Protokoll:
18111

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 111

  • date_rangeDatum: 17. Juni 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 17:47 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/111 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 111. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) Drucksache 18/5170 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10643 B b) Antrag der Abgeordneten Birgit Wöllert, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Hochwertige Pal- liativ- und Hospizversorgung als sozia- les Menschenrecht sichern Drucksache 18/5202 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10643 B Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10643 C Pia Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 10645 A Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10646 A Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10647 B Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10648 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10650 B Helga Kühn-Mengel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 10651 A Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10652 A Emmi Zeulner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10652 D Bettina Müller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10654 A Erwin Rüddel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 10654 D Tagesordnungspunkt 2: Befragung der Bundesregierung: Beschluss zur Nichtinanspruchnahme der Übergangs- regelungen der zweiten Stufe des Beitritts- vertrags mit Kroatien in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Entsen- dung von Arbeitnehmern bei der grenzüber- schreitenden Dienstleistungserbringung für den Zeitraum ab 1. Juli 2015; weitere Fra- gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10655 D Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10655 D Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10656 C Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10656 C Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10657 A Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10657 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10657 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10657 C Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 10658 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10658 B Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10658 D Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10658 D Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10659 A Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10659 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . 10659 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10659 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10659 D Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10659 D Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10660 A Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10660 B Angelika Glöckner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 10660 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10660 B Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10660 C Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10660 C Tagesordnungspunkt 3: Fragestunde Drucksache 18/5160 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10660 D Mündliche Frage 10 Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ergebnisse des Staatssekretärsauschusses Tierschutz zur Kleingruppenhaltung Antwort Dr. Maria Flachsbarth, Parl. Staatssekretärin BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10661 A Zusatzfragen Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10661 B Mündliche Fragen 13 und 14 Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) EU-Richtlinie für eine Frauenquote in Auf- sichtsräten börsennotierter Unternehmen Antwort Elke Ferner, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10662 A Zusatzfragen Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10662 B Mündliche Frage 15 Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stopp der Bohrarbeiten für den Fildertun- nel bei Stuttgart-Fasanenhof aufgrund feh- lender Unterfahrungsrechte Antwort Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10662 D Zusatzfrage Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10663 A Mündliche Frage 16 Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Erhalt und Ausbau des Neckars durch den Bund Antwort Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10663 B Zusatzfragen Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10663 C Tagesordnungspunkt 4: Vereinbarte Debatte: 17. Juni 1953 – Für Freiheit, Recht und Einheit . . . . . . . . . . . . . 10664 B Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 10664 C Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10665 D Iris Gleicke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10667 B Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10668 C Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10669 B Thomas Jurk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10670 B Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10671 C Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10672 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10673 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 10675 A Anlage 2 Mündliche Frage 1 Katrin Kunert (DIE LINKE) Maßnahmen und Projekte zur Umsetzung der Berliner Erklärung „Gemeinsam gegen Homophobie – für Vielfalt, Respekt und Akzeptanz im Sport“ Antwort Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10675 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 III Anlage 3 Mündliche Frage 2 Andrej Hunko (DIE LINKE) Durch Frontex initiierte Projekte zur Über- wachung des Handels mit und der Nutzung von verdächtigen Schiffen Antwort Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10676 B Anlage 4 Mündliche Frage 3 Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Ausgeschiedene Beamte des Direktoriums der BaFin mit einer im Zusammenhang mit ihrem letzten Dienstverhältnis stehen- den neuen Tätigkeit in den letzten zehn Jahren Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10676 D Anlage 5 Mündliche Frage 4 Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Unter Verzicht auf Versorgungsansprüche und -bezüge ausgeschiedene Beamte des Direktoriums der BaFin in den letzten zehn Jahren Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10677 A Anlage 6 Mündliche Frage 5 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Todesfälle durch Kontakt mit Asbest seit 2010 Antwort Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretärin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10677 A Anlage 7 Mündliche Frage 6 Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) Streikanzeigepflicht der Deutschen Post bei der Agentur für Arbeit hinsichtlich des derzeit stattfindenden Streiks Antwort Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretärin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10678 A Anlage 8 Mündliche Frage 7 Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) Etwaige Vermittlung von Arbeitskräften während des Poststreiks durch die Bundes- agentur für Arbeit an die Deutsche Post Antwort Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretärin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10678 B Anlage 9 Mündliche Frage 8 Harald Weinberg (DIE LINKE) Zuständige Behörde für die Erstattung von durch sich illegal in Deutschland auf- haltende Flüchtlinge entstehenden Kranken- hauskosten Antwort Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretärin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10678 D Anlage 10 Mündliche Frage 9 Harald Weinberg (DIE LINKE) Behördliche Zuständigkeiten für illegal in Deutschland lebende Flüchtlinge Antwort Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretärin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10679 B Anlage 11 Mündliche Frage 11 Katrin Kunert (DIE LINKE) Berücksichtigung zusätzlicher Krankheits- bilder anlässlich des Fachsymposiums zum Entschädigungsverfahren für Radarstrah- lengeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10679 C IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 Anlage 12 Mündliche Frage 12 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Teilnehmer der Bundesregierung an der Bilderberg-Konferenz im Juni 2015 in Ti- rol Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10679 D Anlage 13 Mündliche Frage 17 Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Kosten für die beiden Schiedsverfahren zwischen Bund und Toll Collect Antwort Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10680 A Anlage 14 Mündliche Frage 18 Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anzahl der Verhandlungen im Zusammen- hang mit den beiden Schiedsverfahren zwi- schen Bund und Toll Collect seit Oktober 2014 Antwort Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10680 B Anlage 15 Mündliche Frage 19 Herbert Behrens (DIE LINKE) Umbau des ehemaligen Fliegerhorsts Fried- richsfeld zum Nachweis von Ausgleichsflä- chen für geschützte Vogel- und Pflanzenar- ten Antwort Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10680 C Anlage 16 Mündliche Frage 20 Herbert Behrens (DIE LINKE) Wirksamkeit von CEF-Maßnahmen Antwort Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10680 D Anlage 17 Mündliche Frage 21 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Konzept zur Verteilung der ausstehenden Castoren mit verglasten radioaktiven Wie- deraufarbeitungsabfällen auf verschiedene standortnahe Zwischenlager Antwort Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10681 A Anlage 18 Mündliche Frage 22 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Offene Fragen zum Atomkraftwerk Gund- remmingen der vom BMUB beauftragten Sachverständigenorganisationen Antwort Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10681 C Anlage 19 Mündliche Frage 23 Ulla Jelpke (DIE LINKE) Gesamtkosten des G-7-Gipfels in Elmau Antwort Dr. Helge Braun, Staatsminister BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10682 A Anlage 20 Mündliche Frage 24 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ausgaben des Bundesnachrichtendienstes für Bewirtung, Beherbergung und Fahrge- schäfte anlässlich des Münchner Oktober- fests seit 2005 Antwort Klaus-Dieter Fritsche, Staatssekretär BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10682 B Anlage 21 Mündliche Frage 25 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bereichsausnahme für Friedhofs- und Be- stattungsdienstleistungen im Rahmen des Annex des CETA-Abkommens Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 V Antwort Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10682 C Anlage 22 Mündliche Frage 26 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ausschöpfung der De-minimis-Regelung bei der geplanten Ausschreibung von Wind- energieanlagen Antwort Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10682 D Anlage 23 Mündliche Frage 27 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Treffen zwischen der Bundesregierung und Branchenvertretern seit Vorstellung des Eckpunktepapiers des BMWi zur CO2- Minderung im Kraftwerkspark Antwort Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10683 A Anlage 24 Mündliche Frage 28 Sevim Dağdelen (DIE LINKE) Export militärischer Ausrüstung in die Ukraine seit 2014 Antwort Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10683 B Anlage 25 Mündliche Frage 29 Sevim Dağdelen (DIE LINKE) Eignung Saudi-Arabiens als Bündnispart- ner im Kampf gegen den islamistischen Fundamentalismus bzw. Terrorismus Antwort Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10684 A Anlage 26 Mündliche Frage 30 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Rückgang der Zustimmung in Deutschland zur NATO Antwort Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10684 C Anlage 27 Mündliche Frage 31 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Position der Bundesregierung zu einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine Antwort Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10684 C Anlage 28 Mündliche Frage 32 Andrej Hunko (DIE LINKE) Abweichung von Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die Ukraine Antwort Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10684 D Anlage 29 Mündliche Frage 33 Ulla Jelpke (DIE LINKE) Wartezeiten für die Beantragung eines Vi- sums zur Familienzusammenführung zu in Deutschland anerkannten syrischen Flüchtlingen in den deutschen Botschaften im Nahen Osten Antwort Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10685 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 10643 (A) (C) (D)(B) 111. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 Beginn: 13.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 10675 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht (D) Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.06.2015 Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.06.2015 Baumann, Günter CDU/CSU 17.06.2015 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.06.2015 Dinges-Dierig, Alexandra CDU/CSU 17.06.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.06.2015 Dr. Gambke, Thomas BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.06.2015 Groneberg, Gabriele SPD 17.06.2015 Groß, Michael SPD 17.06.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 17.06.2015 Hellmuth, Jörg CDU/CSU 17.06.2015 Ilgen, Matthias SPD 17.06.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 17.06.2015 Kunert, Katrin DIE LINKE 17.06.2015 Liebich, Stefan DIE LINKE 17.06.2015 Müller (Chemnitz), Detlef SPD 17.06.2015 Weinberg, Harald DIE LINKE 17.06.2015 Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Günter Krings auf die Frage der Abgeordneten Katrin Kunert (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 1): Welche konkreten Maßnahmen und Projekte hat die Bun- desregierung zur Umsetzung der Berliner Erklärung „Ge- meinsam gegen Homophobie – für Vielfalt, Respekt und Ak- zeptanz im Sport“ vom 17. Juli 2013 auf den Weg gebracht bzw. unterstützt, und ist beabsichtigt, über dieses Themenfeld im nächsten Sportbericht ausführlich in einem eigenen Ab- schnitt zu informieren? Die Bundesregierung unterstützt Maßnahmen und Kampagnen, die sich gegen Homophobie und für Viel- falt und Akzeptanz im Sport starkmachen. So bildete die „Berliner Erklärung“ vom 17. Juli 2013 den Auftakt für die Bildungs- und Forschungsinitiative „Fußball für Vielfalt – Fußball gegen Homophobie“. Im Mittelpunkt der Initiative steht die praktische Bildungs- arbeit in den Vereinen. Die Veranstaltungen richten sich an Spieler, Vereinsverantwortliche, Trainer und Schieds- richter. Dieses Projekt, das von der Antidiskriminie- rungsstelle des Bundes unterstützt wird, stellt einen Schwerpunkt innerhalb der Tätigkeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld im Rahmen ihrer satzungsmäßigen Aufgaben dar. Herr Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, unterstützt die Stiftung in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Stiftungskura- toriums. Anlässlich des Diversity Days am 9. Juni 2015 hat das BMJV eine Podiumsdiskussion zum Thema „Sexuelle Diskriminierung im (Spitzen-)Sport“ ausgerichtet, an der Herr Bundesminister Maas gemeinsam mit der Leite- rin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, der Degenfechterin Imke Duplitzer sowie dem ehemaligen Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger teilgenommen hat. Im Rahmen des im Jahre 2015 gestarteten Bundespro- gramms „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BMFSFJ, werden im Programmbereich D – Modellprojekte zu ausgewählten Phänomenen gruppenbezogener Men- schenfeindlichkeit – mit einer Laufzeit von fünf Jahren und mit maximal 130 000 Euro pro Jahr Maßnahmen ge- fördert, die zur Akzeptanz gleichgeschlechtlicher, trans- und intergeschlechtlicher Lebensweisen beitragen, Vor- urteile gegen diese Gruppen abbauen helfen und sich ge- gen Diskriminierung und Gewalt aufgrund von Ge- schlecht bzw. Gender, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung richten. Im Rahmen eines Interessenbekundungsverfahrens wurde das Projekt „Kicks and Gender – Geschlechter- reflektierende Sozialarbeit mit Fußballfans der Kompe- tenzgruppe ,Fankulturen und Sport bezogene soziale Ar- beit‘, KoFaS“ am Institut für Sportwissenschaft der Leibniz-Universität Hannover neben neun weiteren Pro- jekten gegen Homo- und Transphobie für eine Förde- rung aus dem Bundesprogramm ausgewählt. Der Fokus auf Homophobie und Transphobie im Sport in diesem Projekt dient als Ausgangspunkt, um einen weiterführenden Blick auf normierende Ge- schlechterbilder und Männlichkeitsideale in Fankulturen zu entwickeln und das Thema somit in gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen insgesamt zu verorten. Anlagen 10676 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) Schwerpunkte hier sind unter anderem: Hinterfragung „natürlicher“ Geschlechterrollen, Aufzeigen der Vielfalt von Geschlechteridentitäten jenseits heteronormativer Muster und Befähigung zur gewaltfreien Konflikt- lösung. Hauptzielgruppe sind Sozialpädagoginnen und So- zialpädagogen aus Fanprojekten. Das Projekt startet nach der Vorbereitungsphase am 1. Juli 2015 und läuft bis 2018. Zentrales Element der Arbeit der Koordinationsstelle Fanprojekte, KOS, die je zur Hälfte vom BMFSFJ und dem Deutschen Fußball-Bund, DFB, finanziert wird, ist die Förderung einer konstruktiven Debatte zu den The- menfeldern „Homophobie“ und „Sexismus“. In den letz- ten Jahren wurden zahlreiche Veranstaltungen – Diskus- sionen, Workshops, Lesungen – mit Expertinnen und Experten durchgeführt. Im Kontext dieser Thematik steht die KOS im Austausch unter anderem mit der Mag- nus-Hirschfeld-Stiftung und mit dem Bundesverband der schwul-lesbischen Fanclubs in Deutschland. Vor dem Hintergrund, dass ein gegenüber der eigenen sexuellen Orientierung feindliches Umfeld zu psychi- scher Belastung führen kann, ist die bestehende Koope- ration des Bundesinstituts für Sportwissenschaft, BISp, mit der Initiative „Mental Gestärkt zur psychischen Ge- sundheit im Leistungssport“ der Robert-Enke-Stiftung, der Deutschen Sporthochschule gemeinsam mit der ge- setzlichen Unfallversicherung für den Profisport, VBG, und der Vereinigung der Vertragsfußballspieler VDV – Die Spielergewerkschaft als indirekte Unterstützungs- leistung gegen Homophobie im Sport einzustufen. Der Sportbericht der Bundesregierung stellt regelmä- ßig – über den Zeitraum einer Legislaturperiode – die für die Sportpolitik der Bundesregierung maßgeblichen Eckdaten zusammen und bildet die Sportförderpolitik des Bundes ab. Auch der nächste, dann 14. Sportbericht wird bezo- gen auf den Zeitraum 2014 bis 2017 die sportpolitische Entwicklung bilanzieren. Die Bundesregierung nimmt das Thema „Homophobie im Sport“ sehr ernst. Insofern werden Maßnahmen und Veranstaltungen zu diesem Be- reich im nächsten Sportbericht aufgeführt werden. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Günter Krings auf die Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 2): Welche verschiedenen auf europäischer Ebene begleitend zum Mittelmeerlagezentrum JOT Mare bei Europol durch die Agentur Frontex initiierten Projekte, die eine Überwachung des Handels mit und der Nutzung von verdächtigen Schiffen zum Inhalt haben, sind auf Bundestagsdrucksache 18/5048 angesprochen – bitte Inhalt und Teilnehmende jeweils kurz skizzieren –, und welche Angaben kann die Bundesregierung dazu machen, inwiefern von ihr an Frontex ausgeliehene „De- briefer“ bzw. bei Europol an „speziell geschulte(n) Überwa- chungs- und Vernehmungsgruppen“ (Ratsdokument 9345/15) teilnehmende deutsche Polizisten vor den Befragungen bzw. Verhören Geflüchteter diesen gegenüber ausreichend deutlich machen, dass jede Aussage über Fluchtrouten, Transportmit- tel, bezahlte Gelder oder beteiligte Fluchthelfer verweigert werden kann, ohne dass den Befragten bzw. Verhörten im Asylverfahren Nachteile entstehen? Begleitend zum Joint Operation Team, JOT, Mare hat Frontex folgende Projekte initiiert, die unter anderem eine Überwachung des Handels mit und der Nutzung von verdächtigen Schiffen zum Inhalt haben: Der geplante Einsatz eines Frontex-Verbindungsbe- amten in der Türkei. Aufgabe des Verbindungsbeamten soll es sein, Infor- mationen sowohl mit türkischen Behörden als auch mit nationalen Verbindungsbeamten auszutauschen. Diese Informationen sollen ausgewertet werden und in Fron- tex-Analysen einfließen. Eine Überwachung verdächtiger Schiffe und Schiffs- bewegungen. Ziel dieses Projekts ist die Überwachung verdächtiger Schiffe, die Identifizierung von Schiffen und die opti- sche Überwachung bestimmter Seegebiete. Das Projekt wird im Rahmen des europäischen Informationsnetz- werks EuroSUR geführt. Aufgabe der zu Frontex abgeordneten „Debriefer“ ist es, Migranten zu ihrem Reiseverlauf zu befragen, um In- formationen über Schleusungen zu gewinnen. Hierzu wird jedoch nur ein Bruchteil der festgestellten Migranten befragt und nur sofern sie sich bereit erklären, freiwillig an einer solchen Befragung teilzunehmen. Aus den Befra- gungen ergeben sich keine Rechtsfolgen für das Asyl- verfahren. Dies wird den Personen im Vorfeld mitgeteilt. Bei den im Ratsdokument 9345/15 genannten „spe- ziell geschulte[n] Überwachungs- und Vernehmungs- gruppen“ handelt es sich bislang lediglich um konzeptio- nelle Überlegungen. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage des Abgeordneten Dr. Axel Troost (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 3): Wie viele ausgeschiedene Beamte des Direktoriums der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, sind in den letzten zehn Jahren ihrer Anzeigepflicht nach § 105 des Bundesbeamtengesetzes, BBG, (seit 2009) bzw. § 69 a BBG (vor 2009) nachgekommen, indem sie neue Tätigkeiten ge- meldet haben, weil diese mit ihrer bisherigen dienstlichen Tä- tigkeit im Zusammenhang stehen, und bei wie vielen der ge- nannten Personen wurde nach § 105 BBG bzw. § 69 a BBG eine Erwerbstätigkeit oder anderweitige Beschäftigung unter- sagt (bitte jahrweise angeben)? Es liegen keine Erkenntnisse über derartige Fälle vor. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 10677 (A) (C) (D)(B) Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage des Abgeordneten Dr. Axel Troost (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 4): Wie viele ausgeschiedene Beamte des Direktoriums der BaFin sind in den letzten zehn Jahren unter Verzicht auf Ver- sorgungsansprüche und -bezüge aus dem Dienst ausgeschie- den – ausschließlich der nach § 105 BBG erwähnten Ruhe- standsbeamten und ausschließlich der Beamten mit Anspruch auf Altersgeld und ausschließlich der Beamten mit anderen beamtenrechtlichen Versorgungsansprüchen – und haben sich in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichern lassen (bitte jahrweise angeben)? Der Bundesregierung sind in den letzten zehn Jahren keine Fälle bekannt geworden, in denen Beamte des Di- rektoriums der BaFin unter Verzicht auf Versorgungsan- sprüche und -bezüge aus dem Dienst ausgeschieden sind und sich in der gesetzlichen Rentenversicherung nach- versichern haben lassen. Anlage 6 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller auf die Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/5160, Frage 5): Wie viele Menschen starben nach Kenntnis der Bundes- regierung in Deutschland in den Jahren 2010, 2011, 2012, 2013 und 2014 jeweils an den Folgen ihres Asbestkontakts bzw. ihrer Asbestexposition, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über ungewollte bzw. nichtwissentliche Ex- positionen von Privatleuten oder Handwerkern heute im Rah- men von Renovierungsarbeiten (wenn möglich, mit Daten zur Anzahl der betroffenen Personen aus den letzten Jahren)? Zu asbestbedingten Todesfällen nach abgeschlosse- nen Berufskrankheitenverfahren liegen für die Jahre 2010 bis 2013 Daten aus den Berichten der Bundesregie- rung zu Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, SUGA, vor. Der Bericht für 2014 liegt noch nicht vor. Die entsprechenden Zahlen für Todesfälle in Folge von berufsbedingten Asbestexpositionen für die Jahre 2010 bis 2013 benenne ich wie in der unten stehenden Tabelle. Diese Zahlen lassen jedoch keine Rückschlüsse auf das Ausmaß aktuell immer noch vorhandener Asbest- expositionen zu, da zwischen Exposition und Auftreten asbestbedingter Erkrankungen in der Regel sehr lange Zeiträume, zum Teil bis zu 40 Jahre, liegen. Die Bundesregierung befasst sich derzeit intensiv mit bislang weniger bekannten Asbestexpositionen bei Ar- beiten in bestehenden Gebäuden. Dies betrifft vor allem die Verwendung von Asbest als Zusatzstoff zu Putzen, Klebern, Ausgleichsmassen, Beschichtungen und Dicht- stoffen bis zum Wirksamwerden des Asbestverbotes in Deutschland im Jahr 1992. Nach ersten Schätzungen sind bis zu 30 Prozent der vor 1993 errichteten Gebäude mit asbesthaltigen Baustoffen belastet. Eine akute Gefährdung von Mensch und Umwelt geht hiervon jedoch in der Regel nur bei unsachgemäßer Be- arbeitung aus, bei der asbesthaltige Stäube freigesetzt werden können. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales lässt derzeit Praxishilfen für Bauherren und Handwerksbe- triebe erstellen, die über Art und Umfang der Asbest- belastungen, die daraus resultierenden Gefährdungen und notwendigen Schutzmaßnahmen aufklären. Aktuelle Zahlen zu Erkrankungen und Todesfällen aufgrund der vorgenannten weniger bekannten Asbest- belastungen liegen jedoch nicht vor. Jahr Todesfälle Berufserkrankter mit Tod infolge der Berufskrankheit Asbestose Lungen-/Kehlkopf-krebs, Asbest Mesotheliom, Asbest Gesamt 2010 101 497 695 1 293 2011 130 582 762 1 474 2012 114 589 833 1 536 2013 159 559 734 1 452 10678 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) Anlage 7 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller auf die Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 6): Inwiefern ist die Deutsche Post AG in dem derzeit stattfin- denden Streik ihrer Streikanzeigepflicht bei der Agentur für Arbeit nach § 320 Absatz 5 des Dritten Buches Sozialgesetz- buch, SGB III, nachgekommen – bitte wenn möglich, Mel- dungen nach Gesamtzahl und Anzahl nach Bundesländern aufgliedern –, und wie stellt die Bundesagentur für Arbeit si- cher, dass Erwerbslose beim derzeitigen Poststreik nicht als Streikbrecher eingesetzt werden? Arbeitgeber, in deren Betrieben ein Arbeitskampf statt- findet, haben gemäß § 320 Absatz 5 Drittes Buch Sozial- gesetzbuch, SGB III, bei dessen Ausbruch und Beendi- gung der jeweils örtlich zuständigen Agentur für Arbeit unverzüglich Anzeige zu erstatten. Die Anzeigepflicht hat die Funktion, die Agentur für Arbeit über den Ar- beitskampf zu informieren, und dient damit der Sicher- stellung der Neutralität der Arbeitsverwaltung. Die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass die Deutsche Post AG ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach § 320 Absatz 5 SGB III ordnungsgemäß nach- kommt. In der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit war al- lerdings eine sehr aufwendige flächendeckende Abfrage bei allen Agenturen für Arbeit nicht möglich. Eine ex- emplarische Rückfrage bei der Agentur für Arbeit in Bonn ergab, dass die Deutsche Post AG Niederlassung Brief in Bonn seit April circa 20 Streikanzeigen einge- reicht hat. Die Anzeigen werden in der Agentur für Arbeit unter anderem an den Vermittlungsbereich und an das für die Bearbeitung von Anträgen zur Kurzarbeit zuständige Team weitergeleitet. Durch die Weiterleitung an den Ver- mittlungsbereich wird sichergestellt, dass die Bundes- agentur für Arbeit ihrer bei Arbeitskämpfen bestehenden Pflicht zur Neutralität nachkommt. Anlage 8 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller auf die Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 7): Vermittelt die Bundesagentur für Arbeit – Agenturen bzw. Jobcenter – während des Poststreiks Arbeitskräfte an die Deutsche Post AG – wenn ja, bitte beantworten, in welcher Form und in welchem Ausmaß, inklusive der Zentralen Aus- lands- und Fachvermittlung – oder ist sie indirekt an einer Vermittlung – etwa im Rahmen ihrer Einrichtungen und Auf- sicht zur Arbeitnehmerüberlassung – beteiligt – national wie international? Die Vermittlungen in einzelne Betriebe werden statis- tisch nicht zentral erfasst. So wäre auch hier zur Beant- wortung der Frage eine sehr aufwendige flächende- ckende Abfrage bei allen Agenturen für Arbeit und Jobcentern erforderlich. Dies war in Kürze der zur Ver- fügung stehenden Zeit nicht möglich. Grundsätzlich gilt: Die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter dürfen in einen durch einen Arbeitskampf un- mittelbar betroffenen Bereich nur dann vermitteln, wenn der Arbeitsuchende und der Arbeitgeber dies trotz eines Hinweises auf den Arbeitskampf verlangen, so geregelt in § 36 Absatz 3 SGB III. Liegt eine Anzeige über einen Arbeitskampf vor, sind Arbeitsuchende vor Erteilung eines Vermittlungsvorschlages von der Tatsache des Arbeitskampfes in Kenntnis zu setzen. Die Arbeit- suchenden können die Vermittlung in diesem Fall ab- lehnen. Der Arbeitgeber ist zu informieren, dass Vermittlungsvorschläge nur erteilt werden, wenn die Ar- beitsuchenden zustimmen. Das heißt, eine Vermittlung erfolgt nur, wenn beide Partner dies verlangen. Die Be- mühungen, sie zusammenzuführen, sind einzustellen, wenn einer der beiden die Vermittlung ablehnt. Vermitt- lungsbemühungen in nicht unmittelbar vom Arbeits- kampf betroffene Bereiche eines Arbeitgebers sind nicht ausgeschlossen. Ist noch keine Anzeige eingegangen, der Vermittlungsfachkraft jedoch bereits bekannt gewor- den, dass ein Arbeitskampf geführt wird, sind der Ar- beitgeber und die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitneh- mer auf den Arbeitskampf hinzuweisen. Die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass diese Vermittlungsgrundsätze flächendeckend eingehal- ten werden. Würde ein Unternehmen, das eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitzt, in ein bestreiktes Unternehmen – Entleiher – Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer überlassen, wäre Folgendes zu beachten: Die Leiharbeitnehmerin bzw. der Leiharbeitnehmer ist nicht verpflichtet, beim Entleiher tätig zu sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist. Nach § 11 Absatz 5 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz muss der Verleiher seine Leiharbeitnehmerin bzw. seinen Leiharbeitnehmer auf sein entsprechendes Leis- tungsverweigerungsrecht hinweisen. Nach der gesetzli- chen Regelung ist damit nicht generell ausgeschlossen, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer trotz Hinweis auf das Leistungsverweigerungsrecht im be- streikten Unternehmen tätig werden. In Tarifverträgen sind teilweise weiter gehende Regelungen vorgesehen. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist vereinbart, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz dahin gehend zu ändern, dass grundsätzlich kein Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern als Streikbrecher stattfinden darf. Anlage 9 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller auf die Frage des Abgeordneten Harald Weinberg (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 8): Kann die Bundesregierung Bezug nehmend auf die Ant- wort auf meine schriftliche Frage 57 auf Bundestagsdrucksa- che 18/5040 Auskunft geben, welche die zuständige Behörde ist, an die sich ein Krankenhaus wenden muss, um die Kosten Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 10679 (A) (C) (D)(B) der Behandlung eines illegal eingereisten und in Deutschland sich illegal aufhaltenden Flüchtlings erstattet zu bekommen, wenn die Identität des Flüchtlings unbekannt ist und im vita- len Interesse des Flüchtlings auch besser unbekannt bleibt? Mit Wirkung zum 1. März 2015 ist ein Aufwendungs- ersatzanspruch des Nothelfers im Asylbewerberleistungs- gesetz, AsylbLG, geregelt worden. Nach dieser Vorschrift können Ärzte und Krankenhäuser ihre Behandlungskos- ten unmittelbar vom Leistungsträger verlangen, wenn sie in medizinischen Eilfällen Nothilfe an Leistungsberech- tigten nach dem AsylbLG leisten. Der Erstattungsantrag ist dabei an den sachlich und örtlich zuständigen Träger der Leistungen nach dem AsylbLG zu richten, der bei rechtzeitiger Kenntnis vom Notfall Leistungen erbracht hätte. Um seinen Erstattungsanspruch bei der zuständigen Behörde geltend machen zu können, ist der Nothelfer aber darauf angewiesen, dass der Hilfebedürftige Anga- ben zu seiner Identität macht. Denn der Erstattungsan- spruch des Nothelfers setzt – ebenso wie der originäre Leistungsanspruch des Flüchtlings – voraus, dass die materiellen Leistungsvoraussetzungen der §§ 4 und 6 AsylbLG dem Grunde nach vorliegen. Ohne Identitäts- nachweis können diese Voraussetzungen, insbesondere die Leistungsberechtigung nach dem AsylbLG und die Hilfebedürftigkeit, nicht geprüft werden. Darüber hinaus hat die Behörde ohne Identitätsan- gabe keine Möglichkeit, eine mögliche vorrangige Leis- tungsverpflichtung anderer Träger zu prüfen. Insofern kann ohne Identitätsangabe weder der grund- sätzliche Leistungsanspruch geprüft noch die zuständige Behörde ermittelt werden. Anlage 10 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller auf die Frage des Abgeordneten Harald Weinberg (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 9): Weshalb legt man die Zuständigkeit für illegal in Deutsch- land lebende Flüchtlinge in den Bereich des Sozialamtes, wo sich der Wohnort des Flüchtlings befindet, sodass letztlich der Leistungserbringer meist die Kosten abschreiben muss, und nicht in den des Sozialamtes, wo sich der Leistungserbringer befindet, sodass es zu diesen Zuständigkeitsschwierigkeiten überhaupt nicht kommen kann? Die örtliche Zuständigkeit für Leistungen in Einrich- tungen, die der Krankenbehandlung dienen, ist in § 10 a Asylbewerberleistungsgesetz, AsylbLG, geregelt. Dem- nach ist im Regelfall die Behörde örtlich zuständig, in deren Bereich der Leistungsberechtigte seinen gewöhnli- chen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat. Als gewöhnlicher Aufenthalt gilt dabei der Ort, an den jemand verteilt oder zugewiesen wurde. Nur wenn eine Verteilungs- oder Zuweisungsentscheidung fehlt, ist es der Ort, an dem sich jemand unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass der Leistungsberechtigte dort nicht nur vorübergehend verweilt. Diese gesetzliche Regelung über die örtliche Zustän- digkeit steht im direkten Zusammenhang mit der Kosten- tragungspflicht für die Hilfen nach dem AsylbLG. Denn die sachlich und örtlich zuständige Behörde trägt im AsylbLG immer auch die Kosten der Hilfen. Daher knüpft die örtliche Zuständigkeitsregelung im AsylbLG auch an die asylverfahrensrechtliche Verteilungs- und Zuweisungsentscheidung an. Denn diese gewährleisten, dass die Lasten des Asylbewerberleistungsgesetzes unter den Bundesländern und innerhalb der Bundesländer un- ter den Trägern angemessen verteilt werden. Nicht maßgeblich kann für die örtliche Zuständigkeit daher der Behandlungsort, oder – wie in der Frage for- muliert – der Ort des Leistungserbringers, sein. Denn eine solche Regelung würde die Träger der Einrich- tungsorte von stationären Hilfen, so zum Beispiel Träger an Standorten von Unikliniken, gegenüber anderen Trä- gern vergleichsweise stärker belasten. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Katrin Kunert (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 11): Welche zusätzlichen Krankheitsbilder wird die Bundesre- gierung als Konsequenz aus ihrem durchgeführten Fachsym- posium vom 9. bis 11. Februar 2015 in den Entschädigungs- verfahren für die Radarstrahlengeschädigten der Bundeswehr und ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR zukünftig mit berücksichtigen? Die Ergebnisse des unter Leitung von Herrn Professor Dr. Meineke, Abteilungsleiter der Fachabteilung F Me- dizinischer ABC-Schutz der Sanitätsakademie der Bun- deswehr und Vorsitzender des Vergabeausschusses der „Härtefall-Stiftung“, durchgeführten Fachsymposiums liegen bisher noch nicht vor. Aus diesem Grund kann auch noch keine Aussage dazu getroffen werden, inwie- weit zusätzliche Krankheitsbilder im Rahmen der Ver- sorgungsverfahren zu berücksichtigen sind. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/5160, Frage 12): Welche Mitglieder der Bundesregierung und gegebenen- falls Mitarbeiter nachgeordneter Behörden nehmen – wie die Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, und deren Staatssekretärin Dr. Katrin Suder – an der gehei- men Bilderberg-Konferenz vom 11. bis 14. Juni 2015 in Tirol (Telepolis vom 9. Juni 2015) teil, und mit welchen dienst- lichen Notwendigkeiten rechtfertigt die Bundesregierung sol- che Ausgaben in Zeiten von Sparzwängen wegen knapper öffentlicher Mittel? Frau Bundesministerin Dr. von der Leyen nahm als einziges Mitglied der Bundesregierung und Frau Staats- sekretärin Dr. Suder als einzige Mitarbeiterin des Bundesministeriums der Verteidigung, BMVg, an der 10680 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) Bilderberg-Konferenz 2015 teil. Es haben keine Mitar- beiter nachgeordneter Behörden an der Konferenz teilge- nommen. Die Konferenz hatte in diesem Jahr einen klaren si- cherheits- und verteidigungspolitischen Bezug. So wur- den unter anderem die Themen NATO, Mittlerer Osten, Iran, Russland sowie die europäische und amerikanische Sicherheitsstrategie behandelt. In diesem Rahmen hat Frau Bundesministerin unter anderem einen Vortrag zur europäischen Sicherheitsstrategie gehalten und an einer Paneldiskussion teilgenommen. Frau Staatssekretärin ist im Übrigen weder ein Mit- glied der Bundesregierung noch eine Mitarbeiterin einer nachgeordneten Behörde. Die Mitglieder der Bundesre- gierung sind in Artikel 62 Grundgesetz abschließend aufgeführt. Das BMVg ist keine nachgeordnete Behörde. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/5160, Frage 17): Welche Kosten sind inzwischen für die beiden Schiedsver- fahren zwischen Bund und Toll Collect GmbH entstanden, und inwiefern ist ein Ende der Schiedsverfahren absehbar? Bis einschließlich März 2015 sind dem Bund für die Führung der beiden Schiedsverfahren Kosten in Höhe von rund 144 Millionen Euro entstanden. Ein Termin zur Beendigung der Verfahren kann derzeit nicht genannt werden. Der Bund ist jedoch an einem baldigen Ab- schluss der Verfahren interessiert. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/5160, Frage 18): Welche Verhandlungen für die beiden Schiedsverfahren zwischen Bund und Toll Collect GmbH haben seit Oktober 2014 stattgefunden – bitte mit Angabe von Ergebnissen –, und von wie vielen weiteren Verhandlungen geht die Bundesregie- rung bis zum Abschluss der Schiedsverfahren noch aus? Im Dezember 2014 fand ein Termin des Gerichts mit den Parteien sowie Gutachtern – Wirtschaftsprüfern – im Schiedsverfahren II – Toll Collect GmbH gegen den Bund wegen Betreibervergütung – statt. Der Termin diente zur Vorbereitung eines Prüfungskonzepts der Gut- achter sowie eines darauf aufbauenden Beweisbeschlus- ses des Gerichts, die inzwischen beide vorliegen. Wie viele weitere solcher Verhandlungen bis zum Abschluss der Verfahren noch erforderlich sein werden, kann der- zeit nicht eingeschätzt werden. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage des Abgeordneten Herbert Behrens (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 19): Mit welcher Begründung hält es die Bundesregierung für zielführend, den ehemaligen Fliegerhorst Friedrichsfeld, Landkreis Friesland, dessen überwiegender Teil vom Nieder- sächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, NLWKN, als schutzwürdig eingestuft worden ist, „umzubauen“, um im Rahmen einer vorgezogenen Aus- gleichsmaßnahme Ausgleichsflächen für geschützte Vogel- und Pflanzenarten, die beim Bau der A 20 zerstört würden, nachweisen zu können (http://wp.a22-nie.de/wp-content/up- loads/2015/04/Waterkant_2015-01_Auszug_A20-absurde- Ausgleichsmassnahmen.pdf)? Das Entwicklungskonzept Friedrichsfeld dient als Kompensationsmaßnahme für den ersten Abschnitt – Westerstede, A 28, bis Jaderberg, A 29 – der Küsten- autobahn A 20. Für Beeinträchtigungen von Wiesen- vögeln durch den Bau und späteren Betrieb sollen damit aus artenschutzrechtlichen Gründen geeignete Ersatz- reviere für die betroffenen Brutvögel geschaffen werden. Die grundsätzliche Eignung der Flächen zur Schaffung von Lebensräumen für die Wiesenvögel ist durch die vom Land Niedersachsen eingeschalteten Fachbiologen bestätigt; die zuständige Naturschutzbehörde wurde bei der Erstellung des Konzeptes beteiligt und stimmt die- sem Vorgehen zu. Alternativstandorte stehen nicht zur Verfügung, da sie entweder flächenmäßig zu klein bzw. durchweg bewaldet sind oder keinen Anschluss an einen bestehenden Lebensraumverbund wertvoller Offenland- lebensräume haben. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Inf- rastruktur stimmte dem Konzept durch Gesehenvermerk vom 11. September 2014 mit Maßgaben zu. Danach sind bei der Umsetzung der Maßnahme bereits bestehende wertvolle Lebensräume zu schonen. Erhebliche Beein- trächtigungen auf vorhandene Lebensräume oder Arten durch die Kompensationsmaßnahme und Maßnahmen mit unverhältnismäßig hohem Herstellungsaufwand werden vom Bundesministerium für Verkehr und digi- tale Infrastruktur abgelehnt. Kompensationsmaßnahmen auf bundeseigenen Flä- chen wie zum Beispiel dem ehemaligen Fliegerhorst Friedrichsfeld sind auch vor dem Hintergrund zuneh- mend knapper Flächenverfügbarkeit sinnvoll, um den Druck auf landwirtschaftliche Flächen zu mindern. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage des Abgeordneten Herbert Behrens (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 20): Mit welchem Ergebnis hat sich die Bundesregierung mit der Wirksamkeit von CEF-Maßnahmen – CEF: Continuous Ecological Functionality – befasst, deren Wirksamkeit in ei- ner Untersuchung entsprechender Maßnahmen in Nordrhein- Westfalen (Michael Gerhard et al.: „Europäischer Artenschutz im Blindflug“, Naturschutz und Landschaftsplanung 46 [11], 2014, Seiten 329–335) stark bezweifelt worden ist? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 10681 (A) (C) (D)(B) Die Idee der vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen basiert auf einer Handreichung der Europäischen Kom- mission. Mit diesem Instrument können Spielräume des Naturschutzrechts frühzeitig genutzt werden, die zu ei- ner Beschleunigung des Verfahrens und zur Erhöhung der Rechtssicherheit von Straßenbauvorhaben führen. In der Fachwelt ist anerkannt, dass die Realisierung von CEF-Maßnahmen unter Einhaltung bestimmter Rah- menbedingungen Vorteile sowohl für den Vorhabenträ- ger als auch den Naturschutz bringt. Das Bundesamt für Naturschutz hat in dem For- schungsvorhaben „Rahmenbedingungen für die Wirk- samkeit von Maßnahmen des Artenschutzes bei Infra- strukturvorhaben“ – Forschungskennziffer 3507 82 080 – untersucht, welche fachlichen Anforderungen an vorge- zogene Ausgleichsmaßnahmen zu stellen sind und wel- che Möglichkeiten und Grenzen für die Realisierung derartiger Maßnahmen bestehen. Zahlreiche Maßnah- mentypen wurden einer Prüfung unterzogen. Dabei wur- den im Ergebnis die mit CEF-Maßnahmen verbundenen Vorteile weitgehend hervorgehoben. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Florian Pronold auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/5160, Frage 21): Wie ist der aktuelle Stand des von der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Dr. Barbara Hendricks, Ende Februar 2015 angekündigten Konzepts zur Verteilung der insgesamt 26 ausstehenden Cas- toren mit verglasten radioaktiven Wiederaufarbeitungsabfäl- len aus La Hague und Sellafield auf verschiedene standort- nahe Zwischenlager an hiesigen Atomkraftwerken – bitte auch mit Angabe des geschätzten weiteren Zeitbedarfs für Konzeptfinalisierung und politische Verständigung mit den betreffenden Bundesländern; zur Ankündigung siehe beispielsweise den Gastkommentar von Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks im Tagesspiegel vom 22. Februar 2015 –, und insbesondere welche Standorte werden dabei vom Bun- desministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- cherheit konkret ins Auge gefasst? Die Arbeiten an dem von Frau Bundesministerin Dr. Hendricks angekündigten Konzept für die Rückfüh- rung der verglasten Wiederaufarbeitungsabfälle sind weit fortgeschritten und sollen in Kürze abgeschlossen werden. Das Konzept soll eine Verteilung der in Frank- reich und dem Vereinigten Königreich befindlichen radioaktiven Abfälle auf verschiedene Standorte in ei- nem bundesweit ausgewogenen Verhältnis vorsehen. Das bedeutet, dass die in voraussichtlich vier Transport- kampagnen zurückzuführenden radioaktiven Abfälle auf Zwischenlager in verschiedenen Bundesländern verteilt werden sollen. Grundsätzlich kommen alle Standortzwi- schenlager in Betracht. Das Konzept soll den kernkraftwerksbetreibenden Energieversorgungsunternehmen als Richtschnur für ihre gesetzlichen Verpflichtungen zur Rückführung und Aufbewahrung der verglasten Abfälle und damit auch für die Entscheidung über die Antragstellung für kon- krete Standorte dienen. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Florian Pronold auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/5160, Frage 22): Konkret welche offenen Fragen zum Atomkraftwerk Gundremmingen haben die beiden vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit beauf- tragten Sachverständigenorganisationen Gesellschaft für An- lagen- und Reaktorsicherheit, GRS gGmbH, und Physiker- büro Bremen in den drei Themenbereichen „geführte Nachweise zur Beherrschung des Bemessungserdbebens“, „Prüfkonzept des Zusätzlichen Nachwärmeabfuhr- und Ein- speisesystems“ und „Vorgaben im Betriebshandbuch“ (bitte vollständige Angabe der konkreten Fragen bzw. Unklarheiten, nicht nur Benennung der Themenbereiche; vergleiche hierzu die Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit, Rita Schwarzelühr-Sutter, auf meine mündliche Frage 23, Plenarprotokoll 18/108, Seite 10349, vom 10. Juni 2015)? Die Informationen zu den in Ihrer Frage genannten Themenbereichen werden von den Sachverständigen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit benötigt, um die Wirksamkeit und Zuverlässigkeit der sicherheitstechnisch wichtigen Systeme im Kernkraftwerk Gundremmingen, wie bei- spielsweise des Zusätzlichen Nachwärmeabfuhr- und Einspeisesystems, hinsichtlich der bei einem Bemes- sungserdbeben nach dem kerntechnischen Regelwerk zu unterstellenden Randbedingungen nachvollziehen und bewerten zu können. Auch das Prüfkonzept oder Vorga- ben im Betriebshandbuch haben einen Einfluss auf die Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit sicherheitstechnisch wichtiger Systeme bei einem Bemessungserdbeben. Zur Einordnung obiger Thematik möchte ich Ihnen folgende Erläuterung geben. Bei der Genehmigung des Kernkraftwerks Gund- remmingen wurde festgestellt, dass auch im Hinblick auf die Beherrschung des Bemessungserdbebens die erfor- derliche Vorsorge gegen Schäden getroffen ist. Das aktuelle kerntechnische Regelwerk sieht andere Rand- bedingungen für die Nachweisführung bei der Beherr- schung des Bemessungserdbebens vor, als sie an das Kernkraftwerk Gundremmingen bei seiner Errichtung gestellt wurden. Am Kernkraftwerk Gundremmingen wurden im Laufe der Betriebszeit Nachrüstungen durch- geführt, beispielsweise durch den Bau des Zusätzlichen Nachwärmeabfuhr- und Einspeisesystems, ZUNA. Ob durch die Nachrüstungen beim Kernkraftwerk Gund- remmingen die Nachweise zur Beherrschung des Be- messungserdbebens auch nach dem aktuellen kern- technischen Regelwerk geführt sind oder welche sicherheitstechnische Bedeutung mögliche Abweichun- gen im Detail haben, ist Teil der Prüfung der Sachver- ständigen des Bundesministeriums für Umwelt, Natur- schutz, Bau und Reaktorsicherheit. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit wird seine Bewertung nach Abschluss der Stellungnahme von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit und dem Physikerbüro Bremen und nicht auf Basis eines vorläufigen Diskus- sionsstandes abschließen. 10682 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) Anlage 19 Antwort des Staatsministers Dr. Helge Braun auf die Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 23): Auf welche – gegebenenfalls nur vorläufig geschätzten – Gesamtkosten aufseiten des Bundes belaufen sich die Ausga- ben in Zusammenhang mit dem G-7-Gipfel in Elmau – einschließlich etwaiger Zahlungen oder Rechnungsverzichte gegenüber dem Freistaat Bayern –, und wie verteilen sich diese Kosten auf die einzelnen Bundesministerien bzw. Bun- desbehörden? Der G-7-Gipfel in Schloss Elmau ist Teil der deut- schen G-7-Präsidentschaft, die am 31. Dezember 2015 endet. Mittel zur Deckung der voraussichtlichen Ausga- ben im Rahmen der deutschen G-7-Präsidentschaft sind im Bundeshaushalt in den Einzelplänen der Ressorts ver- anschlagt. Die Inanspruchnahme der Mittel sowohl für den G-7-Gipfel in Schloss Elmau als auch für andere Veranstaltungen im Rahmen der deutschen G-7-Präsi- dentschaft lässt sich erst nach Kassenwirksamkeit ent- sprechender Ausgaben ermessen. In den Einzelplänen des Bundeshaushaltes der Jahre 2014 und 2015 sind in den Einzelplänen Ausgaben wie folgt veranschlagt: Einzelplan 04 (BK-Amt/BPA) 16,9 Millionen Euro, Einzelplan 05 (AA) 21,0 Millionen Euro und im Einzel- plan 06 (BMI) 23,1 Millionen Euro. Mittel zur Deckung von Ausgaben im Rahmen der Verwaltungsvereinbarung des Bundes mit dem Land Bayern vom 13. Mai 2015 sind im Einzelplan 60 (Allgemeine Finanzverwaltung) mit 40 Millionen Euro veranschlagt. Anlage 20 Antwort des Staatssekretärs Klaus-Dieter Fritsche auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/5160, Frage 24): Welche Kosten für Bewirtung, Beherbergung und Fahrge- schäfte verausgabte der Bundesnachrichtendienst – auch für Gäste etwa anderer Nachrichtendienste – seit dem Jahr 2005 jährlich anlässlich des Münchner Oktoberfests – bitte nach Jahren, Beträgen und Kostengruppen aufschlüsseln –, und mit welchen dienstlichen Notwendigkeiten rechtfertigt die Bun- desregierung solche Ausgaben in Zeiten von Sparzwängen wegen knapper öffentlicher Mittel? Im angefragten Zeitraum wurden mit Ausnahme des Jahres 2011 jährlich zentral organisierte Großveranstal- tungen mit Vertretern ausländischer Nachrichtendienste auf dem Münchner Oktoberfest durchgeführt. Darüber hinaus wurden in der Verantwortung einzelner Organisa- tionsbereiche des BND Vertreter ausländischer Nach- richtendienste zum Oktoberfest eingeladen. Der BND übernimmt bei solchen Veranstaltungen die Bewirtungskosten in Höhe von 40 bis 50 Euro pro Per- son. Da sämtliche Kosten für Kontakte mit ausländi- schen Nachrichtendiensten unter einem Kostentitel ge- bucht werden, ist eine Aufschlüsselung nach den in der Frage genannten Kriterien mit vertretbarem Verwal- tungsaufwand nicht leistbar. Diese Veranstaltungen dienen der Pflege von partner- schaftlichen Beziehungen, beruhen auf Gegenseitigkeit und unterstützen so die gesetzliche Auftragserfüllung. Die Termine werden mit Fachgesprächen verbunden, um einen direkten Nutzen für das dienstliche Interesse zu ziehen. Weitere Einzelheiten können in diesem Zusammen- hang nicht offen mitgeteilt werden. Eine öffentliche Be- kanntgabe von Details der Zusammenarbeit des BND mit ausländischen Nachrichtendiensten, insbesondere in Bezug auf einzelne, zeitlich konkretisierbare gemein- same Veranstaltungen, könnte sich nachteilig für die In- teressen der Bundesrepublik Deutschland auswirken. Zudem werden Ausgaben berührt, deren Bewirtschaf- tung der Gesetzgeber in § 10 a BHO geheim zu halten- den Wirtschaftsplänen zugewiesen hat. Weitere Aus- künfte werden daher als Verschlusssache gemäß der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministe- riums des Innern zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen, VS-Anweisung, VSA, mit dem Geheimhaltungsgrad „VS-Vertraulich“ eingestuft. Diese eingestuften Informationen habe ich bei der Ge- heimschutzstelle des Deutschen Bundestages hinterlegen lassen. Anlage 21 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Zypries auf die Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/5160, Frage 25): Wird die Bundesregierung an ihrer für den Annex II von CETA – Comprehensive Economic and Trade Agreement – angemeldeten Bereichsausnahme für Friedhofs- und Bestat- tungsdienstleistungen festhalten, und wie beurteilt die Bun- desregierung insgesamt den Versuch – nach mir vorliegenden Informationen – der Europäischen Kommission, auf die Mit- gliedstaaten der Europäischen Union hinzuwirken, damit diese bestimmte angemeldete Ausnahmen in den Annex I ver- schieben oder ganz fallen lassen und damit für die Privatisie- rung freigeben, obwohl sie dies ursprünglich nicht wollten? Die Bundesregierung wird an dem im CETA-Entwurf für Deutschland vorgesehenen Vorbehalt in Annex II für Friedhofs- und Bestattungsdienstleistungen festhalten. Es ist nicht geplant, diesen Vorbehalt nach Annex I zu verschieben. Der Austausch zwischen den Mitgliedstaa- ten und der EU-Kommission über Inhalt und Reichweite von Vorbehalten ist Teil der üblichen Gespräche im Zuge der Verhandlungen. Anlage 22 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Zypries auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/5160, Frage 26): Wird die Bundesregierung bei der geplanten Ausschrei- bung von Windenergieanlagen die in der maßgeblichen EU- Beihilferichtlinie verankerte De-minimis-Regelung – Unter- grenze, unterhalb derer keine Ausschreibung gefordert wird und eine Festvergütung gewährt werden kann – ausschöpfen und, wenn nein, warum nicht? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 10683 (A) (C) (D)(B) Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG 2014, berei- tet den Weg für die Umstellung der Förderung für erneu- erbare Energien auf Ausschreibungen. Es sieht vor, dass die Höhe der finanziellen Förderung für Strom aus er- neuerbaren Energien spätestens 2017 durch Ausschrei- bungen ermittelt wird statt wie bisher über gesetzlich festgelegte Fördersätze. Eine Entscheidung der Bun- desregierung über den Umgang mit der De-minimis- Regelung in Randziffer 127 der Umweltschutz- und Energiebeihilfeleitlinien liegt noch nicht vor. Das Bun- desministerium für Wirtschaft und Energie bereitet der- zeit Eckpunkte für das zukünftige Ausschreibungsdesign vor. In diesem Eckpunktepapier werden auch die Optio- nen vorgestellt werden, wie mit der De-minimis-Rege- lung der KOM im Rahmen der Ausschreibung für die Windenergienutzung umgegangen werden soll. Die Eck- punkte werden voraussichtlich in der ersten Julihälfte 2015 veröffentlicht und zur Konsultation gestellt. Es ist geplant, dass im Frühjahr 2016 der Kabinettsentwurf für die entsprechenden gesetzlichen Regelungen beschlos- sen wird. Anlage 23 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Zypries auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/5160, Frage 27): Welche Treffen gab es zwischen der Bundesregierung und Branchenvertretern seit der Vorstellung des Eckpunktepapiers des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und deren Vorstellung zur CO2-Minderung im Kraftwerkspark am 21. März 2015 – bitte unter Angabe des Verbandes bzw. Unternehmens, Datum und Ausgang des Gesprächs –, und wie sieht der weitere Zeitplan der Bundesregierung dies- bezüglich aus? Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, BMWi, hat im März 2015 ein Eckpunktepapier zum Strommarkt veröffentlicht. Darin hat das BMWi unter anderem vorgeschlagen, einen Klimabeitrag des Strom- sektors einzuführen. Dieser Vorschlag wurde in der Öf- fentlichkeit viel beachtet und intensiv diskutiert. Auch hier im Deutschen Bundestag haben wir schon intensiv darüber diskutiert. Im Zusammenhang mit dem Vorschlag hat die Bun- desregierung zahlreiche Gespräche mit allen beteiligten Akteuren geführt, unter anderem mit den betroffenen Unternehmen, mit Vertretern der Arbeitnehmer und mit Umweltverbänden. Auf Basis dieser Gespräche prüft das BMWi zurzeit Kompromissmöglichkeiten. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Wochen ein Kompro- missvorschlag vorgelegt werden kann. Anlage 24 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Zypries auf die Frage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 28): Welche militärische Ausrüstung nach Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste – Anhang zur Außenwirtschaftsverordnung – wurde in die Ukraine exportiert – bitte entsprechend der Jahre 2014 und 2015 tabellarisch nach Wehrmaterial, Umfang und Gesamtwarenwert auflisten –, und inwieweit wird die Ukraine seitens der Bundesregierung als Spannungsherd eingestuft? Im angegebenen Zeitraum wurden keine Kriegswaf- fen in die Ukraine ausgeführt. Im Übrigen wird auf die Antwort zur Frage 15 der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke, Bundestagsdrucksache Nr. 18/4890, verwie- sen. Folgende Ausfuhrgenehmigungen wurden im angege- benen Zeitraum erteilt: Im Jahr 2014 – Jagd- und Sportgewehre, Munition für Jagd- und Sportgewehre und jeweils Teile hierfür im Wert von 96 047 Euro, – Rücklieferung von sondergeschützten Geländewagen an die OSZE-Sondermission bzw. ein Wirtschafts- unternehmen im Wert von 1 291 576 Euro, – Teile für Geländewagen mit Sonderschutz im Wert von 114 912 Euro, – Helme, Schutzwesten und Teile hierfür im Wert von 23 900 000 Euro. Im Jahr 2015 bis Ende Mai – Geländewagen mit Sonderschutz an ein Wirtschafts- unternehmen im Wert von 156 000 Euro, – Helme und Schutzwesten im Wert von 55 932, – Sensorplattform für Rettungsflugzeug im Wert von 949 000 Euro. In der Antwort zur Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke, Bundestagdrucksache Nr. 18/4890, sind die Güter im Einzelnen aufgelistet. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Die Bundesregierung entscheidet über Rüstungs- exporte jeweils im Einzelfall und auf Grundlage der Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, des Gemeinsamen Standpunkts 2008/944 GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechno- logie und Militärgütern sowie des Vertrags über den Waffenhandel. Nach den Politischen Grundsätzen schei- den Lieferungen an Länder, die sich in bewaffneten äu- ßeren Konflikten befinden oder bei denen eine Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte besteht, grundsätz- lich aus, sofern nicht ein Fall des Artikels 51 der VN- Charta vorliegt – Selbstverteidigung. Die Bundesregierung hat daher Genehmigungen im Wesentlichen nur für nichtletale und defensive Güter zu Schutzzwecken erteilt. 10684 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) Anlage 25 Antwort der Staatsministerin Dr. Maria Böhmer auf die Frage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Druck- sache 18/5160, Frage 29): Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Saudi-Arabien ein geeigneter Bündnispartner im Kampf ge- gen den islamistischen Fundamentalismus bzw. Terrorismus ist, wenn Saudi-Arabien nur jene „Menschenrechte unterstützt und alle internationalen Konventionen respektiert“, „die in Übereinstimmung mit der Scharia stehen“ (www.zeit.de/politik/ ausland/2015-06/saudi-arabien-strafe-raif-badawi-kritik-eu- parlament-brief), was zum Beispiel nun der 31-jährige Blog- ger Raif Badawi, der in seinem Onlineforum „Saudische Li- berale“ erzkonservative Kleriker und das Treiben der Religi- onspolizei kritisiert hatte, zu spüren bekommt, nachdem Anfang der Woche das oberste Gericht des Königreiches das drakonische Urteil von zehn Jahren Haft, 1 000 Stockschlägen und umgerechnet 200 000 Euro Geldbuße für rechtskräftig er- klärte (www.zeit.de/politik/ausland/2015-06/raif-badawi- saudi-arabien), und inwieweit ist nach Kenntnis der Bundes- regierung dieses Verständnis von Menschenrechten die Grundlage der Bildung an der saudi-arabischen Schule König Fahad Akademie gGmbH in Bonn? Der Kampf gegen die dschihadistische Ideologie und die dieser Ideologie verpflichteten Terrororganisationen ISIS und al-Qaida erfordert eine breite internationale Zu- sammenarbeit unter Einbindung muslimischer Staaten. In Saudi-Arabien wurden in diesem Jahr bei ISIS zu- geschriebenen Anschlägen über 30 Menschen getötet. Seit Sommer 2014 ist Saudi-Arabien elementarer Be- standteil der Anti-ISIS-Koalition und unterstützt den Kampf gegen dschihadistischen Terror auch auf anderem Wege, so zum Beispiel durch seine Hilfe beim Aufbau des UN-Anti-Terrorzentrums, für das Saudi-Arabien zu- letzt mehr als 100 Millionen US-Dollar zur Verfügung stellte. Der gemeinsame Kampf gegen den Terrorismus schließt nicht aus, dass wir zu den Menschenrechten sehr unterschiedliche Auffassungen haben, und dies auch an- sprechen. Die Bundesregierung setzt sich sowohl bilateral als auch in internationalen Gremien unverändert für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in Saudi- Arabien ein. Sie hat den Fall Badawi mehrfach in offi- ziellen Gesprächen thematisiert und sich für ihn einge- setzt. Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank- Walter Steinmeier, hat die Strafe für Raif Badawi als grausam, ungerecht und völlig unverhältnismäßig aufs Schärfste verurteilt. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über die Vermittlung grundgesetz- oder menschenrechtswidri- ger Lerninhalte an der König Fahad Akademie in Bonn vor. Die Schule unterliegt der Schulaufsicht der Bezirksre- gierung Köln und damit des Landes Nordrhein-Westfa- len. Anlage 26 Antwort der Staatsministerin Dr. Maria Böhmer auf die Frage des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 30): Was sind nach Auffassung der Bundesregierung die Gründe für den Rückgang der Zustimmung zur NATO in Deutschland von 73 Prozent im Jahr 2011 auf 55 Prozent im Jahr 2015, wie Spiegel Online am 10. Juni 2015 berichtet hatte? Die Ergebnisse der auf Spiegel Online zitierten Studie von Pew Research entsprechen nicht den Einschätzun- gen der Bundesregierung und decken sich nicht mit an- deren vorliegenden Umfrageergebnissen. Laut einer Umfrage von Infratest Dimap – ARD Deutschland Trend – von Februar 2015 halten 89 Pro- zent der Deutschen die NATO für wichtig, um den Frie- den in Europa zu sichern. Für die derzeit laufenden Rückversicherungs- und Anpassungsmaßnahmen der Allianz und die führende Rolle Deutschlands in diesem Zusammenhang, unter anderem bei der Aufstellung der besonders schnellen Eingreiftruppe, stellen wir breiten Rückhalt in der Öf- fentlichkeit fest. Anlage 27 Antwort der Staatsministerin Dr. Maria Böhmer auf die Frage des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 31): Wird die Bundesregierung, um die derzeitige Mehrheits- meinung der deutschen Bevölkerung in ihrer Politik abzubil- den – laut gleicher Spiegel-Online-Quelle lehnen 53 Prozent der Deutschen einen Beitritt der Ukraine in die NATO ab –, auch in Zukunft eine Zustimmung für eine NATO-Mitglied- schaft der Ukraine ausschließen? Beim NATO-Gipfel in Bukarest 2008 hat die Ukraine eine Zusage für eine NATO-Mitgliedschaft erhalten, die nicht näher spezifiziert wurde. Von 2010 bis 2014 hatte die Ukraine gesetzlich einen Status als blockfreier Staat. Ende Dezember 2014 hat das ukrainische Parlament ein Gesetz beschlossen, das den blockfreien Status aufhebt. Ein NATO-Beitritt der Ukraine steht aus Sicht der Bundesregierung nicht auf der Tagesordnung. Dies haben führende ukrainische Politiker, wie etwa der Präsident Petro Poroschenko, mehrfach betont. Im Vor- dergrund steht derzeit die Umsetzung von Reformen – auch im Bereich Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Anlage 28 Antwort der Staatsministerin Dr. Maria Böhmer auf die Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE) (Drucksa- che 18/5160, Frage 32): Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Juni 2015 10685 (A) (C) (D)(B) Inwiefern hat die Bundesregierung eine Position zur von der Ukraine erklärten Abweichung (http://iportal.rada.gov.ua/ en/news/page/news/News/110107.html) von Artikel 5 – Recht auf Freiheit und Sicherheit –, Artikel 6 – Recht auf ein faires Verfahren –, Artikel 8 – Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens – sowie Artikel 13 – Recht auf eine wirksame Beschwerde – der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK, hinsichtlich der Frage, inwiefern die Bestimmungen des Artikels 15 Absatz 1 EMRK erfüllt sind, der als Voraus- setzung für die Abweichung eine Bedrohung durch Krieg oder einen öffentlichen Notstand verlangt und festlegt, dass die Abweichungen von den Verpflichtungen in der Lage unbe- dingt erforderlich sein müssen, und inwiefern wird sie das Problem der Abweichung von Verpflichtungen aus der EMRK durch die Ukraine im Ministerkomitee des Europarates the- matisieren? Nach Ansicht der Bundesregierung ist die Argumen- tation der ukrainischen Regierung nachvollziehbar, nach der die Lage im Osten der Ukraine die in Artikel 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK, für die Aussetzung von Verpflichtungen formulierte Anfor- derung einer Notlage erfüllt. Dabei ist festzuhalten, dass Personen, die ihre Rechte aus den ausgesetzten Artikeln der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt sehen, sich weiter- hin uneingeschränkt an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden können, der dann im Ein- zelfall entscheidet, ob die Aussetzung zulässig war. Die Bundesregierung sieht daher keinen Anlass, die Aussetzungserklärung im Ministerkomitee des Europa- rates zu thematisieren. Anlage 29 Antwort der Staatsministerin Dr. Maria Böhmer auf die Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) (Drucksache 18/5160, Frage 33): Wie lange sind derzeit die Wartezeiten für die Beantra- gung eines Visums zur Familienzusammenführung zu in Deutschland anerkannten syrischen Flüchtlingen in den rele- vanten deutschen Botschaften bzw. Visastellen in der Region – Türkei, Libanon, Irak, Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien usw. –, und mit welchen über die bisherigen Maßnahmen hi- nausgehenden Initiativen will die Bundesregierung in diesen Fällen möglichst rasche Familienzusammenführungen sicher- stellen, auch zur Einhaltung der Vorgabe in Artikel 5 Absatz 4 der Richtlinie 2003/86/EG vom 22. September 2003, die eine mehr als neunmonatige Bearbeitungsdauer nur in Fällen einer schwierigen Antragsprüfung, nicht aber aufgrund mangelnder Arbeitskapazitäten zulässt (bitte ausführen)? In den letzten drei Jahren hat die Bundesrepublik Deutschland über 30 000 Flüchtlinge aus Syrien mit Aufnahmeprogrammen des Bundes und der Länder so- wie über 90 000 Schutzberechtige in Asylverfahren auf- genommen. Damit hat Deutschland weit mehr als jedes andere Land außerhalb der Krisenregion geleistet, um Menschen aus Syrien zu helfen. Syrische Familien sind im Vergleich zum regulären Familiennachzugsverfahren zu Ausländern privilegiert: Vor allem müssen sie für den Familiennachzug keinen gesicherten Lebensunterhalt nachweisen. Derzeit suchen zusätzlich zu den Flüchtlingen, die be- reits Schutz erhalten haben, monatlich 5 000 Syrer, meist Einzelpersonen, Schutz in Deutschland. Dies führt zu Anträgen auf Familiennachzug in bisher ungekannter Größenordnung. Dies stellt vor allem eine humanitäre Aufgabe dar. Diese Situation kann man nicht an Normalmaßstäben messen. Der starke Anstieg der Antragstellerzahlen hat alle Auslandsvertretungen in der Region, und damit auch unsere drei Auslandsvertretungen in der Türkei, zeitwei- lig an die Grenze ihres Leistungsvermögens geführt. Durch organisatorische Maßnahmen und personelle Auf- stockung der Visastellen konnten die Wartezeiten für die Terminvergabe im Bereich der Familienzusammenfüh- rung seit Anfang 2015 jedoch wieder verringert werden. Gleichwohl müssen wir weitere Anstrengungen unter- nehmen, um der Flüchtlingswelle gerecht zu werden. Das Auswärtige Amt verstärkt daher in der Region seit drei Jahren massiv das Personal, die Visastellen arbeiten teilweise im Schichtbetrieb und haben vereinfachte For- mulare und erleichterte Nachweise eingeführt. Nötig sind jetzt eine gemeinsame Anstrengung von Bund und Ländern – insbesondere Globalzustimmungen der Länder – und neue Ansätze für die Flüchtlings- verfahren im Ausland. Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 111. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 1 Hospiz- und Palliativversorgung TOP 2 Befragung der Bundesregierung TOP 3 Fragestunde TOP 4 17. Juni 1953 – Für Freiheit, Recht und Einheit Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811100000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zu unserer 111. Plenarsitzung.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Oh! Das ist eine kölsche Zahl! Das freut mich besonders!)


– Da ansonsten das Risiko bestanden hätte, dass das
ohne jede Bemerkung schlicht zu Protokoll gegangen
wäre, habe ich mir mit der erwartbaren spontanen Re-
aktion diesen dezenten Hinweis erlaubt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf
– wir bleiben also streng bei der 1 –:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Hospiz- und Palliativver-

(Hospizund Palliativgesetz – HPG)


Drucksache 18/5170
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Wöllert, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann

(Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion DIE LINKE

Hochwertige Palliativ- und Hospizversorgung
als soziales Menschenrecht sichern

Drucksache 18/5202
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Die Fraktionen haben dazu eine Aussprachezeit von
60 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich keinen Wider-
spruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst der Parlamentarischen Staatssekretärin Annette
Widmann-Mauz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


A
Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1811100100


Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Am Ende eines Lebens, dann, wenn nicht
mehr die Frage, ob, sondern nur noch, wann und wie
man sterben wird, im Mittelpunkt steht, geht es in erster
Linie darum, den Menschen Ängste zu nehmen, Schmer-
zen zu lindern und Raum und Zeit für Begegnung, Zu-
wendung, Nähe, Geborgenheit und Mitmenschlichkeit
zu ermöglichen. Oft bleiben nur Monate, Wochen oder
Tage, in denen wir mehr Leben, mehr Lebensqualität ge-
ben können. Das ist das Ziel der Hospizbewegung und
der Palliativmedizin, und wir wollen sie darin unterstüt-
zen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Heute beraten wir in erster Lesung den Gesetzentwurf
zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in
Deutschland – und nicht, wie man aufgrund der Bericht-
erstattung im Fernsehen heute Morgen hätte vermuten
können, einen Gesetzentwurf zum assistierten Suizid.
Unser Ziel ist es, dass allen Menschen in Deutschland in
Zukunft ein möglichst flächendeckendes Angebot dieser
Hospiz- und Palliativleistungen zur Verfügung steht.

Dieses Gesetz betrifft einen Bereich unseres Lebens,
der uns allen nahegeht, weil wir ihn alle irgendwann vor
uns haben. Wir wissen oder ahnen, wie herausfordernd
es ist, einen schwerstkranken oder sterbenden Angehöri-
gen zu versorgen und zu begleiten. Es ist eine innere
Zerreißprobe zwischen Hinwendung und Überforde-
rung, Nähe und schmerzvollem Miteinander.

Viel ist in diesem Bereich in den vergangenen Jahren
geschehen, vor allem dank des Einsatzes der Hospizbe-
wegung. Neben denjenigen, die in der Hospiz- und Palli-
ativversorgung arbeiten, engagieren sich circa 80 000
Menschen ehrenamtlich in diesem Bereich.





Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
messen daher dem weiteren Auf- und Ausbau der Hos-
piz- und Palliativversorgung in Deutschland eine hohe
Bedeutung zu. Wir wollen erreichen, dass die Palliativ-
medizin und die Hospizkultur möglichst überall dort
zum Tragen kommen, wo Menschen sterben: zu Hause
oder im Hospiz, aber natürlich auch in Krankenhäusern
und in Pflegeheimen, in den Städten genauso wie auf
dem Land.

Konkret bedeutet dies: Die Palliativversorgung wird
ausdrücklicher Bestandteil der Regelversorgung in der
gesetzlichen Krankenversicherung. Zur Steigerung der
Qualität der Palliativversorgung, zur Zusatzqualifikation
der Ärzte und Pflegekräfte sowie zur besseren Vernet-
zung mit und Koordinierung von allen anderen an der
Versorgung beteiligten Berufsgruppen und Einrichtun-
gen wird es mit diesem Gesetz zusätzlich vergütete Leis-
tungen geben.

Ihre letzte Lebensphase wollen viele Menschen zu
Hause verbringen. Damit die weißen Flecken in der Pal-
liativversorgung, die es noch gibt, von der Landkarte
verschwinden, ist die häusliche Krankenpflege in der
ambulanten Palliativversorgung von erheblicher Bedeu-
tung. Dass palliative Leistungen auch zur häuslichen
Krankenpflege gehören und sie auch für einen längeren
Zeitraum als die üblichen vier Wochen verordnet werden
können, wird daher ausdrücklich in diesem Gesetz fest-
geschrieben. Der Gemeinsame Bundesausschuss wird
damit beauftragt, die Richtlinie über die Verordnung von
häuslicher Krankenpflege entsprechend zu überarbeiten.

Viele Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wollen oder können allerdings nicht zu Hause gepflegt
werden. Für sie sind zum Beispiel stationäre Hospize ein
guter Ort, um die ihnen noch verbleibende Zeit zu ver-
bringen. Die finanzielle Ausstattung stationärer Kinder-
und Erwachsenenhospize wird deshalb verbessert, zum
Beispiel durch die Erhöhung des Mindestzuschusses der
Krankenkassen, damit derzeit unterdurchschnittlich fi-
nanzierte Hospize einen höheren Tagessatz je betreuter
Person erhalten können. Zudem tragen die Krankenkas-
sen künftig einheitlich 95 Prozent statt bisher 90 Prozent
der zuschussfähigen Kosten. Damit reduziert sich der
Kostenanteil, den Hospize durch Spenden aufbringen
müssen, ohne dass sie ihren Charakter, nämlich den des
bürgerschaftlichen Engagements und der engen Veran-
kerung in der Zivilgesellschaft, verlieren oder er ihnen
genommen wird. Denn dieser Charakter prägt und trägt
die Hospizbewegung. Es ist uns wichtig, das auch bei
diesen Finanzfragen immer wieder zum Ausdruck zu
bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei den Zuschüssen für ambulante Hospizdienste
können künftig neben den Personalkosten – ebenfalls
entgegen manchem Medienbericht – auch die Sachkos-
ten berücksichtigt werden. Zudem wird ein angemesse-
nes Verhältnis von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbei-
tern sichergestellt. Wir wollen, dass ambulante
Hospizdienste stärker in die Sterbebegleitung in Pflege-
heimen einbezogen werden und Krankenhäuser künftig
Hospizdienste mit Sterbebegleitungen auch in ihren Ein-
richtungen beauftragen können.

Zur Stärkung der Hospizkultur und der Palliativver-
sorgung in den Pflegeheimen wird die Sterbebegleitung
zukünftig ausdrücklicher Bestandteil des Versorgungs-
auftrags der sozialen Pflegeversicherung. Auch Koope-
rationsverträge mit Haus- und Fachärzten, die für die
medizinische Versorgung der Bewohnerinnen und Be-
wohner besonders wichtig sind, werden in Zukunft nicht
länger freiwillig sein. Ärzte, die diese Verantwortung
und diese Herausforderung annehmen und sich daran be-
teiligen, werden in Zukunft dafür flankierend zusätzliche
Vergütungen erhalten.

Für die Krankenhäuser haben wir vorgesehen, dass
anstelle der Fallpauschalenlogik in Zukunft auch kran-
kenhausindividuelle Entgelte für Palliativstationen mit
den Krankenhausträgern vereinbart werden können –
dann, wenn die Krankenhäuser dies wünschen.

Schließlich, meine Damen, meine Herren, wollen wir
sicherstellen, dass Menschen am Ende ihres Lebens die
Unterstützung und Betreuung erhalten, die sie sich vor-
stellen. Wir alle wissen: Über Sorgen und Befürchtun-
gen, Werte und Wünsche zu sprechen, ist in dieser Le-
bensphase oft ein schwieriger und auch angstbesetzter
Prozess, mit dem sich viele überfordert und manche
auch alleingelassen fühlen. Diese Klärung gibt aber all
den Betroffenen Sicherheit und stellt darüber hinaus für
alle an diesem Prozess Beteiligten – die Angehörigen,
die behandelnden Ärzte und die Pflegekräfte – eine ganz
wichtige Leitlinie für ihren Umgang mit den Patientin-
nen und Patienten und für ihre Arbeit dar. Deshalb sehen
wir im Gesetzentwurf – neben dem dringend notwendi-
gen Anspruch auf Beratung zum Leistungsangebot in der
Palliativ- und Hospizversorgung durch die gesetzlichen
Krankenkassen – erstmals in Deutschland eine individu-
elle, ganzheitliche Beratung zu den Hilfen und Angebo-
ten in den Bereichen der medizinisch-pflegerischen,
psychosozialen und seelsorgerlichen Betreuung und Ver-
sorgung in der letzten Lebensphase in den stationären
Pflegeeinrichtungen vor. Das ist ein neues Element, und
damit sind wir Vorreiter in Europa.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir können, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, insgesamt auf den positiven Erfahrungen und den
Entwicklungen der letzten Jahre aufbauen. Vieles ist in
Bewegung. Dazu beigetragen hat nicht nur, dass wir
über alle Parteigrenzen hinweg gemeinsam einen breiten
politischen Konsens aufbauen konnten. Dazu beigetra-
gen hat vor allem auch, dass die vielen Akteure in den
jeweiligen Verantwortungsbereichen in diesem besonde-
ren Feld der Gesundheitspolitik mit großem Engagement
aktiv zusammengearbeitet haben, ob das nun im Charta-
Prozess oder im Nationalen Forum „Hospiz- und Pallia-
tivversorgung in Deutschland“ im Bundesgesundheits-
ministerium war. Ich möchte mich ausdrücklich dafür
bedanken –






(A) (C)



(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811100200

Frau Kollegin.

A
Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1811100300


– ich komme zum letzten Satz –; denn ich habe die
Diskussionen als ausgesprochen konstruktiv und pro-
duktiv empfunden. Die Hospizkultur hat damit auch ei-
nen positiven Einfluss auf die politische Kultur gehabt.
Ich freue mich auf die Beratungen im Deutschen Bun-
destag.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811100400

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Pia

Zimmermann das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811100500

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Minister Gröhe, Frau Staatssekretärin Widmann-
Mauz, Sie läuten Ihr Gesetz zur Hospiz- und Palliativ-
versorgung mit großen Worten ein. Ich zitiere:

Schwerkranke und sterbende Menschen benötigen
in ihrer letzten Lebensphase die bestmögliche
menschliche Zuwendung, Versorgung, Pflege und
Betreuung.

Ich frage Sie aber allen Ernstes: Ist das, was Sie mit die-
sem Gesetzentwurf vorlegen, Ihrer Meinung nach wirk-
lich das Bestmögliche? Meine Fraktion jedenfalls sowie
die überwiegende Mehrzahl der Sozial- und Betroffe-
nenverbände werden Ihnen da widersprechen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihre großen Ankündigungen sind erneut nur kleine
Verbesserungen. Auch durch meine langjährigen Erfah-
rungen im Gesundheitswesen kann ich Ihnen versichern:
Sie beenden damit weder die bestehenden Ungleichhei-
ten im Hospiz- und Palliativsystem, noch verbessern Sie
die Qualität. Zudem sind die von Ihnen vorgeschlagenen
Verbesserungen leider auch nicht ausreichend finanziert.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen einen präzisen, in allen Sozialgesetzbü-
chern gleichlautenden Rechtsanspruch auf eine hoch-
wertige Hospiz- und Palliativversorgung.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieser Anspruch muss für jede Bürgerin und jeden Bür-
ger unabhängig von der Art der Erkrankung, der Art der
Behinderung, dem individuellen Lebensort und natürlich
auch unabhängig von der Versicherungsform gelten.


(Beifall bei der LINKEN)


Dazu liegt heute ein Antrag meiner Fraktion vor. Ich
lade Sie herzlich ein: Schreiben Sie von uns ab. Haben
Sie Mut, und gehen Sie endlich die dringend notwendige
Reform im Bereich der Hospiz- und Palliativversorgung
an.

Meine Damen und Herren, ich möchte auf einige un-
serer Forderungen eingehen, die in Ihrem Gesetzentwurf
keine Rolle spielen, von denen wir aber meinen, sie soll-
ten enthalten sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Erstens. Heben Sie die Ungleichbehandlung zwischen
Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen und Hospi-
zen auf, und beenden Sie so die Zweiklassenbetreuung.

Zweitens. Garantieren Sie im Rahmen der Umsetzung
des neuen Pflegebegriffs, dass hospizliche und palliativ-
pflegerische Angebote in Pflegeeinrichtungen nicht wei-
ter zu steigenden Eigenanteilen für die Betroffenen und
deren Angehörige führen; denn gute Versorgung darf
auch hier nicht vom Geldbeutel abhängig sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Beseitigen Sie die strukturelle Ungleichbe-
handlung bei der palliativmedizinischen Versorgungssi-
tuation von Schmerzpatienten in Pflegeeinrichtungen.
Kein Mensch sollte Schmerzen haben, die verhindert
werden können.


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens. Hören Sie auf, die Menschen weiter mit Ih-
ren unbestimmten Rechtsbegriffen zu verunsichern, und
präzisieren Sie Ihr Gesetz bei der Hospiz- und Palliativ-
beratung sowie bei der Sterbebegleitung.

Fünftens. Schaffen Sie verbindliche Regelungen für
die Personalbemessung, und machen Sie sich auf den
Weg, die palliativmedizinische, palliativpflegerische und
hospizorientierte Ausbildung in den Gesundheits- und
Pflegeberufen bundeseinheitlich durch ein entsprechen-
des Berufsgesetz zu regeln.


(Beifall bei der LINKEN)


Nur so können wir mehr Pflegekräfte gewinnen, und nur
so können wir der akuten Arbeitsverdichtung bei den
heutigen Pflegekräften entgegentreten. Mehr gut ausge-
bildetes Personal bedeutet natürlich auch bessere Pflege.

Sechstens. Auch eine Vollfinanzierung der Hospiz-
leistungen muss drin sein, vor allen Dingen für die am-
bulanten Hospizleistungen, die Sachkosten inklusive.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ist doch alles drin!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem
Kontext will ich noch einmal erwähnen, dass ich das En-
gagement der Ehrenamtlichen in diesem Bereich außer-
ordentlich schätze und dass ihnen hohe Anerkennung ge-
bührt. Ich denke, ich spreche hier im Namen des ganzen
Hauses.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber bürgerschaftliches Engagement ist kein Ersatz für
fehlende Fachkräfte und darf auch nicht missbraucht
werden, um vorhandene Strukturdefizite zu verdecken.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


(D)






Pia Zimmermann


(A) (C)



(D)(B)

Wir brauchen eine Hospiz- und Palliativpflege, die
die Würde des Menschen unter Beachtung seiner Selbst-
bestimmung am Lebensende in den Mittelpunkt stellt.


(Beifall bei der LINKEN)


Dafür benötigen wir andere Personal- und Sachkosten-
schlüssel und endlich eine grundlegende Reform der
Pflegeversicherung, die nicht nur das Teilleistungsprin-
zip aufhebt, sondern auch eine Angleichung der Finan-
zierung der Sterbebegleitung in Pflegeheimen an das Ni-
veau der Hospize gewährleistet.

Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
das alles können Sie in unserem Antrag noch einmal
nachlesen. Daher erneuere ich mein Angebot: Schreiben
Sie von der Linken ab. Sie werden sehen: Das würde die
Hospiz- und Palliativversorgung in unserem Land weit
nach vorne bringen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Roy Kühne [CDU/CSU]: Lesen Sie doch unseren! Da steht viel drin!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811100600

Hilde Mattheis ist die nächste Rednerin für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1811100700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

stelle eingangs fest: Manche Themen eignen sich nicht
für politische Attacken. Wir in diesem Haus sind doch
alle einer Meinung – davon gehe ich aus –, dass wir im
Bereich der Hospiz- und Palliativversorgung wichtige
Bausteine setzen müssen,


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Die sind aber so klein! Nicht kleckern, sondern klotzen!)


auch als Grundlage für weitere Verbesserungen in der
Versorgung. Es geht vor allen Dingen darum, Struktur-
unterschiede aufzuheben.

Wenn wir uns in diesem Punkt einig sind, dann lassen
Sie uns darüber beraten, wie wir das hinbekommen.
Denn wir wissen doch auch alle: Das Thema „Würde im
Alter“ ist für viele von uns mit der Vorstellung verbun-
den, dass wir auch in der letzten Lebensphase möglichst
selbstbestimmt und schmerzfrei am Leben, soweit es
möglich ist, teilhaben können. Wir wollen uns nicht vor-
stellen, bettlägerig auf die Hilfe anderer angewiesen zu
sein. Stattdessen wollen wir uns vorstellen, die letzten
Tage im Kreis unserer Angehörigen, unserer Liebsten
verbringen zu können – nicht nur satt und sauber, son-
dern auch schmerzfrei, angenommen und respektiert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wissen, dass die Realität heute noch viel zu oft
anders aussieht. Heute, 30 Jahre nach dem Start der Hos-
pizbewegung, kümmern sich mehr als 1 500 ambulante
Dienste, 200 stationäre Hospize und 250 Palliativstatio-
nen sowie – das wurde schon gesagt – 80 000 hochenga-
gierte Ehrenamtliche um die Betroffenen. Die Menschen,
die sich in diesem Bereich engagieren, müssen, vor allen
Dingen im Sinne derer, um die es uns heute geht, unter-
stützt werden. Daher bringen wir heute den vorliegenden
Gesetzentwurf in das parlamentarische Verfahren ein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun geht es darum, Lücken zu schließen, was wir in
den letzten Jahren im Rahmen der Berichtspflichten des
Bundesministeriums immer wieder angemahnt haben.
Es geht nicht nur um Lücken in Bezug auf die speziali-
sierte ambulante Palliativversorgung, sondern vor allen
Dingen auch – was uns als SPD ein großes Anliegen
ist – um Lücken im Bereich der stationären Pflegeein-
richtungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir wissen: Das ist kein leichtes Thema. Wir wollen
es heute – der Medienbericht wurde schon angesprochen –
dezidiert nicht mit einer Sterbehilfedebatte verbinden.
Denn heute geht es um Hospiz- und Palliativversorgung.
Egal wo wir uns verorten, wir sind uns in diesem Haus
sicherlich einig, dass wir in dem Bereich Palliativ und
Hospiz Verbesserungen wollen. Es geht darum, dass gute
Versorgung nicht von dem Ort, an dem Menschen leben,
abhängig sein darf. Egal wo Menschen hier in Deutsch-
land leben, sie müssen die Garantie einer guten Versor-
gung haben.

Die ambulante Palliativversorgung zu verbessern und
die Vernetzung der Regelversorgung anzugehen, ist ein
wichtiger Teil dieses Gesetzentwurfs. Die Leistungsan-
sprüche der häuslichen Krankenpflege auch im Hinblick
auf ambulante Palliativversorgung gesetzlich klarzustel-
len und den Gemeinsamen Bundesausschuss zu beauf-
tragen, für den Bereich Palliativpflege konkrete Festle-
gungen zu den Versorgungsanforderungen zu treffen, ist
Bestandteil dieses Gesetzentwurfs.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die SAPV wird erleichtert. Stichworte hierfür sind:
Einführung des Schiedsverfahrens und Klarstellung in
Bezug auf selektivvertragliche Regelung. Es darf keine
SAPV light geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb wollen wir auch die stationäre und ambu-
lante Hospizarbeit weiter stärken. Es wurde schon darauf
hingewiesen: Der Anteil der zuschussfähigen Kosten,
die getragen werden, wird von 90 auf 95 Prozent erhöht.
Denn die Hospizbewegung hat uns gesagt: Wir brauchen
Anreize, um aus dem Spendenbereich Mittel für die
Hospizarbeit zu schöpfen. Diese Erhöhung ist wichtig,
aber auch die Erhöhung des Mindestzuschusses von
7 Prozent auf 9 Prozent der monatlichen Bezugsgröße.





Hilde Mattheis


(A) (C)



(D)(B)


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das geht aber auch bei der 100-Prozent-Finanzierung!)


Neben den Personalkosten werden natürlich auch die
Sachkosten angemessen berücksichtigt. Die Sterbebe-
gleitung und Palliativversorgung in stationären Pflege-
einrichtungen – auch das ist wichtig – werden ebenso
verbessert wie die ärztliche Versorgung. Wir wissen: Die
ärztliche Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen
ist nicht optimal. Auch bei diesem ganz wichtigen und
großen Bereich müssen wir leider von Unterversorgung
sprechen. Das alles sind Bausteine, auf die auch meine
Kolleginnen noch eingehen werden. Uns reicht ein guter
Wille für eine bessere Versorgung nicht aus.


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Ach was!)


Vielmehr wollen wir hier Fakten schaffen.

Ich sage zum Abschluss meiner Rede ganz deutlich:
Dieses Gesetz ist ein Baustein. Wir können in diesem ei-
nen Gesetz nicht quasi alle Bereiche regeln. Einen ande-
ren Baustein haben wir letzte Woche mit dem Versor-
gungsstärkungsgesetz gesetzt. Schauen Sie sich an, was
alles in diesem Gesetz bei der sektorenübergreifenden
Versorgung verbessert wurde; dies wirkt sich auch auf
den Bereich, um den es heute geht, aus.

Wir werden mit dem Pflegestärkungsgesetz zwei wei-
tere wichtige Dinge angehen. Wir werden auch mit dem
Präventionsgesetz – wir haben den Entwurf heute im
Ausschuss beraten und auch entsprechende Änderungs-
anträge besprochen – einen wichtigen Baustein setzen.
All das ergibt ein Gesamtkonzept, das für uns als SPD
die Überzeugung, dass Gesundheit und Pflege zur Da-
seinsvorsorge gehören, dokumentiert. Da darf es keine
zwei Klassen geben, sondern die Zugänge zum medizi-
nischen und pflegerischen Fortschritt müssen für alle ge-
geben sein. Das ist unsere Überzeugung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ja, das alles muss finanziert werden. Wir können das
Vorhaben jetzt angehen. Hinsichtlich der Finanzierungs-
fragen werben wir weiterhin für unser Konzept, nämlich
für eine solidarische und paritätische Finanzierung.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangen Sie an!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811100800

Elisabeth Scharfenberg ist die nächste Rednerin für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Minister! Herr Laumann! Sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Gäste, die heute dieser Debatte
zuhören können! Es ist ein schweres Thema, mit dem
wir uns heute befassen: Palliativ- und Hospizversor-
gung. Das ist nichts, was wir von uns wegdrücken kön-
nen. Das betrifft uns alle, jede und jeden hier im Raum.
Es geht um die eigene Endlichkeit. Es geht auch um das
eigene Sterben. Wir alle haben Angst vor Abhängigkeit.
Wir haben Angst vor Hilflosigkeit und natürlich auch
Angst vor dem Verlust der Würde. Wir haben Angst
vor dem Verlust unserer Selbstbestimmung. Wir haben
Angst vor Schmerzen. Es geht aber auch um Loslassen
und Abschied für Angehörige. Es geht auch um die Ak-
zeptanz von Grenzen, gerade für Ärzte und für Pflege-
personal. Das heißt, wir drücken dieses Thema weg, so-
lange wir irgendwie können, bis wir uns eben nicht mehr
wegducken können, bis wir uns mit dem Thema aus-
einandersetzen müssen. Das tun wir heute hier.

Bei der Palliativ- und Hospizversorgung gibt es trotz
aller Fortschritte der letzten Jahre immer noch sehr, sehr
viel zu tun. Das ist – da gebe ich der Kollegin recht –
kein Thema für parteipolitisches Gezänk.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Der Bundestag muss sich intensiv mit diesen schweren
Fragen befassen. Es ist an uns, diese Debatte anzustoßen
bzw. auszulösen, die Debatte zu führen und das Thema
dadurch natürlich auch in die Gesellschaft zu tragen.
Diese Debatte hat eine ganz hohe symbolische Bedeu-
tung. Deshalb dürfen wir daraus keine Symbolpolitik
machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Pia Zimmermann [DIE LINKE] – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das finde ich auch!)


Ihr Gesetzentwurf ist an vielen Stellen gut und richtig.
Aber ich denke, die Probleme werden nicht in der gan-
zen Breite grundsätzlich genug angepackt. Was meine
ich damit? Ich meine insbesondere die stationären Ein-
richtungen und Krankenhäuser. Sie wollen die Palliativ-
versorgung in stationären Pflegeinrichtungen und Kran-
kenhäusern stärken. Das ist absolut notwendig. Kliniken
und Pflegeheime sind die Orte, an denen 80 bis 90 Pro-
zent der Menschen sterben. Um ein Gefühl dafür zu ent-
wickeln: Ich rede hier von 700 000 bis 800 000 Men-
schen; das ist, um es noch deutlicher zu machen, die
Einwohnerzahl von Frankfurt am Main. Das zeigt uns,
wie drängend dieses Problem ist. Diese Realität erreicht
täglich die Menschen, die in stationären Einrichtungen
und Krankenhäusern leben, versorgt werden oder auch
arbeiten. Diese Einrichtungen sind nicht darauf einge-
richtet. Dennoch müssen sie diese Situation managen.

Es fehlt an Personal. Es fehlt an Geld. Gute Palliativ-
und Hospizversorgung in Kliniken und Pflegeheimen ist
aber von einem sehr, sehr gut ausgebildeten Personal ab-
hängig. Das ist auch und vor allem eine Frage von genü-
gend Personal. Dazu steht derzeit leider noch wenig in
Ihrem Gesetzentwurf. Wir alle wissen, dass es in Klini-
ken wie in Pflegeeinrichtungen doch wirklich an allen
Ecken und Enden an Personal fehlt. Wir haben einen zu-
nehmenden Fachkräftemangel; das ist kein Geheimnis.





Elisabeth Scharfenberg


(A) (C)



(D)(B)

Das können wir täglich erleben. Das können wir lesen,
und das können wir spüren. Auch die Menschen in den
Einrichtungen berichten uns das sehr drastisch.

Ein Problem ist natürlich die unzureichende Finanzie-
rung des Pflegepersonals. Ich denke, die Zusammenle-
gung der Pflegeberufe wird dieses Problem nicht lösen.
Aber was könnte eine Lösung sein? Ich denke, ein Schritt
in die richtige Richtung wäre ein verbindliches Personal-
bemessungsinstrument.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Damit würde der Personalbedarf in Krankenhäusern und
Pflegeeinrichtungen objektiv gemessen werden, das
heißt: Wie viel Personal brauche ich denn wirklich für
welche Tätigkeit? Damit könnte man auch punktgenau
landen.

Ein weiteres Problem ist, dass Bewohnerinnen und
Bewohner in stationären Einrichtungen quasi keinen An-
spruch auf einen stationären Hospizplatz haben; das ist
ein Riesenproblem. Denn man geht davon aus, dass
diese Menschen in der stationären Einrichtung oder im
Altenpflegeheim versorgt sind. Aber auch da fehlt es an
Händen, und da fehlt es an Zeit. Ich denke, damit müs-
sen wir uns ganz ehrlich auseinandersetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das alles – das weiß auch ich – geht nicht von heute
auf morgen. Das wird Geld kosten. Aber das muss uns
gute Pflege auch wert sein. Die Palliativ- und Hospizver-
sorgung ist auf gute Pflege absolut angewiesen. Gute
Palliativ- und Hospizversorgung kostet Zeit und Geld.
Wenn wir ehrlich sind, weiß das jeder hier im Raum. Ich
denke, wir sollten uns dem stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Was braucht es noch? Angehörige sterbender Men-
schen brauchen eine bessere Unterstützung. Trauerbe-
gleitung ist besonders wichtig. Der Sterbeprozess, denke
ich, ist ein ganz besonderer Prozess; Kliniken berichten
uns das. Angehörige zu unterstützen, ist aktive Präven-
tion und beugt Erkrankungen nach dem Todesfall vor.
Ich meine hiermit ganz klar Depressionen.

Auch das fehlt mir derzeit noch – ich sage: „derzeit
noch“ – in Ihrem Gesetzentwurf. Ich denke aber, das ist
leicht zu heilen und wird nicht allzu viel Geld kosten.
Die Wirkung ist enorm groß, und wir sollten auch hier
genau hinschauen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss. Ich denke, die Gesetzesvor-
haben, die wir im Moment angehen, nehmen beeindru-
ckend schnell Gestalt an, aber ich glaube wirklich, wir
sollten auch noch mutige Weichenstellungen vorneh-
men. Wir haben zurzeit eine riesengroße Chance. Diese
Chance sollten wir nutzen, gerade im Bereich der Pallia-
tiv- und Hospizversorgung. Das sind wir den Menschen
im Land und auch uns schuldig.
Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
haben in diesem Haus einen interfraktionellen Arbeits-
kreis Palliativ- und Hospizversorgung, in dem sehr kol-
legial und gut miteinander gearbeitet wird. Ich bitte ein-
fach wirklich noch einmal, zu erwägen, ob dies nicht ein
Thema für einen gemeinsamen interfraktionellen Ge-
setzentwurf ist. Wir alle haben gute Ideen. Lassen Sie sie
uns einspeisen und uns gemeinsam an einem Strang zie-
hen. Das wäre ein starkes Zeichen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811100900

Ich erteile dem Kollegen Jens Spahn für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1811101000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

66 Prozent der Deutschen sagen, sie würden gerne zu
Hause sterben können, aber nur 20 Prozent ist das tat-
sächlich vergönnt. Sie haben darauf hingewiesen: Es
geht um Hunderttausende Menschen, die jedes Jahr ster-
ben. Nur 3 Prozent sagen in Umfragen, sie würden es
sich wünschen bzw. vorstellen können, im Krankenhaus
zu sterben; das wäre eine Option für sie. Tatsächlich
stirbt etwa die Hälfte – gute 50 Prozent – aller Menschen
in Deutschland in Krankenhäusern. Nur 1 Prozent sagt,
sie können es sich vorstellen bzw. würden es sich wün-
schen, in einem Pflegeheim zu sterben. Tatsächlich ster-
ben etwa 23 Prozent in einer Pflegeeinrichtung.

Allein diese wenigen Zahlen machen deutlich, für wie
wenige Menschen der Wunsch, zu Hause zu sterben – sie
sagen für sich: das sind das Umfeld und die Situation, in
denen ich aus dieser Welt scheiden möchte; das möchte
ich durchleben und erleben –, tatsächlich wahr wird.
Deswegen ist es wichtig, dass wir das durch eine gute
ambulante Palliativversorgung und einen entsprechen-
den Ausbau möglich machen.

Wir haben 2007 mit einem ersten entsprechenden Ge-
setz begonnen, durch das diese Leistungen vor acht Jah-
ren in die Regelversorgung der gesetzlichen Kranken-
versicherung aufgenommen wurden. Seitdem ist viel
passiert, aber noch nicht flächendeckend genug. Deswe-
gen ist es gut und wichtig, dass wir mit diesem Gesetz-
entwurf weitere Schritte gehen, um diesem Wunsch ge-
recht zu werden und die ambulante Palliativversorgung
in Deutschland auszubauen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu müssen natürlich viele kleine Maßnahmen er-
griffen werden, die auch schon angesprochen wurden,
zum Beispiel die Einführung von Schiedsstellen, das
Vergüten bestimmter Leistungen, das Anheben der ärzt-





Jens Spahn


(A) (C)



(D)(B)

lichen Vergütung und Kooperationen mit Pflegeeinrich-
tungen.

Frau Zimmermann, Sie haben hier einige Forderun-
gen erhoben, denen am Ende auch niemand widerspre-
chen mag. Das Problem ist nur: Diese sind so allgemein-
gültig, dass den Menschen damit nicht geholfen ist. Sie
müssen im Gesetzentwurf am Ende dann schon auch
konkrete Maßnahmen vorsehen, die zum Teil eben klein-
teilig sind und deren Umsetzung zu einer besseren Ver-
sorgung führen kann.

Eines werden Sie uns nicht ausreden können, näm-
lich, dass wir viele gute Maßnahmen vorgeschlagen ha-
ben, die in die richtige Richtung gehen. Es wäre schön,
wenn Sie das im Interesse der Menschen auch einmal an-
erkennen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Personalbemessung! Sie müssen einmal zuhören!)


Es ist gerade gesagt worden, man solle diese Debatte
hier nicht parteipolitisch ausschlachten.


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Genau!)


Dass Sie daraus indirekt wieder eine Debatte über die
Bürgerversicherung und über die private und gesetzliche
Krankenversicherung machen, sieht mir sehr nach Aus-
schlachten aus.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dazu hat sie kein Wort gesagt!)


– Sie haben von unterschiedlichen Klassen bei der
Palliativversorgung gesprochen.


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Nein, habe ich nicht! Ich habe gesagt: unabhängig von der Versicherung, die jemand hat!)


– Ja, unabhängig von der Versicherung. Damit deuten
Sie das an.

Das eigentliche Problem ist übrigens ein anderes
– das muss hier auch einmal gesagt werden –: Die
Privatversicherten haben an dieser Stelle viel mehr Pro-
bleme als die gesetzlich Versicherten, weil sich die pri-
vaten Krankenversicherungen oft weigern, eine Pallia-
tivversorgung zu bezahlen. Wenn wir an dieser Stelle
gemeinsam mit Ihnen zu einer Verbesserung für die Pri-
vatversicherten kommen können, dann können wir gerne
darüber reden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Sie sollten Ihre Arbeit ordentlich machen!)


Ein weiterer Punkt, der vielen Menschen in dieser De-
batte wichtig ist – dies beschäftigt und besorgt sie, wes-
halb man diese Debatte heute nicht ganz von der Debatte
über Sterbehilfe trennen kann, Frau Mattheis –, ist die
Angst vor einem qualvollen Tod. Sie haben Angst vor
Schmerzen, Atemnot und Leid. Aus dieser Angst und
dieser Sorge heraus wächst – das zeigen auch Umfragen –
der Wunsch nach Sterbehilfe bzw. nach der Möglichkeit,
diese Option zu haben, um dem Leid zu entgehen. Des-
wegen kann man diese beiden Debatten nicht völlig von-
einander trennen.

Wenn es aber so ist, dass vor allem diese Angst vor
Leid und Qualen während des Sterbeprozesses dazu
führt, dass viele überhaupt erst über die Option der Ster-
behilfe nachdenken, dann ist doch die erste und beste
Antwort auf diese Sorgen, dass wir sagen: Jeder in
Deutschland soll die Möglichkeit haben, soweit es eben
geht, ohne Schmerzen und Angst vor Atemnot mit einer
entsprechenden medizinischen und pflegerischen Be-
gleitung sterben zu können. Wir wollen den Menschen
genau diese Angst nehmen, indem wir ihnen ein Ange-
bot machen. Das ist die erste und beste Antwort auf die
Debatte zur Sterbehilfe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Noch ein Punkt: Wir sind – wenn wir den Blick auf
die Diskussion über die Palliativmedizin insgesamt in
den letzten 15 bis 25 Jahren richten – doch weitergekom-
men. Auch hier ist ein enormer Fortschritt erkennbar.

Überhaupt hat sich die Frage bezüglich einer Pallia-
tivversorgung in diesem Umfang erst gestellt, nachdem
es ab den 60er- und 70er-Jahren moderne medizinische
Möglichkeiten wie eine Reanimation bzw. Wiederbele-
bung in der Folge der künstlichen Beatmung und künstli-
chen Ernährung gab. Erst dadurch sind an vielen Stellen
viel längere Sterbeprozesse – über viele Wochen, Mo-
nate und zum Teil sogar Jahre hinweg – und ganz andere
Situationen am Lebensende entstanden. Dadurch stellte
sich die Debatte über Fragen des Sterbens bzw. des Ster-
beprozesses noch einmal ganz anders dar, als es in den
vielen Jahrzehnten, Jahrhunderten und Jahrtausenden
vorher der Fall war.

Wir haben in den letzten 40 bis 60 Jahren ganz
enorme Fortschritte erlebt, was die Möglichkeiten der
Medizin angeht. Das hat zunächst erst einmal dazu ge-
führt, dass wir lange leben können. Außerdem kann im
Sterbeprozess noch vieles zusätzlich möglich gemacht
werden.

Ein Problem dabei war – das wird erst seit 10, 20 Jah-
ren in der Medizin bzw. bei den Ärzten, in der Gesell-
schaft und der Politik richtig diskutiert –, dass der Fokus
viel zu lange und in zu starkem Maße auf folgende Fra-
gen gerichtet war: Was geht technisch noch? Was kön-
nen wir noch an Technik bzw. Gerät und Medizin einset-
zen, um irgendetwas zusätzlich möglich zu machen?
Man hat dabei nicht die Debatte über die Fragen zugelas-
sen: Was ist eine gute, sinnvolle und qualitätsvolle Ster-
bebegleitung? Wann sollte man es vielleicht auch einmal
gut sein lassen? Es ging darum, überhaupt erst einmal
anzuerkennen, dass es Situationen gibt, in denen ein Arzt
nicht mehr heilen bzw. behandeln und etwas besser ma-
chen kann, sondern dass nichts mehr geht und der Pro-
zess des Sterbens einsetzt.

Aus dem Anerkennen der Tatsache, dass man am
Ende der Möglichkeiten ist, wurde in den 90er-Jahren
eine gute Sterbebegleitung, Palliativversorgung und
Hospizarbeit entwickelt. Das ist der Qualitätsschritt, der
in den letzten 10, 20 Jahren gelungen ist. Er findet in





Jens Spahn


(A) (C)



(D)(B)

dieser Debatte, die wir aktuell hier haben, eine gute und
sinnvolle Fortsetzung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend richte ich einen Appell an uns alle. Da-
für sind ja Debatten wie diese – sie finden auf vielen
Veranstaltungen, die wir auch vor Ort haben, statt – ge-
eignet. Sie erfreuen sich übrigens – auch wenn es um Pa-
tientenverfügungen und ähnliche Themen geht – großen
Interesses. Man wundert sich, wie viele Menschen mit
ganz konkreten Fragen zu solchen Veranstaltungen kom-
men. So wird das Sterben ein Stück weit wieder ins Le-
ben bzw. in den Alltag zurückgeholt.

Ich weiß noch – ich habe das hier, glaube ich, schon
einmal gesagt –, wie mir meine Eltern und meine Groß-
eltern gesagt haben: Früher war das Sterben zu Hause
ganz normal. Es war auch selbstverständlich, dass man
als Kind die Großmutter oder den Großvater hat sterben
sehen. Ich war um die 30, als ich zum ersten Mal einen
Toten gesehen habe. Es gibt viele Menschen, die 50 oder
60 Jahre alt sind und noch nie in ihrem Leben einen To-
ten gesehen haben. Wir schieben das weg – außerhalb
dessen, was Familie, Zuhause bzw. Heim ist.

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir mit dieser Debatte
das Sterben bzw. den Tod wieder als Teil des Lebens in
den Alltag zurückholen; denn damit enttabuisieren wir
den Tod. Dann ist es möglich, über all die Dinge zu dis-
kutieren, über die auch wir hier reden. Und es ist weiter-
hin möglich, auch über das zu sprechen, was notwendig
für eine gute Sterbebegleitung ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811101100

Kathrin Vogler ist die nächste Rednerin für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811101200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Vielleicht sollten wir uns noch einmal
vergegenwärtigen, worüber wir hier sprechen: Es geht
um die Angst, die viele Menschen begleitet, dass sie ihre
letzten Lebensstunden zwischen piepsenden Apparaten
verbringen müssen, versorgt von gestressten Pflegekräf-
ten, deren Gesichter hinter einem Mundschutz versteckt
sind, oder dass sie im Pflegeheim mit viel zu wenig Per-
sonal dahinvegetieren oder schwere und unerträgliche
Schmerzen und Ängste erleiden müssen. Aber das muss
nicht sein. Diese Ängste können und sollten wir den
Menschen nehmen.

Niemand, egal bei welcher Krankheit, muss unter un-
erträglichen Schmerzen leiden; denn wenn Heilung nicht
mehr möglich ist, kann heute die Palliativmedizin Linde-
rung und Hilfe auch am Lebensende bieten. Dabei steht
am Lebensende die Lebensqualität, so absurd das viel-
leicht klingen mag, im Mittelpunkt. Darum kümmern
sich viele Menschen als Beschäftigte oder Ehrenamtli-
che auf Palliativstationen, in Hospizen oder in ambulan-
ten Palliativteams. Dafür haben sie jeden Dank, auch den
dieses Hauses, verdient.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber leider ist es nicht so, dass wir schon eine flä-
chendeckende Versorgung hätten und dass wirklich jeder
Mensch von diesen Angeboten erreicht werden kann.
Das müssen wir ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer nicht mehr lange zu leben hat, der kann nicht wo-
chenlang auf einen Platz im Hospiz oder auf die Unter-
stützung eines Palliativteams warten. Deswegen, Herr
Minister Gröhe, bedanke ich mich bei Ihnen und Ihrem
Team, dass Sie uns relativ zügig einen Gesetzentwurf
vorgelegt haben, um die Hospiz- und Palliativversor-
gung zu verbessern.

Manches, was Sie vorschlagen, geht durchaus in die
richtige Richtung; darin sind wir uns einig, dabei unter-
stützen wir Sie. Aber ich finde wirklich, lieber Jens
Spahn, dass es notwendig ist und möglich sein muss,
Punkte zu benennen, wo noch Lücken sind und wo noch
Nachbesserungsbedarf besteht.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Klar!)


Dafür haben wir einen Antrag eingebracht, den ich Sie
noch einmal bitte zu lesen.

Wir würden uns freuen, wenn einige unserer Vor-
schläge aufgegriffen würden. Ich nenne einige Beispiele.
Es ist nicht einzusehen, dass hochqualifizierte Leitungs-
kräfte in Hospizen ihre wertvolle Arbeitszeit dafür auf-
wenden, um Spenden zu sammeln. Wir schlagen also
vor, die Arbeit in den Hospizen vollständig zu finanzie-
ren und den Einrichtungen damit Sicherheit zu geben.
Unterschiedliche Standards in Hospizen und Pflegehei-
men dürfen nicht sein. Jens Spahn hat darauf hingewie-
sen: Viel mehr Menschen sterben in Pflegeheimen als in
Hospizen. Auch in der Pflegeausbildung müssen die Be-
reiche Palliativmedizin, palliative Betreuung und Sterbe-
begleitung aufgewertet werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Was wir wollen, ist, dass jeder Mensch, auch auf dem
Land, egal welche Erkrankung er hat, einen verbindli-
chen Anspruch auf allgemeine und auch auf speziali-
sierte Palliativversorgung bekommt, und zwar sowohl
ambulant als auch stationär. Dafür müssen wir den Hos-
pizausbau noch einmal forcieren, insbesondere auf dem
Land und für Kinder. Auch die Trauerbegleitung für
Kinder und verwaiste Eltern müssen wir noch einmal in
den Blick nehmen.

Im Übrigen fehlt noch ein wichtiger Wunsch, den ich
Ihnen in meinem letzten Satz gerne mitgeben möchte
– ihn höre ich bei jedem Hospizbesuch und bei jedem
Gespräch mit Medizinerinnen und Medizinern aus der
Palliativversorgung –: Wenn Sie Schwerkranken und
Schmerzpatienten wirksam helfen wollen, dann geben
Sie endlich auch Cannabis für Kranke frei.





Kathrin Vogler


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/ CSU]: Und Sie reden von einer nicht politisierten Debatte!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811101300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Helga Kühn-

Mengel für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Helga Kühn-Mengel (SPD):
Rede ID: ID1811101400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der
Tribüne! Dieses Thema – da haben Sie, die Sie das ge-
sagt haben, völlig recht – eignet sich nicht für den politi-
schen Schlagabtausch.

Korrigieren, Frau Zimmermann, möchte ich Sie an ei-
ner Stelle: Es gibt zwischen uns sehr viele Schnittstellen
und viele Dinge, die wir ähnlich sehen. Auch die Ver-
bände stimmen diesem Gesetzentwurf in großer Zahl zu.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es gibt viele Diskussionsgruppen, auch im interfraktio-
nellen Arbeitskreis. An vielen Stellen wird die richtige
Weichenstellung betont, und das ist ganz wichtig.

Das Thema steht zwar nicht direkt, aber indirekt in
Beziehung zur Sterbehilfe. Wir haben immer gesagt: Be-
vor wir darüber reden, müssen wir die hospizliche und
palliative Versorgung verbessern, und das tun wir mit
diesem Gesetzentwurf ganz deutlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Man muss auch sagen, dass sich viel getan hat. Was
die Entwicklung der Schmerztherapie angeht, ist in den
letzten zehn Jahren viel geschehen, was zur Stärkung der
Palliativversorgung und der ambulanten und hospizli-
chen Versorgung beigetragen hat. Sie ist zwar noch nicht
flächendeckend, aber deutlich verbessert worden. Bun-
desweit haben 8 000 Ärztinnen und Ärzte die Zusatzbe-
zeichnung „Palliativmedizin“ erworben. Das bedeutet
eine deutliche Qualitätsverbesserung. Über 20 000 Pfle-
gekräfte sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weite-
rer Berufsgruppen haben eine anerkannte Weiterbildung
in diesem Bereich absolviert.

Wir brauchen zwar noch mehr Kräfte, aber ich be-
tone: Es ist viel geschehen. Trotzdem bleibt noch viel zu
tun. Wir brauchen eine flächendeckende Hospiz- und
Palliativversorgung auch da, wo es heute noch wenig
Angebote gibt. Wir müssen immer die Qualität im Blick
haben, bei der ambulanten Schmerztherapie wie auch bei
der spezialisierten Therapie.

Wir müssen auch auf die betroffenen Kinder achten
– sie werden mit ihren lebensbedrohenden und lebens-
verkürzenden Erkrankungen oft viele Jahre versorgt –
und im Blick behalten, welche Kooperationen, Netz-
werke und Angebote es in diesem Bereich gibt.
Wichtig ist auch der Krankenhausbereich. 46 Prozent
der Menschen, die jährlich in Deutschland versterben,
sterben im Krankenhaus.

Wir brauchen auch mehr sektorenübergreifende Ko-
operationen. In diesem Zusammenhang verweise ich auf
das Versorgungsstärkungsgesetz mit dem Innovations-
fonds, der zum Beispiel auch die Möglichkeit bietet,
Projekte zur sektorenübergreifenden Versorgung zu be-
nennen und zu fördern.

Vor diesem Hintergrund geht der Gesetzentwurf ein-
deutig in die richtige Richtung: mehr Möglichkeiten zur
Vernetzung und zur Koordination sowie mehr Angebote
in der Region, gerade auch im ländlichen Bereich.

Gut ist bei der Weiterentwicklung der allgemeinen
ambulanten Palliativversorgung und der Finanzierung
der Hospize – Kollegin Mattheis hat es schon erwähnt –,
dass 95 Prozent der zuschussfähigen Kosten übernom-
men werden. Die Finanzierung wurde erweitert; es ist
aber keine Vollfinanzierung, weil – auch das will ich er-
wähnen – das Ehrenamt zur Palliativversorgung und zur
Hospizversorgung gehört.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man muss den 80 000 Ehrenamtlichen in diesem Be-
reich immer wieder danken und ihnen Wertschätzung
entgegenbringen. Sie gehören seit dem Ursprung der
Hospizversorgung dazu.


(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir müssen auch die Hausärzte und das Pflegeperso-
nal darauf hinweisen, dass sie beraten müssen und die
Menschen einen Rechtsanspruch darauf haben. Deswe-
gen ist es richtig, dass dies mit dem Gesetzentwurf be-
tont wird.

Richtig und wichtig ist, dass wir jedem Mann und je-
der Frau einen Zugang zur palliativen und hospizlichen
Versorgung schaffen müssen. Das ist ganz wichtig. Ge-
statten Sie mir eine persönliche Bemerkung: Ich bin
auch dafür, dass wir im Krankenhaus einen Palliativbe-
auftragten oder eine -beauftragte implementieren und
dies zu einem Bestandteil der Qualitätssicherung ma-
chen.

Die palliative Versorgung kann vieles leisten. Men-
schen, die sterben müssen, machen häufig die Erfahrung,
dass durch Schmerz- und Symptomkontrolle – so para-
dox es klingt – wieder mehr Lebensqualität und Lebens-
mut entstehen.

Insofern kann ich sagen: Wir werden alle an diesem
Gesetzentwurf arbeiten und ihn weiterentwickeln. Er ist
ein sehr guter Schritt für die Patientinnen und Patienten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811101500

Das Wort erhält nun der Kollege Harald Terpe für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811101600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

sage es gleich vorneweg: Jede einzelne Regelung, die
Sie im Gesetzentwurf vorschlagen, erweitert die Mög-
lichkeiten der Palliativ- und Hospizversorgung. Es geht
dabei um eine Versorgung im Leben am Lebensende und
die Sicherung der Lebensqualität. Das muss man gerade
im Zusammenhang mit der Diskussion über Sterbehilfe
eindeutig betonen: Die Palliativversorgung ist eine Hilfe
zum Leben und zur Sicherung der Lebensqualität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich greife einen der Vorschläge heraus. Die Stärkung
der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung ist ein
wesentlicher Baustein des Gesetzes; denn hier holen wir
etwas nach, was wir vielleicht schon etwas früher hätten
machen müssen. Wir haben heute das Problem – das
muss man klar sagen –, dass der Gedanke der Palliativ-
medizin und der Hospizversorgung gar nicht flächende-
ckend verankert ist, weder bei den Patienten noch bei
den Angehörigen und auch nicht beim medizinischen
Personal. Bis die flächendeckende Beratung, die wir uns
alle wahrscheinlich gemeinsam vorstellen, erreicht ist,
wird es noch eine Weile dauern. In diesem Zusammen-
hang ist die Stärkung der allgemeinen ambulanten
Palliativversorgung eine wichtige Sache.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ebenfalls wichtig ist die Koordination. Das Gesetz
berücksichtigt durch entsprechende Regelungen auch
den koordinativen Faktor. Es wird beispielsweise vorge-
schlagen, im Krankenhaus einen Beauftragten für pallia-
tivmedizinische Angelegenheiten zu implementieren.
Wie auch immer man es letztendlich macht: Die Koordi-
nation der unterschiedlichen Ebenen der Palliativ- und
Hospizversorgung ist eine wichtige Aufgabe, die wir in
Angriff nehmen müssen; denn es gibt Zielkonflikte. Je-
der wünscht sich, im Kreise seiner lieben Angehörigen
und mit aller erdenklichen Hilfe zu Hause zu sterben.
Aber stationäre Palliativmedizin und Hospize sind eine
Form der Zentralisierung, weil hier spezialisiertes Wis-
sen angeboten wird. Dieser Zielkonflikt lässt sich nur
durch eine sehr enge Koordination der unterschiedlichen
Ebenen lösen.

Natürlich kann man noch mehr machen. Wir müssen
im parlamentarischen Verfahren wahrscheinlich auch da-
rüber diskutieren, wie wir es schaffen, dass es mehr Hos-
pize in der Fläche gibt. Die Deckung der Betriebskosten
zu 95 Prozent ist sicherlich richtig. Ich betone aber, dass
es wichtig ist, nicht 100 Prozent zu übernehmen; denn es
geht hier oft um das Ehrenamt. Die ehrenamtlich Tätigen
möchten gar nicht 100 Prozent haben, weil sie ansonsten
das Gefühl haben, eine stille Enteignung ihrer Idee hin-
nehmen zu müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssten auch eine Lösung zugunsten von Investi-
tionen in Hospize finden. Dafür haben wir bislang noch
keine Lösung. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir
die Palliativ- und Hospizbewegung in vielen mittelgro-
ßen Städten, wohin Hospize eigentlich gehören und in
denen oft keine vorhanden sind, befördern können. Ich
plädiere dafür, uns darüber im parlamentarischen Ver-
fahren Gedanken zu machen.

Wir müssen uns zudem Gedanken über die Ausbil-
dung im Bereich der Palliativ- und Hospizpflege ma-
chen. Diese Pflege ist partiell anders als die in Pflegehei-
men. Es geht hier um das Selbstbestimmungsrecht der zu
Pflegenden, das es zu achten gilt, obwohl man weiß,
dass die zu Pflegenden ihre Autonomie zunehmend ver-
lieren.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811101700

Herr Kollege.


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811101800

Ich komme gleich zum Schluss. – Ich erlebe oft, dass

dann eine Übernahme durch die Pflegekräfte erfolgt, die
nichts mit dem Selbstbestimmungsrecht der zu Pflegen-
den zu tun hat. In dieser Hinsicht gibt es in der Ausbil-
dung noch viel zu tun.

In diesem Sinne appelliere ich, interfraktionell zu dis-
kutieren und möglicherweise zu einem interfraktionellen
Gesetzentwurf zu kommen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1811101900

Emmi Zeulner ist die nächste Rednerin für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Emmi Zeulner (CSU):
Rede ID: ID1811102000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Leben in Würde bis zuletzt – diesen Satz hö-
ren wir in der derzeitigen Debatte immer wieder. Doch
was Würde für den Einzelnen ausmacht und was ein Le-
ben und Sterben in Würde bedeutet, können wir als Poli-
tiker nicht festlegen. Dies bleibt eine ganz individuelle
Entscheidung für jeden von uns. Doch was wir von poli-
tischer Seite definieren können, sind die bestmöglichen
Rahmenbedingungen für ein würdevolles Leben und, ja,
auch ein würdevolles Sterben.

Um diese Gestaltung der Rahmenbedingungen geht
es auch heute wieder im vorliegenden Gesetzentwurf.
Als zuständige Berichterstatterin der CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion möchte ich gerne einige für mich wich-
tige Punkte ausführen. Es ist mir ein Herzensanliegen,





Emmi Zeulner


(A) (C)



(D)(B)

die Versorgung mit spezialisierter ambulanter Palliativ-
versorgung, kurz SAPV, besonders im ländlichen Raum
zu stärken, weil es dort noch die meisten weißen Flecken
gibt.

Was macht SAPV aus? Die SAPV ist ein Team aus
hochspezialisierten Palliativmedizinern und Palliativ-
pflegekräften, das rund um die Uhr für schwerstkranke
und sterbende Menschen und deren Angehörige zu
Hause oder im Pflegeheim erreichbar ist. Das Team hat
einen ganzheitlichen Therapieansatz, der die medizini-
sche, pflegerische und psychosoziale Betreuung umfasst.
Der Patient und die betroffene Familie können sich also
in schwierigen Situationen, wenn zum Beispiel plötzlich
starke Schmerzen oder Atemnot beim Patienten auftre-
ten, in ein sicheres Netz fallen lassen. Dieser vernetzte
Ansatz zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen
Gesetzentwurf.

Um dieses Netz weiterzuspinnen und die letzten Lü-
cken endgültig zu schließen, ist es richtig, Schiedsstellen
einzurichten, wo eine Einigung in Bezug auf den Ver-
tragsinhalt zwischen Krankenkassen und SAPV-Teams
erzielt werden kann; denn im Gegensatz zu Teams in
Ballungsräumen stehen die Teams im ländlichen Raum
vor ganz anderen Herausforderungen: Die Wege sind
länger, die betroffenen Patienten weniger, und die Kin-
der der Patienten sind häufig gar nicht mehr vor Ort,
sondern in Ballungsräumen, nämlich dort, wo die Arbeit
ist, und fallen als Unterstützung weg. Trotzdem muss es
möglich sein, auch dort SAPV-Teams entstehen zu las-
sen, die sich finanziell tragen. Die Schiedsstellen sind
ein Hebel dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber nicht nur im ambulanten Bereich bessern wir
nach, sondern auch im stationären Bereich, im Bereich
der Palliativstationen. Das Fallpauschalensystem, wie es
in Krankenhäusern üblich ist – ich werde nicht müde, es
zu sagen –, belohnt ein Mehr an Leistungen mit mehr
Geld. Das passt einfach nicht für Palliativstationen. Ta-
gesgleiche Pflegesätze hingegen machen es möglich,
ohne Einbußen bei der Vergütung den Patienten indivi-
duell zu betreuen. Wenn ein sterbenskranker Mensch
keine Musiktherapie mehr haben möchte, dann sollte das
ohne einen finanziellen Nachteil für die Stationen mög-
lich sein.

Zukünftig wollen wir eine echte Wahlmöglichkeit
zwischen den Systemen schaffen. Es wird Krankenhäu-
sern gesetzlich das Recht zugesprochen, gegenüber den
Kassen die Abkehr vom DRG-System auf Palliativsta-
tionen zu erklären, wenn sie das wollen. Die Qualität
darf darunter natürlich nicht leiden. Deswegen gibt es
zum Beispiel in Bayern im Sinne des Bayerischen Kran-
kenhausgesetzes verbindliche Qualitätskriterien für Pal-
liativstationen. Um im gesamten System Krankenhaus
den Palliativgedanken besser zu verwurzeln, werden wir
über zusätzliche Palliativbeauftragte, wie es die Kollegin
schon angesprochen hat, natürlich diskutieren müssen.

Auch die Einrichtung eines Konsiliardienstes sollte
besser berücksichtigt werden; denn wir unterstützen
zwar im neuen Krankenhausgesetz mit den Struktur-
fonds den Aufbau neuer Palliativstationen, was sehr
sinnvoll ist, aber natürlich wird nicht jedes Krankenhaus
eine solche schaffen können. Trotzdem sollten auch in
Krankenhäusern ohne Palliativstation die Menschen in
der letzten Phase fachgerecht betreut werden und die
Pflegekräfte und Ärzte einen Experten der Hospiz- und
Palliativversorgung hinzurufen können.

Auch die finanzielle Ausstattung ambulanter Hospiz-
dienste und stationärer Hospize werden wir entspre-
chend verbessern. So können zukünftig beispielsweise
Kinderhospize eigene Rahmenvereinbarungen treffen.
Die unschätzbar wichtige Arbeit, die dort tagtäglich ge-
leistet wird, verlangt eine entsprechende Unterstützung
und Honorierung. Das tun wir. An dem bürgerschaftli-
chen Gedanken, auf dem die Hospizbewegung fußt, hal-
ten wir dabei dennoch fest.

Die Grundvoraussetzung für eine bessere Versorgung
ist jedoch, die Menschen in unserem Land über die Mög-
lichkeiten der Hospiz- und Palliativversorgung aufzuklä-
ren. Die gesetzlichen Krankenkassen werden hierbei be-
auftragt, als Lotsen zu fungieren und die Menschen über
ihre Möglichkeiten zu informieren.

Als Parlamentarierin ist es mir wichtig, dass klarge-
stellt wird, dass im Rahmen einer ganzheitlichen Bera-
tung zum Beispiel die Möglichkeit einer Patientenverfü-
gung oder einer Vorsorgevollmacht angesprochen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch eine öffentliche Kampagne könnte dieses Anliegen
unterstützen.

Der Entwurf des Hospiz- und Palliativgesetzes schafft
durchdachte und dynamische Rahmenbedingungen, die
die Versorgung in unserem Land nachhaltig positiv prä-
gen werden; davon bin ich fest überzeugt. Nach dem
vorgelegten Eckpunktepapier der Koalition, aus dem
sich der Gesetzentwurf entwickelt hat, kommt nun un-
sere Stunde, die Stunde der Parlamentarier. Ich freue
mich, gemeinsam mit Ihnen parteiübergreifend diesem
guten Gesetzentwurf den letzten Schliff zu geben.

Liebe Kollegin Zimmermann, selbstverständlich kann
ich lesen, auch die Anträge der Linken. Die in den Ge-
setzentwurf eingeflochtenen Überprüfungen werden das
Parlament auch noch in der nächsten Legislatur beschäf-
tigen. Ich bin geneigt, zu sagen: Wir haben hier eine his-
torische Chance, die entscheidenden Weichen für einen
vernetzten, ganzheitlichen, patientenorientierten Ansatz
in der Versorgung sterbender und schwerstkranker Men-
schen zu stellen.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811102100

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Bettina Müller, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Bettina Müller (SPD):
Rede ID: ID1811102200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Heute verbringt die Mehrheit der Menschen
die letzte Lebensphase in stationären Einrichtungen, in
Pflegeheimen oder in Krankenhäusern. Wenn die
schwerkranken und sterbenden Menschen eine Wahl hät-
ten, würden die meisten von ihnen lieber zu Hause im
Kreis ihrer Angehörigen sterben. Dafür brauchen wir ei-
nen umfassenden Ausbau der Palliativmedizin, der Pallia-
tivpflege und der hospizlichen Sterbebegleitung.

Insbesondere im ländlichen Raum fehlt es jedoch an
ausreichenden Angeboten auf diesem Gebiet. Deshalb
wollen wir mit dem vorgelegten Gesetzentwurf auch die
Hausärzte durch Programme und Netzwerke stärker an
der Versorgung von schwerkranken und sterbenden
Menschen beteiligen. Sie haben oft über Jahre hinweg
einen sehr intensiven und auch sehr vertrauensvollen
Kontakt zu ihren Patienten. Die meisten Kranken wün-
schen sich daher, dass der Arzt, der die Familie ein Le-
ben lang begleitet und auch sie selbst behandelt hat, am
Ende des Lebens zur Stelle ist und sie ihm ihre Sorgen
und Nöte mitteilen können. Wir werden daher ein beson-
deres Augenmerk auf die Versorgungsverträge richten,
die die Selbstverwaltungspartner für diesen hausärztli-
chen Bereich aushandeln müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei muss natürlich auch darauf geachtet werden,
dass die Qualität stimmt. Entsprechende Zusatzqualifi-
kationen oder eine enge Anbindung an SAPV-Teams
sind unabdingbare Voraussetzung für einen Einsatz in
diesem Bereich. Eine Palliativversorgung zweiter Klasse
wird es mit uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht
geben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Emmi Zeulner [CDU/CSU])


Hier gilt aber auch: Konkurrenzdenken ist völlig fehl
am Platz. Vielmehr werden wir in den nächsten Jahren
aus allen Berufsgruppen Spezialisten für diese wichtige
Aufgabe brauchen. Es wird zum einen aufgrund der de-
mografischen Entwicklung eine höhere Anzahl schwer-
kranker und sterbender Menschen geben. Zum anderen
wird gerade mit diesem verbesserten Angebot für die
hospizliche und palliative Versorgung im häuslichen Be-
reich, die wir mit diesem Gesetz schaffen, auch die Zahl
derer steigen, die zu Hause bleiben und diese Form der
Versorgung in Anspruch nehmen wollen. Gerade in der
letzten Lebensphase verändert sich zudem der Hilfebe-
darf ständig, sodass eine vernetzte Versorgung – dieses
Stichwort ist heute wiederholt gefallen – besonders
wichtig ist. Hier wird es ein Zusammenwirken von Fach-
ärzten, Hausärzten, SAPV-Teams und Hospizdiensten
geben müssen, um den Bedürfnissen der Schwerkranken
gerecht zu werden.

Wir brauchen nicht nur ein Mehr an Versorgung; wir
brauchen vor allen Dingen auch die Vielfalt an Versor-
gungsformen. Wir brauchen also alle, die für diese Ver-
sorgung geeignet sind. Ich appelliere an alle, sich eng zu
vernetzen und in den Regionen zum Wohl der Patienten
zusammenzuarbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die häusliche Kran-
kenpflege hat hier eine besondere Bedeutung. Wir
werden daher die Voraussetzung dafür schaffen, dass
Menschen über die üblichen vier Wochen hinaus pallia-
tivpflegerisch betreut werden können, und das Leis-
tungsspektrum entsprechend erweitern. Um den Ausbau
der SAPV im ländlichen Raum zu fördern, werden wir
– das ist schon angeklungen – die betreffenden Versor-
gungsverträge dadurch unterfüttern, dass wir Schieds-
verfahren einführen, damit im Fall von Uneinigkeit
schnell Lösungen herbeigeführt werden können.

Auch die unersetzlichen – das will ich betonen – am-
bulanten Hospizdienste wollen wir mit diesem Gesetz
stärken. Wir werden neben den Personalkosten künftig
auch die Sachkosten berücksichtigen, und es soll in die-
sem Bereich ein angemessenes Verhältnis zwischen eh-
renamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern geben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die besten
Strukturen nützen jedoch nichts, wenn die Betroffenen
nichts davon wissen. Daher haben Versicherte künftig ei-
nen Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestel-
lung durch die Krankenkassen bei der Auswahl und
Inanspruchnahme von Leistungen im Hospiz- und Pallia-
tivbereich. Dazu gehören auch schriftliche Informatio-
nen über die lokal vorhandenen Angebote und Hilfe-
stellungen bei der Kontaktaufnahme hierzu. Die Kran-
kenkassen sollen hierbei mit der Pflegeberatung, mit den
kommunalen Servicestellen oder auch mit den schon
vorhandenen Versorgungsstrukturen zusammenarbeiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jahrelang war die
Hospiz- und Palliativversorgung ein Stiefkind des Ge-
sundheitswesens. Heute besteht aber Einigkeit darüber,
dass eine menschenwürdige Behandlung schwerkranker
und sterbender Menschen ein zentrales Anliegen von
Medizin und Pflege sein muss. Am Ende geht es nicht
mehr um invasive Apparatemedizin, sondern es geht da-
rum, dass die Menschen nicht allein sind, dass sie keine
Schmerzen haben und dass sie selbst entscheiden kön-
nen, wie sie ihre letzte Zeit verbringen. Dafür, denke ich,
schaffen wir mit diesem Gesetz gute Voraussetzungen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811102300

Letzter Redner in der Aussprache ist der Abgeordnete

Erwin Rüddel, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Erwin Rüddel (CDU):
Rede ID: ID1811102400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erfül-
len wir ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag. Die





Erwin Rüddel


(A) (C)



(D)(B)

Menschen in Deutschland erhalten Zugang zu einer bes-
seren Hospizarbeit und zu einer flächendeckenden Pallia-
tivversorgung. Wir wollen eine Kultur der Hilfe im Ster-
ben anbieten, die es erlaubt, die letzte Lebensphase
selbstbestimmt und bestmöglich begleitet zu verbringen.

Mit dem Hospiz- und Palliativgesetz werden in der
gesetzlichen Krankenversicherung, in der sozialen Pfle-
geversicherung und in unseren Krankenhäusern spürbare
Verbesserungen bei der Versorgung in der letzten Le-
bensphase verwirklicht. Das gilt für die ambulante
Hospizversorgung ebenso wie für die Pflege in der häus-
lichen Umgebung und für die stationären Pflegeeinrich-
tungen.

Nicht zuletzt wird dieses Gesetz einen ganz wichtigen
Beitrag zu dem leisten, was ich mal die „Runderneue-
rung der Pflege in der laufenden Legislaturperiode“ nen-
nen möchte. Damit meine ich die beiden Pflegestär-
kungsgesetze, den Bürokratieabbau in der Pflege, die
Neugestaltung des Pflege-TÜVs und die Reform der
Ausbildung in den Pflegeberufen.

Tatsächlich hat die Pflegepolitik seit Einführung der
staatlichen Pflegeversicherung noch nie so viel Auf-
merksamkeit erhalten wie in dieser Legislaturperiode.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zum Thema, Herr Rüddel!)


Ich erwähne in diesem Zusammenhang auch das Versor-
gungsstärkungsgesetz und das Präventionsgesetz.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich fass es nicht!)


Alle beinhalten wichtige Elemente zur Verbesserung der
Pflege in Deutschland.

Meine Damen und Herren, die Antwort auf die Nöte
Schwerstkranker und Sterbender besteht in einer umfas-
senden ärztlichen, pflegerischen und psychosozialen Be-
gleitung. Dazu ist es erforderlich, überall ausreichende
Angebote der Palliativmedizin, der Palliativpflege und
der hospizlichen Sterbebegleitung zu schaffen sowie
umfassend über Versorgungsangebote in der letzten Le-
bensphase zu informieren.

Mir ist besonders wichtig, auch in ländlichen und
strukturschwachen Regionen das Leistungsangebot aus-
zubauen, die palliative Pflege in Heimen und in der
häuslichen Umgebung zu stärken sowie insbesondere die
Vernetzung und Kooperation zwischen den Akteuren vo-
ranzubringen.

Wir werden mit diesem Gesetz auch die ärztliche Ver-
sorgung bei der Sterbebegleitung in Pflegeheimen ent-
scheidend verbessern; denn die Sterbebegleitung wird
Bestandteil des Versorgungsauftrages der sozialen Pfle-
geversicherung. Über die Kooperation der Pflegeheime
mit Hospiz- und Palliativnetzen wird öffentlich infor-
miert. Außerdem fördern wir diese möglichst enge Zu-
sammenarbeit der Pflegeheime mit Haus- und Fachärz-
ten zur medizinischen Versorgung der Bewohnerinnen
und Bewohner mit zusätzlichen Vergütungen.
Finanzielle Unterstützung gibt es auch für individu-
elle Beratungsangebote in Pflegeheimen zur medizini-
schen, pflegerischen und seelsorgerischen Betreuung in
der letzten Lebensphase. Die Kassen arbeiten dabei mit
der Pflegeberatung, mit kommunalen Servicestellen oder
mit vorhandenen Versorgungsnetzwerken zusammen.

Meine Damen und Herren, es geht darum, auf die
Ängste und Bedürfnisse schwerstkranker und sterbender
Menschen und ihrer Angehörigen bestmöglich einzuge-
hen und sie nicht alleinzulassen. Deshalb möchte ich
zum Schluss unseren Dank und unsere Hochachtung für
die 80 000 Mitbürgerinnen und Mitbürger zum Aus-
druck bringen, die in Deutschland ehrenamtlich in der
Hospizbewegung engagiert sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dem Wunsch der Hospiz- und Palliativverbände,
diese unschätzbare Arbeit durch die Krankenkassen
künftig stärker zu fördern, werden wir gerne nachkom-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811102500

Die Aussprache ist damit geschlossen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 18/5170 und 18/5202 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung

Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Beschluss zur Nichtinan-
spruchnahme der Übergangsregelungen der zweiten
Stufe des Beitrittsvertrags mit Kroatien in Bezug auf
die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Entsendung
von Arbeitnehmern bei der grenzüberschreitenden
Dienstleistungserbringung für den Zeitraum ab
1. Juli 2015.

Das Wort für einen einleitenden Bericht hat Frau Bun-
desministerin Andrea Nahles.

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eine zentrale Errungen-
schaft der europäischen Einigung. Die Möglichkeit,
überall in Europa leben und arbeiten zu können, ist für
die Mehrheit der Bürger tatsächlich das wichtigste EU-
Bürgerrecht.

In den letzten zwei Jahren haben wir in Deutschland
dieses Recht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
aus Kroatien eingeschränkt. Diese Einschränkung läuft
am 30. Juni 2015 aus. Das Gleiche gilt übrigens für Ent-
sendungen in den Branchen Bau, Gebäudereinigung und
Innendekoration. Wir haben hier von einer Übergangsre-
gelung Gebrauch gemacht, die uns der Beitrittsvertrag
mit Kroatien einräumt.





Bundesministerin Andrea Nahles


(A) (C)



(D)(B)

Gleichzeitig haben wir aber bereits für qualifizierte
Arbeitnehmer, für Auszubildende und auch für Saison-
kräfte aus Kroatien den Zugang zum Arbeitsmarkt in den
letzten zwei Jahren erleichtert. Jetzt müssen wir der Eu-
ropäischen Kommission förmlich mitteilen, ob wir wei-
ter von dieser Übergangsregelung Gebrauch machen
wollen. Das Bundeskabinett hat heute beschlossen, die
bestehenden Übergangsregelungen nicht zu verlängern.
Damit hat die Bundesregierung entschieden, zum 1. Juli
2015 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für kroatische
Staatsbürgerinnen und Staatsbürger herzustellen.

Was hat uns zu dieser Entscheidung bewogen? Wir
haben in der ersten Phase nach dem EU-Beitritt Kroa-
tiens schlicht gute Erfahrungen mit kroatischen Zuwan-
derern gemacht. Die Zugangserleichterungen wurden
seit dem 1. Juli 2013 bereits von vielen Menschen ge-
nutzt, nämlich den von mir eben erwähnten gut Qualifi-
zierten, Auszubildenden und anderen. Dabei konnten wir
feststellen, dass gerade bei kroatischen Zuwanderern die
Integration in sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gungsverhältnisse extrem gut ist. Das hat uns nun auch
dazu bewogen, diesen Schritt zu machen.

Insgesamt waren 2014 etwa 93 000 Kroatinnen und
Kroaten bei uns in Deutschland sozialversicherungs-
pflichtig beschäftigt.

Auch die Europäische Kommission sieht laut einem
Bericht vom Mai dieses Jahres nur ein geringes Risiko,
dass die Zuwanderung kroatischer Arbeitskräfte in an-
dere EU-Staaten dort zu Arbeitsmarktstörungen führt.
Das hat damit zu tun, dass kroatische Arbeitskräfte vor-
rangig nach Deutschland und Österreich einwandern,
also in zwei Länder, in denen die Arbeitsmarktlage recht
gut ist. Vor allem aber hat das damit zu tun, dass die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Kroatien, die bei
uns Arbeit aufnehmen, meist jung und gut ausgebildet
sind, und vor allem damit, dass sie in Wirtschaftszwei-
gen tätig werden, in denen Arbeitskräfte dringend ge-
sucht werden, nicht zuletzt im gesamten Bereich der
Gastronomie, aber auch im verarbeitenden Gewerbe.

Um den deutschen Arbeitsmarkt ist es momentan ins-
gesamt gut bestellt. Mit der Einführung des Mindest-
lohns stellen wir sicher, dass die Menschen, die jetzt
aus EU-Ländern zu uns kommen, ebenfalls den Min-
destlohn bekommen. Von daher sehen wir die Gefahr
des Lohndumpings als sehr gering an.

Für Deutschland bietet Arbeitsmobilität innerhalb Eu-
ropas eine große Chance zur Bewältigung des Fachkräf-
temangels. Aufgrund der demografischen Entwicklung
wird der Fachkräftemangel weiterhin ein Topthema der
Bundesregierung sein. Die heutige Entscheidung des
Bundeskabinetts, den Arbeitsmarkt für kroatische Staats-
angehörige vollständig zu öffnen, trägt – so sehe ich
das – zur Bewältigung des Fachkräfteproblems bei. Eu-
ropa wächst, und es wächst zusammen. Davon profitie-
ren wir alle, auch durch einen gemeinsamen europäi-
schen Arbeitsmarkt, dem wir heute wieder ein Stück
nähergekommen sind.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811102600

Herzlichen Dank. – Gibt es Fragen dazu? – Bitte,

Frau Kollegin Pothmer.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811102700

Frau Ministerin, herzlichen Dank für den Bericht. Sie

wissen vielleicht, dass Bündnis 90/Die Grünen immer
dafür plädiert hat, die Arbeitnehmerfreizügigkeit ohne
Einschränkung von Anfang an auch für Kroatinnen und
Kroaten zu gewährleisten. Wir sind froh, dass es nun
endlich dazu kommt.

Ich frage Sie: Haben Sie Hinweise dafür, dass in den
letzten zwei Jahren auch Kroatinnen und Kroaten nach
Deutschland gekommen sind, die keine Arbeitserlaubnis
hatten und hier als Scheinselbstständige tätig waren oder
schwarz gearbeitet haben? Gibt es dafür Hinweise? Das
war meine erste Frage.

Zweite Frage. Die Kroatinnen und Kroaten, die regu-
lär hier gearbeitet haben, mussten einen Antrag stellen.
Können Sie uns sagen, wie viel Aufwand diese 93 000
Personen, von denen Sie vorhin gesprochen haben, die
nach Deutschland gekommen sind und eine Arbeitser-
laubnis beantragt haben, verursacht haben?


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811102800

Bitte, Frau Ministerin.

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Frau Pothmer, mir liegen keine Informationen vor,
was illegale oder nicht angemeldete Beschäftigungen an-
geht. Speziell bezogen auf Kroatinnen und Kroaten, aber
auch insgesamt ist das natürlich schwer zu bemessen.
Allerdings gab es aufgrund weitgehender Öffnungen in
den letzten zwei Jahren eigentlich nur noch eine Gruppe,
die Schwierigkeiten hatte, einen Zugang zum Arbeits-
markt zu finden, nämlich die niedrigqualifizierten
Nichtsaisonarbeiter. Alle anderen Gruppen – Saisonar-
beitskräfte, gut Qualifizierte, Auszubildende und Men-
schen, die eine zweijährige Berufsausbildung nachwei-
sen konnten – hatten auch bisher einen Zugang zum
Arbeitsmarkt. Da der legale, der reguläre Zugang zum
Arbeitsmarkt in den letzten zwei Jahren insofern also
sehr gut war, kann ich mir nicht vorstellen, dass eine
große Gruppe den illegalen, den nichtlegalen Weg ge-
wählt hat. Das kann ich heute zwar nicht durch Zahlen
belegen, aber aufgrund unserer diesbezüglichen Ein-
schätzung traue ich mir diese Aussage zu. Ich denke,
dass sie auf jeden Fall richtig ist.

Zur zweiten Frage. Ja, natürlich gibt es einen gewis-
sen Aufwand. Wir haben die Prüfungen aber sehr oft
sehr schnell durchführen können. Der Aufwand ist im
konkreten Einzelfall aber sicherlich bürokratischer, als
man denkt. Deswegen bin ich froh, dass ich heute sagen
kann: Wir können darauf verzichten. Es ist nicht mehr
notwendig. Es ist ein Fortschritt, den wir heute hier er-
reichen. Natürlich ist es auch eine Maßnahme zur Entbü-
rokratisierung. Deswegen bin ich froh, dass wir das
heute beschlossen haben.






(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811102900

Schönen Dank. – Die nächste Frage stellt jetzt der

Abgeordnete Markus Paschke, SPD-Fraktion, und da-
nach Jutta Krellmann, die Linke.


Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1811103000

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Es gab ja bereits in

der ersten Stufe Ausnahmen von der Beschränkung der
Arbeitnehmerfreizügigkeit. Können Sie mir noch einmal
genau sagen, welche das waren und welche Erfahrungen
damit gemacht wurden?

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Wir haben von Anfang an, seit dem ersten Tag des
Beitrittes im Juli 2013, gesagt: Akademikerinnen und
Akademiker, die einen entsprechenden Abschluss haben,
können hier unmittelbar eine Beschäftigung aufnehmen.
Dazu kamen Auszubildende in einer betrieblichen Aus-
bildung und Saisonkräfte. Man sollte nicht unterschät-
zen, dass insbesondere die Zahl der Saisonkräfte, die bis
zu sechs Monate hier tätig sein konnten und stark im
gastronomischen Bereich eingesetzt worden sind, sehr
hoch war.

Für Beschäftigte, die eine qualifizierte Berufsausbil-
dung haben – das habe ich eben bereits gesagt –, war der
Zugang zu diesen Berufen dann doch mit einigen Prü-
fungen verbunden, aber möglich. Diese Zugangsmög-
lichkeit wurde auch in Anspruch genommen. Diese
Beschäftigten benötigen in Zukunft keine Arbeitsgeneh-
migung mehr. Das ist ein Fortschritt.

Signifikante Beschränkungen gab es in den letzten
zwei Jahren allerdings für Leute, die weniger gut qualifi-
ziert waren oder über gar keine formalen Abschlüsse,
wie wir sie hier kennen, verfügten und die eben länger
als sechs Monate, also nicht als Saisonarbeitskräfte, hier
arbeiten wollten. Genau in dem Bereich haben wir die
Vorschriften jetzt gelockert.

Man darf auch nicht vergessen: Beschränkungen für
Entsendungen bestanden in den Bereichen Bau, Gebäu-
dereinigung und Innendekoration. Auch dieser Faktor
wird mit der heutigen Entscheidung des Bundeskabinetts
aufgehoben.

Man kann dazu sagen: Das ist insgesamt, glaube ich,
eine gut vertretbare Entscheidung.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811103100

Die nächste Frage stellt die Abgeordnete Jutta

Krellmann, die Linke, und danach Dr. Astrid
Freudenstein, CDU/CSU-Fraktion. – Frau Krellmann,
bitte.


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811103200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, vie-

len Dank für Ihren Bericht. Ich persönlich erinnere mich
an die Diskussionen, die wir zur Arbeitnehmerfreizügig-
keit geführt haben; ich glaube, das war im Jahr 2008.
Wir sind dann nach Diskussionen, auch im Ausschuss,
zu dem Ergebnis gekommen, dass es vermutlich doch
nicht so gut ist, den Arbeitsmarkt hier in Deutschland
abzuschotten. Von daher finde ich es gut, dass die Ent-
wicklung nun in diese Richtung geht.

Ich habe zwei Fragen. Nach einem Bericht der EU-
Kommission profitiert besonders Deutschland von der
Abwanderung junger und qualifizierter Menschen aus
Kroatien. Es kann aus meiner Sicht natürlich ein Pro-
blem für Kroatien selbst darstellen, wenn qualifizierte
Leute dort abgezogen werden. Meine erste Frage ist da-
her: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung in
dem Zusammenhang bei der Stärkung wirtschaftlich
schwacher Regionen in Deutschland und bei der Stär-
kung wirtschaftlich schwacher Regionen in Kroatien und
in Europa insgesamt?

Ich komme zu meiner zweiten Frage. Das BMAS hat
im Februar eine Studie zur Bedeutung der Zuwanderung
für Beschäftigung und Wachstum veröffentlicht. Darin
machen die Autoren im Grunde darauf aufmerksam,
dass Menschen, die zuwandern, insbesondere im ersten
Jahr der Zuwanderung eher schlechter bezahlt werden.
Sie werden zwar nicht unterhalb irgendwelcher Regelun-
gen bezahlt, aber schlecht und nicht entsprechend ihrer
Qualifikation. Die Frage, die sich daran anschließt, lau-
tet: Macht sich die Bundesregierung Gedanken oder gibt
es Pläne, noch in dieser Regierungszeit eine Erleichte-
rung der Anerkennung von Berufsqualifikationen auf
den Weg zu bringen, um den Menschen die Anerken-
nung ihrer erzielten Qualifikation zu ermöglichen?

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Wenn ich Sie richtig verstehe, bezieht sich die Frage
auf den Braindrain, wie es in modernem Deutsch so
schön heißt. Tatsächlich muss man ihn ernst nehmen. In
dem EU-Kommissionsbericht, den Sie erwähnt haben,
findet sich dazu allerdings die klare Aussage, dass der
EU-Kommission zurzeit keine Erkenntnisse darüber vor-
liegen, dass er die Wirtschaft in Kroatien schwächt.

Es findet definitiv – das habe ich ja eben schon ge-
sagt – eine Zuwanderung von gut ausgebildeten Leuten
statt. Gleichzeitig gibt es eine extrem angespannte Lage
auf dem Arbeitsmarkt in Kroatien. Mir liegen die Daten
vor: Es gibt dort eine extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit
von 46 Prozent; das ist eine der höchsten in Europa. Sie
können sich vorstellen, dass viele junge Menschen, die
dort vor der Alternative stehen, gar keinen Job zu haben
oder für einige Zeit eine Arbeit im Ausland aufzuneh-
men, die Entscheidung treffen – ich kann sie gut nach-
vollziehen –, ihr Glück in Deutschland, in Österreich
und in anderen Ländern zu suchen.

Es gibt allerdings auch einen wirtschaftsstärkenden
Effekt; denn mobile Arbeitnehmer überweisen sehr viel
Geld in ihre Heimatländer. Das kennen wir schon aus der
Zeit der – so hieß es hier immer – Gastarbeiter. Die
Überweisungen führen tatsächlich in nicht unerhebli-
chem Umfange zu einer teilweisen Stabilisierung der
Wirtschaft und machen einen guten Anteil des BIP in
Kroatien aus. Rückflüsse von Mitteln, die die Menschen
in anderen Ländern erarbeiten, führen zu einer Stabilisie-
rung der Wirtschaft im Heimatland.





Bundesministerin Andrea Nahles


(A) (C)



(D)(B)

Wir können diesen Braindrain jedenfalls zurzeit nicht
als etwas ausmachen, was Kroatien insgesamt schadet.
Dafür gibt es nach meiner Erkenntnis keine Belege.
Trotzdem, würde ich sagen, muss man da wachsam sein
und es beobachten. Entsprechende Effekte beobachten
wir auch im Zusammenhang mit vielen osteuropäischen
Ländern.

Zweitens. Wir haben tatsächlich bereits etwas ge-
macht, nämlich ein Anerkennungsgesetz verabschiedet,
um das zweite von Ihnen beschriebene Problem hinsicht-
lich der Anerkennung von Qualifikationen anzugehen.
Das Gesetz gilt weltweit als vorbildlich. Wir sind dafür
– ich war letztes Jahr bei der OECD in Paris – ausdrück-
lich gelobt worden.

Jetzt stellen wir bei der Umsetzung fest, dass es vor
allem – das ist etwas, was ich in meinem Haus verant-
worte – einen Bedarf an Teilnachqualifizierungen gibt,
die nötig sind, um eine Anerkennung der gesamten Qua-
lifikationen zu erhalten und damit Lohn und Gehalt an
das anzupassen, was die Qualifikation eigentlich nahe-
legt und aus meiner Sicht gerechtfertigt ist. Es geht also
tatsächlich um eine Verstärkung der Hilfen bei Teilnach-
qualifizierungen. Wir werden im Rahmen der Diskussio-
nen über Zuwanderung im Allgemeinen darauf drängen,
die entsprechenden Mittel zu erhöhen.

Ich kann also Ihr Anliegen nur unterstützen. Es
braucht diese zusätzlichen Anerkennungsschritte. Wir
brauchen dafür aber meiner Meinung nach keine neue
gesetzliche Grundlage, sondern müssen die Begleitung
der Menschen intensivieren und früher als bisher Kom-
petenzen vermitteln und dem Bedarf an Teilqualifizie-
rungen, den es gibt, gerecht werden. Genau das tun wir.
Darauf werden wir in den nächsten Monaten einen
Schwerpunkt legen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811103300

Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Astrid

Freudenstein, CDU/CSU-Fraktion. Danach folgt der Ab-
geordnete Josip Juratovic, SPD-Fraktion.


Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1811103400

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Sie

hatten eben die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Kroatien
angesprochen. Meine Frage wäre, ob Ihnen darüber hi-
naus Push-Faktoren bekannt sind, die eine Abwanderung
kroatischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach
Deutschland begünstigen könnten.

Eine Nachfrage bezüglich der Überweisungen: Ist Ih-
nen die genaue Höhe bekannt? In welcher Höhe sind
Überweisungen in Deutschland tätiger kroatischer Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Kroatien getä-
tigt worden?

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Ja, sie ist mir bekannt. Zumindest gibt es eine Berech-
nung, die einen im Jahre 2013 überwiesenen Nettobetrag
von rund 700 Millionen Euro ausweist. Das entspricht
1,6 Prozent des kroatischen BIP. Das wird wirklich als
eine deutliche Unterstützung der kroatischen Wirtschaft
wahrgenommen. Es ist zu vermuten, dass der Umfang
2014 nicht geringer war. Das ist also schon ein relevan-
ter Faktor, und man kann ihn auch beziffern.

Zur anderen Frage hinsichtlich der Push-Faktoren.
Wissen Sie, es ist relativ simpel: Der wichtigste Push-
Faktor, gerade bei jungen Menschen, ist die Hoffnung
auf eine Anstellung – damit man überhaupt Arbeit hat –,
auf ein besseres Gehalt und auf bessere Arbeitsbedin-
gungen. Das sind die wichtigsten Motivationen; das ist
der Movens für viele Menschen, hierherzukommen.

Darüber hinaus muss man wissen, dass in Kroatien
das drittniedrigste Pro-Kopf-BIP in der EU vorzufinden
ist. Das ist ein Indikator dafür, dass die gesamtwirt-
schaftliche Situation sehr schlecht ist. Allerdings mehren
sich jetzt zum Glück die Zeichen, dass sich die Wirt-
schaft in Kroatien erholt. Deswegen hoffe ich auch, dass
wir eine Perspektive bieten können.

Unser Ziel ist es, durch einen zirkulären, einen freien
Arbeitsmarkt in Europa einen Push-Effekt für die Wirt-
schaft insgesamt in Europa zu erzielen. Für uns ist es auf
Dauer nicht gut, wenn es zwischen den Ländern zu
große Unterschiede gibt. Nach dem Knick aufgrund der
Bankenkrise 2008/2009 konnten wir feststellen, dass in
dem Maße, wie wir die Freizügigkeit mit anderen Län-
dern realisiert hatten, zum Beispiel mit Polen, die Löhne
dort angestiegen sind und sich die Wirtschaft stabilisiert
hat. Dieser Effekt wird sich auch in ganz Osteuropa ein-
stellen, auch wenn es längere Zeit dauert, als wir erhofft
hatten.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811103500

Danke schön. – Nächster Fragesteller ist der Abge-

ordnete Josip Juratovic von der SPD-Fraktion; danach
Martin Pätzold, CDU/CSU-Fraktion.


Josip Juratovic (SPD):
Rede ID: ID1811103600

Vielen Dank. – Frau Ministerin, zunächst einmal

denke ich, dass es ein sehr guter Beschluss ist. Er führt
meines Erachtens zu mehr Gleichberechtigung innerhalb
der Europäischen Union. Ich möchte mich bedanken und
Sie beglückwünschen. Meine Frage ist: Ist Ihnen be-
kannt, wie sich die anderen Mitgliedstaaten in der Euro-
päischen Union zu dieser Frage verhalten werden?

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Es sind in 13 Mitgliedstaaten in Europa diese Über-
gangsregelungen in Anspruch genommen worden. Mir
liegen zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Erkennt-
nisse vor. Ich werde aber morgen in Luxemburg beim
EPSCO-Rat sein und mit den Kollegen darüber reden.
Es stehen noch Entscheidungen aus, die in diesen Tagen
in allen Ländern fallen. Aber einen Überblick habe ich
zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht. Ich glaube,
dass viele darauf schauen, wie sich Deutschland verhält,
und dass die Entscheidung, die wir heute getroffen ha-
ben, durchaus einen Einfluss darauf haben wird, wie die
anderen Länder entscheiden.






(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811103700

Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Martin

Pätzold, CDU/CSU-Fraktion; danach Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Martin Pätzold (CDU):
Rede ID: ID1811103800

Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank für die

Darstellung. – Sie haben deutlich gemacht, dass die
Übergangsregelungen auch dafür gedacht waren, zu
schauen, wie sich der deutsche Arbeitsmarkt entwickelt.
Es ist sichtbar, dass diejenigen, die bisher aus Kroatien
nach Deutschland gekommen sind, hier auch berufstätig
sind. Deswegen würde mich interessieren, welche Kos-
ten, welche finanziellen Auswirkungen durch den Be-
schluss des Bundeskabinetts zu erwarten sind.

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Im Saldo gehen wir von einer Finanzierungsneutrali-
tät aus. Wenn es uns gelingt, die Leute hier gut zu inte-
grieren, zahlen sie Steuern, zahlen sie Sozialversiche-
rungsbeiträge. Selbst wenn einige in die Arbeitslosigkeit
gehen, glauben wir, dass es insgesamt eine kostenneu-
trale Entwicklung ist. Wenn es gut läuft, kann es sogar
zusätzliche Einnahmen geben.

In jedem Fall bekommen wir Fachkräfte. Ich kann die
genaue Zahl nicht beziffern. Es werden Lücken ge-
schlossen, gerade im Südwesten, wo der Fachkräfteman-
gel in einigen Bereichen besonders extrem ist. Von daher
würde ich volkswirtschaftlich insgesamt von einem posi-
tiven Push reden. Weil wir den Faktor Fachkräfte nicht
wirklich beziffern können, gehen wir in unseren offiziel-
len Berechnungen davon aus, dass unser Beschluss kos-
tenneutral ist.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811103900

Nächster Fragesteller ist Dr. Wolfang Strengmann-

Kuhn; danach Frau Krellmann von den Linken. – Bitte.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich habe eine Frage
zu den Kroaten, die hierherkommen und die Arbeit su-
chen, aber nicht gleich eine Beschäftigung finden. Die
meisten finden relativ schnell eine Arbeit.

Mich würde interessieren: Wie werden Arbeitsu-
chende aus Kroatien unterstützt? Gibt es bei den Arbeits-
agenturen spezielle Programme und Angebote in ihrer
Muttersprache? Bei uns ist der Bezug aktiver Leistungen
für Menschen ausgeschlossen, die Arbeit suchen. Wäre
es nicht sinnvoll, um die Menschen sowohl in die Ge-
sellschaft als auch in den Arbeitsmarkt gut integrieren zu
können, wenn es auch aktive Leistungen gäbe, zumin-
dest nach den ersten drei Monaten, in denen es grund-
sätzlich ausgeschlossen ist?

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Schauen wir uns die Gesamtzahl derjenigen an, die
aus Kroatien zuwandern. Das sind nach unseren Schät-
zungen etwa 10 000 im Jahr. Das halten wir für eine ver-
tretbare Größenordnung, zumal die Menschen eine sehr
gute Ausbildung und eine hohe Motivation mitbringen.
Für die Arbeitsvermittlung ist das gut managebar.

Darüber hinaus haben wir Beratungsstellen eingerich-
tet. Es gibt mittlerweile in allen großen Städten in
Deutschland Büros von NGOs – sie werden auch von
meinem Haus finanziell unterstützt; das wird auch noch
weiter ausgebaut –, deren muttersprachliche Mitarbeiter
bei Vermittlungsbemühungen und Suchbemühungen un-
terstützend tätig sind. Das ist einer der Punkte, den ich
für wichtig halte. Wir müssen mit den Menschen, die zu
uns kommen, wirklich ins Gespräch kommen über das,
was sie wollen und können, und über das, was sie an
Kompetenzen mitbringen. Von daher ist das keine außer-
ordentliche Aufgabe, für deren Bewältigung extra Struk-
turen geschaffen werden müssen. Nach unseren Erfah-
rungen kann man die Vermittlung der etwa 10 000
Menschen, die aus Kroatien zu uns kommen, im Regel-
geschäft mit der zusätzlichen Beratung, wie sie bereits
existiert, gut managen.

Sie haben eine weitere Frage zu den aktiven Leistun-
gen gestellt. Das ist eine grundsätzliche Frage – da noch
einige Gerichtsurteile anhängig sind, möchte ich mich
hier mit einer Stellungnahme zurückhalten –, die man in
der Bundesregierung bisher noch nicht abschließend er-
örtert hat. Man muss aber Überlegungen dazu anstellen
– bestimmte Aspekte haben sehr wohl ihre Berechtigung –,
und das wird auch gemacht. Aber vor dem Hintergrund
der ausstehenden Urteile und der Tatsache, dass sich die
Bundesregierung derzeit nicht konkret mit diesem
Thema befasst, kann ich hierzu nichts weiter ausführen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811104000

Danke schön. – Nächste Fragestellerin ist die Abge-

ordnete Jutta Krellmann, die Linke.


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811104100

Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich habe zwei Nach-

fragen zu dem Thema „Anerkennung von Berufsab-
schlüssen“. Erstens. Wer stellt denn fest, dass Nachquali-
fikationen und Anschlussqualifikationen notwendig
sind? Zweitens. Wer finanziert diese anschließend?

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Erstens. Das stellt teilweise die Bundesagentur für
Arbeit fest, wenn die Menschen um Beratung bitten.
Zweitens gibt es ein gesetzliches Anerkennungsverfah-
ren. Das ist ein eigenständiges Verfahren, in dem mit
muttersprachlicher Unterstützung systematisch abge-
fragt wird, welche Qualifikationen vorliegen. Derzeit ha-
ben wir – schlagen Sie mich nicht, wenn es nicht ganz
stimmt – ungefähr 27 000 Anerkennungsverfahren er-
folgreich abgeschlossen. Diese sind im Zuständigkeits-
bereich von Frau Wanka angesiedelt. Wir sind also
schon auf einem guten Weg.

Wenn festgestellt wird, dass eine zusätzliche Teilqua-
lifizierung notwendig ist, damit die Gesamtqualifikation
anerkannt werden kann, dann wird uns das gemeldet.





Bundesministerin Andrea Nahles


(A) (C)



(D)(B)

Mit Mitteln der Bundesagentur für Arbeit – es gibt auch
einige Projekte, die durch den ESF finanziert werden –
können Qualifikationen durchgeführt werden. Es gibt
hier also eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Entspre-
chende Verfahren laufen bereits. Das ist also nichts
Neues. International sind wir dafür auch schon gelobt
worden.

Man kann allerdings noch eine Schippe obendrauf le-
gen. Ich bin bestimmt nicht diejenige, die sagt: Das ist
der Umfang, den wir uns vorgestellt haben. – Es könnten
mit Sicherheit noch mehr als 27 000 Personen das Ver-
fahren durchlaufen. Das wollen wir auch angehen. Frau
Wanka, ich und die Bundesregierung insgesamt sind uns
einig, dass wir das anpacken und weiter ausbauen wol-
len.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811104200

Vielen Dank. – Gibt es sonstige Fragen zur Kabinetts-

sitzung? – Frau Haßelmann von Bündnis 90/Die Grünen.
Bitte.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811104300

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, mich

würde interessieren, ob heute die Tatsache, dass die Bun-
desregierung und mit ihr die Große Koalition plant,
einen Ermittlungsbeauftragten zur Sichtung der NSA-
Selektorenliste einzusetzen, Gegenstand der Kabinetts-
sitzung war. Es gibt entsprechende Agenturmeldungen,
dass Sie sich in der Großen Koalition darauf geeinigt ha-
ben, dem Untersuchungsausschuss die Listen nicht zur
Verfügung zu stellen, sondern nur einen Ermittlungsbe-
auftragten einzusetzen.

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Das hat heute keine Rolle gespielt.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811104400

Die Kollegin Glöckner von der SPD-Fraktion hat sich

noch gemeldet. – Bitte.


Angelika Glöckner (SPD):
Rede ID: ID1811104500

Herzlichen Dank. – Frau Ministerin, meine Frage

geht in die folgende Richtung: Es hieß, die Bundesregie-
rung sei bei ihrer Entscheidung von den Sozialpartnern
unterstützt worden. Mich würde in diesem Zusammen-
hang interessieren, wie der Gewerkschaftsbund und die
Arbeitgeberverbände die Entscheidung beurteilen. –
Danke.

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Es ist wichtig, dass wir an dieser Stelle die Sozialpart-
ner mit einbinden. Gerade bei der Arbeitnehmerfreizü-
gigkeit – Frau Krellmann hat das eben schon erwähnt –
gab es eine ganz lange Debatte, ob wir sie mit dem deut-
schen Arbeitsmarkt auf eine gute Weise verbinden kön-
nen. Es gab auch immer Angst hinsichtlich Lohndum-
pings. Deswegen haben wir uns auch mit den
Sozialpartnern, speziell mit dem DGB, im Vorhinein un-
terhalten. Sie haben keine Bedenken geäußert, diesen
Schritt heute hier zu gehen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811104600

Danke schön. – Noch einmal Frau Haßelmann, Bünd-

nis 90/Die Grünen. Bitte.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811104700

Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Sie haben

mir ja gerade sehr knapp geantwortet in Bezug auf meine
Frage, ob sich das Kabinett damit befasst hat und heute
entschieden hat, dass die NSA-Selektorenliste nicht an
den Untersuchungsausschuss geht, sondern dass ein Er-
mittlungsbeauftragter eingesetzt werden soll. Das Kabi-
nett hat ja die Aufgabe, sich mit wichtigen außen- und
innenpolitischen Entscheidungen zu befassen. Das ist
Auftrag des Kabinetts. Das können Sie Ihrer Kabinetts-
geschäftsordnung entnehmen. Ich wundere mich daher
sehr über Ihre Antwort. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Wo werden Entscheidungen die-
ser Art getroffen, und wo ist speziell diese getroffen
worden, wenn nicht im Kabinett?

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Es ist vollkommen richtig, dass wir uns im Kabinett
mit wichtigen Fragen befassen, aber alles zu seiner Zeit.
Demzufolge kann ich Ihnen auch nicht bestätigen, dass
diese Entscheidung gefallen ist. Ich kann Ihnen nur sa-
gen, dass sie heute nicht Gegenstand der Kabinettssit-
zung gewesen ist.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht ja heute schon an die Fraktionen!)


– Ja.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wird es wohl jemand anders entschieden haben!)


– Ich bin heute im Kabinett gewesen, ich saß dort und
habe zugehört. Ich kann Ihnen nur berichten, was ich ge-
hört habe. Möglicherweise vermuten Sie da Sachen, die
es nicht gegeben hat. Ich kann Ihnen nur davon berich-
ten, was wirklich stattgefunden hat.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811104800

Gibt es weitere Fragen zu anderen Themen? – Das ist

nicht der Fall. Dann schließe ich die Befragung.

Wir rufen den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Fragestunde

Drucksache 18/5160

Eine ganze Flut von Fragen wird schriftlich beant-
wortet.

Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Die Frage 1 der Kollegin Katrin Kunert und die Frage 2
des Kollegen Andrej Hunko werden schriftlich beant-
wortet.





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finan-
zen. Die Fragen 3 und 4 des Abgeordneten Dr. Axel
Troost werden schriftlich beantwortet.

Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales. Die Frage 5 der Kollegin Bärbel Höhn, die
Fragen 6 und 7 der Kollegin Sabine Zimmermann sowie
die Fragen 8 und 9 des Kollegen Harald Weinberg wer-
den schriftlich beantwortet.

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Zur Be-
antwortung steht bereit die Parlamentarische Staatsse-
kretärin Dr. Maria Flachsbarth.

Ich rufe Frage 10 des Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Bündnis 90/Die Grünen, auf:

Zu welchen Ergebnissen bezüglich der Kleingruppenhal-
tung ist der Staatssekretärsausschuss Tierschutz in seiner letz-
ten Sitzung am 11. Juni 2015 gekommen, und wann wird
diese Kleingruppenhaltung auslaufen?

Frau Staatssekretärin, bitte.

D
Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1811104900


Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Abge-
ordneter, der Staatssekretärsausschuss hat die Thematik
des Auslaufens von Kleingruppenhaltung in seiner Sit-
zung am 11. Juni erörtert. Die Erörterungen sind aber
noch nicht abgeschlossen und sollen fortgesetzt werden.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811105000

Haben Sie eine Nachfrage?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, ich habe eine Nachfrage.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811105100

Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Antwort war sehr knapp. Da sich ja die Bundes-
länder mit dem Ministerium verständigt haben, diese Ar-
beitsgruppe einzurichten, und nun alle davon ausgingen,
dass es hier zu messbaren Ergebnissen kommt, ist es
doch sehr verwunderlich, dass hier auf so schroffe Weise
kein Kompromiss gesucht worden ist. Deshalb: Was hat
Sie bewogen, überhaupt der Einsetzung dieser Arbeits-
gruppe zuzustimmen? Es war doch klar, dass die Länder
ein anderes Ausstiegsdatum präferieren als das Ministe-
rium. Jeder normal denkende Mensch erwartet, dass es
hier Richtung Kompromiss läuft. Was hat Sie bewogen,
dieser Arbeitsgruppe praktisch die kalte Schulter zu zei-
gen?

D
Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1811105200


Herr Kollege Ostendorff, ich kann Ihnen nur wahr-
heitsgemäß über das Ergebnis des Gespräches berichten.
Es ist so, wie ich es Ihnen mitgeteilt habe. Die unter-
schiedlichen Positionen von Bundesregierung und Bun-
desländern sind seit Jahren bekannt. Es ist immer gut,
dass man, wenn es unterschiedliche Positionen gibt, sich
miteinander an einen Tisch setzt und versucht, Kompro-
misse zu finden.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811105300

Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordne-

ter?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, gerne.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811105400

Bitte.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gestatten Sie, dass ich noch einmal insistiere. – Die
Situation ist seit Jahren so, wie Sie sie beschreiben: Auf
der einen Seite stehen die Bundesländer, die 2025 aus
der Käfighaltung und der Kleingruppenhaltung ausstei-
gen wollen, also ein Ende fünf Jahre eher präferieren,
und auf der anderen Seite steht das Bundeslandwirt-
schaftsministerium, das sich für ein Ende im Jahre 2030
ausspricht. Die Arbeitsgruppe ist eingerichtet worden,
um hier einen Kompromissweg, eine gemeinsame Linie
zu finden. Ihre Antwort kann also nicht befriedigen. Das
ist eine Antwort, die Sie schon vor Jahren hätten geben
können, bevor die Arbeitsgruppe eingerichtet wurde. Ich
frage daher noch einmal: Ist es der Wille des Ministe-
riums, hier zu einer Vereinbarung, zu einem Kompro-
miss zu kommen?

D
Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1811105500


Herr Kollege Ostendorff, auch Sie kennen vermutlich
die Stellungnahme der Bundesregierung vom 14. Juni
2012 zu dem Beschluss des Bundesrates auf Drucksache
95/12, in der verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich
der Vorschläge der Bundesländer geltend gemacht wor-
den sind. Diese verfassungsrechtlichen Bedenken sind
nach wie vor nicht ausgeräumt. Von daher muss man tat-
sächlich auf dieser Grundlage versuchen, eine gemein-
same Lösung zu finden. Eine solche Lösung ist noch
nicht gefunden worden.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811105600

Schönen Dank. – Weitere Fragen dazu gibt es nicht.

Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Vertei-
digung. Die Frage 11 der Abgeordneten Katrin Kunert
und die Frage 12 des Kollegen Hans-Christian Ströbele
werden schriftlich beantwortet.

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Schauws auf:
Mit welchen Argumenten hält die Bundesregierung im

EPSCO-Rat, europäischer Rat für Beschäftigung, Sozialpoli-
tik, Gesundheit und Verbraucherschutz, einen Prüfvorbehalt
für eine EU-Richtlinie für eine Frauenquote in Aufsichtsräten
börsennotierter Unternehmen aufrecht?





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staats-
sekretärin Elke Ferner bereit. – Frau Staatssekretärin,
bitte.

E
Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1811105700


Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegin
Schauws, Ihre Fragen 13 und 14 beantworte ich zusam-
men, wenn Sie das gestatten.


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811105800

Ja.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811105900

Dann rufe ich auch die Frage 14 der Kollegin

Schauws auf:
Wie und wann wird sich die Bundesregierung konstruktiv

an der EU-Richtlinie für eine Frauenquote beteiligen?

E
Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1811106000


Wie Sie wissen, ist vor kurzem das deutsche Gesetz
für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und
Männern an Führungspositionen in Kraft getreten. Die
Bundesregierung prüft den Richtlinienentwurf derzeit.
Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Während
der Beratungen unter lettischer Präsidentschaft zeigte
sich ein nach wie vor heterogenes Meinungsbild: von
voller Unterstützung über grundlegend positiv mit Ände-
rungswünschen bis hin zur Ablehnung der Richtlinie.
Alle Mitgliedstaaten halten derzeit einen allgemeinen
Prüfvorbehalt aufrecht, da noch nicht absehbar ist, wie
sich der Text entwickeln wird. Das ist bei Verhandlun-
gen auf EU-Ebene ein übliches Verfahren.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811106100

Sie haben jetzt vier Zusatzfragen, die Sie aber nicht

stellen müssen;


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


das ist nur das geschäftsordnungsmäßige Angebot. Wenn
zwei Fragen zusammen beantwortet werden, hat man die
Möglichkeit zu jeweils zwei Nachfragen, insgesamt also
zu vier Nachfragen. Sie dürfen sie nach Lust und Laune
ausschöpfen. – Bitte, Frau Kollegin Schauws.


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811106200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe zwei Nach-

fragen.

Die erste Frage. Sie haben gesagt, dass Sie das Prüf-
verfahren beantragt haben, weil wir das Gesetzgebungs-
verfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen
hatten. Meine Frage ist: Was gedenken Sie nach dem
Prüfverfahren zu tun? In welcher Art und Weise wollen
Sie dieses Thema, nachdem wir ja nun ein nationales
Gesetz haben, auf EU-Ebene konstruktiv nach vorne
bringen?

Die zweite Frage. Nach dem Prüfverfahren besteht
die Möglichkeit, dass Mitgliedstaaten, die bereits effek-
tive Regelungen im Hinblick auf eine ausbalancierte
Repräsentation von Männern und Frauen getroffen ha-
ben – wir in Deutschland haben das mit unserem Gesetz
getan, jedenfalls zu einem Teil –, keine Anpassungen
vornehmen müssen. Deswegen noch einmal die Frage:
Wie wollen Sie als Regierung der Bundesrepublik
Deutschland diese Richtlinie konstruktiv und effizient
befördern, um auch an dieser Stelle Vorbild für andere
EU-Mitgliedstaaten zu sein? Ich glaube nämlich, hier
richtet sich der Blick mit großen Erwartungen zu Recht
auf die Bundesregierung.

E
Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1811106300


Frau Kollegin, der Punkt ist: Wir sind im Moment
dabei, die Position der Bundesregierung intern abzustim-
men. Wenn es eine abgestimmte Position der Bundes-
regierung gibt, dann können wir uns auch konstruktiv in
den Prozess auf der EU-Ebene einklinken.

Es ist richtig, was Sie gesagt haben: dass der ur-
sprüngliche Richtlinienentwurf insbesondere unter der
italienischen, aber auch unter der lettischen Ratspräsi-
dentschaft so verändert worden ist, dass die Möglichkeit
von Ausnahmen für Mitgliedstaaten, die selber nationale
Regelungen getroffen haben, vorgesehen wurde. Das
wird sicherlich auch bei den Abstimmungen, die inner-
halb der Bundesregierung erfolgen, noch eine Rolle
spielen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811106400

Sind Sie zufrieden? – Das ist schon einmal etwas

wert.

Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend. – Schönen Dank, Frau Staatssekretärin.

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur.

Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Enak Ferlemann bereit.

Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Gastel, Bünd-
nis 90/Die Grünen, auf:

Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu,
dass der Grund für den Stopp der Bohrarbeiten für den Filder-
tunnel bei Stuttgart-Fasanenhof fehlende Unterfahrungsrechte
waren, und für wie viele von diesem Tunnel betroffene
Grundstücke fehlen derzeit nach Kenntnis der Bundesregie-

(vergleiche Stuttgarter Nachrichten vom 9. Juni 2015: www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-tunnelbau-panne-bahn-widerspricht.139e3be0-9a15-415e-9feb-6dbdfc675fbd.html)


Bitte schön, Herr Staatssekretär.

E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1811106500


Sehr geschätzter Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Ich beantworte die Frage des
Kollegen Gastel wie folgt: Bei Stuttgart 21 handelt es
sich nicht um ein Projekt des Bedarfsplans für die Schie-
nenwege des Bundes, sondern um ein eigenwirtschaftli-
ches Projekt der Deutschen Bahn AG. Nach Angaben der





Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann


(A) (C)



(D)(B)

Deutschen Bahn AG ist die in den Stuttgarter Nachrich-
ten aufgestellte Behauptung, dass sich das Wiederanfah-
ren der Tunnelbohrmaschine nach der Weihnachtspause
2014 wegen fehlender Unterfahrungsrechte verzögert
habe, unzutreffend. Alle erforderlichen Unterfahrungs-
rechte hätten im vollen Umfang vorgelegen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811106600

Eine Nachfrage, Herr Kollege? – Bitte schön.


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811106700

Vielen Dank. – Herr Ferlemann, für ein eigenwirt-

schaftliches Projekt steckt ganz schön viel öffentliches
Geld darin; das wollte ich schon noch erwidert haben.

Haben Sie hinsichtlich der Tunnelarbeiten in Stuttgart
denn Erkenntnisse über den Zeit- und Kostenplan? Lie-
gen die im Plan, oder gibt es da Verzögerungen?

E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1811106800


Das Projekt ist, wie gesagt, kein Projekt des Bedarfs-
plans. Deswegen erfolgt keine direkte Steuerung dieses
Projekts durch den Bund, sondern das macht die DB AG
alleine. Nach Auskunft der DB AG liegt das Projekt ins-
gesamt im Zeit- und Kostenplan.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811106900

Gibt es zu dem Bereich noch eine Nachfrage, oder

sind Sie fertig? – Danke.

Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Gastel auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung unter

Verweis auf die Verschiebung der geplanten Verlängerung der
Neckar-Schleusen vom Jahr 2025 auf das Jahr 2031 und auf
die Beschränkung der Ausbaupläne auf den Abschnitt von der
Mündung bis Heilbronn aus der Aussage im Staatsanzeiger
für Baden-Württemberg (Ausgabe vom 29. Mai 2015), wo-
nach „der Bund, der für die großen Wasserstraßen zuständig
ist, den Neckarausbau scheibchenweise ad acta zu legen
scheint“, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung aus der Tatsache, dass laut des genannten Artikels die
Bundesregierung „eine erhebliche Unterfinanzierung“ beim
Erhalt und zukunftsfähigen Ausbau der Wasserstraßen ein-
räumt?

E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1811107000


Ich gebe folgende Antwort: Das mit dem Ausbau des
Neckars betraute Amt für den Neckarausbau wird zur
Beschleunigung der Maßnahmen auch durch andere
Dienststellen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung,
unter anderem durch das Neubauamt Hannover, unter-
stützt. Des Weiteren werden positive Effekte von der
künftig verstärkten Anwendung standardisierter Bauwei-
sen erwartet.

Bei den Bundeswasserstraßen sind gegenwärtig für
laufende oder in Planung befindliche Projekte keine
Finanzierungsengpässe erkennbar. Als limitierender
Faktor wirkt hier gegenwärtig vielmehr die begrenzte
Planungsressource.

In dieser Situation ist eine strenge Priorisierung der
Infrastrukturmaßnahmen unausweichlich. Vor diesem
Hintergrund erfolgt auch die erneute Bewertung und
Priorisierung aller noch nicht begonnenen Aus- und
Neubauvorhaben im Rahmen der Aufstellung des Bun-
desverkehrswegeplanes.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811107100

Danke schön. – Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte

schön, Herr Kollege Gastel.


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811107200

Vermutlich habe ich nicht nur eine Zusatzfrage. – Zu-

nächst war zu lesen, dass der bisherige Zeitplan das Jahr
2025 als Zieljahr für den Ausbau der Neckarschleusen
enthielt. Dann war vom Jahr 2031 zu lesen – ich glaube,
das war ein bestätigter Termin –, und in den letzten Ta-
gen war in den Medien plötzlich vom Jahr 2044 und von
einem Ausbau nicht bis Plochingen – also kein Vollaus-
bau –, sondern lediglich bis Heilbronn die Rede. Können
Sie diese Zahlen bestätigen? Welche Zahlen – einmal für
den Ausbau bis Heilbronn und einmal bis Plochingen –
stimmen aus heutiger Sicht?

E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1811107300


Die Zahlen kann ich nicht bestätigen, Herr Kollege.
Sie wissen aus Ihrer Tätigkeit im Verkehrsausschuss des
Deutschen Bundestages, dass der Ausbau bis Heilbronn
Priorität hat, wobei die neuen Schleusenkammern eine
Länge von 135 Metern aufweisen sollen. Danach müs-
sen wir die Schleusen bis Stuttgart bzw. bis Plochingen
erst einmal sanieren. Wir nutzen die Sanierung, um die
Schleusenkammern, wo es geht, auf eine Länge von
110 Metern zu vergrößern, um auch größere Schiffe
schleusen zu können.

Der Hintergrund ist, dass beim Neubau einer Schleu-
senkammer die jeweils bestehende Schleusenkammer
den Betrieb aufrechterhalten muss. Fällt sie aus, ist der
Neckar dicht. Das darf nicht passieren. Deswegen müs-
sen erst alle bestehenden Schleusenkammern saniert
werden, bevor es an den Ausbau und die Errichtung zu-
sätzlicher Schleusen geht. Das wird von Heidelberg aus
neckaraufwärts geschehen und dauert seine Zeit.

Wir brauchen in Teilen ein neues Planrecht. Der Bau-
grund hat sich als deutlich schlechter als ursprünglich
kalkuliert herausgestellt. Die Baumaßnahmen werden
einen größeren Zeitumfang in Anspruch nehmen. Von
daher ist der Zeitplan – das Jahr 2031 ist angegeben –
angespannt.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811107400

Schönen Dank. – Sie könnten noch eine Zusatzfrage

stellen, wenn Sie möchten. Sie müssen aber nicht.


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811107500

Diese Möglichkeit werde ich auch gerne nutzen. Vie-

len Dank, Herr Präsident.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811107600

Das hatte ich vermutet. – Bitte schön.






(A) (C)



(D)(B)


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811107700

Die Verkehrsminister der Länder Baden-Württem-

berg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen
haben – ich glaube, in dieser oder in der letzten Woche –
moniert, dass sowohl für die Schleusen entlang des
Rheins als auch entlang des Neckars zu wenig Geld zur
Verfügung steht und dass es vor allem keine Planungssi-
cherheit gibt. Das heißt, es werden keine Zahlen bzw.
Daten in Bezug darauf genannt, wann was konkret vor-
angeht. Das wird kritisiert. Die Bundesregierung wurde
aufgefordert, hier für Klarheit zu sorgen.

Sie sagten vorhin, es sei weniger ein finanzielles Pro-
blem als ein Planungsproblem. Was machen Sie jetzt
ganz konkret? Was sind die Konsequenzen, die die Bun-
desregierung aus der Kritik der genannten vier Bundes-
länder zieht?

E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1811107800


Ich weise die Kritik der vier Bundesländer zurück. Es
ist nicht an dem. All diese Bundesländer sind über die
laufenden Vorhaben gut informiert und können die Zeit-
räume selber abschätzen. Über ein Planverfahren können
keine verlässlichen Aussagen getroffen werden, weil
man nie weiß, ob es Einsprüche, Einwendungen oder so-
gar Gerichtsverfahren gibt. Von daher gesehen können
nur grobe Abschätzungen vorgenommen werden.

Was die Frage der Kapazitätsausweitung bei den Pla-
nungen angeht, haben wir sowohl im Haushalt des Jah-
res 2014 als auch in dem des Jahres 2015 erstmalig seit
vielen Jahren wieder mehr Stellen für die Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung bekommen. Dabei geht es insbe-
sondere um Stellen im Planungsbereich. Wir sind derzeit
dabei, all diese Stellen komplett zu besetzen und den
Ämtern zuzuweisen, die besonders hohe Neubaukapazi-
täten benötigen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1811107900

Herzlichen Dank. – Die übrigen Fragen aus diesem

Geschäftsbereich und aus den weiteren Geschäftsberei-
chen werden schriftlich beantwortet.

Damit sind wir am Ende der Fragestunde.

Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundes-
tages bis 16.40 Uhr. Dann wird der Tagesordnungs-
punkt 4 aufgerufen.


(Unterbrechung von 14.56 bis 16.40 Uhr)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811108000

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz

zu nehmen. – Die unterbrochene Sitzung ist wieder er-
öffnet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Vereinbarte Debatte

17. Juni 1953 – Für Freiheit, Recht und Einheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Kai Wegner für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1811108100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir wollen
freie Menschen sein!“ Dieser bewegende Appell der
Demonstranten des 17. Juni steht in verdichteter Form
für all das, wofür sich vor 62 Jahren Hunderttausende er-
hoben haben: für ein Leben in Würde, für Demokratie,
für Menschenrechte, für Selbstbestimmung, für das Stre-
ben nach Glück, für die Freiheit. „Wir wollen freie Men-
schen sein!“ Es gibt wohl keinen besseren Satz, um die
heutige Debatte hier im Deutschen Bundestag über den
Volksaufstand von 1953 zu eröffnen.

Wir erinnern heute an ein einschneidendes und fol-
genreiches Ereignis deutscher Geschichte, an ein Ereig-
nis, das die Schicksale vieler Menschen prägte. Wir erin-
nern an Frauen und Männer, die vor 62 Jahren viel Mut
bewiesen, weil sie der Entwicklung ihres Landes und ih-
rem eigenen Leben eine andere Richtung geben wollten,
weil sie freie Menschen sein wollten.

Alles begann mit einer Auseinandersetzung um Ar-
beitsbedingungen und Löhne. Doch schnell weitete sich
die Ablehnung neuer Arbeitsnormen zu einem Protest
gegen das Zwangsregime der SED und ihr Unterdrü-
ckungssystem aus. Neben den ursprünglichen Forderun-
gen nach einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen
traten dezidiert politische Forderungen. Die Demon-
stranten verlangten freie Wahlen. Sie forderten den
Rücktritt der Regierung, und schließlich forderten sie die
Wiedervereinigung unseres Landes.

Schnell griffen die Proteste um sich. In der gesamten
DDR beteiligten sich rund 1 Million Bürger in mehr als
560 Städten und Gemeinden. Der breite Protest erschüt-
terte die DDR in ihren Grundfesten. Letztlich wurde der
Versuch, die Ketten fremder Gewaltherrschaft abzu-
schütteln, vom Panzerring der Sowjetarmee und dem
SED-Regime blutig niedergedrückt. Mehr als 50 Todes-
opfer waren zu beklagen. Rund 1 600 Demonstranten
bezahlten ihre Teilnahme mit zum Teil langjährigen
Haftstrafen in Gefängnissen und Arbeitslagern.

Meine Damen und Herren, das Regime konnte zwar
die Menschen im Juni 1953 unterdrücken, aber niemals
deren Freiheitsliebe besiegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Ideen und Ideale der Demonstranten lebten fort. Und
in den Funktionärsvillen von Pankow und Wandlitz ging
seither die Angst um, die Angst vor dem eigenen Volk.

Der 17. Juni 1953 war die erste Massenerhebung im
Machtbereich des Kommunismus. Damit hat er eine
grundlegende weltpolitische Bedeutung. Ihm folgten der
Aufstand in Ungarn, der Prager Frühling, die Gründung
der Solidarnosc und schließlich – ja – der Fall der Berli-
ner Mauer im November 1989.





Kai Wegner


(A) (C)



(D)(B)

Der Sieg der Freiheit über die Unterdrückung, der
Sieg der Demokratie über die Diktatur, der Sieg des
Rechts über die Willkür, die Wiedervereinigung unseres
Landes: all das ist auch das Verdienst der mutigen Män-
ner und Frauen des 17. Juni 1953.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, der Volksaufstand jährt
sich in diesem Jahr zum 62. Male. 62 Jahre sind für die
Erinnerung eine lange Zeit. Die Männer und Frauen, die
sich damals gegen die SED-Diktatur erhoben, werden äl-
ter. Viele sind schon gestorben. Es gibt immer weniger
Zeitzeugen, die ihr Wissen an die nachfolgenden Gene-
rationen weitergeben können. Umso wichtiger ist eine
lebendige und authentische Gedenk- und Erinnerungs-
kultur. Lassen Sie uns deshalb den 17. Juni als ein zen-
trales Symbol der Freiheitsgeschichte unseres Landes
weiter stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn sich vor Augen zu führen, was einst geschah,
schützt davor, vergangenes Unrecht zu relativieren oder
zu beschönigen, wie es mittlerweile leider viel zu oft ge-
schieht.

Ich bin dem Bundesminister Wolfgang Schäuble sehr
dankbar, dass es vor zwei Jahren gelungen ist, den Platz
vor dem Bundesministerium der Finanzen, wo der Auf-
stand begann, offiziell als „Platz des Volksaufstandes
von 1953“ zu benennen. Endlich hat dieser Platz einen
Namen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz besonders
den Opferverbänden danken. Die Opferverbände haben
sich über Jahre für die Benennung dieses Platzes stark-
gemacht, und hier haben sich Geduld und Beharrlichkeit
ausgezahlt. Denn dieser Platz hat jetzt seinen Namen.

Wir brauchen solche authentischen Erinnerungsorte,
um die Geschichte für die nachfolgenden Generationen
erfahrbar und erlebbar zu machen. Aber, meine Damen
und Herren, wir können, nein, wir müssen noch mehr
tun. Das ist ein Buch der Stiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur.


(Der Redner hält ein Buch hoch)


Hierin finden sich die Biografien der Toten des Volks-
aufstandes.

Ich würde es sehr begrüßen, wenn am Platz des
Volksaufstandes vor dem Finanzministerium eine Stele
zu Ehren der Todesopfer aufgestellt werden könnte. Ich
denke, es ist höchste Zeit, dass wir den mutigen Frei-
heitskämpfern nicht nur zwischen Buchdeckeln, sondern
auch und ganz konkret im Straßenbild ein Gesicht ge-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zustimmung des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich rufe weiterhin alle öffentlichen Behörden dazu
auf, in den von ihnen herausgegebenen Kalendern den
17. Juni als einen Gedenktag auszuweisen. Der 17. Juni
hat einen Platz in unserer Geschichte, und deshalb ver-
dient er auch einen Platz in sämtlichen Kalendern unse-
res Landes.

Auch die Länder können noch viel mehr tun, zum
Beispiel den 17. Juni in den Rahmenlehrplänen der
Schulen stärken oder Schülerwettbewerbe ausloben. Ich
möchte die Geschichtslehrer an unseren Schulen aus-
drücklich ermutigen, mit ihren Klassen Erinnerungs-
und Gedenkorte aufzusuchen.

Meine Damen und Herren, auch und gerade in den
neuen Ländern könnten Plätze und Orte nach dem Volks-
aufstand benannt werden. Ich bin wahrlich kein Bilder-
stürmer. Aber ich glaube, unser Land würde sich nicht
zum Schlechteren verändern, wenn wir weniger Ernst-
Thälmann- und Rosa-Luxemburg-Straßen hätten, dafür
aber mehr Straßen, die mit ihrem Namen die Toten des
17. Juni ehren würden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der 17. Juni ist nicht irgendein Tag im Jahreskalen-
der, sondern ein herausragendes Datum der deutschen
Freiheits- und Einheitsgeschichte. Wir gedenken mit
Respekt und Dankbarkeit der Männer und Frauen des
17. Juni. Wir verneigen uns vor den Opfern. Eine Lehre
aus dem Volksaufstand ist, dass Freiheit und Demokratie
alles andere als selbstverständlich sind. Das sehen wir
derzeit in der Welt. In viel zu vielen Ländern müssen die
Menschen für Freiheit und Demokratie auf die Straße
gehen. Ich nenne zum Beispiel die Ukraine. Freiheit und
Demokratie müssen immer erst errungen und dann be-
wahrt werden.

Meine Damen und Herren, sollte unsere Demokratie
in Deutschland jemals in Gefahr geraten, wünsche ich
mir, dass die Menschen in unserem Land genauso mutig
für ihre Freiheit einstehen, wie das einst die Männer und
Frauen des 17. Juni getan haben. Sie sollten nicht nur
dann, sondern immer Vorbild für uns sein; denn sie sind
für Freiheit und Demokratie auf die Straßen gegangen.
Ich finde, wir können stolz auf den 17. Juni 1953 sein.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811108200

Das Wort hat der Kollege Thomas Lutze für die Frak-

tion Die Linke.


Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811108300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Gäste! Sehr geehrter Herr Wegner, ich könnte sehr
gerne auf Hindenburg als Straßennamen verzichten. Bei
Rosa Luxemburg fällt mir das ein bisschen schwerer.

Nun zum eigentlichen Anlass. Gewalt gegen die Be-
völkerung ist durch nichts und niemanden zu rechtferti-
gen. Das gilt für die gewaltsame Niederschlagung der
Proteste in der DDR im Jahr 1953 ebenso wie für den





Thomas Lutze


(A) (C)



(D)(B)

Bau der Mauer in Berlin und die Schließung der Grenze
zur Bundesrepublik im Jahr 1961. Heute gedenken wir
vor allem der Opfer, und niemand wird vergessen.

Im Jahr 1953 war Deutschland gespalten. Diese Spal-
tung war ein Ergebnis des von Nazideutschland ver-
schuldeten Zweiten Weltkrieges. Während sich 1953 in
der Bundesrepublik wirtschaftliche Aufbruchstimmung
verbreitete, waren die Voraussetzungen in der damaligen
DDR grundlegend anders. Im Osten gab es keinen
Marshallplan – zumindest hat man es nicht angenommen –,
mit dem man die zerstörte und daniederliegende Wirt-
schaft hätte aufbauen können. Ganz im Gegenteil: Die
DDR musste immense Reparationen an die Sowjetunion
zahlen. Dies und die politische Fehleinschätzung der re-
gierenden SED führten dazu, dass sich die Arbeiter auf-
lehnten, protestierten und letztendlich streikten. Den
Herrschenden in der DDR fiel – auch unter dem direkten
Einfluss Moskaus – nichts Besseres ein, als die eigenen
Leute zusammenschießen zu lassen. Auch wenn die mi-
litärische Gewalt maßgeblich durch die in der DDR sta-
tionierte Rote Armee ausgeführt wurde – die wesentliche
Verantwortung lag bei der damaligen DDR-Regierung.


(Beifall im ganzen Hause)


Noch einmal: Gewalt ist, wenn man die historischen
Rahmenbedingungen einordnet, durch nichts zu recht-
fertigen.

Fakt ist auch, dass sich die damalige DDR nicht im
luftleeren Raum entwickeln konnte. Deutschland, Eu-
ropa und große Teile der Welt waren mitten im Kalten
Krieg. Das atomare Wettrüsten war auf beiden Seiten in
vollem Gange. In Korea zum Beispiel tobte ein Stellver-
treterkrieg, der in seiner Brutalität dem Zweiten Welt-
krieg in nichts nachstand. Beide Seiten der geteilten Welt
stritten um ihren Einflussbereich, und dies mit fast allen
Mitteln. Lediglich auf den Einsatz von Atomwaffen hat
man verzichtet, weil man wusste, dass dann die Mensch-
heit vernichtet worden wäre.

Und auch innerhalb Deutschlands war das nicht an-
ders. Provokationen, Manipulationen und gegenseitige
Einflussnahme zulasten des jeweils anderen bestimmten
den innerdeutschen Alltag. Auch hier trägt der Westen
eine gewisse Mitverantwortung dafür, dass die innen-
politische Situation in der DDR im Jahr 1953 eskalierte.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)


Erst die Entspannungspolitik Willy Brandts führte dazu,
dass sich die beiden deutschen Staaten gegenseitig nicht
wie kleine Kinder, sondern wie Erwachsene behandel-
ten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein zweiter Aspekt. Es war auch ein gravierender
Fehler in 40 Jahren DDR, dass es kein Streikrecht und
keine freien Gewerkschaften gab.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ein
Recht darauf, ihre Interessen über Gewerkschaften und
auch über Streiks zum Ausdruck zu bringen und durch-
setzen zu können. Die Worte „Selbstbestimmung“ und
„Mündigkeit“ klingen so einfach, passen aber nicht in
gewisse Machtstrukturen, erst recht nicht in die der da-
maligen DDR. Gestatten Sie mir deshalb einen vorsichti-
gen Hinweis auch auf aktuelle Diskussionen. Wenn auch
die Rahmenbedingungen heute vollkommen anders sind:
Wenn heutzutage Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände
davor warnen und sich darüber beschweren, dass zu viel
gestreikt wird, dann ist das historisch gesehen ein gewis-
ser Widerspruch und eine fatale Fehleinschätzung.


(Beifall bei der LINKEN)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin Jahr-
gang 1969 und in Leipzig aufgewachsen. Ich habe als
Zwanzigjähriger die politische Wende in meiner damali-
gen Heimatstadt miterlebt und vielleicht ein ganz klein
wenig auch mitgestaltet. Es war für mich eine sehr span-
nende Zeit. Ich erinnere mich sehr gerne daran, manch-
mal auch etwas wehmütig. Auf den Montagsdemos im
Sommer und im Herbst 1989 sah ich Hunderte soge-
nannte Angehörige der bewaffneten Organe – so nannte
man damals Polizei, Armee und Staatssicherheit – in der
Leipziger Innenstadt. Viele von denen, die bewaffnet auf
Lkws saßen, waren im gleichen Alter wie ich. Ich ging
wenige Jahre zuvor mit ihnen zusammen zur Schule. Sie
hatten das Pech, gerade jetzt ihren meist unfreiwilligen
Wehrdienst ableisten zu müssen. Diesen Wehrdienst
konnte man in der DDR nicht verweigern,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Doch!)


vor allem dann nicht, wenn man studieren wollte. Erst
Jahre später habe ich für mich realisiert, wie gefährlich
die Situation damals war. Freunde berichteten, dass sie
wochenlang in ihren Kasernen saßen und diese Kasernen
nicht verlassen konnten. Sie hockten nun mit Waffen und
scharfer Munition auf den Lkws.

Im Gegensatz zu 1953 bekamen sie nicht den Befehl,
auf die eigenen Leute zu schießen. Der Ruf „Keine Ge-
walt!“ siegte. Er siegte, weil die, die demonstrierten, be-
sonnen blieben. Er siegte auch, weil die, die die Mög-
lichkeit hatten, einen Schießbefehl zu geben, diesen
Befehl nicht gaben. Trotz aller Vorbehalte muss man den
Verantwortlichen der damaligen DDR-Regierung des
Jahres 1989 dafür auch danken. Sie hätten die Macht
dazu gehabt. Sie hatten es sich mit Sicherheit moralisch
auch schon so zurechtgelegt, dass es passt. Trotzdem gab
es in Leipzig, in Dresden und in Plauen kein zweites Pe-
king.

Ich bin dankbar dafür, dass ich die Möglichkeit hatte,
nach 1990 in einem geeinten Deutschland und in einem
zusammenwachsenden Europa leben zu können. Damit
hatte ich als Jugendlicher 1987 und 1988 im Leben nicht
gerechnet. Ich konnte in Saarbrücken studieren, später
dort arbeiten, und ich vertrete seit 2009 Wählerinnen
und Wähler aus dem Saarland im Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der LINKEN)


Gewalt – das sagte ich schon zweimal – ist durch
nichts zu rechtfertigen. Dieser Grundsatz ist für mich all-
gemeingültig. Das gilt gleichermaßen für die Opfer des





Thomas Lutze


(A) (C)



(D)

17. Juni wie auch für die Opfer an der innerdeutschen
Grenze. Es gilt für die zusammengeschossenen Men-
schen auf dem Pekinger Tiananmen-Platz. Es gilt für die
Kinder Vietnams, die von Napalmbomben verstümmelt
wurden, und es gilt auch für die Zivilisten in Afghanis-
tan, die heute von US-Drohnen getötet werden, Droh-
nen, die man von Deutschland aus steuert. Diese Gewalt
ist zu verurteilen, ganz gleich, was vorgegeben wird, um
sie zu rechtfertigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir uns heute, vollkommen zu Recht und drin-
gend notwendig, an das erinnern, was in der früheren
DDR am 17. Juni 1953 geschah, so muss man auch da-
ran erinnern – das tun wir von der Linksfraktion immer
wieder –, dass Menschen, die in der DDR aufgewachsen
sind, noch heute Nachteile im vereinten Deutschland ha-
ben, nur weil sie in der DDR aufgewachsen sind. Auch
da müssten wir konsequent handeln und dieses Unrecht
endlich beseitigen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811108400

Das Wort hat die Kollegin Iris Gleicke für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Iris Gleicke (SPD):
Rede ID: ID1811108500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der
17. Juni 1953 steht in der demokratischen Tradition
Deutschlands auf gleicher Höhe mit der gescheiterten
Revolution von 1848 und der erfolgreichen Revolution
von 1989.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Bürgerinnen und Bürger der DDR haben zudem in
jenen Junitagen des Jahres 1953 als Erste im kommunis-
tischen Machtbereich ein weithin sichtbares Signal für
den Beginn einer großen Freiheitsbewegung in Ost- und
Mitteleuropa gesetzt. Dieser Volksaufstand wurde durch
die sowjetische Armee brutal niedergeschlagen. Es gab
Tote und Verletzte. Ob später beim Ungarn-Aufstand
1956 oder beim Prager Frühling 1968: Es rollten die rus-
sischen Panzer. Die in Mittel- und Osteuropa herrschen-
den kommunistischen Regimes konnten ihre Macht nur
dank massiver sowjetischer Rückendeckung aufrechter-
halten. Immer wieder zeigte sich, dass niemand den Auf-
ständischen zu Hilfe kam, weil niemand bereit war
– weil Gott sei Dank niemand bereit war –, einen dritten
Weltkrieg zu riskieren. Es konnte niemand kommen, es
konnte niemand helfen, und deshalb endeten all diese
Aufstände fast zwangsläufig in einer Tragödie. Wenn
man sich das vor Augen führt, wird einem klar, was für
ein unglaubliches Glück wir 1989 hatten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

In Westdeutschland wurde der 17. Juni zum Tag der
Deutschen Einheit, mit dem der Gedanke an die Einheit
wachgehalten werden sollte. Aber je länger die Teilung
dauerte, desto ferner rückte die Hoffnung auf ihre Über-
windung. In letzter Konsequenz war es der Mut der
Menschen in der DDR, die es trotz der traumatischen Er-
fahrungen des 17. Juni 1953 und trotz ihrer Angst vor ei-
ner „chinesischen Lösung“ wagten, die Diktatur heraus-
zufordern und mit dem Ruf „Keine Gewalt!“ zu
entwaffnen. Die Diktatur wurde nicht mit Schwertern,
sondern mit Pflugscharen besiegt und hinweggefegt. Es
war eine sanfte Gewalt, mit der die Mauer niedergeris-
sen wurde.

1989 fügte sich so vieles glücklich zusammen. In
ganz Osteuropa wurde der Ruf nach Freiheit immer lau-
ter. Wir schauten nach Ungarn und nach Polen. Wir sa-
hen, wie Michail Gorbatschow Glasnost und Perestroika
propagierte. Vor diesem Hintergrund wurde die Unfähig-
keit der greisen Staats- und Parteiführung in der DDR
immer offensichtlicher. Es waren glückliche Umstände.
Es war der richtige Zeitpunkt. Es waren die richtigen
Menschen, die zum richtigen Zeitpunkt das Heft des
Handelns an sich rissen. Nur so konnte das Wunder der
friedlichen Revolution gelingen.

So viel Glück war den Aufständischen vom 17. Juni
1953 nicht beschieden. Die politischen Rahmenbedin-
gungen jener Tage waren andere. Nur acht Jahre nach
dem gemeinsamen Sieg der Alliierten über Hitler-
Deutschland standen sich die einstigen Verbündeten in
Ost- und Westdeutschland unversöhnlich gegenüber. Ein
Eiserner Vorhang trennte Europa in seiner Mitte, zwi-
schen dem kommunistischen Ostblock und dem Ein-
flussbereich der Westmächte. Es herrschte ein Kalter
Krieg.

Die Staaten der sozialistischen Gemeinschaft wurden
unter der absolut beherrschenden Führung der Sowjet-
union rigide zusammengehalten. Der innere Aufbau
dieser Staaten folgte durchgängig dem Typus einer tota-
litären Einparteiendiktatur. Sogenannte verbündete
Blockparteien änderten daran gar nichts. Um jegliche
Opposition entschlossen zu unterdrücken und ihre ei-
gene Macht sowie die Geschlossenheit des Ostblocks zu
festigen und zu sichern, stützten sich diese Regimes auf
einen umfangreichen Sicherheits- und Unterdrückungs-
apparat.

Eine weitere Gemeinsamkeit dieser Staaten bestand
darin, dass die unter Führung der kommunistischen Par-
teien propagierten Ziele zum Aufbau des Sozialismus
sowjetischer Prägung bei breiten Teilen der Bevölkerung
auf klare Ablehnung stießen. Elementare demokratische
Rechte wie Pressefreiheit, Meinungsfreiheit oder Reise-
freiheit waren nicht einmal im Ansatz zugelassen. Aber
für lange Zeit blieben die Sowjetunion, der Ostblock, der
Warschauer Pakt stabil. Der Eiserne Vorhang trug seinen
Namen zu Recht und fand an der innerdeutschen Grenze
mit Stacheldraht und Minenfeld, mit Selbstschussanla-
gen und Schießbefehl seine traurigste und irrsinnigste
Gestalt.

Nur langsam, mit einer Politik der kleinen Schritte,
mit der von Willy Brandt begonnenen Entspannungs-

(B)






Iris Gleicke


(A) (C)



(D)(B)

politik gelang es, diese schier unüberwindliche Grenze
ein wenig durchlässiger zu machen. „Wandel durch An-
näherung“, so lautete damals ein später übel geschmäh-
tes Wort. Und auch Brandts Nachfolger Helmut Schmidt
und Helmut Kohl suchten und fanden trotz aller Schmä-
hungen das Gespräch mit der Staats- und Parteiführung
der DDR. Viele erinnern sich noch an die Bilder: Willy
Brandt 1970 in Erfurt, Helmut Schmidt 1981 auf dem
Weihnachtsmarkt in Güstrow, Helmut Kohl, der Erich
Honecker 1987 mit militärischen Ehren in Bonn emp-
fing.

Diese Entspannungspolitik war richtig. Sie war schon
allein deshalb richtig, weil sie den Menschen in der
DDR Erleichterungen brachte.


(Beifall im ganzen Hause)


Denken Sie an die Häftlingsfreikäufe, an die Familien-
zusammenführungen, an die Verwandtenbesuche! An
dieser Entspannungspolitik hielt man fest – trotz aller
Widrigkeiten und Widersprüche, trotz Afghanistan-Ein-
marsch und Olympiaboykott, trotz der Ausrufung des
Kriegsrechts in Polen, trotz der SS-20-Stationierung und
des NATO-Doppelbeschlusses. Es gab keine Alternative
zu dieser Entspannungspolitik; denn das war ja die Lehre
aus dem 17. Juni 1953, aus dem Ungarn-Aufstand, aus
dem Prager Frühling: Es würde niemand zu Hilfe kom-
men. Die Zeit musste reifen, auch wenn das für nicht we-
nige eine sehr bittere Erkenntnis gewesen sein muss und
sicherlich gewesen ist.

Meine Damen und Herren, die große Mehrheit unse-
res Volkes und auch die große Mehrheit der Mitglieder
dieses Hohen Hauses haben die Realität der DDR-Dikta-
tur nie aus eigenem Erleben kennengelernt. Ich gönne es
ihnen allen, dass sie ihr ganzes Leben in Freiheit ver-
bracht haben, und ich bin froh darüber, dass in Ost und
West unterdessen eine neue Generation herangewachsen
ist, die nie etwas anderes als die gesamtdeutsche Demo-
kratie kennengelernt hat. Ich wünsche mir nur von allen
etwas mehr aufrichtiges Gedenken an diejenigen, die da-
mals, 1953, mutig und tapfer waren und die trotzdem
scheitern mussten.


(Beifall im ganzen Hause)


Ihr Mut, ihre Träume, ihre Ideale, all das dürfen wir nie-
mals vergessen. Mir geht es nicht um ein pathetisches
und innerlich gelangweiltes Heldengedenken, das zur
Pose erstarrt und von dem aus man ganz schnell wieder
zur Tagesordnung übergeht. Mir geht es mehr um ein
stilles Gedenken, und sei es auch noch so kurz und nicht
nur am 17. Juni, ein stilles Nachdenken darüber, dass der
17. Juni 1953 zur Tragödie wurde, weil damals noch
nicht gelingen konnte, was 36 Jahre später gelungen ist. –
Ich danke Ihnen.


(Beifall im ganzen Hause)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811108600

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Steffi Lemke das Wort.

Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811108700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den
Tribünen! Wir würdigen am 17. Juni die Menschen, die
sich 1953 in der DDR für Freiheit und für ein besseres
Leben einsetzten und dabei ihr Leben riskierten, und wir
gedenken derjenigen, die an diesem Tag und infolge die-
ses Tages ermordet wurden. Wir wissen nicht genau, wie
viele es waren.

Der 17. Juni war die Reaktion der Menschen in der
ehemaligen DDR auf die wirtschaftliche Notlage, die
sich dort wöchentlich verschärfte, auf staatliche Bevor-
mundung, auf Repression, auf Verfolgung und auf das
Einsperren von Menschen anderen Glaubens und ande-
rer politischer Überzeugung. Vor allem setzten sich die
Menschen in der DDR an diesem Tag auf den Straßen
– nicht nur in Berlin – gegen den Einfluss der Sowjet-
union auf den Staatsapparat der DDR und letztendlich
auf die Lebensverhältnisse aller Bürgerinnen und Bürger
in der DDR zur Wehr. Der Aufstand wurde blutig nieder-
geschlagen und unterlag jahrzehntelang danach den
ideologischen Interpretationsschlachten des Kalten Krie-
ges.

Ich glaube, dass der 17. Juni 1953 nicht verstanden
werden kann und von uns nicht diskutiert werden darf
ohne die historische und politische Einbettung in die
Vorgänge der Blockkonfrontation, der Vorgänge des Kal-
ten Krieges. Ich erinnere nur an die Ausführungen von
Egon Bahr um die Rolle des Radiosenders Freies Berlin
an diesem Tag und die Diskussion darüber, wie RIAS an
diesem Tag über diesen Aufstand berichtete, was in der
Redaktion dieses Radiosenders nicht unumstritten gewe-
sen ist.

Ich selber bin 1968 geboren, in dem Jahr, in dem sich
das Gedenken an den 17. Juni in der alten BRD gewan-
delt hatte. Zum ersten Mal fand keine herausgehobene
Gedenkveranstaltung statt, und es wurden Überlegungen
angestellt, den 17. Juni als Feiertag abzuschaffen. Ich
bin aufgewachsen in einem politischen und medialen
Diskurs, der den 17. Juni nicht reflektiert hat – nicht in
der verhassten Pflichtlektüre Neues Deutschland, aber
auch nicht in der zur Gewohnheit gewordenen abendli-
chen ARD-Sendung, der Tagesschau.

Als ich 1989 vor der Frage stand, ob ich auf die
Straße gehe und mich den friedlichen Revolutionären
des Herbstes 1989 anschließe, hat der 17. Juni für mich
keine Rolle gespielt, weil er in meinem Gedächtnis nicht
verankert gewesen ist. Wir sind vielmehr in der Furcht
vor dem Massaker an den friedlichen Demonstranten auf
dem Platz des Himmlischen Friedens am 3. und 4. Juni
1989 in Peking auf die Straße gegangen. Uns hat die
Angst im Nacken gesessen, ob das Regime in der DDR
zu diesem Zeitpunkt zu ähnlichem Handeln fähig sein
konnte. Ich wusste nicht, in welchem Ausmaß das 1953
der Fall gewesen ist – irgendeine dunkle Ahnung durch
viele Gespräche, aber keine Fakten. Da hatte die DDR
gründliche Arbeit geleistet. Wenn wir in diesem Haus
gemeinsam ein Vermächtnis aus 1953 und 1989 ziehen
können, dann ist das meines Erachtens – da stimme ich
den Ausführungen meiner Vorredner zu –, das Gedenken





Steffi Lemke


(A) (C)



(D)(B)

an diesen Tag wachzuhalten und die Erinnerungskultur
zu pflegen, und zwar nicht nur in Berlin und nicht nur
vor dem Bundesfinanzministerium.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dieser Aufstand war dezentral. Er fand in vielen Orten
und Dörfern in der DDR statt. Es war kein Berliner Auf-
stand. Auch das gehört zu den Mythen, die wir, wie ich
glaube, entzaubern müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir können im Zusammenhang mit dem 17. Juni über
alle möglichen Dinge, auch über Stelen, diskutieren. Ich
glaube aber, dass dieses Haus in diesen Tagen eine an-
dere Aufgabe hat, wenn wir das Vermächtnis der De-
monstranten, vor allem derjenigen, die ihr Leben unter
dem Regime der DDR verloren haben, und wenn wir das
Vermächtnis von 1989 ernst nehmen wollen. Wenn wir
am Wochenende lesen, dass die USA erwägen, schweres
Militärgerät in Osteuropa zu stationieren, und der russi-
sche Präsident Putin verkündet, dass mehr als 40 neue
Interkontinentalraketen stationiert werden sollen, dann
ist es meines Erachtens Aufgabe dieses Hauses, als Ver-
mächtnis von 1953 und 1989 einer drohenden neuen Es-
kalationsspirale in Form eines drohenden neuen Wettrüs-
tens entgegenzutreten. Das ist mein Hauptanliegen. In
diesem Sinne habe ich auch nichts gegen Stelen.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811108800

Der Kollege Max Straubinger hat für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1811108900

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Heute vor 62 Jahren haben Hunderttausende Frauen und
Männer den ersten Sargnagel tief in das Unrechtsregime
der DDR geschlagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb ist der 17. Juni 1953 ein ausgesprochen wichti-
ger Tag in der Geschichte unseres Landes.

In Westdeutschland war er lange unser Tag der Ein-
heit. Heute ist das in Vergessenheit geraten. Das müssen
wir uns selbstkritisch vor Augen führen. Ich habe heute
viele Tageszeitungen durchgeblättert, um festzustellen,
ob es in irgendeiner Zeitung einen Beitrag zum 17. Juni
1953 gibt. Ich habe keinen gefunden. Daher ist es umso
wichtiger, dass wir heute diese Debatte in diesem Hohen
Haus führen, um der zu Tode Gekommenen, der Verletz-
ten und derer, die eingesperrt worden sind, zu gedenken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der 17. Juni ist ein großer Tag. Es ist ein Tag der Zi-
vilcourage, des Willens zur Einheit und des Willens zur
Freiheit. Deshalb ist der 17. Juni kein ost- und auch kein
westdeutscher Tag; es ist ein gesamtdeutscher Gedenk-
tag.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir im Westen hatten nach der beispiellosen morali-
schen und zivilisatorischen Niederlage der Nazidiktatur
die einmalige Chance, unser Leben in Frieden und Frei-
heit selbst zu bestimmen; Kollegin Iris Gleicke hat da-
rauf bereits hingewiesen. Auf unsere Landsleute im Os-
ten dagegen wartete eine neue Diktatur. Herr Lutze, Sie
haben gesagt, dass der Marshallplan dem Westen gehol-
fen hat. Das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass die
DDR weder demokratisch noch republikanisch war und
zudem den Menschen keine Freiheiten ließ. Auch inso-
fern ging es den Menschen im Westen besser.

Eine demokratische Republik fälscht nicht die Wah-
len. Ein demokratischer Staat beugt nicht die Rechte der
Menschen. Ein demokratischer Staat bespitzelt nicht
massenhaft und systematisch seine Bürger.


(Zurufe von der LINKEN: Aha!)


Er fertigt keine Protokolle über das Leben der Menschen
an. Er sperrt auch keine Jugendlichen in Umerziehungs-
heime, wie es in der DDR der Fall war. Er inhaftiert
keine Andersdenkenden. Demokratische Staaten gehen
nicht mit Panzern gegen Demonstranten vor, und sie
bauen auch keine Mauern um die eigene Bevölkerung
herum auf, wie es in der DDR war, und sie erschießen
niemanden, der nur das Land verlassen will. – Ein Staat,
der all das tut, ist ein Unrechtsstaat,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


nicht nur in der Konsequenz, sondern von Grund auf.
Die vielen Tausend Flüchtlinge und Ausreisewilligen,
die Unzähligen, die in die innere Emigration gingen, die
Gefangenen in Hohenschönhausen, in Bautzen, in
Schwedt und anderswo, die vielen Mauertoten und die
Toten des 17. Juni 1953 bezeugen das mit ihrem Schick-
sal. Auch ihrer gedenken wir heute.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass wir heute zu unserem Glück vereint sind, ver-
danken wir dem langen Atem und dem unbedingten
Freiheitswillen der Menschen in der DDR. Den mutigen
Volksaufstand hat das Stasiregime noch feige mit sowje-
tischen Panzern niederschlagen lassen; die Toten und
Verletzten wurden bereits erwähnt. Den Freiheitswillen
der Menschen freilich haben Ulbricht und seine Erben
nicht erdrücken können – nicht durch Panzer, nicht





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)

durch die Mauer, nicht durch den Schießbefehl und auch
nicht durch die 600 000 Spitzel während der Zeit des Be-
stehens der DDR, die ihren Beitrag geleistet haben. Der
Wille nach Freiheit blieb wach in den Herzen der Men-
schen. Sie haben dann mit ihrem Mut die Mauer einge-
rissen, eine Diktatur friedlich niedergerungen und freie
Wahlen erzwungen.

Frau Kollegin Gleicke hat die Entspannungspolitik
angesprochen. Wir möchten ausdrücklich die Leistungen
von Brandt und Genscher anerkennen. Aber es lag auch
an Menschen wie Helmut Kohl, Theo Waigel, Wolfgang
Schäuble, Sabine Bergmann-Pohl und Lothar de
Maizière, dass es gelungen ist, die Einheit in Freiheit zu
vollenden und letztendlich dem Auftrag der Menschen
des 17. Juni gerecht zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber dass diese Stunde überhaupt kommen konnte,
verdanken wir nicht zuletzt unserem unvergessenen
bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Franz Josef Strauß.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Strauß ist nie müde geworden, darauf zu drängen, den
Grundlagenvertrag auf seine Verfassungskonformität zu
überprüfen. Bayerns Klage in Karlsruhe erwies sich als
ein Glücksfall für die deutsch-deutsche Geschichte.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es war nicht nur für mich – als Junge im Westen aufge-
wachsen, der sich in keiner Weise so intensiv mit der
Geschichte befasste – bedeutsam, dass Franz Josef
Strauß bei den vielen Reden, die er hielt, immer auf die
deutsche Einheit hinwies. Als Junge hat man daran gar
nicht mehr geglaubt; das sage ich ganz offen. Es war
aber richtig, dass klargestellt wurde, dass das Wiederver-
einigungsgebot für alle Verfassungsorgane bindend ist.
Damit ist es auch gelungen, auf der Grundlage des
Grundgesetzes die Wiedervereinigung zu erreichen.

Die Verweigerung der völkerrechtlichen Anerken-
nung war Bayerns Beitrag zum Fall des Unrechtsstaates;
denn so blieben wir Deutsche, was wir trotz Teilung im-
mer waren: ein Volk – ein Volk, das stolz ist auf die Frei-
heitskämpfer des 17. Juni.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811109000

Das Wort hat der Kollege Thomas Jurk für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Jurk (SPD):
Rede ID: ID1811109100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Unter meinen Zuhörern wird es
wohl nur wenige geben, die die Gemeinde Krauschwitz
in der Oberlausitz kennen. Sie liegt nur etwa 2 Kilometer
von meinem Heimatort entfernt. Dort fuhren am 17. Juni
1953 vor den Toren der Keulahütte, einer Eisengießerei,
sowjetische Panzer auf, um gegen demonstrierende Ar-
beiter den Ausnahmezustand durchzusetzen. Das zeigt,
wie breit und umfassend der Aufstand und das Aufbe-
gehren am 17. Juni 1953 tatsächlich waren. Es waren
eben nicht nur die großen Zentren wie Berlin, Leipzig
oder Dresden, in denen die Menschen ihrer Unzufrieden-
heit Ausdruck verliehen. Es gab eben auch Görlitz,
Niesky oder Krauschwitz.

In Görlitz und Niesky wird heute, beinahe zeitgleich,
traditionell der Ereignisse des 17. Juni 1953 gedacht. In
beiden Städten schien der Volksaufstand am aussichts-
reichsten zu verlaufen. In Niesky wurde die Kreisdienst-
stelle des Ministeriums für Staatssicherheit besetzt, und
in Görlitz hatten die Aufständischen gar komplett die
Macht übernommen. Sie bildeten für eine provisorische
Verwaltung ein Stadtkomitee, das umgehend die Amts-
geschäfte aufnahm, und der alte Sozialdemokrat Max
Latt verkündete die Einsetzung eines Initiativkomitees
zur Wiedergründung der SPD. Erst als Sowjetarmee und
kasernierte Volkspolizei von außerhalb in der Stadt ein-
trafen, wurde der wohl erfolgreichste Aufstand jenes
17. Juni niedergeschlagen.

Sie werden sich fragen, woher ich, der erst neun Jahre
später geboren wurde, so etwas wissen kann. Die Ant-
wort ist ganz einfach: von meinem Vater. Über den
17. Juni wurde in meiner Familie vor 1990 häufig ge-
sprochen. Dabei meinten meine Eltern manches Mal:
Wenn das am 17. Juni geklappt hätte! – Ja, die Menschen
wollten schon damals ein besseres Leben, Freiheit und
Demokratie. Dafür sind sie auf die Straße gegangen, be-
freiten politische Häftlinge und entmachteten die Funk-
tionäre der verhassten Staatsmacht.

Den 17. Juni 1953 nicht selbst erlebt zu haben, ist ein
Schicksal, das ich mit immer mehr Menschen teile.
Umso wichtiger ist die Bewahrung der Geschichte des
17. Juni 1953, auch der Tage davor und der Tage danach.


(Beifall im ganzen Hause)


Bewahrung setzt aber unverfälschte Geschichtsschrei-
bung voraus. Deshalb will ich daran erinnern, dass der
17. Juni 1953 in der Geschichtsschreibung der DDR als
faschistischer Putsch, gesteuert aus dem Westen, diffa-
miert wurde. Die DDR-Führungskaste hätte unter keinen
Umständen zugegeben, dass es ausgerechnet die Arbei-
ter waren, die sich gegen den sogenannten Arbeiter- und
Bauernstaat erhoben hatten. So wurden besonders jene
Menschen verunglimpft, die Demonstrationszüge an-
führten oder auf Kundgebungen das Wort ergriffen.
Diese Menschen bezahlten einen hohen Preis. Wem
nicht rechtzeitig die Flucht in den Westen gelang, der
wurde zu drakonischen Strafen verurteilt oder büßte gar
mit dem Leben. Jene Schicksale, jene Ereignisse, jene
Konsequenzen müssen in unserer Erinnerung weiterle-
ben. Dabei bleiben die Schilderungen von Zeitzeugen
unverzichtbar.


(Beifall im ganzen Hause)






Thomas Jurk


(A) (C)



(D)(B)

Heute können wir die ganze Geschichte neu ins
Blickfeld nehmen, zurück bis 1945 und vorwärts bis zur
friedlichen Revolution von 1989. Diese Geschichte ist
eine Geschichte des permanenten Wechselspiels von
Hoffnungen und Enttäuschungen. Das gilt insbesondere
für das Jahr 1953 selbst. Denn mit dem Tod Stalins am
5. März 1953 verbanden sich Hoffnungen, Hoffnungen
auf ein Nachlassen des innenpolitischen Terrors gegen
Andersdenkende und eine bessere Wirtschaftspolitik.
Tatsächlich wurden diese Hoffnungen dann enttäuscht.
Im April 1953 wurde beschlossen, ganzen Bevölke-
rungsgruppen keine Lebensmittelkarten mehr zu geben
und die ohnehin horrenden HO-Preise für Lebensmittel
zu erhöhen. Die schon vorher prekäre Versorgungslage
verschlechterte sich weiter. Auch die Ermäßigungen für
die Arbeiterfahrkarten wurden gestrichen. Gleichzeitig
wurden die Produktionsnormen erhöht, was zu deutli-
chen Lohneinbußen führte. Gerade deshalb ging der
Aufstand von den besonders stark betroffenen Arbeitern
aus.

Wenn ich eingangs von sowjetischen Panzern sprach,
so waren es letztendlich diese, die den Volksaufstand zu-
nichtemachten. Die Führung der Sowjetunion hatte auch
nach dem Tode Stalins nicht die Absicht, die Einwohner
der DDR in die Freiheit oder gar in die Einheit zu entlas-
sen. Dass der „große Bruder“ mit eiserner Faust 1956 in
Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei alle Demo-
kratiebewegungen noch blutiger niederwalzte, macht
deutlich, wie wichtig für die friedliche Revolution des
Herbstes 1989 die politischen Veränderungen unter
Michail Gorbatschow in der ehemaligen Sowjetunion
waren.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Für die SPD war der 17. Juni immer ein besonderes
Datum; denn der Aufstand war für uns Sozialdemokra-
ten zuallererst ein Arbeiteraufstand. So ist es kein Wun-
der, dass die Westdeutschen den Feiertag am 17. Juni ei-
nem Sozialdemokraten zu verdanken hatten: Herbert
Wehner, dem aus Sachsen stammenden damaligen Vor-
sitzenden des Bundestagsausschusses für gesamtdeut-
sche Fragen. Er war es, der den Namen „Tag der Deut-
schen Einheit“ vorschlug und mit der SPD-
Bundestagsfraktion bei einer Abstimmung am 3. Juli
1953 im Bundestag durchsetzte, sodass der 17. Juni zum
Nationalfeiertag wurde.

Die damaligen Ereignisse sind für mich auch eine Er-
mutigung für eine Politik des langen Atems. In einer
Zeit, in der mitunter eine Politik der Kurzatmigkeit
herrscht, ist es wichtig, daran zu erinnern, dass Politik
mehr ist als eine Anhäufung von Projekten, Kampagnen
und Gesetzgebungsvorhaben. Das Erreichen der großen
Ziele und die Lösung von grundlegenden Menschheits-
fragen brauchten manchmal Generationen. Rückschläge
wie der, den die Menschen 1953 erlebten, waren nicht
das letzte Wort der Geschichte. Wie glücklich dürfen wir
auch heute noch über die Wiedererlangung der Einheit
Deutschlands sein.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der 17. Juni 1953 bleibt ein herausragendes Datum
der deutschen Geschichte, ein Tag zum Erinnern, ein Tag
zum Gedenken und ein Tag zum Nachdenken. Was für
mich in besonderer Weise bleiben wird, ist die Bewunde-
rung für die Menschen jener Zeit. Sie haben damals den
Beweis erbracht, dass Zivilcourage auch in Zeiten größ-
ter Entbehrungen und Gefahren möglich ist.


(Beifall im ganzen Hause)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811109200

Das Wort hat der Kollege Dr. Harald Terpe für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1811109300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Erinnerung an den 17. Juni erfordert von uns und
auch von mir, dass wir uns zuallererst vor den Opfern
verneigen. Opfer sind diejenigen, die getötet worden
sind, aber es gibt auch viele Opfer, die in den Gefängnis-
sen saßen, also Gerichtsprozesse bekommen hatten. Zu
den Opfern zählt auch eine große Gruppe, die aus den
Ereignissen des 17. Juni 1953 Angst mitgenommen hat.
Ich weiß aus persönlichem Erleben – auch ich bin ein
Nachgeborener; ich wurde ein Jahr nach 1953 geboren –,
dass die Angst vor den Repressalien, die Angst vor dem
Niederwalzen von Protesten in der DDR eine große
Rolle gespielt hat. Diese Angst hat fortgewirkt. Zu Recht
ist schon gesagt worden: Manchmal braucht es Genera-
tionen, bis solch eine Angst wieder überwunden wird.
Diese Generationen hat auch die ostdeutsche Bevölke-
rung letztlich bis 1989 gebraucht. Wir als Nachgeborene
konnten uns von dieser Angst mehr befreien als viele,
die den 17. Juni als eine Niederschlagung und Unterdrü-
ckung von Freiheit und Recht in der DDR erlebt hatten.


(Beifall im ganzen Hause)


Aber wie das immer so ist: Jedes Negative hat in der
Erinnerung letztlich auch etwas Positives. Man darf
nicht vergessen, dass der 17. Juni 1953 am eindrucks-
vollsten bewiesen hat, auf welchem Lügengebäude die
DDR-Führung ihren Staat gegründet hatte. Es sind ja in
erster Linie die Arbeiter und Bauern gewesen – darauf
ist zu Recht hingewiesen worden –, die auf die Straße
gegangen sind. Diese Arbeiter und Bauern wurden nun
von denen niedergewalzt, deren angebliche Ziele es wa-
ren, alles für die Arbeiter und Bauern zu tun.

Mit anderen Worten: Das Lügengebäude war offen-
sichtlich. Das hat für die DDR, also für die ostdeutsche
Bevölkerung, Langzeitwirkungen gehabt, weil man von
dem Augenblick an – so habe ich es zumindest erlebt –
diesem Regime überhaupt kein Vertrauen mehr entge-
gengebracht hat. Sie haben nie wieder irgendein Ver-
trauen in der Bevölkerung erreichen können. Sie haben
sich auch gar nicht bemüht. Wie wir wissen, sind ja auch
alle danach folgenden Wahlfälschungen und dergleichen
mehr niemals vertrauensbildende Maßnahmen für die
Bevölkerung der DDR gewesen. Ich verneige mich





Dr. Harald Terpe


(A) (C)



(D)(B)

heute auch vor denjenigen in Ostdeutschland, die gesagt
haben: Es muss auch Leute geben, die in Ostdeutschland
bleiben und den Freiheits- und Gerechtigkeitsgedanken
weitertragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Das hat dann 1989 zu der friedlichen Revolution ge-
führt. „Keine Gewalt“, das war eine hochpolitische Lo-
sung. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir organi-
siert haben, dass wir mit dieser Losung auf jeden Fall
verhindern, dass es zu einem gewalttätigen Eingreifen
des Staates kommt. Das ist wirklich ein großes Glück.
Ich kann Iris Gleicke nur sagen: Wir haben da natürlich
erhebliches Glück gehabt, dass das nicht passiert ist. Wir
können alle nur dafür danken, dass es so gekommen ist.


(Beifall im ganzen Hause)


Lassen Sie mich zum Abschluss an uns, aber auch an
die Zuhörer auf den Rängen appellieren, niemals zuzu-
lassen, dass solche Geschichtsereignisse umgedeutet
werden; denn das ist etwas, was die DDR eindrucksvoll
gemacht hat. Sie hat es in mehreren Jahrzehnten ge-
schafft, das nahezu in Vergessenheit zu bringen. Es ist
klar: Es war für sie ja auch brisant, Arbeiter und Bauern
niederzuschießen und dazu dann Stellung zu nehmen. In
der geschichtlichen Erinnerung gerade der nachwach-
senden DDR hat der 17. Juni 1953 nur dort eine Rolle
gespielt, wo auch Familien betroffen waren. Ansonsten
war er aus den Geschichtsbüchern gestrichen oder wurde
als faschistischer Putsch usw. diffamiert. Wir können sa-
gen, dass es heute wieder ähnliche Propagandaausdrücke
gibt, wenn es irgendwo darum geht, Freiheitsbewegun-
gen niederzuschlagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich glaube, wir Deutschen haben aufgrund unserer Ge-
schichte, auch aufgrund unserer glücklichen Geschichte
der letzten Jahrzehnte, eine große Verantwortung, uns
für die demokratischen und rechtsstaatlichen Freiheits-
bewegungen in anderen Ländern zu engagieren und
diese zu unterstützen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811109400

Das Wort hat der Kollege Dr. Thomas Feist für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1811109500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen!

Sehr verehrte Damen und Herren! Wir haben heute zum
Gedenken an den 17. Juni 1953 vieles gehört, auch vie-
les Richtige. Allerdings muss ich sagen, dass ich, wenn
ich mich an die Demonstrationen 1989 in Leipzig erin-
nere, schon ein Problem damit habe, dass wir dafür
dankbar sein sollen, dass die Staatsmacht in ihrer Ohn-
macht nicht auf uns geschossen hat. Dafür fehlt mir jeg-
liches Verständnis.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In unserem Haus der Geschichte in Leipzig ist ein
Warnhinweis zu lesen. Darauf steht: Warnung! Ge-
schichte kann zu Einsichten führen und verursacht Be-
wusstsein. – Es ist wichtig, dass wir uns an geschichtli-
che Daten wie den 17. Juni 1953 erinnern. Denn ohne
den 17. Juni 1953 ist weder der 9. Oktober 1989 in Leip-
zig mit 70 000 Demonstranten zu denken noch der
9. November mit dem Fall der Berliner Mauer und erst
recht nicht der 3. Oktober 1990 auf dem Weg zur deut-
schen Einheit. Deswegen ist es wichtig, immer und im-
mer wieder an den 17. Juni 1953 und an die mutigen
Männer und Frauen dieses Tages auch hier im Deutschen
Bundestag zu erinnern.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Kollege Straubinger hat darauf hingewiesen,
dass er heute einmal eine Presseschau unternommen und
nachgeschaut hat, wer an den 17. Juni 1953 erinnert.
Dieser Tag ist in der öffentlichen Wahrnehmung in der
Tat unterbelichtet. Umso wichtiger ist es, dass wir hier
im Deutschen Bundestag Jahr für Jahr an den 17. Ju-
ni 1953 erinnern.

Ich möchte mich stellvertretend für eine Behörde
auch bei Roland Jahn bedanken, dem Bundesbeauftrag-
ten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der
ehemaligen DDR, weil diese Behörde eine der wenigen
ist, die Jahr für Jahr mit sehr guten Veranstaltungen an
die Männer und Frauen von 1953 erinnert. Vielen herzli-
chen Dank dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man über die Geschichte spricht, dann muss
man auch darüber reden, welche Lehren wir daraus zie-
hen. Ich habe vorhin schon gesagt, dass ich ein Problem
damit habe, dass wir über das Glück hinaus, das wir
1989 hatten, dankbar dafür sein sollen, dass wir damals
nicht erschossen worden sind. Ich muss sagen: Auch
heute ist hier noch vieles in einer Grauzone – auch in der
historischen Bewertung. Ich schaue jetzt keine Partei im
Speziellen an; in Thüringen sind mehrere an der Regie-
rung. Walter Ulbrichts großartige Devise lautete:

Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen
alles in der Hand haben.

Damit zeigt der Hinweis auf die Dankbarkeit in Be-
zug auf die Truppen, die uns nicht erschossen haben, et-
was vom – so könnte man sagen – totalitären Denken,
das in einem demokratischen Rechtsstaat zumindest be-
fremdlich wirkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist schon viel zu den Umständen gesagt worden,
die dazu geführt haben, dass Hunderttausende Menschen
– man spricht von bis zu 1,5 Millionen – in der gesamten





Dr. Thomas Feist


(A) (C)



(D)(B)

DDR – nicht nur in Berlin, nicht nur in Leipzig, sondern
überall – auf die Straße gegangen sind. Es war eine pro-
grammatische Sache, die dazu geführt hat, dass die Un-
zufriedenheit der Leute mit diesem Unrechtsregime der
DDR gewachsen ist.

Die Programme zum planmäßigen Aufbau des Sozia-
lismus – so hießen sie – vernichteten im Zuge der
Zwangskollektivierung Tausende Existenzen von priva-
ten Unternehmern, Bauern und Selbstständigen. Politi-
sche Mündigkeit bezahlten Tausende mit hohen Zucht-
hausstrafen. Einer, der davon betroffen war, der
Schriftsteller und Leipziger Ehrenbürger Erich Loest,
berichtete, dass sich die Aufständischen des 17. Juni,
wenn sie sich im Zuchthaus begegnet sind, mit der For-
mel „Beim nächsten Mal klappt’s“ grüßten. Darauf
mussten sie allerdings 36 Jahre warten. Deswegen ist es
umso wichtiger, dass wir in der Euphorie einer glücklich
verlaufenen, friedlichen Revolution und einer gelunge-
nen Wiedervereinigung an die Menschen denken, die am
17. Juni 1953 ihr Leben riskierten, um gegen das Un-
rechtsregime in der damaligen DDR zu protestieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vor zwei Jahren hat Werner Schulz in Leipzig eine
bemerkenswerte Rede zum 17. Juni 1953 gehalten. Er
hat darin auf einige Dinge hingewiesen, die auch die
Verfolgungsangst der Mächtigen in der DDR in späteren
Zeiten deutlich dokumentiert haben. So konnte zum Bei-
spiel die Zahl der Interzonenzüge, die am 17. Juni ver-
kehren durften, 16 oder 18 sein, aber niemals 17. Das
muss man sich einmal vorstellen! Erich Mielke hat seine
Untergebenen Ende August 1989, als die Lage in der
DDR für die Staatsmacht immer bedrohlicher wurde, ge-
fragt: „Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?“
Dieses Datum war natürlich in den Köpfen der Herr-
schenden, aber auch noch in den Köpfen der Eltern,
Großeltern und auch Kinder, die über diesen Tag gespro-
chen und sich im Geheimen in der DDR – auch das gab
es nämlich – dieser Menschen erinnert haben.

Da wir in Leipzig nicht nur glückliche Erfahrungen
mit dem Errichten von Denkmälern haben, möchte ich
einmal ein geglücktes herausheben, das den
17. Juni 1953 betrifft. 2003 wurde die Straße, in der am
17. Juni 1953 ein junger Mann erschossen worden ist, in
„Straße des 17. Juni“ umbenannt. Im selben Jahr haben
sich 20 junge Leute gesagt: Wir wollen an diesen Tag er-
innern. – Junge Leute, wohlgemerkt. Sie haben Unter-
stützer – unter anderem auch den ehemaligen Bundes-
tagsvizepräsidenten Thierse, der sich dieser Bewegung
angeschlossen hatte – bekommen. Sie haben Folgendes
gesagt: Wir warten jetzt nicht auf öffentliche Förderun-
gen, sondern wir machen das einfach. – Sie haben das
Geld dafür zusammenbekommen. Seitdem erinnern im
Stadtzentrum von Leipzig – wenn Sie auf der linken
Seite vor dem Alten Rathaus stehen, können Sie es sehen –
ins Pflaster eingelassene bronzene Kettenabdrücke an
den 17. Juni 1953 und an die mutigen Männer dieses Ta-
ges.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist schon angesprochen worden, dass der 17. Juni
1953 in einer ganzen Reihe anderer Daten steht. Der
Prager Frühling ist angesprochen worden. Auch Ungarn
wurde erwähnt. Natürlich wurde aber auch die friedliche
Revolution in der DDR angesprochen. Der wesentliche
Unterschied, der aus meiner Sicht zwischen 1953 und
1989 besteht, ist, dass 1989 nicht nur deshalb geglückt
ist, weil die Menschen mutiger waren, sondern weil in
der Sowjetunion ein Mann regiert hat, der Michail
Gorbatschow hieß. Der ist für Glasnost und Perestroika,
für Transparenz und Rechtsstaatlichkeit eingetreten.
Plötzlich waren die Machthaber in der alten DDR – die,
wie Kurt Hager es einmal formulierte, ihre Wohnungen
nicht neu tapezieren, wenn der Nachbar es macht – völ-
lig verunsichert. Die Menschen, die 1989 auf die Straße
gegangen sind – ich war einer von ihnen –, haben ge-
wusst, dass von dieser Seite keine Bedrohung kommt
und dass auf der anderen Seite – nämlich bei den „be-
waffneten Organen“, wie es damals hieß – natürlich auch
Freunde und Bekannte waren, bei denen die Schwelle
wesentlich höher lag, auf die eigenen Leute, auf die ei-
gene Familie zu schießen. Deswegen ist es an diesem
Tag – wenn wir an den 17. Juni 1953 erinnern – gerecht-
fertigt, an Michail Gorbatschow zu denken und uns auch
bei ihm zu bedanken, dass wir 1989 die Möglichkeit zur
Freiheit für alle und 1990 die Möglichkeit der Einheit für
alle hatten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1811109600

Ich schließe die Aussprache und danke ausdrücklich

allen Beteiligten – nicht nur denen, die hier vorne am
Redepult standen, sondern allen hier im Saal – für ihr
Engagement und ihre Teilnahme an dieser Debatte.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. Juni 2015,
9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.