Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-zung ist eröffnet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Verbesse-rung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfas-sungsschutzes.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Herr Bundesminister des Innern, HerrDr. Thomas de Maizière. – Herr Minister, Sie haben dasWort.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich glaube, es ist geboten, dass ich mitteile, dass dasBundeskabinett heute zu Beginn der Sitzung der Opferdes Flugzeugabsturzes gedacht hat; auch um den Ange-hörigen zu zeigen, dass wir gemeinsam mit ihnen trau-ern, habe ich gestern in Absprache mit Spanien einedreitägige Trauerbeflaggung bis einschließlich Freitagfür die Bundesbehörden angeordnet. Ich bin sicher, dieLänder werden das übernehmen. Es wird vermutlichauch eine Trauerfeier geben. Dann wird diese Beflag-gung sicher auch noch einmal erfolgen.Ich will einen weiteren Satz sagen, da Sie das wahr-scheinlich von mir erwarten und ich nicht möchte, dassdazu Nachfragen provoziert werden: Spekulationen undMutmaßungen zu möglichen Unfallursachen sollten un-terbleiben. – Das ist schon mit Rücksicht auf die Opferund deren Angehörige meine dringende Bitte an alle Be-teiligten. Auch nach aktuellem Stand gilt: Es gibt keinebelastbaren Hinweise darauf, dass die Ursache für denAbsturz absichtlich durch Dritte herbeigeführt wurde.Selbstverständlich ist aber, dass mit Hochdruck in alleRichtungen ermittelt wird. – Ich glaube, das Parlamenthat Anspruch darauf, dass der Bundesinnenminister zuBeginn seine Einschätzung mitteilt.Neben anderen Tagesordnungspunkten waren in derTat das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Ge-setzentwurf zur Verbesserung der Zusammenarbeit imBereich des Verfassungsschutzes ein zentrales Thema;auch das ist in diesem Hause nichts Neues. Der Bundes-tag hat darauf gedrungen, dass es Reformmaßnahmengibt – viele sind in Bund und Ländern angelaufen –, aberauch gesetzgeberischen Umsetzungsbedarf gesehen. Dashat natürlich mit dem Schock des NSU-Versagens zu tunund findet jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurfeine Antwort, soweit diese gesetzgeberisch erfolgenkann.Zunächst einmal wollen wir das Bundesamt für Ver-fassungsschutz stärken. Das geschieht dadurch, dass dasBundesamt für Verfassungsschutz eine koordinierendeRolle bekommt und wie eine Zentralstelle arbeiten kann.Da hätte sich mancher aus dem NSU-Untersuchungsaus-schuss, wie ich weiß, noch mehr gewünscht. Aber das isteinem Kompromiss mit den Ländern geschuldet. Wir ha-ben umgekehrt darauf bestanden, dass dann, wenn es ge-waltbereite Bewegungen oder Organisationen in einzel-nen Ländern gibt, im Einzelfall im Benehmen – auchohne Einvernehmen – das Bundesamt für Verfassungs-schutz dort beobachten können muss. Ich hatte den Ein-druck, das wäre ein Kompromiss gewesen. Neuerdingshöre ich daran wieder Kritik. Ich glaube aber, es ist einvernünftiger Kompromiss. Im Übrigen haben wir dasGesetz so ausgestaltet, dass es nicht zustimmungspflich-tig ist.Zweitens haben wir in diesem Gesetzentwurf geregelt,dass der Umgang mit den vorhandenen Daten vernünftigerfolgt. Ich wage es kaum zu sagen: Wir schreiben jetztin das Gesetz hinein, dass sich die Verfassungsschutzbe-hörden der Länder und des Bundes verpflichten, alle re-levanten Informationen untereinander auszutauschen.Das wird dann Gesetzeslage. Ich bedauere, dass wirdiese Formulierung in das Gesetz schreiben müssen;aber es gab dazu ja Anlass.Es gibt jetzt einen klaren Zugang zu NADIS, das istdas Informationssystem. Es gibt auch die Verknüpfungvon Informationen zu Personen und Ereignissen. Auchdas war mangelhaft. Daran kann es natürlich daten-
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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schutzrechtliche Kritik geben. Die ist auch vorgetragenworden. Man kann aber nicht verlangen, dass die vor-handenen Informationen besser ausgetauscht werden,und gleichzeitig verlangen, dass man es nicht darf, weiles ein Datenschutzproblem ist. Das passt beides nichtzusammen.Gleichwohl haben wir den datenschutzrechtlichenUmgang genauer geregelt. Die Befugnis derer, die zu-greifen können, ist zum einen begrenzt, zum anderengibt es eine Protokollierungspflicht, wer zugreift. Auchdas war ja ein Problem. Ich hoffe, dass damit auch demDatenschutz Rechnung getragen wird.Wir haben außerdem – das ist ein sehr wichtigerPunkt – Klarheit bei den V-Leuten geschaffen. DieseV-Leute sind ja Menschen, mit denen man vielleichtnicht so gerne zusammenarbeiten möchte, aber manbraucht sie, um an Informationen zu gelangen. Und siesind in einer Szene, in der es ein szenetypisches Verhal-ten gibt, das wir politisch oder sogar rechtlich missbilli-gen. Bisher gab es zum Einsatz von V-Leuten nur spe-zielle Regelungen in Verwaltungsvorschriften und durchlose Absprachen. Wir schaffen dafür erstmals einen kla-ren gesetzlichen Rahmen und klare Grenzen.Grenzen heißt: Szenetypisches Verhalten einschließ-lich Straftaten ist zulässig. Erfolgt rechtswidrig eine Be-teiligung an erheblichen Straftaten, soll der Einsatzunverzüglich beendet werden. Die Verletzung von Indi-vidualgütern wie Körperverletzung ist nicht zulässig.Gleichwohl haben wir vorgesehen, dass dies grundsätz-lich gilt. Wenn es im Einzelfall einmal anders ist, mussdarüber der Behördenleiter oder sein Vertreter entschei-den. Nehmen wir einmal den Fall eines Dschihadisten,der aus Syrien oder dem Irak zurückkommt und bei demwir vermuten, dass er schwere Straftaten begangen hat,mit dem wir aber die Möglichkeit hätten, in die Szene hi-neinzusehen, um einen Anschlag zu verhindern. Wir wä-ren ja fahrlässig, wenn wir diese Information nicht nut-zen würden und diesen V-Mann nicht abschöpfenwürden. In diesem Einzelfall muss der Behördenleiteroder sein Vertreter sagen, dass abweichend vom Grund-satz so verfahren wird.Das ist eine schwierige rechtsstaatliche Abwägungs-entscheidung, weil wir hier Menschen, die es nicht ver-dienen, sozusagen in gewisser Weise straffrei stellen.Dass aber in der Abwägung so entschieden werden kann,ist nötig zur Gewinnung von Informationen, die wir fürdie Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und für denBestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnungbrauchen. Das ist eine klare Regelung. Sie ist rundumabgestimmt. Sie ist neu. Der Rechtsstaat regelt das erst-mals aufgrund der Erfahrungen des NSU-Untersu-chungsausschusses.Dieses Gesetz ist sorgfältig abgestimmt. Wir werdenbald eine erste Lesung haben, und ich hoffe, dass wir esschnell beraten können, damit wir damit eine Konsequenzaus dem NSU-Untersuchungsausschuss ziehen können.
Vielen Dank, Herr Minister. – Als erste Abgeordnete
hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion Die Linke
das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Minister, es ist kein
Geheimnis, dass wir beide wohl in diesem Leben nicht
mehr zu einer übereinstimmenden Positionierung hin-
sichtlich der Existenz des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz kommen. Meiner Ansicht nach wäre es konse-
quent gewesen, den Verfassungsschutz als Geheimdienst
aufzulösen und die V-Leute-Praxis sofort zu beenden.
Gleichwohl werde ich konkrete Fragen zu Ihrem Gesetz-
entwurf stellen.
Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass Personen als
V-Leute angeworben werden können, gegen die Vorstra-
fen in Höhe von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf
Bewährung verhängt wurden. Laut Strafverfolgungssta-
tistik aus 2013 fielen darunter neben schweren Gewalt-
delikten sogar Tötungsdelikte. Ist es nach Auffassung
der Bundesregierung angemessen und zur Bekämpfung
und Verhinderung von Straftaten geeignet, dass der Staat
mit solchen Schwerverbrechern zusammenarbeitet?
Herr Minister.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Abgeordnete Pau, zunächst will ich sagen: Ichrespektiere in vollem Umfang Ihre Arbeit im NSU-Un-tersuchungsausschuss, auch Ihre ganz persönliche, undweiß uns in vielen Fragen einig, in der Frage der Ab-schaffung des Bundesamtes allerdings nicht.Ich glaube, es wäre nicht sinnvoll, der Polizei Vor-feldbeobachtungsaufgaben zu übertragen. Außerdemwäre es überhaupt nicht sinnvoll, den Rechtsstaat imHinblick auf die Beobachtung von Vorfeldarbeit extre-mistischer Bestrebungen blind zu machen. Das habenwir, glaube ich, aus den Erfahrungen der Weimarer Re-publik gelernt. Wir sind ein wehrhafter Staat, und des-wegen ist das so absolut richtig. Deswegen hat das Bun-desamt ja auch keine exekutiven Befugnisse, aber eineFrühwarn- und Warnfunktion.Der Vorwurf im Zusammenhang mit dem NSU wardoch: Wie konnte es geschehen, dass ihr das nicht habtkommen sehen?
– Trotz der vielen V-Leute. Von mir aus, ja. – Ohne eineVerfassungsschutzbehörde würde man jedenfalls diesenVorwurf in Zukunft immer hören. Deswegen halte ichIhre Konsequenz nicht für gerechtfertigt.Was nun das Führen der V-Leute angeht, so gab esdort in der Tat Mängel und Missbrauch. Mit dem vorlie-genden Gesetzentwurf räumen wir damit auf – mit kla-ren gesetzlichen Regelungen, die es bisher nicht gab.Das, was Sie gesagt haben, mag, was den Strafrahmenangeht, zutreffen; im Entwurf ist jedoch ausdrücklichgeregelt, dass V-Leute keine Individualgüter verletzendürfen. Dies ist zum Beispiel schon bei einer einfachenKörperverletzung oder sogar einer einfachen Sachbe-schädigung der Fall. Das von Ihnen geschilderte Pro-
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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blem, nämlich dass jemand wegen eines Tötungsdeliktsvorbestraft ist, stellt sich deshalb nicht, weil bei Verurtei-lungen wegen Verbrechen eine Verpflichtung grund-sätzlich nicht in Betracht kommt, selbst wenn eine Be-währungsstrafe verhängt wurde – mit der extremenAusnahme, über die ich geredet habe und über die dannder Behördenleiter entscheiden muss. Sie können dasauch gar nicht – – Die Zeit läuft ab. Entschuldigung! Ichhabe nur eine Minute. Vielleicht sage ich es dann bei dernächsten Antwort.
Das ist sicherlich noch möglich. – Als nächste Frage-
rin hat die Kollegin Renner von der Fraktion Die Linke
das Wort.
Danke, Herr Minister. – Ich würde gleich beim Kom-
plex „Versagen im Zusammenhang mit dem NSU“ an-
schließen. Es geht ja auch darum, dass die Informationen
der Spitzel in keiner Weise dazu geführt haben, die Ana-
lysefähigkeit des Amtes insbesondere hinsichtlich Er-
kennen von Rechtsterror und Verhinderung dieser Mord-
serie zu heben. Es ist vielmehr so, dass wir es hier mit
kriminellen Neonazis zu tun haben, die sowohl das Bun-
desamt belogen haben als auch jetzt die Unverfrorenheit
besitzen, als Zeugen vor dem OLG in München im
NSU-Verfahren weiter zu lügen. Ich erinnere an Tino
Brandt, Carsten Szczepanski, Marcel Degner. Einige
brüsten sich sogar mit ihren Lügen, die sie dort Richter
Götzl vortragen.
Inwieweit glauben Sie denn, dass Ihr Gesetzentwurf
etwas daran ändert und dazu führt, dass diese alimentier-
ten Lügner und Verbrecher irgendetwas dazu beitragen,
dass die Behörde das, was wir tatsächlich an rechtsterro-
ristischer Gefahr haben – ich erinnere an die vielen An-
schläge auf Flüchtlingsunterkünfte, an die Anschläge auf
Gebäude des Bundestages usw. –, in Zukunft adäquat er-
kennt? Ich glaube, Spitzel sind die Letzten, die dazu bei-
tragen.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ihre Vermutung hätte dann eine gewisse Schlüssig-
keit, wenn wir davon ausgingen, dass die Informationen
dieser V-Leute die einzige Informationsbasis wären, die
Verfassungsschutzbehörden zur Analyse eines Sachver-
halts nutzen könnten. Das darf natürlich nicht sein. Na-
türlich muss man wissen, mit wem man es zu tun hat.
Man muss wissen, wie zuverlässig oder glaubwürdig
derjenige ist. Man muss wissen, ob man belogen wird
oder nicht. Das gilt aber für jede Information: Man muss
sie mit anderen Informationen abgleichen. So kann die
Information eines solchen V-Menschen ein Baustein zur
Gewinnung von Erkenntnissen zu einer Lage sein. Dazu
gehören auch andere Maßnahmen. Dazu gehört, ehrlich
gesagt, auch das Abhören eines Telefons. Dazu gehört
eine Analyse der programmatischen Schriften, die es
gibt, und vieles andere mehr. Daraus ergibt sich dann ein
Lagebild.
Aber ausdrücklich darauf zu verzichten, V-Leute aus
einer Szene heraus nicht nutzen zu können, das hielte ich
für falsch.
Herr Hahn, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, indem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass der Einsatz vonV-Leuten, von V-Personen beendet werden soll, wennsie während ihrer Tätigkeit im Dienst der Ämter erhebli-che Straftaten begehen, und dass über Ausnahmen alleinder Behördenleiter entscheidet. Dazu möchte ich Siegerne fragen, warum im Gesetzestext formuliert wird,dass der Einsatz beendet werden „soll“ und nicht „muss“.Das ist der erste Punkt. In welchen Fällen sollen nachAuffassung der Bundesregierung denn Ausnahmen mög-lich sein? Und wer kontrolliert die Entscheidung des Be-hördenleiters? Es ist ja wohl nicht vorgesehen, eineKommission zu schaffen, die den Einsatz von V-Leutenkonkret überprüft und auch deren Anwerbung sowie Ab-schaltung kontrolliert.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Abgeordneter Hahn, ich habe eben schon einBeispiel genannt. Richtig ist, dass es eine Sollvorschriftzu Straftaten von erheblicher Bedeutung ist. Das ist auchnoch eine Teilantwort auf die Frage der AbgeordnetenPau. Und da kommt es nicht auf das Strafmaß an, son-dern auf die Straftat.Warum jetzt der Behördenleiter? Dazu muss man sa-gen: Es ist natürlich so, dass möglicherweise ein V-Mann-Führer ein besonderes Interesse daran hat, die Zusam-menarbeit mit jemandem fortzusetzen. Er ist vielleichtstolz auf seinen V-Mann, oder er tut vielleicht so, alshätte er von der Straftat keine Kenntnis gehabt, oderÄhnliches. Jedenfalls ist es richtig, das auf eine Ebene zuheben, wo es keine Vorbefangenheit im Umgang mit denV-Leuten gibt. Das ist nun einmal der Behördenleiteroder sein Vertreter, wenn der Behördenleiter nicht da ist.Der muss das in jedem Einzelfall entscheiden. Da mussman abwägend entscheiden: Wie schwer ist das rechts-staatliche Bedenken, mit so jemandem zusammenzuar-beiten, in Abwägung zu der denkbaren Information, andie wir zur Abwehr einer Gefahr kommen könnten. Dasist eine verdammt schwierige Einzelfallentscheidung.Die muss im Einzelfall möglich sein. Sie soll nicht dieRegel sein. Genauer kann, ehrlich gesagt, ein Gesetzge-ber gar nicht definieren, als einem Behördenleiter einesolche Ermessensentscheidung zuzumuten. Dafür istdieser auch Behördenleiter.Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichten-dienste bleibt natürlich bestehen. Sie sind ja Mitglied ei-nes solchen parlamentarischen Kontrollgremiums. Siekönnen jederzeit fragen: In welchen Einzelfällen ist dieserfolgt? Warum ist das erfolgt? Dann wird der Behör-
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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denleiter Ihnen dazu in geheimer Sitzung Rechenschaftablegen.
Herr Kollege Binninger, Sie haben das Wort.
Herr Minister, vielen Dank für die Ausführungen. –
Ich will an den Beginn stellen, dass wir es sehr begrü-
ßen, dass die Bundesregierung die 47 Empfehlungen, die
dieses Hohe Haus parteiübergreifend beschlossen hat,
sehr zügig umsetzt. Letzte Woche hatten wir Änderun-
gen im Bereich des Generalbundesanwaltes beraten,
jetzt im Bereich des Verfassungsschutzes.
Ich habe den Medien entnommen, dass die Länder
dieses Gesetz kritisch sehen. Das kann ich, ehrlich ge-
sagt, nicht ganz nachvollziehen, weil wir immer gesagt
haben: Wir brauchen eine steuernde Einheit innerhalb
des Verfassungsschutzverbundes. – Teilen Sie die Kritik
der Länder? Wie ist sicherzustellen, dass es in der Arbeit
am Ende nicht wieder einen Rückfall dahin gehend gibt,
dass jede Behörde macht, was sie will, aber sich nicht
austauscht?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Herr Abgeordneter Binninger, zunächst ist es so, dass
wir den Entwurf sehr eng mit den Ländern abgestimmt
haben, mehr als andere Gesetzentwürfe. Er ist zwar nicht
zustimmungspflichtig, aber die Sache funktioniert ja nur
durch einen Geist der Zusammenarbeit. Interessanter-
weise – das will ich gerne mitteilen – haben die Länder
in den Anhörungsverfahren darum gebeten, eine Vor-
schrift aufnehmen zu dürfen, die es den Ländern erlaubt,
Ämter für Verfassungsschutz von Ländern zusammenzu-
legen. Dieser Bitte sind wir gerne nachgekommen. Bis-
her hatten sie diese Bitte noch nicht geäußert.
Was jetzt die Kritik angeht: Sie richtet sich eigentlich
nur dagegen, dass das Bundesamt bei gewaltbereiten Or-
ganisationen nicht nur im Einvernehmen, sondern auch
im Benehmen mit den Ländern beobachten darf. Beneh-
men heißt ja immer, man bemüht sich. Ich finde, wenn
wir in einem Land, das sich weigern sollte, zu beobach-
ten, eine gefährliche Bestrebung finden, dann muss es
um der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger willen
möglich sein, dass das Bundesamt beobachtet. Den Streit
finde ich überflüssig, und ich hoffe, dass wir die Länder
noch davon überzeugen können, dass sie irren.
Herr Kollege Ströbele, Sie haben das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Minister, der Deut-
sche Bundestag hat bei der Beratung des abschließenden
Berichtes des NSU-Untersuchungsausschusses 47 Ver-
änderungen im Bereich des Bundesverfassungsschutzes
angemahnt. Wie viele davon haben Sie umgesetzt?
Kann man wirklich sagen, dass mit dem, was Sie jetzt
vorschlagen, der Einsatz von V-Leuten in Zukunft
besser, unabhängiger und wirksamer kontrolliert wird?
Sie schreiben ja nun zum ersten Mal in ein Gesetz, dass
V-Leute Straftaten begehen können und die Staatsan-
waltschaft von einer Verfolgung absehen kann. Bisher ist
das zwar praktiziert worden, wie wir aus dem Fall Tino
Brandt wissen: Er hatte sich zwölfmal verdächtig ge-
macht, aber kein einziges Strafverfahren wurde zu Ende
geführt
Und wie wollen Sie in Zukunft vermeiden, dass sol-
che hochbezahlten V-Leute vom Bundesamt für Verfas-
sungsschutz Hunderttausende von damals D-Mark bzw.
jetzt Euro rechtsradikalen, rassistischen oder islamisti-
schen Organisationen zukommen lassen, um diese auf-
zubauen oder zumindest einen maßgeblichen Beitrag
zum Aufbau zu leisten?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Das waren jetzt aber drei Fragen. – Zur letzten Frage
will ich sagen, dass ausdrücklich geregelt ist, dass mit
dem Geld keine Finanzierung dieser verfassungsfeindli-
chen Organisationen erfolgen darf. Falls diese erfolgen
sollte, wird in der Regel entschieden, dass die Zusam-
menarbeit mit dem entsprechenden V-Mann zu beenden
ist. Auch das ist eine Erfahrung aus dem NSU-Untersu-
chungsausschuss.
Zur zweiten Frage. Eine solche Regelung – ich habe
es schon einmal gesagt – trifft man nicht gerne; aber ich
finde, eine gesetzliche, rechtsstaatliche Regelung in Be-
zug auf den Umgang mit V-Leuten und deren Straftaten
ist besser als nur eine Verwaltungspraxis. Das müssten
Sie eigentlich eher begrüßen als ablehnen.
Zur ersten Frage. Wie viele Empfehlungen im Einzel-
nen umgesetzt wurden, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen.
Das Bundesamt hat mit seinem neuen Präsidenten ein
großes Reformprojekt mit Hunderten von Projekten auf-
gesetzt, von denen 200 Einzelprojekte bereits umgesetzt
wurden. Man kann aber nicht immer einfach sagen: Das
wird mit einer Maßnahme umgesetzt; darüber haben wir
häufig diskutiert. Wenn man für eine Mentalitätsände-
rung sorgen will, damit man rechts nicht blind ist oder
Ähnliches, und eine Mentalitätsänderung im Umgang
mit Migranten und Ähnliches will, dann helfen dabei
keine Maßnahmen, die man umsetzt, sondern dabei han-
delt es sich um einen Prozess, der dauerhaft verfolgt
werden muss. Da sind wir dran.
Herr Kollege von Notz, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, wirreden über die Konsequenzen aus dem NSU-Skandal,und zwar vor dem Hintergrund, dass man Konsequenzenaus den gemachten Fehlern ziehen möchte. Meine ersteFrage lautet: Teilen Sie die Einschätzung, dass es bei denVorkommnissen und Geschehnissen um den NSU auch
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Dr. Konstantin von Notz
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ein erhebliches Behördenversagen gegeben hat? WennSie diese Einschätzung teilen: Könnten Sie mir konkreteinen einzigen Fall im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex benennen, der aufgrund des Gesetzentwurfs,den Sie heute vorlegen, so nicht wieder passieren würde?Welcher V-Mann genau würde heute nicht wieder rekru-tiert werden? Welche Informationsdefizite zwischen denBehörden würden aufgrund welcher konkreten Rege-lung, die wir hier besprechen, behoben? Nur wenn dasgeklärt ist, kann man sich gegen den Vorhalt schützen,dass die Behörde für ihr extremes Versagen noch belohntwird, indem man ihr nämlich massiv mehr Geld gibt.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Zu Ihrer ersten Frage zum Versagen: Ich habe bereitshier vor dem Plenum des Deutschen Bundestages gesagt,dass es um ein Staatsversagen ging und dass wir darausdie entsprechenden Konsequenzen ziehen möchten. Wirfragen uns: Wo wurde versagt? Erstens. Die V-Leute wa-ren nicht ordentlich ausgewählt und geführt. Zweitens.Die Informationsgewinnung und vor allem der Informa-tionsaustausch zwischen den Ländern und dem Bundwaren nicht in Ordnung; das war Wildwuchs, es gab vorallem zu wenig Austausch. Drittens. Die Analysefähig-keit war unzureichend, weil man Personen und Ereig-nisse nicht verknüpft hat. Alle drei Dinge werden durchdas geplante Gesetz abgestellt.
Jetzt fragen Sie – ich sage es einmal ganz allgemein –:Welcher Mord wäre nicht passiert, wenn wir ein solchesGesetz schon gehabt hätten? Da hinten sitzt meine Kol-lege Steinbrück. Er hat zu solchen Überlegungen schoneinmal einen Reim gebildet. Mir ist dabei und heuteschon gar nicht nach Witzen zumute. Ich will nur sagen:Eine solche Frage: „Was wäre, wenn?“, kann man nichtstellen. Wäre dieser oder jener V-Mann richtig geführtworden und hätte man informiert, dann wäre dieserMord nicht geschehen – wie soll ich diese Aussage jetzttreffen und einem Angehörigen dabei in die Augenschauen? Wie soll das gehen? Wie soll ich diese Kausal-kette nachweisen? So kann man nicht fragen, und ichweigere mich, in dieser Logik zu antworten. Wir tun al-les, was möglich ist, damit sich so etwas nicht wieder-holt.
Frau Kollegin Pau, Sie haben das Wort.
Herr Minister, genau da will ich anknüpfen. Natürlich
können wir nicht spekulieren: Was wäre gewesen, wenn?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
So ist es.
Mich interessiert aber Folgendes: Wir sind ja im ge-
samten NSU-Komplex darauf gestoßen, dass überall, so-
wohl bei der Arbeit der Landesämter für Verfassungs-
schutz als auch beim Bundesamt für Verfassungsschutz,
der Quellenschutz immer vor Unterstützung von Fahn-
dungsmaßnahmen oder Aufklärung von Verbrechen ging.
Wäre mit Ihrem Gesetz zwingend gesichert, dass In-
formationen wie die des verurteilten Todschlägers
Szczepanski alias „Piato“ – die sind untergetaucht; die
sind auf der Suche nach Waffen, um weitere Überfälle zu
begehen; die sind im Besitz eines Passes, um ins Aus-
land zu gehen – heute von dem Amt für Verfassungs-
schutz, das ebendiese Informationen hat, an die Strafver-
folgungsbehörden weitergegeben werden, oder geht
weiter Quellenschutz vor Aufklärung von Straftaten?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Auch da gilt – Sie haben es ja auch selber gesagt –:
Wir sollten Spekulationen über konkrete Kausalität nicht
befördern. Aber ich sage einmal: Der Grundsatz, wenn
er denn gegolten hat: „Am besten behalte ich meine In-
formationen für mich und sage niemand anderem etwas,
dann habe ich ein Exklusivwissen, und das ist gut, weil
ich ein selbstbewusstes Land bin“, oder so ähnlich, muss
aufgegeben werden; mit dieser Mentalität muss gebro-
chen werden. Da ist ja schon einiges passiert: Rechts-
extremismusdatei, ein gemeinsames Zentrum, in dem die
Informationen ausgetauscht werden, Verabredungen
– jetzt noch ohne gesetzliche Grundlage –, welche V-Leute
überhaupt geführt werden sollen. Das gab es schon 2012,
2013.
Jetzt schaffen wir eine gesetzliche Grundlage. Jetzt
schreiben wir ins Gesetz: Sie müssen alle relevanten In-
formationen austauschen. – Viel mehr kann man da nicht
machen. Die Mentalität muss dem vielleicht noch fol-
gen. Ich kann nicht ausschließen, dass jemand der ge-
setzlichen Pflicht zur Weitergabe von Informationen, die
er weiterzugeben hat, nicht nachfolgt. Das kann passie-
ren. Fehler werden weiterhin passieren. Aber die Bot-
schaft, die wir haben, ist doch: Ihr sollt zusammenarbei-
ten, wenn es um gefährliche Tendenzen geht, und nicht
auf euren Informationen hocken. Ihr sollt keine Fehler
vertuschen. Ihr sollt rechtsstaatlich arbeiten, und ihr sollt
gemeinsam arbeiten. Das wird mit diesem Gesetz klar
zum Ausdruck gebracht.
Herr Kollege Dr. Ullrich, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Der Bundes-tag hat in der letzten Sitzungswoche die Befugnisse desGeneralbundesanwalts gestärkt und strafschärfende Merk-male ins Gesetz aufgenommen, um damit als wehrhafterRechtsstaat auf die erschütternde Mordserie des NSU zureagieren. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf betrifftden Teil des Verfassungsschutzes. Es ist richtig, dass da-mit der Verfassungsschutz die Szene gerade im rechts-radikalen Bereich weiterhin beobachten kann. Ich würde
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9108 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Dr. Volker Ullrich
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aber gerne von Ihnen, Herr Bundesminister, erfahren, obIhnen dieses Gesetz auch in anderen Phänomenberei-chen, insbesondere beim Kampf gegen Linksextremis-mus und im Kampf gegen Dschihadisten und Salafisten,hilft, diese Gefahren wirksam zu bekämpfen.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Absolut. Ich begrüße diesen Gesetzentwurf. Ich habeja vor der Herbsttagung des BKA gesagt: Ich könnte mirsogar vorstellen, dass auch im Bereich von OK manchesan Zuständigkeit beim Generalbundesanwalt gestärktwerden könnte. Wir reden jetzt über die Folgen aus demNSU-Komplex. Wir dürfen aber nicht nur nach rechts,auf den Rechtsextremismus schauen, sondern müssengenauso auch auf den Linksextremismus schauen.Wir haben ja beim NSU gesagt: Oh, jetzt haben wirda plötzlich terroristische Strukturen. – Anderswo habenwir terroristische Strukturen oder eine Affinität dazu,beispielsweise im Bereich des islamistischen Extremis-mus. Deswegen ist das natürlich ein besonderer Grundzur Sorge und im Moment, ehrlich gesagt, eine unsererHauptsorgen; Sie wissen das. Deswegen muss all dasdort genauso angewendet werden wie im Kampf gegenden Rechtsextremismus.
Frau Kollegin Renner.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Innenminister,
eine Bemerkung vorweg: Wenn man, nachdem sich der
NSU selbst enttarnte, formuliert: „Oh, da haben wir
Rechtsterror“, und die Augen davor verschließt, dass der
schwerste terroristische Anschlag in der Bundesrepublik
Deutschland aus genau diesem Bereich, dem Bereich des
Rechtsterrors, kam, dann kann man in diesem Amt tun,
was man will – da kann man auch die Gesetze ändern,
wie man will –, und man wird es trotzdem nie schaffen,
sicherzustellen, dass diese Behörde in der Lage ist, das
Gefährdungspotenzial des Neonazismus adäquat zu er-
kennen; das ist meine feste Überzeugung. Deswegen ist
diese Entwicklung vollkommen fehlgeleitet, auch mit
Blick auf das notwendige NPD-Verbotsverfahren.
Zu meiner Frage. Das Bundesverfassungsgericht steht
vor dem Problem, dass ihm der Nachweis fehlt, dass die
Spitzel in der Führungsebene der NPD – das betrifft
nicht nur den Funktionskörper – abgeschaltet sind. Wäre
es, wenn wir ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren
wollen – das unterstelle ich der Mehrheit dieses Hauses,
auch allen Vertretern aufseiten der Regierung –, nicht
der richtige Weg, die V-Leute in diesem Bereich abzu-
schalten, um den Weg für ein Verbotsverfahren frei zu
machen, an dessen Ende tatsächlich das Aus für diese
Partei und nicht ein erneuter höchstrichterlicher Ritter-
schlag, der im Nachgang nur zu einer Stärkung der
Szene führen würde, steht? Könnte zum Beispiel das,
was Thüringen gerade unternimmt, nicht für uns alle
zum Vorbild gereichen?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Zu dem ersten Punkt – das war ja keine Frage – will
ich sagen: Sie haben das, was ich gesagt habe, bestätigt.
Nicht nur die Regierung und die Verfassungsschutzäm-
ter, sondern auch die gesamte Öffentlichkeit und wir alle
waren schockiert, dass wir im rechtsextremen Bereich
Terrorstrukturen haben, die keiner erkannt hat. Das darf
uns nicht noch einmal passieren. Das lässt sich am bes-
ten durch gute Vorfeldarbeit sicherstellen, aber nicht da-
durch, dass man sich blind macht, indem man die Verfas-
sungsschutzbehörden abschafft.
Jetzt zum Bundesverfassungsgericht. Mich hat, ehr-
lich gesagt, die Überraschung, die es jetzt gibt, ein biss-
chen verwundert. Das Bundesverfassungsgericht hat be-
reits beim ersten Verfahren gesagt: Wir wollen nicht,
dass V-Leute die NPD führen. Wir wollen nicht, dass sie
einen inhaltlichen Einfluss haben. Deswegen müssen
V-Leute in Führungspositionen abgeschaltet werden,
und es muss eine gewisse zeitliche Distanz zwischen
dem Beginn des Verfahrens und dem Führen von V-Leu-
ten geben. – Das hat das Bundesverfassungsgericht klipp
und klar gesagt. Im Übrigen hat mein Vorgänger die
Länder ziemlich deutlich darauf hingewiesen.
Jetzt fragt das Bundesverfassungsgericht: Habt ihr
das gemacht? – Es dürfte eigentlich nicht besonders
schwer sein, dem Bundesverfassungsgericht diese Frage
zu beantworten; denn man wusste ja, dass es exakt da-
nach fragen wird. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die
Länder diese Hausaufgabe schnellstmöglich erledigen.
Die politische Aufregung um diesen Maßgabebeschluss
des Bundesverfassungsgerichts verstehe ich nicht. Er lag
eigentlich in der Luft.
Jetzt zu Ihrer Frage. Es geht darum, dass V-Leute vom
Staat nicht dahin gehend benutzt werden dürfen, dass
man, obwohl man einerseits eine extremistische Organi-
sation ablehnt, sie andererseits steuert. Aber steuern ist
etwas ganz anderes, als Informationen aus der Szene zu
gewinnen. Dass wir Letzteres tun, halte ich für dringend
geboten.
Herr Kollege Hahn.
Frau Präsidentin! Herr Minister, es ist, denke ich,schon ein gravierender Vorgang, wenn ein Staat Men-schen per Gesetz erlaubt, Straftaten zu begehen, oder siezumindest straffrei stellt. Es muss gute und nachvoll-ziehbare Argumente geben, mit denen man der Öffent-lichkeit die Notwendigkeit hierfür begründen kann. Bis-her war es aber so, dass weder die Bundesregierung nochdie Inlandsgeheimdienste konkrete Fälle benennenkonnten, in denen nur mithilfe von kriminell geworde-nen V-Leuten erhebliche Ermittlungserfolge erzielt wer-den konnten; jedenfalls ist mir kein solcher Fall bekannt.Deshalb frage ich Sie – da dies ja jetzt gesetzlich be-schlossen werden soll –: Können Sie Fälle nennen, in de-nen kriminelle V-Leute Informationen geliefert haben,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9109
Dr. André Hahn
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die so wichtig waren, dass dadurch wesentliche Ermitt-lungserfolge erzielt werden konnten?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Ich will unterstreichen: Eine solche Regelung trifftman nicht gerne. Man muss eine Abwägung zwischendem Ziel der Informationsgewinnung und den rechtli-chen Regelungen vornehmen.Das Zweite ist: Es geht nicht nur um die V-Leute,sondern auch um die Beamten. Es kann nämlich sein,dass, wenn ein V-Mann eine szenetypische Straftat be-geht, der V-Mann-Führer gegebenenfalls gewärtigenmuss, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegenBeihilfe eingeleitet wird. Das kann man unseren Beam-ten, ehrlich gesagt, nicht zumuten.Einer der Anlässe für diese Gesetzgebung war, dasses auch in der Rechtswissenschaft und von Mitarbeiterndes Generalbundesanwalts Andeutungen und Hinweisegegeben hat, exakt ein solches Verfahren einleiten zukönnen und dies gegebenenfalls auch zu tun. Wir habengegenüber den Beamtinnen und Beamten und den ande-ren Mitarbeitern in Verfassungsschutzbehörden aucheine Fürsorgepflicht. Wenn wir wollen, dass sie V-Leuteführen, dann können wir nicht sagen: Im Zweifel machtihr euch allein dadurch strafbar, dass ihr das tut. – Daskann nicht richtig sein. Deswegen ist das auch ein wich-tiger Gesichtspunkt.Die Frage, welche Fälle in diesem Zusammenhanggenannt werden können, ist deswegen nicht zu beant-worten, weil wir eine solche Regelung bisher nicht hat-ten.
Ich bitte Sie, gegebenenfalls eine neue Frage zu stel-
len. – Herr Kollege Ströbele.
Herr Minister, Sie haben hier noch einmal betont,
dass V-Leute sogenannte szenetypische Straftaten bege-
hen können, falls das erforderlich ist. Das soll auch in
Zukunft so bleiben. Was sind nach Ihrer Auffassung sze-
netypische Straftaten?
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz schlägt beispielsweise vor, auch im islamistischen
Bereich V-Leute – etwa Personen, die zu ISIS ziehen –
einzusetzen. Was sind im Bereich von ISIS szenetypi-
sche Straftaten? Mir wird gruselig, wenn ich daran
denke; das kann ich nur immer wieder betonen. Gehören
zu den Straftaten, die ein Präsident des Bundesamtes für
Verfassungsschutz geradezu verzeihen kann, auch Mord,
Totschlag und andere erhebliche Straftaten? In dem Ge-
setzentwurf gibt es ja die Bestimmung, dass die Leitung
des Amtes sogar davon absehen kann, jemanden zu ent-
lassen, auch wenn er erhebliche Straftaten begangen hat.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Zur ersten Frage: Ich hatte eigentlich geglaubt, sie be-
antwortet zu haben. Szenetypische Straftaten schließen
nicht die Verletzung von Individualgütern ein. Körper-
verletzung und Sachbeschädigung sind Verletzungen
eines Individualgutes. Die Zusammenarbeit mit dieser
V-Person ist dann im Regelfall sofort zu beenden. Hier
gilt eine Sollvorschrift, über die wir geredet haben. Es
gibt also die Befugnis des Präsidenten des Bundesamtes
für Verfassungsschutz und seines Stellvertreters, davon
abzuweichen.
Szenetypische Straftaten sind also insbesondere Pro-
pagandadelikte – gerade im rechtsextremen Bereich.
Beispiele für eine szenetypische Straftat sind das Zeigen
eines Hitler-Grußes und Ähnliches. Wir wollen nicht,
dass das geschieht. Das ist ein Straftatbestand, und wir
sind stolz darauf, dass wir diesen Straftatbestand haben.
Wenn es aber in der Szene sozusagen zum Ritterschlag
gehört, auch einmal einen Hitler-Gruß zu zeigen, und
wenn wir dadurch Informationen darüber bekommen,
welche gewalttätige Demonstration aus diesem Bereich
vorbereitet wird, dann halte ich es im Einzelfall für ver-
tretbar, diesen V-Menschen nicht abzuschalten und
durch ihn diese Information zu bekommen. Das wäre ein
solches Beispiel.
Jetzt komme ich zu der Frage nach besonders erhebli-
chen Straftaten. Das lässt sich nicht im Vorhinein sagen.
Sie unternehmen den Versuch, den Gesetzgeber sozusa-
gen zu zwingen, solche Abwägungsentscheidungen vor-
her zu treffen. Meine Antwort ist: Je schwerer die Straf-
tat ist, umso gewichtiger muss die denkbare Information
sein.
Ich sage Ihnen einmal meine Meinung – einmal ange-
nommen, ich sei Behördenleiter –: Wenn wir einen ge-
planten Anschlag nur durch konkrete Informationen ei-
nes V-Menschen – findet der Anschlag morgen oder
heute um 18 Uhr statt? – verhindern können, dann kann
eine erhebliche Straftat dieses V-Menschen gerechtfer-
tigt sein, um an diese Informationen zu kommen und sie
nutzen zu können. Das muss dann aber schon ein ganz
erheblicher Vorgang sein. Ich möchte natürlich vermei-
den, dass wir solche Abwägungen vorzunehmen haben.
Das sind extreme Ausnahmeentscheidungen, die dann
von einem Behördenleiter zu treffen sein werden.
Ich muss jetzt doch noch einmal an die Zeit erinnern;
denn sie rennt uns wirklich davon. Mir liegen noch meh-
rere Wortmeldungen vor. – Ich gebe jetzt Frau Binder
das Wort, und danach hat Herr Ostermann die Möglich-
keit, seine Frage zu stellen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Innenminister,wie wollen Sie künftig verhindern, dass Staatsanwalt-schaften von den Geheimdiensten und den sogenanntenNachrichtendiensten weiterhin an der Nase herumge-führt und manipuliert werden, zum Beispiel dadurch,
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9110 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Karin Binder
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dass ihnen Informationen und auch Zeugen vorenthaltenwerden?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Durch eine gute Arbeit der Verfassungsschutzbehör-den und der Staatsanwaltschaften. – War das jetzt kurzgenug?
Vorbildlich kurz. – Jetzt hat der Kollege Ostermann
das Wort.
Herr Minister, der Gesetzentwurf beschäftigt sich mit
der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ver-
fassungsschutzbehörden; Sie haben darauf hingewiesen.
Nun ist unlängst im Bereich einer Verfassungsschutzbe-
hörde eine folgenschwere Entscheidung getroffen wor-
den. Ich spiele auf die Entscheidung der rot-rot-grünen
Landesregierung in Thüringen an, in ihrem Bundesland
keine V-Leute mehr einsetzen zu wollen. Ich frage Sie:
Wie schätzen Sie diese Entscheidung ein? Welche Fol-
gen wird dies haben, insbesondere für die Zusammenar-
beit zwischen den verschiedenen Behörden?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Nach dem, was ich bisher vorgetragen habe, wird es
Sie nicht überraschen, dass ich diese Entscheidung für
falsch halte. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen
sind, möchte ich nicht öffentlich ankündigen. Ich finde,
wir sind im Kreis der Innenminister von Bund und Län-
dern gut beraten, eine solche Frage erst einmal intern zu
besprechen. Das machen die Fachleute. Im Juni bei der
Innenministerkonferenz wird Gelegenheit sein, darüber
zu sprechen. Aber eins ist klar: In einem Verbund gehö-
ren Nehmen und Geben zusammen. Man kann nicht nur
nehmen, aber nicht geben.
Frau Pau hat jetzt das Wort.
Ich bin, auch wenn dieser Gesetzentwurf gegen unse-
ren Willen durch das Parlament kommt, guter Hoffnung,
dass es gerade im rechtsextremen und rechtsterroristi-
schen Bereich Massenentpflichtungen von V-Leuten ge-
ben wird. Das würde aber bedeuten, dass das Kriterium,
das Sie gerade genannt haben, tatsächlich greift, dass die
V-Leute, die bestimmte Straftaten begehen, also Gewalt-
taten und Verletzung von Individualrechten, abgeschaltet
werden. Schließlich ist dies das Kerngeschäft der meis-
ten V-Leute, was uns nicht nur bei der Untersuchung des
NSU-Komplexes bekannt geworden ist.
Ich habe aber eine Frage, die mit Ihrem Gesetzent-
wurf nichts zu tun hat. Als Konsequenz aus den Er-
gebnissen des NSU-Untersuchungsausschusses hat die
Innenministerkonferenz bereits 2013 beschlossen, eine
V-Leute-Datei von Bund und Ländern anzulegen. Das
hätte, selbst wenn ich dieser Idee skeptisch gegenüber-
stehe, wenigstens den Effekt, dass sich nicht jeder ab-
schirmt und nicht so handelt wie bisher, nämlich sich
nicht in die Karten schauen zu lassen, um zu verheimli-
chen, wer da alles unterwegs ist. Diese Datei gibt es bis
heute nicht. Können Sie dem Hohen Haus irgendetwas
dazu sagen, ob es sie noch geben wird, ob also der Be-
schluss noch umgesetzt wird? Wenn nein, ist die Frage,
was dem bisher entgegensteht.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Frau Abgeordnete Pau, diese Frage kann ich Ihnen
aus dem Stand nicht beantworten. Das würde ich gerne
schriftlich nachholen.
Dann hat jetzt der Kollege von Notz das Wort.
Herr Minister, ich wollte zu meiner Frage von vorhinetwas sagen. Ich habe nicht gefragt: „Welche Tat hätteverhindert werden können?“, sondern: „Welcher V-Mannwürde heute auf der Grundlage dieses vorliegenden Ge-setzentwurfes nicht geführt werden?“ Das ist zugegebe-nermaßen eine schwierige Frage, aber vor dem Hinter-grund der NSU-Geschehnisse eine relevante Frage. Esgeht darum, ob wir wirklich Lehren daraus gezogen ha-ben. Deswegen frage ich noch einmal: Welchen V-Mannwürden wir heute aufgrund der neuen Gesetzeslage nichtführen?Noch einmal ganz kurz zu dem, was Sie eben überThüringen gesagt haben: Ich muss das aber nicht so ver-stehen, dass Sie im Verbund der Landesämter für Verfas-sungsschutz dem Land Thüringen sicherheitsrelevanteInformationen vorenthalten würden und dieses Landüber vorliegende Erkenntnisse nicht informiert würde?
– Herr Binninger, ich frage einfach: Ist es so zu verste-hen, dass man sicherheitsrelevante Informationen, dieman selber hat, nicht an Thüringen weitergeben würde?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Zu Ihrer ersten Frage: Ich verstehe Ihren Einwand. Si-cher ist es so – das sage ich auch mit Blick auf die Frageder Frau Abgeordneten Pau –, dass die Zahl der V-Leutenach Inkrafttreten des Gesetzes sinken wird. Diese Ab-sicht wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt.Wer das im Einzelnen ist, kann ich nicht sagen; ichbleibe bei der Antwort. Übrigens dürfte ich es, selbstwenn ich es wüsste, gar nicht sagen, weil die Existenzvon V-Leuten – wie Sie vermutlich selbst wissen – si-cher nicht im Plenum des Deutschen Bundestages mitzu-teilen ist.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9111
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Zur zweiten Frage: Ich möchte den Satz einmal sostehen lassen. Wir müssen in der Innenministerkonfe-renz darüber beraten. In der Polizei sind wir aber einVerbund. Wir tauschen und führen Bereitschaftspoli-zeien im Rahmen einer erstklassigen Zusammenarbeit.Auch bei der Zusammenarbeit zwischen Landeskriminal-ämtern und Bundeskriminalamt sind wir ein sehr guterVerbund. Das muss auch so sein, weil sich Verbrechernicht nach Landesgrenzen richten. Im Verfassungsschutz-verbund sind wir – trotz all der Mängel, die es gab – ei-gentlich auf dem Weg, ein besserer Verbund zu werden,als wir es vor dem NSU waren. Dazu gehört unter Zu-rückstellung von Bedenken eine wechselseitige Bereit-schaft zur Zusammenarbeit. Das bedingt, dass man nichtnur Informationen bekommt, sondern auch welche gibt.Mehr will ich dazu nicht sagen, bevor ich nicht mit mei-nem Thüringer Kollegen intern darüber gesprochenhabe.
Für diesen Themenbereich liegen mir keine weiteren
Fragen vor. Gibt es Fragen zu den anderen Themen der
heutigen Kabinettssitzung? – Als Erster hat sich, wenn
ich das richtig gesehen habe, Herr Ströbele gemeldet.
Herr Ströbele, bitte.
Herr Minister, war heute in der Kabinettsrunde auch
eine Äußerung des Ministers Gabriel gegenüber dem
geehrten und verehrten Journalisten Glenn Greenwald
Gegenstand der Erörterung? Er soll geäußert haben, dass
die US-Regierung der Bundesregierung – für den Fall,
dass Edward Snowden nach Deutschland kommt – ge-
droht habe, dass sie dann Deutschland keine Informatio-
nen über geplante Anschläge und Ähnliches mehr geben
werde. War das Gegenstand der heutigen Diskussion?
Wenn nein, warum nicht?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Zur ersten Frage: Herr Gabriel konnte heute bei der
Kabinettssitzung nicht dabei sein. Auch deswegen – aber
auch sonst – war der von Ihnen genannte Sachverhalt
heute nicht Gegenstand der Kabinettssitzung. Und wa-
rum etwas nicht Gegenstand einer Kabinettssitzung ist,
gehört sicher zum Kernbereich exekutiver Eigenverant-
wortung.
Dann hat Frau Haßelmann das Wort.
Der Minister kann noch einmal darüber nachdenken,
bis gleich die Fragen zu anderen Themen der Kabinetts-
sitzung kommen. Dann stellt Herr Ströbele diese Frage
bestimmt noch einmal.
Meine Frage bezieht sich auf einen anderen Komplex.
Es geht um die steuerliche Entlastung durch eine Erhö-
hung des Kinderfreibetrages und um die Erhöhung des
Kindergeldes. Damit hat sich das Kabinett, nehme ich
an, befasst; zumindest habe ich das der Pressebericht-
erstattung entnommen. Die fällige Anhebung des Kin-
derfreibetrages – und damit auch die Erhöhung des Kin-
dergeldes – ist verfassungsrechtlich seit 2014 geboten.
Warum vollziehen Sie das erst jetzt? Und warum vollzie-
hen Sie das nicht vollständig, wo doch die Finanzsitua-
tion so gut ist?
Dann habe ich noch folgende Fragen: Haben Sie sich
im Kabinett in diesem Kontext auch mit der Lebens-
situation Alleinerziehender und mit dem Thema „Kin-
derarmut“ befasst? Warum gedenken Sie nicht, hier auch
noch bestimmte Maßnahmen vorzuschlagen?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Zunächst haben wir die Frage, ob eine solche Anhe-
bung bereits 2014 geboten gewesen wäre, innerhalb der
Bundesregierung erörtert und sind zu dem Ergebnis
gekommen, dass der Betrag so niedrig gewesen wäre
– 1 Euro und noch etwas –, dass es verfassungsrechtlich
nicht geboten war, eine Anhebung durchzuführen. Das
hätte im Übrigen auch dazu geführt, dass uns die betrof-
fenen Eltern eher kritisiert als gelobt hätten.
Wir haben jetzt diesen verfassungsrechtlich gebote-
nen Nachvollzug in einer Größenordnung vorgenom-
men, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben ent-
spricht. Ich kann, ehrlich gesagt, dem Grundgesetz die
einzelnen Beträge nicht unmittelbar entnehmen. Im Rah-
men der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerich-
tes gibt es mit Blick auf das Existenzminimum be-
stimmte Vorgaben. Noch aber treffen Bundesregierung
und Bundestag im Gesetzgebungsverfahren die Ent-
scheidung, wie hoch ein Kinderfreibetrag sein soll und
um wie viel das Kindergeld erhöht wird.
Ich will immerhin sagen, dass diese ganze Operation
alle gesamtstaatlichen Ebenen über 3 Milliarden Euro
kostet, den Bund allein 1,7 Milliarden Euro. Das ist be-
zogen auf die Gesamtsumme eine wirklich erhebliche
Summe.
Wir haben uns natürlich auch mit der Frage der Al-
leinerziehenden befasst. Wenn man für sie besondere
Maßnahmen umsetzen würde, würde das wiederum an-
dere verfassungsrechtliche Fragen der Gleichbehandlung
aufwerfen. Wir halten jedenfalls den Gesetzentwurf, den
wir heute beschlossen haben – so wir ihn in den Deut-
schen Bundestag einbringen; dazu gibt es sicherlich
noch Beratungen in die eine oder andere Richtung –, für
verfassungsrechtlich und sozialpolitisch richtig.
Herr Kollege von Notz, Sie haben das Wort.
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9112 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ichhabe eine Nachfrage im Hinblick auf die Gesetzesände-rung beim BND. Sie ändern, soweit ich es richtig ver-stehe, in dem Paket unter dem Begriff der Cybersicher-heit die strategische Rasterfahndung des BND.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Das BND-Gesetz wird – wenn die Frage beendetwar –
dem neuen Gesetz zum Verfassungsschutz nur insoweitangepasst, als das, was für die V-Leute und wegen Bei-hilfe auch für die Beamten gilt, analog für die Tätigkeitdes BND im Inland, soweit der BND überhaupt zustän-dig ist, entsprechend angewendet wird. Eine weitere Än-derung des BND-Gesetzes sehe ich nicht.
Ich darf an die Zeit erinnern. Wir haben die vorgese-
hene Zeit bereits überschritten und nutzen jetzt schon
Zeit der Fragestunde. Deshalb bitte ich, das zu berück-
sichtigen.
Ich rufe jetzt noch die weiteren Wortmeldungen auf. –
Herr Krischer, Sie haben als Nächster das Wort.
Herr Minister, es war lange angekündigt, dass heute
gesetzliche Regelungen zum Thema Fracking Thema der
Kabinettssitzung sein sollten. Meine Frage: Waren sie
Gegenstand der Kabinettssitzung, hat es dort Beschlüsse
gegeben und, wenn nein, warum nicht? Was ist die Ursa-
che, dass diese Entscheidungen nicht gefallen sind?
Wie habe ich Äußerungen der Bundesumweltministe-
rin im Morgenmagazin im Hinblick auf die Kabinettsbe-
fassung mit dem Thema Fracking zu interpretieren, dass
die Union – so habe ich Frau Hendricks verstanden –
sich erst einmal intern über ihre Haltung zu dem Thema
verständigen müsste? Das betrifft offensichtlich Kabi-
nettsmitglieder; denn es ging dabei um die Kabinettsbe-
fassung. Ich bitte Sie um Erläuterung.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Das Thema Fracking stand heute nicht auf der Tages-
ordnung. Wenn Sie fragen, warum: weil es nicht auf der
Tagesordnung stand. Wenn Sie fragen, warum es nicht
auf der Tagesordnung stand: weil es noch nicht entschei-
dungsreif ist. Entscheidungsreif ist es dann, wenn die
Ressortabstimmung zu einem erfolgreichen Ende ge-
führt wurde. Das ist dann der Fall, wenn alle einer Mei-
nung sind. Das ist hier noch nicht der Fall. Wie wir
handeln, war auch bei Hunderten von Gesetzgebungs-
verfahren üblich. Deswegen sage ich Ihnen als ehemali-
ger Chef des Bundeskanzleramts: Man sollte sich hüten,
öffentlich anzukündigen, dass an einem bestimmten Tag
etwas auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung stehen
wird.
Als Nächster hat der Kollege Kekeritz das Wort.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland durch-
aus auch negative Entwicklungen trotz dieser hervorra-
genden Regierung. Ich möchte die rechten Tendenzen
erwähnen, die immer mehr um sich greifen: Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit und ein absolut aggressives Poten-
zial. Immer mehr wird bei den Menschen auch Angst vor
Flüchtlingen geschürt.
Ich frage Sie: Wie ist es möglich, dass ein beamteter
Staatssekretär in Zusammenarbeit mit dem Vizevorsit-
zenden der CDU/CSU-Fraktion drei Pegida-Mitglieder
in diesem Haus empfängt? Ist das mit dem Minister ab-
gesprochen gewesen? Weiß die Regierung davon? Wie
bewertet die Regierung diese Aktion?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Auch ich habe das der Presse entnommen. Soweit ich
weiß, waren es keine Mitglieder von Pegida, sondern
Bürgerinnen und Bürger, die bei solchen Demonstratio-
nen mitgelaufen sind. Ich stehe für ein solches Gespräch
nicht zur Verfügung.
Als letzter Fragesteller hat der Kollege Meiwald das
Wort.
– Okay. – Frau Haßelmann, Sie haben das Wort.
Herr Minister, im Rahmen der Debatte über die Pkw-Maut haben Sie im Gesetz keine Widerspruchsbehördevorgesehen. Deshalb lautet meine Frage: Haben Sie imKabinett und bei der Gesetzgebung sozusagen billigendin Kauf genommen, dass Bürgerinnen und Bürger, dieWiderspruch gegen ihren Infrastrukturbescheid einlegenmöchten, das Verkehrsministerium als Widerspruchsbe-hörde ansehen?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9113
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(B)
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Abgeordnete, ich kann diese Detailfrage nur sobeantworten: Das Kabinett hat alle Paragrafen diesesGesetzentwurfs „billigend in Kauf genommen“ und be-schlossen; das ist so. Der Bundestag berät nun in zweiterund dritter Lesung, was daraus wird.
– Klagen des Kollegen Dobrindt sind mir nicht bekannt.
– Er hat den Gesetzentwurf eingebracht. Normalerweisekennt ein Minister das, was er einbringt.
Herr Kollege von Notz, Sie haben das Wort für Ihre
Frage.
Ich will auch etwas zur Maut fragen. Ein 21 Seiten
umfassender Änderungsantrag hat uns heute Morgen um
7.54 Uhr erreicht. Das kann man so machen, hilft aber
nicht. Im Innenausschuss haben wir lebhaft unter Daten-
schutzgesichtspunkten diskutiert – das fällt in Ihren Zu-
ständigkeitsbereich –, wie es um Bildlöschungen und
Standortdaten von 42 Millionen Pkws in Deutschland
bestellt ist.
Das Innenministerium hat gesagt, diejenigen, die die
Maut nicht zahlen wollten, müssten ein Fahrtenbuch
führen.
Jeder Autofahrer, der einen Rückerstattungsanspruch
hat, müsste also ein Fahrtenbuch führen. Daher frage
ich, ob das so sein kann oder, wenn das nicht der Fall ist,
wie der Rückerstattungsanspruch gewährleistet sein soll,
wie also nachgewiesen werden soll, dass jemand auf ei-
ner Autobahn oder einer anderen mautpflichtigen Straße
nicht gefahren ist.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ich war bei der gestrigen Sitzung des Innenausschus-
ses nicht zugegen. Der Parlamentarische Staatssekretär
Schröder, der hier auf der Regierungsbank sitzt und an
dieser Sitzung teilgenommen hat, ruft mir zu, dass das
Führen eines Fahrtenbuches eine Möglichkeit darstellt.
Wenn jemand sein Geld zurückbekommen will, muss er
nun einmal irgendwie nachweisen, dass er die Autobahn
nicht genutzt hat. Wie er das macht, ist seine Sache. Das
Führen eines Fahrtenbuchs ist dabei eine gute Möglich-
keit, einen solchen Nachweis zu erbringen. Wer nicht
zahlen will, muss nachweisen, dass er nicht zahlen muss.
So ist das nun einmal im Leben.
Frau Haßelmann.
Herr Minister, in diesem Zusammenhang komme ich
noch einmal auf das Widerspruchsverfahren zurück. In
einem Rechtsstaat ist es ein hohes Gut, gegen staatliche
Bescheide Widerspruch einlegen zu können. Vorhin hieß
es, man könne Widerspruch bei einem beauftragten Drit-
ten einlegen. Das ist eigentlich nicht möglich, weil man
dann sofort den Verwaltungsgerichtsweg einschlagen
muss. Deshalb muss eigentlich das Verkehrsministerium
die Widerspruchsbehörde sein. Wie ist vor diesem Hin-
tergrund das geplante Vorgehen zu bewerten? Es besteht
zwar die Möglichkeit, einen Nachweis durch ein Fahr-
tenbuch zu führen. Aber Widerspruch gegen einen sol-
chen Bescheid müsste man auf jeden Fall beim Ver-
kehrsministerium einlegen können, oder?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Frau Präsidentin, das ist die Regierungsbefragung.
Ich bin gerne bereit, zu allen Themen, mit denen sich das
Kabinett befasst hat, Stellung zu nehmen. Ich glaube, ich
habe die entsprechende Bereitschaft gezeigt. Ob wir aber
eine Generaldebatte über alle Themen, über die disku-
tiert wird, machen sollten und ob ich dann der richtige
Ansprechpartner bin, weiß ich nicht. Wahr ist, dass der
eigentliche Akteur bei der Verabschiedung des infrage-
stehenden Gesetzentwurfs nicht die Bundesregierung,
sondern der Deutsche Bundestag ist. Daher müssten Sie
das doch viel kundiger vortragen können als ich.
– Darüber wird noch im Ausschuss beraten werden. Da-
bei wird Ihnen das zuständige Ministerium sicherlich
alle Ihre Fragen beantworten.
Ich kann Ihre Fragen betreffend die Details des Wi-
derspruchsverfahrens im Gesetzentwurf, der sich zur Be-
ratung im Deutschen Bundestag befindet, ehrlich gesagt
nicht zufriedenstellend beantworten.
Als nächste Fragestellerin hat die Kollegin Künast
das Wort.
Herr Minister, es ist natürlich schwer, zu fragen, wennman die Tagesordnung nicht erhält, aber nur zur Ta-
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9114 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Renate Künast
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gungsordnung fragen soll. Das erinnert mich an ange-wandtes Spaltungsirresein.Ich frage weiter zur Maut. Was sind die Überlegungenund Erwägungen der Bundesregierung hinsichtlich derNotifizierung dieser Mautregeln oder der Infrastruktur-abgabe, wie immer Sie das nennen mögen? Normaler-weise besteht die gute fachliche Arbeit, bevor Gesetzent-würfe in zweiter und dritter Lesung hier behandeltwerden, darin, herauszufinden, ob die EU-Kommissiondieses Gesetz notifizieren würde. Ich frage Sie, warumdas beim Thema Maut nicht gemacht wurde.Ich will Ihnen auch sagen, wie ich dazu komme. ImRechtsausschuss hat heute Vormittag der Staatssekretärdes BMJV gesagt, es gebe in seinem Ministerium recht-liche Bedenken bezüglich der Höhe der Abgabe und an-derer Fragen. Die Vertreterin des Bundesministeriumsfür Verkehr hat gesagt: Wir haben uns der EU-Kommis-sion angenähert, aber es bleibt jetzt abzuwarten, wiediese auf die aktuelle Vorlage reagiert. – Ein SPD-Abge-ordneter hat mit leichtem Seufzen gesagt: Je schnellerdas Gesetz verabschiedet wird, desto schneller kommenwir zu einer EuGH-Überprüfung.Ich frage Sie: Ist das ein normales Verfahren, oderwäre es nicht richtiger gewesen, wegen einer Notifizie-rung eine Endversion auch mit der EU-Kommission ab-zustimmen? Das können Sie nicht uns als Parlament auf-halsen, weil die Kommunikation mit der EuropäischenKommission nicht zu unserer Aufgabe gehört. Das istAufgabe der Exekutive.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Zunächst einmal möchte ich Folgendes zu Ihrem Ein-wurf sagen: Ich bin gut vorbereitet, das vorzutragen, waszu meinem Geschäftsbereich gehört und im Kabinett be-handelt wurde. Ich bin ziemlich gut auf das vorbereitet,was im Kabinett behandelt wurde, auch wenn es nichtmeinen Geschäftsbereich betrifft. Ich bin nicht so gutvorbereitet auf alle denkbaren Themen, die irgendwiepolitisch diskutiert werden. Auf dieser Basis will ichtrotzdem versuchen, Ihnen zu antworten.
Das Bundesverkehrsministerium hat unendlich vieleGespräche mit der EU-Kommission darüber geführt, wieman die Maut ausgestaltet, damit sie europatauglich ist.Auch wenn jetzt irgendein Mitarbeiter irgendeines Hau-ses Bedenken äußert, was ich nicht beurteilen kann, sokann ich sagen, dass im Kabinett alle Kabinettsmitglie-der dieser Fassung so zugestimmt haben: der Innen-minister, der Justizminister und alle anderen.Stellen Sie sich einmal vor, die Bundesregierungwürde Ihnen einen Gesetzentwurf vorlegen und verlan-gen, daran dürfe kein Jota geändert werden, weil der Ge-setzentwurf exakt so mit der EU-Kommission vorbe-sprochen worden sei. Was würden Sie dann sagen? Daskann wohl nicht richtig sein.
Ich möchte jetzt gerne diesen Teil der Befragung der
Bundesregierung beenden. Wir haben die vereinbarte
Debattenzeit schon um 23 Minuten überzogen.
Wir haben noch den Punkt „Sonstige Fragen an die
Bundesregierung“. Auch dazu liegt mir eine Wortmel-
dung vor. Die möchte ich jetzt aufrufen.
Herr Movassat.
Danke, Frau Präsidentin. – Ich möchte auf einen As-
pekt zurückkommen, den mein Kollege Kekeritz bereits
angesprochen hatte, nämlich das Treffen des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung mit Pegida-Vertretern. Sie haben hier ge-
rade gesagt, das seien irgendwelche Menschen, die bei
Pegida mitliefen.
Ausweislich der Artikel bei Spiegel Online, n-tv und
Tagesspiegel handelt es sich um Vertreter von Pegida.
Mich würde ganz konkret interessieren, warum trotz kla-
rer Aussagen auch der Bundeskanzlerin ein offizieller
Vertreter der Bundesregierung – ein Staatssekretär ist ein
offizieller Vertreter der Bundesregierung – sich in dieser
offiziellen Funktion, im Übrigen sogar hier im Parla-
ment, morgen mit Vertretern von Pegida trifft. Ist das
eine Haltung, die die Bundesregierung unterstützt? Falls
Sie das nicht unterstützen: Warum verhindern Sie das
nicht?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ich habe schon gesagt, dass der Ausdruck „Vertreter
von Pegida“ nicht so ganz trennscharf ist. Das ist ein
Verein von sieben Mitgliedern. Mit denen würde ich
mich schon gar nicht treffen. Von den sieben ist auch
keiner dabei. Daher ist das ein etwas unklarer Begriff.
Ich kann nur wiederholen: Ich stehe für ein solches
Gespräch nicht zur Verfügung. Damit habe ich Ihnen,
glaube ich, meine Meinung dazu gesagt.
Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:FragestundeDrucksachen 18/4370, 18/4420Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nummer10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichenFragen auf.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9115
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Es handelt sich um eine Frage auf Drucksache18/4420 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministe-riums für Ernährung und Landwirtschaft.Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen HaraldEbner auf:Welche Sofortmaßnahmen plant die Bundesregierung, umdie Bevölkerung vor den wahrscheinlichen schwerwiegendenGesundheitsgefahren durch den auch in Deutschland häufig
stoff Glyphosat (unter anderem in Roundup von Monsantoenthalten) zu schützen, der am Freitag von der InternationalAgency for Research on Cancer, IARC, der Weltgesundheits-organisation WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ einge-stuft wurde, und wie wird die Bundesregierung angesichts desWiderspruchs in der Risikoeinschätzung durch das IARC ei-nerseits und durch das deutsche Bundesinstitut für Risikobe-wertung andererseits, das Glyphosat erst kürzlich als unbe-denklich klassifiziert hat, als EU-Berichterstatterin für die imJahr 2015 anstehende EU-Zulassungserneuerung für Glypho-sat weiter verfahren?Die Parlamentarische Staatssekretärin FrauDr. Flachsbarth antwortet für die Bundesregierung. – Siehaben das Wort.D
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Kollege Ebner, die Bewertung des gesundheitlichen Ri-
sikos, das vom Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff Glypho-
sat ausgeht, erfolgt im Rahmen der gesetzlichen Vor-
schriften durch das Bundesinstitut für Risikobewertung.
Wie Sie wissen, nimmt die Bundesregierung auf die Be-
wertung durch die zuständige Bundesoberbehörde kei-
nen Einfluss.
Ich will Sie aber darauf hinweisen, dass hinsichtlich
möglicher krebserregender Eigenschaften die Auffas-
sung des BfR bestätigt wird von den Einschätzungen der
Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, also
der EFSA, der Europäischen Chemikalienagentur, also
der ECHA, dem Joint Meeting on Pesticide Residues,
JMPR, der Weltgesundheitsorganisation, WHO, der Er-
nährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Verein-
ten Nationen, FAO, sowie den nationalen Zulassungsbe-
hörden zum Beispiel in Australien, in den USA und in
Brasilien. Zurzeit ist noch nicht klar, warum ein Gre-
mium der WHO, nämlich die aktuell zitierte Internatio-
nale Agentur für Krebsforschung, zu einer Auffassung
gelangt ist, die vollkommen konträr ist zu der vom be-
reits genannten JMPR.
Das BfR hat unverzüglich eine erneute Prüfung aller
vorliegenden epidemiologischen Studien – das sind 30
an der Zahl einschließlich der drei Studien, die gemäß
einer ersten Verlautbarung der IARC geprüft wurden –
eingeleitet. Darüber hinaus werden alle vorliegenden Er-
kenntnisse zu tumorbildenden Eigenschaften nochmals
überprüft. Mit den Ergebnissen wird der Abgleich mit
Informationen der IARC durchgeführt. Hierzu werden
zusätzliche Informationen von den zuständigen Stellen
der WHO angefordert.
Die ausführliche abschließende Begründung der
IARC für die vorgenommene Einstufung als „wahr-
scheinlich krebserregend“ liegt bislang noch nicht vor.
Die für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zu-
ständige Bundesoberbehörde, nämlich das Bundesamt
für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, hat
sich gemeinsam mit dem BMEL im Rahmen der Koordi-
nierung der Sitzung des Codex Committee on Pesticide
Residues im April 2015 unverzüglich mit der EFSA, der
EU-Kommission und den zuständigen Behörden der üb-
rigen Mitgliedstaaten in Verbindung gesetzt. Ziel ist es,
zu erörtern, wie die WHO zu der unterschiedlichen Ein-
schätzung zweier ihrer Institutionen zum Wirkstoff Gly-
phosat steht. Die Frage soll in der oben genannten
CCPR-Sitzung an die WHO, konkret an das JMPR, he-
rangetragen werden.
Sollte jedoch die noch ausstehende finale IARC-Mo-
nografie mit der ausführlichen Begründung der Einstu-
fung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserzeu-
gend“ Hinweise auf der Basis neuer Informationen, die
im Zuge der aktuellen Neubewertung von Glyphosat in
der EU nicht berücksichtigt werden konnten, liefern, ist
die Anpassung der Bewertung einzufordern. Dann wird
das BfR diese unverzüglich vornehmen. In der Folge
müssten dann weitere Handlungsoptionen geprüft wer-
den.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass das
BfR auf diese neuen Informationen unverzüglich re-
agiert hat, unter anderem mit der Einstellung von um-
fangreichen Informationen auf seiner Homepage, die ich
Ihrer Lektüre sehr gern empfehle.
Auch für die Fragestunde – darauf möchte ich hinwei-
sen – gelten Regeln für die Dauer der Frage und für die
Dauer der Beantwortung. Ich habe einfach die Bitte,
doch gelegentlich einen Blick auf die Uhr zu werfen; da
ist das sehr gut erkennbar.
Herr Ebner, Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. Danke, Frau Staatssekretä-rin. – Es ist schön, dass jetzt auch die Bundesregierungins Nachdenken kommt. Ich möchte aber dazusagen:Das BfR hat einige Tage leider gar nicht reagiert; so wares zumindest der Presse zu entnehmen. Das BfR standfür eine Stellungnahme nicht zur Verfügung.Ich möchte jetzt aber darauf abzielen: Die IARC stelltfest, dass Glyphosat und seine Formulierungen Schädenan der DNA und an Chromosomen von Säugetieren so-wie von menschlichen und tierischen Zellen verursa-chen, Schäden, die unter anderem zu Lymphdrüsenkrebsführen können. Glyphosat wird mittlerweile fast überallgefunden, auch in der Muttermilch und im Urin.Auf eine Kleine Anfrage von uns hat die Bundesre-gierung 2013 geantwortet, dass von 26 Langzeitstudiengerade mal eine einzige nicht aus den Labors der Her-steller kommt und dass alle anderen bislang aus Gründender Vertraulichkeit nicht veröffentlicht wurden.
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9116 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Harald Ebner
(C)
(B)
Deshalb frage ich Sie: Was hat die Bundesregierungseither getan, um die offenbar verbreitete und andau-ernde sogenannte Hintergrundbelastung mit Glyphosatbei Menschen zu überwachen, deren gesundheitlicheAuswirkungen unabhängig von der Industrie zu überprü-fen und für die Zukunft den öffentlichen Zugang zu sol-chen Studienergebnissen zu ermöglichen?D
Herr Kollege Ebner, Glyphosat wird derzeit auf euro-
päischer Ebene routinemäßig neu bewertet. Informatio-
nen zum Verfahren finden Sie auf der Internetseite des
Bundesamtes für Verbraucherschutz. Deutschland ist in
diesem Routineverfahren berichterstattender Mitglied-
staat.
Im Rahmen dieser Überprüfung, die das BfR vorge-
nommen hat, gab es mehr als 1 000 neue Veröffentli-
chungen zum Wirkstoff Glyphosat. Es wurden alle Stu-
dien überprüft, die in den letzten Jahren zu Diskussionen
in der Öffentlichkeit und in den Medien geführt haben.
Deshalb sind wir davon überzeugt, dass sich das BfR tat-
sächlich ein sehr umfassendes Bild bezüglich der Aus-
wirkungen von Glyphosat auf die Gesundheit gemacht
hat.
Ich darf noch einmal auf die Veröffentlichung des
BfR bezüglich der IARC-Studie und darauf hinweisen,
dass der statistische Zusammenhang, der von dieser
Organisation zwischen einer Glyphosatexposition und
einem erhöhten Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome
hergestellt wurde, in anderen Studien – in großen Kohor-
tenstudien und in 30 weiteren epidemiologischen Stu-
dien – nicht nachvollzogen wird. Das BfR kennt die drei
Studien, die die IARC herangezogen hat, meint jedoch in
einer ersten Abwägung, dass diese nicht einschlägig
seien. Es überprüft sie aber noch einmal.
Herr Ebner.
Danke schön. – Das war zwar nicht die Antwort auf
meine Frage, aber ganz offenbar stand das so auf dem
Sprechzettel.
Diese Antwort widerspricht, finde ich, auch Ihrer ers-
ten Antwort. Denn Sie sagten, das BfR hat jetzt vor, auch
die bislang nicht berücksichtigten Studien noch zu be-
denken.
Glyphosat ist derzeit für die Anwendung im Haus und
im Kleingartenbereich weiterhin zugelassen; es kann
also in jedem Baumarkt ohne Sachkenntnis erworben
werden. Ihr Haus hat im letzten Jahr selbst eingeräumt,
dass es in diesem Bereich zu missbräuchlicher Anwen-
dung auf befestigten Flächen kommt, verbunden mit
dem hohen Risiko der Abschwemmung in Kanalisation
und Oberflächengewässer. In Nordrhein-Westfalen – das
hat sich herausgestellt – ist in jedem zweiten untersuch-
ten Gewässer Glyphosat nachweisbar.
Ich möchte Sie fragen: Welche Auswirkungen hat die
Einstufung von Glyphosat in die Kategorie 2 A – wohl-
gemerkt: Es ist nicht 2 B, wie Monsanto uns das gerne
glauben machen möchte –, also in die gleiche Kategorie
wie Acrylamid, Nitrosamine, Blei und UV-Strahlen?
Wie sollen die Umwelt und vor allem die Gesundheit der
unerfahrenen privaten Anwenderinnen und Anwender
– einschließlich der ihrer Kinder und Nachbarn – anders
geschützt werden, als durch ein klares Verbot, dieses
Mittel für Haus und Kleingarten zu erwerben?
D
Herr Kollege Ebner, ich möchte ausdrücklich anmer-
ken, dass es unseres Wissens keine Studien gibt, die das
BfR nicht in seine Untersuchungen einbezogen hat. Das
BfR hatte diese Untersuchungen, die von der besagten
WHO-Behörde geprüft worden sind, selbstverständlich
auch in seine Überprüfungen einbezogen. Es wird diese
Studien aber jetzt, nach diesen Ergebnissen der Kollegen
aus den Vereinigten Staaten, noch einmal prüfen und
schauen, ob möglicherweise eine Neubewertung stattfin-
den muss.
Deshalb sind wir nach wie vor der Meinung, dass
Glyphosat im Rahmen der geltenden Vorschriften – auch
der Sicherheitsvorschriften aus der EU – Anwendung
finden kann.
Bezüglich der Sikkation hatte das BMEL allerdings
im letzten Jahr – dazu hatte ich auch im Ausschuss be-
richtet – Einschränkungen vorgenommen.
Jetzt hat Frau Binder die Möglichkeit zur Frage. Frau
Binder, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe FrauFlachsbarth, ich möchte an dieser Stelle anknüpfen: ImSinne eines vorsorgenden Verbraucherschutzes wäredoch bei einem solchen Verdacht und mit Blick auf diewahrscheinliche Existenz krebserregender Wirkstoffe indiesen Produkten zumindest insofern eine Vorsorge zutreffen, als man sie aus dem Verkehr zieht. Denkt dieBundesregierung über einen Verkaufsstopp von Glypho-sat nach?Ich würde gern noch Folgendes fragen: Trifft es zu,wie jetzt in der taz zu lesen war, dass es in der Bundesre-publik 92 zugelassene Pflanzenschutzmittel mit demHerbizidwirkstoff Glyphosat gibt? Da wüsste ich gerne:Wie viele davon dürfen in der Landwirtschaft und wieviele davon dürfen auch auf öffentlichen Wegen und inprivaten Gärten eingesetzt werden? Glyphosat ist näm-lich tatsächlich im Urin der Städter nachzuweisen. Esfließt also durch ihre Körper.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9117
(C)
(B)
D
Frau Kollegin Binder, ich möchte wiederholen, dass
die Ergebnisse der Untersuchungen der IARC im Wider-
spruch zu Ergebnissen von Untersuchungen stehen, die
das JMPR, eine weitere Unterorganisation der WHO
bzw. der FAO, erzielt hat. Sie stehen ebenfalls im Wider-
spruch zu Ergebnissen der EFSA, der Europäischen
Chemikalienagentur und anderer nationaler Zulassungs-
behörden wie zum Beispiel derer in Australien, in den
USA und Brasilien. Die Tatsachen werden noch einmal
wissenschaftlich abgeglichen, die konträren Ergebnisse
werden tatsächlich verifiziert und die zugrundeliegenden
Studien werden noch einmal angesehen. Es besteht zur-
zeit aber kein akuter Handlungsbedarf eines Verbotes.
Zur Frage der 92 Substanzen bzw. der verschiedenen
Mischungen, die angeboten werden, möchte ich Ihnen
bitte schriftlich antworten.
Frau Künast, Sie haben das Wort.
Frau Staatssekretärin, meine Frage bezieht sich auf et-
was Zukünftiges, nämlich auf die neue Maislinie GA 21
und das Vorsorgeprinzip. GA 21 ist eine Maislinie von
Syngenta, die eine tolle Eigenschaft hat, nämlich dass sie
aufgrund einer gentechnischen Veränderung die Behand-
lung mit Glyphosat schadlos übersteht, während alles
um sie herum abstirbt. Diese Maislinie steht kurz vor der
Zulassung für den Anbau in der EU. Es gibt verschie-
dene Mitgliedstaaten, die sagen, dass sie den Anbau von
glyphosattoleranten Pflanzen kritisieren, da dieser mit
einer wirklich massiven Steigerung von Herbizideinsät-
zen einhergehen wird. Der Anbau ist in mehrfacher Hin-
sicht schädlich.
Meine Frage ist: Wie wird sich die Bundesregierung
jetzt verhalten? Sie haben viermal gesagt, Sie würden
das ernsthaft prüfen. Nach dem Vorsorgeprinzip – in der
EU ist das das „Precautionary Principle“ – sind Sie,
wenn es einen tatsachengestützten Verdacht gibt – ich
beziehe mich auf Aussagen der WHO –, verpflichtet, zu-
gunsten der Gesundheit der Verbraucherinnen und Ver-
braucher, auch mit Blick auf die steigenden Krebsraten
– ich glaube, jeder von uns erlebt das zumindest in seiner
Nähe –, zu entscheiden und zu sagen, dass Sie das Ver-
fahren aufhalten wollen, bis es eine EU-weite Bewer-
tung dieser WHO-Entscheidung gibt, die besagt: Es ist
krebserregend. – Alles andere würde sich auf die Ge-
sundheit von uns allen auswirken.
Meine Frage ist: Werden Sie sich aus Gründen des
vorsorgenden Verbraucherschutzes in die Gruppe der
Länder begeben, die Nein zur Zulassung sagen, oder
werden Sie hilfsweise mit anderen Mitgliedstaaten eine
Initiative für ein Aufhalten des Verfahrens starten, bis
man klüger ist? Wenn Sie diese Initiative schon gestartet
haben, wüsste ich gern, mit welchen Mitgliedstaaten Sie
dazu im Gespräch stehen.
D
Frau Kollegin, ich darf wiederholen, dass die Ergeb-
nisse der IARC im Moment allein dastehen gegenüber
Ergebnissen, die WHO, FAO und andere Unterorganisa-
tionen erzielt haben. Dazu gehören zum Beispiel Ergeb-
nisse von Untersuchungen der EFSA, der Europäischen
Chemikalienbehörde oder von nationalstaatlichen Be-
wertungsbehörden. Deshalb wird dieser Einzelbefund
sehr ernst genommen und wird noch einmal auf seine
Validität überprüft. Deshalb ist jetzt aber kein sofortiges
Handeln angesagt.
Bezüglich der Zulassung von genveränderten Maisli-
nien: Für die von Ihnen genannte Maislinie tritt das Glei-
che in Aktion wie bei allen gentechnisch veränderten Or-
ganismen. Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck
an der Umsetzung der Opt-out-Möglichkeit, die von eu-
ropäischer Seite gegeben wird, und ist dabei, diese Mög-
lichkeit in nationales Recht umzusetzen.
– Frau Kollegin Künast, ich habe Ihnen gesagt, dass das
Ergebnis, das von der IARC erzielt worden ist, ein Ein-
zelbefund ist und dass dieser sehr sorgfältig geprüft
wird, dass die zugrundeliegenden Studien noch einmal
angeschaut werden. Im Moment ergibt sich kein akuter
Handlungsbedarf.
Ich habe jetzt noch drei weitere Wortmeldungen zu
dem gleichen Komplex vorliegen. – Frau Kotting-Uhl,
Sie haben das Wort.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-rin Flachsbarth, ich möchte gerne einen Blick nach Dä-nemark werfen. Dort hat ein Schweinezüchter wieder-holt darauf aufmerksam gemacht, dass er in seinemBestand erhebliche Gesundheitsprobleme bei den Mut-tersauen und ungewöhnlich häufig schwerwiegendeMissbildungen bei den Ferkeln beobachten musste, so-lange er gentechnisch verändertes Soja verfütterte. Erbezieht glyphosattolerantes Gensoja, das aufgrund derhäufigen Spritzungen meist erheblich mit Glyphosat be-lastet ist. Die dänischen Behörden haben daraufhin ei-gene Fütterungsversuche bei den Schweinen eingeleitet.In Deutschland wurde daraufhin die Zentrale Kommis-sion für die Biologische Sicherheit mit der Ausarbeitungeines Versuchsdesigns für solche Versuche beauftragt.Die deutsche Tiermedizinerin Professor Monika Krügerfand in den Organen der missgebildeten Ferkel eine er-höhte Konzentration an Glyphosat.
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9118 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Sylvia Kotting-Uhl
(C)
(B)
Jetzt meine Doppelfrage dazu: Steht die Bundesregie-rung zu dieser Thematik im Austausch mit den däni-schen Behörden? Was ist aus den Plänen geworden,selbst Fütterungsversuche mit Schweinen durchzufüh-ren, die einerseits den Menschen biologisch ähnlichersind als Mäuse und Ratten und andererseits im realenlandwirtschaftlichen Alltag über die Fütterung regelmä-ßig einer solchen Exposition ausgesetzt sind?D
Frau Kollegin Kotting-Uhl, bezüglich der von Ihnen
angesprochenen Studie kann ich keine detaillierten Aus-
künfte geben, kann sie Ihnen aber gerne nachliefern.
Ich kann Ihnen aber sagen: Im Rahmen des Bewer-
tungsverfahrens, das das BfR für Deutschland als be-
richterstattende Nation gegenüber der EFSA und der
EU-Kommission durchgeführt hat, sind alle verfügbaren
Untersuchungen eingeflossen. Dann hat die EFSA einen
Bewertungsbericht veröffentlicht. Sie hat bis Januar
2012 ein Konsultationsverfahren durchgeführt. Im Rah-
men dieses Konsultationsverfahrens konnten jeder Mann
und jede Frau, jede Institution, die sich zu dieser Proble-
matik äußern wollte, entsprechende Eingaben machen.
Daraufhin sind über 700 Dokumente von den Firmen
nachgefordert worden, die Glyphosat – in Anführungs-
strichen – verteidigen wollten. Die Prüfung hat stattge-
funden. Dazu hat die Bundesrepublik Deutschland noch
bei der EU-Kommission eine Verlängerung der Frist ein-
gefordert. Von daher kann ich nicht sehen, dass nicht alle
Befunde, die es in Bezug auf Glyphosat gibt, in die Be-
wertung eingeflossen sein sollten.
– Ich will Ihnen dazu gerne im Detail schriftlich Aus-
kunft geben.
Herr Kollege Kekeritz hat das Wort.
Herzlichen Dank. – Ich denke, dass der Skandal zwei
Faktoren hat. Der erste Skandal besteht darin, dass Stu-
dien zugelassen worden sind, die von den Erzeugern,
von Monsanto, Syngenta usw., in Auftrag gegeben wor-
den sind. Der zweite Skandal besteht darin, dass Sie of-
fensichtliche Tatsachen schlicht ignorieren und nicht in
politisches Handeln ummünzen.
Ich bin Entwicklungspolitiker und beschäftige mich
zum Beispiel sehr viel mit Lateinamerika oder Sri
Lanka. Dort gibt es Hunderte von Studien. Es gibt auch
zig Dokumentationen dazu. Heute zu sagen, dass die Er-
gebnisse, die hier Zweifel aufkommen lassen, nicht da
sind, ignoriert die Realitäten. Ich stelle die Frage: Wie
werden die Studien eigentlich überprüft? Wie geht man
da ran? Wird das öffentlich gemacht? Sind die Studien
öffentlich? Ich habe überhaupt kein Vertrauen mehr in
eine Überprüfung dieser Studien. Ich kann die Studien
nehmen und nachprüfen, ob sie in sich logisch sind. Das
heißt aber, dass die Fakten, die Datenerhebung, nicht
überprüft werden. Das müsste getan werden. Es kann
aber Jahre dauern, bis das geschieht. Deswegen ist auch
davon auszugehen, dass diese Überprüfung nicht zu dem
Ergebnis führt, das die Realität eigentlich verlangt. Man
spricht davon, dass die Nierenerkrankungen in Sri Lanka
massiv auf den Einsatz von Glyphosat zurückzuführen
sind. In Lateinamerika gibt es Fehlgeburten, Fehlbildun-
gen bei Neugeborenen, Krebserkrankungen, Hauterkran-
kungen, Nierenversagen. All das ist dokumentiert. Aber
Sie stellen sich hier hin und sagen: Es gibt keinen Hand-
lungsanlass. – Das ist etwas, was die Bevölkerung nicht
versteht und was auch ich nicht verstehe.
D
Herr Kollege, ich will Ihnen gerne noch einmal über
das Zustandekommen des Bewertungsberichtes Aus-
kunft geben, der am 19. Dezember 2013 an die EFSA
übergeben worden ist. Das BVL, das Bundesamt für Ver-
braucherschutz und Lebensmittelsicherheit, ist in
Deutschland für die Zulassung von Pflanzenschutzmit-
teln zuständig und koordinierte letztendlich die Samm-
lung all der Expertise, die in diesen Bericht eingebracht
wurde. Dabei war das BVL selbst für die Bewertung der
physikalischen und chemischen Eigenschaften verant-
wortlich. Es kamen dann aber weitere Teilberichte: vom
BfR – darüber hatten wir mehrfach gesprochen –, vom
Julius-Kühn-Institut hinsichtlich der Wirksamkeit, des
Nutzens und der Bienenverträglichkeit, vom Umwelt-
bundesamt hinsichtlich der Auswirkungen auf den Na-
turhaushalt. Weiterhin war die Slowakei Koberichterstat-
ter. Beiträge kamen auch von Umweltverbänden und
anderen Stellen oder Einrichtungen wie zum Beispiel
Nichtregierungsorganisationen oder Hochschulen. Da-
rüber hinaus hatte in diesem Neubewertungsverfahren,
wie ich schon gesagt habe, grundsätzlich jede Person die
Möglichkeit, Informationen vorzulegen, die zur Bewer-
tung beitragen können. Deshalb möchte ich es zurück-
weisen, dass nur selektiv Gutachten in diese Bewertung
eingeflossen sind.
Herr Kühn, Sie haben das Wort.Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Danke, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretärin, wirbefassen uns hier mit einer sehr relevanten Frage. In vie-len Brötchen ist Glyphosat nachweisbar gewesen. Mankann es im Baumarkt kaufen. Wir finden es in unsererUmwelt überall. Sie tun nun so, als ob die Bewertungder WHO sozusagen vom Himmel gefallen wäre undvöllig singulär dastünde. Jetzt ist es aber so, dass dasBundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsi-cherheit die Anwendung von Glyphosat in der Landwirt-schaft im Mai 2014 mit gewissen Beschränkungen be-legt hat. Für diese Beschränkungen muss es ja einen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9119
Christian Kühn
(C)
(B)
Grund gegeben haben. Ich würde jetzt gern von Ihnenwissen, welchen Grund das gehabt hat.Aus meiner Sicht war natürlich schon zu dieser Zeitdeutlich geworden, dass es sich hier um einen Stoff han-delt, der krebserregend sein kann, der die Gesundheitvon Menschen massiv schädigt. Ich denke, dass unteranderem deswegen die Beschränkung vorgenommenworden ist. Es wurde die Beschränkung vorgenommen,dass dieser Stoff kurz vor der Ernte nicht mehr ausge-bracht werden darf, damit er sich nicht mehr in Lebens-mitteln findet. Ich hätte gerne von Ihnen eine Antwortauf die Frage, warum diese Beschränkung vorgenommenworden ist, wenn dieser Stoff so ungefährlich ist, wie esdie ganzen anderen Gutachten, die Sie hier angeführt ha-ben, am Ende aussagen.D
Herr Kollege, Glyphosat ist ohne Zweifel ein wirk-
kräftiges Herbizid, dessen Anwendung auf den unmittel-
bar notwendigen Bereich beschränkt werden sollte. Des-
halb ist die Anwendung im Rahmen der Sikkation, wie
ich eben schon ausgeführt habe, begrenzt worden.
Der Bericht des BVL, von dem wir hier sprechen,
sieht keine unmittelbare gesundheitsschädigende Wir-
kung. Was er aber besagt, ist, dass durch die Anwendung
des Glyphosats die biologische Vielfalt, die Biodiversi-
tät, zurückgeht, also auf den Kulturflächen auch diejeni-
gen Pflanzen abgetötet werden, die Insekten wie
Schmetterlingen und Wildbienen Nahrung bieten. Von
daher ist der Einsatz nur im unmittelbar notwendigen
Umfang zulässig.
Frau Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Da Sie, Frau Staats-
sekretärin, vorhin die Frage meiner Kollegin Künast
nicht beantwortet haben, möchte ich Ihnen jetzt noch
einmal die Gelegenheit geben, sie zu beantworten. Frau
Künast hat Sie gefragt, ob Deutschland zustimmen wird.
Das ist ja eine ganz einfache Frage.
D
Die Abstimmungen im Kabinett, liebe Frau
Haßelmann, sind noch nicht abgeschlossen.
Herr Kollege Wunderlich.
Ich versuche, das mal in einer Minute zusammenzu-
fassen: Seit 1998 ist es Deutschland und seit spätestens
1999 ist es der EU bekannt, welche Folgen Glyphosat
auf Menschen und auf Tiere haben kann. 2010 hat ein
Konsortium von Wissenschaftlern eine Studie veröffent-
licht, die belegt, dass es Auswirkungen auf die DNA, auf
die Plazenta und auf die Embryonalstruktur hat, dass es
Alzheimer, Krebs usw. usf. fördert. Was macht die Poli-
tik? Nichts.
Jetzt heißt es immerhin: Wir beschäftigen uns mal da-
mit. Das BfR, das Bundesinstitut für Risikobewertung,
sagt: Das sehen wir als nicht so schlimm an, wir gucken
jetzt erst einmal, was dafür- und was dagegenspricht.
Die Wirkstoffgenehmigung läuft Ende des Jahres aus.
Da drängt sich mir der Verdacht auf, dass hier jetzt mit
einer Hinhaltetaktik so lange gezögert wird, dass diese
Studien nicht belegt werden, damit man am Jahresende,
wenn es um die Verlängerung geht, zustimmen kann.
Im Übrigen möchte ich jetzt ganz klipp und klar eine
Antwort der Regierung hören: Wie steht die Regierung
zu der Genehmigung von Mais, der herbizidresistent ist,
damit er mit solchem Dreck gedüngt werden kann?
D
Herr Kollege, mir ist nicht bekannt, dass Glyphosat
als Dünger eingesetzt wird; vielmehr wird es als Pflan-
zenschutzmittel eingesetzt. Ich hatte Ihnen eben gesagt,
dass bezüglich der Zulassung noch die Abstimmungen
im Kabinett laufen. Ich will Ihnen darüber hinaus ganz
klar sagen, dass das BfR eine unabhängige Behörde ist
und politischen Weisungen nicht Folge leisten muss,
sondern absolut unabhängig arbeitet und Politik berät.
Die Frage, über die wir hier sprechen, nämlich über die
weitere Zulassung von Glyphosat, ist deshalb keine poli-
tische Frage, sondern eine nach naturwissenschaftlichen
Kriterien zu entscheidende Frage.
– Herzlichen Dank, Frau Kollegin Künast, für den Zwi-
schenruf, auf den ich wahrscheinlich gar nicht antworten
darf oder muss; ich weiß es nicht. Ich will Ihnen nur sa-
gen, dass gerade die Frage der gesundheitlichen Auswir-
kungen in umfangreichen Studien überprüft wird, zum
Beispiel vom BfR.
Damit schließe ich den Bereich der dringlichen Fra-gen. – Ich rufe jetzt die Fragen auf Drucksache 18/4370in der üblichen Reihenfolge auf.Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.Hier beantwortet der Staatssekretär Christian Lange dieFragen.Zunächst rufe ich die Frage 1 der Kollegin Künastauf:Wie erklärt die Bundesregierung den Unterschied zwi-schen den Aussagen auf Bundestagsdrucksache 17/10495
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9120 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
sache 18/4238 andererseits – wonach es „einer Prüfung deszuständigen Ressorts zu gegebener Zeit , ob einePräsentation in Form einer Ausstellung im jeweiligen Einzel-fall tatsächlich geeignet und sinnvoll erscheint“, vergleicheAntwort zu Frage 18 –, und ist die Bundesregierung nichtmehr der Auffassung, dass eine Dauerausstellung zu den per-sonellen Kontinuitäten in den Bundesministerien zwischender NS-Zeit und der Zeit nach 1945 eine gute gesellschaftli-che Debatte befördern könnte?C
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin! In ihrer Ant-
wort auf die Frage 18 aus der Kleinen Anfrage der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen zur NS-Aufarbeitung in den
Bundesressorts hat die Bundesregierung erneut zum
Ausdruck gebracht, dass die Ergebnisse der NS-Auf-
arbeitungsarbeiten der Bundesressorts auch durch Aus-
stellungen der Öffentlichkeit sinnvoll und angemessen
vermittelt und allgemein zugänglich gemacht werden
können. Dabei ist jedes Ressort aufgerufen, eine diesbe-
zügliche Entscheidung hinsichtlich der Ergebnisse seiner
Aufarbeitungsarbeit zu treffen.
Was in der Frage angesprochene Durchführungen ei-
ner möglichen Ausstellung zum Rosenburg-Projekt be-
trifft, so ist der konkrete Entscheidungsprozess im Bun-
desministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
noch nicht abgeschlossen.
Frau Künast.
Ich hatte damals gefragt, ob es überhaupt noch die
Idee gibt, eine Dauerausstellung zu machen. Ich frage
danach, weil das Konzept von Public History – das war
damals Frage 14 – in Wahrheit ein Konzept ist, das das
damalige BMJ selbst erfunden und mitentwickelt hat.
Man sagte damals nämlich: Geschichtsaufarbeitung und
das Lernen daraus müssen und dürfen nicht zwingend
nur zwischen zwei Buchdeckeln passieren, sondern soll-
ten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein. Ich
frage Sie dies deshalb, weil Sie dieses Projekt im Minis-
terium damals quasi selbst entwickelt haben und weil bei
Umfragen – zum Beispiel neulich unter Jurastudierenden
des ersten und zweiten Semesters in Erlangen – ein Drit-
tel der Befragten gesagt hat, sie seien für eine Wieder-
einführung der Todesstrafe, deren Einführung nach un-
serem Grundgesetz gar nicht vorgesehen ist.
Wenn man all dies sieht, dann habe ich die Sorge,
dass wir viel zu wenig Aufarbeitung betreiben und viel
zu wenig den öffentlichen Diskurs führen. Deshalb frage
ich ganz klar: Setzt sich das BMJV dafür ein, dass es nur
für seinen Bereich oder insgesamt – es gibt auch in ande-
ren Ministerien Lücken – eine Ausstellung gibt, die tat-
sächlich Public History praktizieren kann, dass es also
eine öffentliche Auseinandersetzung an verschiedenen
Orten geben wird?
C
Ich will zunächst sagen, dass das Rosenburg-Projekt
unseres Hauses eine sehr große und positive öffentliche
Resonanz ausgelöst hat, sowohl bei Veranstaltungen, die
der Herr Bundesminister durchgeführt hat, als auch bei
einer Veranstaltung, die ich zum Beispiel beim Bundes-
gerichtshof in Karlsruhe durchgeführt habe. Darüber hi-
naus nehmen Sie Bezug auf die Ausstellung des alten
BMJ – sie hieß Im Namen des deutschen Volkes – Justiz
und Nationalsozialismus –, die übrigens Bundesjustiz-
minister Engelhard initiiert hatte. Da wir noch keine Ent-
scheidung über unser konkretes Vorgehen getroffen ha-
ben, kann ich die Frage nach der Konzeption der
Ausstellung – Wanderausstellung? in welcher Form? –
nur hypothetisch beantworten.
Die Ausstellung des früheren Bundesjustizministe-
riums ist, wie Sie sagten, vom Ministerium selbst thema-
tisch vorbereitet worden und befasst sich vor allem mit
der Justiz im nationalsozialistischen Unrechtssystem.
Nunmehr würde eine mögliche Ausstellung zum Rosen-
burg-Projekt auf den Ergebnissen der Arbeit der unab-
hängigen Wissenschaftskommission beim BMJV auf-
bauen, die sich mit der Aufarbeitung des Umgangs des
damaligen Bundesjustizministeriums mit der NS-Ver-
gangenheit befasst und insbesondere die Tätigkeit in den
1950er- und 1960er-Jahren im Blick hat. Auf der Grund-
lage der vorhandenen Akten soll ein quellengeschütztes
Gesamtbild erstellt werden. Das ist noch nicht abschlie-
ßend erfolgt. Wenn uns das Material vorliegt, werden
wir darüber entsprechend entscheiden.
Frau Künast.
Sie hatten mir damals in der Anfrage geantwortet,
dass es Unterstützungsleistungen für Professor Raphael
Gross vom Leo-Baeck-Institut und für das Jüdische Mu-
seum in Frankfurt gegeben hat. Ich würde gerne wissen:
Wie geht es hier eigentlich weiter? Was waren das für
Unterstützungsleistungen? Werden Sie zum Beispiel im
nächsten Bundeshaushalt – Sie sagen, das Haus denkt
noch darüber nach – einen ganz konkreten Finanzie-
rungsantrag für eine wie auch immer geartete Daueraus-
stellung stellen, oder sehen Sie das in fernerer Zukunft?
C
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich Ihnen dazu
nichts Konkretes sagen kann. Nehmen Sie aber bitte mit,
dass wir eine Öffentlichkeitsarbeit planen. Wie sie genau
aussehen wird, wie der Terminplan sein wird, wie sie
finanziell unterlegt sein wird, das kann ich Ihnen zum
jetzigen Zeitpunkt naturgemäß noch nicht sagen.
Vielen Dank. – Ich rufe die Frage 2 des AbgeordnetenHans-Christian Ströbele auf:Wie kann nach Auffassung der Bundesregierung eine Vor-ratsdatenspeicherung verfassungskonform geregelt werden,nachdem der Europäische Gerichtshof am 8. April 2014 dieSpeicherung der Daten jeglicher Berufsgeheimnisträger sowiesolcher Personen ausschloss, „bei denen keinerlei Anhalts-punkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mit-telbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straf-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9121
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
sichergestellt werden, dass solche Daten von Berufsgeheim-nisträgern sicher erkannt, von anderen Personen unterschie-den, ausgesondert und nicht gespeichert werden?Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.C
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Ströbele, ich möchte Ihre Frage wie folgt beantworten:
Eine gesetzliche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung
müsste die Vorgaben beachten, die sich aus der Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Euro-
päischen Gerichtshofs zu den bisherigen Regelungen auf
nationaler und europäischer Ebene ergeben. Dazu gehö-
ren der Schutz der Berufsgeheimnisträger und weitere
Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer solchen
Regelung, die sich, in den Worten des EuGH, auf das
– ich zitiere – „absolut Notwendige“ beschränken müss-
ten. In welcher Weise dies umgesetzt werden kann, ist
zurzeit Gegenstand von Gesprächen, die noch nicht ab-
geschlossen sind.
Herr Kollege Ströbele.
Danke, Herr Staatssekretär. Nachdem heute im
Rechtsausschuss jegliche Diskussion zu diesem Thema,
das die Öffentlichkeit durchaus beschäftigt, verweigert
worden ist, durch einen Beschluss der Großen Koalition
ohne ein inhaltliches Wort vom Tisch gewischt wurde,
sind wir darauf angewiesen, Sie hier zu fragen. Deshalb
habe ich Ihnen diese konkrete Frage gestellt. Sie haben
sie aber nicht beantwortet.
Welche Möglichkeiten sehen Sie denn überhaupt,
dass die Berufsgeheimnisträger – ich schätze, es sind
2 Millionen: Geistliche, Ärzte, Psychiater, Rechts-
anwälte, Abgeordnete – nicht aufgenommen werden?
Werden dann von allen diesen möglicherweise Millionen
Personen Kennnummern oder Kennzeichen in die Da-
teien aufgenommen, damit sie aussortiert werden, oder
wie stellen Sie sich das vor?
C
Herr Kollege Ströbele, zunächst lege ich Wert darauf,
darauf hinzuweisen, dass Ihre Frage, die Sie hier in der
Fragestunde gestellt haben, dem Ausschuss heute Mor-
gen bekannt war. Es wurde ausdrücklich darauf verwie-
sen, dass eine Diskussion darüber in der Fragestunde
stattfindet. Wir, jedenfalls was die Bundesregierung an-
geht, weichen also keinesfalls aus.
Ich antworte Ihnen wie folgt: Es ist richtig, dass der
Europäische Gerichtshof in seinem Urteil beanstandet
hatte, dass die Richtlinie – Zitat – „keinerlei Ausnahme“
bezüglich der Personen enthalte, die – erneutes Zitat –
„nach den nationalen Rechtsvorschriften dem Berufsge-
heimnis unterliegen“. Hier wird man eine Lösung finden
müssen. Das Thema ist nicht nur rechtlich, sondern auch
technisch komplex. Das alles ist Gegenstand der Gesprä-
che, die wir führen. Daher kann ich nur auf das bereits
Gesagte verweisen. Ich will hinzufügen: Die Gespräche
verlaufen äußerst konstruktiv und vertrauensvoll.
Herr Ströbele.
Danke erst einmal, Herr Staatssekretär. Die Frage ist
leider immer noch nicht beantwortet. Aber vielleicht
kann ich jetzt in diesem Zusammenhang konkret eine
Frage an den Minister richten. In Deutschland beschäf-
tigt sich nicht nur die Fachpresse, sondern auch die
Öffentlichkeit mit der Frage, was denn den Bundesjus-
tizminister bewogen haben könnte, von seiner vorher
mehrfach immer wieder sehr betont vorgetragenen Auf-
fassung abzuweichen, nämlich dass er, bevor Europa
eine Regelung vorschlägt, überhaupt nicht daran denkt,
die Vorratsdatenspeicherung zu erwägen oder gar einen
entsprechenden Gesetzentwurf in Auftrag zu geben. Was
hat ihn denn nun bewogen, seine Auffassung zu ändern?
Kann der Minister vielleicht etwas dazu sagen? Er ist
vielleicht authentischer als sein Staatssekretär. Was hat
Sie veranlasst, Ihre Auffassung zu ändern? War das al-
leine der Ukas oder die Anweisung des Parteivorsitzen-
den und Ministerkollegen Gabriel, oder gab es auch
sachliche Gründe, warum Sie die Entscheidung darüber
nun gerade für Ende Juni ankündigen, wenn Ihr Partei-
konvent stattfinden soll? Da wollen Sie etwas dazu vor-
legen. Geht es da um eine Befriedung der Partei, oder
geht es um ein wichtiges gesetzgeberisches Vorhaben?
C
Zunächst, Herr Kollege Ströbele, haben Sie drei Un-terstellungen in Ihre Frage eingebaut. Die erste war, ichhätte hier einen Zeitplan vorgestellt, der Minister hätteeinen Zeitplan vorgestellt. Davon kann keine Rede sein.Einen solchen Zeitplan gibt es nicht.Die zweite Unterstellung war, dass es eine Anwei-sung von wem auch immer gibt. Auch dies muss ichzurückweisen. Bundeswirtschaftsminister Gabriel hatdarauf hingewiesen, dass der Justizminister und der In-nenminister im Gespräch sind. Seit dem Urteil des Euro-päischen Gerichtshofs im vergangenen April sprechenwir innerhalb der Bundesregierung und übrigens auchmit unseren europäischen Partnern darüber. Ich sagte be-reits, dass die Gespräche mit dem Innenministeriumsachlich und konstruktiv verlaufen. Wasserstandsmel-dungen, nach denen Sie hier immer wieder fragen, kannich Ihnen allerdings nicht geben. Die Lage, die wir seitdem Urteil des Europäischen Gerichtshofs haben, ist mitvielen Unsicherheiten verbunden. Genau aus diesemGrund führen wir seit dem Urteil Gespräche, natürlichinsbesondere mit den Kollegen aus dem Bundesinnen-ministerium, wie mit den Vorgaben des Urteils umzuge-hen ist. Wie ich schon sagte: Einen Kompromiss zu fin-
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9122 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Parl. Staatssekretär Christian Lange
(C)
(B)
den, wird nicht einfach sein, und dies wird auch nichtvon heute auf morgen zu machen sein.Ihre dritte Unterstellung war, wir hätten damit auf dieAnschläge in Paris und Kopenhagen, die wir alle sehrbedauern, reagiert. Lassen Sie mich dazu sagen: Abso-lute Sicherheit – weder vor terroristischen Anschlägennoch vor sonstigen Gefahren, die irgendwo lauern – kön-nen wir nun einmal leider nicht gewährleisten. Das ha-ben wir immer klar und deutlich gesagt. Wer etwas ande-res behauptet, sagt, glaube ich, nicht die Wahrheit.Deshalb will ich noch einmal die Äußerungen vonBundesminister Maas in Erinnerung rufen, die er nachdem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vor einemJahr getätigt hat. Er sagte am 8. April unter anderem:Wir werden das Urteil jetzt sorgfältig auswerten.Dann werden wir mit unserem Koalitionspartnerneu über das Thema Vorratsdatenspeicherung redenmüssen. Wir werden das weitere Verfahren und dieKonsequenzen ergebnisoffen besprechen. Ich binmir sicher, wir werden eine sachliche und konstruk-tive Debatte führen und am Ende eine tragfähigeLösung finden.Herr Kollege Ströbele, genau das machen wir jetzt, undgenau so verfahren wir.
Frau Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
ich habe noch eine Nachfrage. Vizekanzler Sigmar
Gabriel hat sich ja neulich öffentlich dahin gehend ein-
gelassen, das vom EuGH und vom Bundesverfassungs-
gericht für verfassungswidrig erklärte Gesetz zur Vor-
ratsdatenspeicherung, also der erste Anlauf, sei von der
schwarz-gelben Bundesregierung beschlossen worden.
Nach meiner Erinnerung irrt er da. Ich habe das Gefühl
– ich glaube, das sieht meine Fraktion auch so; das ent-
spricht auch den Tatsachen –, dass das erste Gesetz, das
vom Bundesverfassungsgericht und vom EuGH kassiert
worden ist und für nicht verfassungsgemäß gehalten
wurde, von der ersten schwarz-roten Koalition in der Re-
gierungszeit davor, nämlich von 2005 bis 2009, be-
schlossen worden war. Sehen Sie das auch so? Können
Sie mir das bestätigen? Könnten wir allgemein sagen,
dass der Vizekanzler hier in seiner Einschätzung irrt?
C
Frau Kollegin, mir steht es nicht zu, den Bundeswirt-
schaftsminister zu kommentieren. Ich habe auch nicht
vor, dies zu tun.
Herr Kollege Wunderlich, Sie haben eine Frage?
Ich möchte an den Kollegen Ströbele anschließen.
Der EuGH hat ja festgestellt, dass eine anlasslose Vor-
ratsdatenspeicherung verfassungswidrig ist, auch was
die EU-Verfassung angeht
– doch, das ist so –
– ja, Europa –, wenn kein Zusammenhang mit schweren
Straftaten besteht. Frau Winkelmeier-Becker hat hier in
der Debatte zwar von Urheberrechtsverletzungen und
von Enkelbetrügereien im Internet gesprochen. Aber das
sind ja keine schweren Straftaten; ich gehe davon aus,
dass wir alle – bis auf Frau Winkelmeier-Becker – da ei-
ner Meinung sind. Demzufolge kann es also keine an-
lasslose Vorratsdatenspeicherung geben, weswegen
Minister Maas davon wohl auch Abstand genommen
hat. Es bleibt dabei: Woher kommt dieser Umschwung,
jetzt doch ein möglicherweise verfassungskonformes
Gesetz zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung vorle-
gen zu wollen? Woher kommt dieser Sinneswandel im
Justizministerium?
C
Herr Kollege, lassen Sie mich zunächst einmal sagen,
wie sich der Europäische Gerichtshof geäußert hat. Er
hat hinsichtlich der Richtlinie moniert, dass sie keine
klaren, präzisen Regeln zur Tragweite und zum Eingriff
in die Artikel 7 und 8 der Charta – das ist, im Unter-
schied zum Bundesverfassungsgericht, der wichtige
Maßstab – enthalte, also im Hinblick auf Eingriffe in das
Recht auf Privatleben und das Recht auf Datenschutz.
Außerdem hat er festgestellt, Eingriffe seien geeignet,
das Gefühl einer ständigen Überwachung zu erzeugen,
da die Vorratsdatenspeicherung ohne vorherige Informa-
tion der Betroffenen vorgenommen werde. Er hat auch
auf die Sicherheit und den Schutz der von den Telekom-
munikationsanbietern und den Netzbetreibern gespei-
cherten Daten Bezug genommen und das Fehlen ausrei-
chender Garantien zum Schutz vor Missbrauch der
Daten festgestellt.
Das alles sind Vorgaben, über die wir reden müssen
und über die wir auch reden, wenn wir über die Einfüh-
rung der Vorratsdatenspeicherung diskutieren. Bereits
heute kann aber festgehalten werden – insofern antworte
ich Ihnen direkt –: Eine anlasslose Vorratsdatenspeiche-
rung aller möglichen Daten wird es künftig sicher nicht
mehr geben können. Wir sollten nicht das Risiko einge-
hen – da sind wir uns sicher alle einig –, dass eine neue
Regelung wieder vom Bundesverfassungsgericht kas-
siert wird. Insofern gilt: Wir prüfen mit Hochdruck. Es
ist aber wichtig, hier Gründlichkeit vor Schnelligkeit
walten zu lassen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Finanzen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9123
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
Die Frage 3 des Kollegen Hans-Christian Ströbelewird schriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Arbeit und Soziales.Die Frage 4 der Kollegin Veronika Bellmann wirdschriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 5 der Kollegin SabineZimmermann, die mündlich beantwortet wird, auf:Wie hat sich in den zurückliegenden zehn Jahren die Zahlund der Anteil der Beschäftigten der Bundesagentur für Ar-beit entwickelt, die an Weiterbildungen teilgenommen haben– bitte jeweils Jahresdaten –, und in welchen zentralen Berei-chen erfolgt die Weiterbildung?Für die Bundesregierung antwortet die Staatssekretä-rin Anette Kramme. – Sie haben das Wort.A
Herzlichen Dank. – Meine Antwort fällt kurz aus: Das
entsprechende Zahlenmaterial steht uns nicht zur Verfü-
gung.
Frau Zimmermann?
Das ist natürlich eine sehr kurze Antwort. Wenn Ih-
nen zur Qualifizierung in einer Bundesbehörde keine
Zahlen vorliegen, ist das aus meiner Sicht schon bedenk-
lich. Dann werden Sie meine anderen Fragen ja auch
nicht beantworten können, zum Beispiel die Frage, ob,
wenn jemand für die Weiterbildung freigestellt wird, zu-
mindest gewährleistet ist, dass es eine Vertretung gibt.
A
Frau Zimmermann, Sie haben sehr detaillierte Fragen
gestellt. Wie gesagt, wir haben schlichtweg kein Zahlen-
material dazu. Wir kommen ja gleich zur Frage 6, die
auch Sie gestellt haben; dazu kann ich etwas sagen. Lo-
gischerweise kann ich zur Vertretungssituation insoweit
auch nicht Stellung nehmen.
Frau Zimmermann?
Dann können meine Fragen ja nicht beantwortet wer-
den.
Soll ich gleich zu Frage 6 übergehen?
Ja, das werden wir dann wohl tun müssen.
Dann rufe ich die Frage 6 der Kollegin Sabine
Zimmermann auf:
Wie haben sich in den zurückliegenden zehn Jahren die
Ausgaben für die Weiterbildung der Beschäftigten der BA
entwickelt – bitte Jahresdaten zu den Gesamtausgaben und
den durchschnittlichen Ausgaben je Mitarbeiter ausweisen –,
und wie gestaltete sich die durchschnittliche Dauer der Wei-
Frau Staatssekretärin.
A
Herzlichen Dank. – Zahlenmaterial liegt ab dem Jahr
2010 vor. Im Jahr 2010 sind 21 Millionen Euro für die
Weiterbildung ausgegeben worden, im Jahr 2011 18 Mil-
lionen Euro, im Jahr 2012 12 Millionen Euro, im Jahr
2013 13 Millionen Euro und im Jahr 2014 18 Millionen
Euro. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die
Ausgaben für haupt- und nebenamtliche Trainer, die als
Beschäftigte der Bundesagentur für Arbeit in die Fortbil-
dung eingebunden sind, nicht berücksichtigt werden.
Im Übrigen haben Sie weitere Detailfragen gestellt.
Auch dazu liegt uns kein Zahlenmaterial vor.
Frau Zimmermann.
Ich muss schon sagen: Anhand der Zahlen, die Sie
jetzt hier genannt haben, kann man erst einmal feststel-
len, dass die Mittel für die Qualifizierung rückläufig
sind. Sie sagen, Sie haben im Jahre 2012 12 Millionen
Euro dafür ausgegeben. Um hierzu eine Nachfrage zu
stellen: Sie müssen doch wenigstens sagen können, für
wie viele Köpfe das Geld ausgegeben worden ist.
A
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir können Ihre Fragen
nicht beantworten. – Ich kann Ihnen aber noch einmal
sagen: Es ist nicht zutreffend, dass die Fortbildungsmit-
tel nur rückläufig sind, sondern zwischen dem Jahr 2013
und dem Jahr 2014 sind sie beispielsweise um 5 Millio-
nen Euro gestiegen.
Vielleicht ist auch dieser Hinweis hilfreich: Immer
wenn große Reformen anstehen und Gesetze geändert
werden, ist der Fortbildungsbedarf zumindest vorüberge-
hend natürlich höher.
Möchten Sie noch eine weitere Nachfrage stellen,
Frau Zimmermann?
Vielleicht können Sie einmal einen Bezug zum Re-formbedarf herstellen. Sie sagen, dass es zwischen 2013und 2014 eine Steigerung gab. Das ist natürlich schonverwunderlich, da es in den anderen Jahren eine rückläu-
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9124 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Sabine Zimmermann
(C)
(B)
fige Entwicklung gegeben hat. Vielleicht können Sie da-rauf eingehen, warum es hier eine Steigerung gab undwarum die Mittel in den anderen Jahren rückläufig ge-wesen sind.A
Das kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht beantwor-
ten. Möglicherweise ergibt hier eine Rückfrage bei der
Bundesagentur für Arbeit Näheres. Das wollen wir gerne
tun.
Sie fragen nach konkreten Gesetzesreformen und da-
nach, wann diese vorgenommen worden sind. Verzeihen
Sie mir bitte, dass ich an dieser Stelle sicherlich keine
exakten Jahreszahlen wiedergeben kann.
Davon abgesehen: Meines Wissens sind Sie auch seit
einigen Jahren Parlamentarierin. Sie müssten das also in
gleicher Weise wissen wie meine Person.
Ich bitte, die Fragen wirklich sachlich zu beantworten
und nicht zu kommentieren.
Das Angebot, dass Sie sich bemühen, die Zahlen von der
Bundesagentur für Arbeit zu erhalten, wird von Frau
Zimmermann sicherlich gerne angenommen. Das ist mit
Sicherheit im Sinne der Fragestellerin.
Jetzt hat Frau Haßelmann das Wort.
Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin, erst einmal
sage ich Ihnen: Das steht Ihnen gar nicht zu. Sorry! Wir
stellen Ihnen als Parlamentarierinnen und Parlamentarier
Fragen, Sie können sie nicht beantworten und sagen
dann auch noch, wir hätten als Parlamentarierinnen und
Parlamentarier in den letzten Jahren ja mal ein paar Fra-
gen stellen können. Wo sind wir denn hier!? Ich bitte
Sie! Sie haben hier eine Auskunftspflicht gegenüber dem
Parlament.
Nun aber zu meiner sachlichen Frage: Wir reden hier
über Weiterbildungsmaßnahmen und über Jobcenter.
Sind Ihnen eigentlich der Wallraff-Bericht und die Situa-
tion der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcen-
tern – Stichworte: Anstrengung, Belastung, Fluktuation,
Fortbildung – bekannt? Das alles muss ja ganz deutlich
in dem Kontext gesehen werden, den Frau Zimmermann
in ihren Fragen anzusprechen versucht hat.
Sie sagen, Sie beschäftigen sich damit eigentlich
nicht. Das ist eine furchtbare Analyse; denn das Arbeits-
ministerium müsste sich mit der eklatanten Situation, die
in dem Wallraff-Bericht und in der Darstellung der
Wirklichkeit in den Jobcentern beschrieben wird, doch
längst von sich aus aktiv beschäftigen.
Frau Staatssekretärin.
A
Allein im Ausschuss haben wir heute zwei Stunden
über dieses Thema diskutiert und uns natürlich auch in-
tensiv mit der Arbeitsbelastung der Mitarbeiter und Mit-
arbeiterinnen in den Jobcentern befasst.
Zunächst einmal ist hier Folgendes anzumerken: Im
Bereich Aktivierung gibt es gesetzlich festgelegte Be-
treuungsschlüssel. Diese Betreuungsschlüssel werden in
der gesamten Bundesrepublik auch weitgehend einge-
halten. Der Betreuungsschlüssel für die unter 25-Jähri-
gen liegt bundesweit beispielsweise bei 1 : 70. Der Be-
treuungsschlüssel für die über 25-Jährigen liegt bei
1 : 147. Für den Bereich der Leistungsbearbeitung lag
der Bearbeitungsschlüssel zeitweilig bei 1 : 130. Dort
hat es dann Veränderungen gegeben, und mittlerweile ist
der Schlüssel bei 1 : 111 angelangt.
Insgesamt ist es so, dass der Anteil der befristeten
Stellen – ein Thema, über das das Parlament seit vielen
Jahren diskutiert – stark rückläufig ist. Bundesweit sind
noch circa 8,9 Prozent aller Stellen befristet. Das diffe-
riert ein klein wenig danach, in welcher Region man ist.
In Bayern gibt es fast keine Befristungen mehr. Das ist in
Bundesländern anders, in denen sich die Kommunen aus
der Arbeitsvermittlung zurückziehen und die Bundes-
agentur für Arbeit nachpersonalisieren muss. Noch et-
was, was in diesem Zusammenhang interessant ist: Seit
2007 gibt es im Bereich der Jobcenter 26 000 zusätzliche
Stellen.
Es ist so, dass der Bund-Länder-Ausschuss darüber
hinaus ein Gutachten zur Personalbemessung bei den
Jobcentern in Auftrag gegeben hat. Erste Ergebnisse lie-
gen vor: Ein Ergebnis dieser Studie ist, dass keinesfalls
von einer durchgängigen Überbelastung im Bereich der
Jobcenter gesprochen werden kann. Allerdings gibt es
auch Defizite im zugrundeliegenden Zahlenmaterial,
weshalb in dieser Studie vorgeschlagen wird, dass man
bei den Jobcentern eine Clustereinteilung vornimmt und
sich dann die Strukturen genauer anschaut. Diesem Vor-
schlag stehen wir positiv gegenüber.
Noch ein Hinweis. Wir führen intensiv und ständig
Gespräche, sowohl mit den Mitarbeitern der Jobcenter
als auch mit den Geschäftsführungen. Allein ich habe
sicherlich im letzten Jahr mit Vertretern von 50 oder
60 Jobcentern gesprochen. Wir haben selbstverständlich
an der Hauptversammlung der Personalräte teilgenom-
men. Es gibt auch Gesprächskontakte zur Arbeitsge-
meinschaft der Jobcenter-Personalräte.
Frau Staatssekretärin, ich muss Sie auf die Redezeithinweisen. Sie ist schon deutlich überschritten.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9125
(C)
(B)
A
Ich denke, an dieser Stelle ist hinreichend belegt, dass
wir die Sorgen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr
ernst nehmen.
Damit schließe ich den Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Ernährung und Landwirtschaft auf. Frau
Staatssekretärin Dr. Flachsbarth steht zur Beantwortung
der Fragen bereit.
Die Frage 7 der Abgeordneten Bärbel Höhn wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 8 des Abgeordneten
Kekeritz:
Wie hat das Bundesministerium für Ernährung und Land-
wirtschaft, BMEL, das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, in die Formulie-
rung des „Konzepts Welternährung“, herausgegeben vom Re-
ferat 622 des BMEL im Januar 2015, eingebunden, und inwie-
fern ist das BMZ über eigenständige Aktivitäten des BMEL in
Entwicklungsländern informiert?
Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Das BMEL-Konzept
„Welternährung“ beschreibt die Ziele, Instrumente und
Aktivitäten des Bundesministeriums für Ernährung und
Landwirtschaft im Bereich der Welternährung. Inhaltlich
bewegt sich das Konzept im Rahmen gemeinsamer Posi-
tionen der Bundesregierung.
Entsprechend allgemeiner Praxis werden andere Res-
sorts nicht unmittelbar in die Formulierung ressortspezi-
fischer Konzepte eingebunden. Das BMEL und das Bun-
desministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung arbeiten aber eng und vertrauensvoll zu-
sammen, nicht nur die beiden Bundesminister Christian
Schmidt und Dr. Gerd Müller, sondern auch die Mitar-
beiter beider Häuser. Deshalb ist das BMZ über die Akti-
vitäten des BMEL in Entwicklungsländern selbstver-
ständlich informiert.
Herr Kekeritz.
Dann könnte man sagen: Es ist ja alles in Ordnung. –
Aber so ganz scheint mir das doch nicht zu sein. Ist Ih-
nen einmal aufgefallen, dass die Konzepte des Entwick-
lungsministeriums den Konzepten des Landwirtschafts-
ministeriums diametral entgegengesetzt sind? Es werden
ganz andere Schwerpunkte gesetzt, die sich gegenseitig
ausschließen. Das BMZ versucht, den Hunger in der
Welt zu bekämpfen, und das Landwirtschaftsministe-
rium fördert die Großagrarindustrie und setzt auf den
Export von Lebensmitteln. Der Export aber reduziert das
Angebot an Waren und Lebensmitteln im Inland. Das ist
eben der große Widerspruch. Wie erklären Sie mir das?
D
Herr Kollege, Sie haben die Antwort schon selbst mit
Ihrer Frage gegeben. Es gibt unterschiedliche Schwer-
punktsetzungen; das ist richtig. Das Landwirtschaftsmi-
nisterium versteht sich selbst als Ministerium, das eben
auch wirtschaftliche Aspekte mit betrachtet. Wir versu-
chen in der Zusammenarbeit mit einigen Ländern, unter
anderem mit Ländern in Afrika, die wirtschaftlichen As-
pekte der Landwirtschaft zu entwickeln, übrigens selbst-
verständlich immer in enger Zusammenarbeit mit den
Gastländern.
Herr Kekeritz.
Ich habe nicht die Antwort gegeben, sondern ich habe
Ihnen gesagt, dass das sich widersprechende Konzepte
sind. Das muss man mir erklären: Wie kann das Land-
wirtschaftsministerium sagen: „Wir versuchen, mög-
lichst viel zu exportieren“, während dort die Lebensmit-
tel fehlen? Das ist der Widerspruch.
Außerdem halte ich es für sehr fraglich, dass das
Landwirtschaftsministerium großagrarindustrielle Ver-
hältnisse in Entwicklungsländern fördern muss. Mit wel-
cher Legitimation nehmen Sie deutsche Steuergelder, um
zum Beispiel die deutsche Agrarindustrie dabei zu för-
dern, dass sie Maschinen, Saatgut und Düngemittel in
Entwicklungsländer exportiert?
D
Herr Kollege Kekeritz, ich will noch einmal konkreti-
sieren: Die Zusammenarbeit mit der sambischen Regie-
rung betrifft ein Projekt, das mit der Demonstration und
Versuchen nachhaltiger Anbauverfahren, der Fortbil-
dung landwirtschaftlicher Fachkräfte und der Erprobung
standortangepasster Produktionsverfahren zu tun hat.
Das alles findet auf Flächen von staatlichen sambischen
Partnerbetrieben statt, die auch die Räumlichkeiten für
Schulungen zur Verfügung stellen. Es sind also tatsäch-
lich unterschiedliche Schwerpunktsetzungen von BMZ
und BMEL. Die Ministerien stimmen sich aber ab, um
gegenüber dem Gastland ein stimmiges Konzept darle-
gen zu können. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass
sich eine selbsttragende Wirtschaft in dem betreffenden
Land entwickeln kann.
Schönen Dank. – Wir kommen zum Geschäftsbereichdes Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infra-struktur. Die Frage 9 des Abgeordneten Krischer wirdschriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-torsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau
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9126 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter bereit.Ich rufe Frage 10 des Abgeordneten Christian Kühn,Bündnis 90/Die Grünen, auf:Wie viele Bundeshaushaltsmittel will die Bundesregierungin den Jahren 2016 und 2017 für das Wohngeld in den Bun-deshaushalt einstellen, und mit wie vielen Wohngeldempfän-gerhaushalten rechnet die Bundesregierung in diesen Jahren?Frau Staatssekretärin, bitte.Ri
Danke, Herr Präsident. – Lieber Kollege Kühn, das
Wohngeld wird zur Hälfte von Bund und Ländern ge-
zahlt.
– Herr Kühn, ich möchte nur darauf hinweisen, dass ich
jetzt Ihre Frage beantworte.
Es ist mithilfe des Kollegen Grund gelungen, diese
Kommunikation herzustellen.
Ri
Für den Bundesanteil sind in den Eckwerten für den
Haushalt 2016 und den Finanzplan bis 2019 715 Millio-
nen Euro für das Jahr 2016 und 665 Millionen Euro für
das Jahr 2017 vorgesehen. Die Bundesregierung rechnet
mit 866 000 Wohngeldempfängerhaushalten im Jahr
2016 und 811 000 Wohngeldempfängerhaushalten im
Jahr 2017.
Zusatzfrage, Kollege Kühn? – Bitte.
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Danke, Frau Staatssekretärin. – Ich habe lange auf die
Antwort gewartet; denn diese Frage habe ich schon ein-
mal in einer Fragestunde gestellt. Deswegen danke für
die ausführliche Antwort und auch für die Zahlen.
Ich wiederhole jetzt die Frage, die ich schon einmal
gestellt habe: Landen wir am Ende dieser Legislaturpe-
riode beim Wohngeld auf dem Niveau, auf dem
Schwarz-Gelb schon einmal war?
Ri
Sie haben danach schon einmal in der Befragung der
Bundesregierung letzten Mittwoch gefragt. Auf jeden
Fall gibt es jetzt mehr Wohngeldempfänger als bisher.
Rund 320 000 Personen erhalten durch die Reform erst-
mals oder wieder einen Wohngeldanspruch. Darunter
sind 90 000 sogenannte Wechslerhaushalte, die zuvor
Leistungen der Grundsicherung erhalten haben. In den
Haushalten, die durch die Wohngeldreform erstmals
Wohngeld beziehen können, leben 110 000 Kinder, die
zukünftig einen Anspruch auf Bildungs- und Teilhabe-
leistungen erhalten. Von der Reform profitieren insbe-
sondere 27 000 Haushalte von Alleinerziehenden, da sie
erstmals einen Wohngeldanspruch erhalten.
Sie haben in Ihrer Frage letzten Mittwoch einen Zu-
sammenhang zur Indexierung und zur Mietensteigerung
hergestellt. Die Ministerin hat Ihnen dazu eine Antwort
gegeben.
Es gibt noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kühn?
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ich habe noch eine Zusatzfrage. Sie haben gesagt,
dass ungefähr 50 000 Bezieherinnen und Bezieher von
Wohngeld bis 2017 wieder aus dem Wohngeldbezug he-
rausfallen werden. Können Sie mir die Größenordnung
der Kosten sagen, die dann auf die Kommunen zukom-
men werden? Denn diese Personen werden natürlich zu
einem Großteil KdU-Gelder erhalten.
Ri
Das kann ich Ihnen aus dem Stegreif jetzt so nicht sa-
gen. Man kann auch nicht prophezeien, wie das tatsäch-
lich sein wird. Unter anderem hängt das auch davon ab,
wie sich Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt entwickeln
werden. Ich habe Ihnen aber gerade solide gerechnete
Zahlen vorgestellt.
Es gibt eine weitere Frage, diesmal der Kollegin
Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin
Schwarzelühr-Sutter, können Sie uns vielleicht noch ein-
mal kurz darlegen, was Sie veranlasst hat, den Heizkos-
tenzuschuss im Rahmen der Wohngeldnovelle nicht wie-
der einzuführen? Denn es ist klar, dass die steigenden
Energiekosten ziemlich viele betreffen. Es gab auch An-
kündigungen dazu, das zu machen. Es ist allerdings im
Rahmen der Novelle nicht mehr vorgesehen. Was hat Sie
dazu veranlasst?
Ri
Wir haben stattdessen die Berechnung an der Brutto-warmmiete orientiert, sodass der Effekt ungefähr der
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9127
Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
(C)
(B)
gleiche ist. Sie haben die Diskussion mitverfolgt. Für dieWohngeldempfänger ist das eine Verbesserung, weil wiruns an der Bruttowarmmiete orientieren und die Erhö-hung des Wohngeldes entsprechend erfolgt.
Dann kommen wir zur Frage 11 ebenfalls des Abge-
ordneten Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche Städte und Gemeinden werden durch die Neube-
rechnung der Mietstufen herabgestuft?
Frau Staatssekretärin.
Ri
Bei der Regierungsbefragung am 18. März 2015
wurde Frau Bundesministerin Dr. Hendricks unter ande-
rem nach den Gemeinden gefragt, bei denen die neue
Mietenstufe gegenüber der aktuellen Mietenstufe herab-
gestuft werden soll. Dabei nannte Frau Bundesministerin
Dr. Hendricks versehentlich eine einstellige Anzahl der
Gemeinden. Dieses Versehen bedauern wir sehr.
Diese Größenordnung entspricht nämlich der Anzahl
der Gemeinden, die um mehr als eine Mietenstufe he-
rabgestuft werden. Insgesamt führt die Mietenniveau-
berechnung auf der Grundlage der aktuellen Wohngeld-
statistik mit Stichtag 31. Dezember 2012 dazu, dass
279 Gemeinden, die 2006 und/oder 2012 mehr als
10 000 Einwohner hatten, herabgestuft werden.
Wichtig ist dabei, die neuen Mietenstufen nicht iso-
liert zu betrachten. Die Mietenstufe bestimmt die Höhe
der zuschussfähigen Miete. Die isolierten Wirkungen der
Herabstufungen auf die Wohngeldhaushalte werden
durch Änderungen – das ist die gleichzeitige Erhöhung
der Miethöchstbeträge und der Tabellenwerte – aufge-
fangen, sodass alle Empfängerhaushalte von der Wohn-
geldreform profitieren werden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kühn?
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Erst einmal danke, dass Sie diesen Fehler korrigiert
haben. Herzlichen Dank dafür! Dass man das hier im
Plenum tut, dazu gehört auch etwas. – Meine Frage be-
zieht sich auf Ihren letzten Satz. Sie sagten, dass kein
Wohngeldempfänger in Deutschland weniger Wohngeld
als in der letzten Legislaturperiode bekommt, weil auch
die Herabstufung in einzelnen Städten durch den Anstieg
des Wohngeldes insgesamt kompensiert wird.
Ri
Das erfolgt einmal durch die Tabellenwerte und ande-
rerseits natürlich auch durch die Miethöchstbeträge. In-
sofern profitieren alle davon.
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ich habe dazu eine zweite Nachfrage. Sie haben
– meine Kollegin Britta Haßelmann hat vorhin darauf
hingewiesen – den Heizkostenzuschuss in die Stufen in-
tegriert.
Ri
Genau.
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Das ist bei der Bruttowarmmiete berücksichtigt. – Ich
komme jetzt auf meine erste Frage zurück. Dabei ging es
um Empfängerhaushalte und Geld. Insofern sind wir auf
dem Niveau von Schwarz-Gelb, zu deren Zeit der Heiz-
kostenzuschuss bereits abgeschafft wurde. Ich verstehe
das nicht ganz; mir erschließt sich nicht, wie man dann
insgesamt darauf kommt, dass nun für jeden Einzelnen
mehr da ist.
Ri
Ich habe gerade noch einmal versucht, Ihnen zu erklä-
ren, dass es natürlich durch die Tabellenwerte, die Miet-
höchstwerte und die Orientierung an der Bruttowarm-
miete einen Ausgleich gibt. Dadurch ergibt sich jetzt
doch noch einmal ein deutlicher Anstieg für all die Per-
sonen, die ich genannt habe, Personen, die jetzt wieder
Wohngeld bekommen oder dieses erstmals beziehen
werden.
Schönen Dank. – Nun kommen wir zum Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung. Die Fragen 12 und 13
des Abgeordneten Movassat werden schriftlich beant-
wortet.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Wie stellt das BMZ sicher, dass die Aktivitäten des BMEL
keine Inkohärenzen zu seinen eigenen entwicklungspoliti-
schen Vorhaben aufweisen, und in welcher Weise kommt das
Bundeskanzleramt dabei seiner Rolle nach, die Arbeit der ver-
schiedenen Ministerien zu koordinieren?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Silberhorn bereit. – Herr Staatssekretär, bitte.
Th
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege, dasBundesministerium für Ernährung und Landwirtschaftund das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung pflegen eine enge Zusam-
Metadaten/Kopzeile:
9128 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Parl. Staatssekretär Thomas Silberhorn
(C)
(B)
menarbeit. Das Landwirtschaftsministerium informiertuns über seine eigenen entwicklungspolitischen Vorha-ben. Wir stimmen das bei uns hausintern ab. Es gibt da-bei in aller Regel keinerlei Unstimmigkeiten. Von daherist auch eine Befassung des Bundeskanzleramtes nichterforderlich.Wir bemühen uns im Übrigen um Kohärenz auchdort, wo wir unsere Projekte umsetzen, beispielsweiseindem wir die deutschen Botschaften im Bereich derEntwicklungszusammenarbeit stärken, damit wir in un-seren Partnerländern kohärent auftreten. Alle Ressorts,die öffentliche Mittel der Entwicklungszusammenarbeiteinsetzen, sind gehalten, sich vor Ort eng mit den Bot-schaften abzustimmen.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, wenn Sie es nicht angesprochen
hätten, wäre ich nicht auf die Idee gekommen. Ich habe
gerade Äthiopien, Malawi und Sambia besucht, und ich
habe genau die Rückmeldung von den Botschaften be-
kommen, dass es landwirtschaftliche Projekte im soge-
nannten Entwicklungsbereich gibt. Meines Erachtens ist
das kein Entwicklungsbereich, sondern ein Exportförde-
rungsbereich. Aber man wusste in den Botschaften zum
Teil überhaupt nicht, dass das Landwirtschaftsministe-
rium dort solche Aktivitäten hat. So klar können die Ab-
sprachen also nicht sein, und so klar verhält es sich auch
nicht mit der Einbindung der Botschaften vor Ort.
Herr Staatssekretär.
Th
Herr Kollege Kekeritz, ich kann nicht bewerten, wel-
che Erfahrungen Sie bei einem bestimmten Besuch und
bei bestimmten Gesprächen gemacht haben, bei denen
ich nicht zugegen war. Wir wissen allerdings, dass die
enge Abstimmung und Koordinierung eine ständige
Aufgabe ist. Gerade in Äthiopien – das Land haben Sie
angesprochen – praktizieren wir das, etwa in einem land-
wirtschaftlichen Beratungszentrum in Kulumsa. Dort
geht es keineswegs um Exportförderung; es geht viel-
mehr darum, wie es die Kollegin Flachsbarth vorhin
schon ausgeführt hat, dass wir in einem solchen Land zu
einer selbsttragenden wirtschaftlichen Entwicklung bei-
tragen und dass die Wertschöpfung, die in diesem Land
generiert werden kann, auch der breiten Bevölkerung zu-
gutekommt. Gerade in Äthiopien spielt die Landwirt-
schaft eine zentrale Rolle, weil schätzungsweise 80 bis
90 Prozent der Bevölkerung im Landwirtschaftssektor
tätig sind.
Weitere Fragen gibt es nicht.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich der Bun-
deskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Frage 15
des Abgeordneten Andrej Hunko wird schriftlich beant-
wortet.
Wir kommen zu Frage 16 der Abgeordneten Britta
Haßelmann:
Auf welche Weise hat die Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel von den Plänen der AVE Gesellschaft für Fernsehpro-
duktion erfahren, einen Film über ihr Leben auf der Grund-
lage eines Drehbuches des Spiegel-Autors Dirk Kurbjuweit
im Wahljahr 2017 in die Kinos zu bringen, und wie hat die
Bundeskanzlerin auf dieses Vorhaben reagiert?
Zur Beantwortung steht der Staatsminister Dr. Helge
Braun bereit. – Herr Staatsminister, bitte.
D
Vielen Dank. – Frau Kollegin, Die Bundeskanzlerin
hat von dem geplanten Film aus Medienberichten vom
17. und 18. März 2015 erfahren, und sie hat diese zur
Kenntnis genommen.
Haben Sie dazu eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? –
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank auch Ih-
nen, Herr Braun. Meine Nachfrage ist: Haben Sie in-
nerhalb des Bundeskanzleramtes diskutiert, welche Ab-
grenzungsschwierigkeiten es bei dieser Filmplanung
bezüglich der Frage einer indirekten Wahlkampfhilfe für
die Bundeskanzlerin gibt, wenn der Film gerade im
Wahljahr fertig werden soll? Haben Sie eine solche Pro-
blematik schon einmal erörtert, oder finden Sie es ein-
fach nur toll, dass es diesen Film geben soll, und freuen
sich alle gemeinsam darüber?
D
Eine solche positive Bewertung, wie Sie sie unterstel-
len, hat es nicht gegeben, sondern ich stelle fest, dass wir
nicht beabsichtigen, als Bundesregierung dieses Film-
projekt in irgendeiner Weise organisatorisch oder inhalt-
lich zu unterstützen.
– Auch nicht durch die Hauptdarstellerin.
Kollege Kühn, Sie haben sich zurückhaltend, abersichtbar zu einer Zusatzfrage gemeldet.Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Danke, Herr Präsident, dass Sie noch eine Zusatz-frage zulassen. – Ich habe ebenfalls eine Nachfrage zudem Film über die Kanzlerin. Es ist sehr heikel, wenn
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9129
Christian Kühn
(C)
(B)
ein solcher Film im Wahljahr 2017 herauskommt. Eswäre ein Skandal, einen solchen Film, der in einemWahljahr erscheinen und in dem es auch um Spitzenkan-didaten gehen soll, mit öffentlichen Geldern zu fördern.Wie gedenkt die Bundesregierung dafür zu sorgen, dasses dafür keine öffentlichen Gelder der Filmförderunggibt?D
Soweit es im Zuständigkeitsbereich der Bundesregie-
rung liegt – das habe ich ja schon gesagt –: Wir beab-
sichtigen nicht, diesen Film zu unterstützen. Das gilt so-
wohl in materieller als auch in finanzieller Hinsicht.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beant-
wortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Brigitte Zypries bereit.
Die Frage 17 der Abgeordneten Bärbel Höhn, die
Frage 18 des Abgeordneten Oliver Krischer und die
Frage 19 der Abgeordneten Sevim Dağdelen werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl auf:
Welchen Standpunkt hat Deutschland in der Ratsarbeits-
gruppe für Atomfragen am 11. März 2015 beim ersten Tages-
ordnungspunkt „Energy Union Package – Nuclear Aspects –
Presentation by the Comission“ gegenüber der Europäischen
Kommission und den anderen Mitgliedstaaten vertreten, und
wie hat sie sich konkret zu den einzelnen Stellungnahmen von
Bitte, Frau Staatssekretärin.
B
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat sich in
der von Ihnen genannten Sitzung der Ratsarbeitsgruppe
für Atomfragen nicht inhaltlich geäußert. Insofern kann
ich Ihnen dazu keine weitere Auskunft geben.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? – Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Wie man vernimmt,
haben sich relativ viele Staaten dort geäußert: Großbri-
tannien, Frankreich und die meisten osteuropäischen
Staaten haben sich sehr positiv zum Ausbau der Atom-
kraft – wie es dort immer heißt: der Kernenergie – geäu-
ßert. Österreich dagegen hat sich so eingelassen, dass
man die Energieunion nicht nutzen sollte, um die Kern-
energie zu fördern. Mich verwundert, dass sich Deutsch-
land als Ausstiegsland gar nicht geäußert hat. Würden
Sie mir dafür eine Begründung geben?
B
Es handelte sich um ein ressortabgestimmtes Vorge-
hen. Bundesminister Gabriel hatte zuvor, am 5. März,
die Gelegenheit genutzt, sich deutlich dagegen auszu-
sprechen, dass die Kernenergie finanziell gefördert wird.
Diesbezüglich gab es eine klare Stellungnahme von ihm.
Deswegen waren entsprechende Äußerungen in der
Ratsarbeitsgruppe nicht mehr nötig. Das politische
Statement Deutschlands war bereits abgegeben.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kotting-Uhl?
Nicht wirklich, vielleicht eine abschließende Bemer-
kung. – Mir erschließt sich nicht, warum man sich auf
der Sitzung der Ratsarbeitsgruppe – dort geht es schließ-
lich darum, dass man sich berät – nicht mehr geäußert
hat, weil man zuvor Stellung genommen hat. Vermutlich
können Sie mir daraufhin nur das wiederholen, was Sie
schon gesagt haben.
B
Manchmal ist es sinnvoll, wenn nicht jeder immer
wieder dasselbe erzählt. Die Position Deutschlands war
klar. Wenn 28 Staaten beraten und jeder immer dasselbe
erzählt, dann ist das – das kann ich Ihnen aus eigener Er-
fahrung sagen – auch nicht gerade immer zweckentspre-
chend.
Dazu gibt es Wortmeldungen von Frau Kollegin
Haßelmann und vom Kollegen Kekeritz. – Frau Kollegin
Haßelmann, bitte.
Frau Zypries, hat in diesem Kontext und in den Bera-
tungen eigentlich die Beihilfe für Hinkley Point C eine
Rolle gespielt? Dazu wurde ja eine Entscheidung getrof-
fen. Darüber haben wir im Plenum mehrfach gespro-
chen. Wir haben diverse Male gehört, dass die Bundes-
regierung noch keine abschließende Auffassung zu der
Frage hat, ob wir uns der Nichtigkeitsklage gegen diese
Beihilfeentscheidung, die maßgeblich Herr Oettinger
forciert hat, auf europäischer Ebene anschließen. Meine
Frage lautet: Haben Sie das in diesem Zusammenhang
diskutiert, und hat die Bundesregierung endlich eine ab-
schließende Auffassung? Wir müssen ja langsam mal
entscheiden, ob wir uns der Nichtigkeitsklage anschlie-
ßen.
B
Dazu kann ich Ihnen leider gar nichts sagen, Frau Ab-geordnete. Die Antwort bekommen Sie schriftlich.
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9130 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
(C)
(B)
Die Nachfrage des Abgeordneten Kekeritz zum glei-
chen Sachverhalt hat sich offenbar erledigt.
Wir kommen zur Frage 21 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche Positionen wurden in den in der Antwort der Bun-
desregierung auf meine mündliche Frage 22, Plenarprotokoll
18/93, Seite 8839, genannten Gesprächen der Bundesregie-
rung mit Vertretern der Atomkraftwerke, AKW, betreibenden
Energieversorgungsunternehmen, EVU, hinsichtlich des wei-
teren Umgangs mit deren Rückstellungen für den AKW-
Rückbau und die Atommüllentsorgung jeweils auf beiden Sei-
wird die Bundesregierung aus dem zu diesem Thema vom
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bei der Kanz-
lei Becker, Büttner, Held und Professor Dr. Wolfgang Irrek
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Frau Abgeordnete, im Plenarprotokoll vom 18. März
ist bei der Beantwortung der mündlichen Frage aufgelis-
tet worden, mit wem Gespräche stattgefunden haben.
Diese Gespräche werden naturgemäß nicht schriftlich
dokumentiert. Wir machen keine Aufzeichnungen über
diese Art von Gesprächen, schon gar nicht systematisch.
Deswegen können wir Ihnen Positionen, die im Einzel-
nen in diesen Gesprächen vertreten wurden, nicht nen-
nen.
Ich kann Ihnen aber gerne sagen, dass natürlich die
grundsätzliche Position der Bundesregierung bekannt
ist: Wir sind der Auffassung, dass die Energieversor-
gungsunternehmen gesetzlich zum Rückbau der Atom-
kraftwerke und zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle
verpflichtet sind und dass aus unserer Sicht zwingend si-
cherzustellen ist, dass diese gesetzlichen Vorschriften
auch dauerhaft eingehalten werden. Deswegen kann es
bei diesen Gesprächen, die da geführt worden sind, nur
um das Zumausdruckbringen dieser Position gegangen
sein. Die Vertreter der Energieversorgungsunternehmen
haben diese Position der Bundesregierung auch nicht in-
frage gestellt.
Im Koalitionsvertrag ist darüber hinaus vereinbart,
mit den Kernkraftwerke betreibenden Energieversor-
gungsunternehmen Gespräche über die Realisierung ih-
rer rechtlichen Verpflichtung zur Tragung der Kosten für
den Rückbau der Kraftwerke und die Entsorgung der ra-
dioaktiven Abfälle zu führen. Um diese Gespräche vor-
zubereiten, hat das Ministerium ein Gutachten in Auf-
trag gegeben. Das Gutachten wurde in der vergangenen
Woche auf der Internetseite des Bundeswirtschaftsminis-
teriums veröffentlicht.
Auf der Basis der Erkenntnisse des Gutachtens wird
das Haus jetzt zur Vorbereitung weiterer Gespräche mit
den Energieversorgungsunternehmen wie folgt vorge-
hen: Zunächst einmal gibt es eine Bewertung der Ent-
wicklung der Kernenergierückstellungen. Dann werden
wir die folgenden Aspekte prüfen: zum einen die Ge-
währleistung der Haftung der Energieversorgungsunter-
nehmen auch bei möglichen gesellschaftsrechtlichen
Umstrukturierungen, zum anderen die Etablierung inter-
ner und/oder externer Fonds zur Sicherstellung der Er-
füllung der Verpflichtung aus diesen Kernenergierück-
stellungen.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja. Vielen Dank, Herr Präsident. – Eine Vorlage über
die weiteren Prüfungsschritte, die jetzt vorgenommen
werden sollen, hat der Wirtschafts- und Energieminister
an die Kollegen der Koalitionsfraktionen geschickt. Ich
habe dazu Nachfragen.
Wer soll den Stresstest, der bewerten soll, wie wert-
haltig die Konzernrückstellungen für AKW-Rückbau
und Atommüllentsorgung tatsächlich sind, durchführen,
falls das schon feststeht, und vor allem: Bis ungefähr
wann soll dieser Test abgeschlossen sein?
B
Das muss ich Ihnen schriftlich beantworten.
Haben Sie noch eine Frage?
Ja, ich habe noch eine Frage. – Vergibt das BMWi den
Auftrag dafür ohne oder mit Abstimmung mit anderen
Ressorts, insbesondere dem Kanzleramt und dem
BMUB?
B
Falls ein solcher Auftrag vergeben wird – die Frage
muss ich Ihnen, wie gesagt, schriftlich beantworten –, ist
es sehr wahrscheinlich oder hundertprozentig sicher,
dass wir das in Abstimmung mit anderen Ressorts ma-
chen.
Eine Zusatzfrage dazu haben zunächst der Abgeord-
nete Kekeritz und danach der Abgeordnete Christian
Kühn.
Herr Minister Gabriel hat die Etablierung von inter-nen oder externen Fonds angekündigt. Meine Frage gehtin folgende Richtung: Ist da so etwas Ähnliches wie eineBad Bank geplant? Kann diese Regierung mir sicher ga-rantieren, dass der Steuerzahler und die Steuerzahlerinnicht in Haftung genommen werden und die EVUs nichtüber den direkten oder indirekten Weg von irgendwel-chen Fonds entlastet werden?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9131
(C)
(B)
B
Herr Abgeordneter, ich hatte gerade ausgeführt, dass
wir aufgrund dieses Gutachtens jetzt erst überhaupt prü-
fen, ob es solche Fonds geben soll und, wenn ja, wie sie
gegebenenfalls ausgestaltet sein könnten. Ich kann des-
halb auf Ihre Frage jetzt noch keine Antwort geben.
– Das kann ich im Moment nicht.
Kollege Christian Kühn hat die letzte Frage zu diesem
Komplex.
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Prüfungen oder Prüfaufträge sind wir ja von dieser
Bundesregierung gewohnt. NAPE zum Beispiel ist vol-
ler Prüfaufträge. Es ist aber immer wichtig, ab wann man
zu politischem Handeln kommt. Das ist ja meist nach der
Prüfung.
Für uns wäre wirklich spannend, zu wissen, wann Sie
denn die Prüfungen zu dieser Fondslösung abgeschlos-
sen haben werden. Bis wann erwarten Sie Ergebnisse?
B
Das kann ich Ihnen nicht abschließend sagen. Wir
werden dieses Gutachten jetzt auswerten. Wir werden
das auch mit anderen Häusern diskutieren. Wie lange das
genau dauert, auch mit Blick auf die kommende Oster-
pause, kann ich Ihnen nicht abschließend sagen.
Jetzt hat sich noch Frau Haßelmann gemeldet. – Bitte.
Danke, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin, mich
irritiert jetzt ein bisschen, dass Sie sagen, Sie könnten für
die Bundesregierung noch nicht klar sagen, dass es auf
jeden Fall verursachergerecht wird. Wir reden hier da-
rüber, dass vier große Energiekonzerne Rückstellungen
in Höhe von 36 Milliarden Euro gemacht haben. Wir re-
den gleichzeitig darüber, dass diese Rückstellungen für
die Entsorgung und die einigermaßen sichere Endlage-
rung – wenn man davon überhaupt sprechen kann – nicht
ausreichen. Jetzt versucht man, das Ganze irgendwie zu
retten, indem man wenigstens diese Rückstellungen in
einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt, damit das
Geld unabhängig davon, was aus den Konzernen wird,
gesichert wird.
Eigentlich müsste doch das Verhandlungsprinzip der
Bundesregierung ganz klar sein und darin bestehen, dass
vonseiten der Atomkonzerne ausreichend Mittel zur Ver-
fügung gestellt werden und dass das Verursacherprinzip
gilt; denn sonst hieße das doch, dass die großen Energie-
konzerne jahrelang Riesengewinne gescheffelt haben,
aber dass für die Verluste und die Endlagerung am Ende
wir alle, die Bürgerinnen und Bürger, zahlen – nach dem
Motto: Gewinne privatisiert, Verluste sozialisiert. Das
kann doch nicht sein. Dazu muss es doch eine klare Hal-
tung der Bundesregierung geben.
B
Frau Abgeordnete, vielen Dank für diese Nachfrage.
Das gibt mir Gelegenheit, ein offenbar bestehendes
Missverständnis aufzuklären.
Die Frage von Ihrem Kollegen war quasi ad ultimo,
also sozusagen für immer, gestellt. „Für immer“ kann
ich hier gar nichts sagen. Aber im Grundsatz ist das, was
Sie sagen, natürlich völlig richtig: Es gibt Rückstellun-
gen. Es gibt eine gesetzliche Verpflichtung der Betreiber
– das habe ich eingangs auch zitiert –, dafür zu sorgen,
dass die Entsorgung entsprechend funktioniert. Ob das
jetzt eingestellte Geld dafür reichen wird, wissen wir
nicht. Selbstverständlich besteht die Verpflichtung der
Betreiber von Kernenergieanlagen auch darüber hinaus.
Das ist mit den jetzt bestehenden Rückstellungen ja nicht
abgegolten, so wie Sie gerade formuliert haben.
– Die Gesetzeslage ist eindeutig. Entsprechend dieser
Gesetzeslage werden wir jetzt weiter prüfen, wie wir mit
den Rückstellungen zu verfahren haben, was darüber hi-
naus noch erforderlich ist und wie es dann wird.
Schönen Dank.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Aus-
wärtigen Amts. Zur Beantwortung steht Staatsminister
Michael Roth bereit.
Frage 22:
Mit welchem Ziel sollen Gespräche mit der syrischen Füh-
rung, wie sie der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-
krete Vorstellungen, in welchem Format solche Gespräche
stattfinden sollen?
Fragesteller ist der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke,
Fraktion Die Linke.
Herr Staatsminister, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Herr KollegeGehrcke, sollten Sie mit Ihrer Frage eine Neuausrich-tung unserer Syrien-Politik insinuieren, muss ich Ihnendeutlich widersprechen. Das ist nicht der Fall.Unser Bundesaußenminister hat mehrfach deutlichgemacht, dass wir den furchtbaren Bürgerkrieg in Syrienmilitärisch nicht werden lösen können. Insofern sindumfassende politische und diplomatische Anstrengun-
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9132 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Staatsminister Michael Roth
(C)
(B)
gen gefordert. Selbstverständlich spielen dabei Verhand-lungen die herausragende Rolle.Es gibt bereits jetzt durch Staffan de Mistura, den Sy-rien-Gesandten der Vereinten Nationen, direkte politi-sche Gespräche mit dem Assad-Regime in Damaskus.Im Übrigen hat der Gesandte auch ein eigenes Büro inDamaskus. Syrien selbst ist durch einen ständigen Ver-treter bei den Vereinten Nationen in New York präsent.Um diese politischen Gespräche geht es. Auf diese poli-tischen Gespräche, die bereits mit dem Assad-Regimegeführt werden, hat der Bundesaußenminister hingewie-sen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Gehrcke.
Schönen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatsminister,
ich habe lange darüber nachgedacht, ob mir eine Frage
einfällt, mit der ich die Bundesregierung gleichzeitig lo-
ben kann. Sie ist mir eingefallen. Seien Sie doch so
forsch, und nehmen Sie das Lob auch an.
Die Erklärung des US-Außenministers Kerry, dass
man, wenn man muss, auch mit Assad verhandeln wird,
und die dementsprechende Erklärung des Bundesaußen-
ministers unseres Landes sind, wie ich finde, ein effekti-
ver Fortschritt. Ich habe darüber mit Vertretern des Na-
tionalen Koordinierungsrates hier in Berlin gesprochen.
Auch die sagen nicht mehr: Erst muss Assad weg, und
dann wird verhandelt. – Kann ich unterstellen, dass auf
dieser Linie auch die Bundesregierung für Verhandlun-
gen mit dem Assad-Regime eintritt?
Diese Frage verwundert mich jetzt ein wenig, lieber
Herr Kollege Gehrcke; denn die Haltung der Bundesre-
gierung ist nicht neu. Bereits im Genfer Kommuniqué
vom Juni 2012 sind politische Verhandlungen selbstver-
ständlich auch mit dem Assad-Regime vorgesehen. An-
ders kann ich mir solche politischen Gespräche auch
nicht vorstellen. Die zentrale Rolle dabei nehmen die
Vereinten Nationen und insbesondere der Sonderbeauf-
tragte der Vereinten Nationen für Syrien, Staffan de
Mistura, wahr.
Eine weitere Zusatzfrage? – Bitte schön, Herr Abge-
ordneter Gehrcke.
Ich streite mit Ihnen nicht um das Erstgeburtsrecht.
Wir haben hier immer vorgeschlagen, dass verhandelt
wird, dass Assad – ob er in Person oder seine Vertreter –,
die Golfstaaten, Ägypten, selbstverständlich die USA,
Russland und andere mit an den Tisch müssen, und das
alles unter dem Dach der Vereinten Nationen. Es gibt
mindestens 200 000 Tote in Syrien, es gibt Millionen
von Flüchtlingen. Diese Situation ist nur über Verhand-
lungen lösbar. Der Vorschlag von de Mistura, jetzt lokale
Waffenstillstände durchzusetzen, ist ein wichtiger
Schritt; das unterscheidet ihn etwas von seinem Vorgän-
ger.
Kann man es so formulieren: „Die Bundesregierung
wird ihre Kraft dafür einsetzen, dass Genf 3 stattfinden
und auf dieser Grundlage verhandelt wird“?
Herr Präsident! Lieber Kollege Gehrcke, wir unter-
stützen uneingeschränkt die Implementierung des Gen-
fer Kommuniqués. Wir unterstützen nach Kräften die
Vereinten Nationen und den Sonderbeauftragten. Wir
sind in einer Reihe von Gesprächen involviert. Wir wün-
schen uns nichts sehnlicher, als dass dieser furchtbare
Bürgerkrieg des Diktators gegen sein eigenes Volk been-
det wird, dass hoffentlich irgendwann einmal Millionen
von Flüchtlingen wieder in ihre Heimat zurückkehren
können und das Morden endlich ein Ende hat.
Zu diesem Gesamtkomplex gehört auch die Frage 23
des Kollegen Gehrcke:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die diplomatischen Be-
ziehungen zur Syrischen Arabischen Republik wieder zu nor-
malisieren?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Gehrcke, diese
Frage kann ich ganz kurz beantworten: Nein, für eine di-
plomatische Aufwertung des Assad-Regimes sieht die
Bundesregierung derzeit keinerlei Veranlassung.
Ich füge hinzu: Syrien ist in Berlin durch eine Bot-
schaft vertreten, die von einer Geschäftsträgerin geleitet
wird. Diese Botschaft nimmt in erster Linie konsulari-
sche Angelegenheiten wahr. Die deutsche Botschaft in
Damaskus ist seit 2012 geschlossen.
Zusatzfrage, Herr Kollege?
Eine kurze Replik, damit meine Kollegin noch fragen
kann, Herr Präsident: Das ist ein typisch falsches Verhal-
ten. Sie sollten alle Kanäle nutzen, die sich ergeben, um
Gespräche zur Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien
zu führen. – Das können wir so stehen lassen.
Das war auch keine richtige Zusatzfrage. Alle, die ge-lauscht haben, werden das bestätigen können.Schönen Dank, Herr Staatsminister Roth.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-ministers des Innern. Zur Beantwortung steht der Parla-mentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder bereit.Die Frage 24 der Abgeordneten Sevim Dağdelen wirdschriftlich beantwortet.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9133
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Wir kommen zur Frage 25 der Abgeordneten MartinaRenner:Wie viele Quellenmeldungen des VM 2100/„Hagel“ desThüringer Landesamtes für Verfassungsschutz aus welchenJahren liegen im Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV, vor?Herr Staatssekretär, bitte.D
Frau Abgeordnete, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Im Bundesamt für Verfassungsschutz wurden
69 Deckblattmeldungen – so der technische Ausdruck
für Quellenmeldungen – aus den Jahren 1997 bis 2001
identifiziert, in denen als Ursprung der ehemalige
VM 2100 der Thüringer Landesbehörde für Verfas-
sungsschutz genannt wurde.
Die Zusammenstellung der Deckblattmeldungen wurde
anlässlich eines entsprechenden Amtshilfeersuchens des
Untersuchungsausschusses des Thüringer Landtages zu
„Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“ vom Oktober
2013 vorgenommen.
Nach Vorgaben der Thüringer Landesbehörde für Ver-
fassungsschutz zum Auftrag des V-Mannes und zur
Dauer seiner Tätigkeit wurden dabei diejenigen Akten-
bestände im Bundesamt für Verfassungsschutz durch-
sucht, die thematisch und zeitlich unmittelbar einschlä-
gig waren. Die Akten zum Thüringer Heimatschutz und
zu Blood & Honour gehörten dazu. Weitere nicht unmit-
telbar einschlägige Akten waren nicht Gegenstand der
Suche. Ich kann vor diesem Hintergrund nicht ausschlie-
ßen, dass im einschlägigen Gesamtaktenbestand des
Bundesamtes für Verfassungsschutz noch weitere ein-
zelne Deckblattmeldungen des ehemaligen VM 2100
vorhanden sind. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber
nicht auszuschließen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Herr Präsident, meine Fragen würde ich gerne nach
Beantwortung der nächsten Frage gemeinsam stellen.
In Ordnung. Sie können Ihre Zusatzfragen danach zu-
sammen stellen.
Ich rufe damit die Frage 26 der Abgeordneten
Martina Renner auf:
Wie viele der im BfV vorliegenden Quellenmeldungen des
VM 2100/„Hagel“ des Thüringer Landesamtes für Verfas-
sungsschutz wurden jeweils dem 2. Untersuchungsausschuss
der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages zum Natio-
nalsozialistischen Untergrund und dem Oberlandesgericht
München im Verfahren gegen Beate Zschäpe vorgelegt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das Bundesamt
für Verfassungsschutz hat keine der genannten Deck-
blattmeldungen an das Oberlandesgericht München
übermittelt. Auch hat es keine Zusammenstellung sämt-
licher Deckblattmeldungen des VM 2100 für den 2. Un-
tersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages sowie
für den Thüringer Untersuchungsausschuss gegeben.
Mindestens eine Deckblattmeldung des VM 2100 war
Teil der dem Untersuchungsausschuss vorgelegten Ak-
ten zum Thüringer Heimatschutz. Ob weitere Deckblatt-
meldungen übermittelt wurden, war in der Kürze der für
die Beantwortung einer mündlichen Frage zur Verfü-
gung stehenden Zeit nicht möglich.
Ihre Zusatzfragen, Frau Renner.
Herr Präsident, ich habe vier Zusatzfragen:
Erstens. Warum wurde dem OLG München keine
Übersendung der Akten zugesagt, obwohl die in Rede
stehende Person, Marcel Degner, Zeuge vor dem OLG
München ist, eine erste Aussage getätigt hat und diese
Deckblattmeldungen für das Münchener Gericht natür-
lich beweiserheblich sind?
Zweitens. Warum wurden diese Unterlagen dem Un-
tersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages in der
letzten Legislatur nicht zur Verfügung gestellt vor dem
Hintergrund, dass es sich bei dieser Quelle um einen
Funktionär von Blood & Honour mit einem Kennver-
hältnis zu den beiden Haupttätern Uwe Mundlos und
Uwe Böhnhardt handelt und es durch die gemeinsamen
Veranstaltungen in Thüringen und darüber hinaus – Kon-
zerte, gemeinsame Fahrten zu Demonstrationen, aber
auch gemeinsam begangene Straftaten – in Rede steht,
dass die Quelle zu dem, wie man es nennt, Kerntrio des
NSU durchaus Auskunft gegeben hat?
Drittens. Warum wurden dem Thüringer Untersu-
chungsausschuss auf einen entsprechenden Beweisan-
trag die Akten des V-Mannes 2100 nicht zur Verfügung
gestellt?
D
Zunächst einmal bleibt offen, inwieweit das OLGMünchen nach der Zeugenaussage jetzt noch weitere Be-weisbeschlüsse fasst; davon ist aber auszugehen. In die-sem Fall werden sämtliche Akten, die unter den Beweis-beschluss fallen, selbstverständlich geliefert.
Aber bisher gibt es solche Beweisbeschlüsse eben nicht.Daran ist das Bundesamt für Verfassungsschutz nun ein-mal gebunden.Das Gleiche gilt für den Ermittlungsbeauftragten desUntersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages.Dieser hat sich den Themenbereich Blood & Honour ge-
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9134 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
(C)
(B)
nau angeguckt und dann auch Einzelstücke angefordert.In dem Zusammenhang waren aber keine Deckblattmel-dungen vorhanden, obwohl er sich den Bestand genauangeschaut hat. Der Untersuchungsausschuss des Deut-schen Bundestages hat themenbezogen den Komplex„Thüringer Heimatschutz“ abgefragt. Dazu ist auch ent-sprechend geliefert worden.Zu Ihrer Anfrage zu dem anderen V-Mann: Da fehlenmir die Kenntnisse. Das würde ich nachliefern.
Eine Frage haben Sie noch.
Es war kein anderer V-Mann. Wir reden die ganze
Zeit über Marcel Degner, V-Mann „Hagel“, Deckname
2100. Die Frage, warum der Thüringer Untersuchungs-
ausschuss die Akten nicht bekommen hat, würde ich
gerne noch beantwortet bekommen.
Vor dem Hintergrund, dass die Treffberichte dieses
V-Mannes im Thüringer Landesamt für Verfassungs-
schutz aus bisher unersichtlichen Gründen vernichtet wur-
den, habe ich noch eine vierte Frage: Inwieweit sehen Sie
das Aufklärungsversprechen der Bundeskanzlerin und der
Bundesregierung im Zusammenhang mit dem NSU ge-
währleistet, wenn wir jetzt hören, dass die Unterlagen zu
einer zentralen Quelle in den entsprechenden Strukturen,
in denen das Kerntrio entstanden ist, weder dem PUA des
Deutschen Bundestages noch dem PUA in Thüringen
noch dem OLG zur Verfügung gestellt wurden?
D
Ich kann Ihre Nachfrage nicht nachvollziehen. Ich bin
davon ausgegangen, dass Sie noch einen anderen V-Mann
nennen; denn dem Thüringer Untersuchungsausschuss
sind 69 Deckblattmeldungen übermittelt worden. Alles
das, was im Bestand gesichtet werden konnte, ist über-
mittelt worden. Insofern kann ich nicht nachvollziehen,
dass wir irgendetwas nicht übermittelt hätten.
Es ist so, dass dem Bundesamt für Verfassungsschutz
aufgrund der Zentralstellenfunktion die Sachakten vor-
liegen, aber nicht die Personenakten. Deshalb ist es er-
forderlich, sämtliche Sachakten durchzusehen, wenn Sie
die Akten einer bestimmten V-Person bekommen möch-
ten. Das ist natürlich ein erheblicher Aufwand; man
muss überlegen, dass 1 000 Aktenbände zu durchsuchen
sind. Das Bundesamt für Verfassungsschutz tut selbst-
verständlich alles, um den Beweisanträgen Rechnung zu
tragen.
Schönen Dank. – Frage 27 des Abgeordneten Andrej
Hunko, Frage 28 des Abgeordneten Volker Beck sowie
die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Dr. André Hahn
werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende unserer Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG
durch Ausgliederung
Erste Rednerin in der Aktuellen Stunde ist die Abge-
ordnete Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! „Leistung muss sich wieder lohnen“, ein net-ter Slogan. Aber wenn ich auf die Deutsche Post AGschaue, frage ich mich: Für wen muss sich Leistung wie-der lohnen? Für diejenigen, die mit ihrer Hände harterArbeit den Erfolg erwirtschaften? Sicher nicht; denn26 000 Euro verdienen Postzustellerinnen und Postzu-steller im Schnitt im Jahr. Für das Management, für An-teilseigner und Aktionäre? Sicher ja; denn 3,5 MillionenEuro verdient zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende derPost AG. Aber wieso eigentlich? Was haben die konkretgeleistet?
Steuert das Management der Post AG die Lkw? Lieferndie Anteilseigner die Pakete aus? Oder sind es die Aktio-näre, die die Briefe von Haustür zu Haustür tragen? Die-jenigen, die mit ihrem Einsatz und ihrer Arbeit den Er-folg der Post AG im letzten Jahr erst möglich gemachthaben, können nicht sagen, dass sich ihre Leistung lohnt,ganz im Gegenteil.Fast 3 Milliarden Euro Gewinn hat die Post 2014 er-wirtschaftet. Damit liegt sie in der Spitzengruppe derDAX-Unternehmen. Finanzielle Not ist es also nicht, diedie Post zu Restrukturierungsmaßnahmen zwingt. Bis2020 will die Post den Gewinn auf 5 Milliarden Eurosteigern. Das würde wiederum bedeuten, dass in jedemder kommenden Jahre der Gewinn um 8 Prozent steigenmüsste. Ich wiederhole: um 8 Prozent. Das wird sie si-cher nicht mit einer Portoerhöhung von 2 Cent hinbe-kommen. Das kann und wird nur funktionieren, wenndie Post ihre Personalkosten senkt. Aus Sicht des Kon-zerns steht der gültige Tarifvertrag dabei natürlich imWege. In der Vergangenheit hat sich der Konzern einerbesonders üblen Form des Einsatzes von befristeten Ar-beitsverträgen bedient. Sie erinnern sich vielleicht an diePostzustellerin, die über 17 Jahre hinweg auf Grundlagevon 88 Zeitverträgen bei der Post angestellt war.
– Das war ein Skandal, ganz genau.
Und das ist kein Einzelfall, wie mir die Kolleginnen undKollegen vom Betriebsrat bestätigten.Den 26 000 befristet Beschäftigten, die Ende 2014 imZustelldienst waren, setzt man nun die Pistole auf die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9135
Sabine Zimmermann
(C)
(B)
Brust. Neue entfristete Verträge gibt es nur noch in den49 neu gegründeten Tochterfirmen. Nicht ganz überra-schend werden die Beschäftigten dort nicht mehr nachdem bei der Post üblichen Tarifvertrag bezahlt, sondernnach dem der Speditions- und Logistikbranche. Natür-lich sieht dieser deutlich schlechtere Bedingungen vor.Nach Berechnungen der Gewerkschaft Verdi können dieBeschäftigten bis zu 3 500 Euro weniger in ihrem Geld-beutel haben. Das meine Damen und Herren, ist wirklichein Skandal.
„Leistung muss sich wieder lohnen“? Für Postbe-dienstete wohl eher nicht. Das, meine Damen und Her-ren der CDU/CSU, ist Ihr sogenanntes Jobwunder. Dabeiwurden die Arbeitsbedingungen der Zustellerinnen undZusteller in den letzten Jahren immer härter: Immer län-gere Zustellrunden bei gleicher Arbeitszeit wurden denPostzustellerinnen und -zustellern aufgebrummt. Nochmehr lassen sie sich einfach nicht auspressen, und zurSteigerung der Gewinne ist da natürlich nichts mehr zuholen. Darum folgen jetzt Tarifflucht und Lohndrücke-rei. Solche perfiden Praktiken, meine Damen und Her-ren, sind unerträglich.
Es ist auch zynisch, wenn der Personalvorstand be-hauptet, die Beschäftigten hätten ja die freie Wahl, dieseVerträge anzunehmen, wenn als Alternative nach demAuslaufen der alten Verträge Hartz IV droht. Mit befris-teter Beschäftigung und Hartz IV werden die Beschäftig-ten diszipliniert und das Lohnniveau nach unten gezo-gen. So funktioniert die Agenda 2010.Was das mit dem Bund zu tun hat, werden Sie viel-leicht fragen. Mit 21 Prozent ist der Bund immer nochgrößter Einzelaktionär und damit voll in der Verantwor-tung. In den vergangenen zehn Jahren wurden insgesamtmehr als 8 Milliarden Euro als Dividenden an die Aktio-näre ausgeschüttet. Damit hat der Bund 1,7 MilliardenEuro bekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen derSPD, will sich die Sozialdemokratie jetzt auch noch Pro-fitmaximierung auf Kosten der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer auf die Fahnen schreiben? Liebe Kolle-ginnen und Kollegen der CDU/CSU, ist es das, was Sieunter sozialer Marktwirtschaft verstehen: die Aktien-kurse steigen und die Löhne fallen?Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleichdem Wohle der Allgemeinheit dienen.Das Grundgesetz gilt auch für den Anteilseigner Bund.Machen Sie endlich Ihren Einfluss bei der DeutschenPost AG geltend!Danke schön.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Tobias Zech, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ichmöchte bei diesem sehr wichtigen Thema mit ein paarFakten beginnen.Erstens. Die Deutsche Post beschäftigt im Briefbe-reich 100 000 Arbeitnehmer in unbefristeten Beschäfti-gungsverhältnissen. Zusätzlich werden jedes Jahr durch-schnittlich 12 000 bis 15 000 Arbeitnehmer befristetbeschäftigt; davon werden jährlich 2 000 bis 3 000 über-nommen.Zweitens. Nun wird die DHL Delivery GmbH ge-gründet.
– Sie ist schon gegründet. Da haben Sie recht, Frau Kol-legin. – Bis 2020 werden 10 000 unbefristete Stellen ge-schaffen,
bis 2025 wohl 20 000. Ein Großteil der Beschäftigtenwird aus den jetzt befristeten Arbeitsverhältnissen über-nommen; aber ein Teil, circa ein Drittel, soll über denfreien Arbeitsmarkt eingestellt werden.
Deshalb muss man, um bei der Wahrheit zu bleiben, ersteinmal feststellen: Es wird Beschäftigung aufgebaut,und zwar tarifgebundene Beschäftigung.
Drittens. Die neuen 20 000 Beschäftigten erhalten Ta-rife nach den von Verdi ausgehandelten und unterschrie-benen regionalen Speditions- und Logistiktarifverträgen.Bisherige befristete Arbeitnehmer erhalten darüber hi-naus eine Zulage, die ihnen das bisherige Grundeinkom-men sichert.Viertens. Die Arbeitsplätze sind deutschlandweit diebestbezahlten Arbeitsplätze im Brief- und Paketmarkt.Während andere mit dem Mindestlohn kämpfen, zahltdie Delivery GmbH im Schnitt immer noch über 12 Europro Stunde. Die bisher befristet beschäftigten Arbeitneh-mer fallen eben nicht in ein Loch, sondern in unbefris-tete Arbeitsverhältnisse.
Fünftens. Laut Stiftung Warentest ist die DHL Groupdas Unternehmen mit den besten Arbeitsbedingungen inder Zustellbranche, am deutschen Paketmarkt.Das waren jetzt die fünf Wahrheiten, die unwider-sprochen sind – ob es Ihnen passt oder nicht.
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9136 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Tobias Zech
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Medial wird das Thema jedoch nur von einer Seite be-leuchtet. Es wird gesagt, dass den Mitarbeitern der Deut-schen Post nur eine Wahl bleibt – wir haben es von derVorrednerin gehört –: Entweder sie bleiben in befristetenBeschäftigungsverhältnissen, oder sie wechseln. Damitkommt etwas zu kurz, worum es hier geht: Die Konkur-renz ist auf diesem Gebiet relativ groß, vor allem im Be-reich der Paketzustellung. Die DHL muss sich dem stel-len. Insoweit handelt es sich um eine alltäglichewirtschaftliche Umstrukturierung; unternehmerischesDenken und Handeln liegen dem zugrunde.
Das ist auch notwendig, um im Wettbewerb bestehen zukönnen. Denn nicht nur für DHL, sondern auch für dieMitarbeiter ist unternehmerischer Erfolg im Hinblick aufnachhaltige Beschäftigung notwendig.Die Frage, die Sie aufgeworfen haben, bleibt daher,inwiefern wir als Gesetzgeber gefragt sind. Wir könnenRahmenbedingungen für ein faires Arbeitsverhältnis undinsbesondere einen Ausgleich zwischen unternehmeri-scher Flexibilität und sicheren Arbeitsplätzen schaffen.Das haben wir aber schon getan; denn wir haben dieRichtlinie von 1999 über befristete Arbeitsverträge überdas Ziel hinaus umgesetzt. Gefordert waren drei Alterna-tiven: die Festlegung von Sachgründen, die eine Verlän-gerung von Befristungen rechtfertigen, die Festlegungzeitlicher Höchstgrenzen für die zulässige Gesamtdauervon Befristungen oder die Festlegung der zulässigen An-zahl von Verlängerungen befristeter Arbeitsverträge. DerGesetzgeber hat dies in § 14 des Teilzeitbefristungsge-setzes nicht nur umgesetzt, sondern auch ausreichendRegelungen geschaffen, um Arbeitnehmer zu schützen.Dabei hat sich Deutschland – übrigens unter einer rot-grünen Bundesregierung – für die befristete sachgrund-lose Beschäftigung und die mehrfache Befristung mitSachgrund entschieden, und das aus gutem Grund;
denn die Flexibilität war ein Grund dafür, dass wir in denletzten Jahren während der europäischen Rezession sehrgut überlebt haben.
Nicht zuletzt hat auch die Rechtsprechung diesen richti-gen und funktionierenden Weg immer wieder bestätigt.Dabei dürfen wir aber eines nicht vergessen: Nebenden gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen wir denUnternehmen auch ein Mindestmaß an Flexibilität undunternehmerischer Freiheit lassen. Kommt es hier zuMissbrauch – dies hat das BAG immer wieder unter Be-weis gestellt –, gibt es ausreichend Möglichkeiten, denRechtsweg zu beschreiten.Ich warne hier also eindringlich davor, diese Thema-tik abstrahiert von den Umständen am Markt zu betrach-ten. Ein Schnellschuss kann ungewollt Gegenteiliges be-wirken, insbesondere wenn es darum geht, befristetbeschäftigten Mitarbeitern einen unbefristeten Arbeits-vertrag anbieten zu können. Diesen Schritt sollten wirdaher – natürlich mit einem kritischen Blick – weiterverfolgen. Für das Buhei, das heute um diese Entschei-dung der Post gemacht wird, habe ich allerdings keinVerständnis. Aus meiner Sicht bleiben die Mitarbeiter intarifgebundenen Arbeitsverhältnissen; das ist eine guteNachricht.Herzlichen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-ordneten Beate Müller-Gemmeke, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Die Post steht gut da, sie macht satteGewinne. Von einer Krise und von Existenznöten kannalso keine Rede sein. Und doch wird jetzt umstrukturiert,von langer Hand geplant und mithilfe von externen Be-ratern. Ein gesundes Unternehmen wird zerlegt, undzwar zulasten der Beschäftigten. Die Aktionäre aber be-kommen mehr Geld. Was da gerade bei der Post passiert,ist unanständig; anders kann ich das nicht bezeichnen.
Seit Jahren machen die Gewerkschaften Zugeständ-nisse. Bereits 2001 gab es ein neues Entgeltsystem; daswar eine Zäsur. Danach wurde sogar eine zusätzlicheGruppe 0 eingeführt; das Eingangsgehalt wurde alsonoch einmal abgesenkt. Der alte Posttarifvertrag istschon lange Vergangenheit, und doch gründet die Postjetzt diese 49 Regionalgesellschaften. Die Paketzustel-lung mit 14 000 Stellen wird ausgelagert. Dort gilt jetztnicht mehr der Posttarifvertrag. Dies gehört jetzt zur Lo-gistikbranche.
In manchen Fällen bedeutet dies bis zu 30 Prozent weni-ger Lohn.
Das ist ein klarer Fall von Tarifflucht, Herr Kollege, undzwar von einem guten in einen schlechteren Tarifvertrag.Das ist nicht akzeptabel. Wertschätzung von Beschäftig-ten sieht anders aus.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9137
Beate Müller-Gemmeke
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Die Post senkt aber nicht nur die Löhne; es gibt auchdie Flucht aus der Mitbestimmung. In allen 49 Regional-gesellschaften müssen jetzt neue Betriebsräte aufgebautwerden. Neue Beschäftigte ohne jegliche Erfahrungenmüssen an diese wichtige Aufgabe herangeführt werden.Ohne Freistellung müssen sie geschult werden. Sie müs-sen sich einarbeiten, und das kostet viel Engagement,Kraft und Zeit. Auch mit Blick auf die Mitbestimmungist das Verhalten der Post nicht akzeptabel.
Der Skandal geht noch weiter. Die Post hat mittler-weile Tausende von Beschäftigten nur noch befristet an-gestellt. Wenn ihr Arbeitsvertrag ausläuft, haben sie jetztdie Wahl: Sie können, so die Unternehmensleitung, frei-willig in die neuen Regionalgesellschaften wechseln. ImKlartext heißt das: entweder einen Job für weniger Geldannehmen oder arbeitslos sein. Diese Menschen habenkeine echte Wahl. Das kann ich nur als zynisch bezeich-nen.
Das Vorgehen der Post ist ein Beispiel dafür, dass An-stand verloren geht, und auch dafür, dass die Tarifland-schaft zunehmend zerfällt. Aber die Post ist natürlichkein Einzelfall. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung,die letzte Woche veröffentlicht wurde, hat deutlich ge-zeigt, dass die Lohnungleichheit in Deutschland immerweiter zunimmt. Laut Bertelsmann Stiftung ist derGrund dafür, dass sich immer mehr Arbeitgeber aus derTarifbindung verabschieden und so den Konsens der So-zialpartnerschaft aufkündigen.
Das drückt insbesondere die niedrigen Löhne, wie dasBeispiel Post gerade eindrücklich zeigt. Das spaltet dieGesellschaft. Wenn viele immer weniger Geld bekom-men und die Menschen mit hohen Einkommen immermehr bekommen, dann ist das nicht gerecht.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regie-rungsfraktionen, ich hoffe, dass Sie aus den Vorgängenbei der Post Konsequenzen ziehen. Lassen Sie mich einpaar Punkte ansprechen.Erstens. Ich komme nicht darum herum, das Thema„gesetzliche Tarifeinheit“ anzusprechen. Die Ministerinbehauptet ja, die Spartengewerkschaften legten die Axtan die Wurzeln der Tarifautonomie; die Arbeitgeber sa-gen das Gleiche. Nein, nicht die Tarifpluralität – die Posthat ja zwei Gewerkschaften –, sondern Arbeitgeber wiedie Post zersplittern die Tariflandschaft.
Lassen Sie das also mit der verfassungswidrigen gesetz-lichen Tarifeinheit, und überlegen Sie sich lieber echteMaßnahmen gegen Tarifflucht zum Schutz der Beschäf-tigten.
Zweitens. Tun Sie endlich etwas gegen die unsägli-chen jahrelangen Kettenverträge, und schaffen Sie end-lich die sachgrundlose Befristung ab!Drittens. Die Bundesregierung muss bei der Postschon gewaltig auf den Tisch hauen. Immerhin ist derBund mit knapp 25 Prozent an der Post beteiligt. Siemuss diese unanständige Geschäftspolitik stoppen, sonstwird die Post von dieser Unternehmensleitung noch ganzzerschlagen. Hier geht es um Solidarität und gesell-schaftliche Verantwortung.
Wenn die Bundesregierung hier tatenlos bleibt, dann ver-liert Politik an Glaubwürdigkeit.Zum Schluss: Jetzt gibt es bei der Post garantiert ei-nen heftigen Streik, und zwar zu Recht. Ich wünsche denStreikenden und den Gewerkschaften schon heute vielKraft und einen langen Atem.Vielen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Bernd Rützel, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich möchte das heutige Thema von drei Seitenbetrachten.Zum einen ist da der Mensch, der im Internet Pro-dukte bestellt. Rücksendungen kosten nichts, und sowird ein Paar Schuhe gleich in zwei, drei Größen be-stellt. Dann aber wundert man sich, dass doch jemanddie Zeche bezahlen muss. Ich will mich da nicht ausneh-men. Auch ich habe schon solche Bestellungen getätigt.Die Mehrheit macht das; so ist eben die Zeit. Aber wennman glaubt, dass dies wirklich kostenlos ist, dann irrtman sich. Wir alle wissen um das Lohndumping im Be-reich der Deutschen Post, bei Amazon und bei verschie-denen anderen Arbeitgebern. Darauf komme ich noch zusprechen.
– Wer die Post privatisiert hat? Das ist 20 Jahre her. Ichwar nicht dabei.
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Bernd Rützel
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Zweitens möchte ich an dieser Stelle betonen, dassich Verständnis für DHL, für die Deutsche Post habe.Der Druck ist enorm. Sie müssen sich in einem knallhar-ten Wettbewerb durchsetzen. Sie müssen ein Geschäftmachen, die Marge ist klein, und es gilt viel zu investie-ren; das darf man bei der Betrachtung dieses Themasnicht außen vor lassen. Es gibt hohe Anforderungen inBezug auf Logistik und Qualität. Wir wissen, dass derDruck sehr groß ist. Man muss nur die Paketzusteller be-obachten, wie sie auf der Straße von Kunde zu Kundehetzen.Damit komme ich zum dritten Punkt meiner Rede,nämlich zur Arbeitssituation der Beschäftigten.180 000 Beschäftigte, habe ich gelesen, hat die Post,26 000 davon sind befristet, und zwar – das haben wirgehört – nicht nur kurz befristet, sondern schon sehrlange. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz wurde bis aufden letzten Millimeter ausgenutzt. Tobias Zech, wirwollten die sachgrundlose Befristung abschaffen. Wirwollten die Sachgründe reduzieren.
Denn wir haben gesehen, dass etwas aus dem Ruder ge-laufen ist. Wir konnten uns in den Koalitionsverhandlun-gen aber nicht darauf committen. Das gehört, glaube ich,dazu.Ich begrüße es, dass die Post jetzt erkannt hat, dassdiese Befristungen ein Fehler gewesen sind, dass die Be-schäftigungsverhältnisse entfristet werden sollen. Aberwer jetzt glaubt, alles sei gut, der irrt. Denn diese Ent-fristung kann nur in dieser neu gegründeten DeliveryGmbH stattfinden, eine Post in der Post sozusagen. Dortsollen dann nicht die Posttarifverträge gelten, sonderndie regionalen Tarifverträge der Speditions- und Logis-tikbranche. Natürlich hat Verdi diese abgeschlossen– das ist ja in Ordnung –, aber nicht für diesen Bereich.In diesem sollen sie jetzt angewendet werden. Dadurcherhalten Beschäftigte bis zu 13 000 Euro im Jahr weni-ger.
– Bis zu, habe ich gesagt. – Man darf das nicht jetzt se-hen, sondern man muss schauen, wie sich das entwickeltund wie es in fünf und in zehn Jahren aussieht. Wenn einPostbeschäftigter jetzt zwischen 36 000 und 43 000 EuroJahresgehalt hat, so kommt sein Kollege, der dann auchschon lange beschäftigt ist, auf 25 000 bis 30 000 Euroim Jahr.Ich habe mich, wie viele Kolleginnen und Kollegenauch, schon vor Wochen in meinem Wahlkreis mit Ge-werkschaftsvertretern getroffen. Ich habe gestern nocheinmal mit der Spitze von Verdi telefoniert. Die hättensogar Verständnis für solche Maßnahmen, wenn es derPost schlecht ginge, wenn Arbeitsplätze auf dem Spielstünden. Aber tatsächlich ist die Dividendenausschüt-tung im letzten Jahr um 14 Prozent und in diesem Jahrum 6 Prozent gestiegen. In der Börsen-Zeitung habe ichletzte Woche gelesen, dass der Vorstandsvorsitzende derPost im letzten Jahr 9,6 Millionen Euro, ich sage: erhal-ten hat. Kollegin, Sie haben etwas von 13 MillionenEuro verdienen gesagt.
Irgendwie ist das alles exorbitant. Ich will hier nicht überdie Höhe des Gehaltes diskutieren – das liegt mir fern –,aber ich frage mich schon, ob man die Löhne der Mitar-beiter als zu hoch einstuft und das Unternehmen Postsich solche GmbHs ausdenkt, um diese Löhne zu drü-cken.
Zum Schluss will ich sagen, dass der Bund mit21,3 Prozent natürlich in der Verantwortung steht, aberdass es, wie die Tagesordnung auch zeigt, trotz der Bun-desbeteiligung operatives Geschäft ist und sich der Bundda nicht einmischt. Dann hätte man vor 20 Jahren, Kol-lege, die Bahn und die Post nicht privatisieren dürfen.
Ich glaube, Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaf-ten machen einen sehr guten Job. Das sollte die Postauch die nächsten 500 Jahre weiterhin tun.Danke.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Albert Stegemann, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In denvergangenen Wochen erschienen immer wieder Beiträgein den Medien, ob nun bei Stern TV oder in den Zeitun-gen, die von aktuellen Stellenverlagerungen bei der Postberichteten. Die Nachricht von der Schaffung der Ser-vicegesellschaft, der DHL Delivery GmbH, löste bei somanchem Zeitgenossen reflexartige Reaktionen wie„Mehr Arbeit für weniger Geld“ aus. Passende persönli-che Schicksale waren ebenfalls schnell gefunden undrundeten dieses Bild ab.In den Augen der Kritiker ist dies ein weiteres Bei-spiel für mangelndes Verantwortungsbewusstsein vonUnternehmen in unserem Land. In diesem Zusammen-hang reichen die Vorwürfe von einer Auslagerung in pre-käre Beschäftigungsverhältnisse über die Schaffung ei-ner Zweiklassenbeschäftigung bis zur Aushöhlung derTarifverträge. Wir haben das alles schon gehört. Kurzgesagt: Bei der Post würden die gleichen Zustände wiedamals bei Schlecker, der Fleischindustrie oder den Ge-bäudereinigern herrschen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9139
Albert Stegemann
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Vor diesem Hintergrund möchte ich den Kollegen vonder Linken danken, dass sie dieses Thema in einer Ak-tuellen Stunde aufgegriffen haben.
Doch während bei Ihnen die Alarmglocken schellen undSie alle rhetorischen Register ziehen, muss ich Ihnen sa-gen: Fehlalarm. Denn ich bin der Überzeugung, dass indem hier herangezogenen Fall die Schlagzeilen zu kurzgreifen und teilweise politisch motiviert sind. Deshalbfreue ich mich außerordentlich, hier jetzt einen Beitragzur Versachlichung leisten zu dürfen.
Die Logistikbranche in der Bundesrepublik ist ein Be-reich, der wie kaum ein anderer von hoher Dynamik ge-kennzeichnet ist.
Wir sehen hier einen enormen Wachstumsmarkt. Zu-gleich stehen die Dienstleister wie DHL, Hermes, DPDund UPS, um nur einige Beispiele zu nennen, in starkerKonkurrenz zueinander. Dieser Wettbewerb wird ganzmaßgeblich über den Preis ausgetragen. Das kommtnicht zuletzt auch den Kunden zugute.
Die Post bzw. deren Logistikdienstleister DHL hatdas Wachstumspotenzial des Marktes erkannt. Der Kon-zern hat nun Schritte eingeleitet, um langfristig und er-folgreich auf dem Markt bestehen zu können. Damitnimmt der Konzern die Verantwortung für seine Mitar-beiter wahr, da eine wettbewerbsfähige Unternehmens-struktur letztlich auch immer im Interesse der Mitarbei-ter ist.
Den Vorwurf, das alles sei eine Art des plumpenLohndumpings, lasse ich an dieser Stelle nicht gelten.
So fand diese Umstrukturierung doch im Korsett vonRechtsstaat und Tarifautonomie statt und nicht in einerWildwestmanier, wie wir sie in der Vergangenheit teil-weise haben erleben müssen.
Wir sehen an dieser Stelle also kein Outsourcing odergar Tarifflucht. Was aktuell passiert, ist lediglich derWechsel eines kleinen Teils der Belegschaft in einen an-deren Tarifvertrag. An dieser Stelle sei angemerkt, dasswir in den Regionalgesellschaften von einem Durch-schnittslohn von 12,79 Euro pro Stunde sprechen.
Im Übrigen werden bei den 49 Gesellschaften in denkommenden Jahren etwa 20 000 Stellen geschaffen.Noch einmal: Die hier geltenden Verträge sind nicht ir-gendwelche Schmuddelverträge. Nein, diese sind or-dentlich tarifiert und auch unbefristet.Die Entscheidung, tarifliche Gestaltungsspielräumezu nutzen, fußt in diesem Fall also nicht etwa auf demWunsch, jenseits der bestehenden Regelungen die schnelleMark zu machen. Nein, ein gutes Unternehmertum musssich auch immer wieder auf aktuelle Entwicklungen ein-stellen und darauf reagieren. Die Vergangenheit hat ge-zeigt, dass die Sozialpartner solche Herausforderungengemeinsam und erfolgreich bewältigen können. Ich fürmeinen Teil kann nicht erkennen, dass sich die DeutschePost nun von diesem Grundsatz verabschiedet hat. Einefunktionierende Sozialpartnerschaft bedeutet aber nicht,dass der Wunsch nach einer guten Tariflandschaft immerauch mit dem Wunsch nach dem höchsten Tarifabschlusseinhergehen muss. Dieser letzte Satz ist kein Ausdruckfalsch verstandener Unternehmerfreundlichkeit, sondernein Ausdruck des Respekts vor der Unabhängigkeit derTarifpartner.Herzlichen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Vertragsbruch nach dem Motto „Friss oderstirb“ ist im Moment das Geschäftsmodell der Deut-schen Post AG. Mit der Ankündigung der Geschäftslei-tung, die Paketzustellung in eine neu gegründete Toch-terfirma auszugliedern, hat die Deutsche Post ganz klargegen den Tarifvertrag zum Schutz vor Fremdvergabeder Zustellung verstoßen.
Um diesen Tarifvertrag zu erhalten, mussten die Be-schäftigten im Jahr 2000 auf arbeitsfreie Tage, Überstun-denzuschläge und Kurzpausen verzichten. Sie erhieltendafür Schutz vor Ausgliederung und damit die Sicherheitder Beschäftigung. Eine Hand wäscht die andere.
Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit bis zum Ende diesesJahres; er endet nicht vorher. Er wäre vorzeitig kündbar,wenn die Post AG in einer schwierigen wirtschaftlichenSituation wäre.
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Jutta Krellmann
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Das ist nachweislich nicht der Fall. Der aktuelle Gewinnder Post AG beträgt 3 000 Millionen Euro – nur um ein-mal deutlich zu machen, was 3 Milliarden Euro sind. Beieinem so schweren Verstoß gegen Vertragsrechte müssteeigentlich die Staatsanwaltschaft aktiv werden.
Das ist noch nicht alles. Der Betriebsrat und damitauch die Belegschaft müssen nach dem Betriebsverfas-sungsgesetz rechtzeitig und umfassend über Betriebsän-derungen informiert werden, damit sie die Chance erhal-ten, damit umzugehen und an dieser Stelle eigeneIdeen zu entwickeln. Am 5. Dezember 2014 fanden inganz Deutschland Betriebsversammlungen statt. Damalswusste außer der Geschäftsleitung der DeutschenPost AG noch niemand, was danach passiert. Dass diePost das erst im Januar entschieden hat, kann man wirk-lich nur jemandem erzählen, der sich die Hose mit derKneifzange zumacht.
Schwerpunkte auf den Betriebsversammlungen im De-zember waren die massenhaften Befristungen der Ar-beitsverhältnisse und die Forderung nach Entfristungdieser Beschäftigten. Die Gewerkschaft Verdi hat dortzur Entfristungspolitik bei der Deutschen Post AG eineganz tolle Erklärung auf den Weg gebracht. Ziel war dieAbschaffung der sachgrundlosen Befristungen und derKettenbefristungen.Ich habe den Kolleginnen und Kollegen im Dezemberzu ihrer solidarischen Aktion gratuliert und eine KleineAnfrage auf den Weg gebracht, um zu ergründen, wasbei der Post im Moment eigentlich passiert. Bei derDeutschen Post AG sind mittlerweile 26 000 Beschäf-tigte von sachgrundlosen Befristungen und Kettenbefris-tungen betroffen – so viele wie noch nie.
Genau diese Beschäftigten sollen jetzt in die neueLohndumpingfirma DHL wechseln. Ihre Verträge beider Deutschen Post AG sind ja nur befristet. Damit wer-den sie vor die Wahl gestellt: entweder weniger Geldoder Arbeitsamt. Friss oder stirb! Dass dies von derDeutschen Post AG als Jubelmeldung verkauft wird,nach dem Motto: „Wir schaffen neue Arbeitsplätze“, istim Grunde eine Unverschämtheit.
Von der Deutschen Post AG weg, rein in die schlech-ter zahlende DHL Delivery GmbH: Die GewerkschaftVerdi hat das einzig Richtige gemacht. Sie fordert alsAntwort die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeitvon 38,5 auf 36 Stunden für alle Beschäftigten bei vol-lem Lohnausgleich.
Der aufgekündigte Vertrag muss jetzt wieder zu einerneuen Vereinbarung werden, mit der Beschäftigungs-sicherung besteht, und dazu gehört auch eine Arbeits-zeitverkürzung.Ich fordere die Bundesregierung auf, ihre Unterneh-mensbeteiligung von 21 Prozent dazu zu nutzen, Ein-fluss auf die arbeitnehmerfeindliche Politik der Deut-schen Post AG zu nehmen.
Außerdem fordert die Linke die Abschaffung der sach-grundlosen Befristungen und der Kettenbefristungen.
Den Beschäftigten und der Gewerkschaft Verdi wün-sche ich viel Erfolg im Kampf um Arbeitszeitverkürzungmit Beschäftigungssicherung. Wer kämpft, kann verlie-ren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.Vielen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Waltraud Wolff, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben in denletzten Wochen sehr viel über die Tarifeinheit gespro-chen. Sehr oft ist betont worden, dass die Tarifeinheit einhohes Gut ist, und sehr oft ist auch darauf hingewiesenworden, dass sie für Frieden in den Betrieben sorgt. Ei-gentlich wird damit immer die Kritik an den kleinen Ge-werkschaften gerechtfertigt.Die Tarifeinheit ist ein hohes Gut; das steht außerFrage. Die Debatte heute zeigt uns aber auch, dass großeLöcher in der Tarifeinheit nicht durch die Spartengewerk-schaften gerissen werden. Viele Löcher in der Tarifein-heit entstehen doch durch die Austritte von Arbeitgebernaus den Arbeitgeberverbänden,
und sie werden auch durch sogenannte OT-Mitglied-schaften gerissen.Den Begriff „OT-Mitgliedschaften“ muss ich einmalkurz erklären: Unternehmer sind Mitglied im Arbeitge-berverband – ohne Tarifbindung. Das muss man sicheinmal auf der Zunge zergehen lassen: ohne Tarifbin-dung. Diese Löcher resultieren auch daraus, dass Unter-nehmen Arbeitsplätze in tarifungebundene Töchter oderin Werkverträge ausgliedern. Es sind also nicht die Ge-werkschaften, sondern es sind die Arbeitgeber, die un-sere Tariflandschaft zum Flickenteppich gemacht haben.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9141
Waltraud Wolff
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Was ist die Folge? Die Folge ist doch, dass Löhne undArbeitsbedingungen zu Wettbewerbsfaktoren werden.Durch unsere Straßen fahren Zusteller und Zustellerin-nen mit den unterschiedlichsten Verträgen: von denenmit dem Haustarif der Deutschen Post AG bis hin zupseudoselbstständigen Einzelunternehmern. Wir alle ha-ben erlebt, wie schnell hier die Abwärtsspirale in Gangkommt. Der Anteil von Beschäftigten im Niedriglohnbe-reich nimmt zu; das ist ablesbar. Bei den geringfügig Be-schäftigten ist es genauso: Auch hier nimmt der Anteilzu.
– Nein, ich bin Sozialdemokratin aus Leidenschaft.
Wir sprechen heute über die Arbeitsbedingungen beider Post. Ich sage als Sozialdemokratin hier ganz klar:Ich freue mich nicht darüber, dass die Post Töchter grün-det, in denen statt des Haustarifes der Logistiktarif gilt.
Aber eins ist doch auch klar: Die Post befindet sich nichtim luftleeren Raum. Deshalb müssen wir uns doch diegesamte Branche anschauen.
2012 lag der Durchschnittslohn im gewerblichen Be-reich in der Briefzustellung bei der Post bei 16,01 Europro Stunde, bei der Konkurrenz bei 9,46 Euro.
Deutlicher geht es nicht mehr. Der Flickenteppich in derTariflandschaft führt zu einem Wettbewerb auf Kostender Beschäftigten. Das wollen wir für die Zukunft nichtmehr haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich ist abernicht nur die Tarifeinheit ein hohes Gut, auch die Tarif-autonomie ist mir wichtig. Wir alle hier im Raum wis-sen, dass Tarifauseinandersetzungen Sache der Tarifpart-ner sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen von derLinken, ich sage jetzt völlig ohne Häme: In dieser Wo-che gab es im öffentlichen Dienst den Streik der Lehrermit Schwerpunkt in Sachsen-Anhalt, in Sachsen und inThüringen. Ich beziehe mich einmal auf Thüringen, woSie mit an der Regierung sind.
– Da sind die Linken aber leider nicht an der Regierung.Darum beziehe ich mich auf Thüringen, wo Sie selbermitregieren.
Ich gehe davon aus, dass die Landesregierung die Tarif-autonomie wahrt. Ich gehe weiterhin davon aus, dass dieLinke in Thüringen weiß, dass sie bei aller Sympathiefür die Gewerkschaften dort Arbeitgeber ist. Ich habe inden Medien nicht einen einzigen Satz darüber gefunden,dass sich die thüringische Landesregierung außerhalbder Tarifverhandlungen in die Auseinandersetzungeneinmischen würde. Richtig macht sie das.Tarifautonomie ist wichtig. Das heißt aber nicht,meine Damen und Herren, dass Politik nur Zuschauerist. Wir haben Verantwortung bewiesen. Wir als SPDwerden weiterhin eine aktive Rolle einnehmen. Wir alsKoalition haben den Mindestlohn beschlossen. Er ist inKraft getreten. Der nächste Schritt wird die Neuregelungvon Leiharbeit und Werkverträgen sein.
Auch diesem Missbrauch werden wir einen Riegel vor-schieben. Wir arbeiten für faire Bedingungen auf demArbeitsmarkt. Das, was da politisch möglich ist, packenwir an.Herzlichen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Katharina Dröge, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken,Sie haben beantragt, dass wir heute über den Tarifkon-flikt bei der Deutschen Post diskutieren. Ich finde, dassollten wir auch tun. Bei Ihren Wortbeiträgen ist mir auf-gefallen, dass Sie, ehrlich gesagt, schon einen recht ver-kürzten Blick auf die gesamte Debatte haben. Die Kolle-gin Wolff hat dazu etwas gesagt.Unsere Aufgabe als Politik ist zunächst, die gesamteBranche in den Blick zu nehmen, bevor wir uns mit ei-nem einzelnen Unternehmen beschäftigen.
Wenn man sich die Branche der Paketzustellerinnen undPaketzusteller anschaut, sieht man: Es gibt eine Reihevon Gesichtspunkten, über die wir diskutieren sollten,etwa über die Arbeitsbedingungen der in diesem Marktoperierenden Unternehmen und über die Probleme, diedie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort haben.
– Nein, das können wir nicht getrennt voneinander dis-kutieren. Das hängt nämlich zusammen. – Ich findenicht, dass man über die Politik eines einzelnen Unter-nehmens diskutieren kann, ohne sich anzuschauen, in
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9142 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Katharina Dröge
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was für einem Marktumfeld es sich bewegt und was fürKonditionen die konkurrierenden Unternehmen bieten.Denn unsere Aufgabe als Politik ist zunächst, Rahmen-bedingungen dafür zu schaffen, dass es faire Arbeitsbe-dingungen und auch fairen Wettbewerb gibt.
Daran müssen wir arbeiten.Deswegen müssen wir uns Unternehmen anschauen,die beispielsweise mit Subunternehmern zusammenar-beiten und damit Tarifverträge umgehen. Wir müssenuns Unternehmen anschauen, die sogar versuchen, trick-reich Mindestlöhne zu umgehen. Wir müssen uns Unter-nehmen anschauen, in denen Tarifverträge gar nichtgelten. Außerdem müssen wir uns die Vielzahl an befris-teten Beschäftigungsverhältnissen anschauen. Ich finde,das ist die erste Aufgabe, die wir als Politik haben, wennwir uns mit solchen Fragen beschäftigen.Hier müssen wir klare Aussagen machen. Hier müs-sen wir auch handeln. Hier müssen wir auch für faireArbeitsbedingungen sorgen. Wir müssen gegen die sin-kende Tarifbindung kämpfen. Wir müssen für dieAbschaffung sachgrundloser Befristung kämpfen. Wirmüssen uns in dieser Branche auch mit dem Problem derScheinselbstständigkeit beschäftigen. Das sind allesDinge, die wir als Erstes angehen müssen.
Im zweiten Schritt müssen wir über den Fall des Ein-zelunternehmens Deutsche Post sprechen. Das liegt ander etwas seltsamen Konstruktion staatlicher Minder-heitsbeteiligung. Hier müssen sich die Bundesregierungund damit auch Sie als Koalitionsfraktionen schon dieFragen gefallen lassen: Welche Ziele verfolgt der Staateigentlich mit einer Minderheitsbeteiligung, die er an ei-nem Unternehmen hält? Geht es hier einzig und alleinum den schönen Geldstrom, der durch die Dividenden-zahlungen in den Bundeshaushalt fließt, oder verfolgtman mit einer Minderheitsbeteiligung auch andereZiele?Man könnte beispielsweise den Anspruch formulie-ren, dass eine staatliche Beteiligung an einem Unterneh-men auch dazu dienen soll, dass ein Unternehmen eineVorbildfunktion auf dem Markt hat, etwa hinsichtlich so-zialer und ökologischer Ziele.
Wenn man sich unter diesem Aspekt anschaut, was dieDeutsche Post AG jetzt gerade tut, dann muss man sichangesichts dieser Firmenstrukturierung schon Fragenstellen.Wir haben es schon gehört: Die Deutsche Post hatsehr positive Gewinnerwartungen. Sie hat im letztenJahr ein Rekordergebnis erzielt. Sie verspricht uns biszum Jahre 2020 jährliche Wachstumsraten von 3 Pro-zent, und sie hat in diesem Jahr schon wieder die Divi-dende für die Anteilseigner um 6 Prozent erhöht. Dassind gute Nachrichten für den Bundeshaushalt, guteNachrichten für Herrn Schäuble, nur eben nicht gleich-zeitig gute Nachrichten für die Mitarbeiterinnen undMitarbeiter in den Konzernen, die sich teilweise auf Ge-haltskürzungen von minus 20 Prozent einstellen müssen.Das ist für die Beschäftigten, die jetzt schon in demKonzern sind, sehr unangenehm.Eigentlich geht es hier doch nicht um die Ausgliede-rung der Arbeitsplätze befristet Beschäftigter; vielmehrgeht es um die neu Eingestellten, die nach dem neuenTarifvertrag bezahlt werden dürfen. Während die jetztbefristet Beschäftigten noch die Differenz zu ihrem jetzi-gen Lohn bekommen, soll das in Zukunft nicht mehr sosein. Es geht darum, dass man über den geplanten Wegdie Löhne bei Neueinstellungen recht elegant drückenkann.Das muss man vor dem Hintergrund von wachsendenMärkten und Rekordgewinnen bewerten, die auf dieLöhne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht durch-schlagen. Daher stellt sich schon die Frage: Entsprichtdas unserer Vorstellung von einem vorbildlichen Unter-nehmen, das eine staatliche Beteiligung rechtfertigt?
Diese Frage möchte ich Ihnen jetzt stellen; schließlichist der Bund als größter Minderheitsanteilseigner durcheinen Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat derDeutschen Post AG vertreten. Folgende Frage könnenvielleicht die Rednerinnen und Redner, die nach mirsprechen, noch beantworten: Was haben Sie denn imAufsichtsrat gemacht? Haben Sie dort über Renditeer-wartungen gesprochen, darüber, was von der Rendite inden nächsten Jahren in den Bundeshaushalt fließen soll?Oder haben Sie vielleicht auch über Ziele wie gute Be-schäftigungsverhältnisse oder eine ökologische Um-strukturierung des Konzerns geredet? Wenn Sie nur überGeld gesprochen haben, dann kann ich Ihnen sagen: Ver-kaufen Sie die Post lieber! Gewinnmaximierung ist nichtdie Aufgabe eines Konzerns mit staatlicher Beteiligung.
Wenn Sie nur über Geld gesprochen haben, dann solltenSie den ganzen Konzern lieber loswerden. Wenn Sie mitder Beteiligung an diesem Konzern andere Zielsetzun-gen verfolgen, dann müssen Sie uns erklären, wie Siedas gemacht haben.Ich danke Ihnen.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-ordneten Axel Knoerig, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Als Bundestagsabgeordnete stehen wir in
der Pflicht, staatliche Unternehmen in ihrer Entwicklung
kritisch zu begleiten. Das betrifft sehr wohl auch die
Deutsche Post DHL Group, die sich weiterhin zu 21 Pro-
zent in staatlichem Besitz befindet. Dabei liegt es sicher-
lich auch nahe, den Sinn und Zweck von 49 neuen Toch-
terunternehmen zu hinterfragen.
Doch das, was die Linke hier zur Beschäftigungs-
situation bei DHL ausgeführt hat, ist meines Erachtens
völlig realitätsfern;
denn sie ignoriert nämlich eines: den zunehmenden
Wettbewerb auf dem hart umkämpften Paketmarkt. Die
Deutsche Post DHL Group gehört in Deutschland mit ei-
nem Jahresumsatz von 56 Milliarden Euro und über
200 000 Mitarbeitern immer noch zu den Leuchtturmun-
ternehmungen. Insbesondere im ländlichen Raum ist
diese Firma ein ganz bedeutender Arbeitgeber. Dabei
sind fast 90 Prozent dieser Arbeitsverhältnisse unbefris-
tet. Man weiß sehr wohl, dass dieser Anteil in der Bran-
che sonst wesentlich geringer ausfällt.
Seit Jahresanfang wird die Paketzustellung nun von re-
gionalen Tochterfirmen übernommen. Als Träger fungiert
die DHL Delivery GmbH. Diese will nun 20 000 unbe-
fristete Arbeitsplätze schaffen. Das ist weitaus mehr, als
die Mitbewerber Hermes, UPS, GLS und DPD jeweils in
ihrer gesamten Belegschaft beschäftigen.
In den letzten zwei Monaten hat DHL Delivery bereits
5 000 Mitarbeiter neu eingestellt.
Dabei ist herauszustellen: Alle Mitarbeiter, die aus dem
Mutterkonzern kommen und bislang nur befristete Stel-
len hatten, erhalten nun einen unbefristeten Arbeitsver-
trag.
Sicher ist – das ist unstrittig –: Der Eingangslohn wird
bei DHL Delivery niedriger ausfallen. Hier zahlt man
nur 12,49 Euro, während es bei DHL 13,72 Euro gibt.
Außerdem – auch das gehört zur Wahrheit – gibt es bei
DHL Delivery weder Weihnachtsgeld noch eine Jahres-
prämie.
Es greift, denke ich, nicht zu kurz, wenn man erwähnt,
dass es mittlerweile üblich ist, dass solche Tarifvereinba-
rungen in der Logistikbranche getroffen werden.
Vor allem muss man sich aber auch fragen: Was nüt-
zen einem Paketzusteller die finanziellen Vorteile, so-
lange seine Stelle nur befristet ist, wenn sich Zeitver-
träge aneinanderreihen und keine dauerhafte Zukunft im
Job zu erkennen ist?
In diesem Zusammenhang ist es positiv zu bewerten,
dass die Regionalgesellschaften dem Arbeitgeberver-
band Spedition und Logistik beigetreten sind. Ebenso
wurden sie von Verdi anerkannt.
Auch wir als Politik, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen, erkennen an, dass Sicherheit für die Arbeit-
nehmer, selbst bei Geldeinbußen, den größeren Mehr-
wert darstellt.
Genauso müssen wir aber auch die Marktveränderungen
berücksichtigen. Der Paketmarkt ist heute geprägt von
hohen Umsätzen, niedrigen Gewinnen, und das bei ei-
nem erheblichen Investitionsbedarf.
Die Gründung der Tochterfirmen ist insbesondere
auch eine Folge des stark wachsenden Onlinehandels.
Seit 2005 hat sich der Umsatz in Deutschland fast ver-
dreifacht: von 15,5 Milliarden Euro auf etwa 43,6 Mil-
liarden Euro in 2015.
Gestatten Sie mir einen ganzheitlichen Blick auf die
Privatisierung staatlicher Unternehmungen. Da meine
ich gar nicht einmal als erste Adresse nur die Post. Ge-
rade mit dem Outsourcing von Personal wurden in Tei-
len Bedingungen geschaffen, die wenig arbeitnehmer-
tauglich sind, sofern alte Beschäftigungsverhältnisse in
neue übergegangen sind, und das bei geringerem Lohn.
Das war aber bei der Post nicht der Fall. Hier sind die
Arbeitnehmer weiterhin über ihre bestehenden Verträge
geschützt. Auch die neuen Mitarbeiter erhalten mehr Si-
cherheit über entfristete Stellen. Insofern kann hier nicht,
wie es die Linke formuliert hat, von Tarifflucht die Rede
sein. Das ist übertrieben.
Wir als Union unterstützen eine markt- und wettbe-
werbsorientierte Personalpolitik, die sowohl die Zukunft
eines Unternehmens als auch die der Mitarbeiter sichert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Dr. Hans-Joachim Schabedoth, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Vielleicht haben Sie auch schon einmal alsBesucher im Stadion oder bei einem Konzert die Erfah-rung gemacht, dass plötzlich alle vor Ihnen aufspringen,um besser sehen zu können. Was bleibt einem da übrig?Man erhebt sich auch. Oft reicht das aber nicht. Denn dievor einem stehen auch schon auf den Zehenspitzen. Da-bei ist es doch offensichtlich: Weil es alle tun, sieht kei-ner besser, aber alle stehen schlechter. Wäre es da nicht
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9144 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Dr. Hans-Joachim Schabedoth
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besser, alle würden sich wieder auf das Sitzen verständi-gen?
In einer ähnlichen Situation befindet sich jetzt diePost AG. Da gibt es Konkurrenten, die stehen schonlängst auf den Zehenspitzen, um mit dem gelben Riesenmithalten zu können. Die Post, heute die Post AG, wurdeeinst aus guten Gründen „gelber Riese“ genannt. Daswar kein Spott. Gelber Riese: Da schwang Respekt mit,weil er die besten Standards verkörperte. Doch für diePost von heute scheinen die Aktionäre schon lange wich-tiger geworden zu sein als ihre Beschäftigten und ihreKunden.Wir, die Kunden, fragen uns schon lange: GelberRiese, warum machst du dich so klein? Warum vertraustdu nicht auf deine Stärke – gute Bezahlung und hervor-ragenden Kundenservice –, statt jetzt auf Billigtöchterausweichen zu wollen?Ich hatte meine letzte 55-Cent-Briefmarke noch nichtverbraucht, da stieg das Briefporto schon auf 58, 60 undjetzt sogar 62 Cent. Das ist vielleicht noch okay, habe ichwie viele andere gedacht, wenn es den Frauen und Män-nern nutzt, die uns die Post bei jedem Sauwetter zustel-len. Doch schon lange hat sich die Gleichung „Guter Ar-beitgeber, gute Bezahlung, gute Leistungen“ zumSchlechteren verschoben. Das müssen wir leider festhal-ten.Das genaue Hingucken bestätigt: Die Post arbeitetschon seit Jahren bei den Zustellern inflationär, wie ichmeine, mit Zeitverträgen. Die vielen befristet, aber nochnach Haustarif bezahlten Arbeitenden sehen sich jetzt zuden Billigtöchtern der Post gedrängt, wenn sie nicht ar-beitslos werden wollen. Das kann nicht die Lösung sein.
Es muss einen besseren Weg geben, die unfairenWettbewerbsbedingungen im Bereich der Paketzustel-lung zu verändern. Solche Wege lassen sich aber nurüber Verhandlungen mit der zuständigen GewerkschaftVerdi finden und nicht gegen sie und die Beschäftigten.Die vielen praktischen Erfahrungen mit Tarifflucht in al-len anderen Branchen beweisen: Die Spirale nach untenlässt sich nicht stoppen, wenn der Wettbewerbsdruckeinfach auf die Beschäftigten verlagert wird.
Im Übrigen haben auch die Kunden nichts davon; dennes geht bei diesem Wettbewerb nicht um bessere Quali-tät, sondern um die Minderung der Arbeitskosten. Dabeigibt es nur Verlierer.Der intendierte Kostenvorteil bei der Post AG wirdschon bald wieder ausgeglichen, weil die anderen Wett-bewerber nachziehen werden. Denken Sie an mein Ein-gangsbeispiel! Zum Glück haben wir die äußersteSchamgrenze für den Lohnsenkungswettbewerb inzwi-schen durch den gesetzlichen Mindestlohn gezogen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedeutet daswirklich, dass wir zuschauen, wenn alle, die es können,ihre Entlohnung auf den gesetzlichen Mindestlohn he-runterdrücken? Das ist doch nicht in unserem Sinne.
Der gelbe Riese, die heutige Post AG, ist nie nur ir-gendein Dienstleister unter vielen anderen. Er steht inder Tradition eines Betriebes der öffentlichen Daseins-vorsorge. Die jahrzehntelang bewährte Mitbestimmungs-kultur unterscheidet die Post immer noch von einem Un-ternehmen wie Amazon.
Das macht die Post AG unter lauter Zwergen zum stan-dardsetzenden Riesen, im Guten, aber leider auch imSchlechten.Deshalb fordere ich bei allem Respekt vor der Auto-nomie der Post AG den Anteilseigner Bund auf, demTeilausstieg aus der Haustarifbindung bei der Paketzu-stellung zu widersprechen und die Mitbestimmungskul-tur bei der Post AG nicht zu belasten, sondern für Kon-fliktlösungen zu nutzen. Bei der Post AG soll es auchzukünftig keine Arbeitnehmer erster und zweiter Klassegeben.
Herr Kollege, das waren wunderschöne Schlussge-
danken, zumal Sie Ihr Zeitkontingent ausgeschöpft ha-
ben.
Deshalb frage ich den Postvorstand und die Auf-
sichtsräte: Gelber Riese, warum willst du dich so ver-
zwergen? Nutz die Chance, mit Verdi eine bessere Lö-
sung zu finden! Die Zukunft – auch bei der
Postzustellung – gehört den Besseren und nicht den Bil-
ligeren.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Uwe Lagosky, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! „Ansturm auf neue Post-Zustellunternehmen“titelte die FAZ am 5. Februar 2015 über die neuen DHL-Delivery-Gesellschaften. Weiter heißt es in dem Artikel:Die Aussicht auf einen dauerhaften Arbeitsplatzzieht viele bisher befristet beschäftigte Postboten indie umstrittenen neuen Zustellgesellschaften.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015 9145
Uwe Lagosky
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In der heutigen Stellungnahme der Deutschen Post AGsteht hierzu:Bereits zwei Monate nach Gründung der Gesell-schaften sind bereits 5 000 unbefristete Arbeitsver-träge geschlossen worden, ca. 1 500 Kräfte wurdenvom externen Arbeitsmarkt eingestellt.In den deutschlandweit gegründeten DHL-Delivery-Gesellschaften sollen bis 2020 10 000 neue Arbeits-plätze, bis 2025 20 000 neue Arbeitsplätze entstehen.Die Deutsche Post wird 750 Millionen Euro in das Pa-ketnetz investieren.
– Ich komme gleich auf die Gewerkschaften zu spre-chen, liebe Kollegin.Den ehemals befristet bei der Post angestellten Ar-beitnehmern sichert die Post das bisherige Monatsgehaltzu. Darüber hinaus gibt es für alle unter anderem Zusatz-verdienstmöglichkeiten. Zur Gründung der 49 DHL-Delivery-Gesellschaften führten insbesondere der Wett-bewerbsdruck – das ist hier mehrfach zum Ausdruck ge-kommen – und das Preisniveau bei den Mitwettbewer-bern. In den neu gegründeten Gesellschaften sieht dieDeutsche Post eine Antwort auf die Marktsituation undkommt damit ihrer unternehmerischen Verantwortungnach. Die Deutsche Post orientiert sich in den neuen Ge-sellschaften am Tarifvertrag der Speditions- und Logis-tikbranche. Demgegenüber steht aber die Aussicht aufeine Dauerbeschäftigung, die offensichtlich viele Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer überzeugt.
Aus Sicht der Gewerkschaft und unter den Aspektender Mitbestimmung stellt sich die Situation so dar: Übereinen längeren Zeitraum wurden im Unternehmen befris-tete Verträge abgeschlossen, die nunmehr dazu genutztwerden, die Beschäftigten in neu gegründete Gesell-schaften einzusetzen. Wenn einem eine Festanstellungangeboten wird, dann überlegt man sich, in die neuenGesellschaften zu wechseln. Beschäftigte, die unter demDruck einer Befristung stehen, gehen natürlich auf dasAngebot ein, ein Gehalt wie zuvor zu verdienen, aller-dings ohne übertarifliche Zulage und Leistungen wieWeihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Leistungsentgelt. Dassind laut Verdi 3 500 Euro im Jahr weniger. Darüber hi-naus kommt ein anderer Tarifvertrag, der erwähnte Ver-trag der Speditions- und Logistikbranche, zur Anwen-dung. Dieser liegt unter dem Niveau des bisherigenTarifvertrags.Ein weiterer Anstoß der Kritik ist die scheinbareNichteinhaltung eines Vertrages, der die Fremdvergabeder Zustellung ausschließt. Das wiederum wird von derDeutschen Post bestritten. Ich kann durchaus verstehen,dass die Gewerkschaft, die in vergangenen Tarifverhand-lungen zugunsten eines solchen Vertrags auf materielleDinge verzichtet hat, unzufrieden ist. Gleichermaßen istaber auch einzubeziehen, dass sich die Deutsche Postvertraglich auf Paketmengen stützt, die ausschließlich inihrem Hoheitsgebiet aufkommen und nicht von derDHL-Vertriebsgesellschaft eingebracht werden. Das al-les müssen die Vertragspartner klären; das ist nicht un-sere Aufgabe.Darüber hinaus werden Strukturen der betrieblichenund der Unternehmensmitbestimmung verändert. Ichnehme die Deutsche Post daher beim Wort, wenn sie inihrer heutigen Stellungnahme schreibt, dass sie „die Ar-beit der Betriebsräte und Gewerkschaften nach Kräftenunterstützen und diesen bei der Wahl und Bildung vonBetriebsräten bestmöglich zur Seite stehen“ will.Wir erleben wieder einmal den Umbau eines Unter-nehmens als Reaktion auf den Wettbewerb. Es ist wich-tig für die Beschäftigten, die in der neuen Unterneh-mensstruktur arbeiten, gute Rahmenbedingungen zuschaffen. Den Schlüssel dafür halten die Vorstände, dieBetriebsräte und die Gewerkschaften in der Hand.Vielen Dank.
Letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist der Abge-
ordnete Albert Weiler, CDU/CSU-Fraktion.
Ich möchte Sie alle recht herzlich hier im DeutschenBundestag begrüßen. Sehr geehrter Herr Präsident!Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damenund Herren! Ganz besonders begrüße ich die vielen jun-gen Menschen auf der Tribüne; denn es freut mich ganzbesonders, dass wir so viel Nachwuchs hier oben haben,der sich für Politik interessiert. Sehr schön.
Was mich nicht so erfreut, ist: Wir haben heute einenAntrag der Linken,
aber ich sehe leider nur einen, zwei, drei, vier, fünfLinke. Ich hätte bei einem eigenen Antrag gerne mehrgesehen. Aber das Leben ist nun einmal so. Damit mussich leben.
Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.Dies gilt auch an dieser Stelle für die Kollegen derLinksfraktion. Die von Ihnen beantragte Aktuelle Stundeist geprägt von Kampfbegriffen
wie Tarifflucht und Zweiklassenbeschäftigung. Die Kol-legin hat vorhin von Lohndrückerei gesprochen.
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9146 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. März 2015
Albert Weiler
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Das stellt einen ehrlichen Willen zur Aufarbeitung derProblematik bzw. wahrheitsgemäßen Darstellung derWirklichkeit meines Erachtens infrage. Das soll genutztwerden, um besonders die SPD zu kritisieren und um ei-nen Machtkampf bei Verdi hier im Bundestag auszutra-gen. Das ist nicht schön, aber auch damit müssen wir le-ben.Pacta sunt servanda. Ich denke, wir sind uns alle ei-nig: Verträge müssen eingehalten werden. Ich will aberauch für Verständnis für die vielen Mitarbeiter bei derDeutschen Post AG werben, die betroffen sind und derenArbeitsverhältnis umgewandelt wird. Dieses ist zwar un-befristet, die Mitarbeiter aber werden geringer entlohnt.Wie ist die Situation? Erstens. Es wird 10 000 neueunbefristete Stellen bei der DHL Paket geben.
Zweitens. Bis 2025 sollen sogar 20 000 Beschäftigteunbefristet eingestellt werden.
Das allein ist schon einmal eine sehr gute Nachrichtvom Grundsatz her.Drittens. Die Mitarbeiter bleiben alle unter dem Dachder DHL Delivery GmbH. Die Entlohnung in diesen Ge-sellschaften erfolgt – hören Sie bitte einmal zu – nachdem von Verdi ausgehandelten Tarifvertrag für den Spe-ditions- und Logistikbereich. Die neuen Mitarbeiter inden Regionalgesellschaften werden nach den regionalenTarifen der Speditions- und Logistikbranche bezahlt.Unter diesen Tarifverträgen steht die Unterschrift vonVerdi, sodass man hier von einer Tarifflucht wirklichnicht sprechen kann.
Für die Mitarbeiter der Deutschen Post mit unbefris-teten Verträgen – das ist das absolute Gros der Mitarbei-ter – ändert sich gar nichts. Der bestehende Tarifvertragfür die Deutsche Post AG gilt natürlich weiterhin. Nie-mand kann also behaupten, dass die Deutsche Post Tarif-verträge brechen will.Ehrlicherweise muss man doch Folgendes zugeste-hen: Die Deutsche Post steht in deutlichem Wettbe-werbsnachteil im hart umkämpften deutschen Paket-markt, weil die Löhne bei ihr im Vergleich höher sind alsbei den Mitbewerbern. Da müssen wir etwas tun.
Fakt ist: Für die neuen Mitarbeiter gilt ein höheres Ni-veau als das der regionalen Tarifverträge der Speditions-und Logistikbranche. Das gilt auch für die Bezahlung:Der Lohn liegt deutlich über dem Mindestlohnbetrag,den selbst die Linkspartei fordert. Der Durchschnittslohnsoll bei 12,79 Euro liegen. Das sind etwas über2 200 Euro im Monat. Alle neuen Verträge werden fürVollzeit und unbefristet sein. Es soll leistungsorientiertePrämien und attraktive Zuverdienstmöglichkeiten geben.
Zum Vergleich: Der Durchschnittslohn von Sped-Logbeträgt 12,44 Euro. So viel zum Vorwurf der Zweiklas-senbeschäftigung!Der Vorstand der Post AG hat zugesichert, dass denMitarbeitern, die zurzeit einen befristeten Arbeitsvertraghaben, eine Entfristung zusteht und dass mindestens dasderzeitige Monatsgrundgehalt gezahlt wird. Sie sehen:An dieser Stelle hält die Post den mit Verdi ausgehandel-ten Tarifvertrag ein
und zahlt sogar noch etwas darüber hinaus und mehr alsandere Anbieter in der Branche.Zusammengefasst kann man folgende Rechnung auf-machen:
Grundsätzlich werden die Arbeitnehmer etwas wenigerhaben – das weiß ich –, aber sie kriegen einen unbefris-teten Arbeitsvertrag.
Entweder entstehen neue 20 000 unbefristete Arbeits-plätze
bei der Deutschen Post DHL zu den genannten Konditio-nen,
oder sie entstehen bei einem der zahlreichen Wettbewer-ber, meine Damen und Herren, zu deutlich schlechterenKonditionen, oft in Unternehmen, in denen Verdi deut-lich geringer vertreten ist.Jetzt ist Verdi als Tarifverhandlungspartner gefragt,weiterhin positive Tarifverträge für alle Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter der Post und der Sped-Log-Branche aus-zuhandeln, und nicht der Deutsche Bundestag.Vielen Dank.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 26. März 2015,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.