Gesamtes Protokol
Ich begrüße Sie herzlich. Die Sitzung ist eröffnet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Bericht zum Anerkennungs-gesetz 2015.Das Wort für den einleitenden Bericht hat die Bundes-ministerin für Bildung und Forschung, Frau Dr. JohannaWanka. Frau Ministerin, bitte.Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen undHerren! Am 1. April 2012 trat das Anerkennungsgesetzin Kraft. Das war ein Paradigmenwechsel. Das gab es sovorher noch nicht in der Bundesrepublik Deutschland:Vorher ging man immer eher von den Defiziten aus, undjetzt sah man die Chancen für diejenigen, die zu unskommen.Dieses Gesetz ist auch, wenn man es im europäischenVergleich sieht, etwas sehr Besonderes; denn es regelt,dass jeder, der zu uns in dieses Land kommt – egal, wo-her er kommt –, einen Rechtsanspruch darauf hat, dasseingeschätzt wird, ob seine berufliche Qualifikation, dieer in Kanada, im Kongo oder wo auch immer erworbenhat, im Vergleich zum entsprechenden deutschen Berufgleichwertig ist oder nicht. Da das etwas Neues war undwir in der Praxis Erfahrungen sammeln wollten, wieman damit umgeht, wo wir Handlungsempfehlungen ge-ben können und was noch gemacht und gestärkt werdenmuss, hat sich die Bundesregierung verpflichtet – das istkeine gesetzliche Verpflichtung –, begleitend ein Moni-toring zu realisieren, um Aussagen treffen zu können,die weit über die statistischen Angaben hinausgehen.In der Zeit vom 1. April 2012 bis Ende 2013 wurdenüber 26 500 Anträge auf Anerkennung gestellt. 96 Pro-zent der Anträge wurden positiv bewertet. Es gab alsoentweder eine Anerkennung oder eine Teilanerkennung.Es wurden mehr Anträge von Frauen als von Männerngestellt; das ist klar. Die größte Gruppe der Antragstellermachen Menschen mit Migrationshintergrund, also diein Deutschland leben und die deutsche Staatsangehörig-keit haben, aus. Dann folgen Menschen aus Polen, ausSpanien, aus Russland und aus Rumänien. Aus diesenLändern kommen die größten Gruppen der Menschen,die einen solchen Antrag stellen.Man hat sich innerhalb der IHKs und der Handwerks-kammern verständigt, wie man den Prozess organisiert.Die Erfahrungen sind sehr positiv. Es ist allerdings so,dass diejenigen, die einen Antrag stellen, oftmals einenHochschulabschluss oder sogar einen Hochschulab-schluss plus berufliche Bildung haben. Aber gerade imBereich der handwerklichen und IHK-Berufe möchtenwir mehr Anträge sehen. Bei den Hotlines und den An-laufstellen, die wir eingerichtet haben, sehen wir einestark steigende Tendenz. Deswegen ist die Bewerbungdieses Instruments sehr wichtig. Wichtig ist aber auchdas Thema Nachqualifizierung. Da, wo es möglich undsinnvoll ist, haben wir zum 1. Januar 2015 neue Dinge inKraft gesetzt und begonnen.Bei besagtem Monitoring geht es nicht nur um statis-tische Erfassung. Zum Beispiel umfasst dies auch eineBefragung von 5 300 Betrieben. Gefragt wurde, wie siemit diesem Instrument umgehen und wie sie es sehen.80 Prozent sind der Meinung, sie hätten überhaupt keinProblem damit, ausländische Fachkräfte in ihrem Be-trieb zu beschäftigen, und würden dies gern tun. Undmehr als zwei Drittel sagen, sie würden Mitarbeiter mitMigrationshintergrund, die sich dafür interessieren, An-träge gemäß dem Anerkennungsgesetz zu stellen, unter-stützen.Sie müssen dabei bedenken, dass viele Menschen an-gesichts der gegenwärtigen Situation der niedrigen Ar-beitslosigkeit sehr wohl Beschäftigung finden und esnicht unbedingt nötig haben, die Gleichwertigkeit ihrerQualifizierung nach dem Anerkennungsgesetz bestätigtzu bekommen. Wenn es aber auf dem Arbeitsmarkt wie-der schwieriger wird oder es darum geht, Meisterqualifi-kationen zu erwerben oder Leitungspositionen zu beset-zen, dann ist es sehr gut und richtig, wenn sie eineentsprechende Anerkennung vorweisen können.
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Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Deswegen ist das Anerkennungsgesetz sowohl ausunserer Perspektive im Hinblick auf die Fachkräftesitua-tion als auch für das Glück der Einzelnen, die in unserLand gekommen sind, wichtig. International werden wirsehr gelobt, auch von der OECD. Es wird sehr wohl re-gistriert, dass wir mit dem Anerkennungsgesetz für eineveränderte Situation gesorgt haben und ein starkes Si-gnal in das Ausland in Richtung Willkommenskulturgeben. Insgesamt ist es sehr erfreulich, dass ein so um-fangreicher Monitoring-Bericht vorliegt, der auch vieleAngaben zu Einzelfragen liefert.Danke.
Herzlichen Dank, Frau Ministerin. – Erste Fragestel-
lerin ist die Kollegin Cemile Giousouf, CDU/CSU-Frak-
tion.
Vielen Dank, Frau Ministerin für die Ausführungen
und die positiven Nachrichten zu dem Monitoring-Be-
richt. – Wir erleben ja derzeit, dass sehr viele Menschen
als Flüchtlinge und als Asylbewerber zu uns kommen.
Deswegen die Frage: Ist das Anerkennungsgesetz in der
Form, wie wir es jetzt haben, ein ausreichendes, ein gu-
tes Instrument, um auch die Menschen, die gut qualifi-
ziert sind – es sind ja nicht nur unqualifizierte Men-
schen, die zu uns kommen; wir erleben zum Beispiel,
dass aus Syrien viele Ärzte, Akademiker etc. nach
Deutschland kommen –, in den Arbeitsmarkt zu integrie-
ren?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Das Anerkennungsgesetz ist völlig unabhängig vom
Status der Betreffenden. Es steht jedem offen, auch
Asylbewerbern, und nicht nur denjenigen, die in unser
Land kommen, sondern man kann die Anerkennung
auch schon aus dem Ausland beantragen. Aufgrund der
geänderten Regelung, dass man bereits nach drei Mona-
ten eine Arbeit aufnehmen kann, haben wir noch vielfäl-
tige Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit
Asylantrag vorgesehen, indem sie etwa über SGB II oder
III entsprechend finanzielle Unterstützung bekommen
oder beim Stellen des Antrages unterstützt werden. Im
Rahmen des Netzwerks „Integration durch Qualifizie-
rung“ gibt es kostenlose Beratung für Anerkennungsver-
fahren, für Qualifizierung. Vom Instrumentarium ist das
alles sehr gut geeignet für die Flüchtlinge, die zu uns
kommen.
Nächster Fragesteller ist Herr Dr. Karamba Diaby,
SPD-Fraktion.
Frau Ministerin, wir sind uns darüber einig, dass das
Anerkennungsgesetz ein hervorragendes Mittel ist, um
dem Fachkräftemangel zu begegnen. Die positiven Er-
gebnisse, die Sie erwähnt haben, zeigen das. Allerdings
gibt es einige Herausforderungen, die auch im Bericht
erwähnt wurden. Wir wissen, dass von den erwarteten
500 000 Fachkräften, die wir brauchen, bis 2012 ledig-
lich 25 000 über Bluecard kamen. Von den 26 000 An-
trägen, die wir bis 2013 hatten, sind lediglich 9,4 Prozent
aus dem Ausland und davon 2,3 Prozent aus Drittstaaten
gestellt worden. Wir wissen auch, dass es einige Benach-
teiligungen und Ungleichbehandlungen gegenüber Men-
schen aus Drittstaaten gibt; das wird auf Seite 26 des Be-
richts erwähnt. Deshalb meine Frage an Sie: Welche
Maßnahmen sind vorgesehen, um diese Lücke zu schlie-
ßen, damit wir das erwartete Ergebnis demnächst errei-
chen können?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Sie haben vollkommen recht, dass im Bereich der
Drittstaaten die Anzahl der Anträge geringer ist und auch
die Bearbeitungszeiten länger sind. Eine wichtige Maß-
nahme ist Information. Das heißt, wir haben durch das
entsprechende Internetportal „Anerkennung in Deutsch-
land“ die Möglichkeit, in unterschiedlichen Sprachen in
aller Welt zu informieren, dass es dieses Instrument gibt.
Wir haben die Antragstellung sehr stark vereinfacht. Wir
haben aber auch aufgrund des Befundes jetzt damit be-
gonnen, dafür zu sorgen, dass es auch in den Drittstaaten
einen konkreten Ansprechpartner gibt, also nicht nur ei-
nen Internetauftritt. Das ist ganz wichtig, weil man,
wenn man sich dort bewirbt, sich mit den deutschen Ver-
hältnissen natürlich nicht so auskennt. Eine Strategie in
der nächsten Zeit ist es deswegen, dass es bei einigen
Deutschen Auslandshandelskammern, die überall in der
Welt zu finden sind, konkrete Ansprechpartner gibt, die
von Angesicht zu Angesicht über diese Möglichkeiten
informieren können. Ich denke, das ist außerordentlich
wichtig.
Das Anerkennungsgesetz des Bundes gilt ja für alle
Berufe, für die der Bund zuständig ist. Es gibt aber eine
ganze Reihe von Berufen, für die die Bundesländer zu-
ständig sind. Sie haben die Anerkennung zwar in ent-
sprechenden Gesetzen verankert, haben aber leider teil-
weise ganze Berufsgruppen, die wir gerade auch aus
Drittstaaten anwerben wollen, zum Beispiel Lehrer und
Ingenieure, ausgeschlossen. Da wäre es sehr wichtig
– ich wäre sehr froh, wenn das geschähe –, dass insbe-
sondere die großen Bundesländer den Angehörigen die-
ser Berufsgruppen überhaupt die Möglichkeit eröffnen,
einen Antrag darauf zu stellen, in Deutschland leben und
arbeiten zu können.
Wenn Menschen aber zu uns kommen, dann gibt es
vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten. Ich nannte die
Möglichkeit der Nachqualifizierung und das breit aufge-
stellte Förderprogramm „Integration durch Qualifizie-
rung “. Hier gibt es Möglichkeiten, die nicht nur
EU-Bürgern oder Menschen aus Europa, sondern allen
zur Verfügung stehen. Werbung dafür ist eine zentrale
Aufgabe, und darum bemühen wir uns.
Nächste Fragestellerin ist die AbgeordneteDr. Rosemarie Hein, Fraktion Die Linke.
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Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie hatten selbst da-
rauf hingewiesen, dass die nichtreglementierten Berufe,
vor allem die Berufe aus dem Bereich der dualen Ausbil-
dung, bei den Anerkennungsverfahren stark unterreprä-
sentiert sind. Zu den von Ihnen genannten Gründen, wa-
rum man eine entsprechende Anerkennung anstreben
sollte, möchte ich unbedingt den Aspekt der tarifgerech-
ten Bezahlung hinzufügen, die mit einem nachgewiese-
nen Abschluss leichter zu erreichen ist als ohne einen
solchen. Insofern bitte ich Sie, uns darüber Auskunft zu
geben, was Sie tun wollen, um diesen Berufen im Aner-
kennungsverfahren einen höheren Stellenwert einzuräu-
men. Wie kann man also mit einem schnelleren und wir-
kungsvolleren Verfahren dazu beitragen, dass gerade
diejenigen mit einem Beruf aus dem dualen Bereich eine
solche Anerkennung anstreben?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Der größte Teil der Anträge bezieht sich bisher auf
die reglementierten Berufe; aber das ist ganz logisch.
Die Berufe, in denen eine Anerkennung in Deutschland
zwingend ist, weil man sonst nicht in dem Beruf arbeiten
kann – das betrifft Ärzte, Krankenschwestern, Apothe-
ker und viele andere –, machen die Hauptmasse aus. Tat-
sache ist – ich habe mit Handwerkskammerpräsidenten
und an vielen Stellen mit Vertretern vor Ort geredet –,
dass bei den Kammern – zum Beispiel ist die Hand-
werkskammer Frankfurt Leitkammer für den Be-
reich Polen, die Handwerkskammer München für den
Bereich Türkei – sehr viele Beratungsgespräche durch-
geführt werden, diese aber nicht in allen Fällen dazu füh-
ren, dass ein Antrag auf Anerkennung gestellt wird. Im
Bericht wird dargestellt, woran das liegt. Dafür gibt es
nicht nur einen Grund, sondern vielfältige Gründe. In
vielen Ländern ist es eben so, dass es für handwerkliche
Berufe überhaupt keine duale Ausbildung gibt, die mit
unserer vergleichbar ist. Deswegen fehlt den Betreffen-
den auch der Optimismus, hier eine Anerkennung errei-
chen zu können.
Folgendes finde ich ganz wichtig – das wird auch in-
ternational registriert –: Unser Anerkennungsgesetz
schafft nicht nur die Möglichkeit, anhand eines Schrei-
bens nachzuweisen, dass man diesen oder jenen Beruf
mit einem bestimmten Curriculum in einem anderen
Land erlernt hat, sondern für den Fall, dass so etwas
nicht vorliegt oder die erbrachten Leistungen nicht mit
Dokumenten nachweisbar sind, gibt es auch die Mög-
lichkeit einer Qualifikationsfeststellung. Im Rahmen ei-
nes Fachgesprächs und in Form von praktischen Tätig-
keiten kann der Betreffende nachweisen, ob er zum
Beispiel schweißen kann oder Ähnliches. Wenn er dabei
entsprechende Kenntnisse nachweist, kann das zur Aner-
kennung führen.
Über solche Möglichkeiten müssen wir noch mehr in-
formieren. Deswegen gibt eine Initiative unseres Hauses,
um sowohl die Betriebsräte als auch die Leitungen der
Betriebe – ich sagte, dass der Großteil der Betriebe die
Möglichkeiten gerne nutzen würde und kein Problem da-
mit hat – stärker dafür zu sensibilisieren, welche Mög-
lichkeiten und welche Unterstützung es gibt. Das ist eine
der Maßnahmen. Eine andere sind Finanzhilfen. Hier
gibt es zwar keinen einfachen Zusammenhang von Ursa-
che und Wirkung, ich denke aber, dass hier die Tatsache,
dass die Arbeitsverwaltung denjenigen, die Arbeit su-
chen – ich sagte es vorhin im Zusammenhang mit den
Asylbewerbern –, eine Finanzierung gewährleistet, eine
Rolle spielt.
Herzlichen Dank. – Nächster Fragesteller ist der Ab-
geordnete Stephan Albani, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Ministerin, ich kann von meiner Seite bestäti-
gen: Wir erleben das Anerkennungsgesetz als etwas sehr
Hilfreiches und sehr Nützliches. Ich stelle eine konkrete
Frage aus der Praxis. Wenn wir über Flüchtlinge reden,
dann reden wir ja über Menschen, die überwiegend nicht
im Rahmen eines geordneten Prozesses zu uns gekom-
men sind. Insofern frage ich: Wie sollten wir aus Ihrer
Sicht mit Flüchtlingen umgehen, denen die notwendigen
Unterlagen entweder gar nicht oder unvollständig oder
bestenfalls als schlechte Kopie vorliegen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
In der Form, wie ich eben schon sagte, dass wir ihnen,
wenn keine Unterlagen vorliegen, die Chance einräu-
men, die in einem handwerklichen Beruf oder in einem
anderen Beruf erworbenen Qualifikationen im Rahmen
eines Fachgesprächs und in einem praktischen Test
nachzuweisen. Wir nutzen aber auch andere vielfältige
Möglichkeiten, gerade im Bereich der Industrie- und
Handelskammern. Falls die Kopien eventuell, wie Sie
sagen, schlecht sind, kann man aufgrund der Landes-
kenntnisse und der Curricula vor Ort praktisch ver-
gleichbare Unterlagen besorgen.
Am Anfang, bevor das Gesetz in Kraft trat, gab es
große Skepsis, ob man da immer – wie sage ich es im
Bundestag? – korrekt behandelt wird, ob man echte Un-
terlagen bekommt. Das ist aber überhaupt nicht das Pro-
blem; das steht auch im Bericht. Es gibt sicher den einen
oder anderen Einzelfall, aber die Befürchtung, dass mit
den vorgelegten Unterlagen oder Kopien etwas nicht
stimmt, hat sich nicht bewahrheitet. Das ist nicht das
Problem.
Herzlichen Dank. – Nächster Fragesteller ist der Ab-
geordnete Özcan Mutlu vom Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich möchte an derStelle anknüpfen, an der Kollege Karamba Diaby aufge-hört hat. In dem letzten Evaluierungsbericht 2014 stehtauf Seite 157 ganz explizit, dass es eine zentrale Förde-rungslücke gibt, dass bei vielen das Anerkennungsgesetznicht greift und ihnen bestimmte Förderungen vorenthal-ten werden. Zudem gebe es keine spezielle Anpassungs-
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Özcan Mutlu
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qualifizierung, kein zugeschnittenes Förderprogrammfür die Antragsteller, und die bestehenden Förderinstru-mente wie BAföG usw. griffen praktisch nirgends. Infol-gedessen stehen den Antragstellern Anpassungsqualifi-zierungen in Vollzeit gar nicht zur Verfügung; denn siehaben eben kein Erwerbseinkommen und dementspre-chend keine Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zubestreiten, weil sie oft eben keinen Anspruch auf ALG-Leistungen usw. haben. Ich würde von Ihnen gerne kon-kret wissen – Ihre Antwort auf die Frage des KollegenDiaby war ein bisschen unkonkret –: Welche konkretenSchritte und welche Maßnahmen haben Sie aufgrund desEvaluationsberichtes unternommen bzw. ergriffen, umdie genannte Förderungslücke zu schließen?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Wir haben seit dem 1. Januar dieses Jahres gemein-sam mit der BA und dem Arbeitsministerium ein sehrumfangreiches Programm – es kostet 188 MillionenEuro – aufgelegt. Mit diesem Programm – das ist eineLinie innerhalb des IQ-Programmes – erhalten diejeni-gen finanzielle Unterstützung, die nicht unter die Rege-lungen gemäß SGB II oder III fallen. Sie können finan-zielle Unterstützung erhalten, und zwar nicht nur fürAnpassungsqualifizierungen, sondern sogar bei den Le-benshaltungskosten. Außerdem ist die gesamte Beratunghinsichtlich der Anerkennungsmodalitäten und der Qua-lifizierungsmöglichkeiten für diese Menschen kosten-frei. Wir stellen also 188 Millionen Euro zur Verfügung.Das ist ein konkreter Schritt in diese Richtung, wobeiwir natürlich dabei sind, auszutarieren: Welche Instru-mente greifen besonders gut? Wie erreicht man sehrviele Firmen? Wie erreicht man sehr viele Menschen? –Da sind wir im ständigen Dialog mit den Kammern.Außerdem hat sich ein Bundesland entschieden, Sti-pendien für Menschen auszugeben, die eventuell nocheine Nachqualifizierung gemäß Anerkennungsgesetzbrauchen. Auch über diesen Weg sollten wir nachden-ken. Aber dafür müssen wir erst wissen: An welcherStelle würde es Sinn machen? An welcher Stelle gibt esBedarf? – Das steht aber natürlich anderen Landesregie-rungen in den Bundesländern auch frei.
Zunächst kommen alle einmal dran, die sich gemeldet
haben. Dann kommen die Zweitfragen dran.
Herzlichen Dank. – Nächste Fragestellerin ist die Ab-
geordnete Katrin Albsteiger, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Ministerin, ich würde gerne an das Thema Nach-
qualifizierungsangebote anknüpfen. Die Nachfrage, so
steht es im Bericht, nach diesen Nachqualifizierungs-
angeboten steigt nach wie vor. Welche spezifischen
Maßnahmen bzw. Angebote haben Sie vor in Zukunft
anzubieten, um dieser Nachfrage Herr zu werden?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Eigentlich kann ich auf das verweisen, was ich eben
gesagt habe. Über dieses IQ-Programm fördern wir in
vielfältiger Art und Weise und in großem Umfang die
Bereiche, wo es Bedarfe gibt, wo besonders nachqualifi-
ziert werden muss.
Ein weiterer Schritt ist, dass wir in IQ an die Hoch-
schulen gehen und für den akademischen Bereich Gelder
zur Verfügung stellen, damit bundesweit an unterschied-
lichen Hochschulen Teilstudiengänge oder Zertifizierun-
gen angeboten werden können, die zielgerichtet auf die
deutsche Situation, auf die Tätigkeit in bestimmten Be-
rufen vorbereiten. So können wir den Betreffenden klar-
machen, was neben der Grundkompetenz, die sie aus
ihrem Land mitbringen, notwendig ist, um hier in
Deutschland in dem entsprechenden Beruf praktizieren
zu können – das klingt so nach Arzt, aber das gilt auch
für andere Berufe. Das ist zum Beispiel ein weiterer Teil
unseres umfangreichen Angebots.
Zum Spracherwerb: Das Arbeitsministerium legt mit
der BA sehr viel Wert auf den Spracherwerb, weil dieser
ganz wichtig ist. Im Bereich der Gesundheitsberufe gibt
es aber große Probleme hinsichtlich des Spracherwerbs,
weil sich die Bundesländer nicht auf ein einheitliches
Niveau verständigen können. Daher sind die Anforde-
rungen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich.
Es gibt inzwischen sogar Internetplattformen, auf denen
man sich darüber austauscht, in welchem Bundesland
die Anforderungen am geringsten sind. Es gibt also eine
Art Anerkennungstourismus, weil es nicht gelungen ist,
sich zu verständigen.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Kai
Gehring, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, wenn Menschen, diezuwandern, ihren Berufsabschluss hierzulande anerken-nen lassen wollen, fallen – das wissen Sie – zum Teil er-hebliche Kosten für dieses Anerkennungsverfahren an,die von diesen internationalen Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmern – bei einigen handelt es sich um vor kur-zem aus Kriegsgebieten Geflüchtete – zu tragen sind. InIhrem Bericht schreiben Sie selbst – Zitat –:Die Spannweite reicht von zweistelligen Eurobeträ-gen bis hin zu
Ich finde, dass diese Kosten erheblich variieren. Ichwäre interessiert zu erfahren, welche Position die Bun-desregierung da vertritt: Finden Sie es richtig, dass dieKosten für die Anerkennungsverfahren dermaßen starkvariieren und auch derart hoch ausfallen können? Wel-che Maßnahmen wollen Sie zur Kostenreduktion undKostenvereinheitlichung ergreifen?
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Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Zuerst möchte ich feststellen: Diesen Fachberichthabe nicht ich geschrieben. Das ist nicht mein Bericht,sondern wir haben diesen Bericht in Auftrag gegeben,und dieser Monitoring-Bericht wurde dann erstellt. We-der ich noch das BMBF haben also diesen Bericht ganzgeschrieben, sondern wir haben ihn in Auftrag gegeben.Das ist sozusagen ein von uns unabhängiger Bericht.Zu den Finanzen. Bei den Kosten für die Anerken-nung gibt es eine Spannbreite. Ich stelle einen Antragauf Anerkennung. Dann wird dieser Antrag bearbeitet.Es wird geschaut, wie die Ausbildung in meinem Hei-matland ist etc. Dafür fallen Kosten zwischen 100 und600 Euro an. Bei der IHK Hannover zum Beispiel liegensie im Schnitt bei 300 Euro, und die Obergrenze liegt bei600 Euro. Wenn es aber darum geht, Qualifikationen zuerwerben, wenn man zum Beispiel ein Sprachvermögenentsprechend einer höheren Sprachstufe nachweisenmöchte, fallen zusätzliche Kosten an.Wenn ein Flüchtling zu uns kommt, der keine Arbeithat, zum Beispiel ein Arzt aus Syrien, gilt, wie ich vor-hin schon sagte: Solange er keine Arbeit hat und eineArbeit sucht, bezahlt die BA die Kosten, sogar die Le-benshaltungskosten. Das heißt, diese Kosten treffendann nicht den Einzelnen. Wenn aber zum Beispiel einAugenoptiker aus Finnland kommt, dann bezahlt er – esgibt natürlich auch andere Fälle – die Kosten für das An-erkennungsverfahren. Auch wenn er die Benutzung ei-nes bestimmten Gerätes lernen muss, bezahlt er die Kos-ten dafür selbst.Seitens des Bundes fänden wir es sehr gut, wenn sichalle Akteure, die im Bereich der Anerkennung aktivsind, auf verbindliche, einheitliche Sätze verständigenkönnten. Das wäre sehr schön und in unserem Interesse.Das können wir aber nicht einfach dirigistisch vorgeben.
Herzlichen Dank. – Der nächste Fragesteller hat heute
Geburtstag. Ich gebe das Wort Albert Rupprecht und
gratuliere ihm herzlich im Namen des Hauses. Es ist
schön, dass Sie Ihren Geburtstag im Rahmen der Regie-
rungsbefragung feiern.
Vielen herzlichen Dank. Es ist die einzig richtigeForm, Geburtstag hier im Plenum zu feiern.Frau Ministerin, Zuwanderung ist ein wesentlicherBaustein der Demografiestrategie der Bundesregierung.Die Fachleute sagen uns unisono, dass der Rechtsrah-men in Deutschland sehr offen ist, dass wir ein sehr offe-nes Land sind. Kritisch ist nur, dass die Wenigsten daswissen und man mit Deutschland nicht zwingend eineWillkommenskultur verbindet. Das Anerkennungsgesetzhat unter anderem die Intention, diese Willkommenskul-tur zu verdeutlichen, sie zu leben. Sie hatten das ein-gangs auch angesprochen. Die Frage ist: Kann man dasgreifen? Woran kann man das dingfest machen? Erlebenwir, dass das Anerkennungsgesetz mit Blick auf dieWillkommenskultur Fortschritte mit sich bringt?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Ich ja, weil ich oft versuche, den direkten Kontaktzum Beispiel mit denen, die durch das Anerkennungsge-setz Anerkennung erfahren haben, herzustellen. Erstletztens, als wir mit der Bundeskanzlerin in Nürnbergwaren, wo sich für sämtliche Industrie- und Handels-kammern die Zentralstelle befindet, traf ich eine Mode-schneiderin aus Polen, die sich jetzt sogar scheiden las-sen konnte, weil ihr durch das Anerkennungsgesetz dieSelbstständigkeit ermöglicht wurde. Das war ganz lustig.
– Das ist jetzt nicht die Zielsetzung, nein. Das hat sie öf-fentlich gesagt, so kann auch ich das hier sagen. – Siehatte nämlich immer mit den Vorurteilen ihres Manneszu kämpfen, der meinte, das, was sie in ihrem Heimat-land gelernt habe, sei mit der Situation in Deutschlandnicht vergleichbar. Sie hat dann jedoch die Anerkennungerhalten und eine Arbeit gefunden. So ist es in vielenFällen: Auf der individuellen Ebene macht das für dieLebensperspektiven dieser Personen, die diese Anerken-nung erhalten, unwahrscheinlich viel aus.Aber Sie haben recht, Herr Rupprecht: Es ist so, dassunser Ruf nicht schlecht ist, dass er aber schlechter alsdie Wirklichkeit ist. Daran sind wir aber selbst schuld,weil wir andere Haltungen dazu hatten und diesesThema viele Jahre lang nicht offensiv bearbeitet haben.Aber jetzt ist es so, dass wir vom rechtlichen Rahmenher im Vergleich zu allen anderen Ländern in der EU– auch nach OECD-Einschätzung – sehr gut dastehen.Wir haben uns zum Beispiel schon seit Jahren bemühtund können jetzt sagen, dass die Willkommenskultur anden Hochschulen – das ist eine spezielle Gruppe – funk-tioniert. Wir haben derzeit den Höchststand ausländi-scher Studierender in Deutschland. Da ist es kein Pro-blem mehr. Aber wir müssen jetzt auch in anderenBereichen gemeinsam dafür arbeiten. Und dazu gehörtbeispielsweise, dass man die Tatsachen und das, wasjetzt geht, publik macht.Ich erlebe es immer wieder bei Kammern, bei Hand-werksmeisterfeiern und bei anderem: Viele wissen nochnicht, dass wir diese Instrumente haben. Es ist nicht nuraltruistisch von uns, sondern es ist auch wirklich eineChance. Wenn man sich anschaut, in welchem Alter die,die kommen und einen solchen Antrag stellen, sind, be-merkt man: Deren Altersstruktur entspricht nicht der inDeutschland mit vielen über 60-Jährigen, sondern80 Prozent aller Zuwanderer sind zwischen 18 und50 Jahre. Bei den Antragstellern handelt es sich zumgrößten Teil um Menschen im Alter zwischen 25 und44 Jahren. Wenn jemand im Alter von 44 Jahren die An-erkennung erhält, hat er noch etwa 20 Jahre oder längerim Berufsleben vor sich.Das heißt, wir sind besser als unser Ruf, aber wirmüssen etwas dafür tun, dass die Willkommenskulturverbessert wird. Ich denke, dabei haben wir noch Luftnach oben.
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10336 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015
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Danke schön. – Nächster Fragesteller ist der Abge-
ordnete Martin Rabanus, SPD-Fraktion.
Frau Ministerin, vielen Dank für Ihren Bericht. – Ich
will gern an das Thema „Flüchtlinge“ anknüpfen. Sie ha-
ben das Instrument der Qualifikationsanalyse benannt.
Sie haben das Modellprojekt mit der BA benannt. Auch
ich glaube, das sind richtige Instrumente. Haben Sie
tiefergehende Erkenntnisse über Qualität und Quantität
dessen, was da passiert? Wie entwickeln sich Fallzah-
len? Welche Trends gibt es da? Insbesondere interessiert
mich, ob für das Modellprojekt schon erste Hinweise
vorliegen, wie gut das angenommen wird und in wel-
chen Berufsgruppen sich das Ganze abspielt.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Welches Modellprojekt meinen Sie jetzt?
„Early Intervention“ mit der BA, das inzwischen an
neun Standorten aufgesetzt ist.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ich wusste nicht, welches Sie meinten. – Natürlich
können wir zum Modellprojekt noch keine vertiefenden
Ergebnisse haben, weil es noch läuft. Solche Sachen
kann man nicht nach einer so kurzen Zeit wie zwei oder
drei Monate absehen, sondern man muss schon vernünf-
tige Fallzahlen haben, um wirklich eine valide Erkennt-
nis daraus zu ziehen.
Aber die Tatsache, dass wir dieses Monitoring ma-
chen und Ihnen diese dicken Berichte nicht nur vorlegen,
sondern damit auch arbeiten, zeigt unser ernsthaftes Be-
mühen. So versuchen wir durch Befragungen, durch sta-
tistische Untersuchungen und durch viele weitere Dinge
möglichst viele Informationen zu bekommen, um dann
passgenau Maßnahmen schneidern zu können.
Was man sagen kann, ist, dass die Tendenz in all die-
sen Fällen positiv ist. Aber das ist eine sehr pauschale
Aussage. Gerade was Flüchtlinge betrifft, deren Zahlen
nach allen Prognosen enorm steigen werden, haben wir
jetzt noch nicht diese Größenordnung an Fällen, die man
benötigt, um daraus eine belastbare Grundaussage abzu-
leiten.
Danke schön. – Nächster Fragesteller ist der Abge-
ordnete Dr. Thomas Feist, CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben gesagt, es
gebe eine steigende Tendenz bei den Hotlines. Das heißt:
Interesse ist vorhanden. Sie haben auch auf die Zusam-
menarbeit mit den Auslandshandelskammern sowie de-
ren Zuarbeit hingewiesen. Sie haben auch erwähnt, wie
schwierig es ist, im Bereich der Berufe mit dualer Aus-
bildung verstärkt dafür zu werben. Nun ist es so, dass ich
in der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit meinem
Kollegen Uwe Schummer einen Antrag eingebracht
habe, in dem es darum ging, auf die verstärkte Nachfrage
nach Modellen der dualen Ausbildung im Ausland ein-
zugehen. Wäre dieses Berufsanerkennungsgesetz nicht
auch für Sie eine Hilfe, wenn es beispielsweise darum
geht, dass Deutschland mit anderen Ländern Verträge
zum Aufbau oder zur Weiterentwicklung einer dualen
beruflichen Bildung abschließt? Man könnte frühzeitig
sehen, welche Kompetenzen, welche Fertigkeiten und
Fähigkeiten vorhanden sein müssen, um innerhalb Euro-
pas die Freizügigkeit des Arbeitsmarktes ausnutzen zu
können und unter anderem in Deutschland arbeiten zu
können.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ja, das ist sehr sinnvoll. Jetzt funktioniert es so: Je-
mand kommt aus einem anderen Land zu uns. Wenn er
einen handwerklichen Beruf oder einen, der unter die
IHK-Berufe fällt, hat, dann wird zum Beispiel von der
IHK FOSA, von dieser Zentralstelle, genau geschaut,
was für Zeugnisse er hat. Dann wird geprüft, welches
Curriculum es in dem Land gibt, was dort welcher Ab-
schluss wert ist und welche Dinge er können muss. Da-
raufhin wird entschieden, ob es genauso ist wie bei uns
oder ob etwas fehlt, was er vielleicht durch praktische
Tätigkeit oder anderes ausgleichen kann.
Wenn man – das tun wir verstärkt – beim Aufbau dua-
ler Ausbildung in anderen Ländern berät und unterstützt,
dann kann es nicht die Messlatte sein, dass es von vorn-
herein genauso sein muss wie bei uns; denn die Bedin-
gungen dort sind anders. Man sollte sich aber an unseren
Qualitätsstandards orientieren, um es dann für die Be-
treffenden einfacher zu machen und ihnen von Anfang
an sagen zu können: Wenn du das jetzt bei uns hier in der
Firma lernst, dann ist gesichert, dass das kompatibel mit
Anforderungen in anderen Ländern ist. – Das ist sehr gut
und würde gerade auch Jugendlichen helfen und sie viel-
leicht auch motivieren, eine solche Ausbildung zu begin-
nen.
Wir sagen: Duale Ausbildung hat Deutschland stark
gemacht. Deswegen haben wir eine geringe Jugendar-
beitslosigkeit. Wir wissen aber, dass es kein Schnell-
mittel ist. Wenn man jetzt Jugendlichen in Spanien,
Griechenland und anderswo sagt, dass sie in dem zu er-
lernenden Beruf später in Deutschland und woanders ar-
beiten können, dann, glaube ich, ist es für sie eine Moti-
vation, eine solche Ausbildung, die für die jungen Leute
ja auch immer Stress bedeutet, zu machen. Ich finde es
also sehr klug.
Danke schön. – Nächster Fragesteller ist der Abge-
ordnete Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion.
Ergänzend zu dem, was Dr. Thomas Feist eben ge-fragt hat, frage ich in Richtung Pflege. Wir haben in demBereich einen besonderen Bedarf und müssen verstärkt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015 10337
Uwe Schummer
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dafür sorgen, dass Pflegekräfte nach Deutschland kom-men. Laut dem Bericht profitiert der Pflegeberuf aberrelativ wenig von dem Berufsanerkennungsgesetz. Wirplanen im Rahmen einer Neuordnung ja auch eine gene-ralisierende Pflege, das heißt eine Zusammenführungvon Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Alten-pflege. Inwieweit wird durch diese Neuordnung auch dieAnerkennung des Pflegeberufes in Deutschland insge-samt verbessert?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Jetzt haben wir die Situation, dass es in sehr vielenLändern zum Beispiel den Beruf Altenpfleger nicht gibt.Wenn die Menschen, die einen Abschluss haben, zu unskommen, wird, wenn es um die Anerkennung geht, ge-sagt: Wenn sie sich an dieser und jener Stelle noch nach-qualifizieren, dann können sie zum Beispiel in der Kran-kenpflege arbeiten.Wir müssen in den entsprechenden Bereichen dafürsorgen, dass man nicht nur auf das schaut, was dieseMenschen in ihrem Heimatland gelernt haben, sondernauch darauf, was man ihnen als Unterstützung gebenkann, damit sie zum Beispiel einen Pflegeberuf erlernen.Die Veränderungen bei der Ausbildung in Pflegeberufen,die hier im Bundestag beschlossen werden sollen, er-leichtern es, diese Menschen in Richtung der Pflegebe-rufe zu motivieren. Das, was da passiert ist, ist also nütz-lich für die Anerkennung.
Jetzt haben wir noch zwei Fragen von Fragestellern,
die schon gefragt haben, und dann noch Fragen zu ande-
ren Bereichen. – Zunächst gebe ich der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein noch einmal das Wort zu einer
Frage.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie hatten auf die
bundesgesetzlich geregelten Berufe verwiesen und da-
rauf, dass diese die Mehrzahl der Antragstellerinnen und
Antragsteller betreffen. Das ist logisch und klar.
Nun habe ich in meinen Gesprächen in den Ausbil-
dungseinrichtungen vor allem zu den Gesundheits- und
Pflegeberufen sehr oft erfahren, dass die Auszubilden-
den trotz dieser bundesgesetzlichen Regelungen sehr un-
terschiedliche Ausbildungen in den Schulen haben und
dass es bei der gegenseitigen Anerkennung der Ausbil-
dungsbestandteile durch die Länder durchaus Probleme
gibt. Meine Frage ist, ob es passieren kann, dass eine
Ausbildung in einem Bundesland nicht anerkannt wird,
während dies in einem anderen Bundesland der Fall ist.
Das wird ja durch die zuständigen Stellen entschieden.
Sind Ihnen da Beispiele bekannt, oder können Sie das
ausschließen?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Das kann ich nicht ausschließen, und das ist ein
Punkt, der ärgerlich ist. In unserem föderalen System ist
es so – das muss man wirklich sagen –: Weil das Bun-
desgesetz zuerst da war – mit einer Beschreibung der
Verfahren etc. –, haben sich viele Ländergesetze daran
orientiert, und zwar – ich will es einmal so sagen – mehr
als in anderen Fällen, in denen entsprechende Regelun-
gen von Bundesland zu Bundesland verschieden sind.
Was die Gesundheitsberufe, die einen großen Teil
ausmachen, angeht, ist unsere Kenntnis, dass das, was
die Bundesländer verlangen – ich sprach vorhin schon
von Kriterien für Ärzte, vom Spracherwerb und von an-
deren Punkten –, sehr unterschiedlich ist, auch wenn sich
die Gesundheitsministerkonferenz damit bereits beschäf-
tigt hat. Wir und die Länderkollegen vonseiten der Wis-
senschaft möchten, dass es ein zentrales, gemeinsames
Vorgehen gibt, sodass es eben nicht sein kann, dass man
sich fragt: Wo bekomme ich am ehesten einen Platz? Wo
sind die Anforderungen am niedrigsten?
Alle hier im Raum wissen, dass es bei der Kultus-
ministerkonferenz eine Zentralstelle für die Anerken-
nung ausländischer Bildungsabschlüsse gibt. Wenn also
jemand, der aus Namibia, Ägypten oder einem anderen
Land nach Deutschland kommt, seine Zeugnisse vorlegt,
dann wird von dieser Zentralstelle beurteilt: Reicht das
aus, um hier in Deutschland zu studieren? Ist das ad-
äquat? Entspricht es unserem Abitur oder einem anderen
Abschluss? – Diese Stelle verfügt über 60, 70 Mitarbei-
ter mit hoher Sprachkompetenz und genauen Kenntnis-
sen der unterschiedlichsten Länder. Dort funktioniert
das.
Wir wollten, dass bei der KMK eine solche Zentral-
stelle analog für die Gesundheitsberufe eingerichtet
wird, allerdings nicht für die Anerkennung von Bil-
dungsqualifikationen, sondern von Berufsqualifikatio-
nen. Mittlerweile gibt es auch ein Konzept. Die Länder
haben sich verständigt: Wie viel Geld bräuchte man da-
für? Wie müsste das aussehen? – Zusätzlich zu der schon
vorhandenen Kompetenz müsste man 16 zusätzliche
Stellen schaffen, um die wichtigen Anliegen der Einheit-
lichkeit, der Verbindlichkeit und der gemeinsamen Ent-
scheidungen, die Sie angesprochen haben, zu realisieren.
Dazu gab es bereits – ich glaube, drei – Beschlüsse der
GMK und der KMK, und es fanden entsprechende Fi-
nanzministerrunden statt. In diesen Runden stimmten die
Wissenschaftsminister im Rahmen der GMK mit 16: 0
dafür, die Finanzminister mit 16: 0 dagegen.
Ich finde, diese 16 Stellen sind für 16 Bundesländer
überhaupt keine Dimension; aber daran hakt es. Ein
Konzept ist allerdings da.
Darf ich noch etwas sagen, Herr Präsident?
Wenn es der Wahrheitsfindung dient, können Siegerne noch ein bisschen sprechen.
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10338 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015
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Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Immer. – Ich hatte am Anfang gesagt: Es gibt über26 000 Anträge. Das sind die Anträge, die wir definitivkennen und die im Hinblick auf bundesgesetzlich gere-gelte Berufe gestellt wurden. Was in den Ländern ge-schieht und sich nach den Ländergesetzen richtet, ist unsnicht bekannt. Insgesamt ist die Zahl also höher. Aber26 000 Anträge sind eine belastbare Zahl. Für diese An-träge sind wir verantwortlich.
Okay. – Jetzt gibt es zu dieser Thematik noch eine
letzte Frage vom Abgeordneten Mutlu, Bündnis 90/Die
Grünen.
Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, im Evalua-
tionsbericht wurde deutlich kritisiert, dass der Vollzug
der Anerkennung in den Ländern sehr uneinheitlich ist.
Außerdem wurde eine unzureichende Ausstattung, per-
sonell wie materiell, festgestellt. Was haben Sie in die-
sem Zusammenhang getan, seitdem Ihnen dieser Evalua-
tionsbericht bekannt ist?
Noch eine Frage zu der Zahl von 188 Millionen Euro,
die Sie vorhin genannt haben. Wie viele Personen neh-
men diese Mittel schon in Anspruch, und für welche
Zeiträume darf ein Antragsteller Mittel aus diesem Topf
in Anspruch nehmen: für drei, sechs oder zwölf Monate?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Das ist sicher unterschiedlich; das kann ich aber nicht
definitiv sagen. Konkrete Zahlen liegen noch nicht vor.
Wir könnten Ihnen eine entsprechende Tabelle zuleiten,
wenn es dann eine Staffelung gibt.
188 Millionen Euro – Sie haben diesen Betrag ja noch
einmal erwähnt – sind richtig viel Geld; das ist eine
große Summe. Wir haben uns darauf verständigt, dass
dieser Betrag bis 2018 zur Verfügung gestellt wird. Wir
wären aber in der Lage, die Mittel, die im Rahmen die-
ses Programmes bereitgestellt werden, zu erhöhen, wenn
sich das als sinnvoll herausstellen sollte. Im Moment ist
das erst einmal eine große Summe, mit der man sehr
viele der angesprochenen Dinge realisieren kann.
Was die Ausstattung in den Ländern angeht, muss ich
sagen: Das ist eine Sache, die wir nicht entscheiden kön-
nen. Da kann der Bund nur an die Länder appellieren. Er
darf den Ländern aber nicht vorschreiben, wie sie vorzu-
gehen haben. In den Handwerkskammern und in den In-
dustrie- und Handelskammern ist das aus meiner Sicht
sehr gut geregelt.
– Das sprach ich eben an. Wir streben auf einer ganzen
Reihe von Feldern an, einheitlich zu agieren. Ich denke
zum Beispiel an alle Berufe im Bereich der Industrie-
und Handelskammern – auch dann, wenn der Bund dafür
unter Umständen nicht zuständig ist. Hier soll es einen
gemeinsamen Standard geben.
Das schwierigste Problem stellen die Gesundheitsbe-
rufe dar, weil es in diesem Bereich aufgrund der Tatsa-
che, dass es reglementierte Berufe sind, sehr viele An-
träge gibt. An anderen Stellen macht sich das noch gar
nicht so bemerkbar und ist vielleicht auch nicht das Pro-
blem.
Der Bund unterstützt die Bundesländer, die sich dafür
engagieren, dass die Kultusministerkonferenz für die
Gesundheitsberufe und vielleicht auch für andere Berei-
che Strukturen entwickelt, die in Bezug auf diese Berufe
zu einer größeren Einheitlichkeit führen. Bei den Kam-
mern ist das nicht das Problem.
Herzlichen Dank, Frau Professor Wanka.
Wir haben damit den Themenbereich „Anerken-
nungsgesetz“ abgeschlossen.
Es sind jetzt noch drei Wortmeldungen zu anderen
Themen erfasst, und zwar von dem Abgeordneten
Harald Petzold, Fraktion Die Linke, dem Abgeordneten
Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, und dem Abge-
ordneten Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen. – Herr Kollege
Petzold, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Weil es leider immer
wieder vorkommt, dass bei Manövern Straßen in erheb-
lichem Umfang durch Panzer zerstört werden, möchte
ich die Bundesregierung fragen, was getan wird, damit
die geschädigten Baulastträger der Straßen die Schäden
ersetzt bekommen.
Wer möchte für die Bundesregierung antworten? –
Ich nehme nicht an, dass die Bundesbildungsministerin
antwortet.
– Dann bitte.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Es sind zum Teil auch Straßen, die uns betreffen.
Wenn etwas in Mitleidenschaft gezogen worden ist, dann
sind die Verhandlungen über die Regulierung von Schä-
den immer sehr schwierig. In Niedersachsen ging es um
20 Millionen Euro, über die es lange Diskussionen gab,
und ich denke, die Einzelfälle muss man auf der Basis
gesetzlicher Grundlagen verhandeln. Das weiß der
Staatssekretär aber viel besser.
Das vermuten wir auch. Deswegen gebe ich jetztHerrn Parlamentarischen Staatssekretär Brauksiepe dasWort zur konkreten Beantwortung. Bitte schön, HerrDr. Brauksiepe.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015 10339
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D
Herr Kollege, ich bin nicht grundsätzlich über jedes
Manöver der Bundeswehr informiert, aber da Sie Ihre
Frage ja als dringliche Frage gestellt hatten, die nicht zu-
gelassen worden ist, und jetzt von der offensichtlich be-
stehenden Möglichkeit der Geschäftsordnung Gebrauch
machen,
die nicht als dringliche Frage zugelassene Frage in die-
sem Rahmen zu stellen, war ich natürlich vorgewarnt
und kann Ihnen sagen, dass die Regulierung entspre-
chender Schäden – Übungsschäden durch die Bundes-
wehr kennen wir seit Jahrzehnten – nach den Regelun-
gen des Bundesleistungsgesetzes auf Antrag des
Geschädigten erfolgt.
Die aufgetretenen Schäden wurden in Wort und Bild
dokumentiert. Diese Dokumentation wurde den zustän-
digen Gemeinden zur Verfügung gestellt, und auf dieser
Grundlage können die Schäden gegenüber der Bundes-
wehr geltend gemacht werden.
Herzlichen Dank. – Nächster Fragesteller ist der Ab-
geordnete Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. – Meine Frage kann sicherlich Frau
Ministerin Wanka am besten beantworten. Es geht um
die unhaltbar prekäre Situation des wissenschaftlichen
Nachwuchses und um das Thema „Verlässliche Karriere-
wege in der Wissenschaft an den Hochschulen“.
Seit Monaten ist es so, dass die Bundesregierung ei-
nerseits nicht handelt und andererseits Zeitpläne immer
wieder schiebt. Deshalb wüsste ich von Ihnen gerne den
aktuellen Zeitplan für die überfällige Novelle des Wis-
senschaftszeitvertragsgesetzes
mit den Stationen Kabinett, Bundesrat, Bundestag und
Inkrafttreten, und ich bitte auch um die Angabe des Jah-
res, damit wir wissen, ob wir über dieses Jahr oder viel-
leicht über 2017 sprechen.
Wie sieht denn die Ministerin die Vorbehalte des Kol-
legen Rupprecht von der CSU – er ist immerhin Vorsit-
zender der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung seiner
Fraktion – gegen die Eckpunkte, die im Haus offensicht-
lich schon abgestimmt worden sind und zwischen den
Koalitionsfraktionen in der Diskussion sind? Ich ent-
nehme die Vorbehalte einem Bericht aus der Süddeut-
schen Zeitung vom Vortag.
Deshalb frage ich Sie: Ändern die in der Unionsfrak-
tion bestehenden inhaltlichen Vorbehalte etwas an Ihrer
Zustimmung zu den Eckpunkten, und wann werden sie
das Licht der Welt erblicken?
Frau Ministerin, bitte.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Gerne. – In dem Fall ist es so wie immer: Sie haben
mit Ihrem Redebeitrag – dankenswerterweise haben Sie
auf die Süddeutsche Zeitung verwiesen – deutlich ge-
macht, dass Sie – das nehme ich Ihnen gar nicht übel –
die internen Zusammenhänge, was wie besprochen wor-
den ist, nicht kennen und nicht kennen können. Demzu-
folge kann ich Ihre Behauptung einfach zurückweisen.
Meine Grundhaltung zu dem, was wir mit dem Wis-
senschaftszeitvertragsgesetz erreichen möchten, ist ganz
klar: Wir wollen verhindern, dass – es sei denn, es be-
steht eine Notwendigkeit dafür – keine befristeten Ver-
träge mit kurzer Laufzeit abgeschlossen werden, weil
dadurch bei jungen Menschen große Unsicherheit aus-
löst wird. Wir möchten, dass Daueraufgaben dauerhaft
finanziert werden. In diesem Punkt bin ich mit dem Ge-
burtstagskind völlig einig. Wir reden darüber: Wie kann
man das umsetzen? Das Gespräch zwischen den beiden
Fraktionen ist aber nichts, was ich zu kommentieren
hätte. Meine Grundhaltung dazu ist klar.
Sie haben den Zeitplan angesprochen. Sobald es ein
klares Signal gibt, dass es die Chance gibt, dass die No-
velle im Bundestag verabschiedet werden kann, lege ich
sie dem Kabinett vor. Damit sind dann auch die anderen
Termine völlig klar; es sei denn, der Bundesrat sorgt für
eine Verschiebung.
Danke schön. – Nächster Fragesteller ist der Abge-
ordnete Özcan Mutlu.
Danke, Herr Präsident. – Nach der Inthronisation vonJoseph Blatter in der Schweiz auf dem FIFA-Kongresswird gerade kunterbunt über die Vergaben der Fußball-weltmeisterschaften der letzten 20 Jahre diskutiert. Un-ter anderem ist auch unser Sommermärchen im Ge-spräch.Außer meinem Erstaunen darüber, dass der DFB-Ver-treter auf diesem FIFA-Kongress sehr schweigsam war,Ausdruck zu verleihen, möchte ich gerne Vertreter derBundesregierung fragen, ob sie in der Zwischenzeit ir-gendwelche Erkenntnisse darüber haben, ob unser Som-mermärchen sauber und nicht gekauft war und ob seitensder Bundesregierung zweifelsfrei ausgeschlossen wer-den kann, dass dabei Korruption oder Schieberei imSpiel waren.
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10340 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015
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Wer möchte für die Bundesregierung antworten? –
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Professor Krings.
D
Bei Ihrer Fragestellung, Herr Kollege, hat der Kollege
Ströbele hinter Ihnen ganz traurig geguckt, weil er fast
die gleiche Frage schriftlich eingereicht hat. Insofern
werde ich Ihre Frage kurz beantworten und nachher et-
was ausführlicher darauf eingehen, weil diejenigen, die
ihre Frage schriftlich eingereicht haben, nicht benachtei-
ligt werden sollen.
Ich will aber schon an dieser Stelle darauf hinweisen,
dass es aktuell keine Hinweise auf Korruption gibt, wir
aber natürlich sehr daran interessiert sind, über den Fort-
gang der Ermittlungen unterrichtet zu werden. Dazu gab
es schon einen Kontakt zwischen unserem Herrn Bun-
desminister de Maizière und der amerikanischen Justiz-
ministerin, die, wie ich finde, das Verfahren – ich will
nicht unbedingt sagen: mustergültig – sehr gut voran-
treibt. An dieser Stelle können wir den amerikanischen
Behörden dankbar sein, dass sie diese Ermittlungen füh-
ren. Dabei sind wir natürlich an Erkenntnisfortschritten
interessiert. Mehr dazu gibt es gleich in der Antwort auf
die schriftlich eingereichte mündliche Frage von Herrn
Kollegen Ströbele.
Danke schön. Ich denke, so können wir das machen.
Ich beende die Befragung und rufe den Tagesord-
nungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/5061
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Professor Dr. Günter
Krings bereit.
Die Frage 1 der Kollegin Jelpke wird schriftlich be-
antwortet.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dr. André
Hahn von der Fraktion Die Linke auf:
Zu welchen Ergebnissen kam die Bundesregierung seit ih-
rer Antwort auf meine mündliche Frage 30, Plenarprotokoll
18/96 vom 25. März 2015, bei ihrer Prüfung, ob und welcher
Handlungsbedarf für eine stärkere Unterstützung der Doping-
Opfer-Hilfe e. V., DOH, sowie die Notwendigkeit, Doping-
opfer angemessen zu entschädigen, besteht, und inwieweit
wurde dabei das Anfang April 2015 von der DOH vorgelegte
„Konzept für einen einzurichtenden ‚Akutfonds des Sports‘
zur nachhaltigen Unterstützung der Doping-Opfer in Deutsch-
land“ berücksichtigt?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Doping-
opfer-Hilfegesetz wurde aus humanitären und sozialen
Gründen ein Fonds für Dopingopfer aus der ehemaligen
DDR eingerichtet. Ebenso hat die Bundesregierung den
überwiegenden Teil der finanziellen Hilfen des DOSB
an Dopingopfer finanziert. Auch das ist also aus Steuer-
mitteln erfolgt. Die Bundesregierung unterstützt glei-
chermaßen die Doping-Opfer-Hilfe e. V. finanziell. Die
Prüfung der Bundesregierung, ob darüber hinaus Hand-
lungsbedarf besteht – danach hatten Sie gefragt – ist
noch nicht abgeschlossen.
Ich vermute, dass Sie eine Zusatzfrage haben, Herr
Kollege. – Bitte schön.
Ganz genau, Herr Präsident. Denn die schriftlich ein-
gereichte Frage wurde nicht vollständig beantwortet,
was das Konzept für einen einzurichtenden Akutfonds
des Sports zur nachhaltigen Unterstützung der Doping-
opfer betrifft. Ich habe danach gefragt, inwieweit dieser
Fonds bei der Bundesregierung Berücksichtigung findet.
Sie haben selber auf die Diskussionen verwiesen, die es
in der Vergangenheit schon gegeben hat. Die Entschädi-
gungen reichen nicht aus.
Meine Frage zielt auf Folgendes: Wir beraten gegen-
wärtig den Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes im Par-
lament. Teilt die Bundesregierung meine Auffassung,
dass jetzt, 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereini-
gung, endlich eine angemessene und wirksame Entschä-
digung für die Dopingopfer herbeizuführen ist? Wann ist
mit einer entsprechenden Entscheidung zu rechnen?
Herr Staatssekretär.
D
Ich habe schon gesagt, dass es noch keine Entschei-dung über weitere Maßnahmen gibt. Insofern kann ichauch nicht zu Details eines Akutfonds und Ähnlichemberichten.Ich glaube, dass es eine ernstzunehmende und wich-tige Frage ist, die auch unabhängig von anderen Gesetz-gebungsverfahren beantwortet werden muss. Es magsein, dass die Beratung eines Anti-Doping-Gesetzent-wurfs ein möglicher Zeitpunkt ist. Aber ich glaube, dasmuss man trennen. Das Doping, das wir jetzt bekämp-fen, hat, wie ich finde, eine andere Qualität als das, wasin der DDR im Zusammenhang mit Doping passiert ist– das muss ich Ihnen nicht erklären –, wo die Betroffe-nen gar nichts davon erfahren und erhebliche Gesund-heitsschäden davongetragen haben. Aus diesem Grundegab es bereits einen Fonds. Es wurden etwa 300 Anträgegestellt; 200 davon wurden positiv beschieden.Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob Weitereszu tun ist. Es dauert in der Tat – damit haben Sie recht –relativ lange, aber es geht in diesem Zusammenhangschließlich um Steuermittel, und es gibt, glaube ich,auch eine wichtige Mitverantwortung der Sportver-bände. Ich will damit nicht sagen, dass der Staat nichts
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Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
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damit zu tun hat; denn auch in der DDR gab es sicherlicheine Gemengelage aus staatlichen und verbandlichenAktivitäten in dieser Hinsicht. Aber dass sich, wie es bis-her der Fall ist, die Sportverbände gar nicht in der Ver-antwortung sehen, gefällt sicherlich uns allen nicht.
Noch eine Frage, Herr Hahn?
Ich würde gerne insofern hartnäckig bleiben, als ich
nachfragen möchte, bis wann mit einer Entscheidung zu
rechnen ist. Die Betroffenen haben einen Anspruch da-
rauf, zumindest das zu erfahren. Ich wäre Ihnen dankbar,
wenn Sie das dem Hohen Hause mitteilen könnten.
D
Das Schicksal der Betroffenen ist schwerwiegend.
Das wird in unserem Haus auch sehr wohl zur Kenntnis
genommen, und es gibt Gespräche darüber. Ich kann Ih-
nen aber leider keinen Zeitplan nennen.
Danke schön. – Dann kommen wir zur Frage 3 des
Kollegen Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grü-
nen:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Vor-
würfe, die Bewerbung des Deutschen Fußball-Bundes e. V.
um die Austragung der Fußballweltmeisterschaft 2006 in
Deutschland sei direkt oder über Dritte mit der Gewährung
Zusammenhang mit dieser Vergabeentscheidung gefördert
worden, und hat die Bundesregierung Erkenntnisse oder Hin-
weise, dass zwecks solcher Förderung geldwerte Vorteile un-
oder mittelbar aus Bundessteuermitteln an Mitglieder des
natürliche bzw. juristische Personen gelangten?
Ich bitte den Staatssekretär um Beantwortung der
Frage.
D
Herr Kollege Ströbele, jetzt komme ich zu Ihrer
schriftlich eingereichten Frage und kann etwas ausführli-
cher dazu vortragen, als es mir auf die mündliche Frage
von Herr Mutlu möglich war. Vielleicht liegt es auch da-
ran, Herr Ströbele, dass ich Ihrer Fraktion gar keine
Sportfrage zugetraut hätte. Bei unserer Fraktion wäre es
jedenfalls so; uns würde man das Thema Sport auch
nicht zutrauen. Vielleicht stehen wir im gleichen Ruf.
Aber Ihre Sportfrage beantworte ich sehr gerne.
Mit Blick auf die Autonomie des organisierten Spit-
zensports erfolgen Ausrichtungs- und Vergabeentschei-
dungen bezüglich Fußballweltmeisterschaften nach den
Maßgaben und Anforderungen der FIFA, der Fédération
Internationale de Football Association. Der Deutsche
Fußball-Bund, DFB, hat, unterstützt durch die Bundesre-
gierung, Länder und Kommunen, damals eine gute Be-
werbung für die Ausrichtung der Fußballweltmeister-
schaft 2006 in Deutschland abgegeben und das FIFA-
Exekutivkomitee überzeugt. Die Bundesregierung sieht
derzeit keinen Anlass, an einem ordentlichen Bewer-
bungsverfahren bezüglich der Ausrichtung der Fußball-
weltmeisterschaft 2006 zu zweifeln.
Bezüglich der vereinzelten Spekulationen – unter an-
derem weisen Sie auf Spiegel Online hin –, die Bewer-
bung des DFB um die Austragung der Fußballweltmeis-
terschaft 2006 sei direkt oder über Dritte mit der
Gewährung geldwerter Leistungen im Zusammenhang
mit der Vergabeentscheidung gefördert worden, liegen
der Bundesregierung gegenwärtig keine Erkenntnisse
vor, wie ich es eben auch schon gesagt habe. Gleiches
gilt für die behaupteten un- oder mittelbar gewährten
geldwerten Vorteile aus Bundessteuermitteln an Mitglie-
der des FIFA-Exekutivkomitees, deren Herkunftsstaaten
oder dortige natürliche bzw. juristische Personen.
Der damals zuständige Bundesinnenminister Otto
Schily – Ihr ehemaliger Parteifreund – hat sich am
5. Juni 2015 bereits klar zur Vergabe der FIFA-Welt-
meisterschaft 2006 geäußert. Er hält es für ausgeschlos-
sen, dass von den für die Bewerbung verantwortlichen
DFB-Vertretern versucht worden sein soll, die Mitglie-
der des FIFA-Exekutivkomitees durch unlautere Mittel
zu beeinflussen. Also: Schily hält das für ausgeschlos-
sen.
Mit Blick – und das habe ich gerade angedeutet – auf
die laufenden US-Ermittlungen gegen die FIFA hat Bun-
desinnenminister Thomas de Maizière zwischenzeitlich
Kontakt zur US-Justizministerin aufgenommen. Diese
hat mitgeteilt, dass es bislang keine Bezüge zu Deutsch-
land geben würde.
Haben Sie trotz der beruhigenden Auskunft noch eine
Nachfrage, Herr Abgeordneter Ströbele?
Herr Staatssekretär, damit wir noch mehr für die
Wahrheitsfindung tun können, im Sinne des Ausspruchs
des Präsidenten, den er ja von meinem Mandanten Fritz
Teufel übernommen hat, –
Darf ich Sie kurz korrigieren: nicht direkt, HerrStröbele.
– habe ich eine erste Nachfrage: Hat die Bundesregie-rung eine Erklärung dafür, dass bei der Entscheidung desFIFA-Exekutivkomitees zwölf Stimmberechtigte fürDeutschland gestimmt haben und dass von den zwölf,die nicht für Deutschland gestimmt haben, sondern– wenn ich das richtig in Erinnerung habe – für Süd-
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10342 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015
Hans-Christian Ströbele
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afrika, eine Person kurz vor der Abstimmung den Raumverlassen hat? Hat die Bundesregierung Erkenntnisse da-rüber, was der Grund dafür war, dass diese eine Personkurz vorher den Raum verlassen hat, sodass eine Mehr-heit von zwölf zu elf Stimmen zustande gekommen ist?
Das ist ohne Frage eine spannende Frage. – Herr
Staatssekretär.
D
Ich habe eben darauf hingewiesen, dass diese Ent-
scheidungen nicht durch Regierungen, sondern durch
den Verband getroffen werden. Wir haben keine Er-
kenntnisse, was diese Abstimmung anbelangt. Im Übri-
gen darf ich darauf hinweisen, dass es allein durch die
Tatsache, dass eine Abstimmung knapp ist, nicht heißen
muss, sie sei manipuliert.
Herr Abgeordneter Ströbele, noch eine Zusatzfrage?
Ja, da habe ich noch eine ganz konkrete Frage, deren
Antwort den Präsidenten sicher mindestens so interes-
siert wie mich: Hat die Bundesregierung Anhaltspunkte
oder Erkenntnisse dafür, oder kann sie es gar ausschlie-
ßen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen den Mil-
lionen, die auf den Konten des ehemaligen Fußballnatio-
nalspielers Uli Hoeneß gefunden worden sind, und der
Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006?
Herr Staatssekretär.
D
Das kann ich ganz kurz machen: Dazu haben wir
keine Kenntnisse, und ich finde, diese Zusatzfrage zeigt
ein bisschen, dass sich hier einige sehr in Spekulationen
ergehen.
Ich finde, bevor wir nicht einige halbwegs belastbare Er-
kenntnisse haben, sollten wir nicht voreilig die schöne
Erinnerung an diese Fußballweltmeisterschaft im Jahr
2006 in Deutschland beschädigen.
Wir kommen damit zur Frage 4 des Abgeordneten
Ströbele:
Welche Hilfen leistet Deutschland beim Aufbau, bei der
Ausstattung und Ausbildung ägyptischer Sicherheitsbehörden
– etwa durch Hospitationen von NSS-Kräften bei der Bundes-
polizei, dem Bundeskriminalamt wie beim DFB-Pokalfinale
am 30. Mai 2015 oder bei der Pressekonferenz vom 2. Juni
2015 mit Präsident el-Sisi in Berlin – seit 2012 und künftig,
insbesondere zugunsten von Kräften des Geheimdienstes GID
sowie der politischen Polizei NSS, bei deren Einsätzen im Fe-
bruar 2012 bzw. 2015 in Port Said und Kairo zahlreiche Fuß-
Angaben macht die Bundesregierung über ihre zwischenzeit-
lichen Erkenntnisse, wie Ägypten G36-Gewehre aus Deutsch-
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und
Herren, Ägypten ist für Deutschland aufgrund seiner
geostrategischen Lage und seiner Größe nach wie vor
ein wichtiger Partner in der Region und nimmt auch
nach wie vor eine maßgebliche Rolle im Nahostfriedens-
prozess ein. Aus fachlicher Sicht ist die Zusammenarbeit
im Polizeibereich – insbesondere bei der Terrorismusbe-
kämpfung – daher von großer Bedeutung.
Die seit 2012 wegen der innenpolitischen Entwick-
lungen ausgesetzte Zusammenarbeit im Bereich der poli-
zeilichen und der grenzpolizeilichen Aufbauhilfe wurde
im Jahr 2015 wieder aufgenommen. Zu konkreten Maß-
nahmen von Bundeskriminalamt und Bundespolizei
wird auf die Beantwortung der regelmäßig quartalsweise
gestellten Kleinen Anfragen der Fraktion Die Linke zu
Polizei- und Zolleinsätzen im Ausland verwiesen. Da-
rüber hinaus liegen Informationen aus dem nachrichten-
dienstlichen Bereich vor, welche VS-Vertraulich einge-
stuft sind. Herr Ströbele, Sie kennen das Verfahren.
Diese können nicht offen im Plenum des Bundestages
vorgetragen werden. Sie sind jedoch in der Geheim-
schutzstelle des Bundestages unter Bezugnahme auf
diese mündliche Frage hinterlegt worden und können
dort natürlich von Ihnen eingesehen werden.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. – Darüber,
dass wir keine Sportkompetenz haben, müssen wir noch
einmal bei einem Bierchen reden.
D
Ich habe nur Herrn Ströbele und mich gemeint.
Also: Herr Ströbele, haben Sie eine Rückfrage?
Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage sehr un-vollständig beantwortet. Ich habe auch danach gefragt,ob Hospitanten der Sicherheitskräfte von el-Sisi ausÄgypten in Deutschland anwesend gewesen sind, unteranderem am 30. Mai 2015 bei dem Pokalendspiel, undob solche Hospitanten möglicherweise bei der Presse-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015 10343
Hans-Christian Ströbele
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konferenz mit Herrn el-Sisi und der Bundeskanzlerin am2. Juni 2015 als Jubeljournalisten im Saal anwesend ge-wesen sind.D
Ich kann Ihnen das ad hoc nicht beantworten. Das
mag daran liegen, dass auch dieser Teil in der Geheim-
schutzstelle liegt. Wenn dem nicht so sein sollte und wir
das offen beantworten können, können wir das auf infor-
mellem Weg nachreichen.
Es ist sehr traurig, dass wir das hier noch nicht erfah-
ren können.
D
Ich habe das zurzeit noch nicht präsent.
Wir lesen nach.
Eine zweite Zusatzfrage.
Meine zweite Zusatzfrage lautet: Hat die Bundesre-
gierung im Namen Deutschlands ein Sicherheitsabkom-
men mit Ägypten, dem ägyptischen Präsidenten bzw. der
ägyptischen Regierung abgeschlossen, und, wenn ja, hat
die Bundesregierung keine Bedenken angesichts der
Menschenrechtslage in Ägypten und insbesondere ange-
sichts der Haltung von el-Sisi zu dieser Menschenrechts-
lage, ein solches Abkommen abzuschließen, mit dem die
Streitkräfte und die Sicherheitskräfte in Ägypten ertüch-
tigt werden?
D
Zu dem Abkommen selbst kann ich ad hoc nichts sa-
gen. Aber Ihre Frage ist durchaus berechtigt: Wie sieht
die Menschenrechtssituation aus, und welche Auswir-
kungen hat diese Situation auf die Zusammenarbeit? Wir
sind der Auffassung, dass wir natürlich darauf achten
müssen, in welcher Form und an welcher Stelle wir zu-
sammenarbeiten. Es mag jedenfalls einige Bereiche ge-
ben, in denen eine Zusammenarbeit gerade dann sinnvoll
ist, wenn es darum geht – Sie haben das Thema Fußball
auch in diesem Fragenkomplex angesprochen –, Ein-
sätze verhältnismäßig und menschenrechtskonform
durchzuführen und über Mittel zu verfügen, die es er-
möglichen, Unruhen oder schwierige Situationen in oder
in der Nähe von Stadien anders als durch bloße Gewalt
in den Griff zu bekommen. Da können wir Hilfestellung
leisten. Unsere Auffassung ist, dass es – auch im Inte-
resse der Menschen – besser ist, die Behörden nicht
alleinezulassen und dafür zu sorgen, dass sie entspre-
chende Hinweise aufnehmen, wenn es um die Verhält-
nismäßigkeit des Handelns geht. Ich glaube, wir können
durch eine punktuelle Zusammenarbeit eher etwas Posi-
tives für die Menschenrechtssituation leisten, als wenn
wir uns dem ganz verweigern würden. Das ist sicherlich
eine Bewertungsfrage, wie ich zugebe. Aber wir sehen
das so, wie ich es Ihnen gerade dargelegt habe.
Vielen Dank. – Ich sehe, dass es zu diesem Punkt
keine weiteren Zusatzfragen gibt.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.
Die Frage 5 des Kollegen Volker Beck wurde zurückge-
zogen, weil wir uns an anderer Stelle mit diesem Thema
ausführlich befassen werden. Es geht um die Ehe für
alle.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Finanzen. Ich begrüße den Parla-
mentarischen Staatssekretär Dr. Meister.
Wir kommen zur Frage 6 der Kollegin Lisa Paus:
Aus welchen Gründen ist es in dem Referentenentwurf
vorgesehen, das neue Gesetz zur Anpassung des Erbschaft-
steuer- und Schenkungsteuergesetzes, ErbStG-E, an die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst mit Ver-
kündung in Kraft treten zu lassen und nicht rückwirkend zum
Tag des Urteils des Bundesverfassungsgerichts?
Bitte, Herr Staatssrekretär.
D
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Paus, das Bundesver-
fassungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Dezember
vergangenen Jahres ausdrücklich entschieden, dass das
geltende Recht bis zu seiner Neuregelung weiter an-
wendbar ist. Dies betrifft die vom Gericht als unverein-
bar mit der Verfassung erkannten Vorschriften § 13 a
und § 13 b in Verbindung mit § 19 Absatz 1 Erbschaft-
steuergesetz. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsge-
richt darauf hingewiesen, dass die Anordnung der Fort-
geltung der verfassungswidrigen Normen keinen
Vertrauensschutz gegen eine auf den Zeitpunkt der Ver-
kündung dieses Urteils bezogene rückwirkende Neure-
gelung begründet, die einer exzessiven Ausnutzung ge-
rade der als gleichheitswidrig befundenen Ausgestaltung
der §§ 13 a und 13 b Erbschaftsteuergesetz die Anerken-
nung versagt. Fälle einer exzessiven Ausnutzung sind
uns als Bundesregierung bisher nicht bekannt geworden.
Frau Paus.
Sie haben bereits darauf hingewiesen, Herr Meister,dass im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausdrück-lich die Rückwirkung bis auf den Urteilstag zulässig ist.Deswegen frage ich Sie, warum Sie eine solche Rück-wirkung in Ihrem Referentenentwurf bisher nicht vorse-hen.
Metadaten/Kopzeile:
10344 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015
(C)
(B)
D
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil
ausgeführt, dass die Anordnung der Fortgeltung der ver-
fassungswidrigen Normen keinen Vertrauensschutz aus-
löst. Es hat allerdings auch nicht aufgefordert, auf einen
speziellen Zeitpunkt für eine Neuregelung zu setzen. Es
hat lediglich eine maximale Frist angegeben, nämlich
den 30. Juni 2016; bis zu dem Tag muss eine die verfas-
sungswidrigen Normen ersetzende Regelung spätestens
geschaffen sein.
Frau Paus, eine zweite Rückfrage?
Dann frage ich noch einmal: Warum macht die Bun-
desregierung nicht von der explizit im Urteil formulier-
ten Möglichkeit einer Rückwirkung des Gesetzes Ge-
brauch? Denn die Formulierung zeigt, dass diese
eigentlich gewünscht wird.
Das Zweite ist: Sie haben jetzt gesagt, Ihnen seien
keine exzessiven Nutzungen der weiter andauernden,
sehr großzügigen Regelungen bekannt. Könnten Sie
vielleicht genauer sagen, was „exzessiv“ in Ihren Augen
bedeutet? Wie schätzen Sie ein, welche Vorzugseffekte
es bisher gegeben hat und wahrscheinlich bis zum
30. Juni geben wird, im Verhältnis zu dem jetzt vorlie-
genden Referentenentwurf?
D
Zunächst einmal ist der Steuervollzug jeweils auf
Landesebene angesiedelt. Das heißt, das Erklären der
Erbschaftsteuer erfolgt direkt bei der jeweils zuständigen
Länderfinanzverwaltung. Aus den Rückmeldungen, die
uns die Länderfinanzverwaltungen bisher gegeben ha-
ben, können wir nicht erkennen, dass besondere Aktivi-
täten bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer stattfin-
den. Das kann eigentlich nur bezogen auf die
Schenkungsfälle der Fall sein. Wir haben eher festge-
stellt, dass nach dem Urteilsspruch vom Dezember ver-
gangenen Jahres eine Beruhigung eingetreten ist. Wir
hatten mehr Aktivitäten an dieser Stelle vor der Verkün-
dung des Urteils durch das Bundesverfassungsgericht.
Für die Bundesregierung hat die Frage der Rechts-
und Planungssicherheit für die Unternehmen eine sehr
hohe Bedeutung. Deshalb ist diese gegenüber der Frage
abzuwägen, ob eine außergewöhnliche Gestaltung ge-
rade bezogen auf die Paragrafen, die für verfassungswid-
rig erkannt wurden, stattfindet. Wir können, wie gesagt,
bisher diese exzessiven Gestaltungen nicht erkennen und
haben deshalb der Frage der Rechts- und Planungssi-
cherheit für die Unternehmen eine entsprechende Priori-
tät eingeräumt.
Vielen Dank.
Wir kommen zur Frage 7 der Kollegin Lisa Paus:
Wie wird das Mehraufkommen von jährlich 200 Millionen
Euro begründet, und welcher Anteil des jährlichen Mehrauf-
Herr Dr. Meister, bitte.
D
Frau Kollegin Paus, das im Referentenentwurf für die
Erbschaftsteuerreform ausgewiesene Mehraufkommen
wurde unter Verwendung eines Mikrosimulationsmodells
der Erbschaftsteuer auf der Grundlage der amtlichen Erb-
schaftsteuerstatistik geschätzt. Das Mehraufkommen teilt
sich wie folgt auf die einzelnen Maßnahmen auf:
Zum Ersten haben wir die Abschmelzregelung im Be-
reich von 20 Millionen Euro steuerbegünstigter Unter-
nehmenswert bis zu 110 Millionen Euro steuerbegüns-
tigter Unternehmenswert einschließlich des Wahlrechts
für eine individuelle Bedürfnisprüfung. Da haben wir in
der vollen Jahreswirkung 105 Millionen Euro Mehrauf-
kommen.
Zum Zweiten haben wir den Verschonungsabschlag
für Vermögen größer als 110 Millionen Euro, wo ledig-
lich Abschläge von 25 Prozent des begünstigten Vermö-
gens bzw. 40 Prozent des begünstigten Vermögens vor-
gesehen sind, je nachdem, ob man die Regelverschonung
oder die Optionsverschonung wählt. Dort gehen wir von
einem Mehraufkommen von 75 Millionen Euro in der
vollen Jahreswirkung aus.
Zum Dritten haben wir die Änderung der Lohnsum-
menregelung für Kleinstunternehmen, also die Unter-
nehmen, die zwischen 4 und 20 Mitarbeiter haben. Dort
gehen wir von einem Mehraufkommen von 5 Millionen
Euro in der vollen Jahreswirkung aus.
Zum Vierten müssen wir mit Bezug auf das Bundes-
verfassungsgerichtsurteil zu den Gestaltungsmöglichkei-
ten und der Tatsache, dass keine 50 Prozent Verwaltungs-
vermögen mehr bei der Regelverschonung anerkannt
werden können, das Thema der begünstigten Vermögen
neu fassen. An dieser Stelle erwarten wir Mehreinnah-
men in der vollen Jahreswirkung in Höhe von 15 Millio-
nen Euro.
Frau Paus, wollen Sie eine Rückfrage stellen? – Es
sieht so aus. Gut.
Sie hatten jüngst auf meine Kleine Anfrage zur Erb-schaftsteuer geantwortet – diese Antwort bezog sichnoch auf die Eckpunkte, nicht auf den Referentenent-wurf –, dass, wenn die Eckpunkte gelten – damals warnoch nicht von einer zusätzlichen Verschonungsregel dieRede, sondern nur von der Freigrenze von 20 MillionenEuro für Betriebsvermögen, unterhalb der man steuerfreibleibt und oberhalb der eine Bedürfnisprüfung stattfindet –,nicht „nur“ 98 Prozent, sondern nach einigen Jahrenüber 99 Prozent der Erbfälle nach wie vor steuerfrei blei-ben. Mittlerweile haben Sie weitere Begünstigungen ein-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015 10345
Lisa Paus
(C)
(B)
geführt. Können Sie mir heute erklären, warum eine Ver-schonung von 99,3 Prozent – durch die von Ihnen jetzteingeführte zusätzliche Vergünstigung liegt die Verscho-nung wahrscheinlich bei 99,9 Prozent – nicht verfas-sungswidrig sein soll, wenn eine Verschonung von100 Prozent aus Sicht des Verfassungsgerichts verfas-sungswidrig ist?
Herr Dr. Meister.
D
Ich glaube, das Bundesverfassungsgericht hat nicht
den Verschonungsgrad von 100 Prozent, den der Gesetz-
geber für die Optionsregelung vorgesehen hat, kritisiert
– dazu ist im Urteil ausdrücklich nichts gesagt worden –;
vielmehr hat es deutlich gemacht, dass bezogen auf Arti-
kel 3 Grundgesetz Folgendes gilt: Wenn ein Unterneh-
men in dem Teil, der verschonungswürdig ist, wächst,
dann wird auch die Summe an reduzierter Steuer mit zu-
nehmendem Unternehmenswert größer. Daraus hat das
Bundesverfassungsgericht geschlussfolgert, dass mit zu-
nehmender Größe eines Unternehmens eine besondere
Rechtfertigung gegeben sein muss. Es reichen also nicht
allein die Rechtfertigungsgründe, die der Gesetzgeber
vorher geschaffen hat – Erhalt von Familienunterneh-
men, Unternehmensweiterführung, Erhalt der Arbeits-
plätze –; vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht
auch deutlich gemacht, dass ab einer gewissen Größe
das Volumen der steuerlichen Verschonung so stark
wird, dass eine zusätzliche Begründung des Gesetzge-
bers notwendig wird.
Wir haben in unseren Eckpunkten eine individuelle
Bedürfnisprüfung ab einer Grenze von 20 Millionen
Euro begünstigtem unternehmerischen Vermögen vorge-
sehen. Wir haben das Ganze jetzt modifiziert; wir haben
es mit einem Wahlrecht versehen. Jetzt kann entweder
eine individuelle Bedürfnisprüfung stattfinden, oder der
Verschonungsgrad kann abgeschmolzen werden. Wir ge-
hen davon aus, dass wir mit dieser Neufassung eine ver-
fassungsfeste Lösung vorschlagen.
Danke schön. – Frau Paus, Sie haben das Wort zu ei-
ner zweiten Zusatzfrage.
Nach der bisher geltenden, aber inzwischen für ver-
fassungswidrig erklärten Regelung ist es nach Ihren ei-
genen Statistiken ja so, dass die Erbschaftsteuer bisher
von der Mittelschicht gezahlt wird. Der entsprechende
Steuersatz liegt zwischen 10 und 15 Prozent. Wegen der
großzügigen Verschonungsregelung für das Betriebsver-
mögen der besonders Wohlhabenden in diesem Lande
gilt für sie ein Erbschaftsteuersatz von effektiv zwischen
1,8 und 2,3 Prozent.
Im Urteil des Verfassungsgerichts wurde explizit da-
rauf abgestellt, dass es darum geht, zwischen dem
Gemeinwohlanteil des Unternehmens und der Bedürf-
nisprüfung des Unternehmers zu trennen. Das Bundes-
verfassungsgericht hat also eindeutig klargestellt, dass
man nicht den Unternehmer schützen will, sondern das
Unternehmen. Vor diesem Hintergrund haben Sie selber
in Ihren Eckpunkten explizit und sehr klar formuliert,
dass es eine individuelle Bedürfnisprüfung geben muss,
die an adäquater Stelle ansetzt. Können Sie mir begrün-
den, wie der Referentenentwurf dieser Anforderung des
Verfassungsgerichtes in Bezug auf die Bedürfnisprüfung
und die Leistungsfähigkeit des einzelnen Erben jetzt
noch Rechnung trägt?
Herr Dr. Meister, bitte.
D
Zunächst einmal: In unserem jetzigen Erbschaftsrecht
gibt es keine Begünstigung von Wohlhabenden gegen-
über weniger Wohlhabenden. Vielmehr hat der Gesetz-
geber im Jahre 2008 mit Gültigkeit ab 2009 entschieden,
dass er unternehmerisches Vermögen in besonderer
Weise im Hinblick auf Bestand und Erhalt der Arbeits-
plätze begünstigen will. Das hat nichts mit der Frage zu
tun, wie wohlhabend der jeweilige Erbe oder Erblasser
ist.
Wir haben in unseren Eckpunkten eine mögliche Lö-
sung für die Probleme rund um das Thema „größere Un-
ternehmensvermögen“ vorgeschlagen; das ist die von Ih-
nen angesprochene individuelle Bedürfnisprüfung. Die
individuelle Bedürfnisprüfung in unveränderter Form ist
nach wie vor Gegenstand des Referentenentwurfs. Wir
haben allerdings eine Wahloption, also ein Wahlrecht,
eingebaut. Dieses Wahlrecht ist im Gegensatz zur
Bedürfnisprüfung mit einer Reduzierung des Verscho-
nungsgrads verbunden. Das heißt, wenn man diese
Option wählt, wird man von der Zahlung der Erbschaft-
steuerschuld weniger verschont, als wenn man sich auf
die Bedürfnisprüfung einlässt.
Ich glaube, das ist dem Erben gegenüber ein faires
Angebot. Er kann entscheiden, ob er eine umfangreiche
Darlegung seiner privaten Vermögensverhältnisse leisten
will oder ob er lieber auf einen Teil der Verschonung
verzichtet und einen geringeren Erlass der Erbschaft-
steuerschuld in Kauf nimmt.
Danke schön, Dr. Meister. – Ich sehe dazu keine wei-teren Fragen.Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. DieFrage 8 der Kollegin Bärbel Höhn und die Fragen 9 und10 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann sind zur schriftli-chen Beantwortung angemeldet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Verteidi-gungsministeriums. Die Frage 11 der Kollegin UllaJelpke wird auch schriftlich beantwortet.Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
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10346 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015
Vizepräsidentin Claudia Roth
(C)
(B)
Die Fragen 12 und 13 der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer und die Frage 14 der Kollegin Dr. FranziskaBrantner werden schriftlich beantwortet.Jetzt geht es wieder live. Wir kommen zum Ge-schäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.Für die Beantwortung der Fragen steht Frau Fischbachzur Verfügung.Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Kathrin Vogler auf:Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, die überdas Bundesministerium für Gesundheit, BMG, im Stiftungsratder Deutschen Stiftung Organtransplantation, DSO, vertretenund somit für die Überwachung der Arbeit des DSO-Vor-stands zuständig ist, über die Zahl der Mitarbeiter, die dieDSO in den vergangenen fünf Jahren verlassen haben, undkönnte ein häufiges Ausscheiden von Mitarbeitern der DSOnach Ansicht der Bundesregierung mit dem Arbeitsklima inder DSO in Verbindung stehen?Frau Fischbach, bitte.I
Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Liebe Frau Kol-
legin Vogler, ich beantworte Ihre Frage gern, und zwar
wie folgt: In den vergangenen fünf Jahren, also von 2010
bis einschließlich 2014, haben nach Auskunft der Deut-
schen Stiftung Organtransplantation insgesamt 88 Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter die DSO verlassen. Über das
Arbeitsklima in der DSO liegen der Bundesregierung
keine Erkenntnisse vor.
Frau Vogler, haben Sie eine Rückfrage? – Ja.
Der Hintergrund ist Ihnen wahrscheinlich bekannt.
Vor nahezu vier Jahren, also Ende 2011, berichtete die
Süddeutsche Zeitung von anonymen Briefen aus der Mit-
arbeiterschaft der Deutschen Stiftung Organtransplanta-
tion und titelte: „Man kam sich vor wie bei Sciento-
logy“. – Es wurde über ein mieses Arbeitsklima, über
Mobbing und über schlechte Behandlung von Mitarbei-
terinnen und Mitarbeitern geklagt.
In den letzten Jahren ist einiges passiert. Wir haben
natürlich ein Interesse daran, zu erfahren, wie sich das
entwickelt hat. Könnten Sie uns bitte die Zahl 88 nach
Jahren aufgliedern, das vielleicht auch schriftlich nach-
liefern?
I
Das kann ich gern machen. Ich bin im Moment über-
fragt, weil das nicht angefragt war. Das kann ich nachlie-
fern. Wir werden die DSO bitten, uns die Zahlen zu lie-
fern.
Vielen Dank, Frau Fischbach. – Haben Sie dazu noch
eine Rückfrage? – Nein.
Dann kommen wir zur nächsten Frage von Frau
Vogler. Das ist die Frage 16:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, die über
das BMG im Stiftungsrat der DSO vertreten und somit für die
Überwachung der Arbeit des DSO-Vorstands zuständig ist,
über den Geldbetrag, den die Stiftung in den vergangenen fünf
Jahren für die rechtliche Beratung – Anwaltskosten – im Zu-
sammenhang mit arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen
mit DSO-Mitarbeitern aufgewandt hat, und wie hoch war
nach Erkenntnissen der Bundesregierung die Höhe der Abfin-
dungen?
Frau Fischbach, bitte.
I
Frau Kollegin Vogler, auch hierauf antworte ich Ihnen
gern.
In den vergangenen fünf Jahren – das sind wieder die
Jahre 2010 bis einschließlich 2014 – beliefen sich die
Kosten für die rechtliche Beratung im Zusammenhang mit
arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen auf eine Summe
von 35 425,82 Euro. Davon wurden 19 792,56 Euro von
der Rechtsschutzversicherung der DSO übernommen,
sodass von der DSO letztlich 15 633,26 Euro zu veraus-
gaben waren.
Im Zeitraum von 2010 bis einschließlich 2014 wur-
den Abfindungen an sieben Mitarbeiter gezahlt: 2011/12
sechs Fälle, 2014 ein Fall. Die Gesamtsumme der Abfin-
dungen betrug 58 870 Euro.
Frau Vogler.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – An dieser Stelle
würde ich gern nachfragen, welche Maßnahmen der Ver-
treter und die Vertreterin der Bundesregierung im Stif-
tungsrat eigentlich angeregt oder veranlasst haben, um
die Abwanderung von qualifizierten und erfahrenen Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung zu verhin-
dern. Die Stiftung ist privatrechtlich organisiert. Trotz-
dem ist die Bundesregierung im Stiftungsrat vertreten.
Die Stiftung nimmt wichtige öffentliche Aufgaben wahr
und verwendet dafür Gelder aus der gesetzlichen Kran-
kenversicherung, in die alle Menschen einzahlen. Des-
wegen denke ich, dass es im Interesse der Öffentlichkeit
liegt, zu erfahren, was die Bundesregierung an dieser
Stelle unternommen hat, um das Arbeitsklima in der
DSO zu verbessern, die Abwanderung von Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern zu verhindern und damit auch
einen Beitrag gegen die niedrigen Organspendezahlen zu
leisten.
Frau Fischbach.
I
Es liegt nicht im Ermessen und in der Verantwortungder Bundesregierung, in einzelnen Organisationen dasArbeitsklima zu beobachten und aufzulisten, an welchenStellen es hapert, um dann Verbesserungen anzustreben.Es geht darum, dass man mit den Verantwortlichen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015 10347
Parl. Staatssekretärin Ingrid Fischbach
(C)
(B)
spricht, wenn entsprechende Fälle vorliegen. Ich hatteIhnen vorhin schon mitgeteilt, dass uns Informationenzum Betriebs- und Arbeitsklima nicht vorliegen.
Haben Sie eine Rückfrage?
An dieser Stelle würde mich interessieren, ob sich in
den vergangenen fünf Jahren jemals Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter oder ehemalige Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der DSO unmittelbar an die Bundesregie-
rung gewandt haben, um sie auf Missstände in der Orga-
nisation aufmerksam zu machen?
I
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich
frage gerne nach und liefere die Antwort nach.
Vielen Dank, Frau Fischbach und Frau Vogler. – Wir
kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die Beant-
wortung wird Dorothee Bär vornehmen.
Ich rufe zunächst die Frage 17 des Kollegen Herbert
Behrens auf:
Inwieweit beabsichtigt die Bundesregierung, den Vor-
schlag der Europäischen Kommission, die Pkw-Maut stufen-
weise, das heißt zunächst nur auf Autobahnen mit hohem
Transitverkehrsaufkommen, einzuführen, umzusetzen, und
würde bei der Umsetzung dieses Vorschlags die Bestimmung
des § 6 Absatz 1 des Infrastrukturabgabengesetzes, welche
besagt, dass für in der „Bundesrepublik Deutschland zugelas-
sene Kraftfahrzeuge … die Infrastrukturabgabe jeweils für ein
Jahr zu entrichten“ ist, gestrichen werden müssen und hiesi-
gen Kfz-Halterinnen und -Haltern die gleichen Möglichkeiten
der Entrichtung der Pkw-Maut wie Halterinnen und Haltern
von nicht in Deutschland zugelassenen Kfz eingeräumt wer-
den – das heißt auch der Erwerb von Kurzzeitvignetten –, weil
sich der mautpflichtige Teil des Streckennetzes zunächst stark
verkleinerte ?
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Behrens, ich darf die Fragen 17 und 18 wegen ihres
Sachzusammenhangs gemeinsam beantworten?
Dann rufe ich auch die Frage 18 des Kollegen
Behrens auf:
Welchen Einfluss hätte die Umsetzung des Vorschlags der
Europäischen Kommission nach Auffassung der Bundesregie-
rung auf die Höhe der Nettoeinnahmen aus der Pkw-Maut
– Summe der Einnahmen aus dem Verkauf von Vignetten an
Halterinnen und Halter nicht in Deutschland zugelassener Kfz
abzüglich der Betriebskosten des Pkw-Mautsystems –, und
welche Anpassungen müssten in diesem Falle bei der Kom-
pensation der Mautkosten für hiesige Kfz-Halterinnen und
-Halter über die Kfz-Steuer vorgenommen werden, um zu ver-
hindern, dass mehr Geld für diese Kompensationsmaßnahme
aufgewendet werden muss, als durch Mauteinnahmen von
Halterinnen und Haltern von in Deutschland zugelassenen
Kfz generiert wird?
D
Die Antwort lautet, dass der Bundesregierung kein
entsprechender Vorschlag der EU-Kommission vorliegt.
Herr Behrens, haben Sie eine oder zwei Rückfragen?
Daraus entnehme ich, Frau Staatssekretärin, dass Sie
die Pressemitteilungen zu den Äußerungen aus der EU-
Kommission – namentlich die des Kommissionspräsi-
denten Juncker – gelesen haben. Dieser äußert nach wie
vor Zweifel hinsichtlich der Europarechtskonformität
des vorliegenden Gesetzentwurfes. Sind das also für Sie
nur Informationen, die irgendwie an die Presse gelangt
sind, aber keinen weiteren Hintergrund haben?
D
Die Bundesregierung kann sich nur mit Fragen und
Vorschlägen beschäftigen, die auch tatsächlich bei ihr
ankommen. – Um vielleicht einmal den ehemaligen
Kanzlerkandidaten der SPD zu zitieren: „Hätte, hätte,
Fahrradkette.“ – Das ist eben auch schwierig in dem Zu-
sammenhang.
Herr Behrens, da Frau Bär Ihre beiden Fragen zusam-
men beantwortet hat, haben Sie nicht nur zwei, sondern
vier Rückfragen. Das heißt, es wäre jetzt die Nummer
zwei an der Reihe.
Ob das hilft, weiß ich nicht. Ich will es aber einmal
versuchen. – Es geht auch darum, dass die EU-Kommis-
sion angekündigt hat, sich am kommenden Mittwoch mit
der Frage „Europarechtskonformität der Pkw-Maut“
auseinanderzusetzen. Verfügen Sie über weitere Kennt-
nisse des bisherigen Prozesses sowie bezüglich der in
der nächsten Woche ablaufenden Dinge, die Sie mögli-
cherweise schon jetzt in den Stand setzen, das, was die
EU-Kommission als Gründe für ein Vertragsverletzungs-
verfahren vorträgt, in Ihre weiteren Planungen bzw. Ihre
Entgegnung aufzunehmen?
Frau Bär.
D
Ich kann es noch einmal wiederholen: Wir werden
uns zu gegebener Zeit mit Fakten auseinandersetzen,
aber nicht mit Spekulationen und Mutmaßungen.
Herr Behrens.
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10348 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015
(C)
(B)
Konkret zu dem aus der Kommission geäußerten al-
ternativen Vorschlag – er hat Sie offenkundig, da er nur
in der Zeitung stand, auch nicht erreicht –, möglicher-
weise zunächst auf die Einführung der Ausländermaut
auf allen Straßen zu verzichten und Transitstrecken he-
rauszunehmen: Ist das eine Information, die an Sie he-
rangetragen worden ist? Wenn ja, haben Sie sich mit
möglichen Folgen dieser Alternative beschäftigt? Hat
man das durchgerechnet? Oder hat man Schwierigkeiten
bezüglich des bisherigen Gesetzes in Bezug darauf fest-
gestellt, dass das möglicherweise nicht kompatibel ist?
Gibt es so etwas wie einen Plan B?
Frau Bär.
D
Ich kann es noch einmal wiederholen: Der Bundesre-
gierung liegt kein entsprechender Vorschlag der EU-
Kommission vor. Gerne kann ich Ihnen noch einmal den
Stand der Dinge zitieren: Bundespräsident Gauck hat das
Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturabgabe unter-
zeichnet. Das hat das Bundespräsidialamt am 8. Juni
2015 mitgeteilt, damit das Gesetz in Kraft treten kann.
Die Verkündung des Gesetzes im Bundesanzeiger ist für
den 11. Juni vorgesehen.
Ich kann auch gerne noch einmal die Punkte des Ge-
setzgebungsverfahrens auflisten: Der Bundestag hat da-
rüber abgestimmt, der Bundesrat hat darüber abge-
stimmt, der Bundespräsident hat es unterschrieben. –
Das sind die Fakten, die auf dem Tisch liegen.
Herr Behrens, wenn Sie wollen, können Sie noch eine
Zusatzfrage stellen.
Ich habe eine letzte Frage, ein bisschen auf die Wo-
chen vor der Beschlussfassung durch den Bundestag
ausgeweitet. Es gibt widersprüchliche Aussagen. Das
betrifft zumindest die, die aus der Presse zu erfahren wa-
ren. Danach hat auf der einen Seite EU-Kommissarin
Bulc erklärt, sie würde sich während des laufenden Ge-
setzgebungsverfahrens nicht dazu äußern. Auf der ande-
ren Seite gibt es auf die Frage, ob jemand die Europa-
rechtskonformität mit der EU-Kommission beraten hat,
die Aussage von Herrn Dobrindt, man sei im ständigen
Austausch. Welche Aussage ist denn nun richtig?
D
Ich kann selbstverständlich bestätigen, dass unser
Haus in ständigem Austausch steht. Zu anderen Äuße-
rungen kann ich hier keine Aussage machen.
Vielen Dank. – Da es keine weiteren Rückfragen gibt,
kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit. Antworten wird Frau Rita Schwarzelühr-
Sutter. Herzlich willkommen!
Die Fragen 19 und 20 der Kollegin Kunert werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen jetzt zur Frage 21 des Kollegen Uwe
Kekeritz:
Mit welcher Strategie bemüht sich die Bundesregierung
die nach Angaben des Weltbankpräsidenten Jim Yong Kim
nach wie vor bestehende Lücke von 70 Milliarden US-Dollar
zu den auf dem Klimagipfel 2010 in Kopenhagen zugesagten
wird sich die Bundesregierung zur Nichtanrechenbarkeit die-
ser Klimagelder auf die ODA-Mittel – ODA: öffentliche Ent-
wicklungshilfe – auf der dritten Konferenz zur Entwicklungs-
finanzierung der Vereinten Nationen in Addis Abeba zur
Entwicklungsfinanzierung positionieren?
Ri
Sehr geehrter Herr Kollege Kekeritz, im Jahr 2009 hatsich die internationale Staatengemeinschaft auf dem Kli-magipfel in Kopenhagen darauf geeinigt, dass die Indus-trieländer insgesamt ab 2020 jedes Jahr 100 MilliardenUS-Dollar aus öffentlichen und privaten Quellen für Kli-maschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern mobilisie-ren. Die Bundesregierung steht zu dieser Zusage und hatals einer der größten Geber für internationalen Klima-schutz ihr finanzielles Engagement in den vergangenenJahren kontinuierlich erhöht.Die Bundeskanzlerin hat auf dem Petersberger Klima-dialog im Mai 2015 erklärt, dass Deutschland eine Ver-doppelung seiner Finanzmittel für den internationalenKlimaschutz bis 2020 bezogen auf das Jahr 2014 an-strebt. Wirksamer Klimaschutz ist Schlüsselelementnachhaltiger Entwicklung. Die Finanzierung von Maß-nahmen zur nachhaltigen Entwicklung und Armutsbe-kämpfung sowie von Klimaschutzmaßnahmen in Ent-wicklungsländern wird von der Bundesregierung daherin einem integrierten Ansatz verfolgt. Die Finanzierungentspricht den Development-Assistance-Committee-Kri-terien für öffentliche Entwicklungsleistungen und wirddaher als Official Development Assistance, ODA, ge-meldet. Die Bundesregierung setzt sich in Addis Abebadafür ein, dass alle ODA-fähigen Leistungen auch in Zu-kunft auf das 0,7-Prozent-Ziel angerechnet werden.Natürlich wirbt auch die Bundesregierung bei ande-ren Industrieländern für einen klaren Fahrplan zurSchließung der bestehenden Lücke zur Mobilisierungder in Kopenhagen zugesagten 100 Milliarden US-Dol-lar. Auf dem G-7-Gipfel in Schloss Elmau konnte auchein klares Bekenntnis der G-7-Staaten zur Erfüllung derKopenhagen-Zusage und zu konkreten Umsetzungsmaß-nahmen erreicht werden. Auch die multilateralen Ban-ken sollen dafür in die Pflicht genommen werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015 10349
(C)
(B)
Herr Kekeritz, haben Sie eine Rückfrage?
Danke schön für die Antwort. – Sie verstehen, dass
ich die Antwort aber nicht als ausreichend ansehe. Die
Frage war schließlich, wie versucht wird, die 70 Milliar-
den US-Dollar an Differenz hereinzuholen. Sie sagen,
dass sich die Klimabeiträge der Bundesregierung ver-
doppeln. Ich hätte gern konkrete Zahlen dazu gehört.
Wenn ich die 100 Milliarden US-Dollar auf den Anteil
Deutschlands umrechne, dann kommen da ungefähr
8 Milliarden US-Dollar heraus. Diese 8 Milliarden US-
Dollar sehe ich im Budget überhaupt nicht. Ich sehe vor
allen Dingen auch überhaupt keinen Fahrplan, der zu
diesen 8 Milliarden US-Dollar führen wird. Wie werden
Sie es anstellen, auf diese 8 Milliarden US-Dollar zu
kommen?
Ri
Die Verdoppelung der Klimafinanzierung soll auf Ba-
sis des Eckwertebeschlusses für den Haushalt 2016 und
der Finanzplanung 2016 bis 2019 erfolgen. Im Eckwer-
tebeschluss ist vorgesehen, dass der Bund im Zeitraum
2016 bis 2019 seine Ausgaben für die öffentliche Ent-
wicklungszusammenarbeit, die sogenannten ODA-Mit-
tel, auf rund 8,34 Milliarden Euro mit den Schwerpunk-
ten Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und
internationale Klimaschutzfinanzierung erhöht.
Herr Kekeritz, haben Sie eine zweite Rückfrage?
Ja. – Habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass Sie
die Beiträge zum Klimaschutz letztendlich mit den bis-
her getätigten ODA-Mitteln verrechnen werden, also
dass man hier nicht mehr zwischen Entwicklungsfinan-
zierung und Klimafinanzierung unterscheiden kann, son-
dern dass das im Prinzip ein Bereich wird? Sie sprechen
von 8 Milliarden Euro. Wir haben im ODA-Bereich jetzt
jährliche Ausgaben von ungefähr 10 bis 11 Milliarden
Euro.
Ri
Wir haben die ODA-Mittel um 8,34 Milliarden Euro
erhöht. – Nun zu Ihrer Frage zu den Klima- und Ent-
wicklungsmaßnahmen: Wir sehen das, wie gesagt, als
integrierten Ansatz. Denn wenn Sie Projekte im Bereich
des internationalen Klimaschutzes wie zum Beispiel er-
neuerbare Energien haben, so hat das sowohl eine Aus-
wirkung auf den Klimaschutz als auch auf die nachhal-
tige Entwicklung.
Ich sehe keine weitere Nachfrage zu Frage 21.
Dann kommen wir zu Frage 22. Da Kollege Krischer
im Ausschuss ist, wird die Frage schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Konkret welcher „weitere Informationsbedarf“ und wel-
che ungeklärten Aspekte machen das aufsichtliche Fachge-
spräch zwischen Bund und bayerischer Atomaufsichtsbehörde
Frau Staatssekretärin, bitte.
Ri
Liebe Frau Kollegin Kotting-Uhl, Und täglich grüßt
das Murmeltier, und zwar in dem Fall unser AKW
Gundremmingen.
Wie Ihnen bereits auf Ihre schriftliche Frage 66 auf
Bundestagsdrucksache 18/4908 mitgeteilt, ist die Prü-
fung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit bezüglich der Regelwerks-
konformität des Kernkraftwerkes Gundremmingen hin-
sichtlich der Beherrschung des Bemessungserdbebens
noch nicht abgeschlossen.
Wie bereits in der Antwort der Bundesregierung auf
Ihre schriftliche Frage mit der Arbeitsnummer 9/208
vom 25. September letzten Jahres ausgeführt, wurde am
16. Juni 2014 die Gesellschaft für Anlagen- und Reak-
torsicherheit beauftragt, gemeinsam mit dem Physiker-
büro Bremen eine Stellungnahme zu obiger Thematik zu
verfassen. Für die Sachverständigen des BMUB hat sich
bei der Bearbeitung der Stellungnahme weiterer Infor-
mationsbedarf ergeben. Sie hatten noch einmal nachge-
fragt, worin der Informationsbedarf liegt. Es handelt sich
um die Klärung von technischen Detailfragen der Sach-
verständigen des Bundesministeriums für Umwelt, Na-
turschutz, Bau und Reaktorsicherheit im Zusammenhang
mit der Aufgabenstellung der Stellungnahme. Dabei
handelt es sich um den Nachfragebedarf zu den geführ-
ten Nachweisen zur Beherrschung des Bemessungserd-
bebens, zum Prüfkonzept des Zusätzlichen Nachwärme-
abfuhr- und Einspeisesystems und zu Vorgaben im
Betriebshandbuch in diesem Zusammenhang.
Frau Kotting-Uhl.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-rin Schwarzelühr-Sutter, es war ja wunderbar, dass dasBMUB sich diesmal nicht als Murmeltier verhalten hat,sondern die Frage, die ich schon dreimal gestellt habe,endlich beantwortet hat. Vielen Dank dafür.Dann zur nächsten Murmeltierfrage, zum Termin fürdas Gundremmingen-Fachgespräch. Danach habe ich
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10350 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015
Sylvia Kotting-Uhl
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auch schon gefragt. Das mache ich jetzt noch einmal.Steht der Termin mittlerweile fest? Ich füge gleichhinzu: Mich sorgt die lange Zeit; das Gutachten ist voreinem Jahr vergeben worden. Deswegen frage ich: Wielange will das BMUB den Weiterbetrieb trotz der unge-klärten Sicherheitslage, also trotz nicht nachgewiesenerStörfallbeherrschung, dulden, bevor es eine klare Fristzur Klärung der Regelwerkskonformität und Erdbeben-festigkeit setzt?Ri
Bezüglich des Termins: Das BMUB signalisiert dem
Staatsministerium, dass es alsbald einen konkreten Ter-
min erwartet.
Bezüglich des Betriebs: Hinsichtlich des Informa-
tionsbedarfs geht es um Detailfragen. Erst dann, wenn
die Stellungnahme der Sachverständigen abgeschlossen
ist, kann das BMUB seine Prüfung abschließen.
Frau Kotting-Uhl.
Danke schön. – Das dauert alles eigentlich ein biss-
chen zu lange. Ein Atomkraftwerk, das die Störfallbe-
herrschung nicht nachgewiesen hat, beständig am Netz
zu haben, ist eine Verstärkung des Risikos, das ein AKW
sowieso bedeutet.
In diesem Zusammenhang stelle ich noch eine weitere
Frage. Bei Gundremmingen geht es auch immer noch
um die Beherrschung bzw. Nichtbeherrschung des
Sumpfsiebproblems. Hat das BMUB hierzu eine Ver-
hältnismäßigkeitsabwägung getroffen zwischen der lau-
fenden Prüfung der GRS und der Duldung des Weiterbe-
triebs mit diesem potenziellen Mangel? Wenn ja, was
folgt daraus? Gibt es eine Überlegung, eine Deadline zu
setzen, wann die Störfallbeherrschung nachgewiesen
sein muss?
Ri
Zur Sumpfsiebproblematik ist meines Wissens nach
eine Weiterleitungsnachricht erfolgt. Ich würde Ihnen
gern zu diesen konkreten Fragen, die Sie jetzt gestellt
haben, eine Antwort schriftlich nachreichen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Es gibt noch
eine Frage zu diesem Themenbereich, der mich auch in-
teressiert, weil Gundremmingen in meiner Nachbar-
schaft ist.
Es liegt zwar nicht in meiner Nachbarschaft, aber auf-
grund der Erfahrungen aus den Ausschüssen kann mich
die Antwort, dass Sie „alsbald“ einen Termin erwarten,
nicht richtig zufriedenstellen. Wann wird mit einem Ter-
min gerechnet? In welchem Quartal? Noch in diesem
Jahr oder noch in dieser Dekade? Vielleicht könnten Sie
einmal konkreter werden. Wird mit diesem erforderli-
chen Fachgespräch noch in diesem Jahr gerechnet, mög-
licherweise im dritten oder vierten Quartal? Können Sie
dazu eine konkrete Auskunft oder eine konkrete Antwort
geben?
Gut. – Was ist „alsbald“, Frau Staatssekretärin?
– Ich sage „was“, und ich bin die Präsidentin. So.
Ri
Um es ins richtige Licht zu rücken: Es geht hier um
Detailfragen, aber wir wollen es nicht abschließen, bevor
die Stellungnahme auf dem Tisch liegt. „Alsbald“ heißt
aber, dass wir signalisiert haben, dass wir jetzt vom
Staatsministerium zügig einen Termin erwarten.
Ich kann Ihnen jetzt kein Datum nennen. Ich kann Ihnen
jetzt auch nicht sagen, dass wir die Kavallerie satteln.
Aber wir haben doch deutlich gemacht, dass wir jetzt
wirklich einen Termin in absehbarer, nächster Zeit er-
warten.
Dann sind wir jetzt von „alsbald“ in Richtung „zügig“
marschiert. – Danke schön, Frau Staatssekretärin.
Dann kommen wir zum nächsten Fragenkomplex.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Bildung und Forschung. Da stehen uns heute
z
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Stefan Müller und Thomas Rachel.Wir fangen mit der Frage 24 der Kollegin Kotting-Uhl an:Welche neuen Projekte, für die in dieser Wahlperiode dieBundesförderung beantragt oder bewilligt worden ist, er-möglichen die Fortführung von Arbeiten an sogenanntenHochtemperaturreaktor-Code-Packages – HCP: elektronische
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015 10351
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Simulationssysteme für das Verhalten von Hochtemperaturre-
wann war bzw. ist der Termin, an dem die betreffende Förder-
Herr Müller antwortet.S
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin
Kotting-Uhl, ich darf Ihnen berichten, dass in der aktuel-
len Legislaturperiode keine neuen Vorhaben aus För-
dermitteln des Bundes bewilligt wurden, mit denen die
Weiterentwicklung der Hochtemperaturreaktor-Code-
Packages des Forschungszentrums Jülich unterstützt
wird. Ich darf allerdings hinzufügen, dass die Eingliede-
rung eines Staubmodells in HCP im Rahmen eines Ar-
beitspunktes des derzeit noch laufenden Vorhabens
TARGET der RWTH Aachen durchgeführt wird. Dieses
Projekt ist am 26. März 2012 mit einem ursprünglichen
Laufzeitende zum 30. Juni 2015 bewilligt worden. Auf-
grund aufgetretener Verzögerungen wurde die Laufzeit
am 23. September 2014 zunächst bis zum 31. März 2016
ausgabenneutral verlängert. Zwischenzeitlich hat der
Zuwendungsempfänger eine weitere Laufzeitverlänge-
rung bis zum 31. Juli 2016 in Verbindung mit einer Mit-
telaufstockung um insgesamt circa 126 000 Euro bean-
tragt, wobei hinzuzufügen ist, dass nur ein Teil der
126 000 Euro für die Eingliederung des Staubmodells in
HCP verwendet werden soll. Ich darf Ihnen auch mit-
teilen, dass dieser Antrag derzeit geprüft wird.
Vielen Dank, Herr Müller. – Frau Kotting-Uhl.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, der
erste Teil Ihrer Antwort entspricht der Antwort, die ich
bereits im März von Ihnen bekommen habe. In dem Fall
ist es wirklich gut, dass die Antwort immer noch die
gleiche ist.
S
Das ist jedenfalls sehr hilfreich.
– Denn alles andere wäre eine Art Wortbruch gewe-
sen.
Ich habe in der Frage auf den Foliensatz von Herrn
Professor Allelein hingewiesen, der auf der Seite der In-
ternationalen Atomenergie-Organisation zu finden ist. Er
hat in seinem Vortrag umfangreich dargelegt, warum er
es beklagenswert findet, dass die Forschung an der
Hochtemperaturtechnologie unter Rot-Grün beendet
wurde. Auf seiner letzten Folie schreibt er:
There seems to be the possibility to continue the
HCP activity in the frame of a project funded by the
Federal Government
Das sagt ja aus, dass bei der Bundesregierung – vor-
her wird gesagt, dass diese bedaure, dass die Forschung
beendet wurde – die Möglichkeit gesehen werde, die
Forschung fortzuführen. Ist das völlig aus der Luft ge-
griffen? Wie kommt Professor Allelein dazu, es in einem
internationalen Vortrag so darzustellen?
Herr Müller.
S
Frau Kollegin, auch ich habe mir diese Präsentation
angesehen. In der Tat: Auf Seite 35 findet sich der von
Ihnen zitierte Satz. Ich könnte hier nur Vermutungen äu-
ßern, will aber Ihre Frage, ehrlich gesagt, nicht mit Spe-
kulationen beantworten. Ich möchte nur so viel sagen:
Es ist für die Bundesregierung nicht nachvollziehbar,
wie Herr Professor Allelein zu dieser Aussage kommt.
Zweite Nachfrage?
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, ich
würde gerne – Sie haben sich die Folien selbst ange-
schaut – noch den mittleren Bullet Point auf Folie 34 zi-
tieren. Da steht:
This decision
– also das Ende dieser Forschung –
is in disagreement with the present policy of the
“black-red” federal government of Germany.
Wenn Sie auch hier sagen, dass Sie nicht wissen, wie
Professor Allelein zu dieser Aussage kommt, dann
würde ich Sie hiermit bitten, dies zu klären und Profes-
sor Allelein darauf hinzuweisen, dass es solche Absich-
ten in Deutschland nicht gibt. Können Sie mir das zusa-
gen?
Herr Müller, bitte.
S
Ich möchte in gleicher Art und Weise darauf antwor-ten, wie ich es eben getan habe. Auch diese Aussage istfür die Bundesregierung nicht nachvollziehbar. Ich kannallenthalben vermuten – ich sagte, ich will keine Vermu-tungen anstellen; jetzt tue ich es doch –, dass sie sich aufden Verlängerungsantrag, von dem ich in der Beantwor-tung der Ausgangsfrage gesprochen habe, bezieht. Ichkann Ihnen das nicht mit Gewissheit bestätigen, sage Ih-nen aber gerne zu, dass wir dieser Frage nachgehen.
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Vielen Dank, Herr Staatssekretär Müller. – Ich sehe,
es gibt keine weiteren Fragen.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Gehring auf:
Inwiefern sieht die Bundesregierung die Bundesförderung
für die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aa-
chen im Rahmen der Exzellenzinitiative – „Zukunftskonzept
RWTH 2020: Meeting Global Challenges“, mit dem unter an-
derem ein universitätsumfassendes Personal- und Organisati-
onsentwicklungskonzept eingeführt werden soll – und des
Qualitätspakts Lehre – Vorhaben „RWTH 2020 Exzellente
Lehre – wir verbessern gemeinsam die Studienbedingungen
und die Lehrqualität“, wo es um „innovative Lehr- und Lern-
konzepte und ein umfassendes studierendenzentriertes und
kompetenzorientiertes Qualifizierungsprogramm“ geht – vor
dem Hintergrund berührt, dass der Landesvorsitzende der
NRW-CDU und Privatdozent an der RWTH Aachen, Armin
Laschet, Noten erfunden hat, weil Unterlagen der Klausur, die
nach dem einwöchigen Blockseminar „Europa in der Berliner
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Thomas Rachel zur Verfügung.
T
Herr Kollege Gehring, ich antworte Ihnen wie folgt:
Die Bundesförderung der RWTH Aachen im Rahmen
der Exzellenzinitiative und des Qualitätspaktes Lehre ist
durch den in Ihrer Fragestellung angesprochenen Vor-
gang nicht berührt.
Herr Gehring.
Vielen Dank. – Ich sehe das BMBF immer auch als
Hüterin wissenschaftlicher Redlichkeit in Deutschland.
Im Kern zielt meine Frage auf ein Blockseminar ab, das
der CDU-Fraktionsvorsitzende des Landtags Nordrhein-
Westfalen gehalten hat. Er hat offenkundig im Rahmen
seiner Nebentätigkeit als Gastdozent an der RWTH Aachen
Prüfungsnoten schlichtweg erfunden. Ich finde es schon
relevant, zu wissen: Welche Auswirkungen hat das Ihrer
Meinung nach auf die Glaubwürdigkeit des CDU-Frak-
tionsvorsitzenden im Landtag Nordrhein-Westfalen, der
in seiner Rolle als Gastdozent außerordentlich unverant-
wortlich und auch unredlich agiert hat? Wie hätten Sie
sich, Herr Staatssekretär Rachel, damals als Student be-
handelt gefühlt, wenn Sie erfahren hätten, dass Ihre Leis-
tung nicht gewürdigt wird, sondern Ihre Note zunächst
quasi gewürfelt und ausgedacht und später annulliert
wurde?
Herr Rachel, bitte.
T
Zu der ehrenamtlichen Dozententätigkeit im Einzel-
nen kann ich nichts sagen. Die RWTH Aachen hat eine
differenzierte Stellungnahme dazu abgegeben. Grund-
sätzlich ist es so, dass die Einhaltung des Landeshoch-
schulgesetzes sowie der Studien- und Prüfungsordnung
natürlich der jeweiligen Hochschule bzw. dem jeweili-
gen zuständigen Bundesland obliegt.
Herr Gehring.
Ich möchte noch einmal nachfragen, weil die RWTH
Aachen eine wirklich sehr herausragende Universität ist,
die in erheblichem Umfang Mittel über die Exzellenzini-
tiative und auch über den Qualitätspakt Lehre erhält. Ich
möchte Sie fragen, ob aus Sicht der Bundesregierung das
schlichte Erfinden von Klausurnoten, wie es der Expri-
vatdozent und CDU-Landesvorsitzende Armin Laschet
in diesem Blockseminar gemacht hat, unter die Förderli-
nie „innovative Lehr- und Lernkonzepte“ im Rahmen
des Qualitätspakts Lehre fällt.
Wie schätzen Sie das ein?
Herr Rachel, bitte.
T
Auch ein dritter Versuch über einen anderen Zugang
wird nichts daran ändern, dass die Einhaltung des Lan-
deshochschulgesetzes und der Studien- und Prüfungs-
ordnung der zuständigen Hochschule obliegt – die
RWTH Aachen hat dazu eine ausführliche Stellung-
nahme abgegeben – bzw. in der Zuständigkeit des Bun-
deslandes liegt.
Frau Haßelmann, haben Sie noch eine Rückfrage? –Nein.Danke, Herr Rachel.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung. Antworten wird der ParlamentarischeStaatssekretär Hans-Joachim Fuchtel.Ich rufe die Frage 26 des Kollegen Kekeritz auf:Wie will die Bundesregierung das auf dem EU-Ministerratam 26. Mai 2015 beschlossene Ziel – das 0,7-Prozent-Ziel zurEntwicklungsfinanzierung innerhalb der Zeitachse der Post-2015-Agenda, also bis 2030, zu erreichen – erreichen, wennsie sich bislang lediglich dazu hat durchringen können, für dienächsten Jahre das Niveau bei 0,4 Prozent des Bruttoinlands-produkts, BIP, zu stabilisieren, und wie erklärt die Bundesre-gierung, dass nach den mir vorliegenden Informationen aus-gerechnet Deutschland als eines der derzeit wirtschaftlichstärksten Mitgliedsländer der EU sich als einer von nur vierMitgliedstaaten diesem verbindlichen Zeitrahmen verweigernwollte?Herr Fuchtel, bitte.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015 10353
(C)
(B)
Ha
Herr Kollege Kekeritz, wie man dem Koalitionsver-
trag entnehmen kann, strebt die Bundesregierung das
0,7-Prozent-Ziel an. Wenn man sich die Bilanz der Bun-
deskanzlerin anschaut, stellt man fest, dass sich das Bud-
get des BMZ allein in der Regierungszeit von Angela
Merkel verdoppelt hat. Wenn man fragt, wie die Chan-
cen stehen, dass dieses Ziel erreicht wird, kann ich nur
sagen, dass diese Regierung möglichst lange im Amt
bleiben sollte. Das ist die beste Voraussetzung dafür,
dass wir diesbezüglich vorankommen.
Ich gehe davon aus, dass Herr Kekeritz
dazu eine Rückfrage hat.
Ich habe eine Rückfrage und schätze den Sachverhalt
grundsätzlich anders ein.
Ich habe vorhin eine Frage gestellt, auf die die Kolle-
gin Schwarzelühr-Sutter geantwortet hat. Durch ihre
Antwort ist mir bewusst geworden, wie Sie das 0,7-Pro-
zent-Ziel erreichen wollen: Sie werden die bisher ge-
planten ODA-Mittel mit der zukünftigen Klimafinanzie-
rung vermischen. So werden Sie das 0,7-Prozent-Ziel
erreichen.
Ich weiß, dass Minister Müller sehr viel Wert auf die
Zivilgesellschaft legt und mit Vertretern der Zivilgesell-
schaft sehr gut zusammenarbeitet. Glauben Sie, dass die
Zivilgesellschaft es tolerieren wird, dass sich diese Re-
gierung von dem 0,7-Prozent-Ziel verabschiedet und
auch ihre Verpflichtungen im Bereich Klimaschutz nicht
erfüllen wird?
Herr Fuchtel.
Ha
Ich kann Ihnen nur sagen, wie die Realität aussieht,
aber ich kann nichts zu Ihren Vermutungen sagen. Die
Realität sieht so aus: Im Jahr 2012 lagen wir bei
0,38 Prozent, dann bei 0,39 Prozent und jetzt bei
0,41 Prozent.
Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir das Bud-
get um rund 2 Milliarden Euro aufgestockt. Zwischen-
zeitlich haben wir uns vorgenommen, nochmals etwa
rund 8 Milliarden Euro für den Zeitraum 2016 bis 2019
hinzuzufügen. Insofern haben wir das Budget in einem
überschaubaren Zeitraum um rund 10 Milliarden Euro
aufgestockt. Auf diese Weise baut man etwas auf. So
kommt man am besten voran. Wenn sich andere Finan-
zierungsmöglichkeiten ergeben, müssen diese natürlich
berücksichtigt werden; denn das Ziel, das Geld, das da-
für gebraucht wird, zusammenzubringen, ist sehr ambi-
tioniert.
Herr Kekeritz, Ihre zweite Frage.
Es ist interessant, zu erfahren, wie viele Milliarden
Sie in diesen Topf legen. Angesichts dessen frage ich
mich allerdings, warum Sie als Zieljahr, als Jahr, in dem
Sie das 0,7-Prozent-Ziel erreichen wollen, das Jahr 2030
angeben. Bei dem Tempo erreichen Sie das Ziel in drei,
vier Jahren.
Ich stelle meine Frage noch einmal ganz konkret:
Plant diese Regierung, die Zusammenlegung der bisher
für die Entwicklungszusammenarbeit gebundenen Be-
träge, die natürlich in vielen Bereichen auch klimarele-
vant sind, zu mischen mit den Ausgaben für die Klimafi-
nanzierung ab 2020?
Ha
Ich könnte nur das, was ich gerade gesagt habe, wie-
derholen.
Ich sehe keine weiteren Meldungen zu diesem Ge-schäftsbereich. – Danke, Herr Fuchtel.Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanz-lerin und des Bundeskanzleramtes.Die Fragen 27 und 28 der Abgeordneten TabeaRößner werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 29und 30 des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz– Auswirkungen der Arbeit des 1. Untersuchungsaus-schusses auf die Kooperation mit US-amerikanischenStellen – werden auch schriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwor-tung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekre-tärin Iris Gleicke zur Verfügung.Die Frage 31 des Abgeordneten Omid Nouripourwird schriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 32 der Abgeordneten Bärbel Höhnauf:Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung ausder Ankündigung des norwegischen Staatsfonds, seine Gelderaus Unternehmen, die 30 Prozent ihrer Geschäfte oder Ein-nahmen mit Kohle machen, abzuziehen , undwelche Rückschlüsse zieht sie daraus für die in Deutschlandbetroffenen Konzerne?Frau Gleicke, bitte.
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(B)
I
Liebe Kollegin Höhn, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse
darüber vor, an welchen deutschen Konzernen der nor-
wegische Staatsfonds Beteiligungen hält. Sofern deut-
sche Unternehmen vom angekündigten Rückzug des
Fonds betroffen sein sollten, stellen sich unternehmensin-
terne Finanzierungsfragen, die nicht von der Bundesregie-
rung kommentiert werden können.
Frau Höhn.
Es geht in meiner Frage darum, dass der norwegische
Staatsfonds sich entschieden hat, seine Investitionen in
solche Unternehmen zurückzuziehen, die sich zu min-
destens 30 Prozent bei Kohle oder anderen fossilen
Energieträgern engagieren, weil er das für zu risikoreich
hält. Das gilt nicht nur für den norwegischen Staats-
fonds, sondern auch für mehrere Städte, zum Beispiel für
Paris und San Francisco, aber auch für die Universität
Harvard und den Weltkirchenrat. Das gilt also für sehr
viele.
Ist denn der Bundesregierung bekannt, dass sich jetzt
auch eine Stadt in Deutschland, nämlich die Stadt Müns-
ter, entschieden hat, das sogenannte Divestment, also
keine Investitionen in Unternehmen fließen zu lassen,
die stark in fossilen Energien engagiert sind, zu machen?
Wie bewertet das die Bundesregierung?
I
Ich will noch einmal auf den norwegischen Staats-
fonds zurückkommen, weil Sie die 30 Prozent anspra-
chen. Für die Bundesregierung ist eine Bewertung natür-
lich schwierig, weil wir nicht wissen, welche Anteile
dieser norwegische Staatsfonds an Unternehmen in
Deutschland hält, da sich das unserer Kenntnis natürlich
entzieht.
Das 30-Prozent-Kriterium ist von Unternehmen be-
wertet worden. Dazu hat zum Beispiel ein Eon-Sprecher
gesagt, er wisse noch nicht, ob man von der Entschei-
dung des norwegischen Staatsfonds betroffen sei; denn
es sei nicht ganz klar, worauf sich die 30-Prozent-Marke
beziehe. Bei Umsatz, Betriebsergebnis oder Strompro-
duktion liege der Konzern unter dieser Schwelle. Auch
RWE hat sich ähnlich geäußert, sodass diese 30 Prozent
offenkundig ganz unterschiedlich bewertet werden.
Was die Stadt Münster angeht, kann ich Ihnen nur
meine persönliche Auffassung sagen. Das ist noch nicht
an mich herangetragen worden. Aber vielleicht können
Sie mir nachher diese Information geben.
Frau Höhn, wenn Sie wollen, haben Sie Gelegenheit
zu einer zweiten Frage.
Dann bekomme ich auch eine bilaterale Bewertung
von Ihnen. Das freut mich sehr.
Ich will aber noch auf einen anderen Aspekt einge-
hen. Zu diesem Thema habe ich eine Kleine Anfrage ge-
stellt. Darauf haben Sie geantwortet, dass es sinnvoll
wäre, wenn sich Kreditinstitute stärker mit Megatrends
zum Klimawandel auseinandersetzten. Gleichzeitig ha-
ben Sie in einer anderen Antwort gesagt, dass die Bun-
desbank keine Klimastrategie hat, weil sie – Zitat – „pri-
mär geld- und währungspolitische Ziele“ verfolgt.
Nun weiß ich von den Abgeordneten der Grünen im
Berliner Abgeordnetenhaus, die eine Anfrage beim Ber-
liner Senat gestellt haben, dass das Land Berlin bei sei-
nen Versorgungsrücklagen – das sind Langfristanlagen –
in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank diese
Anlagenstrategie entwickelt.
Ist es unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit der
Renten für die Arbeiter und Angestellten des Landes
Berlin sowie wahrscheinlich auch von anderen Bundes-
ländern nicht doch sinnvoll, dass sich zum Beispiel die
Deutsche Bundesbank eine Klimastrategie überlegt und
damit solche Aspekte von Langfristrisiken einbezieht?
I
Liebe Frau Kollegin Höhn, in der Antwort auf Ihre
Kleine Anfrage, die Ihnen erst in den letzten Stunden zu-
gegangen ist, steht natürlich, dass wir das selbstverständ-
lich begrüßen.
Wir diskutieren die Fragen, die dahinterstehen: Haben
wir eine Blase bei den Investitionen, die sich wiederum
aufbaut? Haben wir damit zu rechnen, dass wir Ähnli-
ches wie bei anderen Blasen erleben, die sich an der
Börse dargestellt haben? Diese Diskussion ist gerade erst
in Gang gekommen. Wir begrüßen es sehr, dass sich bei-
spielsweise auch der internationale Finanzstabilitätsrat
mit diesem Thema beschäftigt. Wir müssen uns alleror-
ten damit beschäftigen. Im Moment ist diese Diskussion,
wie gesagt, in einem ganz frühen Stadium, deshalb kön-
nen wir keine Ergebnisse vorlegen. Aber ich gehe davon
aus, dass sich selbstverständlich auch Banken und Anla-
geunternehmen damit beschäftigen werden.
Vielen Dank, Frau Gleicke. – Ich sehe keine weiterenMeldungen zu dieser Frage.Dann kommen wir zu den Fragen 33 und 34 der Ab-geordneten Annalena Baerbock. Sie werden schriftlichbeantwortet. Die Frage 35 des Kollegen Oliver Krischerwird, weil der Kollege immer noch im Ausschuss ist,schriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des AuswärtigenAmtes. Michael Roth ist vorausschauend verschwunden,weil die Frage 36 des Abgeordneten Andrej Hunko, dieFrage 37 der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, dieFrage 38 des Abgeordneten Dr. André Hahn, die Fragen39 und 40 der Abgeordneten Sevim Dağdelen sowie die
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015 10355
Vizepräsidentin Claudia Roth
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(B)
Fragen 41 und 42 der Abgeordneten Heike Hänselschriftlich beantwortet werden.Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich unter-breche die Sitzung bis 15.35 Uhr. Dann geht es weitermit der Aktuellen Stunde. Genießen Sie die halbe StundePause.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Aktueller VN-Bericht – Menschenrechtsver-
letzungen in Eritrea stoppen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Gabriela Heinrich für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen undKolleginnen! 200 000 Menschen waren bis Ende 2014aus Eritrea in die Nachbarländer Sudan und Äthiopiengeflüchtet. In Europa beantragten im letzten Jahr 37 000Eritreerinnen und Eritreer Asyl, in Deutschland waren esüber 13 000. Damit stand das ostafrikanische Land letz-tes Jahr an dritter Stelle der Herkunftsländer.Jetzt hat der Bericht der Vereinten Nationen eine ver-gessene Krise ans Tageslicht und in das öffentliche Be-wusstsein gezerrt. Eritrea ist ein totalitär regierter Staat.Eritrea belegt den letzten Platz der Pressefreiheitlistevon Reporter ohne Grenzen. Verschwindenlassen, Will-kür, Folter, jahrelange Zwangsarbeit, die als Sklavereibezeichnet werden muss, gehören zur permanenten Rea-lität der Menschen. Hinrichtungen und unsägliche Haft-bedingungen in unterirdischen Verliesen kommen hinzu.Die Täter gehören oft staatlichen Stellen an: der Polizei,den Geheimdiensten, sonstigen Behörden bis hin zu denhöchsten Kreisen der Politik. Der Bericht spricht davon,dass Folter nicht etwa vereinzelt oder durch besondereGruppen verübt wird, nein, es handele sich vielmehr umsystematische Folterpolitik der Regierung.Die Menschen, die versuchen, diesem Elend zu ent-fliehen, nehmen ungeheure Risiken auf sich. Sie müssensich Schleppern anvertrauen, und auf dem Weg lauernGewalt, Ausbeutung, Vergewaltigung, Folter, um Geldzu erpressen, und im schlimmsten Fall der Tod. Niemandvon uns kann sich vorstellen, wie furchtbar ein Lebensein muss, damit jemand diesen Weg geht. Die Unter-drückung hat einen langen Arm. Denn selbst diejenigen,denen die Flucht gelungen ist, werden gezwungen, vielGeld aus dem Ausland zu überweisen. Tun sie das nicht,müssen ihre Angehörigen büßen, die in Eritrea gebliebensind.Die Kommission hat eine lange Liste von Forderun-gen erstellt, um die Menschenrechtslage in Eritrea zuverbessern. Es fehlt an allen Grundprinzipien derRechtsstaatlichkeit. Ich habe keine Ahnung, ob sichPolitik, Behörden und Armee dort darum scheren, wassich aus Sicht der Vereinten Nationen ändern muss. Faktist: 3 000 bis 5 000 Menschen verlassen das Land – proMonat! –, und das trotz der Gefahr; denn auf Menschen,die aus dem Land fliehen, wird scharf geschossen.Ich muss sagen: Ich fühle mich sehr hilflos in Bezugdarauf, was wir ändern können. Die deutsche Entwick-lungszusammenarbeit mit Eritrea musste 2008 beendetwerden. Deutsche Nichtregierungsorganisationen sindnur noch punktuell im Land tätig. Von außen ist es schierunmöglich, die Menschen in Eritrea vor Menschen-rechtsverletzungen zu schützen. Wir können den StaatEritrea, so wie ihn der UN-Bericht beschreibt, mit kei-nem Euro unterstützen, ohne dass das Geld in falscheHände gerät. Aber wir müssen es dann auf einem indi-rekten Weg versuchen.Zunächst müssen wir in dieser Region Ostafrikas al-les daransetzen, die schlimmste Not zu lindern. Wenn200 000 Menschen in ja ebenfalls instabile Länder flie-hen, können sie vielleicht der persönlichen Verfolgungund dem Terror entgehen, nicht aber dem Hunger undden fast notwendig neu entstehenden Konflikten in denAufnahmeländern. Wir müssen noch stärker den Sudanund Äthiopien dabei unterstützen, die Flüchtlinge ausEritrea zu versorgen und menschlich mit ihnen umzuge-hen.
Der Bericht der Vereinten Nationen nennt in zehnPunkten Forderungen an die internationale Gemein-schaft, die dringend umgesetzt werden müssen. Ichmöchte drei Aspekte herausgreifen, die mir für die deut-sche Politik besonders wichtig und gleichzeitig praktika-bel erscheinen:Erstens. Wir dürfen Eritreerinnen und Eritreer, die alsFlüchtlinge zu uns kommen, nicht zurückweisen.Zweitens. Wir müssen legale Migrationswege ermög-lichen, damit sich die Menschen nicht Schlepperbandenanvertrauen und den Gefahren im Mittelmeer aussetzenmüssen.Und drittens. Wir müssen Menschenhändler, Men-schenschmuggler und Schlepper bekämpfen und auchdie Erpresser in Deutschland ins Visier nehmen, die dieFlüchtlinge unter Druck setzen.Die beiden letzten Forderungen gelten natürlich nichtnur für Flüchtlinge aus Eritrea.In Europa ist zumindest einiges in Bewegung gekom-men. Wir müssen eine gemeinsame Flüchtlingspolitikschaffen, die sich an der Würde der Menschen und auchan den Realitäten orientiert. Hier sind wir vor allem ge-fordert – nicht nur für die Menschen, die aus Eritrea flie-hen.
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10356 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015
Gabriela Heinrich
(C)
(B)
Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Annette Groth
für die Fraktion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Heinrich hat schon die dramatische Menschen-
rechtslage in Eritrea geschildert. Der Bericht, der einen
Umfang von 464 Seiten hat, zeigt detailliert auf, dass in
dem Land willkürliche Hinrichtungen, Zwangsrekrutie-
rungen für die Armee, systematische Folter und politi-
sche Verfolgung von Menschen an der Tagesordnung
sind. Gabriele Heinrich hat auch gesagt: Es ist eine un-
vorstellbare Zahl, dass monatlich fast 5 000 Menschen
Eritrea verlassen. – Die meisten von ihnen gehen in die
Nachbarländer; im Oktober 2014 waren etwa 110 000
Flüchtlinge im Sudan und mehr als 100 000 in Äthiopien
gemeldet. In der EU sind derzeit fast 360 000 eritreische
Staatsangehörige als Flüchtlinge registriert. Auch unter
den Toten des Mittelmeers sind viele Flüchtlinge aus
Eritrea. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf
– wie so häufig schon –: Öffnen Sie endlich die Grenzen
für Menschen in Not!
Starten Sie eine über das gesamte Mittelmeer angelegte
Rettungsmission für die Flüchtlinge, damit die Men-
schen, die vor Gewalt und Folter fliehen, nicht länger im
Mittelmeer ertrinken!
Ein besonders dramatisches Beispiel sind die Flücht-
linge, die in den Sinai verschleppt und dort festgehalten
werden. Von 2009 bis 2013 sind im Sinai zwischen
25 000 und 30 000 Personen Opfer des Menschenhan-
dels geworden, darunter etwa 90 Prozent Eritreer. Bis zu
50 000 Dollar müssen Angehörige für ihre verschleppten
Verwandten bezahlen. Die Erpressungen werden mit
brutaler Folter und äußerster Grausamkeit durchgeführt.
Die Angehörigen mussten bei Liveschaltungen der Miss-
handlung ihrer Familienangehörigen zuhören. Zwischen
5 000 und 10 000 Menschen haben diese grausamen
Menschenhändler ermordet. Es gab und gibt immer wie-
der Hinweise auf den profitablen Handel mit Organen,
die den Opfern entnommen worden sind. Wie die Lage
im Sinai heute ist, weiß man nicht, da dieses Gebiet von
der ägyptischen Armee total abgeriegelt ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die eritreische
Regierung den UN-Ermittlern jegliche Zusammenarbeit
verweigert und sie nicht ins Land gelassen hat, ist wirk-
lich skandalös.
Grundlage des Berichts sind deshalb 550 vertrauliche
Interviews mit Zeugen außerhalb Eritreas sowie
160 schriftliche Aussagen von Betroffenen. Viele poten-
zielle Zeugen haben selbst in den Asylländern noch
Angst vor Übergriffen sowie vor Repressalien gegen zu-
rückgebliebene Verwandte und lehnen darum Aussagen
vor den Ermittlern ab.
Die alltägliche sexuelle Gewalt gegen Frauen konnte
in den Interviews nur ansatzweise erfasst werden, da
aufgrund der Scham der Opfer und der Angst vor Stig-
matisierung viele eritreische Frauen nicht über die ihnen
angetanen Verbrechen sprechen wollen. Noch immer
werden Jungfräulichkeit, Keuschheit und Monogamie
hochgehalten. Selbst Opfern von Vergewaltigungen wird
unterstellt, Schande über ihre Familien gebracht zu ha-
ben.
Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1993 – die Eritreer
votierten in einer Volksabstimmung fast einstimmig für
eine Loslösung von Äthiopien – herrscht in Eritrea ein
permanenter Kriegszustand. Die gesamte Wirtschaft
funktioniert als Kriegsökonomie. Der Grenzkonflikt hat
zwischen 70 000 und 100 000 Tote gefordert und über
1 Million Menschen zu Umsiedlungen gezwungen.
Gleichzeitig teilen sich wenige Clans die Kriegsprofite –
unterstützt von Interessengruppen außerhalb des Landes,
die daran ganz gut verdienen.
Eritrea gehört mit einem Bruttoinlandsprodukt von
550 US-Dollar pro Kopf zu den ärmsten Ländern der
Welt. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung steht seit
vielen Jahren unter Waffen oder muss im Anschluss an
den Wehrdienst eine nationale Dienstpflicht ableisten.
Um dem zu entgehen, fliehen so viele aus Eritrea.
Auf dem Evangelischen Kirchentag in Stuttgart hat
Entwicklungsminister Gerd Müller angekündigt, in den
nächsten Wochen nach Eritrea zu reisen. Ich hoffe, dass
er dort die massive Repression und die täglichen Men-
schenrechtsverletzungen thematisiert und auf eine deut-
liche Verbesserung der Menschenrechtslage drängt. In
den letzten Wochen hat Gerd Müller immer wieder Fol-
gendes betont – ich zitiere –:
Wir müssen in den Herkunftsländern der Flücht-
linge aktiv sein, damit sich nicht noch mehr Men-
schen auf den Weg nach Europa machen.
Eritrea ist nach Syrien, Serbien und Afghanistan auf
Platz vier der Länder, aus denen die meisten Flüchtlinge
nach Europa kommen. Darum hoffe ich nicht, dass er
unter den gegebenen Bedingungen ein mögliches Rück-
kehrabkommen mit der eritreischen Regierung disku-
tiert, wie das mit so vielen anderen repressiven Ländern
geschehen ist.
Danke.
Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich für dieCDU/CSU-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015 10357
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Diese Debatte, die ausgelöst wurde durch denBericht von Montag, wollen wir heute führen, um klar-zumachen, was in Eritrea tatsächlich passiert. Meine bei-den Vorrednerinnen haben vieles schon vor Augen ge-führt.Vor eineinhalb Jahren saß eine Dame von der Organi-sation „Human Rights Concern – Eritrea“ in meinemBüro und hat mich gebeten, ihren Namen nicht zu nen-nen, weil sie sonst selber gefährdet wäre. Daraufhin habeich mit der Sonderberichterstatterin, Sheila Keetharuth,telefoniert. Mir wurde vor Augen geführt, wie brutal dieVerhältnisse dort sind, und ich wünsche mir, dass diesdurch diese Debatte für alle klar und deutlich wird.Der Bericht, der seit Montag vorliegt, bestätigt genaudas, was Frau Keetharuth damals, vor etwa zwei Jahren,schon geahnt hat. Ich zitiere die Experten: „In Eritreaherrscht nicht das Recht, sondern die Angst.“ In ihremBericht weisen die drei Ermittler auf massive Verletzun-gen der Menschenrechte durch den Staat hin, die denTatbestand von Verbrechen gegen die Menschlichkeit er-füllen.Ist das Diktatur? Darüber streitet man sich. Ich würdedas Fragezeichen weglassen. In der Liste der Menschen-rechtsverbrechen – teilweise sind sie schon aufgeführtworden –, die aufgrund von über 550 Interviews erstelltwurde – alle Interviewten wollten anonym bleiben, weilsie sonst gefährdet wären –, stehen: willkürliche Fest-nahmen, Inhaftierung, Folter, Verschwindenlassen, grau-samste Haftbedingungen, Zwangsarbeit, systematischesVerbrechen des Staates gegen das Privatleben, schwer-wiegende Einschränkungen – es gibt eine Klassifizie-rung – der Bewegungsfreiheit, der Meinungsfreiheit, derGlaubensfreiheit und der Versammlungsfreiheit, keinePressefreiheit, keine Rechtsstaatlichkeit, „shoot-to-killpolicy“, willkürliche Tötungen, Isolationshaft für Kin-der, Vergewaltigung durch staatliche Behörden. MeineListe hat noch einige Punkte mehr.Reporter ohne Grenzen beschreibt den Staatspräsi-denten Isayas Afewerki als einen „mitleidlosen Dikta-tor“. Human Rights Watch spricht von einer „totalitärenKontrolle“ durch das Regime. Alle Ingredienzien einerDiktatur sind vorhanden. Viele auch meiner Kollegen re-den vom „Nordkorea Afrikas“. Georgette Gagnon, dieDirektorin der Afrika-Abteilung von Human RightsWatch, sagt: „Eritreas Regierung verwandelt das Land inein riesiges Gefängnis.“Der Schwerpunkt dabei liegt – das ist auch schon ge-nannt worden – auf Sklaverei und Zwangsarbeit, unteranderem im unbefristeten militärischen Zwangsdienst.Manche Menschen haben sich nach 17 Jahren Militär-dienst endlich entschieden, zu fliehen, und können nunAussagen darüber machen. Kinder werden zum Wehr-dienst gezwungen. Folter und eine grausame und un-menschliche Behandlung sind beim Militärdienst an derTagesordnung. Frauen und Mädchen werden innerhalbdieses Dienstes als Sexsklaven gehalten. Sogar Behin-derte werden zum Wehrdienst gezwungen.Die Konsequenz davon ist Menschenhandel. Von denFolgen haben wir gerade gehört; denken Sie an die Men-schen im Sinai. Die Flüchtlinge sind hilflos und sind denMenschenhändlern und Schmugglern durch ihre Schwä-che ausgeliefert. Ich zitiere noch einmal aus dem UN-Bericht:In ihrer Verzweiflung riskieren sie tödliche Flucht-routen durch Wüsten und Bürgerkriegsländer undden gefährlichen Seeweg über das Mittelmeer.UNHCR schätzt – wir haben die Zahlen gerade ge-hört –, dass 5 Prozent der Bevölkerung geflohen sind, je-den Monat sind es mehrere Tausend Menschen. Alleinim Juli letzten Jahres waren 357 406 Menschen auf derFlucht. Auf dieser Flucht erleben die Menschen Men-schenhandel und Menschenschmuggel, Organentnahme,Bedrohung mit einer Organentnahme und Totschlag.Noch ein Zitat aus dem Bericht von Human RightsWatch, den wir wenige Wochen vorher bekommen ha-ben:Alle Zeugen, mit denen Human Rights Watch ge-sprochen hat, berichteten, dass sie Folter beobachtethaben oder selbst misshandelt wurden. Nach diesenAngaben wurden etwa sowohl Frauen als auchMänner vergewaltigt und mit Elektroschocks ge-quält. Den Opfern wurden die Genitalien und an-dere Körperteile mit glühenden Eisen, kochendemWasser, geschmolzenem Plastik und Gummi sowiemit Zigaretten verbrannt.Was kann man tun? Ja, Aufsehen erregen, es deutlichmachen, schockieren, weil die Sache selber schockie-rend ist. Das bisherige Engagement der Bundesregierungist zu begrüßen. Ich nenne nur die Schaffung des Man-dats der Sonderberichterstatterin wie auch die Verlänge-rung dieses Mandats im letzten Jahr. Im UPR-Prozesshaben wir deutliche Worte gegen dieses Regime gefun-den und die Einrichtung einer Untersuchungskommis-sion unterstützt. Und: Ja, der Minister wird dorthin fah-ren. Wir werden ihn ermutigen, dort genauso wenig zuschweigen, wie er es hier auf dem Kirchentag getan hat.Das Auswärtige Amt hat die eritreische Aufbausteuervon 2 Prozent, die im Ausland lebende Bürger Eritreasan ihren Staat abführen sollen, immer wieder verurteiltund deutlich gemacht: So etwas darf es nicht geben. –Mein Appell an unsere Regierung ist, beim Vorgehen ge-gen Eritrea gerne noch einen Gang höher zu schalten.Ich bin dankbar, dass unser Minister dort hinfährt.Ich nenne in diesem Zusammenhang auch Empfeh-lungen an die internationale Gemeinschaft, nämlich denGrundsatz der Nichtzurückweisung mit Blick auf Flücht-linge aus Eritrea zu beachten. Die Menschenrechte soll-ten bei jedwedem Engagement mit Eritrea im Vorder-grund stehen. Ich vermute, dass dies auch beimMinisterbesuch der Fall sein wird.Als letzten Punkt richte ich natürlich auch einen Ap-pell an Eritrea, die Zusammenarbeit mit den VereintenNationen nicht nur wiederaufzunehmen, sondern eigent-lich erst richtig zu beginnen. Die Mitglieder der Untersu-chungskommission haben ihre Erkenntnisse aufgrund
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10358 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015
Frank Heinrich
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von Interviews, vertraulichen Gesprächen gewonnen; sieselbst durften nicht in das Land. Wenn also von Eritreabehauptet wird, diese Berichte seien alle nicht wahr,dann soll es bitte die Experten in ihr Land kommen unddie Vorfälle untersuchen lassen.Eine weitere Forderung ist die Anerkennung vonMenschenrechtsverletzungen in Eritrea und die Umset-zung der Verfassung von 1997. Das Regime in Eritreasoll endlich das selbst gegebene Wort halten. Eine letzteForderung ist die Achtung der Verpflichtungen gemäßden internationalen Menschenrechtsübereinkommen, dieEritrea selbst unterschrieben hat. Wir bitten das Regime,an dieser Stelle endlich Wort zu halten.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
lege Omid Nouripour das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eritreahat deutlich mehr Aufmerksamkeit als bisher verdient.Deshalb möchte ich der Koalition dafür danken, dass sieheute diese Aktuelle Stunde dazu beantragt hat.Wir haben vor einigen Monaten eine Kleine Anfrageüber die Situation in Eritrea gestellt. Wenn man die Ant-worten liest, könnte man denken, dass der Grad der Auf-merksamkeit, den die Bundesregierung dem Thema wid-met, nicht ausreichend ist. Kaum eine Antwort beinhaltetErkenntnisse aus eigenen Quellen. Bei vielen Aussagenist man sich nicht sicher, ob die Quellen wirklich hinter-fragt worden sind.Ein Beispiel, das vorhin bereits genannt worden ist:Es nennt sich Militär- und Zivildienst, ist aber faktischein Frondienst, der vom 18. bis zum 40. Lebensjahr dau-ern kann. Wir haben die Frage gestellt, was passierenwürde, wenn statt der mehr als 18 Jahre die ursprüngli-che Dauer von 18 Monaten eingeführt würde. Die Ant-wort der Bundesregierung ist: Wahrscheinlich würden15 000 Menschen freigesetzt. – Wahrscheinlich wären esmehr als eine halbe Million Menschen. Die Zahl derBundesregierung basiert auf Aussagen eines Präsiden-tenberaters. Ich glaube nicht, dass Eritrea in diesen Zei-ten ein Land ist, in dem man auf Worte eines Präsiden-tenberaters zählen kann.Europa hat eine große Verantwortung für Eritrea. Diemit barbarischen Mitteln durchgeführte Kolonialisierunghat das Land jahrhundertelang unterworfen und ausge-raubt. Dieses koloniale Erbe entschuldigt nichts vondem, was heute in diesem Land passiert. Das darf mannicht verkennen und auch nicht durcheinanderwerfen.Aber dieses Erbe und die Verantwortung sollten uns da-ran erinnern, dass wir das Land und die Situation derMenschen dort nicht aus den Augen verlieren dürfen.
Diese Situation wird von dem UN-Bericht auf drama-tischste Art und Weise beschrieben. Es ist mehr als er-schütternd, und es ist kaum möglich, darüber mit ruhi-gem Blut zu sprechen, wenn man sich allein das Kapitelüber die Foltermethoden anschaut. Ich will nur zwei Bei-spiele nennen, die aber Alltag sind.Eine Foltermethode trägt den unglaublich zynischenNamen „Hubschrauber“. Dabei werden Menschen anHänden und Beinen gefesselt und rücklinks an einenBaum gebunden, bis ihre Extremitäten so entzündet sind,dass man sie amputieren muss.Ein anderes Beispiel sind die Container. Die Haftbe-dingungen sind dramatisch. In Containern von 1,50 mal5 Metern Größe werden 18 oder mehr Menschen tage-lang in der größten Sonnenhitze eingepfercht, ohne dasssie Wasser zu trinken bekommen. Teilweise werden dieContainer in Erdlöcher eingegraben.Das Besondere in diesem Land ist: All das kann je-dem passieren. Die Höllenmaschinerie kann jeden undjede treffen, ohne Anklage und ohne Prozess. Die Situa-tion, die in dem Bericht beschrieben wird, illustriert das,was der französische Autor Léonard Vincent einen „Gu-lag unter freiem Himmel“ genannt hat.Eritrea ist in Deutschland in erster Linie wegen derhohen Zahl von Flüchtlingen aus dem Land in denSchlagzeilen. Wer den UN-Bericht liest, fragt sich: Wasbleibt den Menschen übrig, außer zu fliehen? Auf die Si-tuation der Flüchtlinge und die damit verbundene Dra-matik wird mein Kollege Tom Koenigs noch eingehen.Das Problem ist jetzt, dass wir nicht in eine Logikverfallen dürfen, die der Flüchtlingsabwehr die höchstePriorität einräumt. Wenn die EU nun ein Hilfspaket von200 Millionen Euro oder mehr ankündigt, stellt sich dieFrage, was mit diesem Geld geschieht. Wo landet diesesGeld? Landet es in den Kassen von Präsident Afewerki?Ist das das perverse Spiel, das man sich vorstellt? Er be-handelt die Menschen in seinem Land so schlecht, dasssie fliehen, im vollen Wissen, dass Flüchtlinge in Europanicht immer willkommen sind, und wir helfen ihm, da-mit er wieder Geld hat und die Leute noch mehr unter-drücken kann. Das ist ein perverses Spiel. Auf so einezynische Erpressung dürfen wir uns auf keinen Fall ein-lassen.
Wir müssen den Menschen helfen. Es gibt vieleWege, das zu tun. Aber wir müssen auch die afrikani-schen Staaten daran erinnern, dass sie eine Verantwor-tung haben, allen voran Äthiopien. Es ist höchste Zeit,dass Äthiopien die Grenzziehung, die von der HaagerKommission im Jahr 2002 festgelegt wurde, endgültiganerkennt. Das würde nämlich dem Regime Afewerkiund seiner Behauptung, in einem ständigen Krieg zusein, den letzten Anschein von Legitimation nehmen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015 10359
Omid Nouripour
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Das ist eine der wichtigsten Aufgaben für die deutscheund die europäische Diplomatie.Das Wichtigste ist – das dürfen wir nicht vergessen –:Wir müssen mit allen Signalen deutlich machen, dasswir das Regime, aber nicht die Menschen isolieren wol-len. Wir haben eine große Gemeinde von Menschen ausEritrea in unserem Land, die eine große Hilfe sein kön-nen, um Brücken zu bauen, damit wir im Land selbstVerbündete suchen können.
Die leider viel zu früh von uns gegangene schwedi-sche Außenministerin Anna Lindh hat einmal gesagt: Eskann niemals funktionieren, Macht nur auf Gewalt undUnterdrückung zu gründen. – Sie hat völlig recht. Wirsollten diesen Worten folgen. Wir sollten aber auch Ta-ten folgen lassen. Die Frage, wie man mit Flüchtlingenumgeht, ist kein Grund, dem Regime in Eritrea weitereHilfen zukommen zu lassen, damit dieses die Situationweiter verschlechtert. Das wäre Verrat nicht nur an unse-ren Werten, sondern auch an unseren Interessen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit
Der Kollege Dr. Bernd Fabritius hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir diskutieren heute einen Bericht über dieMenschenrechtslage in Eritrea, der es in sich hat. Minu-tiös werden darin haarsträubende Details zur Lage indem Land aufgelistet, in dem seit seiner Unabhängigkeitvon Äthiopien im Jahre 1993 vor allem Hunger, Angstund Repressionen herrschen. Der seit kurzem vorlie-gende Bericht einer eigens dafür vom UN-Menschen-rechtsrat eingesetzten Untersuchungskommission kommtzu dem Schluss, dass die Regierung in Eritrea systema-tisch, weitreichend und massiv Menschenrechtsverlet-zungen begeht. Die schwerwiegenden Vorwürfe reichenvom Aufbau eines repressiven Systems, in dem Bürgerwillkürlich inhaftiert, gefoltert und getötet werden, überden Zwang zu einem meist langjährigen übermäßigenMilitärdienst, dessen Umstände oft zu Krankheit oderTod führen und der heute schon angesprochen wurde, bishin zum Aufbau eines regelrechten Überwachungsstaa-tes, in dem Bürger dazu angehalten werden, sich gegen-seitig zu bespitzeln. Die gesellschaftliche Destruktion,die von so etwas ausgeht, kann sich jeder vorstellen.Bei der Presse- und Meinungsfreiheit sieht es nichtbesser aus. In der Rangliste zur Pressefreiheit belegtEritrea seit 2007 bis heute jedes Jahr den letzten Platz,180 von 180. Man muss sich vor Augen halten, dass dasLand damit sogar noch hinter Syrien, Turkmenistan undNordkorea liegt. Private Medien sind verboten, ausländi-sche Korrespondenten befinden sich schon seit Jahrennicht mehr in Eritrea. Die staatlichen Medien unterliegenlaut Reporter ohne Grenzen einer Vorabzensur und wer-den scharf überwacht. Darüber hinaus sitzen DutzendeJournalisten teils ohne Urteil in Haft. Auch sie werdenselbstverständlich gefoltert.Ich könnte noch endlos weitere erschreckende Be-funde vortragen, aus dem UN-Bericht, aber auch aus an-deren Quellen. Die Organisation Amnesty Internationallistet beispielsweise in ihrem aktuellen Länderreport zuEritrea ähnliche Verbrechen auf. Bezeichnend ist auchder Umstand, dass die Mitglieder der UN-Untersu-chungskommission für ihre Recherchen nicht einmal indas Land hineingelassen wurden. Das allein zeigt be-reits, was die dortige Regierung von Menschenrechtenhält, nämlich gar nichts. Auch das hat die Kollegin Grothzu Recht bereits angesprochen.Die Untersuchungskommission der UN fasst ihrenBericht letztlich treffend mit dem ebenfalls bereits zitier-ten Satz zusammen: „In Eritrea herrscht nicht das Recht,sondern die Angst.“ Diese Angst und diese Zuständeführen letztlich zu steigenden Flüchtlingszahlen. Einnicht unerheblicher Teil der Bevölkerung ist bereits ausdem Land geflohen. Bei uns in Deutschland machenMenschen aus Eritrea den weitaus größten Anteil an denAsylbewerbern aus Afrika aus. Die Anerkennungsratensind aufgrund der Menschenrechtslage im Herkunftslandzu Recht hoch, auch weil im Ausland Asyl suchende Eri-treer bei der Rückkehr in ihr Land selbstverständlich in-haftiert werden.Natürlich ist auch im Falle Eritreas der Grundsatzrichtig, die Fluchtursachen vor Ort zu bekämpfen. Aller-dings ist das unter den dortigen Bedingungen schwierig.Die Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands mit Eri-trea musste beispielsweise im Jahr 2008 eingestellt wer-den, weil aufgrund der totalen Kontrolle der Regierungjegliche effektive Entwicklungshilfe unterbunden ist.Diese würde letztlich nur den Herrschenden, nicht aberder Bevölkerung zugutekommen. Das darf nicht so blei-ben. Gerade deshalb hat es mich gefreut, zu hören, dassunser Bundesminister Gerd Müller in zwei Wochen nachEritrea reisen wird; denn es gilt, jede noch verbleibendeMöglichkeit auszuloten, wie die Not der Menschen indem Land gelindert werden kann, auch wenn man hier-für mit den Machthabern vor Ort zusammenarbeitenmuss. Ich freue mich, liebe Frau Kollegin Groth, dassSie dazu Zustimmung avisiert haben.Die Regierung Eritreas begründet ihr Verhalten mitder angeblichen Notwendigkeit, das noch junge Land zustabilisieren. Außerdem sei das Verhältnis zum Nach-barn Äthiopien weiterhin angespannt. Die Argumenta-tion ist natürlich lächerlich. Auch wenn Grenzstreitig-keiten mit Äthiopien bis heute nicht vollständigausgeräumt sind, rechtfertigt dies die massiven Men-schenrechtsverletzungen in keiner Weise. Wir forderndie Regierung Eritreas daher mit Nachdruck auf, das Ru-der endlich herumzureißen. Dazu gehört unter anderem,die Praxis der willkürlichen Inhaftierungen und Tötun-
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10360 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 10. Juni 2015
Dr. Bernd Fabritius
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gen einzustellen. Dazu gehört die Umsetzung internatio-naler Vereinbarungen, die Eritrea anerkannt hat, wie dieAnti-Folter-Konvention, der das Land 2014 offenkundignur zum Schein beigetreten ist. Schließlich sind auchAnerkennung und Aufarbeitung des Unrechts wichtig;denn nur so erhält die Bevölkerung eine realistischeChance, mit dem Geschehenen abzuschließen und einereinigermaßen vertrauensvollen Zukunft entgegenzubli-cken.Danke.
Der Kollege Niema Movassat hat für die Fraktion Die
Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Menschenrechtssituation in Eritrea ist katastrophal.Der Bericht der UN-Untersuchungskommission liestsich wie ein Horrorbuch, nur dass alles, was dort steht,bittere Realität ist. Zwangsarbeit, ungesetzliche Inhaftie-rungen, willkürliche Hinrichtungen und Folter sind ander Tagesordnung. Ein mächtiger Sicherheitsapparat un-terdrückt die Bevölkerung und hält sie „in ständigerAngst“, wie es im UN-Bericht steht. Human RightsWatch nennt Eritrea ein einziges „gigantisches Gefäng-nis“. Leider wahr und beschämend!Viele junge Eritreer flüchten wegen des Militärdiens-tes aus ihrer Heimat; denn direkt nach dem Schulab-schluss muss jeder Jugendliche einen unbefristetenWehrdienst unter erbärmlichsten Bedingungen antreten.Wer sich weigert, dem drohen Folter und Gefängnis. InEritrea selbst kann niemand über die grausamen Zu-stände berichten. Reporter ohne Grenzen listet das Landauf dem letzten Platz des weltweiten Pressefreiheits-index. Präsident Afewerki und seine Lakaien setzen ihreMacht mit allen Mitteln durch. Außer der Regierungs-partei gibt es keine zugelassenen Parteien. Jede Opposi-tion wird im Keim erstickt. Man kann den Eritreern nurwünschen, dass sie sich möglichst bald dieses Regimesentledigen.
Auch in sozialer Hinsicht ist eine andere Regierungbitter nötig; denn Eritrea ist nicht nur eines der unfreies-ten Länder, sondern auch eines der ärmsten Länder derWelt. Es belegt beim HDI über den EntwicklungsstandPlatz 182 von 187 Ländern. Menschen hungern. VieleKinder können keine Schule besuchen. Für die Bauernreicht das Angebaute kaum zum Überleben. In Eritreaereignet sich eine humanitäre Dauerkatastrophe. Wirmüssen dringend Wege finden, den Menschen vor Ort zuhelfen, ohne dabei das Regime zu stützen. Hilfe an derBasis, konkret für die Menschen vor Ort, muss – soweitmöglich – geleistet werden.
Angesichts der schrecklichen Situation im Land ist essehr verständlich, dass in Europa heute 360 000 Eritreerals Flüchtlinge leben. Weltweit sind es 1 Million Ge-flüchtete. Ein Sechstel aller Eritreer lebt mittlerweile imAusland. Das ist trauriger Weltrekord. Viele müssen le-bensgefährliche Wege auf sich nehmen, um hier zu unsnach Europa zu kommen und so Unterdrückung und Ver-folgung zu entfliehen. Viele sterben in der Wüste. Nichtwenige ertrinken im Friedhof Mittelmeer. Das ist aucheine europäische Schande. Wir müssen endlich die Fes-tung Europa überwinden und legale Zugangswege schaf-fen, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden.
Die Eritreer, die bei uns leben, müssen wir vor denFängen des Regimes schützen. Es gibt Berichte, dassEritreer, die im Ausland leben, selbst die, die mittler-weile eine andere Staatsangehörigkeit haben, von deneritreischen Botschaften erpresst werden, eine Exilsteuerzu zahlen. Sonst erhalten sie keine Papiere, oder ihre An-gehörigen vor Ort werden bedroht. Ich bin fassungslos,dass im Raum steht, dass eine ausländische Botschaft inDeutschland so agieren kann. Das muss durch die Bun-desregierung aufgeklärt und scharf verurteilt werden.
Eritrea ist eine der schlimmsten Diktaturen der Welt.Es ist gut, dass die Bundesregierung das ähnlich sieht.Ich wünschte mir aber, dass wir die gleichen Standards,die wir an Eritrea anlegen, auch an einige PartnerländerDeutschlands anlegten.Vor wenigen Tagen war Ägyptens Putschpräsidentel-Sisi in Deutschland. Die Bundeskanzlerin hat ihn offi-ziell empfangen. Unter ihm gibt es 1 500 Todesurteile,40 000 politische Gegner sitzen in Gefängnissen, Oppo-sitionsgruppen sind verboten, ein Parlament gibt esnicht. Trotz alledem wertet die Bundesregierung diesesVerbrecherregime auf und bietet ihm eine internationaleBühne. Erst Jahrzehnte mit Mubarak zusammenarbeiten,jetzt el-Sisi empfangen – Geschäfte haben offensichtlichfür die Bundesregierung Vorrang vor Menschenrechten.Das ist beschämend.
Genauso läuft es mit Saudi-Arabien, einer Diktatur,die foltert und öffentlich köpfen lässt. Das Strafsystemist dem der Terrororganisation „Islamischer Staat“ ähn-lich: Steinigungen von Frauen, Amputationen von Ar-men und Füßen. Auf den Abfall vom Glauben und aufHomosexualität steht die Todesstrafe. – Dennoch warWirtschaftsminister Gabriel vor kurzem da. Deutschlandliefert modernste Waffen. Das ist an Verlogenheit nichtzu übertreffen.
Solche Doppelstandards entwerten berechtigte Kritikan Diktaturen. Solange Sie von der Bundesregierung mitder einen Diktatur aus geostrategischen ÜberlegungenGeschäfte machen, während Sie strategisch unwichtige
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Niema Movassat
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Diktaturen verurteilen, so lange ist Ihr Hochhalten vonMenschenrechten unglaubwürdig.
Stellen wir uns einmal vor, Eritrea hätte viel Öl undwürde es an Deutschland verkaufen. Ich befürchte, dieKritik an den Menschenrechtsverletzungen wäre dannnicht mehr so laut.
Deutschland stünde es gut zu Gesicht, weltweit diegleichen Maßstäbe für die Bewertung von Menschen-rechten anzulegen; sonst hat man die moralische Integri-tät einer Schwingtür.Danke schön.
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Frank Schwabe
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich wollte eigentlich nichts dazu sagen; aber da wir unsbei Eritrea offenbar einig sind – ich wüsste auch nicht,wie man sich an der Stelle nicht einig sein könnte –,möchte ich Ihnen, Herr Movassat, schon etwas sagen:Ich würde mir auch von der Linkspartei wünschen, dasssie nicht unterschiedliche Kriterien anlegt und bei Län-dern wie Venezuela oder Nordkorea nicht bereit ist, gele-gentlich nachsichtiger zu sein als bei anderen Ländern.Das ist nämlich das, was ich wahrnehme. Insofern fälltder Vorwurf, den Sie an uns richten, auf Sie selbst zu-rück.
Ich möchte einen Satz zu der Lage in Aserbaidschansagen. Ich glaube, das kann man bei einer Menschen-rechtsdebatte machen, auch wenn wir am Freitag nochzu diesem Thema hier im Parlament kommen; denn ichbin wirklich empört darüber, dass Aserbaidschan dieOSZE-Mission aus dem Land verweist. Wie wichtigTransparenz ist, diskutieren wir gerade am Beispiel vonEritrea. Wir können die Länder nicht miteinander ver-gleichen; aber es zeigt sich, was passiert, wenn ein Landnicht will, dass es internationale Transparenz gibt. Ichwill die Gelegenheit nutzen, von hier aus zu sagen: DasVerhalten Aserbaidschans ist skandalös; das kann nichtohne eine internationale Reaktion bleiben.
Die Lage in Eritrea ist von den Kolleginnen und Kol-legen schon umfassend beschrieben worden. Sie wirddeutlich in den Überschriften, die man in dieser Wochein den Zeitungen lesen konnte. „Von dort, wo die Angstherrscht“, hat die Süddeutsche Zeitung getitelt. „Horror-bericht über die Republik der Angst“, so stand es in dertaz. Das hat etwas mit dem in seiner Wirkung und seinerBedeutung nicht zu unterschätzenden Bericht der Ver-einten Nationen zu tun, der unter der deutschen Präsi-dentschaft jetzt in der Sommersession des UN-Men-schenrechtsrats diskutiert wird.Auch da ist es benannt worden: Eritrea erfüllt leideralle negativen Kriterien – wirklich alle –, die man sichauf der Welt so vorstellen kann. Amnesty Internationalberichtet von 10 000 politischen Gefangenen; jede freieMeinungsäußerung wird drakonisch bestraft. Es fliehenso viele Menschen aus diesem Land, obwohl die zurück-bleibenden Familien mit Strafe bedroht sind. Das ist so.Diese Familien werden herausgefiltert. Es gibt offenbarsehr differenzierte Mechanismen, um herauszubekom-men, wer das ist. Diese Familien müssen am Ende mitRepressionen schlimmster Art rechnen. Es gibt keineParteien, keine freien Medien, erst recht keine internatio-nalen, keine Gewerkschaften, es gibt Folter und dras-tischste Haftbedingungen, die auch hier genannt wordensind.Verantwortlich dafür ist eine Clique in dem Land un-ter Präsident Isayas Afewerki. Auch das muss klar sein:Wir haben im internationalen Strafrecht leider noch nichtgenügend Möglichkeiten, aber wir müssen die bestehen-den Regeln des internationalen Strafrechts anwenden,um diesen Präsidenten und seine Clique zur Verantwor-tung zu ziehen; denn die Vereinten Nationen haben, wieich glaube, recht mit ihrer Einschätzung, dass es sich umVerbrechen gegen die Menschlichkeit handelt, die in Eri-trea verübt werden.Ich finde die Reiseplanung des Ministers interessantund bin einmal gespannt, was an Reiseaktivitäten zu-stande kommt. Ich bin mir ganz sicher, dass der Minis-ter, wenn diese Reise zustande kommt, eine klare An-sage zu all den Punkten macht, die wir hier miteinanderdiskutiert haben. Es ist leider richtig, wie gerade gesagtwurde: Das Land erfüllt leider überhaupt keine Voraus-setzung, um mit ihm in irgendeiner Art und Weise Ent-wicklungszusammenarbeit zu betreiben, weil vollkom-men sicher ist, dass jeder Cent, der dorthin fließt, in diefalschen Hände gerät.
Warum kommen eigentlich so viele Eritreer nachDeutschland? Das fragen sich ganz viele in meinemWahlkreis. Sie fragen: Warum aus Eritrea? Viele Leutewissen gar nicht, was da los ist. Ich glaube, etwas dage-gen getan zu haben, ist das Verdienst des UN-Berichts,aber auch der Anfrage der Grünen. Mittlerweile habendas Evangelische Missionswerk und andere entspre-chende Berichte vorgelegt. Auch die heutige Debatte istwichtig; denn wir brauchen Informationen. Wir müssenversuchen, die Lage so transparent wie möglich zu ma-
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Frank Schwabe
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chen; denn genau das will dieses Land auf keinen Fall.Dass unser Ansatz zum Teil funktioniert, habe ich fest-gestellt – ich nenne jetzt keine Namen –, als ich an einerdeutschen Botschaft war und dort über Eritrea diskutierthabe. Botschaftsmitarbeiter, die für Menschenrechtsfra-gen zuständig waren, haben mir gesagt: Na ja, das sinddoch eher soziale Gründe, die die Menschen aus Eritreanach Europa treiben. – Deswegen ist es wichtig, darüberzu informieren.Die Zahl ist bereits genannt worden: 360 000 Eritreerhalten sich in der Europäischen Union auf. Man musssich vor dem Hintergrund von gerade einmal 6 MillionenEinwohnern in diesem Land vorstellen, was das für einVerhältnis ist und wie weit damit Eritrea vor allen an-deren Ländern Afrikas ist, was die Flucht nachDeutschland und nach Europa angeht. In der Tat, Tau-sende dieser Flüchtlinge sterben im Mittelmeer. UnsereVerantwortung besteht neben der Benennung der Situa-tion in Eritrea darin, dafür zu sorgen, dass die Flücht-linge auf ihrem Weg nach Europa nicht sterben müssen.Wenn sie dann in Deutschland sind, brauchen sie eineChance, eine Perspektive. Die bekommen sie zum Teilleider auch nicht.Ich habe in der letzten Woche dem Standesamt vonCastrop-Rauxel die Geburt meiner Tochter gemeldet.Herr Grabosch hat mir gesagt – ich habe ihm verspro-chen, das zu benennen –, er habe es jetzt sehr häufig miteritreischen Familien zu tun, unter anderem mit einemPaar, das gerade ein Baby bekommen hat. Ein Problemist, das viele Eritreer oft leider kein Englisch sprechen.Wie denn auch? Es gibt in Eritrea gar keine Universitätmehr; sie sind alle geschlossen worden. Flüchtlinge ausEritrea sind häufig nicht einmal in der Lage, in Deutsch-land eine Eheschließung vorzunehmen oder ihre Kindernach der Geburt standesamtlich anzumelden. Ich glaube,auch da haben wir die Verantwortung, mit diesen Men-schen vernünftig umzugehen und der Öffentlichkeit zuerklären, warum Menschen aus Eritrea nach Deutsch-land kommen.Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
lege Tom Koenigs das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich stimme allem zu, was bisher gesagt wordenist. Die Schilderung der Situation in Eritrea könnte nichtdrastischer sein. Wie man sie letzten Endes auch be-schreibt – Gulag unter freiem Himmel, Nordkorea Afri-kas –, sie ist entsetzlich.Ich finde es gut, dass die Fraktionen der CDU/CSUund SPD diese Aktuelle Stunde aufgesetzt haben; dennso kommt es einmal zu einer Analyse der Fluchtursa-chen. Die Eritreer, die nach Deutschland kommen, ver-dienen Asyl und bekommen es auch. Das ist gut. Siehaben oft eine Art Weg zum Kalvarienberg durch äthio-pische Flüchtlingslager zurückgelegt, bis sie überhaupthierhergekommen sind. Manchmal sind sie nach Sinaiverkauft worden, wo sie grausigen Torturen unterworfenwurden. Viele sind durch den Sudan geflohen, sehr vieledurch die Wüste in Libyen. Letzten Endes waren sie im-mer wieder irgendwelchen Schleppern ausgesetzt, diebei ihren Verwandten anriefen und weiteres Geld ver-langten.Die Mehrzahl derer, die letzthin im Mittelmeer er-trunken sind, auch bei den großen Unfällen, waren Eri-treer. Wer es dann bis Italien geschafft hat, ist immernoch nicht sicher. Viele von denen, die von Italien nachDeutschland, übrigens in erstaunlich hoher Anzahl nachGießen, gekommen sind – es sind vor allem Jugendli-che –, beschreiben, dass sie auch auf dem Weg durch Eu-ropa von Verbrechen, Erpressung und auch sexueller Ge-walt begleitet worden sind. Die Durchgangsländer habenoft keinerlei Schutzsysteme – die europäischen Durch-gangsländer bieten oft noch ein bisschen mehr Schutz alsdie afrikanischen –; deshalb ist in den Durchgangslän-dern sehr viel zu tun.Ich möchte mich auf einen Punkt konzentrieren.Diese Flüchtlinge verdienen und bekommen Asyl, undwir wissen, dass sich die Situation in Eritrea nicht in dennächsten ein, zwei, drei Jahren ändern wird; hoffentlichdanach. Es dauert im Durchschnitt 11,2 Monate, bis dieFlüchtlinge eine Duldung oder Asyl haben. In diesen elfMonaten hängen sie – meist junge Männer, aber auchFrauen – in der Ungewissheit. Warum fangen wir dennnicht sofort mit Integrations- und Deutschkursen an?
Das sind doch genau die Leute, die wir hier brauchen.Und sagen Sie nicht: Die gehen ja irgendwann wieder,hoffentlich bald. – Das wären genau die Leute, die wirsonst für viel mehr Geld in der Entwicklungshilfe in denafrikanischen Ländern ausbilden, und sie könnten dortauch ihre Erfahrungen mit Demokratie einbringen.
Das wäre also entweder eine Entwicklungshilfe odereine Hilfe für uns, weil wir dann Experten hätten, dieausgebildet sind.Da müssen wir am ersten Tag anfangen,
zum Beispiel mit dem Zugang zum Gesundheitssystem,worüber immer noch verhandelt wird. Die Regelung zusicheren Drittstaaten haben Sie von der Koalition schnellgeschaffen, aber über die Gesundheitskarte wird immernoch verhandelt. Was ist denn? Nun lösen Sie das dochein!
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Tom Koenigs
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Oder: Deutschunterricht vom ersten Tag an! Die müssenDeutsch können, und sie lernen es auch. Es sind vieleunter denen, die schon eine Bildung haben. Arbeitsver-mittlung, soziale Betreuung, all das wird dringend ge-braucht.Noch eine andere Sache: Wenn diese Menschen hierim Rahmen der eritreischen Bürokratie Kontakt mit demKonsulat haben, müssen sie die Aufbausteuer, 2 Prozentvom Netto, zahlen, übrigens auch von dem, was sie nachdem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen. Auf un-sere Anfrage wurde geantwortet, das könne man nichtändern. Es kann doch nicht wahr sein, dass die eritrei-schen Behörden diese Leute in Deutschland abzockenund wir sagen: „Das können wir nicht kontrollieren“!Jede Frittenbude, die keinen Fettabscheider hat, machenwir zu. Und das können wir nicht kontrollieren? Daskann doch nicht wahr sein!
Ich glaube, da müssten wir uns ein bisschen mehrFlüchtlingsschutz überlegen.Ein Allerletztes. Ja, der Herr Bundesminister Müllerreist. Ich finde, man sollte auch mit dem Teufel reden.Hoffentlich redet er da deutliche Worte. Aber es gibtauch Peinlichkeiten. Die sollte er vermeiden. Thema„Auswärtige Kulturpolitik“: Der Botschafter hat einKonzert der Philharmonie Leipzig in Eritrea vermittelt.Sehr schön haben sie gespielt – am Nationalfeiertag. DieGeneräle und der Präsident saßen dabei: Hurra, dieDeutschen spielen! – Ich würde mir wünschen, dass HerrMüller eine solche Peinlichkeit vermeidet.Jeder Cent für dieses Land stützt die Diktatur, stütztdie Menschenrechtsverletzungen und dient nicht denÄrmsten der Armen, die dort im Land höchst zahlreichsind.Vielen Dank.
Der Kollege Martin Patzelt hat für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Meine sehr verehrten Besucher! Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich amAbend mit den beiden jungen Eritreern, mit denen ichunterdessen befreundet bin, am Küchentisch sitze, dannbeschreiben sie all das, was meine Vorredner hier be-schrieben haben. Das hat auch den Hintergrund, dass sieverzweifelt fragen, wie es ihren Schwestern geht, die ir-gendwo durch Nordafrika irren, und wie es ihren altenEltern geht, die sozusagen in Geiselhaft genommen wur-den, weil ihre Kinder verschwunden sind. Wenn wirdurch Deutschland fahren – ich nehme sie auf meinenFahrten nach Köln, nach Potsdam, nach Erfurt mit –,entdecken sie überall Gesichter aus Eritrea, ganz schnell.Wenn sie dann miteinander sprechen, dann sprechen sieüber ihr Elend, über ihre Heimat und über ihren dringen-den Wunsch, in diese Heimat einmal wieder zurückzu-können. – Das will ich Ihnen so mitteilen, weil das einIndiz dafür ist, dass es junge Menschen sind, die immernoch Hoffnung auf eine Zukunft ihres Landes haben.Was machen wir? Ich bin so froh und dankbar, dass esdiese Aktuelle Stunde gibt, dass wir immer wieder the-matisieren, dass wir Bewusstsein dafür schaffen, auch inder Öffentlichkeit, wie es den Menschen in der Weltgeht, wie es den Menschen in Eritrea geht.Wir haben gerade die Sitzung des Menschenrechts-ausschusses unterbrochen, um in dieser Aktuellen Stundemit über dieses Thema nachzudenken. Oft überfällt unseine Ohnmacht. Im Menschenrechtsausschuss erlebenwir die ganze Not der Welt. Sie wird uns dort – daswurde sehr gut recherchiert, zum Teil geht es dabei umselbst Erlebtes – sehr intensiv beschrieben bzw. vor Au-gen geführt. Man wird sprachlos. Auch empfindet manHilflosigkeit und fragt sich: Was sollen wir denn tun?Vor acht Jahren haben wir die wirtschaftliche Ent-wicklungshilfe für Eritrea eingestellt. Es war richtig,dass wir sie eingestellt haben. Auch ich bin der Mei-nung, dass bei einem solch verbrecherischen Regimekein Geld in dieses Land fließen darf. Die sich daran an-schließende Frage lautet: Welche Möglichkeiten habenwir denn eigentlich in der Hand, etwas zu tun? Resolu-tionen und Erklärungen reichen nicht. Wir dürfen aber– da gebe ich meinem Vorredner, Herrn Koenigs, sehrrecht – den Dialog nicht abbrechen lassen. Auch wennnur der kleinste gemeinsame Nenner vorhanden ist, müs-sen wir ihn führen. Dabei dürfen wir nicht unser Gesichtverlieren und kein falsches Zeugnis ablegen. Auch dür-fen wir nicht missdeutet werden können. Diesen Balan-ceakt können wir durchführen.Ich bin unserer Regierung sehr dankbar, dass sie diesePolitik bzw. diesen Balanceakt – ob bezogen auf Grie-chenland, Russland oder unsere Einsätze in Afrika bzw.Eritrea – immer wieder praktiziert und diesen schwerenWeg geht. Wir müssen klar und deutlich machen, dasswir als Deutsche das, was dort geschieht, nicht fassenkönnen und mit allen Möglichkeiten auf allen Ebenenenergisch gegen dieses tiefe menschliche Unrecht pro-testieren. Andererseits müssen wir die Betreffenden im-mer wieder mit den Möglichkeiten, die wir zur Verfü-gung haben, neu locken, drücken und zwingen, damit siein ihrem Land eine andere Entwicklung indizieren.Was haben wir für Möglichkeiten in der Hand? Wirhaben Geld. Wenn es nach mir ginge, würden wir dengesamten Solidarbeitrag dafür investieren. Das ist ein il-lusorischer Vorschlag, weil wir dafür niemals eine politi-sche Mehrheit finden würden. Ich will mit einer solchutopischen Forderung aber deutlich machen, dass wir inder Nähe dieser Länder in konzertierter Aktion einenachhaltige systematische Entwicklungshilfe schaffenmüssen, damit sie erkennen, dass Demokratie, wirt-schaftliche Entwicklung und vor allen Dingen Bildungdie Voraussetzungen dafür sind, dass sich die Verhält-nisse in ihren Ländern einmal ändern. Dafür gibt es vielzu wenig Zeugnisse und Beweise. Wir müssen uns, meine
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Martin Patzelt
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ich, auf die Strümpfe machen, um dort, wie gesagt, inkonzertierter Aktion – vielleicht mit allen europäischenStaaten zusammen – eine solche projektorientierte nach-haltige Entwicklungshilfe zu leisten. Wir wissen, wieschwer das ist. Schon beim Flüchtlingsgipfel haben wirbemerkt, wie schwer Positionen zusammenzubringensind. Das ist aber das größte Pfand, das wir in der Handhaben.Wir können deutlich, offen und unverkrampft zeigen,dass die Menschen freiwillig in unserem Land bleibenwollen, dass sie hier glücklicher sind, ein gesichertesEinkommen haben und sich sozial engagieren. Welchbesseren Beweis könnte man in diesen Ländern bzw.Kontinenten dafür erbringen, dass das der richtige Wegist? Wir sollten das – sozusagen wie einen Infekt – dorthintragen. Das kostet Mühe, Anstrengung und auchGeld.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen!
Auch ich möchte mit einer persönlichen Erfahrung be-
ginnen. Ich war vor Jahren auf einem Evangelischen
Kirchentag bei einem Workshop, wo es um Kriegs-
dienstverweigerung zur Zeit des Zweiten Weltkrieges
ging. Der Workshop wurde englischsprachig durchge-
führt. Am Schluss der Diskussion meldeten sich zwei
junge Männer und sagten: Wir kommen aus Eritrea. In
unserem Land besteht dieses Problem heute. – Sie frag-
ten, wie man unserer Meinung nach am besten mit der
Situation in einem Land umgeht, wo das Militär unter
dem Vorwand, dass man sich gegen einen großen, militä-
risch übermächtigen Nachbarn wehren müsse, die ganze
Bevölkerung unterwirft. Sie zogen den Schluss, dass
man in einer solchen Situation den Kriegsdienst verwei-
gern darf und muss. Das geht in einem Land wie Eritrea
aber nur, indem man flieht.
Sie haben sich in Frankfurt – ich glaube, Gießen ist
auch eingeschlossen – einer Exilorganisation eritreischer
Kriegsdienstverweigerer angeschlossen. Diese Exilorga-
nisation arbeitet seit vielen Jahren hier in Deutschland,
und sie hat sich international vernetzt. Sie hat letztes
Jahr eine Tagung in Pretoria unter dem Titel „Strategi-
sche Überlegungen über die politische und sozio-ökono-
mische Krise in Eritrea“ durchgeführt. Es ging um die
Frage, was die vielen in verschiedenen Exilländern le-
benden Eritreer zur Verbesserung der Situation beitragen
können, in dem Sinne, dass sie ein Konzept entwickeln,
wie ein demokratisches, ein wirtschaftlich nicht mehr
völlig dem Militär unterworfenes und damit für seine
Bewohner lebenswertes Eritrea aussehen könnte. Das
finde ich sehr interessant; denn das ist ein weiterer An-
satz, den wir haben, um eine Veränderung in Eritrea zu
bewirken. Dass wir nämlich nicht nur die, die als Flücht-
linge zu uns kommen, individuell unterstützen in der
Hoffnung, dass sie irgendwann in das Land zurückkeh-
ren können, sondern dass wir unter ihnen eine Diskus-
sion darüber befördern, sie darin unterstützen und be-
stärken, wie ein zukünftiges Eritrea aussehen könnte, ein
Eritrea, das wieder lebenswert ist und sich nicht nur über
eine militärische Bedrohung durch das Nachbarland
Äthiopien definiert.
In diesem Papier gibt es einige Hinweise, die ich ein-
mal zitieren möchte, weil sie exemplarisch dafür sind,
wie weitsichtig und klug diese Menschen sind, die sich
vor einem Jahr in Pretoria getroffen haben. Sie sprechen
darüber, dass es in ihrem Land vor und nach der Unab-
hängigkeit eine Kultur der Intoleranz und Straflosigkeit
gab und gibt. Sie sprechen darüber, dass man Mechanis-
men zur Konfliktlösung entwickeln muss, um in einem
solchen Land, in dem im Augenblick die einen die ande-
ren unterdrücken, anschließend wieder zusammenleben
zu können. Sie sprechen davon, dass in einem so autori-
tär strukturierten Land eine Beteiligung der Bevölkerung
auf Graswurzelebene gesichert werden muss. Sie spre-
chen von der Notwendigkeit eines ernsthaften Aussöh-
nungsprozesses unter Eritreerinnen und Eritreern. Sie
wollen Mechanismen finden, mit denen man den sozia-
len Zusammenhang im Land wiederherstellt und stärkt,
weil in diesem autoritären Regime alles kaputtgeht
– auch dies zeigt der Menschenrechtsbericht –, was es an
sozialem, an menschlichem Zusammenhang gibt. Und
– auch das finde ich interessant – sie sprechen davon,
dass die Rolle von einheimischen Strukturen und Bräu-
chen für einen Versöhnungsprozess unter Eritreerinnen
und Eritreern auf der Ebene der Sippen und Gemein-
schaften gefunden werden muss, also genau das, was wir
in Bezug auf andere Konfliktregionen in der Welt auch
sagen. Die Lösungen müssen aus der eigenen Tradition,
aus der eigenen Kultur heraus kommen. Die Lösungen
können nicht von außen aufgestülpt werden.
Ich wünsche mir, dass wir einen Weg finden, diesen
Diskussionsprozess, der nicht nur in Deutschland statt-
findet, sondern nach der Erklärung, die von Eritreerin-
nen und Eritreern aus Afrika, Australien, Europa und
Nordamerika verfasst ist, offensichtlich auf mindestens
vier Kontinenten stattfinden kann, zu unterstützen und
zu stärken.
Danke schön.
Der Kollege Thorsten Frei hat für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Menschenrechtsbericht der Vereinten Nationen vom
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Thorsten Frei
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vergangenen Montag hat deutlich vor Augen geführt,welche Zustände in Eritrea herrschen, hat deutlich vorAugen geführt, wie hier ein Volk geknechtet wird undvon einem Despoten terrorisiert wird. Vieles von dem,was wir in dem 500-seitigen Bericht lesen können undwas viele Kollegen im Rahmen dieser Debatte durchde-kliniert haben, ist erschreckend, aber leider nicht wirk-lich überraschend. Auch wenn es viele westliche Politi-ker noch in den 1990er-Jahren gegeben hat, die geglaubthaben, dass Afewerki sozusagen ein fortschrittlicherHoffnungsträger für Afrika sein könnte, wissen wirheute, dass er nichts anderes als ein lupenreiner Diktatorist, der mit einem perfiden Überwachungs- und Sicher-heitssystem und eiserner Hand mehr als jeder andereDespot in Afrika sein Volk terrorisiert und in Angst undSchrecken versetzt, und das alles unter dem Deckmantelder Sicherung der Unabhängigkeit von Äthiopien, derGrenzstreitigkeiten mit Dschibuti, den schwierigen Ver-hältnissen mit eigentlich der kompletten Nachbarschaftvon Eritrea. All das ist letztendlich ein Deckmantel da-für, dass sich das Land seit 1997 de facto in einem Dau-erausnahmezustand befindet, die Menschen nicht an denpolitischen Prozessen beteiligt sind, es keine unabhän-gige Justiz gibt, es seit 1996 mit Militärrichtern besetzteSondergerichte gibt, die jeden Fall an sich ziehen kön-nen, wo dann keine Anwälte und auch keine Rechtsmit-tel zugelassen sind.Wenn man solche Zustände hat, meine sehr verehrtenDamen und Herren, dann ist das ein Failed State undnichts anderes. Eritrea ist insofern vielleicht ein Sonder-fall, als es ein Failed State nicht aufgrund von Kriegenoder Bürgerkriegen und nicht aufgrund von Naturkata-strophen oder, wie wir es in der Region sehr häufig erle-ben, aufgrund fehlender Staatlichkeit ist. Nein, es gibtdort Staatlichkeit, aber eben fehlgeleitete Staatlichkeit.Das macht es wahrscheinlich für uns so schwierig – dashat die Debatte gezeigt –, Lösungsansätze zu finden.Es ist geschildert worden, unter welchen erbärmli-chen Umständen die Menschen dort leben und wie sehrdas System die Menschen terrorisiert: dass es keine freiePresse gibt, dass es Opposition nur im Untergrund gibt,dass es keine Zivilgesellschaft gibt, dass es Verhaftun-gen und Hinrichtungen gibt, dass es dort 10 000 politi-sche Gefangene gibt, wie Amnesty International sagt,dass es – wenn man sich die Lebenserwartung in diesemLand anschaut – im Prinzip einen unbegrenzten Militär-dienst gibt, dass es Zwangsarbeit und Sklaverei gibt. So-mit ist klar, warum wir in Europa mit den Folgen kon-frontiert sind und die Menschen hierherkommen: auslauter Verzweiflung und weil sie keinen Ausweg aus ih-rer Situation sehen. Auch hier sind die Zahlen – sie sindgenannt worden – wirklich alarmierend. Ein Viertel derBevölkerung hat das Land, das weniger als 6 MillionenEinwohner hat, bereits verlassen. In Europa gibt es360 000, in Deutschland etwa 70 000 registrierte Flücht-linge aus Eritrea. Jeden Monat verlassen 3 000 bis5 000 Menschen das Land. Dies macht deutlich, unterwelchen Voraussetzungen die Menschen dort leben.Uns ist natürlich auch bewusst, dass das, was wir se-hen – die registrierten Zahlen, die ich gerade referierthabe –, letztlich nur die Spitze des Eisbergs ist. DieMenschen, die die wirtschaftliche Kraft aufbringen,Schlepperbanden zu bezahlen und Visa zu besorgen, undkörperlich in der Lage sind, den Treck durch Kriegs- undBürgerkriegsgebiete in Afrika, durch die Wüste bis andie libysche Küste zu nehmen oder etwa über die Sinai-Halbinsel zu fliehen, werden häufig von Banden gefan-gen genommen – es ist beschrieben worden – und inContainern gehalten. Ihnen werden Organe herausgeris-sen, die anschließend verkauft werden. Die Familienan-gehörigen, die zurückgeblieben sind, werden erpresst.Das sind die Zustände, mit denen wir dort konfrontiertsind.Deshalb ist klar, dass wir versuchen müssen, mit denwenigen Möglichkeiten, die wir haben, dazu beizutra-gen, die Situation zu verbessern. Ich bin davon über-zeugt, dass es richtig ist, die UN-Sanktionen und auchdas Waffenembargo aufrechtzuerhalten, dass es darüberhinaus richtig ist, nach Möglichkeit zu verhindern, dasssich dieses Land Devisen beschafft. Wir haben darübergesprochen, dass es eine zweiprozentige Aufbausteuerfür Exilanten gibt. Sie ist immerhin die zweitwichtigsteEinnahmequelle der Regierung. Die wichtigste Einnah-mequelle sind die Rohstoffe. Wir sollten auch die außen-politischen Möglichkeiten nutzen, etwa über den Sudan,in dem wir engagiert sind und der das einzige Land ist,das halbwegs vernünftige Beziehungen zu Eritrea hat.Wir sollten auch die Äthiopier darin bestärken, den Ent-spannungskurs fortzusetzen,
damit es möglich wird, den Verfassungsprozess von1997 wieder aufzunehmen und letztlich – es ist gesagtworden – der Regierung von Eritrea das letzte Deckmän-telchen an Legitimität zu entreißen. Das, glaube ich, sinddie wenigen Möglichkeiten, die wir aber entschlossennutzen sollten.Herzlichen Dank.
Der Kollege Johannes Selle hat abschließend für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie meineVorredner schon detailliert ausgeführt haben, sind dieSchilderungen des Berichtes der Vereinten Nationen zurMenschenrechtssituation in Eritrea erschreckend. Siezeugen von einem Machtwillen, der ohne Rücksicht aufdas Schicksal der Menschen im Lande durchgesetztwird. Die drastischen Sanktionen der Vereinten Nationenmit einer De-facto-Ächtung des Regimes bleiben wir-kungslos. Irgendwann wird die internationale Gemein-schaft ernsthaft über wirksamere Instrumente diskutierenmüssen.
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Johannes Selle
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Der Präsident Eritreas hat in über 20 Jahren nichts zu-stande gebracht, um die materielle Lage seines Volkes zuverbessern. Offensichtlich ist er nicht willens dazu. Ent-sprechende Angebote auch aus Deutschland hat es im-mer wieder gegeben, aber eben nur unter der Bedingung,dass sich die Menschenrechtslage verbessert. Wen wun-dert es, dass die auf Autarkie getrimmte Wirtschaftspoli-tik das Land ruiniert hat?Der Präsident hat ein Regime aufgebaut, das auf dieabsolute Kontrolle bis in die kleinsten Winkel des Lan-des und bis in die banalste Alltagssituation in der Gesell-schaft ausgelegt ist. Weder gibt es eine Opposition, nichteinmal im Untergrund, noch andere Ansätze einer zivil-gesellschaftlichen Bewegung. Kooperationen mit aus-ländischen Organisationen finden so gut wie nicht statt.Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Gesell-schaft, die in eine Isolation gezwungen ist, wie wir sievielleicht nur noch aus Nordkorea kennen.Immer wieder müssen wir uns die Frage stellen: Waskönnen wir unternehmen, um das Regime zum Ein-lenken zu bewegen und den Menschen zu helfen? FürEntwicklungspolitiker ist die Einstellung der Entwick-lungszusammenarbeit, zumal bei einem so niedrigenEntwicklungsstand, immer schmerzhaft. Dann rückenVerbesserungen erst recht in weite Ferne. Wegen der un-haltbar gewordenen Zustände musste die bilateraleZusammenarbeit mit Eritrea bereits 2007 eingestelltwerden. Selbst die sonst in vielen Fällen mögliche För-derung nichtstaatlicher Akteure von außen ist im FalleEritreas nicht möglich; denn erstens gibt es aufgrund derUnterdrückung keine zivilgesellschaftliche Bewegung,die gefördert werden könnte, und zweitens sind Organi-sationen, die eine solche Unterstützung leisten können,in Eritrea nicht zugelassen.Wir dürfen nicht aufgeben, Eritrea im multilateralenKontext der EU zum Einlenken zu bewegen. Bis 2020sind im Europäischen Entwicklungsfonds 200 MillionenEuro für Eritrea vorgesehen. Im Gegensatz zu meinemlinken Kollegen habe ich nicht so ein furchtbares Bildvon der Europäischen Union. Aber das Geld darf natür-lich nicht unkonditioniert vergeben werden, das ist klar,und das werden wir auch nicht tun.Wenn wir uns fragen, was wir tun können, dann müs-sen wir thematisieren, dass Eritrea Ausgangsland einermassiven Flüchtlingsbewegung ist. Die beschriebenenmassiven Menschenrechtsverletzungen zwingen jedenMonat Tausende Eritreer zur Flucht. Gegenüber 2013wurde in 2014 eine Steigerung der Anzahl von Flüchtlin-gen von 153 Prozent festgestellt. Ein Teil davon tritt diegefährliche Weiterreise gen Norden an.In unserer Kreisstadt gab es eine öffentliche Veran-staltung mit jungen Eritreern zu ihrer dramatischenFlucht, bei der sie mehrfach vom Tode bedroht waren:beim Übertritt der Grenze, bei der Flucht durch dieWüste und dann bei der gefährlichen Fahrt über das Mit-telmeer. Ein Großteil verbleibt jedoch in den Staaten, indenen die Menschenrechtssituation zwar auch nicht un-bedingt zufriedenstellend ist, aber immerhin haben siedort das Recht, zu leben und zu arbeiten. Das, liebe Kol-leginnen und Kollegen, kann meines Erachtens ein An-satzpunkt sein. Die Hilfe zur Integration der Flüchtlingein den Erstaufnahmeländern wird auch im Empfehlungs-kapitel des VN-Berichtes hervorgehoben. Das ist eineAufgabe, der sich die Entwicklungspolitik annehmenkann.Lassen Sie uns den Menschen, die in der Region blei-ben, eine Perspektive geben. Diese Menschen mit einerPerspektive können dann auch ein Gegengewicht zumRegime in Asmara bilden und zurückkehren, wenn dieLage in der Heimat dies zulässt. Das BMZ unterstütztdas punktuell schon in Äthiopien. Wir müssen diesenAnsatz offensiv und im europäischen Kontext auf dieZehntausende von Flüchtlingen im Sudan ausdehnen,die bislang ohne Hilfe bleiben und daher gezwungener-maßen andere Wege aus ihrer Situation suchen. Der Su-dan hat mir gegenüber auf Ministerebene einem dauer-haften Bleiberecht zugestimmt. Lassen Sie uns tun, waswir tun können.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 11. Juni 2015,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.