Protokoll:
18106

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 106

  • date_rangeDatum: 21. Mai 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:59 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/106 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 106. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Claudia Roth (Augsburg) und Dr. Egon Jüttner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10033 A Wahl des Abgeordneten Christian Petry als Mitglied des Finanzmarktgremiums . . . . . . 10033 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10033 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 21, 26 und 33g . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10034 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 10034 B Begrüßung des Präsidenten des Abgeordne- tenhauses des Parlaments der Tschechischen Republik, Herrn Jan Hamáček . . . . . . . . . . . . 10051 D Tagesordnungspunkt 4: Eidesleistung des Wehrbeauftragten . . . . . 10034 C Präsident Dr. Norbert Lammert . . . . . . . . . . . 10034 C Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . 10034 D Tagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Gipfel Östliche Part- nerschaft am 21./22. Mai 2015 in Riga, zum G-7-Gipfel am 7./8. Juni 2015 in Elmau und zum EU-CELAC-Gipfel am 10./11. Juni 2015 in Brüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10035 A Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10035 B Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10038 D Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 10041 D Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10044 C Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10047 A Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10049 A Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10050 B Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10051 D Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 10052 D Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10054 C Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10055 C Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10056 D Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen und umfassend regulieren Drucksache 18/4839 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10058 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 10058 C Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10059 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10061 C Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10062 D Albert Stegemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10064 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10065 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10066 C Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10067 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10069 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10071 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10071 C Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10072 C Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10074 A Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) . . . . . . 10076 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 10077 D Tagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Prinzipien des deutschen Bil- dungswesens stärken – Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung durch- setzen Drucksache 18/4928 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10079 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Berufsbildungsbericht 2015 Drucksache 18/4680 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10079 D c) Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbildungsquali- tät sichern – Gute Ausbildung für alle schaffen Drucksache 18/4931 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10079 D d) Antrag der Abgeordneten Beate Walter- Rosenheimer, Brigitte Pothmer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit einer echten Ausbildungsgarantie das Recht auf Ausbildung umsetzen Drucksache 18/4938 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10080 A Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10080 A Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 10081 D Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10083 D Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10085 B Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10086 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10088 A Dr. Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10088 D Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10089 D Gabriele Katzmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10090 D Uda Heller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10091 D Tagesordnungspunkt 33: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Fischetikettie- rungsgesetzes und des Tiergesund- heitsgesetzes Drucksache 18/4892 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10093 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Rechtsstellung und Aufga- ben des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMRG) Drucksache 18/4893 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10093 A c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge- setzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Straf- sachen Drucksache 18/4894 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10093 B d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu der Vereinbarung vom 1. April 2015 über die Beteiligung Islands an der gemeinsamen Erfüllung der Ver- pflichtungen der Europäischen Union, ihrer Mitgliedstaaten und Islands im zweiten Verpflichtungszeitraum des Protokolls von Kyoto zum Rahmen- übereinkommen der Vereinten Natio- nen über Klimaänderungen (Vereinba- rung zur gemeinsamen Kyoto-II- Erfüllung mit Island) Drucksache 18/4895 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10093 B e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 17. Sep- tember 2012 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Repu- blik Tansania über den Fluglinienver- kehr Drucksache 18/4896 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10093 B f) Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Maria Klein-Schmeink, Beate Walter- Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Für eine menschenrechtsorien- tierte Umsetzung der Flüchtlingsauf- nahmerichtlinie der EU Drucksache 18/4691 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10093 C h) Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Richtlinien zum Schutz von Schulen und Hochschulen vor militäri- scher Nutzung in einem bewaffneten Konflikt umsetzen Drucksache 18/4939 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10093 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 III Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Entgeltgleichheit gesetzlich durch- setzen Drucksache 18/4933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10094 A Tagesordnungspunkt 34: a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz: Übersicht 5 – über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfas- sungsgericht Drucksache 18/4962 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10094 B b)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188 und 189 zu Petitionen Drucksachen 18/4827, 18/4828, 18/4829, 18/4830, 18/4831, 18/4832, 18/4833, 18/4834, 18/4835 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10094 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Heiz- kosten sparen – Energiewende im Gebäu- debereich und im Quartier voranbringen Drucksachen 18/575, 18/2715 . . . . . . . . . . . . 10095 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Koalitionsfrak- tionen zur Freigabe der NSA-Selektoren- liste im Hinblick auf mögliche Ausspähun- gen von Wirtschaft und Politik . . . . . . . . . . 10095 C Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10095 C Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 10097 A Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10098 D Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10100 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 10101 B Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10102 D Dr. Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 10103 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10105 A Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10106 B Susanne Mittag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10108 B Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 10109 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10111 B Tagesordnungspunkt 8: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung ei- nes Nachtrags zum Bundeshaushalts- plan für das Haushaltsjahr 2015 (Nach- tragshaushaltsgesetz 2015) Drucksachen 18/4600, 18/4950, 18/4951 . 10112 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von In- vestitionen finanzschwacher Kommu- nen und zur Entlastung von Ländern und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern Drucksachen 18/4653 (neu), 18/4975 . . . 10112 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesverantwortung wahr- nehmen – Kommunen bei Unterbrin- gung von Flüchtlingen und Asylbewer- bern sofort helfen und Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Leistungsbe- rechtigte schrittweise übernehmen Drucksachen 18/3573, 18/4118 . . . . . . . . 10113 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Katja Dörner, Oliver Krischer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Heute für morgen inves- tieren – Damit unsere Zukunft nachhal- tig und gerechter wird Drucksachen 18/4689, 18/4974 . . . . . . . . 10113 A Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10113 B Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 10114 B Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10115 D Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10116 D Norbert Brackmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10118 A Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10119 A Ulrike Gottschalck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10119 B Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 10120 B IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutschlandstipendium ab- schaffen – Stipendienförderung und Stu- dienfinanzierung stärken Drucksache 18/4692 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10122 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10122 B Sybille Benning (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10123 C Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10126 C Marianne Schieder (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 10127 C Cemile Giousouf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10129 A Martin Rabanus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10131 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10132 B Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 10133 A Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: zu dem Vorschlag für eine Verord- nung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Fonds für strategische Investitionen und zur Än- derung der Verordnungen (EU) Nr. 1291/ 2013 und (EU) Nr. 1316/2013 – KOM(2015) 10 endg.; Ratsdok. 5112/15 – hier: Stellung- nahme gegenüber der Bundesregierung ge- mäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgeset- zes – Dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen zum Erfolg ver- helfen Drucksache 18/4929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10133 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE: Für ein öffentliches sozial- ökologisches Zukunftsinvestitionspro- gramm in Europa Drucksache 18/4932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10133 D Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10134 A Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 10135 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . . . 10136 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10137 C Ronja Schmitt (Althengstett) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10138 B Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10139 C Katrin Albsteiger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10140 C Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Thomas Nord, Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über die Finanzierung der Beseitigung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland (Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz – RüstAltFG) Drucksache 18/4841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10141 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 10141 D Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10143 A Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10144 A Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . . 10145 B Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10146 C Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10147 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10148 A Tagesordnungspunkt 12: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ope- ration Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkom- mens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Okto- ber 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012, 2125 (2013) vom 18. November 2013, 2184 (2014) vom 12. November 2014 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbin- dung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäi- schen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/GASP des Ra- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 V tes der EU vom 7. Dezember 2010, dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 und dem Be- schluss 2014/827/GASP vom 21. No- vember 2014 Drucksachen 18/4769, 18/4964 . . . . . . . . 10149 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4976 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10149 C Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10149 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10150 C Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 10151 D Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10153 A Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10154 B Wolfgang Hellmich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10155 A Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10156 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 10157 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10161 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübin- gen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wertstoffge- setz jetzt vorlegen Drucksache 18/4648 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10157 C Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10157 C Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10158 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10163 B Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10164 C Tagesordnungspunkt 14: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Vereinten Nationen geführten Mission UNMIL in Liberia auf Grund- lage der Resolution 1509 (2003) und nachfolgender Verlängerungsresolutio- nen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, zuletzt Resolution 2190 (2014) vom 15. Dezember 2014 und der Resolution 2215 (2015) vom 2. April 2015 Drucksachen 18/4768, 18/4965 . . . . . . . . 10166 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4977 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10166 B Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10166 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 10167 D Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 10168 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10170 A Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10170 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 10171 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10173 C Tagesordnungspunkt 15: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10171 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Michael Leutert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenrechte in Mexiko schüt- zen, Verhandlungen zum Sicher- heitsabkommen aussetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschenrechtslage in Mexiko Drucksachen 18/3548, 18/3552, 18/3952 . . . 10172 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Hans-Christian Ströbele, Irene Mihalic, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherheitsabkommen brau- chen Standards Drucksachen 18/3553, 18/3933 . . . . . . . . 10172 A Gabriela Heinrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 10172 B Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 10176 A Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10177 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10177 D Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . 10178 C Tagesordnungspunkt 16: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurfs eines Zweiten Geset- VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 zes zur Änderung des Erneuerbare- Energien-Gesetzes Drucksachen 18/4683, 18/4968 . . . . . . . . 10179 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksachen 18/4891, 18/4968 . . . . . . . . 10179 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Europarechtskon- forme Regelung der Industrievergünsti- gungen auf stromintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb begrenzen und das EEG als kosteneffizientes Instru- ment fortführen Drucksachen 18/291, 18/515 . . . . . . . . . . . . . 10179 D Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10180 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 10181 C Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10182 C Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10184 D Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Cem Özdemir, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verfolgt, ver- trieben, vergessen – Völkermord an den Rohingya verhindern Drucksachen 18/2615, 18/3951 . . . . . . . . . . . 10186 C Angelika Glöckner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 10186 D Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10188 A Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10188 D Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10190 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . 10190 C Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Un- terhaltssicherung sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/4632, 18/4851 . . . . . . . . 10191 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4852 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10192 A Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Dr. Axel Troost, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für ein internatio- nales Staateninsolvenzverfahren – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Resolution der Vereinten Nationen für ein multilaterales Rahmenwerk zur Re- strukturierung von Staatsschulden um- setzen – Jetzt aktiv den Arbeitsprozess der Vereinten Nationen mitgestalten Drucksachen 18/3743, 18/3916, 18/4233 . . . 10192 B Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts über das Inver- kehrbringen, die Rücknahme und die um- weltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten Drucksache 18/4901 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10192 C Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Stephan Albani, Anette Hübinger, Albert Rupprecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Forschung und Entwicklung für die Bekämpfung von vernachlässigten armutsassoziierten Erkrankungen stärken Drucksache 18/4930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10192 D Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Ände- rung des Bundesverfassungsgerichtsgeset- zes (9. BVerfGGÄndG) Drucksachen 18/2737, 18/4963 . . . . . . . . . . . 10193 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 VII Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10193 B Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10194 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . 10194 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10195 D Dr. Katarina Barley (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10196 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10197 B Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften Drucksachen 18/4201, 18/4961. . . . . . . . . . . . 10198 B Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenord- nung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschrif- ten Drucksache 18/4902 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10198 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10198 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 10199 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Monika Lazar, Peter Meiwald, Corinna Rüffer und Hans- Christian Ströbele (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Be- kämpfung der Piraterie vor der Küste Soma- lias (Tagesordnungspunkt 12) . . . . . . . . . . . . . 10199 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften (Tagesord- nungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10200 A Wilfried Lorenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10200 A Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10201 A Dr. Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . 10201 C Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . 10202 B Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10203 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Für ein internationales Staateninsolvenz- verfahren – Resolution der Vereinten Nationen für ein multilaterales Rahmenwerk zur Restruktu- rierung von Staatsschulden umsetzen – Jetzt aktiv den Arbeitsprozess der Verein- ten Nationen mitgestalten (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 10203 C Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10203 C Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10205 A Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 10206 A Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 10207 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10207 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Ent- sorgung von Elektro- und Elektronikgeräten (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 10208 D Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . 10208 D Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . 10209 C Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10210 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10211 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10211 D Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10212 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Forschung und Entwicklung für die Bekämpfung von vernachlässigten armuts- assoziierten Erkrankungen stärken (Tagesord- nungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10213 D Stephan Albani (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10213 D VIII Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10214 D Dr. Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . 10215 D René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10216 C Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 10217 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10218 C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Interna- tionalen Erbrecht und zur Änderung von Vor- schriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften (Tagesordnungspunkt 24) 10219 C Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . 10219 C Dr. Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10220 C Dennis Rohde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10221 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 10222 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10223 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur An- passung der Abgabenordnung an den Zoll- kodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Tagesordnungs- punkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10224 A Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10224 A Dr. Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . 10224 D Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 10226 A Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10226 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10227 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10033 (A) (C) (D)(B) 106. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 Beginn: 9.00 Uhr
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    1) Anlage 7 2) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10199 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht (D) Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.05.2015 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.05.2015 Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.05.2015 Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 21.05.2015 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 21.05.2015 Bülow, Marco SPD 21.05.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.05.2015 Groneberg, Gabriele SPD 21.05.2015 Grundmann, Oliver CDU/CSU 21.05.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 21.05.2015 Hintze, Peter CDU/CSU 21.05.2015 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 21.05.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.05.2015 Lach, Günter CDU/CSU 21.05.2015 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 21.05.2015 Pflugradt, Jeannine SPD 21.05.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 21.05.2015 Schwabe, Frank SPD 21.05.2015 Spiering, Rainer SPD 21.05.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Monika Lazar, Peter Meiwald, Corinna Rüffer und Hans-Christian Ströbele (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU- geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesord- nungspunkt 12) Den Antrag der Bundesregierung lehnen wir ab und stimmen mit Nein. Wir halten den Einsatz der Bundes- wehr im Golf von Aden und im ganzen Indischen Ozean politisch für falsch und nicht notwendig zum Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms vor Piraterie. Vor allem war er von Anfang an nicht das letzte mögliche Mittel, die Ultima Ratio, um die Schiffe zu schützen und Piraterie wirksam zu bekämpfen. In der Begründung zum Mandat erklärt die Bundesre- gierung, dass die niedrige Zahl der versuchten Über- griffe auf Handelsschiffe eine Folge der ständigen Prä- senz der Kriegsschiffe im Golf von Aden sei. Wie im Vorjahr wird diese Behauptung nicht belegt. Es ist eine falsche Annahme. Denn zivile Maßnahmen wie das Einhalten der sogenannten Best Management Practices – Fahren im Konvoi oder mit hoher Geschwin- digkeit sowie die Absicherung von Reling und Außen- bord, etwa durch Stacheldraht, und das Anbringen von Scheinwerfern – haben die Piratenangriffe verhindert. Die Bundesregierung hat bestätigt, dass kein einziges Schiff von Piraten aufgebracht wurde, das sich an diese Regeln gehalten hat. Das gilt gerade auch für den Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms. In einem Gutachten des In- stituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg wird empfohlen, den Schutz dieser Transporte von Hilfsgütern und Nahrungsmitteln nach Somalia dadurch zu verbessern, dass das WFP mit bes- seren und schnelleren Schiffen ausgestattet wird. Zum neunten Mal entscheidet sich der Bundestag nun schon für diesen Kriegseinsatz, der aber letztlich nur die Symptome der Piraterie bekämpft. Deren Ursachen hin- gegen, die man nur politisch angehen kann, werden im- mer noch weitgehend ignoriert. In Somalia herrschen Armut, Hunger, Gewalt und politische Unsicherheit. Ein Grund für Hunger und Armut ist die Überfischung der Gewässer vor Somalia. Modern ausgestattete Fangflot- ten aus der EU, Japan oder Taiwan rauben den lokalen Fischern die Existenzgrundlage. Zusätzlich kommt es durch illegale (Gift-)Müllentsorgung vor der Küste So- malias zu massivem Fischsterben, und Menschen er- kranken. Kriegsschiffe und Militäreinsätze sind nicht das rich- tige Mittel, um die Piraterie und ihre Ursachen zu be- kämpfen. Atalanta beeinflusst auch die europäische Debatte da- rum, wie mit der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer umgegangen werden sollte: Die EU-Kommission schlug jüngst vor, sich dabei an Atalanta zu orientieren. Dies Anlagen 10200 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) zeigt die drohende Militarisierung der europäischen Flüchtlingspolitik. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften (Ta- gesordnungspunkt 18) Wilfried Lorenz (CDU/CSU): Auch in der abschlie- ßenden zweiten und dritten Lesung der konstitutiven Neu- fassung des Unterhaltssicherungsgesetzes, USG, komme ich nicht umhin, den Blick auf die Besonderheiten der deutschen Sprache zu lenken, die gelegentlich Irritatio- nen hervorrufen. Die in unserem Sprachraum verbrei- tete, nicht selten mehrere Textzeilen füllende Aneinan- derreihung einer Vielzahl von Substantiven findet sich auch im Wort Bundeswehrattraktivitätssteigerungsge- setz. Von diesem Regelungswerk hat schon jeder gehört. Über das Unterhaltssicherungsgesetz wird dagegen kaum berichtet. Zugegeben, die Wortzusammenstellung lässt auf den ersten Blick eher an Unterhalt für die ge- schiedene Ehefrau oder Alimente für Kinder denken. Doch es liegt nun an uns allen, deutlich zu machen, dass das USG zu Unrecht weniger im Fokus der Öffentlich- keit steht. Denn die Reservedienst- und freiwillige Wehrdienstleistenden, um die es geht, leisten denselben Dienst wie die aktiven Soldatinnen und Soldaten, für die das Attraktivitätssteigerungsgesetz geschaffen wurde. Das Gesetz, das wir heute beschließen, sollte treffen- der Reservedienst- und Freiwilligwehrdienstleistendeun- terhaltssicherungsgesetz – RDLFWDLUSG – heißen. Auf diese Weise wären nicht nur noch mehr Substantive in einem durchaus beachtlichen Wortungetüm unterge- bracht und eine stattliche Abkürzung kreiert. Es würde auch etwas klarer, welche Inhalte sich dahinter verber- gen: Erstens. Regelungen, die spiegelbildlich als logische gesetzgeberische Fortführung des Bundeswehrattraktivi- tätsgesetzes, auch den Dienst von Reservistinnen und Reservistinnen wie freiwilligen Wehrdienstleistenden at- traktiver gestalten sollen. Zweitens. Vorschriften, die die Durchführung des Ge- setzes von den Ländern auf den Bund übertragen und beim Bundesamt für das Personalmanagement der Bun- deswehr in einer Hand zusammenfassen; zuständig sind ab 1. November 2015 also nicht mehr die Unterhaltssi- cherungsstellen auf lokaler Ebene. Drittens. Die Zusammenfassung und Vereinfachung aller Leistungen für Reservedienstleistende, die bislang auch im Wehrsoldgesetz, WSG, geregelt waren, zu ei- nem Anreizsystem. Der gesetzliche Handlungsbedarf erschließt sich be- reits aus der Tatsache, dass das derzeit gültige USG noch aus dem Jahr 1957 stammt und zuletzt 1990 geändert wurde. Vor allem neue demografische Anforderungen an die Bundeswehr machen Änderungen als Teil der Attrak- tivitätsagenda erforderlich. Die deutschen Streitkräfte sind – spätestens seit Aus- setzung der Wehrpflicht – einsatzfähig, wenn genügend qualifizierte Reservedienstleistende aus allen Bereichen der Gesellschaft und aus allen Berufsgruppen gewonnen und gehalten werden können. Bundeswehrattraktivitäts- steigerungsgesetz und Unterhaltssicherungsgesetz sind daher als Gesamtprojekt zur Steigerung von Attraktivität und Leistungsfähigkeit der Bundeswehr zu sehen. Um bisherige Benachteiligungen zu beseitigen, ent- hält das neue USG wesentliche Änderungen: Erstens eine angemessene Erhöhung der Mindestleis- tungen für Reservistinnen und Reservisten auf ein Ni- veau in Höhe mindestens der Nettobesoldung aktiver Soldatinnen und Soldaten gleichen Dienstgrades; Min- destleistungen dienen der Sicherung des Einkommens während des Dienstes – daher die Begrifflichkeit Unter- haltssicherung; durch deren Erhöhung erreichen wir eine Gleichbehandlung von Reservisten und Aktiven. Zweitens können Reservedienstleistende ihren Dienst künftig ohne Gehaltseinbußen tun. Dies gilt auch für Re- servisten mit höherem zivilem Einkommen. Sie erhalten zusätzlich Wehrsold und gegebenenfalls Verpflichtungs- prämien. Reservisten im gleichen Dienstgrad, aber mit unterschiedlicher ziviler Qualifikation erhalten eine un- terschiedliche Entschädigung entsprechend ihrem zivi- len Einkommen. Für Selbstständige werden die Sätze er- höht und der Nachweisaufwand verringert. Drittens wird der Unterhalt von Familienangehörigen freiwillig Wehrdienstleistender durch Nachvollzug von Änderungen im Unterhaltsrecht gesichert, so die Gleich- stellung nichtehelicher und ehelicher Kinder sowie die Aufnahme der Unterhaltsansprüche von Müttern und Vätern nichtehelicher Kinder. Spiegelbildlich zum Bundeswehrattraktivitätssteige- rungsgesetz haben wir mit dem neugefassten USG einen weiteren gesetzlichen Baustein zu mehr Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr – hier vor allem des Reser- vedienstes – geschaffen. Bisherige Benachteiligungen gegenüber aktiven Soldaten sind beseitigt. Und wir haben Anreize geschaffen, sich für den Dienst in der Bundeswehr zu entscheiden, dort zu bleiben und als Multiplikatoren in die Gesellschaft hineinzuwirken. Doch der Mensch lebt bekanntlich nicht vom Brot al- lein. Und so bedeutet mehr Attraktivität des Dienstes her- zustellen auch, mehr Anerkennung und Wertschätzung des Dienstes in den Streitkräften in unserer Gesellschaft zu verankern. Wir werden hier nicht stehen bleiben, son- dern weiter an Verbesserungen arbeiten, wo nötig. Dazu gehört, dass wir – wie beim Attraktivitätssteige- rungsgesetz – auch zusätzliche Haushaltsmittel zur Ver- fügung stellen werden. Für die Erhöhung der Leistungen werden derzeit zusätzliche Mittel in Höhe von jährlich 11,9 Millionen Euro veranschlagt. Für die Gesetzes- durchführung dürften zusätzlich Kosten von 4,25 Millio- nen Euro hinzukommen. Das sind Gesamtkosten von Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10201 (A) (C) (D)(B) 16,15 Millionen Euro, die sich für unser aller Sicherheit – immateriell wie materiell – weit mehr als bezahlt ma- chen werden. Denn unsere Soldatinnen und Soldaten, Aktive wie Reservisten, wissen dann endlich, dass wir es ernst meinen, wenn wir sagen: Sie sind uns wichtig! Vor Ihrem Dienst für unser Land stehen wir mit größtem Respekt und werden alles dafür tun, dass Sie diesen un- ter den besten Bedingungen und mit der besten Ausrüs- tung leisten können. Julia Obermeier (CDU/CSU): Seit Beginn dieser Legislaturperiode haben wir eine Häufung krisenhafter Entwicklungen erlebt: Vor eineinhalb Jahren war noch keine Rede von der Ebolaepidemie in Westafrika, dem menschenverachtenden Vormarsch der ISIS-Terrormi- liz, der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem gewaltsamen Konflikt in der Ostukraine oder der dramatischen Situation der Flüchtlinge auf dem Mittel- meer. In ungeahntem Ausmaß haben sich die bedrohli- chen Ereignisse überschlagen. Sie zeigen uns deutlich: Die Herausforderungen, die Deutschland und die Bun- deswehr zu bewältigen haben, können sich schnell und wesentlich ändern. Diese Herausforderungen kann die Bundeswehr nur mit dem Rückhalt einer starken Reserve bewältigen. Die Reservisten sind unverzichtbarer Bestandteil der Bun- deswehr. Aktuell sind fast 33 000 Reservedienstleistende beordert. Sie sind aus der Bundeswehr nicht mehr wegzu- denken: ob bei der Aufrechterhaltung der Einsatzbereit- schaft in der Heimat, der Hilfeleistung im Katastro- phenfall im Inland oder bei der Unterstützung im Auslandseinsatz. Reservedienstleistende nehmen an Übungen teil. Sie helfen auch bei Naturkatastrophen, wie zum Beispiel dem Hochwasser im Frühsommer 2013. Reservisten sind darüber hinaus bei nahezu allen Auslandseinsätzen der Bundeswehr vertreten: Sie unterstützen die KFOR- Truppen im Kosovo, die Mission Atalanta am Horn von Afrika oder die Ausbildungsmission Resolut Support in Afghanistan. Einige Reservisten haben auch Nothilfe im Kampf gegen Ebola geleistet. Bei meinen Truppenbesuchen treffe ich neben Berufs- und Zeitsoldaten auch immer wieder Reservedienstleis- tende. In Bad Reichenhall habe ich einen aktiven Reser- visten getroffen, der den Kommandeur im Sommer ver- treten hat. Besonders beeindruckt war ich von einem Oberstleutnant der Reserve, der in Mali bereits zum zweiten Mal als deutscher Militärattaché diente. Dies zeigt: Die Bundeswehr setzt Reservedienst- leistende entsprechend ihrer speziellen Fähigkeiten auch gezielt auf herausgehobenen Dienstposten ein. Reserve- dienstleistende sind und bleiben ein tragender Bestand- teil unserer Streitkräfte. Ich und meine CDU/CSU-Fraktion danken allen Re- servisten für ihren Einsatz und für ihr Engagement. Wir wollen die Bundeswehr als Arbeitgeber noch attraktiver machen. Die Agenda „Bundeswehr in Füh- rung“ und das Bundeswehrattraktivitätssteigerungs- gesetz waren wichtige Schritte. Das Unterhaltssiche- rungsgesetz ist nun der nächste Schritt. Es ist vor allem auf die Reservedienstleistenden zugeschnitten. Einzelne Verbesserungen betreffen auch die freiwillig Wehr- dienstleistenden. Die Kernidee bleibt erhalten: Den Dienstleistenden wird mindestens der Einkommensver- lust ausgeglichen. Doch der Reservedienst soll attrakti- ver gemacht werden. Dies wird unter anderem durch drei der Verbesserungen erreicht: Erstens. Die Mindestleistungen für Reservedienstleis- tende werden wesentlich erhöht: Die Vergütung wird an die Nettobesoldung von Soldatinnen und Soldaten glei- chen Dienstgrades angeglichen. Zweitens. Es wird ein Anreizsystem für die Reserve- dienstleistung geschaffen. Wer sich vorab verpflichtet, in einem Jahr mindestens 19 bzw. 33 Tage Reservisten- dienst zu leisten, erhält Zulagen. Drittens. Die Antragstellung wird vereinfacht: Die Kompetenzen werden zentral in der Bundeswehrverwal- tung gebündelt. Die Länder werden von dieser Aufgabe entlastet. Mit dem Unterhaltssicherungsgesetz wird der Reser- vedienst attraktiver. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung für den vorliegenden Gesetzentwurf. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Das Unterhaltssiche- rungsgesetz, das wir heute beschließen, regelt umfassend und neu die Versorgung von Reservedienstleistenden und von freiwillig Wehrdienstleistenden der Bundes- wehr sowie von deren Angehörigen. Wir nehmen mit diesem Gesetz die Dienstleistenden erstmals als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ernst. Das wird auch höchste Zeit. Denn mit dem Wegfall der Wehrpflicht ist Freiwilligkeit das Prinzip nicht nur für Zeit- und Berufssoldaten, sondern auch bei den Nachfol- geformen des Grundwehrdienstes und der Wehrübungen, also bei der freiwilligen und der Reservedienstleistung. Das USG ist zuletzt 1980 grundlegend novelliert wor- den. In seiner bisherigen Form geht es von der Wehr- pflicht aus. Die versorgungsrechtliche Gleichstellung der Wehrpflichtigen mit Zeit- und Berufssoldaten ist darin nicht vorgesehen. Eine Neufassung, die den Bedingun- gen der Freiwilligkeit gerecht wird, ist deshalb zwingend notwendig. Kerngedanke des neuen USG ist es, alle Soldatinnen und Soldaten entsprechend ihrem Dienstgrad gleich zu bezahlen, gleichgültig, in welchem Dienstverhältnis sie stehen. Die neuen Tagessätze führen dazu, dass das Net- toeinkommen von freiwillig Wehrdienstleistenden und Reservedienstleistenden dem von Zeit- und Berufssolda- ten generell entspricht. Reservisten, die im Zivilberuf ein höheres Einkommen haben, werden wie bisher für ihren Verdienstausfall entschädigt. Das neue USG ist zeitgemäß, fair und sozial. Die SPD-Fraktion hätte gerne noch die automatische Anpas- sung der Tagessätze an Tarifsteigerungen im öffentlichen 10202 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) Dienst eingebaut, damit sich die Nettoeinkommen gar nicht erst wieder auseinanderentwickeln können. Wir werden diesen Punkt wieder ansprechen, wenn die Not- wendigkeit sich bestätigt. Insgesamt aber handelt es sich um ein gutes Gesetz, dem wir gerne zustimmen. Das neue USG dient ausschließlich den sozialen Inte- ressen der Dienstleistenden und ihrer Familien. Seine Ablehnung durch die Fraktion der Linken ist deshalb für uns nicht nachvollziehbar. Im Verteidigungsausschuss hat die Kollegin Buchholz die Position ihrer Fraktion da- mit begründet, dass das neue USG den Wehrdienst at- traktiver mache und daher abzulehnen sei. Die Logik dieser Begründung bedarf der Analyse. Die Linke will also keine attraktive Freiwilligenarmee. Die Wehrpflicht, unter der die Attraktivität des Dienstes möglicherweise zweitrangig bleiben kann, will sie aber auch nicht. Will die Linke also eine unattraktive Freiwil- ligenarmee? Das wäre ein Widerspruch in sich. Wenn die Linke die eigene Argumentation ernst meint, verbirgt sich dahinter folglich die vollständige Ablehnung militä- rischer Landesverteidigung. Das sollte die Linke dann aber auch so offen formulieren und sich nicht hinter ver- schwurbeltem Gerede über einzelne Gesetze verstecken. Dann können die Bürgerinnen und Bürger sich ein klares Urteil über das sicherheitspolitische Credo der Linken bilden. Vollends unverständlich wird die Haltung der Linken aus dem Blickwinkel der Familienpolitik. Das neue USG bezieht nämlich erstmals die gesellschaftlichen Verände- rungen mit ein, die seit 1980 dazu geführt haben, dass unsere Vorstellungen von Familie vielfältiger geworden sind. Nichteheliche Kinder, Lebenspartnerinnen und Le- benspartner werden im neuen USG als Angehörige von Dienstleistenden definiert, die selbstverständlich einen eigenen Anspruch auf Versorgung haben. Dass ausge- rechnet die Linke, die das Bekenntnis zur vollen Gleich- stellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften sonst immer lautstark proklamiert, ihre Unterstützung in dem Moment verweigert, in dem es sich um schwule und lesbische Soldatinnen und Soldaten handelt, lässt erheb- liche Zweifel an der allgemeinen Aufrichtigkeit ihrer Gleichstellungspolitik aufkommen. Für die SPD gibt es keine richtigen oder falschen Lebenspartnerschaften – alle verdienen die gleiche Anerkennung. Die Kollegin- nen und Kollegen der Linksfraktion bitte ich daher drin- gend, noch einmal zu prüfen, ob sie diesem guten Gesetz zusammen mit den anderen Fraktionen dieses Hauses nicht doch die angemessene Zustimmung geben sollten. Alle Dienstleistenden der Bundeswehr, alle, die diesen Soldatinnen und Soldaten für ihren Beitrag zur Landes- verteidigung verpflichtet sind, alle, die zwischen Le- benspartnerschaft und Familie keinen Unterschied ma- chen, und alle, denen die Rechte nichtehelich geborener Kinder am Herzen liegen, würden es ihnen danken. Christine Buchholz (DIE LINKE): Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung soll zu einer Kon- zentration der Bearbeitung von Anträgen auf Leistungen durch Reservistinnen und Reservisten sowie von freiwil- ligen Wehrdienstleistenden bei einer vom Bund einzurichtenden Stelle führen. Grundsätzlich ist es begrüßenswert, wenn es durch Straffung administrativer Vorgänge zu einer Entlastung der Länder und einer ra- scheren Bearbeitung von Anträgen kommt. Dennoch lehnt die Linke diesen Gesetzentwurf ab. Wir sind der Auffassung, dass die von der Bundesregie- rung mit dem Gesetz angestrebte Förderung des Reserve- dienstes in die völlig falsche Richtung geht. Es handelt sich um den Versuch, in der Bundeswehr Personallöcher zu stopfen, die durch die unpopuläre Orientierung auf Auslandseinsätze entstanden sind. Reservisten sind längst Teil dieser offensiven Konzeption geworden. Viele wurden auch in Afghanistan eingesetzt. Die Förderung der Reserve leistet darüber hinaus der Militarisierung im Innern Vorschub. So können seit 2012 Reservisten zum „Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand“ herangezogen werden. Das läuft auf den Waffeneinsatz im Innern gegen nichtmilitärische Ziele hinaus. Einer Reserve mit solchen politischen Vor- gaben darf nicht weiter gefördert werden. Der vorliegende Gesetzentwurf soll die soziale Situa- tion freiwilligen Wehrdienstleistender verbessern. Doch während zu Zeiten der Wehrpflicht Veränderungen für Soldaten immer auch zu analogen Veränderungen bei Zi- vildienstleistenden führten, ist dies heute nicht mehr der Fall. So werden diejenigen, die im Bundesfreiwilligen- dienst arbeiten, in dem Gesetzentwurf nicht berücksich- tigt. Dies, obgleich sie ohnehin schon stark benachteiligt sind. So erhalten freiwilligen Wehrdienstleistende am Ende ihrer Dienstzeit bis zu 1 146 Euro monatlich. Die- jenigen, die im zivilen Bundesfreiwilligendienst arbei- ten, höchstens 363 Euro. Eine solche Diskriminierung ist durch nichts zu rechtfertigen. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass es der Bundesregie- rung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht um mehr soziale Gerechtigkeit, sondern um die Stärkung des Soldatentums in Deutschland geht. Diese grundlegende Schieflage macht den Gesetzent- wurf inakzeptabel, auch wenn er einzelne begrüßens- werte Aspekte enthält, wie die Gleichstellung von eheli- chen und nichtehelichen Partnerschaften hinsichtlich des Leistungsbezuges von freiwilligen Wehrdienstleisten- den. Im Übrigen hat die mangelnde Attraktivität des frei- willigen Wehrdienstes nichts mit den Fragen der Vergü- tung zu tun. Die Tatsache, dass über 25 Prozent der frei- willigen Wehrdienstleistenden innerhalb der ersten sechs Monate abbrechen, ist Ergebnis des Widerspruchs zwi- schen militärischer Realität und der Schweinwelt, die die Bundeswehr den jungen Menschen in Werbeshows und Adventure-Camps vorspielt. Die Linke lehnt es ab, Reservistinnen und Reservisten sowie Freiwillige in eine Armee zu rekrutieren, für die es – wenn es nach dem Willen der Verteidigungsministe- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10203 (A) (C) (D)(B) rin geht – keine räumliche und qualitative Grenze mehr gibt. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach den Beratungen in den Ausschüssen debattieren wir nun abschließend das Gesetz zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur Änderung soldatenrecht- licher Vorschriften. Es geht in diesem Gesetzentwurf da- rum, die Leistungen, die Reservedienstleistende, freiwil- ligen Wehrdienstleistende und deren Angehörige erhalten, an die heutigen Rahmenbedingungen anzupas- sen und zu erhöhen, sie klarer zu strukturieren, deren Verwaltung zu zentralisieren und die Antragsverfahren zu vereinfachen. Das damit verfolgte Ziel, dass freiwillig Dienende eine angemessene Entlohnung erhalten und dass ihr Unterhalt während des vorübergehenden Diens- tes für die Bundeswehr gesichert ist, unterstützen wir ausdrücklich. Wer einen freiwilligen Dienst leistet, soll eine angemessene Vergütung und Versorgung erhalten. Die Anhebung der Mindestsätze der Unterhaltssiche- rung führt dazu, dass Reservedienstleistende für die Zeit, in der sie einen Dienst leisten, auch eine Vergütung er- halten, die dem Einkommen eines Soldaten und einer Soldatin gleichen Ranges nahekommt. Dies ist ein wich- tiger Schritt hin zu dem Grundsatz, dass gleiches Geld für gleiche Leistung gezahlt wird. Wer im zivilen Beruf ein höheres Einkommen erhält, bekommt im Rahmen der Höchstsätze eine höhere Entschädigung durch die Unterhaltssicherung gezahlt. Das ist wichtig, wenn man Menschen für diesen Dienst auch neben ihrer zivilen Karriere gewinnen möchte. Ein signifikanter Verdienst- ausfall würde sicherlich viele davon abhalten, sich als Reservist oder Reservistin zu engagieren. So macht auch die Logik der Entschädigung für Verdienstausfälle aus unserer Sicht weiterhin Sinn. Die Attraktivität der freiwilligen Dienste in der Bun- deswehr ergibt sich nicht nur aus der Höhe der Unter- haltssicherungssätze. In der ersten Lesung hatte ich be- reits darauf hingewiesen, dass Attraktivität vor allem auch eine qualitative Frage ist. Freiwillige Wehrdienst- leistende müssen einen klaren Mehrwert in ihrem Dienst erfahren. Gleiches gilt für Reservistinnen und Reservis- ten, die sich im Rahmen von Reservedienstleistungen, auf beorderten Dienstposten oder im Rahmen der frei- willigen Reservistenarbeit engagieren. Der Aufwand, der hier betrieben wird, muss sich auch für die Bundes- wehr rechnen. Die Umsetzung der Konzeption der Re- serve muss aus unserer Sicht regelmäßig evaluiert wer- den. Auch hier im Bundestag sollten wir uns regelmäßig mit der Frage auseinandersetzen, ob die Reserve ihrem Auftrag, den ihr die Konzeption der Reserve gibt, ge- recht wird. Wir sollten ein Auge darauf haben, dass das Geld und der Aufwand, der betrieben wird, auch zu ei- nem angemessenen Output führt. Dazu bedarf es funk- tionierender Strukturen und Prozesse, die realistische Ziele verfolgen. Diese müssen regelmäßig überprüft werden. Da wir diesen Gesetzentwurf zum jetzigen Zeitpunkt für einen richtigen und wichtigen Schritt halten, stim- men wir ihm zu. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Für ein internationales Staateninsolvenz- verfahren – Resolution der Vereinten Nationen für ein multilaterales Rahmenwerk zur Restruktu- rierung von Staatsschulden umsetzen – Jetzt aktiv den Arbeitsprozess der Vereinten Nationen mitgestalten (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Auch Staaten kön- nen pleitegehen – und dafür brauchen wir gar nicht auf Griechenland zu schauen, das seit Jahren in besonderer Weise im Rampenlicht steht. Deutschland hat diese Erfahrung schon mehrfach gemacht, Argentinien war ein prominentes Beispiel der jüngeren Zeit, und vor allem in den – kapitalistischen! – Vereinigten Staaten von Ame- rika ist die Insolvenz von Einzelstaaten und vor allem Gemeinden nicht selten – und selbst der Bundesstaat USA stand im letzten Jahr ebenfalls am Rande der Zah- lungsunfähigkeit. Was aber bei Staaten anders ist als bei „normalen“ Schuldnern und insbesondere Unternehmen: Es gibt kein geordnetes und allseits akzeptiertes Verfah- ren, in dem eine solche Insolvenz abgewickelt werden könnte. Bevor wir die Frage näher beleuchten, ob ein solches Verfahren auch für Staaten möglich oder sinnvoll ist, sollte man sich aber erst noch einmal vor Augen führen, was ein Insolvenzverfahren eigentlich will. Drei Ziele stehen im Vordergrund: Einmal sollen die Gläubiger ei- nes Schuldners gemeinschaftlich befriedigt werden, wenn und weil das Unternehmen seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann. Das bedeutet: Alle Gläubiger sitzen vor dem Hintergrund begrenzter Mittel in einem Boot und müssen gleichermaßen eine Kürzung ihrer For- derungen gewärtigen. Zum Zweiten bedeutet dies, dass der Schuldner vor der Inanspruchnahme durch einzelne Gläubiger nach dem Windhundprinzip – wer zuerst kommt, mahlt zuerst – geschützt ist. Und drittens soll dies – wie heute zu Recht immer häufiger betont wird – dazu beitragen, dass der Schuldner saniert wird und an- schließend, typischerweise nach erheblichen Umstruktu- rierungsmaßnahmen, wieder am Wirtschaftsverkehr teil- nehmen kann. Vorsorglich sei aber auch klargestellt, was ein Insol- venzverfahren nicht soll: Weder soll es dem Schuldner eine einseitige, unkontrollierte Möglichkeit geben, sich seinen Zahlungspflichten zu entziehen, noch kommt ein Insolvenzverfahren in Betracht, wenn der Schuldner bloß zahlungsunwillig – und nicht zahlungsunfähig – ist, insbesondere, weil er sich einiger, besonders unliebsa- mer Schulden entziehen möchte. Und schließlich ist mit einem Insolvenzverfahren auch nicht zwingend verbun- den, dass der Schuldner bzw. seine Organe das Ruder 10204 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) aus der Hand geben müssen. Im privaten Insolvenzver- fahren nennt man dies „Eigenverwaltung“. Ist dies alles bei einem Staat als Schuldner anders? Die einfache Antwort lautet: Nein! Allerdings fragt es sich dann natürlich, warum es ein Insolvenzverfahren, wie es seit Jahrhunderten für private Unternehmer üblich ist, für Staaten nicht gibt. Die Antwort ist recht einfach: Denn es müsste in völkerrechtlich verbindlicher Weise vorab zwischen eben diesen Staaten verabredet werden. Und da glauben die Staaten natürlich, dass eine einsei- tige Interessendurchsetzung oder eine solche in wech- selnden Allianzen mehr Chancen bietet als die Unter- werfung unter verbindliche Regeln: So ist es natürlich charmant, einseitig zu versuchen, seine Zahlungsunfä- higkeit zu erklären und auf ein Einsehen der Gläubiger zu hoffen, wie dies Argentinien getan hat – und wie es jetzt von Griechenland versucht wird. Umgekehrt glaubt jeder Staat im Zweifel für sich, dass er seine Forderun- gen oder die seiner Staatsbürger im Falle der Insolvenz eines anderen Staates besser – sprich mit einer höheren Quote – durchsetzen kann, als andere Staaten dies können. Attraktiv ist es auch, einen Gerichtsstandort – auch für Schiedsgerichte – vorzuhalten, an dem ein solch besserer Schnitt möglich ist. Aber: Jedenfalls in einem System, das wie die Euro- päische Union als Rechtsgemeinschaft angelegt ist, soll- ten solche Möglichkeiten des Trittbrettfahrens ausge- schlossen sein – wie dies etwa auch in den Vereinigten Staaten von Amerika der Fall ist. Das mit den beiden Oppositionsanträgen verfolgte Ziel ist daher durchaus dem Grunde nach berechtigt. Wir sollten in der Tat einen staatlichen Rahmen schaffen, der die Insolvenz eines Staates in einem geordneten staatlichen Verfahren er- möglicht. Das würde zum Beispiel für einen EU-Staat zugleich die Möglichkeit begründen, trotz eines Schul- denschnitts in der Währungsunion zu verbleiben, würde aber – vor allem – den Gläubigern bei ihrer Kreditver- gabe an Staaten auch abverlangen, zu beurteilen, mit welcher Wahrscheinlichkeit denn der Staat seine Ver- bindlichkeiten zurückzahlen kann. Die auch formale Einführung der Möglichkeit eines Insolvenzverfahrens führt möglicherweise auch bei gut gerateten Staaten dazu, dass – allein wegen der theoretischen Möglichkeit einer Insolvenz – höhere Refinanzierungskosten entste- hen; das gilt es gegen das Ausfallrisiko bei den Forde- rungen gegen andere, weniger solvente Staaten abzuwä- gen. Aber – und deshalb werden wir Ihre Anträge ableh- nen –: Dieser Rahmen kann – soweit es sich um Staaten des Euro-Raumes handelt – wegen des Zusammenhangs mit der Währungsunion nur im europäischen Recht lie- gen. Das schließt einen weitergehenden, internationalen Rahmen nicht aus, würde aber einen Konsens über die dabei erforderlichen Rahmenbedingungen voraussetzen, den ich nicht sehe. Zweitens muss der betreffende Staat zahlungsunfähig sein: Da wird man bei der Schuldenlast schon genauer hinschauen müssen. Denn allein, dass Schulden unbe- quem sind, macht sie nicht belastend und heißt noch nicht, dass sie zur Wiederherstellung der Schuldentrag- fähigkeit beschnitten werden müssen. Schulden wie die- jenigen Griechenlands, die praktisch weder bedient noch verzinst werden müssen, müssen auch nicht – weiter – beschnitten werden, und schon gar nicht, um neue Schul- den machen zu können. Wer andererseits die Einnah- men, vor allem in Form von Steuern, – bewusst – gering hält und die Ausgaben nach oben schraubt, kann auch in einem Insolvenzverfahren für Staaten nicht auf Gnade seiner Gläubiger hoffen. Es gibt hier eben anders als bei der Unternehmensinsolvenz keine klar feststehende In- solvenzmasse. Und vor allem: Ein Insolvenzverfahren für Staaten muss auf eine Gleichbehandlung aller Gläu- bigerforderungen ausgerichtet sein – und nicht, wie beide Oppositionsanträge dies tun, zwischen guten und schlechten Forderungen unterscheiden: Wenn Sie auf der einen Seite die Forderungen von bösen Hegdefonds un- ter Verweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz be- schneiden wollen, andererseits aber weitere Forderungen unter Beteiligung einer breiten Öffentlichkeit vollständig aus dem von Ihnen angedachten staatlichen Insolvenz- verfahren ausklammern wollen, führen Sie genau die Differenzierung wieder ein, die Sie eigentlich vermeiden wollen. Es ist – das sei in diesem Zusammenhang dann auch gesagt – auch nicht so, dass die Durchsetzung sol- cher Forderungen vor privaten Schiedsgerichten leichter möglich ist als vor staatlichen Gerichten. Denn erst vor wenigen Wochen hat der deutsche Bundesgerichtshof unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Bundesverfas- sungsgericht festgestellt, dass Forderungen aus argenti- nischen Staatsanleihen auch in Deutschland durchsetz- bar sind. Was ist die Alternative? Ich habe es vor einigen Tagen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt: Es liegt nahe, ein Resolvenzverfahren in der Euro-Zone in der Weise einzurichten, dass durch geringfügige Änderun- gen des ESM-Vertrages ein Resolvenzgericht in Paral- lele zum ESM und unter Einbindung in die vorhandene Finanzarchitektur des europäischen Krisenbewältigungs- mechanismus geschaffen wird. Zweck eines solchen mehr die Verhandlungen zwischen Schuldnerstaat und Gläubigern beaufsichtigenden als Streitigkeiten zwi- schen ihnen entscheidenden Gerichts wäre, künftig Handlungsungewissheiten und Handlungsunsicherheiten wie im Falle Griechenlands seit 2010 von vornherein zu unterbinden. Dieses Gericht würde eine Verfahrensord- nung erhalten, in der sämtliche Schritte von der Stellung eines Antrags über die Verhandlungen zwischen Schuld- ner und Gläubiger bis schließlich hin zur Abstimmung über das Verhandlungsergebnis sowie zur Umsetzung der wechselseitigen Verpflichtungen vorgeschrieben wä- ren. Darauf könnten sich sämtliche Betroffenen schon von Anbeginn an vorbereiten; für Transparenz wäre also gesorgt. Festgehalten werden sollte aber auch: Eine solche Regelung wäre neben der gerade eingeführten Banken- union ein – weiterer – Schritt zur Beseitigung von Sys- temfehlern in der Euro-Zone. Dass sie nicht den fehlen- den Gleichlauf von Währungs- und Wirtschaftspolitik herzustellen vermag, liegt auf der Hand. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10205 (A) (C) (D)(B) Bettina Kudla (CDU/CSU): Die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben für ein internationales Staateninsolvenzverfahren jeweils einen Antrag vorgelegt. In den Anträgen fordern sie, dass die Bundesregierung sich aktiv in die Beratungen der G-77- Staaten bei der UN für ein Staateninsolvenzverfahren einsetzen möge. Die Linke bezieht sich dabei auf eine im September 2014 verabschiedete Resolution der Generalversamm- lung der Vereinten Nationen, in der sich der Staatenbund auf die Einrichtung eines Insolvenzverfahrens für über- schuldete Staaten festgelegt hatte. Elf Staaten, darunter Deutschland, hatten gegen die Resolution gestimmt. Die Bundesregierung hat den Prozess in den Vereinten Na- tionen zur Einrichtung eines Staateninsolvenzverfahrens konstruktiv begleitet, aber im Ergebnis zuletzt auch ge- gen die sogenannte Modalitätenresolution gestimmt. Diese Resolution wurde vonseiten der Europäischen Union konstruktiv verhandelt, letztendlich lehnten aber alle EU-Mitgliedstaaten ein formelles, rechtsverbindli- ches Staateninsolvenzverfahren ab. Die bestehenden Verfahren im Pariser Club und im IWF zum Thema Schuldenentlastung von Ländern mit entsprechendem Bedarf haben sich bewährt. Ein Verfah- ren mit einem für alle Beteiligten, also auch für alle Gläubiger, bindenden Schiedsspruch ist problematisch. Ein derartiges, formelles Staateninsolvenzverfahren er- scheint unverändert verfassungsrechtlich und politisch nicht realisierbar. Insbesondere wären grundlegende par- lamentarische Budgetrechte beeinträchtigt. Die Insolvenz eines Staates hat stets gravierende Fol- gen und ist häufig auch nicht die Lösung wirtschaftlicher Probleme. Laut einer Statistik des IWF gab es seit dem Jahr 1980 allein 90 Insolvenzen von 73 Staaten, einige Staaten sind demnach mehrfach insolvent geworden. Der Staat Chile war siebenmal insolvent, Brasilien sechsmal und Argentinien fünfmal. Eine erneute Insolvenz binnen so kurzer Zeit zeigt, dass weder die finanziellen noch volkswirtschaftlichen Probleme dieses Landes durch eine Staateninsolvenz gelöst wurden. Oberstes politi- sches Ziel muss es daher immer sein, der Überschuldung eines Staates vorzubeugen. Ein Staat muss ein verlässli- cher Partner für Bürger und Unternehmer sein. Gute Handelsbeziehungen und Investitionen mit bzw. in ei- nem Staat hängen wesentlich davon ab, ob in dem Staat verlässliche rechtliche, wirtschaftliche und finanzielle Rahmenbedingen herrschen. Wirtschaftliche Probleme in Entwicklungsländern beruhen häufig nicht auf fehlen- den finanziellen Möglichkeiten, sondern auf strukturel- len Problemen. Die Finanzierungen eines Staates hängen wesentlich von dessen Kapitalmarktfähigkeit ab. Die Finanzierung über Staatsanleihen wird erheblich eingeschränkt, wenn aufgrund eines drohenden Insolvenzverfahrens mit ei- nem Ausfall der Staatsanleihen zu rechnen ist. Die Anle- ger müssen sich auf Zusagen eines Staates verlassen können. Unberührt bleibt davon die Möglichkeit, dass wohlhabende Staaten individuelle Schuldenerlasse ge- genüber überschuldeten Staaten aussprechen. Dabei ist jedoch immer zu berücksichtigen, dass ein Schuldener- lass auch kontraproduktiv wirken kann und die wirt- schaftlichen Möglichkeiten des betroffenen Staates auf- grund eines Vertrauensverlustes einschränkt. Es muss rechtzeitig vorgebeugt werden, dass Staaten nicht in eine Überschuldung geraten. Der Kontrolle durch das Parlament kommt eine zentrale Aufgabe zu. Die mittlerweile in unserem Grundgesetz auf Betreiben der CDU/CSU-Fraktion verankerte Schuldenbremse hat eine 40-jährige Entwicklung einer Anhäufung von Staatsschulden gestoppt und zur Trendumkehr gebracht. Für die Bundesrepublik Deutschland gilt, dass es we- sentlich ist, dass nun auch die Bundesländer bis zum Jahr 2020 die Schuldenbremse einhalten und bereits heute die Weichen für die Einhaltung der Schulden- bremse stellen. Nur ein wirtschaftlich gesunder Staat hat entsprechende Möglichkeiten, über eine zielgerichtete Entwicklungshilfe die Lage in wirtschaftlich schwäche- ren und damit häufig überschuldeten Ländern zu verbes- sern. Was ist nun der Unterschied zwischen den Insolvenz- verfahren des IWF und eines Insolvenzverfahrens durch die UN? Ein Insolvenzverfahren in Anlehnung an den IWF bleibt für staatliche wie für private Gläubiger im Kern freiwillig. Es gibt kein einheitliches Umschul- dungsforum. Die staatlichen Gläubiger verhandeln im Pariser Club, die privaten Gläubiger im Londoner Club. Beide Clubs sind Plattformen für Gespräche über den weiteren Umgang mit den Staatsschulden. Dem IWF fällt eine Katalysatorfunktion zu. Die Bereitschaftserklä- rung des Schuldnerstaates zur Vornahme der notwendi- gen Reformen („Letter of Intent“) ist nicht nur Bedin- gung für den Abschluss eines Standby-Abkommens zwischen IWF und Schuldnerstaat, sondern mit seinem positiven Votum zum Stabilisierungsprogramm signali- siert der IWF den im Pariser Club vereinigten Gläubi- gern den ernsthaften Reformwillen des Schuldnerstaates und gibt damit das Signal für den Beginn der Umschul- dungsverhandlungen. Ich halte dieses Verfahren für die Gläubiger für sicher und für fair und transparent. Bei einem Insolvenzverfahren auf Beschluss der Ver- einten Nationen würde politisch weitgehend in die Rechte der Gläubiger der Staatsschulden und auch in die Rechte von Parlamenten eingegriffen werden. Gleichwohl bedarf es einer Regelung, falls es tatsäch- lich zu einer Insolvenz kommt, damit die Gläubiger best- möglich geschützt werden. Die sogenannten Collective Action Clauses, CAC-Klauseln, regeln in den Anleihe- bedingungen von Staatsanleihen, dass im Falle der Insol- venz eines Staates die Gläubiger nach einem bestimmten Mehrheitsverfahren entscheiden können. Dies hat den Vorteil, dass die Sanierung eines Staates nicht durch ei- nige wenige Gläubiger blockiert werden kann. Die Bundesregierung setzt daher zu Recht auf die be- stehenden Staateninsolvenzverfahren im Pariser Club wie auch im IWF mit Unterstützung der Weltbank. Eine Verlagerung dieser Verfahren, weg vom Internationalen Währungsfonds zu den Vereinten Nationen ist nicht zwangsläufig erfolgreich. Auf die wirtschaftlichen Mög- lichkeiten der Weltbank zur Leistung von Aufbauhilfe möchte ich hinweisen. Zu beachten ist, dass das Verfah- 10206 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) ren bei den Institutionen bleiben sollte, die es auch er- folgreich durchführen können. Ein formelles Staateninsolvenzverfahren der Verein- ten Nationen wird seitens der Bundesregierung kritisch gesehen; dies entspricht auch der Haltung der EU-Staa- ten. Die Anträge sind daher abzulehnen. Ich begrüße, dass durch die IWF-Empfehlungen zu Collective Action Clauses, CACs, in Staatsanleihen deren verbreitetere Anwendung ermöglicht und vorangetrieben wird. Auf diesen IWF-Arbeiten sollte weiter aufgebaut werden. Manfred Zöllmer (SPD): Wie lange sollte man ein totes Pferd reiten? Diese Frage stellt sich, weil die Ver- einten Nationen nach wie vor versuchen, auf Initiative von Bolivien ein formelles, rechtsverbindliches Staaten- insolvenzverfahren zu entwickeln. Dieser Prozess wurde gegen die Stimmen der EU-Mitgliedstaaten eingeleitet. Hintergrund der Resolution ist eigentlich ein juristi- scher Konflikt Argentiniens mit einem New Yorker Hedgefonds. Infolge der Insolvenz des Landes im De- zember 2001 führte die Regierung in Buenos Aires in den Jahren 2005 und 2010 große Umschuldungsrunden durch. Inhaber von argentinischen Staatsanleihen sollten neue Wertpapiere mit veränderten Konditionen erhalten. Über 90 Prozent nahmen damals das Angebot an, ob- wohl das einen Abschlag von durchschnittlich 50 Pro- zent der ursprünglichen Forderungen bedeutete. Einige Hedgefonds zogen jedoch vor Gericht. Ein US-Gericht verurteilte die Regierung in Buenos Aires dazu, dem Hedgefonds NML Capital und Aurelius 1,47 Milliarden US-Dollar – rund 1,1 Milliarden Euro – auszuzahlen. Der Rechtsstreit wird in den USA ausgetragen, weil ar- gentinische Anleihen unter amerikanischem Recht und in US-Dollar begeben wurden. Aber auch der deutsche Bundesgerichtshof gab im Februar dieses Jahres deutschen Anlegern gegen Argen- tinien Recht, die gegen die Umschuldungsstrategie Ar- gentiniens geklagt hatten. Argentinien hatte die Zahlung seiner Schulden auch in diesem Prozess verweigert und berief sich zum einen darauf, dass die Mehrheit der Gläubiger damals der Umschuldung zugestimmt habe. Zudem gebe es mittlerweile quasi eine völkerrechtliche Gewohnheit, zum Beispiel mit Verweis auf die Rettung des Euro-Landes Griechenland und den damit verbunde- nen Schuldenschnitt. Doch der BGH sieht dies anders: Kein völkerrechtli- cher Grundsatz berechtigt ein Land dazu, die Zahlung fälliger Schulden wegen eines finanziellen Staatsnot- standes oder einer freiwilligen Umschuldung der Gläubi- germehrheit zeitweise zu verweigern. Auch aus der Weltfinanzmarktkrise und der Rettung Griechenlands sei eine derartige völkerrechtliche Regel nicht entstanden. Die Initiatoren des Beschlusses der Vereinten Natio- nen hatten die massiven inhaltlichen und prozeduralen Bedenken vieler Länder einfach ignoriert und einen Be- schluss in der Vollversammlung der Vereinten Nationen gegen diese Bedenken mehrheitlich durchgesetzt. Mit der Bildung eines sogenannten Ad-hoc-Ausschusses wollte man in drei Sitzungen einen förmlichen verbindli- chen Schuldenumstrukturierungsmechanismus beschlie- ßen. Deutschland hat sich immer für sinnvolle Regelungen im Falle einer Staateninsolvenz eingesetzt. Hierfür ist aber ein ergebnisoffener, konsensorientierter Prozess notwendig, der natürlich auch die Gläubiger mit ein- schließen muss. Dies war hier nicht der Fall. Deutsch- land hat daher gegen die Resolution gestimmt und sich nicht an der Arbeitsgruppe beteiligt. Wir bedauern diese Entwicklung, denn die weltweite Verschuldung befindet sich auf einem neuen Höchst- stand. Es ist mehr als sinnvoll, sich damit auseinanderzu- setzen. Aber dieser Prozess muss anders laufen. Ein weiterer Kritikpunkt an der Initiative ist die For- derung der völkerrechtlichen Anerkennung eines Schieds- gerichts, das verbindliche Entscheidungen im Rahmen einer Schuldenrestrukturierung treffen soll. In den vorliegenden Anträgen der Fraktionen Die Linke und der Grünen wird eine solche Forderung nach- drücklich unterstützt. Damit würden haushaltsrelevante Fragen auf eine Institution, die keiner parlamentarischen Kontrolle des Bundestages unterliegt, verlagert. Eine solche Forderung ist für uns aus politischen und verfas- sungsrechtlichen Gründen nicht akzeptabel. Wenn Linke und Grüne in handelsrechtlichen Fragen bei der Diskus- sion um TTIP Schiedsgerichte entschieden ablehnen, hier aber vehement fordern, dann ist dies nicht nachzu- vollziehen. Ein Großteil der Staatsanleihen und weiterer Wertpa- piere wird unter der Gerichtsbarkeit der großen interna- tionalen Finanzmarktplätze USA und Großbritannien be- geben. Ein Verfahren, welches diese Akteure nicht mit einbezieht, ist im Ansatz nicht zielführend. Es war der Kardinalfehler dieser Initiative, die Interessen der Gläu- bigerländer nicht zu berücksichtigen. Ein Durchmarsch mit einer Resolution bei den Vereinten Nationen hilft nicht, die Probleme real zu lösen. Eine Verständigung kann es nur geben, wenn es einen fairen und transparen- ten Prozess unter Einbeziehung der angesprochenen In- stitutionen und der Gläubiger gibt. Ein solcher ergebnis- offener Prozess findet jederzeit unsere Unterstützung. Deutschland hat sich an der gemeinsamen EU-Hal- tung orientiert. Wir unterstützen die IWF-Empfehlungen zu den Collective Action Clauses, CAC. Diese Umschul- dungsklauseln in Staatsanleihen müssen weiterentwi- ckelt werden, und dieser Prozess muss vorangetrieben werden. Die CAC sind gerade nach der Staateninsolvenz Argentiniens eingeführt worden. Das Anliegen ist, staat- liche Schuldenkrisen kontrolliert abwickeln zu können, wenn von großen institutionellen Investoren, Bankkon- sortien bis hin zu weltweit verstreuten privaten Anleihe- gläubigern die Gläubigerinteressen global und kleinteilig verteilt sind. Denn häufig waren wenige nicht zustim- mende Anleihegläubiger der Grund dafür, dass ein Schuldnerstaat an der Durchsetzung einer von der Mehr- heit gebilligten Restrukturierung durch eine ablehnende Minderheit gehindert war. Wir sprechen hier vom „Holdout-Problem“. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10207 (A) (C) (D)(B) Solche Klauseln erleichtern Schuldenrestrukturierun- gen und helfen damit bei der Krisenbewältigung. Die Bundesregierung setzt sich deshalb beim IWF dafür ein, die Arbeiten im Bereich vertraglicher Anleiheklauseln fortzusetzen. Ohne eine enge Beteiligung von IWF, Pari- ser Club und eine Berücksichtigung der laufenden Verhandlungen zur Vorbereitung der Financing-for- Development-Konferenz im Juli 2015 kann es keine Verständigung auf ein Schuldenumstrukturierungsver- fahren geben. Letztlich wird der Aspekt der Schuldenprävention von der UN-Initiative leider völlig vernachlässigt. Kre- ditgeber und Kreditnehmer sollten nur im Rahmen der Schuldentragfähigkeit, wie sie im Rahmenwerk von IWF und Weltbank definiert ist, handeln, um übermä- ßige Verschuldung zu verhindern. Das laufende Verfahren, wie es in den Anträgen der Opposition gelobt wird, wird zu keinem befriedigenden Ergebnis führen. Die Opposition setzt auf das falsche Pferd. Dieses Pferd ist tot, damit kommen wir leider nicht ans Ziel. Deshalb sollte man rechtzeitig absteigen. Niema Movassat (DIE LINKE): Eines liegt doch klar auf der Hand: Die Welt braucht ein geregeltes und unabhängiges Insolvenzverfahren für überschuldete Staaten. Im September 2014 hat die Generalversamm- lung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehr- heit beschlossen, ein multilaterales Rahmenwerk zur Re- strukturierung von Staatsschulden einzurichten. Diese Resolution wurde von Bolivien im Namen der Gruppe der 77 und Chinas eingebracht – also von den Ländern, die mehrheitlich am extremsten unter den Schulden- krisen der letzten 30 Jahre zu leiden hatten. Es ist mehr als beschämend, dass Deutschland zur kleinen Minder- heit von elf Staaten gehört, die gegen diese Resolution gestimmt haben. Die Begründung, die die Bundesregie- rung für ihr Abstimmungsverhalten gab, ist mehr als kleinlich: Der Vorstoß der G-77-Staaten sei nicht mit den großen Gläubigerländern abgestimmt gewesen. Das sagt ausgerechnet ein Mitgliedsland der G 7, einem Bündnis, das meint, über globale Menschheits- fragen in einem exklusiven Zirkel entscheiden zu kön- nen – vorbei an den Vereinten Nationen und ohne dass man sich je groß darum scherte, ob diese Beschlüsse vorher mit anderen betroffenen Staaten abgestimmt wären oder nicht. Partizipation hatte für den Westen, diesem Club ehemaliger Kolonialmächte, noch einen besonders hohen Stellenwert. Zurück zur Sache: Die Überschuldung von Staaten hat sich als entscheidendes Hindernis für ihre selbst- bestimmte wirtschaftliche und soziale Entwicklung er- wiesen. Im Schuldendienst werden Mittel gebunden, die dann für Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infra- struktur fehlen. Schuldenpolitik war immer auch schon Machtpolitik. Da werden Schulden als koloniales Instrument einge- setzt, um alte Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhält- nisse aufrechtzuerhalten oder neu zu erlangen. Viele die- ser Schulden müssen wir zudem als illegitim bewerten. Der globale Süden hat also genügend Gründe, um ge- nug von geberdominierten Verfahren zu haben. Multi- laterale Geberprogramme wie die HIPC-Initiative waren hochgradig ineffizient und sind gescheitert. Fast ein Drittel der 30 Staaten, die diese Verfahren durchlaufen haben, weisen schon jetzt erneut ein hohes Überschul- dungsrisiko auf. Ein Grund dafür ist, dass neben Staaten auf der Ge- berseite auch immer aggressivere und verantwortungs- losere private Spekulanten auftreten. Das jüngste Bei- spiel Argentinien zeigt dies überdeutlich. Hier droht ein skrupelloser Hedgefonds einen ganzen Staat durch seine kompromisslose Haltung im Umschuldungsprozess er- neut an den Rand des Ruins zu treiben. Wenn wir nicht jetzt zu einem verlässlichen, fairen und effizienten Verfahren finden, das künftig für alle Gläubiger verbindlich ist und die Bedürfnisse des Schuldnerstaats angemessen berücksichtigt, sind die nächsten Krisen schon vorprogrammiert. Diese haben dann – wie fast immer – die Ärmsten der Armen auszu- baden. Länder werden um Jahrzehnte in ihrer Entwick- lung zurückgeworfen. Die Linke fordert die Bundesregierung auf, einzulen- ken und den weiteren Prozess in den Vereinten Nationen zur Einrichtung eines fairen, partizipativen und trans- parenten Staateninsolvenzverfahrens nicht weiter zu blo- ckieren, sondern konstruktiv zu unterstützen. Ein solches muss einen für alle Gläubiger bindenden Beschluss eines unabhängigen Schiedsverfahrens, das die Schuldenlast auf ein tragfähiges Niveau senkt, ge- währleisten. Vorrang vor den Ansprüchen der Gläubiger muss die Sicherstellung eines Existenzminimums der Bevölkerung im Sinne der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte haben. Um dies sicherzu- stellen und auch um die Legitimität der Schulden zu überprüfen, braucht es einen Audit-Prozess unter Betei- ligung einer möglichst breiten Öffentlichkeit. 2013 ist Norwegen mit gutem Beispiel vorangegan- gen und hat als erster Geberstaat einen Bericht über die Legitimität von Staatsschulden vorgelegt und in der Folge auch als illegitim erkannte Schulden erlassen. Denn auch Gläubiger haben eine besondere Verantwor- tung bei der Vergabe von Krediten. Norwegen hat sich hierbei an den UNCTAD-Prinzipien für eine verantwor- tungsvolle Kreditvergabe, die auch Deutschland unter- stützt, orientiert. Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Verände- rungen. Auch die Bundesregierung darf sich dem nicht verweigern. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt zwei gute und zwei schlechte Nachrichten; die guten zuerst: Erstens. Es gibt eine neue Initiative in den Vereinten Nationen zur Schaffung eines fairen und transparenten Entschuldungsverfahrens, die die Staaten des Globalen Südens – durch die Gruppe der 77 und China in den Ver- einten Nationen – in der Generalversammlung zur Ab- 10208 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) stimmung gestellt haben und die mit großer Mehrheit an- genommen wurde. Dieser Prozess verdient jede Unterstützung aus Politik, Wissenschaft und sozialen Bewegungen in Deutschland und ganz Europa. Schon so lange setzen wir uns fraktionsübergreifend für faire Ent- schuldungsverfahren ein – dieser VN-Prozess muss von uns mitgestaltet werden. Dass aus dem Prozess in den Vereinten Nationen ein rechtsstaatliches Verfahren zum Umgang mit öffentli- cher Entschuldung resultieren könnte, ist sicherlich die beste Nachricht im Blick auf das Thema in den nächsten Monaten. Es gibt aus meiner Sicht noch eine weitere – ich zi- tiere Joseph Stiglitz –: Der Machtwechsel in Griechenland hat die neue Regierung mit dem ausdrücklichen Mandat ausge- stattet, der desaströsen Sparpolitik der letzten fünf Jahre ein Ende zu setzen. Eine Lösung für die ganz und gar untragbaren öffentlichen Schulden und Auslandsschulden ist eine Voraussetzung für jegli- chen wirtschaftlichen Neustart. Die neue Regierung ist bereit, auch unkonventionelle Optionen in Be- tracht zu ziehen, und sie lässt sich von der erfolgrei- chen Entschuldung Deutschlands im Londoner Schuldenabkommen von 1953 inspirieren. Wir kön- nen nicht absehen, ob sie es tatsächlich schaffen wird. Aber der Einsatz ist hoch – nicht nur für Grie- chenland, sondern für uns alle, die wir immer vor der verschuldungsbedingten Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten gewarnt haben. Diese beiden Neuigkeiten zeigen, dass Bewegung in die Frage um Schulden in und zwischen Staaten gekom- men ist, und ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich aktiv und konstruktiv verhält und nicht in der unerträglichen Neinsagerposition verharrt, die sie bis- lang an den Tag legt. Und damit komme ich zu den schlechten, ja bedrohli- chen Nachrichten: Die erste ist, dass Deutschland und die USA nichts tun, um den Prozess der VN konstruktiv mitzugestalten, und dass sie ihn durch ihre Blockadehaltung ernsthaft ins Stolpern bringen. Ohne eine andere Haltung vonseiten Deutschlands wird sich der Prozess über Jahre oder Jahr- zehnte hinziehen, und eine historische Chance wird ver- tan. Für dieses Verhalten sollten Sie sich schämen, Frau Merkel, und vor allem Herr Schäuble. Es gibt dafür auch keinen Grund. Selbst wenn Sie nicht blockieren und sich einbringen würden, würde nichts gegen Ihren Willen entschieden, und bis Ende des Jahres würden trotzdem keine Fakten geschaffen. Die zweite, noch dramatischere Nachricht lautet: Pro- bleme mit staatlichen Schuldenkrisen könnten in den nächsten Monaten zu einem durchaus noch größeren Problem werden. Seit mehr als drei Jahren leben wir mit historisch niedrigen Zinssätzen auf den internationalen Kapitalmärkten. Deren Folgen für Entwicklungs- und Schwellenländer sind offensichtlich: Wenn Regierungen günstige Kredite bekommen, dann nehmen sie diese auch auf, egal ob sie mit diesen Krediten in die Infra- struktur investieren, Löcher im öffentlichen Haushalt stopfen, zweifelhafte Geschäfte finanzieren oder andere mehr oder weniger edle Ziele verfolgen. Man muss schon die Augen sehr fest verschließen, um nicht zu er- kennen, dass auch diese Kreditwelle zu neuen Staatsplei- ten führen kann, genauso wie die, die zur „Schuldenkrise der Dritten Welt“ in den 1980er-Jahren führte. Damit müssen wir in einigen oder sogar in vielen Ländern ein- fach rechnen. Denn die neue Kreditwelle stößt nicht etwa auf eine schuldenfreie Welt: Die dramatischen Schuldenindikato- ren in einer ganzen Reihe von „kleinen Inselentwick- lungsstaaten“ im Pazifik und in der Karibik sind hierzu- lande kaum wahrgenommen worden. Und die anhaltende Schuldenkrise in der Euro-Zone hat dort zu extrem ho- hen Schuldenindikatoren und zum Risiko der Staats- pleite geführt. Auffallend hoch ist auch die Anzahl dra- matisch hoher Auslandsschuldenindikatoren in Ländern des früheren Ostblocks. Insgesamt hat sich die globale Schuldensituation zwi- schen 2011 und 2013 verschlechtert: 54 Prozent der ge- rade erst von Erlassjahr untersuchten Verschuldungsindi- katoren sind 2013 höher als 2011. 30 Prozent haben sich verbessert, bei 16 Prozent ist die Situation unverändert. Das heißt, dass die Verschuldung von Entwicklungs- und Schwellenländern weniger tragfähig ist als in den Vorjahren. Insgesamt sind Kapitalmarktfinanzierungen als Option der Entwicklungsfinanzierung für Entwick- lungs- und Schwellenländer immer wichtiger geworden: 62 Prozent der Kredite an Entwicklungs- und Schwel- lenländer im Jahr 2013 kamen aus privaten Quellen. In einigen Ländern wird es laut Expertinnen und Experten beim IWF daher in wenigen Jahren wieder zu Schulden- krisen kommen. Aber es steckt in diesen schlechten Nachrichten auch eine Chance: Wenn die Euro-Zone es schafft, umzusteu- ern und die Krise durch eine tiefgreifende und durch- dachte Schuldenpolitik zu bewältigen, und wenn die Beratungen in den Vereinten Nationen zu einem erfolg- reichen Abschluss gebracht werden, dann könnte das Schuldenthema am Anfang einer neuer Ära stehen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts über das Inverkehr- bringen, die Rücknahme und die umweltver- trägliche Entsorgung von Elektro- und Elektro- nikgeräten (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Das Elektro- und Elektronikgerätegesetz ist eines der wichtigsten Gesetz- gebungsvorhaben im Bereich der Abfallwirtschaft in dieser Legislaturperiode. Wir setzen mit diesem Gesetz europäische Vorgaben um. Und wir setzen unseren Ko- alitionsvertrag um. Worum geht es? Ein Großteil der alten Elektrogeräte wird heute nicht zurückgegeben. Die Rücknahmemenge Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10209 (A) (C) (D)(B) stagniert in den letzten Jahren. Zu viele alte Elektroge- räte verschwinden im Ausland oder wandern in den Restmüll. Welche Ziele verfolgen wir nun mit dem ElektroG? Erstens. Wir wollen, dass möglichst viele alte Elek- trogeräte, die nicht mehr gebraucht werden, getrennt ge- sammelt und wieder zurückgenommen werden. Und unser Ziel muss es sein, dass möglichst viel davon hoch- wertig recycelt wird. Sekundärrohstoffe sollen zurückge- wonnen werden. Kupfer, Aluminium und Kunststoffe – um nur ein paar Beispiele zu nennen – müssen wieder in den Kreislauf zurück. Das macht umweltpolitisch Sinn, es macht aber gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland vor allem wirtschaftlich Sinn. Techno- logisch ist heute schon vieles möglich. Ich habe mir vor kurzem eine Recyclinganlage für Elektrogeräte angese- hen. Das ist absolut faszinierend, zu sehen, welche technologischen Innovationen in den letzten Jahren in Unternehmen stattgefunden haben. Wir wollen, dass von diesem Gesetz weitere Anreize zu technologischer Inno- vation in Deutschland ausgehen. Zweitens. Unser Ziel ist, dass wir für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land ein möglichst einfaches und verbraucherfreundliches System schaffen. Drittens. Unser Ziel ist es, dass illegale Exporte von Elektroschrott eingedämmt werden. Es ist nicht hin- nehmbar, dass unsere ausgedienten Fernseher, Mikro- wellengeräte und Teile von Kühlschränken in großen Mengen auf Müllhalden in Afrika landen. Es ist nicht hinnehmbar, dass unsere Abfälle dort erhebliche Pro- bleme verursachen, und zwar für die Menschen und die Umwelt. Das dürfen wir nicht zulassen. Was sieht der Gesetzentwurf nun konkret vor? Ich will sechs Kernpunkte nennen: Erstens. Der Anwendungsbereich des bestehenden Gesetzes wird ausgedehnt. Es ist überfällig, dass etwa Fotovoltaikmodule einbezogen werden. Alte Module können künftig zurückgegeben werden. Zweitens. Die Ziele, wieviel Prozent des anfallenden Elektroschrotts in Deutschland zu erfassen sind, werden erhöht: zunächst auf 45 Prozent, 2019 dann auf 65 Pro- zent. Drittens. Die Recycling- und Verwertungsquoten bei den Altgeräten werden erhöht. Viertens. Es kommt zu einer Rücknahmepflicht des Handels. Eine Rücknahme durch den Handel erfolgt heute auf freiwilliger Basis. Wir wissen: Viele Geschäfte nehmen alte Elektrogeräte heute schon zurück. Künftig soll in großen Geschäften mit einer Verkaufsfläche von mehr als 400 Quadratmeter gelten: Kauft jemand ein neues Gerät, kann er im Gegenzug sein altes Gerät im Geschäft zurückgeben. Kleine Altgeräte – mit weniger als 25 Zentimetern Kantenlänge – müssen auch dann zu- rückgenommen werden, wenn kein neues Gerät gekauft wird. Fünftens. Ungeachtet der Rücknahmepflichten des Handels gilt: Bewährte Erfassungs- und Entsorgungs- strukturen werden erhalten und verbessert. Sechstens. Um die illegalen Exporte einzudämmen, wird eine Beweislastumkehr eingeführt: Will jemand alte Elektrogeräte exportieren, muss er künftig nachwei- sen, dass es sich nicht um Abfälle handelt, sondern um funktionstüchtige Geräte. Es handelt sich um ein umfangreiches Gesetz. Und der Teufel steckt im Detail. Es gibt zahlreiche Hinweise von verschiedenen Seiten, wie der Gesetzestext noch verändert und gegebenenfalls verbessert werden kann. Ich sage Ihnen zu: Wir werden uns alle Änderungswün- sche sehr genau ansehen und bewerten. Es wird im Juni im Umweltausschuss zudem eine Sachverständigenan- hörung geben. Wir werden diese genau auswerten und Schlussfolgerungen ziehen. Wir werden vor allem auch darauf achten, dass keine unnötige Bürokratie aufgebaut wird. Das ist mir wichtig. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Jeder kennt die Situation: Das Handy funktioniert nicht mehr, man kauft sich ein neues und das alte, defekte Gerät landet zu Hause in der Schublade. Irgendwann wird es dann ent- sorgt – idealerweise bei einer dafür vorgesehenen Sam- melstelle. Schätzungen zufolge werden jährlich rund 150 000 Tonnen solcher Elektrokleingeräte nicht ent- sorgt, sondern landen in Müllverbrennungsanlagen, wo sie gar nicht hingehören. Betrachtet man alle Elektroge- räte, dann sind es sogar 500 000 Tonnen. Das muss ein Ende haben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die EU- Richtlinie über Elektronik- und Elektroaltgeräte umge- setzt und das bestehende Elektrogesetz weiterentwickelt. Ziel des Gesetzes ist es, die Sammelquote bei Elektro- und Elektronikaltgeräten zu erhöhen, wertvolle Metalle zurückzugewinnen und die Reststoffe aus den Geräten ordnungsgerecht und umweltschonend zu entsorgen. Auch der Handel muss zur Erreichung der Ziele einen Beitrag leisten. Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von über 400 Quadratmetern werden verpflichtet, das Alt- gerät bei Kauf eines vergleichbaren Neugeräts zurück- zunehmen. Bei kleinen Geräten muss die Rücknahme sogar ohne Neukauf erfolgen. Ich begrüße, dass der Ge- setzentwurf den kleinen Strukturen des Mittelstands mit dieser 400-Quadratmeter-Regel Rechnung trägt. Denn: Aus eigener Erfahrung aus dem Familienumfeld kann ich sagen, dass nicht jeder kleine Dorfladen die räumli- chen Möglichkeiten hat, große Geräte wie Wasch- oder Spülmaschinen zurückzunehmen und bis zur Entsorgung zu lagern. Auch der Onlinehandel, der immer weiter an Bedeu- tung gewinnt, wird einbezogen. Online-Händler werden zukünftig verpflichtet sein, Altgeräte zurückzunehmen. Die dafür vorgesehenen Rücknahmestellen müssen in zumutbarer Entfernung zum jeweiligen Endnutzer einge- richtet werden. Wie genau das in der Praxis auszusehen hat, werden wir im weiteren parlamentarischen Verfah- ren noch weiter diskutieren müssen. 10210 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) Auch diskutieren müssen wir den Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft. Die EU-Richtlinie reduziert die An- zahl der Produktkategorien von ursprünglich zehn auf sechs Kategorien. Dadurch sind die Hersteller verpflich- tet, ihre Produkte neu in die Kategorien einzusortieren, was wiederum Umsetzungskosten in Höhe von rund 1 Milliarde Euro im Jahr 2018 entspricht. Auch wenn der Normenkontrollrat hier keine Bedenken angemeldet hat, so ist dies aus meiner Sicht problematisch und muss ebenfalls im weiteren Verfahren genau hinterfragt und geprüft werden. Rohstoffe und Sekundärrohstoffe sind etwas Wertvol- les – vor allem für uns Deutsche, da unser Land wenige Rohstoffe hat. Künftig sollen nur noch überprüfte, funk- tionsfähige Geräte als Nichtabfall exportiert werden. Durch eine Beweislastumkehr, nach der der Exporteur belegen muss, dass es sich um gebrauchsfähige Geräte und nicht um Elektroschrott handelt, verleihen wir dieser Regelung Nachdruck. Damit schieben wir der illegalen Verbringung von Rohstoffen, insbesondere in Entwick- lungsländer, einen Riegel vor, und das ist auch gut so. Bei all der Diskussion um die Umsetzung der EU- Richtlinie dürfen wir aber nicht vergessen, dass Deutsch- land die europäischen Zielvorgaben schon heute über- trifft. Auch bei der Produktverantwortung im Elektroge- rätebereich sind wir sehr weit. Die Hersteller haben eine gemeinsame Stelle, die Stiftung ear gegründet. Die Her- steller holen so bereits heute die Altgeräte analog zu ihrem Marktanteil bei den öffentlich-rechtlichen Sam- melstellen ab und sorgen für eine umweltgerechte Ent- sorgung und Verwertung der Rohstoffe. Von dieser Produktverantwortung können wir in wei- teren Bereichen lernen. Ich denke hier zum Beispiel an das geplante Wertstoffgesetz, über das wir vorhin hier diskutiert haben. Durch eine Produktverantwortung für stoffgleiche Nichtverpackungen wie die Quietscheente oder den Kleiderbügel würden wir zum einen den Anreiz setzen, möglichst nachhaltige gut rezyklierbare Materia- lien bei der Herstellung zu verwenden, und zum anderen die stoffliche Verwertung gegenüber der thermischen Verwertung fördern. Ein Ansatz, der sich – wie ich finde – lohnt weitergesponnen zu werden. Es sind noch einige Fragen offen. Zusammenfassend möchte ich jedoch sagen, dass das Gesetz ein wichtiger Baustein zum Schließen von Stoffkreisläufen ist, die stoff- liche Verwertung von Elektroabfällen verbessert und da- für sorgt, dass wertvolle Rohstoffe in der Wertschöp- fungskette bleiben. Michael Thews (SPD): 41,8 Millionen Tonnen Elek- troschrott sind im vergangenen Jahr weltweit angefallen. Das sind 2 Millionen Tonnen mehr als im Jahr davor. Etwa 4 Prozent des weltweiten Aufkommens stammen aus Deutschland. Wissenschaftler der United Nations University schät- zen den Wert der in den Elektroaltgeräten enthaltenen Materialen für 2014 auf 48 Milliarden Euro. Allein der Wert des enthaltenen Kupfers wird auf 10,6 Milliarden Euro geschätzt und der des Goldes auf 10,4 Milliarden. Man könnte also meinen, bei dem heute debattierten Ge- setz zum Umgang mit Elektroaltgeräten geht es gar nicht in erster Linie um Umweltpolitik, sondern eigentlich um Wirtschaftspolitik. Das stimmt natürlich so nicht. Natürlich wollen wir mehr Elektroaltgeräte sammeln, um die in ihnen enthal- tenen Wertstoffe wieder in den Wirtschaftskreislauf zu- rückzubringen, aber es geht eben auch darum, unsere natürlichen Ressourcen zu schonen. Wir müssen die so- zialen und ökologischen Folgen des zunehmenden Roh- stoffabbaus eingrenzen. Wir wollen, dass die Geräte sachgerecht recycelt werden. Wir wollen verhindern, dass es durch nichtfachgerechte Entnahme der Wert- stoffe in Deutschland oder im Ausland zu Schadstoff- emissionen kommt und zu illegaler Deponierung der Reststoffe. Deshalb ist dieses Gesetz eben doch in erster Linie ein umweltpolitisch bedeutsames. Natürlich hat aber der Marktwert der in den Altgerä- ten enthaltenen Wertstoffe wie Metalle und seltenen Er- den trotzdem Auswirkungen. Die Wissenschaftler haben nämlich festgestellt, dass trotz der wirtschaftlichen Be- deutung des Elektroschrotts weltweit weniger als ein Sechstel sachgemäß recycelt wird. Das liegt natürlich auch daran, dass wegen des Marktwertes die Entnahme von Kupfer und Gold auch außerhalb der offiziellen Re- cyclingwege stattfindet. Eine aktuelle Studie des Um- weltprogramms der Vereinten Nationen schätzt den Wert des auf inoffiziellen Wegen entsorgten und teilweise ge- handelten Elektroschrotts auf 11 bis 16,5 Milliarden Euro im Jahr. Diese Art der Entsorgung hat unter Um- ständen verheerende Auswirkungen auf die Umwelt und besonders den Menschen. Denken wir an die Bilder aus Afrika, wo Menschen in meterhohen Lagen Elektro- schrott wühlen. Messungen dort haben ergeben, dass die Schadstoffbelastung in Luft und Boden die zulässigen Grenzwerte um das 50-Fache überschreitet. Das ist auch die Folge unserer Sucht nach modernster Elektronik mit immer kürzerer Nutzungsdauer. Deshalb ist ein ganz wichtiges Ziel dieser Novelle die Eindämmung des ille- galen Exports. Gleichzeitig müssen wir hier aufpassen, dass wir damit nicht den grenzüberschreitenden Trans- port zum Zweck der Reparatur unmöglich machen. Das wären dann ökologisch ebenfalls unerwünschte Neben- folgen. Stärken wollen wir auch die Wiederverwendung von Geräten. Immer mehr Kommunen setzen diesen Weg mit lokalen karitativen und sozialen Betrieben um. Aber es geht bei diesem Gesetz auch darum, den Ver- lust der in den Elektro- und Elektronikaltgeräten enthal- tenen Wertstoffe in Deutschland einzudämmen und den Rücklauf in den Wirtschaftskreislauf sicherzustellen. Denn bei uns landen immer noch zu viele Geräte in der grauen Tonne oder schlummern – wie zum Beispiel alte Handys – in Schreibtischschubladen oder landen manch- mal auch in den Händen illegaler Entsorger. Deshalb soll das Sammelnetz verdichtet werden, der Handel und auch der Onlinehandel stärker in die Sammlung einbezogen werden, die Sammlung insgesamt verbraucherfreundli- cher gestaltet werden, ohne dass dabei Schlupflöcher für illegale Entsorgung entstehen. So hoffen wir, das von der zugrunde liegenden EU-Richtlinie und der hier vorlie- genden Novelle für 2016 vorgegebene Sammelziel von Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10211 (A) (C) (D)(B) 45 Prozent, bezogen auf das durchschnittliche Gewicht der in den letzten drei Jahren in Verkehr gebrachten Ge- räte, zu erreichen. Ich möchte hier aber auch dafür plädieren, schon wei- terzudenken. Wir müssen bei den Elektrogeräten auch den nächsten Schritt gehen und versuchen, Einfluss auf die Produktion der Geräte zu nehmen. So wie es in der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates auch schon anklingt, müssen wir uns auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass Maßnah- men für die Langlebigkeit von Elektrogeräten getroffen werden und darüber hinaus auch für die Recycling- freundlichkeit der Geräte. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Die Bundesregierung will mit einem neuen Gesetz zur Entsorgung von Elek- trogeräten genannt ElektroG, deutlich mehr Elektroaltge- räte ordnungsgemäß und umweltfreundlich entsorgen lassen und damit einen Beitrag zur Ressourcenschonung leisten. So weit die Theorie, denn in der Praxis werden heute selbst über Abfall oder Sperrmüll entsorgte Geräte später ordnungsgemäß erfasst, weil das Gewinne ab- wirft – das ist Marktwirtschaft. Wäre das neue ElektroG gut, würde es wenigstens nicht schaden, aber es hat ei- nige gravierende Fehler. Woran es im Punkte Ressourcenschutz in der Logik des Gesetzes bereits mangelt, ist, dass anstatt auf Ver- meidung auf das Prinzip des Neukaufs eines Elektro- gerätes nach Ablauf einer dreijährigen Nutzungszeit ge- setzt wird. Das spiegelt zwar die Realität wieder, aber die ist alles andere als ressourcenschonend. Denn es ver- stärkt den Eindruck gewollter Obsoleszenz bei den Elek- trogeräten, die direkt nach der Gewährleistungszeit ihren Geist aufgeben, und die Regierung akzeptiert dies. Auch die permanente Suggestion, wer seinen Fernseher oder Laptop länger als drei Jahre in Gebrauch hat oder sein Mobiltelefon oder Tablet nach einem Jahr noch nicht ausgetauscht hat, sei nicht mehr auf der Höhe der Zeit, wirkt definitiv nicht ressourceneffizient. Aber zurück zum Gesetzentwurf: Nehmen wir den Grünen Punkt, der von zehn im Wettbewerb stehenden dualen Systemen für alle bestätigten Verpackungen vergeben wird. Die zehn dualen Systeme, diese zehn Fir- men, streiten um ihren Anteil an der jeweiligen Verpa- ckungssorte. Bringt die Verwertung einer Verpackungs- sorte Geld, will jede der Firmen einen großen Anteil. Kostet die Verwertung einer Verpackung Geld, dann will diese keiner bestätigt haben. Jeder der Zehn verhandelt mit den Firmen, die Verpa- ckungen einsammeln, mit Firmen, die Verpackungen be- nötigen, und schließt seine Verträge und rechnet ab. Aber in einem Gebiet sammelt nur eine Firma alle Verpackungen ein, aber die muss mit allen zehn dualen Systemen abrechnen. Jede Verwertungsanlage verarbei- tet für alle zehn Firmen Verpackungen und muss mit jeder einzelnen abrechnen. Das beschreibt ganz kurz die Funktionsweise der dualen Systeme, die größere Mengen an Geld für Bürokratie verschlingen, als für die eigentliche Entsorgung der Abfälle gebraucht wird. Mit dem neuen vorliegenden ElektroG wird wohl das nächste duale System geschaffen werden, mit ähnlichen Wirkungen, genauso schlecht funktionierend. Dieses Gesetz benachteiligt Kommunen. Die Kom- munen werden verpflichtet, die Flächen für die Samm- lung alter Elektrogeräte kostenlos zur Verfügung zu stel- len und das Erfassungssystem kostenlos zu betreiben. Die Kommunen müssen auf ihre Kosten Bürgerinnen und Bürger umfassend zum ElektroG informieren. Elektronikgeräte sollen grundsätzlich nicht bei Haus- halten abgeholt werden müssen, können es aber. Wenn ein Hersteller Geräte abholt, darf er Geld dafür verlan- gen. Wenn ein kommunales Abfallunternehmen das tut, darf es kein Geld fordern. Nett, dass die Bundesregierung zulasten der Kommu- nen versucht, zu verhindern, dass die Menschen ihre Alt- geräte aus Kostengründen einfach in den Hausmüll oder die Natur werfen. Da ist zumindest der Anschein einer kostenlosen Entsorgungsoption besser. Sie geben mit diesem Gesetzentwurf den Herstellern und Vertreibern eine Lizenz zum Gelddrucken in die Hand, indem sie bei Abholung auch noch Geld verlan- gen dürfen. Weiterhin dürfen die Inverkehrbringer von Elektro- geräten zwischen mehreren Entsorgungspfaden wählen; das bedeutet mehr Bürokratie. Nicht umsonst schätzt die Bundesregierung Bürokratiekosten von 83 Millionen Euro je Jahr. Wir kommen nicht umhin: Wenn dieser Gesetzent- wurf sozial gerecht werden soll, muss das Verursacher- prinzip real und nicht scheinbar durchgesetzt werden. Die Hersteller zahlen eine Ressourcenabgabe. Aus ei- nem Teil dieser Ressourcenabgabe wird das kommunale Rücknahmesystem finanziert. Durch die Ressourcen- abgabe würde der Gesetzentwurf außerdem ressourcen- schonend. Denn wenn Produkte gut reparierbar oder aufrüstbar sind oder wenn sie ressourceneffizient und gut recycelbar konstruiert wurden, zahlt der Hersteller weniger Ressourcenabgabe. Dann hat er einen Anreiz, so ökologisch und effizient wie möglich zu produzieren. Damit eine möglichst vollständige Sammlung und Wiederverwendung ermöglicht und bestmögliches Recy- cling garantiert wird, bräuchte es nur eine Pfandpflicht auf Elektrogeräte. Das Prinzip der Pfandpflicht ist nichts Neues, und es ist effektiv und garantiert hohe Rückgabe- quoten. Nahezu kein Elektrogerät wird mehr im Haus- müll oder im Wald landen. Schade, das, was die Bundesregierung hier vorgelegt hat, kommt erstens zu spät, löst zweitens nicht existie- rende Probleme und schafft neue Baustellen. Dieses ElektroG bedeutet Mehrkosten für die Ver- braucher und verwirrt diese. Kurz gesagt: Es wird ein Remake der dualen Systeme und genauso versagen. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Deutschen werfen pro Jahr 600 000 Tonnen Handys, PCs, Föhne, Herde und Toaster weg. Alte und kaputte 10212 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) Elektro- und Elektronikgeräte gehören aber nicht in den Restmüll, egal wie klein sie sind. Sie enthalten wichtige und wertvolle Rohstoffe, die bei der richtigen Behand- lung zurückgewonnen werden können. Diese zu ver- brennen ist reine Ressourcenverschwendung. Elektroschrott enthält außerdem viele Schadstoffe, etwa Blei und Kadmium in Akkus, Quecksilber in Leuchtstofflampen, Flammschutzmittel in Kunststoffen. Diese gelangen nur bei der richtigen Behandlung nicht in die Umwelt. Deshalb ist eine funktionierende, separate Sammlung von Elektroschrott enorm wichtig; da sind wir uns alle einig. Doch der Verbleib von zu vielen Elektrogeräten ist unklar. Deshalb hat die EU neue Vorschriften verabschie- det, um die Sammlung und die Verwertung zu verbessern. Die Bundesregierung legt heute mit dem aktualisierten ElektroG eine reine 1:1-Umsetzung der europäischen Vorgaben vor. Das ist reine Pflichterfüllung, bleibt aber umweltpolitisch weit hinter dem zurück, was möglich gewesen wäre, um die Ressourcenpolitik in Deutschland wirklich voranzubringen. Handys, Laptops, Tablets, es kommen immer mehr Elektrogeräte auf den Markt, vor allem in den Kommu- nikationstechnologien. Die Rückläufe, was also über- haupt ins Recycling gelangen kann, sind viel zu niedrig. Schätzungen zufolge landet in Deutschland nur etwa die Hälfte aller elektronischen Geräte vorschriftsgemäß auf dem Recyclinghof, bei kleinen Geräten ist die Zahl ver- mutlich noch viel niedriger. Etwa ein Viertel unseres Elektroschrotts, circa 150 000 Tonnen jährlich, wird dann illegal nach Afrika und Asien exportiert. Dem soll jetzt ein Riegel vorge- schoben werden durch die Beweislastumkehr beim Ex- port. Dieses ist richtig und wichtig, um die illegalen Elektroschrottexporte in die Länder des Südens einzu- dämmen. Bis zu 20 000 Kinder sollen in Ghana, Nigeria oder der Elfenbeinküste auf Halden arbeiten und aus Elektroschrott seltene Metalle und andere wiederver- wertbare Bestandteile herausholen und dabei giftigen Dämpfen ausgesetzt sein. Nun müssen Exporteure von Altelektrogeräten nachweisen, dass diese noch funktio- nieren. Somit haben Behörden nun erstmals europaweit eine Möglichkeit, den illegalen Export effektiv zu ahn- den. Eine weitere wichtige Verbesserung ist die Rück- nahme von Altgeräten im Handel. Hier hat die Regie- rung mit dem jetzt vorgelegten Gesetz allerdings nur den ganz großen Läden – ab 400 Quadratmetern Verkaufs- fläche von Elektrogeräten – die Pflicht auferlegt, Elek- trokleingeräte wieder zurückzunehmen. Wir setzen uns dafür ein, dass die Rückgabemöglichkeiten für Bürgerin- nen und Bürger noch einfacher werden, indem jeder, der Elektrogeräte verkauft, diese auch zurücknehmen muss. Das trifft dann nicht nur die ganz großen Elektromärkte, sondern auch Discounter, über deren Ladentisch mehr und mehr Geräte verkauft werden. Wir Grüne sind davon überzeugt, dass finanzielle An- reize den Anteil zurückgegebener Geräte deutlich erhö- hen könnten und längere Verwendung und ein besseres Recycling dadurch möglich wird. Vor allem kleine Ge- räte landen vielfach in der Restmülltonne. Wir fordern die Einführung eines „Handypfandes“ als Test, ob dieses tatsächlich zu deutlich höheren Rückläufen führt, wie wir es annehmen. Wenn dieses erfolgreich ist, sollten solche finanzielle Anreize für Rückgaben auch auf an- dere Elektronikgeräte wie Tablets und Spielekonsolen ausgeweitet werden. Ein solches Pfandsystem sollte ins neue Elektrogesetz aufgenommen werden. Eine verpasste Chance ist es auch, dass keinerlei Vor- gaben für das Produktdesign im jetzigen Entwurf enthal- ten sind, die die Reparaturfähigkeit und Langlebigkeit von Produkten fördern. Das Umweltbundesamt hat kürz- lich erste Studienergebnisse veröffentlicht, die belegen, dass viele Geräte heute immer schneller kaputt gehen. Besonders Elektrogeräte sind hiervon betroffen. Dieses führt zu unnötigen Kosten, Umweltschäden durch Res- sourcenverschwendung und viel Ärger bei Verbrauche- rinnen und Verbrauchern. Warum wird dieses Thema von Ihnen nicht im neuen Gesetz aufgegriffen? Dazu gehört auch die Vorgabe, dass Ersatzteile über einen gewissen Zeitraum vorgehalten werden und den unabhängigen Reparateuren auch zur Verfügung gestellt werden müssen. Verklebte Gehäuse oder fest verbaute Batterien und Akkus führen aber dazu, dass Reparaturen immer mehr erschwert werden. Das ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel, dieses Themas hätten Sie sich anneh- men müssen. Ein weiteres, bisher leider unberücksichtigtes Thema ist der Zugriff von Weiterverwendern auf die Altgeräte – denn laut europäischer Abfallhierarchie ist Weiternut- zung zu fördern. Aber genau das tun Sie mit Ihrem Ge- setz nicht, indem Sie die Weiternutzung der Altgeräte ausschließen. Dies kritisieren auch alle Umweltverbände und die Reparaturwerkstätten und Repair-Cafés, die sich derzeit überall im Land gründen. Wir hoffen, dass es im weiteren Beratungsverfahren hier im Parlament und im Bundesrat noch zu deutlichen Umweltverbesserungen kommt. Dies betrifft vor allem die Nutzungsdauer von Elektrogeräten, Vorgaben für ökologischeres Design, die Langlebigkeit und Repara- turfähigkeit von Geräten. Liebe Kolleginnen und Kolle- gen der Koalitionsfraktionen, wenn Sie bereit sind, an diesen Stellen nachzubessern, sind wir bereit, diese not- wendigen Änderungen mit Ihnen zusammen vorzuneh- men. Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- torsicherheit: Alte Elektrogeräte gehören nicht in die Restmülltonne, denn sie enthalten sowohl wertvolle Rohstoffe wie seltene Erden, aber auch Schadstoffe. Das weiß im Grunde jeder und jede, und den allermeisten ist eine fachgerechte Entsorgung ein wichtiges Anliegen. Ob es dann auch umgesetzt wird, hängt im Alltag oft davon ab, wie groß der Aufwand ist. Dennoch werden auch heute schon viele Elektroaltgeräte erfasst, und von den erfassten Geräten 85 Prozent recycelt. Trotzdem gilt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10213 (A) (C) (D)(B) es, zukünftig noch deutlich mehr Altgeräte zu erfassen und zu recyceln. Mit der Novellierung des Elektro- und Elektronikge- rätegesetzes, das vor zehn Jahren in Kraft getreten ist, sollen deshalb vor allem die Weichen dafür gestellt wer- den, dass Verbraucherinnen und Verbraucher ihre alten Geräte einfach und unkompliziert zurückgeben können. Das heißt, dass wir für ein dichtes Netz an Sammel- stellen sorgen müssen – und das kann am besten der Handel. Er ist nah an den Verbraucherinnen und Ver- brauchern. Satt auf Freiwilligkeit setzt der Gesetzentwurf auf Pflichten zur Rücknahme von Elektroaltgeräten. Große Vertreiber werden verpflichtet, alte Geräte beim Neu- kauf eines gleichwertigen Geräts zurückzunehmen. Bei kleinen Geräten müssen die großen Vertreiber die Altge- räte sogar ohne Kauf eines entsprechenden Neugeräts zurücknehmen. Als „große Vertreiber“ gelten Geschäfte mit mehr als 400 Quadratmetern Verkaufsfläche, und auch Internethändler, die einen immer größeren Anteil am Umsatz haben, gehören dazu. Kleine und mittelstän- dische Händler dagegen sind ausgenommen. Grundsätzlich halten wir am Konzept der geteilten Produktverantwortung, in dessen Rahmen die Kommu- nen eine zentrale Rolle haben, bei der Rücknahme und Entsorgung von Elektro- und Elektronikaltgeräten fest, denn es ist erfolgreich. Dies zeigen sowohl die Sammelleistungen als auch die in Deutschland erreichten Recycling- und Verwer- tungsquoten. Mit durchschnittlich 8,11 Kilogramm ge- sammelter Menge pro Einwohner und Jahr in den ver- gangenen sieben Jahren wird die europäische Vorgabe von 4 Kilogramm deutlich überschritten. Auch die Recy- cling- und Verwertungsquoten müssen den europäischen Vergleich nicht scheuen. Dennoch bietet die Novellierung die Chance, ehrgei- zigere Ziele zu erreichen, Strukturen weiterzuentwickeln und praktische Erfahrungen aufzugreifen, um erstens den zukünftigen Vorgaben der EU mit Blick auf die Sammlung und das Recycling zu entsprechen – die Sam- melziele steigen 2016 auf 45 Prozent, 2019 auf 65 Pro- zent –, zweitens die Ressourceneffizienz unserer Wirt- schaft weiter zu verbessern. Bei der Novellierung des Elektrogesetzes geht es des- halb darum, einen größeren Anteil wertvoller Metalle, die immer seltener und teurer werden, aus den Altgerä- ten zurückzugewinnen, die Sammelmenge von Altgerä- ten weiter zu steigern und eine möglichst hochwertige Verwertung sicherzustellen und den illegalen Export von Altgeräten ins Ausland zu unterbinden. Wir haben in den letzten Jahren auf nationaler wie in- ternationaler Ebene an Lösungen gearbeitet, illegale Ex- porte von Altgeräten zu verhindern: Erstens konkretisieren wir mit dem Gesetzentwurf die Kriterien für die Abgrenzung von gebrauchten Geräten und Altgeräten, die Abfall sind. Zweitens führen wir eine Beweislastumkehr ein. Zu- künftig muss der Exporteur belegen, dass es sich bei den zu exportierenden Geräten um funktionsfähige Ge- brauchtgeräte und nicht um Altgeräte handelt. Drittens ist es uns in der letzten Woche bei der Ver- tragsstaatenkonferenz zum Basler Übereinkommen ge- lungen, internationale Leitlinien zu verabschieden, die ebenfalls solche Instrumente enthalten. Damit weniger Altgeräte im Restmüll landen, sind vor allem die Bürgerinnen und Bürger gefragt. Dafür wollen wir bessere Rahmenbedingungen schaffen. Bei den nun folgenden Diskussionen im Bundestag und seinen Ausschüssen ist es aus Sicht der Bundesre- gierung unabdingbar, im Blick zu behalten, dass die zu treffenden Regelungen natürlich mit den europarechtli- chen Vorgaben in Einklang stehen müssen. Zudem gilt es zu verhindern, dass die bestehenden, effizienten Struktu- ren zur Erfassung und Entsorgung von Elektro- und Elektronikaltgeräten konterkariert werden. Die Bundesregierung hat in ihrem Entwurf viele Vor- schläge abgewogen und ist der Auffassung, dass der vor- liegende Entwurf einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessen und Erforder- nissen darstellt. Ich bitte daher um Ihre Unterstützung für die im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthalte- nen Regelungen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Forschung und Ent- wicklung für die Bekämpfung von vernachläs- sigten armutsassoziierten Erkrankungen stär- ken (Tagesordnungspunkt 22) Stephan Albani (CDU/CSU): Infolge der Kürze der Zeit und der fortgeschrittenen Stunde gleich zum Kern des Themas: Weltweit existieren viele Krankheiten, für die bislang noch keine bzw. nur unzureichende Impfstoffe und auf- wendige bzw. teilweise auch keine Therapien existieren. Hierzu zählen zum Beispiel „die großen Drei“ – HIV/ Aids, Tuberkulose, Malaria – ebenso wie das Dengue- Fieber, die Schlafkrankheit und verschiedene andere Tropenkrankheiten, um nur ein paar dieser Erkrankun- gen zu nennen. Bis heute ist es uns allen nicht gelungen, diese Krankheiten in den Griff zu bekommen, bis heute leidet eine riesige Anzahl von Menschen an diesen Er- krankungen. Allein im Fall Tuberkulose sind weltweit 2,5 Milliarden Menschen infiziert, jährlich kommen nach Angaben der WHO 9 Millionen Neuinfektionen hinzu, und weit über 1 Million Menschen sterben daran. Es ist schon schlimm, wenn eine dieser Krankheiten getrennt allein auftritt. Doch dort, wo bereits eine Im- munschwäche etwa durch HIV/Aids besteht, haben wei- tere Erkrankungen ein nur allzu leichtes Spiel. 10214 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) Keiner auf unserer heute durch die Globalisierung im- mer „kleiner“ werdenden Welt darf sich noch der Illu- sion hingeben, dass Krankheiten weit weg sind, für ihn oder sie keine Bedeutung haben, wenn wir sie nicht überall und für alle in den Griff bekommen. So wurde es wahrgenommen in Sachen Ebola, und zwischen 2010 und 2013 verdoppelte sich hierzulande die – wenn auch insgesamt noch kleine – Fallzahl der multiresistenten Tuberkulose. One World – One Health – wir sind eine Welt und wir haben eine Gesundheit! In diesem Sinne möchte ich Sie, meine Damen und Herren, hier daran erinnern, dass solche Krankheiten keine Grenzen kennen und wir auch am Beispiel von Ebola und auch der Tuberkulose spüren, dass ein weite- rer Handlungsbedarf dringend notwendig ist. Heilmittel sowie Impfstoffe werden in der Industrie nachfrageorientiert und für strategisch wichtige Märkte entwickelt. Die Ärmsten der Armen stehen mangels Kaufkraft hier zunächst nicht im Fokus. Wirtschaftlich agierende Unternehmen dürfen und müssen so verfah- ren. Jedoch kann und muss unsere Gesellschaft hier an- ders entscheiden und den Fokus eben auch auf diese Erkrankungen lenken und öffentliche Gelder dort einset- zen, wo diese dringend benötigt werden, aber bislang fehlen, um die notwendige Forschungsleistung für Dia- gnostika, Impfstoffe und Therapien zu leisten. Wir in Deutschland können dies, die forschenden Köpfe dazu gibt es hier! Die Bundesregierung hat dies bereits 2011 erkannt und das Förderkonzept „Vernachlässigte und armuts- assoziierte Krankheiten“ im Bundesministerium für Bil- dung und Forschung auf den Weg gebracht, um die For- schungsförderung zu fokussieren und Forschung hier über alle Akteure – aus Wissenschaft und Wirtschaft – hinweg zu bündeln. Allein 2010 bezifferten sich die vom BMBF geförder- ten Forschungsprojekte und Maßnahmen auf rund 11 Millionen Euro. 2011 wurden diese Mittel durch eine Fördermaßnahme für die sogenannten Produktentwick- lungspartnerschaften – englisch: PDPs – mit einem Vo- lumen von 20 Millionen Euro ergänzt. Zusammenge- nommen wurden 2012 von öffentlicher Seite etwa 47 Millionen Euro investiert – laut Internationalem Währungsfonds stand Deutschland damit an vierter Stelle im internationalen Vergleich. Dabei sind die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten PDPs ein besonders wichti- ges öffentliches „Investment“: Sie schließen eine Versor- gungslücke im globalen Gesundheitssystem und bauen eine Brücke zwischen denen, die ihren forschenden Bei- trag leisten können, und denen, die es brauchen. Denn diese international agierenden Non-Profit-Orga- nisationen entwickeln wichtige Heilmittel, Impfstoffe und Diagnostika gemeinsam mit Pharmaunternehmen und Forschungseinrichtungen. Sie entwickeln auch Prä- ventionsmethoden gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, um die Betroffenen später auch mit diesen Produkten zu versorgen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt bereits vier Produktentwicklungspartner- schaften, dies sind: erstens „Drugs for Neglected Disea- ses, DNDi,“ mit Medikamentenentwicklungen gegen die Afrikanische Schlafkrankheit, Viszerale Leishmaniose, die Chagas-Krankheit und Wurmerkrankungen, zweitens die „Foundation for innovative new diagnostics, FIND,“ mit der Entwicklung einer Diagnoseplattform für vier parasitäre Erkrankungen: Afrikanische Schlafkrankheit, Chagas, Leishmaniose und Malaria, drittens, die „Euro- pean Vaccine Initiative, EVI“ mit der Entwicklung eines Malariaimpfstoffes für Schwangere und viertens die „Dengue Vaccine Initiative, DVI“ zur Entwicklung eines multivalenten Impfstoffes gegen das Dengue-Virus. Diese Förderung endet in diesem Jahr. Wir haben die Aufgabe, diese elementar wichtige Fördermaßnahme fortzuführen, thematisch zu erweitern und finanziell stärker auszustatten. Dies ist Konsens aller Beteiligten, und dies findet Ausdruck in dem Antrag, den wir hier und heute debattieren. Mir sei erlaubt mich anlässlich dieses, meines ersten Antrages zum einen bei der Kollegin Frau Annette Hübinger und ihrem Team ganz herzlich zu bedanken, die mich bei der Einarbeitung immens unterstützt haben. Und ebenso gilt mein Dank meinem Co-Berichterstatter, Herrn René Röspel, und seinem Team für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Zum Abschluss: Es gibt nur eine Welt-Gesundheit, sie geht uns alle an, wir stehen gemeinsam in der Verant- wortung. Durch die Zusammenarbeit von Industrie und Wissenschaft in den PDPs ist sicherzustellen, dass For- schungslücken bei der Bekämpfung von Infektions- krankheiten geschlossen werden und schlussendlich die Versorgung weltweit verbessert wird. Als einen Beitrag zur Weltgesundheit gilt es, die Fort- setzung des Förderkonzeptes „Bekämpfung vernachläs- sigter armutsbedingter Erkrankungen“ auch über das Ende 2015 hinaus sicherzustellen, es auszubauen, zu stärken und – so sollte es unser Anspruch sein – schluss- endlich auch zu verstetigen. Anette Hübinger (CDU/CSU): Vernachlässigte, ar- mutsassoziierte Krankheiten – ein Thema und ein Ge- sundheits- bzw. Forschungsbereich, dem in Deutschland meist wenig Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit ge- schenkt wird. Ab und zu liest man von Krankheiten, die eigentlich in den europäischen Gebieten nicht auftau- chen dürften – zum Beispiel, dass seit fast drei Jahren in Griechenland wieder Menschen an Dengue-Fieber er- kranken. Ein mediales Ereignis ist dies nicht. Bei der Ebolaepidemie war es anders. Die Angst ging um, dass die Epidemie sich auch nach Europa ausbreiten könnte, schließlich leben wir in einer globalisierten Welt. Rufe nach Schutzzonen und Sicherheitsmaßnahmen an euro- päischen Flughäfen wurden laut. Neben Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie vor Ort und Behandlung der Kranken wurden zu Recht Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10215 (A) (C) (D)(B) die Forschungsanstrengungen verstärkt. Nach wenigen Wochen flaute dann das mediale Interesse wieder ab, ob- wohl die aktuelle Ebolaepidemie bis heute nicht endgül- tig eingedämmt ist. Circa 26 000 Menschen erkrankten am Ebolafieber, über 10 500 von ihnen sind gestorben, so die WHO. Eine katastrophale Bilanz. Aber was ist mit all den anderen vernachlässigten tro- pischen Krankheiten? Jährlich infizieren sich 50 bis 100 Millionen Men- schen weltweit mit Dengue-Fieber. An Leishmaniose, eine durch Parasiten hervorgerufene Infektionskrankheit, erkranken 1,5 bis 2 Millionen Menschen jährlich; pro Jahr versterben daran weltweit circa 70 000 Menschen. An Chagas, einer infektiösen Erkrankung, übertragen durch Raubwanzen, erkranken jährlich circa 50 000 Men- schen, 15 000 der Fälle enden tödlich. Da fragt man sich: Wo ist da der mediale Aufschrei, der so ein bedeutsames Thema in das öffentliche Bewusstsein rückt? Aus dem politischen Bewusstsein sind diese Krank- heiten glücklicherweise nie verschwunden. Bereits 2010 hat sich das BMBF zur Erforschung von vernachlässig- ten, armutsassoziierten Krankheiten strategisch neu auf- gestellt und ein neues Förderkonzept erarbeitet. Dies ist deshalb so bedeutsam, da die pharmazeutische Industrie sich aus vielen Bereichen der Erforschung dieser Krank- heiten wegen fehlender Gewinnmargen herausgezogen hat. Unser staatliches Engagement muss diese Lücke fül- len. Deutschland muss und kann mehr tun. Nicht nur aus humanitärer Verantwortung, sondern auch, damit den be- troffenen Entwicklungs- und Schwellenländern durch die Folgen dieser Krankheiten nicht noch zusätzliche Entwicklungshemmnisse langfristig aufgebürdet wer- den und nicht zuletzt, weil einige dieser Krankheiten verstärkt in Europa auftreten. In einer globalisierten Welt, mit vernetzten Wertschöpfungsketten, zunehmen- dem Reise- und Warenverkehr und wachsenden Flücht- lingsströmen, machen Krankheiten nicht an Ländergren- zen halt. Eine klare Tendenz ist erkennbar: Tropische Krank- heiten schwappen insbesondere auf unseren Kontinent hinüber. Derzeit sind vor allem südeuropäische Urlaubs- länder wie Spanien, Portugal oder Griechenland betrof- fen. Doch bereits 2014 entdeckte man die Sandmücke – das Überträgertier von Leishmaniose – in Hessen, der bislang nördlichste Fund. Aus Verantwortung gegenüber den Menschen weltweit, aber auch gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern, stellen wir heute erneut einen Antrag zur Verstärkung der Forschung und Entwicklung im Bereich vernachlässigter, armutsassoziierter Krank- heiten. Das neue Förderinstrument, die sogenannten Pro- duktentwicklungspartnerschaften, PDPs, des Bundes- ministeriums für Bildung und Forschung, ist eine wich- tige Säule des bestehenden Förderkonzepts. Hierfür sind seit 2011 circa 21 Millionen Euro an Fördergeldern sei- tens des BMBF ausgegeben worden. Ich bin glücklich darüber, dass die erste Förderrunde in der aktuellen Eva- luierung von März 2015 positiv bewertet wurde. Der Evaluationsbericht betont die außerordentliche Bedeu- tung der PDPs bei der Entwicklung und dem Einsatz besserer und neuer Therapien für die Behandlung ver- nachlässigter Infektionskrankheiten. Er stellt aber auch deutlich heraus, dass PDPs ihre Arbeit fortsetzen müssen und vor allem auch eine langfristig gesicherte Unterstüt- zung benötigen. Für mich ist ganz klar, dass mit der positiven Evaluation der ersten Förderperiode eine An- schlussförderung mit höherer Finanzmittelausstattung eine zwingende Folge ist. Daher fordern wir auch die Bundesregierung auf, eine zweite Förderrunde für PDPs festzuschreiben und die Förderung auch auf Medikamente zur Diagnose und Prä- vention, inklusive Impfstoffe für TB und HIV/Aids aus- zuweiten. Für diese wichtige Forschung fordern wir als Koalition eine signifikante Erhöhung der Mittel. Damit kann die Bundesregierung ein Zeichen setzen, um das bestehende Engagement zu verstetigen und sich noch klarer zu ihrer Verantwortung für die globale Gesundheit zu bekennen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Ausbau der Ca- pacity-Building-Maßnahmen im Allgemeinen sowie im Rahmen der PDPs, als auch die Förderung des Wissens- transfers mit Forschern aus den betroffenen Regionen. Nur so kann eine Stärkung der regionalen Forschungsin- frastrukturen und eine qualitativ angemessene Langzeit- beobachtung der neu eingesetzten Medikamente sinnvoll implementiert werden. Ich habe bereits in früheren Reden erwähnt, dass das BMBF mit der Förderung von PDPs einen neuen und strategisch richtigen Weg gegangen ist. Angesichts der bereits bestehenden und zukünftig wachsenden Heraus- forderungen in diesem Bereich brauchen wir aber wei- tere Partner. Deshalb ist es sehr gut, dass unter der deutschen G-7-Präsidentschaft 2015 vernachlässigte, ar- mutsassoziierte Krankheiten ein Schwerpunktthema sein werden und vor allem die Forschung zu diesen Krank- heiten neben der globalen Gesundheits- und Entwick- lungspolitik in den Mittelpunkt gerückt wird. Dies ist dringend notwendig, da gegen viele dieser Infektions- krankheiten seit Jahrzehnten keine wirksamen Medika- mente existieren. Vielleicht bringt ja der G-7-Gipfel ein neues Bewusst- sein für dieses Thema. Ich hoffe jedenfalls nicht, dass eine nächste Epidemie uns wieder für ein paar Monate in Atem hält, sondern dass neue Forschungsergebnisse vie- len Menschen neue Hoffnung und Zuversicht schenken werden. Auch wenn die Erforschung neuer Wirkstoffe kostspielig ist und einen langen Atem benötigt, lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, Forschung zu ermög- lichen, die zum Wohle vieler Millionen Menschen ist und einen wichtigen Schritt zur Erreichung der Millen- niums-Entwicklungsziele darstellt. Dr. Karamba Diaby (SPD): 1,4 Milliarden Men- schen! Mit unserem Antrag gehen wir einen wichtigen Schritt, um weltweit circa 1,4 Milliarden Menschen zu helfen, die von den vernachlässigten Tropenkrankheiten betroffen sind. 10216 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) Wir alle erinnern uns an die Bilder der schrecklichen Ebolaepidemie. Bisher forderte sie mehr als 11 000 Op- fer – und sie ist noch nicht ausgestanden. Wir wissen: Diese Tragödie wäre vermeidbar gewesen, wenn es Fol- gendes gegeben hätte: ein Gesundheitssystem, Medika- mente und Impfstoffe, medizinische Versorgung sowie Zugang zu Wasser, Strom und Bildung. Ein weiteres Beispiel: Stellen Sie sich vor, dass ein Großteil Ihrer Bekannten bereits als Kinder an Malaria erkrankt. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Sterblichkeit bei circa drei Kindern auf 1 000 Gebur- ten. In Subsahara-Afrika liegt sie durchschnittlich bei über 100 Kindern auf 1 000 Geburten. Eine der häufigs- ten Todesursachen ist nach wie vor Malaria. Das sind Beispiele für das milliardenfache Leid, das Krankheiten wie HIV, Malaria und Tuberkulose und die Tropenkrankheiten hervorrufen. Die Folgen dieser Krankheiten sind für den Einzelnen aber nicht nur physi- scher und psychischer Natur. Oft werden Betroffene so- zial ausgegrenzt; oft nimmt Armut aufgrund von Ar- beitslosigkeit zu. Die Kosten für die Gesellschaft gehen in die Milliar- den. Allein für die Zeit April bis September 2015 schätzt die UN den Bedarf zur Bekämpfung der Ebolaepidemie auf weitere 1,5 Milliarden US-Dollar. Und im Übrigen irrt derjenige, der denkt, dass wir über Krankheiten sprechen, die ausschließlich in Ent- wicklungsländern auftreten oder mit denen man sich höchstens während eines Abenteuerurlaubs infizieren kann. Viren und Bakterien kennen keine Grenzen. Die Zahl der Tuberkulosefälle steigt auch in Deutschland wieder. Das Robert-Koch-Institut registrierte im Jahr 2013 über 4 000 Fälle. Auch die Industrienationen ste- hen einer der tödlichsten Krankheiten zunehmend machtlos gegenüber: veraltete Impfstoffe, veraltete The- rapien, unwirksame Antibiotika. Es ist deshalb erforderlich, dass sich unser Land die- ser großen Herausforderung stärker stellt. Unser Antrag zeigt, wo Handlungsbedarf ist. Zwei spreche ich an die- ser Stelle an: Zum einen müssen wir die Forschung zur Bekämp- fung der Krankheiten stärken. Das schließt die Erfor- schung von Impfstoffen, Antibiotika und therapeutischen Maßnahmen mit ein. Die Partnerschaften zur Entwick- lung der Medikamente sind eine wirksame Strategie. Sie müssen wir ausbauen. Zum anderen: Es nützt das beste Medikament nichts, wenn es den Patienten nicht erreicht. Die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit muss einen Schwer- punkt auf den Aufbau der lokalen Gesundheitssysteme legen. Verantwortungsübernahme heißt für uns: Forschung dauerhaft fördern, den Aufbau der Gesundheitssysteme unterstützen, Kooperation bei der Ausbildung des medi- zinischen und wissenschaftlichen Personals. Diese Punkte müssen Hand in Hand gehen. Es ist deshalb auch das richtige Signal, dass der G-7- Gipfel in Elmau dieses bedeutende Thema aufgreift. Wir sind uns unserer Verantwortung gegenüber den 1,4 Mil- liarden Betroffen bewusst. René Röspel (SPD): Leider zu einem sehr späten Zeitpunkt am Donnerstagabend behandeln wir ein Thema, das viele 100 Millionen Menschen unmittelbar betrifft und sie in ihrer Gesundheit oder sogar ihrem Le- ben bedroht: vernachlässigte Krankheiten. Als „vernach- lässigt“ werden solche Krankheiten bezeichnet, nicht etwa, weil sie „vernachlässigbar“ wären und bedeu- tungslos selten auftreten, sondern weil die damit verbun- dene Not in der Regel nicht an unsere Ohren in der wohlhabenden Welt dringt. Weil diese Krankheiten meistens gemeinsam mit Armut auftreten oder das Ent- stehen durch Armut begünstigt wird, schließt sich ein Teufelskreis: Es gibt kein kommerzielles Interesse bezie- hungsweise keine Möglichkeit, Medikamente zur Behand- lung dieser Krankheiten zu entwickeln. Die Folge dieses „Marktversagens“ ist ein Forschungs- und Entwick- lungsdefizit bei der (Weiter-)Entwicklung von Wirkstof- fen, die den Betroffenen Heilung und Linderung ver- sprechen könnten. Es ist mir daher eine besondere Freude, auch heute und in dieser Regierungskoalition einen Antrag der Re- gierungsfraktionen zur Stärkung der Forschung für ver- nachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten zu de- battieren. Der vorliegende Antrag ist nicht nur als ein klares Be- kenntnis zur weiteren Förderung von Produktentwick- lungspartnerschaften im Bereich der vernachlässigten und armutassoziierten Erkrankungen zu verstehen, er soll die auch die anstehenden G-7-Verhandlungen auf Schloss Elmau flankieren. Wie bereits seitens der Bun- desregierung angekündigt, sollen Fragen der Globalen Gesundheit auf diesem Gipfel explizit adressiert werden. Vor diesem Hintergrund möchte ich auch nochmals die Arbeit der Leopoldina lobend hervorheben, die in Vorbe- reitung dieses Gipfels deutlich auf Handlungsbedarfe – nicht nur in der Forschung – zur Bekämpfung dieser Krankheiten hingewiesen hat und in diesem Kontext auch eine umfassende wissenschaftliche Bestandsauf- nahme zu diesem Themenkomplex erarbeitet hat. Dass die Bundesregierung das Thema auf die Agenda von El- mau gesetzt hat, begrüße ich ausdrücklich. Es zeigt, dass sich die langjährige Arbeit gelohnt hat und es einen kla- ren Lernprozess gegeben hat hinsichtlich der Bewertung des Gefahrenpotenzials dieser Erkrankungen für die glo- bale Stabilität. So bringen diese Erkrankungen nicht nur unendliches Leid für die betroffenen Individuen und de- ren Familien mit sich, sie sind auch eine große Bürde für die Länder, deren Bevölkerung eine hohe Prävalenz – also eine hohe Krankheitshäufigkeit – aufweist. Die di- rekten und indirekten Folgen für die Volkswirtschaften dieser Länder lassen sich nicht immer genau quantifizie- ren, die Experten sind sich jedoch weitestgehend einig, dass diese Krankheiten die Wirtschaftsleistung eines Landes verschlechtern und einen nicht zu unterschätzen- den Einfluss auf die Stabilität der betroffenen Länder und Regionen haben. Von den circa 1,4 Milliarden welt- weit betroffenen Menschen leben – und leiden – viele in Subsahara-Afrika – einer Region, die ihrerseits durch Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10217 (A) (C) (D)(B) wiederkehrende Krisen und Instabilität gezeichnet ist. Wer daher künftig globale Stabilität garantieren will, wird an Fragen der globalen Gesundheit nicht vorbei- kommen. Ergänzend möchte ich an dieser Stelle noch einen Hinweis geben: Grundsätzlich sollte sich die Bundesre- gierung die Frage stellen, ob sie sich bei diesem G-7- Agenda-Punkt ausschließlich auf die 17 von der WHO gelisteten NTDs beschränken will. Denn es gibt auch weitere vernachlässigte Krankheiten, die zwar nicht von der WHO gelistet werden, jedoch das Potenzial haben, verheerende Folgen mit sich zu bringen. Beispielhaft ist an dieser Stelle Ebola zu nennen: Obwohl nicht in der WHO 17er-Liste aufgeführt, hält uns diese vernachläs- sigte Viruserkrankung in Atem. Die mehr als 10 000 To- ten des letzten Ausbruches in Westafrika haben uns deut- lich unsere Grenzen vor Augen geführt – im Übrigen auch die begrenzte Handlungsfähigkeit der westlichen Welt, adäquat auf solche Krisenszenarien zu reagieren. Es soll auch ein Appell sein, sich nicht in Sicherheit zu wiegen, sondern sich eben auch den Themen bezie- hungsweise Krankheiten zu widmen, die als gerade nicht bedeutend angesehen werden. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal lobend die wichtige und notwendige Arbeit der Nichtregierungs- organisation Ärzte ohne Grenzen hervorheben, deren schnelle und unermüdliche Arbeit während des Aufkom- mens der letzten Ebolakrise eine umgehende Krisenant- wort Deutschlands überhaupt möglich gemacht hat. Die Krisenreaktionsfähigkeit Deutschlands in diesem Szena- rio – nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht – sollte uns allen zu denken geben. Ich sehe unseren Antrag aber nicht nur als unterstüt- zende Maßnahme für die G-7-Regierungskonsultatio- nen, sondern auch als Appell an uns alle: Globale Ge- sundheit kann und wird es nicht zu Discountpreisen geben. Die in diesem Antrag geforderte Öffnung des PDP-Förderprogramms für armutsassoziierte Erkran- kungen wie HIV/Aids und Tuberkulose muss sich auch in einer entsprechend adäquaten Aufstockung der dafür bereitzustellenden Haushaltsmittel widerspiegeln. Wir haben aus den Koalitionsvereinbarungen noch For- schungsmittel zur Verfügung. Auch wenn es für den Ei- nen oder Anderen vielleicht schwer nachvollziehbar ist, so lassen sich Viren, Bakterien, Protozoen und Parasiten in ihrer fatalen Wirkung nicht durch vom Bundesfinanz- ministerium gesetzte Haushaltsziele beeindrucken. Die erfolgreiche und nachhaltige Bekämpfung dieser Erreger und Parasiten ist eine Verantwortung der reichen Welt und kann nur durch eine ausreichende Bereitstellung von Haushaltmitteln für die Forschung gesichert werden, zu- mal bei objektiver Betrachtung Deutschland, dank seiner ökonomischen Potenz, hierzu durchaus in der Lage ist. In einem Zeitungsartikel hat der Bundesrichter und Vorsitzende des 2. Strafsenats des BGH, Thomas Fischer, die Bundesrepublik jüngst als „Fettauge auf dem Ozean der globalen Auszehrungen“ bezeichnet. Man muss sich diesem drastischen Bild vielleicht nicht anschließen, dennoch hilft der Blick über den Tellerrand und der Vergleich mit anderen, weniger begünstigten Nationen und Volkswirtschaften, das eigene Maß und die Prioritäten neu zu ordnen. Um ihre globale Verant- wortung wird die Bundesrepublik sich nicht drücken können – nicht nur in der Außenpolitik, sondern eben auch in der internationalen Gesundheitspolitik und der Forschung für vernachlässigte und armutsassoziierte Er- krankungen. Lassen Sie mich abschließend noch einen kurzen Rückblick auf das bisher Erreichte geben: Dieser Antrag ist das Ergebnis eines langen – fast zehn Jahre dauern- den – Prozesses, der viel parlamentarische Anstrengung – auch überparteilich – erfordert hat. Vor circa einem Jahrzehnt noch hat die Forschungsförderung für ver- nachlässigte und armutsassoziierte Erkrankungen keine wesentliche Projektförderung durch das BMBF erhalten. Durch gemeinsame überfraktionelle Anstrengungen konnte bereits in der letzten Legislatur darauf hingewirkt werden, dass sich das BMBF der Förderung von Pro- duktentwicklungspartnerschaften in diesem Bereich an- nimmt. Eine erste Förderphase, die in diesem Jahr aus- läuft, hat es bereits gegeben. Jetzt gilt es, auf dem bisher Erreichten aufzubauen und die Förderung weiter auszu- bauen. Genau hier setzt der vorliegende Antrag an: So soll nicht nur die bisherige Förderrichtlinie für vernach- lässigte tropische Krankheiten fortgesetzt, sondern auch der Fokus der Förderung erweitert werden. Richtete sich die erste Fördermaßnahme noch ausschließlich an Pro- jektmittelnehmer, die Forschung für vernachlässigte Tro- penkrankheiten betreiben, so sollen künftig zusätzlich Forschungsprojekte für armutsassoziierte Krankheitsbil- der wie zum Beispiel die Tuberkulose oder HIV/Aids förderfähig sein. Ich hoffe, dass wir als Regierungsfraktionen mit die- sem Antrag einen substanziellen Beitrag in der For- schung zur Bekämpfung dieser Krankheiten und somit einen kleinen, aber vielleicht essenziellen Beitrag zur Weltgesundheit und globalen Stabilität leisten können. Weitere Schritte aber werden folgen müssen. Niema Movassat (DIE LINKE): „Vernachlässigte armutsassoziierte Krankheiten“ ist im doppelten Sinne ein schreckliches Wortkonstrukt. Millionen von Men- schen leiden auch im 21. Jahrhundert überall auf der Welt nur deshalb an Krankheit, weil der globale Wohl- stand völlig ungerecht verteilt ist. Das alleine ist schon schlimm genug und eine Schande. Dass es dann aber aufgrund der kapitalistischen Wirtschaftslogik schlicht zu wenig finanzielle Anreize für die Pharmaindustrie gibt, wirksame Medikamente gegen die typischen armuts- assoziierten Krankheiten zu entwickeln, ist eine doppelte Ungerechtigkeit. Der wohlhabende Teil der Menschheit enthält den Ärmsten der Armen so nicht nur einen Anteil an den weltweiten Reichtümern vor, sondern, wenn sie an den Folgen erkranken, auch eine adäquate medizini- sche Behandlung. Nur eine andere, gerechtere Weltwirt- schaftsordnung kann dieses Problem grundsätzlich lö- sen. Dennoch möchte ich auch einige kurzfristig praktikable Vorschläge nennen, mit deren Hilfe sich die Situation verbessern ließe. 10218 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) Vor vier Jahren haben wir einen Bundestagsantrag eingebracht mit dem Titel „Forschungsförderung zur Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten ausbauen – Zugang zu Medikamenten für arme Regionen ermögli- chen“. Leider haben sich seitdem weder die grundlegen- den Probleme geändert noch haben sich die vorgeschla- genen Forderungen überholt. Nach wie vor investiert die Bundesregierung viel zu wenig in öffentliche Forschung. Welche fatalen Folgen das haben kann, hat die Ebola- epidemie erst kürzlich gezeigt. Vor vier Jahren hatten wir die Bundesregierung bereits aufgefordert, die nicht- kommerzielle klinische Forschung mit 500 Millionen Euro jährlich zu fördern und einen Förderschwerpunkt für vernachlässigte Krankheiten einzurichten. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage stellte sich heraus, dass 2014 gerade einmal etwas mehr als 500 000 Euro öffent- liche Gelder in die Ebolaforschung flossen. Mit solchen Summen ist natürlich nichts zu erreichen in der Pharma- forschung. Sogenannte Produktentwicklungspartnerschaften aus Wissenschaft, Industrie und Zivilgesellschaft, die auf Non-Profit-Basis an vernachlässigten Krankheiten for- schen, haben sich als erfolgreich erwiesen. In der letzten Förderrunde von 2011 bis 2015 hat die Bundesregierung dafür insgesamt 20 Millionen Euro zur Verfügung ge- stellt. Auch das bleibt weit hinter dem zurück, was Deutschland gemessen an seiner Wirtschaftskraft beitra- gen könnte. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt lag Deutschland 2012 in puncto öffentlicher Investition in Forschung und Entwicklung vernachlässigter und ar- mutsindizierter Krankheiten hinter Kolumbien und In- dien auf Rang 12. Wieviel die Bundesregierung in der nächsten Förderrunde für Entwicklungspartnerschaften zur Verfügung stellen wird, ist trotz des bereits vorlie- genden Evaluationsberichts bisher leider nicht genau be- kannt. Wenn die Bundeskanzlerin sich jetzt beim G-7-Gipfel und der Weltgesundheitsversammlung als Vorkämpferin gegen vernachlässigte Krankheiten in Szene setzt, kann dies über die krassen Versäumnisse der Vergangenheit nicht wegtäuschen. Wenn sie jetzt endlich die Wichtig- keit des Aufbaus von öffentlichen Gesundheitssystemen in den Ländern des globalen Südens erkannt hat, ist das zwar ein Fortschritt. Die Forderung von Nichtregie- rungsorganisationen, mehr Geld für globale Gesundheit auszugeben, hat sie aber seit Jahren ignoriert. 0,1 Pro- zent des Bruttoinlandsproduktes sollen reiche Staaten dafür aufwenden. Die Ausgaben für globale Gesundheit betrugen seitens Deutschlands zuletzt aber nur 0,03 Pro- zent. Das ist selbst im europäischen Vergleich nur abso- lutes Mittelmaß. Außerdem hat Deutschland seinen Fi- nanzierungsbeitrag für die Weltgesundheitsorganisation WHO immer weiter zurückgefahren: von 33 Millionen Euro 2006 auf heute noch 24 Millionen Euro. Diese Bundesregierung ist mitverantwortlich dafür, dass die globale Gesundheitskrisenreaktion bei Ebola so schlecht aufgestellt war. Es bleibt zu hoffen, dass diese Bundesregierung auch über wichtige Konferenzen und Gipfel hinaus langfristig endlich einen angemessenen Beitrag zur Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten leistet. Am Ende ist und bleibt aber das beste Mittel gegen armutsinduzierte Krankheiten der erfolgreiche Kampf gegen die Armut selbst. Die Bundesregierung jedoch betreibt sowohl na- tional als auch international eine Politik der Umvertei- lung von unten nach oben. Sie bleibt deshalb trotz aller wohlklingenden Maßnahmen und Gipfelankündigungen Teil des Problems, nicht der Lösung. Der vorliegende Antrag beschränkt sich leider nur auf Detailfragen, ohne auf den grundsätzlichen Zusammen- hang zwischen Armut und Krankheit näher einzuge- hen. Strategien, die den Kern der Problematik zu lösen suchen, enthält er leider nicht. Stattdessen macht er sehr viele Vorschläge zur Behandlung der Symptome. Da diese in weiten Teilen nicht falsch sind, werden wir mit Enthaltung stimmen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Durch schlimme und bedrückende Ereignisse wie zuletzt die Ebolaepidemie in Westafrika rücken vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten in das öffentliche Inte- resse. Auch ohne tägliche Schreckensmeldungen muss klar sein: Wir dürfen nicht nachlassen bei der Bekämp- fung von Ebola, HIV/Aids, Tuberkulose, Malaria und anderer Tropenkrankheiten, von denen die Ärmsten der Armen besonders betroffen sind. Es gilt, die internatio- nale Zusammenarbeit massiv zu verbessern und zu ver- stetigen, damit den Milliarden betroffenen Menschen weltweit geholfen werden kann. Die Stärkung von Forschung und Entwicklung für die Bekämpfung dieser Erkrankungen ist dabei eine wich- tige politische und humanitäre Daueraufgabe. Sie muss mit aller Entschiedenheit fortgesetzt werden, wenn das Auftreten zahlreicher Neuinfektionen einer armuts- assoziierten Krankheit aus den akuten Schlagzeilen ver- schwunden ist. Unsere Haushaltsanträge wurden leider erst vor wenigen Monaten von der Koalition schroff ab- gelehnt: Wir hatten zu diesem Zweck für das Haushalts- jahr 2015 beantragt, den Titel Gesundheitsforschung um 20 Millionen Euro aufzustocken, wobei wir speziell für die Initiative European and Developing Countries Clini- cal Trials Partnership, EDCTP, einen Aufwuchs in Höhe von 1 Million Euro vorgesehen haben. Sie von der Koalition müssen sich hier deshalb die Frage gefallen lassen, warum Sie erst jetzt, noch dazu zu nachtschlafender Zeit, einen solchen Antrag einbringen und noch dazu ohne vorherige Beteiligung der Fachaus- schüsse sofort abstimmen lassen wollen. Wir könnten je- denfalls viel weiter sein, wenn Sie unseren parlamentari- schen Initiativen zugestimmt hätten. Die Vorschläge der Koalition sind nicht neu. Sie fin- den überwiegend unsere Zustimmung. Wenn das hier al- lerdings mehr sein soll als ein folgenloser Schaufenster- antrag, dürfen Sie sich bei der Umsetzung der hehren Worte nicht noch mehr Zeit lassen. Die Diagnose der strukturellen Mängel fällt zunächst nicht schwer: Kurzsichtige wirtschaftliche Abwägungen insbesondere der großen Pharmakonzerne verhinderten bisher oft medizinische Innovationen und Versorgung, weil sich Gewinne mit Medikamenten für armutsasso- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10219 (A) (C) (D)(B) ziierte Krankheitsbilder schwerer realisieren lassen – das ist zynisch und unmenschlich. Eine Alternative sind Produktentwicklungspartnerschaften, die durch gemein- wohlorientierte Forschungsanreize und Entwicklungs- prämien zu besseren und erschwinglicheren Medikamen- ten für Menschen in ärmeren Ländern führen. Es ist gut, dass Sie eine Verstärkung der anwendungs- orientierten Grundlagenforschung fordern und europäi- sche Programme wie Horizon 2020 loben. Dann dürfen Sie aber nicht gleichzeitig die Kürzung und Umwid- mung gerade dieser Mittel durch die EU-Kommission Junckers zulassen, sondern müssen sich ihr in Brüssel und Berlin beherzt entgegenstellen. Nicht nur die Wirksamkeit von Medikamenten darf hinterfragt werden, sondern es geht auch um die Wirk- samkeit und den nachhaltigen Nutzen bestimmter Hilfs- instrumente: Damit Prävention und Behandlung verbes- sert werden, muss die langfristige Zusammenarbeit mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort im Mittelpunkt stehen. Das betrifft Aufklärungs- und Informationsakti- vitäten über Risikofaktoren und die Vorbeugung von In- fektionskrankheiten durch Verhaltensänderungen. Und das betrifft die dauerhafte und systematische regionale Versorgung mit Medikamenten, die wichtiger wären als plakative Verteilaktionen für die Kameras der interna- tionalen Öffentlichkeit. Deshalb muss sich die Bundes- regierung auch international für nachhaltige, durch- dachte und umsetzbare Strategien einsetzen. Forschungs- und gesundheitspolitische Zusammenar- beit darf nicht von oben herab erfolgen, sondern muss sich an der Lebenswelt vor Ort orientieren. Wenn sie keine Einbahnstraße ist, kann sie zu gemeinsamen Lern- effekten beitragen. Es klingt beispielsweise zunächst sehr ehrgeizig, wenn die Koalition in ihrem Antrag an- regt, durch „Errichtung von Versichertendatenbanken“ in den betroffenen Regionen zur „Etablierung eines Ge- sundheitssystems und zur verbesserten Erhebung von medizinischen Statistiken“ beizutragen. Aber es ist doch überaus zweifelhaft, wie sinnvoll und wirksam dieses Instrument ist. Sie selbst schaffen es seit Jahren nicht einmal in Deutschland, eine elektronische Gesundheits- karte einzuführen. Also ein Vorschlag, der nicht trägt und den Ärmsten der Armen nicht weiterhilft. Sowohl Akzeptanz als auch Realisierbarkeit müssen generell beachtet werden. Und es geht auch um Prioritä- tensetzung: Besonders dringliche Maßnahmen müssen zuerst angegangen und der Ausbau von Infrastrukturen mit den internationalen Partnern koordiniert werden, etwa durch einen globalen Fonds. Wir brauchen substanzielle Verbesserungen, damit Menschenleben gerettet und Zukunftschancen weltweit gesichert werden. Meine Fraktion unterstützt deshalb alle sinnvollen Forderungen, aber wir mahnen vor allem konkretes, schnelles und dauerhaft verlässliches Han- deln der Regierung an. Denn nur so können endlich mehr Menschen vor Neuinfektionen geschützt und er- krankte gerettet werden. Deswegen darf die Bundesre- gierung keine Zeit verlieren. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Än- derung sonstiger Vorschriften (Tagesordnungs- punkt 24) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Niemand beschäftigt sich gerne mit seinem eigenen Tod. Aber der Tod gehört unausweichlich zum Leben dazu. Will man aber beeinflussen, was nach dem eigenen Tod mit den fi- nanziellen Werten geschieht, die man erarbeitet hat, will man das Schicksal seines Nachlasses selbst bestimmen, dann muss man sich zu Lebzeiten mit der Planung des eigenen Nachlasses beschäftigen. Durch die EU-Erbrechtsverordnung und das beglei- tende Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, wird diese Planung des Nachlasses und dessen Abwicklung in Erbfällen mit Auslandsbezug erheblich vereinfacht. Das Erbschaftsteuerrecht wird durch den Gesetzentwurf nicht geändert. Bisher unterliegt nach deutschem Recht die Rechts- nachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes angehörte. War der Erblasser Deutscher, galt also deutsches Erb- recht. Dies ändert sich durch die EU-Erbrechtsverord- nung. Ausländisches Erbrecht kann erheblich von den deut- schen erbrechtlichen Regelungen abweichen. Wenn deutsche Staatsbürger über Vermögen in einem anderen Land verfügen oder wenn sie nicht in ihrem Heimatland leben, können im Erbfall verschiedene Rechtsordnungen auf den Nachlass Anwendung finden. Dies kann zu ge- gensätzlichen Ergebnissen und unvereinbaren Gerichts- entscheidungen führen, die die Erben möglicherweise vor unlösbare Konflikte stellten. Folge können mehrfa- che Nachlassverfahren sein. Das wird mit der Erbrechts- verordnung geändert: Die EU-Erbrechtsverordnung lässt das materielle Erbrecht der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt. Sie bestimmt aber, dass nur das Erbrecht eines Staates auf den gesamten Nachlass Anwendung findet, egal in wel- chem Staat sich das Vermögen des Verstorbenen befin- det. Das führt zu mehr Rechtssicherheit, und für die Er- ben wird die Verwaltung und Auseinandersetzung des Nachlasses deutlich vereinfacht. Das spart viel Ärger, Zeit und Kosten. Sofern der Erblasser dies testamentarisch nicht anders festgelegt hat, richtet sich künftig die gesamte Rechts- nachfolge von Todes wegen nach dem Recht des Staates, in dem der Verstorbene im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Ab dem 17. August 2015 werden Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte bei grenzüberschreitenden Erbfällen leichter durchsetzen können. 10220 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) Der Gesetzentwurf ist politisch nicht brisant. Er dient vor allem der rechtstechnischen Anpassung des nationa- len Rechts an die EU-Erbrechtsverordnung, die ab dem 17. August 2015 in Deutschland unmittelbar gilt. An- wendbar ist das neue Recht für Todesfälle ab dem 17. August. Eine zuvor getroffene Rechtswahl bleibt aber auch danach wirksam. Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute abschließend beraten, werden für das Europäische Nachlasszeugnis eigene Verfahrensregeln vorgesehen. Ziel ist es, die Zu- ständigkeit für das Verfahren zur Erteilung eines deut- schen Erbscheins und über die Ausstellung eines Euro- päischen Nachlasszeugnisses möglichst bei einem Gericht zu bündeln. Weiterhin erfolgt eine Anpassung des deutschen Rechts: Der Erbrechtsverordnung entgegenstehende nationale Regelungen werden aufgehoben, es werden einige Durch- führungsvorschriften erlassen, damit die Erbrechtsver- ordnung in der Praxis problemlos angewendet werden kann, und es werden die nationalen Vorschriften zum Erbschein an die Vorgaben der Erbrechtsverordnung zum Europäischen Nachlasszeugnis angepasst sowie ge- setzessystematische Mängel beseitigt. Im Rahmen der Berichterstattergespräche haben wir uns im Wesentlichen mit zwei Aspekten befasst. Mit dem Ziel, den Gestaltungsspielraum für Erblasser zu erweitern, haben wir diskutiert, ob es sinnvoll ist, die Bindungswirkung einer wechselseitigen Verfügung in ei- nem gemeinschaftlichen Testament bzw. in einem Erb- vertrag auch auf die Anordnung einer Testamentsvoll- streckung auszudehnen. Weil die Erbrechtsverordnung bereits ab dem 17. August 2015 gilt und das Gesetzge- bungsverfahren rechtzeitig davor abgeschlossen werden musste, haben wir uns mit dem Koalitionspartner darauf verständigt, dass die Frage der Möglichkeit einer bin- denden Anordnung der Testamentsvollstreckung in einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag durch das Bundesjustizministerium ergebnisoffen geprüft wird. Das BMJV wird dazu kurzfristig eine Umfrage bei den Län- dern und den betroffenen Verbänden durchführen mit ei- ner Frist zur Stellungnahme bis Ende September. Damit wird etwa im Oktober ein Ergebnis vorliegen, und eine entsprechende Regelung kann im Zusammenhang mit dem notariellen Nachlassverzeichnis getroffen werden. Aufgrund der Stellungnahme des Bundesrates haben wir vertieft geprüft, ob wir in Deutschland eine Rege- lung erlassen können, die nicht nur die Änderung und den Widerruf, sondern auch die körperliche Einziehung eines unrichtigen Nachlasszeugnisses ermöglicht. Das BMJV hat deutlich gemacht, dass die Kommission ur- sprünglich eine Einziehungsmöglichkeit vorgeschlagen hatte. Dieser Vorschlag fand aber im Gesetzgebungspro- zess auf europäischer Ebene keine Mehrheit und wurde bewusst nicht aufgegriffen. Weil die Erbrechtsverord- nung insoweit also eine abschließende Regelung trifft, wäre eine entsprechende nationale Regelung nicht euro- parechtskonform. Das Struck’sche Gesetz gilt aber auch für diesen Ge- setzentwurf: Im parlamentarischen Verfahren wurden handwerkliche Fehler behoben. Im ursprünglichen Ge- setzentwurf wurde § 2270 BGB geändert, also der Spe- zialfall. Es wurde aber versäumt, die Grundvorschrift des § 1941 BGB an die Erbrechtsverordnung anzupas- sen. Weil nur die in § 1941 BGB genannten Verfügungen an der den Erbvertrag kennzeichnenden Bindungswir- kung teilhaben, war eine Ergänzung erforderlich. Mit dem Gesetzentwurf stellen wir sicher, dass das grenzüberschreitende Erben und Vererben in Europa ein- facher wird, und schaffen Rechtssicherheit für die Um- setzung der Nachlassplanung. Dr. Silke Launert (CDU/CSU): In dem Gesetzent- wurf, über den wir heute sprechen, heißt es, es sei jähr- lich von circa 30 000 Todesfällen von EU-Ausländern in Deutschland auszugehen. Etwa genauso viele Deutsche würden jedes Jahr im europäischen Ausland versterben. Von diesen Zahlen nicht erfasst sind die Todesfälle von Nicht-EU-Bürgern. Gelangen diese Sterbefälle vor ein deutsches Gericht, müssen sich Richter und Rechtspfleger in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder in streitigen Erbrechts- verfahren zunächst fragen: Bin ich bzw. ist mein Gericht überhaupt zuständig? Und wenn ja: Darf ich hier deut- sches Recht anwenden? Stirbt beispielsweise ein deutscher Rentner in der Toskana, wo er seinen Lebensabend in einer kleinen Villa verbracht hat, und entstehen nach seinem Tod Erbstreitigkeiten unter den in Deutschland lebenden Kindern über das Häuschen in Deutschland, die Villa in Italien und das Konto in der Schweiz, kann sich ein deut- sches Gericht nicht per se für zuständig erklären und deutsches Erbrecht anwenden. Es stellen sich vielmehr konkret immer zwei Fragen, nämlich die nach der inter- nationalen Zuständigkeit und die nach dem anwendbaren Recht. Bislang gibt es für das Erbrecht im Internationalen Zivilverfahrensrecht keine und im Internationalen Pri- vatrecht kaum Regelungen internationalen Ursprungs. Die nationalen Gerichte müssen daher immer entspre- chend dem Lex-fori-Grundsatz auf ihr eigenes, nationa- les Recht zurückgreifen. In Deutschland gelangt man so bislang anhand der Vorschriften der ZPO zur internationalen Zuständigkeit und mittels des EGBGB zum anwendbaren Recht. Selbst- verständlich sieht es in den anderen Mitgliedstaaten nicht anders aus, auch diese greifen auf ihr nationales Recht zurück. Und da alle 28 Staaten verschiedene Rechts- ordnungen haben, kann es durchaus sein, dass derselbe Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, je nachdem, in welchem Staat ein Gericht angerufen wird. Darüber hinaus kann die aktuelle Gesetzeslage mitun- ter schon einmal dazu führen, dass ein Gericht eine fremde Rechtsordnung anwenden muss. Dass also bei- spielsweise ein deutsches Gericht ausländisches Erb- recht anzuwenden hat oder sogar teilweise deutsches, teilweise ausländisches, wenn Vermögen auch im Aus- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10221 (A) (C) (D)(B) land belegen ist. Es versteht sich von selbst, dass hierbei große Rechtsunsicherheiten entstehen können. Ab dem 17. August dieses Jahres wird das anders. Denn ab dann ist die Erbrechtsverordnung auf alle ein- tretenden Erbfälle anzuwenden, die in den Mitgliedstaa- ten einheitlich insbesondere die Zuständigkeit und das anzuwendende Recht regelt. Fortan entscheiden also alle Gerichte in der EU anhand derselben Rechtsvorschrif- ten, welches Gericht im Einzelfall zuständig und wel- ches Recht anwendbar ist. Sie werden im konkreten Ein- zelfall alle zur Zuständigkeit desselben Gerichts und zur Anwendung desselben Rechts kommen. Die Zeiten des Forum-Shoppings im Erbrecht sind damit passé. Anknüpfungsmoment wird bei der Zuständigkeit und beim anwendbaren Recht nach Artikel 4 bzw. Arti- kel 21 Absatz 1 EuErbVO jeweils der gewöhnliche Auf- enthalt sein. Das heißt, entscheidend ist der Ort bzw. das Land, in dem der Schwerpunkt der familiären oder be- ruflichen Bindungen des Erblassers zuletzt lagen. Es wird also eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vorzunehmen sein, wobei alle re- levanten Tatsachen berücksichtigt werden müssen, ins- besondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Auf- enthalts in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Vorteil desselben Anknüpfungsmoments bei Zustän- digkeit und anwendbarem Recht ist, dass nun das zustän- dige Gericht – mit wenigen Ausnahmen – sein eigenes materielles Erbrecht anwenden können wird. Mit der Verankerung des Aufenthaltsprinzips wird das dem deutschen Recht vertraute Staatsangehörigkeits- prinzip des Artikel 25 EGBGB endlich abgelöst. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Mobilität der euro- päischen Bürger findet sich darin nun endlich eine zeit- gemäße und praktikable Regelung, wie sie in den Haager Übereinkommen im Übrigen schon längst praktiziert wird. Die Verordnung gewährleistet damit eine ord- nungsgemäße Rechtspflege innerhalb der Union und eine wirkliche Verbindung zwischen dem Nachlass und dem Mitgliedstaat, in dem die Erbsache abgewickelt wird. Um das Ganze nun ein wenig anschaulicher zu ma- chen, möchte ich auf mein eingangs genanntes Beispiel zurückkommen: Ab August wird es nun nicht mehr relevant sein, wel- che Staatsangehörigkeit der Erblasser hatte oder wo sein Nachlass belegen ist. Zuständig ist ein italienisches Ge- richt und der Erblasser wird nach italienischem Erbrecht beerbt. Will der Erblasser – aus unserem Beispielsfall – nicht, dass sich seine Erbfolge nach italienischem Recht rich- tet, kann er nach Artikel 22 Absatz 1 im Testament re- geln, dass im Todesfall das Recht des Staates Anwen- dung findet, dem er bei der Rechtswahl oder bei seinem Tod angehört. In unserem Fall kann er also deutsches Recht wählen. Auch das ist neu. Nach bisherigem deut- schen Recht war die Rechtswahl beschränkt auf Grund- stücke und auch da nur zugunsten deutschen Rechts möglich. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass Großbritannien, Irland und Dänemark auch diese Verordnung nicht übernommen haben. Das nach der Ver- ordnung maßgebliche Recht ist jedoch auch dann anzu- wenden, wenn es sich um das Recht eines Drittstaates handelt. Die Europäische Erbrechtsverordnung bean- sprucht somit universelle Geltung. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht nun Regelungen vor, dieser Verordnung ab August zur Anwendung zu verhelfen. Gebündelt hat er sie in einem neu zu schaffen- den Gesetz, dem sogenannten Internationalen Erbrechts- verfahrensgesetz. Dessen Anwendbarkeit beschränkt sich konsequenterweise auf die Fälle, in denen die EuErbVO gelten wird. Es regelt insbesondere die örtliche Zustän- digkeit, die Zulassung von Zwangsvollstreckungen aus ausländischen erbrechtlichen Titeln sowie die Entgegen- nahme von Erklärungen der Annahme oder Ausschla- gung einer Erbschaft. Schließlich enthält der Gesetzentwurf bzw. das Inter- nationale Erbrechtsverfahrensgesetz auch Vorschriften zum von der ErbVO neu eingeführten Europäischen Nachlasszeugnis. Dieses Zeugnis soll, einem Erbschein vergleichbar, zur Umschreibung öffentlicher Register verwendet werden und Erben, Vermächtnisnehmer und Testamentsvollstrecker in allen Mitgliedstaaten, in de- nen die Verordnung gilt, zu Legitimationszwecken die- nen. Voraussetzung für die Erteilung ist, dass das Zeug- nis in mehreren Mitgliedstaaten Anwendung findet und nicht nur innerstaatliche Sachverhalte betrifft. Der Gesetzentwurf wird das Europäische Nachlass- zeugnis dem deutschen Erbschein in seinen Rechtswir- kungen gleichstellen. Gleichzeitig gleicht er die Vor- schriften zum Erbschein an die Vorgaben der ErbVO zum Europäischen Nachlasszeugnis an. Ziel ist es, die Zuständigkeit für das Verfahren zur Erteilung eines deut- schen Erbscheins und über die Ausstellung eines Euro- päischen Nachlasszeugnisses möglichst bei demselben Gericht zu bündeln. Bezweckt wird auch hier eine erhebliche Vereinfa- chung bei grenzüberschreitenden Erbfällen. Abschließend lässt sich sagen, dass die Verordnung und das vorliegende umzusetzende Gesetz einen weite- ren wichtigen Baustein liefern, um die Freizügigkeit im europäischen Rechtsraum zu erleichtern. Dennis Rohde (SPD): Europa wächst zusammen. Die alten Grenzen der Nationalstaaten, die die Struktur unseres Kontinents lange Zeit bestimmt haben, existie- ren weiter – aber sie haben einiges ihrer traditionellen Bedeutung eingebüßt. Wir können in unseren Nachbar- staaten reisen, arbeiten, wohnen – und all dies ohne die bürokratischen Maßregelungen, die für die Generation unserer Eltern noch selbstverständlich waren und deren Abschaffung man sich nicht träumen ließ. Auch wenn reaktionäre Nationalstaatsnostalgiker das nicht einsehen mögen: Diese Einigung ist ein hohes Gut. Sie zu bewah- ren und weiter voranzutreiben, ist für Europas Zukunft 10222 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) unerlässlich – und damit auch für Deutschland. Denn ohne ein starkes, friedliches, geeinigtes Europa fehlen die Voraussetzungen für den Zusammenhalt und den Wohlstand unseres Landes. Durch das Schwinden der nationalen Gegensätze ha- ben sich auch die Lebensentwürfe geändert. Bestimmten vor einigen Jahrzehnten noch Grenzen unsere Lebens- welten, so genießen wir jetzt ungeahnte Freiheiten. Wir studieren im europäischen Ausland, ziehen ungehindert dorthin oder verlagern unseren Lebensmittelpunkt – und können doch jederzeit nach Deutschland zurückkehren. Auch Freundschaft, Ehe und Familie haben die alten Grenzen hinter sich gelassen. Die Europäerinnen und Europäer messen einander nicht mehr vornehmlich an der Staatsangehörigkeit – die europäische Integration hat ganz neue Möglichkeiten des Miteinanders geschaffen, die unseren Kontinent friedlicher, verzahnter und offener machen. Dazu gehört aber auch, dass eine zunehmende Zahl von Menschen in einem anderen Land stirbt als dem, dessen Staatsbürger sie sind. Sei es, weil sie sich im Ru- hestand das ersehnte Haus im Süden geleistet haben, oder einfach, weil sich der Lebensmittelpunkt irgendwann verlagert hat – die Gründe sind vielfältig. Unbestritten da- gegen ist, dass das Zusammenspiel unterschiedlicher Erbrechtssysteme Schwierigkeiten aufwerfen kann – und eine klare Regelung daher überfällig war. Die EU-Erbrechtsverordnung, der wir heute mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den Weg auch in Deutsch- land ebnen, schafft hier Klarheit. Künftig gilt bei inter- nationalen Erbfällen – diese liegen zum Beispiel vor, wenn ein Deutscher im Ausland stirbt und sein dortiges Haus vererbt – das Erbrecht des Landes, in dem der Ver- storbene seinen letzten gewöhnlichen Wohnsitz hatte. Entscheidend ist also nicht mehr die Staatsbürgerschaft, sondern der Wohnort. Damit trägt auch das Erbrecht endlich dem Prinzip der Bewegungsfreiheit Rechnung, das zu einer bedeutenden Entwicklung des Zusammenle- bens in Europa beigetragen hat – und das wir entschie- den gegen regelmäßig wiederkehrende Bestrebungen, es aufzuweichen oder zu unterlaufen, verteidigen müssen. Zur Einigung in Europa gehört auch, dass Vorschrif- ten und Regularien vereinheitlicht werden, um den ge- genseitigen Austausch zu vereinfachen. Der zweite wich- tige Aspekt des vorliegenden Gesetzentwurfes ist daher folgerichtig die Eingliederung des Europäischen Nach- lasszeugnisses in deutsches Recht. Nicht viel anders als beim Erbschein sollen deutsche Amtsgerichte nun auch europaweit gültige und einheitlich verständliche Nach- lasszeugnisse sowie beglaubigte Abschriften ausstellen – damit in Bezug auf Erbfälle in ganz Europa Rechtssi- cherheit herrscht. Der vorliegende Gesetzentwurf mag im großen Be- trieb der Politik auf den ersten Blick nicht besonders be- deutsam erscheinen. Aber er ist stellvertretend für eine Politik der europäischen Einigung, die auch und ganz besonders wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra- ten immer vorangetrieben haben. Und er steht für eine überlegte, ruhige Sachpolitik, in der man sich auch zwi- schen Regierungs- und Oppositionsfraktionen verstän- digt, um gemeinsam vernünftige Gesetze voranzubrin- gen. In diesem Sinne ist der heutige Gesetzentwurf nicht nur bedeutsam, sondern hoffentlich sogar richtungswei- send. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Sehr geehrter Le- ser, wenn ich hier möglicherweise die Argumente mei- nes „Vorredners“ wiederhole, bitte ich um Nachsicht, da ich diese infolge der vereinbarten Protokollreden ja nicht kennen kann. Also: Anlass für diesen Gesetzent- wurf ist vor allem die Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzu- wendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstre- ckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. L 201 vom 27. Juli 2012, S. 107; L 344 vom 14. Dezember 2012, S. 3; L 41 vom 12. Februar 2013, S. 16; L 60 vom 2. März 2013, S. 140 – ErbVO), welche ab dem 17. August 2015 anzuwenden ist. Die ErbVO gilt für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs, Irlands und Dä- nemarks. Als Verordnung ist sie in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar anzuwenden mit der Folge, dass sie in ihrem Anwendungsbereich das bislang gel- tende Recht verdrängt. Gleichwohl bedarf es einiger Durchführungsvorschriften für die Umsetzung. Die Schaffung der notwendigen Verfahrensregelun- gen zum Europäischen Nachlasszeugnis wurde hier zum Anlass genommen, auch entsprechend sinnvolle Rege- lungen zum Erbschein zu ändern. Zum einen werden punktuell Vorschriften zum Erb- schein an die Vorgaben der ErbVO zum Europäischen Nachlasszeugnis angepasst mit dem Ziel, die Zuständig- keit für das Verfahren zur Erteilung eines deutschen Erb- scheins und über die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses möglichst bei demselben Gericht zu bündeln. Zum anderen werden die Anpassungen beim Erbschein zum Anlass genommen, derzeit im Bürgerli- chen Gesetzbuch, BGB, enthaltene, rein verfahrens- rechtliche Vorschriften zum Erbschein aus systemati- schen Gründen in das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwil- ligen Gerichtsbarkeit, FamFG, zu übertragen und dabei zugleich überflüssige Doppelregelungen in BGB und FamFG zu bereinigen. Im Übrigen soll insbesondere eine Regelungslücke im Bereich der Gebühren in Grund- buchsachen geschlossen werden, um die Höhe der bei der Eintragung von Veränderungen eines Gesamtrechts bei verschiedenen Grundbuchämtern zu erhebenden Ge- bühren auf ein angemessenes Maß zu begrenzen. Bislang herrschte in grenzüberschreitenden Erb- schaftsfällen eine große Unsicherheit, welches nationale Recht Anwendung findet. Mit der EU-Verordnung wird dahingehend Rechtssicherheit geschaffen, als dass nun- mehr das Recht desjenigen Staates Anwendung findet, in dem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte. Dies würde dann aber auch dazu führen, dass zum Beispiel Deutsche, die ihren Lebensabend im Ausland verbrin- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10223 (A) (C) (D)(B) gen, nicht mehr nach deutschem Recht beerbt werden. Dennoch ist diese Regelung vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit zu begrüßen, zumal ein Erblasser testa- mentarisch nach wie vor die Anwendbarkeit deutschen Rechts festlegen kann. Auch für Erben bringt die Verordnung eine Erleichte- rung. Denn das durch die Verordnung neu geschaffene Europäische Nachlasszeugnis stellt eine Art internatio- nalen Erbschein dar, der in der gesamten EU Geltung be- sitzt mit der Folge, dass der Erbe nicht mehr in all den Ländern, in denen der Erblasser Vermögen hinterlassen hat, separat Erbscheine beantragen muss. Das internationale Nachlasszeugnis kann – wie der bisherige Erbschein – beim Notar beantragt werden. Die Konzentrierung der Zuständigkeit für das Verfah- ren zur Erteilung eines deutschen Erbscheins und über die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses bei demselben Gericht stellt ebenfalls eine Erleichterung dar und ist zu unterstützen. Die Übertragung der derzeit noch im BGB enthalte- nen rein verfahrensrechtlichen Vorschriften zum Erb- schein in das FamFG ist ebenfalls vor dem rechtssyste- matischen Hintergrund zu begrüßen. Damit führt die Verordnung im Ergebnis zu deutli- chen Erleichterungen bei Erblassern und Erben und zu mehr Rechtssicherheit und einer besseren rechtssystema- tischen Ordnung. Da der vorliegende Gesetzentwurf letztlich nur der Durchführung der Verordnung im deutschen Recht dient und darüber hinaus die Rege- lungslücke im Bereich der Gebühren in Grundbuchsa- chen zugunsten der Betroffenen schließt, sollte diesem zugestimmt werden. In dem Änderungsantrag geht es im Wesentlichen le- diglich um redaktionelle Korrekturen, Klarstellungen und Folgeänderungen, auf die hier nicht näher eingegan- gen werden muss. Es wird außerdem noch eine Begren- zung der Zusatzgebühr für die Beurkundung in einer fremden Sprache auf 5 000 Euro eingeführt. Wahrscheinlich sind diese Gründe, wie eingangs er- wähnt, auch von meinem „Vorredner“ angeführt werden, was ich jedoch leider in Anbetracht der Protokollreden nicht beurteilen kann. Ich gehe jedoch gesichert davon aus, zumal wir uns im Berichterstattergespräch einig wa- ren, dass dem Gesetz zugestimmt werden kann. Alles in allem stimmt die Linke dem Gesetz, wie be- reits im Ausschussprotokoll dokumentiert, daher auch in der zweiten und dritten Lesung zu. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir wol- len keine Grenzen mehr in Europa. Wir wollen europa- weit wohnen, arbeiten, leben und sterben und deswegen am Ende auch europaweit erben. Aber keine Sorge: das materielle Erbrecht wird jetzt nicht europäisiert. Wer von wem in welcher Reihenfolge und in wel- chem Umfang erbt, bleibt, wie es ist. Allerdings ändert sich das Verfahrensrecht. Durch die Vereinheitlichung der Verfahrensregeln und die Möglichkeit der Rechtswahl wird es für Hinter- bliebene aber jetzt einfacher, zum Beispiel in Fällen, in denen der Erblasser oder die Erblasserin zuletzt in einem anderen europäischen Land lebte oder in denen Paare mit unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten ein gemein- sames Testament errichten. Denn ab dem 17. August 2015 gelten im Erbrecht in fast allen EU-Mitgliedstaaten einheitliche Verfahrensre- geln. Die Hinterbliebenen müssen sich beispielsweise nicht mehr um die Anerkennung ausländischer Gerichts- urteile kümmern, sondern wenden sich an das Gericht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers bzw. der Erblasserin. Auch ist es nun möglich, durch eine Rechtswahl die Nachlassspaltung zu vermeiden. Es ist nur noch ein Recht anwendbar für den gesamten Nachlass und nicht mehr unterschiedliches Recht, je nachdem, ob es sich um Grund und Boden oder um bewegliches Vermögen han- delt, wie es derzeit in einigen europäischen Rechtsord- nungen der Fall ist. Die Einführung des Europäischen Nachlasszeugnis- ses vereinfacht und vereinheitlicht den Nachweis im Rechtsverkehr. Der deutsche Erbschein bleibt aber erhal- ten. Das ist gut; denn er ist anders als das Europäische Nachlasszeugnis von seiner Gültigkeitsdauer nicht be- grenzt. Beantragt wird das Europäische Nachlasszeugnis beim Gericht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers oder der Erblasserin. Somit ist es für die Er- ben einfacher, zu wissen, an wen sie sich wenden müs- sen, wenn sie ihr Erbe antreten möchten. Bei aller Vereinfachung bleiben aber auch Unsicher- heiten: Bei gemeinschaftlichen Testamenten, wie dem Berliner Testament, muss man jetzt darauf achten, dass eine Bindung des überlebenden Ehegatten anderswo oft so nicht möglich ist. Gleiches gilt für die Testaments- vollstreckung. Auch das Pflichtteilsrecht kann sehr un- terschiedlich sein. Hier wird es nach wie vor gut sein, sich beraten zu lassen. Schutzlücken gibt es bei gleichgeschlechtlichen Paa- ren. Denn nicht in allen EU-Mitgliedstaaten werden Le- benspartnerschaften gesetzlich anerkannt, sodass sich hieraus eine mögliche Diskriminierung ergeben kann und die Rechtswahl beispielsweise bei gemeinschaftli- chen Testamenten faktisch ins Leere läuft, wenn der hin- terbliebene Partner oder die hinterbliebene Partnerin die Nachlassbeteiligung nicht durchsetzen kann. Denn die Frage, ob eine Partnerschaft überhaupt besteht, richtet sich nicht nach der Erbrechtsverordnung, sondern nach dem Recht, das an dem Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts gilt. Zwar können auch hier die Partner oder Partnerinnen von der Möglichkeit der Rechtswahl Ge- brauch machen, doch kann es sein, dass Pflichtteilan- sprüche anderer Angehöriger bestehen bleiben. Eine Lösung für diese Fragen des Personenstands- rechts hätte eigentlich schon auf europäischer Ebene gefunden werden sollen, doch wurden auch bei den Durchführungsbestimmungen auf nationaler Ebene die 10224 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) verbleibenden, kleinen Gestaltungsspielräume leider nicht genutzt. Es gibt sicher noch viele weitere Baustellen im Erb- recht, über die es sich lohnen würde zu debattieren. Ich denke zum Beispiel an die Berücksichtigung von Pflege- leistungen beim Pflichtteilsrecht. Mit dem heutigen Gesetz wird das Erbrecht zwar nicht revolutioniert, aber eine sinnvolle Anpassung von Verfahrensvorschriften an die europäische Verordnung vorgenommen. Dem wird auch die grüne Fraktion ihre Zustimmung erteilen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weite- rer steuerlicher Vorschriften (Tagesordnungs- punkt 25) Olav Gutting (CDU/CSU): Wir beraten heute in ers- ter Lesung einen Gesetzentwurf, welcher 13 Maßnah- men aufgreift, die der Bundesrat im Zollkodex-Anpas- sungsgesetz vorgeschlagen hatte und die nach der zugesagten fachlichen Prüfung umgesetzt werden kön- nen. Gleichzeitig wollen wir aber auch andere, aus unse- rer Sicht notwendige Änderungen mit diesem Gesetz vornehmen. Ganz glücklich bin ich mit dem aktuellen Gesetzent- wurf noch nicht. Das fängt schon bei der Namensgebung an. Während die jährlichen notwendigen Anpassungen an das Steuerrecht in der Vergangenheit in den jeweili- gen Jahressteuergesetzen vorgenommen wurden, geschieht dies nunmehr zunehmend in Trägergesetzen, die nicht zwingend im Titel auf den steuerlichen Bezug, wie zum Beispiel im Kroatiengesetz, dem Zollkodex-Anpas- sungsgesetz oder wie in dem hier beratenen Protokoll- erklärungsumsetzungsgesetz hinweisen. Mit diesem Gesetz werden nun vorrangig Wünsche des Bundesrates umgesetzt. Wir geben damit auch ein Signal an die Länder, dass wir bereit sind, sinnvolle steu- erliche Anpassungswünsche des Bundesrates aufzugrei- fen. Dies ist jedoch keine Einbahnstraße, und ich appel- liere an den Bundesrat, bei anderen Gesetzgebungsvor- haben des Bundestages auch einzulenken und die immer wieder gefahrene Blockadepolitik aufzuheben. Ich denke dabei insbesondere an zwei wichtige Ge- setzgebungsverfahren – steuerliche Absetzbarkeit der energetischen Sanierung und Abbau der kalten Progres- sion – der letzten Legislaturperiode, die aufgrund der Blockade des von Rot-Grün dominierten Bundesrates scheiterten. Auch wenn der vorliegende Gesetzentwurf überwie- gend unproblematische Maßnahmen enthält, bedürfen einige Regelungen bei den zukünftigen Beratungen be- sonderer Aufmerksamkeit. Klärungsbedarf gibt es für uns beispielsweise bei der geplanten Schließung von Lücken im Umwandlungs- steuergesetz, explizit beim § 20 Absatz 2 UmwStG. Wir halten die vorgesehene Änderung des UmwStG nicht für zwingend erforderlich, da eine systemwidrige Lücke – die geschlossen werden muss – überhaupt nicht vorliegt. Nun ist die Änderung im Koalitionsvertrag ver- einbart, wir sollten aber nochmals prüfen, ob tatsächlich ein reales Bedürfnis hierfür besteht. Gerade bei diesem Thema bin ich auf eine Anhörung der Sachverständigen gespannt, zumal die Maßnahme allein aufgrund eines prominenten Einzelfalls Einzug in die politische Diskussion und die vermeintliche Notwen- digkeit einer Lückenschließung gefunden hat. Weiterhin werden wir über eine Anhörung und die Beratungen klären müssen, ob wir mit der vermeintli- chen Lückenschließung gestaltende steuerfreie Umstruk- turierungen tatsächlich verhindern können. In den zukünftigen Beratungen ist von uns ebenfalls zu klären, ob die vorgesehene Mittelstandskomponente ausreichend für Umstrukturierungen im Mittelstand ist. Bedeutend ist unter Steuervereinfachungsaspekten auch der Wegfall des Funktionsbenennungserfordernis- ses. Wir von der Union setzen uns seit Jahren für Steuer- vereinfachung und Entbürokratisierung ein. Wir wollen mit dieser Regelung bei den Unternehmen Anwendungs- unsicherheiten nehmen und gegebenenfalls Erleichterun- gen bei der Finanzierung zukünftiger Anschaffungen er- reichen. Leider haben sich die Länder zu dieser Steuerverein- fachung bereits negativ geäußert. Das Gesetzgebungsverfahren steht jedoch noch ganz am Anfang, und auch die Länder haben in ihrer Stellung- nahme weitere 27 Maßnahmen gefordert, die überwie- gend auch schon im Zollkodex-Anpassungsgesetz gefor- dert und bereits geprüft wurden. Es gibt daher zwischen allen Beteiligten noch genügend Gesprächsbedarf. Der Gesetzentwurf ist deshalb in den Finanzaus- schuss zu überweisen. Ich freue mich dort auf eine aufschlussreiche Sach- verständigenanhörung und auf eine erfolgreiche Bera- tung. Dr. Jens Zimmermann (SPD): Wir beraten heute in erster Lesung das Gesetz zur Umsetzung des Protokolls zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuer- licher Vorschriften. Der Name des Gesetzentwurfes sagt es schon: Viele der im vorliegenden Gesetzentwurf for- mulierten Maßnahmen enthielt schon das Zollkodex-An- passungsgesetz, das Jahressteuergesetz 2015. Mit vorlie- gendem Gesetzentwurf wird die Protokollerklärung der Bundesregierung zum Zollkodex-Anpassungsgesetz um- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10225 (A) (C) (D)(B) gesetzt und viele der Länderanträge aus diesem Verfah- ren nach Prüfung durch die Bundesregierung in einem eigenen Steuergesetz aufgegriffen. Wie im Jahresssteuergesetz 2015 finden sich auch in diesem Vorschlag wieder eine Reihe an redaktionellen Änderungsvorschlägen durch das deutsche Steuerrecht hindurch, die politisch unstrittig sind. Es ist deshalb nicht nötig, auf jeden einzelnen Änderungsvorschlag einzugehen. Auch die unstrittigen Änderungen sind al- lerdings wichtig, um den Finanzbehörden in den Län- dern ihre Arbeit zu erleichtern. Auch wenn das Protokollumsetzungsgesetz einen nicht ganz so umfangreichen Maßnahmenkatalog enthält wie das Zollkodex-Anpassungsgesetz: Hier gibt es eben- falls wieder einige wichtige inhaltliche Punkte, über die wir im Gesetzgebungsverfahren sicherlich intensiv mit unserem Koalitionspartner, mit den Ländern und mit den Sachverständigen diskutieren werden. Einige dieser Punkte möchte ich kurz ansprechen. Bereits in den Verhandlungen zum Kroatien-Anpas- sungsgesetz und zum Zollkodex-Anpassungsgesetz ha- ben wir als SPD-Bundestagsfraktion gezeigt, dass wir es ernst meinen damit, den Missbrauch des Steuerrechts zu verhindern und der Ausnutzung von Regelungslücken im deutschen Steuerrecht einen Riegel vorzuschieben. Steuersparmodelle, mit denen jeder ehrliche Steuerzah- ler verhöhnt wird, können und wollen wir nicht länger tolerieren. Deshalb werden auch in diesem Gesetzge- bungsverfahren die vorgeschlagenen Änderungen zur Schließung von Lücken im Umwandlungssteuerrecht für uns als SPD-Bundestagfraktion eine wichtige Rolle spie- len. Der im Jahre 2012 abgelaufene „Porsche-Deal“ kann als Musterbeispiel für solche Steuervermeidungsmodelle gelten. Im Jahre 2012 hat Volkswagen den Automobil- hersteller Porsche übernommen, und zwar dadurch, dass VW eine einzelne Stammaktie auf die Porsche Holding SE übertragen hat. Das Finanzamt Stuttgart hat den Erwerb nicht als Kauf bewertet, bei dem die üblichen Steuern angefallen wären. Stattdessen wurde dies als Umstrukturierung nach dem Umwandlungssteuergesetz eingestuft. Dies hatte eine Steuerbefreiung zur Folge. Auch wenn diese Gestaltung nach geltendem Recht legal war: Gewünscht ist sie nicht. Denn bei dieser ge- zielten Steuervermeidung sind dem Staat 1,5 Milliarden Euro vorenthalten worden. Wir müssen solche Fälle zu- künftig vermeiden. In den Berichterstattergesprächen zum Zollkodex- Anpassungsgesetz konnten wir uns mit unserem Koali- tionspartner bereits auf konkrete Eckwerte für eine Neu- regelung bei Einbringungen nach dem Umwandlungs- steuerrecht einigen. Der jetzige Vorschlag sieht vor, dass die Gegenleistungen bei Einbringungen auf 25 Prozent oder 300 000 Euro des Buchwerts des eingebrachten Be- triebsvermögens begrenzt werden sollen. Ich erwarte, dass es bei diesem Punkt nur noch um Detailfragen gehen wird. Auch unser Koalitionspartner sollte ein großes Interesse daran haben, dass ein An- teilstausch wie im Falle des VW-Porsche-Deals nicht mehr systemwidrig steuerfrei gestaltet werden kann. Ich freue mich in dieser Frage auf konstruktive Verhandlun- gen. Denn Bund und Länder können hier gemeinsam ein wichtiges Zeichen gegen Steuervermeidung und Steuer- hinterziehung setzen. Hier gilt unverändert die Devise: Je früher, desto besser. Dieser Grundsatz gilt auch für andere gesetzgeberi- sche Schritte gegen Steuertricks: Im Gesetzgebungsver- fahren zum Zollkodex-Anpassungsgesetz haben sich die Regierungskoalitionen gemeinsam mit den Ländern da- rauf geeinigt, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzu- richten, die konkrete Vorschläge für einen Gesetzentwurf zur Umsetzung des BEPS-Maßnahmenpaketes der OECD erarbeitet. Wir begrüßen die Einrichtung der Arbeits- gruppe ausdrücklich. Wir teilen aber auch die kritischen Hinweise der Län- der in ihren Empfehlungen zu dem vorliegenden Gesetz- entwurf. Denn bisher hat die Bund-Länder-Arbeits- gruppe schlicht nicht oft genug getagt, um eine Vorlage für einen Gesetzentwurf auszuarbeiten. In der Protokoll- erklärung zum Zollkodex-Anpassungsgesetz ist aber festgehalten, dass die Arbeitsgruppe zeitnah einen Vor- schlag vorlegt. Das war eine der Bedingungen für die SPD-Bundestagfraktion und die SPD-geführten Länder, auf eine Regelung gegen hybride Finanzierungen im Steuerrecht im Verfahren zum Zollkodex-Anpassungs- gesetz zu verzichten. Jetzt muss die Arbeitsgruppe auch liefern. Und das funktioniert nur, wenn diese regelmäßig tagt. Sicherlich intensiv diskutieren werden wir innerhalb der Regierungskoalition über eine Maßnahme im Ge- setzentwurf, die die Abschaffung des Investitionsbenen- nungserfordernisses beim Investitionsabzugsbetrag – ge- regelt im § 7 g im Einkommensteuergesetz – vorsieht. Bisher war es für den Abzugsbetrag notwendig, dass die Funktion des begünstigenden Wirtschaftsgutes ange- geben werden musste. Auf diese Angabe soll nunmehr verzichtet werden. Das hätte zur Folge, dass der Steuer- pflichtige zukünftig ohne weitere Angaben Abzugsbe- träge für künftige Investitionen bis zu einem unveränder- ten Höchstbetrag von 200 000 Euro gewinnmindernd abziehen könnte. Auch wenn sich an den sonstigen Regelungen zum Investitionsabzugsbetrag nichts ändert: Es gibt gute Gründe dafür, die in der Gesetzesbegründung angegebe- nen steuerlichen Mindereinnahmen von 40 Millionen Euro jährlich anzuzweifeln. Dass die Angabe der Inves- titionsabsicht wegfällt, birgt die Gefahr, dass Investi- tionsabzugsbeträge missbräuchlich in Anspruch genom- men werden, um beispielsweise Steuerzahlungen um bis zu drei Jahre hinauszuzögern. Wir teilen hier deshalb die Bedenken der Länder. Bei der Anwendung der 44-Euro-Freigrenze für Sach- bezüge wird es auch weiterhin bei der bisherigen Praxis bleiben. Der Bundesrat schlägt hier erneut – wie im Ver- fahren zum Zollkodex-Anpassungsgesetz – vor, die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes bei der Abgren- zung von Sachbezügen und Geldleistungen einzuschrän- 10226 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) (D)(B) ken. Dieser hat mit einigen Urteilen Gutscheine, die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber gestellt werden, den Sachbezügen zugeordnet. Damit sind diese Leistungen bis 44 Euro monatlich für den Arbeitnehmer steuerfrei. Viele Beschäftigte freuen sich über diese kleine finan- zielle Entlastung. Diese Steuerfreiheit wieder abzuschaf- fen, würde Arbeitnehmer unnötig belasten. Hier teilen wir die Einschätzung der Bunderegierung uneingeschränkt. Diesen Antrag des Bundesrates werden wir deshalb er- neut ablehnen. Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende der Verhand- lungen zu einer guten Lösung kommen werden. Richard Pitterle (DIE LINKE): Hinter diesem „Ent- wurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklä- rung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ verbirgt sich ein weiteres Jah- ressteuergesetz. Leider scheut sich die Bundesregierung mal wieder, das Kind dann auch beim Namen zu nennen und wählt stattdessen diesen umständlichen Namen. Aber auch das lenkt nicht davon ab, dass die Steuerpoli- tik der Großen Koalition ein einziges Chaos ist. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie schleppen sich von Jahressteuergesetz zu Jahressteuer- gesetz, ohne dass Sie nennenswert vorankämen – das ist eine Flickschusterei sondergleichen! Diese Flickschusterei geht zudem zum Teil auf einen traurigen Zweikampf zwischen Bundestag und Bundes- rat zurück. Mit seinem Entwurf eines Steuervereinfa- chungsgesetzes hat der Bundesrat bereits 2013 verschie- dene Vorschläge in den Bundestag eingebracht. Doch die Große Koalition im Bundestag hat sich bisher sehr schwergetan, angemessen darauf einzugehen, und auch dieser Gesetzentwurf ist da ein eher halbherziger Ver- such. Zu Recht hat sich der Bundesrat beschwert, dass seine Vorlage in verfassungsrechtlich fragwürdiger Weise einfach ignoriert wurde. Denn nach Artikel 76 des Grundgesetzes hat der Bundestag über Vorlagen in ange- messener Frist zu beraten und Beschluss zu fassen. An dieser Stelle möchte ich Ihnen, meine Damen und Her- ren von Union und SPD, raten, vielleicht etwas öfter ei- nen Blick ins Grundgesetz zu werfen; Sie scheinen da stets ein wenig unsicher zu sein, wenn es um dessen Ein- haltung geht. Von diesem chaotischen Verfahrensgang einmal abge- sehen, erscheint Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, bislang auch inhaltlich wenig überzeugend. Auffallend ist vor allem, dass Sie Maßnahmen gegen Steuerumgehung mal wieder ver- schieben, anstatt hier endlich Handfestes zu liefern. Zum Beispiel versäumen Sie es, sich endlich der Neutralisie- rung der Effekte hybrider Gestaltungen anzunehmen und ermöglichen es grenzüberschreitend tätigen Unterneh- men, auf diese Weise weiterhin eine doppelte Nichtbe- steuerung oder einen doppelten Betriebsausgabenabzug zu erreichen. Stattdessen errichten Sie zu diesem Thema erst mal eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die bisher noch keine nennenswerten Ergebnisse hervorgebracht hat. Auch die Steuerpflicht für Veräußerungsgewinne aus Streubesitzanteilen haben Sie auf die lange Bank ge- schoben, obwohl hier ein bekanntes Steuerschlupfloch besteht. Ob Sie Ihre Ankündigung, dies dann in der Re- form des Investmentsteuergesetzes anzugehen, auch wahrmachen, bleibt noch abzuwarten. An dieser Stelle müssen Sie sich mal wieder fragen lassen, meine Damen und Herren von der Bundesregie- rung, für wen Sie eigentlich Politik machen in diesem Land? Für die vielen ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler oder für grenzüberschreitend tätige Kon- zerne, denen Sie weiterhin Zeit geben, um weiter auf Kosten der Allgemeinheit Kasse zu machen. Damit ist die Liste Ihrer Versäumnisse leider noch nicht am Ende. Auch um eine Befassung mit der vom Bundesrat wiederholt angemahnten Erhöhung des Ar- beitnehmer-Pauschbetrages und der Pauschbeträge für behinderte Menschen haben Sie sich gedrückt. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, bei den Beratungen haben Sie die Gelegenheit, meine Kritik durch Taten zu widerlegen. Daher bin ich auf die kommenden Beratungen bereits gespannt. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Hinter dem Namen Zollkodex-Anpassungsgesetz verbirgt sich das Jahressteuergesetz der Bundesregie- rung aus dem letzten Jahr, in dem verschiedene steuerli- che Änderungen vorgenommen wurden. Dieses Gesetz hat mal wieder bestätigt, dass die Bundesregierung steu- erpolitisch keinerlei Ambitionen hat. Dabei sind eine Reihe von wichtigen Themen längst überfällig, auf die wir auch in unserem Entschließungsantrag hingewiesen hatten: zum Beispiel bei der Umsatzsteuer die unsinni- gen Branchensubventionen abzuschaffen oder bei den Unternehmensteuern die Bevorzugung großer Konzerne zulasten der kleinen und mittleren Unternehmen zu be- seitigen. Es ist schon bemerkenswert, wie untätig der Fi- nanzminister sich hier gibt. Auch die Bundesländer sahen zu Recht viele ihrer wichtigen Anliegen, insbesondere zur Bekämpfung von Steuergestaltung, nicht berücksichtigt und wollten daher den Vermittlungsausschuss anrufen. Dazu kam es aber nicht. Anstelle von zeitgerechten und wichtigen Korrek- turen einigte man sich nach langem Hin und Her darauf, dass die Bundesregierung in einer Protokollerklärung versprach, noch offene und zu prüfende Ländervor- schläge Anfang 2015 in einem Steuergesetz aufzugrei- fen. Über dieses Projekt diskutieren wir heute. Es heißt „Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Ge- setz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollko- dex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ – man muss sich dieses Wortungetüm ein- mal auf der Zunge zergehen lassen. Die zentrale Bot- schaft dieser Überschrift ist: Nur etwas für Spezialisten, nichts für den normalen Bürger. Wir Grünen erwarten jetzt, dass die Bundesregierung den Kampf gegen Steuergestaltung nicht länger ver- schleppt, sondern gute Vorschläge vorlegt. Aber ist dies der Fall? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 10227 (A) (C) (D)(B) Die Gestaltungsmöglichkeiten im Umwandlungssteu- errecht werden mit diesem Gesetz eingeschränkt. Dies begrüßen wir; damit ist eine unserer Forderungen umge- setzt worden. Ein zweiter wichtiger offener Punkt war, hybride Ge- staltungen endlich zu besteuern. Auch hierauf haben wir in unserem Entschließungsantrag Ende letzten Jahres hingewiesen. Aktuell werden diese Finanzinstrumente vielfach nicht besteuert, weil die Steuersysteme der ein- zelnen Länder sehr unterschiedlich sind. So ist zum Bei- spiel in einem Land eine Zinszahlung eine abziehbare Betriebsausgabe und in dem anderen Land wird diese als Dividendenertrag freigestellt. Diese Unterschiede bei der Qualifizierung bestimmter Zahlungen sind seit vie- len Jahren bekannt. Die Lösung ist, sogenannte Korres- pondenzregelungen einzuführen, das heißt die unter- schiedlichen Regelungen der Länder zu verzahnen. Hierzu hat die OECD im Rahmen des BEPS-Projektes Vorschläge gemacht. Das würde bedeuten, den Betriebs- ausgabenabzug von Zahlungen ins Ausland zu versagen, wenn diese Zahlung beim Empfänger steuerfrei gestellt ist. So wird verhindert, dass Unternehmen in keinem der beiden Länder Steuern zahlen. Die Bundesregierung hatte in ihrer Protokollerklä- rung versprochen, Anfang 2015 eine Bund-Länder-Ar- beitsgruppe ins Leben zu rufen. Wenn wir hier etwas misstrauisch sind, dann aus gutem Grund: In den Bund- Länder-Arbeitsgruppen wurde in der Vergangenheit der politische Prozess nicht unbedingt beschleunigt, zudem war die Arbeitsweise oft intransparent. Es verstreichen Wochen und Monate – und das Ziel gerät aus dem Blick- feld. Dies scheint auch hier wieder die Taktik zu sein. Die Arbeitsgruppe wurde zwar einberufen, tagte allerdings erst ein Mal, und zwar am 16. Januar – ohne irgendwel- che inhaltlichen Ergebnisse zu erzielen. Zeitnah sollte ein Gesetzentwurf erarbeitet werden – dieser liegt bisher nicht vor. Das ist ein untragbarer Zustand und ein wei- teres Indiz dafür, dass diese Bundesregierung und ins- besondere Bundesfinanzminister Schäuble bei der Ein- dämmung von Steuergestaltung und Steuervermeidung keineswegs eine Vorreiterrolle einnimmt, sondern im ab- soluten Schneckentempo dahinschleicht. Wir fordern die Bundesregierung auf, das Thema Ein- dämmung von Steuergestaltung endlich anzugehen und Korrespondenzregelungen zur Vermeidung von hybriden Gestaltungen nun zeitnah umzusetzen, um weitere Steu- erausfälle zu verhindern, und diese Maßnahmen nicht wieder zu verschleppen. Der Bundesrat hat in das vorliegende Gesetz in seiner Stellungnahme sein Steuervereinfachungspaket von 2013 eingebracht. Dieses wurde bisher nicht im Bundestag parlamentarisch beraten. Es enthält einige begrüßens- werte Vorschläge. Herausgreifen möchte ich dabei heute die Nachbesse- rungen bei der Gewerbesteuerzerlegung bei Erneuer- bare-Energien-Anlagen. Hier geht es darum, die Stand- ortgemeinden von Wind- oder Sonnenenergieanlagen angemessen an der Gewerbesteuer des Betreibers zu beteiligen. Es zeigte sich, dass die Regelungen der Ge- werbesteuerzerlegung nicht sachgerecht sind und die Zielsetzung einer angemessenen Beteiligung der Stand- ortkommunen am Steueraufkommen mit der bisherigen Regelung nicht erreicht wird. Die Bundesländer schla- gen deshalb vor, statt des Buchwertes des Sachanlage- vermögens künftig die installierte Leistung als Maßstab zu nehmen. Dies soll zu einer gerechteren Verteilung des Steueraufkommens zwischen den Gemeinden führen. Wir halten das für einen guten Ansatz, der aber im weiteren Verlauf der Beratungen noch einmal sorgfältig geprüft werden muss. Wir sollten uns bei diesem wichti- gen Detail, das zu einer höheren Akzeptanz der Kommu- nen in Hinblick auf die Belastungen durch den Betrieb von Erneuerbare-Energie-Erzeugung führen soll, wirk- lich vergewissern, dass die vom Bundesrat vorgeschla- gene Regelung sachgerecht ist. Wenn wir uns die Unsi- cherheit anschauen, die die CSU bei den Kommunen mit ihrem unsäglichen Zirkus um Trassen und die Abstands- regelung bei Windrädern – Stichwort 10 Horst – entfacht hat, so ist hier Sorgfalt und Augenmaß gefragt. Wir Grünen werden bei dem vorliegenden Gesetz sorgfältig darauf achten, dass längst überfällige Maßnah- men zur Verhinderung von Steuergestaltung auch auf na- tionaler Ebene umgesetzt werden. Darum wird es in den anstehenden Beratungen zu diesem Gesetz gehen. Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf soll die Protokollerklärung der Bundesregie- rung vom 19. Dezember 2014 gegenüber dem Bundesrat zum Zollkodex-Anpassungsgesetz umgesetzt werden. Der Gesetzentwurf enthält insbesondere Maßnahmen, die der Bundesrat bereits im Rahmen des Zollkodex-An- passungsgesetzes vorgeschlagen hatte, deren fachliche Prüfung zum Abschluss des damaligen Gesetzgebungs- verfahrens noch andauerte. Nachdem die von der Bun- desregierung zugesagte Prüfung nunmehr abgeschlossen ist, werden diese Maßnahmen – wie in der Protokoll- erklärung angekündigt – jetzt umgesetzt. Dies betrifft unter anderem folgende Maßnahmen: Erstens. Schließung von Lücken im Umwandlungs- steuergesetz (§ 20 Absatz 2, § 21 Absatz 1, § 24 Absatz 2 und § 27 Absatz 11 UmwStG): Das Umwandlungssteu- ergesetz verfolgt den Zweck, betriebswirtschaftlich sinn- volle Umstrukturierungen nicht durch steuerliche Folgen zu behindern. In einzelnen Punkten ist das Umwand- lungssteuergesetz aber nicht folgerichtig ausgestaltet. Es hat sich gezeigt, dass die daraus resultierenden Gesetzes- lücken gezielt für Steuergestaltungen ausgenutzt werden. Vor diesem Hintergrund hatten wir in unserem Koali- tionsvertrag vereinbart, zu prüfen, wie verhindert werden kann, dass im Umwandlungssteuerrecht Anteilstausch und Umwandlungen mit finanziellen Gegenleistungen systemwidrig steuerfrei gestaltet werden können. Mit der Änderung des Umwandlungssteuergesetzes wird die bisherige Möglichkeit, sonstige Gegenleistun- gen in Höhe des Buchwerts des eingebrachten Wirt- schaftsguts erbringen zu können, ohne die Steuerneutra- 10228 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 106. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 (A) (C) lität der Einbringung zu gefährden, eingeschränkt. Dabei wird die Zuzahlungsmöglichkeit auf 25 Prozent des Buchwerts des eingebrachten Betriebsvermögens oder auf maximal 300 000 Euro begrenzt. Die Änderungen greifen ein Petitum des Bundesrates zum Entwurf des Gesetzes zur Anpassung der Abgaben- ordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften auf und setzen einen Vorschlag um, den eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe er- arbeitet hat. Zweitens. Verlustabzugsbeschränkung bei Körper- schaften; Ausdehnung der Konzernklausel (§ 8 c Ab- satz 1 Satz 5 KStG): Mit der Neuregelung wird die Konzernklausel – das heißt die Ausnahme von der Ver- lustverrechnungsbeschränkung – unter anderem auf Fall- konstellationen ausgedehnt, in denen die Konzernspitze Erwerber oder Veräußerer ist. Außerdem wird generell auch eine Personenhandelsgesellschaft als Konzern- spitze zugelassen. Die Änderung entspricht der bereits bei Einführung der Ausnahmeregelung bestehenden ge- setzgeberischen Intention, Verlustvorträge bei konzern- internen Umstrukturierungsmaßnahmen zu erhalten. Drittens. Grunderwerbsteuer bei Änderungen im Ge- sellschafterbestand (§ 1 Absatz 2 a Satz 2 bis 4 GrEStG): Die Regelung präzisiert den für die Tatbestandserfüllung der Grunderwerbsteuer notwendigen Umfang einer mit- telbaren Änderung der Beteiligungsverhältnisse. Die Änderung des § 1 Absatz 2 a GrEStG erfolgt zur Schlie- ßung der bestehenden Regelungslücke und zur Anpas- Offsetdruc Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Te sung an die BFH-Rechtsprechung. Damit wird die für den Rechtsanwender dringend erforderliche Rechts- sicherheit geschaffen. In begrenztem Umfang werden außerdem auch Rege- lungen umgesetzt, die nicht bereits Gegenstand der Be- ratungen zum Zollkodex-Anpassungsgesetz waren. Dies betrifft beispielsweise die Abschaffung des Funktionsbe- nennungserfordernisses beim Investitionsabzugsbetrag (§ 7 g EStG): Investitionsabzugsbeträge nach § 7 g EStG ermöglichen die Vorverlagerung von Abschreibungsvo- lumen in ein Wirtschaftsjahr vor Anschaffung oder Her- stellung eines begünstigten Wirtschaftsgutes. Durch die vorgesehene Neuregelung ist es künftig nicht mehr erforderlich, dass bei der Anwendung des § 7 g EStG das Wirtschaftsgut, für das der Abzugsbetrag in Anspruch genommen werden soll, seiner Funktion nach zu benennen ist. Kurz: Das Funktionsbenennungs- erfordernis beim Investitionsabzugsbetrag wird abge- schafft. Dadurch wird die Wettbewerbssituation kleiner und mittlerer Betriebe verbessert, deren Liquidität und Eigenkapitalbildung unterstützt und die Investitions- und Innovationskraft gestärkt. Insgesamt wird die Anwendung der Vorschrift verein- facht: Dies wird daran deutlich, dass sich der Erfüllungs- aufwand für die Wirtschaft durch die Abschaffung des Funktionsbenennungserfordernisses um jährlich rund 162 000 Euro verringert. Ich möchte Sie daher ganz herzlich um Unterstützung dieses Gesetzentwurfs bitten. (B) (D) kerei, Bessemerstraße 83–91, 1 lefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 22 106. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 4 Eidesleistung des Wehrbeauftragten TOP 5 Regierungserklärung zu Gipfeln Östliche Partnerschaft, G7- sowie EU-CELAC TOP 6 Leiharbeit und Werkverträge TOP 7 Berufliche und akademische Bildung TOP 33, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 34, ZP 3 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 4 Aktuelle Stunde zur Freigabe der NSA-Selektoren-Liste TOP 8 Nachtragshaushalt und Unterstützung von Kommunen TOP 9 Studienförderung und Studienfinanzierung TOP 10, ZP 5 Europäischer Fonds für strategische Investitionen TOP 11 Finanzierung der Beseitigung von Rüstungsaltlasten TOP 12 Bundeswehreinsatz Operation Atalanta TOP 13 Rückführung von Wertstoffen in den Abfallkreislauf TOP 14 Bundeswehreinsatz UNMIL in Liberia TOP 15 Menschenrechte in Mexiko TOP 16, ZP 6 Erneuerbare-Energien-Gesetz TOP 17 Völkermord an den Rohingya TOP 18 Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften TOP 19 Internationales Staateninsolvenzverfahren TOP 20 Entsorgung von Elektrogeräten TOP 22 Vernachlässigte armutsassoziierte Erkrankungen TOP 23 Bundesverfassungsgerichtsgesetz TOP 24 Gesetz zum Internationalen Erbrecht TOP 25 Anpassung der Abgabenordnung an den EU-Zollkodex Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810600000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich und möchte Sie zunächst mit
dem erfreulichen Umstand vertraut machen, dass in der
vergangenen Woche die Vizepräsidentin Claudia Roth
ihren 60. Geburtstag gefeiert hat,


(Beifall)


über die sich die Glückwünsche des ganzen Hauses er-
gießen. Ähnliches gilt sicher für den Kollegen Dr. Egon
Jüttner, der gestern seinen 73. Geburtstag gefeiert hat
und dem ich ebenfalls herzlich gratulieren möchte.


(Beifall)


Wir müssen ein Mitglied des Gremiums gemäß
§ 10 a des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes
sowie gemäß § 16 des Restrukturierungsfondsgeset-
zes, also des Finanzmarktgremiums, wählen. Die SPD-
Fraktion schlägt vor, für den ausscheidenden Kollegen
Dr. Carsten Sieling den Kollegen Christian Petry als
Mitglied des Gremiums zu berufen. Stimmen Sie dem
zu, auch im Bewusstsein der damit verbundenen Impli-
kationen für einen Bundesstaat, auf dessen Personal-
entscheidung wir gar keinen Einfluss haben? – Das ist
offensichtlich der Fall. Dann ist der Kollege Petry als
Mitglied des Finanzmarktgremiums gewählt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-
nung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:

Aktuelle Prognose des IWF – Perspektiven
für Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands


(siehe 105. Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfah-
ren


(Ergänzung zu TOP 33)

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Entgeltgleichheit gesetzlich durchsetzen

Drucksache 18/4933
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Federführung strittig

ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Ausspra-
che


(Ergänzung zu TOP 34)


Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia
Verlinden, Oliver Krischer, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Heizkosten sparen – Energiewende im Gebäu-
debereich und im Quartier voranbringen

Drucksachen 18/575, 18/2715

ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
DIE LINKE:

Haltung der Koalitionsfraktionen zur Frei-
gabe der NSA-Selektorenliste im Hinblick auf
mögliche Ausspähungen von Wirtschaft und
Politik

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Diether Dehm,
Andrej Hunko, Alexander Ulrich und der Frak-
tion DIE LINKE

Für ein öffentliches sozial-ökologisches Zu-
kunftsinvestitionsprogramm in Europa

Drucksache 18/4932





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden,
Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Europarechtskonforme Regelung der Indus-
trievergünstigungen auf stromintensive Un-
ternehmen im internationalen Wettbewerb
begrenzen und das EEG als kosteneffizientes
Instrument fortführen

Drucksachen 18/291, 18/515

ZP 7 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Haltung der Bundesregierung zur Änderung
der Klimaschutzziele im Bereich alter Kohle-
kraftwerke

Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun-
gen, soweit erforderlich, abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 21 – hier geht es um die
abschließende Beratung des Bilanzrichtlinie-Umset-
zungsgesetzes – und 26 – abschließende Beratung eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes
– sowie 33 g – hier geht es um die Beratung eines An-
trags mit dem Titel „Bußgeldumgehung bei Kartellstra-
fen verhindern – Gesetzeslücke schließen“ – werden ab-
gesetzt.

Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche
Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkt-
liste aufmerksam:

Der am 6. März 2015 (92. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zur Mit-
beratung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neube-
stimmung des Bleiberechts und der Aufent-
haltsbeendigung

Drucksachen 18/4097, 18/4199
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Der am 27. März 2015 (98. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (18. Ausschuss) zur Mitberatung überwie-
sen werden:

Erste Beratung des von den Abgeordneten
Arnold Vaatz, Erika Steinbach, Elisabeth
Winkelmeier-Becker, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Ab-
geordneten Dr. Rolf Mützenich, Frank Schwabe,
Dr. Johannes Fechner, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der SPD eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung
und Aufgaben des Deutschen Instituts für
Menschenrechte (DIMRG)


Drucksache 18/4421
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Ich frage Sie, ob Sie auch mit diesen Änderungen und
Vereinbarungen einverstanden sind? – Das ist offensicht-
lich der Fall. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Eidesleistung des Wehrbeauftragten

Der Deutsche Bundestag hat in seiner 76. Sitzung am
18. Dezember 2014 Herrn Dr. Hans-Peter Bartels zum
Wehrbeauftragten gewählt. Gemäß § 14 Absatz 4 des
Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen
Bundestages leistet der Wehrbeauftragte vor dem Bun-
destag den in Artikel 56 des Grundgesetzes vorgesehe-
nen Eid.

Herr Wehrbeauftragter, ich bitte Sie, zur Eidesleis-
tung zu mir zu kommen.


(Die Anwesenden erheben sich)


Ich darf Sie bitten, den in der Verfassung vorgesehenen
Eid zu leisten.

Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des
Deutschen Bundestages:

Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des
deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Scha-
den von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze
des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten ge-
wissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann
üben werde. So wahr mir Gott helfe.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810600100

Sie haben den in der Verfassung vorgesehenen Eid ge-

leistet. Ich wünsche Ihnen für die vom Deutschen Bun-
destag übertragene Aufgabe Geduld, Hartnäckigkeit, Er-
folg, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit bei
dieser wichtigen, bedeutenden Aufgabe. Alles Gute!


(Beifall im ganzen Hause – Der Wehrbeauftragte nimmt Glückwünsche entgegen)


Wenn die Unterstützung des Wehrbeauftragten durch
den Deutschen Bundestag ähnlich eindrucksvoll ausfällt





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

wie die Gratulationscour – woran ich keinen Zweifel
habe –, dann steht einer erfolgreichen Arbeit erkennbar
nichts im Wege.

Damit kommen wir nun zum Tagesordnungspunkt 5:

Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin

zum Gipfel Östliche Partnerschaft am
21./22. Mai 2015 in Riga, zum G-7-Gipfel am
7./8. Juni 2015 in Elmau und zum EU-
CELAC-Gipfel am 10./11. Juni 2015 in Brüs-
sel

Hierzu liegen drei Entschließungsanträge der Frak-
tion Die Linke und ein Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 96 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Im Übrigen bitte ich darum – da wir den Wehr-
beauftragten für eine beachtlich lange Amtszeit gewählt
haben –,


(Heiterkeit und Beifall)


dass wir die Gratulationscour – ich habe mehrere ein-
zelne Abgeordnete gesehen, die noch nicht persönlich
gratuliert haben –


(Heiterkeit und Beifall)


in einer etwas diskreteren Form nach dieser Debatte ge-
gebenenfalls fortsetzen. – Vielen Dank.

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1810600200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor

fast genau sechs Jahren haben die Europäische Union
und ihre östlichen Nachbarn – Ukraine, Moldau, Geor-
gien, Weißrussland, Armenien, Aserbaidschan – gemein-
sam eine neue Partnerschaft mit dem Ziel begründet,
ihre Beziehungen, wie es in der Prager Gipfelerklärung
vom 7. Mai 2009 formuliert wurde, auf eine neue Ebene
zu bringen. Heute Abend beginnt in Riga das bereits
vierte Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft. Es steht
unter völlig anderen Vorzeichen als das letzte Treffen im
November 2013 in Wilna; denn in der Zwischenzeit
wurden wir Zeugen der völkerrechtswidrigen Annexion
der Krim durch Russland. Wir wurden Zeugen einer
massiven Destabilisierung der Ostukraine. Wir wurden
Zeugen davon, wie die europäische Friedensordnung
nachhaltig infrage gestellt wurde. Um es gleich zu Be-
ginn klar zu sagen: Nicht zuletzt auch unter diesen Um-
ständen ist die Idee der Östlichen Partnerschaft wichtiger
denn je.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit ihr werden wir unsere Nachbarn auf ihrem Weg zu
demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaften
weiterhin unterstützen.

Gute Nachbarschaft bedeutet für uns zum einen, unse-
ren Partnern politische Annäherung und wirtschaftliche
Integration anzubieten. Wir wollen, dass dies zu mehr
Rechtsstaatlichkeit, mehr Arbeitsplätzen und mehr
Wohlstand führt. Wir wollen helfen, den Alltag der Men-
schen in diesen Ländern zu verbessern. Gute Nachbar-
schaft verbinden wir zum anderen mit dem Anspruch,
uns zu gemeinsamen Werten und Prinzipien zu beken-
nen. Dazu gehören Demokratie und freie Marktwirt-
schaft, Menschenrechte und gute Regierungsführung. Es
ist mir wichtig, diesen Anspruch in Riga noch einmal zu
unterstreichen.

Seit dem letzten Gipfeltreffen im November 2013 ha-
ben wir – trotz schwieriger Rahmenbedingungen – kon-
krete Fortschritte in der Zusammenarbeit mit unseren
östlichen Partnern erzielt. Das belegen besonders an-
schaulich die Assoziierungsabkommen mit der Ukraine,
mit Georgien und mit Moldau. Durch diese Abkommen
ermöglichen wir einerseits eine gegenseitige Marktöff-
nung – auch wenn diese mit langen Übergangsfristen
verbunden sind –, andererseits ist in den Abkommen
eine Annäherung an die Standards der Europäischen
Union verankert, und zwar durch die Stärkung von De-
mokratie und Rechtsstaatlichkeit, durch einen besseren
Schutz der Menschenrechte und durch die Angleichung
technischer Standards und der gesamten Verwaltungs-
praxis. Seit vergangenem Herbst werden wichtige Ele-
mente der Assoziierungsabkommen vorläufig angewen-
det. Dies hat dazu geführt, dass die Exporte Georgiens
und Moldaus in die Europäische Union bereits deutlich
angestiegen sind, aus Georgien zum Beispiel um 12 Pro-
zent.

Für alle Partnerstaaten gilt, dass die Assoziierungsab-
kommen wichtige Impulse für den innenpolitischen Re-
formprozess geben. Das wiederum ist Voraussetzung für
mehr Investitionen, für die Modernisierung der Wirt-
schaft und damit natürlich auch für stärkeres Wirt-
schaftswachstum.

Unser Ziel bleibt es, dass wir die Assoziierungsab-
kommen vollständig umsetzen. Ich freue mich daher be-
sonders, dass der Bundestag und der Bundesrat hierfür
mit großer Mehrheit ihre Zustimmung erteilt haben. Da-
mit hat Deutschland das parlamentarische Ratifizie-
rungsverfahren noch vor dem heute beginnenden Gipfel
abschließen können. Die Teilnahme des ukrainischen
Parlamentspräsidenten Groysman an der Plenarsitzung
des Deutschen Bundestages Ende März hat gezeigt, dass
dies auch von unseren östlichen Nachbarn – in diesem
Fall der Ukraine – als wichtiges politisches Signal wahr-
genommen wird.

Jetzt geht es darum, dass die Partnerstaaten ihrerseits
die notwendigen Reformen umsetzen, die dann für die
Implementierung des Assoziierungsabkommens nötig
sind. Das wird an vielen Stellen noch erhebliche An-
strengungen erfordern: bei der Stärkung der staatlichen
Leistungsfähigkeit, bei der Korruptionsbekämpfung, bei
der Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und bei der





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Verbesserung des Justizwesens. Visaerleichterungen
zum Beispiel sind nur dann möglich, wenn hierfür alle
vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind.

Die Europäische Kommission ist in einem jüngst vor-
gelegten Bericht zu dem Schluss gekommen, dass Geor-
gien und die Ukraine bereits große Anstrengungen unter-
nommen haben, dass diese Anstrengungen aber noch
nicht ausreichen und es noch einiges zu verbessern gilt.
Die Europäische Kommission wird daher Ende des Jah-
res erneut – das ist etwas Besonderes; normalerweise
macht sie das nur einmal im Jahr – über die Fortschritte
berichten. Das gibt beiden Ländern die Möglichkeit, bis
dahin noch einen entscheidenden Schritt voranzukom-
men. Denn es geht ja darum, unseren Partnern zu helfen,
die Reformen, zu denen sie sich verpflichtet haben, auch
wirklich umzusetzen. Deutschland bietet hierfür seine
Unterstützung an, ebenso wie die Europäische Union
insgesamt, und das in vielen, vielen Bereichen.

Meine Damen und Herren, es sind drei Elemente, die
die Haltung Deutschlands zur Östlichen Partnerschaft
leiten. Erstens. Die Östliche Partnerschaft ist kein Instru-
ment der Erweiterungspolitik der Europäischen Union.
Wir dürfen deshalb auch keine falschen Erwartungen
wecken, die wir dann später nicht erfüllen können. Das
müssen wir – ich tue das auch – unseren östlichen Part-
nern in aller Offenheit deutlich machen.

Zweitens. Uns ist bewusst, dass wir es mit höchst un-
terschiedlichen Partnerstaaten zu tun haben. Nicht nur
die Entwicklungsperspektiven sind verschieden, sondern
auch die gegenseitigen Erwartungen an eine Zusammen-
arbeit mit der Europäischen Union. Wir respektieren die
Entscheidung Armeniens, dass sie neben intensiveren
Beziehungen zur Europäischen Union auch eine engere
wirtschaftliche Bindung an Russland suchen und der
Eurasischen Wirtschaftsunion beitreten wollen. Wir re-
spektieren auch die Entscheidung Aserbaidschans, das
derzeit keine Assoziierung mit der Europäischen Union
anstrebt und das im Übrigen auch keine Rolle für sich in
der Eurasischen Wirtschaftsunion sieht.

Wir sind trotz aller offenkundigen Differenzen auch
bereit, die Zusammenarbeit mit Weißrussland zu intensi-
vieren. Es liegt an Weißrussland selbst, hierfür die nöti-
gen Voraussetzungen zu schaffen. Das gilt vorneweg für
die Wahrung der Menschenrechte. Wichtige Gradmesser
hierfür werden der Umgang mit den politischen Gefan-
genen und die Präsidentschaftswahlen im November
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen also – das ist unsere Erfahrung – für die
verschiedenen Partnerstaaten individuell ausgestaltete
Angebote. Die Östliche Partnerschaft bietet hierfür einen
wichtigen gemeinsamen Rahmen.

Drittens. Die Östliche Partnerschaft richtet sich gegen
niemanden, insbesondere nicht gegen Russland. Ich
werde es deshalb wieder und wieder sagen: Es ging nicht
und es geht nicht um ein Entweder-oder zwischen einer
Annäherung an die Europäische Union einerseits und
dem russischen Wunsch nach einer engeren Partner-
schaft mit diesen Ländern andererseits. Deshalb sind und
bleiben wir da, wo zum Beispiel Sorgen über die Verein-
barkeit von Freihandelszonen vorgetragen werden, be-
reit, über diese Sorgen zu sprechen. Die Bundesregie-
rung sagt immer und immer wieder auch, dass die
Europäische Union diese Gespräche führen wird – sie
führt sie im Übrigen im Augenblick mit Russland –, und
wir werden sie sehr konstruktiv begleiten.

Aber – auch das werde ich wieder und wieder sagen –:
Es ist und bleibt die souveräne Entscheidung unserer öst-
lichen Partnerstaaten, wenn sie sich den Werten der
Europäischen Union annähern wollen. Niemand hat das
Recht, ihnen diesen selbstgewählten Weg zu verstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein Denken in Einflusssphären nehmen wir im Europa
des 21. Jahrhunderts nicht hin.

Das gilt unverändert auch für die Lage in der Ukraine.
Für die Wiederherstellung des Rechts in diesem so ge-
plagten Land werden wir noch viel Geduld und einen
langen Atem brauchen. Wir haben diese Geduld und die-
sen langen Atem. Das Maßnahmenpaket von Minsk
weist uns den richtigen Weg. Deutschland wird – der
Bundesaußenminister genauso wie ich – hier weiter die
Verhandlungen begleiten, und das Normandie-Format
zusammen mit Frankreich behält seine Bedeutung.

Die Entwicklung in der Ukraine ist auch der Grund,
weshalb wir uns am 7. und 8. Juni in Schloss Elmau als
Gruppe der Sieben und nicht der Acht treffen werden.
Russland wird, wie schon im vergangenen Jahr in Brüs-
sel, nicht dabei sein; denn genauso, wie wir dies für die
Östliche Partnerschaft anstreben, verstehen wir die G 7
bereits heute als eine Gemeinschaft der Werte. Dazu ge-
hört, dass wir uns gemeinsam für Freiheit, Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Dazu gehört, dass wir
das Völkerrecht und die territoriale Integrität der Staaten
achten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Vorgehen Russlands in der Ukraine ist damit
nicht in Einklang zu bringen. Solange sich Russland
nicht zu den grundlegenden Werten des Völkerrechts be-
kennt und danach handelt, ist für uns eine Rückkehr zum
Format der G 8 nicht vorstellbar; denn nur wenn wir als
G 7 überzeugend für unsere gemeinsamen Werte einste-
hen, können wir überzeugend auch auf internationaler
Bühne Verantwortung übernehmen. Wie nötig dies ist,
führt uns nicht zuletzt die Vielzahl internationaler Krisen
vor Augen: die Lage in der Ukraine, im Nahen und Mitt-
leren Osten, die Bedrohung durch den internationalen
Terrorismus, die Ebolaepidemie in Westafrika, um nur
wenige Beispiele zu nennen. Wir werden uns beim G-7-
Gipfel eng darüber abstimmen, wie wir gemeinsam auf
die großen außen- und sicherheitspolitischen Herausfor-
derungen reagieren können.

Das Treffen in Elmau ist aber weit mehr als akute Kri-
sendiplomatie. Wir müssen als G 7 vorausschauend han-





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

deln und Verantwortung für die Zukunft übernehmen.
Unser Ziel als deutsche G-7-Präsidentschaft ist es, auf
diesem Weg konkrete Fortschritte zu erzielen. Das gilt
für die Post-2015-Ziele zur nachhaltigen Entwicklung,
das gilt für die Entwicklungsfinanzierung, und das gilt
für ein zukünftiges globales Klimaabkommen, das Ende
des Jahres in Paris beschlossen werden soll. Hierzu wol-
len wir als G 7 – ich sage allerdings: das sind schwierige
Verhandlungen – deutliche Signale der Unterstützung
senden.

Ich möchte drei weitere Beispiele herausgreifen, die
veranschaulichen, dass unser Schwerpunkt auf den lang-
fristigen und globalen Herausforderungen liegt. Erstens.
Wir wollen im Rahmen der G 7 dazu beitragen, Frauen
zu stärken und die Stärkung von Frauen besser als bis-
lang zu nutzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn weltweit mehr Frauen aktiv am Wirtschaftsleben
teilhaben, nutzt das allen. Hier gibt es Defizite in den In-
dustrieländern genauso wie in den Entwicklungsländern.
Das reduziert Armut und Ungleichheit, das fördert Inno-
vation und Wachstum, und das nützt dem gesellschaftli-
chen Zusammenhalt.

Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass mehr
Mädchen und Frauen eine berufliche Qualifizierung be-
kommen. Das gilt nicht nur, aber insbesondere in den
Entwicklungsländern. Wir wollen es Frauen zudem
leichter machen, den Weg in die unternehmerische
Selbstständigkeit zu gehen. Überall auf der Welt müssen
wir beobachten, dass Frauen weitaus seltener zu Grün-
dern werden als Männer. Das wollen und – ich denke –
das müssen wir ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten – so hat es
uns die OECD noch einmal aufgearbeitet – und zu Netz-
werken ist hierfür besonders wichtig, aber er ist heute
strukturell schlechter als für Männer.

Zweitens. Wir wollen weltweit die Gesundheitssys-
teme stärken. Die Ebolaepidemie ist eine schreckliche
Heimsuchung für die von ihr betroffenen Menschen, und
sie ist hoffentlich so etwas wie ein Weckruf für uns alle.
Jedenfalls habe ich zusammen mit meinem Kollegen aus
Ghana und der Ministerpräsidentin Norwegens den Ge-
neralsekretär der Vereinten Nationen gebeten, ein Kon-
zept zu entwickeln, wie Gesundheitskrisen in Zukunft
effektiver bewältigt werden können, als das bislang der
Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich habe in dieser Woche auch die Versammlung der
Weltgesundheitsorganisation besucht. Sowohl die Welt-
gesundheitsorganisation als auch die Weltbank werden
eine zentrale Rolle bei den Vorschlägen spielen, die wir
machen werden, um in Zukunft besser auf solche Epide-
mien und Pandemien reagieren zu können.
Im Rahmen der G 7 wollen wir außerdem daran arbei-
ten, dass lebensrettende Antibiotika ihre Wirksamkeit
behalten. Der gerade beschlossene Aktionsplan der
Weltgesundheitsorganisation ist hierfür ein wichtiger
Schritt. Das Bundeskabinett hat vor wenigen Tagen auch
eine nationale Strategie beschlossen. Wir wollen beim
G-7-Gipfel darüber sprechen, was zusätzlich noch getan
werden kann. Hier geht es vor allen Dingen um gleiche
Standards zwischen den G-7-Ländern beim Umgang mit
Antibiotika und um die Wechselwirkungen zwischen
Mensch und Tier.

Drittens. Wir wollen den weltweiten Handel stärken.
Damit schaffen wir Impulse für die Erholung der Welt-
wirtschaft, für nachhaltiges Wachstum und für Beschäf-
tigung. Auf globaler Ebene steht dabei weiterhin die
Welthandelsorganisation im Zentrum unserer Bemühun-
gen. Es bleibt unser Ziel, die Doha-Runde so rasch wie
möglich abzuschließen. Das wird nicht einfach, aber wir
halten es für möglich. Gleichzeitig wollen wir bei den bi-
lateralen und regionalen Handelsvereinbarungen zügig
vorankommen. Das gilt aus europäischer Sicht vor allem
für die Abkommen der Europäischen Union mit den G-7-
Partnern Japan, Kanada und den Vereinigten Staaten von
Amerika; jetzt ist bald der EU-Japan-Gipfel, und auch
mit den anderen beiden Staaten sind wir in Verhandlun-
gen. Unser gemeinsames Ziel bleibt es, bis Ende 2015
den politischen Rahmen für ein Transatlantisches Frei-
handelsabkommen festzulegen.

Eine Stärkung des Freihandels erfordert auch eine
bessere Umsetzung sozialer und ökologischer Standards,
insbesondere in internationalen Lieferketten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das furchtbare Unglück in der Textilfabrik Rana Plaza in
Bangladesch vor zwei Jahren hat uns dies auf schreckli-
che Art vor Augen geführt. Ich setze mich dafür ein, dass
die Opfer und ihre Familien endlich vollständig entschä-
digt werden. Das werden wir zu einem Thema machen.
Ich halte es für ein Unding, dass das noch nicht erfolgt
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Ich möchte mich bei dem Entwicklungsminister Gerd
Müller und der Arbeitsministerin Andrea Nahles bedan-
ken, dass sie auch zu den Fragen der Lieferketten einen
intensiven Dialog geführt haben. Wir haben das mit den
internationalen Gewerkschaften gemacht und mit vielen
anderen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Unser Ziel sind menschenwürdige Arbeitsbedingun-
gen weltweit. Deshalb machen wir uns für eine bessere
Prävention stark, also für die Stärkung von Arbeitssi-
cherheit und Arbeitsschutz. Wie weit wir bei den kon-
kreten Verhandlungen kommen, kann man noch nicht
ganz genau absehen.

Dies alles steht unter dem Motto des G-7-Gipfels „An
morgen denken. Gemeinsam handeln.“ Davon sollten
sich nicht nur die Regierungen der G-7-Staaten ange-





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

sprochen fühlen. Gemeinsam handeln bedeutet für mich
vielmehr auch, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft zu
handeln. Wir haben deshalb in den vergangenen Tagen
und Wochen viel mit Wissenschaftlern, mit Nichtregie-
rungsorganisationen, mit Vertretern von Wirtschaft und
Gewerkschaften gesprochen. Zum Beispiel waren am
vergangenen Montag Teilnehmer des Jugendgipfels zu
Gast, die mehrere Tage hier in Deutschland verbracht
haben: 54 Jugendliche aus 19 Ländern, die uns ihre Vor-
stellungen für eine Welt der Zukunft deutlich gemacht
haben.

Gemeinsam handeln, das heißt für mich auch, ge-
meinsam mit internationalen Partnern zu handeln. Des-
wegen haben wir Gäste nach Elmau eingeladen. Dazu
gehören die Chefs der großen internationalen Organisa-
tionen, allen voran der Generalsekretär der Vereinten
Nationen, und auch weitere Staats- und Regierungs-
chefs. Wir wollen in zwei Sitzungen drei große Themen
besprechen. Wir wollen das Thema „Terroristische Be-
drohung“ besprechen – der neu gewählte nigerianische
Präsident, der tunesische Präsident und der Ministerprä-
sident des Irak haben zugesagt, zu kommen –, und wir
wollen das Thema „Nachhaltige Entwicklungsziele“, das
im September in New York eine Rolle spielen wird, und
das Thema „Gesundheit“ mit der liberianischen Präsi-
dentin, mit dem äthiopischen Ministerpräsidenten und
dem Präsidenten des Senegal besprechen.

Eines ist für mich ganz klar: Insbesondere der Dialog
mit den afrikanischen Staaten ist von zentraler Bedeu-
tung. Wir wissen, dass die Zusammenarbeit mit Afrika
intensiviert werden soll. Deshalb wird es im Herbst die-
ses Jahres einen Gipfel mit afrikanischen Staaten und der
EU geben, um über die Bekämpfung der Ursachen der
Flüchtlingsbewegungen zu sprechen.

Es ist vollkommen klar: Wenn wir nachhaltige Ant-
worten auf die drängenden globalen Herausforderungen
unserer Zeit finden wollen, dann müssen wir als Euro-
päer und natürlich auch Deutschland mit allen Regionen
der Welt eng zusammenarbeiten. Deshalb werde ich am
10. und 11. Juni, also nur wenige Tage nach dem G-7-
Gipfel, am Gipfeltreffen der Europäischen Union mit
den 33 Staaten Lateinamerikas und der Karibik in Brüs-
sel teilnehmen.

Europa und Lateinamerika sind seit Jahrhunderten
eng miteinander verbunden. Wir teilen ein reiches kultu-
relles und historisches Erbe. Europa und Lateinamerika
werden auch wirtschaftlich immer wichtiger füreinander.
Die Europäische Union ist für Lateinamerika und die
Karibik der zweitgrößte Handelspartner. Im vergangenen
Jahrzehnt hat sich unser Handelsvolumen verdoppelt.
Bei den Direktinvestitionen liegt die Europäische Union
noch vor den USA an erster Stelle. Wir erkennen die
Fortschritte an, die in der Region bei der Armutsbe-
kämpfung, bei der Förderung von Demokratie und fried-
licher Konfliktlösung erzielt wurden.

Enge und freundschaftliche Beziehungen zu den Staa-
ten Lateinamerikas und der Karibik sind für uns von gro-
ßer strategischer Bedeutung. Bei unserem gemeinsamen
Gipfeltreffen in Brüssel wollen wir deshalb neue Im-
pulse für die politische, wirtschaftliche, wissenschaftli-
che und kulturelle Zusammenarbeit setzen. Die EU-
Lateinamerika-Stiftung in Hamburg ist hierfür ein be-
sonders sichtbares Element. Dass sie nach Hamburg
kommt, dafür haben wir lange gekämpft. Deshalb wird
sich die Bundesregierung jetzt auch dafür einsetzen, dass
die Stiftung sobald wie möglich zu einer internationalen
Organisation aufgewertet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ganz im Zentrum der Beratungen am 10. und 11. Juni
werden jedoch die gemeinsamen globalen Herausforde-
rungen stehen; denn auch bei der Förderung von nach-
haltiger Entwicklung, beim Klimaschutz und bei der
Bekämpfung des internationalen Terrorismus sind La-
teinamerika und die Karibik für Europa wichtige Partner.
Deshalb freue ich mich besonders, dass wir bei vielen
Themen direkt an die Diskussionen und auch an die Er-
gebnisse des G-7-Gipfels anknüpfen können.

Meine Damen und Herren, in einer sich immer
schneller verändernden globalisierten Welt können wir
unsere Werte nur behaupten und unsere Interessen nur
wirksam vertreten, erfolgreich nur dann sein, wenn wir
für die gemeinsamen Herausforderungen auch gemein-
same Antworten über Länder und Kontinente hinweg
entwickeln. Dafür werde ich mich, dafür wird sich die
ganze Bundesregierung mit ganzer Kraft einsetzen: im
Rahmen der Partnerschaft mit unseren östlichen Nach-
barn, im Rahmen der G-7-Präsidentschaft und in der Zu-
sammenarbeit zwischen Europa, Lateinamerika und der
Karibik.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810600300

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem

Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810600400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe

geahnt, Frau Bundeskanzlerin, dass wir von Ihnen keine
einzige Äußerung zum Spionageskandal, der langsam zu
einer Staatskrise wird, hören werden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist ja kein Thema von Elmau, Mensch!)


– Ich wusste, dass Sie sagen würden: „Es ist kein
Thema“, Herr Kauder. Aber das stimmt nicht. Bei allen
Treffen, zu denen sie fährt, findet sie Leute, die abgehört
worden sind; insofern ist das ein Thema, kann ich nur sa-
gen.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben schon vor längerer Zeit festgestellt, dass die
NSA Deutschland komplett ausforscht. Die behandeln
uns immer noch wie ein besetztes ehemaliges Feindes-





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

land. Ich sage Ihnen klipp und klar: Das dürfen wir uns
nicht länger bieten lassen!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ach!)


Darunter ist übrigens auch eine gravierende Wirtschafts-
spionage. Nun hat sich herausgestellt, dass der BND für
die NSA und sich selbst Abertausende rechtswidrige
Handlungen beging.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Hat sich nicht herausgestellt! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt ja gar nicht!)


Die deutsche Wirtschaft ist davon betroffen, europäische
Regierungen sind davon betroffen, die EU-Kommission
ist davon betroffen. Die Mär, dass das Ganze der Terro-
rismusbekämpfung dienen soll, ist damit widerlegt –
vielleicht ein kleiner Anteil; aber der ganze Rest ist poli-
tische und Wirtschaftsspionage. Das ist beim besten Wil-
len nicht hinnehmbar, und es ist strafbar.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Unglaublich! Woher wissen Sie denn das! Lächerlich!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1810600500
Sie zei-
gen viel zu wenig Rückgrat gegenüber der US-Adminis-
tration.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder der Antiamerikanismus! Den kennen wir doch schon!)


Willfährigkeit und Duckmäusertum führen zu Verach-
tung. Was wir brauchen, ist jedoch Respekt. Respekt ist
die Grundlage, um eine Freundschaft aufzubauen. An-
ders funktioniert das nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Unterwürfig sind Sie: gegenüber Putin!)


Wir haben höchstwahrscheinlich eine tiefe Schuld ge-
genüber europäischen Partnern auf uns geladen. Frau
Bundeskanzlerin, diesmal können Sie sich nicht mit
Schweigen aus der Affäre ziehen. Ich gehe davon aus,
dass der Kanzleramtschef, seine Vorgänger und auch Sie
unter Eid im Untersuchungsausschuss aussagen müssen.
Wir brauchen Aufklärung und Klarheit; es wird höchste
Zeit.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Kommen Sie mal zum Thema! Erst Behauptungen aufstellen und danach Aufklärung fordern! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Es kann sein, dass Sie noch schneller unter Eid aussagen müssen, in Hamburg! Das kann alles noch kommen!)


Im Übrigen hat der frühere Bundesinnenminister
Friedrich – passen Sie auf, Herr Kauder! – der deutschen
Wirtschaft versprochen, dass die US-Spionage in der
Wirtschaft aufhört. Das war offenkundig falsch. Deshalb
ist die Wirtschaft zutiefst enttäuscht, auch von Ihnen,
Frau Bundeskanzlerin.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Keine Belege!)


Schließlich könnten Sie Präsident Obama doch ein-
mal eins erklären: Seit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag ist
der Besatzungsstatus Deutschlands letztlich beendet.
Deutschland ist ein souveränes Land.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Wir und kein anderer haben zu entscheiden, mit wel-
chen Geheimdiensten wir wie zusammenarbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn es gegenseitig keine Spionage geben soll, dann
haben Sie das auch durchzusetzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber nun komme ich zum G-7-Treffen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zum Thema, super!)


Da wollen Sie ja über den Klimaschutz reden. Ich darf
Ihnen mal sagen: Ohne Russland und vor allen Dingen
ohne China sind Gespräche zum Klimaschutz ziemlich
albern; die bringen nichts. Allerdings gibt es eine
Chance, dass man sich jetzt selbst mit China verständi-
gen kann. Wissen Sie auch, warum? Weil die Luft in Pe-
king so schlecht geworden ist, und die Luft macht nicht
halt vor dem Politbüro, auch nicht vor dem Partei- und
Staatschef. Sie wissen ja: Wenn es die Menschen selbst
betrifft, werden sie gelegentlich einsichtig. Also, ich
kann nur hoffen, dass wir in dieser Menschheitsfrage
endlich etwas erreichen.

Aber wie kommen Sie eigentlich darauf, dass sieben
Staats- und Regierungschefs Weltpolitik machen könn-
ten? Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass Sie die
UNO ersetzen dürften? Wie kommen Sie eigentlich da-
rauf, dass sich diese Staaten anmaßen könnten, für alle
anderen Staaten zu entscheiden? Das ist völlig indiskuta-
bel. Deshalb wird es einen sehr breit angelegten Protest
dagegen geben, und ich meine auch: zu Recht.


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem ist selbst das G-7-Treffen gar nicht in der
Lage, Weltpolitik zu machen; denn es ist die internatio-
nale Finanzwelt, die bestimmt, was dort geschieht. Wir
haben kein Primat der Politik mehr. Selbst die Union
müsste doch daran interessiert sein, dass wir wieder ein
Primat der Politik herstellen, dass nicht die Banken be-
stimmen, was Sie machen, sondern Sie wieder eine
Chance haben, zu bestimmen, was die Banken machen.
Aber davon sind wir zurzeit meilenweit entfernt.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Bundeskanzlerin, Sie sind die Vorsitzende beim
G-7-Treffen. Da frage ich Sie mal: Warum hatten Sie
nicht den Mumm, Herrn Putin einzuladen? Dass die
Grünen so naiv sind, zu glauben, dass man in der Frie-
dens- und Außenpolitik vorankomme, indem man ein
ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates, eine Veto-





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

macht im Sicherheitsrat, eine Atomwaffenmacht, das
militärisch stärkste und größte Land Europas, Russland,
zu isolieren versuche, mag zum Teil mit deren Jugend
zusammenhängen; aber Sie können das nicht ernsthaft
glauben, Frau Bundeskanzlerin. Das ändert aber nichts
daran, dass Kritik an Putin und seiner Regierung not-
wendig ist.

Vor kurzem haben wir den 70. Jahrestag der Befrei-
ung von der Nazidiktatur und des Endes des Zweiten
Weltkrieges gefeiert. Ich finde, es hätte sich gehört, dass
viele, auch westliche Staatsoberhäupter und Regierungs-
chefs – auch Sie, Frau Bundeskanzlerin – an der traditio-
nellen Feier zu diesem 70. Jahrestag am 9. Mai in Mos-
kau teilgenommen hätten.


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Um eine Raketenschau zu begutachten!)


Ich sage Ihnen auch, warum: 27 Millionen Sowjetbürger
haben ihr Leben im Kampf gegen Hitler verloren, und
sie haben unsere Ehrung verdient. Dabei bleibe ich.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir beten keine russischen Waffen an! Das ist gar keine Frage!)


Frau Bundeskanzlerin, immerhin waren Sie wenigstens
einen Tag später da und haben gemeinsam mit Putin ei-
nen Kranz am Grabmal des Unbekannten Soldaten nie-
dergelegt und auch ein Gespräch geführt.

Ich sage Ihnen: Deeskalation und die Aufhebung der
Sanktionen gegenüber Russland bedeuten Friedenspoli-
tik. Beides liegt im Interesse des ukrainischen und des
russischen Volkes, im Interesse ganz Europas und auch
in unserem Interesse. Wenn Sie denken, die Zuspitzung
zwischen der Ukraine und Russland nütze der Ukraine,
Herr Vaatz, dann zeigt sich, dass Sie von Außenpolitik
gar nichts verstehen. Das muss ich Ihnen einmal ganz
klar sagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Deeskalation liegt übrigens auch im Interesse unserer
Wirtschaft. Diese Interessen und nicht die Interessen der
USA haben maßgebend zu sein.

Beim G-7-Gipfel und danach beim EU-CELAC-Gip-
fel wird es ja – Sie haben darüber gesprochen – auch um
die Östliche Partnerschaft und damit ebenfalls um den
Ukraine-Konflikt gehen. Am 28. Juni 2015 sollen Asso-
ziierungsabkommen der EU mit der Ukraine, mit Molda-
wien und mit Georgien unterzeichnet werden. Es handelt
sich hierbei um drei souveräne Staaten. Seit einem Vier-
teljahrhundert sind sie nicht mehr Bestandteil der Sow-
jetunion, und Sie haben völlig recht, Frau Bundeskanzle-
rin: Diese drei Staaten haben das souveräne Recht,
Abkommen mit der EU zu schließen. Es darf aber nie
wieder passieren, dass auch die EU-Kommission wie bei
der Ukraine eine Alternative daraus macht und sagt: ent-
weder mit Russland oder mit uns. Sie haben gesagt, Sie
seien dafür. Alle drei Staaten brauchen gute Beziehun-
gen zur Europäischen Union, aber auch gute Beziehun-
gen zu Russland, und genau dafür müssen wir uns ein-
setzen. – Das haben Sie gesagt, und ich habe das mit
Wohlwollen zur Kenntnis genommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir dürfen aber eins nicht vergessen: Die Ukraine ist
auch in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise.
Die Ukraine hat größere Schulden als Griechenland; ich
sage das nur mal.

Die Bundesregierung macht gegenüber Südeuropa die
gleiche falsche Politik wie mit der Agenda 2010 in
Deutschland. Wieder wird von der Ukraine verlangt,
Renten zu kürzen, die Löhne zu senken und die öffentli-
che Daseinsvorsorge zu privatisieren. Das ist der falsche
Weg. Wissen Sie, was die Leute nicht verstehen? Sie
verstehen nicht, wieso eigentlich nicht die Oligarchen
des Landes, sondern die Rentnerinnen und Rentner und
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Krise
bezahlen müssen. Das ist nicht akzeptabel, und zwar in
keinem Land – weder in der Ukraine noch in Russland
noch in anderen Ländern. Das ist auch unverantwortlich.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Deshalb wird ja verhandelt!)


Minsk II hat einen fragilen Friedensprozess ausgelöst,
der von allen Seiten umgesetzt werden muss. Das bedeu-
tet aber, dass die NATO aufhören sollte, in Polen und in
den baltischen Staaten die militärischen Muskeln spielen
zu lassen. Wenn die NATO ihre Provokationen einstellt,
dann haben wir auch viel bessere Voraussetzungen dafür,
von Russland zu verlangen, die Manöver, die ich aben-
teuerlich finde, ebenfalls einzustellen. Wir brauchen
jetzt doch keine gegenseitige Hochrüstung. Wohin soll
das denn führen? Wir brauchen Abrüstung und Deeska-
lation, und dafür müssen Sie stehen, Frau Bundeskanzle-
rin.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie haben über die geplanten Freihandelsabkommen
gesprochen und sie nur gewürdigt. Sie haben nur die
Chancen betont und gehen auf die Kritik daran über-
haupt nicht ein. Es geht ja mindestens um vier Abkom-
men: um TTIP zwischen der EU und den USA, um
CETA zwischen der EU und Kanada, um TPP zwischen
den USA und Ostasien und um das Dienstleistungsab-
kommen TiSA zwischen 23 Staaten in Europa, USA, La-
teinamerika und Asien. Überall geht es um den unbe-
grenzten Zugang der Finanzkonzerne zu den Daten der
Bürgerinnen und Bürger. Den Datenschutz könnten wir
dann abschreiben. Das ist überhaupt nicht hinnehmbar.

Die USA wollen erreichen, dass Unternehmen, die in
einem anderen Land Dienstleistungen anbieten, dort kei-
nen Firmensitz mehr benötigen. Das würde bedeuten,
dass dann auch das europäische Recht für sie nicht mehr
gilt. Wo soll das Ganze enden?

Die öffentliche Daseinsvorsorge soll privatisiert wer-
den, und zwar vom Gesundheitswesen über den Verkehr,
den Handel, die Energie und die Telekommunikation bis
hin zur Bildung. Dann soll auch noch vereinbart werden
– Sie machen das alles ja geheim; man ist immer auf die
Informationen angewiesen, die man bekommt –, dass





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

eine Privatisierung nie mehr rückgängig gemacht wer-
den darf. Dann soll auch noch Standstill vereinbart wer-
den. Das heißt, dass soziale, gesundheitliche und ökolo-
gische Standards eingefroren und nicht mehr erhöht
werden dürfen. Sie machen damit jede vernünftige Ver-
änderung in der Politik unmöglich.

Ich sage es noch einmal: Es gibt auch schwere Kritik
an der Investitionsschutzklausel. Ich will Ihnen sagen,
was sie bedeutet: Ein amerikanischer Konzern kommt
nach Deutschland, begründet seinen Sitz. Zu diesem
Zeitpunkt gibt es eine Rechtslage. Danach wählen die
Bürgerinnen und Bürger eine vernünftige Bundesregie-
rung, sagen wir mal: eine mit Linken.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Lachen des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])


– Herr Kauder, Sie dürfen sich schon darauf freuen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also jetzt doch wieder eine Büttenrede!)


Ich würde Sie gerne einmal als Oppositionsführer erle-
ben; aber ob Sie das können, weiß ich nicht. Wir werden
es erleben. Aber wie dem auch sei! Das ist jetzt gar nicht
mein Problem.

Mein Problem ist ein anderes. Wenn diese vernünftige
Bundesregierung mehr Mitbestimmung und etwas hö-
here Steuern beschließen würde, dann würden die Kon-
zerne sagen: Nein, das verstößt gegen das Verbot von
Investitionshemmnissen. – Sie machen eine Politik in
diese Richtung unmöglich. Das ist zutiefst undemokra-
tisch und darf nicht passieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen ganz klar: Auch die Schiedsgerichte
sind ein Skandal. Die deutschen Unternehmen müssen
den Gerichtsweg gehen, die amerikanischen machen das
über ein Schiedsgericht; mit Geld und drei Advokaten
kriegen die alles geregelt. Ich kann nur sagen: Das ist ab-
surd.


(Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Dann kommt hinzu, dass plötzlich Lebensmittel erlaubt
werden dürfen, die bei uns verboten sind, und zwar aus
guten Gründen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber Sie werden nicht gezwungen, alles zu essen!)


Nicht einmal das Reinheitsgebot für Bier – ich bitte die
Bayern: Sie müssen doch wenigstens darauf achten –
bliebe unter diesen Bedingungen erhalten.


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/ CSU]: Wir schützen uns schon selber!)


Deshalb sind wir gegen diese Abkommen und meinen,
das ist der falsche Weg.

Den Gipfel der EU mit der Gemeinschaft der Latein-
amerikanischen und Karibischen Staaten in Brüssel
finde ich auch spannend. Wissen Sie was, Frau Bundes-
kanzlerin: Sie werden dort lauter Staats- und Regie-
rungschefs treffen, die immer eigenständiger und selbst-
bewusster werden. Es gibt dort auch viele linke
Regierungen, die aus diesem ganzen neoliberalen Mist
herauswollen und endlich Hunger und Elend überwinden
und beseitigen wollen. Aber da ist noch etwas: Die USA
spielen in Lateinamerika täglich eine geringere Rolle.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sagen Sie auch mal was zum Thema?)


Zum Beispiel hat China zum Teil schon die USA als
stärksten Handelspartner abgelöst. Dadurch werden die
lateinamerikanischen Staaten jeden Tag unabhängiger.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Wissen Sie, was ich für einen Skandal halte: Kolumbien
ist inzwischen unabhängiger von den USA als Deutsch-
land. Ich finde, das sollten Sie ändern, liebe Frau Bun-
deskanzlerin.


(Beifall bei der LINKEN)


Lateinamerika hat, wie gesagt, entscheidende politi-
sche Veränderungen erlebt. Ich bin froh, dass es endlich
zu einem Handschlag zwischen dem amerikanischen und
dem kubanischen Präsidenten gekommen ist. Wir müs-
sen den Kalten Krieg hinter uns lassen; die Blockadezeit
muss endlich überwunden werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Bundeskanzlerin, haben Sie doch einfach einmal
den Mut und besuchen Sie – bei aller Kritik – einfach die
Perle der Karibik, die schöne Insel Kuba. Was meinen
Sie, was das für eine Geste wäre, wenn Sie das machten!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Lassen Sie mich zum Schluss einen Satz sagen: Wir
sind wichtig – ich weiß –, die USA sind selbstverständ-
lich wichtig – ich weiß –, Russland ist auch wichtig,
China wird immer wichtiger. Aber bitte unterschätzen
Sie nicht die Bedeutung und Relevanz


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Von Kuba?)


von Afrika, Asien und Lateinamerika.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach so!)


Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810600600

Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1810600700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele be-

zweifeln, dass der G-7-Gipfel noch das richtige Format
ist, um die Probleme dieser Welt zu lösen. Als die G 7
vor 40 Jahren von Valéry Giscard d’Estaing und Helmut
Schmidt gegründet wurde, da waren die Teilnehmer
noch die wirtschaftlich stärksten Länder der Welt. Das
ist heute nicht mehr uneingeschränkt der Fall. Als nach





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)

der Lehman-Pleite Antworten auf die internationale
Finanzkrise gesucht wurden, da war nicht die G 7, son-
dern die G 20 das richtige Gremium.

Aber so wünschenswert es auch wäre, wenn die G 20
weiter an Bedeutung gewänne, so behält die G-7-Runde
für Deutschland doch eine ganz entscheidende Bedeu-
tung; denn alle G-7-Partner agieren auf einem gemeinsa-
men Fundament. Was uns mit den USA, mit Kanada, mit
Japan, mit Frankreich, Italien und Großbritannien ver-
bindet, sind die Werte Freiheit, Demokratie und Herr-
schaft des Rechts.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nur auf der Grundlage dieser Werte können wir die gro-
ßen globalen Herausforderungen wie Klimawandel,
wirtschaftliche Not, Flüchtlings- und Hungerkatastro-
phen oder Bedrohung durch den islamistischen Terroris-
mus bewältigen. Deshalb ist die wichtigste Botschaft,
die von diesem Gipfel in Elmau ausgehen muss:
Deutschland denkt nicht national, Deutschland handelt
nicht alleine, sondern Deutschland agiert an der Seite
seiner Partner, um die großen Probleme dieser Zeit zu
meistern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das G-7-Treffen findet – darauf hat die Bundeskanz-
lerin schon hingewiesen – nach 15 Jahren jetzt zum
zweiten Mal ohne Russland statt. Das ist bedauerlich,
aber es ist unvermeidlich; denn mit der völkerrechtswid-
rigen Annexion der Krim und mit der offenkundigen
militärischen Unterstützung der Separatisten in der Ost-
ukraine hat Wladimir Putin die europäische Friedensord-
nung infrage gestellt. Da kann man nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen und so tun, als sei nichts gewe-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Gleichwohl können wir kein Interesse an einer Isola-
tion Russlands haben. Langfristig muss es darum gehen,
zurückzufinden zu den guten und freundschaftlichen Be-
ziehungen. Aber klar ist auch: Wir werden nur dann die
Sanktionen aufheben, wenn das Minsker Abkommen
umgesetzt wird. Russland muss seinen großen Einfluss
auf die Separatisten nutzen, damit die Waffenruhe einge-
halten wird und der Abzug der Waffen sichergestellt ist.
Auch der Westen sollte dabei bleiben, keine Waffen in
die Ukraine zu liefern.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Margaret Horb [CDU/CSU])


Die Konfliktparteien in der Ukraine brauchen nicht mehr
Waffen; sie brauchen einen politischen Dialog, um wie-
der Frieden herzustellen.

In diesem Zusammenhang möchte ich dem Haus-
haltsausschuss dafür danken, dass er gestern den Be-
schluss gefasst hat, 10 Millionen Euro für die 4 000 zum
Teil unter ganz kläglichen Verhältnissen lebenden ehe-
maligen sowjetischen Kriegsgefangenen bereitzustellen.
Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Geste, die zeigt:
Trotz aller grundlegenden Meinungsverschiedenheiten,
die wir im Augenblick mit Russland haben, wissen wir
und vergessen wir nicht, welche ungeheuren Opfer
Russland im Zweiten Weltkrieg hat erbringen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Warum habt ihr uns dann runtergeworfen?)


Ich möchte mich auch bei Volker Kauder ganz herzlich
dafür bedanken, dass in dieser Frage so schnell eine Ver-
ständigung zwischen den Fraktionen möglich gewesen
ist.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Leider nicht zwischen den Fraktionen! Das ist ein Skandal, lieber Herr Oppermann! Wer hat sich denn dafür eingesetzt?)


– Lieber Kollege Bartsch, das ist natürlich nur eine
kleine Geste.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Keine Frage! Völlig klar!)


Aber ich finde 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges diese kleine Geste überzeugender als den
Aufruf von Gregor Gysi an die Bundeskanzlerin, an ei-
ner imperial anmutenden Militärparade in Moskau teil-
zunehmen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/ CSU]: Genau! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sagen Sie das mal dem Genossen Schröder! Der hat da eine andere Meinung!)


Lieber Gregor Gysi, was haben Sie sich als Pazifist
eben eigentlich dabei gedacht?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das hat mich an unsere Gedenkstunde zum Ende des
Zweiten Weltkrieges erinnert. Als Professor Winkler
hier ausgerufen hat: „Nie wieder dürfen wir Deutschen
zum Nachteil und auf dem Rücken unserer osteuropäi-
schen Nachbarn Entscheidungen zu deren Lasten treffen
oder über deren Schicksal bestimmen“,


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ja!)

hat sich in Ihrer Fraktion keine Hand zum Beifall ge-
rührt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Außenpolitisch bzw. geopolitisch sind Sie in Ihrer Frak-
tion über den Stand der Breschnew-Doktrin noch nicht
hinausgekommen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das musste einmal gesagt werden!)


Das ist leider so.





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)

Aber das größte Problem ist nicht die Fraktion Die
Linke. Das größte Problem auf der Welt ist im Augen-
blick die Tatsache, dass 50 Millionen Menschen auf der
Flucht sind, um ihr Leben zu retten und eine Heimat zu
finden.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das sind die Fragen! Sie haben keine Antwort darauf!)


Nur ein ganz geringer Teil von diesen Flüchtlingen
kommt hier bei uns in Europa an. Deshalb erwarten die
G-7-Partner zu Recht, dass wir bei dem Flüchtlings-
drama im Mittelmeer und im Nahen Osten nicht nur zu-
schauen, sondern Verantwortung übernehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])


Im wichtigsten Punkt haben wir jetzt zum Glück eine
Wende eingeleitet. Die humanitäre Seenotrettung steht
wieder an erster Stelle. Ich freue mich, dass sich jetzt
auch Schiffe der Bundesmarine daran beteiligen und
schon über 1 000 Menschen das Leben gerettet haben.
Ich möchte den Soldaten von hier aus unseren ganz herz-
lichen Dank aussprechen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es kann nicht sein, dass sich nur vier oder fünf Länder in
Europa um die Flüchtlinge kümmern. Was wir brauchen,
ist eine solidarische Flüchtlingsaufnahme in ganz Eu-
ropa.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Vorschläge der EU-Kommission sind mutig. Sie
sind ein richtiger Schritt. Das Europäische Parlament hat
darüber gestern mit großem Zuspruch diskutiert. Ich
finde, der G-7-Gipfel ist eine gute Gelegenheit, auch un-
serem Partner Großbritannien zu sagen, dass er hier
nicht außen vor bleiben kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich halte es für beschämend, dass es in Europa Regierun-
gen gibt, die meinen, sie hätten mit dem Flüchtlings-
drama im Mittelmeer nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Tatsache, dass jetzt noch mehr Flüchtlinge aus
Jordanien und dem Libanon nach Europa kommen, hat
einen ganz einfachen Grund: Das UNO-Flüchtlingswerk
muss die Nahrungsrationen kürzen, weil es nicht genü-
gend Geld hat. Geldmangel der UN ist ein Grund für
weitere Flüchtlinge. Deutschland hat seinen Beitrag im
letzten Jahr geleistet und dafür gesorgt, dass keine
Flüchtlingslager geschlossen werden mussten. Jetzt
müssen wir dafür sorgen, dass sich weitere Länder an
der Finanzierung der Flüchtlingsversorgung beteiligen.


(Beifall bei der SPD)


Auch darüber sollte auf dem G-7-Gipfel gesprochen
werden.
Natürlich müssen wir Schlepperbanden gezielt be-
kämpfen. Aber am Wichtigsten ist es natürlich, daran zu
arbeiten, dass die Fluchtursachen beseitigt werden. Lie-
ber Herr Minister Müller, Sie sind einer der ganz weni-
gen, möglicherweise der einzige Minister für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit, der im Augenblick einen so
kräftigen Etatzuwachs hat: 8,3 Milliarden Euro mehr bis
2019. Ich habe die klare Erwartung, dass wir diese Mittel
schwerpunktmäßig zur Beseitigung der Ursachen der
Flucht von Menschen einsetzen, die keine Arbeit, keine
Perspektive und keinen Schutz haben.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb muss ein großer Teil dieser Mittel in Afrika ein-
gesetzt werden. Wirtschaftliche Entwicklung, fairer
Handel und sicherheitspolitische Zusammenarbeit, das
gehört zusammen, und das sollte auch die Botschaft der
G 7 sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie mal etwas zu den Rüstungsexporten! – Gegenruf von der CDU/CSU: Ruhe!)


Der G-7-Gipfel ist auch ein Anlass zum Nachdenken
über unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Der
Irakkrieg, Guantánamo und die NSA-Affäre haben in
den letzten Jahren dazu geführt, dass das Ansehen der
USA in Deutschland gesunken ist. Amerika wird zuneh-
mend skeptischer betrachtet. Die Entfremdung in Teilen
der Bevölkerung wächst, und sie verstärkt auch die Kri-
tik an gemeinsamen Projekten wie dem Freihandelsab-
kommen. Ich sage: Wir dürfen nicht den Fehler machen,
uns auseinanderdividieren zu lassen; denn die USA blei-
ben Europas wichtigster Bündnispartner. Die weltweiten
Krisen erfordern, dass wir zusammenarbeiten und dass
wir uns auf unser gemeinsames Wertefundament besin-
nen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zu Abu Ghureib und zu Guantánamo!)


Zu diesen Werten gehört ohne Zweifel auch der Grund-
satz, dass die Ausübung jeglicher Staatsgewalt – dazu
gehört für mich ganz besonders die Tätigkeit der Ge-
heimdienste – an Recht und Gesetz gebunden ist.


(Beifall bei der SPD)


Wenn es jetzt den begründeten Verdacht gibt, dass die
NSA die Kooperation mit dem BND genutzt haben
könnte, um private Unternehmen und befreundete Re-
gierungen in Europa auszuspähen, so wäre dies jeden-
falls mit Recht und Gesetz in Deutschland nicht verein-
bar.


(Beifall bei der SPD)


Sollte sich dies als wahr erweisen, würde das nicht
nur das Vertrauen in den Verbündeten beschädigen, son-
dern vor allem auch das Vertrauen in den eigenen Nach-
richtendienst. Ein Dienst, in dem solche Vorgänge nicht
unverzüglich an die Behördenleitung, an das Kanzleramt
und an das für die Kontrolle zuständige parlamentarische





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)

Gremium gemeldet werden, führt ein Eigenleben, das
ihm in einem demokratischen Rechtsstaat nicht zusteht.


(Beifall bei der SPD)


Ein Nachrichtendienst, der beschränkende Gesetze miss-
achtet, ist kein Schutz für die Menschen, sondern eine
Gefahr für die Demokratie, und schon deshalb müssen
wir diese Vorgänge genau aufklären,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Unstreitig!)


übrigens auch im Interesse der Mitarbeiter unserer Si-
cherheitsbehörden. Die allermeisten Mitarbeiter leisten
eine ungemein wertvolle Arbeit für unser Gemeinwesen.
Ich finde, an deren Loyalität zu Recht und Verfassung
bestehen nicht die geringsten Zweifel. Sie dürfen nicht
für die Fehler einiger in Mithaftung genommen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich bin zuversichtlich, dass die Aufklärung im parla-
mentarischen Untersuchungsausschuss und im Parla-
mentarischen Kontrollgremium gelingt. Wir werden die
Fakten klären, die Ergebnisse bewerten und daraus die
richtigen Konsequenzen ziehen. Das ist die richtige Rei-
henfolge. Aber ich bin mir schon jetzt sicher, dass wir
ein neues BND-Gesetz brauchen.

Die Bürger und Bürgerinnen akzeptieren Nachrich-
tendienste. Aber dabei müssen sie sich auf zwei Dinge
verlassen können, nämlich erstens darauf, dass der
Schutz ihrer Privatsphäre respektiert wird und sie nicht
vom eigenem Auslandsnachrichtendienst ausgespäht
werden, und zweitens darauf, dass der BND im Rahmen
klarer gesetzlicher Vorgaben unter effektiver exekutiver
und parlamentarischer Kontrolle unsere Sicherheit ge-
währleistet und uns mit dem Sammeln von Informatio-
nen vor Anschlägen schützen kann.

Wir alle wissen: Ein effektiver Schutz ist heute wich-
tiger denn je; denn wir erleben eine völlig neue Form der
Bedrohung. Mehrere Hundert junge Deutsche, mehrere
Tausend junge Europäer ziehen in den Krieg im Nahen
Osten und beteiligen sich an Terrorakten. Sie können je-
derzeit zurückkommen. Auf diese Internationalisierung
des Terrors dürfen wir nicht mit einer Renationalisierung
und Abschottung unserer Nachrichtendienste antworten.
Das wäre der falsche Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen auch in Zukunft eine Zusammenarbeit mit
der NSA; aber sie muss auf klaren rechtlichen Grundla-
gen geschehen.

Schwierige Themen tragen schwierige Entscheidun-
gen in eine Koalition. Aber auch wenn etwas kompliziert
ist, kann man es lösen. Das haben wir in den vergange-
nen Wochen immer wieder geschafft.


(Lachen der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben uns in etlichen nicht ganz einfachen Punkten
geeinigt, zum Beispiel bei der Entlastung der Alleiner-
ziehenden und beim Abbau der kalten Progression. Wir
haben ein Maßnahmenpaket gegen Wohnungseinbrüche
geschnürt. Auch bei einem so schwierigen Thema wie
der Vorratsdatenspeicherung haben wir uns geeinigt.

Ich bin ganz sicher: Wir werden uns in den nächsten
Wochen auch in der Frage einigen, wie wir die Kommu-
nen in Deutschland bei der Aufnahme von Flüchtlingen
stärker entlasten. Ich freue mich jedenfalls darüber, dass
diese Koalition den festen Willen hat und ohne Ein-
schränkungen bereit ist, die Aufnahme von Flüchtlingen
in Deutschland so zu organisieren, dass wir eine Spal-
tung der Gesellschaft verhindern. Daran lassen Sie uns
gemeinsam arbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810600800

Nächster Redner ist der Kollege Anton Hofreiter für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Kanzlerin,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Bundeskanzlerin!)


wir haben von Ihnen heute wieder einmal eine typische
Regierungserklärung gehört, so eine schöne Ankündi-
gungsrede.


(Zurufe von der CDU/CSU)


Sie haben viele Themen kurz gestreift: die Klimakrise,
die Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit, die
Gefahr eines postantibiotischen Zeitalters und die man-
gelnde Fairness der ökonomischen Globalisierung. Sie
haben viele Probleme der Welt auf die Tagesordnung des
G-7-Gipfels in Elmau gesetzt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eine typische Oppositionsrede!)


Sie sind die Kanzlerin der Tagesordnung, Frau
Merkel. Daran besteht kein Zweifel.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So eine Tagesordnung schreiben Sie bestimmt nach bes-
tem Wissen und Gewissen, wie Sie es selbst ausdrücken.
Ich finde, dieser Satz verkörpert, wofür Sie stehen: Sie
ersetzen die Tat durch den Vorsatz, den Inhalt durch die
Überschrift und die Politik durch PR. Egal wenn nichts
passiert; Hauptsache, es sieht irgendwie schön aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die reale Welt braucht aber reale Politik, Frau
Merkel. Daran müssen Sie sich messen lassen, und ge-
nau dabei fallen Sie durch. Ob bei den entscheidenden
Zukunftsfragen, beim Datenschutz, bei einer gerechten
Globalisierung, beim Klimaschutz oder bei der Energie-
wende: Überall herrschen Stillstand, Apathie und





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

Gleichgültigkeit. Die Probleme der Welt sind echt, aber
Ihre Politik ist nicht echt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach bestem Wissen und Gewissen, Frau Merkel?

Seien wir ehrlich: Sie wissen es doch viel besser. Sie
wissen doch, dass der Klimaschutz in Deutschland
stockt, dass unsere Daten nicht sicher sind,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das weiß der Herr Lammert!)


dass die Ungleichheit zunimmt und unsere Autos nicht
sauberer werden. Das wissen Sie sehr wohl. Warum han-
deln Sie dann nicht endlich?

Bisher ist es Ihnen oft gelungen, die Fassade aufrecht-
zuerhalten und die Arbeit nur vorzutäuschen. Aber nach
zehn Jahren Wind und Wetter aus der echten Welt be-
kommt die schönste Fassade Risse. Morsches Gebälk
kommt zum Vorschein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein tiefer Riss in dieser Fassade stammt aus dem

Jahr 2013. Erinnern Sie sich? Damals war Wahlkampf.
Im Jahr 2013 ist die reale Welt in Form von Edward
Snowden in die Merkel-Welt eingebrochen. Das war na-
türlich total unangenehm; denn Sie hatten die Republik
doch so schön eingelullt. Aber dann kam die reale Welt
zum Vorschein, und was taten Sie? Sie schickten einen
Gaukler namens Pofalla. Und was haben Sie den Gauk-
ler Pofalla sagen lassen? Sie haben den Gaukler Pofalla
die schönen Worte an die Deutschen richten lassen: Die
Amerikaner haben uns den Abschluss eines No-Spy-Ab-
kommens angeboten.

Sie wollten beruhigen, Lösungen vortäuschen und
verschleiern. Ihre Botschaft sollte sein: Wir haben alles
im Griff. – Doch es war eine falsche Fährte, eine Fährte,
wie sie ein Geheimdienst nicht besser hätte legen kön-
nen. Es war Trickserei. So geht es nicht, Frau Merkel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn an der Beendung der Massenüberwachung waren
Sie gar nicht interessiert. Es sollte nie ein No-Spy-Ab-
kommen geben. Die Amerikaner hatten es nie angebo-
ten.

Ihr Kanzleramt hat die Öffentlichkeit getäuscht, hin-
ter die Fichte geführt oder, wie man es landläufig auch
nennt, schlichtweg gelogen. Und Sie haben es zugelas-
sen. Sie sind schließlich die Kanzlerin. Deshalb vermute
ich, dass Sie Einfluss auf Ihr Kanzleramt haben. Viel-
leicht haben Sie es sogar selbst veranlasst. Ist es das, was
Sie mit bestem Wissen und Gewissen meinen?

Ihr Gewissen ist Ihre Sache, Frau Merkel. Ihr Wissen
war allerdings schon damals deutlich besser als Pofallas
Gauklerspiel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der belegte E-Mail-Verkehr legt nahe, dass Sie ganz ge-
nau wussten, dass es dieses Abkommen nie geben
würde. Frau Merkel, es war alles nur ein faules Ei aus
Ihrer PR-Abteilung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Merkel, Sie hätten heute die Gelegenheit gehabt,
sich zu äußern. Eine Entschuldigung bei den Bürgerin-
nen und Bürgern wäre angesichts dieser Täuschung das
Mindeste; sie wäre angemessen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen imitieren Sie Helmut Kohl und versuchen,
die Probleme auszusitzen. Das lassen wir nicht zu, Frau
Merkel. Der BND hat der NSA jahrelang geholfen, deut-
sche und europäische Unternehmen und europäische
Nachbarn auszuspionieren. Gegen diese Realität hilft
keine PR, Frau Merkel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wissen wir doch noch gar nicht! So wird wieder etwas behauptet vor der Aufklärung! Jedes Mal dasselbe!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das
hat rein gar nichts mit dem Schutz vor Terror zu tun. Erst
täuschen Sie die Wählerinnen und Wähler, und jetzt ver-
suchen Sie, sie mit ihrer Angst vor Terroranschlägen ein-
zuschüchtern. Das ist im Kern wirklich unanständig.

Frau Merkel, Sie untergraben auch die Legitimität der
Geheimdienste, des Rechtsstaats und am Ende unserer
Demokratie, wenn Sie jetzt nicht endlich aufklären.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Untergraben der Legitimität gefährdet am
Ende unser aller Sicherheit; denn wir brauchen eine
funktionierende Zusammenarbeit, und wir brauchen eine
rechtsstaatliche, verlässliche Zusammenarbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber was wir nicht brauchen, ist, nach Ihrer markt-
konformen Demokratie, auch noch die geheimdienst-
konforme Demokratie. Es kann doch nicht wirklich Ihr
Ernst sein, Frau Merkel, was Sie da zulassen. Legen Sie
endlich die Selektorenlisten auf den Tisch!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])


Sie haben noch am 11. Mai in Bremen versprochen,
dass selbstverständlich alle Unterlagen dem BND-Unter-
suchungsausschuss zugeleitet werden. Sie selbst haben
gesagt: Selbstverständlich wird alles zugeleitet. –
Stimmt das jetzt, oder stimmt es nicht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Offensichtlich hat das Versprechen nicht einmal drei
Tage gehalten. Wo sind jetzt die Selektorenlisten, wo
sind die Unterlagen, die der Untersuchungsausschuss
fordert? Halten Sie sich in diesem Fall an Ihre eigenen
Worte, und legen Sie die Unterlagen endlich vor!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Jahr ist auch
entscheidend für den Klimaschutz und die globale Ge-
rechtigkeit. Mit den Konferenzen zur Entwicklungs-
finanzierung und zu den Nachhaltigkeitszielen der UN





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

sowie der Klimakonferenz in Paris werden Weichen für
die nächsten Jahrzehnte gestellt. In Ihrem Videopodcast
haben Sie, Frau Merkel, angekündigt, dass die Globali-
sierung jetzt fair und gerecht gestaltet werden soll. Wie-
der eine schöne Überschrift. Sie werden sich ganz
bestimmt nach bestem Wissen und Gewissen dafür ein-
setzen.

Aber können wir irgendetwas davon erwarten? Ich
fürchte, nein. Erinnern Sie sich noch an 2007? Da gab es
schon einmal einen Gipfel in Deutschland, den G-8-Gip-
fel in Heiligendamm. Im Vorfeld haben Sie eine schöne
Rede gehalten. Diese Rede hat den Titel getragen: „Glo-
balisierung fair gestalten“. Was ist aus dieser Überschrift
gefolgt? Es ist immerhin schon viele Jahre her. Ich kann
es Ihnen sagen: Finanztransaktionsteuer – gibt es nicht;
verbindliche Arbeitsmarkt- und Sozialstandards – nicht
mit Frau Merkel; harte Regeln für die Banken – Puste-
kuchen; 0,7-Prozent-Ziel für die Entwicklungszusam-
menarbeit – kein Plan vorhanden.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wo waren Sie die ganze Zeit?)


An Ihren Slogans und Überschriften ist genauso viel
dran wie an der schönen Show Ihres damaligen Gauklers
Herrn Pofalla, es ist schlichtweg gar nichts dran.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Fragen Sie sich manchmal, ob seitdem für die Nähe-
rinnen in Bangladesch irgendetwas an ihren Lebens-
umständen besser geworden ist? Es ist richtig, dass diese
Menschen Entschädigungen bekommen. Aber es ist
doch noch viel wichtiger, dass man dafür sorgt, dass es
zu solchen Unglücken gar nicht erst kommt. Ist irgendet-
was besser geworden, seit Sie zum letzten Mal eine sol-
che Rede gehalten haben? Nein, nichts ist besser gewor-
den für die Näherinnen, und wir fürchten, dass auch Ihre
jetzige Rede wieder konsequenzlos bleibt und auch dies-
mal nichts besser wird für die Näherinnen in Bangla-
desch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Fragen Sie sich eigentlich, ob die Risiken der globa-
len Finanzwelt kleiner geworden sind, seit Sie viele
schöne Reden gehalten haben? Auch hier lautet die Ant-
wort Nein. Die Risiken sind nicht kleiner geworden.
Oder nehmen wir die brutale Ungleichheit, die viel mit
einer fairen und gerechten Globalisierung zu tun hat.
Nein, auch die brutale Ungleichheit in der Welt ist kein
bisschen kleiner geworden. Nächstes Jahr wird das
reichste 1 Prozent der Menschen genauso viel besitzen
wie alle übrigen 99 Prozent zusammen.

Schützen Sie diejenigen besser, die zu Hunderttausen-
den vor Krieg, Armut und Vertreibung fliehen? Nein, der
Großteil des Mittelmeers bleibt immer noch eine Todes-
zone, und humanitäre Visa gibt es immer noch nicht.
Frau Merkel, Ihre Rede enthält wunderbare Überschrif-
ten, sie enthält schöne Worte, aber an der Realität ändert
sich nichts. Seit zehn Jahren verbessert sich die Realität
nicht. Da können Sie noch so oft schöne Worte wie die
von fairer Globalisierung finden. Handeln Sie endlich!
Verändern Sie die Realität! Dafür sind Sie zur Kanzlerin
gewählt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Merkel, Sie sprechen von einem guten Signal,
das vom Petersberger Klimadialog ausgehen müsse. Ein
gutes Signal. Es kann sein, dass Sie in Signalen und
Symbolen denken. Wir erwarten beim Klimaschutz aber
nicht Signale und Symbole, wir erwarten beim Klima-
schutz längst Taten; denn Taten müssen den Worten fol-
gen, nicht nur immer weitere schöne Worte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber was passiert pünktlich zum Auftakt des Peters-
berger Klimadialogs? Sie weichen die CO2-Einsparziele
Ihres Energieministers auf. Mit dem Verbrennen der dre-
ckigen Braunkohle reißen Sie alle selbst gesteckten
Klimaziele und heizen die Erde weiter auf. Sie lassen
unentwegt die Kohle- und Atomideologen aus der
Unionsfraktion und aus Bayern die Energiewende sabo-
tieren. Ihre Bundestagsfraktion hat Minister Gabriel so
lange in die Kniekehlen getreten, bis er eingeknickt ist.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Er steht doch aufrecht da!)


Ihr Ministerpräsident Seehofer wütet gegen den Netz-
ausbau, der die Grundlage für den Atomausstieg ist. Sie
versprechen zusammen mit Frankreich einen besseren
Emissionshandel. Aber es sind doch Ihre Parteifreunde
von der CDU, die in Brüssel im Europaparlament genau
das verhindern, was Sie hier versprechen. Das darf doch
nicht wahr sein!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was tun Sie, Frau Merkel? Sie schreiben nach bestem
Wissen und Gewissen schöne Überschriften für diese
falsche Politik. Die Merkel-Union ist längst zu einer Be-
drohung für das Klima geworden.


(Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])


Sie gefährden dadurch, dass Sie nicht handeln, sondern
immer nur schöne Worte sagen, die Lebensgrundlagen
für uns alle; Sie gefährden dadurch die Lebensgrundla-
gen von Millionen von Menschen.

Frau Merkel, „nach bestem Wissen und Gewissen“,
das ist die verbale Krücke für Ihr Regierungsprinzip.
Wenn Politik allerdings nicht liefert, was sie verspricht,
wenn sie nicht sagt, was sie wirklich will, wenn sie nur
Fassade ist, dann nimmt unsere Demokratie Schaden.
Niedrige Wahlbeteiligungen und Politikverdrossenheit
sind Folgen davon. Das ist mit Ihr Verdienst, Frau
Merkel. Eine träge und politisch sedierte Bundesrepu-
blik ist die Folge von zehn Jahren Kanzlerschaft Merkel.
Ihre asymmetrische Demobilisierung, mit der Sie erfolg-
reich Wahlkämpfe geführt haben, ist längst zu einer flä-
chendeckenden Entpolitisierung geworden.

„Nach bestem Wissen und Gewissen“ – an diese
Worte kann ich mich gut erinnern. Die habe ich von ei-
nem anderen Politiker schon einmal gehört. Dieser an-
dere Politiker war auch einmal der beliebteste Politiker
in ganz Deutschland. Können Sie sich noch an ihn erin-





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

nern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union? Es
war Karl-Theodor Guttenberg. Mit denselben Worten
verteidigte er einst seine Promotionsarbeit. So substanz-
los wie seine Promotionsarbeit, so zusammengeschus-
tert, ideenlos und inhaltsleer ist inzwischen Ihre Politik
geworden. Auch Sie werden nicht länger mit Ihrem Ein-
lullen, Täuschen und Vortäuschen davonkommen. Die
„Methode Merkel“ kommt inzwischen an ihr Ende, und
das ist auch gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810600900

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun Volker Kauder

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1810601000

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklä-
rung zu zwei, drei wichtigen globalen Themen und
Herausforderungen gesprochen. Bei den Treffen in den
nächsten Tagen wird darüber entschieden, wie es bei
zentralen Aufgaben, die nicht mehr national gelöst wer-
den können, weitergeht. Da kann ich mich, Herr
Hofreiter, nur wundern, mit welch kleinem Karo Sie
heute hier angetreten sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])


Da geht es zunächst einmal um die Vertiefung und
den Ausbau der Partnerschaft der EU mit den östlichen
Ländern. Es ist tatsächlich so, wie es die Bundeskanzle-
rin und der Bundesaußenminister mehrfach gesagt ha-
ben: Dabei geht es nicht darum, dass die EU und dass
wir aus Deutschland unseren Willen durchsetzen wollen
– überhaupt nicht! –, sondern darum – darauf hat
Thomas Oppermann auch hingewiesen –, dass Länder in
freier Selbstbestimmung entscheiden, was sie gern
möchten, und damit auf ein Angebot der EU zukommen.
Es war in vielen Festreden hier im Deutschen Bundestag
die Rede davon: Das Selbstbestimmungsrecht der Völ-
ker darf durch niemanden eingeengt und bedroht wer-
den, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Genau dies setzen wir jetzt um.

Herr Gysi, dass Sie sich noch immer nicht entschei-
den können, Unrecht vonseiten Russlands als Unrecht zu
bezeichnen,


(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Habe ich immer gemacht!)


weil Sie offenbar noch immer nicht richtig wissen, wo
Sie hingehören, ist Ihr Problem. Aber schade ist es auf
jeden Fall.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Quatsch!)


Liebe Kollegen, ich halte es auch für richtig, dass die
EU deutlich macht, dass wir in der Vertiefung von Nach-
barschaftsbeziehungen keinen Alleinvertretungsanspruch
für uns behaupten, sondern dass wir natürlich sagen: Wir
wollen eine Vertiefung der Beziehungen, haben aber
auch Verständnis dafür, wenn es darüber hinaus noch
weitere Organisationseinheiten gibt, zu denen man gehö-
ren möchte, wie beispielsweise im Fall Armeniens. So
können wir einen Beitrag leisten, um auch in diesem Teil
Europas und in europanahen Regionen für Entwicklung
zu sorgen.

Wir sollten mit diesen Nachbarn aber auch darüber re-
den, dass auch sie einen Beitrag dazu leisten können,
Flüchtlingsbewegungen zu unterbinden, und damit zu
der Frage, wie wir mit Flüchtlingen umgehen. Es gibt
nämlich nicht nur die Flüchtlinge, die über das Mittel-
meer kommen, sondern auch Tausende von Flüchtlin-
gen, die auf dem Landweg über osteuropäische Staaten
zu uns kommen. Deswegen gehört das Thema Flücht-
linge nicht nur in diesen Bereich hinein, sondern auch in
den Rahmen des G-7-Treffens.

Ich bin froh, dass wir hier bei uns in Deutschland
klare Positionen gefunden haben, was wir tun wollen,
und dass wir uns dieser Herausforderung stellen und da-
für im Nachtragshaushalt, den wir in dieser Woche be-
schließen, Mittel zur Verfügung stellen. Ich finde, dass
auch dies ein Thema ist, das man in Elmau besprechen
kann: Was müssen wir tun, um Flüchtlingsbewegungen
nicht zu stoppen, sondern immer weniger notwendig zu
machen, damit die Menschen eine Perspektive in ihren
Ländern haben? Da ist es völlig richtig, dass wir uns die
Frage stellen: War die bisherige Entwicklungshilfepoli-
tik tatsächlich überall richtig und erfolgreich? Da müs-
sen wir natürlich mit Ländern sprechen, die zu den G 7
gehören, und mit Ländern, die nicht zu den G 7 gehören.
Da muss man auch mit China einmal darüber reden, dass
das, was China in Afrika macht, mit Entwicklungshilfe-
politik an vielen Stellen relativ wenig zu tun hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


Wenn wir über Sicherheit reden, dann müssen wir
auch darüber reden, dass die Sicherheit gefährdet ist:
durch ausbleibende wirtschaftliche Entwicklung, bei-
spielsweise in den ärmsten Ländern der Welt, aber auch
dort, wo es überhaupt keine staatliche Gewalt mehr gibt.
Ich kann nur sagen: Was in Libyen passiert, hat mit ei-
nem funktionierenden Staat überhaupt nichts mehr zu
tun. Wir sehen ja, dass es für uns fast unmöglich ist, das
Thema der Flüchtlinge, die aus Libyen kommen, mit ir-
gendjemandem in Libyen zu besprechen. Deswegen ist
es eine zentrale Aufgabe der internationalen politischen
Arbeit, dass wir dafür sorgen, dass es funktionstüchtige
Staaten gibt. Ich sehe in weiten Teilen Afrikas eine im-
mer stärkere Auflösung. Dort, wo keine ordnende staatli-
che Gewalt mehr da ist, wo terroristische Gruppen mit
den Leuten machen können, was sie wollen, sind die





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

Menschen am meisten betroffen und verfolgt. Das müs-
sen wir unterbinden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Frau Bundeskanzlerin, ich glaube, die Bedeutung ei-
nes anderen Themas, das bei den Vereinten Nationen
nicht so richtig aufgenommen wird, sollte in den Gesprä-
chen sowohl im Rahmen der Östlichen Partnerschaft als
auch in Elmau deutlich gemacht werden: Eine zentrale
Ursache für terroristische Bewegungen und die Verfol-
gung von Menschen ist die zunehmende Bereitschaft,
Religionsfreiheit nicht mehr als einen zentralen Bestand-
teil der politischen Arbeit zu betrachten. Ich meine damit
nicht nur die besondere Situation verfolgter Christen.
Vielmehr sehe ich, dass Religion im Nahen Osten teil-
weise missbraucht wird, um Macht und Gewalt ausüben
zu können. Davon sind Muslime genauso betroffen wie
Angehörige anderer Religionen. Ich kann aufgrund mei-
ner jahrelangen Erfahrung und Arbeit nur sagen: Wir
müssen deutlicher machen, dass es, wenn das Recht je-
des Einzelnen, sich zu einer Religion zu bekennen oder
nicht und dies auch zu leben, nicht durchgesetzt wird,
keine Ruhe in den betreffenden Regionen geben wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen muss die Religionsfreiheit ein zentrales
Thema sein. Es wird nicht immer einfach sein, das deut-
lich zu machen.

Ich habe vor wenigen Wochen ein Gespräch mit dem
Großscheich der Al-Azhar-Universität in Kairo geführt.
Er hat mir gesagt – da sieht man, wo die Auseinanderset-
zungslinie verläuft –: Ihre westliche Vorstellung von
Menschenrechten teilen wir nicht. – Er hat also nicht ge-
sagt: „Das akzeptieren wir“, sondern: „Das teilen wir
nicht“. Und weiter hat er gesagt, dass im Islam der
Grundsatz gelte – diesen lasse man sich auch von nie-
mandem nehmen –, dass die Religion über dem Einzel-
nen steht und nicht der Einzelne mit seinen Rechten über
der Religion. Solange es Religionen gebe, die genau das
Gegenteil behaupten, könne er dies nicht hinnehmen. –
Deshalb kann ich denjenigen, die anderer Meinung sind,
nur sagen: Sie können ihre Position für sich und ihre Re-
ligion vertreten. Wenn aber jemand glaubt, seine Auffas-
sung, was religiös richtig ist und was nicht, unbedingt
und absolut durchsetzen zu müssen, dem kann ich nur
sagen: Dann wird es keinen Frieden in den betreffenden
Regionen geben.

Religionsfreiheit bedeutet, dass jeder das Recht hat,
seinen Glauben zu leben. Das müssen wir in den Diskus-
sionen mit vielen Ländern dieser Welt so klar und deut-
lich sagen und auch einfordern. Es geht nicht – wie der
eine oder andere in der Türkei meint – um den Vorrang
der christlichen Religion. Vielmehr hat jede Religion das
Recht, ihren Glauben überall auf der Welt frei zu leben.
Das muss durchgesetzt werden. Nur so sorgen wir für
eine wirkliche Bekämpfung radikalisierter Gruppen in
den entsprechenden Regionen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])

Zum Klimaziel. Die Bundesregierung und die Koali-
tionsfraktionen haben auch in diesen Tagen immer wie-
der betont, dass es beim Klimaziel bleibt, dass es also
keine Abstriche gibt. Aber, Herr Hofreiter, Sie haben
heute an diesem Rednerpult so getan, als ob Sie in ganz
Deutschland in der Opposition wären. Das wäre zwar
kein Problem, wenn dem so wäre. Aber dem ist nicht so.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt! Wir regieren in mehr Ländern als die CDU!)


Sie sind in Nordrhein-Westfalen, einem Kohleland, in
der Regierung. Da kann ich nur sagen: Bestimmte Dinge
gehen redlich nicht.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da reduzieren wir die Braunkohle!)


Man kann nicht aus Nordrhein-Westfalen rufen: „Wir
lassen nicht zu, dass der Kohle irgendetwas geschieht“,


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Herr Laschet! Kennen Sie Herrn Laschet, Herr Kauder?)


aber dann, wenn es darum geht, etwas für das Klima zu
tun, damit es bei der Kohle weitergehen kann, nämlich
Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung zu be-
schließen, nicht mitmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, ob das, was
Sie heute hier gesagt haben, nicht logischerweise zum
Austritt aus der Regierung in Nordrhein-Westfalen füh-
ren müsste? Die Frage müssen Sie sich einmal stellen,
Herr Hofreiter, statt hier solche Sprüche zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich kann nur sagen: Wir bleiben bei unserem Ziel.
Wir werden mit dem Wirtschafts- und Energieminister
Gabriel eine Lösung dieses Problems finden. Aber ich
sage auch: NRW muss endlich bereit sein, bei der ener-
getischen Gebäudesanierung mitzumachen, zumal jetzt
die finanziellen Möglichkeiten dazu bestehen. Es hat
nicht nur der Bundesfinanzminister mehr Steuereinnah-
men in die Bundeskasse bekommen, sondern in gleicher
Höhe sind auch die Einnahmen in den Ländern gestie-
gen. Dann wird es doch möglich sein, dass Sie hier für
das Klima etwas machen. Da helfen die Reden hier
nichts! Dort, wo Sie in der Regierung sind, müssen Sie
einmal handeln, Herr Hofreiter, statt hier große Reden zu
führen!


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, wer die Gebäudesanierung blockiert hat? Das waren Seehofer und die CSU! Und die CSU regiert leider Bayern und nicht NRW!)


Wir werden das Thema wieder bringen. Sie werden
Gelegenheit haben, zu zeigen, ob das, was Sie hier voll-





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

mundig verkünden, dann nachher wenigstens in einer
kleinen Tat gelingt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810601100

Franz Thönnes ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1810601200

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der

heutige Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Riga findet
vor einem Hintergrund statt, in dem der Frieden nicht
gesichert und die Gefahr einer neuen Spaltung in Europa
nicht gänzlich gebannt ist. Es ist gleichzeitig ein Hinter-
grund, verbunden mit einer Hoffnung – mit der Hoff-
nung, dass es drei Monate nach der Erklärung der Präsi-
denten von Frankreich, Russland, der Ukraine und der
Bundeskanzlerin trotz einzelner Waffenstillstandsverlet-
zungen nun zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen
und der dazugehörigen Maßnahmen, also zu einem
friedlichen Prozess der Lösung des Konflikts, kommt.

Das ist von zentraler Bedeutung für die Menschen,
das ist von zentraler Bedeutung für die notwendigen Re-
formen und die Stabilität in der Ukraine, und es ist auch
eine wesentliche Voraussetzung für die Weiterentwick-
lung der Östlichen Partnerschaft und der Entstehung ei-
nes neuen Vertrauens. Es geht letztlich darum, das fried-
liche Zusammenleben in unserem gemeinsamen
europäischen Haus zu sichern.


(Beifall bei der SPD)


So wird der heutige Gipfel kein Jubelgipfel sein kön-
nen, aber er wird auch nicht der Gipfel einer gescheiter-
ten Politik in den letzten Jahren sein. Er muss ein Gipfel
der nüchternen Analyse sein, ein Gipfel, der die gemach-
ten Erfahrungen mit den Partnerländern Armenien,
Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und der
Ukraine aufarbeitet und der zeigt, dass man gelernt hat,
dass – salopp gesagt – eine Kleidergröße allein nicht
passt, sondern dass es notwendig ist, Bedingungen zu
entwickeln, die auf die Partnerländer zugeschnitten sind,
und mit länderspezifischen Angeboten zu arbeiten. Und
es gilt, noch deutlicher zu machen, dass die Koopera-
tionspolitik nicht gegen einen Nachbarn gerichtet ist,
sondern spürbar auf gute Nachbarschaft ausgerichtet ist.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Dafür gibt es gute Gründe. Georgien, Moldau und die
Ukraine haben inzwischen ein Assoziierungsabkommen
mit der EU unterzeichnet. Aserbaidschan, Armenien und
Belarus streben das nicht an. Die letzten beiden wurden
Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion gemeinsam
mit Russland, Kasachstan und Kirgisistan. Genau damit
könnten sie wichtige Bindeglieder bei einer Verbesse-
rung des Verhältnisses zwischen Russland und der EU
sein.
Alle Länder haben das Recht, ihre Wege und Formen
der Zusammenarbeit mit anderen Ländern oder von Zu-
sammenschlüssen frei und selbst zu bestimmen.

Genauso gehört zur guten Nachbarschaft, mit den
Nachbarn über die damit verbundenen Entwicklungen zu
reden. Die jetzigen Gespräche zwischen der EU und
Russland über die Wirkungen des mit der Ukraine abge-
schlossenen Assoziierungsabkommens gilt es von bei-
den Seiten konstruktiv zu nutzen. Es gilt, zu realisieren,
wie bestimmte Beziehungen der Partnerländer zum gro-
ßen Nachbarn Russland ausgeprägt sind. Trotz der sehr
kritischen Lage gehen noch immer 25 Prozent des ukrai-
nischen Exports nach Russland, 33 Prozent in die EU.
Da bestehen Verbindungen und Verflechtungen im Ener-
giebereich, im gesellschaftlichen, sprachlichen und me-
dialen Bereich.

700 000 Beschäftigte aus Moldau arbeiten in Russ-
land. Die Russische Föderation ist Moldaus größter bila-
teraler Handelspartner. Die europaorientierte und von
den Kommunisten gestützte Regierung befindet sich an-
gesichts eines Bankskandals im Moment in einer sehr
schwierigen Situation. Aber man spürt in der Bevölke-
rung, dass ein Teil die Kooperation mit Russland und
dass ein anderer Teil eine enge Kooperation mit der
Europäischen Union will. Tausende Moldauer machen
inzwischen Gebrauch von der Visaliberalisierung.

Die georgische Regierung hat gerade erst wieder eine
Umbildung hinter sich und ist bemüht, ihren europäi-
schen Kurs zu halten. Gleichzeitig bangen die Menschen
um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze und sehen auch die
engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland.
Nicht zu unterschätzen sind auch die Verbindungen der
Kirchen untereinander.

In Armenien kommen 60 Prozent der Direktinvesti-
tionen aus Russland, 2 Millionen armenische Gastarbei-
ter sind dort tätig. Durch den ungelösten Berg-Karabach-
Konflikt wahrt Russland seine Einflüsse auf Armenien
und auf Aserbaidschan. Die Menschenrechtslage in
Aserbaidschan ist schwierig, und das Land ist derzeit
wohl eher selektiv an einer Zusammenarbeit im energie-
und wirtschaftspolitischen Bereich interessiert.

Schließlich ist Belarus, Gründungsmitglied der Eura-
sischen Wirtschaftsunion, einer der engsten und von
Russland abhängigsten Partner. Gleichwohl hat das Land
im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland eine
sehr konstruktive Rolle gespielt. Von erheblicher Bedeu-
tung sind hier aber Verbesserungen der innenpolitischen
und menschenrechtlichen Lage sowie die dringend not-
wendige Freilassung der politischen Gefangenen, unter
denen auch der ehemalige sozialdemokratische Präsi-
dentschaftskandidat Nikolai Statkevich ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dieser Ausschnitt aus der gesamten Vielfalt der Situa-
tion in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und
ihren Verhältnissen zeigt deutlich, wie wichtig die Ein-
beziehung Russlands in die Gestaltung dieser Nachbar-
schaftspolitik ist. Ich teile die Einschätzung, die hierzu
gerade im April dieses Jahres in einem Papier der Stif-
tung für Wissenschaft und Politik geäußert wurde:





Franz Thönnes


(A) (C)



(D)(B)

Die EU muss sich außerdem bemühen, in dem Ge-
samtgeflecht ihrer Beziehungen dafür zu sorgen,
dass in dem Verhältnis zwischen Russland und des-
sen Nachbarn sowie zwischen den Nachbarn unter-
einander Verträglichkeit, Transparenz und Stabilität
herrscht.

Einen guten Rahmen hierfür bietet das Bekenntnis der
Staats- und Regierungschefs aus der Minsker Erklärung
vom 12. Februar 2015 zur Version eines gemeinsamen
humanitären und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik
bis zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränk-
ten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien der
OSZE. Diese Verantwortung gilt es, einzulösen, für alle,
auch für Russland, um neues Vertrauen zu schaffen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810601300

Herr Kollege Thönnes.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1810601400

Aber es gilt auch, Perspektiven für die Partnerländer

aufzuzeigen, den Weg in die Europäische Union zu ge-
hen. Dazu bedarf es konsequenter Arbeit. Polen hat
dafür 15 Jahre gebraucht. Schneller können wir gute
Voraussetzungen für die Visaliberalisierung mit den
Partnerschaftsländern und auch mit Russland schaffen,
damit der humanitäre Raum mit der Begegnung von
Menschen im friedlichen Miteinander ausgefüllt werden
kann. Deswegen ist der Erfolg von Minsk für uns alle so
wichtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810601500

Ich erteile das Wort dem Kollegen Manfred Grund für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1810601600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anfang

der 2000er-Jahre, also vor ungefähr 15 Jahren, habe ich
an einer Konferenz im Rahmen des Programms „Part-
nerschaft für den Frieden“ teilgenommen. Auf dieser
Konferenz waren Botschafter nahezu aller europäischen
Staaten, also auch aus den Transformationsländern Ost-
und Mitteleuropas vertreten, und auch verschiedene Mi-
litärs. Während der Konferenz ergriff ein russischer Ge-
neral das Wort und stellte die Frage, ob denn nicht jeder-
mann klar sehe, dass sich mit der Osterweiterung der
Europäischen Union und der NATO diese nach Osten, an
die Grenzen Russlands verschieben und damit die Inte-
ressen Russlands verletzt würden.

Es war spannend, zu erleben, wer dem russischen Ge-
neral antwortete. Kein EU- oder NATO-Botschafter er-
griff das Wort. Es stand ein polnischer General auf, und
er sagte, nicht die Europäische Union und die NATO
würden nach Osten verschoben, um Russland zu beein-
trächtigen, sondern Europa finde nach dem Ende des
Kalten Kriegs und dem Fall des Eisernen Vorhangs seine
Mitte wieder. – Meine Damen und Herren, was für ein
Bild! Nach dem Ende der Teilung Europas findet dieses
Europa seine Mitte wieder. Und selbstverständlich gehö-
ren Warschau, Krakau, Riga und Budapest zu Europas
Mitte – wie schon vor der Teilung Europas, wie schon
vor dem Kalten Krieg. Im Kalten Krieg war Europa ge-
teilt in Interessenssphären und Machtblöcke: hier EWG,
dort RGW, hier NATO, dort Staaten des Warschauer
Paktes. In den Jahren nach 1990 schien diese Teilung
aufgehoben. Europa konnte zusammenfinden. Interes-
senssphären und Machtpolitik hat niemand von uns, nie-
mand in Europa, wirklich vermisst. Doch spätestens mit
der Annexion der Krim und dem militärischen Eingrei-
fen Russlands in der Ukraine ist die Machtpolitik, ist die
Hegemonialpolitik wieder auf die europäische Tagesord-
nung zurückgekehrt. Auch der bevorstehende Gipfel der
Östlichen Partnerschaft in Riga bleibt davon nicht ver-
schont. Die Deutsche Presse-Agentur, dpa, vermeldete
gestern:

Vor dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Riga
hat der russische Außenminister Sergej Lawrow die
EU mit Nachdruck davor gewarnt, Russlands Inte-
ressen zu schaden.

Was aber sind Russlands Interessen, und warum sind es
– offensichtlich – nicht die gemeinsamen europäischen
Interessen, und wie könnte ein Ausgleich dieser Interes-
sen aussehen?

Meine Damen und Herren, beim heute Abend in der
lettischen Hauptstadt Riga beginnenden Treffen der
Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union
mit den Vertretern sechs östlicher Nachbarländer geht es
um die Bilanz, die Verbesserung und Vertiefung der
2009 beschlossenen Östlichen Partnerschaft. Zur Östli-
chen Partnerschaft gehören die Ukraine, Weißrussland,
Moldau, Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Diese
Staaten gehören zu Europa oder verorten sich selbst zu
Europa und orientieren sich an der europäischen Ent-
wicklung. Sie haben aber auf absehbare Zeit keine Bei-
trittsperspektive zur Europäischen Union.

Mit der Östlichen Partnerschaft macht die Europäi-
sche Union diesen Staaten ein Modernisierungsangebot,
ein Modernisierungsangebot durch Stärkung der Rechts-
staatlichkeit, zur Bekämpfung der Korruption, für gute
Regierungsführung, ein Angebot zur gesellschaftlichen
Modernisierung durch Stärkung der Zivilgesellschaft,
ein Angebot zur wirtschaftlichen Modernisierung durch
weitgehende Integration in den EU-Markt. Es geht also
um Stabilität, und es geht um wirtschaftliche Entwick-
lung. Wieso innere Stabilität und wirtschaftliche Prospe-
rität in den Ländern der Östlichen Partnerschaft russi-
schen Interessen zuwiderlaufen sollten, ist für uns nicht
so leicht nachzuvollziehen. Könnte es sein, dass Moskau
die Westorientierung seiner Nachbarn deshalb ablehnt,
weil deren rechtsstaatliche und demokratische Moderni-
sierung eine Herausforderung für das eigene politische
System ist?


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Sehr gute Frage!)


Macht Putin die erfolgreiche politische, wirtschaftliche
und soziale Entwicklung Polens Angst, weil er hier in





Manfred Grund


(A) (C)



(D)(B)

seinem eigenen Land die größten Defizite aufzuweisen
hat?

Meine Damen und Herren, mit Georgien, der Repu-
blik Moldau und der Ukraine hat die EU Assoziierungs-
abkommen abgeschlossen. Dies sind ambitionierte Pro-
gramme für Reformen. Daran gilt es ohne Abstriche
festzuhalten. Es bleiben Belarus, Armenien und Aserbai-
dschan. Mit Armenien hatte die Europäische Union
ebenso ein Assoziierungsabkommen ausgehandelt, doch
hat sich Armenien wegen innen- und außenpolitischer
Zwänge der von Russland dominierten Eurasischen
Wirtschaftsunion angeschlossen. Auch Belarus ist Mit-
glied in dieser Eurasischen Wirtschaftsunion. Aserbai-
dschan – auch das wurde erwähnt – sucht noch einen
eigenen Weg. Auf diese unterschiedlichen Positionierun-
gen wird die Europäische Union bei der im Herbst anste-
henden Neuausrichtung der Europäischen Nachbarschafts-
politik akzentuiert antworten müssen.

Ich sehe zwei zentrale Herausforderungen: zum einen
den Konflikt mit Russland, zum anderen die Schwierig-
keit einer nachhaltigen Modernisierung dieser Partner-
länder. Beides wird kurzfristig nicht zu bewältigen sein.
Es wird Jahre in Anspruch nehmen. Wir brauchen dazu
strategische Geduld, insbesondere im Umgang mit Russ-
land. Wir müssen mit Russland in einen Dialog treten
mit dem ambitionierten Ziel, die Gegensätze zwischen
Europäischer Freihandelszone und Eurasischer Zoll-
union zu überwinden. Falls sich Lawrows Vorbehalte
durch einen solchen Interessenausgleich erübrigen, wäre
das ein Gewinn für alle Beteiligten, auch für Armenien,
welches sich nach dem Beitritt zur Eurasischen Wirt-
schaftsunion viel von einer weiteren wirtschaftlichen
Annäherung an die Europäische Union verspricht.
Hierzu ist es aber nunmehr auf einen Dialog zwischen
Eurasischer Wirtschaftsunion und EU angewiesen, weil
es nicht mehr frei für sich selbst verhandeln kann. Ein
solcher Dialog wird auch einen Hinweis darauf geben,
ob die Eurasische Zollunion die Situation in ihren Mit-
gliedstaaten verbessern will oder lediglich dazu dient,
die von Russland beanspruchte Einflusssphäre wirt-
schaftlich und politisch von der Europäischen Union ab-
zuschotten.

Aus all dem folgt, dass sich eine Weiterentwicklung
der Östlichen Partnerschaft an zwei Prinzipien ausrich-
ten sollte. Erstens: Differenzierung. Wir brauchen eine
starke Differenzierung zwischen den einzelnen Ländern,
und wir brauchen eine stärkere Differenzierung unserer
Angebote. Zweitens: Flexibilität. Wir brauchen größere
Flexibilität hinsichtlich unserer Fähigkeit, schnell und
zielgerichtet auf neue Herausforderungen und Entwick-
lungen zu reagieren.

An einem Punkt ist allerdings klare Kante angesagt,
nämlich beim Kampf gegen Korruption und Oligarchen-
wirtschaft. Dieser Kampf muss in den Ländern Osteuro-
pas selbst bestritten und gewonnen werden. Denn in den
vergangenen zwei Jahrzehnten haben vor allem in der
Ukraine und in Moldau oligarchische Strukturen die
Politik dominiert. Eine systemische Korruption hat staat-
liche Institutionen praktisch weitgehend privatisiert. Das
oligarchische System hat eine moderne Form des Feuda-
lismus etabliert. Oligarchen verzichten nicht freiwillig
auf Einfluss und Pfründe. Der Rechtsstaat muss gegen
Oligarchen erzwungen werden, auch und gerade mit un-
serer Hilfe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gelingt diese Systemwende in der Ukraine und in Mol-
dau nicht – also Stärke des Rechts und nicht: Recht des
Stärkeren –, dann wird das oligarchische System früher
oder später zu einem staatlichen Zerfall führen, und die-
ser staatliche Zerfall der Ukraine und der Republik Mol-
dau wird größere Sicherheitsrisiken in sich bergen als
der heutige Konflikt mit Russland.

Unser Signal muss klar sein: Europa bedeutet politi-
sche und wirtschaftliche Reformen, gesellschaftliche
Modernisierung, sozialer Zusammenhalt. Es sind Demo-
kratie und wirtschaftliche Perspektiven, was die Men-
schen in diesen Ländern von der Östlichen Partnerschaft
erwarten. Wir wollen diese mit den Assoziierungsab-
kommen und den Instrumenten der Östlichen Partner-
schaft ermöglichen, und wir halten einen Interessenaus-
gleich mit Russland für möglich und notwendig, eben
weil die Östliche Partnerschaft und die Europäische
Nachbarschaftspolitik nicht gegen Russland gerichtet
sind.

Es gibt berechtigte Hoffnung, dass sich Russland dem
für Anfang 2016 geplanten Inkrafttreten des Freihan-
delsabkommens der EU mit der Ukraine nicht widerset-
zen wird. Ein Interessenausgleich mit Russland sollte
auch deshalb möglich sein, weil Sankt Petersburg und
Moskau gar nicht so weit von der Mitte Europas entfernt
sind.

Der Bundeskanzlerin viel Erfolg für die Gespräche in
Riga und Ihnen vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810601700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentri-

büne haben der soeben aus Prag eingetroffene Präsident
des Abgeordnetenhauses des Parlaments der Tsche-
chischen Republik, Herr Jan Hamáček, und seine De-
legation Platz genommen, die ich im Namen des ganzen
Hauses herzlich bei uns begrüße.


(Beifall)


Lieber Kollege Hamáček, wir freuen uns über Ihren Be-
such, wünschen Ihnen einen interessanten Aufenthalt in
Berlin, und wir freuen uns auf die immer enger wer-
dende Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Parla-
menten.

Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Kofler für
die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1810601800

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Vom Gipfel in Elmau müssen entwick-





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)

lungspolitische Signale für die künftigen Konferenzen,
die in diesem Jahr anstehen, ausgehen. Es sind drei
wichtige Konferenzen, die bereits von einigen Kollegen
angesprochen wurden.

Eine ist die Konferenz in Addis Abeba zum Thema
der Entwicklungsfinanzierung. Hier kann der G-7-Gipfel
in Elmau einige Signale aussenden, positive Signale aus-
senden, nicht nur, was das Erreichen der 0,7-Prozent-
ODA-Quote anbelangt, sondern insbesondere auch, was
die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuer-
vermeidung anbelangt sowie im Hinblick auf das Aus-
dünnen von Steueroasen. Ich erwarte mir von einem
Gipfel wie dem G-7-Gipfel in Elmau, wo Vertreter der
führenden Industrienationen zusammentreffen, positive
Signale in diesen Bereichen, damit Entwicklungsländer
auch die Chance haben, mit Steuereinnahmen, mit eige-
nen Einnahmen und eigenen Mitteln, systemisch in Ge-
sundheitssysteme, Bildung und Armutsbekämpfung zu
investieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich erwarte mir von diesem Gipfel auch, dass im Be-
reich der Vorbereitung der sogenannten Nachhaltigkeits-
konferenz zu den SDG-Zielen in New York deutliche Si-
gnale ausgehen, in zwei Richtungen. Neu bei dieser
Konferenz ist das sogenannte Prinzip der Universalität;
das heißt, alle Staaten müssen ihr Handeln so ausrichten,
dass es entwicklungsförderlich und armutsbekämpfend
ist. Alle Staaten, auch die Teilnehmerstaaten des G-7-
Gipfels, auch die führenden Industrienationen, müssen
das tun, müssen ihr Handeln sowohl bei Handelsverträ-
gen als auch beim Klimaschutz und bei Klimaabkom-
men dementsprechend ausrichten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich erwarte, dass in zwei Bereichen, die neu sind im so-
genannten Nachhaltigkeitsprozess – neu im Gegensatz
zu den früheren Zielen, den Millenniumsentwicklungs-
zielen –, hier entscheidende Impulse ausgehen. Es geht
um die Frage der Ungleichheit zwischen den Ländern
– wie man Ungleichheit zwischen den Menschen und
zwischen den Ländern bekämpfen kann –, und es geht
um die Frage der menschenwürdigen Arbeit. Ich möchte
hier explizit noch einmal unterstreichen: Es muss von
diesem Gipfel, wenn ein wichtiger Schwerpunkt das
Thema „Standards in Handels- und Lieferketten“ ist, ein
Signal für verbindliche Standards im sozialen und ökolo-
gischen Bereich ausgehen, um Menschen vor Ausbeu-
tung in Arbeit zu schützen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Woche hat die Internationale Arbeitsorganisa-
tion in Genf einen Bericht vorgelegt, der sich mit den
unsicheren, den prekären Arbeitsbedingungen weltweit
auseinandersetzt. Wenn wir es ernst meinen damit, dass
wir die Arbeitsbedingungen der Menschen in Entwick-
lungsländern verbessern und die Menschen aus der Ar-
mut herausholen wollen, dann müssen wir zur Kenntnis
nehmen, was in dem Bericht steht: dass in Afrika und
Südasien nur zwei von zehn Arbeitnehmern angestellt
sind. Das heißt, alle anderen sind im informellen Sektor
– der Bericht spricht von „auf eigene Rechnung“ – be-
schäftigt und haben damit keine soziale Absicherung,
keinen Zugang zu irgendeinem Gesundheitsschutz und
keinen Hintergrund, der es ihnen ermöglicht, aus eigener
Kraft die Armut zu verlassen. Mehr als 10 Prozent der
Arbeitnehmer verdienen unter 1,25 Dollar am Tag – 1,25
Dollar am Tag und darunter, bei Vollzeitbeschäftigung.

Das sind die Probleme, zu denen ich vom Gipfel in
Elmau, bei dem es um verbindliche Standards in Liefer-
ketten geht, wirkliche Signale erwarte. Die ILO sagt
dazu: Mittlerweile sind 453 Millionen Menschen in
40 Ländern in globale Lieferketten eingebunden. –
Wenn das so ist, dann tragen wir aufgrund unserer indus-
triellen Produktion, die in viele Länder dieser Erde aus-
gelagert ist, eine Mitverantwortung für die Standards
und für das Leben und für das Arbeiten dieser Men-
schen. Diesen Standards müssen wir gerecht werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Über die Frage des Fonds, wenn es um Arbeitsschutz
geht, ist gesprochen worden heute. Das ist ein ganz
wichtiges Instrumentarium. Ich bin den beteiligten
Ministerien da explizit dankbar.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810601900

Frau Kollegin.


Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1810602000

Ich komme zum Schluss. – Aber es muss auch darum

gehen, das Thema der ILO-Kernarbeitsnormen und da-
mit insbesondere des gewerkschaftlichen Rechts und der
gewerkschaftlichen Beteiligung voranzubringen. Auch
da hätten einige der G-7-Staaten noch Nachholbedarf.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1810602100

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Florian Hahn das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1810602200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Östliche Partnerschaft ist von herausra-
gender Bedeutung – wir haben das schon mehrfach heute
gehört –, zu Recht. Es geht dabei um mehr als nur um
die Außenpolitik der EU oder Handelserleichterungen;
denn wir sind mit unseren Partnerländern nicht nur
räumlich verbunden, sondern auch kulturhistorisch.
Diese Partnerschaft hat auch eine geopolitische Dimen-
sion; das haben die Entwicklungen um die Assoziie-
rungsabkommen mit der Ukraine, mit Georgien und mit
Moldau gezeigt.

Russland lässt gegenwärtig leider nichts unversucht,
die Annäherung der östlichen EU-Nachbarstaaten zu





Florian Hahn


(A) (C)



(D)(B)

verhindern. Unsere Botschaft ist klar: Wir wollen gute
Nachbarn sein, und wir wollen gute Nachbarn haben.
Deshalb sind die Stabilisierung und die Demokratisie-
rung unserer Nachbarländer in unserem ureigenen euro-
päischen Interesse.

Die Östliche Partnerschaft ist aber nicht gegen Russ-
land gerichtet. Es geht nicht um Entweder-oder, sondern
um Sowohl-als-auch, und ich bin der festen Überzeu-
gung: Am Ende des Tages wird auch Russland verste-
hen, dass die Östliche Partnerschaft eine Chance für alle
ist: für uns, Europa, für die Partnerländer und für Russ-
land selbst.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Heute, fast auf den Tag genau sechs Jahre nach der
Gründung der Östlichen Partnerschaft, ist es Zeit für
eine Bestandsaufnahme. Lassen Sie mich deswegen drei
zentrale Punkte benennen:

Erstens. Bei der Östlichen Partnerschaft geht es nicht
um die Missionierung unserer Nachbarn. Sie hat mit
Zwangsbeglückung nichts zu tun und ist kein europäi-
scher Imperialismus, sondern sie ist die natürliche Folge
unserer Werte. Sie entspringt der Bereitschaft, Frieden
und Freiheit, Sicherheit und Wohlstand zu teilen und ge-
meinsam zu mehren.

Das sehen auch die Menschen in der Ukraine so. Sie
finden Europa so attraktiv, weil wir eben nicht in Ein-
flusssphären denken, sondern die Menschen-, Bürger-
und Freiheitsrechte garantieren, Demokratie und Rechts-
staatlichkeit leben und das Recht der Staaten auf territo-
riale Integrität und Selbstbestimmung achten.

Das heißt aber auch: Wir dürfen es 25 Jahre nach dem
Fall des Eisernen Vorhangs nichts zulassen, dass das Rad
der Zeit zurückgedreht und die Freiheit zurückgedrängt
wird. Das wäre nicht nur ein Rückschritt für die betroffe-
nen Länder, sondern auch für uns in Europa. Deshalb
möchte ich Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, für Ihren uner-
müdlichen Einsatz für den Frieden in der Ukraine dan-
ken.

Es ist richtig, dass wir nun die Sanktionen an Fort-
schritte bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen
knüpfen. Aber auch die Ukraine muss ihre Probleme ent-
schlossener angehen. Das Land braucht Wirtschafts- und
Regierungsreformen. Klar ist aber auch: Eine Lösung
der aktuellen Krise kann es nur mit Russland geben. Das
gilt sowohl für die Ukraine als auch für den Nahen Osten
und für den Norden Afrikas.

Wir dürfen den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen.
Gemeinsam an der europäischen Friedensordnung zu ar-
beiten, ist auch eine Chance für Russland. Es ist gut und
richtig, dass die Bundesregierung klare Kante zeigt und
gleichzeitig im Gespräch bleibt. Das ist die Marschroute
der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in der
EU.

Zweitens. Sechs Jahre Östliche Partnerschaft haben
unmissverständlich klargemacht: Es gibt nicht die eine
Strategie für alle Partnerländer. Dafür sind sie einfach zu
unterschiedlich. Wir brauchen deshalb ein differenzier-
tes und auf die einzelnen Länder fokussiertes Vorgehen.
Es ist an der Zeit, dass Europa konkrete Perspektiven für
verschiedene Arten der Partnerschaften entwickelt.

Die EU-Vollmitgliedschaft kann nicht das einzige
Ziel sein. Das überfordert die Länder der Östlichen Part-
nerschaft und vor allem auch uns. Wir brauchen in
Europa jetzt eine Vertiefung und nicht eine Erweiterung.

Im Übrigen zeigt sich auch hier, dass unser Weg zu ei-
ner privilegierten Partnerschaft mit der Türkei der rich-
tige war. Ich kann nur sagen: Ich bin froh, dass wir kei-
nen Autokraten Erdogan in der EU haben, der das Land
islamisiert, Frauen- und Presserechte mit Füßen tritt, die
Gewaltenteilung untergräbt und die in Deutschland le-
benden Türken gegen ihre neue Heimat und unsere ge-
meinsame Gesellschaftsordnung aufwiegelt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Prinzipiell darf es keinen Aufnahmeautomatismus ge-

ben – für kein Land. Deswegen ist es richtig, dass wir
die Fortschritte bei der Östlichen Partnerschaft an kon-
krete Reformen binden und die Dokumentation durch
die Fortschrittsberichte der EU-Kommission einfordern.

Wir dürfen dabei natürlich keine falschen Erwartungen
wecken, und wir dürfen uns auch nicht auseinanderdivi-
dieren lassen; denn Europas Trumpf ist Geschlossenheit.
Umso unerträglicher ist das Verhalten der griechischen
Regierung. Wir müssen deswegen klarmachen: Wer die
Solidarität Europas will, muss sich zu Europa bekennen.
Wir lassen uns nicht erpressen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Drittens. Was derzeit auf dem Mittelmeer passiert, ist

eine humanitäre Katstrophe und mit unseren Werten un-
vereinbar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir werden das Elend der Flüchtlinge nur dann lin-
dern können, wenn wir die Nachbarschaftspolitik mit
den nordafrikanischen Staaten intensivieren. Wir unter-
stützen deshalb die Bemühungen der Europäischen
Kommission zur Neuausrichtung der Europäischen
Nachbarschaftspolitik – gerade auch hin zu unseren süd-
lichen Partnern.

Aber: Wir alleine können die Probleme Afrikas nicht
lösen, schon gar nicht, indem wir eine Massenzuwande-
rung nach Europa zulassen. Wir dürfen deshalb keine
weiteren Anreize schaffen, sondern müssen unseren Drei-
klang beherzt umsetzen. Der heißt: Seenotrettung ver-
stärken, Schlepperbanden das mörderische Handwerk
legen und Fluchtursachen durch Hilfe in den Herkunfts-
ländern bekämpfen.

An dieser Stelle möchte ich einen besonderen Dank
an unseren Minister Müller richten, der mit der Sonder-
initiative „Fluchtursachen bekämpfen“ bereits über
100 Projekte auf den Weg gebracht hat. Ich denke da bei-
spielsweise an die Beschulung von insgesamt 80 000 Kin-
dern im Libanon. Das sind genau die richtigen Maßnah-
men, die wir brauchen. Deswegen ist es richtig, dass der
entsprechende Etat einen Aufwuchs erfahren hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Florian Hahn


(A) (C)



(D)(B)

Zur Wahrheit gehört auch: Die meisten Asylsuchen-
den kommen nicht aus Syrien oder Nordafrika, sondern
vom Balkan und damit aus sicheren Herkunftsstaaten
mit Anerkennungsquoten von unter 1 Prozent. Das sind
eben keine Flüchtlinge, die um Leib und Leben fürchten
müssen. Wir alle sind aufgefordert – auch die EU-Kom-
mission –, das abzustellen – allein schon im Interesse
derer, die unserer Hilfe wirklich bedürfen.

Ebenso entscheidend ist dabei, dass wir zu einer ge-
rechteren Verteilung der Flüchtlinge kommen. Das ver-
einbarte Quotenmodell ist ein richtiger Schritt. Aber es
kann nicht sein, dass Länder, die in den vergangenen
Jahren immens von der europäischen Solidarität profi-
tiert haben, sich jetzt einen schlanken Fuß machen. Solida-
rität ist keine Einbahnstraße, sondern eine gemeinsame
Aufgabe für ganz Europa.

In einer so vernetzten Welt wie der heutigen müssen die
entscheidenden Akteure natürlich zusammenarbeiten.
Deshalb ist es gut, dass sich die führenden Industriestaa-
ten am 7. und 8. Juni zum G-7-Gipfel im bayerischen
Elmau treffen. Denn Frieden und Freiheit, Sicherheit
und Wohlstand – das schaffen wir nur gemeinsam. Das
gilt auch für die Bekämpfung der Geißel der offenen Ge-
sellschaft, den internationalen Terrorismus. Wenn sich
der Terrorismus global vernetzt, müssen auch die Nach-
richtendienste und die Sicherheitsbehörden eng zusam-
menarbeiten; das war die Erkenntnis nach 9/11. Deshalb
war es folgerichtig, dass die damalige Regierung die Zu-
sammenarbeit des BND mit der NSA vereinbart hat.
Ohne diese Zusammenarbeit hätten wir unsere Soldaten
in den Auslandseinsätzen nicht ausreichend schützen
können.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ohne diese Zusammenarbeit hätten wir auch keinen An-
schlag vereiteln können, nicht den des Kofferbombers
von Köln und auch nicht den der Sauerland-Gruppe.
Diese Zusammenarbeit der Nachrichtendienste hat in
den letzten Jahren unzählige Leben gerettet. Deshalb
brauchen wir sie auch in Zukunft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber klar ist auch, dass es offene Fragen gibt, die ab-

gearbeitet werden müssen, aber bitte nicht über die Bild
am Sonntag, sondern in den demokratisch legitimierten
Gremien. Alles andere hat nichts mit staatsbürgerlicher
Verantwortung zu tun. Auf Verantwortung kommt es
jetzt an, für unsere Freiheit und für unsere Sicherheit.
Das eine ist ohne das andere nicht möglich. Das dürfen
wir nie vergessen.

Meine Damen und Herren, zum Abschluss: Wir ha-
ben vorhin von Toni Hofreiter gehört, dass die Bundes-
kanzlerin so ungefähr an allem schuld ist,


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht an allem, aber an manchem!)


wohl auch daran, dass der Weltfrieden noch nicht einge-
treten ist. Aber an der Schwäche der Opposition, lieber
Herr Hofreiter, sind Sie schon selber mit schuld.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810602300

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Klaus Barthel

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1810602400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Von uns hier in diesem Ho-
hen Hause bin ich derjenige, der am nächsten am
Schloss Elmau lebt.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Nein, ich!)


Deswegen erlebe ich ganz aus der Nähe die Aufregung
und den Aufwand in der Bevölkerung, die es dort in ei-
nem großen Umkreis gibt. Ich will aber nicht über diesen
Aufwand reden, sondern darüber, dass viele Menschen
am Sinn solcher Veranstaltungen erhebliche Zweifel ha-
ben. Wir können diesen Sorgen und dieser Kritik nur be-
gegnen, wenn auf diesen Gipfeln richtige Antworten auf
die weltweiten Entwicklungen gefunden und diese auch
umgesetzt werden.

Insofern sind wir froh, dass die Bundeskanzlerin
heute zum Beispiel – ich zitiere – „menschenwürdige
Arbeitsbedingungen weltweit“ als Ziel der Veranstaltung
in Elmau genannt hat und sie wörtlich gesagt hat, dass
die „Stärkung des Freihandels … eine bessere Umset-
zung sozialer und ökologischer Standards“ erfordert. In
der Tat – Frau Kofler hat es ja auch erwähnt –: Die Un-
gerechtigkeiten und Ungleichheiten auf der Welt neh-
men trotz allen Freihandels immer mehr zu, und die Ar-
beit gerät immer mehr unter Druck. Flexibilisierung
bedeutet eben im weltweiten Maßstab immer mehr Pre-
karisierung. Der ILO-Report zeigt, dass diese Prekarisie-
rung auch vor den Industrieländern nicht haltmacht und
sie sich in der Europäischen Union besonders stark aus-
wirkt. Hier könnte die G 7 eine ganz wichtige Rolle spie-
len, weil die weltweiten Wertschöpfungsketten – wir
reden ja immer von Wertschöpfungssystemen – hier zu-
sammenlaufen. Das heißt, wir hätten die Chance, mit
verbindlichen Regeln Standards durchzusetzen, wie es
immer so schön heißt.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Diese Chance nutzen wir!)


Faire Wettbewerbsbedingungen hieße Verlässlichkeit
für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Ver-
braucherinnen und Verbraucher.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Verbindlichkeit und Fairness müssen bedeuten, dass sich
nicht derjenige auf dem Markt durchsetzt, der sich mit-
hilfe teurer Imagekampagnen eine weiße Weste um-
hängt, ohne für Transparenz zu sorgen, und dass sich in
diesen Wertschöpfungsketten niemand aus der Verant-
wortung stehlen kann. Deswegen bin ich sehr froh, dass
das Europäische Parlament gestern – auf Druck der So-
zialdemokraten – beschlossen hat, dafür zu sorgen, dass
bei den Konfliktmineralien vom Anfang bis zum Ende
der Wertschöpfungskette verbindliche Standards einge-
halten werden.





Klaus Barthel


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU])


Herr Minister Müller, die Bundesregierung ist aufgefor-
dert, diesen Prozess in dem jetzt stattfindenden Trilog-
verfahren zu unterstützen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist genau mein Ansatz!)


Wenn wir aus der Sackgasse WTO herauskommen
wollen, müssen wir in Zukunft weg vom reinen Liberali-
sierungsansatz, hin zu Gerechtigkeit, zu sicherer Arbeit,
zu sicherer Arbeit und Ökologie, eben vom freien zum
fairen Handel. In diesem Zusammenhang trägt die G 7
eine besondere Verantwortung, im Übrigen auch bezüg-
lich all der Freihandelsabkommen – das wird die Nagel-
probe sein –, die wir bilateral jetzt mit Kanada, den USA
usw. abschließen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU])


Lassen Sie mich noch etwas zu Lateinamerika sagen
– dieses Thema hat heute kaum eine Rolle gespielt, was
ich bedauere – und zu dem Gipfel, der mit CELAC in
ungefähr 14 Tagen in Brüssel stattfindet. Wir müssen zur
Kenntnis nehmen, dass die europäische Politik durch die
Entwicklung der diplomatischen Beziehungen zwischen
den USA und Kuba ein bisschen blamiert worden ist.
Wir wurden davon völlig überrascht und müssen jetzt
besondere Anstrengungen unternehmen, um mit Latein-
amerika in einen Dialog zu kommen. Vor allen Dingen
müssen wir begreifen, dass Lateinamerika nicht länger
eine Region ist, in der man sich seine Partner aussuchen
kann, in der man Lieblinge haben kann und in der es an-
dere gibt, die man weniger mag. Die Linke macht genau
das übrigens auch, nur spiegelverkehrt. Man muss diese
Region als das verstehen, wozu sie immer mehr wird,
nämlich als politischen Zusammenschluss, der aufgrund
starker Gemeinsamkeiten keine Ausgrenzung von weni-
ger geliebten Ländern wie Kuba zulässt. Das ist der eine
Aspekt, den wir begreifen müssen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810602500

Kollege Barthel, über weitere können wir jetzt nicht

mehr sprechen.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1810602600

Der letzte ist, dass wir doch noch begrüßen müssen,

dass sich Frank-Walter Steinmeier jetzt insbesondere um
Kolumbien kümmert. Herr Kauder hat mit Blick auf die
Failed States heute etwas zu Afrika gesagt. Ich glaube,
es ist ganz wichtig, dass wir ein Signal gesetzt haben,
das zeigt, dass die Bundesregierung sich zu dem Frie-
densprozess bekennt und ihn unterstützt.

Vielen Dank, Frau Präsidentin.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810602700

Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Sibylle

Pfeiffer das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Sibylle Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1810602800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Was bewegt uns zurzeit? Was bewegt jeden Einzelnen
von uns, die Medien und die Öffentlichkeit? Es ist das
Flüchtlingsproblem. Es sind die unzähligen Menschen,
die sich mit der Aussicht auf eine ungewisse Zukunft ins
Mittelmeer stürzen, die unter fürchterlichen Umständen
versuchen, nach Europa zu kommen, und zum großen
Teil umkommen. Das ist etwas, was uns sehr beschäftigt.
Das wird uns auch in Zukunft noch beschäftigen; denn
das Thema ist noch nicht zu Ende.

Schnell gerät dabei ein Politikfeld in die Schlagzeilen,
das bei den Medien und der Öffentlichkeit sonst nicht
unbedingt so viel Beachtung findet, nämlich die Ent-
wicklungspolitik. Plötzlich heißt es: Die haben versagt.
Die Öffentlichkeit, sogar die eigenen Kollegen sagen:
Ihr habt versagt. Was macht ihr eigentlich? – Ich glaube,
es wäre gut, einmal darüber zu reden, was wir machen.
Ich glaube, jetzt ist auch der Zeitpunkt, dass uns endlich
einmal jemand zuhört, was wir machen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wohl richtig!)


Jemand hat erkannt – es war die Frau Bundeskanzle-
rin schon im Jahr 2007 in Heiligendamm –, dass Frie-
den, Stabilität und Sicherheit nicht nur mit Außen- und
Wirtschaftspolitik, sondern auch mit nachhaltiger, er-
folgreicher Entwicklungspolitik zu erzielen sind. Des-
halb haben wir auch dieses Mal in Elmau wieder ent-
wicklungspolitische Themen auf der Tagesordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn es heißt: „Was macht ihr Entwicklungspolitiker
eigentlich?“, dann muss ich sagen: Wir machen sogar
sehr viel, ohne dass Sie es vielleicht alle merken. Wir ha-
ben einen Entwicklungsminister, der vor anderthalb Jah-
ren – ich weiß gar nicht, mit welcher Vorausschau er dies
getan hat – eine Sonderinitiative „Fluchtursachen be-
kämpfen!“ im Haushalt installiert hat. Das ist das, was
Sie permanent fordern. Wir machen es bereits.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie machen wir es? Wir versuchen, vor Ort mithilfe
von NGOs, vor allem aber mithilfe funktionierender, sta-
biler Regierungssysteme wirtschaftlichen Erfolg aufzu-
bauen und zu unterstützen. Wir versuchen, rechtsstaatli-
che Strukturen aufzubauen, damit sich die Menschen in
ihrem Lande sicher fühlen können. Wir versuchen mit
dem Aufbau von Gesundheitssystemen, die Menschen
überhaupt arbeitsfähig zu machen oder auch zu erhalten.
All dies sind präventive Maßnahmen – ich könnte Ihnen
noch sehr viele weitere nennen, wenn ich nicht schon
wieder auf die Uhr schauen müsste –, die wir in diesem
Bereich bereits haben und bei denen wir schon seit Jah-
ren tätig sind – zugegebenermaßen mit mehr oder weni-
ger Erfolg.





Sibylle Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

Wir haben hervorragend arbeitende Länder in Afrika,
die wirtschaftlich sehr erfolgreich sind. Von dort kom-
men die Flüchtlinge aber nicht. Woher kommen sie? Sie
kommen von dort, wo wir aufgrund der staatlichen
Strukturen, der Bürgerkriegszustände, der Menschen-
rechtsverletzungen und des Fehlens von Staatlichkeit
überhaupt nicht in der Lage sind, Entwicklungszusam-
menarbeit durchzuführen. Insofern ist es in diesen Län-
dern schwierig. Es ist nicht nur die Entwicklungspolitik,
die dort teilweise nicht weiß, wie man mit diesen Län-
dern umgeht, sondern es ist auch die Außen- und die Si-
cherheitspolitik. Was machen wir mit sogenannten
Failed States, mit Staaten, in denen wir keinerlei An-
sprechpartner haben und keine Regierungen finden, mit
denen wir zusammenarbeiten können? In Zukunft müs-
sen wir uns gemeinsam darüber noch mehr Gedanken
machen, und genau dort müssen wir nochmals eindeutig
über das Thema „vernetzte Sicherheit“ nachdenken und
uns überlegen: Was kann Außenpolitik leisten, was kann
Verteidigungspolitik leisten, was kann Entwicklungs-
politik leisten? Können wir gerade in diesen Staaten, in
denen wir diese Katastrophen feststellen und in denen es
Bürgerkriege und keine staatlichen Strukturen gibt, in
der Summe mit vernetztem Ansatz erfolgreicher arbei-
ten, als wir es, selbstkritisch genug, zurzeit tun?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ziel des Ganzen muss sein, dass wir uns als Entwick-
lungspolitiker eigentlich irgendwann einmal selbst abge-
schafft haben, weil die Länder in der Lage sind, mit
rechtsstaatlichen Strukturen, mit guter Wirtschaft, mit
kleinen und mittleren Unternehmen, mit guter Ausbil-
dung und Bildung sowie mit gestärkten Frauen, wie Frau
Bundeskanzlerin eben sagte, zum Erfolg geführt zu wer-
den, und wir Partner haben, mit denen wir auf Augen-
höhe wirtschaftliche Verhältnisse im gegenseitigen Nut-
zen haben.

Lassen Sie mich einen Aspekt aufgreifen, da ich
glaube, G 7 ist in diesem Zusammenhang eine gute Ba-
sis, auf der man diskutieren kann, weil sie fernab irgend-
welcher Strukturen ist. Es hat den informellen Charakter,
den es eigentlich braucht und der notwendig ist, lieber
Herr Gysi. Wir finden auch, dass die UN sicherlich
wichtig sind. Aber das eine tun und das andere nicht las-
sen, ist das eine Thema. Das andere ist, dass wir feststel-
len müssen: Auch die UN sind nicht allmächtig. Ich erin-
nere an Syrien oder die Ukraine: Auch dabei sind wir in
der UN nicht vorwärtsgekommen.

Etwas fand ich jedoch bemerkenswert, Herr Gysi,
wenn ich das zum Abschluss noch sagen darf. Zu Ihrer
Einlassung zu G 7 und zu der Veranstaltung an sich so-
wie letztlich zu der Frage, was dort eigentlich passiert:
„Und wir gehen dorthin und demonstrieren“: Ich finde,
Sie sollten das tun. Ja, wir können demonstrieren. Sie
können demonstrieren. Ich bezweifle, dass Sie persön-
lich dorthin gehen; aber ich weiß, dass sehr viele Ihrer
Kollegen dorthin gehen.

Ich komme aus Hessen, aus der Nähe von Frankfurt.
Ich habe erlebt, was in Frankfurt anlässlich der Eröff-
nung der EZB passiert ist.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber das war nicht die Linke!)


Ich weiß noch, wie die – ich möchte nicht „zwielichtig“
sagen – durchaus zu diskutierende Rolle der Linken in
diesem Zusammenhang war.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein!)


Wenn Sie schon jetzt ankündigen, dass Sie dort de-
monstrieren gehen, dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie
sich als demokratisch gewählte Mitglieder sowohl des
Bundestages als auch der Landesparlamente, also als
Vertreter des Rechtsstaates, genau dem entgegenstellen,


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie aber auch! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Krimineller linker Gewalt!)


was wir jetzt zu erwarten haben: Chaoten und Randalie-
rer. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich erstens von de-
nen distanzieren und dass Sie sich zweitens denen entge-
genstellen, damit all das, was wir zurzeit befürchten und
was unglaubliche zusätzliche Kosten verursacht, nicht
passiert. Das erwarte ich von Ihnen. Ich hoffe, dass ich
das in der Zeitung lesen darf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810602900

Der Kollege Dr. Andreas Nick hat für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Nick (CDU):
Rede ID: ID1810603000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Was 1975 als Weltwirtschaftsgipfel zum informellen
Austausch unter den Staats- und Regierungschefs be-
gann, ist inzwischen als G 7 ein zentrales Format auch
zur Koordination von Fragen der Außen-, Sicherheits-
und Entwicklungspolitik geworden. Es ist auch ein
wichtiges Instrument zur Steuerung und politischen Ge-
staltung der Globalisierung.

Deutschland richtet zum sechsten Mal den G-7-Gipfel
aus. Wir wollen und werden in der einmaligen Atmo-
sphäre von Schloss Elmau gute Gastgeber sein, und wir
wollen der Welt ein positives Bild unseres Landes ver-
mitteln. Davon werden wir uns auch von Protesten und
Krawallmachern nicht abbringen lassen; die Kollegin
Pfeiffer hat das Nötige dazu gesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine zentrale Antriebskraft für globales Wachstum
und internationale Verflechtungen ist der Welthandel.
Zwei zentrale Ziele wollen wir gleichgewichtig verfol-
gen. Zum einen wollen wir weiterhin Handelshemm-
nisse abbauen und damit zur Öffnung der Märkte beitra-
gen, weil dies weltweit zu Wohlstand und Vielfalt
beiträgt. Zum anderen wollen wir für diese globalen
Märkte weltweit verlässliche Standards für Arbeits-
sicherheit, Verbraucher- und Umweltschutz im Sinne ei-





Dr. Andreas Nick


(A) (C)



(D)(B)

nes fairen Wettbewerbs und einer wahrhaft auch interna-
tionalen sozialen Marktwirtschaft.

Die Globalisierung macht weitere Formate der inter-
nationalen Zusammenarbeit notwendig. So ist unter dem
Eindruck der Finanzkrise das Format der G 20 entstan-
den. Der kommende G-20-Gipfel im Herbst 2015 im tür-
kischen Antalya wird sich wiederum schwerpunktmäßig
mit Fragen der globalen Finanzmarktregulierung und der
Steuerharmonisierung befassen.

2015 dient der G-7-Gipfel natürlich auch besonders
der Vorbereitung der beiden im Jahresverlauf anstehen-
den Konferenzen der Vereinten Nationen zu zentralen
globalen Fragen: zum einen der Verabschiedung der
Ziele zur nachhaltigen Entwicklung im Rahmen der
Post-2015-Agenda in New York, zum anderen der inter-
nationalen Klimaschutzkonferenz am Jahresende in Pa-
ris.

Die Herausforderungen der Globalisierung machen
eine immer intensivere Zusammenarbeit zwischen den
großen Weltregionen notwendig. Der Gipfel der EU mit
der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibi-
schen Staaten, CELAC, rückt erfreulicherweise Latein-
amerika wieder stärker in den Fokus der internationalen
Aufmerksamkeit. Denn auch wenn die Krisen- und Be-
drohungslagen in Osteuropa, im Mittleren Osten und in
Nordafrika, aber nicht zuletzt auch die dynamische wirt-
schaftliche Entwicklung Asiens viel Aufmerksamkeit
auf sich ziehen: Lateinamerika ist und bleibt für uns in
Deutschland und Europa eine wichtige – wenn auch lei-
der manchmal etwas aus dem Blick geratene – Partnerre-
gion.

Ich will in Erinnerung rufen: Beim EU-CELAC-Tref-
fen kommen 61 Staaten zusammen. Das ist ein Drittel
der Mitglieder der Vereinten Nationen, darunter fast die
Hälfte der G-20-Staaten. Gemeinsam haben die EU und
Lateinamerika eine Bevölkerung von über 1 Milliarde
Menschen, und sie produzieren zusammen 40 Prozent
des Weltsozialproduktes. Die EU ist der größte ausländi-
sche Investor in der Region und der zweitgrößte Han-
delspartner der lateinamerikanischen und karibischen
Staaten. Mit kaum einer anderen Region der Welt sind
wir Europäer historisch enger verflochten und kulturell
stärker verbunden. Das bildet die Grundlage für gemein-
same Werte und eine dauerhafte Zusammenarbeit. Daran
gilt es immer wieder anzuknüpfen – zum beiderseitigen
Vorteil, aber auch in gemeinsamer Verantwortung.

Deshalb wollen wir Bemühungen zu einer vertieften
regionalen Zusammenarbeit in Lateinamerika ermutigen
und unterstützen. Denn der Kontinent weist immer noch
sehr unterschiedliche wirtschaftliche und politische Ent-
wicklungen auf. Immer noch leben in Lateinamerika 180
Millionen Menschen in Armut, vor allem die indigene
Bevölkerung. Der Zugang zu zentralen öffentlichen Gü-
tern wie Bildung und Gesundheit ist für große Teile der
Bevölkerung nicht gesichert. Leider bestimmen negative
Schlagzeilen zu Armut und Inflation, Drogenkriminalität
und Bürgerkrieg auch in unseren Medien noch viel zu
häufig die Wahrnehmung der Region.
Deshalb ist es so wichtig und richtig, dass die Bun-
desregierung den Aussöhnungsprozess in Kolumbien
nachhaltig unterstützt. Wir begrüßen es, dass aus den
Reihen des Bundestages der Kollege Tom Koenigs dabei
eine wichtige Aufgabe übernommen hat, für die wir ihm
gutes Gelingen und viel Erfolg wünschen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die katastrophale wirtschaftliche und humanitäre
Entwicklung etwa in Venezuela kann eigentlich nieman-
den wirklich überraschen. Denn der Sozialismus des
21. Jahrhunderts der Herren Chávez und Maduro ist ge-
nauso gescheitert wie der des 20. Jahrhunderts. Eine
Ausnahme sind vielleicht die Kollegen der Linken:
Wenn man Ihren Antrag liest, in dem Sie noch einmal
die sozialen Errungenschaften des Chavismus bejubeln,
wird deutlich, dass Sie auch dort noch nicht in der Reali-
tät angekommen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Leider ist in Venezuela eine friedliche und demokrati-
sche Veränderung nicht absehbar. In Kuba können wir
zumindest ein hoffnungsvolles Signal der Öffnung
sehen. Argentinien bleibt weiterhin von Inflation und
Abschottung gebeutelt, und ob die Präsidentschaftswah-
len im November zu einem dringend notwendigen Neu-
anfang in diesem so sehr unter seinen Möglichkeiten
bleibenden Land führen werden, bleibt abzuwarten.

Demgegenüber setzen insbesondere die Länder der
Pazifik-Allianz – Chile, Kolumbien, Mexiko und Peru –
erfolgreich auf wirtschaftliche Öffnung und Marktwirt-
schaft. Sie wenden sich dabei auch verstärkt den beson-
ders dynamischen Wachstumsmärkten Asiens zu.

Das gilt übrigens auch umgekehrt: China plant in
den kommenden zehn Jahren Investitionen von über
250 Milliarden Dollar in Lateinamerika. Dieses chinesi-
sche Engagement in der Region sollten wir aufmerksam
verfolgen. Es sollte uns ein Ansporn sein, Lateinamerika
unsererseits ebenfalls die notwendige Aufmerksamkeit
zu widmen, um keine einseitigen Abhängigkeiten als rei-
ner Rohstoffexporteur oder von einzelnen Handelspart-
nern entstehen zu lassen.

Als größtes Land Lateinamerikas und als einer der
BRIC-Staaten nimmt Brasilien wirtschaftlich und poli-
tisch eine Schlüsselstellung ein. Im Juli werden im Rah-
men unserer strategischen Partnerschaft erstmals auch
umfassende deutsch-brasilianische Regierungskonsulta-
tionen in Brasilia stattfinden.

Wir können unsere Partner in Lateinamerika nur er-
mutigen, wirtschaftlich wie politisch auf verstärkte Zu-
sammenarbeit und regionale Integration zu setzen. So
wäre auch eine stärkere Annäherung von Pazifik-Allianz
und Mercosur zweifelsohne wünschenswert, nicht nur,
was die Größe und Relevanz des gemeinsamen Marktes
angeht, sondern auch die grundsätzliche wirtschaftspoli-
tische Ausrichtung. Dies könnte auch der Diskussion für
ein Freihandelsabkommen zwischen dem Mercosur und
der EU neue Impulse geben.





Dr. Andreas Nick


(A) (C)



(D)(B)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade auch für die
Menschen in Lateinamerika bietet das klare Bekenntnis
zu menschenwürdiger Arbeit, nachhaltigem Wachstum
und offenen Märkten große Chancen. Von Zusammen-
halt geprägte und nachhaltige Gesellschaften müssen
unser gemeinsames Ziel sein: in Europa, in Lateiname-
rika und weltweit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810603100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/4934. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke abgelehnt.

Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/4935. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke abgelehnt.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/4936. Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen?
– Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Frak-
tion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt.

Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/4937. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen und
umfassend regulieren

Drucksache 18/4839
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion
Die Linke hat der Kollege Klaus Ernst.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810603200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Im Koalitionsvertrag steht – lassen Sie mich das
zitieren –:

Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunk-
tionen hin orientieren.

Was wären die Kernfunktionen bei Leiharbeit? Zum Bei-
spiel Auftragsspitzen abbauen, zum Beispiel Personal-
engpässe ausgleichen. Wir sind weit von dieser Praxis
entfernt, und ich kann bis jetzt noch keine Anstrengung
der Koalition erkennen, das, was sie in den Koalitions-
vertrag geschrieben hat, auch umzusetzen.

Wie ist die Praxis? Leiharbeitnehmer und Leiharbeit-
nehmerinnen verdienen bis zu 30 Prozent weniger als
die, die sonst im Betrieb fest beschäftigt sind. Leiharbeit
wird eingesetzt, um den Kündigungsschutz zu umgehen.
Dem Leiharbeitnehmer muss nämlich nicht gekündigt
werden, wenn er aus dem Betrieb entfernt wird. Leihar-
beit dient zur Disziplinierung der Stammbelegschaften,
und Leiharbeit dient auch zur Durchlöcherung des Tarif-
systems.

Meine Damen und Herren, Sie betreiben zurzeit einen
großen Aufwand, um möglichst schnell ein Gesetz zur
Tarifeinheit herbeizuführen, über das wir morgen disku-
tieren. Wenn Sie wirklich etwas für die Tarifeinheit tun
wollen – denn jeder Leiharbeitnehmer und jede Leihar-
beitnehmerin steht außerhalb des Tarifvertragssystems
der anderen –, dann schaffen Sie endlich klare Verhält-
nisse auf dem Arbeitsmarkt und regulieren Sie Leihar-
beit.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Verhindern Sie, dass dort Menschen, die dieselbe Tätig-
keit wie die anderen ausführen, entweder in einem ande-
ren Tarifvertrag oder – wie meistens – in gar keinem
beschäftigt sind. Da machen Sie nichts, sondern Sie
schauen zu. Wenn Sie nur halb so schnell wie bei der
Tarifeinheit wären, die Sie gesetzlich regeln wollen,
dann hätten wir für viele Hunderttausende von Men-
schen bessere Arbeitsbedingungen und nicht das, was
wir gegenwärtig erleben.


(Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Oder gar keine Arbeit!)


Leiharbeit dient auch dazu, Streikbruch zu organisie-
ren. Gegenwärtig ist das bei der Deutschen Post der Fall,
die sich in einem Arbeitskampf befindet. Die Deutsche
Post ist zum Teil im Eigentum des Bundes. Wir haben
Anfragen gestellt, wie Sie dort die Tarifflucht verhindern
wollen. Sie tun so, als würde Ihnen der Betrieb gar nicht
gehören und als hätten Sie als Eigentümer null Einfluss
auf den Aufsichtsrat. Das ist unerträglich. Auch dort
sage ich Ihnen: Wenn Sie wirklich etwas regeln wollen
und Einfluss auf Leiharbeit nehmen wollen, dann ver-





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)

hindern Sie, dass bei der Post, deren Eigentümer Sie
sind, Leiharbeiter als Streikbrecher eingesetzt werden.
Das wäre einmal eine gute Idee.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zu Ihren Vorschlägen im Koalitionsver-
trag. Sie sagen, die Überlassungsdauer solle bei Leihar-
beitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern auf 18 Monate
begrenzt werden. Gleichzeitig wollen Sie regeln, dass
nach neun Monaten das gleiche Geld wie in der Stamm-
belegschaft zu zahlen ist. Warum eigentlich erst nach
neun Monaten?


(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Einarbeitungszeit!)


– Einarbeitung. Da merkt man, dass Sie von der Praxis
genauso viel Ahnung haben wie eine Kuh vom Fußball-
spielen.


(Beifall bei der LINKEN – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Reden Sie nicht von Kühen!)


Wenn Sie Ahnung hätten, würden Sie wissen, dass jeder,
der neu im Betrieb anfängt, egal ob er Leiharbeitnehmer
ist oder nicht, natürlich nicht dasselbe Geld bekommt
wie einer, der schon zehn Jahre beschäftigt ist. Es gibt in
jedem Betrieb so etwas wie Einarbeitung. Dass aber der
Leiharbeitnehmer noch einmal schlechtergestellt werden
soll als der, der normal im Betrieb neu anfängt, ist nicht
hinzunehmen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ungerecht ist das!)


Das ist auch deshalb nicht hinzunehmen, weil Sie ge-
nau wissen, dass in der Regel ein Leiharbeitnehmer im
Schnitt gerade einmal drei Monate beschäftigt ist. Was
würde es ihm nützen, wenn die Überlassungsdauer auf
18 Monate festgelegt wird, wenn er nur drei Monate be-
schäftigt ist? Was würde es ihm nützen, wenn er nach
neun Monaten gleichen Lohn für gleiche Arbeit kriegt,
wenn er dann gar nicht mehr im Betrieb ist? Es ist doch
nichts anderes als ein Placebo, was Sie hier in Ihrem
Koalitionsvertrag vereinbart haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir haben inzwischen ein
Riesenproblem. Ein Drittel der Beschäftigten in der
Metallindustrie sind als Leiharbeitnehmer oder als
Werkvertragsbeschäftigte eingestellt. In der Automobil-
industrie kommen auf 736 000 Stammbelegschaftsleute
inzwischen 100 000 Leiharbeitnehmer und 250 000
Werkvertragsbeschäftigte. Da wäre Handeln dringend
geboten. Sie aber sitzen dieses Problem einfach aus. Die
Lage der Arbeitnehmer ist dramatisch: Zwei Drittel sind
unter dem Niedriglohnsockel; sie sind oft Aufstocker
und landen in Altersarmut.

Meine Damen und Herren, was tun? Unsere Forde-
rungen sind ganz einfach: Gleicher Lohn bei gleicher
Arbeit ab der ersten Stunde plus 10 Prozent wie in
Frankreich! Warum soll der Arbeitnehmer in Deutsch-
land schlechtergestellt werden als der Franzose? Wa-
rum?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es würde genügen, Leiharbeit für drei Monate zu akzep-
tieren. Dann müsste das in einen Vollzeitjob umgewan-
delt werden. Verbot von Streikbruch – ganz wichtig!
Und: Synchronisationsverbot! Das heißt, der Leiharbei-
ter darf nicht nur für die Dauer, für die er verliehen wird,
beim Verleiher eingestellt werden, sondern die Beschäf-
tigung bei seinem Verleiher muss unbefristet sein. Das
wären Regelungen, die dringend notwendig wären,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen zum Schluss: Die Linke ist eigentlich
prinzipiell gegen Leiharbeit. Ich kann Ihnen sagen,
warum. Ein Arbeitgeber stellt einen Arbeitnehmer nur
dann ein, wenn er weiß, dass dieser ihn weniger kostet,
als er ihm bringt; sonst macht es für ihn keinen Sinn. Ein
Arbeitnehmer in einem normalen Arbeitsverhältnis muss
einem Arbeitgeber die Kohle bringen. Bei einem Verlei-
her ist noch einer da. Da muss der Arbeitnehmer prak-
tisch zwei Arbeitgeber bedienen. Er muss sozusagen für
zwei Arbeitgeber gewinnbringend sein. Deshalb wird er
auch schlechter bezahlt als woanders. Deshalb sagen
wir: Leiharbeit brauchen wir nicht! Machen wir Ord-
nung auf dem Arbeitsmarkt! Schauen wir, dass jeder an-
ständig beschäftigt wird – Vollzeit, unter Geltung von
Tarifverträgen – und nicht verliehen wird wie eine Kuh!

Danke für das Zuhören.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810603300

Der Kollege Karl Schiewerling hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1810603400

Herr Kollege Ernst, wir kennen die Reden, die Sie

halten, mittlerweile nahezu auswendig; sie werden da-
durch nicht besser. Sie sind hier mit Abstand einer der
Lustigsten unter der Sonne. Sie bringen permanent ein
Beispiel mit der Kuh – und das auch noch bei dem Kol-
legen Stegemann, einem Milchlandwirt. Wenn Sie hier
sagen, der habe keine Ahnung von Kühen,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Vom Fußballspielen, habe ich gesagt! Wie eine Kuh vom Fußballspielen! – Gegenruf des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Dessen Kühe spielen besser Fußball!)


dann muss ich Ihnen sagen: Sie müssen das schon gut
überlegen. Es geht übrigens auch nicht um das Verleihen
von Kühen.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)

Weil Sie gerade mit der Deutschen Post unterwegs
sind, weil da gestreikt wird, will ich Ihnen am Anfang
nur sagen – ich finde auch nicht alles toll, was da statt-
findet –: Der Bund ist nicht Eigentümer der Post. Er hat
gerade mal ein Aufsichtsratsmitglied. Er hat niemanden
im Vorstand.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 21 Prozent!)


Der Vorstand handelt. Der Aufsichtsrat führt Aufsicht,
und da ist der Bund nur mit einer Person vertreten.
Deswegen gibt es Grenzen.

Da Sie von Leiharbeit offensichtlich genauso viel
Ahnung haben wie von Unternehmensrecht, wissen Sie
nicht, dass die Einflussnahme nicht gegeben ist. Im
Klartext: Da Sie das offensichtlich nicht wissen, will ich
Ihnen einige Minuten Nachhilfe zum Thema Zeit- und
Leiharbeit geben.


(Zuruf von der LINKEN: Was ist denn der Unterschied?)


Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland
über 42 Millionen erwerbstätige Menschen, davon über
30 Millionen in sozialversicherungspflichtigen Beschäf-
tigungsverhältnissen. Es gibt 7,2 Millionen Minijobs.
1,5 Millionen Schülerinnen und Schüler und Studenten
haben Minijobs, 1,5 Millionen Rentnerinnen und Rent-
ner, 2 Millionen Menschen, die obendrauf Geld verdie-
nen, neben ihrem normalen Einkommen, und 2 Millio-
nen Menschen, die ausschließlich aus einem solchen Job
Einkünfte haben. Daneben gibt es etwa 250 000 Men-
schen, die im haushaltsnahen Bereich tätig sind; eine be-
sondere Situation. – Das sind die Rahmenbedingungen.

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 2,8 Millionen. Davon
sind allerdings – das stimmt – 1,9 Millionen langzeit-
arbeitslos. Es kommt darauf an, diese Menschen wieder
in Beschäftigung zu bringen. Was der Zusammenhang
mit der Zeitarbeit ist, will ich Ihnen sagen: Zurzeit sind
etwa 900 000 Menschen in der Zeitarbeit tätig. Das sind
gerade einmal 2,6 Prozent aller sozialversicherungs-
pflichtig Beschäftigten in Deutschland. Ich rate Ihnen,
Herr Ernst, hier nicht wiederum den Eindruck zu vermit-
teln, als sei ganz Deutschland in Zeit- und Leiharbeit an-
gestellt. Das sind gerade einmal 2,6 Prozent.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt doch überhaupt niemand!)


Und da Sie auf die Entwicklung eingegangen sind: Ja,
es geht darum – das steht im Koalitionsvertrag –, über
die Frage der Kernfunktion von Zeitarbeit nachzuden-
ken. Aber die Kernfunktion von Zeitarbeit hat sich im
Laufe der Zeit, seitdem es Zeitarbeit gibt, gewandelt.
Die gesetzlichen Regelungen wurden aus gutem Grunde,
weil man auf Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zeit-
nah und vernünftig reagieren musste, immer wieder vom
Gesetzgeber entsprechend angepasst.

Richtig ist auch, dass angesichts der Verwerfungen,
die wir seit dem Jahr 2004 aufgrund der hohen Arbeits-
losigkeit in Deutschland hatten, manche meinten, alles
und jedes müsste bis zur Unkenntlichkeit dereguliert
werden. Deshalb haben einige – ja, das ist richtig – in
der Zeit- und Leiharbeit Grenzen überschritten und ge-
glaubt, sie könnten machen, was sie wollten. Aber das ist
reguliert worden. Das haben wir in der letzten Koalition
bereits gemacht. Das Problem, dass Leute einfach ausge-
gliedert wurden in einen Zeitbetrieb desselben Unterneh-
mers, wie es bei der sogenannten Schlecker-Drehtür der
Fall war, haben wir bereits angepackt und unterbunden.
Wir haben mittlerweile 98 Prozent aller Zeit- und Leih-
arbeiter in Tarifverträgen, und wir haben mittlerweile ei-
nen allgemein verbindlichen, anerkannten Mindestlohn,
der im Westen bei 8,80 Euro und im Osten bei 8,50 Euro
liegt und der in weiteren Schritten bis 2016 angepasst
und um 10 bis 13,4 Prozent erhöht wird. Deswegen gibt
es in der Zeit- und Leiharbeit kein blankes Elend und
keine Verelendung. Vielmehr haben wir dort eine ganze
Menge reguliert und nach vorne gebracht.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es gibt immer noch Ungerechtigkeiten!)


Insofern rate ich Ihnen, sich mit Ihrem Antrag zurück-
zuhalten, insbesondere was so eine verrückte Forderung
nach einem Mindestlohn in Höhe von 10 Euro angeht.
Das bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen,


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


dass es zu einem Überbietungswettbewerb käme, wenn
wir hier im Deutschen Bundestag die Höhe des Mindest-
lohns festlegen würden. Deswegen bin ich froh, dass wir
eine Mindestlohnkommission haben, die sachgerecht die
entsprechenden Entscheidungen trifft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will Ihnen noch einmal einige wenige Zahlen zur
Zeit- und Leiharbeit nennen: 55 Prozent aller neuen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die seit 2014 in Zeit-
arbeitsunternehmen tätig werden, waren zuvor arbeits-
los. 10 Prozent aller Zeitarbeitnehmer, die dort tätig
sind, waren zuvor noch nie beschäftigt. 29 Prozent aller
Zeitarbeitnehmer haben keinen Berufsabschluss. Ich
sage Ihnen: Zeitarbeit und Leiharbeit sind von ihrer
Kernfunktion immer noch das, und zwar in verstärktem
Maße, was sie ursprünglich waren, nämlich neben dem
Abfangen von Auftragsspitzen auch für viele, ob uns das
passt oder nicht, eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt.
Das Instrument wirkt also.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das schlechteste Instrument!)


Das ist nicht umsonst 2004 in entsprechender Weise or-
ganisiert worden


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man anders organisieren!)


und entfaltet nicht umsonst jetzt seine entsprechende
Wirkung.

Ich will Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, dass wir
natürlich auch Verwerfungen sehen. Aber Verwerfungen





Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)

gibt es in jeder Branche. Ich habe gestern auf Einladung
der Präsidentin der Handwerkskammer Ostwestfalen-
Lippe zu Bielefeld, unserer Kollegin Lena Strothmann,
ein Gespräch mit Wirtschaftsjunioren aus dem deutschen
Handwerk geführt. Wenn mir in der Diskussion ein
Malermeister aus dem Rhein-Main-Gebiet erzählt, dass
er mit Zeitarbeits- und Leiharbeitsunternehmen zu tun
hatte, die sich offensichtlich nicht an Recht und Ordnung
halten, und er als Malermeister schon nicht bezahlte
Sozialabgaben nachzahlen musste, weil der Betrieb, der
entliehen hat, das nicht getan hat, dann sage ich Ihnen:
Das sind Situationen, die wir nicht gutheißen können.
Aber das, was diese Unternehmen machen, ist illegal,
verstößt gegen Recht und bestehende Gesetze.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat der Malermeister eingestellt?)


Wir können nicht permanent noch weitere Gesetze ma-
chen. Wenn gegen bestehende Gesetze verstoßen wird,
dann müssen die Dinge vernünftig kontrolliert und auch
angepackt werden. Deswegen sind die Zeit- und Leihar-
beitsbranche und die entsprechenden Unternehmerver-
bände aufgefordert, die Spreu vom Weizen zu trennen
und dafür zu sorgen, dass es Ordnung in ihrer Branche
gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu Ihrem Hinweis betreffend die Werkverträge: Die
Werkverträge sind ein uraltes Instrument, geregelt im
BGB seit über 100 Jahren. Zu Problemfällen, die wir in
letzter Zeit hatten, gibt es Richterrecht. Außerdem gibt
es klare Abgrenzungen, Kriterien und Definitionen ge-
genüber der Zeit- und Leiharbeit sowie anderen Beschäf-
tigungsformen. Wenn es Missbrauch gibt, ist auch dort
Kontrolle auszuüben. Wir können uns hier bei der Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit informieren.


(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Diese Stelle hat mittlerweile viel Erfahrung in diesem
Bereich gesammelt und kann uns sagen, wie wir Kon-
trolle ausüben können. Wir sollten uns aber wirklich gut
überlegen, ob wir zusätzliche Gesetze brauchen. Wenn
die bestehenden Gesetze und Regelungen, die durch
Richterrecht geschaffen worden sind, offensichtlich in
der Praxis nicht richtig angewandt werden, dann muss
man bei der Kontrolle ansetzen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist zu wenig! Die Richter wollen auch Kriterien! Das hat die Anhörung ergeben!)


Herr Ernst, was Sie wollen, ist in Wirklichkeit nichts
anderes als die Abschaffung der Zeit- und Leiharbeit;


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!)


das haben Sie deutlich gesagt. Es ist ehrlich, dass Sie das
so gesagt haben. Aber dann sagen Sie es auch so;


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Habe ich ja gesagt! Sie sagen ja selber, dass ich es gesagt habe!)

dann können Sie Ihre Rede auf einen Satz reduzieren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810603500

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Beate Müller-Gemmeke das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Die Zersplitterung der Tarifland-
schaft ist ja gerade das große Thema der Koalitions-
fraktionen. Verantwortlich machen Sie dafür die
Tarifpluralität, also die Konkurrenz zwischen den Ge-
werkschaften. Tatsächlich zersplittert die Tariflandschaft
aber durch Scheinwerkverträge, Leiharbeit und Schein-
selbstständigkeit. Also lassen Sie das, was Sie mit dem
Gesetz zur Tarifeinheit vorhaben, und kümmern Sie sich
endlich um die echten Probleme!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mit Werkverträgen und Leiharbeit unterlaufen die
Arbeitgeber den Kündigungsschutz, die betriebliche
Mitbestimmung, die Bezahlung nach Tarif und somit
den sozialen Schutz der Beschäftigten. Gewerkschaftli-
che Errungenschaften stehen damit nur noch auf dem
Papier. So wird der gesellschaftliche Konsens der Sozi-
alpartnerschaft aufgekündigt. So zersplittern die Beleg-
schaften. Das ist nicht akzeptabel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist also gut, dass die Linken heute dieses Thema auf
die Tagesordnung gesetzt haben. Die Debatte ist notwen-
dig. Inhaltlich sind wir uns an manchen Stellen einig,
aber nicht in jedem Punkt. Darüber werden wir aber im
Ausschuss noch ausführlich diskutieren.

Zum Thema Leiharbeit: Für uns Grüne ist und bleibt
die Leiharbeit ein Instrument für mehr Flexibilität.
Heute profitieren die Unternehmen von der Leiharbeit
aber doppelt. Sie erhalten Flexibilität und billigere Ar-
beitskräfte. Diese Fehlentwicklung wollen wir korrigie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Korrektur geht nur über den Preis. Deshalb wollen
auch wir Equal Pay ab dem ersten Tag. Auch wir wollen
einen Flexibilitätsbonus von 10 Prozent. Für die Be-
triebe lohnt sich Leiharbeit dann nur vorübergehend, und
die Beschäftigten erhalten dann endlich einen fairen
Lohn und somit Anerkennung und Wertschätzung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Koalitionsfraktionen planen hingegen, Equal Pay
erst nach neun Monaten vorzuschreiben. Das macht
überhaupt keinen Sinn; denn die wenigsten Leiharbeits-





Beate Müller-Gemmeke


(A) (C)



(D)(B)

kräfte werden davon profitieren. Wir alle wissen – das
wurde schon angesprochen –, dass die Leiharbeitskräfte
in der Mehrzahl schon nach drei Monaten wieder ar-
beitslos sind.

Liebe SPD, ich finde, das ist schon hart: Die Warte-
zeit von neun Monaten, das war ein Vorschlag von der
FDP. Das wurde von Ihnen in der letzten Legislatur-
periode heftigst kritisiert. Ich höre noch immer die per-
manenten Zurufe aus Ihrer Fraktion in der damaligen
Debatte. Das heißt, Sie sind an diesem Punkt heftig ein-
geknickt. Daran werden wir Sie immer wieder erinnern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wären Sie auch, wenn Sie an der Regierung wären!)


Wir wollen übrigens keine Höchstüberlassungsdauer.
Auftragsspitzen sind unterschiedlich je nach Branche.
„Vorübergehend“ bedeutet nun einmal „nur auf Zeit“, je
nach besonderen Auftragslagen. Diese Definition ist
ausreichend, damit Betriebsräte oder eben auch Gerichte
tätig werden können. Die geplante Höchstüberlassungs-
dauer von 18 Monaten – aber auch eine Höchstüber-
lassungsdauer von drei Monaten – lehnen wir ab; denn
dadurch entstehen nur Drehtüreffekte. Entleihbetriebe,
die die Beschäftigten nicht übernehmen wollen, sondern
weiterhin auf billigere Arbeitskräfte setzen, geben doch
ganz einfach die Leiharbeitskräfte nach neun Monaten
oder spätestens nach 18 Monaten zurück. Und das geht
nur zulasten der betroffenen Leiharbeitskräfte. Deshalb
lehnen wir diese Regelungen ab. Sie sind nicht gerecht
und auch nicht fair.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt zu den Werkverträgen – die Entwicklung dort ist
eigentlich das größere Problem –: Die menschenunwür-
digen Bedingungen durch Werkverträge in der Fleisch-
branche sind bekannt; die kennen wir alle. Im Einzelhan-
del gibt es die Regaleinräumerinnen und -einräumer, und
mittlerweile wird der gesamte Kassenbereich über Werk-
verträge organisiert. Im Druckbereich werden Schichten,
aber auch der Betrieb von ganzen Rotationsmaschinen
per Werkvertrag vergeben. Fündig werden wir auch in
Hotels, im Transportbereich, natürlich in der Metallbran-
che. Bei den Werkverträgen sind der Fantasie keine
Grenzen gesetzt.

Häufig leisten die Beschäftigten mit Werkvertrag die
gleiche Arbeit auf demselben Betriebsgelände wie die
Kolleginnen und Kollegen mit einem regulären Arbeits-
vertrag, allerdings oft für deutlich weniger Lohn. Und
wenn irgendetwas am Arbeitsplatz nicht stimmt, dann
können sie sich nicht einmal beim Betriebsrat beschwe-
ren. Denn der ist für sie nicht zuständig. Das alles geht
gar nicht. Für uns hört die unternehmerische Freiheit bei
Lohndumping auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Denn bei solchen Werkverträgen geht es darum, Lohn-
kosten einzusparen. Es geht um Tarifflucht von einem
guten in einen schlechteren Tarifvertrag. Und häufig be-
steht überhaupt keine Tarifbindung mehr.
Vor kurzem ist ja die Studie der Bertelsmann Stiftung
veröffentlicht worden; darin sind die Folgen beschrie-
ben. Heute sind nur noch 35 Prozent der Betriebe tarif-
gebunden. Der Lohnunterschied zwischen den Betrieben
mit und ohne Tarifbindung ist gestiegen, und zwar auf
19 Prozent. Wenn der Anstand in Teilen der Wirtschaft
verloren geht, dann müssen die Rahmenbedingungen
verändert werden zum Schutz der Beschäftigten, aber
auch zum Schutz der verantwortungsvollen Betriebe.

Notwendig sind eindeutige Kriterien. Wenn Werkver-
träge für fachfremde Arbeiten mit gelegentlichem
Charakter oder für spezialisierte Tätigkeiten eingesetzt
werden, dann ist das unbedenklich. Das entspricht einer
modernen Arbeitswelt. Problematisch wird es aber,
wenn Werkvertragsbeschäftigte die gleichen Tätigkeiten
verrichten wie das Stammpersonal oder bisherige Tätig-
keiten, die dem Wesen des Betriebs entsprechen, per
Werkvertrag vergeben werden. Dann ist das kein
„Werk“, sondern dann handelt es sich schlichtweg um
nichts anderes als Scheinwerkverträge und Tarifflucht.

Die Arbeitswelt ist schon heute gespalten, und die
Fehlentwicklungen durch Scheinselbstständigkeit und
Scheinwerkverträge werden das noch verschärfen. Diese
Entwicklung muss endlich gestoppt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Re-
gierungskoalition, Sie haben wegen des verfassungswid-
rigen Tarifeinheitsgesetzes wertvolle Zeit verloren. Ich
sage es noch einmal: Die Tariflandschaft und die Beleg-
schaften zersplittern nicht wegen der Tarifpluralität, son-
dern aufgrund von Scheinwerkverträgen, Leiharbeit und
Tarifflucht. Nehmen Sie diese Entwicklung endlich
ernst! Ankündigungen sind aber zu wenig. Legen Sie
endlich etwas auf den Tisch!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810603600

Das Wort hat die Kollegin Katja Mast für die SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1810603700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir reden über die Regulierung von Leiharbeit und
Werkverträgen, aber ich will am Anfang meiner Rede
doch noch einmal klarstellen: Für uns in der Regierungs-
koalition ist die Frage der Stärkung der Tarifautonomie
eine ganz zentrale.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Stegemann [CDU/CSU])


Deshalb haben wir den flächendeckenden gesetzli-
chen Mindestlohn eingeführt, die Möglichkeit für All-
gemeinverbindlichkeitserklärungen verbessert und das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen geöff-





Katja Mast


(A) (C)



(D)(B)

net. Ursprünglich wollten wir all das gemeinsam mit
dem Gesetz zur Tarifeinheit verabschieden, haben dann
aber wegen der heiklen verfassungsrechtlichen Fragen
gesagt: Da müssen wir noch etwas mehr Gehirnschmalz
hineinlegen als in die genannten Punkte, die in der Tat
einfacher zu regeln waren. Sich hier nun hinzustellen
und uns zu sagen: „Sie beschäftigen sich mit Tarifeinheit
und kümmern sich nicht um Tarifautonomie“, halte ich
an der Stelle für eine Unverschämtheit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Bezüglich Leiharbeit und Werkverträgen ist für uns
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten klar, dass
im Betrieb gelten muss: gemeinsam arbeiten, gleich ver-
dienen und gleich behandelt werden.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ach!)

Das ist für uns Recht und Ordnung auf dem Arbeits-
markt.


(Beifall bei der SPD)

Dass das nicht immer der Fall ist, haben einige meiner
Vorredner ja schon gesagt. Es gibt in den Betrieben eine
Zwei- und Dreiklassenbelegschaft. Es ist beispielsweise
so, dass es in der Automobilindustrie in der Montage
eine Stammbelegschaft, Leiharbeitnehmerinnen und -ar-
beitnehmer und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit
einem Werkvertrag gibt. Die Leiharbeitnehmerinnen und
-arbeitnehmer verdienen ungefähr 30 Prozent weniger
als ihre Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter mit einem Werkvertrag ungefähr 70 Prozent
weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen. Klar ist: Zu
einer sozialen Marktwirtschaft gehört, dass diejenigen,
die das Gleiche tun, das Gleiche verdienen müssen. Des-
halb ist es richtig, dass Leiharbeit und Werkverträge re-
guliert werden.


(Beifall bei der SPD)

Die IG Metall hat eine Umfrage zu diesem Thema

durchgeführt – der Kollege Ernst hat es vorhin schon er-
wähnt – und festgestellt: In der Automobilindustrie stel-
len ungefähr 760 000 Kolleginnen und Kollegen die
Stammbelegschaft, 100 000 Kolleginnen und Kollegen
sind Leiharbeiter und 250 000 in Werkvertragskonstella-
tionen. Es besteht dort also ein Verhältnis von 2 : 1. In
der Luftfahrt stellen 73 000 Kolleginnen und Kollegen
die Stammbelegschaft, 10 000 Kolleginnen und Kolle-
gen sind Leiharbeiter und 10 000 Kolleginnen und Kol-
legen in Werkvertragskonstellationen.

Zum Dienstleistungsbereich: In Krankenhäusern
– dazu liegen zurzeit mehrere Petitionen im Petitions-
ausschuss vor – gibt es beispielsweise die Tendenzen,
ganze Krankenhauseinheiten auszugliedern und Auf-
träge über Werkvertragskonstellationen zu vergeben. Zu
sagen: „Es gibt kein Problem“, negiert diese Realität in
den Betrieben in unserem Land.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])


Wenn wir sagen: „Wir in der Regierungskoalition aus
CDU/CSU und SPD wollen Leiharbeit und Werkver-
träge regulieren“, dann geht es uns nicht nur darum, zu
erklären: Das ist für die Kolleginnen und Kollegen im
Betrieb nicht in Ordnung. Vielmehr ist das auch für die
ehrlichen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nicht in
Ordnung; denn am Schluss sind sie die Dummen. Sie
werden dann durch den Konkurrenzdruck dazu gezwun-
gen, ähnliche Betriebspraktiken einzuführen. Wer
glaubt, dass das nicht der Fall sei, sollte sich einmal die
aktuellen Debatten bei DHL und Post sowie in den Kran-
kenhäusern ansehen. Da sehen wir sehr genau, was pas-
siert. Es gibt Unternehmen mit einer guten Mitbestim-
mung und gut ausgestatteten Arbeitssituationen, die in
weniger stark tarifgebundene und mitbestimmte Struktu-
ren gehen, eben in Richtung Werkvertragskonstellatio-
nen. Genau deshalb muss das Parlament handeln. Wir
können nicht zuschauen; denn an dieser Stelle ist die so-
ziale Marktwirtschaft in Gefahr.


(Beifall bei der SPD)


Im Betrieb sieht das dann oft so aus, dass die Kolle-
ginnen und Kollegen in Leiharbeit oder mit Werkverträ-
gen unterschiedliche Arbeitskleidung haben, unter-
schiedliche Preise in der Kantine bezahlen und nicht auf
den gleichen Parkplätzen parken dürfen etc., weil sie
eben keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stamm-
belegschaft sind. Deshalb haben wir im Koalitionsver-
trag vereinbart, dass wir Leiharbeit regulieren. Alle, die
diese Debatte schon länger verfolgen, wissen: Die SPD
hätte sich ein bisschen mehr vorstellen können als das,
was im Koalitionsvertrag steht. Aber wer glaubt, da sei
keine Musik drin, irrt. Denn wir bekommen laufend An-
fragen von Verbänden, Unternehmen und Arbeitnehmer-
organisationen, die mit uns über dieses Thema reden
wollen, und zwar sehr intensiv. Also, da ist ordentlich
Musik drin.

Bei der Leiharbeit wollen wir definieren, was der Ge-
setzgeber unter „vorübergehend“ versteht. Nachdem wir
uns da lange Zeit gelassen haben, bin ich froh, dass wir
jetzt eine Regelung gefunden haben und unter „vorüber-
gehend“ grundsätzlich 18 Monate verstehen. Wir wollen
Leiharbeit auf ihre Kernfunktion zurückführen. Wir wol-
len sie also nicht abschaffen, sondern auf ihre Kernfunk-
tion zurückführen. Wir wollen, dass sie ein Instrument
ist, um bei Auftragsspitzen und zu Urlaubszeiten schnell
zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bekom-
men. Wir wollen aber nicht ganze Produktionszyklen
oder sogar mehrere Produktionszyklen über Leiharbeit
organisieren.

Wir wollen, dass spätestens nach neun Monaten gilt:
gleiches Geld für gleiche Arbeit. Liebe Beate Müller-
Gemmeke, natürlich hätten wir es gerne gesehen, wenn
das noch früher gelten würde. Aber Koalitionen sind
Bündnisse auf Zeit. Wir können uns im nächsten Bun-
destagswahlkampf darüber streiten, was wir uns vorneh-
men. Aber die Regelung mit den neun Monaten ist an
der Stelle immerhin besser als nichts.


(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir wollen nicht, dass Leiharbeitnehmer als Streik-
brecher eingesetzt werden. Und wir wollen eine gesetzli-





Katja Mast


(A) (C)



(D)(B)

che Klarstellung, dass die Zahl der Leiharbeitnehmer bei
der Berechnung der Schwellenwerte für Mitbestimmung
einbezogen wird, sodass die Firmengröße bei den Be-
triebsratswahlen tatsächlich abgebildet wird.

Wir stellen aber eines fest: In der Leiharbeit stagnie-
ren seit 2011, als wir durchgesetzt haben, dass es dort ei-
nen Mindestlohn gibt, die Beschäftigtenzahlen, während
Werkvertragskonstellationen zunehmen. Deshalb ist es
wichtig, dass wir nicht das eine regulieren, ohne das an-
dere im Auge zu behalten. Deshalb wollen wir auch
Werkverträge regulieren, rechtswidrige Vertragskon-
struktionen zulasten der Arbeitnehmer verhindern, die
Kontroll- und Prüftätigkeiten bei der Finanzkontrolle
Schwarzarbeit konzentrieren. Wir wollen die Informa-
tions- und Unterrichtungsrechte der Betriebsräte sicher-
stellen und Abgrenzungskriterien, die durch Rechtspre-
chung geschaffen wurden – das hat mein Kollege
Schiewerling auch schon gesagt –, gesetzlich niederle-
gen. All das steht im Koalitionsvertrag. Wir werden da
ab Herbst ganz gut zu tun haben.

Zur Frage der Abschaffung von Werkverträgen – ja
oder nein – zitiere ich kurz mit Zustimmung der Präsi-
dentin den IG-Metall-Vorsitzenden Detlef Wetzel –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810603800

Mit Blick auf die Uhr.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schnelles Zitat!)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1810603900

– ja, ganz kurz –:

„Ich habe nichts gegen Werkverträge generell“,
sagte Wetzel im SPIEGEL. „Ich habe aber entschie-
den etwas dagegen, wenn sie genutzt werden, das
Lohnniveau massiv zu drücken.“ Die von der IG
Metall erhobenen Zahlen zeigten, dass

– davon habe ich gerade schon gesprochen –

„weite Teile der deutschen Wirtschaft den Gesell-
schaftsvertrag des Landes aufkündigen wollen“, so
Wetzel. „Das ist ein Anschlag auf die soziale
Marktwirtschaft.“

Da hat er recht. Deshalb diskutieren wir ab Herbst über
die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen in
der Koalition.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810604000

Das Wort hat der Kollege Albert Stegemann für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1810604100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Und täglich grüßt das Murmeltier, ein weiterer An-
trag Ihrer Partei, ein weiteres Schreckensszenario auf
dem Arbeitsmarkt und ein weiterer Ruf nach staatlichen
Eingriffen. Wenn ich Ihre Begründung lese, werde ich
das Gefühl nicht los, dass auf dem deutschen Arbeits-
markt vorindustrielle Zustände grassieren müssen. Ich
lese von einem „Klima der Angst“ bei den Arbeitneh-
mern. Arbeitgeber würden jedwede Möglichkeit nutzen,
um geltende Regelungen zu umgehen und ihre Mitarbei-
ter unter Druck zu setzen. Sie schmeißen Werkverträge
und Zeitarbeit lustig in einen Topf und negieren, dass
solche Formen der Beschäftigung ihren festen Platz auf
dem Arbeitsmarkt haben. Hierbei blenden Sie drei
Punkte aus.

Punkt eins. Sie erwähnen mit kaum einem Wort, dass
sich in der Zeitarbeit die Situation grundlegend verbes-
sert hat.


(Zurufe von der LINKEN)


Die vielen gesetzlichen und tariflichen Änderungen spa-
ren Sie aus: Zeitarbeit ist ein gut regulierter und speziel-
ler Teil des Arbeitsmarktes, der Menschen auch Chancen
bietet.

Punkt zwei. Werkverträge sind selbstverständlicher
Bestandteil des Wirtschaftslebens. Sie sind Grundpfeiler
einer arbeitsteiligen Wirtschaft, deren Kriterien in der
Rechtsprechung vollumfänglich behandelt wurden.

Punkt drei – schließlich als Letztes. Sie streuen den
Menschen leichtfertig Sand in die Augen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir? Ja, klar!)


Sie fordern Einschnitte mit dem Vorschlaghammer, sa-
gen aber nichts über deren gravierende Auswirkungen.
Sie schaden damit nicht nur den Unternehmen, sondern
Sie verschließen Menschen auch eine Zukunft für sich
und ihre Familien. Eine Beschäftigung bietet immer
auch eine Perspektive, Selbstbestätigung und Chancen
auf ein besseres Leben.

So möchte ich im Folgenden diese drei Punkte weiter
ausführen und beginne mit Punkt eins, der Zeitarbeit. In
keinem anderen Wirtschaftsbereich ist die Tarifbindung
heute so hoch wie in der Arbeitnehmerüberlassung.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich kann dieses Argument nicht hören!)


Und wir reden hier nicht über irgendwelche Tarifver-
träge. In ganz intensiven – und sicherlich nicht immer
einfachen – Verhandlungen haben Arbeitgeber und der
Deutsche Gewerkschaftsbund diese gemeinsam unter-
zeichnet. Seit 2011 gibt es einen allgemeinverbindlichen
Mindestlohn in der Zeitarbeit. Das, was wir uns seitens
der Politik wünschen und mit den Gesetzen, wie zum
Beispiel dem Tarifautonomiestärkungsgesetz, fördern
wollen, hat hier in der Praxis funktioniert. Die Tarifpart-
ner haben sich zusammengesetzt und haben ihre Haus-
aufgaben gemacht.





Albert Stegemann


(A) (C)



(D)(B)

Darüber hinaus hat die Bundesregierung umfassende
gesetzliche Änderungen auf den Weg gebracht: zum Ers-
ten die Abschaffung der Drehtürklausel, zum Zweiten
Verbot der konzerninternen Überlassung und schließlich
die Einführung von Equal Pay ab dem ersten Tag, zu-
mindest dann, wenn ein Tarifvertrag vorliegt.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810604200

Kollege Stegemann, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung des Kollegen Ernst?


Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1810604300

Von mir aus.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mutig, mutig!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810604400

Herzlichen Dank für die Freundlichkeit. – Ich habe

folgende Fragen an Sie. Meine erste Frage lautet: Mit
welcher Begründung sollen Ihrer Ansicht nach Men-
schen, die exakt dieselbe Tätigkeit im selben Unterneh-
men machen, in den ersten neun Monaten unterschiedli-
che Löhne bekommen? Warum nicht sofort gleiche
Löhne? Warum werden die, die über eine Leiharbeits-
firma ins Unternehmen kommen, nicht genauso behan-
delt wie neu im Betrieb eingestellte Beschäftigte?

Meine zweite Frage lautet: Warum akzeptieren Sie,
dass bei vollkommen gleicher Tätigkeit für Leiharbeit-
nehmer und Festangestellte in einem Betrieb unter-
schiedliche Tarife gelten – Sie haben gerade von hoher
Tarifbindung bei Leiharbeit gesprochen –, wenn Sie
gleichzeitig offiziell als Regierung die Position vertre-
ten, dass Tarifeinheit gelten soll, dass also die Beschäf-
tigten in einem Betrieb bitte schön dem gleichen Tarif-
vertrag unterliegen sollen?


Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1810604500

Zu Ihrer ersten Frage: Wir brauchen ganz klar eine

Einarbeitungszeit für die Mitarbeiter.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die brauchen die anderen Angestellten auch!)


Wir haben es hier teilweise mit einer speziellen Klientel
zu tun,


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wieso das denn? – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Das ist doch stigmatisierend!)


die eine gewisse längere Einarbeitungszeit braucht.

Sie müssen den Zeitarbeitsfirmen auch zugestehen,
dass sie Schulungen und Bildungsmaßnahmen fördern.
Sie müssen das anerkennen. Ich habe das selbst miter-
lebt. Ich war zum Beispiel bei einem Bewerbungsge-
spräch bei einer Zeitarbeitsfirma dabei und habe erlebt,
mit welchem Engagement und mit welchem Fingerspit-
zengefühl die Personaldisponenten hier vorgehen. Teil-
weise bringen sie sehr individuelle Maßnahmen und spe-
zielle Unterstützung für ihre Klientel auf den Weg. Es
war für mich ein beeindruckendes Erlebnis, mit wie viel,
auch sozialem, Engagement hier vorgegangen wird.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!)


Sie werden das lächerlich finden, aber ich habe selbst er-
lebt, wie man Menschen eine Chance gibt, die vorher
keine Chance hatten. Ohne entsprechende Maßnahmen
hätten sie sicherlich keinen Job auf dem ersten Arbeits-
markt gefunden. Das ist der entscheidende Grund. Wenn
unterstützende, begleitende Maßnahmen für eine gute
Einarbeitung notwendig sind,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es ganz andere!)


dann muss ermöglicht werden, dass in der Einarbei-
tungszeit der Lohn flexibel ist, bevor Equal Pay gilt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Tarifverträge! Das war meine zweite Frage!)


– Dazu komme ich später. Ich fahre jetzt in meiner Rede
fort.

Das Instrument der Arbeitnehmerüberlassung – das
habe ich gerade ausgeführt – stellt eine hervorragende
Möglichkeit für den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt
dar. Das gilt insbesondere, wie auch schon gesagt, für
Menschen mit geringer Qualifikation, die sonst nur ganz
wenige Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Zahlen
belegen dies – sie wurden auch schon angeführt –:
60 Prozent waren vor ihrer Beschäftigung arbeitslos, und
50 Prozent arbeiten im Helferbereich. Und machen wir
uns nichts vor: Eine Studie des IAB aus dem vergange-
nen Jahr belegt, es gibt immer weniger Jobs mit soge-
nannter Helfertätigkeit in unserem Land, die Geringqua-
lifizierte für ihren Einstieg ins Berufsleben so dringend
benötigen. Unser aller Ziel ist es, dass Langzeitarbeits-
lose in das Arbeitsleben zurückkehren können. Wir dür-
fen diese Menschen nicht aufgeben. Niemals!

Die Bundesregierung legt viele Programme auf, die
viel Geld kosten, um die Betroffenen zu erreichen. Aber
viel zu häufig fehlt in der Praxis der direkte Bezug zum
Arbeitsmarkt. Zeitarbeitsfirmen schaffen das jedoch. Vor
diesem Hintergrund sollten wir diese Tür nicht leichtfer-
tig verschließen. Sicherlich: Die Unternehmen verdienen
auch Geld damit. Aber warum nicht? Gerade deshalb
sind viele mit viel Kreativität und Energie unterwegs.
Sie fahren Mitarbeiter zum Arbeitsplatz und vermitteln
in ungewohnte Tätigkeiten.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das habe ich ja noch nie gehört!)


Nicht immer klappt dies, und das hält auch nicht immer
für längere Zeit, aber eine gute Chance ist es allemal.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810604600

Kollege Stegemann, es gibt von der Kollegin

Zimmermann einen weiteren Wunsch nach einer Frage
oder Bemerkung.


Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1810604700

Ich würde jetzt gerne meine Rede zu Ende führen.

Punkt zwei, Werkverträge. Auch hier wäre es zur Ab-
wechslung schön, von Ihrer Seite einmal eine andere
Platte als die des Missbrauchs der Werkverträge vorge-
spielt zu bekommen. Mehr als 95 Prozent der Werkver-
träge in unserem Land sind nicht zu beanstanden. Der
Gang zum Friseur: ein Werkvertrag! Oder bringen Sie
Ihre eigene Schere mit zum Friseur? Nein, Sie kaufen
ein fertiges Produkt.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch gar nicht!)


Die neue TÜV-Plakette in der Autowerkstatt: ein Werk-
vertrag!


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Niemand redet darüber! Einfach zuhören!)


Aber auch der Auftrag eines Unternehmens an eine an-
dere Firma, um die Fenster oder Büroräume zu einem
festen Preis zu reinigen: ein Werkvertrag! Und wenn ein
Autokonzern die Entwicklung eines speziellen Bauteils
an eine Fremdfirma auslagert, ist das auch ein Werkver-
trag. Damit geht aber doch nicht automatisch Lohndum-
ping einher. Ein Produkt ohne eigenen Aufwand und Ri-
siko zu kaufen, das ist Teil der unternehmerischen
Freiheit.

Sicherlich müssen wir sehen, dass es in den vergange-
nen Jahren auch hier schwarze Schafe gegeben hat. Nun
aber direkt mit der Schrotflinte das Problem aus der Welt
schaffen zu wollen,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit welcher Schrotflinte denn?)


da sage ich Ihnen: Sie treffen mit Sicherheit vor allem
die Falschen.

Abschließend möchte ich zu Punkt drei kommen und
damit zu meiner Bewertung Ihres Antrags. Liebe Kolle-
ginnen, liebe Kollegen von der Linken, Zeitarbeit und
Werkverträge sind konstruktive Elemente auf dem
Arbeitsmarkt. Sie sind notwendig für das Funktionieren
einer arbeitsteiligen Wirtschaft in einer globalen Welt.
Die Zeitarbeit ist heute weitgehend reguliert und kein
Massenphänomen.

Da, wo sich die Anforderungen zulasten einer Gruppe
verschieben und wo Tarifparteien nicht gestalten kön-
nen, gibt es allerdings Handlungsbedarf seitens der Poli-
tik. Diesem sind wir in der Vergangenheit nachgekom-
men, und wir werden dies auch weiterhin tun. So haben
die Regierungsparteien klug entschieden, Missbrauch
anzugehen. In den nun anstehenden Verhandlungen wird
noch zu klären sein, wie wir den Realitäten des moder-
nen Arbeitens und den Chancen der Zeitarbeit Rechnung
tragen können.
Ich möchte Ihnen keineswegs die guten Absichten ab-
sprechen. Der Schutz des Einzelnen in der Arbeitswelt
ist ein hohes Gut.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Die Maßgabe kann aber nicht lauten: Viel hilft viel.
Schaffen Sie keine Branche ab, nur weil einige Dinge
nicht funktionieren! Lieber Herr Ernst, Sie würden doch
auch nicht Ihren Porsche verschrotten, nur weil der
Aschenbecher voll ist.


(Heiterkeit – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Er raucht gar nicht!)


Wir sollten die guten Seiten dieser Beschäftigungsform
bewahren und an den Defiziten schrauben. Zu diesem
konstruktiven Gespräch lade ich Sie herzlich ein.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810604800

Das Wort hat die Kollegin Jutta Krellmann für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810604900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ausbeutung hat auf dem Arbeitsmarkt viele
Namen. Ein Name davon: Werkverträge. Das Problem
ist: Die Zahl der Missbräuche steigt. Mittlerweile stehen
Werkverträge für Lohnbetrug, für ungerechte Bezah-
lung, für unwürdige Behandlung von Beschäftigten und
für die Spaltung ganzer Belegschaften. Das hat nichts
damit zu tun, was Werkverträge einmal waren, Herr
Schiewerling. Es geht nicht mehr darum, dass Spezial-
aufgaben in den Betrieben von externen Dienstleistern
übernommen werden, zum Beispiel die Elektrik im
Krankenhaus oder das Fliesenlegen im Metallbetrieb.
Werkvertragsbeschäftigte übernehmen heute ganz regu-
läre Arbeiten in Betrieben,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


sie ersetzen Stammbeschäftigte, und das zu Bedingun-
gen weit unter Tarifstandards. Das geht doch alles gar
nicht!


(Beifall bei der LINKEN)


Beispiele wie die Wareneinräumer im Einzelhandel
gibt es genug. Über die Baubranche und die Fleischin-
dustrie haben wir hier auch schon geredet. Der Miss-
brauch von Werkverträgen ist mittlerweile ein Flächen-
brand.


(Beifall bei der LINKEN)


Dagegen muss unbedingt etwas unternommen werden!
Was aber macht die Regierung? Sie begnügt sich mit
Ankündigungen und lässt sich Zeit. Das, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, ist ein Aussitzen von Problemen. Das
möchten wir nicht.


(Beifall bei der LINKEN)






Jutta Krellmann


(A) (C)



(D)(B)

Fantasielos ist auch die Ankündigung selbst: Die
Bundesarbeitsministerin stellt in Aussicht, dass der Zoll
kontrollieren soll, ob in den Unternehmen illegale
Werkverträge zur Anwendung kommen. Was sollen die
Kolleginnen und Kollegen vom Zoll denn noch alles
kontrollieren? Schwarzarbeit, Mindestlohn, Arbeitneh-
merüberlassung – die sind doch heute schon völlig über-
lastet. Das geht doch auch alles gar nicht!


(Beifall bei der LINKEN – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Sie wollen für jeden Betrieb einen bestellen!)


Anstatt sich engagiert mit dem Problem zu beschäftigen,
will die Bundesregierung dieses Problem nur mit der
Kneifzange anpacken. Ein bisschen Frieden reicht uns
nicht, ein bisschen Regulieren von Werkverträgen auch
nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Zwei Punkte aus unserem Antrag möchte ich gerne
herausgreifen, die für eine konsequente Regulierung von
Werkverträgen entscheidend sind.

Punkt eins: Stichwort „Mitbestimmung“. Betriebs-
und Personalräte müssen ein erzwingbares Mitbestim-
mungsrecht beim Einsatz von Fremdfirmen in Unterneh-
men erhalten.


(Beifall bei der LINKEN)


Informationsrechte, wie sie die Regierung im Koali-
tionsvertrag angekündigt hat und die teilweise auch
schon vorhanden sind, reichen nicht aus. Betriebsräte
müssen den Einsatz von Fremdfirmen verhindern kön-
nen. Nutzen wir den Sachverstand dieser Kolleginnen
und Kollegen! Die wissen sofort, ob mit Werkverträgen
Tarifstandards unterlaufen werden sollen oder nicht.

Punkt zwei. Auch legale Werkverträge werden ge-
nutzt, um Lohndumping zu betreiben. Selbst wenn
Werkverträge rechtskonform angewandt werden, wenn
also die Arbeit von Werkvertragsunternehmen völlig in
Eigenregie erbracht wird, kann es sich um Tarifflucht
handeln. Tarifflucht liegt eindeutig immer dann vor,
wenn diese Arbeiten von dem Betrieb vorher selbst erle-
digt wurden. Eine gesetzliche Regulierung muss auch
diesem Sachverhalt Rechnung tragen. Die Regierung
scheint das völlig zu ignorieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir Linke sagen: Bei der Auftragsvergabe an Fremd-
firmen, die die gleiche Arbeit verrichten, muss auch für
deren Beschäftigte ein Gleichbehandlungsgebot festge-
schrieben werden. Mit anderen Worten: gleicher Lohn
für Stammbeschäftigte und Werkvertragsbeschäftigte in
einem Betrieb! Nur so kann Tarifflucht schon im Ansatz
ausgetrocknet werden.

Ich möchte zum Schluss auf ein Problem aufmerksam
machen, das uns auch hier im Bundestag unmittelbar be-
trifft bzw. das wir erlebt haben. Es geht um das Thema
Scheinselbstständigkeit. Es ist beschämend, dass der
Bundestag als Arbeitgeber über Jahre hinweg Besucher-
führer als Scheinselbstständige beschäftigt hat. Die
nachträglich erhobenen Sozialversicherungsbeiträge
wurden nun nachgezahlt. Die Quittung dafür kassiert der
Beschäftigte, der das Ganze öffentlichgemacht hat. Er
hat zwar nach wie vor einen Rahmenarbeitsvertrag,
bekommt jetzt aber keine Aufträge mehr von der Bun-
destagsverwaltung. Nun lebt er von Hartz IV und muss
sehen, dass er über diesen Weg Geld bekommt. Was ist
das im Grunde für ein Signal, das wir als Bundestag an
der Stelle aussenden! Ich finde, das, was da passiert, ist
unmöglich.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir wollen, dass eine gerechte Arbeitswelt entsteht
und dass sich auch die Bundestagsverwaltung beim Um-
gang mit den Kollegen anders verhält; denn das, was wir
da erlebt haben, ist absolut nicht akzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, die Regulierung von Leih-
arbeit und Werkverträgen muss jetzt in Angriff genom-
men werden. Unsere Vorschläge liegen vor. Jetzt warten
wir noch auf Ihre, und dann schauen wir einmal, was am
Ende dabei herauskommt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810605000

Der Kollege Markus Paschke hat für die SPD-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1810605100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
alle kennen die Berichte über die systematische Ausbeu-
tung osteuropäischer Arbeitnehmer in der Fleischindus-
trie und über Beschäftigungsverhältnisse, die unter dem
Deckmantel von Werkverträgen nichts anderes sind als
moderne Sklaverei.

In der letzten Woche war ich in der Beratungsstelle
für mobile Beschäftigte in Oldenburg. Kurz zuvor war
dort ein rumänischer Arbeiter, der um Hilfe gebeten hat.
Seinen Fall will ich einmal kurz schildern:


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Fleischindustrie!)


Er hat drei Monate auf einem Schlachthof gearbeitet und
musste Tierdärme auswaschen. Nach diesen drei Mona-
ten erhielt er einen Lohn von 1 300 Euro ausgezahlt. Das
war das erste Mal, dass er Geld gesehen hat.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Echt?)


Aber beim ersten Aufbegehren und Einfordern des in
Rumänien versprochenen Lohnes wurde er fristlos ent-
lassen und aus seiner Unterkunft geworfen.


(Zuruf von der SPD: Pfui!)


In Rumänien hatte man ihm 10 Euro pro Stunde, freie
Unterkunft und freie Fahrten zur Arbeit versprochen.





Markus Paschke


(A) (C)



(D)(B)

Dafür musste er sogar eine Vermittlungsgebühr von
knapp 800 Euro zahlen; aber er hatte sich ja ausgerech-
net, dass sich das lohnt. Nach der Ankunft im Oldenbur-
ger Land war es allerdings anders als versprochen: Er
wurde in einer Massenunterkunft mit 1 500 anderen
Arbeitern untergebracht. In dem Raum, der ihm zuge-
wiesen wurde, standen 16 Betten, die alle belegt waren.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist doch alles illegal!)


Dafür wurden ihm 240 Euro monatlich vom Lohn abge-
zogen.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist auch illegal!)


Auch die Kosten der Fahrt zum Schlachthof wurden vom
Lohn abgezogen.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist illegal!)


In einem fremden Land, der Sprache nicht mächtig,
ausgebeutet und betrogen – das nenne ich moderne Skla-
verei.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU] – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Nein, das ist illegal! Das ist auch heute schon illegal! – Zuruf von der LINKEN: Darum gibt es unseren Antrag! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Was will uns unser Koalitionspartner damit sagen?)


– Hört mir zu, dann komme ich zu dem Punkt.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Okay! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Machen wir gern!)


Unter dem Deckmantel der Werkverträge passiert viel
Missbrauch. Was meine ich, wenn ich von Missbrauch
spreche? Bleiben wir bei dem beschriebenen Fall des ru-
mänischen Schlachters. In der Beratungsstelle wurde
dann festgestellt, dass er gar nicht als Arbeitnehmer,
sondern als Selbstständiger gearbeitet haben soll.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Also illegal!)


Das bedeutet: keine Sozialversicherung, Steuerpflicht
usw. Ich nenne das Missbrauch.


(Beifall des Abg. Dr. Hans-Joachim Schabedoth [SPD] – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja! Gesetzesverstoß!)


Oder im Bereich der Landwirtschaft: Da gibt es kon-
krete Fälle, gerade in der Saison, wo Menschen zehn, elf,
zwölf Stunden körperlich hart arbeiten,


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Auch illegal!)


Spargel ernten und Erdbeeren pflücken. Aufgeschrieben
und bezahlt werden aber nur sieben oder acht Stunden.
Auch das ist Missbrauch.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Auch illegal!)


Die krassesten Fälle von Missbrauch kennen wir aus
der Fleischindustrie, aber es gibt sie ebenso im Stahlbau,
auf Werften, im Baugewerbe, im Hotel- und Gaststätten-
gewerbe und in vielen anderen Wirtschaftsbereichen.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Überall Verstöße! Richtig!)


Da gibt es den Spüler im Nobelhotel – auch das ist ille-
gal –, der angeblich als Selbstständiger arbeitet,


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja, genau! Was wollen Sie uns jetzt damit sagen? – Zuruf von der LINKEN: Dann müssen Sie für den Antrag der Linken stimmen!)


Arbeiter auf der Baustelle des Einkaufstempels Mall of
Berlin, die um ihren Lohn geprellt wurden. Auch aus der
Leiharbeit sind uns solche Fälle bekannt: der Kommis-
sionierer, der seit zehn Jahren als Leiharbeiter in einem
Betrieb arbeitet und nur 60 Prozent dessen bekommt,
was sein Kollege neben ihm verdient.

Diese Liste ließe sich beliebig fortführen. Deshalb
sage ich ganz klar – ich komme zum Fazit –: Es muss
gehandelt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das sind wir den Menschen in unserem Lande schuldig.
Wir sind es ihnen schuldig, dass sie einen anständigen
Lohn für anständige Arbeit bekommen.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Kriegen sie doch! Haben wir doch gemacht!)


Wir sind es ihnen schuldig, dass sie ein menschenwürdi-
ges Leben führen können.

Ich frage Sie: In was für einem Land wollen wir le-
ben? In einem, das tatenlos den Auswüchsen moderner
Sklaverei zusieht? Da sage ich Nein.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Richtig!)


Wir müssen mit aller Kraft diese Not und Ungerechtig-
keit bekämpfen.


(Beifall bei der SPD)


Erinnern wir uns an die christlichen Werte wie Recht
und Gerechtigkeit, an soziales Handeln und soziale
Normen! Wenn es nicht gelingt, menschenwürdige
Arbeits- und Lebensbedingungen zu garantieren, dann
verfaulen unsere Werte von innen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU]: Wer stellt denn die Arbeitsministerin?)


Wenn es uns nicht gelingt, Recht und Gerechtigkeit allen
zugänglich zu machen, dann höhlen wir unsere Gemein-
schaft und unsere Werte aus. Zu Recht und Gerechtigkeit
gehört für mich zum Beispiel auch die Einrichtung einer





Markus Paschke


(A) (C)



(D)(B)

Anlaufstelle für Werkarbeiter, wo man sie in ihrer Spra-
che über ihre Rechte aufklärt,


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


wo sie jederzeit Hilfe erhalten, an die sie sich mit Fragen
und Problemen wenden können.

Zu Recht und Gerechtigkeit gehört für mich aber auch
endlich eine härtere und nachhaltige Bestrafung des
Missbrauchs.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Zart auf die Finger zu klopfen, finde ich da nicht ausrei-
chend. Missbrauch ist Missbrauch und muss auch end-
lich als solcher bezeichnet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Soziale Standards und Tarife zu unterlaufen, ist weder
rechtens noch gerecht. Ich denke es ist unstrittig, dass
wir in diesem Bereich Handlungsbedarf haben.

Jetzt komme ich zum Antrag der Linken.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Jetzt wird es aber schwer, die Kurve zu kriegen! – Gegenruf der Abg. Katja Mast [SPD]: Nee! Der schafft das schon!)


– Nein, das ist ganz einfach. – Ich muss sagen: Ihr
Antrag ist in keiner Weise dazu geeignet, die Ordnung
auf dem Arbeitsmarkt wiederherzustellen und die Werte
unserer Gesellschaft hervorzuheben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN – Gegenruf von der SPD: Hören Sie doch mal zu!)


Da wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Auch
wenn einzelne Spiegelstriche bei den Forderungen ihre
Berechtigung haben


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Es quietscht zwar, aber das Badewasser ist weg! – Zuruf von der LINKEN: Meine Güte! Das ist jetzt echt schwer peinlich! – Gegenruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt lasst ihn doch noch den einen Satz sprechen!)


– schön zuhören! –, folgt die Gesamtschau doch eher
dem Motto: Wir beseitigen nicht die Ungerechtigkeiten
auf dem Arbeitsmarkt, sondern wir schaffen die Arbeit
gleich ganz ab.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Nee! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Sie glauben wohl selber nicht, was Sie sagen!)


Bezüglich der Leiharbeit haben Sie das entsprechend
formuliert.

Ich sage es einmal so: Unter seriöser Politik verstehe
ich etwas anderes. Seriöse Politik ist das, was wir in der
Koalition bisher geleistet haben.

(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Und auch weiter leisten wollen!)


Mit der Einführung des Mindestlohns haben wir begon-
nen; das war der erste wichtige Schritt.


(Beifall bei der SPD)


Mit unseren Vorhaben, den Missbrauch bei Leiharbeit
und Werkverträgen zu verhindern, werden wir auf die-
sem Weg weitergehen. Sie sind herzlich eingeladen, uns
auf diesem Weg zu begleiten.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liegt was auf dem Tisch?)


Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810605200

Der Kollege Dr. Thomas Gambke hat für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Herr Paschke, wo sind denn Ihre Spiegelstriche mit den
Maßnahmen gewesen? Wo war denn der Zeitplan, bei
dem die Herrschaften von der Union hätten klatschen
können?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie hätten uns etwas vorlegen sollen, das uns gezeigt
hätte, dass Ihre Analyse – Sie haben die Situation schön
und treffend formuliert – auch zu Aktionen führt.


(Katja Mast [SPD]: Sie hätten bei den Reden zuhören müssen! Dann hätten Sie etwas gehört!)


Genau das ist doch der Punkt. Die Leute da draußen wol-
len, dass Sie handeln, und nicht, dass Sie reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es wurde schon viel über das Für und Wider geredet.
Ich darf dieses Thema einmal aus Unternehmersicht be-
leuchten. Leiharbeit und auch Werkverträge können im
Einzelfall eine wichtige Funktion haben. Daran gibt es
gar keinen Zweifel. Ich nenne zwei Beispiele aus eigener
Erfahrung:

Erstes Beispiel. Als wir bei uns im Betrieb einen
Brand hatten, Automaten ausgefallen waren und durch
Handarbeit ersetzt werden mussten – kurzfristig kam es
also zu außergewöhnlichem Arbeitsaufwand –, war es
absolut korrekt und richtig, zu sagen: Wir müssen kurz-
fristig die Belegschaft in diesem Betriebsteil um 25 Pro-
zent erhöhen. Das können wir aus eigener Kraft nicht
schultern. – So haben wir Leiharbeiter in den Betrieb ge-
holt.





Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)

Das zweite Beispiel, auch aus eigener Erfahrung:
Wenn Unternehmen in einer außergewöhnlichen Situa-
tion sind – zum Beispiel beim Aufbau eines neuen Wer-
kes oder aufgrund von Umstrukturierungen und Nach-
folgeregelungen –, haben sie gerade im Fach- und
Führungskreis einen außergewöhnlichen Bedarf. In sol-
chen Fällen besteht die Notwendigkeit, über Werkver-
träge – Stichworte: „Nutzung des Arbeitsmaterials“ und
„Weisungsbefugnis“ – zusätzliche Kräfte in den Betrieb
zu holen.

Aber, Herr Kollege Stegemann, die missbräuchlichen
Anwendungen nehmen zu. Das ist von Ihrem Kollegen
aus der Regierungskoalition gerade sehr eindrucksvoll
beschrieben worden. Wir müssen etwas dagegen tun.
Wir können doch nicht einfach weiter zuschauen und sa-
gen: „Das ist in Ordnung“, wie Sie uns suggeriert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Setzen Unternehmen dauerhaft Leiharbeit ein, dann tun
sie das im Wesentlichen aus folgenden Gründen: Sie
wollen den Mindestlohn umgehen,


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Den Mindestlohn können die nicht umgehen! Das geht gar nicht! Der ist unabdingbar!)


sie wollen den Kündigungsschutz umgehen, sie haben
Geschäftsmodelle, die nicht nachhaltig sind.

Das heißt, wir müssen etwas tun, um diese nicht trag-
baren sozialen Zustände zu eliminieren. Dafür müssen
wir arbeiten, und wir müssen – das sage ich als Unter-
nehmer – Wettbewerbsverzerrungen verhindern; denn
der Mittelstand – Sie haben das Beispiel des Malers an-
gebracht – braucht gute Wettbewerbsbedingungen,
braucht ein Level Playing Field, braucht eine Gleichbe-
handlung.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Völlig richtig!)


Dafür müssen Sie sorgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie können sich also nicht zurücklehnen und sagen,
dass das nur Einzelfälle sind. Die Regulierung von Leih-
arbeit scheint Konsens zu sein. Die Vorschläge, die ich
gehört habe – eigentlich habe ich fast gar keine gehört –,
sind bisher aber nicht sehr überzeugend.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie haben auch noch keine gemacht!)


Equal Pay ist einfach ein Muss. Ich bemühe noch ein-
mal mein am Anfang genanntes Beispiel: Die Einhaltung
des Liefertermins war für uns damals ein überaus wichti-
ges Ziel. Die Erreichung dieses Ziels war uns das Extra-
geld, das wir dafür gezahlt haben, wert. Es wurde uns
sozusagen dreimal zurückgezahlt. Gerade bei Auftrags-
spitzen zahlt sich das aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist doch Blödsinn, anzunehmen, dass in einer solchen
Situation eine Einarbeitung notwendig ist. Gerade bei
Auftragsspitzen ist der Betrieb in der Lage, zusätzliches
Geld zu verdienen. Da ist es fair und richtig, dies auch
zum Teil weiterzugeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Bei den Werkverträgen sehe ich die Sache noch etwas
kritischer; denn sie werden in der Tat von den Unterneh-
men zunehmend missbraucht. Sie nannten das Beispiel
von den Lkw-Fahrern. Diese sollen auf einmal selbst un-
ternehmerische Verantwortung tragen, obwohl sie voll-
kommen abhängig sind. Das ist schlichtweg unanstän-
dig, und wir müssen dem einen Riegel vorschieben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Da warte ich auf Ihre Vorschläge. Im Bundesrat gab
es 2013 einen guten Vorschlag für stärkere Mitbestim-
mungsrechte des Betriebsrates beim Einsatz von Fremd-
personal. Man hat gesagt, man wolle zusätzliche Kon-
trollen durchführen. Auch dies wäre notwendig. Ich
denke, Sie müssten endlich etwas vorlegen, damit wir
dort eine gute Regelung haben. Wir müssen Leiharbeit
und Werkverträge strenger regulieren. Beide Instrumente
sind sinnvoll; das habe ich gesagt. Aber es gibt zuneh-
mend schwarze Schafe.

Wir sollten dabei allerdings aufpassen – dies sagte ich
ebenfalls bereits –, die Situation von Fach- und Füh-
rungskräften und die Fälle, die ich genannt habe, nicht
zu vermischen. Wenn Fach- und Führungskräfte über
Werkverträge eingestellt werden, in denen die verein-
barte Entlohnung über einem bestimmten Satz liegt,
dann ist eine Regelung nicht notwendig. Wenn es jedoch
um den Lkw-Fahrer oder den Regaleinräumer geht, dann
müssen wir dringend tätig werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Für die Unternehmen ist eine bessere Regulierung
wichtig; damit möchte ich schließen. Für den Mittel-
stand ist sie wichtig; denn die Schaffung gleicher Wett-
bewerbsbedingungen ist eine der Grundvoraussetzungen
für das Funktionieren der Wirtschaft. Dafür müssen ge-
rade Sie Sorge tragen. Deshalb sind Ihre Verweigerungs-
haltung und die Art, in der Sie argumentiert haben, wirk-
lich nicht zielführend.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810605300

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Stephan

Stracke das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1810605400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Herr Gambke, Sie zeichnen wie so viele Ihrer
Vorredner von der Opposition ein Zerrbild, was die Zeit-
arbeit und die Werkverträge betrifft, und suggerieren
Handlungsbedarf


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kollege hat Erfahrung in diesem Bereich!)


– Herr Kurth, Sie sollten lieber mal zuhören –, wo keiner
besteht. Das zeigen auch die Beispiele, die Sie genannt
haben. Dort, wo Werkverträge und Zeitarbeit miss-
bräuchlich eingesetzt werden, handelt es sich schon jetzt
um ein rechtswidriges Verhalten.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja, genau!)


Deshalb besteht hierbei kein gesetzgeberischer Hand-
lungsbedarf, sondern es ist eher eine Frage der Kontrolle
und des Vollzugs.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Insofern gaukeln Sie hier etwas vor, was ein Zerrbild un-
serer Arbeitswelt in unserem Land ist und nicht der Rea-
lität entspricht.


(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zeitarbeit ist ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches In-
strument. Es bietet den Unternehmen Flexibilität für
Auftragsspitzen und arbeitslosen Menschen die Chance
auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
Sie ist ein Sprungbrett aus der Arbeitslosigkeit hinaus.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Nie gewesen!)


– Doch, es ist tatsächlich so. Sie ignorieren die Fakten in
diesem Bereich.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das behaupten Sie! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch überhaupt keine Ahnung!)


Knapp zwei Drittel der Zeitarbeitsverhältnisse wer-
den mit Personen geschlossen, die direkt zuvor keine
Beschäftigung ausübten oder vorher noch nie beschäftigt
waren.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frage ist doch nicht, was sie vorher gemacht haben, sondern was sie nachher machen!)


Das heißt, Zeitarbeit stellt gerade für von Arbeitslosig-
keit bedrohte Arbeitnehmer eine stabile Brücke in den
ersten Arbeitsmarkt dar, und Sie wollen im Grunde diese
Brücke zerstören.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Ernst, Sie haben sich gemeldet; bitte schön.

Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810605500

Das Wort erteile immer noch ich; aber ich habe schon

einmal die Uhr für Sie angehalten. – Bitte.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810605600

Danke für das Zulassen der Frage. – Wir haben vorhin

gehört, dass es zum Beispiel in der Automobilindustrie
über 100 000 Leiharbeiter und 200 000 Werkverträge
gibt. Das Missverhältnis ist doch sehr gravierend. Wir
haben hier einen Abbau von normaler Beschäftigung hin
zu Leiharbeit und Befristung.

Vertreten Sie tatsächlich die Auffassung, dass über
ein Viertel der Beschäftigten in der Automobilindustrie
nicht beschäftigt wäre, wenn es keine Leiharbeit und
keine Befristung gäbe?

Ich will noch eine zweite Frage nachschieben. Glau-
ben Sie wirklich ernsthaft, dass die deutsche Automobil-
industrie auf über ein Viertel der Belegschaft verzichten
müsste, wenn sie die ordentlich bezahlen und ordentlich
beschäftigen würde?


(Beifall bei der LINKEN)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1810605700

Lieber Herr Kollege Ernst, ich glaube, Kollege

Schiewerling hatte schon zu Beginn der Debatte darauf
hingewiesen, dass es in Relation zu den sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigten rund 2,6 Prozent Zeitarbeit
gibt. Das ist also ein sehr geringer Prozentsatz.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: 25! Ich rede von der Automobilindustrie! Das ist ein Viertel!)


Sie suggerieren hier die ganze Zeit, dass dies ein Mas-
senphänomen wäre und landauf, landab die Zeitarbeit
dazu genutzt würde, andere Arbeitsverhältnisse zu ver-
drängen. Genau das Gegenteil ist in diesem Bereich der
Fall. Es findet keine Verdrängung anderer Erwerbsfor-
men statt.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie beantworten meine Frage nicht! Hätten die keinen Job?)


Insofern ist die Zeitarbeit ein durchaus legitimes Instru-
ment des Arbeitseinsatzes in unseren Betrieben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das war nicht meine Frage!)


Es entspricht auch der unternehmerischen Freiheit, dies
so zu tun. Insofern ist es durchaus sinnvoll, dass wir die
Zeitarbeit in dieser Form weiterhin einsetzen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wenn Sie wenigstens auf meine Frage eingegangen wären!)


– Lieber Kollege Ernst, ich würde vorschlagen: Ich ant-
worte Ihnen, und wenn Sie wollen, können Sie mir eine
weitere Frage stellen. Darauf gehe ich dann entspre-
chend ein.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sind Sie ja nicht! Tun Sie das doch!)


Sie blenden hier komplett die Verbesserungen bei der
Zeitarbeit aus. Sie sagen, die Zeitarbeitnehmer wären





Stephan Stracke


(A) (C)



(D)(B)

Arbeitnehmer zweiter Klasse. Auch dies trifft nicht zu.
Sie haben ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsver-
hältnis. Für sie gelten sämtliche Regeln des Arbeits- und
Tarifrechts. Auch das Mitbestimmungsrecht gilt für die
Zeitarbeiter.


(Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mit einer Lohnuntergrenze, die wir 2012 mit tarifver-
traglichen Branchenzuschlägen erreicht haben, gibt es
auch eine sachgerechte Annäherung an Equal Pay. Auch
dies blenden Sie vollkommen aus. Das zeigt: Sie haben
eine ganz andere Auffassung. Hier geht es ausschließlich
um die Frage des Klassenkampfes


(Lachen bei der LINKEN)


und nicht um die Fragen, wie wir den arbeitsmarktpoliti-
schen Themen in diesem Land gerecht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Lieber Klassenkampf als Redekrampf!)


Wir haben uns jetzt vorgenommen, die vorüberge-
hende Überlassung in der Zeitarbeit zu konkretisieren.
Die Kollegin Müller-Gemmeke hatte hier schon auf die
möglichen Folgewirkungen hingewiesen. Ich halte diese
für in der Tat bedenklich und bedenkenswert.


(Zuruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Insofern brauchen wir Öffnungsklauseln auf tarifvertrag-
licher und Betriebsebene, die praktikabel und interes-
sensgerecht sind. Auch in der Zeitarbeit gibt es Hoch-
qualifizierte. Gerade bei Hochqualifizierten liegt der
Einsatzzeitrahmen bei zum Teil deutlich mehr als
18 Monaten. Wenn Sie beispielsweise daran denken,
dass wir die Pflegezeit auf 24 Monate verlängert haben
und dass die Elternzeit bei drei Jahren liegt, dann wissen
Sie, dass wir notwendige Vertretungsmöglichkeiten für
die Betriebe brauchen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann ja auch befristet einstellen!)


Deswegen brauchen wir tatsächlich solche Öffnungs-
klauseln, wie Sie sie angesprochen haben. Das macht
Sinn. Dass diese arbeitnehmerbezogen sein sollten, ist
selbstverständlich.

Ich komme zu den Werkverträgen. Werkverträge sind
seit Jahrzehnten Bestandteil unserer arbeitsteiligen Ge-
sellschaft. Es besteht überhaupt kein Grund, klassische
Werkverträge gesetzlich einzuschränken. Für uns gilt der
Grundsatz: Wo Werkvertrag draufsteht, muss auch
Werkvertrag drin sein.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Die Rechtsprechung hat die Kriterien bei der Abgren-
zung zwischen Werkverträgen und Zeitarbeit bereits klar
konturiert, auch was die Rechtsfolgen insgesamt angeht.
Maßgebend sind dabei immer die Umstände des Einzel-
falls. Vermutungstatbestände oder Beweislastregeln ha-
ben hier überhaupt keinen Platz.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bezüglich der Mitbestimmungsrechte bei der Vergabe
von Werkverträgen ist noch einmal daran zu erinnern:
Der Unternehmer hat die Gestaltungsfreiheit, zu ent-
scheiden, wie er seine unternehmerischen Ziele umset-
zen will und mit welchen Arbeitnehmern. In diese Ge-
staltungsfreiheit wollen und werden wir auch nicht
eingreifen. Deswegen gibt es überhaupt keinen An-
spruch darauf, dass tarifvertragliche Regelungen die ge-
samte Produktionskette erfassen. Hier von Missbrauch
zu reden, ist voll neben der Sache.

Insofern ist der Antrag der Linken abzulehnen. Er
geht an der Sache vorbei.

Ich bedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810605800

Das Wort hat die Kollegin Daniela Kolbe für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1810605900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Erst einmal Danke an die Linke, wenn
auch nicht für den vorliegenden Antrag


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Doch! Doch! Auch! Auch!)


– daran hätte ich einiges zu bekritteln –, wohl aber dafür,
dass wir über das wichtige Thema Leiharbeit und die
große Frage der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt spre-
chen können. Das ist eines der Herzensanliegen der
Sozialdemokratie: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und
Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Dafür setzen wir uns
ein.


(Beifall bei der SPD)


Leih- und Zeitarbeit war im eigentlichen Sinne dafür
gedacht, Unternehmen zu ermöglichen, Spitzen abzu-
federn und flexibler zu agieren, um am Markt wett-
bewerbsfähig zu sein. Bei Werkverträgen handelt es sich
um ein uraltes Instrument – Karl Schiewerling hat es
schon erwähnt –: Seit 1900, also seit über 100 Jahren, ist
es im BGB verankert.

Selbstverständlich hat niemand außer manchen bei
den Linken etwas gegen Zeitarbeit, wenn sie Auftrags-
spitzen abfedert, wenn zum Beispiel kurzfristig viele Be-
schäftige krank werden und ein Unternehmen einen Auf-
trag sonst nicht erledigen kann.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat er doch gesagt!)


Es ist ein äußerst sinnvolles Instrument unter der Voraus-
setzung, dass diese Menschen sehr gut bezahlt und sehr





Daniela Kolbe


(A) (C)



(D)(B)

gut behandelt werden. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
muss eben auch in diesem Bereich gelten. Das ist ein
SPD-Grundprinzip.

Werkverträge sind ein tolles Instrument – ich hatte
selber schon einen Werkvertrag –, wenn der Werkver-
tragsnehmer gerne selbstständig arbeitet und weisungs-
ungebunden ein Werk vollbringen kann. Die Realität der
letzten Jahre und auch des Jahres 2015 sieht aber anders
aus.

Ich habe einige Beispiele aus meinem Leipziger
Wahlkreis mitgebracht, die ich alle aus eigener Anschau-
ung kenne. Dort gibt es ein Unternehmen mit einem sehr
guten und sehr bekannten Namen, das sehr teure und
wichtige Teile für den Automobilsektor herstellt. Das hat
es im produktiven Bereich – nein – nicht mit 30 Prozent
Leiharbeit, nein – nicht mit 50 Prozent Leiharbeit, son-
dern zu fast 100 Prozent mit Leiharbeitern aus unter-
schiedlichen Leiharbeitsunternehmen gemacht.


(Katja Mast [SPD]: Das ist unglaublich! – Markus Paschke [SPD]: Missbrauch!)


Das ist sozusagen eine immerwährende Just-in-time/
Just-in-sequence-Auftragsspitze gewesen. Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, so haben wir das mit dem Abfe-
dern-Können von Auftragsspitzen nicht gemeint.


(Beifall bei der SPD)


Als Sozialdemokraten können und wollen wir so etwas
nicht hinnehmen.

Ich habe große OEMs in meinem Wahlkreis, worüber
ich mich sehr freue – das sind sehr gute Arbeitgeber –,
aber auch dort werden seit der Ansiedlung der Unterneh-
men Leiharbeit und Werkverträge genutzt. Bei den
OEMs, den Automobilherstellern, wurden Leiharbeit
und Werkverträge von Anfang an genutzt – das ist einge-
preist –, und zwar nicht nur, um Auftragsspitzen abzu-
federn oder durch bessere Organisation Gewinn aus
selbstständig organisierter Arbeit anderer zu erzielen,
sondern um geringere Löhne zahlen zu können. Das ist
sowohl durch Leiharbeit möglich als auch dadurch, dass
in Werkvertragsunternehmen andere Tarifverträge als die
der IG Metall gelten. Als die Ansiedlung der Unterneh-
men erfolgte, gab es in manchen dieser Werkvertragsun-
ternehmen überhaupt keine Tarifverträge.

Daraus ergibt sich, dass in diesen großen Unterneh-
men mindestens vier unterschiedliche Gruppen in einer
Werkhalle am Band arbeiten: die Festangestellten, die
Leiharbeiter des OEM, die Werkvertragsunternehmer
zahlreicher Werkvertragsunternehmen und die Leihar-
beiter, die in den Werkvertragsunternehmen angestellt
sind – alle mit deutlich unterschiedlichen Nettoeinkom-
men und Arbeitsbedingungen wie auch mit einem deut-
lich unterschiedlichen Sicherheitsgefühl.

Ich habe mit sehr vielen Leiharbeitern und Angestell-
ten in Werkvertragsunternehmen in meinem Wahlkreis
gesprochen. Es mag einige wenige geben, die sich das
gezielt ausgesucht haben, zum Beispiel IT-Freaks, die
selbstständig arbeiten und es vorziehen, mal hier und
mal da zu arbeiten. Die meisten, mit denen ich gespro-
chen habe, haben aber klar gesagt: Ich arbeite in diesem
Werkvertragsunternehmen bzw. als Leiharbeiter, weil
mein Ziel eine Festanstellung in einem der großen Un-
ternehmen ist. Das ist der Grund, warum ich das tue.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und? Funktioniert es?)


Ich habe schon Leiharbeitnehmer in meinem Wahl-
kreis getroffen, die seit zehn Jahren beim selben Leih-
unternehmen angestellt sind und auf ihre Übernahme
warten. Ich sage Ihnen: Es ist eine der ganz großen Lü-
cken dieses Gesetzes, dass wir keine Höchstüberlas-
sungsdauer haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Betroffenen wissen sehr wohl, warum sie in die-
ser Form angestellt sind, nämlich weil sie preiswerter als
die Festangestellten sind. Sie wissen auch, dass sie das
Risiko tragen. Wenn sich nämlich die wirtschaftliche
Lage verschlechtert, sind sie die Ersten, obwohl sie beim
Leihunternehmen fest angestellt sind, denen gekündigt
wird. Ich will aber auch sagen: In den letzten Jahren hat
sich bei den Automobilherstellern eine ganze Menge be-
wegt, vor allen Dingen durch sehr starke Gewerkschaf-
ten und sehr mutige Betriebsräte.


(Beifall bei der SPD)

Da sind Tarifverträge ausgehandelt worden, und Leih-

arbeiter bekommen Zuschläge.

(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: So ist es richtig!)

Sie bekommen zumindest nach einiger Zeit das gleiche
Grundgehalt. Über Zuschläge und andere Arbeitsbedin-
gungen müsste man noch reden. Mittlerweile haben
BMW und Porsche zugesichert, dass sie nur noch Werk-
vertragsunternehmen verpflichten wollen, die nach IG-
Metall-Tarifen bezahlen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich muss sagen: Das hätte man wohl mit keinem Gesetz
der Welt geschafft. Das waren die Betriebsräte.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: So ist das, genau so!)


BMW hat zudem eine Quote für Leiharbeiter einge-
führt und will nicht mehr als einen gewissen Prozentsatz
von Leiharbeitern beschäftigen.

Trotzdem gibt es jede Menge zu tun, auch weil wir
nicht überall die tollen Betriebsräte haben. Equal Pay
und Höchstverleihdauer für die Leih- und Zeitarbeit sind
für uns ganz zentrale Punkte. Wenn wir sehen, dass
schon die Debatte über die Re-Regulierung der Zeitar-
beit dazu führt, dass in Werkverträge ausgewichen wird,
dann sage ich: Wir müssen gerade in diesem Bereich
stark draufgucken und regulieren. Markus Paschke hat
die Auswüchse beschrieben. Wir brauchen eine Abgren-
zung zu Scheinwerkverträgen und zur Scheinselbststän-
digkeit ebenso wie zur verdeckten Arbeitnehmerüberlas-
sung, und natürlich brauchen wir eine viel, viel stärkere
Kontrolle.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Daniela Kolbe


(A) (C)



(D)(B)

Als Sozialdemokraten haben wir gesagt: Ordnung auf
dem Arbeitsmarkt ist unser wichtigstes Thema. Dafür
haben wir gekämpft. Dazu gehört auch die Regulierung
von Leiharbeit und Werkverträgen. Wir sind stolz, dass
wir das im Koalitionsvertrag auch so festgeschrieben ha-
ben.


(Beifall bei der SPD)


Wir werden das umsetzen. Dass die betriebliche Mit-
bestimmung in diesem Zusammenhang ein ganz wichti-
ger Punkt ist, habe ich mit meinen Beispielen deutlich
gemacht. Die betriebliche Realität ist sehr vielfältig.
Deswegen werden wir gemeinsam mit den betrieblichen
Akteuren darüber sprechen, wie wir das wirklich sehr
komplexe Feld gesetzlich regeln. Dann werden wir einen
sehr guten Gesetzentwurf hier vorlegen und auch ge-
meinsam beschließen. Darauf freue ich mich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810606000

Das Wort hat der Kollege Wilfried Oellers für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1810606100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor-
weg will ich deutlich betonen, dass bei Zeitarbeit und
Werkverträgen natürlich Missbrauch entgegengewirkt
werden muss. Das steht außer Frage. Das gilt aber nicht
nur für Zeitarbeit und Werkverträge, sondern das gilt für
alle Fallgestaltungen, für alle rechtlichen Konstellatio-
nen. Da sind wir uns hier auch einig, denke ich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nur, mit dem Antrag, den Sie hier vorlegen, beabsich-
tigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken,
jedoch nicht, Missbrauch entgegenzuwirken, sondern
Sie beabsichtigen, fundamentale Änderungen an der
wirtschaftlichen Struktur vorzunehmen, die wir heute
haben. Dabei muss hervorgehoben werden, dass die
Zeitarbeit als ein wichtiges Flexibilisierungselement und
die Werkverträge auch als ein wichtiges Instrument für
eine ökonomische Arbeitsteilung mittlerweile unver-
zichtbar für die heutige Arbeitswelt geworden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wer dies in Abrede stellt, verschließt die Augen vor
der Wirklichkeit und will sie offensichtlich nicht wahr-
nehmen. Genau dies belegt Ihr Antrag, meine Damen
und Herren der Linken, vor allen Dingen dann, wenn Sie
Formulierungen wie „Klima der Angst“, „degradiert Be-
schäftigte zu Arbeitnehmern zweiter Klasse“ oder „ein
höheres Arbeitslosigkeitsrisiko“ wählen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es! Genau so ist es! Das ist die Wirklichkeit!)


Der Eindruck, den Sie damit erwecken, ist reine Panik-
mache, und das ist dieser Debatte hier nicht dienlich. Es
ist auch keine sachliche Debatte, die insoweit geführt
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Skandalfälle, die selbstverständlich im Ergebnis
Missbrauchsfälle sind, können Sie nicht heranziehen, um
weitere oder schärfere gesetzliche Regelungen zu schaf-
fen. Das hätte nämlich zur Folge, dass Unternehmen, die
sich redlich verhalten,


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ganz genau!)


der Einsatz dieses Instrumentes, das sie wirklich benöti-
gen, erschwert würde. So können wir hier im Haus nicht
arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können Missbrauch abstellen!)


Da meine Vorredner bereits einiges zur Zeitarbeit ge-
sagt haben, möchte ich mich etwas mehr auf die Werk-
verträge konzentrieren. Damit komme ich insbesondere
auf Ihren Antrag, meine Kollegen der Linken, zu spre-
chen. Sie formulieren in Ihrem Antrag – ernsthaft –, dass
Sie legale und illegale Werkverträge verhindern wollen.
Allein schon die Wahl dieser Formulierung ist für mich
wieder ein Beispiel für reine Panikmache und unsachli-
che Diskussion.

Wir haben es beim Werkvertrag mit einer Vertrags-
konstellation zu tun, die bereits seit mehr als 100 Jahren,
seit seiner Einführung, im BGB verankert ist. Dieses
Instrument hat auch eine ausgeprägte Rechtsprechung
erfahren, mit der in der jetzigen Zeit und nach der jetzi-
gen Rechtslage Missbrauch bereits verhindert werden
kann und verhindert wird. Nur, die Fälle müssen auch
zur Entscheidung gebracht werden. Wie gesagt, wenn es
Fälle gibt, wenn es Missbrauch gibt, dann muss das ab-
gestellt werden. Aber das können wir auch schon mit
den heutigen Instrumenten und mit der heutigen rechtli-
chen Situation.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie müssen, wenn Sie die Diskussion führen, deutlich
machen, was Sie unter „Missbrauch“ genau verstehen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das haben wir doch gesagt! Das steht doch im Antrag drin!)


– Das haben Sie an Beispielen festgemacht. Von Miss-
brauch kann man in meinen Augen nur dann sprechen,
wenn man einen Vertrag anders handhabt, als es der
Bezeichnung entspricht. Das heißt, wenn da „Werkver-
trag“ draufsteht, muss im Ergebnis auch „Werkvertrag“
drin sein. Es darf kein Dienstvertrag sein. Da sind wir
uns natürlich einig.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Was ist denn das für ein Juristengeschwätz?)


Aber es kann nicht sein, dass Sie sagen: Es ist schon
dann ein Missbrauch, wenn ein Werkvertragsbeschäftig-
ter für längere Zeit in einem beauftragenden Unterneh-
men arbeitet. – Es sind viele Beispiele für Missbrauch
gebracht worden. Ich will einmal Beispiele nennen, die





Wilfried Oellers


(A) (C)



(D)(B)

zeigen, dass es notwendig ist, auf Werkverträge zurück-
zugreifen.

Es gibt eine Firma, die sich darauf spezialisiert hat,
IT-Software zu installieren. Diese Firma hat mit weniger
als 20 Mitarbeitern angefangen. Sie hat mittlerweile
mehrere Hundert Mitarbeiter. Ihr Konzept ist darauf aus-
gelegt, dass die Software in den Firmen installiert wird.
Die Beschäftigten müssen dazu natürlich mit den Be-
schäftigten in diesen Firmen zusammenarbeiten, sind für
eine gewisse Zeit dort.

Wenn ich Ihre Kriterien aus dem Antrag zugrunde
lege, dann komme ich zu dem Schluss: Ein solches
Modell wäre schon gar nicht mehr möglich. Wenn Sie
das nicht beabsichtigen, dann müssen Sie das anders
formulieren; dann können Sie es nicht so schreiben, wie
Sie es in Ihrem Antrag gemacht haben. Vor allen Dingen
dürfen Sie nicht sagen: Wir wollen auch legale Werk-
verträge bekämpfen. – So steht es ausdrücklich in Ihrem
Antrag.

Kommen wir zum Bereich Forschung und Entwick-
lung. Sie haben auch das Beispiel der Autoindustrie
genannt. Da wird natürlich viel Forschung und Entwick-
lung betrieben. Die Unternehmen kommen ohne die
hochqualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer aus spezialisierten Betrieben gar nicht zurecht; ohne
diese können sie die Forschung und Entwicklung gar
nicht betreiben, können sie Projekte im Ergebnis nicht
zum Erfolg bringen. Deswegen muss diese Konstellation
auch weiterhin möglich sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])


– Sie sollen einstellen, sagen Sie. Aber vielleicht wollen
die Betroffenen das gar nicht. Sie wollen vielleicht spe-
ziell in den Unternehmen eingesetzt werden, wo gerade
die Musik spielt, wo gerade die neuen Dinge entwickelt
werden. Da wollen diese Personen sein. Sie müssen,
denke ich, da ein bisschen differenzierter herangehen.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau! Das war der Blick aus der Praxis!)


Ein letzter Punkt, den ich noch erwähnen möchte,
sind die sogenannten Solo-Selbstständigen. Wir müssen
akzeptieren, dass es auch Leute gibt, die alleine selbst-
ständig sein und vielleicht nur für einen Auftraggeber ar-
beiten wollen oder die einen großen Auftraggeber und
nur ein paar kleine haben.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!)


Wenn Sie denen diese Möglichkeit nehmen, dann neh-
men Sie ihnen auch einen großen Teil ihrer unternehme-
rischen Freiheit. Ich denke, diese Menschen bringen uns,
vor allen Dingen was die Spezialisierung, Entwicklung
und Forschung hier in Deutschland betrifft, weiter. Des-
wegen brauchen wir diese Modelle.

Wenn es darum geht, hier einen konkreten Kriterien-
katalog festzulegen, muss ich Ihnen als Jurist sagen: Das
ist äußerst schwierig. Wir haben es hier mit einem Sach-
verhalt zu tun, der viele Einzelfälle beinhaltet. Man wird
Einzelfällen mit einem starren Kriterienkatalog nicht ge-
recht werden können. Man wird der Realität nicht ge-
recht. Vor allen Dingen würde dieser auch Fälle umfas-
sen, bei denen wir bei weitem nicht von Missbrauch
sprechen. Ich denke, das ist das Schlimmste, was uns
hier an dieser Stelle passieren könnte. Allein die Diskus-
sion, die wir führen, sorgt bereits jetzt in der Wirtschafts-
welt für große Verunsicherung.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Theoretisch können wir das eben nicht wirklich beschreiben!)


Dem sollten wir als Gesetzgeber entgegenwirken. Wie
gesagt, die heutige Rechtslage ist nach meiner Auffas-
sung schon so, dass wir den Missbrauch verhindern kön-
nen und keine schärferen Regelungen brauchen. Man
müsste es dann eher kontrollieren.

Ich möchte noch einen letzten Satz sagen, dann
komme ich auch wirklich zum Ende.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810606200

Gut.


Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1810606300

Was die Forderung nach mehr Mitbestimmungs- und

Zustimmungsrechten für den Betriebsrat angeht, müssen
wir attestieren, dass es in der jetzigen rechtlichen Situa-
tion im Betriebsverfassungsgesetz ausreichende
Möglichkeiten gibt. Das sind Informations- und Unter-
richtungsrechte. Wenn Sie jetzt weitere Mitbestim-
mungsrechte und Zustimmungsrechte fordern, dann
müssen Sie mir schon mal erklären, was Sie unter unter-
nehmerischer Freiheit verstehen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Betriebsräte wissen nicht einmal, wie viele Leute auf ihrem Betriebsgelände rumlaufen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810606400

Das war ein sehr langer Satz. Bitte kommen Sie zum

Punkt.


Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1810606500

Ich komme sofort zum Ende. – Ich will nur noch ein-

mal appellieren, dass wir die Flexibilisierungsinstru-
mente, die wir haben, nicht leichtfertig aufgeben dürfen,
insbesondere angesichts der aktuellen Wirtschaftswelt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es gibt nur eine Welt, nicht nur eine Wirtschaftswelt! In der ist alles drin!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810606600

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Hans-Joachim

Schabedoth das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU])







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD):
Rede ID: ID1810606700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine Erfahrung wiederholt sich heute zum x-ten Mal:
Während die Koalitionsfraktionen noch mitten im Ar-
beitsprozess stecken, ruft die Linkspartei: Wir sind
schon fertig und legen euch unseren Antrag vor.


(Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Lehnen wir den Antrag ab, Kollege Ernst, dann wird ein-
mal mehr über die zögerliche SPD und ihren sperrigen
Koalitionspartner lamentiert.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die SPD in der letzten Legislaturperiode auch gemacht!)


Was soll das? Mich erinnert das ein wenig an meine
Schulzeit: Man hat zwei Stunden Zeit für die Klassenar-
beit. Schon nach einer Stunde springt einer auf, der erste
Übereifrige, und signalisiert: Ätsch, ich bin schon fertig,
die anderen aber noch nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Der ist am Ende durchgefallen! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, aber dafür sind wir doch hier!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen: Die
Schnellsten waren am Ende nicht immer unter den Bes-
seren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


Auch im Parlamentsbetrieb geht es nach dem Prinzip
„Sorgfalt vor Eile“.


(Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Zum Inhalt, Achim!)


Die Koalition verfolgt hier einen Sorgfaltsfahrplan. Zu-
erst wird mit den Sozialpartnern geredet. Erfahrungen,
Erwartungen – auch Befürchtungen – werden systemati-
siert und abgeglichen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das haben wir schon hinter uns!)


Erst dann kann gehandelt werden,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Warst doch selber Sozialpartner!)


und zwar in der üblichen parlamentarischen Schrittfolge,
die ich Ihnen hier gar nicht erläutern muss.


(Beifall bei der SPD)


Dabei legen wir Wert darauf, dass die im Koalitionsver-
trag getroffenen Absprachen zuerst mit unserem Koali-
tionspartner konkretisiert werden. Haben Sie bitte Ver-
ständnis dafür.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karl Schiewerling [CDU/ CSU]: Das ist eine kluge Bemerkung! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das haben wir heute gemerkt!)

Doch ich will gerne die Gelegenheit, die Sie geschaf-
fen haben, nutzen, um ein paar Missverständnisse auszu-
räumen und vielleicht schon ein bisschen aus sozialde-
mokratischer Sicht zu resümieren. Eine Klarstellung
haben wir alle, glaube ich, mittlerweile herausgearbeitet,
nämlich die, dass wir Leiharbeit und Werkverträge nicht
verbieten wollen, auch nicht „in the long term“. Zielset-
zung ist – auch das haben viele Redner gesagt –, den
Missbrauch dieser Arbeitsform als Lohn- und Sozial-
dumpinginstrument zu unterbinden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Missbrauch ergibt sich – darauf will ich beson-
ders hinweisen – in der Grauzone mangelnder Abgren-
zung zwischen Werkvertrag, Scheinselbstständigkeit und
Leiharbeit. Da muss was passieren.


(Beifall bei der SPD)


Der Missbrauch wird dadurch erleichtert, dass ein Sta-
tuswechsel heute nahezu problemlos möglich ist. Das
wollen wir korrigieren. Es gibt immer wieder gute
Gründe, statt auf Festanstellung temporär auf Leiharbeit
zu setzen. D’accord! Und es gibt auch betriebliche
Gründe, Arbeiten auf Werkvertragsbasis ausführen zu
lassen. Allerdings gibt es keinen einzigen akzeptablen
Grund, Leiharbeit und Werkverträge zum Zwecke des
Umgehens von Tarifbindungen zu nutzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Für die meisten Arbeitgeber mag das – das will ich ein-
räumen – eine Selbstverständlichkeit sein. Kollege
Stegemann, es sind aber leider nicht nur einige schwarze
Schafe. Mit denen könnten wir fertigwerden. Hier trabt
eine ganze Herde schwarzer Schafe vorbei. Wir werden
mit ihnen reden. Wir wollen das einhegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Vielleicht meint er die CDU/CSU! – Heiterkeit)


Es gibt also einen Regelungsbedarf.


(Klaus Ernst [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Hat er euch gemeint? – Heiterkeit)


– Habe ich einen Scherz nicht mitgekriegt?


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Achim, hast du die CDU/CSU gemeint?)


Unser Anliegen hat eine doppelte Stoßrichtung. Zum
einen geht es darum, das Etablieren eines Apartheidsys-
tems im Arbeitsleben zu verhindern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ein solches System bestünde dann, wenn Festangestellte
weiterhin tariflich angemessen bezahlt würden, während
Leiharbeitnehmer und Werkvertragsbeschäftigte sich mit
einer zweiten, geringeren Lohnlinie abfinden müssten.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann geht auch Equal Pay nach neun Monaten nicht!)






Dr. Hans-Joachim Schabedoth


(A) (C)



(D)(B)

Zwar gibt es hier durch den Mindestlohn eine Haltelinie,
ja. Aber trotzdem würde das Prinzip „Gleicher Lohn für
gleiche Arbeit“ erheblich verletzt. Auch Leiharbeiter ha-
ben Anspruch auf sichere, tariflich geregelte Arbeitsbe-
dingungen bei ihrem Leiharbeitgeber in und zwischen
den Phasen, in denen sie verliehen werden;


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ab dem ersten Tag!)


auch das müssen wir beachten.

In anderer Hinsicht geht es um faire Konkurrenzbe-
dingungen in der Wirtschaft. Alle Unternehmen einer
Branche müssen darauf vertrauen dürfen, dass es bei den
Arbeitskosten eine vergleichbare Ausgangslage gibt;
„level playing field“ würde wohl der Holländer sagen.
Wer durch Tricksereien über Leiharbeit und Werkver-
träge seine Arbeitskosten drückt, betrügt alle Mitbewer-
ber, die das nicht wollen oder tarifvertraglich gebunden
sind.

Der Gesetzgeber ist deshalb gefordert, Leiharbeit
wieder auf ein Instrument der Flexibilität und eines vo-
rübergehenden Ausgleichs von Auftragsspitzen zurück-
zuführen und der Prekarisierung der Arbeitswelt entge-
genzuwirken.


(Beifall bei der SPD)


Ich sage es noch einmal: Wir wollen faire Arbeits- und
Konkurrenzbedingungen.

Verhindern wollen wir, dass der Monteur der rechten
Autotür weniger verdient als der Zuständige für den Ein-
bau der linken Autotür, nur weil er Leiharbeitnehmer ist.
Equal Pay heißt das. Uns geht es auch darum, Equal
Treatment nicht aus dem Blick zu verlieren.


(Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, ab dem ersten Tag!)


Das ist nicht zuletzt – das ist ein sozialdemokratisches
Grundanliegen – ein Gebot des Respekts vor der Würde
der Arbeit. Betriebspolitik und Tarifpolitik haben hin-
sichtlich der notwendigen Regulierung die Grenze ihrer
tarifautonomen Gestaltungsmöglichkeiten erreicht. Des-
halb muss die Politik jetzt handeln, aber darf auch nicht
durch jeden Reifen springen, den uns die Linkspartei
hinhält.


(Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir können es auch aussitzen und abwarten!)


Ich will noch auf einen letzten Aspekt eingehen. Aus
der Wirtschaft wird das Bedenken signalisiert, eine ge-
setzliche Regulierung werde das unternehmerische Dis-
positionsrecht negativ tangieren. Ja, da ist was dran. Das
sollte man ernst nehmen. Aber deshalb muss auch sorg-
fältig geklärt werden, welche Grenzziehungen sachge-
recht und deshalb unvermeidlich sind. Konkret: Es muss
zweifelsfrei unterscheidbar sein, was legitime Leih-
arbeits- und Werkvertragsaufgabe ist und was als trojani-
sches Pferd des Lohndumpings und der Tarifflucht da-
hertrabt.
Wer könnte bei der Klärung dieser komplizierten
Frage besser und kompetenter urteilen als die Betriebs-
räte und die Personalräte? Deshalb sollten Unternehmen
und Personalmanagement die Mitsprache dieser betrieb-
lichen Intimkenner und Experten nicht fürchten, sondern
wünschen und nutzen.

Die SPD wird jedenfalls im Gesetzgebungsvorgang
darauf achten, –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810606800

Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit.


Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD):
Rede ID: ID1810606900

– dass bei Leiharbeit und Werkverträgen Mitbestim-

mungsregeln eingeführt bzw. effektiv genutzt werden
können.

Wir behalten im Auge – damit komme ich zum
Schluss –, dass eine gesetzliche Neuregelung Anreize
für die Arbeitgeber bietet, bestehende Tarifverträge bei-
zubehalten bzw. auf besserer rechtlicher Basis neue Ta-
rifverträge abzuschließen. Ich setze dabei –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810607000

Kollege Schabedoth, bitte!


Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD):
Rede ID: ID1810607100

– auf die Bereitschaft unseres Koalitionspartners, an

einer problemgerechten Lösung mitzuarbeiten. Und alle
Oppositionsparteien bleiben zur konstruktiven Beglei-
tung unserer Arbeit ausdrücklich eingeladen.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810607200

Ich weiß ja, dass es ein weitverbreiteter Irrtum ist,

dass das Minus vor der Zeitangabe die noch verblei-
bende Redezeit anzeigt. Aber ich bitte wirklich, auch im
Interesse aller anderen Kolleginnen und Kollegen, sich
an die Verabredungen zu halten.

Das Wort hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1810607300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Damen und Herren! Zum Schluss dieser aus-
führlichen Debatte stellt sich die Frage: Was bleibt denn
von dieser Debatte?


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Schwarze Erde!)


Da will ich als Erstes feststellen: Leih- oder Zeitar-
beit, Werkverträge – das ist anständige Arbeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)


Und selbstverständlich verdienen die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer bzw. die Selbstständigen,


(Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])






Peter Weiß (Emmendingen)



(A) (C)



(D)(B)

die Arbeit im Rahmen eines Werkvertrags erledigen oder
die als Leih- oder Zeitarbeiter arbeiten, unseren hohen
Respekt und unsere Anerkennung. Das, was wir aber al-
lesamt vermeiden wollen, ist, dass Werkverträge, Zeit-
und Leiharbeit missbräuchlich eingesetzt werden. Da-
rum geht es.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was ist der Unterschied zwischen Leiharbeit und Zeitarbeit?)


Deswegen haben wir uns in den Koalitionsverhand-
lungen zwischen CDU/CSU und SPD zu diesen beiden
Themenbereichen auch sehr viel Zeit genommen und
sind uns in Folgendem einig: Wir wollen, dass Zeit- und
Leiharbeit, die den Betrieben vor allem ermöglichen
soll, Auftragsspitzen, Auftragsschwankungen auszuglei-
chen, besonderen Anforderungen, die sich plötzlich stel-
len, gerecht zu werden, auch in Zukunft als ein Flexibili-
sierungsinstrument erhalten bleibt. Wir wollen genauso,
dass der Werkvertrag – es ist erwähnt worden –, der seit
über 100 Jahren im BGB steht und vielfach sinnvoll ein-
gesetzt wird, erhalten bleibt. Da haben wir bei der Lin-
ken Zweifel, ob sie dies nicht alles abschaffen will.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Wir wollen aber vor allem eines klarstellen: Zeit- und
Leiharbeit und genauso Werkverträge sind kein Instru-
ment für Lohndumping. Vielmehr haben die Beschäftig-
ten Anspruch auf eine anständige und angemessene Be-
zahlung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Auf die gleiche wie die anderen! Das ist der Punkt!)


Das haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode
deutlich gemacht, indem wir für Zeit- und Leiharbeit ei-
nen allgemeinverbindlichen eigenen Mindestlohn einge-
führt haben, der im Westen bereits über 8,50 Euro liegt.


(Katja Mast [SPD]: Auf Druck der SPD!)


Also: In der Zeit- und Leiharbeit ist der Mindestlohn hö-
her als der allgemeine gesetzliche Mindestlohn. Wir ha-
ben deutlich gemacht: Zeit- und Leiharbeit ist kein In-
strument für Lohndumping; vielmehr gibt es da eine
klare Grenze.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!)


In der Koalitionsvereinbarung haben wir miteinander
festgelegt, dass wir eine Höchstverleihdauer definieren
wollen und dass wir auch die Frage, ab wann jemand,
der in einem Leiharbeitsverhältnis steht, die gleiche Be-
zahlung wie die Festangestellten – Stichwort „Equal
Pay“ – bekommen soll, beantworten. Aber dabei geht es
nicht darum, dass diese Regelung erst nach neun Mona-
ten greifen soll. Vielmehr haben wir schon in der letzten
Legislaturperiode politisch unterstützt, dass Tarifver-
träge mit einer stufenweisen Heranführung an das Equal-
Pay-Prinzip abgeschlossen werden,


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: In Tarifverträgen!)


dass also bereits nach wenigen Wochen Zuschläge für
diejenigen gezahlt werden, die in einem Leiharbeitsver-
hältnis stehen.

Besonders ist dafür der Tarifvertrag für die Metall-
und Elektroindustrie bekannt, nach dem in Stufe 1 be-
reits nach sechs Wochen ein Zuschlag von 15 Prozent,
nach drei Monaten ein Branchenzuschlag von 20 Pro-
zent, nach einer Einsatzzeit von fünf Monaten ein Bran-
chenzuschlag von 30 Prozent,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sieht man mal, wie wenig die am Anfang verdienen!)


in Stufe 4 dann 45 Prozent und nach neun Monaten ein
Branchenzuschlag von 50 Prozent gezahlt wird. Ich
finde, genau das ist das Richtige: eine stufenweise Anhe-
bung der Entlohnung in der Leih- und Zeitarbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hans-Joachim Schabedoth [SPD] – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Gleicher Lohn ist das Richtige! Das ist immer noch nicht gleicher Lohn! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach drei Monaten sind die doch wieder arbeitslos!)


Ich wiederhole es: Zum Werkvertrag, einem bewähr-
ten Instrument, gibt es eine ausdifferenzierte Rechtspre-
chung mit klaren Kriterien, an die man sich zu halten
hat, um deutlich zu unterscheiden: Was ist ein Werkver-
trag und was nicht? Wir wollen, dass diese Kriterien ein-
gehalten und überprüft werden. Ich glaube, wenn wir die
Informationsrechte der Betriebsräte stärken, erreichen
wir Folgendes: Mehr Transparenz verhindert Miss-
brauch. Das sollte in Zukunft unser Motto bei der Ge-
staltung der Werkverträge sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will noch
einmal an das, was Karl Schiewerling eingangs gesagt
hat, erinnern. Richtig ist: Wir müssen Missbrauch ver-
hindern. Aber zu dem, was hier von den Oppositions-
fraktionen suggeriert wird, dass wir in einer Situation
wären, in der die Zahl an Zeit- und Leiharbeitsverhält-
nissen dramatisch zunehmen würde, kann ich nur sagen:
Das Gegenteil ist der Fall. Zurzeit beträgt der Anteil der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in einem
Leih- und Zeitarbeitsverhältnis stehen, 2,6 Prozent.
Diese Zahl lag schon einmal bei 2,9 Prozent. Das zeigt:
Es gibt hier eher eine Stagnation oder Abnahme als eine
Zunahme. Das zeigt: Die Dramatik, die die Opposition
bei diesem Thema heraufbeschwört, ist von der Sachlage
her überhaupt nicht begründet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Reden Sie doch einmal mit diesen Leuten! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Auch 900 000 Leiharbeitskräfte haben Rechte!)






Peter Weiß (Emmendingen)



(A) (C)



(D)(B)

Diese Debatte, nehme ich an, ist heute auch deswegen
aufgesetzt worden, um das eigentliche Ziel, das wir als
Koalition verfolgen, ein Stück weit zu vernebeln. Ja, wir
wollen Probleme, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt,
nicht negieren. Aber das eigentliche Ziel muss doch das
sein, was sich die allergrößte Mehrheit der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer in der Tat wünscht, nämlich
in ein normales sozialversicherungspflichtiges Arbeits-
verhältnis zu kommen. Das ist das Ziel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deswegen muss die Politik die Frage beantworten: Wie
setzen wir die Rahmenbedingungen dafür, dass dieses
Ziel für möglichst viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer erreichbar ist? Wir sollten einfach zur Kenntnis
nehmen, dass das vergangene Jahr, also 2014, das Jahr
mit der geringsten Arbeitslosigkeit seit 25 Jahren war
und mit circa 42,5 Millionen beschäftigten Menschen
das Jahr mit dem höchsten Beschäftigungsstand in der
deutschen Geschichte darstellt, und zwar auch dem
höchsten Stand an sozialversicherungspflichtiger Be-
schäftigung. Das ist das Entscheidende.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Aber nicht Vollzeit!)


Für mich ist der entscheidende Punkt: Die Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist dabei pro-
portional stärker angestiegen als die Zahl der Beschäfti-
gungsverhältnisse insgesamt. Die Botschaft ist also: Die
positive wirtschaftliche Entwicklung führt im Gegensatz
zu dem, was wir in früheren Jahren und Jahrzehnten er-
lebt haben, mittlerweile dazu, dass die Zahl der sozial-
versicherungspflichtig Beschäftigten, die anständig ver-
dienen sowie Steuern und Sozialabgaben zahlen, stärker
als der Beschäftigungszuwachs insgesamt steigt. Das ist
die eigentliche positive Botschaft. Die Zahl der norma-
len Arbeitsverhältnisse in Deutschland nimmt wieder zu.
Das ist auch die Botschaft für die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, weil wir heute
Morgen mit der Regierungserklärung der Frau Bundes-
kanzlerin begonnen haben und einen Blick auf die inter-
nationale Entwicklung geworfen haben, will ich zum
Schluss anmerken, dass die Internationale Arbeitsorgani-
sation vorgestern einen dramatischen Bericht vorgelegt
hat. Sie hat festgestellt, dass weltweit immer weniger
Menschen einen Job haben und dass von den Menschen,
die einen Job haben, weltweit nur noch 42 Prozent einen
unbefristeten Arbeitsvertrag haben. Das ist eine dramati-
sche Veränderung der Arbeitswelt weltweit. Dagegen
heben wir uns in hervorragender Weise ab, weil wir in
Deutschland genau den gegenteiligen Trend haben, und
zwar zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer und


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht!)


zugunsten guter Arbeit. Ich finde, es ist der eigentliche
Arbeitsauftrag der Koalition, diesen guten Trend für
mehr Arbeit, für mehr Beschäftigung und für gute Be-
zahlung fortzusetzen.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Teilzeit, Minijobs!)


Das ist unser Ziel.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810607400

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4839 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Prinzipien des deutschen Bildungswesens
stärken – Gleichwertigkeit und Durchlässig-
keit der beruflichen und der akademischen
Bildung durchsetzen

Drucksache 18/4928
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Berufsbildungsbericht 2015

Drucksache 18/4680
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Ausbildungsqualität sichern – Gute Ausbil-
dung für alle schaffen

Drucksache 18/4931
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer, Brigitte Pothmer, Kai
Gehring, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mit einer echten Ausbildungsgarantie das
Recht auf Ausbildung umsetzen
Drucksache 18/4938
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. – Ich darf Sie
bitten, Ihre Plätze einzunehmen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundes-
regierung hat Frau Bundesministerin Professor
Dr. Johanna Wanka.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das duale System ist die wesentliche Säule für
die Fachkräftesicherung der Zukunft in Deutschland
auch in den nächsten Jahrzehnten. Das zeigt und demon-
striert der uns vorliegende Berufsbildungsbericht 2015
ganz deutlich. Er zeigt aber auch, dass die berufliche
Ausbildung in Deutschland vor sehr großen Herausfor-
derungen steht.

Was sind die Hauptbotschaften, die man diesem Be-
richt entnehmen kann? Aus Sicht der Jugendlichen hat
sich die Situation weiter verbessert. Jetzt haben wir die Si-
tuation, dass für 100 Jugendliche, die einen Ausbildungs-
platz suchen, 103 Ausbildungsplätze vorhanden sind.
Wenn ich mir die Zahlen der BA von März und April an-
schaue, dann setzt sich dieser Trend fort. Es ist ganz an-
ders als in den 90er-Jahren. Wir haben also die Situation,
dass mehr Plätze unbesetzt bleiben, es sind 37 000. Das
ist Höchststand. Dagegen gibt es nur 21 000 Bewerber,
die gar nichts haben und einen Ausbildungsplatz suchen.
Die Frage ist: Wie bekommt man diese Jugendlichen auf
die für sie geeigneten Ausbildungsplätze? Dieses Pas-
sungsproblem ist nicht trivial zu lösen. Es ist außer-
ordentlich schwierig. Es ist sehr komplex.

Wenn wir uns die Ausbildungsbetriebe anschauen,
dann hat sich die Zahl derer, die Ausbildung anbieten,
weiter verringert. Das ist außerordentlich bedenklich.
Die großen und mittleren Betriebe haben ihre Ausbil-
dungsbetriebsquote erhöht, aber bei den kleinen und
kleinsten Betrieben geht diese Zahl stark zurück. Wir
müssen die kleinen Betriebe motivieren, Ausbildungs-
plätze anzubieten, gerade in den neuen Bundesländern,
wo sie jahrelang niemanden gefunden haben. Im Juni,
Juli starten wir eine Ausschreibung, in der wir ein spe-
zielles Programm anbieten, um die Ausbildungsbereit-
schaft der kleinen und mittleren Betriebe zu erhöhen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wenn man das Geflecht sieht, dann ist ganz klar: Es
sind ganz viele Akteure in dem Geschäft. Dieser Bereich
ist außerordentlich komplex. Man kann nicht an einer
Stellschraube drehen und erwarten, dass sich dann alles
grundlegend ändert. Deswegen bin ich den Koalitions-
fraktionen sehr dankbar für diesen sehr umfassenden
Antrag, der alle Aspekte einbezieht und viele Anregun-
gen enthält, über die wir diskutieren und die wir umset-
zen.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen hat eigent-
lich dieselbe Zielrichtung, es gibt auch in Bezug auf die
Instrumente viel Übereinstimmung. Aber in der Ein-
schätzung dessen, was die Regierung ordentlich gemacht
hat, was die Regierung schon erreicht hat, gibt es natürli-
che wesentliche Unterschiede.


(Zuruf von der CDU/CSU)


– Ja, es ist normal für eine Opposition.

Es gibt viele Chancen, die wir ergreifen können – las-
sen Sie mich zwei, drei nennen, zum Beispiel den Über-
gangsbereich. In diesen Übergangsbereich mussten
Bund und Länder in den 90er-Jahren richtig viel Geld
stecken, um dafür zu sorgen, dass die jungen Menschen,
die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, wenigs-
tens irgendetwas haben. Früher sind rund 400 000 junge
Menschen pro Jahr in den Übergangsbereich eingetreten,
heute sind es rund 250 000. Das sind immer noch sehr
viele. Aber es ist ein absoluter Fehlschluss – auch das
habe ich in den Anträgen der Opposition gelesen –, zu
glauben, das seien 250 000 Leute, die auf der Suche
nach einem Ausbildungsplatz sind. Mindestens ein Drit-
tel der jungen Menschen in diesem Übergangsbereich
nutzt ihn, um einen schulischen Abschluss nachzuholen
oder um einen höheren schulischen Abschluss zu errei-
chen, um ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu
erhöhen. Dann gibt es in diesem Bereich die Jugendli-
chen, für die er gedacht ist und für die er auch in Zukunft
immer notwendig sein wird. Das sind diejenigen, die die
Schule verlassen und nicht ausbildungsfähig sind. Sie er-
fahren in den Maßnahmen des Übergangsbereichs be-
sondere Unterstützung und Weiterbildung, was vielleicht
noch besser und effektiver ausgestaltet werden kann.
Dann gibt es die Gruppe junger Menschen, die in dem
System sozusagen versorgt sind, aber in Wirklichkeit et-
was anderes wollen, nämlich einen Ausbildungsplatz.
Das ist die Klientel, auf die die Wirtschaft sofort zugrei-
fen kann. Sie kann nicht sagen: Es gibt zu wenige, die
eine Ausbildung machen wollen.

Zu den Potenzialen zählen die Jugendlichen mit
Migrationshintergrund.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Ausbildungsanfängerquote bei den Jugendlichen mit
Migrationshintergrund liegt bei 32 Prozent, bei den deut-
schen Jugendlichen bei 57 Prozent; es gibt also eine Rie-
senlücke. Fest steht: Die Jugendlichen mit Migrations-
hintergrund haben sich in den letzten Jahren schulisch
verbessert. Nun müssen wir vor allem um sie werben.
Wir müssen die Jugendlichen, ihre Eltern, aber auch die
Betriebe, die von Menschen mit Migrationshintergrund





Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)

geleitet werden, informieren. Deshalb haben wir in die-
sem Jahr die Zahl der KAUSA-Servicestellen, die genau
diese Funktion haben, mehr als verdoppelt. Aber es sind
noch weitere Anstrengungen notwendig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Viele Jugendliche – die Zahlen finden Sie im vorlie-
genden Bericht – zwischen 20 und 29 Jahren haben kei-
nen beruflichen Abschluss. Sie haben eine zweite Chance
verdient. Das kostet richtig viel Geld, aber hier muss et-
was getan werden. Aber viel entscheidender ist es, dass
wir verhindern, dass wir es auch in Zukunft mit solchen
Größenordnungen zu tun haben. Das heißt, wir müssen
präventiv tätig sein und individuell fördern. Prävention
statt Reparatur, das muss unsere Zielstellung sein.

Bildungsketten – wir haben darüber gesprochen –
sind eine sehr gute Möglichkeit, um Jugendlichen Vor-
stellungen über geeignete Berufe zu vermitteln, um sie
zu ermuntern, eine Ausbildung zu beginnen. Wir sind in
Deutschland immer stark, wenn es darum geht, Projekte
auf den Weg zu bringen. Das Feedback in allen Projek-
ten, die ich besucht habe, war: Es gibt eine große Akzep-
tanz dieser Bildungsketten vonseiten der Lehrer, aber
auch vonseiten der Auszubildenden und der Ausbilder.
Die Bildungsketten sind wirklich ein gutes Instrument.
Aber wichtig ist, dass man etwas, das funktioniert, in ei-
ner anderen Größenordnung und flächendeckend macht.

Die Arbeitsministerin und ich haben uns zusammen-
getan. Ich kann Ihnen sagen, dass wir 500 000 jungen
Menschen – das ist eine halbe Million – eine Potenzial-
analyse anbieten können, dass wir in den nächsten Jah-
ren für über 100 000 junge Menschen eine Berufsein-
stiegsbegleitung anbieten. Nun könnte man sagen: Das
könnte noch mehr sein. Aber in dieser Dimension gab es
das bisher noch nie. Bei der Berufseinstiegsbegleitung
sind praktisch alle Schulen, die infrage kommen, einge-
bunden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Nun ist es so, dass sich viele um dieses Thema bemü-
hen. Es gibt eine Menge von Maßnahmen, die nebenher
und unkoordiniert verlaufen. Frau Nahles und ich haben
die politische Initiative ergriffen. Wir regen an, dass in
den einzelnen Bundesländern Gesamtkonzepte auf den
Weg gebracht werden, damit keiner verloren geht. Wir
müssen natürlich auf die Bundesländer zugehen; denn
die Bedingungen, unter denen dies in Baden-Württem-
berg umgesetzt wird, sind andere als in Hamburg. Ich
hoffe auf große Resonanz der Landesminister. Einige ha-
ben Ihre Bereitschaft schon signalisiert.

Verwundert hat mich in den Oppositionsanträgen – da
war ich wirklich verblüfft –, dass so viel über die Ausbil-
dungsplatzgarantie geschimpft und andere Vorschläge
gemacht wurden. Haben Sie nicht gelesen, was wir ge-
macht haben?


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


In der Allianz für Aus- und Weiterbildung ist das ein
ganz zentraler Punkt. Wir haben dort zum Beispiel die
Selbstverpflichtung der Wirtschaft. Wenn ein Jugendli-
cher bis zum 30. September – also konkret, nicht nur ir-
gendwie – eines Jahres keinen Ausbildungsplatz hat,
dann bekommt er bei der Nachvermittlung der BA drei
Angebote, und wenn sie bewirken, dass er sich räumlich
verändern muss oder auch beruflich, dann wird das ent-
sprechend finanziell unterstützt, auch zum Teil von den
Arbeitsagenturen in den Ländern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Auch das Thema Ausbildungsqualität ist in der Alli-
anz für Aus- und Weiterbildung ein ganz zentrales
Thema. Wir sollten wissen: Die Ausbildungsqualität
muss verbessert werden, an vielen Stellen. Da sind viele
Maßnahmen, viele Dinge vorgesehen, aber keine
Schreckgespenster. Selbst der DGB – der DGB! – sagt,
dass der Großteil der Auszubildenden zufrieden ist mit
der Ausbildungsqualität.

Ein Punkt, den ich besonders wichtig finde und noch
kurz benenne, meine Damen und Herren, ist die Durch-
lässigkeit. Wissen Sie, in der Kultusministerkonferenz
haben wir über Jahre diskutiert: Das Abitur in Deutsch-
land ist die Hochschulzugangsberechtigung, die gene-
relle Zugangsberechtigung, und alles andere geht nicht,
vermatscht das Abitur. Man konnte es nachholen über
den zweiten Bildungsweg. Mittlerweile ist es eine Tatsa-
che – die wichtig ist –, dass man mit beruflicher Qualifi-
kation studieren kann. Die Allererste, die das im Gesetz
vorgesehen hat, war ich 2008 in Brandenburg. 2009 gab
es den KMK-Beschluss. Jetzt ist es bundesweit in allen
Gesetzen verankert. Aber es funktioniert noch nicht. Die
Zahlen sind minimal. Wir müssen mehr machen, wir
müssen die Hürden, die in den Gesetzen sind, noch ein-
mal diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten bei der CDU/CSU und der SPD)


Die rechtliche Basis ist gegeben; aber dazu gehört sehr
viel mehr. Wenn wir wollen, dass akademische und
duale Ausbildung nicht gegeneinander ausgespielt wer-
den, sondern dass Durchlässigkeit in beide Richtungen
vorhanden ist, dann müssen wir an dieser Stelle intensiv
arbeiten. Das ist ein Punkt, den ich in unterschiedlichen
Anträgen wiedergefunden habe.

Meine Damen und Herren, der Berufsbildungsbericht
ist Analyse, aber auch Ermunterung und Auftrag, und
den nehmen wir an.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810607500

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Rosemarie

Hein, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810607600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Bundesregierung, die Bundesministerin spricht von
leichten Verbesserungen auf dem Ausbildungsmarkt für
Jugendliche, obwohl sie wieder einen Rückgang bei der





Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)

Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge konsta-
tieren muss. Es scheint heute schon ein Erfolg zu sein,
dass sich der Rückgang der Zahl der abgeschlossenen
Ausbildungsverträge gegenüber dem Vorjahr verringert
hat. Ich finde, das ist eine komische Logik.


(Beifall bei der LINKEN)


Gleichzeitig beschwört sie seit Monaten, die Attraktivi-
tät der dualen beruflichen Bildung zu erhöhen und ihre
Gleichwertigkeit zur akademischen Bildung herzustel-
len, und bastelt Programme für Studienabbrecher, um sie
für die duale Ausbildung zu begeistern.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was ist daran schlecht?)


– Das ist nicht schlecht; das stimmt. – Die Zunahme der
Zahl der unbesetzten Lehrstellen erklärt sie wieder mit
sogenannten Passungsproblemen.

Wir finden, dass die Probleme anders liegen. Die
duale Berufsausbildung hat kein Attraktivitätsproblem,
sondern es mangelt an guten Ausbildungsplätzen, und
sie hat zumindest in einigen Branchen und Unternehmen
ein Qualitätsproblem. Darum haben wir heute einen An-
trag zur Verbesserung der Ausbildungsqualität vorgelegt.


(Beifall bei der LINKEN)


Doch zu einigen Zahlen: Die Bundesregierung, die
Ministerin eben auch, spricht immer nur von den etwa
21 000 unversorgten Bewerberinnen und Bewerbern,
also jenen Jugendlichen, die überhaupt kein Angebot er-
halten haben. Ich finde, das ist Schönfärberei. Ich muss
Ihnen eine andere Zahlenreihe anbieten: Tatsächlich ha-
ben sich mehr als 600 000 junge Menschen über die
Bundesagentur für Arbeit um einen Ausbildungsplatz
beworben. Es wurden aber nur 560 000 Stellen angebo-
ten. Etwa 522 000 Ausbildungsverträge wurden tatsäch-
lich abgeschlossen, einige davon sogar außerbetrieblich.
Insgesamt haben sich also nicht nur 21 000, sondern
81 000 junge Menschen erfolglos um einen Ausbil-
dungsplatz beworben; das ist schon eine andere Größen-
ordnung. Ihr Wunsch, eine Berufsausbildung zu machen,
ist immer noch da, auch wenn sie sich zurzeit in einer
anderen Bildungsmaßnahme befinden. Es ist eine Kata-
strophe, dass insgesamt über eine Viertelmillion junge
Menschen sich in schulischen Ausbildungsangeboten
befinden – dort geparkt werden –, die zu keinem Berufs-
abschluss führen. Das darf man nicht schönreden!


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde, diese Warteschleifenpolitik des sogenann-
ten Übergangssystems muss ein Ende haben, auch wenn
es richtig ist, dass der eine oder die andere über diesen
Weg einen höheren Schulabschluss erreichen kann. Das
ist aber eine ganz andere Ebene. Das alles kann man
auch anders machen.

Nachdem in den Jahren seit 2005 die Zahlen des
Übergangssystems sehr deutlich geschrumpft sind,
scheint es nun irgendwie nicht weiterzugehen. Wenn es
gelänge, nur diejenigen der im Übergangssystem Ver-
bliebenen, die über einen Schulabschluss verfügen, also
über einen Haupt- oder einen Realschulabschluss – das
sind etwa drei Viertel der dort befindlichen jungen
Menschen –, in eine vollwertige Berufsausbildung zu
bringen, wäre ein Großteil des Problems gelöst. Dazu
brauchte man allerdings etwa 190 000 zusätzliche Aus-
bildungsplätze.

Die zum Jahresende 2014 geschlossene Allianz für
Aus- und Weiterbildung hat aber gerade einmal be-
schlossen, 20 000 Stellen mehr an die Bundesagentur für
Arbeit zu melden. Man beachte die sprachliche Feinheit:
zu melden, nicht zu schaffen! Frau Ministerin, Selbstver-
pflichtungen der Wirtschaft hatten wir in den letzten Jah-
ren wahrlich genug. Sie haben nichts geholfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Darum ist das ewige Gejammer um die angeblich sin-
kende Attraktivität der beruflichen Bildung im Vergleich
zur akademischen völlig überflüssig. Der Ball liegt bei
den Unternehmen. Die müssen liefern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt tatsächlich
etwa 37 000 unbesetzte Ausbildungsstellen, und zwar
vornehmlich in den Wirtschaftsbereichen und kleinen
Unternehmen, die eine sehr schwierige Ausbildungslage
und Probleme mit der Ausbildungsqualität haben. Dort
gibt es die höchste Zahl an Vertragsauflösungen. Das
weist darauf hin, dass wir uns mehr um die Ausbildungs-
qualität kümmern müssen.

Das kann man auch sehr gut im Ausbildungsreport
der DGB-Jugend nachlesen, aber leider nicht so ausführ-
lich im Berufsbildungsbericht. Ich will nur ein paar
Fakten daraus nennen: 34 Prozent der Jugendlichen ha-
ben keinen betrieblichen Ausbildungsplan, 11 Prozent
sehen ihre Ausbilder selten oder nie, 36 Prozent müssen
regelmäßig Überstunden machen, 13 Prozent der unter
18-Jährigen müssen mehr als 40 Stunden in der Woche
arbeiten. Ich höre damit auf. Es gibt aber noch eine
ganze Latte mehr solcher Befunde.

Zu den Branchen, in denen das am häufigsten beklagt
wird, gehören genau jene, in denen die meisten offenen
Stellen sind und die die höchste Zahl der Ausbildungsab-
brüche haben.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Was für eine Überraschung!)


Die Sicherung der Ausbildungsqualität ist eine der wich-
tigsten Aufgaben für die Erhöhung der Attraktivität be-
ruflicher Bildung geworden. Das müssen wir über die
quantitativen Dinge hinaus endlich auch annehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Darum haben wir in unserem Antrag Forderungen
formuliert, die nach unserer Auffassung auf Bundes- und
auf Landesebene dringend in Angriff genommen werden
müssen. Wir haben uns diesmal auf die duale Berufsaus-
bildung, also auf die nach dem Berufsbildungsgesetz
und der Handwerksordnung, beschränkt, wissen aber,
dass es auch in anderen Bereichen offene Fragen dazu
gibt.

Die Ausbildungsqualität wird sich jedoch nur verbes-
sern lassen, wenn auch die rechtlichen Rahmen dafür ge-
schärft werden, und das kann und muss im Zuge einer





Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)

Novellierung des Berufsbildungsgesetzes geschehen.
Dazu gehört zum Beispiel auch die Aufwertung der Be-
rufsschulbildung. Dual ist eine Ausbildung nämlich nur
dann, wenn sie beide Seiten hat: die betriebliche und die
schulische. Wenn das eine fehlt, ist sie nicht mehr dual.

Deswegen müssen schulische Lernleistungen tatsäch-
lich auch bei den Kammerprüfungen berücksichtigt wer-
den, müssen die rechtlichen Regelungen für den Besuch
einer Berufsschule zwischen den Ländern – sie sind
nämlich sehr unterschiedlich – vereinheitlicht werden
und müssen die Rechte von Auszubildenden, die älter als
18 Jahre sind, neu gesetzlich geregelt werden. Der
Berufsbildungsbericht muss künftig auch die Ausbil-
dungsqualität berücksichtigen, und die Kompetenzen der
Berufsbildungsausschüsse müssen gestärkt werden.

Wir gehen nicht davon aus, dass wir schon alle Forde-
rungen aufgeschrieben haben. Für Ergänzungen und Er-
weiterungen sind wir sehr dankbar.

Ich möchte noch ganz kurz auf den Antrag der Koali-
tion eingehen. Das Anliegen, die Durchlässigkeit zwi-
schen beruflicher und akademischer Bildung zu verbes-
sern, teilen wir durchaus, aber Bekenntnisse werden hier
nicht ausreichen. Lassen Sie mich drei Anmerkungen zu
Ihrem Antrag machen.

Erstens. Sie fordern von den Unternehmen, dass die
Absolventen der beruflichen Bildung, wie staatlich ge-
prüfte Techniker und Fachwirte, Entwicklungsmöglich-
keiten erhalten, wie sie auch Hochschulabsolventen
haben. Das ist richtig; denn sie haben ein Qualifikations-
niveau, das dem Bachelor-Abschluss gleichgestellt ist.
Aber, meine Damen und Herren, das gilt auch für Erzie-
herinnen und Erzieher. Warum ist es dann so schwer,
ihre Arbeit im Bereich der frühkindlichen Bildung in den
Kindertagesstätten genauso zu würdigen und sie entspre-
chend einzugruppieren?


(Beifall bei der LINKEN)


Senden Sie hier doch einmal ein solches Signal aus; das
würde vielleicht sogar in den derzeitigen Tarifverhand-
lungen helfen. Ihre Arbeit ist nämlich nicht weniger wert
als die eines Fachwirtes, Meisters oder Technikers.

Zweitens. Wir teilen die Forderung, Berufsschullehrer
im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung stärker
in die Lehrerausbildung einzubinden; wir fordern das
auch. Die Lage an den Berufsschulen könnten wir allein
schon dadurch verbessern, dass wir das Übergangs-
system entsprechend abbauen. Dann könnten die frei
werdenden Lehrerstunden nämlich in den Berufsschulen
genutzt werden.

Einen dritten, letzten Punkt möchte ich benennen und
die Koalition auf einen kleinen Fehler hinweisen.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Aber nur einen kleinen!)


Unter Punkt 8 Ihrer Forderungen steht, die regionalen
beruflichen Bildungszentren sollten zu Kompetenzzen-
tren ausgebaut werden. Meine Damen und Herren von
der Koalition, das dürfen Sie nicht; die Bundesregierung
darf das nicht finanzieren, weil das Aufgabe der Länder
ist. Ich frage mich ernsthaft, was Sie dazu bewogen hat,
diesen Punkt aufzunehmen. Möglicherweise unterliegen
Sie einem Irrtum, oder Sie wollen auf ganz listige Weise
die Länderhoheit umgehen.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie irren sich! Das ist vollkommen falsch, was Sie sagen! Die überbetrieblichen Ausbildungsstätten sind bei uns im Haushalt!)


– Es tut mir leid. Es geht nicht um überbetriebliche Aus-
bildungsstätten.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Doch, darum geht es!)


Es geht um die regionalen Berufsbildungszentren.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810607700

Frau Dr. Hein.


Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810607800

Googeln Sie einfach einmal! Dann finden Sie heraus,

dass das Schulen sind. Das ist Länderhoheit. Tut mir
leid. – Das Kooperationsverbot ist nicht unsere Erfin-
dung. Heben Sie es auf, dann kriegen wir das auch hin.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810607900

Danke schön. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt

Willi Brase das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1810608000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich auf die
Debatte im federführenden Ausschuss; denn das, was
Sie hier dargestellt haben, stimmt in Teilbereichen nicht
ganz mit der Realität überein.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich finde, die Ministerin hat auf der Grundlage des Be-
rufsbildungsberichtes schon sehr genau auf die unter-
schiedlichen Strukturen, Bedingungen und Verhältnisse
hingewiesen. Das werden wir im Ausschuss noch einmal
gebührend zu diskutieren haben.

Wir konnten heute in der Presse lesen, dass laut einer
Studie von Prognos bis zum Jahre 2020 1,2 Millionen
junge Leute mit Berufsabschluss und 500 000 junge
Leute mit Hochschulabschluss benötigt werden. Das ist
nicht mehr lange hin; das sind nur noch ein paar Jahre.
Vor diesem Hintergrund möchte ich darauf hinweisen,
dass die Debatte um einen angeblichen Akademisie-
rungswahn in diesem Lande ein bisschen schiefläuft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Für uns ist der
Aufstieg für alle, egal woher sie kommen und was sie





Willi Brase


(A) (C)



(D)(B)

mitbringen, ein absolutes Muss. Davon weichen wir
nicht einen Millimeter ab.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen allen Menschen – denen aus schwierigen
materiellen und sozialen Verhältnissen genauso wie
denen aus guten oder bildungsnahen Verhältnissen – die
Chance geben, den Weg zu gehen, den sie gehen wollen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Daher empfehle ich, diese Debatte ein Stück weit zu-
rückzufahren. Sie bringt uns nicht weiter.

Was ich gut finde – man findet es teilweise in den
Anträgen, aber auch in der Realität –, ist die Debatte
über die Gleichwertigkeit von allgemeiner und berufli-
cher Bildung. Nach meinem Eindruck scheint mittler-
weile klar zu sein, dass es nichts mehr bringt, die duale
berufliche Ausbildung nur als Einstieg für Leute mit
mittlerem Abschluss, Hauptschulabschluss und darunter
zu verstehen. Das, was wir mit dem Berufsbildungsge-
setz anbieten – Aufstiegsfortbildungen, Umschulungs-
möglichkeiten, vor allem der Durchstieg zur Fachhoch-
schule, auf den ich noch zu sprechen komme –, ist
absolut richtig, um die Stärke des Industriestandortes
Deutschland zu erhalten und gleichzeitig gute Perspekti-
ven für die jungen Leute auf den Weg zu bringen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zur Gleichwertigkeit gehört für mich auch – wir kön-
nen es im Berufsbildungsbericht gut nachlesen –: Wir
haben über 200 000 junge Leute, die eine schulische
Ausbildung mit Abschluss im Gesundheits- und Erzie-
hungsbereich absolvieren. Nicht all diese jungen
Menschen haben eine Hochschulzugangsberechtigung.
Vielfach sind es junge Menschen mit einem mittleren
Bildungsabschluss. An dieser Stelle gebe ich Frau Hein
durchaus recht: Die Gesellschaft sollte und muss begrei-
fen, dass die Wertigkeit der Erziehungs-, der Pflege- und
der Gesundheitsberufe – vor allen Dingen, was den
Pflegebereich angeht –, wesentlich höher eingeschätzt
werden muss.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das halte ich für absolut richtig und notwendig; das
muss noch einmal deutlich gesagt werden.

Ich komme zur Qualität der dualen Berufsausbildung.
Wir haben, auch außerhalb des Parlamentes, mehrere
Debatten darüber geführt, an welchen Stellen das Be-
rufsbildungsgesetz möglicherweise novelliert werden
muss. Ich bin ein bisschen nachdenklich geworden, als
von Vertretern des Bundesinstituts für Berufsbildung,
der Wirtschaft und der Wirtschaftsverbände der Begriff
„Berufslaufbahnkonzept“ benutzt wurde. Diesem Be-
rufslaufbahnkonzept liegt die Auffassung zugrunde: Wir
brauchen in bestimmten Branchen nur noch Teilqualifi-
kationen. – Dazu kann ich für meine Fraktion klar und
deutlich sagen: Wir wollen, dass das duale Ausbildungs-
system das Berufsprinzip beibehält und dass ein Ergeb-
nis der Prüfung die Zuerkennung der Berufsfähigkeit ist.
Wir sind gegen eine weitere Aufgliederung von Ausbil-
dungsgängen.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb ist ein solches Konzept, auch wenn es mit dem
Deutschen und dem Europäischen Qualifikationsrahmen
ein Stück weit in Einklang steht, aber auf Teilqualifika-
tionen und auf Teilzertifizierungen setzt, von uns abzu-
lehnen. Ich kann nur sagen: Mit der SPD wird es eine
solche Modularisierung der dualen Berufsausbildung
nicht geben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Es ist über die Warteschleifen diskutiert worden. Ja,
man muss sich das genauer anschauen. Man muss sich
dieses Problem auch unter regionalen Gesichtspunkten
anschauen. Die bundesweiten Zahlen sind das eine, die
Realitäten vor Ort das andere. Ich finde es bedauerlich,
dass es offensichtlich noch nicht gelungen ist, das Instru-
ment der Einstiegsqualifizierung – im Rahmen der Al-
lianz für Aus- und Weiterbildung werden dafür ja noch
einmal zusätzliche Plätze angeboten – bei den Unterneh-
men vor Ort und den jungen Leuten, die möglicherweise
erst einmal in diesen Bereich gehen müssen, positiv zu
verankern. Wenn man es schafft, ein Jahr lang eine Ein-
stiegsqualifizierung in einem Betrieb zu absolvieren und
gut arbeitet, wird diese Leistung zum Teil auf die duale
Ausbildung anerkannt. Diesen Weg müssen wir deutli-
cher aufzeigen. Er muss besser verankert werden.


(Beifall bei der SPD)


Ich bin Frau Wanka dafür dankbar, dass sie sich mit
Frau Nahles und den Bundesländern auf den Weg macht,
das gesamte Paket, das für den Übergangsbereich zur
Verfügung steht, zu untersuchen – es geht um etwa
250 000 Jugendliche in Warteschleifen – und zu überle-
gen, wie wir die Vielzahl der Maßnahmen reduzieren
können. Ich glaube, dass ich das hier in den letzten Jah-
ren 20- oder 25-mal angesprochen habe. Ich werde nicht
müde, das erneut anzusprechen. Die Vielfalt bringt uns
nicht weiter. Wir müssen das Ganze vernünftig begren-
zen, um auf einen vernünftigen Weg zu kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen und müssen die Attraktivität des berufli-
chen Bildungssystems erhöhen. Zur Attraktivität der Be-
rufe gehört natürlich auch die Antwort auf die Frage: Wie
verhält es sich später mit den Löhnen und Gehältern? In
diesem Zusammenhang möchte ich aus einem Artikel in
der Rheinischen Post vom 27. Januar dieses Jahres zitie-
ren, der anhand einer Studie des DIW deutlich gemacht
hat, wie die Gehälter in einzelnen Ausbildungsberufen
aussehen. Ich zitiere: Demnach bekommen Männer nach
einer Lehre zum Versicherungskaufmann, Finanzberater,
Logistiker oder Buchhalter die besten Stundenlöhne. Sie
lassen beim Gehalt unter anderem Lehrer, Geistes- und
Politikwissenschaftler, Architekten, Bauingenieure, Fach-
hochschulabsolventen, Erzieher und Sozialarbeiter hinter
sich. – Ich meine, wer für die duale Ausbildung steht, der
sollte auch mit Selbstbewusstsein sagen, dass wir sehr





Willi Brase


(A) (C)



(D)(B)

viele Berufe haben, in denen sehr gutes Geld verdient
werden kann. Diese Berufe kann man mit akademischen
Berufen vergleichen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben klare Erwartungen an die Allianz für Aus-
und Weiterbildung. Das kann ich, glaube ich, für meine
Fraktion, aber auch für die Koalition deutlich sagen. Al-
les, was diesbezüglich vereinbart wurde – 10 000 Plätze
für die assistierte Ausbildung, 20 000 zusätzliche Aus-
bildungsplätze, Qualität der Ausbildung –, erwarten wir
Ende des Jahres. Nach der Nachvermittlungszeit, die wir
aus den berufsbildungspolitischen Debatten ja kennen,
erwarten wir die entsprechenden Ergebnisse. Es muss
vorangehen, auch vor dem Hintergrund der Tatsache,
dass wir zukünftig ein hohes Maß an jungen Leuten
brauchen, die gut und ordentlich ausgebildet sind.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen. Im Juli
2013 haben wir über die Jugendgarantie in Europa ge-
sprochen. Die Bundesregierung und wir im Parlament
haben bei den Haushaltsberatungen mittlerweile eine
Menge Geld zur Verfügung gestellt, um einen Austausch
zu ermöglichen, um jungen Leuten aus anderen Ländern
die Chance zu bieten, in Deutschland eine Ausbildung
oder Ähnliches zu beginnen.

Vor wenigen Tagen hat Jacques Delors, den viele von
Ihnen kennen, gesagt, wir brauchten einen neuen Anlauf
bei der Ausbildung der Jugendlichen in Europa. Ich
glaube, er hat recht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es geht nicht mehr um 30 000 oder 40 000 Jugendliche,
sondern um mehr als 200 000 junge Menschen. Die Ju-
gendgarantie umfasst insgesamt Mittel in Höhe von etwa
6 Milliarden Euro. Ich habe ein bisschen in die Szene hi-
neingehört und bin der Frage nachgegangen, was bei all
dem herumgekommen ist. Ich denke, dass der von Jacques
Delors eingeschlagene Weg – ich kann ihn aufgrund
meiner begrenzten Redezeit nicht mehr genau darstellen;
man kann es nachlesen – richtig ist: 100 000 und mehr
Jugendlichen in Europa wurde die Chance gegeben, in
ein Nachbarland zu gehen und eine zwei- oder dreijäh-
rige Ausbildung zu machen. Das stärkt Europa, und es
gibt allen jungen Leuten Zukunftsaussichten. Dafür soll-
ten wir uns starkmachen.

Ich danke fürs Zuhören.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810608100

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Beate Walter-

Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuhörer und
Zuhörerinnen! Sehr geehrte Frau Ministerin Wanka!
Lassen Sie mich mit einem Zitat aus diesem April begin-
nen, das von Ihnen, Frau Wanka, stammt. Sie sagten da-
mals: Wir haben jetzt im Gegensatz zu vor zehn Jahren
mehr unbesetzte Plätze im beruflichen Bereich als un-
versorgte Bewerber. – Das haben Sie eben wiederholt.

Ich finde schon, dass man sich diesen Satz einmal auf
der Zunge zergehen lassen muss. Es ist, verzeihen Sie
bitte, Unsinn, das einfach so zu behaupten. So, wie Sie
es sagen, stimmt es nicht; so können Sie uns das nicht
weismachen. Über eine Viertelmillion junger Menschen
in diesem Land ist im vergangenen Jahr bei der Suche
nach einem Ausbildungsplatz leer ausgegangen. Das ist
keine kleine Randgruppe, sondern es ist eine Anzahl von
Menschen, die der Einwohnerzahl einer Großstadt wie
Augsburg entspricht. Diese jungen Menschen landeten
im sogenannten Übergangssystem. Es waren fast
260 000 junge Menschen in teuren Warteschleifen ohne
Anschluss, ohne Abschluss und ohne berufliche Zu-
kunft. Gleichzeitig klagt die Wirtschaft über Fachkräfte-
mangel. Da läuft irgendetwas falsch. Das ist wirtschaftli-
cher Unsinn und bildungspolitischer Irrsinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Im Berufsbildungsbericht steht genau das schwarz auf
weiß. Frau Ministerin Wanka, es tut mir leid, aber ich
finde, als Mathematikprofessorin interpretieren Sie da
wirklich Ihre eigene Statistik falsch. Wer all diese Ju-
gendlichen als versorgt bezeichnet – das tun Sie immer
noch –, der ist entweder ahnungslos oder verantwor-
tungslos. Ich weiß nicht, was ich schlimmer finde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hören Sie endlich auf, mit Zahlen zu jonglieren. Es geht
um junge Menschen. Krempeln Sie lieber die Ärmel
hoch, packen Sie etwas an, und schauen Sie, dass Sie die
berufliche Bildung in Deutschland vom Kopf auf die
Füße stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Koalitionsvertrag haben Sie noch vollmundig eine
Ausbildungsgarantie angekündigt. Ich frage Sie: Wo ist
sie denn, die Ausbildungsgarantie? Wir haben sie nicht
gefunden. Wir haben uns auf die Suche begeben. Im Text
der neuen Allianz für Aus- und Weiterbildung schreiben
Sie, dass Sie allen Jugendlichen einen Pfad bereiten
möchten. Meine Damen und Herren, ein schmaler Pfad,
auf dem man sich irgendwie durchwurschteln kann, ist
nicht das, was junge Menschen brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie brauchen breite Wege und Brücken in den Beruf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koali-
tion, Ihr Antrag zeigt schon im Titel, dass Sie den Kern
des Problems überhaupt nicht begriffen haben.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Käse!)


Dort lesen wir, dass Sie die Gleichwertigkeit und Durch-
lässigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung
– wir haben es gerade gehört – durchsetzen wollen. Ich
kann Ihnen versichern: Das schaffen Sie nicht, solange
Sie das Ganze wie ein Mantra vor sich her tragen.
Schwadronieren Sie nicht so lange über den vermeintli-
chen Akademisierungswahn – das tun Sie nämlich –,





Beate Walter-Rosenheimer


(A) (C)



(D)(B)

sondern hören Sie auf, die akademische Bildung gegen
die berufliche auszuspielen.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hat doch niemand gemacht! Niemand macht das! So ein Käse!)


– Doch. Da können Sie ruhig lachen. Es ist in unseren
Augen so.

Es geht um die zentrale Frage, wie wir die Jugendli-
chen, die es selbst nicht schaffen und die schlechtere
Startchancen in diesem Land haben, fit für die Ausbil-
dung machen. Diese Jugendlichen gibt es.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich finde es, ehrlich gesagt, nicht so wahnsinnig lustig. –
Es gibt sie, und sie brauchen mehr Unterstützung. Diese
Jugendlichen haben wir bis jetzt nicht erreicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb fordern wir eine echte Ausbildungsgarantie,
die diesen Namen auch verdient. Wir wollen die assis-
tierte Ausbildung endlich für all jene Jugendlichen öff-
nen, die eben mehr Unterstützung brauchen, damit sie an
ihr Ziel kommen.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja, aber das haben wir doch gemacht!)


– Ich sage ja gerade, was wir machen wollen. Hören Sie
bitte noch kurz zu.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Wir haben es schon gemacht!)


Wir wollen den Ausbau der Jugendberufsagenturen
stärken, damit junge Menschen – etwa solche, die keine
Eltern haben, die sie auf den richtigen Weg schubsen –
die notwendige Unterstützung bekommen und nicht auf
dem Weg von der Schule in den Beruf verloren gehen.
Da gehen noch viel zu viele verloren.

Wir misten den Dschungel an Maßnahmen im Über-
gangsbereich aus und bündeln die sinnvollen Pro-
gramme so, dass sie in einer betriebsnahen Ausbildung
vom ersten Tag an zu einem anerkannten Berufsab-
schluss führen.

Da Ihnen anscheinend die Ideen ausgegangen sind,
wie es noch besser geht und wie man das erreichen kann,
rate ich Ihnen: Schauen Sie ruhig einmal in unsere grüne
Ausbildungsgarantie. Übernehmen Sie Verantwortung
für die jungen Menschen und für die Wirtschaft in die-
sem Land.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810608200

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Michael

Kretschmer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1810608300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Berufsbildungsbericht, über den wir heute
sprechen, ist eine wichtige Handlungsgrundlage, eine
gute Analyse, manchmal auch mit unangenehmen Wahr-
heiten, aber auf jeden Fall ein wichtiger Hinweisgeber
für die Bildungspolitik in unserem Land. Ich vertraue
diesem Bericht, der vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung erarbeitet wird, viel mehr als so man-
chem Ratschlag, der von außen kommt.

Unlängst hat uns der Präsident der Wirtschaftskam-
mer in Wien erzählt: Wissen Sie, wenn wir der OECD
glauben würden, müssten wir davon ausgehen, dass in
unserem Land alles desaströs ist. Wir haben in Öster-
reich viel zu wenige Leute, die Abitur machen. Wir ha-
ben viel zu wenige junge Menschen, die studieren. Das
Einzige, das in Österreich besser ist als in anderen Län-
dern, das Einzige, wo die OECD zu guten Ergebnissen
kommt, ist, dass wir eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit
haben – die niedrigste –, dass wir höhere Löhne haben,
dass wir überhaupt ein ordentliches Gehaltsgefüge ha-
ben. – Deswegen ist die Frage: Wem vertrauen wir? Ich
glaube, es ist richtig, dass wir an dem, was Deutschland
stark gemacht hat, dass wir an unserem Erfolgskonzept
festhalten und es weiter ausbauen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben versprochen – wir halten dieses Verspre-
chen auch –, bis zu 10 Prozent des Bruttoinlandsproduk-
tes für Bildung und Forschung auszugeben. Denn wir sa-
gen: Es ist wichtig, dass in diesem Bereich viel passiert,
dass wir uns um Inklusion kümmern, dass wir uns um
junge Menschen kümmern, die es nicht so leicht haben.
Insofern gilt dieses Versprechen. Wir werden hier weiter
investieren.

Unser Grundsatz lautet: kein Abschluss ohne An-
schluss. Wir haben, was die Durchlässigkeit der Berufe
angeht – der zweijährigen Berufe, theoriegemindert im
Vergleich zu den richtigen Facharbeiterberufen – viel be-
wegt. Wir haben den Zugang zur Hochschule für diejeni-
gen, die einen Meisterabschluss, aber kein Abitur, keine
Fachhochschulreife haben, wirklich erleichtert. Das hat
viel geholfen.

Die große Herausforderung für die Zukunft ist die
Kombination aus der demografischen Entwicklung – es
gibt viel weniger junge Menschen – auf der einen Seite
und dem Studierverhalten, das heute ganz anders ist, als
es in der Vergangenheit war, auf der anderen Seite. Des-
wegen müssen wir alles daransetzen, dass das, was
Deutschland als Industrieland stark gemacht hat, das da-
für gesorgt hat, dass die Jugendarbeitslosigkeit so nied-
rig ist wie in kaum einem anderen Land der Europäi-
schen Union, auch in Zukunft gilt. Das heißt, die
Kombination aus Praxis und Theorie im dualen System
ist die Stärke dieses Landes. Alle Energie, die wir in der
Bildungspolitik, in der Berufsbildungspolitik einsetzen,
muss sich auf diesen Punkt konzentrieren, damit wir die-
sen Vorteil auch in Zukunft erhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)






Michael Kretschmer


(A) (C)



(D)(B)

Deswegen werden wir die Modularisierung nicht so
weit vorantreiben – auch wenn manche eine größere Mo-
dularisierung wünschen –, dass dieses Berufskonzept am
Ende nicht mehr vorhanden ist. Das wäre in der Tat ein
großer Fehler. Es geht darum, dass Teilqualifikationen
zertifiziert werden, dass sie auch in die Gesellenprüfung
einbezogen werden. Aber im Grundsatz muss es bei die-
sem Berufskonzept bleiben.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir müssen gemeinsam mit den Ländern – wir müs-
sen das auch von den Ländern einfordern – viel mehr
Energie für die Berufsorientierung aufwenden, und zwar
auch in den Gymnasien.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Überall an den Gymnasien in Deutschland müssen Be-
rufsorientierungsmaßnahmen stattfinden, und zwar nicht
als Alibi in der elften oder zwölften Klasse, sondern be-
ginnend ab der achten, neunten Klasse, sodass die jun-
gen Leute tatsächlich eine gute Vorstellung davon be-
kommen, was für sie das Richtige ist, und sodass
hinsichtlich der Gehaltsvorstellungen – dazu haben wir
gerade Beispiele gehört – ein realistisches Bild entsteht.
Wir haben sehr viele Beispiele von jungen Leuten, die
ein Studium abbrechen, weil sie auf einmal merken, dass
es doch nicht das Richtige ist. Wir sehen, dass in einigen
Berufen in der dualen Ausbildung besser gezahlt wird
als in manchen Studienberufen. Deswegen gilt es, hier
ein Bild zurechtzurücken. Das kann nur durch eine qua-
litativ sehr hochwertige Berufsorientierung gelingen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen und müssen auch mit der Wirtschaft da-
rüber reden, dass sie durch Gehaltsmaßnahmen und eine
ordentliche Betreuung der Auszubildenden die Attrakti-
vität der dualen Ausbildung verbessert; das ist überhaupt
keine Frage. Wir müssen über neue Modelle sprechen.
Es geht um die hybride Ausbildung, also die Kombina-
tion von Berufsausbildung und Studium, und um das du-
ale Studium, und zwar in einer qualitativ wirklich hoch-
wertigen Weise, wie es damals in Baden-Württemberg
von der Union erfunden wurde, nämlich Studium und
Praxisanteil statt irgendeines Praktikums.


(Widerspruch bei der SPD)


Genau dieser Beitrag ist notwendig, damit der große
Vorteil, von dem wir am Anfang gesprochen haben, die
Kombination von Praxis und Theorie, erhalten bleibt.
Das ist ein Gebot der Stunde.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich erinnere mich noch gut: Als ich 1991/1992 meine
Ausbildung begonnen habe, bot sich ein trostloses und
trauriges Bild. Der überwiegende Teil der jungen Men-
schen in den neuen Ländern ist entweder zur Ausbildung
in die alten Bundesländer gegangen oder hat sich für
eine überbetriebliche Ausbildungsmaßnahme entschie-
den.
2002, als ich zusammen mit vielen heutigen Kollegen
in den Bundestag gekommen bin, war die Situation un-
verändert. Junge Leute in einer Oberschule haben uns er-
zählt, dass sie 20 oder 30 Bewerbungen geschrieben und
nicht einmal eine Absage bekommen haben.

Was haben wir seitdem erreicht, meine Damen und
Herren?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD])


Heute gibt es mehr Ausbildungsplätze als Bewerber.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Ergebnis der demografischen Entwicklung!)


Heute kann man sich den Ausbildungsplatz aussuchen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist das Ergebnis einer wirklich guten Politik. Denn
Ausbildung ist eine Investition in die Zukunft, und zwar
für die jungen Menschen, aber auch für den Betrieb.

Wir brauchen ein vernünftiges wirtschaftliches Um-
feld und eine Wirtschaftspolitik, die auf Wachstum setzt
und Vertrauen hat. Ansonsten wird es auch keine Ausbil-
dungsplätze geben. Das hat Angela Merkel seit 2005 ge-
schafft, und das wird ihr auch niemand wegnehmen. Das
ist ein ganz großer Erfolg, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Willi Brase [SPD]: Wir machen aber keinen Wahlkampf hier!)


Was wir in den vergangenen Jahren gemeinsam er-
reicht haben, kann uns stolz machen. Die Zahl der Ju-
gendlichen im Übergangssystem ist von über 400 000
auf 256 000 zurückgegangen. Das ist keine Maßnahme,
die man kritisch und abwertend sehen muss. Es ist viel-
mehr eine Maßnahme für Jugendliche, die es zum Teil
nicht leicht haben und viele Hemmnisse mitbringen. Um
sie kümmert sich dieses Land ganz verantwortungsvoll
und mit einem hohen Einsatz, weil wir sagen: Wir wol-
len kein Talent verloren geben. – Das ist eine tolle Sa-
che, und es ist nicht in Ordnung, wie Sie das gerade he-
runtergeredet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben neue Modelle wie die assistierte Ausbil-
dung und die Bildungsketten entwickelt, die sich be-
währt haben und die wir in Zukunft ausbauen wollen.
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Wenn wir da-
beibleiben und das Prinzip „Praxis und Theorie“ weiter
stärken, dann wird es auch wieder mehr Ausbildungs-
plätze und bessere Chancen geben.

Wir sollten nicht von einem Akademisierungswahn
reden. Ich halte das in der Tat für einen Kampfbegriff.
Aber wir müssen das Bild zurechtrücken, dass nur das
Studium einen vernünftigen Job und ein vernünftiges
Einkommen erzeugt. Das ist nicht so. Dieses Land
braucht die duale Ausbildung. Dafür müssen wir kämp-
fen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810608400

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Brigitte

Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810608500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen von der Koalitionsfraktion,
ich habe Ihren Antrag genau gelesen. Er wird der Über-
schrift, die Sie gewählt haben, in der Tat gerecht: Es geht
um die Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit beruflicher
und akademischer Bildung.

Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass es da ei-
nen großen Handlungsbedarf und noch sehr viel zu tun
gibt. Aber ich frage Sie: Was ist mit denen, bei denen es
nicht um Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit geht,
sondern vor allen Dingen erst einmal um einen Zugang
zur beruflichen Bildung? Sie finden in Ihrem Antrag bes-
tenfalls am Rande – man kann fast sagen: als Fußnote –
statt.

Dabei haben wir – Frau Wanka, jetzt hören Sie bitte
einmal zu! –


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD)


1,5 Millionen Menschen unter 35 Jahren, die keine Be-
rufsausbildung haben. Sie sind wahnsinnig stolz darauf,
dass Sie die Anzahl derjenigen, die sich im Übergangs-
system befinden, von 400 000 auf 256 000 abgesenkt ha-
ben.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Ein Großteil aus der rot-grünen Zeit! 2005!)


Was hat das mit politischem Erfolg zu tun? Das ist das
Ergebnis der demografischen Entwicklung und des
Fachkräftemangels.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hier werden die Leistungen von Frau Merkel hervor-
gehoben. Frau Wanka schlägt sich auf die Schultern. Das
ist keine politische Leistung. Die Wahrheit ist, dass sich
die Anzahl an abgeschlossenen Ausbildungsverträgen
auf einem Rekordtief befindet. Die Wahrheit ist, dass nur
noch jeder fünfte Betrieb sich überhaupt an der Ausbil-
dung beteiligt. Da liegt Ihr Handlungsauftrag. Da sollten
Sie etwas tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie schreiben in Ihrem Antrag – wie ich finde, zu
Recht –: „Berufliche oder akademische Ausbildung …
sind ein Garant für Beschäftigung und sichern gute Ver-
dienstchancen.“ Aber was heißt das im Umkehrschluss?
Das heißt im Umkehrschluss: Diejenigen, die keine Aus-
bildung haben – ich zitiere: 1,5 Millionen –, sind häufi-
ger arbeitslos, sind öfter prekär beschäftigt und arbeiten
nicht selten zu Armutslöhnen. Im Laufe ihrer berufli-
chen Biografie verdienen sie über 240 000 Euro weniger
als die, die eine Ausbildung haben. Kümmern Sie sich
wirklich einmal um diese Menschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie jetzt sagen, dass Ihre Allianz für Aus- und
Weiterbildung die Antwort darauf ist, dann kann ich Sie
nur fragen: Wie kann das eigentlich funktionieren? Sie
sagen, Sie wollten 20 000 zusätzliche Ausbildungsplätze
durch diese Allianz schaffen. Sie sagen, Sie wollten je-
dem Jugendlichen, der bis Ende September keinen Aus-
bildungsplatz hat, drei Angebote machen. Jetzt frage ich
Sie einmal: Wie geht das nach Adam Riese? Wir haben
250 000 Jugendliche, die derzeit in der Warteschleife
sind. Da zähle ich die Altbewerberinnen und Altbewer-
ber in Höhe von 160 000 noch gar nicht mit. Frau
Wanka, selbst wenn nicht alle in die betriebliche Ausbil-
dung wollen – das behauptet doch auch keiner –, so blei-
ben doch immer noch so viele übrig, die nichts bekom-
men. Sonst hätten wir diese 1,5 Millionen Menschen
nicht. Die haben sich doch im Laufe der Jahre aus dieser
Warteschleife angehäuft. Also: 20 000 zusätzliche Aus-
bildungsplätze für 250 000 Jugendliche, und die sollen
jeweils drei Angebote bekommen. Das ist echt PISA-
verdächtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube wirklich, Sie haben vor diesem Problem kapi-
tuliert. Die Warteschleifen werden eben nicht abge-
schafft; sie werden jetzt gesundgebetet.

Ich kann Ihnen nur sagen: Wir sind der Auffassung,
dass es richtig ist, assistierte Ausbildung zu fördern, dass
es richtig ist, ausbildungsbegleitende Hilfen zur Verfü-
gung zu stellen.


(Willi Brase [SPD]: Machen wir doch alles schon!)


Aber assistierte Ausbildung für 10 000 Jugendliche ist
doch weniger als der Tropfen auf den heißen Stein. Sa-
gen Sie doch einfach an dieser Stelle: Wir machen das
Angebot allen, die es brauchen. – Das wäre ein Schritt
nach vorne.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Selbst wenn wir diese Hilfen für alle zur Verfügung
stellen, müssen wir doch endlich auch einmal anerken-
nen, dass wir nicht alle Jugendlichen in die betriebliche
Ausbildung bekommen. Trotzdem haben sie ein Anrecht
auf eine Berufsausbildung. Diesen Vorschlag machen
wir Ihnen mit unserer Ausbildungsgarantie. Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, stimmen Sie zu. Dann würden Sie
auch Ihren Koalitionsvertrag, in dem Sie das verspro-
chen haben, nicht brechen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810608600

Danke schön. – Nächster Redner ist Dr. Karamba

Diaby, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Karamba Diaby (SPD):
Rede ID: ID1810608700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
wollen Aufstieg durch Bildung. Diese Leitidee teilen wir





Dr. Karamba Diaby


(A) (C)



(D)(B)

alle in diesem Hohen Haus. Als Sozialdemokrat bewe-
gen mich aber insbesondere zwei Fragen: Lösen wir das
Versprechen auf Bildungsaufstieg tatsächlich ein? Be-
steht echte Chancengleichheit in unserem Bildungswe-
sen? Ich möchte daher die heutige Debatte nutzen, um
Ihren Blick auf den Ausbildungsmarkt und die Lage der
Jugendlichen mit Migrationsbiografie zu lenken.

Schülerinnen und Schüler mit Migrationsbiografie
sind längst auf der Aufholjagd um Bildungsabschlüsse.
Dennoch, trotz aller Fortschritte, die auch von der Frau
Ministerin erwähnt wurden: Unser Bildungssystem
macht sie immer noch zu Bildungsverlierern, und das
muss uns nachdenklich stimmen.


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, Herkunft darf kein Schicksal
sein, weder der Geldbeutel noch die Herkunft der Fami-
lie.

Unsere duale Ausbildung ist bekanntlich ein Erfolgs-
modell und stillt den Fachkräftebedarf unserer Wirt-
schaft. Leider gibt es immer weniger betriebliche Aus-
bildungsstellen, und viele Jugendliche gehen leer aus.
Dabei wird die Herkunft für Jugendliche mit Migrations-
biografie zum Klotz am Bein.

Ein Berufsabschluss ist die Eintrittskarte in den
Arbeitsmarkt. Er eröffnet Lebenschancen und bietet
Perspektiven. Diese Chancen und Perspektiven sind aber
leider nicht allen Kindern in Deutschland in die Wiege
gelegt.

Alle Zahlen belegen: Jugendliche mit Migrationsbio-
grafie bekommen Diskriminierung auf dem Ausbil-
dungsmarkt zu spüren. Ihr türkischer oder arabischer
Name wird zum Stigma. Das darf nicht so bleiben,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Egal wie gut ihre Leistungen sind, sie müssen sich mehr
anstrengen, um gleiche Chancen auf einen Ausbildungs-
platz zu bekommen. Ihr Ausbildungsweg ist mit mehr
Stolpersteinen gepflastert. Trotz statistisch nachgewiese-
ner großer Bemühungen erhalten Mahmoud und Aischa
seltener Antworten auf ihre Bewerbungen als Anna und
Michael. Trotz gleicher Leistungen werden Mahmouds
und Aischas Bewerbungen aussortiert. Sie werden viel
seltener zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Das be-
sagen auch Statistiken. Sie ergattern also seltener einen
begehrten dualen Ausbildungsplatz. Meine Damen und
Herren, das dürfen wir nicht hinnehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Land brauchen wir jedes Talent; denn jeder
und jede einzelne Jugendliche ist unsere so dringend ge-
brauchte Fachkraft von morgen. Nur sage und schreibe
etwa 15 Prozent der Unternehmen in Deutschland bilden
Jugendliche mit Migrationsbiografie aus. Ich meine, die
Wirtschaft ist in der Pflicht, gute Ausbildungsplätze für
alle Jugendlichen zu schaffen.
Zum Schluss sind mir drei Aspekte besonders wich-
tig:

Erstens ist mir wichtig, dass wir die betriebliche
Diversity-Kompetenz stärken, um Vorurteile abzubauen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich selber glaube an die Erfolge von Schulungen zum
Erwerb interkultureller Kompetenzen, und ich kenne
solche Erfolge auch.

Zweitens müssen wir neue Wege gehen. Warum nicht
auch anonymisierte Bewerbungsverfahren auf dem Aus-
bildungsmarkt?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU])


Drittens müssen wir die Jugendlichen stärken: Wir
müssen ihre fehlenden Netzwerke ausgleichen. Paten-
modelle und die engere Zusammenarbeit von Schulen
und örtlichen Ausbildern sind sehr wichtig.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herkunft
darf kein Schicksal sein. Lassen Sie uns dafür arbeiten,
dass wir keinen Jugendlichen zurücklassen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810608800

Vielen Dank. – Dr. Thomas Feist ist der nächste Red-

ner für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1810608900

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Der nationale Berufsbildungsbericht hat es
deutlich gezeigt: Der Patient atmet noch. – Das ist die
gute Nachricht.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn ihr damit zufrieden seid!)


Aber es gibt einiges, wo man vom ärztlichen Standpunkt
her Bedenken anmelden müsste. Das ist zum Beispiel
hier der Fall: Wir haben einen großen Rückgang bei der
Zahl neu abgeschlossener Ausbildungsverhältnisse, der
regional aber sehr unterschiedlich ist. Unser Rezept ist
der Antrag, den wir als Koalitionsfraktionen zur Gleich-
wertigkeit der beruflichen und der akademischen Bil-
dung vorgelegt haben.

Worum geht es im Einzelnen? Es geht darum – das
hat die Ministerin auch schon gesagt –, dass die berufli-
che Bildung an Attraktivität verliert. Sie haben einmal in
einer Rede gesagt, Frau Ministerin: Gegen mangelnde
Attraktivität hilft auch kein Ministerprogramm, aber wir
sollten es nicht unterlassen, alles zu tun, um die berufli-
che Bildung hier in Deutschland zu stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Stärkung der beruflichen Bildung fängt bei einer
guten Berufsorientierung an. Ich füge hinzu: Berufs- und





Dr. Thomas Feist


(A) (C)



(D)(B)

Studienorientierung. Angesichts von 330 Ausbildungs-
berufen und annähernd 20 000 Bachelor-Abschlüssen
kommt man ohne eine gute Orientierung nicht weiter.
Wir müssen erreichen, dass durch diese Berufs- und Stu-
dienorientierung zum einen alle Schüler angesprochen
werden, zum anderen über die Schüler hinaus aber auch
die Lehrer und die Eltern. Dazu müssen wir durch
Staatsverträge mit den Bundesländern eine gleichblei-
bende und hohe Qualität der Berufs- und Studienorien-
tierung gewährleisten; denn nur dort, wo Berufs- und
Studienorientierung drin ist, darf sie auch draufstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das heißt auch: Wenn wir um Gymnasiasten werben,
zeugt das von der Erkenntnis, dass in einer Industriege-
sellschaft – wir reden über Industrie 4.0 –, in einer sich
verändernden Wirtschafts- und Technologielandschaft
mittlerweile viele Ausbildungsberufe ein Abitur erfor-
dern. Dabei kann eine Berufsausbildung mit einem
„Abitur Plus“, wie sie vom Zentralverband des Deut-
schen Handwerks vorgeschlagen wird, für die Fachkräfte
sorgen, die wir morgen in diesem Lande brauchen.

Wir haben in unserem Antrag nicht nur die Ausbil-
dungsbetriebe adressiert, sondern auch die Berufsschu-
len, die Berufsschullehrer. Hier sind die Länder in der
Pflicht, eine Struktur vorzuhalten, mit der wir den Inno-
vationsvorsprung bei der Ausbildung, für den die Be-
rufsschulen sorgen, erhalten und möglicherweise noch
verstärken können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es fehlt in der ganzen Ausbildungskette nur noch eine
Spezies: die Meister. Auch hier stellt sich die Frage der
Gleichwertigkeit akademischer und beruflicher Bil-
dung. Wenn wir über prekäre akademische Arbeitsver-
hältnisse reden, dann müssen wir auch über die prekären
Arbeitsverhältnisse reden, die dort entstanden sind, wo
die Meisterpflicht weggefallen ist. Das betrifft nicht nur
kleine und Kleinstbetriebe. Wenn wir fragen: „Wie kön-
nen wir mehr für Ausbildung tun? Wie können wir mehr
Unternehmen erreichen, die ausbilden?“, dann ist es
vielleicht ein mutiger Schritt, zu sagen: Wir haben in
diesem Punkt einen Fehler gemacht und sollten überle-
gen, wie wir ihn korrigieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn wir über Gleichwertigkeit reden, möchte ich
zwei Zahlen anfügen. Wir investieren in den normalen
Bildungsweg, also Schule und berufliche Ausbildung,
ungefähr 100 000 Euro. Wir investieren in den Bildungs-
weg Gymnasium und akademische Ausbildung
170 000 Euro. Aus meiner Sicht ist das ein Missverhält-
nis. Wir müssen sehen, dass wir in der nächsten Zeit
dazu kommen, dass wir auch im Bereich der beruflichen
Bildung mehr investieren und diejenigen Unternehmen,
die ausbildungsbereit und ausbildungsfähig sind, unter-
stützen, damit sie auch in Deutschland ausbilden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in der letzten Zeit darüber geredet, wie wir
etwas mehr für den akademischen Nachwuchs tun kön-
nen. Das ist gut. Unsere Koalitionsspitzen haben sich
darauf geeinigt, für den akademischen Nachwuchs in
den nächsten Jahren 1 Milliarde Euro bereitzustellen,
eine hervorragende Entscheidung. Noch besser wäre es
gewesen, wenn wir im Zusammenhang mit der akademi-
schen Ausbildung vielleicht auch etwas zur beruflichen
Bildung gesagt hätten; denn beide Säulen sind wichtig,
und beide Säulen stehen in unserem Land gleichberech-
tigt nebeneinander. Da sollten wir auch noch etwas tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn wir darüber reden, wie wir die Gleichwertigkeit
von dualer, beruflicher und akademischer Bildung weiter
erhöhen können, dann ist die Frage, wie wir etwas für
die Aufstiegsfortbildung, sozusagen für das Meister-
BAföG, tun können, auch ein wichtiges Thema. Wir sind
gerade dabei, zu überlegen, welche Anreize wir denjeni-
gen geben können, die sich für ein Meisterstudium ent-
scheiden, wie wir finanzielle Anreize für das Bestehen
dieser Meisterprüfung geben können und wie wir es
eventuell auch schaffen, weitere Adressatenkreise für
das Meisterstudium zu erschließen, die bisher noch nicht
erfasst wurden. Ich denke da zum Beispiel an diejenigen,
die einen Beruf gelernt haben, einen Bachelor haben und
damit jetzt auch einen Anspruch auf Meister-BAföG be-
kommen sollen.

Wir haben dem Berufsbildungsbericht entnommen,
dass Handlungsbedarf besteht. Wir haben in dieser
Koalition schon die richtigen Zeichen gesetzt, auch im
letzten Jahr. Es gilt jetzt, auf diesem Weg weiterzugehen
und für eine gute und zukunftsfähige Finanzierung des
beruflichen Sektors zu sorgen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810609000

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Gabriele

Katzmarek, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Katzmarek (SPD):
Rede ID: ID1810609100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Berufliche Bildung made in Germany ist ein Markenzei-
chen und ein Erfolgsfaktor der Wirtschaft. Sie ist Garant
für gut ausgebildete Facharbeiter und Facharbeiterinnen
und für Akademiker und Akademikerinnen. Deutschland
hat – und manchmal scheint man, wenn man die Reden
heute hier gehört hat, zu glauben oder es vergessen zu
haben – die geringste Jugendarbeitslosigkeit in der EU.
Mehr als 520 000 Ausbildungsverträge wurden 2014 ab-
geschlossen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich denke, es ist richtig, dies zu erwähnen.

Ja, richtig ist auch – das müssen wir ebenfalls erwäh-
nen; wir müssen darüber nachdenken, wie wir hier wei-





Gabriele Katzmarek


(A) (C)



(D)(B)

ter vorgehen wollen –, dass 20 000 Jugendliche – dies
konnten wir dem Bericht entnehmen – unversorgt sind.
50 000 Jugendliche verlassen Jahr für Jahr die Schule
ohne Schulabschluss. 1,3 Millionen junge Menschen
zwischen 20 und 29 Jahren haben keine abgeschlossene
Berufsausbildung; auch das ist richtig. Das verheimli-
chen wir nicht. Das ist erkennbar und ist dem Berufsbil-
dungsbericht zu entnehmen. Das ist der Iststand.

Meine Damen und Herren, und wir stehen heute hier
und das nicht nur heute, sondern wir haben dazu schon
verschiedene Beschlüsse gefasst und Maßnahmen verab-
redet, die dazu dienen, dies zu verändern im Interesse
der jungen Menschen, um ihnen eine Perspektive für ihr
weiteres Leben zu geben, und um dem Fachkräfteman-
gel entgegenzuwirken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutsch-
land wird entscheidend davon abhängen, inwieweit es
uns gerade auch vor dem Hintergrund des demografi-
schen Wandels gelingt, Bildung, Weiterbildung und
Qualifikation der Fachkräfte zu sichern und auszubauen.


(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Richtig!)


Wir müssen uns mit den Folgen des dramatischen Ge-
burtenrückgangs auseinandersetzen; denn entsprechend
wird das Fachkräfteangebot zurückgehen. Wenn wir
nicht rechtzeitig und entschieden reagieren, werden
Wachstumseinbußen unvermeidbar sein. Aber wir sind
in der Lage, diesem Trend entgegenzusteuern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im ersten Schritt müssen wir die vorhandenen Potenziale
besser nutzen, die wir im Inland haben. Aber klar ist
auch: Alleine aus dem eigenen Arbeitsmarkt heraus wer-
den wir die Folgen des demografischen Wandels nicht
abfedern. Wir müssen uns dazu bekennen, ein Einwan-
derungsland zu sein, nicht nur rhetorisch, sondern durch
die Schaffung eines modernen Einwanderungsrechts.


(Beifall bei der SPD)


Wir reden heute über Gleichwertigkeit und Durchläs-
sigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung
sowie über den Berufsbildungsbericht der Bundesregie-
rung. Wie die im Berufsbildungsbericht dargelegten
Zahlen zeigen – Frau Pothmer, da haben Sie recht –, sind
weitere Anstrengungen notwendig. Unser Ziel ist und
bleibt, keinen Jugendlichen nach der Schule zurückzu-
lassen. Aber Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass
wir, seitdem wir in der Regierung sind, verschiedenste
Maßnahmen auf den Weg gebracht haben und heute
nicht zum ersten Mal darüber reden. Ein Teil der Maß-
nahmen wurde schon genannt. Da Sie aber noch immer
mäkeln, dass es nicht genug ist, will ich sie gerne noch
einmal erwähnen – vielleicht merken Sie sich das dann –:
20. Mai 2014, was haben wir dort gemacht? Das
Modellprojekt „Jobstarter plus“, dann das Programm
„Aufstieg durch Bildung“, die Initiative „Abschluss und
Anschluss“, Ausbau der Berufsorientierung und am
26. Januar dieses Jahres die assistierte Ausbildung sowie
die Ausweitung der ausbildungsbegleitenden Hilfen. –
Dieses, meine Damen und Herren, muss man nun einmal
zur Kenntnis nehmen, wenn man hier redet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unser Ziel wird es weiterhin bleiben – deshalb führen
wir diese Maßnahmen ein –, keinen Jugendlichen zu-
rückzulassen.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Es geht aber nicht um Quantität, sondern um Qualität! – Gegenruf des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD])


– Gut, wenn es Ihnen hilft, können Sie das gern ausdis-
kutieren. Es ist nur ärgerlich, dass es dann, wenn ich
Ihnen zuhören will, von meiner Redezeit abgeht. Des-
halb verzeihen Sie es mir. – Aber ich will Ihnen gern
noch einmal sagen, warum wir angetreten sind, was wir
getan haben und was wir mit dem Antrag, der jetzt vor-
liegt, machen: Wir stärken die duale Berufsausbildung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss
lassen Sie mich eines noch einmal ganz klar sagen: Wir
stehen für akademische Bildung, wir stehen für die duale
Bildung. Wir verschließen jedoch die Augen nicht, wir
sehen die Herausforderungen und arbeiten an Lösungen.
Wir haben dies in den letzten anderthalb Jahren mit vie-
len, vielen Maßnahmen, die erwähnt worden sind, getan.
Sie können gewiss sein, meine sehr geehrten Damen und
Herren der Opposition, wir werden weiter daran arbei-
ten. Denn unser Ziel ist es, junge Menschen in Ausbil-
dung zu bringen, dem Fachkräftemangel aktiv entgegen-
zutreten und dieses nicht aus den Augen zu verlieren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810609200

Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist die Kollegin Uda Heller, CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uda Heller (CDU):
Rede ID: ID1810609300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist schön, wiederholt zu einem Thema zu
sprechen, das viele Bürger interessiert – ob jung, ob alt –
und mit dem jeder seine eigenen Erfahrungen gemacht
hat. Für uns gehört das zu den wichtigsten Aufgaben der
nächsten Jahre: die Stärkung der beruflichen Bildung.

Meine Damen und Herren von den Grünen, eigentlich
hatte auch ich vor, einige Passagen in Ihrem Antrag zu
loben, aber angesichts Ihrer Schwarz-Weiß-Malerei
heute kann ich das leider nicht tun.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


Von den Linken hatte ich nichts anderes als Kritik erwar-
tet. Aber ich denke, an der Qualität können wir ja ge-
meinsam arbeiten.





Uda Heller


(A) (C)



(D)(B)

Fakt ist: Für mehr als 500 000 Jugendliche bedeutete
im Jahr 2014 eine duale Ausbildung den Einstieg in eine
qualifizierte berufliche Zukunft. Dennoch steht das deut-
sche Bildungssystem – wie es viele schon gesagt haben –
vor großen Herausforderungen, die wir natürlich nicht
allein durch die Politik lösen können. Hier bedarf es der
Zusammenarbeit aller Partner der beruflichen Bildung.

Ich bin der Meinung, der Ausbildungsmarkt ist in ers-
ter Linie ein regionaler Markt. Das bedeutet: Eine
rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit aller Partner
vor Ort ist ganz entscheidend, besonders beim Übergang
von der Schule zum Beruf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Hier denke ich beispielsweise an die Jugendberufsagen-
turen; auch die wurden schon erwähnt. In meinem
Heimatkreis Mansfeld-Südharz konnte ich den Aufbau
eines solchen Bildungsbüros mit unterstützen.

Für einen fließenden Übergang bedarf es neben einer
zentralen Anlaufstelle – das habe ich auch schon mehr-
fach betont – einer frühen, gleichwertigen und praxis-
nahen Berufs- und Studienorientierung. Diese sollte als
Querschnittsthema in den Lehrplänen verankert werden.
Gute Ansätze für eine systematische Berufsorientierung
gibt das BMBF-Programm „Bildungsketten“.

Ganz entscheidende Partner in der Berufsberatung
sind nach wie vor die Eltern. Sie haben noch immer den
größten Einfluss auf die Berufswahl unserer Jugendli-
chen und sollten daher bei allen Berufsorientierungs-
maßnahmen mitgenommen werden.

Auch der Bund ist sich seiner Verantwortung mehr als
bewusst. Mit einem 1,3 Milliarden Euro teuren Berufs-
einstiegs- und Berufsberatungsprogramm wollen wir zu
einer stärkeren betrieblichen Ausbildung beitragen. Es
ist wichtig, die Chancen, die eine Ausbildung bietet, so-
wie die sich daran anknüpfenden Aufstiegsperspektiven
in der beruflichen Bildung deutlich zu machen.

Gerade an Gymnasien gibt es in Sachen Berufsorien-
tierung noch Nachholbedarf. Es ist wichtig, dass die
Schüler gleichwertig über die Möglichkeiten einer aka-
demischen und einer beruflichen Laufbahn beraten wer-
den. Es kann nicht sein, dass sich Abiturienten aus reiner
Unwissenheit über betriebliche Karrierechancen für ein
Studium entscheiden, wobei dann jeder Vierte abbricht
bzw. das Studienfach wechselt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weiterhin gehören qualitativ hochwertige Orientie-
rungspraktika sowie eine Übersicht der regionalen An-
gebote des Ausbildungsmarktes und ausreichend – ich
betone: ausreichend – geschulte Ansprechpartner zu den
entscheidenden Instrumenten der Berufsorientierung.

Wie schon mehrfach erwähnt, sinkt die Zahl der Aus-
bildungsbetriebe. Besonders kleinen Betrieben fehlt oft-
mals die Ausbildereignung. In Halle wurde 2009 bei-
spielsweise von Unternehmen eine Initiative zum
vernetzten Engagement für gute Bildung und Ausbil-
dung ins Leben gerufen. Hier werden Projekte initiiert,
Lehrer weitergebildet sowie Messen, wie beispielsweise
die MINT-Messe, organisiert. Die Kooperation zwischen
Unternehmen und Schulen ist umso erfolgreicher, je
praxisnäher sie angelegt und je offener ein Schulleiter
für diese Zusammenarbeit ist.

Dennoch können Betriebe die Ausbildungsplätze häu-
fig nicht besetzen. Daher ist es wichtig, auch schwäche-
ren Jugendlichen mit einem niedrigen oder sogar ohne
Schulabschluss eine Chance zu geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Verschiedene Instrumente und Maßnahmen, wie bei-
spielsweise die 10 000 assistierten Ausbildungsplätze
oder die ausbildungsbegleitenden Hilfen, unterstützen
die Unternehmen und die Jugendlichen auf diesem ge-
meinsamen Weg.

Seit Jahren steigt die Zahl der Ausbildungsplätze, bei
denen ein Abitur vorausgesetzt wird. Auf zwei von drei
Ausbildungsplätzen braucht sich ein Hauptschüler gar
nicht erst zu bewerben; denn bei 62 Prozent aller Lehr-
stellen wird mindestens ein Realschulabschluss erwartet.

Eine weitere wichtige Zielgruppe sind Jugendliche
mit Migrationshintergrund. Deutschland hat mit 7,4 Pro-
zent die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit innerhalb der
Europäischen Union. Wir sind eine Industrienation, die
durch ihren demografischen Wandel vor einem steigen-
den Fachkräftemangel steht. Deshalb sollten wir mit ei-
ner dualen Aus- und Weiterbildung allen Menschen, die
es möchten – ich betone: die es möchten –, eine Chance
geben. Der Kollege Brase und andere haben hier die
Zahlen genannt. Insbesondere können wir so motivierten
und leistungsbereiten Flüchtlingen aus akuten Krisenge-
bieten eine neue Lebensperspektive bieten.

Der jährlich erstellte Berufsbildungsbericht zeigt uns
die Herausforderungen für die Zukunft auf. Er ist eine
hilfreiche Arbeitsgrundlage für uns Bildungspolitiker,
den die Bundesregierung in unserem Auftrag erstellt hat.
Ich möchte als letzte Rednerin die Gelegenheit nutzen,
mich für diese detaillierte Ausarbeitung auf knapp
130 Seiten bei den Fachleuten recht herzlich zu bedan-
ken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das gilt auch für unsere Ministerin. Sie hat auf diesen
Bericht nicht mit Selbstzufriedenheit geschaut, sondern
die künftigen Herausforderungen benannt. Dafür danke
ich ihr ganz herzlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810609400

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Damit sind wir am

Ende der Aussprache angelangt.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/4928, 18/4680, 18/4931 und 18/4938
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 f und
33 h sowie Zusatzpunkt 2 auf. Es handelt sich um Über-
weisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Dabei kommen wir zunächst zu den unstrittigen Über-
weisungen.

Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 f:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Fischetikettierungsgesetzes und des
Tiergesundheitsgesetzes

Drucksache 18/4892
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen
Instituts für Menschenrechte (DIMRG)


Drucksache 18/4893
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än-
derung des Gesetzes über die internationale
Rechtshilfe in Strafsachen

Drucksache 18/4894
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Ver-
einbarung vom 1. April 2015 über die Beteili-
gung Islands an der gemeinsamen Erfüllung
der Verpflichtungen der Europäischen Union,
ihrer Mitgliedstaaten und Islands im zweiten
Verpflichtungszeitraum des Protokolls von
Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Ver-

(Vereinbarung zur gemeinsamen Kyoto-II-Erfüllung mit Island)


Drucksache 18/4895
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 17. September 2012 zwischen
der Regierung der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Regierung der Vereinigten Re-
publik Tansania über den Fluglinienverkehr

Drucksache 18/4896
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Tourismus

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Maria Klein-Schmeink, Beate Walter-
Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine menschenrechtsorientierte Umset-
zung der Flüchtlingsaufnahmerichtlinie der
EU

Drucksache 18/4691
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe,
das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 33 h:

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Richtlinien zum Schutz von Schulen und
Hochschulen vor militärischer Nutzung in ei-
nem bewaffneten Konflikt umsetzen

Drucksache 18/4939

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Ab-
stimmung über ihren Antrag in der Sache, die Fraktionen
der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung.

Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Die Fraktionen
der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung zur fe-
derführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss
und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuss, an
den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre
Hilfe, an den Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuss für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange-
nommen. Die Überweisung ist beschlossen. Damit stim-
men wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/4939
nicht in der Sache ab.





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Zusatzpunkt 2:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Entgeltgleichheit gesetzlich durchsetzen

Drucksache 18/4933
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Federführung strittig

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4933 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD
wünschen Federführung beim Ausschuss für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend. Die Fraktion Die Linke
wünscht Federführung beim Ausschuss für Arbeit und
Soziales.

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Die Linke, dass die Federführung
beim Ausschuss für Arbeit und Soziales liegen soll. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei-
sungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU-
und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder-
führung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
schlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange-
nommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 j sowie
Zusatzpunkt 3 auf. Es handelt sich um die Beschlussfas-
sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese-
hen ist.

Tagesordnungspunkt 34 a:

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6. Ausschuss)


Übersicht 5

über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht

Drucksache 18/4962

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 34 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 181 zu Petitionen
Drucksache 18/4827

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 181 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 34 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 182 zu Petitionen
Drucksache 18/4828

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 182 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 34 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 183 zu Petitionen
Drucksache 18/4829

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 183 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 184 zu Petitionen
Drucksache 18/4830

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 184 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 34 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 185 zu Petitionen
Drucksache 18/4831

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 185 ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die Linke
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 34 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 186 zu Petitionen
Drucksache 18/4832





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 186 ist mit den Stim-
men der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 187 zu Petitionen

Drucksache 18/4833

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 187 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tion angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 188 zu Petitionen

Drucksache 18/4834

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 188 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 189 zu Petitionen

Drucksache 18/4835

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Sammelübersicht 189 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Opposition angenommen.

Zusatzpunkt 3:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia
Verlinden, Oliver Krischer, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Heizkosten sparen – Energiewende im Gebäu-
debereich und im Quartier voranbringen

Drucksachen 18/575, 18/2715

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/2715, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/575 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. –
Danke schön für die Aufmerksamkeit.
Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Haltung der Koalitionsfraktionen zur Frei-
gabe der NSA-Selektorenliste im Hinblick auf
mögliche Ausspähungen von Wirtschaft und
Politik

Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. – Wenn alle
Kolleginnen und Kollegen Platz nehmen und die, die
noch Gespräche führen möchten, dies bitte außerhalb
des Saales tun, dann kann ich die Aussprache eröffnen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält Jan
Korte, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810609500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am 11. Mai sagte Bundeskanzlerin Merkel in Bremen
– ich darf zitieren –:

Alle Materialien aus dem Kanzleramt und, zum Teil
ist das ja noch im Prozess, auch vom BND werden
diesem Untersuchungsausschuss zugeleitet, das ist
für uns eine Selbstverständlichkeit.

Zitat Ende.

Erstens. Natürlich stimmt das nicht, was sie gesagt
hat. Es wird weiter vertuscht, behindert, geschwiegen
und im Übrigen auch gelogen. Ich will die Dimension
noch einmal deutlich machen: Es geht hier nicht um ir-
gendetwas, sondern es geht offenbar um tausendfache
Grundrechtsverletzung, und Bundeskanzlerin Merkel
sitzt und schweigt wie in den bleiernen Helmut-Kohl-
Zeiten. Das ist der Sache doch nicht wirklich angemes-
sen nach so vielen Wochen der Debatte.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ungeheuerlich!)


Zweitens. Genosse Sigmar Gabriel hatte rund drei
helle Tage,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


in denen er markige Ansagen machte. Im Kern sagte er:
Das Kanzleramt ist gefragt und verantwortlich. – Das ist
richtig. Deswegen müssen wir uns jetzt die Reaktionen
in dieser Spitzenkoalition darauf anschauen. Volker
Kauder sagte – Zitat –: „So geht man nicht miteinander
um in einer Koalition.“ Ausgerechnet in dieser Affäre
will also die CDU/CSU Benimmregeln aufstellen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber das Ausspähen von EU-Partnern, der Wirtschaft
und der Bevölkerung, das wird akzeptiert, das ist okay. –
Da stimmt doch irgendetwas nicht bei Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Wissen Sie da schon mehr?)






Jan Korte


(C)



(D)(B)

– Ich habe noch mehr, es wird noch besser. Horst Seehofer
mit Blick auf Sigmar Gabriel – ich darf zitieren –:

Das entspricht nicht der Staatsverantwortung, die
eine Regierungspartei hat. Das geht nicht.

Abgesehen davon, dass zurzeit der sogenannten
Staatsverantwortung in diesem Haus lediglich die Oppo-
sition gerecht wird,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ui, ui, ui!)


zeigt dieser Satz natürlich das ganze Elend in diesem
Denken, nämlich das völlige Desinteresse für die Grund-
und Freiheitsrechte, die im Übrigen unter großen Mühen
und Opfern erkämpft worden sind.


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Nicht von der Linken!)


Das ist der eigentliche Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)


Angemessen wäre ja nun wirklich, wenn aufseiten der
Bundesregierung irgendjemand mal Staatsverantwor-
tung übernehmen würde.


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Ende mit dem Schülerreferat!)


Aber das macht keiner. Das wäre doch wohl angemessen
und nicht so ein Geschwätz aus Bayern.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Wie oft waren Sie im Ausschuss? Wie oft waren Sie da nach der Wahl?)


Das Ganze hat nun wirklich eine sehr grundsätzliche,
demokratietheoretische Dimension. Deswegen will ich
zum Dritten etwas zum Umgang mit dem Parlament und
der Öffentlichkeit sagen. Sie beantworten Anfragen
– das ist übrigens in dieser Legislaturperiode von Ihnen
wirklich auf die Spitze getrieben worden – entweder gar
nicht oder wissentlich falsch. Beides geht natürlich
nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das No-Spy-Abkommen war ein reiner Wahlkampf-
gag – und Sie verkaufen das hier als eine große Tat! Ich
will noch einmal darauf aufmerksam machen: Es gibt
mittlerweile, zumindest unter den Innenpolitikern, wenn
sie miteinander, mit dem Ausschusssekretariat oder mit
Journalisten telefonieren,


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Mit Journalisten telefonieren Sie viel! Das stimmt!)


die Redewendung: nicht am Telefon. Das ist mittlerweile
eine Standardaussage bei Telefonaten. Es kann doch
nicht allen Ernstes von Ihnen für normal befunden wer-
den, dass man nicht mehr frei am Telefon kommunizie-
ren kann! Das muss aufhören, liebe Kolleginnen und
Kollegen, egal in welcher Fraktion man ist! Das ist doch
wirklich unfassbar.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Krönung des Ganzen bei dem Spiel der Entmach-
tung des Bundestages ist nun die Idee, einen Sonderer-
mittler einzusetzen. Das ist in diesem Bereich nun wirk-
lich die völlige Entmachtung des Parlaments. Da will ich
auch sagen: Das hat nichts mit Oppositions- oder Regie-
rungsfraktion zu tun. Es sollte doch allen Abgeordneten
hier im Hause, egal wie sie politisch stehen, ein Anlie-
gen sein, die Rechte der Abgeordneten nicht freiwillig
aufzugeben. Wofür sitzen Sie denn eigentlich hier! Das
kann doch nicht wahr sein, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen will ich Ihnen auch sagen: Auch die
CDU/CSU kann wieder in der Opposition landen – das
sollten Sie mal mit bedenken! –, wenn die SPD aus dem
Quark kommt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Noch eine Anmerkung: Wenn Sie dem Vorschlag
wirklich folgen, sollten zumindest die PKGr- und Unter-
suchungsausschussmitglieder der SPD und der CDU/
CSU ihre Jobs im PKGr gleich freiwillig aufgeben; sie
haben dann ja nichts mehr zu tun an relevanter Stelle. So
konsequent sollten Sie sein! Dann können Sie gleich
noch konsequenter sein – das wäre etwas Neues – und
am besten gleich Ronald Pofalla zum Sonderermittler
machen.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann wird diesem Irrsinn nämlich zur Kenntlichkeit ver-
holfen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Ich hatte ja bei der SPD gedacht: Okay, das sozialdemo-
kratische Gewissen regt sich jetzt doch noch ganz kurz;
Gabriel redete vom Rückgratzeigen. Dieses Rückgrat-
zeigen gab er allerdings noch schneller auf als Heiko
Maas seinen Widerstand gegen die Vorratsdatenspeiche-
rung. Es war alles Theater, Taktik. Vor allem war es
rückgratlos von der SPD. Wie können Sie das nach dem
Affentheater, das Sie hier aufgeführt haben, mitmachen?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810609600

Vielen Dank, Herr Kollege. Das war das Ende der

fünf Minuten.


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810609700

Wir müssen das jede Woche hier machen, bei dem,

was hier abläuft.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Nur noch einen Punkt will ich sagen.

(A)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810609800

Ich bin schon immer großzügig.


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810609900

Ein Satz wirklich noch: Es gibt die Gesetzeslage der

Geheimhaltung, zum Beispiel aus Gründen des Staats-
wohls. Das kann man kritisch sehen, es kann aber auch
einmal sinnvoll sein. Geheimhaltung ist allerdings nicht
dafür da, das Regierungswohl zu wahren und Fehler der
Regierung zu vertuschen. Das ist Ihr Verständnis, aber
nicht unseres. Machen Sie endlich Ihren Job! Und, Frau
Bundeskanzlerin, erfüllen Sie vor allem endlich Ihren
Amtseid!

Vielen Dank.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810610000

Vielen Dank.

Die zukünftigen Rednerinnen und Redner halten dann
bitte die Redezeit ein. Wir haben uns darauf geeinigt,
dass wir fünf Minuten Redezeit für jeden in der Aktuel-
len Stunde haben. Wenn jeder eine Minute überzieht wie
der Herr Kollege Korte, dann wird das unseren ganzen
Zeitplan ins Wanken bringen.

Jetzt hat das Wort der Kollege Thomas Strobl, CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1810610100

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Herr Kollege Korte, jetzt haben Sie so viel von
Staatsverantwortung geredet.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie ganz schwer hören!)


Manchmal habe ich den Eindruck, dass Ihr Verständnis
von Staatsverantwortung vor allem darin besteht, dass
die von Parlamentariern selbst gesetzten Regeln, etwa
bezogen auf die Vertraulichkeit von Sitzungen, ständig
durchbrochen und Dinge durchgestochen werden,


(Jan Korte [DIE LINKE]: Von wem denn?)


die besser in den Gremien blieben. Das ist Ihr Verständ-
nis von Staatsverantwortung!


(Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Was sind Sie für ein Parlamentarier? Ungeheuerlich! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Das ist eine Frechheit! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine ungeheuerliche Unterstellung! Schämen Sie sich als Parlamentarier! Was sind Sie für ein Parlamentarier? Ungeheuerlich!)


Sie haben sich hier ereifert, weil der Vorschlag für ei-
nen Sonderbeauftragten gemacht worden ist. Im PKGr
ist dazu noch nichts beschlossen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie jetzt auch dagegen?)

Sie schlagen seit Tagen und Wochen die Trommeln, dass
einem die Ohren dröhnen.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Gut so!)


Ganz zu Beginn – da lag noch gar nichts vor – haben Sie
„Verrat“ und dann „Landesverrat“ gerufen. Jetzt können
Sie nur noch Hochverrat, Lüge und Rücktritt rufen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass Sie es wiederholen! – Jan Korte [DIE LINKE]: Haben Sie etwas zu widerlegen?)


Bei all diesem – Sie haben sich aufgeblasen und sind
lauter und lauter geworden –


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können das alles stoppen, indem Sie die Liste herausgeben!)


gibt es eine seltsame Disproportionalität zwischen der
Lautstärke der Vorwürfe und den Fakten, die Sie tatsäch-
lich in der Hand haben. Das ist nämlich nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie alles stoppen! – Jan Korte [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zur Sache!)


Vielleicht nutzen Sie ja die Pfingstfeiertage,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfingsten kommt der Geist der Wahrheit!)


um sich ein bisschen abzukühlen; denn Sie verkennen ei-
nes: Das sind komplexe Sachverhalte, die die innere und
die äußere Sicherheit unseres Staates und die Sicherheit
unserer Bürgerinnen und Bürger berühren,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die Wahrheit, Herr Strobl!)


und es ist besser, mit solchen Themen nicht zu spielen,
sondern sich ernsthaft und seriös damit zu beschäftigen,
wie das diese Bundesregierung und die Koalition aus
SPD und CDU/CSU auch tun.

Wenn Sie sich etwas beruhigt haben, dann können wir
uns auch ganz gerne darüber unterhalten: Was dürfen un-
sere Dienste? Welche gesetzlichen Grundlagen für un-
sere Dienste müssen wir ändern?


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fällt Ihnen früh ein! Sie regieren seit zehn Jahren!)


– Das ist gar nichts Neues; das haben wir schon oft ge-
tan. –


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nichts gemacht!)


Wo müssen wir das Recht anpassen? Wir können auch
eine Debatte darüber führen: Müssen wir unserer Polizei
und unseren Diensten die Möglichkeit geben, mit weite-
rer Technik zu arbeiten? Was für Regeln gelten?





Thomas Strobl (Heilbronn)



(A) (C)



(D)(B)

Ich erneuere mein Angebot und sage: Lassen Sie uns
darüber reden, ob wir eine klare Rechtsgrundlage für die
strategische Fernmeldeüberwachung des BND brauchen.
Sie sind hier eingeladen, mitzudiskutieren,


(Jan Korte [DIE LINKE]: Ich diskutiere auch, wenn ich nicht eingeladen bin!)


sodass wir gemeinsam vernünftige Regeln finden.

Das gilt auch für die parlamentarische Kontrolle. Die
parlamentarische Kontrolle, das PKGr, haben wir in der
Vergangenheit durch mehr Personal und eine neue Ge-
schäftsordnung durchaus optimiert.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Na ja!)


Hier gibt es weitere Vorschläge, zum Beispiel den Vor-
schlag zur Einsetzung eines Nachrichtendienstbeauftrag-
ten, der sich hauptamtlich, ständig und mit weitreichen-
den Kompetenzen im Auftrag des PKGr mit diesen
Dingen beschäftigt. Ich finde, über all diese Verbesse-
rungen können wir doch in aller Ruhe reden.

Im Übrigen können wir vielleicht auch einmal da-
rüber reden, was eigentlich alles geheim ist. Ich habe
manchmal den Eindruck, dass in manchen Behörden
alles geheim ist. Selbst die Essensmarken kommen in
einer Mappe an, die mit „VS-Vertraulich“ gestempelt ist.
Dabei tritt die seltsame Kuriosität auf, dass alles, was ge-
heim ist, am Ende des Tages öffentlich wird.

Vielleicht sprechen wir auch einmal darüber, wie wir
zu mehr Transparenz in unseren Diensten kommen.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das sind Ablenkungsmanöver!)


Eine hundertprozentige Transparenz kann es bei Nach-
richtendiensten selbstverständlich nie geben. Vielleicht
kann es aber mehr Transparenz geben.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Essensmarken stehen nicht auf der Selektorenliste! Geist der Wahrheit!)


– Frau Kollegin Göring-Eckardt, es wäre indessen schon
gut, wenn die Dinge, die wirklich geheim sein müssen,
dann auch geheim bleiben, und wenn sie auch in den
parlamentarischen Gremien geheim bleiben, wenn die
Parlamentarier vereinbaren, dass sie geheim bleiben
müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An uns liegt es nicht!)


Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
sind eingeladen, mit uns eine Debatte darüber zu führen:
Brauchen wir unsere Dienste? Brauchen wir die Polizei?


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brauchen wir! Die Debatte führen wir nicht! Wenn Sie sie führen wollen, wir führen sie nicht!)


Wie sind die Aufgaben?


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch einmal zum Thema! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Liste, Herr Strobl!)


Da möchte ich für die Unionsfraktion eine sehr klare
Antwort geben:


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Liste, Herr Strobl!)


Angesichts der Bedrohungen durch die Terrororganisa-
tion „Islamischer Staat“, angesichts der Lagen in Syrien,
im Irak, in der Ukraine und im Nahen Osten, angesichts
der Gefahren durch den internationalen Terrorismus


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Liste, Herr Strobl?)


brauchen wir die Arbeit unserer Polizistinnen und Poli-
zisten. Wir brauchen auch die Arbeit unserer Dienste,
auch die internationale Zusammenarbeit unserer Dienste
mit anderen Diensten.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810610200

Herr Kollege Strobl.


Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1810610300

Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stehen inso-

fern hinter der Arbeit unserer Polizistinnen und Polizis-
ten und unserer Dienste,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Wort zu der Selektorenliste!)


dass wir sie nicht fortwährend von Leuten diskreditieren
lassen, die vergangenheitsbedingt ein Problem mit Poli-
zei und Diensten haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810610400

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Konstantin von

Notz, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn ich Sie so höre, Herr Strobl, möchte ich
doch mal zum Thema reden. Ich fange mit einem Zitat
aus dem Staatsrechtskommentar von Maunz/Dürig an,
der auf das Bundesverfassungsgericht verweist – das in-
teressiert offensichtlich auch den Kollegen Mayer –:


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Wie alles, was Sie sagen! – Heiterkeit bei der CDU/ CSU)


Untersuchungsverfahren ermöglichen es dem Parlament,

… unabhängig von Regierung, Behörden und Ge-
richten mit hoheitlichen Mitteln, wie sie sonst nur
Gerichten und besonderen Behörden zur Verfügung





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)

stehen, selbständig die Sachverhalte zu prüfen, die
sie in Erfüllung ihres Verfassungsauftrags als Ver-
tretung des Volkes für aufklärungsbedürftig halten.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Bis jetzt war alles richtig!)


So sehen wir das, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Uns geht es nicht um Diffamierung, nicht um Skandali-
sierung, nicht um schrille Töne, wie wir sie in den letz-
ten Wochen von Union und SPD hören; Sie hören sie
von uns nicht. Wir klären auf und suchen die Verant-
wortlichen, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ströbele! Gezielte Irreführung!)


Eines können wir allerdings heute mit Sicherheit sa-
gen, Herr Kollege Strobl – wenn Sie mal im Ausschuss
vorbeischauen, werden Sie es auch mitbekommen –:
Zehn Jahre wurde bei der Fach- und Rechtsaufsicht des
Bundeskanzleramtes über den Auslandsgeheimdienst
geschlampt. Die rechtswidrige Übergriffigkeit der NSA
in der Kooperation ist seit 2005 bekannt. Man kannte die
Probleme mit Selektoren wie „Eurocopter“ und
„EADS“, bei Inhalts- und Metadaten, die mangelnde
Rechtssicherheit im Hinblick auf G 10 und den völlig
unzureichenden Schutz deutscher und europäischer Inte-
ressen. Aber allerspätestens seit den Snowden-Veröffent-
lichungen im Sommer 2013 unterließen Sie vorsätzlich
notwendige Korrekturen bei der Kooperation, und das
fällt voll in die Verantwortung der Bundeskanzlerin,
meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Manipulation der Wahrheit – wir nennen es ein-
mal so – im Wahlkampf durch Herrn Pofalla, Herrn
Seibert und eben auch Frau Merkel bezüglich des No-
Spy-Abkommens fällt jetzt völlig zu Recht auf sie zu-
rück und kratzt an ihrer Glaubwürdigkeit. Aber die
Irreführung hat System: Am 24. Oktober 2013, nachdem
es um ihr eigenes Handy ging, sagte Frau Merkel den in-
zwischen sehr bekannten Satz: „Ausspähen unter Freun-
den, das geht gar nicht.“ Erst danach, nachdem sie das in
die Kamera gesagt hat, gab man im BND die Parole aus:
Ausspähen von europäischen Freunden, das lassen wir
zukünftig mal lieber. – Das muss man sich einmal vor-
stellen! Das war keine Aufklärung; das dokumentiert
schlicht die mangelnde Führung und Aufsicht der
Bundeskanzlerin in Bezug auf den Geheimdienst, meine
Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Trotz der eindeutigen Erkenntnisse dank Edward
Snowden unterließ sie es nach der Bundestagswahl und
nach der Leistung des Amtseids, die deutschen und euro-
päischen Interessen vor rechtswidriger Spionage zu
schützen. Darum geht es, Herr Strobl: nicht um Terroris-
musbekämpfung, sondern um rechtswidrige Spionage. –
Sie haben sich nicht gekümmert, es wurde nicht nachge-
fragt, Sie haben nicht nachgehakt, es wurde nichts ge-
prüft. Dieses Durchwurschteln ist der erklärte Politikstil
der Bundeskanzlerin. Das fällt Ihnen nun voll auf die
Füße, und das schadet dem Ansehen Deutschlands in der
Welt. Das ist das Versagen von Frau Merkel, und das
macht diese Affäre auch zu ihrer Affäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Nur darum geht es Ihnen ja!)


All dies klärt der Untersuchungsausschuss sehr er-
folgreich auf. Deswegen brauchen wir auch keinen Son-
derermittler. Wir brauchen die Liste, die hier das Thema
ist, Herr Strobl. Sowohl die Kanzlerin als auch der Vize-
kanzler – der Kollege Korte hat es gesagt – haben öffent-
lich zugesichert, dass wir diese Liste bekommen. Es geht
um die Rechte des Parlaments, und die sind für uns nicht
verhandelbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Diese verfassungsrechtlich verbrieften Rechte kann man
auch nicht durch Diffamierungen und Unterstellungen,
Herr Strobl, kleinreden oder kleinmachen. Geheimhal-
tung ist in bestimmten Fällen total angezeigt – Sie wer-
den hier niemanden finden, der dem widerspricht –;


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Gut wäre, wenn man sich auch daran hielte!)


aber Transparenz ist auch ein hohes Gut. Die Geheim-
haltung ist die Ausnahme, nicht die Regel. Wenn hier
über WikiLeaks geredet wird, muss man sagen: Der Vor-
gang war nicht in Ordnung. Aber war es ein Skandal,
wie Herr Kauder es gesagt hat? Ist es ein Skandal, wenn
Protokolle eines öffentlichen Teils einer Sitzung eines
dem Öffentlichkeitsgrundsatz verpflichteten Gremiums
öffentlich werden? Oder versuchen Sie einfach, auf
Kosten des Parlaments abzulenken, wenn Sie mit dieser
hintertriebenen Art argumentieren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist mein starker Verdacht. Sie reden nicht zur Sache.
Sie lenken ab. Wo sind Ihre Aussagen zur Nichtinforma-
tion und Umgehung des zuständigen Parlamentarischen
Kontrollgremiums, zum Zugriff auf die Glasfaserkabel
in Frankfurt ohne ausreichende Gesetzesgrundlage, zu
Zehntausenden von illegalen Suchbegriffen, mit denen
offenbar Verbündete und Freunde in Europa mittels
BND ausgespäht wurden?


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810610500

Herr Kollege, denken Sie an die Zeit.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Dazu sa-
gen Sie nichts. Das sind die Dinge, um die wir uns hier
als Parlamentarier kümmern müssen.





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)

Ich sage Ihnen: Überwachung ist ein schleichendes
Gift für eine Demokratie und für einen Rechtsstaat, wie
Deutschland es ist. Wir müssen sie als Parlamentarier
gemeinsam bekämpfen.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810610600

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Christian Flisek,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1810610700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle-

ginnen und Kollegen! Die Arbeit des Untersuchungsaus-
schusses genießt seit einigen Wochen wieder erhöhte
Aufmerksamkeit. Das zeigt sich auch daran, dass wir
jetzt in fast jeder Sitzungswoche eine Aktuelle Stunde
dazu haben. Ich denke, das ist gut so, weil wir hier öf-
fentlich debattieren. Man kann eine solche Aktuelle
Stunde aber auch für die üblichen Reflexe und Rituale
nutzen. Dazu sagen ich, Herr Korte und Herr von Notz:
Damit wird man der Sache nicht gerecht,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


weil sie in Wahrheit viel komplexer ist. Das wissen Sie
auch. Es ist eine Abwägungsentscheidung zu treffen
zwischen dem elementaren Aufklärungsinteresse dieses
Hauses, seiner Abgeordneten, des Untersuchungsaus-
schusses und des PKGr einerseits und dem Staatswohl-
interesse der Bundesrepublik Deutschland, dem Inte-
resse an einer funktionierenden Partnerschaft mit den
Vereinigten Staaten und einer funktionierenden nach-
richtendienstlichen Kooperation mit amerikanischen Ge-
heimdiensten andererseits.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir sind darauf angewiesen in Zeiten internationaler ter-
roristischer Bedrohung. Der Unterschied ist der: Wir
wollen diese Kooperation auf den Boden der Verfassung
holen – dafür gibt es diesen Ausschuss –, wir wollen
Missstände, die es vielleicht gegeben hat, aufklären, und
wir wollen gemeinsam dafür sorgen, dass das in Zukunft
auch abgestellt wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Untersuchungsausschuss befragt seit zwei Wo-
chen Zeugen aus den Reihen des Bundesnachrichten-
dienstes zu dem Komplex Selektoren. Wir reagieren da-
mit auf die sehr schwerwiegenden, massiven Vorwürfe,
die derzeit in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Es
heißt, dass eventuell mithilfe des BND NSA-Selektoren
eingespeist worden sind, dass Suchbegriffe verwendet
worden sind, um beispielsweise Wirtschaftsspionage zu
betreiben oder europäische Partner, Institutionen und
Persönlichkeiten auszuspionieren. Das sind schwerwie-
gende Vorwürfe. Darauf reagieren wir.
Wir haben uns heute in der Beratungssitzung des
Ausschusses über alle Fraktionen hinweg auf ein ge-
meinsames Zeugenprogramm bis zur Sommerpause ver-
ständigt. Ich sage sehr deutlich: Es ist sehr unbefriedi-
gend, wenn wir die Zeugen befragen müssen, ohne
eigentlich zu wissen, was in dieser Selektorenliste genau
steht.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! So ist es!)


Deswegen sagt meine Fraktion sehr deutlich: Wir brau-
chen unverzüglich in geeigneter Weise Einblick in diese
Listen. Wir brauchen diesen Einblick, damit wir mit
Substanz unsere Arbeit machen können. Das ist wichtig.
Ich glaube, mittlerweile wurden ausreichend Signale ge-
setzt. Ich denke, auch das Kanzleramt hat dies verstan-
den.

Ich sage auch: Wenn man das erst einmal akzeptiert,
dann wäre es auch schön, wenn man einen zweiten
Schritt akzeptierte: dass es dafür eben nicht nur ein, son-
dern mehrere Verfahren gibt, die in Betracht kommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)


Ein Beispiel ist das Treptow-Verfahren, bei dem die
Obleute Einblick nehmen können; aber, Herr Kollege
Korte, es könnte auch ein Ermittlungsbeauftragter sein.
Das ist keine Erfindung, die wir jetzt machen, sondern
ein bewährtes Aufklärungsmittel aus der Vergangenheit,
mehrfach im Parlamentarischen Kontrollgremium prak-
tiziert.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sie haben in diesem Zusammenhang von einer Ent-
machtung des Parlaments gesprochen. Dadurch werden
die Erfolge der vergangenen Zeit, in der ein solches In-
strument eingesetzt worden ist, mit Füßen getreten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich sage noch eines dazu: Wenn wir uns auf die Ein-
setzung eines solchen Ermittlungsbeauftragten einigen
– ich sehe sehr deutlich, dass das Kanzleramt zusammen
mit dem Parlament das Signal setzt, an einer Lösung zu
arbeiten, und begrüße das ausdrücklich –, dann muss das
nicht der letzte Schritt sein; aber es ist wichtig, dass wir
zügig einen ersten Schritt machen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss der nächste Schritt kommen!)


Es muss nicht der letzte Schritt sein, weil wir uns ab-
hängig vom Ausgang des Ermittlungsergebnisses dieses
Beauftragten selbstverständlich als Parlamentarier alles
Weitere vorbehalten. Insofern sage ich: Überlegen Sie
sich bitte noch einmal Ihre Position, Ihren Standpunkt
und die Äußerungen, die in diesem Zusammenhang ge-
fallen sind. Ich denke, uns ist daran gelegen, dass wir
hierbei insgesamt sehr zügig weiterkommen.

Lassen Sie mich noch einen Satz zum Schluss sagen.
Wir als SPD sind bereits jetzt davon überzeugt, dass un-
abhängig davon, wie es mit den Selektoren weitergeht,





Christian Flisek


(A) (C)



(D)(B)

dringender Regelungsbedarf beim BND-Gesetz und
beim G 10-Gesetz besteht. Wir sind der Überzeugung,
dass hier zum Teil mit Mitteln des 21. Jahrhunderts gear-
beitet wird, diese Regelungen jedoch oft noch aus dem
letzten Jahrhundert stammen – ich sage es einmal über-
spitzt –, aus Zeiten des Kalten Krieges.

Das Denken zwischen Freund und Feind, zwischen
Inländern und Ausländern macht keinen Sinn mehr; die-
ser festen Überzeugung bin ich. Wir müssen zwischen
gefährlichen und ungefährlichen Personen unterschei-
den; diese gibt es sowohl im Inland als auch im Ausland.
Das muss der Ansatz des Denkens und Arbeitens unserer
Nachrichtendienste sein. Ich denke, wir müssen uns ge-
meinsam an die Arbeit machen, verfassungskonforme
rechtsstaatliche Rechtsgrundlagen für die Routineüber-
wachung zu schaffen und dafür zu sorgen, dass sie nicht
im Schmuddelbereich, im Graubereich weiterexistiert.
Wir müssen sie einer effizienten parlamentarischen Kon-
trolle zuführen. Das ist es, worauf wir uns konzentrieren
sollten, und ich bin jederzeit gern bereit, mit Ihnen zu
diskutieren.

Eine Schlussbemerkung noch: Wir sollten uns – egal,
auf welcher Seite des Hauses wir sitzen – nicht gegensei-
tig absprechen, dass wir für das Staatswohl eintreten.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Ich habe Seehofer zitiert!)


Wir arbeiten hier, wenn auch manchmal im Dissens, in-
tensiv in den Debatten. Ich finde es sehr wichtig, dass
wir die Arbeit des anderen achten; denn wir tragen zu-
sammen mit der Bundesregierung zum Staatswohl bei.

In diesem Sinne herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810610800

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Stephan Mayer

von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1810610900

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen und sehr geehrte Kollegen! Wie in dem schönen
Spielfilm Und täglich grüßt das Murmeltier beschäfti-
gen wir uns auch in dieser Sitzungswoche wieder mit un-
seren Nachrichtendiensten.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schlimm genug! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wenn Sie das Problem nicht lösen!)


Herr Kollege von Notz, ich dachte, ich höre nicht
recht, als ich vernahm, dass Sie so tun, als ob Sie in
keiner Weise zur Skandalisierung dieser Angelegenheit
beitragen, sondern Ihnen allein an objektiver, nüchterner
Aufklärung gelegen ist und Sie in keiner Weise hier voll-
kommen überziehen und übertreiben.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, Sie sind es doch, die hier mit Unterstellun-
gen, Mutmaßungen und Verdächtigungen, die überhaupt
nicht belegt und bewiesen sind, arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie mal in den Ausschuss, dann können Sie das nachvollziehen!)


Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass wir
den folgenden Dreiklang einhalten sollten: Erst einmal
aufklären,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber wir bekommen ja keine Liste! Wie sollen wir da aufklären? – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir würden ja gern aufklären!)


dann bewerten und danach die erforderlichen Schlussfol-
gerungen ziehen. Aber was machen Sie?


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sollen wir das denn machen? Wie sollen wir denn aufklären, wenn die Liste nicht da ist?)


Sie stellen sofort die Bewertungen auf und fordern ir-
gendwelche Konsequenzen, ohne zuerst einmal eine ob-
jektive, lückenlose und vollständige Aufklärung stattfin-
den zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie soll man denn aufklären, wenn die Liste nicht da ist?)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir
sind momentan in den entscheidenden Gremien, sowohl
im Untersuchungsausschuss als auch im Parlamentari-
schen Kontrollgremium, intensiv dabei, diese Angele-
genheit aufzuklären. Ich stehe hier auch gar nicht hintan,
zuzugestehen: Natürlich sind beim BND Fehler gemacht
worden. Aber – ich habe dies auch schon das letzte Mal
gesagt – nicht jeder Fehler ist automatisch ein Skandal.
Deswegen geht es jetzt zunächst einmal darum, kom-
plett, umfassend und vollständig aufzuklären.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liste her!)


Diesbezüglich bin ich auch der Überzeugung, dass es
hilfreich wäre, wenn wir sowohl im Parlamentarischen
Kontrollgremium als auch im Untersuchungsausschuss
Einblick in die Selektorenliste bekommen.

Jetzt wurde der konkrete Vorschlag zur Einsetzung ei-
nes Ermittlungsbeauftragten oder eines Sachverständi-
gen gemacht. Es gibt aktuell ein hervorragendes Beispiel
dafür, wie sich das Instrument des Sachverständigen im
Parlamentarischen Kontrollgremium bewährt hat. Einige
Kollegen, die davon wissen, sind heute unter uns. Wir
haben gestern den Bericht des Sachverständigen, des
früheren Kollegen Jerzy Montag, zum Fall „Corelli“ be-
kommen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)






Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)

Ich sage jetzt nichts zur Sache, weil wir uns zu einem
späteren Zeitpunkt dazu einlassen werden. Aber – ich
glaube, so viel kann man schon sagen – dieses Instru-
ment des Sachverständigen hat sich in diesem konkreten
Fall absolut bewährt. Ich glaube, da sind wir uns über
Fraktionsgrenzen hinweg einig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Denn keiner von uns, egal welcher Fraktion er angehört,
hätte in den vergangenen sechs Monaten so viel Zeit und
Muße gehabt, sich so intensiv, akribisch und akkurat mit
dem Fall des ehemaligen V-Manns „Corelli“ zu beschäf-
tigen, wie es der frühere Kollege Montag getan hat.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Abgeordneten haben die Akten auch eingesehen!)


Es gibt also positive Beispiele eines Sachverständigen
im Parlamentarischen Kontrollgremium. Ich könnte mir
dies durchaus auch in diesem Fall hinsichtlich der Ein-
sichtnahme in die Selektorenliste vorstellen.

Wir tun, glaube ich, wirklich gut daran, uns an Recht
und Gesetz zu halten und die Bundesregierung hier jetzt
ihre Arbeit machen zu lassen. Derzeit läuft, wie in dem
Abkommen von 1968 vorgesehen, das Konsultations-
verfahren zwischen der Bundesregierung und der US-
Regierung, bei dem es darum geht, die Zustimmung der
US-Regierung hinsichtlich der Weitergabe der Selekto-
renliste einzuholen. Bevor diese Antwort der USA nicht
da ist, ist es vollkommen verfehlt und populistisch, hier
irgendwelche Forderungen aufzustellen. Jetzt lassen Sie
uns doch erst einmal sehen, wie die US-Amerikaner ant-
worten,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die antworten gar nicht!)


und, wenn ja, in welcher Form. Dann kann man entspre-
chend weitersehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sowohl von Herrn von Notz als auch vom Kollegen
Korte wurde jetzt wieder die Vermutung in den Raum
gestellt, die Bundesregierung hätte Wahlbetrug began-
gen; man geht ja mittlerweile inflationär mit derartigen
Begriffen um.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manipulation!)


– Oder Sie sprechen von Manipulation. – Sie sagen, dass
vor der Bundestagswahl 2013 der Eindruck erweckt
wurde, es gäbe ein konkretes Angebot der USA, über ein
sogenanntes No-Spy-Abkommen zu verhandeln. Ich
möchte hier ausdrücklich betonen: Es gab ganz konkrete
Verhandlungen zwischen der NSA und dem BND auf
höchster Ebene zwischen General Alexander und dem
BND-Präsidenten Schindler.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht über ein No-Spy-Abkommen!)

Diese Verhandlungen haben sich bis weit in das Jahr
2014 gezogen. Deswegen stimmt das, was Sie behaup-
ten, einfach nicht. Sie versuchen, hier den Eindruck zu
vermitteln, als hätte es Wahlmanipulation gegeben und
seitens der Bundesregierung, egal von wem, wären hier
falsche Aussagen getroffen worden. Das ist schlichtweg
unzutreffend.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selber nicht, Herr Mayer!)


Ich habe zwar schon zu Beginn gesagt, dass wir diese
Debatten mittlerweile inflationär führen, aber ich habe
trotzdem die Hoffnung noch nicht verloren oder aufge-
geben, dass derartige Aktuelle Stunden wie die heutige
vielleicht mit dazu beitragen, das Bewusstsein sowohl
hier im Parlament als auch in der Öffentlichkeit zu
schärfen, dass wir eine effektive parlamentarische Kon-
trolle unserer Nachrichtendienste benötigen, dass es aber
auch wichtig ist, dass wir internationale Kooperationen
haben, und dass dies im Sinne der Sicherheit Deutsch-
lands und deutscher Bürger im Inland und im Ausland
ist. Vielleicht wird dadurch auch ein stärkeres Bewusst-
sein in der Bevölkerung geschaffen, dass wir effektive
und gut aufgestellte Nachrichtendienste benötigen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810611000

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. André Hahn,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810611100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigent-

lich ist es eine Schande und auch ein Armutszeugnis für
die Bundesregierung, dass diese Aktuelle Stunde über-
haupt nötig ist. Im BND-NSA-Skandal kommen fast
täglich neue Fakten ans Licht. Die ganze Dimension der
Vorgänge ist noch immer nicht absehbar. Bundesregie-
rung und Koalition betonen seit Wochen, wie nötig Auf-
klärung sei, auch heute wieder.

Die Realität sieht leider völlig anders aus. Was wir er-
leben, ist Mauern, Hinhalten, die Schwärzung von Ak-
ten, das Verhindern von Sondersitzungen des NSA-
Untersuchungsausschusses zur Vernehmung der verant-
wortlichen Kanzleramtsminister und jetzt sogar die kom-
plette Verweigerung der Herausgabe ganz zentraler
Beweismittel für Rechts- und Vertragsbrüche der US-
Geheimdienste.

Dieser Rechtsbruch, der inzwischen von niemandem
mehr bestritten wird – ich hoffe, auch von Ihnen nicht,
Herr Sensburg –, muss Konsequenzen haben. Wir kön-
nen aber nur dann vollständig aufklären, wenn wir die
Akten haben. Deshalb müssen sie auf den Tisch.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Dr. André Hahn


(A) (C)



(D)(B)

Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, die Interes-
sen der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu wah-
ren und zu schützen. Die Bundesregierung behauptet, sie
habe von den amerikanischen Ausspähaktivitäten nichts
gewusst, oder aber, wenn sie doch Kenntnis darüber
hatte, wurde nichts dagegen unternommen. Ich will gar
nicht wichten, was schlimmer wäre. Ich sage nur für die
Linke ganz klar: Beides ist gleichermaßen unverantwort-
lich und muss Konsequenzen nach sich ziehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn der im Raum stehende Vorwurf ist schier unglaub-
lich, meine Damen und Herren, und nach allem, was wir
wissen, stimmt er. Im Kern ist er zutreffend.

Der BND hat dem amerikanischen Geheimdienst
NSA Zugang zu deutschen Satelliten wie auch Telekom-
munikationskabelpunkten in Deutschland verschafft, da-
bei auch offenkundig die G 10-Kommission des Bundes-
tages, die Abhörmaßnahmen genehmigen muss, bewusst
getäuscht, und dann auch noch von den Amerikanern ge-
wünschte Suchkriterien, die sogenannten Selektoren,
über Jahre hinweg ohne wirkungsvolle Kontrolle in die
Überwachungsmaschinerie eingespeist. Das führte dazu,
dass Monat für Monat millionenfach Telefonate, SMS-
und Mail-Verkehre ausgeforscht und auch sogenannte
Metadaten über erfolgte Kommunikationskontakte ge-
sammelt und ohne genaue Prüfung an die NSA weiterge-
leitet wurden.

Auch wenn es noch zahlreiche ungeklärte Fragen
gibt, ist es vielleicht ein kleiner Lichtblick gewesen, dass
es beim BND dann doch einmal irgendjemandem aufge-
fallen ist, dass bei dieser angeblich unverzichtbaren Ko-
operation etwas schiefläuft. Man hat mit Suchbegriffen
festgestellt, wie viele unzulässige illegale Selektoren
eingespeist wurden, und man hat dann sogar eine Ableh-
nungsdatei eingerichtet. Spätestens ab dem Jahr 2008
sind die Sperrungen also festgehalten worden. Um genau
diese Listen geht es jetzt. Es handelt sich ganz klar um
Unterlagen des BND. Deshalb unterliegen sie auch der
parlamentarischen Kontrolle. Wir brauchen die Ameri-
kaner nicht um Erlaubnis zu fragen. Es ist Vertuschung
und Verzögerung, was Sie hier betreiben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb sage ich ganz klar: Wir werden uns nicht mit
halbseidenen Informationen abspeisen lassen. Wir wol-
len im Kontrollgremium wie im Untersuchungsaus-
schuss die Vorlage der vollständigen Listen. Es geht da-
bei nicht nur um Grundrechtsträger, sondern wohl auch
und vor allem um europäische Politiker, Regierungen,
Institutionen sowie Wirtschaftsunternehmen, die über
Jahre hinweg ausgespäht worden sind.

Wenn die Bundesregierung wirklich die Einsicht in
diese Liste verweigert, dann unterläuft sie den Einset-
zungsbeschluss des Untersuchungsausschusses, der in
diesem Haus einstimmig gefasst worden ist. Deshalb ha-
ben wir auch alle eine Verantwortung, die Bundesregie-
rung dazu zu bringen, die Listen endlich vorzulegen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In den letzten Tagen hat sich vor allem die SPD im-
mer wieder als Vorreiter der Aufklärung geriert. Nicht
nur die Generalsekretärin, sondern auch der Parteivorsit-
zende und Vizekanzler haben wiederholt die Herausgabe
der Listen mit den Suchbegriffen gefordert. Herr Gabriel
sprach sogar von einer möglichen Staatsaffäre und da-
von, dass es keine Unterwürfigkeit gegenüber den USA
geben dürfe und man gerade auch in dieser Angelegen-
heit Rückgrat zeigen muss. Der Mann hat absolut recht.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
dann hören Sie doch endlich auf mit der Unterwürfig-
keit! Zeigen Sie Rückgrat, und sorgen Sie in der Koali-
tion dafür, dass die Listen herausgegeben werden!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Ein Er-
mittlungsbeauftragter kann weder die Arbeit des Unter-
suchungsausschusses noch des Kontrollgremiums er-
setzen. Es sind die gewählten Volksvertreter, die die
Bundesregierung zu kontrollieren haben. Ein Sonder-
ermittler kann bestenfalls ergänzend bzw. unterstützend
tätig werden, aber nicht die Rechte der Abgeordneten
aushebeln.

Herr Mayer, Sie haben auf das Kontrollgremium hin-
gewiesen. Sie haben aber eines vergessen zu sagen: Dort
hatten die Abgeordneten den Zugang zu den kompletten
Unterlagen, also zu den Akten des Bundesamtes für Ver-
fassungsschutz. Wir haben den Sonderermittler Jerzy
Montag dafür eingesetzt, dass er uns systematisch zuar-
beitet. Aber wir hatten den Zugang zu den Akten, und
das muss auch für die Unterlagen des Bundesnachrich-
tendienstes gelten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein allerletzter Satz: Herr Strobl, der Vorwurf an uns,
geheime Unterlagen weitergegeben zu haben, ist absurd.
Wir lassen uns von Ihnen keine Straftaten unterstellen –
damit das ganz klar ist.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da haben Sie als Ausschussvorsitzender eine besondere Aufgabe!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810611200

Vielen Dank, Kollege Hahn. – Einen schönen Nach-

mittag von mir, liebe Kolleginnen und Kollegen und
liebe Gäste auf den Tribünen!

Nächster Redner in der Debatte: Dr. Jens
Zimmermann für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Jens Zimmermann (SPD):
Rede ID: ID1810611300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Lieber Herr Hahn, Sie haben eben meinen Par-
teivorsitzenden angesprochen. Dazu will ich eines klar-





Dr. Jens Zimmermann


(A) (C)



(D)(B)

stellen: Als Parteivorsitzender der SPD braucht man
permanent so ein Rückgrat, und das hat unser Parteivor-
sitzender auch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Körperlich!)


Es gibt doch ein Problem in dieser ganzen Debatte. Es
wird ein Bohei gemacht, und es wird die Behauptung in
den Raum gestellt, es wäre irgendetwas passiert. Es ist
aber überhaupt nichts passiert.


(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben es so dargestellt, als würden wir die Listen
und die Inhalte nicht zur Kenntnis bekommen. Eines ist
doch klar: Auch wir, die SPD – das hat mein Kollege
Christian Flisek doch eben auch klargemacht –, wollen
wissen, was darin steht. Sie sitzen doch auch im Unter-
suchungsausschuss. Wir sitzen da doch nicht 15 Stunden
nur so zum Spaß herum. Dass überhaupt die Existenz
dieser Selektorenlisten dem Parlament zur Kenntnis ge-
kommen ist, liegt doch an unserer gemeinsamen Arbeit
in diesem Ausschuss. Deswegen haben wir ein Interesse
daran, zu wissen, was in diesen Listen steht.

Aber wir machen uns jetzt – das ist doch der Punkt –
Gedanken über ein geeignetes Verfahren, wie wir einer-
seits die Inhalte erfahren können, um damit arbeiten zu
können, andererseits aber nicht irgendwelche Informa-
tionen nach außen tragen, die vielleicht auch unsere Inte-
ressen in Deutschland schädigen könnten. Wir sind mit-
ten in diesem Prozess. Deshalb sage ich: Es ist überhaupt
noch nichts passiert.

Wenn es dazu kommen sollte, dass die Amerikaner
komplett Nein sagen, dann müssen wir weiter diskutie-
ren. Wir haben heute im Ausschuss gesagt: Wir geben
dem Kanzleramt die zwei Wochen über Pfingsten Zeit,
und dann werden wir sehen, wie es weitergeht. Mir ist
aber ein Punkt ganz wichtig: In der Öffentlichkeit wird
doch nur der Streit wahrgenommen. Eine Fraktion ver-
sucht, schriller als die andere aufzutreten. Aber um was
es eigentlich geht, weiß so gut wie keiner.


(Zuruf von der LINKEN: Doch! Spionage!)


Die Menschen draußen müssen doch denken, dass es
diese Selektorenliste gibt und jegliche Kommunikation
in Deutschland davon betroffen ist. Dass wir über Bad
Aibling reden, dass wir über Satellitenkommunikation
aus Krisenregionen reden, wird doch in der Diskussion
völlig unter den Tisch gekehrt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch, was Sie sagen!)


Denn das würde nicht zur Skandalisierung passen.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Unsinn!)


Das ist doch die Problematik, die wir haben.

Schauen wir uns doch einmal an, wie erfolgreiche
Untersuchungsausschüsse in der Vergangenheit gearbei-
tet haben. Das erinnert mich sehr an die Arbeit, wie sie
in unserem Ausschuss erfolgt. Sie ist nämlich meistens
sehr kollegial und von dem Interesse geleitet, am Ende
wirklich herauszubekommen, was hier eigentlich schief-
läuft. Wir müssen versuchen, daran zu arbeiten, und soll-
ten schauen, dass wir uns nicht von diesen Aktuellen
Stunden aus dem Konzept bringen lassen, in denen viele
Leute reden, die allenfalls sporadisch in diesem Aus-
schuss sind, die aber hier große Worte machen.

Wir müssen schauen, dass unsere Arbeit peu à peu
weitergeht; denn dieser Ausschuss ist bisher unglaublich
erfolgreich. Wir haben sehr viel aufgedeckt; wir wissen,
in welche Richtung es bei unseren eigenen Diensten
geht; wir wissen, dass wir Verbesserungen und Verände-
rungen bei den rechtlichen Grundlagen brauchen. Das
alles sind Erkenntnisse, die bei der Arbeit unseres Aus-
schusses herausgekommen sind.

Ich kann verstehen, dass die Opposition auf der einen
Seite versucht, die Regierung und die sie unterstützen-
den Fraktionen zu piksen, wo es nur geht. Das ist ihr
Recht, das ist ihre Aufgabe. Es ist auf der anderen Seite
aber auch klar, dass die Große Koalition und die Regie-
rung, die von ihr unterstützt wird, versuchen, nach Mög-
lichkeit in dieser Situation keine Fehler zu machen.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht sie aber!)


Ich finde, beide Ansinnen sind vollkommen nachvoll-
ziehbar. Nur, wir müssen schauen, dass wir unsere gute
Sacharbeit im Ausschuss nicht dieser öffentlichen Aus-
einandersetzung opfern. Das wäre der Sache vollkom-
men unangemessen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine Sache sa-
gen, weil sie uns alle betrifft. Wir leben nicht in einem
luftleeren Raum, wo die Diskussion, die wir gerade füh-
ren, eine rein akademische Diskussion wäre. Wir erleben
es doch gerade selbst als Deutscher Bundestag. Wir wur-
den einem massiven Cyberangriff ausgesetzt. Das zeigt
eindeutig, dass wir uns mit der Sicherheit und vor allem
mit der Sicherheit im Internet auseinandersetzen müs-
sen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja und? Das ist doch selbstverständlich!)


Da gibt es keine einfachen Lösungen. Es wird häufig so
dargestellt, als wären Geheimdienste per se erst mal
schlecht oder als würden sie nicht im Interesse unseres
Landes arbeiten.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir gerade nicht! Das Gegenteil ist der Fall!)


Man muss doch einmal klarstellen, dass wir an dieser
Stelle auch ein Interesse haben. Ich sage nicht, dass diese
Abwägung einfach ist.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ein Popanz, den Sie aufbauen!)






Dr. Jens Zimmermann


(A) (C)



(D)(B)

Aber es ist falsch, so zu tun, als könnte man einfach alle
Geheimdienste abschaffen, und alles wäre gut.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


In diesem Sinne kann ich für meine Fraktion nur das
Angebot zu einer weiteren ordentlichen Arbeit in unse-
rem Ausschuss aufrechterhalten. Ich glaube, eine solche
Arbeit leisten wir auch die meiste Zeit. In einer Viertel-
stunde geht es, glaube ich, weiter.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810611400

Danke, Herr Kollege Zimmermann. – Nächster Red-

ner in der Debatte: Hans-Christian Ströbele für die Grü-
nen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege Flisek und Herr Kollege
Zimmermann, es stimmt ja, dass es eine schwierige Ab-
wägungsentscheidung ist: Kriegen wir die Selektoren?
Kriegen wir sie nicht? Nur, Ihr Parteivorsitzender
Gabriel, der Vizekanzler, und Herr Oppermann, der ge-
rade noch hier saß – jetzt ist er abgehauen –,


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Er ist nicht abgehauen! – Petra Ernstberger [SPD]: Der hat noch was zu tun! – Christian Flisek [SPD]: Fraktionsvorsitzender!)


und Ihre Generalsekretärin haben diese schwierige Ent-
scheidung bereits gefällt.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!)


Sie haben nämlich in der Öffentlichkeit verkündet – das
ganze Wochenende ging es durch alle Medien –, dass die
Liste selbstverständlich herausgegeben werden muss,
auch ohne die Zustimmung der USA und der NSA.


(Christian Flisek [SPD]: Sie müssen zuhören! „In geeigneter Weise“!)


Dann lassen Sie diesen Beschwörungen, diesen Auffas-
sungen doch Taten folgen, und legen Sie uns endlich
diese Liste vor!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Christian Flisek [SPD]: Hören Sie gut zu, wenn Sie hier zitieren! „In geeigneter Weise“!)


Herr Kollege Strobl, wir diskutieren an anderer Stelle
und bei anderer Gelegenheit über die Frage: Brauchen
wir die Arbeit unserer Geheimdienste? Brauchen wir die
Arbeit von Geheimdiensten in Deutschland? Aber eines
brauchen wir mit Sicherheit nicht: Wir brauchen nicht
diese Arbeit der Geheimdienste mit diesen Selektoren,
weil diese Selektoren gegen deutsches Recht und Gesetz
und gegen die Vereinbarung mit der NSA und den USA
verstoßen. Deshalb brauchen wir diese Arbeit nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das wissen Sie doch nicht! Nicht immer das Ergebnis vor der Untersuchung nennen!)


– Wir haben bereits ein Ergebnis der Untersuchung, Herr
Kollege Strobl. Allein die Existenz dieser Selektoren be-
weist, dass der Bundesnachrichtendienst in Zusammen-
arbeit mit der NSA zu Unrecht Selektoren eingestellt
hat, Überprüfungen vorgenommen hat, Suchen vorge-
nommen hat, die er nicht vornehmen durfte. Sie haben
das immer noch nicht kapiert. Bei jeder Rede hier versu-
che ich, Ihnen das klarzumachen.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Der Einzige, der irgendwas kapiert hat, sind sowieso Sie!)


Es handelt sich um Selektoren, die auch nach Auffas-
sung des Bundesnachrichtendienstes und des Kanzler-
amtes nicht benutzt werden durften, aber trotzdem be-
nutzt wurden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Der Polizeiund Diensteexperte Ströbele!)


Deshalb sind sie illegal und rechtswidrig. Das müssen
Sie doch irgendwann mal verstehen.

Das Parlament versucht, diese Selektoren jetzt zu be-
kommen, um durch die Lektüre dieser Selektoren, durch
die Lektüre im Einzelnen, herauszubekommen: Warum
hat der Bundesnachrichtendienst die herausgenommen?
Ging es da um europäische Unternehmen? Ging es um
europäische Politiker? Ging es um EU-Institutionen?
Ging es um beides? Ging es vielleicht auch um Unter-
nehmen, die sowohl in Deutschland als auch in anderen
Ländern sind? Das ist jetzt die ganz wichtige Frage, weil
wir daraus entnehmen können, dass diese Art der Zu-
sammenarbeit mit der NSA so nicht sein darf. Wenn es
nämlich um diese Begriffe geht, die ich jetzt angespro-
chen habe, dann ist ganz klar, dass diese Begehrlichkeit
der NSA nicht erfüllt werden kann.

Durch diese Selektoren ist nicht nur bewiesen, dass
Edward Snowden in seinen Dokumenten recht gehabt
hat. Durch die Existenz dieser Selektoren ist auch bewie-
sen, dass der Untersuchungsausschuss notwendig ist und
inzwischen auch wesentliche Erkenntnisse hat, die er
vorzeigen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Daran weiterzuarbeiten, verhindern Sie, verhindert die
Kanzlerin und verhindert Herr Altmaier, weil er uns die
Selektoren nicht gibt. Wir setzen gleich die Vernehmung
eines Zeugen fort und vernehmen heute Nachmittag
möglicherweise noch Herrn Schindler, den Chef des
Bundesnachrichtendienstes. Wir müssten ihm aus dieser
Liste Vorhaltungen machen können.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)






Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)

Wir müssten fragen können: Wie konnten Sie dulden,
wie konnten Sie hinnehmen, dass diese oder jene Selek-
toren benutzt worden sind, obwohl sie doch ganz offen-
sichtlich nicht hätten benutzt werden dürfen? Es geht da-
rum, dass wir das nicht können. Unsere Arbeit wird
unmöglich gemacht, wenn wir diese Selektoren nicht be-
kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Insofern kann ich im Interesse des Parlaments, im Inte-
resse der Aufklärungsarbeit, sowohl des Parlamentari-
schen Untersuchungsausschusses als auch des Parlamen-
tarischen Kontrollgremiums, nur an Sie appellieren:
Setzen Sie sich dafür ein, dass wir die Selektoren mög-
lichst bald bekommen.

Lieber Kollege Flisek, von Ihnen wünsche ich mir ei-
nes: Verkaufen Sie nicht für das Linsengericht eines Er-
mittlungsbeauftragten die Rechte der Abgeordneten des
Deutschen Bundestages.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das tut doch auch keiner! Jetzt aber!)


Sie sind gemeinsam mit dem Kollegen Oppermann nach
draußen gegangen und haben gesagt: Vielleicht können
wir ja durch einen Ermittlungsbeauftragten das Problem
lösen.


(Christian Flisek [SPD]: Ich will die Vorwürfe schnell ausräumen! Da muss man keine Blockadehaltung an den Tag legen! Da muss man flexibel sein!)


Dann haben die Abgeordneten die eine oder andere
Möglichkeit, durch Nachfrage bei diesem Ermittlungs-
beauftragten herauszubekommen, was in der Selektoren-
liste steht. – Nein, wir müssen und wir wollen selber se-
hen, was da drinsteht. Wir wollen die Verantwortung
übernehmen, auch dafür, dass hier ordnungsgemäß auf-
geklärt wird,


(Christian Flisek [SPD]: Ganz genau! Und zwar schnell!)


so wie es das Grundgesetz befiehlt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810611500

Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele. – Der nächste

Redner in der Debatte ist Armin Schuster für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Flisek [SPD])



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1810611600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen und
die Frage zu beantworten: Nein, ich bin nicht dafür, dass
die Selektorenliste gegen den Willen der Amerikaner
freigegeben wird.


(Lachen des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das mit Herrn Gabriel abgesprochen?)


Ich bin nicht dafür, dass sie für die Obleute von wem
auch immer freigegeben wird. Ich halte auch das Trep-
tow-Verfahren für ungeeignet.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schuster, Sie sind ein lustiger Parlamentarier! Das haben Sie auf der Habenseite! Aber dann hört es auch auf! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Jetzt entspannt sich der von Notz endlich mal!)


– Ich wusste, dass Sie jetzt ein Sauerstoffgerät brauchen,
lieber Herr von Notz; aber das wollte ich Ihnen doch
noch mitgeben.

Meine Damen und Herren, ich glaube aber – ich bin
Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums –,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das müssen wir jetzt auch noch einmal überdenken!)


dass es trotzdem möglich ist, sowohl im Untersuchungs-
ausschuss als auch im PKGr die Aufklärung zu betrei-
ben, die notwendig ist; denn dass es zu Fehlern gekom-
men ist, hat die Regierung konsequent so benannt, hat
der BND konsequent so zugegeben.

Nur, lieber Herr Ströbele und liebe Grünen, macht
euch doch nicht so klein. Das ist ja fast ein kindliches
Jammern nach einer Selektorenliste nach dem Motto
„Wenn wir die nicht kriegen, um Gottes willen!“ Das
Thema ist verdammt noch mal größer als eine Selekto-
renliste.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie recht!)


Lassen Sie uns doch das Thema ordentlich bearbeiten.

Sprechen wir einmal über die Fehler, zu denen es tat-
sächlich gekommen ist: Verstößt der BND gegen deut-
sches Recht? Nein.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Der BND darf Telekommunikation überwachen und auf-
zeichnen. Er darf Daten an ausländische Nachrichten-
dienste übermitteln.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So redet jemand, der die Selektorenliste nicht gesehen hat!)


Der BND darf und soll mit ausländischen Partnern
kooperieren.





Armin Schuster (Weil am Rhein)



(A) (C)



(D)(B)


(Christian Flisek [SPD]: Denken Sie an den Dreiklang „Aufklären, Bewerten, Konsequenzen“!)


Dabei geht es nie um Kommunikation von Deutschen in
Deutschland, nicht um deutsche Staatsangehörige, nicht
um deutsche Firmen.


(Beifall des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU] – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ahnungslos, Herr Schuster! Ahnungslos!)


Es geht um Terrorismus. Es geht um Proliferation, Dro-
genhandel etc.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, es geht auch nicht um un-
kontrollierte Dienste, nicht um Wirtschaftsspionage


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Doch!)


und ausdrücklich nicht um die Ausspähung deutscher
Bürger.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher wissen Sie das?)


All das, was der BND macht, wollten wir in diesem eh-
renwerten Haus so, weil wir es ins BND-Gesetz ge-
schrieben haben und weil wir es ins G 10-Gesetz ge-
schrieben haben. Genau das wollten wir so. Der BND
arbeitet rechtmäßig, schützt dieses Land, schützt zum
Beispiel die Bundeswehr tagtäglich durch hervorragende
Arbeit. Dass dabei Fehler vorkommen, passiert übrigens
auch in Ihrer Fraktion. Darauf will ich nicht weiter ein-
gehen. Daraus machen wir auch keinen Skandal. Man
darf in diesem Land Fehler machen. Wir klären sie auf
und stellen sie ab.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Bewerbungsrede für den Präsidentenposten, Herr Schuster!)


Zweitens. Meine Damen und Herren, war und ist das
Abkommen aus dem Jahr 2002, von Frank-Walter
Steinmeier und Joschka Fischer verhandelt, richtig, und
handelt der BND nach diesem Abkommen?


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Joschka Fischer hat damit nichts zu tun!)


Es war und ist richtig. Wer will heute bestreiten, dass wir
ein Terrorproblem auf der Welt haben? Wer will bestrei-
ten, dass wir OK und Drogenhandel bekämpfen müssen?
Meine Damen und Herren, über 3 000 Terrorgefährder
exportiert Europa in die Welt. Es war absolut richtig,
dass in dem betreffenden Memorandum Europa nicht
ausgeschlossen war.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit der Selektorenliste zu tun, Herr Schuster? Thema verfehlt!)


Deswegen ist es ein Skandal, dass Sie so tun, als ob die
Existenz europäischer Ziele per se falsch wäre. Nein,
3 600 Terrorgefährder sind ein eindeutiger Beleg dafür,
warum Europa in diese Überwachung einbezogen wer-
den muss.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat der BND die Selektoren herausgenommen?)


Und jetzt noch – ich habe nicht mehr viel Zeit – zur
Dimension des Problems, insbesondere für die Damen
und Herren, die uns hier zuhören. Weniger als 1 Prozent
der Suchbegriffe, die wir heute gesperrt haben, entspre-
chen potenziell und unter gewissen Umständen nicht
dem Abkommen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher wissen Sie das?)


– Weil ich rechnen kann, Herr von Notz. Ich hatte Ma-
thematik als Leistungskurs auf dem Wirtschaftsgymna-
sium in Kehl am Rhein belegt; das ist eine sehr ehren-
werte Schule.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Dr. von Notz, von diesen weniger als 1 Prozent
Selektoren wissen wir nicht – weil wir die nachrichten-
dienstlichen Hintergründe nicht kennen –,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, weil Sie die Liste nicht gesehen haben! Sie haben die Liste nicht gesehen! Sie sind ahnungslos, Herr Schuster! – Gegenruf des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Zügeln Sie sich, Herr von Notz!)


ob sie zu Recht oder zu Unrecht eingestellt werden soll-
ten.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Der BND hat sie aussortiert!)


Ich kann mir eine ganze Reihe von Gründen vorstellen,
warum eine europäische Adresse beispielsweise zu
Recht auf dieser Liste auftaucht.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat der BND sie dann herausgenommen, die Selektoren?)


Wenn wir aber die Amerikaner dazu bewegen wollen,
uns zu erklären – das ist der Kern des Themas –, welche
nachrichtendienstlichen Hintergründe hinter einem Se-
lektor stehen, dann müssen die Amerikaner die Tresortü-
ren des Allergeheimsten öffnen. Wenn die Amerikaner
das tun wollen und sollen, brauchen wir ein Verfahren,
von dem die Amerikaner sagen: Dem vertraue ich; da ist
Geheimhaltung weiterhin gewährleistet. – Eine öffentli-
che Freigabe, lieber Herr Ströbele, wissen Sie, was das
ist, also wenn das komplett freisteht? Das ist nichts an-
deres als Boulevardparlamentarismus.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Damit bewegt man keinen Amerikaner dazu, zusammen
mit uns das Problem zu lösen. Ich möchte aber das Pro-
blem lösen. Deswegen finde ich die Idee eines Beauf-
tragten charmant. Ich bin optimistisch, dass auch die
Obama-Administration die Nachrichtendienste reformie-





Armin Schuster (Weil am Rhein)



(A) (C)



(D)(B)

ren möchte. Da gibt es eine gemeinsame Schnittmenge.
Ich glaube ganz sicher, dass wir Geheimhaltung üben
können, dass wir trotzdem politisch bewerten können
und dass wir dann zu Konsequenzen kommen – diese
sehe ich übrigens nicht –, wenn es notwendig ist. Die
Idee eines Beauftragten ist sicherlich reizvoll. Informie-
ren Sie sich bei Herrn Montag.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810611700

Herr Schuster.


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1810611800

Ich darf den Kollegen Lischka zitieren – er ist nicht

mehr anwesend –: „Das hätten wir so gut nicht gekonnt.“
Das sagte er gestern Abend im PKGr. So viel zu der Be-
deutung eines solchen Mannes.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810611900

Herr Schuster, darf ich Sie nun bitten, endlich zum

Schluss zu kommen?


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1810612000

Ich mache nur noch einen christlichen Spruch.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810612100

Christlicher Spruch hin oder her, die Redezeit ist

deutlich überschritten.


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1810612200

Der Kollege Strobl hat eben darum gebeten, dass der

Heilige Geist über Pfingsten über die Opposition
kommt. Sorgen Sie doch bitte dafür, dass er auch eine
Landefläche erhält, auf der er sich niederlassen kann.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder Aschermittwoch hier!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810612300

Das war jetzt christlich? – Nächste Rednerin in der

Debatte: Susanne Mittag für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Susanne Mittag (SPD):
Rede ID: ID1810612400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir haben gerade die öffentliche Sitzung des
NSA-Untersuchungsausschusses für diese Aktuelle
Stunde unterbrochen. Ich finde es natürlich gut, wenn
wir öffentlich darstellen können, was wir in diesem Aus-
schuss machen. Ich hoffe, dass das in der nächsten Zeit
immer wieder einmal der Fall sein wird. Das Interesse in
der Öffentlichkeit kann nur gestärkt werden.

Wir haben auch gestern bis Mitternacht getagt, und
ich ahne, dass das heute auch so sein wird und wir un-
sere Zeugen vernehmen werden. Deswegen möchte ich
an dieser Stelle noch einmal allen Damen und Herren
des Stenografischen Dienstes, die hier und in unserem
Ausschuss sitzen und bis in die tiefe Nacht hinein mit-
schreiben und alles das, was wir da erzählen, auflisten,
einen herzlichen Dank für ihre Arbeit sagen. Das ist
nicht selbstverständlich.


(Beifall im ganzen Hause)


Der Titel der Aktuellen Stunde lautet „Haltung der
Koalitionsfraktionen zur Freigabe der NSA-Selektoren-
liste im Hinblick auf mögliche Ausspähungen von Wirt-
schaft und Politik“. Das ist ja ein ganz schöner Titel. Um
ehrlich zu sein, für mich wären noch einige andere Fra-
gen ziemlich relevant und gehörten dazu, etwa: Wie ge-
währleisten wir den Schutz von deutschen Interessen bei
Kooperation mit ausländischen Nachrichtendiensten? –
Wir stellen im Ausschuss fest, dass das irgendwie alles
ein bisschen unklar ist. Dann – noch wichtiger –: Wel-
ches Verständnis von deutschen Interessen hat der BND,
und wer definiert eigentlich die Interessen, und wer hin-
terfragt das Verständnis des BND? Und: Wie eng wird
der BND kontrolliert? – Das alles sind Fragen, die wir
schon gestellt haben, die auch Inhalt der Ausschussarbeit
sind bzw. die wir noch stellen werden.

Im Laufe der Arbeit des Untersuchungsausschusses
habe ich das Gefühl gewonnen, dass der BND so ein
ganz klein bisschen die Übersicht und die gebotene Vor-
sicht bei der Kooperation verloren hat. Er hat sie verlo-
ren, um nämlich genau diese Zusammenarbeit mit der at-
traktiv erscheinenden NSA, mit den Möglichkeiten, die
die haben, eingehen zu können. Hier scheint der Schutz
der deutschen Interessen in den Hintergrund getreten zu
sein, und zwar von nachrichtendienstlichen Interessen.
Und das ist ein Problem.

Über die Selektorenliste setzen wir uns mit der Bun-
desregierung nun schon seit bald vier Wochen auseinan-
der.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über vier Wochen!)


Uns alle im Ausschuss eint der Wunsch, endlich Klarheit
über die eingesetzten Selektoren zu erhalten. Da kursie-
ren ja sehr unterschiedliche Zahlen in der Öffentlichkeit;
das geht los bei 2 000 und geht bis 8 Millionen. Wenn
ich hier einmal fragen würde, welche Zahl wohin gehört,
dann würden wir wahrscheinlich auch überraschende Er-
gebnisse haben. Das müssen wir erst einmal klären.

Um die infrage stehenden Selektoren hat sich der
BND anscheinend – so muss man sagen – seit zehn Jah-
ren nicht so richtig gekümmert.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man so sagen!)


In den Jahren wurden es immer mehr und mehr, und da
sind Maß und Übersicht so ein bisschen verloren gegan-
gen. Dafür haben wir den Untersuchungsausschuss. Das
muss jetzt nachgeholt werden. Wir müssen uns eine
Übersicht darüber verschaffen, in welchem Rahmen
Politik und Wirtschaft betroffen sind – das wissen wir
noch nicht, auch wenn es sich hier manchmal anders an-
hört –: Sind Wirtschaftsunternehmen abgehört worden,
sind welche als Selektoren benannt worden und, wenn
ja, aus welchem Grund? Es wird sicherlich auch Begrün-





Susanne Mittag


(A) (C)



(D)(B)

dungen geben, und wenn nicht, dann kommen wir auch
dahinter. Sind sie vielleicht für die NSA wirtschaftlich
interessant gewesen? Es gibt dazu unterschiedliche Mei-
nungen. Auch das wollen wir klären. Und wir müssen
klären, ob und in welchem Rahmen die europäische
Politik auf die Selektorenliste gekommen ist und mit
welcher Intention. Auch da gibt es Konkurrenten und
unterschiedliche Interessen.

Das, was mich neben den Selektoren in den vergange-
nen vier Wochen beschäftigt hat, ist: Was lief da eigent-
lich beim Bundesnachrichtendienst schief? Wie konnte
es sein, dass offensichtlich kritische Selektoren der NSA
ungeprüft übernommen oder eingesetzt wurden? – Dafür
machen wir diese ganzen Zeugenbefragungen, und zwar
sehr systematisch. Es geht vor allem um die Frage: Wa-
rum wurden Vorgesetzte, die dortige Hausleitung und
das Bundeskanzleramt damals nicht oder nur teilweise
über solche gravierenden Vorgänge in Kenntnis gesetzt?
Wer wusste wann wie wo was? – Das müssen wir auch
noch klären.

Ich nenne hier einmal Dr. T. – der ist ja mittlerweile
berühmt in unserem Ausschuss –, einen Referenten aus
dem BND, der die kritischen Selektoren in wochenlan-
ger Kleinarbeit gefunden und völlig richtig reagiert hat.
Er meldete den Fund an seinen Vorgesetzten. Gut. Und
was passierte dann? – Die Selektoren wurden quasi auf
dem kleinen Dienstweg gelöscht, das heißt, außer Funk-
tion gesetzt. – Unglücklich.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr milde ausgedrückt! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Kleiner Dienstweg“ ist milde, ja!)


So, als hätte sich damit auch das Problem aufgelöst.

Das macht uns alle so ein bisschen fassungslos.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herrn Schuster nicht!)


Wie kann es vor dem Hintergrund der Snowden-Veröf-
fentlichungen und der Einrichtung eines Untersuchungs-
ausschusses sein, dass solche Prüf- und Löschvorgänge
der Leitungsebene im BND oder im Bundeskanzleramt
vorenthalten wurden – und auch dem Parlament?

Das sind für uns alle im Ausschuss die drängendsten
Fragen, die sich stellen; und ich gebe zu, ich hätte mir
gewünscht, dass wir uns in dieser Woche auf ein Verfah-
ren im Umgang mit den Selektoren geeinigt hätten. Das
war auch letzte Woche mein Wunsch. Da ist die Bundes-
regierung in einer Bringschuld, obwohl wir anerkennen,
dass die völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Prü-
fung aufwendiger ist als gedacht. Das Konsultationsver-
fahren mit den Amerikanern läuft auch schon recht
lange, eigentlich ziemlich lange. Da hoffen wir, dass die
Bundesregierung jetzt endlich zu einer kurzfristigen Ent-
scheidung kommt. Wir hoffen auf eine Entscheidung
nach Pfingsten und darauf, dass uns als erster, nicht als
letzter Schritt ein Vorschlag zur Überprüfung der Listen
vorgelegt wird.
In dieser Woche haben wir genug zu tun. Wir haben
die Aufgabe, organisatorische Fehler und strukturelle
Fehler, aber eben auch eine ganz bestimmte spezielle
Behördenmentalität im BND zu erkennen und hoffent-
lich auch irgendwann zu ändern. Wir sind gerade dabei.
Die Zeugen am gestrigen und heutigen Tag bringen uns
da weiter; heute Nachmittag wird es ganz interessant.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns
gleich wieder in den Ausschusssaal gehen und die Arbeit
fortsetzen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810612500

Danke, Frau Kollegin Mittag. Zwei Kolleginnen sind

in dieser Debatte aber noch vorgesehen. – Nächste Red-
nerin ist Nina Warken für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Nina Warken (CDU):
Rede ID: ID1810612600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es freut mich zwar, dass wir hier innerhalb kürzester
Zeit zum zweiten Mal über die Arbeit des NSA-Untersu-
chungsausschusses sprechen können. Angesichts des
Spektakels, das etwa der Kollege Korte hier veranstaltet
hat,


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Unwürdig!)


wäre ich aber doch lieber drüben geblieben und hätte mit
der Ausschussarbeit weitergemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Nur Spektakel! – Jan Korte [DIE LINKE]: Bitte schön! Warum nicht? Noch können Sie gehen! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie jetzt einfach auf, zu reden!)


Grundsätzlich kann man aber sagen: Der Ausschuss
macht seine Arbeit, und er macht sie gut. Wir sind im
Moment inmitten eines Prozesses, nämlich im Prozess
der Aufklärung. Und da wir eben noch mitten in der
Aufklärung sind, verstehe ich so manch schrillen Ton,
der derzeit angeschlagen wird, nicht. Wenn man wirkli-
che Aufklärung will, ist so etwas unseriös und besten-
falls effekthascherisch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Flisek [SPD] – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie einmal auf, Sigmar Gabriel zu bashen!)


Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegen-
heit auch nutzen, um einige grundsätzliche Dinge festzu-
stellen. Beginnen möchte ich mit der Diskussion um das
Thema No-Spy-Abkommen, die ein wahres Musterbei-
spiel für die in den letzten Tagen überhitzte Debatte ist.
Von einer „Nebelkerze im Wahlkampf 2013“ wurde da





Nina Warken


(A) (C)



(D)(B)

gesprochen oder gar von „Lüge“ oder „absichtlicher
Täuschung“.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manipulation!)


Dementgegen hat allerdings der heutige Bundesaußen-
minister noch im Februar 2014 das No-Spy-Abkommen
zu einem Thema seiner Gespräche in den USA gemacht.


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Dies geschah sicherlich nicht, um der Union im Wahl-
kampf nachträglich zu helfen. Das muss wohl auch die
Opposition einsehen.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Fakt ist: Bereits 2013 sind konkrete Entwürfe mit den
Amerikanern ausgetauscht worden. Es gab ernsthafte
Verhandlungen über eine Vereinbarung zwischen den
Diensten. Das will in der derzeitigen Stimmung aber of-
fensichtlich niemand wissen.


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Die Wahrheit tut weh!)


Ich kann den Kolleginnen und Kollegen jedoch das Ak-
tenstudium sehr empfehlen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Stattdessen betreibt man Legendenbildung und versucht,
die Reputation einzelner Personen zu beschädigen. So
etwas halte ich für unredlich. Die Art und Weise, wie
dieses Thema diskutiert wird, ist für die Debatte insge-
samt symptomatisch. Sie ist von Vorwürfen, voreiligen
Schlussfolgerungen und tendenziösen Wertungen ge-
prägt.

Meine Damen und Herren, Nachrichtendienste bewe-
gen sich naturgemäß in einem sehr sensiblen Bereich.
Weil es hierbei um existenzielle Sicherheitsinteressen
der Bundesrepublik und ihrer Bürgerinnen und Bürger
geht, heißt es bei vielen Entscheidungen, sorgfältig ab-
zuwägen – mit Augenmaß und ohne Hysterie.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Abzuwägen ist etwa zwischen dem Interesse der parla-
mentarischen Gremien, die Selektoren einzusehen, auf
der einen Seite und dem Sicherheitsinteresse der Bun-
desrepublik andererseits.

Die Bundesregierung ist einerseits völkerrechtlich
verpflichtet, den Partner vor Offenlegung von geheimen
Unterlagen um Zustimmung zu ersuchen. Dieses Vorge-
hen erwarten wir umgekehrt ja auch von unseren Part-
nern. Zum anderen ist die Bundesregierung auch ver-
pflichtet, den grundrechtlich garantierten Auftrag des
Untersuchungsausschusses zu unterstützen. Diese As-
pekte muss die Bundesregierung abwägen und schließ-
lich eine verantwortungsvolle Entscheidung am Maßstab
des deutschen Verfassungsrechts treffen. Laut und popu-
listisch zu sein, das ist einfach. Politische Verantwortung
zu tragen, das ist schwerer.

(Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das trifft den Nagel auf den Kopf!)


Meines Erachtens sind bei der Entscheidungsfindung
mehrere Aspekte zu berücksichtigen:

Erstens. Deutschland ist nicht isoliert in der Welt, und
wir sollten es tunlichst vermeiden, uns im Bereich nach-
richtendienstlicher Zusammenarbeit zu isolieren. Wir
brauchen die Zusammenarbeit mit befreundeten Diens-
ten, auch zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger.
Im Rahmen dieser Zusammenarbeit müssen auch wir ein
verlässlicher Partner sein und uns an Vereinbarungen
und völkerrechtliche Verpflichtungen halten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Europarecht zum Beispiel!)


Zweitens. Unsere Nachrichtendienste müssen arbeits-
fähig sein. Dafür brauchen sie innerhalb von Recht und
Gesetz gewisse Möglichkeiten. Nur so können sie ihren
Aufgaben gut und effektiv nachkommen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Dazu gehört auch, dass gewisse Vorgänge im Rahmen
der Arbeit der Nachrichtendienste vertraulich sind. Die
Bundesregierung, aber auch wir als Parlament müssen
gewährleisten, dass Dinge, die der Geheimhaltung unter-
liegen,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kontrolliert werden!)


auch vertraulich behandelt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Staatswohl ist der Bundesregierung und dem Parla-
ment gleichermaßen anvertraut.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)


Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich, dass es mir
wirklich Sorgen bereitet, wie unverantwortlich zurzeit
mit eigentlich geheimen Akten umgegangen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da muss man sich in der Tat Sorgen machen!)


Es steht doch außer Frage: Wenn weiterhin immer wie-
der Dokumente aus nichtöffentlichen Sitzungen an die
Öffentlichkeit gelangen, dann wird das dazu führen, dass
unsere Verbündeten künftig die für unsere Sicherheit so
wichtige Zulieferung von Informationen einschränken.
Was hier gerade geschieht, ist grob fahrlässig und unver-
antwortlich. So beschädigt man Vertrauen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Man hört heute echt die witzigsten Reden! Unfassbar!)


Drittens. Wir als Untersuchungsausschuss haben den
Anspruch, unserem Antrag vollumfänglich nachzukom-
men und gründlich aufzuklären. Dabei wollen wir uns





Nina Warken


(A) (C)



(D)(B)

natürlich auch ein Bild über die unzulässigen Selektoren,
die die NSA dem BND übermittelt hat, machen können.
Unsere Aufgabe dabei ist es, zu bewerten, inwieweit
Suchbegriffe deutschen Interessen zuwiderlaufen oder
gar gegen deutsches Recht verstoßen. Bei der Frage, wie
wir das hinbekommen, gibt es für uns als CDU/CSU
nicht entweder Schwarz oder Weiß.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Es gibt nur Schwarz!)


Wir können uns durchaus Wege vorstellen, die allen Be-
langen gerecht werden und uns als Untersuchungsaus-
schuss schließlich die Möglichkeit einer Bewertung der
Listen geben. Ein Weg könnte zum Beispiel das Trep-
tow-Verfahren sein, ein anderer die Benennung eines Er-
mittlungsbeauftragten.

Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass die
Bundesregierung all diese Aspekte in ihrer Entschei-
dungsfindung berücksichtigt und zeitnah gemeinsam mit
uns als Parlament einen gangbaren Weg finden wird, der
gleichermaßen den Sicherheitsinteressen unseres Landes
und unserer Partner und unserem Aufklärungsinteresse
als Parlament gerecht wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Ende möchte
ich an unser aller Verantwortungsbewusstsein appellie-
ren. Lassen Sie uns vom parteipolitischen Gezänk weg-
kommen. Wir sollten uns weiterhin der seriösen Sach-
aufklärung widmen. Die CDU/CSU-Fraktion wird dies
tun.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Flisek [SPD] – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr gute Rede! Ausgezeichnet!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810612700

Danke, Frau Kollegin Warken. – Die letzte Rednerin

in dieser Debatte: Andrea Lindholz für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1810612800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren Kollegen! Im Untersuchungsausschuss sind
wir uns offensichtlich – das hört man hier heute auch –
einig, dass die Selektorenliste geprüft werden muss. Ein-
sicht in die Liste ist zur Aufklärung des aktuellen Falls
unerlässlich.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Unsere parlamentarische Kontrolle findet aber nicht
im luftleeren Raum statt.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würden wir nur kurz durchhalten!)


Natürlich muss das Parlament aufklären, und das tun wir
auch. Auf der anderen Seite dürfen wir aber auch die Si-
cherheitsarchitektur unseres Landes nicht vergessen. Die
deutschen Nachrichtendienste sind wichtige Garanten
für unsere Sicherheit. Damit sie ihre Aufgaben in einer
globalisierten und digitalisierten Welt erfüllen können,
brauchen sie auch Partner. Wer diese internationale Ko-
operation grundsätzlich infrage stellt – und das tun Sie –,
spielt mit der Sicherheit dieses Landes.

Wir müssen unbedingt die Balance halten zwischen
Methodenschutz und Aufklärung. Wenn geheime Infor-
mationen, die dem Ausschuss anvertraut wurden, umge-
hend veröffentlicht werden, dann braucht man sich nicht
zu wundern, wenn Partnerdienste am Ende drohen, die
Kooperation einzuschränken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Bundesregierung versucht, im laufenden und
auch vereinbarten Konsultationsverfahren mit den USA
einen Ausgleich zwischen Aufklärung und Methoden-
schutz zu finden. Wenn das nicht zügig gelingt, müssen
wir einen anderen Weg gehen. Das Treptow-Verfahren
wäre einer dieser Wege. Der Ausschuss hat aber – in
§ 10 PUAG gesetzlich verankert – die Möglichkeit, ei-
nen Ermittlungsbeauftragten als eigenes Aufklärungsins-
trument zu bestimmen. Wenn ich heute immer höre, dass
das ein Sonderfall wäre, dann frage ich mich, warum das
Gesetz das ausdrücklich vorsieht.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als Unterstützung, nicht als Ersatz!)


Wenn wir wirklich zügig und zeitnah unter Abwägung
aller Umstände wissen wollen, was in dieser Selektoren-
liste steht, dann kann man dieses Instrument nicht von
vornherein ablehnen und für nicht zulässig ansehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man sollte heute auch einmal festhalten, dass der Un-
tersuchungsausschuss bisher in mehr als 200 Sitzungs-
stunden mit mehr als 50 Zeugen und in über 2 140 Ord-
nern Beweismaterial keinen Nachweis für eine
anlasslose Massenüberwachung durch den BND gefun-
den hat.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, dann müssen Sie einmal lesen, Frau Lindholz!)


Der Ausschuss sollte auch Vorschläge zur Verbesse-
rung des Datenschutzes und anderer Regelungen erarbei-
ten, die wir für erforderlich halten. Diese Aufgabe hat in
meinen Augen besondere Relevanz. Vorher müssen wir
aber erst einmal alle Vorwürfe aufklären. Mit vorschnel-
len Behauptungen oder mit Vorverurteilungen von Per-
sonen oder Behörden sollte man dabei vorsichtig sein.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gerade eine Behauptung aufgestellt, Frau Lindholz!)


Diese bringen in der Sache gar nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Andrea Lindholz


(A) (C)



(D)(B)

Im Parlamentarischen Kontrollgremium haben die
vorliegenden Vermerke des BND an das Bundeskanzler-
amt gezeigt, dass die Vorwürfe gegen den Bundesinnen-
minister völlig unberechtigt waren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Ich lach mich schlapp! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Sie waren doch gar nicht dabei! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum dürfen wir ihn morgen dann nicht vernehmen? – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann soll er mal kommen!)


Ich möchte auch an den haltlosen Vorwurf aus dem Jahr
2013 erinnern. Damals wurde behauptet, die NSA würde
monatlich 500 Millionen Verbindungen deutscher Bür-
ger überwachen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht, Frau Lindholz!)


Heute wissen wir, dass diese Metadaten nicht aus
Deutschland, sondern vor allem aus Afghanistan stam-
men, wo sie halfen, die Leben unserer Soldaten zu schüt-
zen. Dank der internationalen Kooperation des BND
konnten in Afghanistan 19 Attentate verhindert werden.
Diese Arbeit rettet Leben. In die Schlagzeilen schafft sie
es aber leider nur sehr selten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje!)


Im Übrigen hat der Untersuchungsausschuss schon
im Mai 2014 beschlossen, alle relevanten Regierungs-
vertreter als Zeugen zu laden. Ihre Aussagen machen
aber erst dann Sinn, wenn wir vorher den Sachverhalt
auf der Arbeitsebene aufklären; das ist noch nicht voll-
kommen abgeschlossen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gerade Herrn de Maizière für unschuldig erklärt, Frau Lindholz! – Gegenruf des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Es ist jeder unschuldig, bevor nicht das Gegenteil bewiesen ist!)


Für mich gibt es daher auch keinen Grund, plötzlich in
Hysterie zu verfallen


(Jan Korte [DIE LINKE]: Plötzlich?)


und von unserem Aufklärungssystem abzurücken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die aktuelle parteitaktische Skandalisierung der Ar-
beit des Untersuchungsausschusses, so wie wir sie auch
heute erleben, gerade durch Sie, Herr Kollege Korte
– wobei ich mich frage, wann Sie eigentlich zum Thema
dieser Aktuellen Stunde gesprochen haben –,


(Jan Korte [DIE LINKE]: Vor einer Stunde!)


zeugt weder von Sachkenntnis, noch dient sie der Auf-
klärung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Er ist nie da!)


Anstatt hier im Plenum über ungeklärte Sachverhalte zu
spekulieren, sollten wir lieber im Ausschuss unsere Ar-
beit machen und Fakten erarbeiten. Sie sollten vielleicht
einmal anwesend sein, bevor Sie hier reden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Ich bin doch kein Mitglied!)


– Auch wenn Sie kein Mitglied sind – ich habe noch
17 Sekunden Redezeit –, können Sie natürlich beantra-
gen, an den Ausschusssitzungen teilzunehmen, so wie
das andere Kollegen auch schon gemacht haben.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was hat uns Herr Strobl erzählt! Der ist auch kein Mitglied! Oder Stephan Mayer! – Jan Korte [DIE LINKE]: Was ist denn mit der Truppe bei Ihnen?)


Ich frage mich, wann Sie von dieser Möglichkeit bis
dato einmal Gebrauch gemacht haben.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810612900

Danke schön, Frau Kollegin. – Die lebhafte Aktuelle

Stunde ist damit beendet. Ich wünsche weiterhin gute
Ausschussberatungen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Machen wir!)


– Genauso lebendig.

Nachdem der Wechsel auf den Sitzen stattgefunden
hat, rufe ich die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über die Feststellung eines Nachtrags zum
Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr
2015 (Nachtragshaushaltsgesetz 2015)


Drucksache 18/4600

Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-
haltsausschusses (8. Ausschuss)


Drucksachen 18/4950, 18/4951

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Förderung von Investitionen finanz-
schwacher Kommunen und zur Entlastung
von Ländern und Kommunen bei der Auf-
nahme und Unterbringung von Asylbewer-
bern

Drucksache 18/4653 (neu)


Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-
haltsausschusses (8. Ausschuss)


Drucksache 18/4975





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna
Karawanskij, Kerstin Kassner, Klaus Ernst, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Bundesverantwortung wahrnehmen – Kom-
munen bei Unterbringung von Flüchtlingen
und Asylbewerbern sofort helfen und Kosten
der Unterkunft für Hartz-IV-Leistungsbe-
rechtigte schrittweise übernehmen

Drucksachen 18/3573, 18/4118

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Katja Dörner, Oliver Krischer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Heute für morgen investieren – Damit unsere
Zukunft nachhaltig und gerechter wird

Drucksachen 18/4689, 18/4974

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre, ich
sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Wenn Herr Kampeter ausgequatscht hat, rufe ich ihn
auf. Offensichtlich noch nicht.


(Johannes Kahrs [SPD]: Steffen!)


Herr Kampeter, ich hatte Sie aufgerufen, aber Sie un-
terhielten sich noch.

Ich eröffne also jetzt die Aussprache. Das Wort hat
der sehr geschätzte Parlamentarische Staatssekretär
Steffen Kampeter.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


S
Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1810613000


Charmante Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wenn auf der Tagesordnung eines
Parlamentes „Nachtragshaushalt“ steht, dann ist übli-
cherweise irgendwo Land unter, weil irgendetwas nicht
passt: Die Einnahmen sind zusammengebrochen, die
Ausgaben explodieren. Das ist historisch die Erfahrung
von Haushaltspolitik. Heute ist das anders.

Der Nachtragshaushalt, den wir in zweiter und dritter
Lesung im Deutschen Bundestag beschließen, ist ein
Zeichen unserer soliden Haushaltspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben in den vergangenen Jahren Maß gehalten in
der Großen Koalition. Wolfgang Schäuble hat die Netto-
kreditaufnahme gemeinsam mit der Koalition zurück-
führen können. Wir haben günstige wirtschaftliche Rah-
menbedingungen. Deutschland wächst. Jetzt nutzen wir
diesen Spielraum, um mehr zu tun für das mittelfristige
Wachstumspotenzial, für Arbeitsplätze in Deutschland
durch die Stärkung von Investitionen. Zugleich tun wir
etwas für das föderale Miteinander, indem wir mit die-
sem Nachtragshaushalt Maßnahmen beschließen für
mehr Investitionen in den Kommunen und für mehr Soli-
darität bei der Bewältigung von Flüchtlingsherausforde-
rungen. Das ist doch mal eine Botschaft für einen Nach-
tragshaushalt, meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik Deutsch-
land wächst in diesem Jahr um voraussichtlich 1,8 Pro-
zent, die Beschäftigung ist auf Rekordniveau, die Steuer-
einnahmen steigen, und im Übrigen hat sich demnächst
auch der Deutsche Bundestag damit zu befassen, ob wir
die kalte Progression entschärfen; das Wort darf man
nicht sagen, aber man könnte das auch als Steuersen-
kung interpretieren. All dies zeigt, dass Haushalts- und
Finanzpolitik, die solide ist, dazu beiträgt, dass der Staat
handlungsfähig bleibt, und macht eines deutlich: Es ist
falsch, zu sagen, dass Schulden irgendein Problem bei
staatlichen Herausforderungen lösen könnten. Schulden
sind in der Regel das Problem. Wer keine hat, ist hand-
lungsfähig, und wer zu viele hat, der geht unter. Deswe-
gen bleibt die schwarze Null der Maßstab, und wir nut-
zen Spielräume aus als Konsolidierungsrendite. Das ist
Verlässlichkeit in der Haushaltspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir heute beschließen, mehr zu investieren,
nämlich öffentliche Investitionen des Bundes auf den
Weg zu bringen, dann geht es nicht darum, kurzfristig
ein Strohfeuer anzuzünden, sondern darum, das mittel-
fristige Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirt-
schaft zu erweitern. Von 2014 bis 2018 belaufen sich die
zusätzlichen Maßnahmen auf über 40 Milliarden Euro,
knapp 1,5 Prozent unserer wirtschaftlichen Leistungs-
fähigkeit. Wir tun damit mehr für digitale Infrastruktur,
mehr für die Verkehrsinfrastruktur. Wir sagen Ja zur
Steigerung der Energieeffizienz. Wir finden, dass der
Klimaschutz nach vorne gebracht werden muss. Wir ver-
gessen den Hochwasserschutz nicht und leisten etwas für
die Städtebauförderung. Deutschland soll wachsen. Wir
schaffen dafür die Voraussetzungen. Das ist das Angebot
dieses Nachtragshaushalts.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein weiteres Feld ist die Stärkung der kommunalen
Investitionskraft. Wir glauben nicht, dass alles von
Berlin aus geregelt werden kann. Wir wissen aus den Er-
fahrungen der vergangenen Jahre, dass in den Kommu-
nen sehr viel brachliegen kann und dass Investitionen,
die man da anstößt, besonders schnell wirken. Deswegen
wollen wir mit dem vorliegenden Nachtragshaushaltsge-
setz ein Sondervermögen schaffen, mit dem wir in finan-
ziell besonders gestressten Kommunen Investitionen
fördern wollen. Das ist unser Beitrag zu mehr Solidarität
im föderalen Miteinander. Aber ich verbinde dies mit der
klaren Aussage, dass zusätzliches Bundesgeld jetzt
komplementär mit Maßnahmen von der Seite der Länder





Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter


(A) (C)



(D)(B)

begleitet werden muss; denn es macht überhaupt keinen
Sinn, dass der Bund eine Schippe drauflegt, wenn sich
die Länder aus der Verantwortung zurückziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen: Kommunale Solidarität endet nicht beim
Bundeshaushalt, sondern muss gemeinsam von Bund
und Ländern getragen werden. Unser Angebot hierzu
steht.

Eine weitere wichtige Frage ist die folgende: Wie be-
gegnen wir als Bund bestimmten kommunalen Heraus-
forderungen, die wir beim Beschluss des Bundeshaus-
halts noch nicht in dieser Dimension gesehen haben? Es
geht um die Aufnahme, Unterbringung, Versorgung und
auch die Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Lage an
Europas Grenzen ist dramatisch. Unsere Kommunen
sind herausgefordert. Da kann der Bund nicht abseitsste-
hen. Nicht abseitsstehen heißt, dass wir uns finanziell
stärker engagieren, dass wir dafür sorgen, dass Mittel
eingesetzt werden, dass wir die Verfahren schneller
machen. Der Bund ist bereit, hier mehr zu leisten; aber
auch da gilt: Wir müssen diese Herausforderungen ge-
meinsam mit den Ländern angehen. – Wir machen ein
faires Angebot. Wir erwarten, dass auch die Länder bei
der Aufnahme, Unterbringung und möglicherweise,
notwendiger Abschiebung von Menschen ganz klare
Schwerpunkte setzen. Bund und Länder gemeinsam für
Kommunen, so lautet die Botschaft dieses Nachtrags-
haushalts.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden
in wenigen Wochen den Haushalt für das Jahr 2016 vor-
legen. Er wird die Maßnahmen dieses Nachtragshaus-
halts fortführen, er wird deutlich machen, dass unsere
Solidarität im föderalen Miteinander nicht geringer, son-
dern stärker wird. Er wird aber auch weitere notwendige
Investitionsimpulse setzen.

Eine Grundlinie ist jedoch klar: Wir wollen mit dem
Geld auskommen, das die Bürgerinnen und Bürger uns
zur Verfügung stellen. Wir wollen keine neuen Schul-
den. Jeder private Haushalt kann über kurz oder lang nur
mit dem auskommen, was er verdient. Das auf den öf-
fentlichen Bereich zu übertragen, das ist nichts weniger
als Respekt vor der Leistung der Menschen in diesem
Land. Das ist unsere Haushaltspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810613100

Vielen herzlichen Dank, Steffen Kampeter. – Nächs-

ter Redner in der Debatte: Roland Claus für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810613200

Frau Präsidentin, die Sie auf mich nicht warten muss-

ten! Meine Damen und Herren! Wie mein Vorredner will
ich mich zunächst mit der Frage beschäftigen: Wozu
braucht es einen Nachtragshaushalt? Ein Nachtragshaus-
halt ist immer dann erforderlich, wenn sich die gesell-
schaftlichen Verhältnisse im Vergleich zum Zeitpunkt
der Haushaltsaufstellung erheblich verändert haben.
Gelegentlich könnte ein Nachtragshaushalt auch dazu
benutzt werden, gewonnene neue Erkenntnisse zu verar-
beiten. Wenn der geistige Horizont einer Regierung aber
die schwarze Null ist, haben neue Erkenntnisse natürlich
nur geringe Chancen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die gravierendsten und bedrückendsten gesellschaft-
lichen Veränderungen erleben wir zweifelsohne auf-
grund des Elends der Flüchtlinge. Die Flüchtlingsfrage
stellt sich in völlig neuer Dimension, und es ist richtig,
dass wir darauf reagieren. Es gehört aber auch zur Wahr-
heit, zu sagen: An der Verschärfung dieses Elends tragen
die Europäische Union, Deutschland und die USA eine
Mitverantwortung und auch eine Mitschuld.

Man muss doch auch folgende Fragen beantworten:
Wer fand es denn richtig, alle staatlichen Strukturen in
Libyen wegzubomben?


(Karin Binder [DIE LINKE]: Tja!)


Wie ist die Terrormiliz „Islamischer Staat“ denn entstan-
den? Das geschah doch durch die Schlachtfelder des
Irakkrieges.


(Johannes Kahrs [SPD]: Du hast die falsche Rede gezogen!)


Und schließlich: Wer dem Fischer die Fische wegfischt,
macht doch den Fischer erst zum Schlepper. Und wenn
Herr Kauder – das hat er heute Morgen getan – an die
Adresse der Länder, denen wir helfen, sagt: „Wir erwar-
ten aber auch, dass die Flüchtlingsbewegungen unter-
bunden werden“, grenzt das, wie ich finde, schon an
Zynismus.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Eine Willkommenskultur verdient den Namen erst,
wenn sie von der Betroffenheitskultur zu einer wirkli-
chen politischen Verantwortungskultur geworden ist.
Davon sind wir leider weit entfernt. 500 Millionen Euro
fließen für die Aufnahme von Flüchtlingen und für eine
bessere Integration und Betreuung an die Kommunen.
Das hat im Haushaltsausschuss auch unsere Zustimmung
gefunden. Aber das ist natürlich noch weit weg von dem,
was ich Verantwortungskultur nenne. Erstens wissen wir
alle, dass die Mittel zu gering sind, und zweitens machen
wir mit dieser Art der Finanzmittelausreichung die Land-
kreise und Städte regelmäßig zu Bittstellern bei uns – und
das kann nicht der Weg sein, um sich ehrlich zu begeg-
nen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben es im Nachtragshaushalt auch mit einer In-
vestitionsförderung für finanzschwache Kommunen zu
tun. Das geht in Ordnung. Wir haben ja auch gesagt: Wir
werden uns nicht daran beteiligen, finanzschwache





Roland Claus


(A) (C)



(D)(B)

Kommunen etwa in Nordrhein-Westfalen gegen finanz-
schwache Kommunen in Thüringen auszuspielen. – Das
Problem ist nur, dass Sie mit dem Zwang der Länder, fi-
nanzschwache Kommunen auswählen zu müssen, die
ostdeutschen Länder benachteiligen, weil die Finanz-
schwäche von Kommunen in den ostdeutschen Ländern
nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist, und die Län-
der jetzt gezwungen sind, Menschen und Kommunen
von der Unterstützung auszunehmen. Das finden wir
nicht in Ordnung und kritisieren wir.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieser Nachtragshaushalt enthält eine ganze Reihe
von Infrastrukturmaßnahmen des Bundes. Davon geht
vieles in Ordnung. Aber auch hier stimmen die Verhält-
nisse nicht. Erneut wird Straßenbau gegenüber Schiene
und Wasserstraßen erheblich begünstigt, geht Neubau
vor Erhalt. Insgesamt reicht es – das wissen Sie auch –
nicht aus. Deshalb spekulieren Sie öffentlich über die
Beteiligung privaten Kapitals an öffentlicher Infrastruk-
tur.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!)


Die Beteiligung privaten Kapitals an öffentlicher Infra-
struktur will die Linke auch. Nur: Sie wollen bei denen
betteln und mit denen Geschäfte machen, und wir wollen
sie gerecht besteuern. Das ist der kleine Unterschied,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Nachtragshaushalt steckt dann auch noch ein ech-
ter Skandal, und zwar im Kleingedruckten: Ein Konfe-
renzzentrum in Bonn soll auf Bundeskosten fertiggestellt
werden. Dieses Konferenzzentrum ist aber Eigentum der
Stadt Bonn. Es handelt sich also faktisch um eine Schen-
kung in Höhe von 34 Millionen Euro. Nach meinem
Empfinden und meinen bisherigen Kenntnissen geht das
am Haushaltsrecht vorbei, und ich denke, das sollte ein
parlamentarisches Nachspiel haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schließlich gibt es noch eine Überraschung: Gestern
wurde im Haushaltsausschuss die finanzielle Entschädi-
gung sowjetischer Kriegsgefangener des Zweiten Welt-
krieges beschlossen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD])


Das ist gut so, und das haben wir ausdrücklich unter-
stützt.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke gehört bekanntlich zu den Initiatoren dieser
Idee.

Schäbig und diskriminierend fanden wir allerdings,
dass der Linken die Mitautorenschaft bei diesem Antrag
verweigert wurde, dass Sie uns verweigert haben, diesen
Antrag mitzuzeichnen, und wir damit ausgeschlossen
wurden. Ich will an die Initiativen von Frau Jelpke und
Herrn Korte erinnern. Das grenzt an Diebstahl geistigen
Eigentums, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das alles geht auf einen Unvereinbarkeitsbeschluss
der Unionsfraktion zurück: nicht mit uns auf einer
Drucksache. Er ist allerdings aus dem Jahre 1998. Ich
möchte Sie nur einmal an eines erinnern: 1998 war
meine Partei noch die PDS. Nun werde ich wahrschein-
lich der Letzte sein, der den Anteil der PDS am Zustan-
dekommen der neuen Linken irgendwie gering schätzt.
Aber seit 2005 gibt es keine PDS-Fraktion, keine PDS-
Anträge mehr im Bundestag. Nun mag „konservativ“
auch bedeuten, dass man in seiner Wahrnehmung etwas
langsam ist; aber zehn Jahre müssten eigentlich genü-
gen, um zu begreifen, dass dieser Beschluss ein Ana-
chronismus ist.

Frau Merkel hat heute Morgen eine Rede gegen den
Kalten Krieg geführt. Ich sage Ihnen eines: Das muss
auch im Bundestag endlich der Fall sein. Hören Sie auf,
den Kalten Krieg, den Sie sonst nicht haben wollen, im
Bundestag fortzusetzen!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810613300

Danke, Roland Claus. – Nächster Redner: Johannes

Kahrs für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1810613400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich glaube, dass der heute vorliegende Nach-
tragshaushalt etwas ist, über das man sich in diesem
Land freuen kann. Als die Große Koalition ihren Koali-
tionsvertrag schloss, legten wir auch fest, dass wir
23 Milliarden Euro mehr investieren wollen, und wir alle
haben gedacht, das wäre es dann für diese Legislatur-
periode.

Jetzt ist es aber so, dass aufgrund der guten Politik in
den letzten Jahren, insbesondere aufgrund der Reformen,
die unter Rot-Grün und Gerhard Schröder vorangetrie-
ben worden sind, die Wirtschaft in diesem Lande hervor-
ragend funktioniert, mehr Menschen in Arbeit sind als je
zuvor und wir auch noch das Glück haben, dass die Ben-
zin- und Ölpreise niedrig sind, dass das Währungsrisiko
geringer ist und die Zinsen niedriger sind. Rundum läuft
es derzeit gut. Das führt dazu, dass der Bund mehr Geld
einnimmt, als man am Anfang gedacht hat.

Auf alle Fälle ist es gut und richtig, dass wir daran
festhalten, keine neuen Schulden zu machen. Ich glaube,
das ist etwas, wo sich CDU/CSU und SPD einig sind.
Wir haben die Schuldenbremse in der letzten Großen
Koalition gemeinsam vereinbart. Wir haben vereinbart,
dass wir in dieser Legislaturperiode keine neuen Schul-
den machen wollen. Ich glaube auch, dass das gut ist.





Johannes Kahrs


(A) (C)



(D)

Wenn wir das eine, das gut und notwendig ist, mit
etwas anderem Guten, nämlich mehr Investitionen, ver-
binden, dann erreichen wir etwas, was dem Land im
Hinblick auf seine Wirtschaft, seinen Arbeitsmarkt und
seine zukünftige Entwicklung generell guttut.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb planen wir 10 Milliarden Euro mehr reine
Investitionen. Das heißt, wir investieren in die Verkehrs-
infrastruktur, in den Bereich Umwelt, in den Bereich
Bau, in alle Bereiche, von denen wir glauben, dass
Deutschland hier einen Nachholbedarf hat.

Zu den 10 Milliarden Euro, die wir investieren, kom-
men 5 Milliarden Euro hinzu, die wir den Kommunen
geben, damit sie aus dem Investitionsloch, in dem sie
stecken, herauskommen. Da möchte ich insbesondere
Bernhard Daldrup aus meiner Fraktion danken, der uns
damit seit Jahr und Tag kujoniert und quält. In der Sache
ist es so, dass die Kommunen unterstützt werden müs-
sen. Es ist aber auch so, dass das Geld, das wir für die
Kommunen vorsehen, auch bei den Kommunen ankom-
men muss. Da gibt es ein schwieriges Verhältnis zwi-
schen Ländern, Kommunen und Bund. Wir hoffen, dass
wir es mit der jetzt vorgesehenen Konstruktion im Ein-
vernehmen mit den Ländern hinkriegen, dass dieses
Geld wirklich an die Kommunen geht. Das ist ja in unser
aller Interesse, weil es die Kommunen sind, die Investi-
tionen vor Ort tätigen. Es kann nicht sein, dass Investi-
tionen nur auf Bundesebene stattfinden. Sie müssen auch
in den Stadtteilen stattfinden, in denen die Menschen
wohnen. Sie müssen in der Infrastruktur vor Ort ankom-
men. Deswegen richte ich einen ganz herzlichen Dank
an all diejenigen, die das vorangebracht haben. Mehr
Geld für Investitionen, mehr Geld für die Kommunen –
das war ein wesentlicher Teil unseres Wahlkampfs. Ich
freue mich, dass wir das in der Großen Koalition so hin-
bekommen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heute werden auch die Ergebnisse des Flüchtlings-
gipfels umgesetzt: Wir stellen 750 neue Stellen für das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Verfü-
gung, das Auswärtige Amt bekommt ebenfalls neue
Stellen, und im Etat des Innenministeriums stellen wir
25 Millionen Euro mehr für Sprachkurse zur Verfügung.
Ich glaube, dass das wichtige Bausteine sind, die wir
brauchen, um beim Thema Flüchtlinge voranzukommen.

Ein anderer wichtiger Baustein ist die Unterstützung
der Kommunen. Ich glaube, dass das wesentlich und gut
ist.

In diesem Nachtragshaushalt sind auch wichtige
kleine Maßnahmen verborgen: 8 Millionen Euro fließen
in die Unterstützung von Jugendmigrationsdiensten, und
weitere 4 Millionen Euro werden in Sprachkurse für
ganz besonders qualifizierte Migranten investiert, die
studieren wollen. Das sind sogenannte C1-Sprachkurse.
Für diese Sprachkurse haben wir schon seit März kein
Geld mehr. Dank dieser zusätzlichen Mittel können die
hochqualifizierten Leute, die in dieses Land kommen
und hier dringend gebraucht werden, die deutsche Spra-
che erlernen, damit sie relativ schnell auf dem deutschen
Arbeitsmarkt ankommen. Dies ist eine richtige, gute und
zukunftsweisende Investition. An dieser Stelle kann man
der Otto-Benecke-Stiftung für ihre gute Arbeit nur dan-
ken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es freut mich auch, dass wir uns in der Großen Koali-
tion darauf geeinigt haben, 10 Millionen Euro für die
Entschädigung ehemaliger sowjetischer Kriegsgefange-
ner auf den Weg zu bringen. Wir haben dazu extra eine
Anhörung durchgeführt. Man kann sich fragen: Warum
entschädigt man diese eine Gruppe und andere nicht? Es
ist eben so, dass sowjetische Kriegsgefangene zu über
50 Prozent zu Tode gekommen sind. Diese Gruppe
wurde anders behandelt als alle anderen. Daher ist es nur
richtig und gut – alle Gutachter in unserer Anhörung
sind zu diesem Ergebnis gekommen –, diese Gruppe zu
entschädigen. Alle Fraktionen tragen dies mit. Ich
glaube daher nicht, dass eine Fraktion die Urheberschaft
dafür beanspruchen kann. Dass wir gemeinsam zuge-
stimmt haben, ist ein gutes Zeichen. Das ist für die
Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Welt wichtig und
kann angesichts des im Moment angespannten deutsch-
russischen Verhältnisses vielleicht helfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man erlaube mir noch einige Bemerkungen zu ande-
ren Etatverbesserungen, die wir hinbekommen haben:
Im Bereich des Ministeriums für Arbeit und Soziales
gibt es mehr Geld für die Grundsicherung im Alter und
für das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“.
Im Verteidigungsministerium haben wir mehr Geld für
ziviles Personal zur Verfügung gestellt. Als Hamburger
freue ich mich, dass es uns gelungen ist, 30 Millionen
Euro für die Bewerbung für die Olympischen Spiele zur
Verfügung zu stellen. Das ist inzwischen keine Bewer-
bung Hamburgs mehr, sondern eine Bewerbung
Deutschlands. Hier steht ganz Deutschland und bewirbt
sich international. Deshalb ist es gut und wichtig, dass
der Bund sich daran beteiligt. Vielen Dank, dass alle das
unterstützt haben.

Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810613500

Vielen Dank, Johannes Kahrs. – Nächste Rednerin in

der Debatte: Anja Hajduk für Bündnis 90/Die Grünen
aus Hamburg.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810613600

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir beraten heute den Nachtragshaushalt 2015 und ein
Unterstützungspaket für die Kommunen. Wenn man sich
jetzt die Frage stellt: „Worüber reden wir hier eigent-
lich?“, dann möchte ich sagen, sehr geehrter Herr
Kampeter: Dies ist ein aufgrund der Verfehlungen bei

(B)






Anja Hajduk


(A) (C)



(D)(B)

den letzten Haushaltsberatungen notwendiges Nachbes-
serungsprogramm.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dies ist im Wesentlichen ein Programm zur Steigerung
der öffentlichen Investitionen. Insofern ist dies ein Ver-
such, die Probleme, die Sie im Dezember zu korrigieren
nicht in der Lage waren, jetzt, ein halbes Jahr später, we-
gen der günstigen Rahmenbedingungen wenigstens ein
bisschen anzugehen. Ich möchte Ihnen deutlich machen,
wie schnell man erkennen kann, dass dies leider nur ein
Versuch ist:

3,5 Milliarden Euro als Investitionsförderung für die
Kommunen. Das ist nicht falsch,


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist sogar richtig!)


aber es muss im Verhältnis zu einem Investitionsstau von
156 Milliarden Euro bei den Kommunen gesehen wer-
den; das ist die aktuelle Schätzung des Bundeswirt-
schaftsministeriums. Wenn man sagt, dass das Pro-
gramm 3,5 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren
umfasst und dass 156 Milliarden Euro der Bedarf sind,
dann sieht man, dass das keine grundsätzliche Lösung
für ein unglaublich veritables Problem sein kann, das die
Menschen vor Ort erfahren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich betone ganz deutlich, was in der Expertenanhö-
rung klar geworden ist.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das ist gelobt worden!)


Es wurde der Versuch der Bundesregierung, die Kom-
munen zu unterstützen, zwar nicht geringgeschätzt. Aber
es wurde deutlich, dass dies ein viel zu zaghafter Ver-
such ist und eine grundsätzliche Lösung, zu der sich ge-
rade eine Große Koalition aufraffen sollte, nicht abzuse-
hen ist.

Ich kann dasselbe noch einmal illustrieren, indem ich
nicht nur auf die Kommunen schaue, sondern auf die In-
vestitionen insgesamt. Herr Schäuble sagte, es solle noch
einmal 10 Milliarden Euro mehr in der Finanzplanperi-
ode geben, um die öffentlichen Investitionen zu steigern.
10 Milliarden Euro zusätzlich für öffentliche Investitio-
nen in der Finanzplanperiode – in welchem Verhältnis
stehen diese 10 Milliarden Euro zu den Steuermehrein-
nahmen?

Schauen wir uns doch einmal die Steuerschätzung an,
die gerade veröffentlicht wurde. Die aktuelle Mai-Steu-
erschätzung sagt für 2014 bis 2019 Steuermehreinnah-
men in Höhe von 163 Milliarden Euro voraus. Ich
möchte das noch konkretisieren: Welche Zinsersparnis
haben wir in der Finanzplanperiode? Ganz aktuell sind
in Ihrem Nachtrag diesbezüglich 32 Milliarden Euro
ausgewiesen. Das heißt, es gibt aktuell knapp 200 Mil-
liarden Euro Haushaltsverbesserugen in der Finanzplan-
periode, und von diesen 200 Milliarden stecken Sie
10 Milliarden in zusätzliche Investitionen. Das sind nur
5 Prozent, und das angesichts der Lücke, die ich vorhin
beschrieben habe. Das ist nichts, das ist schwach, das ist
unwürdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb haben wir einen Antrag vorgelegt – und Sie
haben uns dafür kritisiert –,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Zu Recht!)


in dem gefordert wird, in den nächsten Jahren 45 Mil-
liarden Euro – nicht hektisch, aber entschlossen –,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wer ist denn für die Kommunen zuständig?)


also ein Viertel der neuen Spielräume, für eine Investiti-
onssteigerung bereitzustellen. Das braucht man, wenn
man das Wachstumspotenzial des Landes fördern und
stärken will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht uns Grünen nicht darum, dies mit Schulden zu
machen. Deshalb habe ich mir erlaubt, Sie noch einmal
über die Spielräume aufzuklären, die es gibt. Wir fordern
Sie auf, diese Spielräume als Gestaltungsspielräume zu
nutzen. Seien Sie an dieser Stelle nicht so verzagt.

Wir haben, was die Konjunktur angeht, ein bisschen
Glück, Herr Kahrs.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das war harte Arbeit!)


Glück zu haben, ist ja nichts Falsches. Auch die Große
Koalition kann mal Fortune haben. Es gibt fleißige Men-
schen in unserem Land, die das erarbeiten; aber es gibt
auch strukturell gute Bedingungen. Wir haben, demogra-
fisch bedingt, mit 43 Millionen Beschäftigten eine ex-
trem hohe Beschäftigtenquote. Wir haben deshalb eine
gut gefüllte Rentenkasse und niedrige Zinszahlungen;
Sie haben dies alles erwähnt. Angesichts der guten Be-
dingungen ist es Zeit, Vorsorge für das nächste Jahrzehnt
zu treffen, und das muss man mit Zukunftsinvestitionen
ganz anders tun, als Sie es tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Genau das machen wir!)


Meine letzte Bemerkung: Im Grundsatz ist das ein
schlechter Nachbesserungsversuch. Das, was an diesem
Nachtrag richtig und wichtig ist, ist die bessere Unter-
stützung der Kommunen bei der Aufnahme von Flücht-
lingen; das möchte ich nicht vergessen zu erwähnen.
Aber was noch besser gewesen wäre, Herr Kahrs, wäre,
wenn Sie als Große Koalition im Hinblick auf die späte,
aber immerhin vorgesehene Entschädigung für sowjeti-
sche Kriegsgefangene die Kraft gehabt hätten, die Lin-
ken mitzunehmen. Dazu hat mein Kollege Claus das Nö-
tige gesagt. Auch an dieser Stelle sollten Sie sich im
Haushaltsausschuss einen Schubs geben.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810613700

Danke, Anja Hajduk. – Nächster Redner in der De-

batte: Norbert Brackmann für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Norbert Brackmann (CDU):
Rede ID: ID1810613800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das, was wir hier heute machen, hat nichts,
aber auch wirklich gar nichts damit zu tun, Frau Hajduk,
dass wir Verfehlungen korrigieren wollen, oder damit,
dass wir auf gesellschaftliche Veränderungen, lieber
Kollege Claus, reagieren wollen. Vielmehr geht es da-
rum, dass wir zur rechten Zeit das, was wir mit guter
Politik an Freiräumen geschaffen haben, den Menschen
zurückgeben, es zur Lösung der Probleme in diesem
Land einsetzen und heute damit eine wesentliche Grund-
lage für die Zukunft legen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen ist die schwarze Null kein Kampfbegriff,
auch wenn Sie das vielleicht so sehen. Geld nicht auszu-
geben und keine Schulden zu machen, sondern über
Geld erst zu verfügen, wenn man es hat, ist ein wesentli-
cher Grund dafür, dass wir heute an dem Punkt sind, an
dem wir sind. Ich hatte vorhin bei einigen Rednern der
Opposition ein bisschen den Eindruck, als würde es Zu-
fall sein, dass wir heute dort sind, wo wir sind. Aber wie
ist es denn dazu gekommen, dass wir weniger Zinsen
zahlen? Bekanntlich zahlt man Zinsen, wenn man Schul-
den aufgenommen hat. Wenn wir aber keine neuen
Schulden aufnehmen, zahlen wir auch keine neuen Zin-
sen. Wenn die Investoren Vertrauen darin haben, dass
wir mit ihrem Geld sorgsam umgehen, dann geben sie
uns auch Geld zu niedrigen Zinsen, was dazu führt, dass
wir mehr Einnahmen zu verteilen haben.

Exakt dies machen wir heute. Wir machen es in er-
heblichem Umfang. Wir investieren zusätzlich 10 Mil-
liarden Euro in die Zukunft des Bundes, aber – da ver-
stehe ich die Kritik, die hier geäußert wurde, nun
überhaupt nicht – in den nächsten Jahren gehen auch
6 Milliarden Euro in die Kommunen. Das ist bemerkens-
wert; denn wenn man sich die Finanzverfassung unseres
Grundgesetzes anschaut, sieht man, dass wir als Bund ei-
gentlich keine Verantwortung für die Kommunen haben,
sondern die Länder in der Verantwortung für die Kom-
munen sind. Deswegen wäre es naheliegend, dass jeder
auf seinem Gebiet die Politik macht, für die er zuständig
ist, und dafür sorgt, dass er mit dem Geld auskommt, das
er einnimmt, das er von den Menschen bekommt. Das
wäre schon eine grundsolide Haltung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Insofern ist es, glaube ich, nicht hoch genug zu würdi-
gen, dass wir als Bund ein Investitionspaket für die
Kommunen auflegen. Auch hier sehen wir wieder, dass
von den Ländern vielleicht etwas mehr Bereitschaft, hier
Verantwortung zu übernehmen, gefordert werden
könnte.
Was waren die Schwerpunkte unserer Beratungen im
Haushaltsausschuss? Wir haben das Grundgesetz ge-
nommen, gewürgt, geknetet, weil in der Föderalismus-
kommission II insbesondere auf Wunsch der Länder die
Bedingungen, unter denen der Bund überhaupt Förde-
rung für die Kommunen machen kann, so eng gefasst
wurden, dass wir kaum eine Möglichkeit haben, die
Kommunen unmittelbar zu fördern. Dennoch machen
wir das. Wir hätten uns auch aus dem Staub machen und
auf die Verantwortung der Länder hinweisen können.
Dies machen wir nicht. Wir stehen zu den Aufgaben, die
die Kommunen haben. Wir stehen zu dieser Solidarität
zwischen Bund und Ländern. Das ist gerade in dieser
Zeit besonders wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein Teil dieser Verantwortung ist auch, dass wir trotz
dieser Aufgabenteilung, die ja von unseren Urvätern be-
wusst gewählt wurde, sagen: Wenn es besondere Belas-
tungen für den Staat gibt, dann muss man diese nach
Möglichkeit auf alle Ebenen verteilen, damit der ge-
samte Staat diese Belastung tragen kann. Es ist richtig,
bei der Flüchtlingsproblematik zu sagen, dass für das
Anerkennungsverfahren der Bund zuständig ist, die Län-
der für die Erstunterbringung und die Kommunen für die
dauerhafte Unterbringung. Aber bei der Bewältigung
dieser Aufgaben sind wir aufgrund der guten finanziel-
len Situation jetzt in der Lage, bei der Unterbringung der
Flüchtlinge zu helfen. Die 1 Milliarde Euro, die wir zu-
sätzlich für die Flüchtlingsunterbringung in 2015 und
2016 zur Verfügung stellen, und die Entlastung der
Kommunen in 2017 über das Investitionspaket in Höhe
von 1,5 Milliarden Euro sind unter dem Eindruck der
vielen Flüchtlinge ein Zeichen der Menschlichkeit und
eine wichtige Hilfe.

Aber dann können und müssen wir auch erwarten,
dass die Länder ihrerseits nicht den Versuch machen, an
dieser Aufgabe zu verdienen, sondern das Geld an die
Kommunen durchreichen. Wenn nur drei Länder die
Bundesmittel für die Flüchtlinge komplett an die Kom-
munen weiterleiten, dann finde ich, dass wir das nicht
akzeptieren können und dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das alles sind Investitionen in die Zukunft und in die
Menschen. Deswegen ist der heutige Tag ein guter Tag
für die Menschen, für die Kommunen, für die Flücht-
linge und für Deutschland.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810613900

Danke, Herr Kollege Brackmann. – Frau Gottschalck,

bevor ich Ihnen das Wort erteile, hat der Kollege Jan
Korte das Wort zu einer Kurzintervention.






(A) (C)



(D)(B)


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810614000

Frau Präsidentin, schönen Dank, dass Sie das zulas-

sen. – Ich will kurz auf einen Punkt eingehen. Ich finde
es in der Tat gut, dass – für die Verhältnisse in diesem
Hause relativ unbürokratisch – 10 Millionen Euro zur
Entschädigung der wenigen noch lebenden ehemaligen
sowjetischen Kriegsgefangenen bereitgestellt werden.
Ich finde, das ist eine gute Sache, und das ist kurz nach
dem 70. Jahrestag der Befreiung eine gute Nachricht für
die ganz wenigen Überlebenden. Schließlich sind über
3,5 Millionen Menschen in deutschen Lagern elendig
verhungert.

Ich weise aber darauf hin, dass wir, meine Kollegin
Jelpke und übrigens auch viele Grüne schon seit vielen
Jahren und auch ich persönlich in den letzten Monaten,
uns sehr für eine Entschädigung engagiert haben. Weil
mir das, was jetzt erreicht wurde, sehr wichtig ist, will
ich aber eines anmerken: Dass Sie von der CDU/CSU,
wohl wissend, dass damals das Gesetz zur Zwangsarbei-
terentschädigung von allen Fraktionen gemeinsam ein-
gebracht wurde – damals übrigens noch von der PDS,
um das in Erinnerung zu rufen –, bei so einer Frage und
an einem solchen Jahrestag ausgerechnet die Fraktion,
die mit den Grünen, mit vielen Initiativen und Wissen-
schaftlern und anderen seit so vielen Jahren dafür gestrit-
ten hat, aus dem Antrag herauskegeln müssen, finde ich
der Sache nicht angemessen. Dass Sie bei einer so ele-
mentaren historischen Frage so kleingeistig vorgehen,
hätte ich Ihnen nicht zugetraut. Das wollte ich loswer-
den.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810614100

Herr Brackmann, Sie haben die Möglichkeit, zu ant-

worten.


(Norbert Brackmann [CDU/CSU]: Ich verzichte darauf!)


– Sie möchten nicht antworten. – Dann hat Ulrike
Gottschalck für die SPD das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulrike Gottschalck (SPD):
Rede ID: ID1810614200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die GroKo
macht nicht immer nur Spaß. Das werden mir meine
Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen be-
stätigen. Aber die Ergebnisse der GroKo machen Spaß,
und vor allen Dingen sind sie gut für die Menschen in
unserem Land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn ein Nachtragshaushalt wie der heutige vorliegt,
dann sollte man sich nicht – je nach Naturell – beschwe-
ren, ereifern, aufregen oder gar echauffieren, Frau
Hajduk, sondern man sollte ihm zustimmen und dadurch
mithelfen, die Lebenssituation der Menschen zu verbes-
sern.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


XXL-Forderungen waren wir bisher von den Linken
gewöhnt. Jetzt kommen sie auch von den Grünen. Ich
frage mich, wie Sie sich die Umsetzung vorstellen. Die
Bautechniker werden schon aufgrund der 3,5 Milliarden
Euro für die Kommunen und der 10 Milliarden Euro auf
Bundesebene, die bereits als Investitionsprogramm vor-
gesehen sind, genug zu tun haben. Was über Jahrzehnte
aufgelaufen ist, wird man garantiert nicht in einem einzi-
gen Jahr oder in einer Legislaturperiode abbauen kön-
nen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Grü-
nen und Linken, wenn Sie heute nicht zustimmen oder,
wie angedeutet, sich kraftvoll enthalten, dann werden
Sie damit auch der Entlastung der Kommunen nicht zu-
gestimmt haben. Daran werden wir Sie auch immer wie-
der erinnern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist sehr billig!)


Für uns hat die Entlastung der Städte und Gemeinden
höchste Priorität. Das haben wir versprochen, und das
halten wir. Das zeigen wir heute, indem wir die Kommu-
nen bis zum Jahr 2018 um insgesamt 25 Milliarden Euro
entlasten werden. Noch einmal zum Mitschreiben:
25 Milliarden Euro bis zum Jahr 2018.

Heute haben wir das massive Entlastungs- und Inves-
titionspaket, insbesondere für finanzschwache Kommu-
nen, aber auch die bereits angekündigten 10 Milliarden
Euro für Investitionen in Deutschland.

Ich will zu dem kommunalen Paket etwas sagen. Wir
stocken die bereits für 2017 beschlossene Entlastung von
1 Milliarde Euro auf insgesamt 2,5 Milliarden Euro auf.
Das eröffnet Spielräume für die Kommunen. Noch in
diesem Jahr stellen wir 3,5 Milliarden Euro für das Son-
dervermögen mit dem schwierigen Namen „Kommunal-
investitionsförderungsfonds“ bereit. Aus diesem Fonds
werden wir in den Jahren 2015 bis 2018 insbesondere fi-
nanzschwache Kommunen fördern, und zwar bis zu
90 Prozent. Ganz bewusst haben wir geringe Zielvorga-
ben gewählt, damit die Kommunen wirklich flexibel
handeln können und auch bereits geplante Maßnahmen
gefördert werden können. Entgegen Ihrer Aussage, Frau
Hajduk, wurden wir in der Anhörung ausdrücklich von
den Vertretern der Kommunen – Städtetag, Landkreis-
tag – gelobt. Das ist bei weitem keine Nothilfe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Länder können festlegen, welche Kommunen sie
als finanzschwach definieren. Sie können auch den
10-prozentigen Anteil der Kommunen übernehmen.
Jetzt bin ich einmal gespannt, wie die Länder agieren.
Ich bin vor allen Dingen darauf gespannt, wie sich mein
Land, Hessen, aus der Affäre ziehen will, um um die
10 Prozent herumzukommen.





Ulrike Gottschalck


(A) (C)



(D)(B)

Im Haushaltsausschuss haben wir einen Maßgabebe-
schluss gefasst, der insbesondere festhält, dass wir er-
warten, dass die zur Verfügung gestellten Mittel unver-
mindert und zusätzlich an die Kommunen weitergegeben
werden. Das ist, denke ich, ein kluger Beschluss.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich hatte jetzt noch eine Aufzählung vorgesehen, was
wir alles gemacht haben; aber die lasse ich aus Zeitgrün-
den weg.

Unbestritten stehen unsere Gemeinden vor großen
Herausforderungen. Wir wollen den Städten, Gemeinden
und den Landkreisen ganz konkret dabei helfen, diese
Zukunftsaufgaben zu schultern. Das gilt eben auch für
die aktuellen Flüchtlingsströme. Deshalb ist es gut, dass
sich im Nachtrag auch die Ergebnisse des Flüchtlings-
gipfels widerspiegeln.


(Beifall bei der SPD)


Denn die Fluchtursachen – Bürgerkriege, Terror, Armut –
werden sich nicht von heute auf morgen in Luft auflö-
sen. Ja, wir brauchen tragfähige europäische Lösungen,
aber wir brauchen auch Lösungen vor Ort; denn die
Flüchtlinge stehen bei uns vor Ort in den Kommunen
und müssen dort versorgt werden.

Ich bin deshalb auch unseren Haushältern sehr dank-
bar, dass wir es gestern in unserer kleinen Bereinigungs-
sitzung zum Nachtrag erreicht haben, noch weitere Mit-
tel für die wichtige Flüchtlingsarbeit zu akquirieren.
Außer den 25 Millionen Euro für Integrationskurse wird
es jetzt noch 8 Millionen Euro für die Jugendmigration
geben und 4 Millionen Euro für Sprachkurse; Kollege
Kahrs hat es schon angesprochen. Auch das hilft den
Kommunen ganz konkret weiter.

Der Nachtrag trägt also eine eindeutige Handschrift,
es handelt sich um einen Haushalt zur Unterstützung der
Kommunen. Ich kann nur noch einmal an die Opposition
appellieren: Stimmen Sie einfach mit. Dann helfen Sie
auch, dass es den Menschen in den Kommunen besser
geht.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810614300

Vielen Dank, Ulrike Gottschalck. – Der letzte Redner

in dieser Debatte: Stephan Mayer für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1810614400

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wenn ein einfacher In-
nenpolitiker wie ich in einer Haushaltsdebatte sprechen
darf, dann muss schon etwas Besonderes passiert sein.
Das ist auch der Fall. Dieser Nachtragshaushalt 2015
weist einen klaren innenpolitischen Schwerpunkt auf.
Ich sage hier in aller Form: Danke an die Kolleginnen
und Kollegen im Haushaltsausschuss, die dies ermög-
licht haben. Ich sage auch ein herzliches Dankeschön an
das Bundesfinanzministerium und das Bundesinnen-
ministerium; denn dieser Nachtragshaushalt kann sich
gerade angesichts der großen innenpolitischen Heraus-
forderungen, die wir derzeit haben, wirklich sehen las-
sen.

Führen wir uns noch einmal vor Augen: Wir hatten im
Jahr 2008 etwa 28 000 Asylbewerber in Deutschland.
Wir hatten dann vor zwei Jahren 127 000, im letzten Jahr
202 000 Erstanträge, und die für dieses Jahr aktualisierte
Prognose des Bundesamtes für Migration und Flücht-
linge lautet sage und schreibe 400 000, also noch einmal
eine Verdoppelung der Zahlen vom letzten Jahr. Deswe-
gen ist es sachgerecht und auch wichtig, dass die Stellen-
zahl im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhöht
wird.

Ich bin den Haushaltskollegen schon sehr dankbar da-
für, dass für die Haushaltsjahre 2014 und 2015 insge-
samt 650 zusätzliche Stellen geschaffen wurden. Ich
finde es auch sehr erfreulich, dass mit diesem Nachtrags-
haushalt beschlossen wird, dass noch einmal zusätzliche
750 Stellen im BAMF geschaffen werden. Das ist wirk-
lich ein klares Signal dafür, dass der Bund sich seiner
Verantwortung im vollen Umfang bewusst ist und dass
er dieser Verantwortung gerecht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, im
Koalitionsvertrag steht, dass wir die durchschnittliche
Dauer von Asylverfahren auf drei Monate bringen wol-
len. Wir sind da schon auf einem sehr guten Weg. Die
derzeitige Verfahrensdauer liegt bei etwa sechs Mona-
ten. Aber da gibt es – um dies offen zu sagen – noch Luft
nach oben oder, besser gesagt, nach unten.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist wohl wahr!)


Deswegen ist es richtig, dass diese 750 Stellen geschaf-
fen werden.

Es ist dann aber auch wichtig – das möchte ich mit
diesem Dank verbinden –,


(Johannes Kahrs [SPD]: Dass die besetzt werden!)


dass diese Stellen schnell besetzt werden. Man hört, dass
die 350 Stellen, die in diesem Jahr zusätzlich zur Verfü-
gung stehen, noch nicht komplett besetzt worden sind.
Da glaube ich schon, dass von der Debatte heute der
starke Wunsch in Richtung BAMF ausgehen sollte: Bitte
sorgen Sie dafür, dass diese Stellen schnell mit Personal
unterfüttert werden!


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber keine Kritik am Ministerium!)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
ist ebenso gut und erfreulich, dass 25 Millionen Euro zu-
sätzlich für Sprach- und Integrationskurse zur Verfügung
gestellt werden. Auch hier, glaube ich, kann sich das,
was der Bund macht, wirklich sehen lassen. Der Bund
stellt in diesem Jahr über 270 Millionen Euro für Sprach-
und Integrationskurse zur Verfügung. Das ist, glaube ich,
durchaus honorig. Darauf können wir auch stolz sein.





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)

Ebenso werden 4,3 Millionen Euro zusätzlich für
Dolmetscher zur Verfügung gestellt und 5 Millionen
Euro zusätzlich für die Bundespolizei, um die erforderli-
chen Rückführungen bzw. Abschiebungen durchführen
zu können.

Ich sage hier eines ganz offen: Der Bund wird mit
diesem Nachtragshaushalt in Sachen Asyl- und Flücht-
lingspolitik seiner Verantwortung gerecht. Ich erwarte
jetzt aber auch von den Ländern, dass sie das Ihre tun.
Die Länder müssen jetzt auch tätig werden, wenn es da-
rum geht, mehr Stellen bei den Ausländerbehörden und
mehr Stellen bei den Verwaltungsgerichten zu schaffen;
denn es reicht nicht, dass die Verfahren kürzer werden
und schneller durchgeführt werden. Wenn der Verfah-
rensbescheid des BAMF vorliegt, dann muss auch der
Ausweisungsbescheid schnell erstellt werden. Es darf
hier nicht ein Flaschenhals entstehen dergestalt, dass
zwar die Verfahren beschleunigt durchgeführt werden
und das BAMF beschleunigt tätig wird, dass sich aber
der Stau bei den Ausländerbehörden und bei den Verwal-
tungsgerichten vergrößert. Klarer Appell in Richtung
Länder: Mehr Stellen für die Ausländerbehörden und
mehr Stellen für die Verwaltungsgerichte!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist wichtig – ein Großteil der Asylbewerber wird ja
abgelehnt –, dass dann auch die Abschiebungen zeitnah
erfolgen. Hierfür sind die Länder ebenso in der Verant-
wortung wie für die Erweiterung der Kapazitäten bei den
Erstaufnahmeeinrichtungen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
möchte in aller Kürze noch einen zweiten innenpoliti-
schen Schwerpunkt dieses Nachtragshaushalts anspre-
chen, der sich wirklich sehen lassen kann. Das ist die
Entscheidung, dass in den nächsten Jahren vom Bund
insgesamt 30 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung
gestellt werden zur Bekämpfung der Wohnungsein-
bruchskriminalität. Wohnungseinbruch ist ein Phäno-
men, das die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland in
höchster Weise erschüttert. Im Durchschnitt wird in
Deutschland alle dreieinhalb Minuten in eine Wohnung
eingebrochen. Im letzten Jahr gab es die Rekordzahl von
152 000 Einbrüchen. Ich finde es gut – auch hierfür bin
ich den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsaus-
schuss dankbar –, dass für dieses Jahr 10 Millionen Euro
und für die nächsten beiden Jahre jeweils noch einmal
10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Damit
wird die KfW in die Lage versetzt, ein Sonderprogramm
zu starten, um sowohl Vermietern als auch Mietern zu
ermöglichen, mechanische oder elektronische Siche-
rungsmaßnahmen vorzunehmen. Ein herzliches Danke-
schön für diese Maßnahme!

Ich glaube, man kann wirklich mit Fug und Recht be-
haupten: Der Bund und die Regierungskoalition machen
mit diesem Nachtragshaushalt deutlich, dass sie nicht
nur Sprüche klopfen, sondern auf die innenpolitischen
Herausforderungen effektiv und zeitnah reagieren.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810614500

Vielen Dank, Herr Mayer. – Damit schließe ich die

Aussprache.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaus-
haltsplan für das Haushaltsjahr 2015. Der Haushaltsaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksachen 18/4950 und 18/4951, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 18/4600 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, jetzt um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung von
CDU/CSU und SPD und Ablehnung von der Linken und
Bündnis 90/Die Grünen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU
und SPD und Ablehnung von der Linken und Bünd-
nis 90/Die Grünen.

Tagesordnungspunkt 8 b. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommu-
nen und zur Entlastung von Ländern und Kommunen bei
der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern.
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/4975, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4653

(neu) in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte

diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer
stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD
und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der
Linken.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen – Sie wis-
sen es –, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich
jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustim-
mung von CDU/CSU und SPD und Enthaltung von der
Linken und Bündnis 90/Die Grünen.

Tagesordnungspunkt 8 c. Beschlussempfehlung des
Haushaltsausschusses zum Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Bundesverantwortung wahrneh-
men – Kommunen bei Unterbringung von Flüchtlingen
und Asylbewerbern sofort helfen und Kosten der Unter-
kunft für Hartz-IV-Leistungsberechtigte schrittweise
übernehmen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/4118, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3573 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und
bei Ablehnung der Linken.

Tagesordnungspunkt 8 d. Beschlussempfehlung des
Haushaltsausschusses zum Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Heute für morgen in-
vestieren – Damit unsere Zukunft nachhaltig und gerech-
ter wird“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4974, den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/4689 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD, Ableh-
nung von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der
Linken.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Ekin Deligöz, Luise Amtsberg, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Deutschlandstipendium abschaffen – Stipen-
dienförderung und Studienfinanzierung stär-
ken

Drucksache 18/4692
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei-
nen Widerspruch, ich höre keinen Widerspruch. Ich höre
vieles andere. Ich bitte Sie, sich nun auf die Debatte zu
konzentrieren. Dann ist das so beschlossen, dass Sie sich
konzentrieren.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Kai Gehring von Bündnis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810614600

Frau Präsidentin, vielen Dank für die Konzentration. –

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Bildungschancen und der Zugang
zur Hochschule dürfen nicht von der sozialen Herkunft
oder vom Konto der Eltern abhängen.


(Beifall im ganzen Hause)


Dieses Ziel ist längst noch nicht erreicht. Das zu ändern,
muss endlich politische Priorität werden. Wir brauchen
eine Hochschulpolitik und eine Studienfinanzierung, die
kein Talent zurücklassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir Grüne beantragen hier und heute, die Bundesmit-
tel des erfolglosen Deutschlandstipendiums umzuwid-
men; denn diese Mittel wären in BAföG und in Stipen-
dien für Flüchtlinge viel, viel besser investiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich sage Ihnen auch, warum. Das Deutschlandstipen-
dium trägt nichts dazu bei, dass unser Bildungssystem
durchlässiger wird. Kein Jugendlicher lässt sich dadurch
zu einem Studium motivieren; denn nahezu alle Geför-
derten studieren bereits länger als ein Semester. Eine si-
chere Studienfinanzierung wie durch das BAföG mit sei-
nem klaren Rechtsanspruch motiviert zum Studieren.
Eine unsichere Stipendienlotterie tut das jedenfalls nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir Grüne wollen, dass sich die Vielfalt der Gesell-
schaft auf dem Campus widerspiegelt und dass sich un-
sere Hochschulen sozial öffnen.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Wir auch! Diese Philosophie gibt es auch!)


Dazu hat das Deutschlandstipendium aber ganz klar
nichts beigetragen. Auch deswegen brauchen wir es
nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abschaffen!)


Es gibt nicht nur wahnsinnig wenige Deutschlandsti-
pendien. Sie verteilen sich auch extrem ungleich auf die
Studienfächer. Mehr als die Hälfte ging an angehende
Ingenieure, Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker.
Geisteswissenschaftler dagegen gingen fast leer aus. Für
Historiker standen bundesweit putzige 169 Deutschland-
stipendien bereit. Eine solch einseitige Förderpraxis ist
weder chancengerecht noch leistungsgerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Kritikwürdig sind auch die horrenden Verwaltungs-
kosten. 2013 ist jeder fünfte Stipendien-Euro für Büro-
kratie draufgegangen. Die überbordende Bürokratie kri-
tisiert auch der Bundesrechnungshof glasklar. Er
verlangt, die Durchführungskosten des Deutschlandsti-
pendiums auf 10 Prozent zu reduzieren. Dem darf sich
die Koalition doch nicht länger verweigern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE])


Die Steuergelder für das Deutschlandstipendium soll-
ten auslaufen, weil es vor allem ein absoluter Ladenhüter
ist. Von 2,7 Millionen Studierenden erhalten nicht ein-
mal 0,8 Prozent ein Deutschlandstipendium. Dabei hatte
gerade die Union damals 8 Prozent als Ziel ausgegeben.
Da ist Ihnen nicht nur einfach ein Komma verrutscht.
Das ist vielmehr ein klarer Misserfolg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese unrealistischen Regierungsziele führen dazu,
dass Jahr für Jahr Abermillionen Euro durch das
Deutschlandstipendium blockiert, aber am Ende nicht
verbraucht werden. Das ist ein Unding; denn an anderer
Stelle fehlt das Geld doch eindeutig, zum Beispiel bei





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)

Stipendien an Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebie-
ten. Flüchtlinge brauchen hierzulande endlich einen
schnelleren Zugang zum BAföG; das haben wir Grüne
beantragt. Die Flüchtlinge brauchen aber auch dringend
mehr Stipendien. Allein 5 000 syrische Studierende ha-
ben sich im letzten Jahr beim DAAD um ein Stipendium
beworben. Dafür hat das Auswärtige Amt nur 200 Plätze
finanziert. Der Bedarf ist also weitaus höher als das An-
gebot. Bund und Länder müssen Stipendienprogramme
für Flüchtlinge dringend ausbauen. Das ist unbürokrati-
sche Hilfe. Das tut not, und das kommt an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dafür können Sie das Geld für das Deutschlandstipen-
dium gewinnbringend einsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für den einzelnen Geförderten ist das Deutschlandsti-
pendium eine gute Sache; das werden Sie sicherlich
gleich erklären.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine Förderung mindestens im selben Umfang, dafür
aber dauerhaft, ermöglichen die bewährten Begabtenför-
derungswerke. Wir brauchen also keine staatlich finan-
zierte Doppelstruktur bei der Stipendienvergabe. Im
Übrigen haben sich Wirtschaftsverbände im letzten Jahr-
zehnt immer wieder dazu bereit erklärt, eine Stipendien-
kultur in Deutschland zu initiieren. Da kann ich nur sa-
gen: Nur zu! Bieten Sie doch Stipendien an! Dazu bedarf
es keiner Extrasteuergelder, sondern nur der Eigeninitia-
tive der Wirtschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In die soziale Öffnung der Hochschulen zu investie-
ren, das ist richtig gut angelegtes Geld. Daher war es gut,
dass wir Grünen in den Ländern mit wechselnden Part-
nern die unsozialen Studiengebühren abgeschafft haben.
Um mehr Studierenden der ersten Generation tatsächlich
den Weg auf den Campus zu ebnen, ist eine sichere Stu-
dienfinanzierung das A und O. Aber das BAföG ist seit
fünf Jahren nicht erhöht worden. Die Koalition stellt
Studierende bis ins Wintersemester 2016/2017 in die
Warteschleife.

Wir Grünen sagen: Das BAföG muss rauf, und zwar
sofort! Fördersätze und Freibeträge müssen unverzüg-
lich um 10 Prozent steigen! Und: Geben Sie endlich Ih-
ren Widerstand auf, die BAföG-Sätze regelmäßig anzu-
passen! Das muss jetzt kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Anliegen sind eine verlässliche Studienfinan-
zierung und eine effektive Stipendienvergabe. Wech-
selnde CDU-Bildungsministerinnen haben eine Stipen-
diensuppe angerührt, die keiner auslöffeln will. Sie von
der SPD können ja seit zwei Jahren die Speisekarte mit-
bestimmen. Dann machen Sie das auch!


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja, 2 Prozent!)


Nehmen Sie Ihren Koalitionspartner an die Hand, und
schaffen Sie mit uns Grünen und den Linken dieses un-
sinnige, ungerechte Pinkwart-Schavan-Gedächtnissti-
pendium ab, und stärken Sie mit uns die Studienfinan-
zierung für alle! Das wäre ein starker Beitrag zu
Chancengerechtigkeit für alle in unserem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er recht!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810614700

Vielen Dank, Herr Kollege Gehring, auch dafür, dass

die Redezeit vorbildlich eingehalten worden ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das erste Mal seit Monaten!)


Ich weiß nicht, ob er ein Stipendium hatte, aber gelernt
hat er es.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann gern noch etwas ergänzen!)


Nächste Rednerin in der Debatte: Sybille Benning für
die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sybille Benning (CDU):
Rede ID: ID1810614800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren auch auf der Tribüne! Aber ganz be-
sonders: Meine lieben Kollegen von der Grünenfraktion!


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke schön!)


Was soll dieser Antrag eigentlich? Sie wollen das
Deutschlandstipendium abschaffen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, ja!)


Ist das Ihre Botschaft an etwa 22 000 Stipendiaten? Für
sie gibt es kein Stipendium mehr? Ist das Ihre Botschaft
an die vielen Förderer, die allein im letzten Jahr 24 Mil-
lionen Euro für das Stipendium gegeben haben: „Euer
Geld brauchen wir nicht mehr, wir wirtschaften wieder
ohne euch“?


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Geld muss besser und richtig investiert werden!)


Das kann doch wohl nicht wahr sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist offenkundig, dass das Deutschlandstipendium
ein Erfolg ist. Dass es Kraft kostet, auch in Form von
Verwaltungskosten, ein neues, so nie dagewesenes Pro-
gramm anzuschieben, das ist doch wohl klar.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wasserköpfe!)


Es ist wie mit neuen Schuhen: Zuerst drücken sie ein
bisschen, und dann müssen sie eingelaufen werden, da-
mit man mit ihnen einen langen Weg laufen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wie viele Jahre Sybille Benning darf es denn drücken? – Zuruf von der CDU/ CSU: Nachhaltig!)





(A)


(D)(B)


– Das ist auch nachhaltig.

Jetzt haben die Hochschulen die Strukturen aufge-
baut, jetzt läuft es, und jetzt kommen Sie und sagen:
„Alles umsonst, zurück auf null“?

Wissen Sie eigentlich, dass der Bund mit dem
Deutschlandstipendium jetzt etwa doppelt so viele Stu-
dierende fördern kann wie vorher über die Begabtensti-
pendien? Dadurch, dass private Förderer wie Unterneh-
men, Stiftungen oder auch Privatpersonen die eine
Hälfte der Stipendien tragen, hat sich in der Tat eine
ganz neue Stipendienkultur in Deutschland etabliert,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 0,76 Prozent! – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: 0,76 Prozent – das ist wirklich eine neue Stipendienkultur!)


eine privat-öffentliche Bildungspartnerschaft, etwas
ganz Neues. Gewöhnen Sie sich einmal daran!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist sozusagen eine Stipendienkulturrevolution.


(Lachen des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 0,76 Prozent!)


So ist es. Sie können ja mitmachen.

So vielfältig wie heute war die Geberseite noch nie.
Die Möglichkeit, mit überschaubaren Beiträgen ein
überschaubares Engagement zu leisten, lockt auch viele
Privatpersonen. Einige Universitäten bieten zum Bei-
spiel auch Crowdfunding an, bei dem mehrere Spender
mit kleinen Beiträgen


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, jeder 10 Euro!)


einen Stipendiaten finanzieren. So werden Menschen er-
reicht, die zuvor kaum Kontakt oder gar keinen Kontakt
zur örtlichen Hochschule hatten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade diese Förderer sind oft besonders begeistert
von diesen engagierten Menschen, die sie sonst nie ge-
troffen hätten. Und so wird auch die Hochschule ein
deutlich lebendigerer Teil der Zivilgesellschaft.

Bei den Veranstaltungen zum Deutschlandstipen-
dium, zum Beispiel bei den Vergabefeiern, entstehen
jetzt neue Kontakte zwischen Studierenden, Universitä-
ten und Spendern,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dafür brauchen die doch keine Bundesregierung! Das können die alles selber machen!)


von denen alle Seiten profitieren. Hier heißt mitmachen:
gemeinsam gewinnen – ganz nach dem Motto des
Deutschlandstipendiums „Voneinander lernen, miteinan-
der fördern“.
Viele Unternehmen bieten ihren Stipendiaten zusätz-
lich zu den finanziellen Mitteln Einblicke in ihre Be-
triebe. Es entwickeln sich Netzwerke, die in die Region
und darüber hinaus auch global wirken. Studierende ver-
schiedener Fächer finden über Projektarbeit zueinander,
und durch Verknüpfungen zwischen Wissenschaft und
Wirtschaft sowie Privatleuten bilden sich völlig neue
Synergieeffekte.

Aber wer bekommt eigentlich ein Deutschlandstipen-
dium? Jemand, der überdurchschnittliche Leistungen er-
bringt, und zwar nicht nur in seinem Studienfach.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Geisteswissenschaftler offensichtlich nicht!)


Die Stipendiaten sind ehrenamtlich engagiert oder in
vielen Fällen der erste Studierende in der Familie oder
familiär stark eingebunden oder erst kürzlich nach
Deutschland gekommen, mussten dazu möglicherweise
sogar Hindernisse überwinden und die deutsche Sprache
lernen. Das sind alles Leistungen, die nicht mit Noten zu
bewerten sind.

Diese Leistungen einmal anzuerkennen, ist auch eine
Frage der Gerechtigkeit. Hier werden nämlich Menschen
mit Talenten erkannt, die noch andere Kompetenzen ha-
ben, die ebenso elementar wichtig sind wie fachspezifi-
sche Begabung.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das stimmt doch einfach nicht! Das ist Augenwischerei!)


Unser Land, wir brauchen Menschen mit Persönlichkeit
und einem Sinn für das, was unsere Gesellschaft voran-
bringt.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Deutschlandstipendium zu tun?)


Gerade die Anerkennung durch das Stipendium – so
haben mir viele erzählt – stärkt ihr Selbstbewusstsein
und ihre Motivation, diese hohe Leistung weiterhin zu
bringen. Auch wenn 300 Euro niemanden voll finanzie-
ren, so machen sie doch oft den entscheidenden Unter-
schied aus, ob ein Nebenjob nötig ist, ein Auslandsse-
mester drin ist oder die Belegung von Kursen über den
normalen Lehrplan hinaus möglich ist. All das wollen
Sie den Deutschlandstipendiaten, den Förderern und den
Hochschulen wieder nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Westfälische
Wilhelms-Universität in meinem Wahlkreis Münster
verzeichnet in diesem Jahr mit 223 Stipendiaten, die von
84 Förderern unterstützt werden, einen neuen aktuellen
Rekord. Hier erfolgt die verantwortungsbewusste Aus-
wahl der Stipendiaten zentral unter Beteiligung aller
Fachbereiche. Für die Uni Münster ist dieses Verfahren
ein Stück gelebte demokratische Kultur.


(Beifall bei der CDU/CSU)


(C)






Sybille Benning


(A) (C)



(D)(B)

Gerne weise ich darauf hin, dass die erste Initiative
für ein paritätisch gefördertes universitäres Stipendium
aus Nordrhein-Westfalen kam.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, von Herrn Pinkwart! Pinkwart und Schavan Hand in Hand!)


Weil das NRW-Stipendium so ein großer Erfolg war,
wurde es vom Bund übernommen. Mittlerweile – das
wissen Sie auch – beteiligen sich drei Viertel aller Hoch-
schulen an diesem Programm. Rund 90 Prozent aller
Studierenden können sich an ihrer Hochschule um ein
Stipendium bewerben.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Weil Druck ausgeübt wurde, sich zu beteiligen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 0,76 Prozent kriegen eines!)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
nen, die Evaluation zum Deutschlandstipendium läuft;
das wissen Sie. Das Stipendium ist jetzt gerade einmal
im fünften Jahr.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon!)


Eine Evaluation zu einem früheren Zeitpunkt hätte doch
wenig Sinn gemacht.

Aber jetzt komme ich gerne zu Ihrem Antrag. Das Sti-
pendium sei bürokratisch? Die Verwendung öffentlicher
Mittel verlangt Transparenz, und dazu gehört eben auch
ein wenig Bürokratie.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wie beim Mindestlohn! Da braucht man auch Bürokratie! – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Uni Münster macht hier übrigens die Erfahrung ei-
ner sehr konstruktiven Zusammenarbeit – hören Sie
doch einfach einmal zu! – mit dem zuständigen Landes-
ministerium in Düsseldorf. Frau Ministerin Löhrmann
ist, wie Sie wissen, bei den Grünen. Vielleicht könnten
Sie sich einmal intern austauschen, was das Deutsch-
landstipendium Gutes mit sich bringt.

Ist das Stipendium ungerecht – wenn sich alle bewer-
ben können, gleich welcher Herkunft, gleich welchen
Einkommens und gleich welchen Studienfaches? Die
Zahl der BAföG-Empfänger ist unter den Deutschland-
stipendiaten übrigens etwa genauso hoch wie im allge-
meinen Durchschnitt aller Studierenden.

Ich komme zu dem Punkt, dass Sie sagen, das Stipen-
dium bringe keine Motivation für ein Studium. Also, die
Motivation für ein Studium muss der Student doch erst
einmal selbst mitbringen.


(Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das Deutschlandstipendium ist darauf ausgerichtet,
junge Menschen, die sich bereits für ein Studium ent-
schieden haben, zu unterstützen. Und hier erweist sich
das Deutschlandstipendium, anders als Sie es sagen, als
äußerst tauglich.
Sie fordern, die für das Deutschlandstipendium ver-
wendeten Gelder zusätzlich in die BAföG-Mittel zu ste-
cken. Das ist aber meiner Ansicht nach Gießkannenprin-
zip mit dem monokausalen Auswahlprinzip der
Einkommensgrenzen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte?)


Das Deutschlandstipendium berücksichtigt verschiedene
Kriterien bei der Vergabe und belebt dadurch auch die
Diversität der Stipendiaten.

Sie fordern – das haben Sie eben auch in Ihrer Rede
gemacht –, die Mittel für geflüchtete Studierende aus
Kriegs- und Krisengebieten zu verwenden


(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


und dabei die soziale Situation der Flüchtlinge zu be-
rücksichtigen. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ge-
nau diese – im Hinblick auf ein Studium biografischen –
Hürden bei der Auswahl zum Deutschlandstipendium
insbesondere Berücksichtigung finden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie mir nicht zugehört!)


Liebe Zuhörer, vor zwei Tagen war hier in Berlin die
Jahrestagung zum Deutschlandstipendium. Ich habe nie-
manden von Ihnen da gesehen. Wie schade.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: PR-Regierungsveranstaltungen muss ich nicht besuchen!)


Sie hätten Dinge erfahren können, die Sie vielleicht gar
nicht erfahren wollen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollten es nicht schmücken mit unserer Anwesenheit!)


Sie hätten zum Beispiel erfahren können, dass die Hoch-
schulen über diese neue Aufgabe auch einen neuen Blick
auf die vielen Menschen gewinnen, die mit all ihren Fa-
cetten zu ihnen kommen, und dass sich die Hochschulen
bei der Auswahl der Stipendiaten nicht reinreden lassen
– das haben sie mehrfach gesagt –, auch nicht von den
Förderern.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es Gegenbeispiele!)


Und den Stipendiaten respektive den Wissenschaftlern
liegt das auch fern.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel Stipendien auf Bestellung!)


Mehrfach habe ich den Satz gehört: Wissenschaftler ti-
cken gar nicht so. – Ich habe zum Beispiel auch erlebt,
dass Stipendiaten eigene Projekte entwickeln, um, wie
sie sagen, etwas zurückzugeben. Sie wollen nicht nur
Empfänger des Geldes sein, sondern dafür etwas tun.
Der Stifterverband hatte dazu einen Wettbewerb ausge-
lobt unter dem Motto: Macht was draus! Und das haben
sie alle gemacht. Die Sieger wurden ausgezeichnet. Zum





Sybille Benning


(A) (C)



(D)(B)

Beispiel dafür, dass sie in Brennpunktschulen gehen und
Schülern die Schwellenangst vor der Uni nehmen; dass
sie für Menschen in Ruanda dafür sorgen, dass im Kran-
kenhaus nicht nur Medikamente, sondern auch Essen
verteilt wird, und dass Flüchtlingskinder dabei unter-
stützt werden, Musik- und Sportangebote wahrzuneh-
men.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810614900

Frau Benning, denken Sie an die Redezeit.


Sybille Benning (CDU):
Rede ID: ID1810615000

Das ist ehrenamtliches Engagement, das wir alle nicht

hoch genug schätzen können. Unsere Gesellschaft
braucht nicht noch mehr Selbstoptimierer, sondern Men-
schen, die über den Tellerrand schauen und sich für an-
dere einsetzen, hier und anderswo. Genau solche Men-
schen erreicht das Deutschlandstipendium. Was Sie als
Ladenhüter bezeichnen, ist unter Studierenden höchst
begehrt.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Weil das BAföG ausgedünnt worden ist!)


Es gibt weit mehr Bewerber als Stipendien, weswegen
die Quote noch deutlich steigerungsfähig ist. Was wir
jetzt brauchen, sind mehr Stipendiengeber aus Wirt-
schaft und Gesellschaft.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Mittel aus dem Bundeshaushalt fließen doch gar nicht ab!)


Und die brauchen vor allem die Sicherheit, dass ihr Ein-
satz auch in Zukunft gefragt ist. „Perspektive für alle“ ist
hier das Stichwort.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht das Deutschlandstipendium! Erhöhen Sie endlich die BAföG-Mittel!)


Deshalb ist Ihr Antrag in jeder Hinsicht kontraproduktiv.
Aber er hat uns diese Debatte beschert.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810615100

Frau Kollegin.


Sybille Benning (CDU):
Rede ID: ID1810615200

Vielleicht, nein, hoffentlich trägt sie dazu bei, dass

das Stipendium deutlich bekannter wird und mehr poten-
zielle Förderer überzeugt werden,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das unsere Aufgabe, oder was?)


bei dieser Chance für alle – eine echte Win-win-Mög-
lichkeit – mitzumachen. Dann hätte sich die Mühe ge-
lohnt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Murks fördern wir nicht! Murks wollen wir nicht! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür braucht es keine Bundesmittel!)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810615300

Danke, Frau Kollegin Benning. – Nächste Rednerin:

Nicole Gohlke für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810615400

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Vor fünf

Jahren wurde das Deutschlandstipendium von der dama-
ligen schwarz-gelben Bundesregierung aus der Taufe
gehoben. Es hieß, man wolle die Studienfinanzierung
endlich zukunftstauglich machen und die 10 Prozent
leistungsstärksten Studierenden zusätzlich und einkom-
mensunabhängig mit 300 Euro monatlich fördern.
150 Euro sollte ein privater Stipendiengeber oder ein
Unternehmen geben, 150 Euro sollte der Bund dazule-
gen.

Kolleginnen und Kollegen, ich finde es wichtig, sich
noch einmal in Erinnerung zu rufen, worum es 2010
ging. Es ging um nichts Geringeres als darum, dass die
FDP im Schlepptau mit der Union den Einstieg in eine
andere Form der Studienfinanzierung durchdrücken
wollte,


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da hat sie recht!)


und zwar in eine – um es ganz klar zu sagen – Elitenför-
derung auf Kosten der Breite. Und deswegen hat die
Linke dazu von Anfang an Nein gesagt.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir auch! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Grünen auch!)


– Und die Grünen auch.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Und die SPD auch!)


– Und die SPD auch. Darauf kommen wir gleich noch
einmal zu sprechen.

Fünf Jahre später müssen wir feststellen: Die ganzen
Pläne von damals erweisen sich als kolossaler Reinfall.
Im Grunde ist das alles grandios gescheitert, die FDP
übrigens gleich als ganze Partei, die für ihre elitäre Poli-
tik abgestraft wurde,


(Beifall bei der LINKEN)


und das Deutschlandstipendium gleich mit ihr; denn je-
des Jahr stellen wir fest, dass es weit hinter den Erwar-
tungen zurückbleibt und eine völlige Fehlkonstruktion
ist. Gerade einmal 0,8 Prozent der Studierenden – um
genau zu sein: 0,76 Prozent – wurden im Jahr 2013 da-
mit gefördert. Die Hochschulen finden kaum Stipendien-
geber und müssen mühsam und mit massivem bürokrati-
schem Aufwand Bittbriefe an Unternehmen in der
Region verschicken. Der Bundesrechnungshof kritisiert
das Deutschlandstipendium regelmäßig für die ausufern-
den Verwaltungskosten und für die Verschwendung von
Steuergeldern. Da fragt man sich: Warum hält die jetzige





Nicole Gohlke


(A) (C)



(D)(B)

Regierung, an der auch die SPD beteiligt ist, an diesem
Projekt fest?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir auf eine Sache gut verzichten können, dann ist
es doch wohl noch mehr Elitenförderung in der Bildung!
Denn hinter dem Deutschlandstipendium, das von
Schwarz-Gelb seinerzeit als „zukunftstauglich“ etiket-
tiert wurde, verbirgt sich doch in Wahrheit ein völlig an-
tiquiertes Politik- und Bildungsverständnis. Dahinter
steht die Idee, dass reiche Gönner und Mäzene wenigen
von ihnen auserkorenen Begünstigten Unterstützung auf
ihrem Bildungsweg zukommen lassen. Kolleginnen und
Kollegen, das ist das Gegenteil von Chancengleichheit.
Das ist das Gegenteil von Rechtsanspruch auf Bildung.
Deswegen gehört dieser Blödsinn abgeschafft!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/ CSU]: Lassen Sie doch beide nebeneinander zu! Wo ist denn das Problem, Frau Kollegin?)


Es gibt noch einen weiteren Aspekt. Um überhaupt
Geldgeber zu finden, werden den Stiftern immer wieder
erhebliche Mitspracherechte bei der Auswahl der Stipen-
diatinnen und Stipendiaten zugestanden. Das erklärt
auch, warum die meisten Geförderten in MINT-Fächern,
in den Ingenieurs- und Naturwissenschaften, oder in der
BWL zu finden sind.


(Sybille Benning [CDU/CSU]: Quatsch!)


Von einer gleichen Behandlung der Studierenden und
davon, dass nur Leistung und Engagement zählen, kann
offensichtlich nicht die Rede sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Laufzeit einer Förderperiode beim Deutschland-
stipendium beträgt nur ein Jahr; das heißt: Nach einem
Jahr wird geprüft, ob die Stipendiatinnen und Stipendia-
ten immer noch „leistungsstark“ und „förderungswür-
dig“ genug sind. Der Stipendiengeber entscheidet erneut,
ob die Förderung überhaupt aufrechterhalten werden
soll. Für die Studierenden bedeutet das Unsicherheit und
Abhängigkeit statt Planungssicherheit. Dann haben die
Stipendiengeber und Unternehmen auch noch die Mög-
lichkeit, ihren Anteil von 150 Euro steuerlich abzuset-
zen, geben also de facto nur 100 Euro.

Ich finde es, ehrlich gesagt, unerträglich, trotz der ge-
nannten Rahmenbedingungen ständig die großartige
Spendenbereitschaft der Stifter zu loben, wie das vor al-
lem die Union tut. Wenn Sie Unternehmen und Reiche
an der Finanzierung von Bildung beteiligen wollen, dann
erhöhen Sie doch einfach den Spitzensteuersatz.


(Beifall bei der LINKEN)


Besteuern Sie große Vermögen, statt aus dem Rechtsan-
spruch auf Bildung in Wahrheit eine Charity-Veranstal-
tung zu machen.


(Zuruf von der LINKEN: Genau!)

Halten wir also fest: Das Deutschlandstipendium ist
weder bedarfsdeckend noch planungssicher für die Stu-
dierenden. Für die Hochschulen ist es teuer und ein un-
verhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand. Der Staat
verpulvert Steuergelder. Von der Förderquote her ist das
Deutschlandstipendium weit davon entfernt, einen sub-
stanziellen Beitrag zur Studienfinanzierung in der Bun-
desrepublik zu leisten.

Kolleginnen und Kollegen von der Regierung, ich
kann mir nicht vorstellen, dass Sie noch Argumente ha-
ben, die diese traurige Bilanz wettmachen könnten.
Trennen Sie sich von Ihrem misslungenen Eliteprojekt!
Machen Sie den Weg frei für sinnvolle Projekte und für
eine echte und substanzielle BAföG-Reform, die wir seit
Jahren anmahnen!

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810615500

Vielen Dank, Frau Kollegin Gohlke. – Nächste Red-

nerin in der Debatte: Marianne Schieder für die SPD-
Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Marianne, du warst doch auch dagegen!)



Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1810615600

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Ja, es ist so: Das Deutschlandstipendium war
und ist kein Lieblingsprojekt der SPD-Bundestagsfrak-
tion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja auch Murks!)


Von Anfang an standen wir diesem neuen Förderinstru-
ment absolut kritisch gegenüber. Wir haben unsere Ar-
gumente in die parlamentarischen Beratungen einge-
bracht. Wir haben uns dafür ausgesprochen, die hierfür
eingeplanten Mittel lieber dem BAföG zuzuschreiben;
das leugnen wir ja gar nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Ihr habt euch nicht durchsetzen können! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tun Sie es doch!)


Wenn ich Bilanz ziehe, stelle ich fest: Unsere Beden-
ken sind keineswegs ausgeräumt. Im Gegenteil: Sie ha-
ben sich leider vielfach bestätigt. Denn es ist wahr: Der
Erfolg bleibt weit hinter den Erwartungen zurück.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abschaffen!)


Von 2010 bis 2012 wurden 56,7 Millionen Euro für
das Deutschlandstipendium eingeplant, aber nur
25,3 Millionen Euro wurden abgerufen, also nicht ein-
mal die Hälfte der Mittel. In den Jahren 2013 und 2014





Marianne Schieder


(A) (C)



(D)(B)

wurde wiederum nur gut die Hälfte der Mittel abgerufen.
Für 2015 sind 47,4 Millionen Euro eingestellt, aber mit
Stand vom 10. Mai dieses Jahres waren erst 11,8 Millio-
nen Euro davon verplant.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke, dass du das Scheitern noch einmal darstellst!)


Zur Erinnerung: Das ursprüngliche Ziel von Schwarz-
Gelb war, im Jahr 2011 0,45 Prozent der Studierenden zu
erreichen und 2012 1 Prozent der Studierenden. 2011
waren es aber nur 0,25 Prozent und 2012 0,6 Prozent.
2013 stieg der Anteil immerhin auf 0,75 Prozent.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz viele Nullen! Lauter Nullen!)


Zurzeit, so sagt man uns, liegt der Anteil bei ungefähr
1 Prozent.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie die schwarze Null!)


In absoluten Zahlen sind dies etwa 20 000 Studierende
von rund 2,7 Millionen. Da kann man sich wirklich fra-
gen: Für so wenige? Ich sage: All diejenigen, die Kritik
üben, haben recht.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen: abschaffen!)


war es, lieber Herr Kollege Gehring, doch auch folge-
richtig – zuhören ist auch gut –, dass wir im Koalitions-
vertrag die ursprüngliche Zielmarke von 8 Prozent auf
2 Prozent korrigiert haben.


(Beifall bei der SPD)


Natürlich sagen auch wir: Der Durchführungsauf-
wand ist zu hoch.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fälschen wir am besten mal die Statistik!)


Man sagt uns aus dem Ministerium, 2014 sei er immer-
hin auf 20 Prozent reduziert worden. Aber das ist immer
noch zu viel, weil man normalerweise von 5 Prozent
Durchführungsaufwand ausgehen kann. Zu Recht kriti-
siert dies natürlich auch der Bundesrechnungshof.

Auch unsere Befürchtungen, dass es in struktur-
schwachen Regionen schwieriger sein dürfte, die nöti-
gen Mittel einzuwerben, haben sich bestätigt. Ich sage
einmal die Zahlen aus Bayern: Von all den in Bayern
vergebenen Stipendien konzentrieren sich 44,6 Prozent
auf drei Universitäten, nämlich auf die LMU München,
auf die TU München und auf die Universität Erlangen-
Nürnberg.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die kümmern sich!)

An diesen Universitäten studieren aber nur 36,7 Prozent
der Studentinnen und Studenten.

Es ist auch richtig, was der Kollege Gehring ange-
sprochen hat: Es gibt eine total einseitige Konzentration
auf die MINT-Fächer. Man lässt ein bisschen noch mit-
laufen die Rechts- und Betriebswissenschaften; aber die
Geisteswissenschaften bleiben weit zurück. Also, das
gefällt uns nicht.


(Beifall des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE] – Zuruf von der CDU/CSU: Bist du jetzt dafür oder dagegen?)


Aber in den Koalitionsverhandlungen war es halt so,
dass wir vereinbart haben, beim Deutschlandstipendium
zu bleiben und zu schauen, ob wir auf dem Weg, den wir
mit dem Deutschlandstipendium beschritten haben, nicht
die dringend erforderlichen Verbesserungen erreichen
können. Ich glaube nicht, dass es großen Sinn macht,
wie Sie von Bündnis 90/Die Grünen es fordern, jetzt
mittendrin einfach umzukehren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange wollen Sie denn noch warten?)


Sie müssen, wenn Sie über Studienförderung und Stu-
dienfinanzierung sprechen, auch anerkennen, dass wir in
der Großen Koalition nicht nur vereinbart haben, dass
Hochschulen bis zu 2 Prozent ihrer Studierenden mit ei-
nem Deutschlandstipendium fördern können, sondern
auch, dass wir eine erhebliche, wirklich merkliche Ver-
besserung im Bereich des BAföGs auf den Weg bringen.


(Beifall bei der SPD)


Die Freibeträge und die Bedarfssätze werden ange-
hoben, der Wohnungszuschlag, die Kinderbetreuungs-
zuschläge, die Hinzuverdienstgrenze, der Förderungs-
höchstsatz steigen, die Förderungslücke zwischen
Bachelor- und Masterstudium wurde geschlossen, und
die Antragstellung ist verbessert worden. Also: Sie
können versichert sein, dass für uns Sozialdemokratin-
nen und Sozialdemokraten das BAföG ein Erfolgs-
modell ist und bleibt und dass das BAföG auch das
Kernstück sozialdemokratischer Bildungspolitik bleiben
wird,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


weil auch wir natürlich erkennen, dass das BAföG einen
Rechtsanspruch schafft


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann erhöhen Sie es doch endlich!)


und eine verlässliche, berechenbare Angelegenheit ist
für junge Menschen, die aus sozial schwächeren und
bildungsferneren Elternhäusern kommen. Denn für uns
Sozialdemokraten steht nach wie vor fest, dass Bildung
nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein darf,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und wir erkennen doch alle miteinander, dass wir von
diesem Ziel noch weit, weit entfernt sind, dass diese Ab-
hängigkeit vom Geldbeutel der Eltern im gesamten Bil-





Marianne Schieder


(A) (C)



(D)(B)

dungssystem und auch an den Universitäten natürlich
nach wie vor zu erkennen ist.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut ja weh! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: BAföG-Erhöhung vorziehen statt PR-Veranstaltung!)


Aber zurück zum Deutschlandstipendium. Mir fällt da
nur Konfuzius ein, der einmal gesagt hat: Der Weg ist
das Ziel. – Ich räume ein: Es ist ein steiniger Weg, den
wir da gehen müssen, um auch beim Deutschlandstipen-
dium die nötigen Verbesserungen noch zu erreichen,
diesen Weg begehbarer zu machen. Aber ich hoffe, wir
schaffen es und kommen dann doch zu einem guten Ziel.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Anette Hübinger [CDU/CSU])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810615700

Für die Unionsfraktion spricht jetzt die Kollegin

Cemile Giousouf.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Cemile Giousouf (CDU):
Rede ID: ID1810615800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Nicht das Deutschlandstipendium ist der La-
denhüter, sondern Ihre immer gleiche, öde Forderung,
dieses Stipendium abzuschaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mein freundschaftlicher Appell an Sie lautet deshalb:
Lassen Sie sich mal was Neues einfallen,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fangen Sie mal an mit was Neuem!)


erweitern Sie Ihr Sortiment, und schmeißen Sie den alten
Antragsramsch einfach raus. Geben Sie sich doch ein-
fach mal einen Ruck.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch die Flüchtlingsstipendien, die wir vorschlagen!)


Vor allem aber: Sprechen Sie mit den Studenten, reden
Sie mit den Stipendiatinnen und Stipendiaten. Fast
20 000 Deutschlandstipendien


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wie viel? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben noch nicht mit allen 20 000 einzeln gesprochen!)


wurden im Jahr 2013 vergeben; gegenüber dem Vorjahr
ist das ein Plus von 42 Prozent. Da müssen Sie noch
nicht einmal Stipendiat sein, um zu erkennen, dass das
ein enormer Anstieg ist, Herr Gehring.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bundesweit beteiligen sich etwa drei Viertel aller
Hochschulen an dem Programm. Allein an privaten För-
dermitteln sind 2013 weitere 21 Millionen Euro für das
Deutschlandstipendium hinzugekommen. Das heißt, hier
haben sich Menschen freiwillig bereit erklärt, aus ihren
privaten Mitteln Geld in die Hand zu nehmen, um junge
Studierende zu unterstützen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Davon hält sie doch niemand ab!)


Diese Zahlen zeigen deutlich: Das Deutschlandsti-
pendium ist in Wahrheit ein Bestseller.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Reinfall erster Güte!)


Es gehört heute genauso an die Universitäten und Fach-
hochschulen wie ihre vegetarischen Gerichte in der
Mensa oder die Subventionierung von Projekten durch
den AStA.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie jetzt auch für den Veggie-Day?)


Sehen Sie, ich versuche sogar, einen Schritt auf Sie
zuzugehen, indem ich Ihren Lebensweltbezug herstelle.
Aber Sie protestieren, und genau deshalb wäre die Be-
gabtenförderung bei Ihnen schlecht aufgehoben, weil bei
Ihnen die Politik nicht mit der Betrachtung der Realität
beginnt, sondern weil bei Ihnen nur Ihre eigene Klientel
bedient wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt die Richtige!)


Ich will jetzt zu Ihrem Antrag Stellung nehmen. Sie
fordern darin die Bundesregierung auf, die Bundesmittel
aus dem Deutschlandstipendium zu nutzen, um das
BAföG zu finanzieren. Liebe Grüne, noch einmal zum
Mitschreiben: Die Bundesregierung hat in einem großen
Kraftakt die gesamten Kosten für das BAföG ab diesem
Jahr übernommen. Sie waren doch gestern auch bei dem
Fachgespräch dabei, bei dem nochmals das offensichtli-
che Versagen einiger Bundesländer deutlich wurde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Allein Nordrhein-Westfalen spart durch die Kostenüber-
nahme jedes Jahr knapp 280 Millionen Euro.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Wir warten noch heute auf eine sinnvolle Antwort auf
die Anfrage unseres AG-Vorsitzenden Albert Rupprecht,
was NRW mit den Geldern denn machen will.


(Oliver Kaczmarek [SPD]: Darauf gibt es auch keine Antwort! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wieso darf Herr Rupprecht eigentlich nicht reden?)


Sorgen Sie als Koalitionspartner in Düsseldorf doch da-
für, dass diese Gelder in den Hochschulbereich investiert
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Cemile Giousouf


(A) (C)



(D)(B)

Bei Rot-Grün versickern die Millionen im Schuldenloch.
Da können Sie doch aktiv werden.

Nun weiter zu Ihrem Antrag. Sie schreiben, Ihnen
fehlten verlässliche Zahlen zur sozialen Herkunft der
Stipendiaten. Alle Experten sagen: Das Deutschlandsti-
pendium ist von allen Stipendien das mit der größten so-
zialen Streuung.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt das?)


Bei der Bewertung spielen nicht nur die Leistung, son-
dern auch die persönlichen und familiären Lebens-
umstände eine entscheidende Rolle. Hierzu zählen etwa
Krankheiten, Behinderungen, die Betreuung eigener
Kinder oder pflegebedürftiger Angehöriger und eben ein
sogenannter Migrationshintergrund.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso können das BAföGund Begabtenförderwerke nicht besser?)


Außerdem haben Studierende, die sich gesellschaftlich
engagieren, gute Chancen, ein Stipendium zu erlangen.
Die Studierenden machen übrigens großartige Projekte
für Flüchtlinge. Schauen Sie sich das einmal an. Das
wird Ihnen sicher sehr gefallen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt auch ganz viele, die das ohne Deutschlandstipendium machen!)


Am Dienstag fand die Jahresveranstaltung zum
Deutschlandstipendium statt. Dort hat die Präsidentin
der Goethe-Universität, Frau Professorin Wolff, gesagt,
dass an ihrer Hochschule 40 Prozent der Stipendiaten
keinen akademischen Hintergrund haben, also soge-
nannte Erstakademiker sind, und dass 25 Prozent aus
Migrantenfamilien stammen. Der Anteil der BAföG-
Empfänger unter den Stipendiaten beträgt ein Viertel,
und das Stipendium wird eben nicht auf das BAföG an-
gerechnet. So viel zum Thema „soziale Durchlässig-
keit“.

Vor allem aber wird das Deutschlandstipendium auch
an den Fachhochschulen angeboten, die in der Begabten-
förderung bisher unterrepräsentiert sind. An Fachhoch-
schulen studieren nämlich viele junge Leute aus nicht-
akademischen Elternhäusern. Daher ist der Antrag der
Grünen auch ein Stück unsoziale Klientelpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gehen Sie doch einmal an die Universitäten und
Fachhochschulen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich häufiger als Sie!)


In Ihrem Wahlkreis, Herr Gehring – ich habe mir sogar
die Mühe gemacht, das herauszusuchen –, bekommen
489 Studierende ein Deutschlandstipendium. Deshalb
hat die Uni den Ruf einer Kümmer-Uni erworben.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch nicht wegen des Deutschlandstipendiums! Ja, wo leben Sie denn?)

Millionärssöhne und -töchter: Fehlanzeige! Das ist doch
eine gute Sache. Freuen Sie sich doch darüber. Oder
wollen Sie diesen jungen Menschen erzählen, dass sie
das Stipendium eigentlich nicht verdient haben?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine Stipendiatin aus meinem Wahlkreis ist Mutter
von drei Kindern. Sie hat zehn Jahre als Sozialpädagogin
gearbeitet und studiert jetzt an der Fernuniversität Hagen
Jura. Ich zitiere die dreifache Mutter:

Mich macht das Stipendium stolz. Es motiviert
mich. Es ist mir ein großes Bedürfnis, Ihrem Ver-
trauen gerecht zu werden. Es hilft mir über manche
Hindernisse. Es fordert mich auch heraus.

Wir von der CDU/CSU vertrauen dieser Leistungsträ-
gerin. Wir unterstützen ebendiesen Weg.

Sie monieren dann, es würden zu wenige Geisteswis-
senschaftler unterstützt, es gebe nur 169 Historiker unter
den Stipendiaten, dafür gebe es zu viele aus technischen
Berufen. Davon abgesehen, dass es bei den Begabtenför-
derwerken eben genau anders aussieht,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!)


braucht unser Land Physiker, Informatiker und Inge-
nieure. Der Strom kommt nicht aus der Steckdose, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Sorgen Sie
lieber dafür, dass der Geschichtsunterricht in den Län-
dern, in denen Sie regieren, überhaupt noch stattfindet,
Stichwort: „Unterrichtsausfall“, Stichwort: „linke Expe-
rimente“ bei den Lehrplänen. Da haben Sie doch wirk-
lich genug zu tun.


(Beifall bei der SPD)


Natürlich sind konkrete Projekte, die für die Wirt-
schaft interessant sind, vorwiegend in den MINT-
Fächern zu finden, und wir wollen auch, dass Universitä-
ten und die Wirtschaft noch enger kooperieren. Gerade
in strukturschwachen Regionen, wo die jungen Leute
scharenweise abwandern, kann die frühe Anbindung an
die Wirtschaft helfen, dass die Fachkräfte dort bleiben,
wo sie ausgebildet werden. Das bietet Perspektiven für
die Studenten, aber auch für die Regionen.

Der letzte Punkt in Ihrem Antrag hat mich richtig ge-
ärgert. Als Integrationsbeauftragte meiner Fraktion finde
ich es schon sehr kritikwürdig, dass Sie die Stipendien-
förderung für geflüchtete Studierende in Ihren Antrag
auch noch mit hineinpacken.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte?)


Ich sage Ihnen auch, warum: Wir sollten nicht auf so
vordergründige Weise über dieses Thema sprechen.
Dafür ist dieses Thema wirklich viel zu wichtig. In An-
trägen, die in Wahrheit Ladenhüter sind, hat es nichts
verloren.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir von der Union
kümmern uns seit 2005 darum, die Dinge besser zu ma-
chen. Wir danken den privaten Geldgebern, den Hoch-
schulen und natürlich dem Bildungsministerium für den





Cemile Giousouf


(A) (C)



(D)(B)

Einsatz, und wir beglückwünschen die Stipendiaten zu
ihren hervorragenden Leistungen. Eins sagen wir aber
auch deutlich: Nur die CDU/CSU ist Garant für das
Deutschlandstipendium.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810615900

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der

Kollege Martin Rabanus für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Martin Rabanus (SPD):
Rede ID: ID1810616000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

will mit zwei Vorbemerkungen einsteigen. Wir haben
jetzt viel über das Deutschlandstipendium gehört. Meine
Kollegin Schieder hat die kritische Position der sozialde-
mokratischen Bundestagsfraktion dazu deutlich ge-
macht; das brauche ich nicht zu wiederholen. Ich habe
mir auch notiert, dass ich eigentlich nichts über Kompro-
missfindungen in Koalitionsverhandlungen erzählen
muss. Nach dem Beitrag von Frau Gohlke kommt mir
das anders vor. Jetzt muss ich doch noch etwas zu der
Frage sagen, wie Koalitionsverhandlungen laufen und
wie Koalitionsverträge zustande kommen. Wenn es da-
ran liegt, dass die Linke so selten Koalitionsverhandlun-
gen führt, dann soll mir das auch recht sein. Denn jede
Koalition, an der die Linke nicht beteiligt ist, ist für mich
eine gute Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das war die erste Vorbemerkung.

Die zweite Vorbemerkung ist: Wir sollten nicht so
tun, als würde eine Abschaffung des Deutschlandstipen-
diums die Finanzierung des Hochschulwesens insgesamt
retten, lieber Kollege Gehring. Wir stellen völlig zu
Recht fest, dass das Deutschlandstipendium vielleicht
nicht ganz so viele PS auf die Straße gebracht hat, wie es
Schwarz-Gelb irgendwann einmal dachte,


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das kann man so sagen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Euphemistischer geht es gar nicht!)


und dass der Mittelabfluss, wie auch Kollegin Schieder
deutlich gemacht hat, ausgesprochen bescheiden ist.

Wir müssen allerdings auch feststellen, dass eine an-
derweitige Verwendung der bescheidenen Summe die
Hochschulfinanzierung in dieser Republik am Ende des
Tages nicht rettet –


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


genauso wenig, wie das Deutschlandstipendium die
Qualität des deutschen Hochschulsystems an sich sicher-
stellen kann. Da würde ich dazu raten, ein bisschen ab-
zurüsten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU])


Denn es ist doch zu deutlich, was der Antrag bringen
soll.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Stipendien für Flüchtlinge!)


Er kommt jetzt, in der Woche, in der die Jahrestagung
zum Deutschlandstipendium stattgefunden hat. Es ist
also der Versuch der Opposition, den Windschatten zu
nutzen und irgendwie in der Berichterstattung darüber
vorzukommen. Das ist ja legitim.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch gelungen!)


– Das mag auch gelungen sein; aber mehr ist es auch
nicht. –


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die SPD mal wieder eingeknickt ist!)


Dennoch finde ich das Vorgehen der Opposition eigent-
lich schade; denn ich halte eine profundere Debatte über
das Stipendienwesen, das wir in Deutschland haben, für
durchaus angemessen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Klar, das Deutschlandstipendium ist jetzt der Aufhän-
ger; aber wir haben ja mehrere Instrumente. Das
Aufstiegsstipendium wird im Antrag wenigstens ge-
nannt. Irgendwo, unter Punkt 3, kommt auch die Begab-
tenförderung vor. Aber zu meinem Bedauern habe ich
von einem Weiterbildungsstipendium beispielsweise gar
nichts gelesen. Dabei geht es doch gerade um dieses In-
strument. Wir diskutieren so viel über die Gleichwertig-
keit von beruflicher und akademischer Bildung, wir dis-
kutieren so viel über gleiche Förderbedingungen, und
dann wird das zentrale Stipendieninstrument, das wir im
Bereich Weiterbildung haben, das seit fast 25 Jahren in
Deutschland erfolgreich ist und inzwischen über
100 000 Menschen erreicht hat, in einem solchen Antrag
noch nicht einmal erwähnt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Daran sieht man, was Sinn und Zweck dieses Antrages
ist: Das ist eben nicht der Versuch, eine strukturierte De-
batte anzustoßen, sondern das ist der Versuch, mit einer
alten Wurst sozusagen noch ein bisschen grünen Duft zu
verbreiten. Das finde ich ein bisschen bedauerlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Nach unserer Auffassung ist es durchaus lohnenswert,
auf unser Stipendienwesen insgesamt zu schauen: Da ist
das Weiterbildungsstipendium, da ist das Aufstiegs-
stipendium, da sind die Begabtenförderungswerke in-
klusive unserer Studienstiftung, aber eben auch das
Deutschlandstipendium.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Und das BAföG!)


Das ist unser Stipendienwesen.





Martin Rabanus


(A) (C)



(D)(B)

Die Breitenförderung – ich glaube, das hat die Koali-
tion in der Tat unter Beweis gestellt – wird im Rahmen
des BAföG verbessert.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das BAföG ist das passgenaue Instrument für eine sozial
orientierte Förderung. Das ändert aber nichts daran, dass
es in Sachen Förderung auch einen zweiten Teil gibt,
nämlich das Stipendienwesen.

Meine Fraktion und ich möchten uns das in den kom-
menden Wochen und Monaten ein bisschen genauer an-
schauen, auch vor dem Hintergrund der Sicherstellung
gleicher Förderbedingungen in den Bereichen „berufli-
che Bildung“ und „allgemeine und akademische Bildung
und Weiterbildung“. Der Antrag der Grünen greift zu
kurz, da er beim Aufstiegsstipendium nur auf das Bü-
chergeld rekurriert. Auch da muss man ein bisschen
genauer hinschauen. Wenn wir das dann gemeinsam ver-
nünftig umgesetzt haben, wie wir von der sozialdemo-
kratischen Fraktion es uns vorstellen – das wird unser
Koalitionspartner sicherlich mitmachen –, dann haben
wir der Sache einen Dienst erwiesen. Ihr Antrag erweist
der Sache leider keinen Dienst.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810616100

Herr Kollege Rabanus, gestatten Sie zum Schluss Ih-

rer Redezeit noch eine Zwischenfrage des Kollegen
Gehring?


Martin Rabanus (SPD):
Rede ID: ID1810616200

Eine Redezeitverlängerung? – Bitte schön, Herr

Gehring. Gern.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810616300

Vielen Dank. – Ich bin sehr gespannt. Die Redner der

Koalitionsfraktionen haben in den letzten Debattenbei-
trägen gesagt, man solle einmal über unser Stipendien-
system insgesamt sprechen. Das finde ich bemerkens-
wert. Wir haben in unserem Antrag und unserem
Redebeitrag die Aufstiegsstipendien und die Begabten-
förderungswerke erwähnt. Wir haben deutlich gemacht,
dass die nicht abfließenden Mittel aus dem Deutschland-
stipendium in Stipendien für Flüchtlinge fließen sollen.
Sie kennen auch unsere anderen Anträge zum Thema
Weiterbildungs-BAföG. Wir Grüne wollen die Förde-
rung verschiedener Gruppen mit einer breiten Palette an
Maßnahmen ausweiten.

Ich würde gerne den Sinneswandel der SPD verste-
hen. Herr Rossmann hat 2010 gesagt: Wir sagen Nein
zum Stipendiensystem. Ulla Burchardt – das war immer-
hin die Vorsitzende des Bildungsausschusses in der letz-
ten Legislatur – hat gesagt: Vor allen Dingen ist das ein
Programm zum Bürokratieaufbau an den Hochschulen.


(Marianne Schieder [SPD]: Aber nicht insgesamt die Stipendien, sondern das Deutschlandstipendium!)

Ich könnte Ihnen jetzt reihenweise Zitate aus der SPD-
Bundestagsfraktion nennen, die belegen, dass das
Deutschlandstipendium aus Ihrer Sicht genauso ein La-
denhüter ist wie aus Sicht der Grünen. Ich würde gerne
einmal verstehen, warum Sie das inzwischen offensicht-
lich anders sehen.


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Klüger geworden!)



Martin Rabanus (SPD):
Rede ID: ID1810616400

Vielen Dank für diese ausgesprochen freundliche

Frage. Ich will darauf zweiteilig antworten.

Erstens. Herr Kollege, Sie haben gezeigt, dass die
Grünen programmatisch eigentlich mehr auf der Pfanne
haben als dieser Antrag, über den wir heute debattieren,
uns erahnen lässt.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich finde das bedauerlich, weil ich glaube – darauf habe
ich hingewiesen –, dass Sie mehr auf der Pfanne haben.
Das ist der eine Teil.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt unter Ihrem Niveau!)


Zweitens. Ich habe darauf hingewiesen, dass ich der
irrigen Annahme war, auf die Logik von Koalitionsver-
handlungen, darauf, wie Koalitionsverträge zustande
kommen und Kompromissfindungen ablaufen, nicht hin-
weisen zu müssen. Aber das ist natürlich ein sehr wichti-
ger Punkt.

Ich möchte einmal an einem Beispiel aus meinem
Heimatland Hessen deutlich machen, wie Koalitionsbil-
dungen möglicherweise funktionieren: Im nächsten
Frühjahr steht der Spatenstich für den Beginn des Baus
von Terminal 3 am Frankfurter Flughafen an. Den Spa-
tenstich wird vermutlich der Wirtschaftsminister des
Landes Hessen, Tarek Al-Wazir, Bündnis 90/Die Grü-
nen, mit durchführen, obwohl sich, wenn ich das nicht
ganz falsch erinnere, ein Gutteil der Grünen in den
1980er-Jahren sozusagen im Umfeld der Baustelle der
Startbahn 18 West gegründet hat.

Der Punkt ist, dass wir an bestimmten Stellen, die,
glaube ich, jedenfalls für uns Sozialdemokraten weit we-
niger fundamental sind als die Frage eines Flughafens
für die Grünen, bereit sind, Kompromisse zu schließen,
und bereit sind, zu sagen: Wir müssen Korrekturen vor-
nehmen. – Wir erwarten auch, dass wir in der Diskussion
um die Weiterentwicklung des Stipendienwesens die
Unwuchten aus diesem Programm herausbekommen.
Ich bin da ganz guter Dinge. Das ist ein Weg, den man
gemeinsam beschreiten kann.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das war eine sehr schöne Antwort! – Albert Rupprecht [CDU/ CSU]: Sehr guter Mann!)







(A) (C)



(D)(B)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810616500

Der Kollege Rossmann ist mit einem Zitat erwähnt

worden und hat deshalb um eine Kurzintervention gebe-
ten, zu der ich ihm jetzt auch das Wort erteile.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1810616600

Herr Präsident, vielen Dank dafür. – Ich kann mich

erinnern, dass ich gesagt habe, dass die Sozialdemokra-
tie gegen das Deutschlandstipendium ist. Die Sozialde-
mokraten waren aber nie gegen das Stipendiensystem. In
welcher Logik würden wir uns denn da bewegen, wenn
doch eine Edelgard Bulmahn und eine Annette Schavan
entscheidend mit dafür gesorgt haben, dass das gesamte
Stipendiensystem mit all seinen Stiftungen und all dem,
was auch der Kollege Rabanus eben angesprochen hat,
aufgebaut wird?

Nach einer Wahl muss man erst einmal schauen, wie
die Gewichte verteilt sind und wie bestimmte Konditio-
nen eingehalten werden. Auch wenn es im Rahmen der
ersten Koalitionsverhandlungen keinen Abschluss gege-
ben hat, wussten wir, dass wir über 500 Millionen Euro
substanziell positiv für das BAföG bewegen können. Vor
diesem Hintergrund fällt es einem leichter, zu sagen:
Dann ist es auch ein ordentlicher Kompromiss, wenn
20 Millionen Euro für das Deutschlandstipendium be-
wegt werden; dies wollte der größere Koalitionspartner.
Jeder soll darüber richten – die Grünen an erster Stelle –,
ob die Relation zwischen 500 Millionen Euro und
20 Millionen Euro gerecht und zukunftsorientiert ist
oder ob das Ganze ein Irrweg ist. Wir sagen selbstbe-
wusst: Das ist kein Irrweg.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es wäre vielmehr ein Irrweg gewesen, wenn wir den
Weg der 500 Millionen Euro für das BAföG nicht gegan-
gen wären, weil wir uns bei den 20 Millionen Euro nicht
durchsetzen konnten.


(Beifall bei der SPD)


Insofern zeigen wir die breite Brust für das gute Gewis-
sen, das wir haben.

Der Kollege Rabanus hat eben deutlich gemacht, dass
man zwei Wege gehen kann, wenn man für seine Forde-
rungen im Bildungsbereich Unterstützung finden will:
Man kann das BAföG weiterentwickeln – das Meister-
BAföG gehört dazu; schließlich wollen wir Gleichwer-
tigkeit erreichen –, und gleichzeitig kann man schauen,
wo bestimmte Gedanken in Bezug auf das Stipendien-
wesen aufzugreifen sind.

Sie haben das Büchergeld angesprochen. Wie ist es
beim Aufstiegsstipendium? Wie ist es beim Deutsch-
landstipendium? Über solche Fragen denken wir nach.
Am Ende sind Sie eingeladen, mit uns darüber nachzu-
denken. Am Ende werden gegebenenfalls auch Sie ein-
mal in einer politischen Verantwortung respektieren
müssen, dass das Deutschlandstipendium da ist und dass
es weiterentwickelt wird. Aber das Deutschlandstipen-
dium wird nie das größte Gewicht bei den Stipendien be-
kommen. Das werden hoffentlich weiterhin die Stiftun-
gen bekommen, die wir in der Tradition des deutschen
Stiftungswesens bereits haben.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sagen: Die
Grünen sind ein bisschen langsamer, wenn es darum
geht, sich vernünftigen Realitäten anzupassen. Wir glau-
ben, dass unsere Prioritätensetzung sehr gut ist.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bei der Pkw-Maut!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810616700

Herr Kollege Gehring, möchten Sie darauf erwidern,

oder ist alles gesagt?


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


– Gut.

Ich schließe somit die Aussprache zu diesem Tages-
ordnungspunkt.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4692 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 sowie den
Zusatzpunkt 5 auf:

10 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates über
den Europäischen Fonds für strategische
Investitionen und zur Änderung der Ver-
ordnungen (EU) Nr. 1291/2013 und (EU)
Nr. 1316/2013

KOM(2015) 10 endg.; Ratsdok. 5112/15

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes

Dem Europäischen Fonds für strategische In-
vestitionen zum Erfolg verhelfen

Drucksache 18/4929

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Diether Dehm,
Andrej Hunko, Alexander Ulrich und der Frak-
tion DIE LINKE

Für ein öffentliches sozial-ökologisches Zu-
kunftsinvestitionsprogramm in Europa

Drucksache 18/4932

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei-
nen Widerspruch. Dann ist das somit beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Joachim Poß für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1810616800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

brauchen mehr Investitionen in Europa. Diese Einsicht
eint inzwischen 28 Mitgliedstaaten, das Europäische
Parlament und die Kommission. Die von meiner Partei
auch im Deutschen Bundestag seit dem ersten Rettungs-
paket für Griechenland im Frühjahr 2010 geforderte Ver-
stärkung der öffentlichen und privaten Investitionen ist
heute nicht mehr umstritten. Umstritten sind teilweise
die Finanzierung und die Ausgestaltung des EFSI, des
Europäischen Fonds für Strategische Investitionen. Im
jetzt laufenden Trilog zwischen dem Europäischen Par-
lament, dem Rat und der Kommission wird hoffentlich
bis Ende nächster Woche eine Lösung gefunden werden.

Das Investitionsniveau in Europa liegt immer noch
15 Prozent unter dem Niveau von 2007. So sagt es je-
denfalls die Kommission. Die Linkspartei operiert mit
anderen Zahlen und Annahmen. Es gibt unterschiedliche
Schätzungen. Aber ich orientiere mich hier an der Kom-
mission. Sie sagt immer noch: 15 Prozent unter dem Ni-
veau von 2007. Ein Jahr nach der Europawahl müssen
wir jetzt, finde ich, in Europa vom Reden und Verhan-
deln zum Handeln kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die geplanten Investitionen müssen auf den Weg ge-
bracht werden. Das ist im Interesse einer zukunftsfähi-
gen Infrastruktur, allerdings auch der Lebensaussichten
der Arbeitslosen und vor allem der jungen Arbeitslosen.
Europa muss sich jetzt als handlungsfähig erweisen, ins-
besondere beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, aber
eben auch beim Kampf gegen skandalöses Steuerdumping
von internationalen Konzernen und Multimillionären.
Auch die Finanzindustrie muss mit der Finanztransaktion-
steuer endlich an der Finanzierung des Gemeinwesens
beteiligt werden.


(Beifall bei der SPD)


Die europäischen Bürgerinnen und Bürger wollen und
müssen jetzt auch bei der Stabilisierung der Euro-Zone
– Griechenland hin oder her – messbare Erfolge sehen,
wenn wir Europa wieder mit Hoffnung in Verbindung
bringen wollen. Bei den europäischen Bürgerinnen und
Bürgern muss uns das gelingen, und zwar nicht irgend-
wann, sondern wir müssen jetzt, ein Jahr nach der Euro-
pawahl, damit starten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Akzeptanz Europas ist ja gerade in den Krisen-
ländern im Süden – das sehen Sie, wenn Sie sich die
Zahlen bei den Umfragen anschauen – katastrophal ein-
gebrochen. Deswegen sollten wir auch Missverständnis-
sen und überzogenen Erwartungen, was die Ausrichtung
und Aufgaben des Investitionsfonds angeht, vorbeugen.

Der Fonds ist kein öffentliches Investitionsprogramm.
Der Fonds soll vor allem privates Kapital anziehen, um
Investitionen in den Zukunftsfeldern Infrastruktur, Bil-
dung, Gesundheit, Energie und Stadtentwicklung vo-
ranzubringen, und er soll kleinen und mittleren Unter-
nehmen Finanzierungsmöglichkeiten für Innovationen
geben. In den Südländern spielt der Credit Crunch eine
Rolle. Diesen müssen wir auch mithilfe dieser Maß-
nahme überwinden. Ob es private oder öffentliche Inves-
titionen sind, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist,
dass sie zusätzliche, rentable und damit auch nachhaltige
Investitionen auslösen.

Richtigerweise sieht der Verordnungsvorschlag des-
halb auch keine sektoralen oder regionalen Kriterien vor.
Denn die Investitionen sollen dort getätigt werden, wo
sie sinnvoll sind. Wir wollen keine Luftschlösser finan-
zieren, sondern einen Investitionsschub in Europa aus-
lösen. Es ist deswegen nur konsequent, dass die Euro-
päische Investitionsbank eine so prominente Rolle
einnimmt. Sie besitzt bei der Projektauswahl und -finan-
zierung durch ihre jahrzehntelange Tätigkeit in Europa
das notwendige Know-how. Sie leistet auch einen eige-
nen finanziellen Beitrag in Höhe von 5 Milliarden Euro
und hat bereits begonnen, erste Projekte zu finanzieren.

Auch die Bundesrepublik wird – davon war vorhin in
der Debatte um den Nachtragsetat bereits die Rede – ei-
nen eigenen Beitrag für mehr Investitionen in Europa
leisten. Das ist auch dringend notwendig. Deswegen ha-
ben wir bereits 10 Milliarden Euro bis 2017 für den Aus-
bau der Infrastruktur bereitgestellt und weitere 5 Milliar-
den Euro für die deutschen Kommunen zugesagt. Die
Unterstützung der Kommunen ist besonders wichtig;
denn eine solche regionale Zielgenauigkeit ist von dem
Europäischen Investitionsfonds EFSI nicht zu erwarten.

Für den EFSI werden wir weitere 8 Milliarden Euro
über die Kreditanstalt für Wiederaufbau bereitstellen.
Wir fördern damit einerseits gezielt die regionale Inves-
titionstätigkeit durch die von mir genannten Investitio-
nen und durch den EFSI andererseits die Investitionstä-
tigkeit in der ganzen Breite Europas. Hierin liegt die
Stärke des Fonds, große und vor allem langfristige In-
vestitionen auch über Ländergrenzen hinweg anzusto-
ßen. Hoffentlich profitieren davon insbesondere die so-
genannten Südländer. Das ebnet den Weg zu mehr
Investitionen und Wachstum.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt geht es darum,
den Wachstumspfad in Europa zu befestigen. Das Wich-
tigste ist: Wir müssen verhindern, dass es in Europa zu
einer verlorenen Generation kommt. In Gesprächen oder
bei Besuchen vor Ort, vor allem in den Ländern mit ei-
ner hohen Jugendarbeitslosigkeit, wird uns anschaulich
vor Augen geführt, worum es dort geht.

Uns geht es, wie gesagt, nicht um Technokratie, und
ich weiß, man kann auch um ein öffentliches Investi-
tionsprogramm werben. Uns geht es darum, dass wir
jetzt endlich in Europa handeln und anfangen, Investitio-
nen auf den Weg zu bringen, um unseren Bürgerinnen
und Bürgern damit eine Perspektive zu bieten,


(Beifall bei der SPD)


die auf der einen Seite Arbeitsplätze und Wohlstand be-
inhaltet und auf der anderen Seite die Gerechtigkeit ge-
neriert, die die Menschen in Europa wollen.

Vielen Dank.





Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810616900

Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der

Kollege Alexander Ulrich.


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810617000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Na-

türlich muss in Europa viel mehr investiert werden. Wir
haben das als Linke schon im Bundestagswahlprogramm
2009 gefordert. Wir haben es im Europawahlprogramm
gefordert. Damals sind Sie von der SPD noch in der Gro-
ßen Koalition gemeinsam mit der CDU/CSU durch
Europa gezogen und haben für die Einhaltung von
Schuldenbremsen und Ähnlichem geworben.


(Joachim Poß [SPD]: Ihr Langzeitgedächtnis funktioniert offenkundig überhaupt nicht, Herr Kollege!)


Deshalb sind Sie mit schuld an dem riesigen Ausmaß
der Arbeitslosigkeit in Europa. Jetzt fordern Sie mehr In-
vestitionen. Dabei haben Sie jahrelang versagt. Der Jun-
cker-Plan ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.


(Beifall bei der LINKEN)


Was Investitionen angeht, müsste die größte Volks-
wirtschaft in Europa viel mehr tun. Jetzt klopfen Sie sich
mit Hinweis auf die 10 Milliarden Euro für Investitionen
und die 5 Milliarden Euro für die Kommunen auf die
Schulter und meinen, damit wäre ausreichend geholfen.
Würde man nur die Schuldenbremse einhalten, die wir
aber ablehnen, könnte man allein in Deutschland 18 Mil-
liarden Euro mehr investieren. Deshalb müsste man
gerade jetzt in Deutschland viel mehr Investitionen an-
schieben. Dann wäre man auch in Europa glaubwürdi-
ger, wenn man für Investitionen in anderen Ländern
wirbt. Das, was die deutsche Bundesregierung in Europa
tut, ist viel zu wenig.


(Beifall bei der LINKEN)


Das schreibt Ihnen mittlerweile jeder ins Stammbuch, ob
IWF oder EU-Kommission. Diese Woche war Moscovici
bei uns im Europaausschuss. Er hat deutlich gesagt, dass
in Deutschland viel mehr investiert werden müsste. Aber
die Bundesregierung glaubt, mit 10 Milliarden Euro plus
5 Milliarden Euro hätte sie genug getan.

Im Vergleich zu 2007 haben wir eine Investitionslü-
cke von 430 Milliarden Euro pro Jahr, Herr Poß. Der In-
vestitionsbedarf ist aber eigentlich noch viel höher.

Jetzt kommt der Juncker-Plan. Herr Juncker vertritt
die grundsätzlich richtige Idee, dass wir mehr tun müs-
sen, um Beschäftigung zu schaffen und die Jugendar-
beitslosigkeit zu bekämpfen, und wirbt für den Juncker-
Plan mit 315 Milliarden Euro.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! Eine richtige Idee von Juncker! Neoliberal, Alex!)

Wie aber kommen diese 315 Milliarden Euro zu-
stande? Es werden gerade einmal 21 Milliarden Euro be-
reitgestellt. Dafür werden auch noch Gelder aus den EU-
Töpfen für Forschung und Entwicklung abgezwackt.
Das heißt, Bereiche, in die dringend investiert werden
müsste, leiden unter dem Juncker-Finanzierungsplan.
Man glaubt, mit einem komischen Hebelmechanismus
auf 315 Milliarden Euro zu kommen. Das ist Voodoo-
Ökonomie und hat mit wirtschaftlicher Vernunft nichts
zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Viel schlimmer ist aber: Diese 315 Milliarden Euro
erstrecken sich über drei Jahre. Wir reden also über et-
was mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr. Mit etwas
mehr als 100 Milliarden Euro für ganz Europa kann man
aber bei weitem nicht der Probleme Herr werden, über
die wir reden.

Sie haben Südeuropa angesprochen, Herr Poß. Wir als
Linke sagen schon seit Jahren: Wir brauchen einen
Marshallplan für Europa. Dafür reichen die 315 Milliar-
den Euro in drei Jahren nicht aus. Wir brauchen 500 Mil-
liarden Euro pro Jahr an öffentlichen Investitionen.

Deshalb können wir als Linke dem Juncker-Plan nicht
zustimmen; denn er ist tatsächlich keine Lösung. Es wer-
den wieder Luftschlösser gebaut, die Probleme werden
nur vergrößert, und bei den Menschen werden Hoffnun-
gen geweckt, die nicht erfüllt werden können. Dann
kommt auch noch hinzu, dass mit dem Juncker-Plan
ÖPP-Projekte unterstützt werden sollen.


(Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Super!)


Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es kann doch wohl nicht
sein, dass wir gerade die Projekte wieder einmal unter-
stützen, bei denen am Schluss Gewinne, die erwirtschaf-
tet werden, bei den Privaten ankommen, aber bei Verlus-
ten der Steuerzahler wieder herhalten muss. Haben wir
nicht aus der Finanz- und Wirtschaftskrise gelernt, dass
es nicht sein kann, die Verluste dem Staat aufzubürden?
Wenn es lukrative Geschäfte gibt, dann soll sie der Staat
finanzieren. Die Zinsen der Europäischen Zentralbank
sind so niedrig, dass das auch ohne Weiteres gehen
würde.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe erwähnt – das ist der Vorschlag der Linken –,
dass wir 500 Milliarden Euro im Jahr investieren sollten.
Mit diesem Geld sollte aber ein sozial-ökologisches
Wachstum finanziert werden. Es kann nicht sein, dass
zusätzliche Flughäfen oder neue Kernkraftwerke finan-
ziert werden. Wir brauchen tatsächlich sinnvolle Investi-
tionen in die Zukunft. Wir glauben auch, dass das durch
die öffentlichen Haushalte finanziert werden kann. Dazu
brauchen wir auch mehr Steuergerechtigkeit. Wir glau-
ben, dass wir die Konzerne in Europa und auch die Su-
perreichen zur Finanzierung der Projekte stärker besteu-
ern müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen eine Vermögensabgabe, ein gerechteres
Steuersystem, wir brauchen den Kampf gegen Steuer-





Alexander Ulrich


(A) (C)



(D)(B)

oasen, wir brauchen eine Abkehr von der Politik der
Niedriglöhne und eine Abkehr vom Stabilitäts- und
Wachstumspakt. Diese Dinge gehören eigentlich auf den
Müllhaufen der Geschichte. Wir brauchen endlich eine
vernünftige Investitionspolitik, deren Vorreiter Deutsch-
land sein müsste. Alleine in Deutschland bräuchten wir
Mehrinvestitionen in Höhe von 100 Milliarden Euro im
Jahr. Diese 10 Milliarden Euro plus 5 Milliarden Euro
sind deutlich zu wenig.

Ich wiederhole gerne, was ich gestern gesagt habe:
Reden Sie mit den Ländern, reden Sie mit den Kommu-
nen. Schauen Sie sich die Infrastruktur in diesem Land
an. Schauen Sie sich den Zustand der Brücken und Schu-
len an. Da besteht ein riesiger Investitionsbedarf. Wenn
man da nichts tut, dann wird es sehr teuer für zukünftige
Generationen. Deshalb wäre es klug, bei der jetzigen
Niedrigzinspolitik zu investieren; das wäre für den Steu-
erzahler billiger, als jahrelang zu warten und dieses Land
auf Verschleiß zu fahren.

Europas Jugend braucht mehr Chancen. Gerade die
Südländer hoffen auf Europa. Aber der Juncker-Plan gibt
darauf leider keine Antwort. Unser Antrag ist sinnvoller.
Deshalb stimmen Sie unserem Antrag zu, und lehnen Sie
den Juncker-Plan ab!

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810617100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Groden-

Kranich für die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ursula Groden-Kranich (CDU):
Rede ID: ID1810617200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mit dem von den Koalitionsfraktionen vorge-
legten Antrag kommt der Deutsche Bundestag einmal
mehr seiner Verantwortung zur Mitgestaltung der euro-
päischen Politik nach. Der Europäische Fonds für strate-
gische Investitionen, kurz EFSI, schließt eine Finanzie-
rungslücke in Europa, die nachhaltige und tragfähige
Investitionen bisher behindert. Zwar werden in der EU
mehr Patente angemeldet und Fachpublikationen veröf-
fentlicht als beispielsweise in den USA, für die Umset-
zung und Realisierung dieser Ideen steht jedoch nur ein
Zehntel des Kapitals zur Verfügung. Dies ist ein Ergeb-
nis der Expertenanhörung des Ausschusses für die Ange-
legenheiten der Europäischen Union von Ende April.
Dieses Defizit gehen wir mit dem EFSI an.

Dazu nutzen wir das bei der Europäischen Investi-
tionsbank, EIB, bereits vorhandene Know-how. Ich bin
dem Präsidenten der EIB, Herrn Dr. Werner Hoyer, und
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bank für ihr
Engagement bei diesem Projekt sehr dankbar; denn beim
EFSI handelt es sich nicht um einen Fonds im klassi-
schen Sinne, sondern quasi um ein Konto bei der EIB,
das einen eigenkapitalersetzenden Charakter hat. Über
den EFSI werden eben keine Subventionen ausgereicht,
sondern es handelt sich um ein Kapitalmarktinstrument,
mit dem Geld privater Anleger gesammelt und in Pro-
jekte mit erhöhtem und hohem Risiko investiert werden
kann. Daher ist es zwingend, dass die Governance-
Struktur des EFSI der besonderen Verantwortung der
EIB Rechnung trägt. Es ist nicht nur sinnvoll, sondern
auch notwendig, dass die Entscheidungen über Investi-
tionen von den Expertinnen und Experten der EIB und
nicht von einem anderen Gremium getroffen werden;


(Beifall bei der CDU/CSU)


denn auch hier gilt der Grundsatz: Wer das Risiko trägt,
entscheidet auch.

Ich bin überzeugt, dass sich in der gesamten EU inno-
vative und förderfähige Projekte finden lassen. Die ers-
ten wurden bereits gefunden, und die Finanzierung be-
ginnt.

Aus diesem Grund ist es auch unabdingbar, dass In-
vestitionsentscheidungen losgelöst von regionalen Quo-
ten oder ähnlichen Vorgaben getroffen werden. Alleinige
Kriterien müssen Tragfähigkeit, Nachhaltigkeit und Zu-
sätzlichkeit sein.

Der EFSI ist ein Vehikel, mit dem wir eine kurzfris-
tige Finanzierungslücke in Europa angehen wollen. Da-
her ist es auch ordnungspolitisch richtig, dass der Fonds
befristet ist. Die vorgesehene Mid-Term Review beim
mehrjährigen Finanzrahmen wird uns Gelegenheit ge-
ben, das bis dahin Erreichte zu bewerten und eine Neu-
einschätzung vorzunehmen. Der Staat ist eben nicht der
bessere Unternehmer, und er ist auch nicht die bessere
Bank.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit der Befristung verfolgen wir eine sehr klare und
nachhaltige ordnungspolitische Linie. An diesem Punkt
dürfen wir meiner Ansicht nach jedoch nicht stehen blei-
ben. Die Expertenanhörung im EU-Ausschuss hat auch
sehr deutlich gemacht, dass wir uns des Themas Wagnis-
kapitalfinanzierung zeitnah annehmen müssen.

Während vor einiger Zeit das Thema Venture Capital
von vielen noch sehr kritisch betrachtet wurde, ist dieses
Finanzierungsinstrument heute deutlich positiver besetzt.
Langfristig sollte die effektivere Nutzung von Wagnis-
kapital europaweit gestärkt werden, um mittels geänder-
ter Anlagerichtlinien für Kapitalsammelstellen wie zum
Beispiel Lebensversicherungen und Pensionsfonds die
Finanzierungslücke in Europa dauerhaft privatwirt-
schaftlich zu schließen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich noch auf drei Punkte eingehen:

Erstens. Die Effektivität des EFSI wird in großem
Maße davon abhängen, wie kleine und mittelständische
innovative Unternehmen ihren Zugang zum Fonds fin-
den. Wir brauchen folglich nicht nur einen einfachen, di-
rekten und niederschwelligen Zugang zu dieser neuen
Finanzierungsquelle; wir müssen auch aktiv für den
EFSI und die Investitionsoffensive werben. Das beginnt
in unseren Wahlkreisen und sollte auch Thema bei anste-
henden Delegationsreisen von Mitgliedern des Hauses
sein.





Ursula Groden-Kranich


(A) (C)



(D)(B)

Zweitens. Durch die Einrichtung des EFSI werden die
Obergrenzen des mehrjährigen Finanzrahmens der EU
nicht erhöht. Wir schaffen es also – so der Plan –, mit
dem gleichen Mittelansatz, ergänzt um privates Kapital,
zusätzliche Wachstumsimpulse in Zukunftsbranchen zu
setzen. Um mit dem EFSI einen positiven Effekt zu er-
zielen, dürfen nur die Projekte kofinanziert werden, die
es aufgrund ihrer Risikostruktur ohne den EFSI nicht ge-
geben hätte.

Dritter und letzter Punkt. Die deutsche KfW – das hat
Herr Poß schon gesagt – wird sich mit mindestens 8 Mil-
liarden Euro beteiligen. Weitere nationale Förderbanken
haben zwischenzeitlich Finanzierungszusagen im Um-
fang von über 33 Milliarden Euro gemacht. Dieses zu-
sätzliche Engagement stärkt den Effekt des EFSI, stärkt
Wachstum und Arbeitsplätze, stärkt den Wirtschafts-
und Wissensstandort Europa.

Abschließend noch ein Wort zum Antrag der Fraktion
Die Linke.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Guter Antrag!)


Es gibt keinen besseren Beweis dafür, dass Sie weder die
Wirkungsweise noch die Systematik des EFSI auch nur
ansatzweise verstanden haben, als Ihren heute vorliegen-
den Antrag.


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Gar nichts haben sie verstanden!)


Schon allein Ihre Forderung nach einem staatlichen
500-Milliarden-Euro-Programm, finanziert durch Kre-
dite – ausgerechnet der EZB – und durch Steuererhöhun-
gen, zeigt, dass Ihnen weder das Europarecht noch eine
echte Investitionstätigkeit sonderlich naheliegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen unterstützen
wir die gute, richtige und zukunftsweisende Position der
Bundesregierung auf europäischer Ebene. Er ist auch
eine wichtige Positionsbestimmung gegenüber unseren
Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament –
gerade im Hinblick auf die Trilogverhandlungen. Die
EU-Kommission ist aufgerufen, alle noch ausstehenden
Arbeiten, die für einen baldigen Start des EFSI notwen-
dig sind, zügig abzuschließen. Dazu gehört für mich ins-
besondere die Erarbeitung von Grundsätzen zur beihilfe-
rechtskonformen Projektauswahl.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur mit einer klaren
ordnungspolitischen Ausgestaltung des EFSI, wie sie der
Antrag von CDU/CSU und SPD vorsieht, können wir
diese Vorhaben zum Erfolg führen. Ich werbe daher um
Zustimmung für unseren Antrag.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810617300

Als Nächster spricht der Kollege Manuel Sarrazin,

Bündnis 90/Die Grünen.

Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810617400

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Wir haben eine riesengroße Koalition mit kleinem
Mut. Das zeigt dieser Antrag, mit dem Sie sich nun end-
lich doch trauen, sich grundsätzlich hinter den Europäi-
schen Fonds für strategische Investitionen zu stellen.
Aber den Mut für die wirklich wichtigen Schritte, die
von Europa verlangt werden, um die Krise anzugehen,
um den Mut und die Hoffnung der Menschen wieder zu
steigern, um gegen die Krise in den Ländern des Südens
etwas zu machen, um den Zusammenhalt zu stärken,
bringen Sie selber nicht auf. Mutig wäre es, zu sagen:
Wir gehen voran.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Da hast du recht!)


Stattdessen sagt Deutschland als Allererstes, Geld
gebe man nicht. Bei den wirklich wichtigen strittigen
Fragen, die im Trilog thematisiert werden, stellen Sie
sich auf die Seite des Rates, der diesem Instrument skep-
tisch gegenübersteht und es eigentlich so schnell wie
möglich wieder in der Versenkung verschwinden sehen
möchte. Das wird sehr schön deutlich anhand der Befris-
tung. Ich habe nichts dagegen, nach drei Jahren – viel-
leicht auch nach fünf Jahren; aber nach einer sinnvollen
Zeit – zu schauen: Hat alles geklappt? Macht das noch
Sinn? Aber die Befristung, die ja von Deutschland erst
auf die Tagesordnung gebracht wurde, hat das Ziel, das
Ganze nach drei Jahren abzuschließen und alles wieder
in die Ecke zu packen. Bei der EFSF haben wir gesehen,
wie gut das funktioniert hat.

Die große integrationspolitische Chance, die hinter
diesem Fonds steckt, nämlich ein Instrument zu schaf-
fen, um in die richtigen Maßnahmen – in erneuerbare
Energien, in Energieeffizienz, in Netze, in Hilfen für
mittelständische Unternehmen – in Europa zu investie-
ren, außerhalb der bisherigen Logik, die in Europa im-
mer galt, dass ein Staat wieder so viel herausbekommen
möchte, wie er eingezahlt hat – da gibt es ja immer die
Brüsseler Nächte der langen Messer, in denen sich die
Regierungen gegenseitig die Zahlenwerke an den Kopf
werfen –, und mit der Idee, Instrumente zu entwickeln,
mit denen Projekte von europäischem Mehrwert in die-
sen strategischen Feldern angegangen werden, wollen
Sie in drei Jahren am besten wieder beerdigt sehen, weil
es Ihnen nicht passt, was Ihr Parteikollege, Herr Juncker,
geschaffen hat.

Das andere, was so interessant und wirklich wichtig
ist: Wir müssen doch versuchen, die Maßnahmen dieses
Fonds zu binden, sowohl an die Ziele der Strategie „Eu-
ropa 2020“ wie auch an so etwas wie Nachhaltigkeit.
Das müsste doch auch im Sinne der Großen Koalition
sein. Deswegen schlägt das EP vor, ein Nachhaltigkeits-
Scoreboard für die Projekte einzuführen. Kein Wort dazu
in Ihrem Antrag, auch nicht zu der Frage, inwieweit ei-
gentlich die Strukturen des EFSI so ausgestaltet sein sol-
len, dass der, der zahlt, auch die Kontrolle hat. Ich
glaube, ich würde im Wahlkreis von Gunther Krichbaum
100 Prozent der Stimmen bekommen, wenn ich in dem
wunderschönen Dialekt, der dort gesprochen wird, sage:





Manuel Sarrazin


(A) (C)



(D)(B)

Wir haben bezahlt, also wollen wir auch die Kontrolle
haben.


(Zuruf des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/ CSU])


Dies ist eines der wichtigsten Anliegen des Europäi-
schen Parlaments: Wenn schon auf unseren Haushalt zu-
gegriffen wird, dann wollen wir auch die Kontrolle da-
rüber haben, wie mit dem Geld umgegangen wird. Was
aber sagt die Koalition zu diesem Thema? Nichts.


(Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Ich habe etwas dazu gesagt!)


Das ist doch eigentlich etwas, wo es sich lohnen
würde, gemeinsam parlamentarisch – EP und Bundestag
Seite an Seite – den Rat davon zu überzeugen, hier auf
die Verhandlungsposition des Europäischen Parlaments
einzugehen. Leider findet das nicht statt. Deswegen ist
es aus unserer Sicht eine wirklich gute Idee, dass man
sagt: Die Mitglieder des Investitionsausschusses werden
vom Europäischen Parlament bestätigt, damit Transpa-
renz und Kontrolle gegeben sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grüne meinen, dass nun in Europa wirklich in-
vestiert werden muss. Es hilft nichts, wenn ein konkreter
Vorschlag für Investitionen gemacht wird, zu sagen: Der
Vorschlag ist blöd. – Wenn man will, dass investiert
wird, dann muss man auch liefern, wo das geschehen
soll, wenn man einen Investitionsvorschlag ablehnt.
Deswegen machen wir Vorschläge, wie man es richtig
ausgestalten kann, anstatt uns in die Ecke zu stellen und
zu sagen: Wir wollen diese oder jene Investition nicht
und warten lieber so lange, bis andere kommen, was
wahrscheinlich nicht der Fall sein wird. – Daher halte
ich die Position der Linksfraktion an dieser Stelle für
nicht konsistent.

Wir Grüne meinen, dass das Europäische Parlament
in den Verhandlungen im Trilog seine Position stark ver-
treten soll. Wir erkennen an, dass sich die Koalition end-
lich grundsätzlich dazu durchgerungen hat, den EFSI zu
unterstützen. Wir kritisieren, dass Sie nicht bereit sind,
dafür zu sorgen, dass sich Deutschland an der ersten
Stufe des EFSI mit einem starken Signal beteiligt. Des-
halb kommen wir am Ende zu dem Schluss, dass wir uns
enthalten. Wir wünschen dem EFSI trotzdem guten Er-
folg.

Danke sehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810617500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ronja Schmitt für

die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ronja Schmitt (CDU):
Rede ID: ID1810617600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue
mich, meine erste Rede in diesem Hohen Hause zu ei-
nem so wichtigen europäischen Kernprojekt für den
wirtschaftlichen Wiederaufschwung in Europa halten zu
dürfen. Konrad Adenauer wusste bereits vor fast 70 Jah-
ren:

Europa ist nur möglich, wenn eine Gemeinschaft
der europäischen Völker wiederhergestellt wird, in
der jedes Volk seinen unersetzlichen, unvertretba-
ren Beitrag zur europäischen Wirtschaft und Kultur,
zum abendländischen Denken, Dichten und Gestal-
ten liefert.

Dies ist keinesfalls durch die Schaffung der Europäi-
schen Union bereits erledigt. Es bedarf einer permanen-
ten und intensiven Anstrengung in allen europäischen
Ländern, um dieses Ziel wirklich zu erreichen und auch
zu erhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen
durch den Europäischen Investitionsfonds in den nächs-
ten Jahren zusätzliche Mittel in Höhe von mindestens
315 Milliarden Euro mobilisiert werden. Die wirtschaft-
lichen Investitionen in Europa haben infolge der Finanz-
und Wirtschaftskrise stark gelitten. Aufgrund dieses In-
vestitionsdefizits ist das Wachstum deutlich zurück-
gegangen. Dies belastet insbesondere die Volkswirt-
schaften und Regionen, die ohnehin von der Krise stark
betroffen sind.

Die Große Koalition begrüßt daher die europäische
Offensive ausdrücklich; denn sie schafft eben die Rah-
menbedingungen dafür, dass in den Mitgliedstaaten risi-
koreichere und ebenso wirtschaftlich tragfähige Projekte
finanziert werden können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Paket schafft damit die Voraussetzung für eine
Steigerung der Investitionstätigkeit, für ein stärkeres und
nachhaltiges Wirtschaftswachstum und somit auch für
Beschäftigung und Wohlstand. Wichtig ist – das wurde
bereits gesagt –, dass die wirtschaftliche Rentabilität ein
zentraler Faktor der Projektauswahl bleibt, um Fehlallo-
kationen und Subventionsprogramme für nicht zukunfts-
trächtige Industriezweige zu vermeiden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die zu fördernden Projekte müssen daher unabhängig
und transparent identifiziert werden. Das Investitionspa-
ket muss sicherstellen, dass solche Wirtschaftssektoren
gefördert werden, die die Grundlage für nachhaltigen
Wohlstand bilden. Schwerpunkte setzt die EU-Kommis-
sion daher richtigerweise bei Forschung und Innovation,
bei der Verkehrsinfrastruktur, im Bereich der Breitband-
und Energienetze sowie bei erneuerbaren Energien und
Energieeffizienz.

Um den Rückstand in der Wettbewerbsfähigkeit bis
zum Jahr 2020 aufholen zu können, veranschlagt die
Europäische Investitionsbank etwa 600 Milliarden Euro
pro Jahr. Davon entfallen auf den Ausbau im Energiebe-





Ronja Schmitt (Althengstett)



(A) (C)



(D)(B)

reich etwa 100 Milliarden bis 200 Milliarden Euro. Neue
Investitionen müssen aber auch getätigt werden, um
langfristige Risiken in Europa abzufedern, wie zum Bei-
spiel die Importabhängigkeit von knappen Rohstoffen.
Gerade aus deutscher Sicht soll das Paket daher finan-
zielle Mittel für eine europäische Energiewende mobili-
sieren. Lassen Sie mich das ganz klar sagen: Die Ener-
giewende ist ein wichtiges und zentrales Ziel für uns alle
und für die kommenden Generationen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Integration des europäischen Binnenmarktes
macht zudem einen forcierten Ausbau transeuropäischer
Infrastruktur nötig. Das gilt nicht nur im Verkehr, son-
dern auch mit Blick auf den digitalen Binnenmarkt und
die europäischen Energienetze. Die grenzüberschreiten-
den Verbindungen im Rahmen der Energieunion sind
von enormer, zentraler Wichtigkeit für Versorgungs-
sicherheit und für Preisstabilität.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Strom muss jetzt endlich auch dorthin fließen kön-
nen, wo er gebraucht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Als Baden-Württembergerin sehe ich hier gerade im
Grenzbereich zu Frankreich noch einen Nachhol- und
Ausbaubedarf, zum Beispiel beim Ausbau der Grenz-
kuppelstellen. Dies wäre hilfreich für Deutschland als
Exportnation, für meine Heimat Baden-Württemberg als
zentrale Industrieregion in Europa und für meinen Wahl-
kreis Alb-Donau/Ulm mit einer ganzen Reihe herausra-
gender Industriebetriebe.

Der österreichische Kabarettist Werner Schneyder
sagte einmal:

Europa besteht aus Staaten, die sich nicht vorschrei-
ben lassen wollen, was sie selbst beschlossen ha-
ben.


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr gut!)


Auch wenn man hin und wieder einmal den Eindruck ha-
ben könnte, dass er damit so ganz falsch nicht liegt,
glaube ich doch, dass er im Kern unrecht hat. Wir haben
es in der Hand, zu beweisen, dass die Europäische Union
eine Rechtsgemeinschaft ist, die ihre Ziele und Be-
schlüsse ernst nimmt und den Bürgerinnen und Bürgern
nicht nur Wohlstand und Sicherheit bietet, sondern auch
Vertrauen in das uns verbindende Recht schafft. Von da-
her bitte ich um Unterstützung unseres Antrags.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810617700

Liebe Kollegin Schmitt, Sie gehören erst seit einigen

Monaten dem Deutschen Bundestag an. Das war Ihre
erste Rede im Hohen Haus. Ich gratuliere Ihnen im Na-
men der Kolleginnen und Kollegen dazu herzlich und
wünsche Ihnen viele weitere Reden im Deutschen Bun-
destag.


(Beifall)


Für die SPD spricht jetzt der Kollege Christian Petry.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katrin Albsteiger [CDU/CSU])



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1810617800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Heute ist eigentlich ein wichtiger Tag für die
Europäische Union. Denn wir hier unterstützen letztlich
das, was die Europäische Union an Investitionsoffensive
an den Tag legt. Das war nicht immer so. Die schwarze
Null stand oftmals auch in Europa über allem, was wir
als Sozialdemokraten in diesem Punkt eigentlich anders
machen wollten, nämlich weg von der Austerität hin zu
mehr Investitionen, zu Beschäftigung und Wachstum.
Beschäftigung und Wachstum sind doch die Ziele, die
wir in Europa verfolgen müssen, damit die Menschen
Europa akzeptieren. Nicht die Fiskalpolitik, nicht die
Haushaltsstabilität – sie ist wichtig – sind es, über die
sich die Menschen mit Europa identifizieren. Beschäfti-
gung und Wachstum, Vermeidung der Jugendarbeitslo-
sigkeit, Abbau der Jugendarbeitslosigkeit, Teilhabe an
Wohlstand in Europa, das sind die Ziele, und das wollen
wir auch mit dem Investitionsfonds erreichen. Deshalb
unterstützen wir ihn.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege Ulrich, mein Gedächtnis bezüglich 2008
funktioniert. Der Sozialdemokratie vorzuwerfen, sie sei
Investitionsbremser, hat ja Joachim Poß wirklich fast aus
den Socken gehoben.


(Joachim Poß [SPD]: Ach nee! Nein, mit Sicherheit nicht! – Weitere Zurufe von der SPD)


Das ist ja wirklich eine Verdrehung der Tatsachen. Das
ist so ähnlich, als würde ich behaupten, die Linken wä-
ren nur für die Superreichen da. In Ihrem Antrag steht es
jedoch umgekehrt. Aber wenn man sich die griechische
Politik anschaut, stellt man fest: Dort macht Syriza ein
gigantisches Steuerentlastungsprojekt für die Superrei-
chen, indem sie die Steuerschuldstundungen verlängert
hat.


(Joachim Poß [SPD]: Nach Beratung durch die Linkspartei!)


Das ist linke Politik, das ist das, woran man die Realität
messen kann – nicht an dem, was im Antrag steht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Und von Fußball verstehen die auch nichts! – Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])


Der europäische Mehrwert, die schnelle Realisierbar-
keit, vorliegendes Marktversagen im Startschuss, keine
regionalen und sektoralen Vorgaben, das sind die Dinge,
die wir in diesem Fonds eigentlich verwirklicht haben
wollen. Und ich bin eigentlich ganz froh, Herr Kollege
Sarrazin – da sind wir unterschiedlicher Auffassung –,





Christian Petry


(A) (C)



(D)(B)

dass eine weitgehend unabhängige Kommission die Pro-
jektauswahl mitgestaltet, aufarbeitet und letztlich trifft.
Ich glaube, das ist auch sehr gut so, und dann kann es
funktionieren.

Kritisch zu sehen sind natürlich die entsprechenden
Finanzinstrumentarien, die wir dort haben: das ehrgei-
zige Ziel einer Hebelung im Verhältnis von 1 : 15.
21 Milliarden Euro – 16 Milliarden Euro aus den Fonds,
aus dem Haushalt und 5 Milliarden Euro über die Inves-
titionsbank – sollen 315 Milliarden Euro stemmen – und
dies mit privatem Kapital.

Selbstverständlich ersetzt dies nicht öffentliche Mit-
tel. Aber angesichts der Alternative, jetzt etwas zu tun,
ist es doch mit Blick auf die Möglichkeit, nichts zu tun,
ganz klar, dass wir diese Instrumentarien ausnutzen müs-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist natürlich klar, dass wir die Dinge kritisch be-
gleiten wollen. Der Risikotransfer soll abgesichert wer-
den. Anschubfinanzierung oder die Übernahme von
Zinsrisiken sind Modelle, bei denen wir sagen: Hier kön-
nen wir privates Kapital sinnvoll einbinden. Es macht
keinen Sinn, dass dieses Kapital außerhalb von Europa
eingebunden wird. Vielmehr müssen wir in Europa zur
Einbindung dieses Kapitals Projekte anbieten.

Diese Instrumentarien müssen ausführlich diskutiert
und dann angeboten werden. Die EIB, die Europäische
Investitionsbank, ist hierfür ein guter Partner und hat da-
rin Erfahrung. Auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau
hat mit diesen Instrumenten sehr große Erfahrung. Wir
können darauf vertrauen, dass diese Institutionen ordent-
lich arbeiten werden; denn die Risiken – da gebe ich Ih-
nen recht – sind hoch. Man muss aufpassen, dass die öf-
fentliche Hand dabei nicht über den Tisch gezogen wird.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Rief [CDU/CSU])


Alles in allem haben wir hiermit eine gute Maßnahme
zur Stärkung von Investitionen in Europa. Sie ist in die
geänderte Geldpolitik eingebunden. Sie ist in die Schaf-
fung einer Kapitalmarktunion eingebunden und damit
ein großer Wurf. Sie ist in die neue Ausrichtung des Eu-
ropäischen Semesters eingebunden. Sie ist ein Schritt
weg von der Austerität und von der reinen Fiskal- und
Stabilitätspolitik hin zu einer ordentlichen Politik für
mehr Beschäftigung und Wachstum, für ein Europa der
Bürger, so wie wir uns dies wünschen und so wie es auch
akzeptiert wird. In diesem Sinne werbe ich um Zustim-
mung.

Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810617900

Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die

Kollegin Katrin Albsteiger, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Katrin Albsteiger (CSU):
Rede ID: ID1810618000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fi-

nanz- und Wirtschaftskrise hat die Investitionstätigkeit
in Europa stark geschwächt. Der derzeitige Mangel an
Investitionen behindert das europäische Wachstum und
trifft vor allem die Länder, die durch die Krise sowieso
schon – wir haben es gehört – stark angeschlagen sind.

Die Gründe für die fehlenden Investitionen können
vielschichtig sein: ein unsicheres Umfeld in dem einen
oder anderen Land, eine mangelnde Wettbewerbsfähig-
keit, schlechte wirtschaftliche Rahmenbedingungen oder
einfach ein schwerer oder gar kein Zugang zu Investoren
und damit zu Kapital. Das liegt hauptsächlich daran,
dass diese Investitionen teilweise mit sehr hohen Risiken
verbunden sind. Hohe Risiken sind vor allem da gege-
ben, wo es sich um langfristige Investitionen handelt.
Genau an dieser Stelle setzt der EFSI an.

Das klingt jetzt alles relativ technisch und vielleicht
für den einen oder anderen, der das möglicherweise zum
ersten Mal hört, etwas kompliziert und unverständlich.
Aber Fakt ist doch, dass ein Ausbleiben von Investitio-
nen dazu führt, dass der europäische Wirtschaftsraum
weiter geschwächt wird. Das Fehlen eines guten wirt-
schaftlichen Klimas führt zum Schluss wieder dazu, dass
es weniger Arbeitsplätze gibt.

Die geringe Zahl von Arbeitsplätzen und damit auch
eine hohe Arbeitslosenquote, die wir jetzt schon in eini-
gen Ländern haben, sind natürlich ein Albtraum. Stellen
Sie sich vor: Die durchschnittliche Jugendarbeitslosig-
keit liegt bei 22 Prozent, und das ist nur der Durch-
schnittswert. Dabei ist noch gar nicht die Spitze berück-
sichtigt. Davon betroffen sind Länder wie Spanien oder
Griechenland, in denen die Arbeitslosenquote bei Ju-
gendlichen bei über 50 Prozent liegt.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Deshalb fordern wir viel mehr!)


Ja, diese Quote hat sich zugegebenermaßen schon ver-
bessert. Es hat in diesem Bereich eine positive Entwick-
lung gegeben, aber die Quote ist immer noch unverhält-
nismäßig hoch, so hoch, wie es für eine junge
Generation nicht sein darf. Wir ziehen – Kollege Poß hat
es gesagt – eine verlorene Generation in Europa groß.

Hier muss die Europäische Union reagieren. Das sind
große Herausforderungen, die hier zu stemmen sind. Der
Europäische Fonds für strategische Investitionen kann,
sofern er sich in der Realität tatsächlich bewährt, ein An-
fang auf dem Weg sein, die Investitionstätigkeit und da-
mit den Wirtschaftsraum zu stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben uns die Frage gestellt: Was soll dieser
Fonds bewirken? Klar, es geht um die Mobilisierung von
privaten Geldern. Er soll aber vor allem über die Länder-
grenzen hinweg in den Schlüsselbereichen, die für ganz
Europa enorm wichtig sind, Kapital bereitstellen. Er soll
für die Beseitigung von sektorspezifischen und sonstigen
nichtfinanziellen und finanziellen Investitionshindernis-
sen sorgen.





Katrin Albsteiger


(A) (C)



(D)(B)

Ja, es geht dabei um die Generierung von insgesamt
315 Milliarden Euro. Das ist ein Riesenbatzen Geld; das
kann man nicht wegdiskutieren. Es ist sicherlich auch
nicht genug für die gesamte Investitionstätigkeit in Eu-
ropa, aber es ist ein Anfang. Wir brauchen es jetzt. So
viel im Übrigen zum Thema „Befristung des EFSI“. Ich
sehe es schon kommen. Wenn wir ihn nicht befristen
würden, würde es dazu führen, dass wir wahrscheinlich
noch in vier oder fünf Jahren darüber diskutieren, wie
wir es genau machen. Wir brauchen die Investitionen
aber jetzt. Eine Befristung mobilisiert auch eine schnelle
Investitionstätigkeit, die wir so dringend brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zu begrüßen ist ebenfalls, dass der EFSI hauptsäch-
lich für kleine und mittelständische Unternehmen ge-
dacht ist, für den wichtigen Mittelstand, der in anderen
Ländern Europas noch viel wichtiger ist als bei uns. Wir
haben schon einen relativ stabilen Mittelstand, den wir
selbstverständlich weiter fördern müssen, aber gerade im
Süden Europas ist noch einiges zu tun.

Ebenfalls zu begrüßen ist, dass der EFSI nicht, wie so
viele andere EU-Maßnahmen, auf Zuschüsse setzt, son-
dern auf ein risikoabgesichertes Darlehen. Das heißt, die
Gelder sollen auch wieder zurückgezahlt werden. Trotz-
dem ist es so – das kann ich mir zum Schluss nicht ver-
kneifen –: Es gibt bei allem Guten auch einen kleinen
Wermutstropfen, über den wir schon so oft gesprochen
haben. Einige Gelder werden aus dem erfolgreichen For-
schungsprogramm der Europäischen Union „Horizon
2020“ genommen. Ich glaube, man kann es lang und
breit beklagen. Sicher an dieser Stelle ist: Wenn die
2,7 Milliarden Euro herausgenommen werden und in
den Fonds gehen sollen, dann sollte doch bitte schön bei
der Auswahl der Projekte darauf geachtet werden, dass
dieses Geld zum Schluss wieder in der Forschung landet,
wohin es nämlich gehört.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810618100

Vielen Dank, Frau Kollegin Albsteiger. – Ich schließe

damit die Aussprache.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/4929 mit dem Titel „Dem Europäischen Fonds
für strategische Investitionen zum Erfolg verhelfen“,
und zwar zur Stellungnahme gegenüber der Bundesre-
gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes.
Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um ein
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Dieser Antrag ist angenommen mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grü-
nen.

Wir kommen jetzt zum Zusatzpunkt 5. Abstimmung
über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
18/4932 mit dem Titel „Für ein öffentliches sozial-öko-
logisches Zukunftsinvestitionsprogramm in Europa“.
Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um ein
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Dieser Antrag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten
Norbert Müller (Potsdam), Thomas Nord, Caren
Lay, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes über die Finanzierung der Beseitigung
von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik

(Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz – RüstAltFG)


Drucksache 18/4841
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe
keinerlei Widerspruch. Dann ist das somit beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Norbert Müller für die Fraktion Die
Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810618200

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den
Tribünen! Krieg verursacht unermessliches Leid für
Menschen, und Krieg hinterlässt eine riesige Menge an
gefährlichem Müll. Seit dem 9. Mai 1945 stellt sich in
Deutschland folgende Frage: Was soll mit den ganzen
Weltkriegswaffen, Bomben und Granaten, passieren,
und wer ist für deren Entsorgung verantwortlich?

Die Bundesrepublik trägt aufgrund der Subjektidenti-
tät mit dem Deutschen Reich die Kosten der Entsorgung
sogenannter reichseigener Munition, also Wehrmachts-
munition, die im heutigen Territorium der Bundesrepu-
blik Deutschland verblieben ist. Der Bund muss pro Jahr
etwa 30 Millionen Euro für deren Beseitigung aufbrin-
gen. Nun gibt es aufgrund des Verlaufs des Zweiten
Weltkrieges aber nicht nur reichseigene, sondern auch
eine ganze Menge alliierter Rüstungsaltlasten auf deut-
schem Staatsgebiet.

Ich komme aus Ostbrandenburg. Als ich ein kleines
Kind war, gab es immer die Belehrung, wenn wir im
Wald spazieren gegangen sind: Hebe nichts auf, was
nach Metall aussieht, es könnte explodieren. – Ostbran-
denburg, das ist einer der Landstriche in Deutschland,
der im April 1945 durch die dortigen unnötigen Kampf-
handlungen der Wehrmacht am meisten verwüstet wor-
den ist. Häufig sind es Fliegerbomben, die zu unser aller
Leidwesen undetoniert in deutschem Boden liegen. Ins-
gesamt haben die Alliierten etwa 1,3 Millionen Tonnen
Fliegerbomben eingesetzt, um das Deutsche Reich zur





Norbert Müller (Potsdam)



(A) (C)



(D)(B)

Kapitulation zu bewegen. Davon sollen circa 250 000
nicht explodiert sein.

Wir wissen nicht genau, wie viele Bomben noch in
deutschem Boden liegen. Besonders betroffen sind die
Bundesländer Berlin, Hamburg, Brandenburg und Nie-
dersachsen. Wer die Medien aufmerksam verfolgt hat,
hat mitbekommen, dass in Hannover erst Anfang der
Woche aufgrund der Entschärfung einer 250-Kilo-Welt-
kriegsbombe 31 000 Menschen ihre Wohnquartiere ver-
lassen mussten – eine der größten Evakuierungen seit
1945.

Die anfallenden Kosten für die Entsorgung alliierter
Munition müssen die betroffenen Länder und die Kom-
munen seit nunmehr 70 Jahren selbst tragen. Seit 1990
hat die Erkundung, Entschärfung und Entsorgung alliier-
ter Rüstungsaltlasten, insbesondere von Fliegerbomben,
alleine mein Land Brandenburg etwa 220 Millionen
Euro gekostet, die anderswo dringender gebraucht wer-
den. Die anderen betroffenen Bundesländer stehen vor
ähnlichen Herausforderungen. Für die Betroffenen ist
völlig klar: Es gilt das Verursacherprinzip, und Verursa-
cher des Zweiten Weltkriegs sind nicht die Alliierten,
auch nicht die Kommunen oder die Länder, sondern das
Deutsche Reich und in Folge und Verantwortung die
Bundesrepublik Deutschland, die dieses Erbe nicht aus-
schlagen kann, sondern annehmen muss.

Mit der Beschlussfassung über den Entwurf eines Ge-
setzes über die Finanzierung der Beseitigung von Rüs-
tungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland hat
der Bundesrat zuletzt am 11. Juli 2014, und damit insge-
samt zum sechsten Mal nach 1992, 1997, 2001, 2003
und 2011, die Bundesrepublik Deutschland in die Pflicht
nehmen wollen. Was ist seit 1992 mit diesem inzwischen
nahezu einstimmig getroffenen Beschluss des Bundesra-
tes passiert? Nichts! Es ist jedes Mal gar nichts passiert.

Jede Bundesregierung seit Helmut Kohl hat dieses
Thema abgewürgt, ausgesessen oder schlichtweg igno-
riert. Daran sind nahezu alle Parteien in diesem Haus be-
teiligt. Die Sozialdemokraten waren bei Abstimmungen
im Bundestag 1993 und 1998 als Oppositionsfraktionen
dafür. Jürgen Trittin – er war grüner Minister für Bun-
des- und Europaangelegenheiten in Niedersachsen, er
war sogar Beauftragter des Bundesrates für die Rüs-
tungsaltlastenfinanzierung – hat als Minister im Kabinett
Gerhard Schröder gegen sein eigenes Gesetz gestimmt.
Die CDU war zeitversetzt adäquat verwirrt: Sie war
1993 und 1998 im Bund unter Bundeskanzler Kohl da-
gegen, dass sich der Bund an der Kostenfinanzierung be-
teiligt, in der Opposition 2004 dann aber dafür.

Seit der Großen Koalition unter Kanzlerin Merkel
war man sich einig, dass man am besten gar nicht mehr
über das Thema spricht. Seit dem letzten großen Anlauf
2011 warten die Bundesländer nun darauf, dass die
Große Koalition das Gesetz in den Bundestag einbringt.
Die Rechnung der Bundesregierung scheint klar – das ist
Ihrem Bericht zu entnehmen –: Je mehr Zeit vergeht,
umso mehr Munition wird in der Zwischenzeit auf Kos-
ten der Kommunen und der Länder entsorgt. Wo die
schwarze Null den Haushalt regiert, müssen die berech-
tigten Interessen der eigenen Landesregierung hintanste-
hen. Es waren Landesregierungen aus CDU, aus SPD,
häufig auch aus FDP, Grünen und Linken, die dem Ge-
setz zugestimmt oder es in den Bundesrat eingebracht
haben.

Das Aussitzen hier im Bund ist verdammt gefährlich.
Nach über 70 Jahren verwittern langsam die Kunststoff-
und Zellulosesicherungen der chemischen Langzeitzün-
der von Fliegerbomben. Hierdurch wird eine Entschär-
fung massiv erschwert und lebensgefährlich. Selbst so-
genannte Spontandetonationen ohne jeglichen äußeren
Einfluss in besiedelten Gebieten sind nicht auszuschlie-
ßen. Dass es in der Vergangenheit Spontandetonationen
nur in unbesiedelten Gebieten gegeben hat, dass kaum
jemand zu Schaden gekommen ist, dass es nur Sachschä-
den gab, das grenzt – und ich bin nicht besonders gläu-
big – fast an ein Wunder. Wir können nur hoffen, dass es
auch in Zukunft so ist; aber man darf eben nicht nur hof-
fen, sondern muss die Beseitigung von Rüstungsaltlasten
aus dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere die systemati-
sche Suche nach Fliegerbomben und deren Entschär-
fung, auch vorantreiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei kann man die Länder nicht mehr im Regen stehen
lassen. Da muss der Bund in die Finanzierung mit eintre-
ten; er ist hier auch in der Pflicht. Die Bundesregierung
gefährdet das Leben der Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter der Kampfmittelbeseitigungsdienste sowie von Bür-
gerinnen und Bürgern, die über Blindgängern wohnen
oder arbeiten.

Kollege Uwe Feiler – Sie sind anwesend –, ich habe
Ihr Interview im Rundfunk Berlin-Brandenburg gesehen.
Ich finde es, ehrlich gesagt, der Sache völlig unangemes-
sen, zu argumentieren, man könne ja im Rahmen der
Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen dann
irgendwann mal darüber reden, 2018/2019. Nein, wir
brauchen keine Regelung 2018/2019, wir brauchen jetzt
eine Regelung. Die Länder warten seit 25 Jahren darauf
und haben sechsmal im Bundesrat dafür gestimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben uns als Linksfraktion des vom Bundesrat
erteilten Auftrags an die Bundesregierung angenommen.
Wir haben lange genug gewartet, dass die Bundesregie-
rung, die Koalition selbst aktiv wird aufgrund des Be-
schlusses des Bundesrates, und bringen einen entspre-
chenden Gesetzentwurf nun selbst in den Deutschen
Bundestag ein. Damit haben Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen Abgeordneten der SPD und der Union – einge-
laden sind auch die Kolleginnen und Kollegen der Grü-
nen –, die Möglichkeit, den auch von Ihren Landesregie-
rungen getragenen Beschluss zum Gesetz zu erheben
und den Bund endlich in die Verantwortung zu nehmen
und an der Finanzierung der Beseitigung von Rüstungs-
altlasten zu beteiligen. Zeit wird es.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810618300

Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege

Klaus-Dieter Gröhler.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus-Dieter Gröhler (CDU):
Rede ID: ID1810618400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Mai

1945, also in den 70 Jahren seit Kriegsende, sind in Ber-
lin circa 1,8 Millionen Sprengkörper aufgefunden und
unschädlich gemacht worden. Nach Schätzungen der
Berliner Landesregierung sind etwa noch 3 000 Blind-
gänger im Boden der Bundeshauptstadt vorhanden. Al-
lein im letzten Jahr wurden in Berlin 54 Tonnen Bom-
ben, Granaten und Munition aufgefunden und entschärft.
In Niedersachsen sind es jährlich zwischen 50 und
90 Tonnen, und in dem Bundesland mit der größten Mu-
nitionsbelastung, nämlich Brandenburg, sind im vorletz-
ten Jahr 270 Tonnen Altmunition geborgen worden. – So
weit die Darstellung der Istsituation, die hier im Haus si-
cherlich von keiner Fraktion bestritten wird.

Ich gebe gerne zu: Das ist eine große Herausforde-
rung. Da, Herr Kollege Müller, sind wir uns einig. Wir
kommen nur zu völlig unterschiedlichen Bewertungen in
der Frage, welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen
müssen. Sie kommen zu falschen; denn Sie haben hier
eben den Eindruck vermittelt, dass eine große Gefahr für
die Bevölkerung dadurch entstehen würde, dass der
Bund in dieser Frage völlig untätig sei, und haben das
mit einem Rundumschlag im Hinblick auf zahlreiche
Bundesregierungen verbunden. Genau das ist falsch;
denn die Zahlen, die ich Ihnen eben geschildert habe, zur
Munitionsbergung in den unterschiedlichen Bundeslän-
dern, zeigen ja, dass Munition aufgefunden, geborgen
und unschädlich gemacht wird. Bitte vermitteln Sie doch
nicht gegenüber der Bevölkerung den Eindruck: Hier be-
steht eine ganz große Gefahr, nur weil die Bundesregie-
rung untätig ist. – Das ist so nicht richtig.

Sie schreiben in Ihrem Gesetzesentwurf – ich darf zi-
tieren –:

… eine angemessene Lastenteilung zwischen Bund
und Ländern bei der Finanzierung von Maßnahmen
zur Beseitigung von Rüstungsaltlasten … zu regeln.

Dabei übersehen Sie zum einen, dass es eine solche
Lastenteilung bereits gibt. Zum anderen machen Sie den
Fehler, in Ihrem Gesetzentwurf zu fordern, dass der
Bund in Zukunft allein die Kosten übernehmen soll. Die
Lastenteilung existiert: Allein 2013 hat der Bund den
Ländern 26,3 Millionen Euro für die Beseitigung von
Kampfmitteln erstattet. Im aktuellen Haushaltsplan, für
2015, sind erneut 25 Millionen Euro vorgesehen, und ich
bin sicher, dass es auch im Haushaltsplan 2016 wieder so
sein wird. Es gibt eine ganz klare Teilung in der Finanz-
verantwortung zwischen Bund und Ländern, die auch
völlig logisch ist: Der Bund als Rechtsnachfolger des
Deutschen Reiches kommt für die Finanzierung der Be-
seitigung deutscher Kampfmittel auf und für die Muni-
tionsbergung auf bundeseigenen Grundstücken. Die
Länder wiederum zahlen die Beseitigung von Munition
der ehemaligen Alliierten auf den übrigen Flächen im
Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Abwehr von Gefah-
ren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

Ein brandenburgischer Innenminister, meine Damen
und Herren, hat in diesem Zusammenhang einmal richtig
bemerkt – ich darf zitieren –:

Die Folgen des Zweiten Weltkrieges sind ein ge-
meinsames Erbe. Ihre Beseitigung ist damit eine
gesamtstaatliche Aufgabe und nicht die Sache ein-
zelner Länder.

Genau das stimmt: eine gesamtstaatliche Aufgabe, von
Bund und Ländern; übrigens wird das seit Jahrzehnten
so gehandhabt. Dieser Satz stammt nicht vom heutigen
brandenburgischen Innenminister, sondern ist elf Jahre
alt und stammt von Jörg Schönbohm. Er wehrte sich da-
mals dagegen, dass der frühere Bundesfinanzminister
Hans Eichel jegliche Bundesbeteiligung ab 2006 strei-
chen und diese Aufgabe komplett den Bundesländern
aufbürden wollte. Dazu ist es nicht gekommen, und da-
für besteht auch keine Veranlassung. Ich plädiere daher
dafür, dass wir die über Jahrzehnte geübte Praxis der
Lastenteilung der Verantwortung auch weiterhin beibe-
halten.

Die Bundesrepublik Deutschland besteht aus 16 sehr
selbstbewussten Bundesländern, die selbst auch eine
Staatsqualität haben. Diese Staatsqualität bedeutet nicht
nur Rechte, sondern auch Pflichten – auch finanzielle
Pflichten. Die Bundesländer sind ja keine nachgeordne-
ten Verwaltungseinrichtungen des Bundes, die einfach
sagen können, dass sie zusätzliches Geld brauchen, son-
dern sie haben eine eigene Verantwortung. Ich kann in-
zwischen nicht mehr hören, dass es ständig heißt: Das
schaffen die Länder nicht, hier sind die Länder überfor-
dert, sie brauchen hier vom Bund mehr Geld, da könnte
der Bund noch eine Aufgabe übernehmen. – So funktio-
niert die Argumentation nicht, weil auch die Länder un-
serer Bundesrepublik von der sehr guten wirtschaftli-
chen Lage profitieren. Sie nehmen jährlich 10 Milliarden
Euro Steuern mehr ein, und deshalb kann man nicht im-
mer neue Forderungen an den Bund stellen.

Darüber hinaus gibt es eine beispiellose Mittelumver-
teilung vom Bund an die Länder. Gerade heute, am Tag
des Nachtragshaushalts, darf ich das noch einmal in Er-
innerung rufen: 125 Milliarden Euro gehen im Zeitraum
von 2010 bis 2018 zusätzlich vom Bund an die Länder,
und ich glaube, ich darf einmal sagen: Noch nie hat eine
Bundesrepublik Deutschland so kommunal- und länder-
freundlich gehandelt wie unter der Kanzlerschaft von
Angela Merkel und ihrem Finanzminister Wolfgang
Schäuble.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir dafür ein
Stückweit bestraft werden, nach der Devise: Der Bund
gibt so viel, jetzt kann er noch mehr geben. Ich glaube
aber, diese Argumentation ist falsch, und wir sollten sie
auch dringend unterlassen, weil der Bund nicht die Kuh
ist, die man ständig melken kann.





Klaus-Dieter Gröhler


(A) (C)



(D)(B)

Lassen Sie mich Ihnen noch eine letzte Zahl nennen:
Das Land Brandenburg hat seit seiner Wiederherstellung
als Bundesland vor 25 Jahren 117 Millionen Euro vom
Bund für die Beseitigung von Munition und Bomben er-
halten.


(Ulrich Freese [SPD]: Und 200 Millionen Euro selber gezahlt!)


Es gibt also eine ganz klare Lastenteilung, und an der
gibt es nichts zu rütteln.

Ich stimme mit meinem Kollegen Feiler darin über-
ein, dass man im Rahmen von Bund-Länder-Reformbe-
strebungen im Bereich der Finanzen über diese Frage
nachdenken kann. Heute gibt es in diesem Punkt aber
nichts zu entscheiden – und schon gar nicht auf der
Grundlage Ihres Gesetzentwurfs.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810618500

Der Kollege Dr. Tobias Lindner vom Bündnis 90/Die

Grünen spricht als Nächster.


(Henning Otte [CDU/CSU]: Da sind wir jetzt einmal gespannt!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Lieber Kollege Gröhler, ich glaube, wenn sich ein
Thema wenig eignet, um über die Frage, ob Anträge
oder Gesetzentwürfe der Linksfraktion in diesem Haus
immer sinnvoll sind oder nicht, und über die Reform der
Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu streiten, die ja not-
wendig ist – wir alle in diesem Haus sehen ja die Not-
wendigkeit –, dann sind es die Hinterlassenschaften des
Zweiten Weltkrieges, die immer noch in unserer Erde
schlummern und tagtäglich eine Gefahr in sich bergen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir haben vor wenigen Wochen den 70. Jahrestag des
Endes des Zweiten Weltkrieges begangen und der Opfer
gedacht. Wir haben es heute immer noch mit Blindgän-
gern zu tun, die im Boden liegen, und immer noch
kommt es in Deutschland nahezu jährlich zu Todes-
opfern, wenn bei Bauarbeiten ein Blindgänger nicht
rechtzeitig entdeckt wird. Lassen Sie mich eines sagen:
Die Situation wird nicht dadurch besser, dass man ab-
wartet. Der Kollege Müller hat zu Recht den Zustand
vieler Zünder erwähnt. Ich will hier jetzt gar nicht zu
technisch werden, aber ich will Ihnen ausdrücklich zu-
stimmen, Herr Kollege: Die Gefahr wird nicht dadurch
geringer, dass wir hier zuwarten.

Es ist auch schon daran erinnert worden, dass es sechs
Bundesratsinitiativen mit unterschiedlichen Mehrheiten
in diesem Hohen Hause gab. Herr Kollege Müller, ich
sehe es Ihnen nach, dass Sie von Ihren Fraktionskollegen
im Haushaltsausschuss noch nicht darüber informiert
wurden: Auch meine Fraktion hat in den letzten Jahren
die Notwendigkeit gesehen, dass der Bund tätig wird.
Bei den Haushaltsberatungen haben wir in den letzten
Jahren immer 10 Millionen Euro in den Bundeshaushalt
einstellen wollen, um einen Anfang zu machen, damit
die Länder eine größere Unterstützung durch den Bund
haben als bisher, wenn es darum geht, Munition zu be-
seitigen und Gefahren zu vermeiden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Eine gesetzliche Regelung wäre gut gewesen!)


– Herr Kollege, wir können über eine gesetzliche Rege-
lung sehr gerne reden. Aber Sie werden mir, glaube ich,
nicht widersprechen, dass es nicht nur um eine gesetzli-
che Regelung, sondern nun mal auch um finanzielle Mit-
tel geht.

Ich will für meine Fraktion sagen: Es geht hier nicht
um ein Schwarz-Weiß-Denken in den Beratungen, die
wir vor uns haben, sondern um die Frage, wie wir zu ei-
ner gerechten Lastenverteilung kommen: Müssen wir da
nachjustieren? Kann man hier auch über ein Sonderpro-
gramm des Bundes etwas erreichen? Ich will mich hier
gar nicht auf eine rechtliche Exegese einlassen, ob die
Lasten hundertprozentig bei den Ländern, hundertprozen-
tig beim Bund liegen sollten oder – wie auch immer – ge-
teilt werden sollten. Dafür, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, ist dieses Thema viel zu ernst.

Lassen Sie mich, wenn wir beim Thema Geld sind, ei-
nes sagen. Wir haben über sechs Bundesratsinitiativen
gesprochen. Die Finanzverhältnisse gerade des Bundes
haben sich seit 1992, als es die erste Initiative gab, deut-
lich zum Besseren verändert. Wir haben gerade erst vor
zwei Stunden hier in diesem Hohen Hause über einen
Nachtragshaushalt gesprochen. Die Große Koalition fei-
ert sich regelmäßig für die schwarze Null.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Und das zu Recht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem Feiern der
schwarzen Null und des Nachtragshaushalts: Wir reden
hier über überschaubare Beträge. Noch gestern haben
wir im Haushaltsausschuss in der Bereinigungssitzung
viel größere Beträge verändert. Wenn wir jetzt darüber
reden, ob wir zu den 25 Millionen Euro, die der Bund
jährlich für die Beseitigung reichseigener Munition be-
reitstellt, vielleicht die gleiche Summe oder eine Summe
ähnlicher Größenordnung dazulegen, sollte uns klar
sein: Das ist für den Bund leistbar und machbar, und es
mindert Gefahren in der Zukunft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Nächster Punkt. Herr Kollege Gröhler, ich bin durch-
aus ein Anhänger der These, dass der Föderalismus in
Deutschland große Vorteile bringt: Die Länder können
und sollen eigene Verantwortung übernehmen und ei-
gene Antworten geben. Aber was mir noch niemand in
diesem Hause erklären konnte, ist, wie man ein Bundes-
land dafür verantwortlich machen kann, dass es im





Dr. Tobias Lindner


(A)



(D)(B)

Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger stark von Bomben
der Alliierten getroffen worden ist. Ich bin der Meinung,
wir können die Bundesländer nicht dafür verantwortlich
machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir können beispielsweise Brandenburg nicht dafür in
die Verantwortung ziehen, dass es im Zweiten Weltkrieg
besonders stark getroffen wurde. Deswegen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, möchte meine Fraktion, dass der
Bund hier mehr Verantwortung übernimmt als bisher.

Ich glaube – damit will ich zum Schluss kommen –,
der Gesetzentwurf der Linksfraktion ist ein guter Anlass,
in den Ausschüssen darüber nachzudenken, wie wir hier
zu Lösungen kommen können. Ich habe auch erwähnt:
Meine Fraktion war in der Vergangenheit offen für die-
ses Thema und hat eigene Vorschläge gemacht. Ich
würde mich sehr freuen, wenn wir hier über Partei- und
Fraktionsgrenzen hinweg eine pragmatische Lösung fin-
den könnten, im Sinne der Menschen, die immer noch
unter den Gefahren dieser Munition leiden.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810618600

Für die SPD hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Ulrich

Krüger das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD):
Rede ID: ID1810618700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehört
die Beseitigung sogenannter Rüstungsaltlasten, zum
Beispiel Fliegerbomben – meine Kollegen haben es
schon angeführt –, nach wie vor zu den großen Proble-
men, die die Länder und der Bund zu bewältigen haben.
Gefahren für Mensch und Umwelt lauern überall. Sie
schlagen sich in Form von Bodenvergiftungen, Gewäs-
serverschmutzungen und Explosionsgefahren nieder.
70 Jahre alte Fliegerbomben und Explosionsmaterialien
sind einem chemischen Veränderungsprozess ausgelie-
fert, der Grundwasserverunreinigungen und Schlimme-
res befürchten lässt. Diese Rüstungsaltlasten sind Hin-
terlassenschaften zum einen aus Kriegen, zum anderen
von Rüstungsindustrie und alten Truppenübungsplätzen.
Gemeinsam ist beiden Ursachen jedoch der erhebliche
Aufwand, der mit der Beseitigung der Altlasten verbun-
den ist.

Es ist in der Tat kein Geheimnis, dass die Länder in
vielen Fällen finanziell überfordert sind und wichtige
Sanierungsaufgaben unerfüllt bleiben. Die Gefahren für
Umwelt und Mensch bleiben demgemäß bestehen. Ich
bin mir sicher, dass jeder von uns gut nachvollziehen
kann, dass diese Gefährdung bedrückend ist, insbeson-
dere für Regionen, die zu den – ich sage das durchaus in
Gänsefüßchen – beliebten Zielen während der Zeit des
Zweiten Weltkrieges gehört haben. Ich bin mir auch da-
rüber im Klaren, dass hieraus nicht nur gesundheitliche,
menschliche und soziale, sondern auch wirtschaftliche
Nachteile resultieren können, zum Beispiel, wenn Inves-
toren sich zurückziehen, weil sie die finanziellen Bedin-
gungen, unter denen sie arbeiten sollen, nicht kalkulieren
können.

Vor diesem Hintergrund sind die beiden letzten Bun-
desratsinitiativen der Länder Brandenburg und Nieder-
sachsen – sie wurden eben schon angesprochen – aus
den Jahren 2011 und 2014 zu sehen, die sich die Fraktion
Die Linke zu eigen gemacht hat. Diese Bestrebungen der
beiden Bundesländer sind dem Grunde nach durchaus
nachvollziehbar.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bereits seit 1992 wird nahezu in jeder Legislaturperiode
fast ein und derselbe Gesetzentwurf vorgelegt.

Ohne die Bedeutung zu verkennen – ich hoffe, das
habe ich deutlich gemacht –, ist meines Erachtens eine
Lösung in Form des von den Linken vorgelegten
Entwurfs kaum machbar. Mit dem Gesetzentwurf wird
beabsichtigt, die Finanzierung der Maßnahmen zur Be-
seitigung von Rüstungsaltlasten grundlegend und einsei-
tig zulasten des Bundes zu verändern. Nach den §§ 1, 2,
3 und 5 des Entwurfs soll der Bund auch die Kosten für
nicht weltkriegsbezogene Lasten tragen. Dagegen spre-
chen meines Erachtens eindeutig verfassungsrechtliche
Aspekte.

In Artikel 104 a des Grundgesetzes ist das sogenannte
Konnexitätsprinzip verankert, das besagt: Die Ausga-
benlast folgt der Aufgabenlast. Mit anderen Worten: Hat
das Land eine Aufgabe, muss es diese finanzieren; hat
der Bund eine Aufgabe, muss jener sie finanzieren. Das
Grundgesetz lässt Abweichungen nur dort zu, wo aus-
drücklich etwas anderes geregelt ist. Der Gesetzentwurf
bezieht sich im Kern auf Aufgaben, die der Gefahren-
abwehr zuzurechnen sind. Das sind Bodenschutzmaß-
nahmen und Sanierungsbestrebungen – alles Dinge, die
nach unserer verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsord-
nung Länderaufgaben sind.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf will man vom
Konnexitätsgrundsatz in Artikel 104 a Grundgesetz ab-
weichen. Das wiederum ist aber nur zulässig, wenn es
dafür eine Norm gibt. Die Norm, um die es hier geht, ist
Artikel 120 Grundgesetz, wonach dem Bund die Befug-
nis eingeräumt wird, Regelungen über Aufwendungen
für innere und äußere Kriegsfolgelasten zu treffen. In
diesem Zusammenhang gibt es eine einschlägige, aus
Sicht von einigen von Ihnen leider immer noch einschlä-
gige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wo-
nach dem Gesetzgeber jede Befugnis in diesem Bereich
nur dann zukommt, wenn es um Kriegsfolgelasten geht,
die ausschließlich durch den Zweiten Weltkrieg verur-
sacht worden sind. Dass der Krieg auch eine Ursache für
eine Last ist, reicht nach unserer aktuellen Verfassungs-
grundlage nicht aus.

(C)






Dr. Hans-Ulrich Krüger


(A) (C)



(D)(B)

Das ist nun der Punkt in dem Gesetzentwurf: Rüs-
tungsaltlasten sollen auch Grundstücke sein, auf denen
nach dem 30. Januar 1933 mit rüstungsspezifischen
Stoffen oder Kampfmitteln umgegangen worden ist.
Außerdem ist § 3 zu erwähnen, in dem auch Sanierungs-
maßnahmen als in die Zukunft gerichtetes Handeln
allein dem Bund zur Last gelegt werden sollen. Die Kos-
ten für diese Sanierungsmaßnahmen sollen dem Bund in
Rechnung gestellt werden. Das geht so leider nicht; denn
die im Gesetzentwurf genannten Zielsetzungen sind
größtenteils der Gefahrenabwehr zuzuordnen und damit
Aufgabe der Länder.

Im Übrigen trägt der Bund – der Kollege von der
CDU sprach das eben schon an – nach der Staats- und
Verwaltungspraxis, die wir aktuell haben, bereits einen
sehr hohen Anteil an der Finanzierung der Beseitigung
der Altlasten. Er finanziert die Maßnahmen der Gefah-
renbeseitigung auf nicht bundeseigenen Grundstücken,
sofern sie durch reichseigene Kampfmittel verursacht
worden sind. Zudem übernimmt er auf seinen Grundstü-
cken natürlich ebenso seit 50 Jahren die Kosten für die
Beseitigung der entsprechenden Kriegsfolgelasten. Er
wendet ferner – die Summe wurde eben schon angespro-
chen – circa 25 Millionen Euro pro Jahr auf, um auf
nicht bundeseigenen Grundstücken Gefahren zu beseiti-
gen.

Sie sehen: Die finanziellen Mittel, die der Bund zur
Verfügung gestellt hat und stellt, sind nicht unerheblich.
Aber – das ist genau der Punkt, über den wir hier heute
zu diskutieren haben – welche Mittel benötigen die Län-
der, um den ihnen obliegenden Anteil an dieser – ich zi-
tiere – gesamtstaatlichen Aufgabe endgültig erfüllen zu
können? Im Gesetzentwurf wird davon ausgegangen,
dass sich die Kosten mehr als verdoppeln; genauere Be-
rechnungen fehlen. Da muss ich als Haushälter natürlich
sagen: Das ist keine Berechnungsgrundlage. Das ist kein
Punkt, den man ausgehend vom Grundsatz der Wirt-
schaftlichkeit und Sparsamkeit zur Richtschnur seines
Handelns machen könnte. Denn – und das ist auch die
Erfahrung der Staatspraxis – Diskussionen bezüglich des
effizienten Mitteleinsatzes sind in der Regel immer da
die Folge, wo ich eine Alleinfinanzierung des einen und
die Durchführung des anderen habe.

Ich komme zu dem Ergebnis, dass der vorliegende
Gesetzentwurf in seiner bisherigen Form keine Chance
hat, die angesprochenen Probleme nachhaltig zu beseiti-
gen. Nichtsdestotrotz besteht das Gesamtproblem. Wie
ich eingangs angesichts der Gefährdungslage für die be-
troffenen Regionen ausgeführt habe, gibt es heute erheb-
liche Aufgaben, bei denen mir bewusst ist, dass die Län-
der sie nicht oder nicht hinreichend immer werden
erfüllen können.

Von daher bleibt uns im Hinblick auf das aktuelle Ge-
setzgebungsvorhaben und die aktuelle Diskussion nur
die Frage: Gibt es nicht einen neuen Lösungsansatz bei-
spielsweise in der Form eines Bundeskonversionspro-
gramms? Gibt es nicht andere Lösungsansätze? Darüber,
ob diese geeignet sind oder nicht, Herr Kollege Lindner,
können andere streiten. Darüber haben die Länder dann
im Rahmen der Bund-Länder-Finanzbeziehung zu bera-
ten.

Leider muss ich ausführen: All diese wichtigen und
richtigen zukunftsorientierten Ansätze werden leider mit
der jetzigen Form des Gesetzentwurfs nicht zu erreichen
sein. Vielmehr wird es weiterer Argumente und weiterer
Auseinandersetzungen bedürfen. Vielleicht können sie
an dieser Stelle im weiteren Verlauf des Verfahrens ge-
führt werden. Vielleicht müssen sie aber auch an anderer
Stelle geführt werden.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810618800

Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege

Alois Karl.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1810618900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Vorbereitung der heutigen Diskussion über den An-
trag der Linken ist man durchaus geneigt, eine gewisse
Zeitspanne zurückzuschauen; Herr Dr. Lindner, Sie hat-
ten das angesprochen. Es ist noch nicht lange her, dass
wir hier am 8. Mai 2015 in einer wirklich sehr bemer-
kenswerten Feststunde dem 70. Jahrestag der Beendung
des Zweiten Weltkrieges und der totalen Kapitulation
und Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus
gedacht haben.

70 Jahre haben manches Leid nicht gelindert. Dies be-
trifft insbesondere den Tod von Angehörigen. Der per-
sönliche Schmerz wirkt genauso nach wie das Thema,
das Sie ansprechen, nämlich dass Altlasten in der Tat
70 Jahre überdauert haben. In den Bundesländern ist das
ganz gewiss verschieden verteilt. Mecklenburg-Vorpom-
mern und Brandenburg sind möglicherweise stärker
belastet als viele andere Regionen; das gilt insbesondere
für die Stadt Oranienburg.

Man geht davon aus, dass im Zweiten Weltkrieg Mil-
lionen Bomben über Deutschland abgeschmissen wor-
den sind. Seriöse Berichterstattungen sagen, jede zehnte
Bombe sei nicht explodiert. Das hieße, dass Hunderttau-
sende nicht explodiert sind und im Laufe der Jahre und
Jahrzehnte auch teilweise entschärft wurden. Wir gehen
davon aus, dass seit Ende des Zweiten Weltkrieges etwa
300 000 Bomben entschärft worden sind. Der Innen-
minister Bayerns hat mir mitgeteilt, 180 000 Tonnen an
Bomben und Munition seien im vorletzten Jahr in Bay-
ern entschärft worden. Die anderen Bundesländer – wir
haben das gehört – haben entsprechende Zahlen vorzu-
weisen.

Ich weiß ein wenig, wovon ich spreche, da ich selber
kommunalpolitisch tätig war und meine Stadt zum Ende
des Zweiten Weltkrieges, 14 Tage vor dem 8. Mai, total
zerstört worden war. 92 Prozent der Innenstadt wurden
zerstört. 50 Jahre später gab es bei einem Schulhausneu-





Alois Karl


(A) (C)



(D)(B)

bau in der Tat die Probleme, von denen wir heute gehört
haben. Wir mussten damals Bombenkataster einsehen
und Unterlagen der amerikanischen Armee anfordern.
Der Kampfmittelräumdienst hat damals eine schwierige
Aufgabe gehabt.

Ich möchte an dieser Stelle auch einmal denen unse-
ren herzlichen Dank aussprechen, die fast tagtäglich
– auch unter Einsatz ihres Lebens – diese schwierigsten
Aufgaben erfüllen, damit wir Stadtentwicklung und Ent-
wicklung unseres Landes betreiben können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich meine schon, dass das viel wert ist. Wir, die wir Ver-
antwortung haben, müssen Vorsorge und Fürsorge be-
treiben, aber andere müssen die Arbeit machen.

Über den Gesetzentwurf der Linken


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Guter Gesetzentwurf!)


ist schon manches gesagt worden, sodass ich nicht noch
einmal auf jedes Detail eingehen muss. Dieser Gesetz-
entwurf hat ja in Wahrheit nur einen einzigen Inhalt und
einen Sinn, nämlich eine Kostenverlagerung weg von
den Bundesländern hin zum Bund.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist ein Punkt, bei dem Sie sehr, sehr kurz greifen.
In diesen Tagen diskutieren wir darüber, dass wir ein
Programm in Höhe von 6 Milliarden Euro für die Bun-
desländer, die Kommunen, die Gemeinden und die
Landkreise zur Stärkung ihrer Investitionstätigkeit auf
den Weg bringen. Wenn Sie die Eingliederungshilfe da-
zunehmen, sehen sie: Zulasten des Bundes und zuguns-
ten der Bundesländer geben wir 18 Milliarden Euro aus;
damit stärken wir unsere Kommunen, aber auch unsere
Länder. Wenn wir die Grundsicherung im Alter dazuneh-
men – diese haben wir übernommen –, sehen Sie: Wir
stellen den Bundesländern etwa 55 Milliarden Euro zur
Verfügung. Wir nehmen ihnen diese Last ab und schul-
tern sie dem Bund auf. Bei den KdU, den Kosten der
Unterkunft, ist es das Gleiche.

Natürlich könnten wir bei all diesen Konglomeraten,
bei diesen hohen Zahlen die Bundesländer ein bisschen
weniger entlasten und 25 oder 30 Millionen Euro für die
Rüstungsaltlasten zur Verfügung stellen, aber das wäre
ein reines Nullsummenspiel. Damit wäre niemandem ge-
holfen. Das wäre auch keine seriöse Politik. Damit wür-
den wir in das Fahrwasser Ihres Gesetzentwurfs kom-
men.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Deswegen lehnen Sie ihn ab!)


Von Ihnen, lieber Dr. Krüger, wurde gesagt, dass es
eigentlich ein Problem der Finanzbeziehungen des Bun-
des und der Länder ist, dass wir diese Finanzbeziehun-
gen tausendfach haben. Sie gehören möglicherweise neu
geregelt. Da greift der Gesetzentwurf aber in der Tat zu
kurz. Ich bin zuversichtlich, dass wir Lösungsansätze
finden, aber in einem anderen Konzept und nicht so sin-
gulär, nicht so pointiert auf die Rüstungsaltlasten bezo-
gen. Jedes andere Land hat gewiss auch Nöte, die es vor-
bringen kann, und Argumente, da und dort vom Bund
mehr zu verlangen.

Nein, ich glaube, die Finanzausgleiche, die wir vom
Bund zu den Ländern augenblicklich herstellen, sind au-
ßerordentlich großzügig bemessen. Damit muss es auch
gerade in der verfassungsrechtlichen Situation, die Sie,
Dr. Krüger, beschrieben haben, heute so verbleiben. Da-
mit kann Ihrem Antrag kein Erfolg beschieden sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hans-Ulrich Krüger [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810619000

Als abschließendem Redner in dieser Aussprache er-

teile ich jetzt das Wort dem Kollegen Uwe Feiler für die
CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Feiler (CDU):
Rede ID: ID1810619100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir beraten heute über ein Thema, das wie-
derholt Gegenstand der Diskussion unabhängig von der
politischen Farbenlehre in diesem Hause war, das für die
betroffenen Menschen vor Ort jedoch noch keine befrie-
digende Lösung bietet. Als direkt gewählter Abgeordne-
ter für den Wahlkreis Oberhavel-Havelland vertrete ich
auch die Interessen der Einwohner Oranienburgs, einer
Stadt, die sich des Titels der Bundeshauptstadt der
Blindgängerbelastung leider nicht erwehren kann. Nir-
gendwo sonst werden bis heute so viele Blindgänger mit
chemischen Langzeitzündern gefunden und noch im
Boden vermutet wie in der Stadt Oranienburg.

Der Kampfmittelbeseitigungsdienst der brandenbur-
gischen Polizei hat allein 2013 Rüstungsaltlasten mit
Kosten von circa 11 Millionen Euro beseitigt. Die Stadt
Oranienburg selbst trifft eine jährliche Vorsorge von
rund 2 Millionen Euro für die begleitenden Maßnahmen
als Ordnungsbehörde und für die städtischen Liegen-
schaften. Diese Summe stellt für eine Stadt mit etwa
40 000 Einwohnern eine große finanzielle Belastung dar,
die sich im brandenburgischen kommunalen Finanzaus-
gleich leider nicht widerspiegelt.

Schon alleine vor diesem Hintergrund bildet der
Gesetzentwurf der Linksfraktion, die in Brandenburg
mitregiert und jetzt wortgleich den Gesetzentwurf des
Bundesrates aufwärmt, kein geeignetes Mittel, um die-
sem Missstand zu begegnen.

Das Gesetz nennt sich im vorliegenden Entwurf
„Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz“. Der Name ist
treffend. Denn er beruft sich als Grundlage auf Arti-
kel 120 Absatz 1 des Grundgesetzes, umfasst im Gegen-
satz zu diesem aber nicht nur die Kriegsfolgealtlasten
des Zweiten Weltkrieges, sondern ist gleichzeitig das
Bekenntnis, dass die Länder mit ihrer Aufgabe der Ge-
fahrenabwehr überfordert zu sein scheinen.





Uwe Feiler


(A) (C)



(D)(B)

Gerade aus Brandenburg war in den vergangenen Mo-
naten mehr und mehr die Vokabel der „nationalen Auf-
gaben“ zu vernehmen. Hinter diesem Begriff, der nichts
anderes als eine finanzielle Mehrforderung verschleiern
soll, steckt zum einen der Versuch, ureigene Länderauf-
gaben durch das neue Etikett besonders wichtig erschei-
nen zu lassen und den Bund als Zahlmeister zu gewin-
nen. So wird die Bildungspolitik von Vertretern der
Landesregierung ebenso als nationale Aufgabe klassifi-
ziert wie die innere Sicherheit, die Unterbringung von
Asylbewerbern, der Ausbau der Kinderbetreuung oder
eben auch die Kampfmittelbeseitigung.

Was die Ländervertreter bei dieser schiefen Argumen-
tation verkennen, ist die Tatsache, dass sich die Länder
selber in ihrer Existenz infrage stellen, wenn sie sich nur
noch als bessere Regierungspräsidien für nationale Auf-
gaben des Bundes verstehen. Mein Verständnis ist das
zumindest nicht.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810619200

Herr Kollege Feiler, darf ich Sie fragen, ob Sie eine

Zwischenfrage des Kollegen Müller gestatten?


Uwe Feiler (CDU):
Rede ID: ID1810619300

Ja.


Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810619400

Vielen Dank, Herr Kollege Feiler, dass Sie die Zwi-

schenfrage zulassen. Ich frage Sie: Wissen Sie oder neh-
men Sie zur Kenntnis, dass zu Zeiten der Großen Koali-
tion im Land Brandenburg von 1999 bis 2009, als in
Brandenburg die Linke noch nicht regiert hat, sondern
in der Opposition war, die Union mit dem zitierten
Minister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Jörg
Schönbohm zweimal in der Landesregierung eine Bun-
desratsinitiative mitgetragen hat, nämlich 2001 und
2003?


(Beifall bei der LINKEN)


Sie liegt heute nahezu wortgleich als Entwurf eines Rüs-
tungsaltlastenfinanzierungsgesetzes im Parlament vor.

Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es diese Initiative
schon gab und dass das nicht unsere Erfindung war, son-
dern dass wir versuchen, berechtigte Interessen der Län-
der, die Sie als CDU in nahezu allen Landesregierungen
mitvertreten haben, im Bundesrat durchzusetzen? Wa-
rum haben Sie ein so großes Problem, sich darauf einzu-
lassen und mit dem Bundesrat in die Debatte zu treten?
Warum sind Sie nicht selbst initiativ geworden? Warum
haben Sie den Gesetzentwurf nicht selbst eingebracht,
und warum haben Sie nicht die Möglichkeiten genutzt,
auch ohne dass wir die Initiative ins Plenum einbringen
mussten, mit den Ländern eine Vereinbarung zu treffen,
die berechtigten Interessen, die Ihre CDU-Landesver-
bände auch in Brandenburg schon seit Jahren so sehen,
zur Geltung bringen zu lassen?

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)


Uwe Feiler (CDU):
Rede ID: ID1810619500

Ich gebe Ihnen recht – ich habe es vorhin schon er-

wähnt –: Es wurden mehrere Anträge unabhängig von
der Farbenlehre in diesem Haus eingebracht. Allesamt
sind sie negativ beschieden worden oder führten zu kei-
ner Lösung. Ihr Gesetzentwurf ist wortgleich und wird
auch zu keiner Lösung führen. Wenn ich gleich mit mei-
ner Rede fortfahre, werde ich einen Lösungsvorschlag
unterbreiten.

Zu Ihrem Vorwurf, was die CDU Brandenburg be-
trifft: Die CDU Brandenburg hat im Jahr 2010 für die
Erstellung eines Kampfmittelkatasters und die Aufsto-
ckung der Mittel geworben. Das haben die rot-rote Lan-
desregierung bzw. die rot-rote Koalition abgelehnt. Jetzt
hat die CDU-Landtagsfraktion ihr Vorhaben wiederholt.
Der Antrag ist in einem Ausschuss des Landtages gelan-
det. Ich hoffe, dass das Kampfmittelkataster und ein
Konzept für die Kampfmittelbeseitigung in Brandenburg
erstellt werden. Denn Sie sprechen in Ihrem Antrag auch
von einem Fünfjahresfinanzplan. Ohne überhaupt ein
Konzept zu haben, legen Sie irgendwelche Zahlen dar,
die gar nicht nachweisbar sind. Schon deswegen ist Ihr
Antrag abzulehnen. – Das war meine Antwort auf Ihre
Zwischenfrage.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist unbestritten, dass die Hinterlassenschaften des
Zweiten Weltkrieges, vor allem die vielen Blindgänger
der alliierten Luftangriffe, sehr gefährlich für die
Menschen sind und ihre Beseitigung eine aufwendige
Aufgabe für die betroffenen Länder darstellt. Der vorlie-
gende Gesetzesvorschlag bietet dafür aber keine zufrie-
denstellende Lösung. Die Fraktion Die Linke möchte
sämtliche Kosten dem Bund auferlegen. Dafür soll die
bewährte und sinnvolle Staatspraxis aufgegeben werden.
Der Bund trägt nach dieser Staatspraxis die Kosten der
Kriegsfolgelasten auf bundeseigenen Liegenschaften
und der sogenannten reichseigenen Munition. Diese im
Grundgesetz gesicherte Staatspraxis wird seit über
20 Jahren immer wieder von den Ländern angegriffen.
Das ist verständlich; denn Kampfmittelbeseitigung ist
ein teures Geschäft. Die Beseitigung der Blindgänger ist
im Kern jedoch Gefahrenabwehr, ein im Kompetenzge-
füge des Grundgesetzes den Ländern übertragenes Auf-
gabenfeld. Die hier aufgestellte Forderung, der Bund
solle alles zahlen, die Kompetenzen aber sollten bei den
Ländern bleiben, kann und darf so nicht funktionieren.

Der Arbeitskreis Steuerschätzung geht von einem
jährlichen Wachstum der Steuereinnahmen von 2 Pro-
zent in den nächsten fünf Jahren aus. Das entspricht bis
2019 circa 4 Milliarden Euro. Brandenburg wird alleine
im laufenden und nächsten Jahr über 120 Millionen Euro
Mehreinnahmen haben, die nach meinem Verständnis
zunächst für Pflichtaufgaben wie auch die Bombenbesei-
tigung eingesetzt werden sollten. Für mich steht im Vor-
dergrund, dass den Menschen in den betroffenen Städ-
ten, die es nicht nur in Brandenburg, sondern auch in
Niedersachsen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen gibt,
geholfen und deren Sicherheit gewährleistet wird. Das
Fazit muss lauten: Die Bomben müssen weg.





Uwe Feiler


(A) (C)



(D)(B)

Wir sollten deshalb nicht an Maximalforderungen
festhalten, sondern pragmatische Lösungen suchen, die
die Beteiligten in die Lage versetzen, die besonders ge-
fährlichen Bomben mit chemischen Langzeitzündern
schneller als bisher sicher zu bergen. Ich kann mir gut
vorstellen, dass wir in gemeinsamen Gesprächen mit gu-
tem Willen auf beiden Seiten zu einer Einigung finden.

Für unterstützenswert hielte ich die Auflage eines
Fonds – oder die Gründung einer Stiftung – für beson-
ders belastete Regionen in Deutschland, der sich glei-
chermaßen aus Zuführungen der betroffenen Länder und
des Bundes speist und zu einer fairen Kostenverteilung
für alle führt. Eine komplette Kostenübernahme durch
den Bund ist aus meiner Sicht jedoch nicht geboten.
Ausschließlich die Rechnung nach Berlin zu schicken,
wird der Verantwortung der Länder für die Sicherheit
auch ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht gerecht.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Als Sie 2004 noch in der Opposition waren, haben Sie das auch noch anders gesehen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1810619600

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/4841 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu
sehe ich keinerlei andere Vorschläge. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Operation Atalanta zur Bekämpfung der Pi-
raterie vor der Küste Somalias auf Grundlage
des Seerechtsübereinkommens der Vereinten
Nationen (VN) von 1982 und der Resolutio-
nen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816

(2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom

7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezem-
ber 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember
2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009,
1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020

(2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012)

vom 21. November 2012, 2125 (2013) vom
18. November 2013, 2184 (2014) vom 12. No-
vember 2014 und nachfolgender Resolutionen
des Sicherheitsrates der VN in Verbindung
mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP
des Rates der Europäischen Union (EU) vom
10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/
GASP des Rates der EU vom 8. Dezember
2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Ra-
tes der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss
2010/766/GASP des Rates der EU vom 7. De-
zember 2010, dem Beschluss 2012/174/GASP
des Rates der EU vom 23. März 2012 und
dem Beschluss 2014/827/GASP vom 21. No-
vember 2014

Drucksachen 18/4769, 18/4964

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/4976

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dage-
gen erhebt sich keinerlei Widerspruch. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Dagmar Freitag für die SPD das
Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1810619700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als

die Operation Atalanta im Jahr 2008 vom Rat der Euro-
päischen Union beschlossen wurde, sah sich die interna-
tionale Gemeinschaft mit einem erheblichen Piraterie-
problem am Horn von Afrika konfrontiert. Wir wissen
alle, dass seeräuberische Überfälle und Entführungen
geradezu an der Tagesordnung waren.

Seit November 2013 ist die Zahl der versuchten be-
waffneten Angriffe auf vier gesunken, und alle vier
konnten erfolgreich abgewehrt werden. Aktuell befindet
sich darüber hinaus kein Schiff in der Hand somalischer
Piraten. Ich denke, wir sind uns zumindest überwiegend
einig, dass dies ein unmittelbarer Erfolg der Antipirate-
rieoperation Atalanta und natürlich auch der Zusammen-
arbeit mit anderen nationalen wie auch multinationalen
Streitkräften am Horn von Afrika ist.


(Beifall bei der SPD)


Der Dank hierfür geht auch an unsere Soldatinnen
und Soldaten, die durch ihren Einsatz zu diesem Erfolg
beigetragen haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Operation Atalanta trägt darüber hinaus zur Of-
fenheit und Sicherheit der Seewege am Horn von Afrika
und vor der Küste Somalias bei. Diese Sicherheit ist es-
senziell für die Versorgung der somalischen Bevölke-
rung durch das Welternährungsprogramm; denn wir wis-
sen alle: Somalia gehört nach wie vor zu den ärmsten
Ländern der Welt. Die Bevölkerung leidet seit Jahren un-
ter den Folgen politischer Instabilität ebenso wie unter
Dürren und Ernteausfällen. Daher sind die Lebensmittel-
lieferungen des Welternährungsprogramms für viele
Menschen in Somalia geradezu überlebenswichtig. Nur
ein Beispiel: Aktuell sind allein in Mogadischu rund
350 000 Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewie-





Dagmar Freitag


(A) (C)



(D)(B)

sen. Seit Beginn der Operation Atalanta konnten sämtli-
che Schiffe des Welternährungsprogramms sicher nach
Somalia eskortiert werden.

Sichere Transportwege in der Region sind auch da-
rüber hinaus von Bedeutung. Schließlich ist der vor der
Küste Somalias liegende Golf von Aden die wichtigste
Handelsroute zwischen Europa, Asien und der Arabi-
schen Halbinsel.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz zu
den gerade erwähnten Erfolgen bei der Bekämpfung der
Piraterie vor der Küste Somalias sind die Fortschritte
beim Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen in
Somalia bislang allerdings keineswegs zufriedenstel-
lend. Klar ist aber auch, dass ein funktionierendes staat-
liches Gewaltmonopol unverzichtbar ist, wenn die Rück-
zugsräume der Piraten erfolgreich bekämpft und die
geschilderten Erfolge auf See nachhaltig gefestigt wer-
den sollen. Al-Schabab und andere fundamentalistische
Gruppierungen konnten zwar geschwächt werden, auch
dank des erfolgreichen Einsatzes der Afrikanischen
Union mit der Mission AMISOM, die von der EU maß-
geblich mitfinanziert wird; aber nach wie vor ist der so-
malische Staat selbst zu schwach, um eroberte Gebiete
zu kontrollieren.

Diese Schwäche bedroht nicht nur Somalia, sondern
sie untergräbt auch die Stabilität in der gesamten Region
um das Horn von Afrika. Daher bleiben die Präsenz und
die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft
nach unserer Meinung jedenfalls dringend geboten.

Deutschland leistet seinen Beitrag zur Stabilisierung
Somalias in erster Linie innerhalb des umfassenden An-
satzes der Europäischen Union. Wir beteiligen uns an
der Operation der europäischen Seestreitkräfte Atalanta,
an EUCAP NESTOR, der zivilen Mission zum Aufbau
maritimer Kapazitäten, und an EUTM Somalia, der mili-
tärischen Beratungs- und Ausbildungsmission, deren
Fortsetzung erst kürzlich vom Deutschen Bundestag be-
schlossen wurde.

Der Rat der Europäischen Union hat im November
2014 das Mandat für die Operation Atalanta verlängert.
Dabei hat er unterstrichen, wie wichtig das Zusammen-
wirken verschiedener Komponenten der Gemeinsamen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Probleme in So-
malia und auch am Horn von Afrika sind vielfältig. Ge-
nauso vielfältig müssen daher die Strategie und die An-
sätze der EU und der Bundesregierung für das Land und
die Region sein. Diese Strategie umfasst neben der mili-
tärischen Komponente und dem Aufbau der Sicherheits-
strukturen auch ein starkes wirtschaftliches und humani-
täres Engagement; denn – das dürfte unbestritten sein –
Sicherheit und Entwicklung hängen untrennbar mitei-
nander zusammen.

In 2016 sollen in Somalia Wahlen stattfinden. Gerade
mit Blick darauf gilt: In der Entwicklung des Landes
sind alle zivilen und militärischen Instrumente wichtig,
um die Ausgangssituation zu stabilisieren und die Lage
der Bevölkerung endlich zu verbessern; denn nur so
kann den kriminellen Netzwerken, die für die Piraterie
am Horn von Afrika die Verantwortung tragen, langfris-
tig der Boden entzogen werden.

Deutschland muss und wird seiner Verantwortung für
die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik
der EU nachkommen und diese Operation weiterhin un-
terstützen. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810619800

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Kathrin

Vogler von der Linken das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810619900

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Seit Jahren hören wir von jeweils wech-
selnden Bundesregierungen: Der EU-geführte Militär-
einsatz Atalanta ist ein Erfolg.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Sehr richtige Aussage!)


Aber ich frage mich: Wie kommen Sie eigentlich da-
rauf? Was ist eigentlich Ihr Maßstab? Als die Zahl der
Piratenangriffe vor der somalischen Küste anstieg, war
das ein Argument für Atalanta. Jetzt geht sie zurück.
Was ist es für Sie? Es ist auch wieder ein Argument für
Atalanta.


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es einen Zusammenhang!)


Dabei wissen Sie es doch alle: Keine noch so große
Kriegsflotte kann letzten Endes die Piraterie nachhaltig
bekämpfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das sagen Sie sogar selbst. Das wissen Sie genau; denn
Piraterie ist ein Symptom, ist Ausdruck von Armut, von
Verelendung, von Rechtlosigkeit. Und all das machen
sich Geschäftemacher im Ausland auch noch zunutze.
Und noch jemand profitiert davon: Das sind die privaten
Sicherheitsunternehmen, die die Schiffe mit bewaffneten
Söldnern schützen und die Sie in Ihrem Antrag auch
noch lautstark loben.

Da muss man sich doch fragen: Worum geht es ei-
gentlich wirklich? – Aber um das herauszufinden, muss
man sich nicht einmal irgendwelche geheimen Unterla-
gen besorgen. Es reicht völlig, sich den Antragstext der
Bundesregierung anzuschauen. Sie schreiben das in der
Begründung ja ganz offen. Im ersten Absatz der Man-
datsbegründung etwa geht es um Rohstofflieferungen,
im zweiten Absatz um den Welthandel und die Absatz-
märkte für europäische Produkte,


(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja! Auch! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, und?)


im dritten Absatz um die Zusammenarbeit mit anderen
Staaten im Rahmen dieses Militäreinsatzes.





Kathrin Vogler


(A) (C)



(D)(B)

Dabei kann man fast den Eindruck gewinnen, die
Truppen in Somalia wären in einem einzigen großen
Manöver, in dem die Abstimmung zwischen Europol
und Atalanta, zwischen der Afrikanischen und der Euro-
päischen Union, mit Bündnispartnern und Nachbarlän-
dern geprobt wird. Aber, meine Damen und Herren, es
ist kein Manöver.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was ist es dann? – Peter Beyer [CDU/CSU]: Lösen Sie das Rätsel auf!)


Es geht um das Leben von Millionen Menschen in einem
bettelarmen und kriegszerstörten Land.


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Lachen Sie ruhig. Ich finde es nicht witzig. Es ist über-
haupt nicht witzig.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Erst im vierten Absatz setzt sich die Bundesregierung
dann endlich auch einmal mit der Situation in Somalia
auseinander. Da verbreiten Sie dann geschönte Erfolgs-
geschichten, denen zufolge sich die Lage im Land deut-
lich stabilisiert habe. Sie kennen doch die bittere Wahr-
heit. Die Lage in Somalia hat sich weder politisch noch
ökonomisch verbessert. Wenn an den ganzen Erfolgs-
meldungen, die uns hier Jahr für Jahr vorgetragen wer-
den, etwas dran wäre, dann müsste Somalia doch in-
zwischen prosperierender Wohlstandsmotor für ganz
Ostafrika sein. Aber das Gegenteil ist bekanntlich der
Fall. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die internationale
Politik seit der äthiopischen Militärintervention vor neun
Jahren immer wieder und immer weiter nur auf die mili-
tärische Karte setzt.

Lassen Sie sich gesagt sein: Einen Bürgerkrieg been-
det man nicht, indem man mit Soldaten einmarschiert.
Man beendet ihn nicht mit hinterhältigen Drohnenangrif-
fen, die die US-Streitkräfte von Deutschland aus, näm-
lich von Ramstein, auch in Somalia täglich durchführen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Da ist wieder das Feindbild USA!)


Man beendet ihn nicht mit der Ausbildung von immer
mehr Soldaten, von denen immer wieder viele mitsamt
ihren Waffen und ihren Ausrüstungsgeräten desertieren
oder verschwinden und man nicht weiß, wo sie geblie-
ben sind. Das, was Sie da treiben, ist eine völlig unver-
antwortliche Politik.


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Kommen Sie wieder zum Thema zurück!)


Wie viele Jahre wollen Sie denn noch versuchen, eine
gewaltsame Lösung im somalischen Bürgerkrieg herbei-
zuführen? – Der Bürgerkrieg in Somalia, der die Ursa-
che für die Verelendung, die Verarmung und die Kon-
flikte ist, kann nur beendet werden, wenn sich die
militärischen Akteure zurückziehen und man dafür sorgt,
dass endlich verhandelt wird. Damit Frieden einkehren
kann, müssen alle Konfliktparteien an einen Tisch.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Rufen Sie die doch mal an einen Tisch, wenn das so einfach ist!)


Aber Sie rüsten eine Seite auf und hoffen, dass sie den
Krieg gewinnt. Dass das nicht gelingen kann, müssten
Sie doch aus den Erfahrungen in dieser Region und in
Afghanistan endlich einmal gelernt haben.


(Beifall bei der LINKEN)

Dass Sie so lernunfähig sind, bezahlen leider viele

Menschen in Somalia mit unvorstellbarem Leid.

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wer wohl hier lernunfähig ist?)

Somalia zählt nach den Berechnungen des UN-Flücht-
lingshilfswerks zu den drei wichtigsten Herkunftslän-
dern von Flüchtlingen weltweit.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Was sagen Sie denn zum Welternährungsprogramm? Sagen Sie etwas dazu!)


Viele von denen, die im Augenblick an den Mittelmeer-
küsten verzweifelt darauf hoffen, ihr Leben durch Flucht
zu retten, kommen aus Somalia. Anstatt diesen Men-
schen, die um ihr Leben bangen und deshalb fliehen, le-
gale Wege nach Europa anzubieten, halten Sie die Wege
nach Europa versperrt, und Sie zwingen die Menschen,
ihr Leben zu riskieren auf einem Meer, das längst zum
Massengrab geworden ist. Jetzt diskutiert man sogar in
der EU, auch die Flüchtlingsboote zu militärischen Zie-
len zu machen. Das ist fürchterlich. Fürchterlich!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihre Politik folgt einfach der perversen Logik: aus-
beuten, aufrüsten, intervenieren und dann abschotten.
Aber eine solche Politik wird die Linke nie, nie, niemals
mitmachen. Deshalb werden wir auch zu diesem Mandat
wieder Nein sagen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Wahlkampfgerede!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810620000

Als nächster Redner hat Thorsten Frei von der CDU/

CSU das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1810620100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Vogler, Atalanta ist wirklich ein voller Er-
folg. Wenn Sie fragen, was der Maßstab ist, an dem wir
diesen Erfolg messen, dann könnte man sagen: Als die
Mission Atalanta im Jahr 2008 begonnen hat, waren je-
des Jahr 200 Schiffe Ziel von Überfällen von Piraten.
Seit dem Jahr 2012 ist kein einziges Schiff mehr Ziel
solcher Überfälle. Im vergangenen Jahr und in diesem
Jahr sind nur wenige Schiffe erfolglosen Kaperversu-
chen ausgesetzt gewesen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Erfolglos!)






Thorsten Frei


(A) (C)



(D)(B)

– Erfolglos, genau. – Das ist der Erfolg der Mission Ata-
lanta.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch die Tatsache – Frau Kollegin Freitag ist vorhin da-
rauf eingegangen –, dass seit 2008 immerhin 179 Schiffe
für das Welternährungsprogramm


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das ist der Maßstab!)


und 121 Schiffe für AMISOM erfolgreich nach Mogadi-
schu begleitet wurden, damit dort die Bevölkerung er-
nährt werden konnte, ist ein Erfolg dieser Mission.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte von daher die Gelegenheit nutzen, den
Soldatinnen und Soldaten, die fernab der Heimat, ge-
trennt von ihren Familien, lange Monate dort Dienst tun,
ganz herzlich für ihren erfolgreichen Einsatz zu danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie ha-
ben den Antrag der Bundesregierung zitiert. Ich will Ih-
nen eines sagen: Das, was wir dort tun, entspringt zum
einen einer humanitären Verpflichtung. Ich finde es zum
anderen überhaupt nicht verwerflich, sondern richtig,
dass wir am Horn von Afrika auch unsere Interessen
schützen und vertreten. Das sind deutsche Interessen,
das sind europäische Interessen. Wir haben als dritt-
größte Exportnation der Welt ein Interesse an sicheren
See- und Handelswegen; darauf ist Frau Kollegin Freitag
ebenfalls eingegangen.

Durch diese Seepassage fahren jedes Jahr 4 000 Con-
tainer- und Handelsschiffe mit einem Warenwert von
4 Billionen Euro. Wenn Sie sich vorstellen, welchen An-
teil der Seehandel in Deutschland und auch in Europa
am gesamten Wirtschaftsvolumen hat, dann wissen Sie,
dass hier viele Zehntausende Arbeitsplätze davon abhän-
gen. Dass wir uns um Sicherheit und Stabilität in der
Welt bemühen, auch bei den Seehandelswegen, das ist
konsequent, das ist richtig. Das kann man in einem An-
trag wie diesem auch so schreiben, liebe Frau Kollegin
Vogler.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist natürlich vollkommen klar, dass der Grund für
die Probleme Somalias und auch für die Probleme mit
der Piraterie am Horn von Afrika letztlich in Somalia
selbst zu suchen ist. Die Analyse ist durchaus zutreffend.
Seit 1991, seit dem Sturz von Siyad Barre, ist das Land
in Bürgerkrieg, Chaos und Anarchie versunken.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Und seit 1993 versucht die Bundesregierung, das militärisch zu lösen!)


Traditionelle Strukturen gibt es dort nicht mehr. Die tra-
ditionellen Autoritäten wirken nicht mehr. Die Regierun-
gen in Mogadischu haben einen Wirkungskreis, der auf
Mogadischu begrenzt ist und nicht in das Land hinaus-
strahlt. Das sind die Probleme, mit denen wir uns be-
schäftigen müssen.

Wir wissen natürlich auch, dass in den vergangenen
Jahren viel Geld der internationalen Staatengemein-
schaft dorthin geflossen ist. Wir wissen um den Einsatz
von Soldaten, Polizisten, Entwicklungshelfern und zivi-
len Helfern. Und wir wissen, dass es durchaus – zugege-
benermaßen – bescheidene Erfolge gibt, wenn man etwa
an die Regionalisierungsbemühungen bei der Verwal-
tungsreform denkt und an die neue Regierung, die im
Februar vereidigt wurde. Sie ist zwar ein Stück weit eine
junge und unerfahrene Regierung in absolut chaotischen
Umständen, aber spiegelt die Stammesrealitäten wider.
Ja, all das wissen wir. Trotz allem sind die Dschihadisten
stark, ist al-Schabab stark.

Trotz der Schläge gegen die Führung von al-Schabab
im vergangenen Herbst, trotz der Tatsache, dass sie
keine Gebiete mehr selbstständig hält und auf asymme-
trisches Vorgehen übergegangen ist, trotz allem sind die
Gefahren im Land riesig und enorm. Das kann man se-
hen, wenn man sich die Anschläge in den vergangenen
Monaten in Somalia anschaut: auf Restaurants, Hotels,
Politiker, Bürgermeister.

Wenn man sich anschaut, dass die Gefahr droht, dass
aus einem lokalen Konflikt ein regionaler wird, wenn
man sich vor Augen führt, dass beispielsweise der An-
schlag in Kenia auf die Universität in Garissa 140 Todes-
opfer gefordert hat, oder wenn man sich die Anschläge
in Dschibuti, in Äthiopien anschaut, dann wird deutlich,
dass hier die Gefahr besteht, dass sich ein Flächen-
brand entwickelt. Welche Auswirkungen das hat – da-
rauf sind Sie richtigerweise eingegangen –, können wir
an den Flüchtlingsströmen nach Europa und auch nach
Deutschland sehen.

Deshalb sind hier drei Dinge ganz wesentlich:

Das Erste: Natürlich muss gegen die Dschihadisten
weiter konsequent vorgegangen werden. Jetzt geht es
letztlich darum, dass man ihnen Nachschubwege ab-
schneidet, dass man ihre Konsolidierung verhindert und
dass man auch die Finanzierungsquellen trockenlegt.
Bestandteile dieser sind auch die Piraterie, das Erpressen
von Lösegeldern, um Terrorismus zu finanzieren, sowie
der Schmuggel. Es müssen also auch Schmugglerrouten
unterbrochen werden. All das sind Dinge, die die Mis-
sion Atalanta erfolgreich leistet.

Das Zweite – darauf sind Sie eingegangen –: Es geht
natürlich auch darum, den Menschen Zukunftsperspekti-
ven zu eröffnen. Das ist zugegebenermaßen schwierig in
einem Land, in dem 3 Millionen Menschen unmittelbar
an Hunger leiden, in dem 2011 250 000 Menschen ver-
hungert sind, in dem nur ein Drittel der Kinder und
Jugendlichen Zugang zu Bildung hat und in dem 12 Mil-
lionen Menschen weniger als 2 Milliarden Dollar Jahres-
bruttoinlandsprodukt erwirtschaften. Das ist vergleichs-
weise wenig und viel zu wenig, damit sich das Land gut
entwickeln kann.

Das Dritte, worum es geht, ist, dass wir für Stabilität
im Land sorgen müssen. Deshalb geht es darum, die er-





Thorsten Frei


(A) (C)



(D)(B)

folgreichen Missionen weiterzuführen. Das betrifft nicht
nur Atalanta, sondern auch die EU-Trainingsmission und
ist EUCAP NESTOR. Wir führen eben verschiedene
Mosaiksteine zusammen, um mitzuhelfen, das Land zu
stabilisieren und damit letztlich auch Zukunftsperspekti-
ven zu eröffnen.

Der Weg ist lang, der Einsatz ist gut; er lohnt sich.
Deshalb werben wir für die Fortsetzung dieser Mission.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810620200

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Doris

Wagner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810620300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Ver-

ehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer unserer Debatte
zur Verlängerung des Atalanta-Mandats folgt, kann fest-
stellen: So viel Einigkeit war nie. Wir sind uns einig,
dass Atalanta wichtig ist. Wir sind uns auch einig, dass
Atalanta ein Erfolg ist. Und wir sind uns einig, dass die
Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz unseren
Dank verdienen. Diese Einschätzung teile ich völlig.

Gerade deswegen finde ich es ein Stück weit unver-
antwortlich, wie die Bundesregierung den Erfolg der
Atalanta-Mission aufs Spiel setzt, indem sie für Somalia
insgesamt eine widersinnige Politik betreibt. Wir schi-
cken 950 Soldatinnen und Soldaten vor die Küste von
Somalia, damit sie für Sicherheit auf See sorgen. Gleich-
zeitig setzt sich die Bundesregierung in der EU für Maß-
nahmen ein, die dazu führen, dass die Sicherheit an
Land, in Somalia selbst, weiter abnimmt.


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Welche sollen das denn sein?)


Für eine derart widersprüchliche Politik, werte Kollegin-
nen und Kollegen, sollten wir die Gesundheit und das
Leben unserer Soldatinnen und Soldaten nicht aufs Spiel
setzen.

Auch die Menschen in Somalia verdienen eine bes-
sere Politik. Dort sind nämlich nach wie vor mehrere
Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Dank Atalanta laufen die Schiffe mit den Hilfsgütern des
Welternährungsprogramms nun seit Jahren einigerma-
ßen sicher in die somalischen Häfen ein. Doch damit
sind sie ja noch nicht am Ziel. Damit die Lebensmittel
und die Medikamente auch wirklich bei den notleidenden
Menschen ankommen, braucht es sichere Transportwege,
sichere Lagerstätten und sichere Verteilungspunkte im
Land. Genau daran mangelt es aber in Somalia.

Die Kämpfe zwischen offiziellen Armeeeinheiten und
der Al-Schabab-Miliz stürzen Teile des Landes immer
wieder ins Chaos. In Mogadischu sind Attentate und
Morde auf offener Straße an der Tagesordnung. Auch
zwischen einzelnen somalischen Clans kommt es immer
wieder zu blutigen Konflikten. All das macht doch die
sichere Versorgung der Bevölkerung in einigen Regio-
nen fast unmöglich. Und was tut die Bundesregierung
angesichts dieser Situation? Erstens. Sie leistet Entwick-
lungshilfe. – Gut. Zweitens. Sie entsendet Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr, um die somalische Ar-
mee auszubilden und zu beraten. – Das sehe ich schon
kritisch.


(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Drittens. Sie setzt sich auf EU-Ebene dafür ein, Länder
wie Somalia mit Waffen und Munition auszustatten. –
Das steht doch in krassem Widerspruch zu dem, was wir
mit der Mission Atalanta eigentlich erreichen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mehr Waffen bedeutet doch mehr Gewalt. Mehr Waffen
bedeutet doch mehr Leid. Und mehr Waffen bedeutet
doch auch noch weniger Hoffnung auf einen funktionie-
renden und sicheren Staat.


(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wirklich fassungslos bin ich darüber, welchen Kurs
die Bundesregierung auf EU-Ebene gegenüber Staaten
wie Somalia verfolgt. Die Bundesregierung hat die so-
genannte Enable and Enhance Initiative in die EU ein-
gebracht. Das Ziel dieser Initiative ist es, sogenannte
Partnerstaaten in die Lage zu versetzen, ihre Sicherheits-
probleme selbst zu lösen. Dazu sollen die Mitgliedstaa-
ten die Sicherheitskräfte der Partnerstaaten mit Ausbil-
dung und Ausrüstung unterstützen. Umstritten ist aber
innerhalb der EU offensichtlich, was genau unter „Aus-
rüstung“ zu verstehen ist. Sollen das auch letale Waffen
und Munition sein? – Die Haltung der Bundesregierung
ist da ganz klar. In seiner Antwort auf meine schriftliche

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1810620400
Der Be-
griff Ausrüstung sollte Waffen und Munition nicht
grundsätzlich ausschließen. – Aber Waffen in schwache
Staaten wie Somalia zu liefern heißt doch, ein ganzes
Fass Öl ins Feuer zu gießen;


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: So ist das!)


denn ein wesentlicher Grund für die anhaltende Gewalt
in Somalia liegt doch genau darin, dass es eben nicht ge-
lingt, den Waffenhandel wirksam zu kontrollieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Waffen, die für die somalische Armee importiert wur-
den, verschwinden regelmäßig in dunklen Kanälen und
tauchen auf dem Schwarzmarkt wieder auf. Einzelne
Clans in der Armee haben einen privilegierten Zugang
zu Waffenarsenalen und zweigen nachweislich Waffen
ab, um ihre ganz eigenen Konflikte auszutragen. Außer-
dem verfügt die UN Monitoring Group für Somalia über
ernstzunehmende Hinweise darauf, dass ein Berater des
somalischen Präsidenten mitverantwortlich dafür war,
dass Waffen in die Hände der Al-Schabab-Milizen gera-
ten sind. Dazu werden noch Waffen im großen Stil ille-
gal ins Land geschmuggelt, übrigens auch übers Meer.





Doris Wagner


(A) (C)



(D)(B)

All das zeigt: Jede einzelne Waffe, jede Patrone, die
aus Europa an Sicherheitskräfte in Somalia oder andere
schwache Staaten geliefert wird, ist eine zu viel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Völlig unbeteiligte Menschen und eben auch Angehö-
rige der vermeintlich gestärkten Partnerstreitkräfte kön-
nen damit getötet werden. An einem solchen Wahnsinn
darf sich die EU, darf sich auch die Bundesregierung auf
keinen Fall beteiligen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Mission Atalanta ist wichtig, ja. Unsere Soldatin-
nen und Soldaten erfüllen ihre Aufgabe wirklich erfolg-
reich. Aber wir müssen noch bis zum Sankt-Nimmer-
leins-Tag Schiffe vor das Horn von Afrika schicken,
wenn es nicht gelingt, neben der Sicherheit auf See auch
Sicherheit an Land zu schaffen. Deshalb appelliere ich
an Sie, meine Damen und Herren auf der Regierungs-
bank: Überdenken Sie doch bitte Ihre Haltung zur Liefe-
rung tödlicher Waffen an fragile Staaten, sonst reißen Sie
das, was Sie an Sicherheit mit der einen Hand aufgebaut
haben, mit der anderen wieder ein.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810620500

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Johann

Wadephul von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1810620600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Piraterie hat sich seit den 1990er-Jahren welt-
weit ausgeweitet. Neben einer sicher zu berücksichtigen-
den Dunkelziffer weist im Jahr 1992 die Statistik
74 Piratenüberfälle aus. Im Jahr 2010 waren es bereits
445 Überfälle.

Der Anstieg hat verschiedene Gründe: Die politische
Entspannung nach dem Ende des Kalten Krieges führte
zu einem Rückgang militärischer Präsenz auf See. Zu-
gleich haben unter dem Begriff der Globalisierung der
Handel und die Vernetzung unserer Welt eine ungeahnte
Dynamik entfaltet. Piraterie ist nämlich schlicht eine
Einnahmequelle. Es geht um den Raub von Gütern und
auch um Lösegeld.

Opfer sind in erster Linie Regionen, in denen der
Staat sein Gewaltmonopol kaum oder gar nicht mehr
durchsetzen kann. Aus diesem Grund haben wir uns ent-
schlossen, die EU-geführte Operation Atalanta vor der
Küste Somalias durchzuführen. Von den im Jahr 2010
weltweit registrierten 445 Piratenangriffen entfielen 266
auf das Seegebiet vor Somalia. Über 600 Seeleute mit
entsetzlichen menschlichen Dramen für sie und ihre Fa-
milien wurden Opfer.

Das muss ich den Kolleginnen und Kollegen der
Linksfraktion, die diese Operation ablehnen und jeden
militärischen Einsatz im Seegebiet verunglimpfen und
als nicht zu rechtfertigen ansehen, schon sagen:


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Interessiert die doch gar nicht!)


Allein die Seeleute und ihre Familien, die unter diesen
Überfällen gelitten und Traumata davongetragen haben
– der finanzielle Schaden ist vielleicht nicht das
Schlimmste –, sind den Einsatz unserer Soldatinnen und
Soldaten in diesem Seegebiet wert. Das allein ist ein
Beitrag zu mehr Humanität, meine sehr verehrten Da-
men und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich kann Ihre Position überhaupt nicht verstehen.

Außerdem gibt es eine zweite wichtige Aufgabe, die
in der Debatte schon erwähnt worden ist, auf die Sie aber
bisher auch keine Antwort gegeben haben. In Somalia
findet in der Tat eine der schwersten humanitären Kata-
strophen auf der Erde statt. Neben Gewalt – das ist von
der Kollegin aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gerade angesprochen worden – prägt Hunger den Alltag
der Menschen in Somalia. Ich habe mich ein bisschen
darüber gewundert, dass Sie versuchen, irgendwie zu
konstruieren, die Bundesregierung würde eine Art Dop-
pelstrategie verfolgen: Sie meinen, dass wir einerseits
auf See etwas Gutes machen – das wird Sie hoffentlich
dazu veranlassen, gleich dem Antrag zuzustimmen; dazu
haben Sie sich leider nicht geäußert –, andererseits aber
einen Anteil daran hätten, dass es an Land diese schlim-
men Auseinandersetzungen gibt. Ich muss Ihnen sagen:
Das kann ich nicht nachvollziehen. Das ist auch falsch.
Das weise ich zurück. Wenn Sie hier solche Vorwürfe er-
heben, dann sollten Sie klipp und klar belegen, welche
Waffen von Deutschland nach Somalia geliefert worden
sind. Dass es dazu gekommen wäre, ist falsch. Das hat
die Bundesregierung nicht erlaubt. Das würden wir auch
in keinem Fall unterstützen. Aber wir können doch das
Leid in Somalia nicht dadurch verbessern, dass wir jetzt
auch noch die Seeoperation beenden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nein, die Seeoperation ist eine wichtige Voraussetzung,
dass sich an Land auch etwas verbessern kann; und das
muss dringend geschehen. So wird ein Schuh aus der
ganzen Geschichte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Sie kommen auch nicht an der Tatsache vorbei, dass
der Chef des Welternährungsprogramms – das ist nicht
der Regierungssprecher der deutschen Bundesregierung –
den Atalanta-Einsatz als Säule der Stabilität bezeichnet
hat. Das zeigt, wie ich glaube, dass auch hier ein wichti-
ger Beitrag dazu geleistet wird, dass die Situation an
Land besser wird. Das ist unsere Aufgabe, die wir leisten
müssen. Wir müssen auf See anfangen. Dass wir das
später auf einen schmalen Küstenstreifen ausgedehnt ha-
ben, hat dazu beigetragen, dass die Piraterie aktiv be-
kämpft werden konnte. Mit der großen Unterstützung
des Welternährungsprogramms durch Deutschland zei-
gen wir auch, dass wir etwas machen wollen. Es ist eine
gute Sache, die man unterstützen sollte.





Dr. Johann Wadephul


(A) (C)



(D)(B)

Kollege Frei hat zu Recht darauf hingewiesen, dass
Atalanta eine große Bedeutung für den Seehandel hat.
Wir sind die drittgrößte Schifffahrtsnation der Welt. Ich
möchte dazu sagen: Es geht bei Schifffahrt und Welthan-
del auf See nicht darum, andere auszubeuten, wie es Ih-
rer Vorstellung entspringt. Möglicherweise prägt Karl
Marx heute noch Ihr Denken. In einer globalisierten
Welt ist Seehandel jedoch eine wichtige Voraussetzung
dafür, dass es in Deutschland und in Europa wirtschaftli-
che Prosperität gibt. Auf internationalen Austausch sind
auch die Länder, aus denen wir etwas importieren, ange-
wiesen. Und dass sie sicher an uns liefern können, ist ein
Beitrag zu freiem Welthandel und dazu, dass die Men-
schen, wo auch immer sie auf der Erde leben, einen ge-
rechten Lohn bekommen können. Das sollten Sie nicht
von vornherein verunglimpfen. Deswegen ist auch ein
Einsatz der Bundeswehr zur Sicherstellung von Seehan-
delsbeziehungen in der zivilen Schifffahrt gut, richtig
und verantwortbar. Sie sollten dem zustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810620700

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Wolfgang

Hellmich von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Wolfgang Hellmich (SPD):
Rede ID: ID1810620800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche Beiträge in
dieser Debatte machen mich – und das geschieht eigent-
lich selten – schlicht fassungslos. An dieser Stelle völlig
zu verkennen, dass wir uns in einer Situation befinden,
wo wir uns auf Grundlage eines UN-Mandates um die
Durchsetzung eines international geltenden Rechtes,
nämlich des freien Zugangs zum Meer, kümmern, und
zu verschweigen, dass wir uns im Rahmen eines solchen
Mandates bewegen, deutet, glaube ich, darauf hin, wo-
rum es bei dem einen oder anderen Debattenbeitrag
ging, nämlich schlichtweg darum, unseren Soldatinnen
und Soldaten zu unterstellen, dass sie mit ihrem Einsatz
daran beteiligt sind,


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nein, nein, nein! Zu den Soldaten habe ich nichts gesagt! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Nicht den Soldaten!)


den Krieg, den es in Somalia gibt, zu befördern. Sie for-
dern eigentlich unsere eigenen Soldatinnen und Soldaten
auf: Fahrt nach Hause, lasst die Menschen in Somalia
doch verhungern! Was interessiert uns das Land eigent-
lich?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Genau so müssen wir das interpretieren!)


Das macht mich an dieser Stelle in der Tat fassungslos
angesichts des guten Beitrags, den wir dort leisten. Dass
die Ernährungslage in Somalia – das ist bereits beschrie-
ben worden – nicht komplett durch internationale Pro-
gramme gesichert werden kann, wissen wir. Wir wissen
auch, dass in Somalia eigentlich viel mehr passieren
muss. Deshalb ist es gut, dass die europäischen Regie-
rungschefs miteinander vereinbart haben, alle Aktivitä-
ten, Missionen und Mandate, die es in Somalia gibt, auf
dem Gipfel im Juni dieses Jahres besser abzustimmen,
zu überprüfen und an den Stellen zu arbeiten, an denen
man besser werden muss. Das ist die nötige Konsequenz,
die wir auch immer einfordern: Es geht darum, Mandate
und Missionen auszuwerten – lessons learned – und die
gewonnenen Erkenntnisse zur Anwendung zu bringen,
in diesem Fall in Somalia.

Wir lassen uns nicht davon abbringen, dass die Ope-
ration Atalanta im Kontext anderer EU-geführter Mis-
sionen ein Erfolg ist. Wenn es dieses Mandat nicht gäbe
und wenn mit ihm nicht erfolgreich Piraterie verhindert
und Piraterie bekämpft worden wäre, würden wir der al-
Schabab die Mittel in die Hände geben, um ihren asym-
metrischen Krieg, den sie führt, um die Region zu desta-
bilisieren, weiterführen zu können. Sie würde eben nicht
von den Quellen der Finanzierung ihrer Aktivitäten ab-
geschnitten werden. Es ist doch beschrieben worden:
Mit welchen Waffen kann man letztendlich eine Univer-
sität in Kenia kaputtbomben?


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, wo kommen die denn her!)


Wo kommen die Instrumente, die Mittel her? Wo kom-
men denn die Waffen her, mit denen AMISOM-Soldaten
umgebracht wurden, mit denen Anschläge in Mogadi-
schu begangen wurden?


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die militärische Strategie ist offenbar sehr erfolgreich!)


Unser Auftrag in dieser Situation ist nicht der Rück-
zug, sondern unser Auftrag ist, dazu beizutragen, dass
Staatlichkeit in Somalia aufgebaut wird, dass Sicherheit
hergestellt wird. Ohne die Sicherheit auf dem Meer wer-
den wir keine Sicherheit an Land herstellen können.


(Dagmar Freitag [SPD]: So ist das!)


Wir würden die somalische Regierung und diejenigen,
die sie unterstützen, der al-Schabab und anderen Terro-
risten ausliefern und alleine mit ihnen lassen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben die Hilfen für Somalia ausgeweitet. Das ist
gut und richtig so. Wir haben angesichts der Sicherheits-
lage den Schutz derjenigen, die diese Arbeit leisten, er-
höhen müssen; denn wir wissen, wie sich die Situation in
Somalia entwickelt hat. Ich sage aber an dieser Stelle
klar und deutlich: Es gibt keine Alternative zu Atalanta
und den anderen EU-geführten Missionen. Nur so kön-
nen wir den Menschen in Somalia in ihrer Notlage hel-
fen; denn die Ursachen für Terrorismus liegen auch in
Somalia. Das sind nämlich die Menschen, die hungern,
die Not leiden. Ihnen zu helfen, das ist unsere vor-
nehmste und wichtigste Pflicht im Kontext all dieser
Mandate.


(Dagmar Freitag [SPD]: Sehr richtig!)






Wolfgang Hellmich


(A) (C)



(D)(B)

Ich möchte noch auf einen anderen Umstand hinwei-
sen. In Somalia geht es auch um das Thema der Terroris-
musbekämpfung. Nur ein kleiner Hinweis: Wenn es der
bayerischen Polizei gelingt, einen Somalier, der mit ge-
fälschten italienischen Papieren nach Bayern einreisen
wollte, mithilfe von Erkenntnissen, die man bei einem
Angriff auf einen Tanker hat gewinnen können, zu de-
tektieren und festzusetzen, dann bedeutet das: Es geht in
Somalia auch um die Bekämpfung des internationalen
Terrorismus mit den Instrumenten, die uns zur Verfü-
gung stehen. Und diese müssen wir an der Stelle auch
zur Anwendung bringen.

Atalanta ist notwendig, genauso wie die anderen EU-
geführten Missionen notwendig sind. Ich danke auch
Drittländern außerhalb Europas – Kolumbien und ande-
ren südamerikanischen Ländern –, dass sie sich bereit er-
klärt haben, sich an Atalanta zu beteiligen. Das macht
deutlich: Es ist eine internationale Aufgabe. Wir und un-
sere bis zu 950 Soldatinnen und Soldaten leisten einen
wichtigen Beitrag. Deshalb bitte ich: Stimmen Sie die-
sem Mandat zu! Es ist für die Menschen in Somalia drin-
gend notwendig.

Danke.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810620900

Vielen Dank. Als letzter Redner in der Debatte hat

Dr. Hans-Peter Uhl von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1810621000

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Für den Wohlstand Deutschlands sind sichere
Exporte und Importe unabdingbar. Allein im Jahr 2014
hat Deutschland Güter und Waren im Wert von 1,2 Bil-
lionen Euro ausgeführt. Auch bei den Einfuhren sind wir
von weit entfernten Ländern abhängig: Deutsche Pro-
dukte sind auf zahlreiche Zulieferungen angewiesen.
Diese kommen aus Asien über die Handelsroute, über
die wir gerade reden, durch den Golf von Aden und den
Suezkanal zu uns.

Um den Status als Exportweltmeister zu verteidigen,
hat Deutschland deshalb ein vitales Interesse an freien
Transportwegen. Die deutsche Handelsflotte als dritt-
größte Handelsflotte der Welt ist auf sichere Seewege
angewiesen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Von 2007 auf 2008 stieg die Zahl der Piratenangriffe
am Horn von Afrika um das Zehnfache.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn!)


Die Sicherheit auf einer der wichtigsten Handelsrouten
war massiv gefährdet. Auf dem großen Versicherungs-
markt Lloyd’s of London wurde die Region als „war risk
region“ eingestuft; die Versicherungsprämien stiegen.
Manche, die damals schon im Bundestag waren, erin-
nern sich an das Geiseldrama auf der „Hansa Stavan-
ger“; ich schaue den Kollege Jung an, er war damals
Verteidigungsminister. Monatelange Verhandlungen mit
den Piraten mit abschließender Zahlung eines Lösegel-
des in Millionenhöhe machten dem Spektakel ein Ende.
Deutschland war unter Druck, Europa war unter Druck.
Es musste etwas geschehen. Zu Recht forderten die deut-
schen Reeder Schutz vom deutschen Staat für ihre
Schiffe.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810621100

Herr Kollege Uhl, ich muss Sie einmal kurz unterbre-

chen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist jetzt wirklich
deutlich zu laut geworden. Das ist einfach unfair gegen-
über dem Kollegen Uhl. Ich bitte, auch ihm zuzuhören.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir werden heute eine wichtige Entscheidung treffen;
deshalb bitte ich um die entsprechende Aufmerksamkeit.


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1810621200

Ich bedanke mich, Frau Präsidentin. – Zurück zur

„Hansa Stavanger“. Damals hatten wir eine lange Dis-
kussion über die Frage: Wer gewährleistet den Schutz
durch den Staat? – Auf der einen Seite hatten wir die
Polizei; die hatte zwar das Recht dazu, aber nicht die Fä-
higkeiten. Und dann hatten wir das Militär; die hatten
die Fähigkeiten, aber nicht das Recht dazu. Weil der eine
kann, aber nicht darf, der andere darf, aber nicht kann,
war das Ergebnis, dass wir uns überlegen mussten, was
wir tun.

Die Resolution des UN-Sicherheitsrates und die Ge-
meinsame Aktion des Europäischen Rates bildeten dann
die solide rechtliche Grundlage, um die Streitkräfte zum
Einsatz zu bringen. Die Operation Atalanta war geboren,
und das war auch gut so. Von den zahlreichen Attacken
auf Handelsschiffe, die es zuvor gegeben hatte, blieben
nach wenigen Jahren nur noch ganze vier Angriffe im
Jahre 2014. Die Operation Atalanta, meine Damen und
Herren von den Linken, ist für den sicheren Seeverkehr
in diesem Teil der Welt also zweifellos ein Erfolg. Die
generalpräventive Wirkung dieses Militäreinsatzes wird
sicher auch in Zukunft dazu beitragen, dass keine An-
griffe mehr stattfinden oder nur noch wenige.

Auf der anderen Seite muss man bedenken: Ein See-
gebiet anderthalbmal so groß wie Europa kann man mit
vier Schiffen und zwei Seefernaufklärern natürlich nicht
abdecken. Deswegen war es richtig, dass wir als zweite
Maßnahme ein Gesetz für private Sicherheitsunterneh-
men geschaffen haben. Wir haben die Reeder in die Lage
versetzt, auch selbst für Sicherheit zu sorgen, durch pri-
vate Sicherheitsleute auf den Schiffen. Über 330 Schiffs-
passagen wurden seit dieser Zeit auf dieser Rechtsgrund-
lage gesichert. Soweit mir bekannt ist, ist noch kein
einziges Schiff angegriffen worden, das von privaten Si-
cherheitsunternehmen geschützt war. Das heißt, auch
diese zweite Maßnahme ist ein Erfolg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)






Dr. Hans-Peter Uhl


(A) (C)



(D)(B)

Wir werden nicht feststellen können, was in der Kau-
salkette den größeren Ausschlag gegeben hat: die Opera-
tion Atalanta oder die privaten Sicherheitsleute. Beides
hat eine große Rolle gespielt. Aber allein der Umstand,
dass sich Europa zusammengefunden hat und gezeigt
hat, dass wir handlungsfähig sind, wenn es darum geht,
Risiken auf der Welt zu beseitigen oder zu schmälern,
war schon ein großer Erfolg.

Wir haben eine Gemeinsame Europäische Sicher-
heits- und Verteidigungspolitik beschlossen, 1999 be-
reits. Wir haben bisher bereits 30 gemeinsame EU-ge-
führte Zivil- und Militäroperationen durchgeführt. Aber
ich glaube – das scheint mir das Wichtigste zu sein, wenn
man die Operation Atalanta Revue passieren lässt –: In ei-
ner Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, brauchen
wir noch sehr viel mehr solcher gemeinsamen europäi-
schen Maßnahmen wie die Operation Atalanta. Wir müs-
sen gemeinsam in Europa noch mehr für Krisenpräven-
tion und für Krisennachsorge in der Welt tun. Hier haben
wir noch ein erhebliches Steigerungspotenzial.

Eine sichere und stabile Welt von morgen braucht ein
Europa, das mit einer Stimme spricht und geschlossen
handelt. Das Atalanta-Mandat ist ein solches Mandat.
Deswegen bitte ich um Ihre Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810621300

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur
Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/4964, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 18/4769 anzunehmen. Wir stimmen nun
über die Beschlussempfehlung namentlich ab.

Ich weise darauf hin, dass mir mehrere persönliche
Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäfts-
ordnung des Deutschen Bundestages vorliegen.1)

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen be-
setzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die namentli-
che Abstimmung über die Beschlussempfehlung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie jetzt,
Ihre Plätze wieder einzunehmen, damit wir in unserer
Tagesordnung fortfahren können. Sie wissen, dass wir
heute eine sehr lange Tagesordnung haben. Deshalb bitte

1) Anlage 2
2) Ergebnis Seite 10161 C
ich Sie, zügig Ihre Plätze einzunehmen und die Gesprä-
che einzustellen.

Jetzt können wir in unserer Tagesordnung fortfahren.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Britta Haßelmann, Christian Kühn

(Tübingen), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wertstoffgesetz jetzt vorlegen
Drucksache 18/4648
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in die-
ser Debatte hat Peter Meiwald von der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.


Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810621400

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Warum bringen wir heute einen Antrag zum Wert-
stoffgesetz ein? Es sind sich doch alle einig, dass ein sol-
ches Gesetz dringend nötig ist, um der großen
Ressourcenverschwendung im Umgang mit unserem
Müll und dem ineffizient gewordenen System der Verpa-
ckungsordnung ein Ende zu bereiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Doch drei CDU/CSU-geführte Regierungen des letzten
Jahrzehnts verschleppen das Vorhaben Wertstoffgesetz
seit Jahren, zulasten von Umwelt und Verbraucherinnen
und Verbrauchern. Große Mengen kostbarer Wertstoffe
werden verbrannt, obwohl technisch sehr viel mehr Re-
cycling möglich wäre.

Zehn konkurrierende duale Systeme finanzieren vor
allem ihre eigene Struktur, mit Systemkosten von mehr
als 100 Millionen Euro im Jahr. Die Kunden zahlen da-
für. Die einstmals angedachten Innovationsanreize für
das Produktdesign im Rahmen des Konzepts der Pro-
duktverantwortung sind längst nicht mehr wahrnehmbar.
Das einstmals gut gedachte Konzept der geteilten Ver-
antwortung in der Wertstoffsammlung ist nicht die Ant-
wort auf die Herausforderungen des Ressourcenschutzes
in Gegenwart und Zukunft, weil es ineffizient ist und
sich an einer Vermeidung von Lizenzentgelten orientiert.
Daran haben auch die sieben Novellen zur Verpackungs-
verordnung im Kern nichts ändern können.

Duale Systeme sind kein schützenswertes Kulturgut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Doch statt, wie seit mehr als einem Jahr immer wieder
angekündigt, ein Wertstoffgesetz vorzulegen, das diesen
Reformstau endlich beseitigt, will die Regierung jetzt in
Elmau – wir haben davon gehört – die Frage des Plastik-





Peter Meiwald


(A) (C)



(D)(B)

mülls mit einer Forschungsinitiative zur Rückholung
von Müll aus dem Meer medienwirksam abfrühstücken.
Das tut niemandem weh, klingt hübsch und ist auch
durchaus sinnvoll, löst aber das große Problem der Res-
sourcenverschwendung nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir dagegen wollen substanziell etwas bei Pro-
duktdesign und Recyclingquoten verbessern. Seit der
Gründung unserer Partei setzen wir Grüne uns kritisch
mit der Wegwerfgesellschaft auseinander und ringen um
die besten Lösungen für die Umwelt. Abfälle wird es im-
mer geben; aber es kommt darauf an, die Wertstoffe da-
rin so gut wie möglich zu nutzen und nur das zu verbren-
nen, was gar nicht mehr nutzbar ist oder so stark mit
Umweltgiften verseucht ist, dass man es besser nicht
weiternutzt. Die Zielsetzung „weg von der Deponie“ –
durchaus auch angestoßen von Grünen – war ein erster
großer Meilenstein; die Zielsetzung „weg von zu viel
Verbrennung“ muss der nächste sein. Dies schreibt im
Übrigen die europäische Abfallhierarchie längst vor. Un-
seren Vorschlag dafür legen wir heute vor.

Erstens. Wir wollen, dass die Kunststoffe aus Haus-
müll und Verpackungen in einem System, möglichst in
einer Wertstofftonne, in Verantwortung der Kommunen
gemeinsam eingesammelt werden. Es ist nicht mehr ver-
mittelbar, dass, wie bisher, ein Plastikkleiderbügel, der
zur Verkaufsverpackung gehört – wir haben darüber
schon öfter gesprochen –, in den gelben Sack geworfen
werden darf, ein anderer Bügel aus dem gleichen Mate-
rial aber in die schwarze Tonne gehört. Das ist heute
nicht mehr vermittelbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Kommunen werden dann regelmäßig die Men-
schen vor Ort über den Verbleib der Wertstoffe und die
Erfolge beim Recycling, bei der Verwertung unterrich-
ten. Dann haben wir Transparenz, und alle, die fleißig
ihren Müll trennen, wissen endlich, wofür sie das eigent-
lich tun.


(Zuruf von der LINKEN: Das ist eine gute Idee!)


Zweitens. Die gesetzlichen Recyclingquoten müssen
dringend sehr deutlich angehoben werden. Diesbezüg-
lich gibt es eigentlich einen Konsens. Wir brauchen
selbstlernende Quoten, die sich automatisch anpassen,
wenn sich die Recyclingtechnik verbessert. Dadurch
werden Innovationen in der Abfallwirtschaft unterstützt.
Vielleicht wird Deutschland dann auch mal wieder Vor-
reiter. Dabei kommt es natürlich nicht nur darauf an,
möglichst viel zu recyceln, sondern auch möglichst gut,
das heißt, qualitativ sinnvoll zu recyceln und nicht
downzucyceln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Wer in Zukunft Dinge und Verpackungen
auf den Markt bringt, die viele Ressourcen verbrauchen
oder schlecht zu recyceln sind, soll dafür mehr bezahlen
als derjenige, der sich das Prinzip der Kreislaufwirt-
schaft zu eigen macht. Wir nennen das ökologische
Ressourcenabgabe. Eine neue zentrale Stelle in öffent-
lich-rechtlicher Hand soll die bisherigen Lizenzentgelte
weiterentwickeln, hin zu Preisen, die die ökologische
Wahrheit der Produkte und Verpackungen wirklich ab-
bilden.

Fachlich gibt es hierzu viel Konsens, doch das reicht
nicht aus. Die SPD stand, bevor sie an die Regierung
kam – ich spreche hier insbesondere Frau Hendricks an,
auch wenn sie nicht anwesend ist –, Schulter an Schulter
mit uns Grünen, gerade wenn es darum ging, dass die
Kommunen die Verantwortung für die Abfälle zurückge-
winnen sollen. Doch die Koalition des kleinsten gemein-
samen Nenners kommt heute nicht zu einer Einigung.
Statt wenigstens schnell den ersten Schritt auf dem Weg
zu einem Wertstoffgesetz zu gehen, wie wir ihn jetzt als
Einstieg vorschlagen, bremsen Sie sogar kleine Einzel-
projekte wie unseren Antrag zur Lösung des Mikro-
plastikproblems aus und versprechen stattdessen einen
großen Wurf, in dem alle Probleme des Mülluniversums
auf einmal gelöst werden sollen. Am Sankt-Nimmer-
leins-Tag?

Sie lassen sich wieder einmal zwischen den verschie-
denen Machtinteressen zerreiben. Das geht zulasten
unserer Umwelt. Wir Grüne wollen ein neues System,
das ökologischer und transparenter ist, und wir wollen,
dass die Verantwortung dafür in einer Hand liegt, in der
kommunalen Hand. Wenn Sie auf diesem Weg auch die
durch Mikroplastik hervorgerufenen Probleme lösen
oder die Ökologisierung der Gewerbeabfälle in der Zu-
kunft gleich mitregeln wollen, beteiligen wir Grüne uns
sehr gerne konstruktiv an diesem Verfahren. Aber fan-
gen Sie bitte endlich an, zu handeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Folgen Sie unserem Vorschlag! Gehen Sie die wirkli-
chen Probleme an, und legen Sie endlich ein Wertstoff-
gesetz vor! Ankündigungen haben wir nun wirklich ge-
nug gehört.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810621500

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen, und

zwar dringend.


Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810621600

Ich bin schon am Ende angekommen. Vielen Dank,

Frau Präsidentin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810621700

Als nächster Redner hat Dr. Thomas Gebhart von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Thomas Gebhart (CDU):
Rede ID: ID1810621800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Die Grünen fordern in ihrem Antrag ein Wert-
stoffgesetz. Es ist überhaupt keine Frage: Wir alle wol-
len ein Wertstoffgesetz.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann legen Sie einmal eines vor!)






Dr. Thomas Gebhart


(A) (C)



(D)(B)

Darin sind wir uns einig. Aber es ist auch klar: Wir wol-
len nicht irgendein Wertstoffgesetz, sondern dieses Wert-
stoffgesetz muss ein Fortschritt sein. Auf den Inhalt
kommt es an.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben! Das haben wir gerade erklärt!)


Dieses Wertstoffgesetz muss die richtigen Antworten auf
die Herausforderungen geben. Das ist der entscheidende
Punkt.

Was sind diese Herausforderungen? Ich will nur einen
allgemeinen Punkt ansprechen. Wir haben weltweit eine
steigende Nachfrage nach Ressourcen. Wir verbrauchen
mehr Ressourcen, als wir langfristig zur Verfügung
haben. Die Weltbevölkerung wächst nach wie vor, und
Deutschland ist in hohem Maße abhängig von Rohstoff-
importen. Allein deswegen ist es erforderlich, dass wir
die Kreisläufe in Zukunft noch besser als heute schlie-
ßen, dass wir Abfälle vermeiden, dass wir aus Abfällen
wertvolle Ressourcen gewinnen, dass wir Ressourcen
eben nicht verbrauchen, sondern gebrauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir wollen und wir werden weitergehen auf dem Weg
zu einer echten Kreislaufwirtschaft. Das ist gut für die
Umwelt. Das schont die Ressourcen. Das ist vor allem
auch wirtschaftlich sinnvoll. Das ist eine wirtschaftliche
Chance.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wie?)


Das ist sogar eine pure Notwendigkeit.

Wenn wir heute über dieses Wertstoffgesetz debattie-
ren, dann müssen wir zunächst einmal gedanklich an den
Ausgangspunkt der Diskussion gehen: Wo kommen wir
eigentlich her? Es war Anfang der 90er-Jahre in Deutsch-
land. Wir hatten einen Müllnotstand und wussten nicht,
wohin mit dem Müll. Dann hat Klaus Töpfer als Um-
weltminister etwas auf den Weg gebracht, was zu einem
absoluten Erfolgsmodell wurde. Er hat die Verpackungs-
verordnung und damit das Prinzip der Produktverant-
wortung eingeführt. Diejenigen, die in Deutschland
Verpackungen an den Markt bringen, sind dafür verant-
wortlich, diese Verpackungen hinterher zurückzuneh-
men und möglichst wiederzuverwerten. Die Unterneh-
men übernehmen also Verantwortung auch für die
Entsorgung ihrer Produkte. Sie übernehmen damit Ver-
antwortung für den gesamten Lebenszyklus. Das ist eine
marktwirtschaftliche Lösung, weil nämlich die Entsor-
gungskosten Teil des Preises und des Wettbewerbs wer-
den. So entsteht von Anfang an ein Anreiz, Verpackun-
gen möglichst zu vermeiden und Verpackungen und
Produkte so zu gestalten, dass sie einfach und günstig zu
recyceln sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was war die Wirkung? Die Verpackungsmenge ging
zurück,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, was Sie machen wollen!)

obwohl es zum Glück gleichzeitig ein Wirtschaftswachs-
tum gab. Es wurden hochmoderne Recyclingtechno-
logien und Innovationen entwickelt, Müllberge wurden
kleiner, und die Kosten für die Verbraucher sind gesun-
ken. Das war die Situation damals.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor 20 Jahren!)


Heute, mehr als 20 Jahre später, stehen wir an dem
Punkt, dass wir einen entscheidenden Schritt weiterge-
hen können und weitergehen müssen.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch schon seit zehn Jahren!)


Wir wollen, dass Verpackungen und Nichtverpackungen,
die aber aus den gleichen Materialen bestehen, insbeson-
dere Metalle und Kunststoffe, gemeinsam erfasst und
möglichst recycelt werden.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nicht wahr! Der Hammer! – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir ja auch!)


Kleiderbügel, die Quietscheente und der Locher aus Me-
tall sollen künftig nicht mehr in den Restmüll und dann
verbrannt werden, sondern gemeinsam mit dem Joghurt-
becher erfasst und verwertet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir alles schon seit zehn Jahren! Sie müssen es nur mal machen!)


Das ist die erste unserer fünf Kernforderungen, die
wir an ein Wertstoffgesetz haben.

Die zweite Kernforderung der Union lautet: Wir müs-
sen das bewährte Prinzip der Produktverantwortung auf
diese stoffgleichen Nichtverpackungen ausdehnen.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn?)


Die Entsorgung wird also, wenn es nach uns geht, künf-
tig nicht mehr über Müllgebühren laufen, sondern beim
Kauf gleich mitbezahlt. Für den Bürger entsteht dadurch
kein zusätzlicher Aufwand. Es wird nicht teurer.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir uns ja einig!)


Das Entscheidende ist aber: Die Hersteller erhalten An-
reize, ihre Produkte so zu gestalten, dass wenig Abfälle
entstehen und sie einfach zu recyceln sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dazu soll es auch differenzierte Lizenzentgelte geben,
sodass sich im Preis tatsächlich widerspiegelt, ob es sich
um leicht oder schwer recycelbare Produkte handelt.

Produktverantwortung stärken – dafür stehen wir in
der Union wie keine andere Fraktion hier im Deutschen
Bundestag.


(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Dr. Thomas Gebhart Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





(A) (C)


(D)(B)


Marktwirtschaft und Umweltschutz zusammenbringen –
das ist unser Erfolgsrezept. Ich habe von den Grünen in
der Vergangenheit wenig dazu gehört.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Sie haben doch eben Ihre Ohren zugehalten! Das Letzte, was Sie geleistet haben, war Klaus Töpfer! Das ist 20 Jahre her!)


Wir wollen die Produktverantwortung ausdehnen.
Das wäre ein echter Quantensprung. Es freut mich, dass
diese Unionsforderung immer mehr Zustimmung erhält,
und zwar nicht nur hier im Parlament, sondern auch au-
ßerhalb des Parlaments bei denjenigen, die es am Ende
umsetzen müssen.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmen Sie unserem Antrag zu!)


Wenn es uns gelingt, dies in einem Wertstoffgesetz zu
verankern und somit die Produktverantwortung zu stär-
ken und auszudehnen, dann wird das Wertstoffgesetz zu
einem echten Fortschritt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unsere dritte Kernforderung ist die Forderung nach
einer zentralen Stelle. Diese ist notwendig. Wir haben
heute im System Organisationsprobleme, die gelöst wer-
den müssen. Wir brauchen mehr Transparenz. Wir brau-
chen mehr Ordnung und mehr Kontrolle des Systems,
bessere Regeln und fairen Wettbewerb. Was wir aber
nicht wollen, ist das, was die Grünen gerne machen wür-
den: weniger Wettbewerb und mehr Kommunalisierung.
Das wäre ein Schritt zurück.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich frage mich: Worin sollen denn die Vorteile dieses
grünen Vorschlages liegen? Ich kann es nicht verstehen.
Wie wollen Sie Ihr System eigentlich rechtlich sauber
finanzieren? Darauf geben Sie keine vernünftige Ant-
wort. Ich frage mich schon – das frage ich vor allem die
Grünen –: Wo liegt denn der umweltpolitische Mehrwert
einer Kommunalisierung? Gerade in diesem Punkt ist
der grüne Vorschlag absolut schwach.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dafür aber zustimmungsfähig in der Gesellschaft!)


Wir setzen hingegen auf ein wettbewerblich organi-
siertes System. Natürlich muss die Zusammenarbeit zwi-
schen den Kommunen und den Privaten verbessert wer-
den – keine Frage. Aber hierzu gibt es sehr gute Ansätze.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Vorteil liegt in der Transparenz!)


Unsere vierte Kernforderung: Wir wollen anspruchs-
volle Recyclingquoten. Sie müssen technisch machbar
sein, sie müssen ökonomisch und ökologisch sinnvoll
sein. Es sollen dynamische Quoten sein, die an den tech-
nischen Fortschritt angepasst werden. Wenn wir heute
die Situation, die Realität in Deutschland betrachten,
dann stellen wir fest: Wir hinken hinterher. In der Tat, es
ist deutlich mehr möglich als das, was heute gesetzlich
verankert ist.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Deswegen wollen wir, dass künftig weniger verbrannt
und mehr recycelt wird. Dies spart übrigens auch CO2;
es ist ein Beitrag zum Klimaschutz. Ambitionierte Re-
cyclingquoten in einem Wertstoffgesetz – dann wird es
zu einem Fortschritt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann?)


Ich komme zu unserer fünften Kernforderung. Wir
beschreiben dies als Vorabmaßnahme. Es geht um
Getränkeflaschen im Handel. Wir fordern, dass es im
Handel Hinweise gibt, ob es sich um Mehrweg- oder
Einwegflaschen handelt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut!)


Warum? Weil die Mehrwegquote in den letzten Jahren
dramatisch gesunken ist. Sie lag im Jahr 2004 noch bei
über 70 Prozent. Sie ist heute auf unter 50 Prozent ge-
sunken. Die letzte Bundesregierung hat noch 2013 unter
Federführung des damaligen Umweltministers Altmaier
beschlossen, dass es im Handel die Pflicht zu Hinweisen
geben soll, ob es sich um Mehrweg oder Einweg handelt.
Dieser Vorschlag liegt seitdem im Bundesrat auf Eis.
Dies ist nicht nachvollziehbar.

Uns geht es darum, mehr Klarheit zu schaffen. Wir
wollen den Verbraucher nicht bevormunden, aber wir
wollen mehr Klarheit beim Getränkekauf für die Ver-
braucherinnen und Verbraucher. Deswegen ist es uner-
träglich, dass der Bundesrat seine Zustimmung hierzu
nach wie vor verweigert. Er nimmt damit auch in Kauf,
dass diese Mehrwegquote immer weiter in den Keller
geht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen fordere ich auch an dieser Stelle die Länder
auf, diesen Vorschlag nicht weiter zu blockieren. Das
sage ich insbesondere in Richtung der Grünen und der
grünen Umweltminister. Blockieren Sie diesen Vor-
schlag nicht länger. Geben Sie Ihre Blockade auf.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen ein Wertstoffgesetz, das uns wirklich vo-
ranbringt, das Innovationen schafft, das mehr Umwelt-
und Ressourcenschutz schafft, ein Wertstoffgesetz, das
aber auch ökonomisch Sinn macht


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist es denn? Sie regieren hier! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist es denn?)






Dr. Thomas Gebhart


(A) (C)



(B)

und einen echten Fortschritt bringt. Dafür stehen wir,
und dafür arbeiten wir.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810621900

Vielen Dank. – Bevor ich dem nächsten Redner das

Wort erteile, möchte ich Sie über das von den Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundes-
regierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Ata-
lanta“ auf den Drucksachen 18/4769 und 18/4964
informieren: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben da-
von gestimmt 465, mit Nein haben gestimmt 72. 49 Kol-
leginnen und Kollegen haben sich enthalten. Damit ist
die Beschlussempfehlung angenommen.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 582;
davon

ja: 461
nein: 72
enthalten: 49

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Dr. Carsten Sieling
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Nein

SPD

Klaus Barthel
Dr. Ute Finckh-Krämer





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(B)

Michael Groß
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
René Röspel
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Sylvia Kotting-Uhl
Christian Kühn (Tübingen)

Monika Lazar
Peter Meiwald
Lisa Paus
Corinna Rüffer
Hans-Christian Ströbele

Enthalten

SPD

Petra Hinz (Essen)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

(D)

Jetzt hat Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke
das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810622000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Die Grünen fordern in ihrem Antrag, dass
die Bundesregierung endlich ein Wertstoffgesetz vorlegt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Es ist aber weder der richtige Zeitpunkt noch die richtige
Koalition für diese Forderung.


(Beifall bei der LINKEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür können wir doch nichts!)


Die Schwerpunkte sind richtig: weniger Verbrauch
von Rohstoffen und mehr Recycling für Umweltschutz,
die ökonomisch und ökologisch sinnvolle Abschaffung
der dualen Systeme und die Einführung einer Ressour-
cenverbrauchsabgabe, um unnötigen Konsum zu verhin-
dern und die Wiederverwendung von Produkten zu
fördern. Diese Forderungen unterstützt die Linke seit
Jahren. Es sind gute und richtige Forderungen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber mit dieser Koalition ist das nicht zu schaffen. Diese
Koalition würde ein Wertstoffgesetz konterkarieren, wie
das neue Elektrogesetz zeigt. Ich begründe das.

Erstens. Wertstoffe wie Papier und Glas werden be-
reits heute getrennt erfasst. Metalle werden vor oder
nach der Restmüllverbrennung zurückgewonnen. Diese
Wertstoffe werden heute von kommunalen Entsorgern
genutzt und verkauft. Damit bezahlen die kommunalen
Entsorger teilweise die teure Restmüllbeseitigung.

Die Gewinne aus diesem Geschäft mit Wertstoffen
stiegen seit 2007 so stark, dass die durchschnittlichen
Müllgebühren in Deutschland seit 2007 konstant blie-
ben, trotz Tarifsteigerungen für Beschäftigte, die sehr
begrüßenswert sind, höherer Betriebs- und Anlagenkos-
ten und strengerer Umweltnormen. Über 1 Milliarde
Euro Entlastung brachte dies für Sie, für mich und für
alle Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler pro Jahr
oder, anders gerechnet, rund 12 Euro pro Einwohner und
Jahr, und dies dank eines fehlenden Wertstoffgesetzes.
Diese Milliarde weckt seit Jahren Begehrlichkeiten bei





Ralph Lenkert


(A) (C)



(D)(B)

privaten Entsorgungskonzernen. 2012 wollten die Kon-
zerne über die Neufassung des Kreislaufwirtschaftsge-
setzes diese Milliarde kassieren. Das konnte verhindert
werden.

Jetzt folgt die Kritik: Mit einem Wertstoffgesetz ma-
chen wir dieses Fass, das bisher dicht war, wieder auf.
Deshalb ist es falsch, die Forderung nach einem Wert-
stoffgesetz heute auf die Tagesordnung zu setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für eine Logik? Sie legen nichts vor, weil die falsche Regierung regiert? – Ulli Nissen [SPD]: Heißt das, dass Sie jetzt keine Anträge mehr stellen?)


Zweitens. Ja, die Verpackungsverordnung mit dem
dualen System ist ein ineffektives Bürokratiemonster
voller Betrugsmöglichkeiten. Trotz der oder durch die
Verpackungsverordnung explodierte die Menge an pro-
duzierten Kunststoffverpackungen in Deutschland von
1,5 Millionen Tonnen 1997 auf über 3 Millionen Tonnen
2014. Die Menge von Papp- und Papierverpackungen
stieg im gleichen Zeitraum von 5,2 Millionen Tonnen
auf 7,2 Millionen Tonnen jährlich. Betrug hat System im
Bereich der Verpackungsverordnung. Trotzdem erklären
Umweltministerium und Koalition die dualen Systeme
zum Erfolg. Ich frage mich, wie man das bei diesen Fak-
ten machen kann. Das geht nur, wenn man entweder eine
Gehirnwäsche durchlaufen hat oder von Lobbyisten ver-
einnahmt wurde.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sorry, liebe Grüne: Diese Koalition würde bei der
Einführung des Wertstoffgesetzes genau das Falsche ma-
chen. Sie würde eine Wertstofftonne unter der Regie der
dualen Systeme einführen. Dann nehmen in weiteren
Bereichen Bürokratie und Betrug zu. Das wäre ein Hor-
ror für die Umwelt und die Verbraucherinnen und Ver-
braucher, die alles bezahlen müssen. Deshalb sage ich:
Es ist besser, kein Wertstoffgesetz einzuführen, zumal
sich die Wertstofferfassung derzeit rechnet und in der
Praxis auch umgesetzt wird. Bei dieser Großen Koalition
würde ein Wertstoffgesetz mehr Schaden als Nutzen ver-
ursachen.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Nordrhein-Westfalen stehen derzeit 100 Anlagen still!)


Aber auch wir wollen die Koalition treiben. Lassen
Sie uns einen Schritt gehen. Mit Forderungen zugunsten
der Wiederverwendung von Produkten und nach langen,
garantierten Nutzungszeiten können wir die Koalition
treiben. Dies schont unser aller Geldbeutel und die Um-
welt.

Der Einführung einer Ressourcenverbrauchsteuer
steht auch unabhängig von einem Wertstoffgesetz nichts
entgegen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach deiner Logik würde die Koalition ja wieder was Schlimmes daraus machen!)


Diese Forderung ist wichtig; da sind wir uns einig.
Die Wertstofftonne vertagen wir, bis wir die SPD von
einer verbraucher-, kommunal- und umweltfreundlichen
Lösung überzeugt haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810622100

Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte

hat Michael Thews von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Michael Thews (SPD):
Rede ID: ID1810622200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Die Politik bedeutet ein starkes, langsames
Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Au-
genmaß zugleich.“ Dieses berühmte Zitat von Max
Weber bestätigt sich – das hat die Diskussion eben ge-
zeigt – gerade im Falle des Wertstoffgesetzes wieder ein-
mal. Die Geschichte des Wertstoffgesetzes reicht zuge-
gebenermaßen schon etwas länger zurück, aber sie ist
nicht unendlich, und sie ist, wenn es nach mir geht, auch
nicht ohne Happy End.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Forderung der Grünen, jetzt den Entwurf eines
Wertstoffgesetzes vorzulegen, ist verständlich.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Aber das ist leicht gesagt.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt das vor einem Jahr selber gesagt!)


Die Bestrebung, ein Wertstoffgesetz zu verabschieden,
gibt es schon seit Jahren. Umweltminister Norbert
Röttgen hat sich genauso vergeblich darum bemüht wie
sein Nachfolger Peter Altmaier. Alle Beteiligten wissen:
Es ist jetzt höchste Zeit, das Wertstoffgesetz auf den
Weg zu bringen.

Beispiele für unverständliche Regelungen – einige
wurden schon genannt – gibt es viele. Die Tatsache, dass
der kaputte Drahtkleiderbügel aus dem Kleiderschrank
in eine andere Mülltonne gehört als der Drahtkleiderbü-
gel aus der Reinigung oder dass die Plastikente in eine
andere Tonne gehört als der Joghurtbecher, ist weder
ökologisch sinnvoll noch für die Verbraucher nachvoll-
ziehbar oder praktikabel. Deshalb brauchen wir eine
Mülltrennung, die sich nach dem Material des Gegen-
standes richtet und nicht nach seinem Gebrauchszweck.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Völlig richtig so!)


Wir brauchen die Wertstofftonne, und da sind wir uns
weitestgehend einig.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss man es doch machen!)






Michael Thews


(A) (C)



(D)(B)

Genauso einig sind wir uns darüber, dass wir an-
spruchsvollere Recyclingquoten brauchen und dass wir
die Ressourceneffizienz steigern wollen. Einig sind wir
uns auch, dass die Fehlentwicklungen, die bei der Verpa-
ckungsverordnung in den letzten Jahren zum Beinahe-
kollaps der dualen Systeme geführt haben, beseitigt wer-
den. Wir wollen mehr Transparenz und mehr Kontrolle,
und die siebte Novelle, so finde ich jedenfalls, war ein
wichtiger Schritt in diese Richtung.


(Beifall bei der SPD)


Trotzdem ist das mit dem Wertstoffgesetz nicht so
einfach. Das liegt wie so oft an den unterschiedlichen
und teilweise auch sehr gegensätzlichen Interessen der
Beteiligten. Die private Entsorgungsindustrie braucht
Planungssicherheit, um in neue Sortier- und Recycling-
technik investieren zu können. Die Hersteller, die die
Sammlung und Verwertung finanzieren sollen, wollen
die Kosten möglichst gering halten. Die dualen Systeme
wollen die aufgebauten Strukturen und ihre Geschäfts-
felder erhalten, und die Bürgerinnen und Bürger, was
wollen die? Die wollen eine verständliche, ökologische,
einfache und kostengünstige Lösung.

Die Kommunen, die für die meisten Bürgerinnen und
Bürger der erste Ansprechpartner für alle Probleme und
Fragen rund um die Müllentsorgung sind, weil diese
eben als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge verstan-
den wird, wollen nicht für etwas verantwortlich gemacht
werden, was sie nicht beeinflussen können.


(Ulli Nissen [SPD]: Deshalb müssen wir es auch dringend so machen, dass sie zuständig sind!)


Sie brauchen daher unbedingt wirksame Steuerungs-
möglichkeiten und, wenn es nach mir geht, die Samm-
lungshoheit, die allerdings von vielen infrage gestellt
wird. Wenn die gelbe Tonne oder der gelbe Sack nicht
oder nicht rechtzeitig abgeholt werden,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich warte noch auf die Begründung, warum ihr das Gesetz nicht vorlegt!)


wenn die Säcke bei der Sammlung aufplatzen und die
Gehwege verschmutzen, wenn es nicht genug Säcke gibt
oder sie zu selten abgeholt werden, dann wenden sich
die Bürgerinnen und Bürger an die Kommune. Das ist
auch grundsätzlich in Ordnung; denn die Kommune ist
für viele Dinge der unmittelbare Ansprechpartner für die
Bürgerinnen und Bürger.


(Beifall bei der SPD)


Gleichzeitig hat die Kommune so auch den unmittel-
baren Zugang zum Bürger und kann für die Abfalltren-
nung die erforderliche Akzeptanz und das erforderliche
Wissen schaffen.


(Ulli Nissen [SPD]: Völlig richtig!)


Es ist auch in Ordnung, wenn die Bürgerinnen und
Bürger erwarten, dass bestimmte Leistungen, auch unter
unwirtschaftlichen Bedingungen, zuverlässig erbracht
werden und „insolvenzfest“ sind.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Höre ich da einen Unterschied zur Union heraus?)


Aber dann muss die Kommune auch Problemen bei
der Sammlung entgegensteuern können. Sie muss Ein-
flussmöglichkeiten haben, und sie muss den Systembe-
treibern auch Vorgaben machen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade hier hat es aber in den letzten Jahren unter
dem Regime der Verpackungsverordnung unzählige
Rechtsstreitigkeiten gegeben über Fragen wie: wer wann
und unter welchen Voraussetzungen eine Abstimmungs-
vereinbarung beenden oder Änderungen verlangen kann,
wessen Entsorgungssystem sich nun anpassen muss und
wer von wem eigentlich wie viel Geld bekommt.

Die Gesamtgemengelange der unterschiedlichen Inte-
ressen ist in Wahrheit noch wesentlich differenzierter
und schwieriger, als ich sie jetzt mit einigen Pinsel-
strichen gemalt habe; aber ich denke, es ist deutlich ge-
worden, dass es hier viele berechtigte und gegenläufige
Interessen der Beteiligten gibt. Gerade weil wir uns in so
vielen wichtigen Punkten wie anspruchsvollere Recy-
clingquoten, Weiterentwicklung der Produktverantwor-
tung oder auch Einrichtung einer zentralen Stelle einig
sind, hoffe ich sehr, dass wir es in dieser Legislatur-
periode schaffen werden, ein Wertstoffgesetz zu verab-
schieden.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klingt aber nicht sehr überzeugt!)


Was die Produktverantwortung angeht, müssen wir es
allerdings auch schaffen, diese zu einem ökologischen
Lenkungsinstrument zu entwickeln. Sie darf von den
Herstellern nicht nur als finanzielle Verantwortung ver-
standen werden,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hoffnung stirbt zuletzt!)


zumal die finanzielle Verpflichtung zwar zu guten Ein-
nahmen bei den dualen Systemen führt, aber auch viel zu
oft nur ein dünner Finanzfluss zum Beispiel bei den Re-
cyclern ankommt. Gutes Recycling braucht gute Anla-
gen, und die kosten nun einmal Geld.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die heute schon viel beschworene Produktverantwor-
tung muss wieder als Verantwortung verstanden werden,
ressourcenschonende, besser verwertbare oder wieder-
verwendbare Produkte herzustellen; denn eins ist klar:
Wir wollen und wir müssen weitermachen auf unserem
Weg zu einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft. Wir
können es uns auf Dauer nicht leisten, auf Sekundärroh-
stoffe zu verzichten. Die Kreislaufwirtschaft muss dazu
beitragen, die sozialen und ökologischen Folgen des zu-
nehmenden Rohstoffabbaus einzugrenzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Michael Thews


(A) (C)



(D)(B)

Vor dem Hintergrund der Endlichkeit natürlicher Res-
sourcen und stetig steigender Rohstoffpreise haben wir
nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch auf die
Dauer keine andere Wahl.

Die Bundesregierung hat sich in ihrer Nachhaltig-
keitsstrategie das Ziel gesetzt, bis 2020 im Vergleich zu
1994 für die gleiche Menge an Gütern nur halb so viele
Rohstoffe einzusetzen. Ich meine, das kann nur mit einer
funktionierenden Kreislaufwirtschaft gelingen.


(Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Das sehen wir auch so!)


Wir werden zur weiteren Vervollkommnung dieser
Kreislaufwirtschaft in diesem Jahr unter anderem noch
das Elektro- und Elektronikgerätegesetz, die Gewerbe-
abfallverordnung und die Novelle des Batteriegesetzes
auf den Weg bringen und so auch noch andere Stoff-
ströme in den Fokus nehmen.

Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Es ist nicht
damit getan, dass der Müll in die richtige Tonne kommt,
und es ist auch nicht damit getan, dass die Recy-
clingquoten erhöht werden; denn Recycling ist kein Wert
an sich. Es muss für die Recyclate auch einen Markt ge-
ben – ein weiteres hartes Brett, das wir mit Leidenschaft
und Augenmaß bohren werden.

Vielen Dank für Ihr Interesse.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810622300

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Debatte.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4648 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte an der durch die Vereinten Nationen
geführten Mission UNMIL in Liberia auf
Grundlage der Resolution 1509 (2003) und
nachfolgender Verlängerungsresolutionen des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, zu-
letzt Resolution 2190 (2014) vom 15. Dezem-
ber 2014 und der Resolution 2215 (2015) vom
2. April 2015

Drucksachen 18/4768, 18/4965

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/4977

Über diese Beschlussempfehlung werden wir später
namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in die-
ser Debatte hat Dr. Bärbel Kofler von der SPD-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU])



Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1810622400

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir diskutieren heute hier ein Mandat in Li-
beria, das bereits seit zwölf Jahren existiert und, wie ich
glaube, einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit, aber
auch zum Aufbau von staatlichen Institutionen in Liberia
geleistet hat.

Wer die Situation in diesem westafrikanischen Land
vor zwölf Jahren noch vor Augen hat, weiß: Es war ein
wirklich gebeuteltes Land, das Jahre des Bürgerkriegs
hinter sich hatte, in dem 250 000 Menschen ihr Leben
verloren haben. Es gab mehr als 1 Million Vertriebene.
Das Land war tief gespalten, wirtschaftlich und sozial.
Die Infrastruktur war am Boden.

Das Mandat ist von einer Vorgängermission der west-
afrikanischen Staaten übernommen worden, die sich um
einen Friedensvertrag, um Friedensschluss bemüht ha-
ben. Mit dem Friedensvertrag von Accra sollte über die
UN-Mission ein Beitrag dazu geleistet werden, Liberia
zu stabilisieren und vor allem – das ist das Bedeutende,
das Wichtige daran – die Zivilbevölkerung in diesem
Land zu schützen. Ich glaube, es ist wichtig, ein solches
Mandat zu unterstützen. Es ist wichtig, dass wir es ge-
meinsam unterstützen, dass wir es als Völkergemein-
schaft unterstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/CSU])


Ursprünglich war diese Mission auf 15 000 Mann
ausgelegt, konnte aber – auch das ist ein Indiz dafür,
dass in die richtige Richtung gearbeitet wurde – in den
ersten drei Jahren bereits um zwei Drittel reduziert wer-
den. Der Fokus konnte auf verschiedene Aspekte, auch
nichtmilitärische Aspekte, ausgeweitet werden.

Wichtig, glaube ich, ist, dass es mit diesem Mandat
gelungen ist, drei demokratische Wahlen in Liberia ab-
zusichern: im Jahr 2005, im Jahr 2011 und im Jahr 2014.
Es ist wichtig, dass diese Wahlen frei, demokratisch und
vor allem sicher für die Zivilbevölkerung abgehalten
werden konnten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht aber um weit mehr als um den militärischen
Sektor, auch wenn er in diesem Fall wegen der Siche-
rung der Zivilbevölkerung sehr wichtig ist. Es geht um
den Aufbau von Institutionen in Liberia. Es geht um die
Arbeit, die auch von Polizisten in Liberia geleistet wird,
um die Ausbildung von Polizeikräften auch in ländlichen





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)

Strukturen, um die Frage, wie man Dezentralisierung
auch im Bereich der Sicherheitskräfte voranbringen und
gerade auch auf dem Land Sicherheit herstellen kann. Es
geht ferner – das darf nicht vergessen werden – um das
zivile Personal, das im Rahmen dieser UN-Mission
Rechtsberatung leistet, Beratung beim Aufbau von Jus-
tiz- und Sicherheitssystemen leistet, Fragen der Rechts-
staatlichkeit, der Menschenrechte, aber auch Fragen des
Gesundheitswesens – ich erinnere insbesondere an HIV/
Aids – mit bearbeitet und hier wertvolle Beiträge leistet.

Das Mandat läuft am 30. Juni nächsten Jahres aus.
Dann soll Liberia die gesamte Sicherheitsverantwortung
übernehmen. Ich glaube, es war richtig, in den letzten
Wochen und Monaten die Truppenreduzierung wegen
der Ebolaepidemie in Liberia auszusetzen und erst jetzt
langsam damit fortzufahren. Nach Beschluss vom April
dieses Jahres wird derzeit über 3 590 Soldaten,
1 515 Polizisten, aber auch 390 zivile Experten disku-
tiert. Deutschland beteiligt sich seit dem Jahr 2004 vor
allem im Bereich der Polizei mit fünf Polizistinnen und
Polizisten, im Bereich des zivilen Personals mit sechs
Expertinnen und Experten und ab Sommer dieses Jahres
eben auch das erste Mal mit fünf Soldatinnen und Solda-
ten, auch in der führenden Position des stellvertretenden
Befehlshabers von UNMIL. Ich glaube, es ist richtig,
dass wir uns daran beteiligen, und ich glaube, es ist auch
wichtig, dass wir das an der Mission UNMIL insgesamt
tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Mission hatte in den letzten Wochen und Mona-
ten schwierige Aufgaben zu übernehmen, insbesondere
als es um den Umgang mit der Ebolaepidemie ging. Ich
glaube, es ist ein positiver Beitrag, dass es hier neben der
anderen Mission der UN, UNMEER, bei der es explizit
um die Bekämpfung der Ebolaepidemie ging, gelungen
ist, logistische Unterstützung zu leisten und den Trans-
port von Hilfsgütern in entlegene Landesteile zu beglei-
ten. Es ist aber auch nicht zu unterschätzen, dass es ge-
lungen ist, einen Beitrag zur gesundheitlichen
Aufklärung der Bevölkerung in Liberia, zum Beispiel
über einen missionseigenen Radiosender, zu leisten und
Erkenntnisse über Krisen, Ursachen und Vermeidungs-
strategien im Zusammenhang mit der Ausbreitung von
Ebola zu sammeln und zu verbreiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Mission soll zu einem für Liberia sehr schwieri-
gen Zeitpunkt enden. Ich glaube, es ist wichtig, sich über
die Mission hinaus Gedanken zu machen, wie wir Libe-
ria weiter begleiten und unterstützen können. Das Land
hat, wie gesagt, Jahrzehnte des Bürgerkriegs hinter sich,
der Destabilisierung, auch des Vertrauensverlustes der
Bevölkerung im Hinblick auf alle staatlichen Institutio-
nen, auf ihren Staat als Ganzes. Liberia hat im letzten
Jahr mit fast 4 700 Toten den größten Anteil aller west-
afrikanischen Länder an den Toten der Ebolaepidemie zu
verkraften gehabt. Auch das hatte natürlich ökonomi-
sche und humanitäre Folgen für das Land. Das Wirt-
schaftswachstum ist eingebrochen. Besonders schlimm
finde ich, dass in einem Land, in dem Arbeitslosigkeit
sowieso grassiert, noch einmal 46 Prozent der arbeiten-
den Menschen ihre Arbeit und damit ihre Existenzgrund-
lage verloren haben, dass das Haushaltsvolumen des
Staates Liberia noch einmal um prognostizierte 25 Pro-
zent zurückgehen wird und dass natürlich auch die Er-
nährungssituation aufgrund der Ernteausfälle und der
nicht möglichen Arbeit in der Landwirtschaft das Land
vor entsprechend große humanitäre Herausforderungen
stellen wird.

Ich glaube, gerade in dieser Situation wird die Auf-
gabe sein, jenseits von UNMIL eine Antwort auf die
Frage zu geben: Wie können wir das staatliche Gesund-
heitssystem und die Strukturen in Liberia stärken, um
den nächsten Krisen und Epidemien vorzubeugen, um
den Menschen eine Basis zu geben, sich gesundheitlich
versorgen zu können und es ihnen zu ermöglichen, Ver-
trauen in den eigenen Staat wiederzugewinnen? Ich
glaube, es ist wichtig und richtig, dass wir über die hu-
manitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes, aber genauso
über die Entwicklungszusammenarbeit des BMZ ent-
scheidende Beiträge geleistet haben. Es ist richtig, dass
wir beim Wiederaufbau im Transportsektor und bei der
Infrastruktur viel geleistet haben, bei der Rehabilitierung
von Wasserkraftwerken, aber auch dabei, im Rohstoff-
sektor Transparenz bei der Entnahme der Rohstoffe her-
zustellen, damit die eigenen Ressourcen auch für die Be-
völkerung in Liberia genutzt werden können. Ich glaube
aber, dass wir als Völkergemeinschaft noch einen langen
Atem über die Mission UNMIL hinaus brauchen wer-
den, dass wir hier humanitär und entwicklungspolitisch
arbeiten müssen, um dem Land eine Basis für eine fried-
liche Zukunft zu geben.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810622500

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Sevim

Dağdelen von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810622600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-

raten heute hier abschließend über diesen Bundes-
wehreinsatz. Einzig meine Fraktion, die Linksfraktion
im Deutschen Bundestag, war dagegen, keine Öffent-
lichkeit bei diesem Bundeswehreinsatz herzustellen. Wie
richtig es ist, Bundeswehreinsätze immer im Lichte der
Öffentlichkeit zu beraten – Sie werden sie dann leider
mit Ihrer Mehrheit beschließen –, hat noch einmal eine
Anhörung der Linksfraktion im Deutschen Bundestag
am Montag ergeben, in der der ehemalige Parlamentari-
sc
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1810622700
Man
muss alles gegen eine Aushöhlung des Parlamentsbetei-
ligungsgesetzes durch die sogenannte Parlamentskom-
mission tun, die den Parlamentarierinnen und Parlamen-
tariern noch nicht einmal Einsicht in ihre Unterlagen





Sevim Dağdelen


(A) (C)



(D)(B)

gewährt. Es lässt Schlimmes vermuten, wenn man den
Parlamentariern noch nicht einmal Zugang zu den Unter-
lagen dieser Kommission gewährt.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Sie hätten doch in der Kommission mitmachen können! Sie waren doch eingeladen!)


Der Auslandseinsatz der Bundeswehr in Liberia wirft
viele Fragen auf. Zunächst einmal drängt sich der Ein-
druck auf, dass die Bundesregierung wieder einmal die
falschen Prioritäten setzt. Es ist in diesem Zusammen-
hang bezeichnend, dass sie den Einsatz auch mit dem
Kampf gegen Ebola begründet. Während die kleine Insel
Kuba Ärzte nach Westafrika schickte, schickt Deutsch-
land Bundeswehrsoldaten.


(Beifall des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])


Hier möchte ich die Arbeit der vielen Helferinnen und
Helfer gar nicht schmälern. Aber gerade jetzt, wo neue
Ebolafälle in den Nachbarländern Liberias auftauchen,
brauchen wir nicht nur eine neue Strategie der Weltge-
sundheitsorganisation, sondern ein ziviles, humanitäres
Hilfskorps. Es ist doch beschämend, dass eine kleine In-
sel wie Kuba mehr Ärzte nach Westafrika geschickt hat
als die großen NATO-Staaten zusammen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Zweitens fällt auf, dass Sie die Afrika-Präsenz der
Bundeswehr immer weiter ausdehnen. Wohin soll das ei-
gentlich führen? Ist dies der grundgesetzliche Auftrag
der Bundeswehr? Ich finde es jedenfalls bezeichnend,
dass Sie unter internationaler Verantwortung zuvörderst
die weltweite Entsendung von Bundeswehrsoldaten ver-
stehen. Die Linke lehnt das ab.


(Beifall bei der LINKEN)


In diesem Zusammenhang muss man auch sehen, dass
bei diesem Einsatz ein nicht zu unterschätzendes Kon-
fliktpotenzial vorhanden ist. 2011 gab es eine militäri-
sche Beteiligung von UNMIL aufseiten Frankreichs an
der Côte d’Ivoire an UNOCI. Der Regime-Change an
der Côte d’Ivoire, im Nachbarland Liberias, wurde vor-
angetrieben. Das war schon damals ein Tabubruch. Im
Oktober dieses Jahres stehen dort fragwürdige Wahlen
an, für die noch nicht einmal ein Viertel der Bevölkerung
als Wähler registriert ist. Viele Anhänger und Kämpfer
des ehemaligen Präsidenten sind nach Liberia geflohen
und dort von UNMIL teilweise verfolgt worden oder
wurden wegen ihrer Absicht, an die Côte d’Ivoire zu
kommen und dort zu kämpfen, erst gar nicht über die
Grenze gelassen, weil UNMIL die Grenze dichtgemacht
hat. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das deutsche
Führungspersonal, das auch in anderen Ländern wie
Mali, Nigeria und in der Zentralafrikanischen Republik
eng mit Frankreich zusammenarbeitet, wesentlich an der
Entscheidung mitwirken wird, ob Kampfhubschrauber
von UNMIL wieder UNOCI an der Côte d’Ivoire unter-
stellt werden, um dort die Wiederwahl des dortigen Prä-
sidenten des Westens, Ouattara, abzusichern. Dieser Ein-
satz birgt also ein Konfliktpotenzial. Deshalb lehnt die
Linke diesen Einsatz ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sind der Auffassung, dass man tatsächlich huma-
nitäre, internationale Verantwortung übernehmen sollte.
Schicken wir deshalb Ärzte statt Soldaten nach Liberia!
Bauen wir dort ein Gesundheitssystem gegen Ebola auf!
Das wäre eine wirklich humanitäre Intervention, die ih-
rem Namen gerecht wird.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810622800

Vielen Dank. – Als nächster Redner in der Debatte hat

Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1810622900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Dağdelen,
glauben Sie ja nicht, dass mir Ihre Argumente die
Stimme verschlagen haben.


(Heiterkeit bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was höre ich denn da?)


Dafür hätte es anderer Kaliber bedurft.

Ich kann Ihnen nur sagen: Sie grenzen sich in vielen
Punkten aus. Hätten Sie doch bei der Parlamentskom-
mission mitgemacht


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


und hätten sich beteiligt bei der Erörterung der Fragen
der Verbesserung der Parlamentsrechte, der Stärkung der
Parlamentsrechte und der Erhöhung der Verlässlichkeit
unseres internationalen Engagements. – Fehlanzeige!


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sie rechtfertigen, dass Parlamentarier keinen Zugang zu Dokumenten haben! Was ist denn das für ein Parlamentsverständnis? Was ist denn das für ein Demokratieverständnis? Einfach eine Schande!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute, in
diesem Monat und im nächsten Monat, feiern wir
70 Jahre Vereinte Nationen. Wir werden dazu im Bun-
destag noch gesondert debattieren. In den letzten 20 Jah-
ren haben sich die Vereinten Nationen in außergewöhnli-
chem Maße in der Krisenprävention und in der
Krisennachsorge engagiert.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Eine Schande, was sich so alles Parlamentarier nennt!)


In Liberia haben sich die Vereinten Nationen in einer der
größten Missionen in ihrer Geschichte von 2003 an en-
gagiert.

Wir müssen einmal schauen, wo Liberia herkommt:
Seit Ende der 80er-Jahre bis 2003 hat eine Viertelmillion





Roderich Kiesewetter


(A) (C)



(B)

Menschen in verheerenden Bürgerkriegen ihr Leben ver-
loren. Mit der UN-Mission seit 2003 sind drei wesentli-
che Fortschritte für Liberia erreicht und damit auch
Leuchttürme für die Entwicklung anderer afrikanischer
Staaten gesetzt worden.

Erstens. Erstmals in der Geschichte der Vereinten Na-
tionen ist es der UNO gelungen, einen amtierenden
Staatspräsidenten, einen Kriegsverbrecher, den Diktator
Taylor, vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag
zu bringen. Das hatte nichts mit militärischem Engage-
ment zu tun, sondern mit Rechtsstaatlichkeit, Kollegen
von der Linken.


(Zuruf von der LINKEN: Der Bush fehlt noch! – Heiterkeit bei der LINKEN)


Zweitens. Liberia ist ein Land, das wie wenige andere
Transparenz auf dem Rohstoffsektor hergestellt hat. Die-
ses Land ist zertifiziert und damit auch Leuchtturm für
andere afrikanische Staaten. Das hat nichts mit Militari-
sierung zu tun.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist überholt! GPS gibt es jetzt!)


Drittens ist Liberia ein Land, das über den Pariser
Prozess erfolgreich eine Entschuldung zu Ende gebracht
hat. Das ist doch das, was wir in der Entwicklungszu-
sammenarbeit, in der Außenpolitik anstreben sollten,
nämlich dass diese Staaten von selber wieder auf die
Füße kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die wesentliche Leistung der Vereinten Nationen ist
es, sich für Demokratie eingesetzt zu haben, für
Rechtsstaatlichkeit, für Reformen im Sicherheitssektor
und – das ist das, was mir persönlich sehr am Herzen
liegt – eben auch für Perspektiven und marktgerechte
Möglichkeiten, sodass sich die Menschen in der Wirt-
schaft organisieren können.

Seit 2003 ist diese Mission, die einstmals fast
20 000 Soldatinnen und Soldaten sowie Polizistinnen
und Polizisten umfasst hat, auf gerade einmal
5 000 reduziert worden.


(Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE])


Wir steigen in eine Mission in einem geschundenen
Land ein, um zu zeigen, dass wir bereit sind, Verantwor-
tung zu übernehmen. Wir haben das, glaube ich, mit ei-
ner sehr guten Vorleistung hinbekommen. Deutschland
hat dank des Engagements unseres Außenministers und
unserer Verteidigungsministerin die Ebolaseuche massiv
bekämpft: nicht nur mit 200 Millionen Euro Haushalts-
mitteln – sie waren dort richtig eingesetzt –, sondern
auch mit Flügen der deutschen Luftwaffe, auf denen
700 Tonnen Hilfsgüter transportiert wurden.

Mein Dank gilt den Bundeswehrsoldaten vor Ort, den
Helferinnen und Helfern und insbesondere den Helferin-
nen und Helfern des Deutschen Roten Kreuzes, die jetzt
den Militäreinsatz in eine zivile Mission zur Bekämp-
fung von Ebola überführt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte abschließend noch drei Punkte anspre-
chen, die belegen, warum unser Engagement so wichtig
ist:

Erstens. Deutschland hat Verantwortung gezeigt und
hat gezeigt, dass es verlässlich ist. Unsere Kanzlerin hat
bei der Sicherheitskonferenz in München gesagt: Wenn
jemand gebraucht wird, dann sind wir da. Wir dienen
uns nicht an, aber wenn Not am Mann, Not an der Frau
ist, steht Deutschland der internationalen Gemeinschaft
verlässlich zur Seite.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Oh weia!)


Dem ist nichts hinzuzufügen.

Zweitens. Wir Deutschen müssen sehr darauf achten,
dass wir in Afrika ein europäisches Gesicht bekommen.
Es darf nicht eine Interessenaufteilung geben: Frank-
reich kümmert sich um Afrika, und wir kümmern uns
um Osteuropa und die Ukraine. Wir brauchen eine euro-
päische Präsenz,


(Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE])


und unser Ziel einer europäischen Verteidigungsunion
kann nicht besser dargestellt werden als zum Beispiel
dadurch, dass wir uns beim Aufbau medizinischer Fä-
higkeiten in Afrika engagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Drittens. Wir werden Führungsverantwortung über-
nehmen, indem wir den stellvertretenden Missionsleiter
stellen.

Wir hätten diese sehr kleine Mission gerne im verein-
fachten Verfahren durch den Bundestag gebracht. Aller-
dings ist es Sache des Bundestages selbst, darüber zu
entscheiden, was er im vereinfachten Verfahren be-
schließt und was er der Regierung überlässt.

Entscheidend ist – gleich ob wir es im vereinfachten
Verfahren machen oder nicht –, dass wir als Bundestag
hinter diesem Einsatz stehen und mit ganzer Kraft Ver-
antwortung zeigen und den Soldatinnen und Soldaten in
der Region und allen Helfern sagen: Wir stehen an eurer
Seite. Europa unterstützt diesen Einsatz. Wir wollen
Westafrika stabilisieren, um den Staaten, die im nördli-
chen Afrika vor dem Zerfall stehen, zu zeigen, dass wir
in der Region nachhaltig präsent sind. Das machen wir
mit dem Einsatz in Liberia.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810623000

Vielen Dank. – Damit hat jetzt Agnieszka Brugger

von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(D)







(A) (C)



(D)(B)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den
letzten 25 Jahren haben die Menschen in Liberia viel
Leid ertragen müssen. Aktuell leiden sie immer noch
unter dem Ausbruch der Ebolakrise. Aber in der Vergan-
genheit gab es auch zwei blutige Bürgerkriege. Einer da-
von war einer der schlimmsten auf dem afrikanischen
Kontinent.

2003 hat die Weltgemeinschaft, haben sich die Ver-
einten Nationen dazu entschlossen, sich dort für mehr
Frieden, Sicherheit und Stabilität zu engagieren und eine
Friedensmission der Vereinten Nationen auf den Weg zu
bringen, UNMIL. Am Anfang hatte die Mission die Auf-
gabe, den Waffenstillstand abzusichern, und sie hat auch
Staatsaufgaben in dem bürgerkriegszerrütteten Land
übernommen.

2003 waren 15 000 Männer und Frauen im Rahmen
von UNMIL eingesetzt. Heute sind es noch 6 000 Men-
schen. Dazu gehört die einzige weibliche VN-Polizeiein-
heit. Ich finde, wir brauchen mehr davon, weil es gerade
für Frauen in Krisenregionen wichtig ist, auf weibliche
Sicherheitskräfte als Ansprechpartner zu treffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In den letzten Jahren haben mehrfach Wahlen stattgefun-
den. In Liberia wurde die erste Präsidentin Afrikas ge-
wählt; sie ist inzwischen auch Friedensnobelpreisträge-
rin. Auf all diese Erfolge sollte man zurückschauen.

Die aktuellen Aufgaben von UNMIL sind etwas an-
ders. Es geht um den Schutz der Zivilbevölkerung, um
die Sicherung von humanitären Hilfsleistungen, um die
Reform des Sicherheits- und Justizsektors – das ist nach
wie vor eine sehr schwierige Aufgabe – oder eben auch
um die Sicherung der Menschenrechte. Ich finde, die
zahlenmäßige Reduktion dieser Mission, aber auch die
Veränderung des Auftrags zeigen deutlich, dass es sich
hier um eine erfolgreiche Mission handelt. Es wird aber
auch klar: Der Weg ist oft lang, und er ist auch noch
nicht ganz zu Ende gegangen.

Mit dem Mandat, das die Bundesregierung heute hier
vorlegt, sollen deutsche Soldatinnen und Soldaten ent-
sandt werden, um die Führung der Mission zu unterstüt-
zen. Deutschland soll sogar den stellvertretenden Leiter
stellen. Das mag zahlenmäßig vielleicht ein geringer
Beitrag sein. Er ist aber richtig und ein sehr wertvoller
Beitrag, weil er großen Einfluss auf die Ausgestaltung
dieser Mission bietet. Ich wünsche den Soldatinnen und
Soldaten, die in diesen Einsatz gehen werden, viel Erfolg
bei ihren wichtigen Aufgaben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, wir debattieren schon seit
längerem die neue deutsche Verantwortung in der Au-
ßen- und Sicherheitspolitik. Für uns Grüne bedeutet
mehr Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspoli-
tik mehr Einsatz für die Vereinten Nationen und für ihre
Bemühungen, weltweit für Frieden und Sicherheit zu
sorgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für die VN-Friedensmission heißt das ganz konkret,
dass man vor allem die zivile Komponente stärkt und sie
schneller verfügbar macht. Es heißt aber auch, dass man
in solche Missionen mehr Polizeipersonal entsendet. Es
geht auch um den großen Bedarf an militärischen Fähig-
keiten, gerade in den Bereichen Logistik, Transport und
Aufklärung.

Sie, Frau Ministerin von der Leyen, waren letztes Jahr
in New York bei den Vereinten Nationen. Sie haben dort
viel versprochen; aber bis auf dieses richtige Mandat
UNMIL ist seitdem sehr wenig passiert. Wir als Obleute
des Verteidigungsausschusses waren gemeinsam in New
York bei den Vereinten Nationen. Da wurde uns wirklich
noch einmal aufgezeigt, wie groß der Bedarf ist, damit
die Vereinten Nationen ihre Aufgaben in den Krisenre-
gionen dieser Welt erfüllen können. Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Koalition, statt jetzt die Zeit
zurückzudrehen und die Bundeswehr nach einer Logik
des Kalten Krieges aufzustellen und mehr Panzer zu be-
schaffen, sollten wir gemeinsam dafür sorgen, dass die
Bundeswehr VN-fähiger wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, es ist leider nicht immer
wie bei UNMIL in Liberia. Nicht alle VN-Friedenmis-
sionen sind in Bürgerkriegsstaaten Erfolgsgeschichten.
Das ist nicht in erster Linie ein Versagen der Vereinten
Nationen, sondern es hat sehr oft mit dem zu tun, was
die Mitgliedstaaten tun und vor allem auch damit, was
sie nicht tun. Wir müssen schauen, dass die Vereinten
Nationen ihrem Auftrag gerecht werden können.
Deutschland ist kein kleiner und unbedeutender Mit-
gliedstaat, gerade wenn es um mehr Personal für VN-
Friedensmissionen geht. Deutschland kann und Deutsch-
land sollte hier mehr tun.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810623100

Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Debatte hat

Dr. Reinhard Brandl von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1810623200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich finde es gut, dass wir heute hier über Liberia
sprechen. Über den Anlass kann man sich aber streiten.
Wir reden hier über ein Mandat, bei dem es um ein bis
maximal drei Soldaten in einer 6 000 Mann starken VN-
Mission geht. Eigentlich enthält unser Parlamentsbeteili-
gungsgesetz für genau solche Mandate eine Regel, die es





Dr. Reinhard Brandl


(A) (C)



(D)(B)

ermöglicht, dass man im vereinfachen Verfahren ent-
scheidet.

Die Linke hat diese Debatte gewollt; sie hat sie be-
kommen. Aber, Frau Dağdelen, ich finde es bezeich-
nend, dass Sie in Ihrem Beitrag kein einziges stichhalti-
ges Argument gegen eine Beteiligung gebracht haben


(Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ich kann sie Ihnen noch einmal zusenden!)


und trotzdem dagegen stimmen.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wer zuhören kann, ist klar im Vorteil, Herr Brandl!)


Ich glaube, irgendwann nehmen Ihre Wähler Ihnen das
nicht mehr ab. Aber, meine Damen und Herren, wir
wollten über Liberia und nicht über die Linke reden.

Die Mission UNMIL gilt als eine der erfolgreichsten
Missionen der VN-Geschichte. 2003 war das Land nach
14 Jahren Bürgerkrieg am Boden. Dank UNMIL ist es
gelungen, dass es in den letzten Jahren wieder einiger-
maßen auf die Füße gekommen ist. UNMIL war des-
wegen so erfolgreich, weil die Mission Elemente
verschiedener Art in der Zusammenarbeit der internatio-
nalen Hilfe verknüpft hat. Es geht um den Schutz der
Zivilbevölkerung, den Aufbau von Infrastruktur, die
Durchführung demokratischer Wahlen, humanitäre
Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit, Versöhnungspro-
zess. UNMIL hat alles kombiniert. Der deutsche Beitrag
lag bisher in der Entwicklungszusammenarbeit. An der
Mission selbst waren wir mit bis zu fünf Polizisten bis-
her nur wenig beteiligt.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Der Einsatz endet nächstes Jahr!)


Wir wurden jetzt gefragt, ob wir einen deutschen Ge-
neral als stellvertretenden Befehlshaber der UNMIL
überstellen sollten. Natürlich sollten wir das machen.
Wir zeigen damit zum einen unsere Verbundenheit zu
den Vereinten Nationen, zu den Friedensmissionen und
zu den Stabilisierungsmissionen der Vereinten Nationen.
Wir zeigen damit zum anderen auch, dass wir bereit
sind, bei den Missionen in Afrika Verantwortung und
Führung zu übernehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Auweia! Das war schon einmal! Das ging aber ganz schön schief!)


Meine Damen und Herren, UNMIL kommt in eine
kritische Phase. Es steht der Übergang der Sicherheits-
verantwortung auf die liberianischen Behörden bevor.
Wenn dieser wichtige Meilenstein gelingt, dann ist das
Land Liberia auch weiterhin auf einem guten Weg in
Richtung nachhaltiger Frieden und nachhaltige Stabili-
tät. Wir sollten den Beitrag, den wir mit unserem einen
Soldaten leisten, nicht überhöhen. Es ist zwar ein wichti-
ger, ein symbolischer Beitrag, aber es ist nur ein kleiner
Beitrag in einem großen internationalen Gemein-
schaftsprojekt.

Die Bundeswehr hat aber in den letzten Monaten ei-
nen sehr viel greifbareren Beitrag für die Menschen, für
die Bevölkerung in Liberia geleistet. Kein anderes Land
war so stark von Ebola betroffen wie Liberia; es gab dort
über 4 000 Tote. Wir alle erinnern uns noch an den dra-
matischen Hilferuf der Präsidentin Anfang September an
die Bundesrepublik Deutschland. Die deutsche Hilfe und
die internationale Hilfe kamen bei Ebola zu spät. Aber
als sie kam, war sie wirkungsvoll. Liberia ist seit dem
9. Mai nun ebolafrei. Die Bundeswehr hat von Okto-
ber 2014 bis März 2015 345 Hilfsflüge in die Region
durchgeführt. Sie hat über 1 000 Tonnen Hilfsmaterial
an Liberia und seine Nachbarländer geliefert.

Bundesministerin von der Leyen hat vor kurzem die
freiwilligen Helfer, darunter auch viele Reservisten und
zivile Mitarbeiter der Bundeswehr, im Ministerium emp-
fangen und sie für ihren Einsatz geehrt. Auch der Son-
derbeauftragte der Bundesregierung Lindner hat in sei-
ner Stellungnahme deutlich gemacht, wie wichtig die
zivil-militärische Zusammenarbeit war und dass sie gut
funktioniert hat.

Liberia braucht unsere Hilfe; denn Ebola war für die
Entwicklung Liberias ein Rückschlag. Die beiden
Bundesminister Gröhe und Müller haben mit ihrem Be-
such Liberias vor einigen Wochen ein wichtiges Zeichen
gesetzt. Wir sollten heute mit unserer Zustimmung zu
UNMIL ein weiteres Zeichen setzen. Ich bitte Sie daher
um Ihre Zustimmung.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810623300

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am

Schluss dieser Debatte. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
durch die Vereinten Nationen geführten Mission UNMIL
in Liberia. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/4965, den Antrag der
Bundesregierung auf Drucksache 18/4768 anzunehmen.

Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind
alle Plätze an den Urnen durch die Schriftführerinnen
und Schriftführer besetzt? – Das ist der Fall. Dann er-
öffne ich die Abstimmung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Mitglied des
Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgege-
ben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Ab-
stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis
der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss)


1) Ergebnis Seite 10173 C





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Heike
Hänsel, Michael Leutert, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Menschenrechte in Mexiko schützen, Ver-
handlungen zum Sicherheitsabkommen
aussetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Tom

(Augsburg)

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschen-
rechtslage in Mexiko

Drucksachen 18/3548, 18/3552, 18/3952

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian
Ströbele, Irene Mihalic, Uwe Kekeritz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Sicherheitsabkommen brauchen Standards

Drucksachen 18/3553, 18/3933

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
Gabriela Heinrich von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Gabriela Heinrich (SPD):
Rede ID: ID1810623400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und

Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Noch vor ei-
nem Jahr hätten wohl die wenigsten Menschen in Europa
Mexiko genannt, wenn man sie nach den Krisen auf dem
Globus gefragt hätte. Wenn sie überhaupt wahrgenom-
men wurden, bezeichnete man die Konflikte in Mexiko
als Kartellkriege, Bandenkriege oder Drogenkriege.

Seit den Ereignissen in Iguala hat sich das grundle-
gend geändert. Die 43 verschwundenen Studenten haben
die Menschenrechtslage in Mexiko ins Bewusstsein der
europäischen Öffentlichkeit gerufen. Seitdem lesen und
hören wir mehr über dieses Land, leider meist nichts Gu-
tes. Zum Beispiel berichtete gestern die Süddeutsche
Zeitung online, dass erneut Menschen verschwunden
sind, wieder in der Provinz Guerrero, diesmal im Ort
Chilapa. Die Anzahl der verschwundenen Menschen
scheint noch nicht klar zu sein. Die Bewohner hätten von
30 Menschen gesprochen, die örtliche Menschenrechts-
kommission von 13. Verschwunden seien die Personen,
nachdem eine Bürgerwehr den Ort besetzt hatte.

Fakt ist: Viel zu viele Menschen verschwinden in
Mexiko. Regierungschef und Präsident Enrique Peña
Nieto bekennt sich zwar ebenso wie sein Vorgänger
Calderón zu den Menschenrechten. Mexiko ist ein ver-
lässlicher Partner in den Vereinten Nationen. Mexiko hat
die allermeisten internationalen Menschenrechtsabkom-
men unterschrieben und ratifiziert. Dennoch sind Men-
schenrechtsverletzungen in mehreren Bundesstaaten an
der Tagesordnung. In den Bundesstaaten Michoacán und
Guerrero vergeht kaum ein Tag ohne gewalttätige Aus-
einandersetzung. Die jeweiligen Gegner sind heterogen,
die Lage ist unübersichtlich. Die Waffengewalt spielt
sich innerhalb des organisierten Verbrechens ab oder
zwischen Polizei und Banden oder zwischen selbst-
ernannten Bürgerwehren und Banden. Die Konflikte gehen
also längst über einen Drogen- oder Kartellkrieg hinaus.

Es gibt viele Menschenrechtsverletzungen in Mexiko:
Gewalt an Frauen, Feminizide, also Morde an Frauen,
Kinderarbeit, Menschenhandel und Diskriminierung von
Minderheiten. Ein Teil des Problems sind die Sicher-
heitsbehörden. Menschenrechtsorganisationen berichten
von Übergriffen durch Polizei und Militär, von Willkür,
vom Verschwindenlassen und von Folter. Die Täter ge-
hen in der Regel straffrei aus. Die Justiz ignoriert Straf-
taten ebenso wie schwere Menschenrechtsverletzungen.

Amnesty International beschreibt im Amnesty Report
2015 über Mexiko, dass dadurch das Klima der Straflo-
sigkeit weiter verstärkt und das Vertrauen in das Rechts-
system geschwächt sei. Die Folge sind Selbstbewaff-
nung und Selbstjustiz durch Bürgerwehren, weil sich die
Menschen nicht mehr oder nicht genügend durch Staat,
Justiz und Polizei geschützt fühlen. Wenn solche Bürger-
wehren wiederum Drogenkartelle oder -banden unter-
stützen, dann ist der Teufelskreis komplett.

Mexiko selbst will bis 2016 endlich die Strafprozess-
rechtsreform aus dem Jahr 2008 umsetzen. Diese
Reform modernisiert das mexikanische Justizwesen und
soll die Rechte der Angeklagten stärken. Zum Beispiel
soll endlich die Unschuldsvermutung gelten, und
erzwungene Geständnisse sollen verboten werden. Wei-
terhin sollen die Maßnahmen im Kampf gegen die orga-
nisierte Kriminalität, gegen Drogenkartelle und Men-
schenhändler verschärft werden.

Deutschland unterstützt Mexiko in der Entwicklungs-
zusammenarbeit bisher vor allem im Bereich von Um-
weltprojekten. In Ihren Anträgen fordern Sie völlig zu
Recht, dass Deutschland die mexikanische Zivilgesell-
schaft stärken soll. Aus dem Entwicklungsministerium
habe ich die Information erhalten, dass die Entwick-
lungszusammenarbeit demnächst neben dem Umwelt-
schwerpunkt neue Wege gehen soll. Anfang Juni werden
die deutsch-mexikanischen Regierungsverhandlungen
stattfinden. Geplant ist ein gemeinsam finanzierter
Fonds, der unter anderem Reformen im Bereich der
Rechtsstaatlichkeit und der sozialen Gerechtigkeit finan-
zieren soll. Ein weiterer Fonds ist zur Förderung der me-
xikanischen Zivilgesellschaft vorgesehen.

Das von Ihnen kritisierte Abkommen zielt darauf ab,
die organisierte Kriminalität zu bekämpfen und zu ver-
hindern. Die Minderung schwerster Straftaten, der
Rauschgift- und Schleuserkriminalität, des Terrorismus
und des Menschenhandels sind die Unterziele. Die Poli-
zei erhält dadurch keine weiteren Befugnisse, aber
Deutschland kann helfen, die Sicherheitsbehörden bes-





Gabriela Heinrich


(A) (C)



(D)(B)

ser auszubilden. Das wiederum kann helfen, Rechtsstaat-
lichkeit zu fördern.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für wen? Für welche Regierung?)


Die Zusammenarbeit soll über die Generalstaatsan-
waltschaft erfolgen. Auch die Internationale Kommis-
sion gegen Straflosigkeit in Guatemala arbeitet mit der
Generalstaatsanwaltschaft zusammen. Aus Guatemala
wissen wir, dass die Erfolge im Kampf gegen die organi-
sierte Kriminalität auch von den dort handelnden Perso-
nen abhängig sind.

Ja, in Mexiko sind Korruption und Willkür ein Pro-
blem. Aber sollten wir die Zusammenarbeit deshalb ein-
stellen? In der Entwicklungszusammenarbeit müssen wir
uns diese Frage häufig stellen. Versuchen wir, ein Land
beim Aufbau von mehr Rechtsstaatlichkeit zu unterstüt-
zen, oder kapitulieren wir aufgrund der zugegebenerma-
ßen sehr schwierigen Situation?

Beide Anträge der Opposition fordern durchaus
Wichtiges und Richtiges, zum Beispiel, die Zivilgesell-
schaft bzw. Menschenrechtsverteidiger zu unterstützen.
Beide Anträge fordern aber auch, das Sicherheitsabkom-
men auszusetzen,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


ohne Mexiko eine konkrete Alternative zu bieten.

Ich bin völlig einverstanden mit Ihrer Forderung nach
deutlich mehr Fortschrittskontrolle und weitaus größerer
Transparenz in Ihrem Antrag mit dem Titel „Sicherheits-
abkommen brauchen Standards“. Das Parlament muss
über die Maßnahmen, die Fortschritte oder mögliche
Misserfolge informiert werden.

Sie schießen jedoch über das Ziel hinaus. Sie fordern
halbjährliche Berichte der Bundesregierung an den Bun-
destag. Die Berichte sollen Auftrag, Zweck, Gebiet,
rechtliche Grundlagen, Mitarbeiterzahl, Kosten und
Dauer enthalten. Wenn wir zu allen 24 Sicherheitsab-
kommen und zu den 12 derzeit verhandelten Abkommen
halbjährlich Berichte bekommen sollen, dann sind das
72 Berichte im Jahr. Ich halte dieses Ansinnen für über-
zogen und wenig zielführend.

Wir werden die drei Anträge ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1810623500

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, be-

vor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, möchte
ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung mit
dem Titel „Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte an der durch die Vereinten Nationen geführten
Mission UNMIL in Liberia auf Grundlage der Resolu-
tion 1509 (2003)“, Drucksachen 18/4768 und 18/4965,
bekannt geben: Abgegeben wurden 584 Stimmen. Mit Ja
haben gestimmt 522, mit Nein haben gestimmt 59.
3 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Damit
ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 584;
davon

ja: 522
nein: 59
enthalten: 3

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)






Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Dr. Carsten Sieling
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

SPD

Cansel Kiziltepe
Christian Petry

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


Enthalten

SPD

Dr. Ute Finckh-Krämer
Petra Hinz (Essen)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Hans-Christian Ströbele





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Ich rufe die nächste Rednerin auf: Heike Hänsel von
der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810623600

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! In diesem Land der Straffreiheit gibt es Morde
ohne Mörder, Folter ohne Folterer, sexuelle Gewalt ohne
Vergewaltiger. Ich spreche von Mexiko, einem Land, in
dem 98 Prozent Straflosigkeit herrscht.

Traurige Berühmtheit erlangte Mexiko letztes Jahr,
als 43 Lehramtsstudenten der Universität von Ayotzi-
napa durch die Polizei gewaltsam verschwanden. Bis
heute ist dieser Fall nicht richtig aufgeklärt, auch wenn
die mexikanische Regierung den Fall trotz großer
Widersprüche als abgeschlossen ansieht und jede Ver-
antwortung zurückweist. Ich habe mich letztes Jahr mit
den Angehörigen der Verschwundenen in Ayotzinapa
getroffen. Sie sind verzweifelt und haben keinerlei Ver-
trauen in die staatlichen Strukturen. Sie fordern mittler-
weile internationale Hilfe bei der Aufklärung und auch
persönlichen Schutz, weil sie vielen Anfeindungen aus-
gesetzt sind.

Die mexikanische Regierung und die Staatsanwalt-
schaft, mit der ich ebenfalls gesprochen habe, wollen
diesen Fall als rein lokales Problem korrupter Polizeiein-
heiten darstellen. Dabei sagen alle Menschenrechtsorga-
nisationen in Mexiko, dass auch die nationale Ebene
verantwortlich ist. Denn auch die Bundespolizei und die
mexikanische Armee waren zum Zeitpunkt der Verhaf-
tung der Studenten vor Ort und haben nicht eingegriffen.
Im Gegenteil: Sie haben sogar ebenfalls die Studenten
bedroht. Sie waren zu jeder Zeit vom Sicherheitsdienst
über die Lage vor Ort informiert.

Ayotzinapa ist aber nur die Spitze des Eisbergs
brutalster Menschenrechtsverletzungen in Mexiko: über
26 000 gewaltsam Verschwundene und fast
100 000 Menschen, die seit 2006 ermordet wurden.
Immer wieder sind alle Ebenen der Polizei und das
Militär in diese Verbrechen verwickelt.

Was macht nun die Bundesregierung? Wir haben Au-
ßenminister Steinmeier mehrfach zu Venezuela reden
gehört; da macht er sich große Sorgen. Zur Menschen-
rechtssituation in Mexiko sagte er nichts. Im Gegenteil,
gebetsmühlenartig sagt die Bundesregierung: Mexiko ist
unser strategischer Partner, und wir teilen die gleichen
Werte. – Ich muss sagen, ich finde das unerträglich.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So verhandelt die Bundesregierung bereits seit Jahren
über ein Sicherheitsabkommen ausgerechnet mit der me-
xikanischen Bundespolizei. Es sollte eigentlich selbst-
verständlich sein, dass eine Polizei die Grundwerte ver-
innerlicht und Entführungen, Folter und Überfälle nicht
durchführt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich frage mich, wie Sie sagen können, sie brauchten ein
gutes Training und eine Ausbildung, um die Menschen-
rechtsstandards gewährleisten zu können. Es gibt doch
auch eine Mitverantwortung der Regierung, die diese
Polizei deckt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen sagen viele Menschenrechtsorganisationen in
Mexiko, man müsse diese Verhandlungen aussetzen;
denn das Abkommen würde die korrupte Polizei nur
stärken und mehr Gefahren für die Bevölkerung bedeu-
ten. Vor allem wollen die Menschenrechtsorganisationen
Zugang zum Text des Abkommens erhalten – das ist das
Entscheidende; wir fordern es auch –, damit sie sich an-
schauen können, was verhandelt wird. Es sollte nicht
über ihre Köpfe hinweg verhandelt werden. Dafür setzen
wir uns ein.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hatte auch keine Skrupel, Waf-
fen nach Mexiko zu liefern, zum Beispiel Gewehre der
Firma Heckler & Koch. Sie hat immer behauptet, es
gehe nur um einige Bundesstaaten. Aber: Als ich in
Ayotzinapa war, habe ich am Straßenrand dieses Foto von
einem Polizisten gemacht, der ein G36 von Heckler &
Koch in Händen hält,


(Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] hält ein Bild hoch)


und das in einem Bundesstaat, in dem eigentlich nie
G36-Gewehre auftauchen sollten. Das war bereits ein
Skandal. Die Bundesregierung muss auch für diese Ex-
porte die Verantwortung übernehmen. Wenn man Ex-
porte nach Mexiko genehmigt, dann ist man auch verant-
wortlich für das, was mit diesen Waffen passiert. Damit
sind Sie verantwortlich dafür, dass diese Gewehre auch
beim Verschwindenlassen der Studenten eingesetzt wur-
den.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810623700

Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit?


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810623800

Ja. – Zum Schluss möchte ich daran erinnern, dass

Mexiko das Land mit den meisten Freihandelsabkom-
men ist und die Europäische Union derzeit das Freihan-
delsabkommen mit Mexiko noch ausweiten will. Wir
lehnen das ab, weil die Freihandelspolitik in den letzten
20 Jahren in Mexiko zu enormen sozialen Verwerfungen
geführt hat. Sie ist eine Ursache für die Gewalt in diesem
Land. Freihandel tötet, und deswegen brauchen wir ei-
nen neuen Handel, auch mit Mexiko.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810623900

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Professor

Dr. Egon Jüttner, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Egon Jüttner (CDU):
Rede ID: ID1810624000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im De-

zember des vergangenen Jahres wurden die nun zur Ab-
stimmung stehenden Anträge bereits beraten. Heute wie
damals vertreten wir als CDU/CSU-Fraktion die Auffas-
sung, dass die Verhandlungen über das geplante Sicher-
heitsabkommen zwischen Deutschland und Mexiko wei-
tergeführt und zu einem positiven Abschluss gebracht
werden sollten.

Gerade die schleppende und mangelhafte Aufklärung
des unglaublichen Verbrechens in Iguala zeigt, dass Me-
xiko Hilfe benötigt bei der Bekämpfung von Unrecht,
Kriminalität, Straflosigkeit und Korruption. Diese Hilfe
können wir nicht gewähren, wenn wir uns zurückziehen
und den mexikanischen Behörden die Aufklärung dieses
und anderer Verbrechen sowie die Eindämmung der kri-
minellen Strukturen selbst überlassen. Die mexikanische
Polizei, das mexikanische Militär und die mexikanische
Verwaltung benötigen unsere Hilfe; gerade seit Iguala
benötigen sie diese Hilfe dringender denn je. Die Verqui-
ckung von Gewalt, Straflosigkeit, Kriminalität und orga-
nisiertem Verbrechen, die sich wie ein Krebsgeschwür
durch die mexikanische Gesellschaft zieht, kann von den
Institutionen des Landes alleine offensichtlich nicht auf-
gebrochen werden.

Meine Damen und Herren, Sicherheitsabkommen
zwischen zwei Ländern werden gerade deswegen abge-
schlossen, damit ein Staat seine Erfahrungen, seine
Technologie und sein Know-how einem anderen Staat in
vertrauensvoller Zusammenarbeit zur Verfügung stellt.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das aufgeschrieben?)


Nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion wäre es ein
falsches Signal gegenüber den Opfern von Iguala und ih-
ren Angehörigen, wenn Deutschland die ihm zur Verfü-
gung stehenden Mittel nicht anbieten würde, sondern
sich vielmehr abwenden und der Bitte Mexikos um Zu-
sammenarbeit nicht nachkommen würde. Außerdem ist
es Ziel eines Sicherheitsabkommens und im Interesse
beider Länder, also auch im Interesse Deutschlands, die
Zusammenarbeit bei der Bekämpfung grenzüberschrei-
tender organisierter Kriminalität zu verbessern.

Die Bedenken der Opposition, dass die Mittel, die
Deutschland im Rahmen des Sicherheitsabkommens zur
Verfügung stellen würde, in die falschen Hände gelan-
gen und damit eine kontraproduktive Wirkung erzeugen
könnten, müssen natürlich ernst genommen werden. Wir
verlangen deshalb von der mexikanischen Seite die Ga-
rantie, dass nur solche Personen Vertrauensträger des ge-
meinsamen Sicherheitsabkommens sein dürfen, die über
jeden Verdacht von Straffälligkeit oder Bestechlichkeit
erhaben sind. Ein gutes Zeichen ist, dass als Partner des
Sicherheitsabkommens auf mexikanischer Seite die Ge-
neralstaatsanwaltschaft vorgesehen ist, die als ver-
gleichsweise zuverlässige Institution im Lande gilt.

Wir verlangen von der mexikanischen Seite, dass
Korruption und Straffälligkeit auf allen Ebenen be-
kämpft und Menschenrechtsverteidiger geschützt wer-
den. Außerdem ist es so, dass das Bundesinnenministe-
rium als Verhandlungsführer den Text der Vereinbarung
mit dem Justizministerium und dem Auswärtigen Amt
abstimmen muss. Schließlich ist für die Ratifikation
noch die Zustimmung des Deutschen Bundestages erfor-
derlich.

Seit der ersten Beratung im Dezember 2014 hat es aus
Mexiko auch gute Nachrichten gegeben. So ging den
mexikanischen Fahndern erst jüngst, am 7. Mai 2015,
der flüchtige Vizepolizeichef von Iguala ins Netz. Die
Polizei- und Justizreform von Präsident Nieto wird in-
zwischen im Senat diskutiert. Wir sollten Mexiko dabei
unterstützen, künftig größere und schnellere Schritte bei
der Aufklärung und bei der Bekämpfung von organisier-
tem Verbrechen und Korruption zu machen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810624100

Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-

nen hat jetzt der Kollege Hans-Christian Ströbele das
Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Jüttner, so einfach kommen Sie aus diesem
Widerspruch nicht heraus. Das fürchterliche Verbrechen
in Iguala zeigt, dass überhaupt nicht verhindert werden
kann, dass deutsche Waffen, die unter der Bedingung
nach Mexiko geliefert wurden, nicht an bestimmte Re-
gionen ausgehändigt zu werden, sogar in Iguala Verwen-
dung finden. Das wurde nicht verhindert.

Auch ich war in den Tagen nach Ostern vor Ort und
habe mit einem Studenten, der dem Massaker gerade
noch entkommen ist, weil er sich unter einem Bus ver-
stecken konnte, und mit dem Vater von verschwundenen
Studenten geredet. Sie sagen auch: Das Schlimmste, was
man im Augenblick machen kann, ist, mit der Polizei
und den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten, de-
nen Waffen zu geben und sie dadurch noch effektiver zu
machen. Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass
Polizei, Justiz und Militär unzuverlässig sind. Es sind
vielleicht nicht alle unzuverlässig, aber man weiß eben
nicht, wer. So ist es unvermeidbar, dass Hilfen in die fal-
schen Hände kommen; das haben Sie vorhin bereits ge-
sagt.

G36-Gewehre gibt es nicht nur auf dem Foto, das Sie
gerade gezeigt haben, sondern G36-Gewehre wurden in
der Polizeistation gefunden, in die die Studenten, die
entführt wurden und jetzt verschwunden sind – wahr-
scheinlich wurden sie massakriert –, zunächst gebracht
wurden. Man konnte anhand der Nummern auf den Waf-





Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)

fen feststellen, dass es sich um die G36-Gewehre han-
delte, die von der Bundesregierung unter der Bedingung
nach Mexiko geliefert worden sind, dass sie keinesfalls
nach Iguala bzw. in die dortige Provinz geliefert werden
dürfen. Das ist der falsche Weg.

Wenn wir die Aussage der Bundeskanzlerin von heute
Morgen, dass die G-7-Staaten für Grundwerte stehen
und sie das überall auf der Welt anhand ihrer Politik zei-
gen, ernst nehmen wollen, dann können wir nicht über-
sehen, dass in Mexiko auf allen Ebenen der Politik, von
der örtlichen über die staatliche bis hin zur zentralen
Ebene, Korruption vorherrschend ist.

Ich habe vor Ort mit Vertretern von zwölf Menschen-
rechtsorganisationen geredet. Darunter waren Anwalts-
vertreter, Feministinnen und Menschenrechtler. Ich habe
mit Vertretern der interamerikanischen Menschenrechts-
kommission geredet, die die Menschenrechtssituation
und die Verbrechen in Iguala untersucht. Alle sind skep-
tisch. Sie sagen, sie weisen darauf hin – das ist schon ge-
sagt worden –, dass 98 Prozent der Taten nicht aufge-
klärt werden. Das heißt, aufgrund der Impunidad werden
nur 2 von 100 Taten aufgeklärt und führen zu einer Ver-
urteilung. Das ist Straflosigkeit bei schwersten Verbre-
chen.

Als ich da war, gab es wieder eine Auseinanderset-
zung mit Schusswaffen in einer Stadt in der Nähe von
Mexiko-Stadt, bei der 20 Menschen getötet worden sind.
Die Polizei hat sich überhaupt nicht darum gekümmert.
Sie hat auch keine Untersuchung eingeleitet, weil sie ge-
sagt hat: Das bringt sowieso nichts. – Das heißt, auf-
grund der Impunidad darf man an ein solches Land in
der jetzigen Situation weder Waffen liefern noch Unter-
stützung für das Militär oder die Polizei geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Jetzt fragen Sie sich: Was wollen wir machen? Ich
habe nur noch wenige Sekunden Zeit. Da kann ich nur
Folgendes sagen: Sie müssen die Kreise stützen und un-
terstützen, die die Regierung auf den verschiedenen Ebe-
nen kontrollieren. Es gibt wie in kaum einem anderen
Land Lateinamerikas eine sehr wache Zivilgesellschaft.
Es gibt sehr wache und sehr emsige Menschenrechtsor-
ganisationen. Es gibt in Teilen noch eine Presse. Aber
auch die Pressefreiheit ist äußert bedroht. Gerade als ich
da war, wurde eine bekannte unabhängige Journalistin
entlassen und kann nicht mehr dort wirken.

Diese Institutionen, Presse, Parlament, die neu aufzu-
bauende Justiz, Menschenrechtsorganisationen und Zi-
vilgesellschaft, müssen wir unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Denn nur sie können dort im Land kontrollieren, solche
Massaker öffentlich machen und um internationale Un-
terstützung bitten. Sie legen großen Wert darauf, dass
wir hier im Deutschen Bundestag darüber diskutieren,
weil ihnen die öffentliche Aufmerksamkeit in Europa
und gerade auch in Deutschland hilft, um für ihre Sache,
für die Menschenrechte und gegen die Impunidad, die
Straflosigkeit, sowie gegen die Massentötungen, die dort
in den Auseinandersetzungen jedes Jahr stattfinden, vor-
zugehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810624200

Vielen Dank. – Als letzte Rednerin zu diesem Tages-

ordnungspunkt hat jetzt die Kollegin Anita Schäfer,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1810624300

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Nachdem wir bereits ausführlich über das Si-
cherheitsabkommen mit Mexiko gesprochen haben,
möchte ich noch eine etwas grundsätzlichere Frage be-
handeln, nämlich die, wie wir generell mit bilateralen Si-
cherheitsabkommen umgehen wollen. Die Grünen for-
dern dazu in ihrem Antrag, dass sich die Vertragspartner
bei derartigen Abkommen unter anderem zur Einhaltung
menschenrechtlicher Standards unter Beachtung rechts-
staatlicher Prinzipien verpflichten.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kontrolliert!)


– Korrekt. – Geschehen soll dies durch Vertragsklauseln
mit Überprüfungscharakter.

Wie immer in internationalen Verhandlungen stellen
sich aber die Fragen, welches Ziel man erreichen will
und welche Forderungen man noch durchsetzen kann,
wie viele Bedingungen man an den Partner stellen kann,
wenn es um das Erreichen gemeinsamer Interessen geht.
Beide Seiten wollen ja von einer Vereinbarung profitie-
ren. Sind die Bedingungen für eine Partei unannehmbar,
gibt es eben kein Abkommen. Nun könnte man sagen:
Wer unsere deutschen Standards nicht erfüllt und sich
nicht von uns überprüfen lässt, mit dem wollen wir auch
keine Sicherheitszusammenarbeit haben. Allerdings geht
das dann auch eventuell zulasten unserer eigenen Sicher-
heit. Zusätzlich berauben wir uns der Chance, durch eine
solche Zusammenarbeit tatsächlich auf die Verhältnisse
im Partnerland einwirken zu können.

Es ist ja nicht so, als ob beispielsweise Menschen-
rechtsfragen bei solchen Abkommen bislang keine Rolle
spielten. Schon heute verpflichtet sich die Bundesregie-
rung nur nach der Maßgabe deutscher Gesetze zur Zu-
sammenarbeit. Sicherheitsabkommen stellen stets aus-
drücklich klar, dass sich diese Zusammenarbeit nach den
Vorschriften unseres innerstaatlichen Rechts richtet.
Dies umfasst auch Fragen des Datenschutzes. Demnach
ist eine Übermittlung von Daten an Abkommenspartner
ausgeschlossen, wenn die Verletzung von Menschen-
rechten droht, bzw. ist die Übermittlung an Bedingungen
geknüpft, die eine solche Gefahr ausräumen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht wahr! Sie haben nicht zugehört!)






Anita Schäfer (Saalstadt)



(A) (C)



(D)(B)

Es ist der Bundesregierung also durchaus bewusst, wel-
che Konsequenzen Sicherheitsabkommen für Menschen-
rechte und Fragen des Datenschutzes in Partnerstaaten
haben können.

Ähnliches gilt für die Forderung im Antrag, bei der
Ausbildungsunterstützung Schwerpunkte auf Menschen-
rechts- und Rechtsstaatsausbildung zu legen. Diese
Punkte sind ohnehin regelmäßig Inhalt von Schulungen
im Rahmen der Partnerschaften. Dass die Ausbildung
von Polizeikräften in Partnerstaaten Ermittlungstechni-
ken zur Aufklärung von Straftaten beinhalten sollte,
muss, glaube ich, nicht eigens in einem Antrag gefordert
werden.

Deutschland hat seit jeher Verhandlungen zu Sicher-
heitsabkommen mit Partnerstaaten im Lichte von Pro-
blemen geführt, die in diesen bestehen. Verhandlungen
aber durch unrealistische Forderungen zu gefährden,
würde den Menschen dort in keiner Weise helfen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie mal!)


– Ja. – Sicherheitsabkommen sind vielmehr für unsere
eigene Sicherheit ebenso unverzichtbar wie für den Auf-
und Ausbau rechtsstaatlicher Strukturen im jeweiligen
Land.

Wir müssen auch zukünftig den Dialog mit Ländern
führen, die in dieser Hinsicht noch Verbesserungsbedarf
haben, um ihnen Hilfe bei der Entwicklung des Rechts-
staates zu leisten. Ein funktionierender Rechtsstaat ist
nämlich nicht nur eine Voraussetzung für die Einhaltung
menschenrechtlicher Standards, sondern auch die Basis
für die wirtschaftliche, zivilgesellschaftliche und soziale
Entwicklung eines Landes und wirkt damit nicht zuletzt
Flüchtlings- und Migrationsbewegungen entgegen.

Wie wichtig das ist, zeigt sich aktuell an der Flücht-
lingskatastrophe im Mittelmeer. Daher sollten wir der
Bundesregierung beim Aushandeln derartiger Abkom-
men keine unnötigen Steine in den Weg legen, gerade
weil wir selbst in nicht unerheblichem Maße von diesen
Partnerschaften profitieren, etwa indem unsere Sicher-
heitsbehörden Hinweise im Zusammenhang mit interna-
tionaler Kriminalität erhalten, von der auch wir betroffen
sind.

Wenn Deutschland auf diesem Wege zudem dazu bei-
tragen kann, dass sich auch andere Staaten demokratisch
und im Sinne der Menschenrechte entwickeln, sollten
wir auch mit kleinen Fortschritten zufrieden sein. Daraus
kann im Ergebnis dann mehr entstehen. Diese Chance
sollten wir nicht gefährden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wir
werden daher Ihrem Antrag in dieser Form nicht zustim-
men können.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über die Form können wir reden!)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810624400

Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che angelangt.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe auf Drucksache 18/3952. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/3548 mit dem Titel „Men-
schenrechte in Mexiko schützen, Verhandlungen zum Si-
cherheitsabkommen aussetzen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/3552 mit dem Titel „Iguala ist
kein Einzelfall – Zur Menschenrechtslage in Mexiko“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Sicherheitsabkommen brauchen Standards“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/3933, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3553 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie Zusatz-
punkt 6 auf:

16 – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach-
ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Erneuerbare-Energien-Ge-
setzes

Drucksache 18/4683

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Er-
neuerbare-Energien-Gesetzes

Drucksache 18/4891

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(9. Ausschuss)


Drucksache 18/4968

ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia
Verlinden, Annalena Baerbock, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Europarechtskonforme Regelung der In-
dustrievergünstigungen auf strominten-
sive Unternehmen im internationalen
Wettbewerb begrenzen und das EEG als
kosteneffizientes Instrument fortführen

Drucksachen 18/291, 18/515

Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist
Johann Saathoff, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1810624500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Never change a running system, oder, wie
man in Ostfriesland auf gut Deutsch sagt: Nooit an klü-
tern, wenn wat löppt. Es gilt normalerweise: Wenn etwas
gut funktioniert, dann soll man das eigentlich nicht ver-
ändern.

Das gilt allerdings nicht bei der Energiewende; denn
es liegt in der Natur der Sache, dass bei der Energie-
wende ständig nachjustiert werden muss, weil die ver-
schiedenen Phasen in der Energiewende unterschiedli-
che Maßnahmen erfordern, die man eben jeweils wirken
lassen muss.

Was wird jetzt mit den Gesetzentwürfen neu geregelt?
Es werden zwei Branchen neu in die Besondere Aus-
gleichsregelung im EEG aufgenommen: einmal die
Branche „Herstellung von Schmiede-, Press-, Zieh- und
Stanzteilen“, zum Zweiten die Branche „Wärmebehand-
lung von Stahl“. Erstere ist wichtig für den Karosserie-
bau. Das ist überhaupt keine Frage. Die gesamte Auto-
mobilbranche hängt letzten Endes an dieser Branche.
Die zweite Branche ist beispielsweise für Armaturen
wichtig. Sollten Sie einmal einen Wasserhahn aufdrehen,
dann haben Sie es mit dieser Branche zu tun.

Ich gebe zu und kann an dieser Stelle berichten: Es
gab zwischenzeitlich noch weitere Begehrlichkeiten;
denn wenn man erst einmal eine solche Dose aufmacht,
dann gibt es weitere Begehrlichkeiten. Das System
orientiert sich nicht daran, um das ganz deutlich zu sa-
gen, welches Produkt ich herstelle, und zwar egal wie;
das System orientiert sich an der Handelsintensität und
der Stromkostenintensität.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat noch nicht, wer will nochmal?)


Jetzt gibt es in dieser Frage eine eindeutige Daten-
lage. Aus meiner Sicht ist es aufgrund der Datenlage, die
jetzt aktuell ist, nur gerecht, diese beiden Branchen mit
in die Besondere Ausgleichsregelung aufzunehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An dieser Stelle würde ich gerne mit dem Gerücht
aufräumen, die Wirtschaft sei von der EEG-Umlage be-
freit und nur die Bürgerinnen und Bürger müssten diese
zahlen, weshalb die Befreiung bei der Besonderen Aus-
gleichsregelung ungerecht sei. 96 Prozent der Unterneh-
men, die in der Bundesrepublik Deutschland wirtschaf-
ten, zahlen die EEG-Umlage in voller Höhe. 4 Prozent
der Unternehmen zahlen den verringerten Satz durch die
besondere Ausnahmeregelung. Industrie, Handel, Ge-
werbe und Dienstleistungsbranche zahlen circa 50 Pro-
zent der EEG-Umlage; das muss uns bewusst sein. Pri-
vate Haushalte zahlen ungefähr ein Drittel der EEG-
Umlage. Auf jeden Fall kann man nicht sagen, nur die
Bürgerinnen und Bürger würden die EEG-Umlage tra-
gen.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die verbrauchen auch viel weniger!)


Der zweite Bereich, den wir regeln, ist die anteilige
Direktvermarktung. Die wollten wir eigentlich – das
muss man ehrlicherweise sagen – schon im letzten Jahr
bei der grundsätzlichen Novelle zum EEG regeln.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hättet ihr uns zustimmen können!)


Aber das haben wir so nicht einrichten können. Jetzt ist
es also möglich, dass in mehreren Anlagen produzierter
Strom – zum Beispiel mehrere Windenergieanlagen in
einem Windpark – über eine gemeinsame Messeinheit
aufgeteilt werden kann, in mehrere Veräußerungsformen
überwandern kann. Es kann also der Verkauf an große
Direktkunden oder der Verkauf an unterschiedliche
Stromhändler organisiert werden. Das hilft – Stichwort
„Akteursvielfalt“, die wir erhalten möchten – den Produ-
zenten von erneuerbaren Energien, bei der Vermarktung
ihrer Energie jeweils eigene Wege zu finden, und gibt
damit eine gewisse Evolution frei.

Ich sagte eingangs, dass bei der Energieklimapolitik
ständig nachjustiert werden muss. Das Verständnis dafür
ist nicht überall vorhanden, um das einmal ganz vorsich-
tig zu sagen. Deswegen möchte ich noch einige Worte zu
dem Vorschlag von Frau Aigner zum Energieleitungsbau
sagen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Im Bundestag haben wir neulich eine Debatte über
die größtmögliche Erdverkabelung geführt, um Bürger-
akzeptanz herzustellen. Jetzt haben wir den Vorschlag
aus Bayern vorliegen, Leitungen um Bayern herum zu
legen. Immerhin haben wir einen Fortschritt; denn vor
vier Wochen haben wir darüber debattiert – übrigens auf
breiter Basis –, ob die Leitung überhaupt erforderlich ist.
Nun sind wir nicht mehr auf der Ebene, dass wir die Er-
forderlichkeit der Leitung anzweifeln, sondern nur noch
die Art und Weise, wie wir das machen.





Johann Saathoff


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ihr wollt doch auch keine Leitungen!)


Wie ist dieser Vorschlag von Frau Aigner zu bewer-
ten, wie ist er zu verstehen, wie soll ich das in die nor-
male Welt der Bürgerinnen und Bürger übertragen und
umsetzen? Das will ich an dieser Stelle mit einem Bei-
spiel illustrieren. Stellen Sie sich vor: Meine Tochter
Johanna, neun Jahre alt, hat eigentlich kein Einsehen in
die Notwendigkeit, ihr Zimmer aufzuräumen. Jeder, der
Familie hat, kennt diese Situation. Sie wäre aber bereit,
die Notwendigkeit des Aufräumens ihres Zimmers nicht
weiter anzuzweifeln, wenn ihr Bruder Jona die Arbeit
dafür übernehmen müsste. Nach ihrem Jurastudium wird
meine Tochter Johanna dann später den Begriff „Vertrag
zulasten Dritter“ damit verbinden. Die Reaktion ihres
Bruders ist allerdings so wie die Reaktion von Hessen
und Baden-Württemberg: verständlicherweise besten-
falls Kopfschütteln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Einige Akteure bei der Energiewende sind überzeugt
von Ausschreibungen. Wir haben die ersten Ergebnisse
aus der Pilotausschreibung vorliegen. 150 Megawatt
sind ausgeschrieben worden. Angebotsseitig ist vierfach
überzeichnet worden. Ich bin mir aber nicht sicher – das
sage ich an dieser Stelle ganz klar –, ob der Beweis wirk-
lich erbracht ist, dass mit der Ausschreibung die Ziele
erreicht wurden, die eigentlich erreicht werden sollen.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, eben nicht!)


Die Ziele unserer Fraktion sind: Akteursvielfalt erhal-
ten und Preise zumindest nicht steigen lassen, am besten
senken.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Preise sind gestiegen!)


Eine Ausschreibung allein – das weiß ich auch – ist noch
nicht aussagekräftig genug. Wir behalten diese Ziele fest
im Auge.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Preise gestiegen! Eigentor!)


Diskussionsbedarf gibt es weiterhin beim Klimabei-
trag. Beim ersten Mal habe ich noch Alternativvor-
schläge vermisst. Mittlerweile ist klar, dass es einen
kompletten Alternativvorschlag nicht geben kann. Zu
den einzelnen Elementen muss es Alternativvorschläge
geben. Dafür haben wir mittlerweile durchaus eine große
Anzahl an alternativen Vorschlägen. Wir sind jetzt end-
lich Gott sei Dank – das war im Dezember letzten Jahres
nach dem Kabinettsbeschluss noch nicht der Fall – in
einer gesamtgesellschaftlichen Debatte, und in dieser
gesamtgesellschaftlichen Debatte werden wir auch Lö-
sungen zum Erreichen der Klimaziele bekommen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das denn?)


Für die Zukunft würde ich mir allerdings noch eine
weitere gesamtgesellschaftliche Debatte wünschen, die
die Energiebranche betrifft, nämlich eine Debatte mit
den Gewerkschaften und mit den Energieunternehmen
darüber, wie wir den Strukturwandel in der Energiepro-
duktion so hinbekommen, dass die Bürgerinnen und
Bürger und vor allen Dingen die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in der Energiebranche sich mitgenommen
fühlen.

Sie sehen, meine Damen und Herren, liebe Kollegin-
nen und Kollegen: Wir haben viele Zukunftsaufgaben.
Heute stimmt die SPD-Fraktion für den Gesetzentwurf
zur Änderung des EEG, weil das vom System her richtig
und vor allen Dingen gerecht ist.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810624600

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva

Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810624700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bald ist das EEG, das heute noch ein klein wenig verän-
dert wird, in dieser Form ein Jahr in Kraft. Und ich muss
feststellen: Die Energiepolitik der Regierung ist ziellos,
strategielos


(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: So ist die Politik der Linkspartei!)


und schädlich für die erneuerbaren Energien, die eine
der Branchen mit den größten Potenzialen ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Erneuerbaren haben große Möglichkeiten, große
Potenziale für unseren Arbeitsmarkt. Das geht aus einer
Studie des Wirtschaftsministeriums hervor, die aber un-
ter Verschluss gehalten wird.


(Matthias Ilgen [SPD]: Ach was!)


Wir haben schriftlich nachgefragt: Warum veröffent-
lichen Sie diese Studie nicht? – Wollen Sie der Öffent-
lichkeit nicht sagen, welch großartiger Jobmotor die Er-
neuerbaren sein könnten? Ich sage „sein könnten“; denn
natürlich wird sich das nicht automatisch einstellen. Die
Bundesregierung müsste dann schon die richtige Politik
machen, die die Erneuerbaren auch voranbringt – so wie
sie es irgendwann einmal eigentlich in Aussicht gestellt
hat und in Sonntagsreden immer wieder behauptet.

Doch was bisher gelaufen ist, bringt den Jobmotor
„erneuerbare Energien“ nicht zum Laufen, sondern zum
Stottern. Diese Politik macht ihn vielleicht sogar kaputt –
so wie ein Motor ohne Öl: Kolbenfresser ist dann ange-
sagt.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!)


Was macht diese Bundesregierung mit den Erneuer-
baren? Jetzt deklinieren wir es mal durch: Die Bioener-
gie wird komplett plattgemacht.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Pfui!)






Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)

Die Photovoltaik erreicht ihr Ausbauziel nicht, bleibt um
ein Viertel unter der Zubaurate. Die PV-Ausschreibun-
gen funktionieren nicht, weil sie mit durchschnittlich
9,17 Cent teurer sind als die Förderung bislang. Natür-
lich ist auch die Bürgerenergie draußen geblieben. Über
KWK reden wir sicher morgen. Die wollen Sie jetzt
auch noch plattmachen.


(Florian Post [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


Und was macht diese Bundesregierung mit den Indus-
trierabatten, die sie ursprünglich mal einschränken
wollte – das muss man immer wieder sagen: vor der
Bundestagswahl war das so –, um die Belastung für die
privaten Haushalte zu reduzieren?


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Versprechen gebrochen, jedes Mal!)


Sie macht das Gegenteil dessen, was sie behauptet hat.
Die Industrierabatte wurden ausgeweitet und werden es
noch, auch mit dieser heutigen Gesetzesänderung.

Die 5 Milliarden Euro Industrierabatte kommen Un-
ternehmen zugute, die vor allem glaubwürdig behaupten
können, im internationalen Wettbewerb zu stehen.


(Matthias Ilgen [SPD]: Wir haben das geprüft!)


In einem Merkblatt des BAFA ist zu lesen:

Die Wettbewerbsfähigkeit in der Bundesrepublik
Deutschland ansässiger Unternehmen auf den inter-
nationalen Märkten wird durch eine Vielzahl von
zum Teil nur schwer objektiv messbaren Einfluss-
faktoren bestimmt.

Ich entnehme der verschwurbelten Formulierung:
Wer es schlau anstellt, wird natürlich immer nachweisen
können, dass sein Unternehmen im internationalen Wett-
bewerb steht. Die Industrierabatte sorgen außerdem da-
für, dass sich Effizienz nicht lohnt. Das wird mir aus der
Praxis berichtet, zum Beispiel von einer Gießerei in
Bayern. Weil der Betrieb sonst zu wenig verbrauchen
würde, um als stromintensiv zu gelten – da nützt auch die
Pflicht zu einem Umweltmanagementsystem nichts –,
spart man eben keinen Strom mehr ein, da man sonst we-
sentlich mehr bezahlen würde. Das ist auch bestätigt. Ich
sage Ihnen: Hier wird Verschwendung belohnt. Ich halte
es für pervers; denn die Betriebe wollen eigentlich Strom
einsparen.


(Beifall bei der LINKEN)


Der wesentliche Kern des Erfolgs des EEG war ja die
Investitionssicherheit. Das sagen uns alle möglichen
Betriebe immer wieder. Das wissen Sie auch. Die Bun-
desregierung hat es geschafft, eine wachstumswillige
und -fähige Branche tief zu verunsichern, und setzt da-
mit die Tendenz der Vorgängerregierung fort. Ich halte
es einfach für traurig. Das ist eine Kolbenfresserpolitik.
Der Jobmotor „erneuerbare Energien“ stottert. Ich sage
Ihnen: Machen Sie da endlich etwas, bevor es zu spät ist.


(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich müssen wir auch über Arbeitsplätze reden,
über den Strukturwandel; der Kollege von der SPD hat
es angesprochen. Dann lassen Sie uns jetzt endlich diese
Debatte ernsthaft führen und nicht, wie es passiert, den
Vorschlag, den Herr Gabriel gemacht hat, immer weiter
verwässern.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810624800

Danke schön. – Nächster Redner ist Dr. Andreas

Lenz, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1810624900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hat-
ten gestern ein Gespräch mit einer Schweizer Delegation
über die Energiewende. Ich kann gleich zu Beginn sa-
gen: Ich habe die Herrschaften des Nationalrats sprach-
lich besser verstanden als das Platt von Herrn Saathoff.


(Johann Saathoff [SPD]: Was?)


Nach der heutigen Eingangsrede muss ich sagen: Ich
habe immer gedacht, dass wir uns wenigstens inhaltlich
verstehen, aber mittlerweile bin ich auch da nicht mehr
so sicher. Da kommt ein konstruktiver Vorschlag aus
Bayern,


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dirk Becker [SPD]: Da muss er selber lachen! Wer’s glaubt!)


und Ihnen, Herr Saathoff, fällt nichts Besseres ein, als
diesen konstruktiven und wirklich diskussionswürdigen
Vorschlag gleich zu Beginn zu zerreden.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Johann Saathoff [SPD]: Jetzt muss er selber lachen! – Dirk Becker [SPD]: Das war jetzt die Liebeserklärung an Ilse Aigner! Reicht! Setzen!)


Spaß beiseite:


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie sich das Schreiben und auch die Stellung-
nahme zum Netzentwicklungsplan in Bayern anschauen,
dann stellen Sie fest, dass darin sehr sinnvolle Vor-
schläge enthalten sind,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo?)


die eben auch zur wirklichen Lösung dieses Problems
beitragen werden.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hallo? Haben Sie das mal gelesen?)






Dr. Andreas Lenz


(A) (C)



(D)(B)

Wir werden gemeinschaftlich – davon gehe ich aus – bis
zum Sommer eine gute Lösung finden. Ich lade natürlich
auch alle ein, dazu beizutragen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Populismus und Egoismus in Schriftform!)


Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Er-
neuerbare-Energien-Gesetzes der Koalitionsfraktionen.
Herr Saathoff hat es gesagt: Wir sorgen dafür, dass ener-
gieintensive Unternehmen aus den Bereichen Schmie-
den, Härtereien und Oberflächenveredelung die Beson-
dere Ausgleichsregelung in Anspruch nehmen dürfen. Es
geht dabei um rund 80 Unternehmen einer Branche mit
rund 50 000 Arbeitsplätzen und rund 8 Milliarden Euro
Umsatz. Für diese schaffen wir Planungs- und Investi-
tionssicherheit. Zudem nehmen wir eine klarstellende
Änderung bei der anteiligen Direktvermarktung vor.
Auch künftig wird es möglich sein, bei der anteiligen Di-
rektvermarktung eine gemeinsame Messeinrichtung zu
verwenden. Mit der Reform des EEG im vergangenen
Jahr sind wir bei der Energiewende einen wichtigen
Schritt vorangekommen. Wir haben einen planbaren und
verlässlichen Ausbaupfad geschaffen. Wir werden den
Anteil der Erneuerbaren im Strombereich bis 2025 auf
40 bis 45 Prozent und bis 2035 auf 55 bis 60 Prozent
ausbauen. Das Sinken der EEG-Umlage auf 6,17 Cent
pro Kilowattstunde sowie der Rückgang der Strompreise
sind gute Signale. Millionen privater Haushalte profitie-
ren davon.

Der Erfolg der Energiewende muss sich aber auch da-
ran messen lassen, dass Deutschland ein wettbewerbsfä-
higer Wirtschafts- und Industriestandort bleibt. Dazu
sind Sonderregelungen für die stromintensiven Indus-
trien schlichtweg erforderlich. Die europafeste Refor-
mierung der Besonderen Ausgleichsregelung war des-
halb ein Schwerpunkt bei der Novelle zum EEG im
letzten Jahr. Wir kümmern uns um den Industriestandort
Deutschland. Uns sind die Wettbewerbsfähigkeit und die
Arbeitsplätze im Industriebereich wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Grünen fordern in ihrem Entschließungsantrag,
den Kreis der privilegierten Unternehmen einzuschrän-
ken; die Industrie leiste keinen ausreichenden Beitrag.
Herr Saathoff, darin sind wir uns einig – um dies ein
weiteres Mal zu entkräften –: Die deutsche Industrie
zahlt 7,4 Milliarden Euro EEG-Umlage. Das ist nahezu
so viel, wie die privaten Haushalte insgesamt zahlen. Die
Industrie trägt somit knapp ein Drittel der Gesamtkosten
der EEG-Umlage. Zusammen zahlen Industrie, Handel
und Gewerbe über die Hälfte der EEG-Umlage. Zwar
lag die Zahl der antragsberechtigten Unternehmen 2014
mit 2 461 um etwa 5 Prozent höher als im Vorjahr. Dies
ist aber auch dadurch bedingt, dass die Schienenbahnen
im letzten Jahr noch privilegiert wurden, was auch Ihre
Zustimmung gefunden hat. Hingegen blieb die Anzahl
der antragsstellenden Industrieunternehmen in etwa
gleich. Das gesamte Entlastungsvolumen lag im letzten
Jahr bei rund 5,1 Milliarden Euro. Im Vergleich zu 2014
ist nun ein Rückgang zu verzeichnen. 2015 liegt die Ent-
lastungswirkung voraussichtlich bei rund 4,8 Milliarden
Euro.

Wir haben klare Kriterien geschaffen, nach denen die
Branchen die Besondere Ausgleichsregelung nutzen
können. Das ist ein wichtiger Schritt für die deutsche
Wirtschaft. Die Kriterien werden nachweislich auch von
den Härtereien und Schmieden erfüllt. Es ist daher rich-
tig, die Besondere Ausgleichsregelung auch bei diesen
Branchen anzuwenden. Die Mehrbelastung hinsichtlich
der EEG-Umlage beträgt lediglich 0,001 Cent, also ein
Tausendstel Cent pro Kilowattstunde. Der Nutzen für die
betroffenen Unternehmen und die damit verbundenen
Arbeitsplätze ist jedoch umso höher.

Auch zukünftig muss es möglich sein, Branchen in
die Besondere Ausgleichsregelung aufzunehmen, wenn
die Kriterien „internationale Wettbewerbstätigkeit“ und
„Stromintensität“ erfüllt werden. Das Bundeswirt-
schaftsministerium wird in solchen Fällen in Koopera-
tion mit der Europäischen Kommission eine entspre-
chende Prüfung vornehmen. Uns war es wichtig, dies im
parlamentarischen Verfahren herauszustellen. Ohne die
Besondere Ausgleichsregelung würde ein privater Haus-
halt mit vier Personen zwar im Schnitt circa 60 Euro im
Jahr weniger an Strom zahlen. Wegen der zu erwarten-
den Wohlstandsverluste würde das real verfügbare Ein-
kommen jedoch im Durchschnitt um rund 500 Euro sin-
ken.

Gerne wird auch die Mär verbreitet, Deutschland
habe im Vergleich niedrige Industriestrompreise.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Lassen Sie mich hier kurz aus dem Fortschrittsbericht
zur Energiewende zitieren:

Die durchschnittlichen Strompreise für Industrie-
kunden liegen in Deutschland in weiten Teilen über
dem EU-Durchschnitt und deutlich über den Strom-
preisen in den USA.

Es besteht die Gefahr, dass hohe Stromkosten zu einer
schleichenden Deindustrialisierung und zu Arbeitsplatz-
verlusten in Deutschland führen. Wenn die betreffenden
Branchen erst einmal weg sind, kommen sie auch nicht
wieder, wie man in Großbritannien sieht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben die günstigsten Preise seit zehn Jahren!)


Da hilft auch der Ausbau von anderen Branchen wie des
Dienstleistungssektors nichts. So viele Haare kann man
gar nicht schneiden, um diesen Verlust auszugleichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Welche Haare wollen Sie schneiden?)


Wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft
zeigt, wurde im vergangenen Jahrzehnt nicht einmal aus-
reichend investiert, um den Verschleiß der Produktions-
stätten bei den energieintensiven Unternehmen auszu-
gleichen.





Dr. Andreas Lenz


(A) (C)



(D)(B)

Wir haben also im letzten Jahr einen klaren Rahmen
für Arbeitsplätze und für Investitionen geschaffen.

Die Grünen fordern in ihrem Entschließungsantrag,
die geltenden Importzölle für chinesische Photovoltaik-
module nicht fortzuführen; darüber kann man diskutie-
ren, wenn auch nicht im Rahmen des EEG. Aber das geht
nur, wenn sich alle Beteiligten an die Regeln für fairen
Handel halten. Die Dumpingpolitik aus China, das Un-
terschlagen von Zöllen in Millionenhöhe,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In anderen Bereichen machen wir das nicht, nur bei Solar!)


muss zumindest als Problem erkannt werden.

Sie fordern eine Anhebung der jährlichen Zubau-
menge bei der Photovoltaik auf 5 000 Megawatt. Die
Verdoppelung der Ausbauziele soll dann wohl am besten
mit chinesischen Paneelen erfolgen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die aus dem Land getrieben! Da ist es kein Wunder!)


Ich denke, wir tun gut daran, die Ausbaupfade so zu las-
sen, wie sie sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch peinlich! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal mit einem Handwerker gesprochen? Kennen Sie überhaupt einen?)


Die erste Runde der Pilotausschreibungen bei den
Photovoltaik-Freiflächen ist zwischenzeitlich abge-
schlossen. Wir werden die Ergebnisse nun auswerten.
Natürlich werden wir dabei auf die Sicherung der Ak-
teursvielfalt achten. Das steht ja auch im Koalitionsver-
trag. Es darf nicht zu einer Bevorzugung von großen
Projekten kommen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 40 Prozent! Wenn das keine Bevorzugung von großen Unternehmen ist!)


Hier sollten in jedem Fall die Bagatellgrenzen der EU-
Beihilferichtlinien ausgenutzt werden. Das werden wir
auch machen.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wurde so angekündigt!)


Weiterhin fordern Sie ein Modell zur Vermarktung
von sogenanntem Grünstrom. Auch hier wird an der
Umsetzung gearbeitet. Wir müssen das Richtige aber
auch richtig machen. Wir schauen uns also zunächst die
erstellten Gutachten und unterschiedlichen Modelle an.
Auch hier brauchen wir eine europarechtskonforme Lö-
sung. Aber Sie können hier gern mithelfen.

Zahlreiche weitere Schritte stehen an. Wir brauchen
mehr Systemdienlichkeit bei den erneuerbaren Energien.
Die Vorschläge für ein neues Strommarktdesign liegen
vor. Diese bieten eine gute Grundlage, sind allerdings
weiter zu diskutieren.
Es geht vor allem darum, auch künftig ein Höchstmaß
an Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Gleichzeitig
gilt es, die damit verbundene Kapazitätsreserve so aus-
zugestalten, dass die notwendigen Kapazitäten auch flä-
chendeckend verteilt vorhanden sind. Wir brauchen Re-
servekraftwerke zur Netz- und Systemabsicherung.

Wir stehen zu den nationalen und europäischen Kli-
maschutzzielen. Dazu muss auch der Strombereich einen
Beitrag leisten. Dem Klima ist es allerdings egal, in wel-
chem Bereich die CO2-Einsparungen erfolgen, und dem
Klima hilft es auch nichts, wenn die deutsche CO2-Bi-
lanz aufgebessert wird und sich im Gegenzug die der eu-
ropäischen Nachbarn verschlechtert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bisher hat sich immer die deutsche CO2-Bilanz verschlechtert!)


Eng damit verknüpft – wir haben es vorhin ja schon
gehört – sind die Entscheidungen im Bereich der Kraft-
Wärme-Kopplung. Die hocheffiziente KWK muss auch
künftig eine wichtige Rolle spielen.

Jetzt vielleicht noch einen Satz zum bayerischen
Brief, zur bayerischen Stellungnahme.


(Matthias Ilgen [SPD]: Jetzt geht es wieder los!)


Bayern fordert den Ausbau von Bestandstrassen, neue
Möglichkeiten bei der Erdverkabelung – das fordern Sie
ja auch –, neue Möglichkeiten, um Wechsel- und Gleich-
stromsysteme auf einem Mastgestänge zu führen. Das
alles ist auch sinnvoll.

Bei allen nationalen Anstrengungen ist zudem die
enge Koordinierung im europäischen Konzert notwen-
dig.

Meine Damen, meine Herren, es gibt viel zu tun. Wir
stellen uns den Aufgaben und finden – wie jetzt bei den
Härtereien und der anteiligen Direktvermarktung – ver-
antwortliche Lösungen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810625000

Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-

nen hat jetzt Dr. Julia Verlinden das Wort.


(Dirk Becker [SPD]: Jetzt geht es ab! Jetzt kommt die Generalabrechnung!)



Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810625100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Heute wollen Sie ja mehrere Punkte
im Erneuerbare-Energien-Gesetz ändern. Zum einen
geht es da um diesen Fehler bei der sogenannten anteili-
gen Direktvermarktung. Es ist auch dringend nötig, dass
Sie diesen Fehler korrigieren. Aber das hätten Sie ja
auch schon im Dezember haben können, nicht? – Im De-
zember haben wir Grünen einen inhaltlich gleichen Ge-





Dr. Julia Verlinden


(A) (C)



(D)(B)

setzentwurf eingebracht, und Sie haben diesen damals
abgelehnt.


(Dirk Becker [SPD]: Da waren auch Fehler drin!)


Ich sage jetzt einmal: besser eine späte Einsicht als gar
keine Einsicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Außerdem wollen Sie heute noch mehr Branchen
beim Strompreis begünstigen, indem Sie die Indus-
trieprivilegien erweitern.


(Dirk Becker [SPD]: Stimmt nicht! Nur anwenden auf weitere Branchen!)


Minister Gabriel hat vor einem Jahr angekündigt, die In-
dustrieprivilegien zurückzufahren. Damals hatte er ge-
meint, dass die Bundesregierung gut sei, wenn sie die
anderen Stromkunden – also die privaten Verbraucher
und kleine Unternehmen – um 1 Milliarde Euro entlas-
tet. Inzwischen wissen wir: Dieses Ziel hat die Bundes-
regierung klar verfehlt. Nach Auskünften des BAFA ist
es gerade mal ein Drittel, nämlich nur 300 Millionen
Euro. Herr Gabriel kann sich hier also nicht auf die
Schulter klopfen. Seine Entlastung um 1 Milliarde Euro
für die privaten Kunden hat er nicht erreicht.

Aber anstatt nun nachzubessern, begünstigen Sie
gleich noch zwei weitere Branchen bei der EEG-Um-
lage. Damit sind wir dann schon bei 221 befreiungsbe-
rechtigten Branchen angekommen.


(Dirk Becker [SPD]: Das ist falsch!)


Und wer zahlt dafür die Zeche? – Die bezahlen die Bür-
gerinnen und Bürger, der Handels- und Dienstleistungs-
sektor und die vielen kleinen Unternehmen. Das hat
nichts mit einer gerechten Energiewende zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir Grüne haben in unserem Antrag einen prakti-
kablen Vorschlag gemacht. Wir haben gesagt: Die Be-
sondere Ausgleichsregelung könnte so ausgestaltet sein,
dass wirklich nur energieintensive Unternehmen, die
wirklich im internationalen Wettbewerb stehen, profitie-
ren. Dafür gibt es bei der EU eine gute Vorlage, nämlich
die EU-Richtlinie zur Strompreiskompensation. Anhand
derer könnte man das hier definieren. Das wäre zweck-
mäßig und vernünftig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Es ist wirklich hochinteressant, wie viel Tatkraft Sie
nun schon wieder in die Begünstigung von weiteren
Branchen stecken.


(Dirk Becker [SPD]: Stimmt nicht!)


Dabei gibt es im EEG doch noch ganz viel wichtigen
Reformbedarf. Den benennen wir auch in unserem An-
trag. Wir brauchen endlich einen Ersatz für das wegge-
fallene Ökostromprivileg, damit der Ökostrom aus deut-
schen EEG-Anlagen auch als solcher verkauft werden
kann.

Wir brauchen endlich ein Mieterstrommodell, bei
dem auch Mieter, die sich keine eigene Solaranlage auf
das Dach setzen können, mehr von der Energiewende
profitieren. Das war doch für Sie von der SPD immer
eine Ihrer zentralen Forderungen gewesen.


(Johann Saathoff [SPD]: Kommt noch!)


Ich frage mich jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der SPD: Warum setzen Sie sich hier nicht einmal
durch?


(Matthias Ilgen [SPD]: Kommt noch! Das stellen wir in zwei Wochen vor!)


Ihnen war das Mieterstrommodell sehr wichtig. Die
CSU aber kann in der Koalition jede noch so blödsinnige
Forderung durchsetzen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Jetzt fordert Frau Aigner auch noch, die Stromtrassen
um Bayern herumzulegen. Ich hoffe, dass Sie sich nicht
wieder über den Tisch ziehen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Nein, das soll kein Kreisverkehr werden!)


Es muss doch möglich sein, auch einmal etwas Vernünf-
tiges zu beschließen.

Wir brauchen einen verlässlichen Ausbau aller erneu-
erbaren Energien, auch der Photovoltaik. Nachdem die
Politik in den letzten fünf Jahren schon die Modulher-
steller aus Deutschland vertrieben hat – das waren übri-
gens 20 000 Arbeitsplätze, die Sie vernichtet haben;
20 000 –,


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Solarmafia! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Irgendwo haben Sie Wahrnehmungsschwierigkeiten!)


gehen jetzt viele kleine Handwerksunternehmen reihen-
weise pleite, die ihr Geld mit der Installation von Solar-
anlagen verdient haben. Da müssen Sie doch etwas un-
ternehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


In unserem Antrag machen wir einen konkreten Vor-
schlag zur Erreichung der energie- und klimapolitischen
Ziele. Wir brauchen einen Ausbaupfad von 5 000 Mega-
watt Solarstrom pro Jahr. Wir brauchen keine „Atem-
pause“, wie Frau Merkel die Sabotagepolitik der Bun-
desregierung gegen die Photovoltaik verharmlosend
nennt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Ah!)


– Ja, es ist echt verharmlosend, hier von einer Atem-
pause zu sprechen. – Außerdem müssen wir endlich die-





Dr. Julia Verlinden


(A) (C)



(D)(B)

sen unsäglichen Ausbaustopp bei 52 Gigawatt Photovol-
taik streichen.

Bei der anteiligen Direktvermarktung haben Sie ein
halbes Jahr gebraucht, um unsere Forderungen als rich-
tig zu erkennen. Machen Sie es doch beim Ausbau der
Photovoltaik, beim Grünstrom- und Mieterstrommodell
und bei den Industrieausnahmen besser, und stimmen
Sie unserem Entschließungsantrag gleich heute zu.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE] – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Nein, das machen wir nicht!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810625200

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Druck-
sache 18/4683. Es geht um den Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Der
Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/4968, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4979. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan-
trag ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Frak-
tion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Entwurf
eines Gesetzes der Bundesregierung auf Drucksache
18/4891 zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Geset-
zes. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4968, den Ge-
setzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des gesamten Hauses angenommen.

Wir kommen zu Zusatzpunkt 6. Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Europarechtskonforme Regelung der Industrievergüns-
tigungen auf stromintensive Unternehmen im interna-
tionalen Wettbewerb begrenzen und das EEG als kosten-
effizientes Instrument fortführen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/515, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/291 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Tom Koenigs, Cem
Özdemir, Annalena Baerbock, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völkermord
an den Rohingya verhindern

Drucksachen 18/2615, 18/3951

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Angelika
Glöckner, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Angelika Glöckner (SPD):
Rede ID: ID1810625300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen ist heute Anlass für die Debatte, in der wir uns mit
der Volksgruppe der Rohingya in Myanmar, dem ehema-
ligen Burma, beschäftigen. Welche Aktualität dieses
Thema heute hat, haben die Antragsteller zum Zeitpunkt
der Formulierung des Antrages nicht gewusst. Viele
Menschen in unserem Land dürften bis vor wenigen Ta-
gen überhaupt nichts von der Existenz, geschweige denn
von der besorgniserregenden Situation dieser 1,4 Millio-
nen Menschen in Südostasien gewusst haben.

Durch die tragischen Irrfahrten von Hunderten
Flüchtlingen aus der Gruppe der myanmarischen Rohin-
gyamuslime im Golf von Bengalen und den umliegen-
den Gewässern, welche in den letzten Tagen zunehmend
mediale Beachtung fanden, hat sich das massiv geändert.
An dieser Stelle gilt es einmal mehr festzuhalten, dass
es, wie schon so oft, die Bilder von humanitären oder
menschenrechtlichen Katastrophen sind, die für diese
Art der Öffentlichkeit und Betroffenheit sorgen. Aber
neu, Kolleginnen und Kollegen, ist die Flüchtlingspro-
blematik der Rohingya in Südostasien nicht.

Seit vielen Jahren leiden sie unter extremen Men-
schenrechtsverletzungen, Verfolgung und Perspektivlo-
sigkeit in ihrem Heimatland. Auf der Flucht vor diesen
Umständen werden sie durch Schleuser in die Nachbar-
länder Myanmars verbracht, wo sie als illegale Arbeits-
migranten unter Bedingungen, die an moderne Sklaverei





Angelika Glöckner


(A) (C)



(D)(B)

erinnern, in der Fischerei-, Agrar- und auch der Touris-
musindustrie arbeiten oder – in den schlimmsten Fällen –
als Geiseln für Lösegeldforderungen missbraucht wer-
den. Jetzt, da die Nachbarstaaten der Region massiv ge-
gen die Schleuser vorgehen, wird das Ausmaß dieses
skrupellosen und verwerflichen Vorgehens deutlich.

Heute geht es aber vor allem um die Ursachen dieser
Flüchtlingswelle, und dies sind die Menschenrechtsver-
letzungen an der Volksgruppe der Rohingya in Myan-
mar. In bin den Antragstellern dankbar, dass sie dieses
wichtige Thema heute aufgegriffen haben und es somit
auf die Tagesordnung brachten.

Die Rohingya sind eine der am stärksten von Men-
schenrechtsverletzungen betroffenen Volksgruppe der
Welt. Das muss ohne Umschweife so festgestellt wer-
den. Auch nach der beginnenden Liberalisierung Myan-
mars seit dem Ende der Militärdiktatur 2011, der Freilas-
sung zahlreicher Oppositioneller, der Zulassung einer
politischen Opposition und der zu begrüßenden Verbes-
serung der allgemeinen menschenrechtlichen Situation
im Land hat sich daran nichts geändert. In vielen Fällen
hat sich die Situation der Rohingya in den letzten vier
Jahren sogar noch verschlechtert. Den Rohingya wird
noch immer die Staatsbürgerschaft Myanmars und damit
die Teilhabe an grundlegenden Rechten verwehrt. Auf-
grund der daraus folgenden Staatenlosigkeit besteht für
sie zudem keine Möglichkeit, legal aus Myanmar auszu-
reisen.

In ganz Myanmar sind derzeit noch immer ethnische
Konflikte und Vertreibungen an der Tagesordnung. Ins-
gesamt zählen die Vereinten Nationen 240 000 Binnen-
flüchtlinge im Land, mehr als die Hälfte davon Rohin-
gya in Rakhine, die dort in 40 Flüchtlingscamps unter
widrigsten Bedingungen leben. Ihre Bewegungsfreiheit,
der Zugang zu Wasser, zu Nahrung, zu Gesundheitsvor-
sorge sowie zu Bildung und Ausbildung werden seitens
der örtlichen Sicherheitsbehörden massiv eingeschränkt.

Immer wieder aufflammende ethnische Konflikte und
gewalttätige Übergriffe zwischen der muslimischen
Minderheit der Rohingya und der radikalen Gruppen der
buddhistischen Bevölkerungsmehrheit in Rakhine seit
2011 haben bisher mehrere Hundert Opfer aufseiten der
Rohingya gefordert. Die lokalen Sicherheitsbehörden se-
hen tatenlos zu. Die Politik duldet weder religiöse noch
ethnische Mischehen. Auch Überlegungen zu Vorgaben
einer Zwei-Kind-Politik und die Meldepflicht von Hoch-
zeiten sind hier zu nennen. All dies sind Menschen-
rechtsverletzungen, die klar zu benennen sind. Hier muss
die internationale Staatengemeinschaft geschlossen und
eindringlich vorgehen und aufzeigen, dass dies keines-
falls hingenommen wird. Hier gilt ganz klar die Schutz-
verantwortung des Staates Myanmar gegenüber seinen
Bürgern, und diese schließt explizit die Rohingya mit
ein. Es ist Aufgabe der internationalen Staatengemein-
schaft, auf die Umsetzung dieser Schutzverantwortung
hinzuwirken.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im politischen System Myanmars wird die Dimension
der Menschenrechtsverletzungen noch immer kleingere-
det. Deshalb gilt es, Druck durch die internationale Öf-
fentlichkeit zu entwickeln. Hier möchte ich auch explizit
die Opposition in Myanmar in die Pflicht nehmen, wel-
che während der Junta-Regierung durch die internatio-
nale Öffentlichkeit unterstützt wurde, die Lage der
Rohingya aber seit 2011 vernachlässigte. Ich bin davon
überzeugt, dass dies am besten auf multilateraler Ebene
funktioniert. Die vorgelegten Berichte der Sonderbe-
richterstatterin der Vereinten Nationen für Menschen-
rechte in Myanmar, Frau Yanghee Lee, vom September
2014 und vom März 2015 sowie die am 19. Mai 2015
verlautbarte Forderung nach mehr Rechten für die
Rohingya durch Aung San Suu Kyi verdeutlichen dies.

Das Europäische Parlament hat sich der Situation be-
reits 2013 in einer Entschließung angenommen, in der es
die Menschenrechtsverletzungen an den Rohingya ver-
urteilt und ihre Anerkennung als Staatsbürger fordert.
Wir als SPD setzen uns gemeinsam mit unseren europäi-
schen Schwesterparteien in der S&D-Fraktion für eine
Resolution im Europäischen Parlament ein. Diese Reso-
lution verurteilt die Situation der Rohingya. Sie fordert
ein Ende der Gewalt und ruft auf zu einer gemeinsamen
Lösung durch Myanmar, aber vor allem auch durch die
Gemeinschaft der ASEAN-Staaten. Denn das Problem
kann nur durch das gemeinsame Vorgehen aller beteilig-
ten Staaten gelöst werden. Dieses gemeinsame Vorgehen
muss unser Weg sein.

Zuletzt muss auch ganz klar gesagt werden, dass die
Flüchtlingskatastrophe und auch die Menschenrechts-
verletzungen an den Rohingya nur ein Symptom von
entwicklungspolitischen und wirtschaftlichen Problemen
vor Ort sind. Der Rakhine-Staat in Myanmar ist eine der
ärmsten Regionen eines Landes, das selbst von großer
Armut geprägt ist. Hier liegt die zugrunde liegende Ur-
sache, die durch die gesamte Bevölkerung Myanmars
bekämpft werden muss. Es gilt, sie dabei zu unterstüt-
zen. Aber diesen Umstand vernachlässigt der vorlie-
gende Antrag weitestgehend. Deshalb möchte ich an die-
ser Stelle dafür werben, die gesamteuropäische Initiative
der S&D-Fraktion im Europäischen Parlament zu unter-
stützen. Denn hier müssen wir als Europäer gemeinsam
agieren und mit gemeinsamer Stimme sprechen, um den
Menschenrechtsverletzungen an den Rohingya, aber
auch ganz besonders den ihnen zugrunde liegenden Ur-
sachen erfolgreich entgegenzutreten. Meine Fraktion
wird daher den vorliegenden Antrag ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810625400

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Annette Groth,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Annette Groth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810625500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir sind derzeit Zeugen von drei Flüchtlingskatastro-
phen: die erste vor unserer Haustür im Mittelmeer, die
zweite im südostasiatischen Meer – das haben wir ge-
rade gehört –, und die dritte Flüchtlingskatastrophe
spielt sich im Roten Meer ab, wo Tausende von Afrika-
nern auf Booten aus dem Jemen in ihre Heimatländer
flüchten. Darüber wird bei uns allerdings kaum berich-
tet.

Wir haben es gerade gehört: Ein Großteil der Boots-
flüchtlinge im südostasiatischen Meer sind die Rohin-
gya. Das ist eine muslimische Volksgruppe, die seit über
150 Jahren verfolgt und diskriminiert wird. Im burmesi-
schen Staatsangehörigkeitsgesetz von 1982 werden sie
ausdrücklich nicht als nationale Minderheit anerkannt,
sondern als Bengalis bezeichnet, was „Einwanderer“ be-
deutet. De facto sind sie staatenlos, weshalb die burmesi-
sche Regierung sich auch weigert, die Geflüchteten wie-
der einreisen zu lassen.

Seit gestern gibt es einen Hoffnungsschimmer für die
Bootsflüchtlinge: Die Regierungen von Malaysia und In-
donesien haben angekündigt, die Geflüchteten an Land
zu lassen. Gleichzeitig machten beide Staaten aber deut-
lich, dass sie hierfür internationale Hilfe erwarten und
andere Länder die Flüchtlinge spätestens nach einem
Jahr aufnehmen müssen.

Zu betonen ist, dass indonesische Fischer bisher über
1 300 Flüchtlinge gerettet und gegen den Willen der Be-
hörden an Land gebracht haben. Fischerfamilien haben
die erschöpften Flüchtlinge versorgt, bevor Behörden
und Hilfsorganisationen eingesprungen sind. Es waren
Fischer, die nach treibenden Booten suchten, um die
Flüchtlinge zu retten – und das, obwohl das indonesische
Militär darauf drängte, nur Menschen von gesunkenen
Booten aufzunehmen. Diese Fischer und ihre Familien
haben meinen höchsten Respekt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, aufgrund der Ge-
walt und der strukturellen Diskriminierung sind allein in
den letzten drei Jahren etwa 100 000 Rohingya geflohen,
in diesem Jahr fast 30 000. In Thailand fallen sie skru-
pellosen Menschenhändlern in die Hände, die sie als Ar-
beitssklaven ausbeuten; viele Flüchtlinge bezahlen das
mit ihrem Leben.

Bis vor fünf Jahren wurde Myanmar von einer Mili-
tärdiktatur regiert. Die internationale Gemeinschaft hat
dies mit scharfen Sanktionen geahndet. Seit der Einset-
zung einer Zivilregierung unter Präsident Thein Sein ha-
ben die westlichen Staaten die Sanktionen gelockert.
Seitdem gilt das Land als Eldorado für Investoren und
Topdestination für Touristen. An der langen Küste wer-
den Hotels für internationale Touristen hochgezogen.
Die Vertreibung der lokalen Bevölkerung von ihrem
Land ist an der Tagesordnung. Davon ist in unseren Me-
dien aber leider nichts zu lesen; auch das ist ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)

„Goldgräberstimmung in Rangun“ titelte die FAZ
Ende letzten Jahres und beschrieb den Boom in der ehe-
maligen Hauptstadt Burmas, die inzwischen zu den teu-
ersten Städten der Welt gehört. So zahlen UNICEF und
die WHO 1 Million Dollar Jahresmiete für ihre Büros,
was für große Kritik sorgte. Da die meisten Bürohäuser
den Militärs gehören, wandert dieses Geld in deren Ta-
schen, was auch ein Skandal ist, finde ich.

Gleichzeitig hat Myanmar in der Region die niedrigs-
ten Löhne, sodass Textilunternehmen ihre Produktion
aus anderen Billiglohnländern nach Myanmar verlagern.
Die Investitionen von Textilunternehmen haben sich im
letzten Jahr verfünffacht. Myanmar wird zum zweiten
Bangladesch, allerdings auf noch niedrigerem Niveau.
Laut der Kampagne für Saubere Kleidung, die die men-
schenverachtenden Zustände in der Bekleidungsindus-
trie anprangert, liegt der Monatslohn für die Beschäftig-
ten in Myanmar bei 35 Dollar, halb so viel wie in
Bangladesch. Davon kann kein Mensch leben.

Die Unterdrückung und Verfolgung der Rohingya
wird durch die bittere Armut im Land zusätzlich ange-
feuert. Soziale Mindeststandards, menschenwürdige
Löhne, das Recht auf Gesundheitsversorgung und Bil-
dung sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine Ver-
besserung der sozialen Situation in Myanmar.

Wir, die Fraktion Die Linke, werden dem Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen zustimmen. Wir hoffen, dass die
dramatische Lage der Rohingya nicht in der medialen
Vergessenheit landet.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810625600

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt der Kollege Dr. Bernd Fabritius.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Dr. h.c. Bernd Fabritius (CSU):
Rede ID: ID1810625700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir
thematisieren zu später Stunde das Schicksal der Rohin-
gya in Myanmar, auf Antrag der Grünen. Die im Süd-
westen Myanmars ansässige muslimische Volksgruppe
der Rohingya gilt laut einer Feststellung der Vereinten
Nationen als die am meisten verfolgte Minderheit der
Welt.

Auch wenn die öffentliche Wahrnehmung bei uns
größtenteils durch die abscheulichen Verbrechen der
Terrorgruppe „Islamischer Staat“, den weiterhin vor un-
serer Haustür schwelenden Ukraine-Konflikt und die
weltweite Flüchtlingskrise mit mehr als 50 Millionen
Schutzsuchenden und Vertriebenen beherrscht wird, dür-
fen wir die dramatische Situation der Rohingya auf kei-
nen Fall aus den Augen verlieren. Das ist unstreitig.

Im Schatten des atemberaubenden politischen Wan-
dels, der in dem noch bis vor kurzem von einer Militär-





Dr. Bernd Fabritius


(A) (C)



(D)(B)

diktatur beherrschten Myanmar stattfindet, werden die
Rohingya weiterhin ausgegrenzt und ihrer Bürgerrechte
beraubt. Deshalb gehören viele von ihnen inzwischen zu
den gerade erwähnten mehr als 50 Millionen Schutzsu-
chenden weltweit – sowohl als Binnenvertriebene in
Myanmar selbst als auch als Flüchtlinge in den Nachbar-
staaten.

Man muss sich das einmal vorstellen: Im Vielvölker-
staat Myanmar gibt es 135 staatlich anerkannte Minder-
heiten, aber diese eine mit geschätzt immerhin 1 Million
Angehörigen im Land wird nicht anerkannt. Im Gegen-
teil: 1982 wurde den Rohingya durch eine Regelung im
Staatsangehörigkeitsrecht sogar allgemein die Staatsan-
gehörigkeit entzogen. Die Folgen sind unerträglich:
Rohingya werden wie Rechtlose behandelt, sie erhalten
beispielsweise keine Ausweise, ihr Zugang zum Ge-
sundheits- und Bildungssystem ist eingeschränkt, und
wenn sie heiraten wollen, dann brauchen sie eine Geneh-
migung, die oft erst nach Jahren erteilt wird.

Der Ursprung dieser Ausgrenzung liegt unter ande-
rem in der Behauptung, die Rohingya seien nicht in My-
anmar beheimatet, sondern – das wurde schon erwähnt –
aus Bengalen eingewandert. Als Konsequenz dieser
Sichtweise droht den Rohingya sogar die vollständige
Vertreibung aus Myanmar.

Leider hört der Albtraum damit nicht auf. Seit Juni
2012 kam es vermehrt zu gewalttätigen Übergriffen auf
die Rohingya. Es gab Misshandlungen und sogar Tote.
Ganze Dörfer und Siedlungen wurden niedergebrannt.

Weil fatalerweise auch die Polizei die Gewalt nicht
verhindert, bleibt den Rohingya meist nur die Flucht. So
leben weit über 100 000 von ihnen als Vertriebene im ei-
genen Land in Flüchtlingslagern. Die Zustände in diesen
Lagern sind katastrophal. Es fehlt an nahezu allem, was
zum Leben und zum Überleben notwendig ist.

Seit vielen Jahren suchen Rohingya auch Schutz in
den umliegenden Ländern. Schätzungen zufolge sind in
den letzten Jahrzehnten weit über 1 Million Mitglieder
der Volksgruppe vor Gewalt und Diskriminierung aus
Myanmar geflüchtet. Der Weg aus dem Land heraus
führt meist über das Meer und ist mit großen Risiken
verbunden.

In den vergangenen Tagen häuften sich Berichte über
verzweifelte Bootsflüchtlinge vor den Küsten der Anrai-
nerstaaten, vor allem vor Indonesien, Malaysia und
Thailand. Auch unsere Nachrichtensender haben dieses
Thema in den letzten Tagen bereits aufgegriffen.

Die Praxis der genannten Staaten, die an ihren Küsten
anlandenden übervollen Flüchtlingsboote mit halbver-
hungerten und -verdursteten Menschen zurück auf das
offene Meer zu schicken, ist unglaublich und erschüt-
ternd.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Sie zeugt aber auch von der Überforderung dieser Län-
der angesichts des nicht abreißenden Flüchtlingsstroms
Abertausender Schutzsuchender, was die Situation
selbstverständlich nicht besser macht oder gar als Recht-
fertigung missverstanden werden darf.

Meine Damen und Herren, auch die Nachbarländer
Myanmars müssen ihrer humanitären Verantwortung ge-
recht werden. Die gestrige Entscheidung der Außen-
minister Indonesiens und Malaysias, die circa 7 000 wei-
terhin auf hoher See ausharrenden Flüchtlinge nun doch
zumindest zeitweise aufzunehmen, ist ein Schritt in die
richtige Richtung.


(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Darüber hinaus sollten die Länder in der Region auch
gegen die kriminellen Schlepperbanden vorgehen. Wie
im Mittelmeer verdienen skrupellose Menschenschmugg-
ler auch dort mit dem Leid der Flüchtlinge ein Vermö-
gen. Die Internationale Organisation für Migration in
Asien geht davon aus, dass Schmuggler allein in dieser
Region an diesem menschlichen Desaster eine Viertel-
milliarde Dollar jährlich verdienen.

Vor allem jedoch muss Myanmar – die dortige Regie-
rung und die Gesellschaft – seine Haltung gegenüber den
Rohingya ändern; denn letztlich ist das Leid der Flücht-
linge ein Symptom der verfehlten Minderheitenpolitik in
diesem Land. Wirkliche Veränderungen und Verbesse-
rungen kann dort nur die Regierung erreichen, und dabei
müssen wir sie in die Pflicht nehmen.

Selbstverständlich möchte ich die in den vergangenen
Jahren durchgeführten Reformen nicht verschweigen:
Auf dem Weg zur Demokratie wurden in Myanmar in-
nerhalb kurzer Zeit auch Fortschritte gemacht, beispiels-
weise im Bereich der Pressefreiheit.

Solche positiven Entwicklungen dürfen nicht darüber
hinwegtäuschen, dass die Dinge an anderer Stelle, in der
Minderheitenpolitik, im Argen liegen und sogar weitere
Rückschritte drohen. Anstatt auf Betreiben radikaler
Gruppen ein neues diskriminierendes Gesetz zu erlassen,
welches Frauen in armen Regionen, damit natürlich den
Rohingya, etwa bei der Familienplanung enge Grenzen
setzt, sollte sich die Regierung vielmehr für die Beseiti-
gung von Diskriminierungen einsetzen.


(Beifall des Abg. Dr. Andreas Lenz [CDU/ CSU])


Sie muss darüber hinaus dafür Sorge tragen, dass die
Polizei bei stattfindenden Hetzjagden gegen Rohingya
tatsächlich eingreift,


(Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU])


die Opfer schützt und nicht etwa noch mitmacht. Letzt-
lich müssen die Rohingya als Minderheit anerkannt wer-
den, sie müssen ihre Staatsangehörigkeit und ihre weite-
ren Rechte wiedererlangen.

Bei alledem müssen wir berücksichtigen, dass sich
natürlich nicht ausschließlich die offiziellen Vertreter
des Landes der Diskriminierung und des Rassismus
schuldig machen. Zumeist religiöse Extremisten nutzen
vorhandene Vorurteile und schüren Hass und Miss-
trauen. Es ist klar, dass auch die Anfeindungen aus der
Bevölkerung aufhören müssen. Genau an dieser Stelle





Dr. Bernd Fabritius


(A) (C)



(D)(B)

ist auch die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu
Kyi gefordert. Selbst wenn der Einsatz für die muslimi-
sche Minderheit der Rohingya offenbar keinen Stim-
menvorteil in dem mehrheitlich buddhistischen Land
bringt, muss die Oppositionsführerin als Ikone des Wan-
dels und der Demokratiebewegung in Myanmar klar
Stellung gegen Gewalt und Diskriminierung beziehen,
und das tut sie bisher leider nicht.

Zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, muss ich allerdings sagen: Auch wenn
die Situation der Rohingya verheerend und durch nichts
zu entschuldigen ist, warne ich davor, solche Geschehen
vorschnell als Völkermord einzustufen. Völkermord ist
ein klar definierter Tatbestand, und den sehe ich hier
– das sage ich ausdrücklich – zum Glück nicht erfüllt.
Dieser Meinung sind übrigens auch Nichtregierungsor-
ganisationen wie etwa Amnesty International, Human
Rights Watch oder die Gesellschaft für bedrohte Völker,


(Michael Brand [CDU/CSU]: Mit langjähriger Erfahrung!)


die in ihren teils sehr ausführlichen Berichten zur Situa-
tion der Rohingya in Myanmar das Geschehen minutiös
aufzeigen und dennoch nicht von Völkermord sprechen.
Die Leiden der Rohingya und die nicht hinnehmbare
Haltung der Regierung Myanmars werden in keiner
Weise beschönigt oder gar negiert, wenn wir Sorge dafür
tragen, dass tatsächliche Völkermorde durch eine ab-
schwächende Verwendung des Begriffs auch für andere
Unrechtsgeschehen nicht relativiert werden.

Meine Damen und Herren, ich habe deutlich gemacht,
was wir von der Regierung Myanmars erwarten. Sie
muss künftig garantieren, dass die Menschenrechte der
Rohingya nicht weiter mit Füßen getreten werden. Ich
bin mir darüber hinaus sicher, dass unsere Bundesregie-
rung in dieser Sache das Nötige unternimmt und auch
gegenüber Vertretern Myanmars den richtigen Ton trifft.
Unsere Regierung ist gerade international bekannt dafür,
Menschenrechte überall dort zu thematisieren, wo dies
notwendig ist, und das meist mit Erfolg. Anträge wie
diesen braucht sie dafür bestimmt nicht.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810625800

Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt

Tom Koenigs das Wort.


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810625900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir

diskutieren zu so später Stunde über diesen Antrag, weil
er im Ausschuss einfach ohne Begründung abgelehnt
wurde.

Heute sind wir uns bei der Schilderung des Desasters
der Rohingya, ihrer Unterdrückung und Verfolgung völ-
lig einig. Alle Vorrednerinnen und Vorredner haben zu
dieser Schilderung etwas beigetragen. Das war alles
richtig. Darin sind wir uns einig. Aber die Mehrheit sagt:
Deshalb machen wir nichts. – Haben Sie uns gefragt, ob
wir gemeinsam einen Antrag vorlegen wollen? Frau
Glöckner sagt: Wir warten auf die SPD-Initiative. – Wo
ist sie? Wir unterstützen einen diesbezüglichen Ent-
schließungsantrag im Europäischen Parlament, und hier
machen wir nichts? Nehmen wir uns so wenig ernst, dass
wir angesichts dieses schreienden Unrechts, dieser Kata-
strophen, dieses Desasters, über das wir täglich in den
Zeitungen lesen, einfach sagen: Nein. – Herr Fabritius
sagt: Die Bundesregierung wird es richten. – Prima. Und
wir? Wir verabschieden nicht einmal eine Resolution
dazu. Hätten wir diese Debatte nicht gefordert und da-
rauf bestanden, dass sie nicht zu Protokoll geht, wären
Sie alle schon zu Hause.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810626000

Herr Kollege Koenigs, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Wunderlich?


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810626100

Ich gestatte eine Zwischenfrage, auch zwei. Wer will

sie haben?


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810626200

Bitte schön, Herr Kollege Wunderlich.


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810626300

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege

Koenigs, ich bin weder im Ausschuss für Menschen-
rechte noch in einem anderen mitberatenden Ausschuss
Mitglied, konnte die Debatten dort also nicht verfolgen.
Deswegen habe ich heute aufmerksam gelauscht und die
Forderungen in Ihrem Antrag gelesen. Angesichts der
Ablehnung im Ausschuss war ich erstaunt über die Aus-
führungen von Dr. Fabritius hier. Im Ausschuss ist der
Antrag abgelehnt worden, aber Dr. Fabritius hat hier ei-
gentlich nur Argumente geliefert, warum man dem An-
trag von Bündnis 90/Die Grünen zustimmen sollte.

Jetzt habe ich von Ihnen gehört, dass das Ganze im
Ausschuss ohne Begründung von den Koalitionsfraktio-
nen abgelehnt wurde, obwohl sich alle darüber einig
sind, dass diese Situation schlimm ist. Alle sagen: Wir
müssen einschreiten; es sterben nicht nur Leute im Mit-
telmeer, sondern auch im Pazifik. Über diese Situation
ist hier ausgiebig debattiert worden. Jetzt erfahre ich,
dass man sich im Grunde nur an der Begrifflichkeit
„Völkermord“ stößt. Warum, frage ich mich dann, hat
die Koalition in den Beratungen im Ausschuss, die in-
haltlich in die Tiefe gehen sollten, nicht einen Ände-
rungsantrag gestellt, um diesen Begriff auszutauschen?
Warum hat man nicht versucht, diese komischen Befind-
lichkeiten – so sage ich es einmal – wegzuräumen, um
den Leuten dort zu helfen? Dass man sich an so etwas
hochzieht, um die Hilfe, die in diesem Antrag gefordert
wird, abzulehnen, ist für mich schier unerträglich. Kön-
nen Sie mir da zustimmen?


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810626400

Herr Kollege, diese Frage habe ich mir auch gestellt.

Der Menschenrechtsausschuss hat eine Information der
Bundesregierung erhalten über all die Tatsachen, die in
diesem Antrag stehen. Herr Fabritius, Frau Groth und
Frau Glöckner haben sie vorhin geschildert. Darüber ist
man sich völlig einig. Dann wurde der Antrag zur Ab-
stimmung gestellt. Da hat keiner etwas gesagt. Die Ko-
alitionsfraktionen waren dagegen, und die Opposition
war dafür. Ende. – Das ist zu wenig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Herr Fabritius, jetzt zum Thema Völkermord. In dem
Antrag steht nicht, dass dort ein Völkermord passiert,
sondern dass man ihn verhindern muss. Vor einem Jahr
habe ich ein Gespräch mit dem Sonderberater des Gene-
ralsekretärs der Vereinten Nationen für die Verhütung
von Völkermord geführt. Diese Institution ist geschaffen
worden, um ein Instrument zur Durchsetzung der Kon-
vention über die Verhütung und Bestrafung des Völker-
mordes zu haben, der wir vor 60 Jahren zugestimmt ha-
ben, die wir ratifiziert haben. Herr Adama Dieng hat auf
meine Frage: „Was glauben Sie denn, wo am ehesten die
Gefahr besteht, dass ein Völkermord begangen wird?“,
auf Myanmar hingewiesen. Das haben auch Sie, Herr
Fabritius, geschildert. Dort besteht die größte Gefahr,
weil die Repression, die Diskriminierung und die Ver-
brechen so zahlreich sind. Dabei geht es übrigens auch
um religiöse Fragen, um die Zerstörung von Moscheen
usw. Daher muss man befürchten, dass es in Myanmar
zu einem Völkermord kommt. Das ist die Fluchtursache:
Die Leute haben Angst vor einem Völkermord. Deshalb
trägt der Antrag den Titel „Verfolgt, vertrieben, verges-
sen – Völkermord an den Rohingya verhindern“.

Ja, wir können dort nicht sehr viel tun. Wir könnten
im Mittelmeer sehr viel mehr tun. Was wir aber tun kön-
nen, das sollten wir auch tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir sollten nicht sagen, dass das Europaparlament oder
die SPD-Fraktion irgendwo etwas machen sollen. Des-
halb haben wir diesen Vorschlag erarbeitet. Sie können
ihn gerne erweitern. Sie können auch sagen: Wir müssen
eine gemeinsame Resolution des Bundestages erreichen.
Das hat Gewicht.

Unsere Stimme hat in Myanmar Gewicht. Die Dele-
gationen kommen hierher. Wir sind der wichtigste euro-
päische Wirtschaftspartner. Die Europäische Gemein-
schaft hat für die nächsten fünf Jahre 700 Millionen
Euro für die Förderung des Wiederaufbaus von Myan-
mar eingesetzt. Das war eine vergessene Krise. Jetzt ist
es ein Boomland. Da müssen und können wir eingreifen,
und zwar auch durch die Instrumente der Resolution und
des Appells.

Die Konferenz der Minister der Nachbarstaaten, die
Sie erwähnt haben, soll nächste Woche fortgesetzt wer-
den. Myanmar ist eingeladen. Die Generäle dort haben
aber gesagt: Wenn auch nur das Wort „Rohingya“ er-
wähnt wird, dann kommen wir nicht. – Da können Sie
sehen, dass es mit dieser Diskriminierung weitergeht.
Das sind die Vorboten eines möglichen Völkermordes.
Das müssen wir mit allen Mitteln verhindern, egal ob
das Europaparlament da etwas macht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist gut, dass das Europäische Parlament etwas macht.

Wenn Sie sagen, dass die Bundesregierung es schon
richten wird, dann frage ich mich: Wo ist denn Ihre
Selbstachtung? Wir müssen selbst etwas machen. Wir
können nicht nur die Zeitung lesen und sagen: Hoffent-
lich ist das bald wieder – was es vor einem Jahr war –
eine vergessene Krise. – Wir machen uns schuldig. Wir
sehen das. Wir müssen den Bürgern deutlich sagen: Wir
beziehen Stellung. Wir unterstützen unsere Regierung
darin, dass sie da etwas macht. Wir unterstützen die
Kämpfer vor Ort, die für die gerechte Sache kämpfen.
Wir fordern die Nobelpreisträgerin auf, sich eindeutig zu
äußern.

So viel können Sie doch machen. Lassen Sie das nicht
einfach vorbeigehen, indem Sie sagen: „Jetzt sind wir es
endlich los und gehen nach Hause“, sondern formulieren
Sie – meinetwegen zusammen mit der SPD – eine Reso-
lution. Wir werden mit Sicherheit daran mitarbeiten.
Wenn sie in diesem Tenor ist, dann werden wir sie unter-
stützen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810626500

Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völkermord
an den Rohingya verhindern“.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/3951, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2615 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenom-
men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung
sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vor-
schriften

Drucksache 18/4632

Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi-
gungsausschusses (12. Ausschuss)


Drucksache 18/4851





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/4852
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –

Ich sehe keinen Widerspruch.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Verteidigungs-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/4851, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/4632 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenom-
men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Niema
Movassat, Dr. Axel Troost, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Für ein internationales Staateninsolvenz-
verfahren

– zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Resolution der Vereinten Nationen für ein
multilaterales Rahmenwerk zur Restruk-
turierung von Staatsschulden umsetzen –
Jetzt aktiv den Arbeitsprozess der Verein-
ten Nationen mitgestalten
Drucksachen 18/3743, 18/3916, 18/4233

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache
18/4233. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3743 mit dem
Titel „Für ein internationales Staateninsolvenzverfah-
ren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-

1) Anlage 3
2) Anlage 4
empfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/3916 mit dem Titel „Resolution
der Vereinten Nationen für ein multilaterales Rahmen-
werk zur Restrukturierung von Staatsschulden umsetzen –
Jetzt aktiv den Arbeitsprozess der Vereinten Nationen
mitgestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung des Rechts über das Inverkehr-
bringen, die Rücknahme und die umweltver-
trägliche Entsorgung von Elektro- und Elek-
tronikgeräten

Drucksache 18/4901
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.3) –
Ich sehe, damit sind Sie einverstanden.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/4901 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Albani, Anette Hübinger, Albert Rupprecht, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU sowie der Abgeordneten René Röspel,
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Hubertus Heil

(Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

der SPD

Forschung und Entwicklung für die Bekämp-
fung von vernachlässigten armutsassoziierten
Erkrankungen stärken

Drucksache 18/4930

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.4) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache
18/4930. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion bei Enthal-

3) Anlage 5
4) Anlage 6





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

tung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Neunten Gesetzes zur Änderung des
Bundesverfassungsgerichtsgesetzes

(9. BVerfGGÄndG)


Drucksache 18/2737

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/4963

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat
Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1810626600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen

Sie sich vor, Politiker würden sich des makellosen Rufes
erfreuen, den die Richter des Bundesverfassungsgerichts
haben. Ich glaube, jeder der hier versammelten Abgeord-
neten wäre begeistert.


(Richard Pitterle [DIE LINKE]: Bei uns ist das der Fall!)


Das hohe Ansehen des Bundesverfassungsgerichts ist
von unschätzbarem Wert, der nicht aufgewogen werden
kann. Unser Anspruch muss es daher sein, die hohe Le-
gitimität des Bundesverfassungsgerichts zu erhalten. Die
Frage der Richterwahl trifft dabei den Kern des Ganzen.
Grundsätzlich geregelt ist sie in Artikel 94 Grundgesetz,
konkretisiert wird sie in § 6 des Bundesverfassungsge-
richtsgesetzes. Diese Konkretisierung im Bundesverfas-
sungsgerichtsgesetz trat 1951, also vor fast 65 Jahren, in
Kraft; und sie ist seither hochstrittig. Selbst der amtie-
rende Präsident des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle
hat die geltende Regelung der Richterwahl in seiner
Kommentierung von Artikel 94 Grundgesetz noch im
Jahr 2010 mit deutlichen Worten als verfassungswidrig
deklariert. Seltsamerweise hat er aber dann zwei Jahre
später den Beschluss mitunterzeichnet, nach dem das
Gericht die Regelung zur Richterwahl als verfassungs-
konform ansieht.

Die Kritiker der jetzigen Rechtslage bemängeln, dass
sich das Bundestagsplenum der zentralen Aufgabe der
Auswahl der eigenen Kontrolleure nicht entledigen
dürfe. So nämlich wird die Delegierung der Auswahl an
den Wahlausschuss gewertet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass
wir in einem fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf die-
ser Kritik begegnen und Änderungen vornehmen. Es
bleibt zwar auch künftig bei dem zwölfköpfigen Wahl-
ausschuss. Dieser wählt aber nicht mehr die Richter des
Bundesverfassungsgerichts; stattdessen beschließt er mit
mindestens acht Stimmen einen Wahlvorschlag. Die
Richter werden auf diesen Vorschlag hin im Plenum
ohne Aussprache gewählt und müssen dort eine Zwei-
drittelmehrheit erhalten.

Dennoch – der Änderungsantrag der Grünen macht es
deutlich – konnten wir trotz des fraktionsübergreifenden
Gesetzentwurfs nicht in allen Punkten Einigkeit errei-
chen. Die Grünen fordern zum Beispiel eine Frauen-
quote von 37,5 Prozent in jedem der beiden Gerichts-
senate.

Meine Damen und Herren, die SPD ist die Partei der
Quote.


(Beifall bei der SPD – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich erzähle gleich mal was aus dem Nähkästchen! – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Ihr wollt also 40 Prozent?)


Wir haben das Gesetz zur Frauenquote in Führungsposi-
tionen durchgesetzt. Aber das Gesetz war auch sorgfältig
vorbereitet und wurde vorher intensiv und medial disku-
tiert. Genau das ist hier nicht der Fall. Hier soll quasi im
Vorbeigehen kurz vor Ende der zweiten Lesung ein
Schnellschuss abgefeuert werden, der mehr grundsätzli-
che Fragen als Antworten aufwirft: Warum eine 37,5-Pro-
zent-Quote? Warum sollen nur die Senate des Bundes-
verfassungsgerichts quotiert werden? Warum sollen
nicht auch andere Gerichte quotiert werden? Warum soll
nicht zum Beispiel auch die Finanzgerichtsbarkeit, die
bislang den geringsten Frauenanteil aller Gerichtsbarkei-
ten aufweist, quotiert werden?


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die nicht im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt wird!)


All das sind Fragen, die man lösen kann, aber nicht,
indem man kurz vor Ultimo eben einen kleinen Ände-
rungsantrag mit gravierender Tragweite einbringt. Und
natürlich hätte man vorher eine umfängliche Anhörung
zur Thematik durchführen müssen. Nein, ein solcher
Schnellschuss entspricht keiner verantwortungsvollen
Politik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das würde ich einmal bei der Vorratsdatenspeicherung berücksichtigen!)


Lassen Sie mich aber am Ende doch festhalten: Mit
dem heute zu beschließenden Gesetz werden wir ein
Wahlverfahren für das höchste deutsche Gericht korri-
gieren, das seit Jahrzehnten verfassungsrechtlich und
verfassungspolitisch hochstrittig war. Meine Damen und





Dr. Matthias Bartke


(A) (C)



(D)(B)

Herren, daher gilt: Heute ist ein guter Tag für unseren
Rechtsstaat!

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810626700

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Richard Pitterle,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1810626800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Mit meiner Zustimmung zu dem vor-
liegenden Gesetzentwurf schaffe ich mich ab, natürlich
nicht als Person, sondern als privilegiertes Mitglied die-
ses Bundestags, das bisher bereits an der Wahl der Rich-
ter am Bundesverfassungsgericht beteiligt war. Künftig
sollen, wie wir bereits gehört haben, die Richter vom
Plenum des Deutschen Bundestages gewählt werden.
Das ist richtig und wichtig. Damit brechen wir mit einer
34 Jahre alten Tradition. Das ist aus meiner Sicht keine
reine Formsache. Wenn wir die Richterinnen und Richter
im Plenum wählen, wird das vielmehr der Bedeutung
dieses Gerichts, das Entscheidungen mit Gesetzeskraft
trifft und das auch Entscheidungen des Bundestages re-
vidieren kann, erst wirklich gerecht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde es auch gut, dass dieser Weg über Fraktions-
grenzen hinweg bestritten wird, was sich in einem ge-
meinsamen Gesetzentwurf aller vier Fraktionen des
Bundestages widerspiegelt.

Bei der großen Freude über die Einigkeit, was diesen
Schritt angeht, bleibt ein Wermutstropfen. Angesichts
der Tatsache, dass nur 5 von 16 Mitgliedern des Bundes-
verfassungsgerichts weiblich sind, hätten wir uns schon
eine verbindliche Quotierung gewünscht, wie es auch im
Änderungsantrag der Grünen gefordert wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Warum ist mir dieser Punkt wichtig? Jedem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts geht ein Abwägungsprozess
zwischen der Lebensrealität und den verfassungsrechtli-
chen Ansätzen voraus. In einen solchen Abwägungspro-
zess gehen unterschiedliche Sichtweisen ein. Wir wis-
sen: Sichtweisen sind durch Lebenserfahrung geprägt.
Wir wissen auch, dass Männer und Frauen unterschiedli-
che Lebenserfahrungen haben. Ich hätte mir gewünscht,
dass diese unterschiedlichen Erfahrungsansätze in diesen
Abwägungsprozess Eingang finden.

Die Vertreter der Regierungskoalition müssen sich
schon fragen, warum eine Frauenquote, die wir vor eini-
gen Wochen hier ja tatsächlich für DAX-Unternehmen
beschlossen haben, ausgerechnet für das höchste Organ
der Rechtsprechung nicht gelten soll.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Weil es ein Verfassungsorgan ist!)


Wir sollten auch darüber nachdenken, wie wir unserer
Verantwortung für die Richterinnen und Richter am
Bundesverfassungsgericht gerecht werden. Das Bundes-
verfassungsgericht ist in den letzten Monaten und Jahren
in die Rolle eines Ersatzgesetzgebers gedrängt worden.
Deswegen sollten wir uns als Ziel vornehmen, hier künf-
tig mehr verfassungskonforme Gesetze zu verabschie-
den.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das machen wir doch!)


Hätten Sie in der Vergangenheit auf uns gehört, dann
wäre den Richtern des Bundesverfassungsgerichts viel
Arbeit erspart geblieben. Das sage ich jetzt aus aktuel-
lem Anlass. Wenn das Bundesverfassungsgericht im
letzten Dezember entschieden hat, dass Teile des Erb-
schaftsteuergesetzes verfassungswidrig sind, weil eine
nicht zu rechtfertigende Privilegierung der deutschen
Oligarchen dadurch stattfindet,


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


dann sollten wir nicht im nächsten Schritt versuchen,
diese Privilegien zu erhalten.


(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Das gibt es bei Putin!)


So würde das Bundesverfassungsgericht von Arbeit ent-
lastet.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810626900

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Elisabeth

Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1810627000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden
je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate ge-
wählt“, so besagt es Artikel 94 Absatz 1 Satz 2 unseres
Grundgesetzes. Der Bundesrat hat das für seine Hälfte
gleich von Anfang an so umgesetzt, wie man das erwar-
tet. Wenn vom Bundesrat die Rede ist, dann denkt man
ans Plenum, und dort werden auch die vom Bundesrat zu
wählenden Richter ausgewählt.

Der Bundestag ist von Anfang an einen anderen Weg
gegangen – wir haben es gerade gehört –: Ein zwölfköp-
figes Gremium übernimmt das für uns. Das ist nicht so
richtig transparent, nicht jeder bekommt mit, was da pas-
siert. Es wird so gut wie keine öffentliche Notiz davon
genommen. Dabei ist es durchaus von Bedeutung, wel-
che Persönlichkeiten diese Aufgabe beim Bundesverfas-





Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)

sungsgericht für uns alle wahrnehmen. Sie legen für uns
die Verfassung verbindlich aus, sie entscheiden auch
teilweise über unsere gesetzgeberischen Entscheidun-
gen. Da macht es nicht nur einen Unterschied, welche
rechtliche Qualifikation man mit sich bringt, sondern
auch, welche Lebenserfahrung man mitbringt, welches
Geschlecht man mitbringt, vielleicht auch, aus welcher
Region des Landes man kommt. Deshalb hat das durch-
aus mehr Aufmerksamkeit verdient.

Es ist gut, dass wir heute dieses Verfahren ändern, es
aus diesem kleinen Gremium herausholen und ins
Plenum verlagern und dass wir hier demnächst mit
Zweidrittelmehrheit im gesamten Rund der Abgeordne-
ten entscheiden. Mindestens die Hälfte der Mitglieder
des Bundestages muss sich dann für einen Richter aus-
sprechen.

Was erreichen wir damit? Wir nähern uns vor allem
zunächst einmal dem Wortlaut von Artikel 94 des
Grundgesetzes. Es hat schon öfter Streit gegeben, ob das
bisherige Verfahren überhaupt diesem Artikel genügt.
Seinerzeit hat auch Herr Voßkuhle – das muss er sich
jetzt noch öfter anhören – eine andere Meinung dazu
vertreten als jetzt als Präsident des Bundesverfassungs-
gerichts.

Ich denke, es liegt auch auf der Linie des Bundesver-
fassungsgerichts, zu sagen, dass alle wesentlichen Ent-
scheidungen im Plenum des Bundestages getroffen wer-
den müssen und eben nicht auf die Regierung oder auf
kleinere Gremien übertragen werden können. Es liegt
aber vor allem auf der Linie, die Legitimation des Bun-
desverfassungsgerichts zu stärken. Wir haben den
Grundsatz, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Das
gilt für uns als Parlament ganz klar, aber es gilt eben
auch für das Bundesverfassungsgericht, im Übrigen ge-
nauso für den Bundesgerichtshof und die anderen Bun-
desgerichte; das sei hier auch noch einmal gesagt. Ich
denke, uns Abgeordneten ist das sehr bewusst, weil wir
uns dem alle vier Jahre wieder stellen müssen. Es ist
aber der Wahlakt, der uns legitimiert, von dem sich letzt-
endlich auch die Staatsgewalt der Gerichte ableitet.
Diese Ableitung wird gestärkt und damit auch die Legiti-
mation, wenn dieser überflüssige Zwischenschritt weg-
fällt, nicht mehr das Parlament einen kleinen Ausschuss
bestimmt, der die Richter wählt, sondern das Plenum
unmittelbar die Richter wählt. Das ist ein Mehr an Legi-
timation, ein Mehr an Transparenz, ein Mehr an Nähe,
die wir unserem gemeinsamen Souverän, denke ich,
schulden, dem gemeinsamen Souverän, der uns legiti-
miert und auch finanziert und der von unseren Entschei-
dungen auch betroffen ist.

Die Anforderungen, die an uns als Parlamentarier ge-
stellt werden, auch in Bezug auf Transparenz, in Bezug
auf unsere Person, auf unsere Entscheidungen, sind
hoch. Sie sind nicht zuletzt auch durch die Anforderun-
gen des Bundesverfassungsgerichts an uns sehr hoch.
Ich denke, es ist dann konsequent und liegt auch auf der
Linie dieser Entscheidungen, wenn wir heute in einem
behutsamen ersten Schritt auch mehr Transparenz in die
Wahl der Bundesverfassungsrichter bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])


Ein Stück weit ist es auch dieser Transparenz geschul-
det, dass wir heute Abend hier diese Debatte sozusagen
in Wort und Bild führen und die Reden nicht nur zu Pro-
tokoll geben. Ich denke, das ist eine kleine Reminiszenz
an die Bedeutung dessen, was in dieser Debatte beraten
wird.

Nun kann man im Rückblick sicher sagen, dass die
Entscheidungen, die der kleine Wahlausschuss bisher ge-
troffen hat, im Ergebnis gut waren. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat ein hohes Renommee, und das liegt an
der Qualität der Entscheidungen, die dort getroffen
worden sind, und auch an dem hohen Renommee der
Richter, die dort tätig sind.

Stellen wir uns das Anforderungsprofil vor: Dazu ge-
hören sehr gute rechtliche Kenntnisse, ein sehr gutes
Standing, eine sehr gute Überzeugungskraft und auch
die Bereitschaft, sich auf die Argumente der anderen,
auch der anderen Kollegen, einzulassen. Es gehört si-
cherlich nicht dazu, dass man immer die große Bühne
sucht. Das berücksichtigen wir in unserem Verfahren.
Wir schaffen das Mehr an Transparenz, ohne ins glatte
Gegenteil zu verfallen, ohne also amerikanische Verhält-
nisse herbeizuführen. Ich denke, dass wir so diesem
wichtigen Wahlvorgang mehr Aufmerksamkeit verschaf-
fen, die er auch verdient, und zugleich einen sehr guten
Rahmen schaffen, sodass wir bei alldem auch in Zukunft
die richtigen Kandidaten und Kandidatinnen auswählen.

Ich danke Ihnen für das Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810627100

Vielen Dank. – Als Nächstes hat Renate Künast,

Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1810627200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, gut,

dass wir hier die Debatte echt führen. Ich glaube, es ist
dem Thema auch angemessen, dass die Reden nicht ein-
fach zu Protokoll gegeben werden.

Ja, heute ist ein guter Tag insoweit, als wir einen ge-
meinsamen Gesetzentwurf haben, durch den § 6 Bundes-
verfassungsgerichtsgesetz geändert werden soll. Wenn
Meilensteine unterschiedliche Größenordnungen haben
könnten, handelte es sich immerhin um einen kleinen
Meilenstein, der auch eine Schieflage beseitigt.

Es wäre doch kurios, die höchsten Richterinnen und
Richter dieses Landes würden nur in einem Wahlaus-
schuss gewählt, in dem, ich glaube, mehr Geheimhal-
tung war als an manch anderen Orten. Zumindest in den
Zeitungsartikeln, die ich immer gelesen habe, kamen
mehr die vereinigten Kaffeesenate zu Wort. Es taten mir
immer die leid, die da gehandelt wurden, es dann aber
doch nicht wurden. Das sprach auch ein bisschen für
diesen kleinen Wahlausschuss: die Wertschätzung ge-
genüber den Personen.





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

Heute schaffen wir natürlich eine bessere Vergleichs-
situation. Es wäre ja komisch, die höchsten Richterinnen
und Richter würden nicht im Plenum gewählt, aber der
Wehrbeauftragte zum Beispiel würde dort gewählt.
Nichts gegen selbigen, aber man muss ja irgendwie eine
ausgleichende Linie hinbekommen.

Wir als Grüne hätten uns mehr gewünscht. Herr
Bartke, wir hätten uns natürlich mehr gewünscht, schon
allein für das Bundesverfassungsgericht. Aber das ist ja
schon einmal etwas nach all der Kritik der letzten Jahre.
Ich meine, wir sind natürlich freie Bürgerinnen und Bür-
ger und Abgeordnete in einem freien Land. Wir dürfen
auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
kritisieren. Aber wenn dann zu oft gesagt wurde: „Da
sind die zu weit gegangen, das steht denen gar nicht zu“,
kriegte das doch manchmal einen Unterton, bei dem ich
dann dachte, obwohl auch ich frech losreden kann: Das
geht jetzt eigentlich zu weit. Da fehlt der Respekt vor der
dritten Gewalt.

Wir hätten noch mehr machen können. Ich hätte mir,
weil wir ja wollen, dass es ein selbstbewusstes und unab-
hängiges Gericht ist, was Deutschland ja auszeichnet
und worauf wir an der Stelle stolz sein können, natürlich
auch noch vorstellen können, dass es so geregelt worden
wäre, dass tatsächlich öffentliche Anhörungen, Anhö-
rungen im Rechtsausschuss usw. hätten stattfinden müs-
sen. Da gibt es noch manche Verbesserungsmöglichkei-
ten. Was wir Ihnen heute jedenfalls nicht ersparen
konnten, ist unser Änderungsantrag, der zwei Punkte
enthält. Ich will darauf kurz eingehen.

Der erste Punkt ist das Zählverfahren für die Beset-
zung der Sitze. Hier wird immer noch das Verfahren
nach d’Hondt angewandt. Wir wollen das Verfahren
nach Sainte-Laguë/Schepers. Ja, ich gebe zu, das ergibt
für die kleine Opposition – je kleiner, desto mehr – mehr
Plätze. Aber das ist ja wohl in heutigen Zeiten, in denen
wir über Minderheitenschutz und auch über die demo-
kratische Legitimation der Bundesverfassungsrichter re-
den, keine falsche Überlegung. Da, glaube ich, ist es gut,
wenn am Ende alle Fraktionen, wie viele wir auch im-
mer haben, daran beteiligt sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Harbarth, der jetzt nicht hier ist, hat im Aus-
schuss gesagt: Jedes Sitzverteilungsverfahren hat seine
Vorzüge und Nachteile. Das mag stimmen. Er hat daraus
jedoch abgeleitet, dass er keine Notwendigkeit für eine
Änderung sieht. Ich sage Ihnen: Sie müssten begründen,
warum dieser Richterwahlausschuss für das Bundesver-
fassungsgericht das einzige Gremium ist, das noch nach
d’Hondt besetzt wird. So herum sollte es sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der zweite Punkt ist die Frage nach einer Frauen-
quote. Lassen Sie mich Ihnen, Herr Bartke, sagen: Ich
war in der letzten Legislaturperiode dabei und habe die-
ses Geschäft sehr systematisch vier Jahre betrieben, auch
mit CDU-Frauen, zum Beispiel mit Rita Pawelski, die
leider jetzt nicht mehr dabei ist. Lassen Sie mich Ihnen
eine Lebensweisheit mit auf den Weg geben, weil ich ja
weiß, was die SPD in der letzten Legislaturperiode ge-
macht hat: Nicht jeder, der auf einen fahrenden Zug auf-
springt, ist deshalb auch gleich Lokomotivführer.


(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Ein ganz schlechter Vergleich!)


Zu sagen: „Wir sind die Partei der Quote“, das geht dann
doch zu weit. Dass Sie am Ende im Ministerium die
Funktion hatten, das federführend vorlegen zu müssen,
gestehe ich Ihnen zu. So war es. Ich sage Ihnen: Ich
finde, eine Quote mit dem Inhalt: „Mindestens drei Män-
ner oder Frauen müssen in einem Senat vertreten sein“,
ist nicht zu viel verlangt, nachdem wir eine Quote für
Aufsichtsräte börsennotierter mitbestimmungspflichtiger
Unternehmen beschlossen haben.

Ich weiß nicht, wen man zu dieser Frage noch hätte
anhören können. Sie hätten natürlich auch eine Anhö-
rung beantragen können und sagen können, dass Ihnen
die Beratungen noch nicht reichen. Aber eins nehme ich
auf, Herr Bartke: Wir werden Sie beim Wort nehmen.
Hier und an vielen anderen Gerichtsstellen sind Sie jetzt
in der Pflicht, mit uns dafür zu sorgen, dass in dieser
Wahlperiode noch etwas passiert. Ich sage Ihnen: Ich
finde die Aktion des Deutschen Juristinnenbundes rich-
tig, der gefordert hat: Mehr Frauen in die roten Roben! –
Das wäre ein weiterer kleiner Fortschritt. So ist es ein
kleiner Meilenstein, ein Schritt vorwärts.

Sie dürfen sicher sein: Wir stimmen zu, um dem Ver-
fassungsgericht mehr Würde zu geben, aber wir werden
Sie ab morgen früh wieder fragen, was Sie, Herr Bartke,
dafür tun, dass mehr Frauen an den Gerichten in Füh-
rungspositionen und nicht nur in unteren Positionen
sind. Wenn das so ist, dann ist es ein guter Tag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810627300

Vielen Dank, Frau Kollegin Künast. – Nächste Red-

nerin ist jetzt Dr. Katarina Barley, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Katarina Barley (SPD):
Rede ID: ID1810627400

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Gäste, die zu dieser späten Stunde
noch da sind! Ich muss zugeben, ich hätte mir ge-
wünscht, dass wir diesen Tagesordnungspunkt an einer
etwas prominenteren Stelle der Tagesordnung diskutie-
ren; denn es geht hier ein Stück weit um etwas sehr
Grundsätzliches. Es geht um die Balance der Gewalten
in unserem Staat. Das ist etwas, was enorm wichtig ist.
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sich ei-
niges dabei gedacht, als sie die Struktur so geschaffen
haben, wie sie jetzt ist. Sie haben dem Bundesverfas-
sungsgericht eine sehr starke Stellung gegeben. Das war
ja durchaus ein Risiko. Die Verantwortung liegt nun-
mehr in den Händen von 16 Einzelpersonen. Das hätte
auch schiefgehen können. Aber jetzt können wir konsta-
tieren – ich glaube, da sind wir alle einer Meinung –,





Dr. Katarina Barley


(A) (C)



(D)(B)

dass sich – ich mag diesen Satz sonst überhaupt nicht –
diese Konstruktion wirklich sehr bewährt hat.

Doch auch das Verfahren, so wie wir es bisher in ei-
nem kleinen Ausschuss mit einer relativ späten Beteili-
gung der Öffentlichkeit betrieben haben, hat sich be-
währt. Es ist schon gesagt worden: Anhand des
Wortlautes war es immer umstritten, ob die Entschei-
dung alleine durch den Wahlausschuss gefällt werden
kann. Auch ich bin froh, dass wir heute eine entspre-
chende Änderung hinbekommen.

Ich muss zugeben, Frau Künast, dass ich mit Ihnen
nicht ganz einer Meinung bin, was eine noch weiterge-
hende Öffnung im Hinblick auf zum Beispiel öffentliche
Anhörungen angeht. Ich glaube, dass ein Verfahren, das
dem amerikanischen ähnelt, unserer Art, Verfassungs-
rechtsprechung zu betreiben, nicht gerecht wird.

Ich selbst hatte das Privileg, am Bundesverfassungs-
gericht zu arbeiten. Ich kann nur bestätigen, dass die Par-
teizugehörigkeit, wenn es denn überhaupt eine gibt, oder
die Partei, die den jeweiligen Richter oder die jeweilige
Richterin nominiert hat, keine Rolle bei der Entschei-
dungsfindung spielen. Es geht tatsächlich um die Per-
sönlichkeiten und ihre Erfahrungen; das wurde schon
mehrfach angesprochen. Insofern möchte ich davor war-
nen, in zu großen Schritten in diese fragile Balance ein-
zugreifen. Ich will das nicht für alle Zeiten ausschließen.
Aber ich halte es für sehr gut, wenn wir ganz behutsam
vorgehen. Ich glaube, dass wir jetzt einen vielleicht klei-
nen, aber wichtigen Schritt in die richtige Richtung ge-
hen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810627500

Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1810627600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Artikel 94 unseres Grundgesetzes besagt, dass
die Richter des Bundesverfassungsgerichts in gleichen
Teilen durch den Bundesrat und den Bundestag zu wäh-
len sind. Mit der heutigen Entscheidung gleichen wir die
Verfassungspraxis dem Verfassungswortlaut an. Mit die-
ser Entscheidung wird eine stärkere demokratische Legi-
timation der Richter des Bundesverfassungsgerichts her-
beigeführt. Das ist wichtig und notwendig, weil das
Verfassungsgericht ein Verfassungsorgan ist und weil
seine Entscheidungen in bestimmten Bereichen selbst
Gesetzeskraft bekommen können.

Mit dieser Entscheidung ist aber kein Auftrag zu einer
stärkeren politischen Positionierung des Bundesverfas-
sungsgerichts verbunden. Die Grenze verfassungsrecht-
licher Rechtsprechung ist die grundrechtssensible ge-
setzgeberische Wertentscheidung des Parlaments. Das
gilt es nach wie vor zu beachten. Natürlich ist die Grenze
fließend. Sie muss und sollte aber bestimmbar sein im
Interesse beider Verfassungsorgane, nicht nur im Sinne
eines gegenseitigen Respekts, sondern im Interesse einer
funktionierenden Gewaltenteilung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sosehr das Gericht dem Gesetzgeber verfassungsrechtli-
che Schranken im Bereich der Grundrechtsinterpretation
aufzeigt, so sehr darf auch der Bundestag den Wunsch
äußern, dass die reinen politischen Wertentscheidungen
respektiert und berücksichtigt werden.

Meine Damen und Herren, der Änderungsantrag von
Bündnis 90/Die Grünen auf Einführung einer Frauen-
quote am Bundesverfassungsgericht ist nicht der richtige
Weg.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


Natürlich gilt der Grundsatz – er hat zu allen Zeiten ge-
golten und gilt auch zukünftig –: Wir wollen die besten
Frauen und Männer an diesem Gericht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gilt aber auch der Grundsatz: Verfassungsorgane quo-
tiert man nicht, man respektiert sie.


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das denn? – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das denn? – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das denn?)


Am kommenden Samstag feiert unser Grundgesetz
den 66. Geburtstag seiner Verabschiedung. Es hat sich
im Laufe der Jahre von einem Provisorium zu einer welt-
weit geachteten Verfassungsordnung entwickelt. Und
das Bundesverfassungsgericht hat mit richtungsweisen-
den Entscheidungen und großartigen Richtern einen sehr
entscheidenden Anteil daran, dass diese Verfassungsord-
nung weltweit respektiert und nachgeahmt wird. Deswe-
gen gilt an dieser Stelle dem Bundesverfassungsgericht
auch der Dank für die Unterstützung und die Aufrechter-
haltung unserer verfassungsgemäßen Ordnung.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das brauchen wir auch bei den Gesetzen, die Sie verabschieden!)


Meine Damen und Herren, man sagt nach einem ge-
flügelten Wort: Mit 66 Jahren fängt das Leben an.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das war ein Lied! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht, dass Sie das jetzt singen! – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Leben des Verfassungsgerichts fängt jetzt nicht an,
sondern es soll in den kommenden Jahren respektvoll
und durch Würde getragen weitergehen, damit wir ge-
meinsam, alle Verfassungsorgane, diese Verfassungsord-





Dr. Volker Ullrich


(A) (C)



(D)(B)

nung, in der die Würde des Menschen und die Freiheit
der Person festgeschrieben sind, respektieren und weiter
fortschreiben. Es handelt sich, glaube ich, um die beste
Verfassungsidee, die wir haben; wir sollten sie bewah-
ren. In dem Sinne bitte ich um Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1810627700

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Der Ausschuss
für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/4963, den Ge-
setzentwurf auf Drucksache 18/2737 anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4978 vor, über
den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Der Änderungs-
antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der Opposition abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung mit den Stimmen des gesamten
Hauses angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zum Internationalen Erbrecht und zur
Änderung von Vorschriften zum Erbschein
sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften

Drucksache 18/4201

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/4961
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/4961, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4201 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf.

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Protokollerklärung zum Gesetz zur
Anpassung der Abgabenordnung an den Zoll-
kodex der Union und zur Änderung weiterer
steuerlicher Vorschriften

Drucksache 18/4902
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/4902 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich
sehe, es gibt keine weiteren Vorschläge. Dann ist so be-
schlossen.

Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung angekommen.

Ich bedanke mich bei Ihnen für die regen Debatten
und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundesta-
ges auf morgen, Freitag, den 22. Mai 2015, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.