonsehr viel Gutes . – Das ist genau der falsche Weg . DieseLehre sollten Sie den Studenten in Iguala zuliebe ziehen .43 sind verschwunden . Wahrscheinlich sind auch sie um-gebracht und dann verbrannt worden. 5 sind klar getötetworden .Das alles ist mit dem Segen und sogar auf Anre-gung – wahrscheinlich sogar auf Befehl – der örtlichenRegierung geschehen . Das Militär und die Polizei warenbeteiligt. Sie alle waren zusammen mit der Mafia dort.Das heißt, man kann in solchen Bürgerkriegsgebietensehr häufig gar nicht mehr unterscheiden, wer die Gutenund die Bösen sind, und man kann sich nicht fragen: Waskann man da machen? Welche Seite muss man stärken?Zumindest darf man keine Waffen mehr dorthin liefern,um nicht das Risiko einzugehen, dass diese Waffen zurgrausamen Ermordung von Unschuldigen gebraucht undmissbraucht werden .Wir treffen uns hier heute zur Aktuellen Stunde, umdarauf hinzuweisen; denn am Samstag ist der zweite Jah-restag dieses Massakers. Sie sollten sich daran genausowie wir erinnern, und Sie sollten daraus für Ihre täglichePolitik auch hier im Hause Schlussfolgerungen ziehen.
Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele. – Der nächste
Redner in der Debatte ist Andreas Lämmel für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Verehrter Herr Ströbele, Sie können sicher sein,dass uns die Ereignisse in Mexiko nicht kalt lassen.
– Sorry! Langsam, langsam! – Dass die Verquickung mitMafia bzw. Kriminellen einer Demokratie unwürdig ist,wird, glaube ich, in diesem Hause hier niemand bestrei-ten .Trotzdem muss man festhalten: Mexiko ist norma-lerweise ein demokratisch verfasstes System. Es findenWahlen statt, es gibt eine Armee, die einer demokrati-schen Kontrolle untersteht, und es gibt Polizeieinheiten,die einer demokratischen Kontrolle unterstehen. Dass esin Mexiko eine Verquickung zwischen all diesen mit denKriminellen gibt, ist natürlich ein Riesenproblem . Das istleider nicht nur in Mexiko so, sondern es gibt in der gan-zen Welt viele Länder, wo wir das Gleiche finden. Dassbei diesen Massakern, Entführungen und Morden mögli-cherweise deutsche Waffen eine Rolle gespielt haben, istwirklich sehr bedauerlich. Das ist überhaupt keine Frage.Aber Sie können das doch nicht in Zusammenhang mituns bringen und so tun, als ob Deutschland ein Ausrüsterfür Gangster in der Welt ist .
So stellen Sie das hier dar .
Der Herr van Aken nutzt solche Vorfälle, um darauseinen Skandal zu machen. Herr van Aken, ich habe esIhnen schon einmal gesagt: Ihre Parteivorgänger – dasist noch nicht lange her; wir feiern dieses Jahr 25 Jahredeutsche Einheit –, Ihre Vorgänger in der SED, warendie größten Waffenhändler in der Welt . Diese haben zwi-schen gerechten und ungerechten Kriegen unterschieden .
Wer einen gerechten Krieg führte, wurde mit Waffen aus-gerüstet, so war die Definition. Wer einen ungerechtenKrieg führte, wurde bekämpft. Diese damaligen Machen-schaften verliefen ohne jegliche demokratische Kontrol-le .Man kann schon sagen: Wir sind jetzt viel weiter. DieRüstungsexportkontrolle in Deutschland geschieht aufder Grundlage einer klaren Gesetzlichkeit. Die Grund-sätze dafür haben Sie mitentwickelt, Herr Ströbele.
Hans-Christian Ströbele
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Das sind die Grundsätze aus der rot-grünen Regierungs-zeit .
Insofern kann das, was wir in Deutschland machen, nichtso schlecht sein .
– Sie werden eingehalten . Ich meine, die Staatsanwalt-schaft wird in diesem Falle sehen, ob möglicherweiseGesetzesverletzungen zu verzeichnen sind oder nicht .Ich möchte die andere Seite Deutschlands hervorkeh-ren, die überhaupt nie eine Rolle spielt . Deutschland isteiner der größten Abrüster in der Welt . Das wird immervöllig vergessen und nirgendwo diskutiert. Aktuelles Bei-spiel ist die Streumunition . Diejenigen, die sich mit demThema befassen, kennen das genau: Deutschland hattedie größten Mengen an Streumunition in seinen Lagernliegen und hat – vorfristig – gemäß der UNO-Konventiondie gesamte Streumunition vernichtet . Russland, China,Brasilien und andere Länder haben die Konvention nochnicht einmal unterschrieben .Ich erinnere auch an die Vernichtung der Giftgasbe-stände aus Syrien . Das war ein großer Beitrag für die Re-gion, der dazu diente, dem syrischen Regime die Giftgas-waffen aus der Hand zu nehmen . Deutschland war sofortund an vorderster Stelle mit dabei .
Ich denke an die Abrüstung der russischen Atom-U-Boot-Flotte . Mehrere 100 Millionen Euro haben wir indas Projekt gesteckt, damit russische U-Boote die Weltnicht mehr unsicher machen können. Ich denke auch anden zivilen Aufbau in Afghanistan, der uns sehr viel Geldgekostet hat und der Friedenssicherung unter militäri-schem Schutz gedient hat .
Wissen Sie, man muss all das im Zusammenhang se-hen. Ich komme auf das Beispiel zurück, das KollegePfeiffer angeführt hat und bei dem Sie gesagt haben: Esgibt keinen Zusammenhang zwischen Flüchtlingsströ-men und der Rolle Deutschlands in der Welt . – Natürlichist das so .
Wenn wir in Somalia versuchen, einen zusammen-gebrochenen Staat wieder aufzubauen, ihm wieder zustaatlicher Macht zu verhelfen – das Gleiche gilt auchfür Mali und andere Länder in der Welt –, dann heißt dasnatürlich: Wenn man Streitkräfte oder eine Polizei auf-bauen will, dann muss man diesen Menschen eine Waffegeben. Sie können natürlich mit Holzstöcken losgehen;das ist klar. Dann haben sie aber keine Chance gegen dieKriminellen . Sie brauchen einfach Waffen . Leider – dasist nun einmal so – muss jemand die Ausrüstung bereit-stellen. Deutschland liefert Waffen in die Welt; gar keineFrage . Aber die Grundsätze, nach denen diese Waffenex-porte genehmigt werden, sind die schärfsten und härtes-ten in der Welt; das wissen Sie ganz genau.
Ich sage zusammenfassend: Die Sache mit den Waf-fenlieferungen nach Mexiko ist für alle erschütternd.Aber, Herr van Aken, sie kann nicht dazu dienen, dieRolle Deutschlands zu skandalisieren; das möchte ichIhnen noch einmal ganz deutlich sagen .
Vielen Dank, Herr Lämmel. – Nächster Redner in un-
serer Aktuellen Stunde ist Frank Schwabe für die SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Verehrte Damen und Herren! Ich finde, dass dies in derTat eine richtige und wichtige Debatte ist . Es ist gut, dasswir sie hier führen . Es ist schon Werbung für den Film,der heute Abend läuft und den auch ich sehr gut finde,gemacht worden. Ich glaube, Schleichwerbung kann manuns nicht unterstellen . So viele schauen sich die Debattewahrscheinlich nicht an . Aber es ist eine wichtige De-batte .Es ist auch wichtig, Herr van Aken – das war auch beiIhnen, Frau Brugger, ein bisschen so –, dass wir zwischenFiktion und Wirklichkeit unterscheiden. Es ist eben einFilm, und nicht alles, was darin vorkommt, entspricht amEnde der Wahrheit .Es gibt ein paar Hinweise, dass es Verquickungen gab,die untersucht werden müssen .
Es gibt in Deutschland aber die Gewaltenteilung, undletzten Endes sind die Gerichte dafür zuständig, genau zuuntersuchen, um was es sich dabei handelt .Der Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bun-destages wird in einigen Tagen nach Mexiko reisen. Ei-gentlich steht die Reise unter der Überschrift Wirtschaftund Handel im Zusammenhang mit Menschenrechten,aber natürlich werden wir uns die Lage vor Ort ansehen .Wir werden der Frage nachgehen, was dort passiert ist,und wir werden uns vor allen Dingen damit befassen, wiedas eigentlich in Zukunft wird.So gut es ist, dass es jetzt neue Regelungen gibt: Zen-tral ist, glaube ich, am Ende, dass diese Regeln auch kon-trolliert werden. Das wird der Lackmustest sein, ob das,was es jetzt an guten neuen Grundsätzen gibt, dann auchmit Leben gefüllt wird .Sigmar Gabriel und auch die SozialdemokratischePartei stehen dafür, dass es eine strengere Rüstungskon-trolle geben soll. Damit hat er nicht nur Panzer, RaketenAndreas G. Lämmel
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und U-Boote gemeint, sondern vor allen Dingen soge-nannte Kleinwaffen . Man wundert sich immer über denBegriff „Kleinwaffen“ . Wenn man diese Waffen sieht,zeigt sich, dass es alles andere als kleine Waffen sind. EinZitat von Sigmar Gabriel vom Mai: Es sind Kleinwaffen,die in Bürgerkriegen die meisten Menschenleben kosten.In der Tat, darüber wird zu diskutieren sein. AberSigmar Gabriel, die Sozialdemokratie und die gesamteBundesregierung werden sich daran messen lassen müs-sen, und dazu muss man eine entsprechende Bilanz vor-legen .Ich finde, das, was Sigmar Gabriel dazu gesagt hat,hebt sich wohltuend von manchen Debattenbeiträgen ab,die auch heute in diesem Hause gehalten wurden, unddamit meine ich durchaus mehrere Fraktionen.
– Bitte sehr .Heute Abend gibt es den Themenabend mit dem Film„Meister des Todes“ in der ARD . Ich will noch einmal sa-gen, dass es ein sehenswerter, spannender und wichtigerFilm ist . Wir hatten über Amnesty International eine ArtVorpremiere im Deutschen Bundestag organisiert . Dabeihat Rainer Arnold, unser verteidigungspolitischer Spre-cher, für die Sozialdemokraten gesprochen. Es ist mirauch wichtig, dass wir zwischen den Menschenrechtlernund denjenigen unter den Wirtschaftspolitikern, Vertei-digungspolitikern und Außenpolitikern, die für Latein-amerika zuständig sind, eine gemeinsame Linie haben.Er hat deutlich gemacht, dass es auch bei Waffenexportenverteidigungspolitische Interessen gibt . In dieser Ansichtunterscheiden wir uns unter den Fraktionen im Haus.Aber es ist keine zentrale wirtschaftspolitische Frage,und es darf auch keine zentrale wirtschaftspolitische Fra-ge sein . Ich glaube, es wäre falsch, wenn wir die Dingeso diskutieren würden.
Auch das muss ehrlich gesagt werden – dabei brichteinem kein Zacken aus der Krone –, dass beim Exportvon Waffen nach Mexiko ziemlich viel schiefgegangenist . Das ist ganz offensichtlich . Dabei gab es anscheinendkriminelle Energie, und das muss juristisch aufgearbeitetwerden. Dazu kommt – das ist aber eine andere Frage –ein Dokumentationsversäumnis der Bundesregierung,das von der Staatssekretärin auch offen eingeräumt wur-de – auch dabei bricht einem kein Zacken aus der Kro-ne –, dass es scheinbar keine bewusste Verschleierungsein sollte, sondern eher sozusagen ein Fehler im Systemwar . Das wird angesichts der Dimension der Zahlen et-was deutlicher . Dass man die Lieferung von 8 000 oder9 000 Waffen eingesteht und 1 300 verschleiern wollte,macht für die öffentliche Debatte keinen Sinn.Kleinwaffen – um auch das noch einmal klarzu-machen – töten jedes Jahr bis zu einer halben MillionMenschen . Das heißt, ungefähr 1 000 Menschen pro Tagsterben durch Kleinwaffen . Weltweit gibt es 900 Millio-nen Kleinwaffen, und viele davon sind in der Tat in denfalschen Händen. Dort sind sie irgendwie hingekommen,und deswegen muss man beim Export ganz vorsichtigsein . Heide Simonis hat sie als frühere Vorsitzende vonUNICEF Deutschland als „Massenvernichtungswaffenunserer Zeit“ bezeichnet .Tatsache ist, dass mit Kleinwaffen aus Deutschland inTeilen der Welt großes Unheil angerichtet wurde . Das hatetwas damit zu tun, dass die Regeln und die Kontrollenicht gestimmt haben. Beides hat nicht funktioniert. Des-wegen ist es gut – das ist schon angesprochen worden –,dass es neue Grundsätze für den Export von Kleinwaf-fen gibt, nämlich den Grundsatz „Neu für Alt“, der auchwirklich effizient umgesetzt werden muss – es muss eineeffiziente Endverbleibskontrolle geben –, und dass zumBeispiel nach Mexiko zurzeit überhaupt keine Waffengeliefert werden, weil nicht sicherzustellen ist, in wel-chen Händen die Waffen in Mexiko landen.Wenn wir in Mexiko sind, werden wir sicherlich auchden Militärattaché treffen . Ich habe schon den einen oderanderen Militärattaché getroffen und war mir nie ganz si-cher, wie er seine Aufgabe sieht. Ich finde, die erste Auf-gabe eines Militärattachés muss sein, für die Rüstungs-exportkontrolle zu sorgen und sie entsprechend effizientumzusetzen .Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Schwabe. – Nächster Redner
in der Aktuellen Stunde: Helmut Nowak für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Seit 2000 informiert die Bundesregierungregelmäßig über deutsche Rüstungsexporte durch denjährlichen Rüstungsexportbericht . Wie im Koalitionsver-trag vereinbart, wollen wir für mehr Transparenz sorgen .Das ist uns auch gelungen . So gibt es seit 2014 zusätzlicheinen halbjährlichen Zwischenbericht . Damit wird dieÖffentlichkeit detailliert informiert, in welche Länder dieExporte gehen, wie viele Genehmigungen es gab, welcheGüter versendet wurden und um welchen Gesamtwert essich handelt . Das geschieht bei jedem einzelnen Auftrag,auch bei dem Export nach Mexiko. Dass die Genehmi-gung von 1 393 G36-Sturmgewehren im Jahr 2008 nachMexiko nicht im entsprechenden Rüstungsexportberichtaufgeführt wurde, ist ein Fehler; so etwas darf nicht pas-sieren. Aber unsere Parlamentarische Staatssekretärin hatdazu sehr deutlich gesagt – deshalb will ich dazu keinenäheren Ausführungen machen –, wie es dazu kam undwie in Zukunft solche Fehler verhindert werden. Sie hatsich zudem im Namen der Bundesregierung entschul-digt. Sie, Herr van Aken, haben das im Ausschuss bereitspositiv bewertet . Es war sinnvoll, dass das so verlaufenist. Die Situation ist also weitgehend aufgeklärt. Aller-dings werden die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungenmöglicherweise noch etwas andauern . Spätestens mit derFrank Schwabe
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schriftlichen Anfrage des Kollegen Schäfer von 2009 hatdie Bundesregierung die Genehmigung der Ausfuhr derG36 öffentlich bekannt gegeben.Nach meiner Ansicht wollen die Linken diesen ein-gestandenen Fehler offensichtlich dazu nutzen, wiedereinmal über Rüstungsexporte zu diskutieren, diese zudiskreditieren und möglichst generell zu stoppen.
Deshalb möchte ich generell einige Ausführungen zuden Rüstungsexporten machen . Im Vergleich zu anderenLändern auch und gerade im transatlantischen Bündnishaben wir uns für klar definierte Hürden bei der Geneh-migung und der Kontrolle von Rüstungsexporten aus-gesprochen, wie Sie wissen . Angenommen, wir würdensämtliche Rüstungsexporte verbieten: Was würde dasbringen? Würde dadurch auch nur ein Krieg verhindertwerden? Ich glaube es nicht . Die Folge wäre lediglich,dass unsere Exporte dann von anderen Ländern über-nommen würden, deren Kontrollen und Anforderungenan den jeweiligen Partner eher geringer ausfallen .Zudem träfen die negativen Folgen eines generellenVerbots von Rüstungsexporten einzig und allein unsselbst . Ein generelles Verbot der Ausfuhr deutscher Si-cherheitsprodukte würde in vielen Fällen das Ende vonEntwicklung und Produktion von Sicherheitsgütern inDeutschland bedeuten . Als Ergebnis stünde der Verlustvon zehntausend Arbeitsplätzen fest . Noch bedeutenderallerdings wäre, dass unser Land dann vollständig ab-hängig von Importen würde und wir die Kontrolle überunsere eigene nationale Sicherheit verlieren würden . Daskann nicht Ziel einer verantwortungsvollen Außen- undSicherheitspolitik sein. Es ist jedenfalls nicht das Ziel derGroßen Koalition .Wir sollten uns nicht verunsichern lassen . Die deut-sche Rüstungsexportpolitik war immer eine Politik derSelbstbeschränkung, die darauf abzielte, unsere Stan-dards europaweit, bündnisweit und letztendlich internati-onal durchzusetzen . Das muss weiterhin unser Ziel sein .Aber das erreichen wir nicht durch ein Verbot der Rüs-tungsexporte; denn das würde unsere auf Transparenzund Nachvollziehbarkeit aufbauende Politik konterka-rieren, ganze Industriebereiche und deren Arbeitsplätzevernichten und uns letztendlich eine fatale Abhängigkeitbescheren, ohne dass dadurch die Gesundheit oder gardas Leben der Menschen in anderen Ländern geringergefährdet würde, da es lediglich zur Substitution der Lie-feranten käme, insbesondere aus Ländern ohne unserestrengen Waffenexportbestimmungen .Abschließend: Wir wollen unsere wettbewerbsfähigenUnternehmen erhalten und Technologien im Inland för-dern . Wir wollen bei den Kontrollen von Rüstungsexpor-ten weiterhin weltweit Standards setzen und mit gutemBeispiel vorangehen . Wir wollen unseren Bürgern auchin Zukunft eine wirksame Landesverteidigung garantie-ren . Wir wollen anderen Ländern dieselbe sichere undstabile Landesverteidigung nicht verwehren . Deshalbhalten wir Rüstungsexporte für unverzichtbar, allerdingsbei Beibehaltung der strengen Kontrollen der Rüstungs-exporte . Es wäre gut, wenn wir nicht außer Acht ließen,was andere Länder wie Russland und China machen .Dann brauchten wir uns nicht permanent mit uns selbstzu beschäftigen .Herzlichen Dank.
Danke, Herr Nowak. – Nächster Redner in der Debat-
te: Klaus Barthel für die SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich finde es gut, dass wir über diese Vorgänge bei denRüstungsexporten nach Mexiko sprechen, zum einen,weil wir so noch einmal über Lücken diskutieren kön-nen, die es in der Exportpraxis bisher gegeben hat, undzum anderen, weil wir noch einmal über die Situation inMexiko sprechen können. Ich glaube, beide Themen sindes wert, hier beleuchtet zu werden .Kollege Pfeiffer, ich finde es richtig und wichtig, dasswir in diesem Zusammenhang einmal über Fluchtursa-chen reden. Man kann sich das Ganze in Mexiko gut an-schauen, woher jährlich Hunderttausende von Menschenin die USA fliehen. Die Frage, die wir hier diskutierenmüssen, ist, ob diese Menschen deswegen fliehen, weiles in Mexiko zu wenige Waffen, auch bei der Polizei undbeim Staat, gibt oder ob es nicht vielleicht umgekehrt ist:dass in diesem Land viel zu viele Waffen unterwegs sind,vor denen die Menschen flüchten.
Man kann anhand der Fluchtursachen gut erkennen,wohin es führt, wenn die USA zum Beispiel ihre Ab-schiebungen von illegal immigrierten Mexikanerinnenund Mexikanern in den letzten Jahren verfünffacht ha-ben – auf 360 000 – und welche Basis für Kriminalitätund Gewalt diese aus den USA zurückgeschobenen Men-schen in diesem Land bedeuten .
Auch diese Debatte lohnt sich im Vergleich zu der, diewir hier über die deutsche Praxis führen .Ich glaube, dass wir insgesamt Mexiko gerecht wer-den müssen, dass wir es differenziert betrachten müssen .Für uns ist es ein wichtiger Partner, auch wirtschaftlich .Es wird dort viel investiert, gerade aus der Bundesrepu-blik. Es gibt dort eine sehr exportorientierte Industrie,größer als im gesamten restlichen Lateinamerika. Mexi-ko engagiert sich zum Beispiel im Rahmen des ATT, alsodes Vertrages zur Bekämpfung von Rüstungshandel. Eswill dabei die erste Vertragsstaatenkonferenz ausrichten.Helmut Nowak
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Da gibt es also Anknüpfungspunkte für eine Zusammen-arbeit .Wir müssen aber umgekehrt auch sehen, dass die Hälf-te der Menschen in Mexiko in bitterer Armut lebt, dassdie Ungleichheit weiter zunimmt, auch unter den Bedin-gungen einer neoliberalen Politik. Selbst in der erfolg-reichen Autoindustrie sind die Löhne in den letzten fünfJahren um 10 Prozent gesunken. Gleichzeitig nehmenGewalt, Verbrechen und Drogen zu . 500 000 Menschenleben direkt vom Drogenhandel, und eine kaum schätz-bare Zahl Menschen lebt indirekt davon. Es herrscht einhohes Maß an Straflosigkeit. Die Kriminalität nimmttrotz all der Waffen zu, die da unterwegs sind und dieauch der Staat bekommt. Wir haben es also mit einemschwachen Staat zu tun, der zum Teil auch noch von derorganisierten Kriminalität unterwandert ist . Das Vertrau-en der Bevölkerung in diesen Staat ist äußerst gering.Deswegen schaut es dort mit der inneren Sicherheit soaus, wie es dort aussieht . Die Rüstungsausgaben sind inden letzten zehn Jahren verdoppelt worden . Die Polizeiwurde ausgerüstet und vergrößert . Das Militär wurde alsOrdnungsfaktor im Inneren eingesetzt. Trotzdem entste-hen noch Bürgerwehren, die die Leute dort selber organi-sieren, weil sie sich gegen Verbrechen schützen wollen .Die Menschenrechtsverletzungen bleiben .Aber man muss auch sagen – insofern müssen wirin dieser Debatte immer ein bisschen aufpassen, wennwir über G36 sprechen -: 90 Prozent der Gewehre, die inMexiko unterwegs sind, stammen aus den USA, weil eseinen schwunghaften Handel Drogen gegen Waffen gibt:Aus Mexiko kommen die Drogen, und dorthin kommendann aus den USA Waffen zurück. Deutsche Lieferantenvon Gewehren sind also nicht die einzigen . Das Ganzemuss man einmal in der richtigen Relation sehen .Was folgt aus alledem? Ich hätte eigentlich gehofft,dass wir dieses Thema heute ein bisschen breiter be-trachten. Über Rüstungsexportpolitik in Deutschland istgeredet worden . Wir haben schon Konsequenzen gezo-gen. Herr van Aken, Sie werden zugeben müssen: Alleinschon das, was Sie inzwischen an Informationen vondieser Bundesregierung in diesem Bereich bekommen,unterscheidet sich meilenweit von dem, was in dem Zeit-raum geschehen ist, über den wir hier reden . Da hat sichwirklich vieles verändert. Über andere Sachen ist schongeredet worden . Mir würde noch daran liegen, dass wirüber die Frage „Wo hapert es denn jetzt noch im Bereichder Kontrollen?“ sprechen . In diesem Zusammenhangsollten wir auch über die Frage der Sanktionen reden,also darüber: Was passiert eigentlich, wenn zum BeispielEndverbleibsklauseln nicht eingehalten werden? Darü-ber weiter zu reden, lohnt sich wirklich.Ebenfalls lohnt es sich, über unsere Beziehungen zuMexiko weiter zu reden. Ich denke, hier braucht es ein-mal eine kritische Bestandsaufnahme. Man konzentriertsich momentan sehr stark auf den Sicherheitsbereich. Esgibt jetzt eine neue binationale Kommission, deren The-men auf die Felder Wirtschaft, Umwelt, Kultur, Wissen-schaft usw . ausgeweitet werden . Aber was wir doch se-hen müssen, ist, dass das alles nicht reicht . Wir brauchenmehr Rechtsstaatsdialog, mehr sozialen Dialog in diesemLand, mehr soziale Gerechtigkeit, eine Stärkung der Zi-vilgesellschaft, humanitäre Hilfe, zum Beispiel für dieTransmigranten, die durch dieses Land gehen, die auchNahrung für die Kriminalität dort sind . Wir braucheneine neue Handelspolitik, auch zu Mexiko.
Und wir brauchen das Ende der Rede .
Herr Kollege Pfeiffer, ich finde ganz toll, was ich von
Ihnen gelesen habe: Wir brauchen auch eine neue Dro-
genpolitik. – Das hat auch viel mit den Sicherheitspro-
blemen und mit der Gewalt in Mexiko zu tun.
Vielen Dank, Kollege Barthel. – Die letzte Redne-
rin in dieser Debatte ist Julia Obermeier für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Rüstungsexportbericht der Bundesregie-rung für das Jahr 2014 zeigt, dass wir eine sehr zurückhal-tende Exportpolitik verfolgen. Vor allem für den Exportin Entwicklungsländer und den Export von Kleinwaffenwurde die Zahl der Genehmigungen drastisch reduziert .
Der Gesamtwert der genehmigten Ausfuhren von Rüs-tungsgütern ging deshalb gegenüber dem Vorjahr erheb-lich zurück: von 5,87 Milliarden Euro auf 3,97 Milliar-den Euro . Das sind insgesamt gut 1,8 Milliarden Euroweniger .
Sehr geehrte Damen und Herren, die deutsche Wirt-schaft lebt zu einem Großteil vom Export . Der Export istein wesentlicher Faktor für unseren Wohlstand.
Das gilt aber auch für die hochtechnologische Luft-und Raumfahrt sowie für die Wehrtechnik. An ihr hän-gen Zigtausende Arbeitsplätze . Derzeit sind es circa80 000. Durch den Ausstrahlungseffekt kommen weitere200 000 Arbeitsplätze dazu .Ihre Kollegen von den Linken im Wolgaster Stadtrat,Herr van Aken, haben bereits schlüssig erklärt, welcheBedeutung der Export von Rüstungsgütern hat . So er-kennen Ihre Parteigenossen den Bau von 100 Patrouil-Klaus Barthel
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lenbooten für Saudi-Arabien als Bereicherung für dieRegion an .
– Ich zitiere, Herr van Aken, aus einer PressemitteilungIhrer Kollegen, nämlich von der Linksfraktion im Wol-gaster Stadtrat, vom 3 . März 2014 .
Sie schreiben dort, der Export bringe – ich zitiere – „einePerspektive für viele Familien in Wolgast und Umge-bung“ . Und:Auszubildende haben ... wieder eine Zukunft. Eslohnt sich hierzubleiben!So viel zur regionalen Auswirkung von Rüstungsexpor-ten .
Aber auch bei globaler Betrachtung haben wir als eineder größten Handelsnationen der Welt ein vitales Interes-se daran, weiterhin Rüstungsgüter herzustellen und auchzu exportieren .
Natürlich ist jeder Rüstungsexport eine delikate politi-sche Entscheidung, aber auch eine wichtige, die sowohlaußen- und sicherheitspolitische, als auch industriepoliti-sche Fragen betrifft . Diese Fragen sollten wir uns stellen .Wir sollten uns auch fragen: Welche Industriepolitikwollen wir im Rüstungsbereich? Wenn wir keinerlei Rüs-tungsexporte wollen, dann müssen wir den 80 000 Be-schäftigten in der wehrtechnischen Industrie aber auchsagen: Verlasst unser Land!
Unsere Partner im Ausland rollen ihnen den roten Tep-pich aus; denn dort gibt es wenige bis keinerlei Bedenkenbei Rüstungsexporten .
Unsere Nachbar- und Partnerländer haben sogar eingroßes Interesse daran, unsere qualitativ hochwertigenwehrtechnischen Produkte zu bekommen.Wir sollten uns also genau überlegen, was wir wollen,
außen- und sicherheitspolitisch, aber auch industriepo-litisch: Wollen wir einen unwiderruflichen Abfluss vonKompetenz und hochqualifizierten Arbeitskräften? Wol-len wir uns abhängig machen von Lieferungen andererNationen, oder wollen wir weiterhin modernstes Materi-al und bestes Gerät zum Schutz unserer Soldatinnen undSoldaten selbst entwickeln können?Unsere Produkte gehören zu den weltweit besten. IhreWeiterentwicklung liegt in unserer Verantwortung.In unserer Verantwortung liegt aber auch, dass wir diedeutschen Rüstungsexporte gewissenhaft gestalten undkontrollieren; das tun wir auch.Um mehr Transparenz zu schaffen, haben wir be-schlossen, dass der Rüstungsexportbericht noch vor derSommerpause des Folgejahres veröffentlicht und jeweilsim Herbst ein Zwischenbericht vorgelegt wird . Die Bun-desregierung informiert zudem den Deutschen Bundes-tag innerhalb von zwei Wochen über positive Entschei-dungen des Bundessicherheitsrats .Sehr geehrte Damen und Herren, Rüstungsexportesind ein wichtiges Werkzeug unserer Außen- und Sicher-heitspolitik. Sie sind auch notwendig für den Fortbestandunserer unabhängigen, hoch technologisierten wehr-technischen Industrie. Diese Industrie und ihre Produktebrauchen wir zum Schutz unserer Soldatinnen und Sol-daten . Für die haben wir alle hier im Hohen Haus einegroße Verantwortung zu tragen .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Obermeier. – Damit ist
diese Aktuelle Stunde beendet. Wir sind am Schluss un-
serer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 24 . September 2015,
9 Uhr, ein. Da geht es um die Flüchtlingspolitik und um
die Nachhaltigkeitsziele. Es wäre gut, wenn man das
ganz in Ihrem Sinne miteinander verbindet, dass wir auch
darüber einmal reden .
Die Sitzung ist damit geschlossen . Ich wünsche Ihnen
noch einen schönen Restmittwoch .